Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich zur 229. Sitzung des
Bundestages. Ich hoffe, dass sich im Laufe des Vormittags die Regierungsbank noch teilweise füllt, und begrüße einzelne Mitglieder der Bundesregierung stellvertretend für dieselbe.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf aufmerksam machen, dass die für heute verlangte Aktuelle
Stunde zur Haltung der Bundesregierung zur Durchsetzung des Leistungsprinzips bei exorbitanten Managergehältern nicht stattfindet.
({0})
- Der Antrag auf diese Aktuelle Stunde ist zurückgezo-
gen. Damit ist das Thema ja nicht erledigt. Die ent-
täuschten Zwischenrufe werden also bei anderer Gele-
genheit sicher zur Geltung kommen können.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c
sowie die Zusatzpunkte 11 und 12 auf:
28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten
und Finanzgruppen
- Drucksache 17/12601 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({1})-
Rechtsausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der Richtlinie 2011/89/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 16. November
2011 zur Änderung der Richtlinien 98/78/EG,
2002/87/EG, 2006/48/EG und 2009/138/EG
hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung
der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats
- Drucksache 17/12602 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({2})-
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz
({3})
- Drucksache 17/12603 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Finanzstabilität sichern - Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute und des internationalen Schattenbanksystems
- Drucksache 17/12686 ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern Geschäfts- und Investmentbanking trennen
- Drucksache 17/12687 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({4})Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Einen Widerspruch dazu höre ich nicht. Also können wir offenkundig
so verfahren.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Finanzminister das Wort, der im Unterschied zu anderen bereits
gleich zu Beginn dieser Sitzung im Saal war. - Bitte
schön.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sollte
ich hier auch reden, wenn ich nicht da wäre!
({0})
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Abschirmung
von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen gehen
wir einen weiteren Schritt auf dem Weg, Konsequenzen
aus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 zu ziehen und unser Finanz- und Bankensystem insgesamt krisenfester, stabiler zu machen.
Weil die Vielzahl der einzelnen Regelungsschritte auf
globaler, auf europäischer und auf nationaler Ebene
manchmal fast schon verwirrend sein kann, ist es immer
wieder wichtig, dass man sich die Zusammenhänge klarmacht bzw. sich darüber vergewissert.
Funktionierende Finanzmärkte - das ist der Ausgangspunkt all dessen, was wir 2008 diskutiert haben sind für eine hoch arbeitsteilige, global aufgestellte Wirtschaft unverzichtbar. Eine Krise in den Finanzmärkten
bedeutet eine Krise für die Wirtschaft insgesamt. Funktionierende Finanzmärkte sind von daher wie eine funktionierende Energieversorgung Teil der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Deswegen müssen die Finanzmärkte
stabil gehalten werden, und es muss dafür gesorgt werden, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Bereichen
nicht das ganze System in Gefahr bringen.
Im Übrigen müssen die Chancen und die Risiken abgewogen werden. Chance und Risiko müssen immer in
einem angemessenen Verhältnis stehen; andernfalls gibt
es Fehlanreize.
({1})
Die Banken und die Finanzinstitute brauchen also genügend Kapital, damit sie krisenfest sind. Wir brauchen in
Europa funktionierende Aufsichtsinstitutionen auf nationaler Ebene. Wenn es irgendwo in einem Teil Fehlentwicklungen gibt - das gibt es immer in der Wirtschaft -,
dann muss sichergestellt sein, dass sich daraus keine Risiken, keine nachteiligen Entwicklungen für das System
als Ganzes ergeben können. Das ist die sogenannte Ansteckungsgefahr.
Weil sich das alles auf globaler und auf europäischer
Ebene abspielt, müssen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, die für alle Finanzinstitute und Banken eine
große Rolle spielt, natürlich globale oder wenigstens europäische Regelungen getroffen werden, die zusammen
mit nationalen Regelungen ein sich verzahnendes System ergeben. Das ist etwa ein ganz wichtiger Gegenstand der Debatte um die Finanztransaktionsteuer. Alle
sind dafür, dass wir diese Steuer auf globaler Ebene einführen. Aber wir wissen natürlich, dass es beachtliche
Gegenargumente gibt, sobald man sie nicht global einführen kann.
In diesem Zusammenhang ist allerdings ein weiteres
Argument zu bedenken: Wenn der Langsamste das
Tempo bestimmt, dann geschieht gar nichts. Das Festhalten an der Forderung nach globaler Regulierung ist
häufig der Grund dafür, dass insgesamt nichts geschieht.
Insofern müssen wir gelegentlich national Vorreiter in
der Regulierung sein. Das sind wir in dieser Legislaturperiode mehrfach gewesen. Wir mussten uns immer kritisch fragen lassen, ob unsere Politik richtig ist. Wir
haben immer gesagt: Wir handeln im Vorgriff auf europäische Regelungen. So haben wir zunächst einmal national die ungedeckten Leerverkäufe verboten. Dafür
sind wir kritisiert worden. Zwei Jahre später gab es eine
entsprechende europäische Regelung. Wären wir in
Deutschland nicht vorangegangen, wäre es nicht zu dieser Regelung gekommen.
({2})
So haben wir mit dem Restrukturierungsgesetz Regeln eingeführt, die ermöglichen, dass Banken, die in
Schwierigkeiten sind, geordnet abgewickelt werden. Zugleich haben wir angefangen, einen Fonds aufzubauen,
der sicherstellen soll, dass die Banken selbst die Kosten
solcher Aktionen tragen. Das geht nicht über Nacht. Das
notwendige Kapital kann nur allmählich erarbeitet werden. Auch in diesem Bereich haben wir national angefangen, im Vorgriff auf die europäische Regelung.
Im Augenblick sind wir dabei, mit nationalen Regeln
den übertriebenen Hochfrequenzhandel wegen seiner gefährlichen Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu regulieren. Auch das tun wir im Vorgriff auf europäische Regelungen, nicht um sie zu ersetzen, sondern um sie zu
beschleunigen, um sie weiter voranzubringen.
Genau dieser Philosophie folgt der vorliegende Gesetzentwurf, mit dem wir den Banken Abwicklungs- und
Sanierungspläne für den Fall, dass etwas schiefgeht, vorschreiben. So wollen wir eine geordnete Abwicklung
schwächerer einzelner Teile ermöglichen, ohne dass die
Gefahr der Ansteckung für das gesamte Institut entsteht
und so der gesamte Finanzmarkt in Gefahr gerät. Die
Abschirmung von Risiken aus den unterschiedlichen Geschäftsfeldern ist der schwierigste und komplizierteste
Teil dieser gesetzlichen Regelung. Wir versuchen, Wege
zu finden, wie wir Eigenhandel, Investmentbanking und
die normalen Bankgeschäfte so voneinander abgrenzen
können, dass Risiken in einem Bereich keine Ansteckungsgefahren für andere Bereiche bedeuten können.
Dazu muss man im Übrigen sagen: Das Universalbankensystem in Deutschland hat sich über Jahrzehnte
bewährt, und es ist nicht die Ursache der Bankenkrise
gewesen. Die global tätigen Unternehmen brauchen
Dienstleistungen von Banken aus einer Hand. Das Universalbankensystem hat sich insgesamt bewährt. Man
muss allerdings die Entwicklung auf den Finanzmärkten
in den zurückliegenden Jahrzehnten berücksichtigen: Es
gab eine enorme Innovationsfähigkeit hin zu immer
komplexeren Produkten. Die Vielfalt der modernen
Finanzprodukte und die Vielfalt der modernen Finanzmarktteilnehmer hat außerdem dazu geführt, dass die
Finanztransaktionen um ein Vielfaches stärker gestiegen
sind als das reale Bruttoinlandsprodukt, sei es in Europa,
sei es weltweit. Zugleich ist der Anteil der Finanztransaktionen, der mit der realen Ökonomie unmittelbar zu
tun hat, am Gesamtmarkt der Finanztransaktionen immer geringer geworden. Daraus hat sich die Debatte ergeben, ob wir bessere Abschichtungen der Risiken im
gesamten Bankensystem vornehmen können. Diese Debatte wird überall in der Welt geführt.
In den Vereinigten Staaten wurde die „Volcker Rule“
eingeführt. Das wird auch für Europa gefordert; das
muss im Einzelfall aber genau abgegrenzt werden. Es ist
nämlich schwierig, weil man einem Devisengeschäft einer Bank nicht unmittelbar ansieht, ob es für einen Kunden gemacht wird oder ob es gemacht wird, um zukünftig einen entsprechenden Kundenbedarf erfüllen zu
können, oder ob es auf eigene Rechnung gemacht wird.
Das können die Ökonomen zwar abstrakt voneinander
abgrenzen. Dies aber in einem Gesetz zu formulieren, ist
schwierig.
In Großbritannien geht man mit dem Vickers-Report einen etwas anderen Weg. In Europa hat man die LiikanenKommission beauftragt, die die Fragen intensiv diskutiert hat. Daraus wollen wir eine europäische Regelung
ableiten. Gemeinsam mit der französischen Regierung
haben wir uns entschieden, unseren nationalen Gesetzgebern vorzuschlagen, den relativ unstreitigen Teil der
Empfehlungen des Liikanen-Reports im Vorgriff in nationale Gesetzgebung umzusetzen. Wir wollen damit
keine europäische Regelung ersetzen, sondern das Zustandekommen einer europäischen Regelung befördern.
Im Übrigen wollen wir damit dazu beitragen, dass bei einer europäischen Regelung ein wenig aus den nationalen
Erfahrungen Frankreichs und Deutschlands geschöpft
werden kann. Deswegen gehen wir diesen Weg.
Der Liikanen-Report besagt ja letztendlich, dass man
nicht wirklich abgrenzen kann, was Eigenhandel und
was Kundenhandel ist. Das ist ja das eigentliche Problem. Deswegen sagen wir: Ab einer bestimmten Größenordnung, also wenn die Bank Handelsaktivitäten von
über 100 Milliarden Euro hat oder wenn dieser Teil der
Geschäfte mehr als 20 Prozent des Volumens der Geschäfte der Bank beträgt, sollen diese Geschäftsbereiche
voneinander getrennt werden in eigene rechtlich abgeschichtete Institute mit entsprechenden Haftungsbegrenzungen.
Daraus ergibt sich das Problem, dass die Banken,
wenn sie diese Größenordnung erreicht haben, die Produkte für ihre Kunden nicht mehr vorrätig halten können. Sie können in dem Geschäftsfeld, in dem Kundengeschäfte getätigt werden, ja nicht auf Auftrag tätig
werden, sondern sie müssen die Leistung vorrätig halten.
Das ist das sogenannte Market Making. Deswegen sagen
wir: Den eindeutigen Eigenhandel spalten wir ab. Das
Market Making übertragen wir in die Zuständigkeit der
Bankenaufsicht, damit sie im Einzelfall prüfen kann, ob
das Market Making in erster Linie dem Kundengeschäft
oder angesichts seiner Größenordnung doch eher dem
Eigenhandel der Bank dient. Damit können wir Erfahrungen sammeln, wie die Empfehlungen des LiikanenReports tatsächlich in der Praxis zu handhaben sind.
Das ist der Kern des Problems. Darüber muss man
nicht so furchtbar viele Grundsatzstreitigkeiten führen.
Ich glaube, es ist vernünftig, dass wir bei der Regulierung von Banken nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern immer daran denken, dass die Funktion und
Leistungsfähigkeit unserer Banken in einem starken
Maße vom Erfolg auf den Weltmärkten abhängt. Es
muss also auch im Auge behalten werden, dass die Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird.
({3})
Dann sehen wir schließlich vor, die Strafbarkeit von
Managern und Verantwortlichen der Finanzinstitute bei
Fehlverhalten im Risikomanagement entsprechend zu
verschärfen, weil die geltenden strafrechtlichen Vorschriften nicht ausreichen. Das sind die drei Elemente
dieses Gesetzentwurfs.
Ich will darauf hinweisen, dass wir mit diesen Maßnahmen unsere Bemühungen fortsetzen, Schritt für
Schritt einen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte zu
schaffen. Wir haben in dieser Legislaturperiode viel erreicht. Ich möchte mich auf diesem Weg bei allen Fraktionen des Hauses für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. Wir werden diesen Weg konsequent fortsetzen.
Es leiten uns dabei die folgenden Prinzipien: erstens,
das Finanzsystem krisenfester zu machen, zweitens, die
Verursacher immer an den Kosten der Krise zu beteiligen, drittens, der Haftung wieder Geltung zu verschaffen, viertens, die Transparenz auf den Finanzmärkten zu
erhöhen, und fünftens, die Aufsicht auf deutscher wie
auf europäischer Ebene funktionsfähiger zu machen.
So schaffen wir Schritt für Schritt einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Das Trennbankengesetz ist dabei ein wichtiger Schritt. Ich bitte Sie um zügige Beratung und um Zustimmung zum Gesetzentwurf.
({4})
Der Kollege Joachim Poß erhält nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2008 hat die Lehman-Pleite die Finanzmärkte weltweit
erschüttert. 2010 hat sich mit aller Macht der schädliche
Einfluss von Banken und Finanzspekulanten in der Krise
in Griechenland, Irland, Spanien gezeigt. Vor allem im
Herbst 2011 wurde an vielen Orten im Rahmen der
Occupy-Bewegung gegen die Bankenmacht demonstriert. Und dann, Herr Bundesfinanzminister, dauert es
noch bis in den Februar 2013, bis Sie endlich reagieren
und endlich einen Gesetzentwurf zur Einschränkung der
Bankenmacht vorlegen. So schön ist Ihre Bilanz an die28616
ser Stelle nicht, wie Sie es vorhin versucht haben, darzustellen.
({0})
Sie malen sich das schöner, als es ist. Das gilt im Übrigen auch für Ihre Konsolidierungspolitik wie für Ihre
Steuerpolitik. Ihre Bilanz ist alles andere als überzeugend. Das gilt auch für den Bereich „Einschränkung der
Bankenmacht“.
({1})
Dass Sie jetzt einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorlegen, hat nur einen Grund: Sie wollen noch schnell
das Thema Banken besetzen,
({2})
damit es Ihnen im anstehenden Wahlkampf nicht auf die
Füße fällt.
({3})
Wären Sie, Herr Schäuble, tatsächlich an einer Lösung
interessiert, die Bankenmacht und deren Erpressungspotenzial wirksam einzuschränken, was dringend notwendig wäre, hätten Sie schon viel eher agiert. Ihre
Regierungszeit als Finanzminister dauert jetzt schon
dreieinhalb Jahre an. Dieses jahrelange Zögern können
Sie nicht damit rechtfertigen, dass Sie auf die Empfehlungen von Experten gewartet haben. Es gab schon vor
dem Liikanen-Bericht Überlegungen der OECD, Diskussionen über die „Volcker Rule“ in den USA, auch der
Vickers-Report ist in diesem Zusammenhang zu nennen.
({4})
Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem heute zu
beratenden Gesetzentwurf bereits um einen Teil Ihres
Bundestagswahlkampfes.
({5})
Große Fortschritte im Kampf um die Begrenzung der
Bankenmacht sind mit Ihrem Gesetz auf jeden Fall nicht
zu erzielen. Dafür fehlt es dem Gesetz an Reichweite
und an Biss.
({6})
Dass zum Beispiel Herr Fitschen von der Deutschen
Bank diesen Gesetzentwurf ablehnt, ist sein Job, dafür
wird er bezahlt.
({7})
Aber das ist noch lange kein Beleg dafür, dass das Gesetz tatsächlich ausreicht und das angestrebte Ziel erreicht.
Ein Grundübel dieses Gesetzes ist es, dass es in seinem zentralen Teil aufgrund falsch gesetzter Schwellenwerte und Größengrenzen im Ergebnis vermutlich nur
wenige große Banken trifft.
({8})
Ich frage mich: Warum sollen eher mittelgroße Banken
mit den Einlagen der Kunden weiterhin hochriskante
Geschäfte machen dürfen? Warum soll das nur den ganz
Großen verboten werden? Dafür gibt es keinen Grund,
Herr Bundesfinanzminister.
({9})
Ein weiterer Punkt, warum Ihr Gesetz nicht ausreicht:
Die Abschirmung des Einlagen- und Kreditgeschäfts
vom Eigenhandel und anderen riskanten Geschäften
wird von Ihnen nicht mit der nötigen Konsequenz durchgeführt. Der Gesetzentwurf enthält zu viele Ausnahmen
und lässt den betroffenen Instituten, so zum Beispiel
auch der Deutschen Bank, immer noch zu viel Spielraum
für spekulative und riskante Geschäfte.
Wenn Ihr Gesetzentwurf in der vorliegenden Form
verabschiedet wird - Sie haben ja angedeutet, dass Sie
für Verbesserungsvorschläge, die im Rahmen der weiteren Beratung eingebracht werden, offen sind -,
({10})
werden wir es nicht schaffen, die Einlagen der Kunden
und Sparer vor Verlusten aus spekulativen und riskanten
Geschäften zu schützen. Es ist aber unser Ziel, diese Einlagen zu schützen.
({11})
Mit Ihrem Gesetz bleibt das Risiko hoch, dass große
Banken in der Krise weiter dem Steuerzahler auf der Tasche liegen können. Auch das wollen wir verhindern.
Das ist unser Ziel.
({12})
Sie bleiben auch hinter der derzeit auf EU-Ebene verhandelten Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von
Kreditinstituten zurück. So fordert die EU-Kommission
zum Beispiel die Absetzung der Geschäftsleitung bei gescheiterten Banken. Sie dagegen, Herr Schäuble, halten
das nicht für notwendig und sehen hierzu zahlreiche
Ausnahmen vor.
Ihr Gesetz mag die betroffenen großen Banken ein
wenig ärgern, aber es wird nicht wirklich etwas ändern.
Ein echtes Trennbankenregime wird so jedenfalls nicht
etabliert.
Während der gesamten, jetzt fast abgelaufenen Legislaturperiode, in der Sie die Verantwortung im Finanzministerium tragen, Herr Schäuble, sind die Banken von
Ihnen unterm Strich doch eher geschont worden. Denken
Sie nur an die kümmerliche Bankenabgabe, die Sie eingeführt haben und die die Banken fast aus der Portokasse
zahlen können.
({13})
Einen Abwicklungsfonds, der den Steuerzahler aus der
Staatshaftung für die Risiken der Banken befreit, können
Sie so auf jeden Fall nicht füllen.
In einem Namensartikel in der Börsen-Zeitung vom
27. Februar 2013 bezeichnen Sie richtigerweise nicht
das heute zu beratende Gesetz als „zentrales Projekt der
Bankenregulierung“, sondern die Umsetzung von Basel III. Bei dieser Umsetzung haben Sie aber jetzt wieder
zeitlich Leine gelassen, damit die Briten die Möglichkeit
haben, die bereits getroffene Vereinbarung über die Begrenzung von Bankerboni aufzuweichen. Das war ein
klarer Fehler. Es ist nicht zu erwarten, dass man hinsichtlich der Zustimmung der City of London auf diesem
Feld wirklich vorankommt. Das ist leider so.
({14})
- Ich kenne die Argumente, die dort ausgetauscht werden. Das habe ich Ihnen nicht vorgeworfen. Ich habe nur
eine Feststellung getroffen.
({15})
Bei genauerem Hinsehen ist und bleibt Ihre Bilanz
hinsichtlich der Banken- und Finanzmarktregulierung
mager. Das sieht man auch an der entsprechenden Aufstellung Ihres Ministeriums „Informationen aus dem
Bundesfinanzministerium - Neuer Ordnungsrahmen für
die Finanzmärkte“. Man kann sehr gut erkennen, dass
das allermeiste die Umsetzung von EU-Rechtssetzung in
deutsches Recht ist. Wenn Sie selbst initiativ geworden
sind, haben Sie wie beim Restrukturierungsgesetz bei
Steinbrück abgeschrieben,
({16})
oder Sie springen wie bei dem heute zu lesenden Gesetzentwurf oder dem Entwurf eines Hochfrequenzhandelsgesetzes viel zu kurz. Sie versuchen lediglich, durch
viele Worte das alles zu einem großen Feldzug gegen
Banken und Finanzmärkte aufzubauschen; aber die Fakten, Herr Schäuble, sprechen eine andere Sprache. Ihre
Regulierungsvorschläge sind oftmals nicht mehr als
heiße Luft.
({17})
Warum kämpfen Sie denn nicht in Brüssel für ein europaweit einheitliches Bankenrestrukturierungs- und -abwicklungsregime, das zeitgleich mit der europäischen
Bankenaufsicht kommt und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag? Warum hat Ihr großes Haus mit den vielen Beamten und Experten noch keinen Aktionsplan gegen das Schattenbankenproblem erarbeitet? Beklagen
Sie nicht die Probleme, sondern fangen Sie an, wirklich
zu arbeiten! Verstecken Sie sich nicht hinter EU-Kommission oder Financial Stability Board! Ihre Politik,
Herr Schäuble, ist keine Erfolgsstory, sondern ein Regulierungsversäumniskatalog.
({18})
Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Björn Sänger
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Poß, die Argumentation, die Sie hier
abgeliefert haben, war vorhersehbar.
({0})
Sie zieht sich wie ein roter Faden - welche Farbe sollte
der Faden bei Ihnen auch sonst haben? ({1})
durch sämtliche Diskussionen. Sie lautet, es habe zu
lange gedauert. Dazu sage ich: Ja, nach der Regulierung
der Ratingagenturen,
({2})
nach dem Verbot der Leerverkäufe, nach der Regulierung des Hochfrequenzhandels, nach der Regulierung
der Fondsbranche, nach der Regulierung des grauen Kapitalmarktes, nach der Regulierung der Vergütungssysteme und Boni in Instituten, nach der Regulierung des
Derivatehandels, nach der Regulierung der Kreditverbriefung - ich könnte noch zig weitere Vorhaben anführen - hat es in der Tat etwas gedauert, bis wir nun heute
dieses wichtige Regulierungsvorhaben auf dem Tisch
haben.
Lieber Herr Kollege Poß, Sie sind nicht so häufig im
Finanzausschuss; aber jedes Mal, wenn wir derartige
Verfahren im Ausschuss diskutieren, sind es Ihre Kollegen, die sagen, dass das alles irgendwie viel zu schnell
gehe, man sich doch etwas mehr Zeit nehmen müsse. Ich
finde, da sollten Sie sich schon entscheiden und auf eine
Argumentationslinie festlegen.
({3})
Es liegt jetzt ein sehr wichtiges Regulierungsvorhaben vor. Das ist nach Umsetzung des Banken-Restrukturierungsgesetzes ein weiterer logischer Schritt in unserem Regulierungssystem. Dabei geht es um die Frage:
Wie schirmt man Risiken ab? Das ist meines Erachtens
eigentlich der entscheidende Regulierungsschritt; denn
es geht darum, Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft
in der Finanzbranche wieder einzuführen. Dazu gehört,
dass man eben auch scheitern kann. Versuch und Irrtum
gehören zur sozialen Marktwirtschaft.
Mit dem Banken-Restrukturierungsgesetz haben wir
ein Insolvenzrecht für Banken geschaffen, das derzeit
leider europaweit noch einmalig ist. Mit dem heute vorliegenden Gesetz gehen wir den nächsten Schritt, indem
wir den Banken vorschreiben, Sanierungspläne zu erarbeiten und klar zu sagen, welcher Bereich überlebensfähig ist und wo die Risiken sind. Das muss den einzelnen
Geschäftsbereichen zugeordnet werden, um im Ernstfall,
wenn ein Unternehmen in der Krise ist bzw. wenn das
Scheitern droht, eine geordnete Abwicklung so zu ermöglichen, dass zum einen der Einsatz öffentlicher Mittel vermieden - für uns ist ganz besonders wichtig, dass
zuerst die Eigentümer und die Gläubiger zahlen, danach
erst der Staat - und zum anderen ein Weiterführen des
unbelasteten Teils ermöglicht wird. Zugleich soll vermieden werden, dass dadurch Ansteckungspotenzial
oder Risiken für den Finanzmarkt entstehen.
Im Übrigen haben wir im Banken-Restrukturierungsgesetz - das hätten Sie gesehen, lieber Kollege Poß,
wenn Sie einmal hineingeschaut hätten - die Absetzung
der Geschäftsleitung durch die BaFin entsprechend geregelt. Die BaFin kann das anordnen, wenn es notwendig
wird. Insofern hilft auch hier ein Blick ins Gesetz bei der
Rechtsfindung.
({4})
Zur Frage, ob die Einlagen gefährdet sind: Wir in
Deutschland haben ein Einlagensicherungssystem. Die
Einlagen der Kleinsparer sind entsprechend abgesichert
und durch das Banken-Restrukturierungsgesetz auch geschützt. Wir haben nämlich die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen, dass die Teile, die sozusagen
„über die Wupper gehen“, ausgelagert werden können.
Darüber hinaus entstehen ab einem gewissen Punkt
- das geben wir ja zu - möglicherweise Risiken, die wir
noch einmal gesondert abschirmen wollen. Das machen
wir mit einem Gesetzentwurf, der sich sehr stark an den
Kabinettsbeschluss anlehnt - zum Teil ist er damit identisch -, den die französische Regierung am 19. Dezember 2012 verabschiedet hat. Ich habe nicht unbedingt den
Eindruck, als ob in Frankreich turbokapitalistische Bankenhörige regieren. Mein Eindruck ist da eher ein anderer. Ich glaube, es handelt sich dabei um Ihre Freunde,
die in dem Fall aber ein sehr gutes Gesetz zur Welt gebracht haben.
Zusammen mit den Franzosen sagen wir nun: Wir
schreiten voran und setzen gewissermaßen die unproblematischen Teile aus dem sogenannten Liikanen-Report
um, um damit Erfahrungen zu sammeln und um dann
auch auf europäischer Ebene handeln zu können. Wir gehen dabei davon aus, dass der Eigenhandel von Banken
ab einer bestimmten Größenordnung möglicherweise Risiken birgt, die wir - zusätzlich zu den Regelungen, die
wir ohnehin hier im Gesetz haben - entsprechend abschirmen und auslagern wollen.
Es ist kein Wunder, dass sich die gesamte deutsche
Kreditwirtschaft - im Übrigen auch die Sparkassen eindeutig für das Universalprinzip aussprechen. Es ist
auch logisch, Bankdienstleistungen aus einer Hand anbieten zu wollen. Überlegen Sie einmal, wie sich die
Märkte global entwickeln werden. Glauben Sie denn
ernsthaft, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung in Europa hier noch mit einem nennenswerten
Wachstum zu rechnen haben?
({5})
Das Wachstum findet auf anderen Märkten statt. Unsere
Mittelständler, die auf Export setzen werden, wenn sie
feststellen, dass sie im Heimatmarkt nicht weiterkommen, brauchen eben einen Dienstleister, der in der Lage
ist, sie nach Asien sowie in die Schwellenländer Lateinamerikas und nach Afrika zu begleiten.
({6})
Dazu muss eine Bank eine gewisse Größenordnung
haben. Dadurch wird eine Bank eben auch komplex;
groß und einfach funktioniert also nicht. Um diese Risiken abschirmen zu können, haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Hohe Risiken werden wir auslagern, indem wir die Vorschläge aus dem Liikanen-Report
aufgreifen.
Ich will noch auf einen anderen Bereich eingehen, der
in diesem Gesetzesvorhaben enthalten ist. Auch das ist
nicht uninteressant. Es geht um die Regelung der
Finanzkonglomerate, also Unternehmen, die in verschiedensten Bereichen der Finanzbranche tätig sind und die
Versicherungen, Fonds und eben auch Bankdienstleistungen anbieten. Momentan sind sie in ihrer Gänze noch
nicht reguliert. Auch hier greifen wir gewissermaßen
eine europäische Regelung auf, die entscheidend von der
Bundesregierung mit geprägt wurde, und setzen sie um.
Des Weiteren - das ist der nächste Schritt, der sich
hier schon am Horizont abzeichnet - kümmern wir uns
darum, dass die Schattenbanken einer Regulierung zugeführt werden. Auf dem G-20-Gipfel in St. Petersburg ist
mit entsprechenden Ergebnissen zu rechnen. Hierbei unterstützen wir die Bundesregierung - sie ist Vorreiter im
Bereich der Regulierung der Finanzmärkte - mit Nachdruck. Sie sollten über Ihren Schatten springen und das
ebenfalls tun.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sahra Wagenknecht
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Alle Finanzmärkte, Produkte und Akteure sollen reguliert oder beaufsichtigt werden.
Das hat die G 20 im Jahr eins der großen Finanzkrise im
Herbst 2008 angekündigt. Fast fünf Jahre ist das her. Ich
muss schon sagen: Angesichts der Ausmaße und der
Dramatik der Katastrophe und angesichts der Billionenkosten, die auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
abgewälzt wurden, finde ich die seither an den Tag
gelegte politische Untätigkeit der Verantwortlichen
schlicht und ergreifend skandalös.
({0})
Fünf Jahre - und nichts hat sich daran geändert, dass
im Finanzsektor obskure Papiere kreiert und aberwitzige
Geschäftsmodelle verfolgt werden, während die Kreditvergabe an reale Unternehmen immer dürftiger wird.
Nichts hat sich daran geändert, dass mit diesen obskuren
Papieren Monat für Monat mehr Geld verdient wird, als
beispielsweise ein Arzt, der jede Woche Menschenleben
rettet, oder ein Ingenieur, der Hightechmaschinen konstruiert, im ganzen Leben verdienen kann. Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe werden an dieser skandalösen
Situation nicht das Geringste verändern.
Derivate, also das, was Warren Buffett finanzielle Massenvernichtungswaffen nannte, sind heute im Nominalwert von 640 Billionen Dollar auf dem Markt. Das ist
etwa zehnmal mehr als das, was die gesamte Weltwirtschaft an Gütern und Leistungen produziert. 53 Billionen
Euro sind inzwischen im Schattenbankensystem angelegt,
also in dem unregulierten Dickicht von Hedgefonds, von
Private-Equity-Haien und sonstigen Finanzspekulanten,
die gar keiner Aufsicht unterliegen.
Auch für die Banker hat sich doch im Ernst nicht
wirklich etwas verändert. Das Regulierungspaket Basel III wurde von der Lobby kleingeschossen, und es ist
völlig offen, ob es überhaupt jemals in Kraft treten wird.
Die strengeren Liquiditätsvorgaben wurden aufgeweicht.
Die höheren Eigenkapitalanforderungen sind ein Witz,
solange die Banken einfach nur ihre Modelle, wie sie die
Risiken berechnen, ändern müssen. Schwupp ist dadurch
die Eigenkapitalquote höher, ohne dass ein einziger
müder Euro zusätzliches Eigenkapital aufgenommen
wurde.
({1})
- Sie haben offenbar keine Ahnung.
({2})
Die Deutsche Bank hat im letzten Jahr ihre risikogewichteten Aktiva um 12 Prozent reduziert. Wie hat sie
das gemacht? Etwa dadurch, dass sie weniger Derivate
aufgelegt oder weniger in Lebensmitteln spekuliert hat?
Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Hier dreht
sie wieder ein ganz großes Rad. Sie hat das gemacht, indem sie, wie sie es selber nett formuliert, Model Improvements nutzt. Ich kann Ihnen erklären, was das ist.
Das funktioniert in etwa so wie mit dem Armuts- und
Reichtumsbericht. Wer glaubt, dass Armut dadurch verschwindet, dass man sie im Regierungsbericht nicht
mehr erwähnt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Risiko dadurch verschwindet, dass man einfach die Berechnungsmethode verändert. Ich halte diese Logik für
völlig absurd.
({3})
Das eigentliche Problem ist doch: Eine Bank, die
weiß, dass die Regierung sie niemals fallen lassen kann,
hat es doch gar nicht nötig, Eigenkapital zu bilden. Die
kann es sich, wie die Deutsche Bank, leisten, mitten in
der Euro-Krise Boni in Höhe von 3,2 Milliarden Euro an
ihre Investmentbanker auszuschütten. Insgesamt haben
die Banker im letzten Jahr übrigens 300 Milliarden Euro
an Boni verteilt, die ganzen Dividenden, die ausgeschüttet wurden, nicht mitgerechnet. Angesichts solcher Zustände behaupten Sie, wir seien auf einem guten Weg.
Vielleicht hätten Sie von der Bundesregierung, statt
sich im Laufe dieser Legislaturperiode etwa hundertmal
mit Investmentbankern zu treffen, sich lieber einmal mit
den Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen
austauschen sollen,
({4})
die Ihnen vielleicht plastisch geschildert hätten, wie oft
sie schon mit dem Anliegen, einen langfristigen Investitionskredit zu bekommen, bei ihrer Bank abgeblitzt sind
und was das am Ende für die Arbeitsplätze und für die
Innovationsfähigkeit der Wirtschaft bedeutet. Oder Sie
hätten sich vielleicht mit Familien treffen können, die in
der Dispofalle festhängen und von den Banken jeden
Monat mit Überziehungszinsen von 12 oder 14 Prozent
abgezockt werden - von denselben Bankern, die dieses
Geld praktisch gratis von der Europäischen Zentralbank
bekommen.
Die Wahrheit ist leider: Kein Finanzmarkt, kein Produkt und kein Akteur ist heute wesentlich wirksamer reguliert und beaufsichtigt als im Jahre 2008. Das ist ein
Armutszeugnis für die Politik und ein erschreckender
Ausweis ihrer Abhängigkeit und Steuerbarkeit durch die
Lobby der Banker und Finanzjongleure.
({5})
Herr Schäuble, Sie haben selbst öffentlich gewarnt,
dass die Demokratie eine nochmalige Finanzmarktkrise
in diesem Ausmaß nicht überleben würde. Ich frage Sie:
Wie können Sie es dann verantworten, alles weiterlaufen
zu lassen? Der Finanzmarkt ist heute doch genauso wie
vor fünf Jahren ein Markt ohne Haftung und Verantwortung, ein Markt, auf dem die normalen Gesetze, denen
sich alle anderen unterwerfen müssen, schlicht und ergreifend nicht gelten. Die Banken, die jahrelang den Libor manipuliert und sich damit Milliardengewinne ergaunert haben, sollen nach dem Wunsch der EUKommission jetzt straffrei ausgehen, genauso wie auch
die ganz großen Finanzmüllproduzenten für das, was sie
angerichtet haben, nie zur Verantwortung gezogen wurden.
Für die Situation, in der wir sind, tragen Sie alle eine
Mitverantwortung. Hätte beispielsweise Rot-Grün damals die Hedgefonds in Deutschland nicht zugelassen,
({6})
dann müssten wir uns gar nicht erst den Kopf darüber
zerbrechen, wie diese verrückten Finanzvehikel wieder
reguliert werden können.
({7})
- Das tut Ihnen weh, aber es ist leider die Wahrheit.
({8})
Hätte die Große Koalition die Idiotie der Kreditverbriefungen nicht ausdrücklich gefördert, dann wäre vermutlich weniger von diesem Müll in den Bilanzen der
Landesbanken hängen geblieben. Hätte ein Herr
Steinbrück nicht das Gesetz zur Bankenrettung ausgerechnet von den Lobbykanzleien der Banker selber
schreiben lassen, dann hätten sich die Probleme natürlich auch weniger generös für die Finanzinstitute und
weniger ruinös für den Steuerzahler lösen lassen.
({9})
Oder will heute noch jemand behaupten, dass es alternativlos war, der Commerzbank mindestens 2 Milliarden
Euro zu schenken? 2 Milliarden Euro, davon könnten
Sie den Heizkostenzuschuss für arme Familien zehn
Jahre weiter zahlen.
({10})
Oder wollen Sie behaupten, dass es alternativlos war,
200 Milliarden Euro in der Hypo Real Estate zu versenken,
({11})
nur damit der charmante Herr Ackermann seine Forderungen an die Hypo Real Estate nicht abschreiben muss?
Dass Lobbykanzleien wie Freshfields für ihre erfolgreiche Interessenvertretung für die Banker dann auch noch
100 Millionen Euro vom Staat bekommen haben, setzt
dem Ganzen allerdings die Krone auf.
Insoweit muss ich schon sagen: Wenn man sich ansieht, wie erfolgreich die Finanzmafia in Deutschland
den Steuerzahler über den Tisch gezogen hat und wie engagiert Herr Steinbrück als damaliger Finanzminister dabei behilflich war, dann sind die später geflossenen Honorare natürlich durchaus nachvollziehbar. Es ist nur
schade, dass Korruption nach dem Motto „Gezahlt wird
später“ in Deutschland nicht strafbar ist.
({12})
Ich muss sagen: Natürlich finde ich es sympathisch,
dass die SPD die Banken jetzt regulieren will; denn das
sagen und fordern wir ja schon lange. Aber ich muss Sie
fragen: Wenn Sie ernsthaft den Banken ans Leder wollen, wie konnten Sie dann ausgerechnet den Bankenmann Peer Steinbrück zu Ihrem Kanzlerkandidaten machen? Das nimmt Ihnen doch der Dümmste nicht ab,
({13})
zumal die große Koalition der Bankenretter leider bis
heute reibungslos weiterläuft.
({14})
Auch die Euro-Rettung war von Beginn an nichts anderes als eine einzige große Bankenrettung: Etwa
50 Milliarden Euro sind aus dem Rettungsschirm direkt
an die griechischen Banken geflossen, 5 Milliarden Euro
davon - das hat die Bundesregierung selber bestätigt an die Eurobank des griechischen Milliardärs Latsis, der
in einer Villa am Genfer See sein Leben genießt. Wollen
Sie wirklich behaupten, dass der Euro kaputtgegangen
wäre, wenn der griechische Milliardär Latsis einen Teil
seines Vermögens verloren hätte?
Sie reden von einem Bail-in der Gläubiger und von
Haftung; aber Sie tun alles, dass diese Haftung und dieser Bail-in nicht kommen. Wo war der Aufschrei der
Bundesregierung, als die Europäische Zentralbank Irland unter Druck gesetzt hat, seine Banken und deren
Gläubiger komplett freizukaufen, obwohl das kleine
Land sich dadurch eine Verschuldung aufgehalst hat, für
die noch Generationen bluten werden? Wo ist der Aufschrei der Bundesregierung angesichts des aktuellen
Richtlinienentwurfs der EU-Kommission, nach dem eine
Gläubigerhaftung bis 2018 ausgeschlossen werden soll?
Und hören Sie doch auf, uns zu erzählen, diese elende
Bankenretterei auf unser aller Kosten wäre im Interesse
des Kleinsparers! Das ist nun wirklich eine der dümmsten Lügen.
({15})
Selbstverständlich könnten wir es in Europa machen,
wie es die Isländer vorgemacht haben: Einlagen bis zu
einer gewissen Höhe werden geschützt - sagen wir bis
500 000 Euro; damit es wirklich niemanden trifft, der für
sein Geld hart gearbeitet hat -, alles andere allerdings
- zunächst die Aktien, dann die Bankschuldverschreibungen und schließlich die Einlagen, die über diese
Grenze hinausgehen - geht, wenn eine Bank pleite ist, in
die Insolvenzmasse ein. Wo ist denn da das Problem?
Jeder Handwerksbetrieb, der für ein Unternehmen gearbeitet hat, das pleitegeht, muss seine Forderungen abschreiben; da springt auch nicht der Staat bzw. der Steuerzahler rettend ein. Für so eine Regelung bräuchte man
keine dicken Gesetze und keine endlosen EU-Richtlinien. Man hätte es in Irland und Griechenland so machen
können, und man könnte es jetzt in Spanien und Zypern
so machen - und natürlich auch hier in Deutschland.
({16})
Wäre dieser Weg in Europa beschritten worden, dann
wären die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler heute um
4,5 Billionen Euro reicher. Im Gegenzug gäbe es vermutlich einige Milliardäre weniger, und das Vermögen
der europäischen Oberschicht wäre vielleicht auf das Niveau der 90er-Jahre zurückgestutzt. Dann könnten wir in
Deutschland mehr Lehrer und mehr Krankenschwestern
beschäftigen, und in Griechenland und Spanien wären
wahrscheinlich nicht 60 Prozent aller jungen Menschen
ohne Arbeit und ohne Perspektive. Wäre das eine so
schlechte Alternative?
Ich glaube, der Nobelpreisträger Stiglitz hat völlig
recht: Das Problem ist die Verbindung von Wirtschaft
und Politik. - Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten, statt sich von ihr einkaufen zu lassen.
({17})
Wir brauchen in Deutschland keine große Koalition der
Bankenretter. Was wir brauchen, ist eine Politik, die endlich den Mut aufbringt, den Zockern das Handwerk zu
legen. Dafür werden wir als Linke weiterhin streiten.
({18})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dem Standardvortrag von Sahra Wagenknecht
wäre es einmal sinnvoll, über die Anträge und Gesetzentwürfe, die vorliegen, zu sprechen.
({0})
Man kann den Eindruck gewinnen, dass in diesem
Haus eigentlich eine ganz große Einigkeit herrscht; denn
die Begrifflichkeiten haben sich irgendwie angenähert:
Auf beiden Seiten des Hauses ist von einem Trennbankensystem die Rede, auf beiden Seiten des Hauses ist
von Sanierungsplänen für Banken die Rede, und es ist
allgemein von einer Bankenunion die Rede. Die Unterschiede sind trotzdem sehr relevant, was ich im Folgenden deutlich machen will; denn es kommt darauf an, was
hinter den gerade in Wahlkampfzeiten üblichen Überschriften steckt. Schauen wir uns die Punkte also im Einzelnen an:
Erster Punkt: Trennbankensystem. Unsere Fraktion
hat im Oktober 2011 einen Antrag vorgelegt und darin
vorgeschlagen, dass man sich in Deutschland einmal damit beschäftigt, wie wir mit dem Problem der systemrelevanten Großbanken umgehen können, ohne dass es
Schäden für unsere Volkswirtschaft gibt. Wir haben vorgeschlagen, dass man bis September 2012 zusammen
mit Fachleuten eine Analyse dazu durchführt, um auf
dieser Grundlage ein gutes Gesetz für Deutschland machen zu können.
Sie haben das damals abgelehnt. In kurzer Frist legen
Sie jetzt schnell einen Gesetzentwurf vor, für den Sie
sich noch nicht einmal die Struktur in Deutschland angeschaut haben; sie ist dort nicht eingegangen. Sie haben
einen Gesetzentwurf vorgelegt, ohne sich vorher die Berechnungen anzuschauen. Sie haben jetzt über die BaFin
Berechnungen in Auftrag gegeben und werden diesen
Gesetzentwurf noch ziemlich deutlich ändern müssen,
weil Sie im Wahlkampf erst einmal schnell etwas vorlegen wollten, ohne sich die Fakten vorher richtig anzuschauen. Meine Prognose ist, dass wir darauf noch einmal zurückkommen werden.
Das Entscheidende ist aber: Es gibt inzwischen längst
einen Politikprozess auf europäischer Ebene. Es gibt den
Liikanen-Vorschlag. Eine Expertenkommission auf
europäischer Ebene hat genau das gemacht, was wir
Grüne für Deutschland vorgeschlagen hatten, und hat
entsprechende Vorschläge vorgelegt. Was passiert jetzt?
Die Opposition, SPD und Grüne, fordern, diese Vorschläge aufzugreifen und gesetzgeberisch umzusetzen;
denn Leute haben sich das fachkundig angeguckt und einen guten Vorschlag gemacht.
({1})
Aber was macht die Bundesregierung? Sie legt jetzt
einen Gesetzentwurf vor, der inhaltlich hinter diesen
Vorschlägen bleibt, und tut so, als sei sie der Motor für
eine bessere Regulierung in Europa. Das ist doch absurd!
({2})
Sie bremsen einen bestehenden Politikprozess in Europa
und wollen sich als Motor verkaufen. Das ist nicht nur
Wahlkampf, das ist richtig schlechter Wahlkampf, weil
Sie die Dinge völlig verdrehen.
({3})
In der Stellungnahme für den Finanzausschuss sagt
Professor Krahnen, Mitglied der Kommission, die die
europäischen Vorschläge vorgelegt hat - ich zitiere -:
Nach unserem Ermessen läuft der Gesetzesentwurf
in seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch Gefahr,
zwar symbolträchtig zu sein, aber in der Zielerreichung hinsichtlich Stabilität des Finanzmarktes und
Schutz von Einlegern und Steuerzahlern hinter den
Erwartungen zurückzubleiben.
Das zeigt genau: Es gibt konkrete Vorschläge für Trennbanken, die wir als Opposition unterstützen, und es gibt
hier einen Wahlkampfgesetzentwurf, der in seiner Substanz den Schutz von Steuerzahlern nicht erreicht.
({4})
Zweiter Punkt: Sanierungspläne/Abwicklungspläne.
Wir fordern das seit langem, und das ist auch richtig.
Entscheidend ist aber doch: Findet das wirklich so statt,
dass Banken im Ernstfall abgewickelt werden können?
Wer ist dafür eigentlich verantwortlich? Die Koalition
sagt: Die Banken sollen einmal etwas aufschreiben, aber
letztlich bleibt die Bankenaufsicht verantwortlich. - Ja,
Moment! Wir lassen doch die Banken nicht aus der Verantwortung, für ihre eigenen Probleme geradezustehen.
Deswegen steht in unserem Antrag, dass die Verantwortung für die Sanierungspläne und dafür, dass eine Bank
ohne Steuerzahlergeld abgewickelt werden kann, bei den
Banken liegen soll. Und das ist auch richtig so.
({5})
Dritter Punkt: Bankenunion. In Ihrem Antrag schreiben Sie jetzt auch etwas von Restrukturierungsfonds,
aber Sie wollen nationale Restrukturierungsfonds.
({6})
- Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag! Da steht doch
etwas von nationalen Restrukturierungsfonds.
({7})
Es kommt zu dem Dilemma, dass eine europäische
Aufsicht, die gerade auf den Weg gebracht wird, vor der
Entscheidung steht, was gemacht werden soll, wenn ein
großes, grenzüberschreitendes Institut in Schieflage gerät. Sollen sich Mitgliedstaaten, die nationale Restrukturierungsfonds haben, darüber streiten, was gemacht
wird, was über Monate zu Problemen führt und dazu,
dass im Ernstfall wieder der Steuerzahler einspringen
muss? Nein! Wir sagen, es soll einen von den Banken
finanzierten europäischen Abwicklungsfonds geben, damit der Steuerzahler in der Euro-Zone nie wieder in die
Verlegenheit kommt, mit seinem Geld in Anspruch genommen werden zu müssen. Das ist der entscheidende
Unterschied: Sie lassen es nach wie vor zu, dass der
Steuerzahler das Risiko hat, wir wollen den Steuerzahler
schonen und die Banken mit ihrem Fonds zahlen lassen.
({8})
Wir diskutieren gerade über das Thema Zypern. Hier
muss man eine Sache einmal sehr ernst nehmen: Wo wären wir denn heute, wenn wir den Vorschlag von Kommission und Parlament, der schon seit über zwei Jahren
auf dem Tisch liegt, bereits umgesetzt hätten? Dann
müsste man jetzt nicht langwierige Verhandlungen
durchführen, in deren Verlauf das Geld aus dem zypriotischen Bankensektor abfließt, sondern dann könnte eine
europäische Bankenabwicklungsinstitution, der von uns
vorgeschlagene europäische Bankenabwicklungsfonds,
die betroffenen Banken zügig sanieren und die Gläubiger zur Kasse bitten. Wir würden damit den Steuerzahler, auch den deutschen Steuerzahler, mit einem Hilfspaket für Zypern nicht so belasten müssen, wie das jetzt
der Fall ist.
Man sieht, wie gefährlich es ist, bei den Fragen bezüglich der Bankenregulierung so zögerlich unterwegs
zu sein und immer wieder auszubremsen, wie es diese
Koalition tut. Wir werden im Gesetzgebungsprozess darauf drängen, dass die Verantwortung hier klar wird. Es
soll, wie auf europäischer Ebene vorgeschlagen, ein
richtiges Trennbankensystem und Sanierungspläne, bei
denen die Verantwortung bei den Banken verbleibt, geben. Darüber hinaus wollen wir den Steuerzahler mit einem europäischen Bankenabwicklungsfonds, in den die
Banken einzahlen, schonen.
Danke schön.
({9})
Klaus-Peter Flosbach ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Herr Poß seine Rede hier gehalten hat, habe ich gedacht:
Warum sagt er eigentlich nichts zu dem Antrag? Warum
poltert er ausschließlich herum?
Ich habe dann auch an den Montag gedacht, als Sie
ein Papier mit dem Titel „Deutschland besser und gerechter regieren“ vorgelegt haben.
({0})
Darin stehen auf 4 von insgesamt 102 Seiten ein paar
Bemerkungen zu den Finanzmärkten. Dieses Papier enthält ein paar Allgemeinplätze, aber keine konkreten Forderungen. Das zeigt doch im Grunde nur, dass Sie sauer
sind. In jeder Debatte zeigt sich, dass Sie sich darüber ärgern, dass wir in dieser Koalition so viel geregelt haben.
Wo bleibt Ihr Anspruch, es noch besser zu machen, als
wir es gemacht haben?
({1})
Ich weiß, dass die SPD es besser machen will. Aber Sie
beweisen hier jedes Mal aufs Neue, dass Sie es wohl
doch nicht besser können.
({2})
Keine Bundesregierung zuvor hat so viel im Finanzmarkt geregelt wie diese Bundesregierung, und zwar
nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene. Wir sind der Antreiber auf der G-20Ebene, und in vielen Bereichen innerhalb Europas sind
wir der Vorreiter und Initiator für neue Gesetze.
({3})
Daher haben wir hier eine stabile Wirtschaft. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchste Erwerbsquote. Gerade im Finanzmarkt sind wir deutlich
stabiler aufgestellt als viele andere Länder. Wenn man
mit den Amerikanern oder Engländern spricht, dann bestätigen uns diese, dass wir ein klar umrissenes System
haben. Wir haben auf vielen Ebenen reguliert, aber wir
haben die Wirtschaft nicht kaputtgemacht.
Wir haben auch die Finanzwirtschaft nicht kaputtgemacht. Denn wir haben ein bankenbasiertes Wirtschaftssystem. Die Unternehmen brauchen Kredite. Sie brauchen Banken, die sie bei ihrem internationalen Geschäft
begleiten. Schließlich gehen 40 Prozent unserer wirtschaftlichen Leistung ins Ausland. Dafür brauchen wir
ein funktionierendes Bankensystem, aber keine roten
Ampeln, wie sie von Ihrer Seite gefordert werden.
({4})
Wir sprechen heute, liebe Kolleginnen und Kollegen,
über ein Gesetz zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Banken. Wir betrachten dieses Gesetz nicht
isoliert. Vielmehr ist es einer der wichtigen Bausteine im
Ordnungsrahmen für die gesamte Finanzwirtschaft. Wir
werden voraussichtlich in der nächsten Woche den Einigungsprozess auf der europäischen Ebene über Basel III
erleben. Basel III regelt die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken; das ist einer der wichtigsten Bereiche, von denen viele nach dem Ausbruch der
Krise bereits angegangen worden sind.
Wir haben in Europa gemeinsam den außerbörslichen
Derivatehandel geregelt. Wir haben uns mit den Ratingagenturen befasst. Wir haben gerade in dieser Woche
eine Anhörung zur Regulierung von Hedgefonds, Private-Equity-Unternehmen, Investmentfonds und von offenen Immobilienfonds und geschlossenen Fonds durchgeführt.
Wir haben auf nationaler Ebene in mehreren Gesetzen
den Anlegerschutz gestärkt, und wir haben ein europäisches Aufsichtssystem geschaffen. Wir werden bei der
Europäischen Zentralbank die Europäische Bankenaufsicht ansiedeln, um systemrelevante Banken kontrollieren zu lassen. Zusätzlich gibt es eine Aufsicht über Versicherungen und Wertpapiere.
Wir sind - das hat auch der Bundesfinanzminister
vorhin deutlich gemacht - in vielen Bereichen Vorreiter.
Wir waren die Ersten, die die Leerverkäufe verboten haben, und waren damit Initiator für Europa. Wir haben
hier vor 14 Tagen den Hochgeschwindigkeitshandel behandelt und Regulierungen in diesem Bereich auf den
Weg gebracht. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.
Nur in Deutschland gibt es eine Regulierung des Hochgeschwindigkeitshandels.
Wir haben das Restrukturierungsgesetz geschaffen.
Das heißt: Wir in Deutschland sind in der Lage - dafür
gibt es die rechtlichen Voraussetzungen -, Banken abzuwickeln. Auch dies ist wieder die Blaupause für Überlegungen auf europäischer Ebene. Meckern Sie also nicht
herum, sondern machen Sie lieber mit, und unterstützen
Sie die Bundesregierung in diesen Fragen!
({5})
Das Restrukturierungsgesetz behandelt die rechtlichen Grundlagen einer Abwicklung und Sanierung. Wir
wollen aber nicht zwingend abwickeln und sanieren,
sondern wir wollen Vorsorge treffen, präventiv arbeiten.
Dafür ist dieses Gesetz da. Wir wollen, dass die Banken
von vornherein darlegen müssen: Was passiert, wenn sie
in eine Schieflage geraten? Wie können sie sich selbst
sanieren? Wie können sie abgewickelt werden?
Gemeinsam mit der Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht müssen die Banken darlegen, wie sie im Krisenfall abgewickelt werden
können. Das ist die beste Prävention; denn dann wird für
jeden klar: Hier gibt es ein systemisches Risiko. Es geht
immer um die systemischen Risiken. Wir wollen nämlich nicht, dass der Steuerzahler für die Risiken, die Banken eingehen, haften muss. Wir wollen, dass die Banken
haften, dass sie gegebenenfalls auch pleitegehen und
dass der Steuerzahler nicht für die Kosten herangezogen
wird. Das ist die Linie dieser Bundesregierung. Dazu
müssen die Banken jetzt ein sogenanntes Bankentestament vorlegen.
({6})
Es gibt noch einen zweiten Bereich, der wichtig ist
und über den wir heute diskutieren. Es geht um die
Frage, die auch die Liikanen-Kommission - der ehemalige finnische Finanzminister Liikanen hat diese Kommission geleitet - gestellt hat: Ist es nicht sinnvoller, präventiv einen Teil des Bankengeschäftes auszulagern oder
abzutrennen? Die Antwort findet sich im Liikanen-Bericht. Es ist doch richtig, dass wir, wenn sich Europa auf
der Grundlage dieses Berichtes auf eine Position einigt,
diese Position übernehmen und nicht zusätzlich noch
eine eigene aufbauen.
({7})
Was wir im Vorgriff auf europäisches Handeln gemacht
haben, haben wir immer mit dem Ziel gemacht, dass wir
in Europa eine gemeinsame Lösung finden. Genau diese
haben wir übernommen.
({8})
In dem Liikanen-Bericht wird deutlich, dass die
Krise, die ihren Ursprung in den Jahren 2007 bis 2009
hat und die noch heute partiell vorhanden ist, nicht durch
das Universalbankensystem entstanden ist. Im dritten
Abschnitt des Berichtes wird darauf hingewiesen, dass
die Krise völlig unterschiedliche Ursachen hatte. Bei der
WestLB - sie ist der SPD bestens bekannt; man kann
nachlesen, was dort alles passiert ist - waren es beispielsweise die strukturierten Papiere. Bei der Hypo
Real Estate war es das Finanzierungsmodell. Es waren
teilweise eben nicht Universalbanken, sondern Investmentbanken, die die Krise ausgelöst haben. Deswegen
haben wir gesagt: Wir übernehmen im Vorgriff auf
Europa den Vorschlag, einen gewissen Bereich von den
Banken zu trennen, um damit auch das Risiko zu beseitigen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer
Baustein im globalen Ordnungsrahmen für die Finanzsysteme. Wir müssen darauf achten, die Steuerzahler
nicht zu belasten, und darauf, dass vor allen Dingen die
großen systemrelevanten Banken kontrolliert werden.
Nicht die kleinen Banken, nicht die Sparkassen, nicht die
Volksbanken vor Ort sind das Problem. Das Problem
sind die großen systemrelevanten Banken. Dieses Problem wird mit diesem Gesetz angegangen.
Wir sorgen dafür, dass die Aufsicht für die großen
Banken bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt
ist. Wir fordern eine hohe Eigenkapitalquote. Diese Forderung muss von den großen Banken erfüllt werden. Wir
haben jetzt das Restrukturierungsgesetz, und wir sehen
die Trennung der Geschäftsbanken von gewissen Bereichen vor.
Wir wissen zwar nicht, was in Zukunft passieren
wird. Wir wissen nicht - das kann uns auch die Finanzaufsicht nicht sagen -, ob es einmal eine neue Krise auf
anderen Feldern geben wird. Aber unser Ziel ist es, Stabilität sowie Sicherheit für jeden Rentner und für jeden
Steuerzahler zu schaffen. Das ist die Linie dieser Bundesregierung.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Was ist ein Placebo? Ein Placebo ist ein
Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Es scheint nur so, als
ob es wirken würde. Lieber Herr Flosbach, man kann
auch Placeboreden halten. Das haben Sie eben gemacht,
({0})
indem Sie so getan haben, als ob Sie das, was auf europäischer Ebene diskutiert wurde, übernommen hätten.
Das war also eine Placeborede.
Ich werde zunächst einmal den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung etwas näher beleuchten
und die Frage ventilieren, ob es sich hierbei nicht um ein
politisches Placebo handelt, also um einen Gesetzentwurf, der nur den Anschein erweckt, dass er regulieren
würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr als fünf Jahre
nach der Lehman-Pleite ist die Gefahr einer Wiederholung der Krise noch nicht gebannt. Nach wie vor gibt es
Banken, die „too big to fail“ sind. Nach wie vor machen
Banken hochriskante Geschäfte. Nach wie vor ist die Eigenkapitalbasis der Banken in Europa zu gering. Nach
wie vor gibt es unvorstellbar hohe Bonizahlungen. Nach
wie vor müsste der Steuerzahler Banken retten. Nach
wie vor können systemrelevante Banken Staaten erpressen. Nach wie vor haben wir einen völlig unregulierten
Schattenbankensektor, dessen Risiken niemand kennt.
Das ist die Realität. Deshalb wirken der Antrag von
CDU/CSU und FDP zur Finanzstabilität und das, was
Sie eben gesagt haben, wie Realitätsverweigerung. Offensichtlich gilt das Motto: Wenn uns schon keiner lobt,
dann müssen wir es selber tun.
Ich will noch einen Punkt zu Ihrem Antrag erwähnen.
Sie formulieren darin: Wir wollen eine europäische Aufsicht - das wollen wir auch -, und dann wollen wir eine
nationale Abwicklung. Ich sage Ihnen: Das wird nicht
funktionieren. Das ist eindeutig falsch. Wenn ich eine
europäische Aufsicht habe, dann brauche ich auch ein
europäisches Abwicklungsregime. Alles andere macht
keinen Sinn. Sie sollten Ihre Position in dieser Frage
wirklich noch einmal überdenken.
({1})
Jetzt zu den Trennbanken. Ich erinnere mich noch gut,
wie wir kritisiert worden sind, als wir diese Forderung
aufgestellt haben, zum Beispiel durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn
Meister, der der Zeitung Euro am Sonntag sagte, die
Pleite der Investmentbank Lehman Brothers habe klar
gezeigt, dass eine Aufspaltung nicht zur Problemlösung
beiträgt.
({2})
Wir wollen niemanden daran hindern, klüger zu werden;
aber die große Frage ist: Sind Sie eigentlich klug genug
geworden?
({3})
- Ja, das werden wir jetzt erörtern.
Richtig ist, die Banken zu verpflichten, Sanierungspläne - Stichwort: Living Wills - für den Krisenfall aufzustellen.
({4})
Selbst wenn wir davon ausgehen müssen, dass jede
Krise anders sein wird - auch anders, als man vorher gedacht hat -, sind solche Notfallpläne sinnvoll.
Was machen Sie beim Stichwort Trennbankensystem?
Ziel eines Trennbankensystems muss es sein, in Zukunft
zu verhindern, dass hochspekulative Geschäfte mit den
Einlagen der Sparerinnen und Sparer finanziert werden
können. Der Infektionskanal zwischen Kasino auf der einen Seite und Kreditbank auf der anderen Seite muss
verschlossen werden. Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit muss der Kasinoteil geschlossen und abgewickelt
werden können.
({5})
Sie wollen nun in Ihrem Gesetzentwurf die BaFin
über die Abwicklungsfähigkeit entscheiden lassen. Sie
soll den Nachweis erbringen. Dies ist falsch. Der Nachweis der Abwicklungsfähigkeit muss eine Bringschuld
der Banken sein. Jede Bank muss gegenüber der Aufsicht den Nachweis erbringen können, dass sie auch abgewickelt werden kann. Diesen Punkt sollten Sie dringend ändern.
({6})
Dann wollen Sie systemrelevante Geldhäuser verpflichten, den spekulativen Handel in rechtlich selbstständige Einheiten auszulagern. Aber Sie legen die
Hürde für diese Trennung sehr hoch. Das Ergebnis wird
sein, dass höchstens zwei bis drei Banken unter dieses
Gesetz fallen werden. Die Landesbanken haben jetzt
schon begonnen, sich mit Bilanztricks aus dieser gefährlichen Zone zu befreien. Das heißt, es wirkt nicht. Dies
wird ein Trennbankensystem ultralight.
Der nächste Punkt ist die Frage, welche Geschäfte
von der Trennbankenvorschrift eigentlich erfasst sind.
Sie wollen Eigenhandel in Zukunft nicht mehr erlauben,
aber ein Blick in den Gesetzentwurf zeigt: Die Liste der
erlaubten Geschäfte ist nach wie vor lang, ellenlang, zu
lang. Es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für die
Kreditinstitute, auch in Zukunft toxische Handelsgeschäfte ohne Trennung durchführen zu können. Das
heißt, es fehlt der Wirkstoff.
Ich will noch einmal das Market Making erwähnen,
das schon angesprochen worden ist. Es ist klar, dass eine
Trennung zwischen Eigenhandel und Verkauf auf Rechnung des Kunden hier kaum vorzunehmen ist. Aber Sie
erlauben dieses Market Making. Damit unterminieren
Sie den Trennbankenansatz. Dies ist nicht in Ordnung.
Sie gewinnen damit nichts. Um im Bild zu bleiben: Dies
ist weiße Salbe ohne Wirkung. Die Liikanen-Kommission hat festgestellt, dass eine Trennung in der Praxis
kaum möglich ist. Das heißt, es bleibt ein Gesetzesplacebo. Sie tun wieder einmal so, als ob Sie handeln würden, als ob Sie Vorreiter wären.
({7})
Wir sind nicht die Einzigen, die das kritisieren. Ich
darf stellvertretend für die Medien die Süddeutsche Zeitung zitieren. Unter der Überschrift „Zerschlagung light“
heißt es:
Jetzt präsentiert auch die Bundesregierung einen
Gesetzentwurf, der nach Aufspaltung der Banken
zumindest klingt.
Ja, es klingt so; es ist aber nicht so.
Schauen Sie sich doch einfach einmal den gemeinsamen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD an.
Dort steht, wie man das richtig macht, wie man ein
Trennbankensystem vernünftig aufbaut.
({8})
Unter anderem fordern wir dort ein Eigenhandelsverbot
auch für Market-Making-Aktivitäten. Wir brauchen vernünftige Schwellenwerte für die Aufteilung. Wir müssen
verhindern, dass es eine Finanzierung der Finanzhandelsinstitute durch Einlagenbanken gibt, indem wir
Kreditobergrenzen festlegen. Wir müssen zukünftig Verstöße gegen das Verbot des Eigenhandels mit strafrechtlichen Konsequenzen versehen.
({9})
Nur so wird aus einem Placebo ein richtiges Medikament, und für Risiken und Nebenwirkungen sind dann
nicht mehr die Steuerzahler verantwortlich, sondern die
Bankmanager. Das ist der richtige Weg.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Wissing für
die FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem Gesetz, dessen Entwurf Ihnen
heute vorliegt, gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung Stabilisierung der Finanzmärkte. Es rundet unsere
Regulierungspolitik quasi ab, die wir in den letzten Jahren vorangetrieben haben.
Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt,
dass es um eine Abwägung geht: Geht man im nationalen Alleingang voran, oder bringt man das Ganze
international im Gleichklang auf den Weg? Der internationale Weg hat den Vorteil, dass er zur Wettbewerbsgleichheit im Bankensektor führt. Das ist zu bevorzugen.
({0})
Man kann aber nicht immer warten. Es darf nicht sein
- das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik -,
dass am Ende der Langsamste zum Maßstab wird. Es
gibt in der Tat viele, die eine Regulierung verhindern
wollen und sagen: Wir warten so lange, bis es international abgestimmt ist. Vorher machen wir gar nichts. - Diesen Weg lehnen wir ausdrücklich ab.
({1})
Herr Minister Schäuble, Sie haben ebenfalls zu Recht
darauf hingewiesen, dass sich - das wollen die Sozialdemokraten nicht wahrhaben -, das universale Bankensystem in Deutschland bewährt hat. Das ist die Wahrheit.
Die Krise ging nicht von einer Universalbank aus. Sie
kam vielmehr aus den USA und ging von einer Investmentbank aus. In Deutschland waren die problematischen Banken, die zur Schieflage geführt haben, auch
Trennbanken wie die Landesbanken und nicht Universalbanken.
({2})
Deswegen kann die Lösung nicht darin bestehen, dass
wir die Banken, die die Krise nicht verursacht haben, abschaffen, während wir die Banken, von denen die Krise
ausgegangen ist, flächendeckend in Europa einführen.
Was ist das denn für ein Unsinn, den sich Sozialdemokraten da haben einfallen lassen?
({3})
Der Kollege Poß hat sich hier an das Mikrofon gestellt und gesagt: Wir müssen die großen Banken in
Deutschland zerschlagen.
({4})
Es gibt zwei Gruppen, die eine bestimmte Reaktion
auf diese Äußerung zeigen müssen. Zum einen zucken
die deutsche Wirtschaft und die Industrie zusammen und
sagen: Was ist denn jetzt los? Verstehen die denn nichts
mehr von Wirtschaftspolitik und insbesondere von
Standortpolitik?
({5})
Zum anderen schreit eine Gruppe Hurra und sagt:
Das, was Herr Poß vorschlägt, ist ein guter Weg. - Diese
Gruppe besteht aus amerikanischen Investmentbanken,
die nur darauf warten, dass wir den dummen Weg, den
die Sozialdemokraten vorschlagen, gehen, um das Investmentbanking vom regulierten deutschen Markt nach
Amerika zu exportieren. Wie absurd ist das denn, was
die SPD den Menschen hier vormacht?
({6})
In der Opposition haben Sie über Jahre hinweg versucht, die Rolle des Oberregulierers einzunehmen. In
Wahrheit haben Sie aber überhaupt keinen Plan. Sie wissen nicht, was Sie wollen. Die SPD sagt heute, das gehe
alles zu langsam. Die Grünen sagen heute, das gehe alles
zu schnell. Die SPD erhebt außerdem den Vorwurf, wir
würden alles von der SPD abschreiben. Im gleichen
Atemzug sagen Sie aber, wir würden alles falsch machen. Es ist doch absurd, was Sie im Bereich der Finanzmarktpolitik abliefern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Opposition
kann man ja etwas holzschnittartig vorgehen. Sicherlich
sei Ihnen das zugestanden. Man muss es in der Opposition nicht so genau nehmen. Deswegen wollen wir
einmal vergleichen, was die eine Seite des Hauses in Regierungsverantwortung im Bereich der Finanzmarktregulierung getan hat und welche Bilanz die andere Seite
des Hauses im Bereich der Finanzmarktregulierung vorzuweisen hat.
({7})
Wir scheuen den Vergleich mit Rot-Grün nicht. Unter
Rot-Grün gab es in Deutschland eine Ära der Deregulierung der Finanzmärkte.
({8})
Die Ära der christlich-liberalen Koalition ist eine Ära
der Regulierung und der Ordnung der Märkte. Wir sind
stolz auf unsere Regierungsbilanz.
({9})
Die Grünen wollen sich immer noch schnell auf die
Seite der Guten und der Richtigen schlagen. Sie sind jedoch diejenigen, die die Deregulierung in Deutschland
in Regierungsverantwortung mitgetragen und mit vorangetrieben haben. Heute wollen Sie sich davon verabschieden und nichts mehr damit zu tun haben. Sie sagen,
dass das damals so gewesen sei, aber heute seien Sie die
besseren Regulierer und im Übrigen sowieso die Guten.
Bei der Schuldenbremse war das genauso. Ich kann
mich noch daran erinnern, dass Herr Kretschmann in der
Föderalismuskommission II aktiv gegen die Schuldenbremse argumentiert hat. Heute tun Sie so, als hätten die
Grünen die Schuldenbremse erfunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben das
Thema Finanzmarktregulierung erst entdeckt, als Sie
keine Regierungsverantwortung mehr hatten. Wir haben
damit angefangen, als wir die Regierungsverantwortung
übernommen haben. Das ist der Unterschied zwischen
einer glaubwürdigen Finanzmarktregulierung und dem
Gefasel einer Opposition, die nur versagt hat.
({10})
Deutschland hat nach drei Jahren CDU-, CSU- und
FDP-Regierungsverantwortung mit die reguliertesten Finanzmärkte weltweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
SPD und Grüne haben in diesem Hohen Hause keine Regulierung mitgetragen. Das Bild ist klar. In Regierungsverantwortung haben SPD und Grüne den Finanzmarkt
dereguliert. In der Opposition haben SPD und Grüne jeden Vorschlag zur Finanzmarktregulierung im Deutschen Bundestag abgelehnt.
({11})
Warum soll ausgerechnet Ihnen jemand glauben, dass
Sie im September mit der Finanzmarktregulierung beginnen wollen? Nein, das werden Ihnen die Menschen
nicht glauben.
({12})
Wir wollen und wir werden unsere Politik für stabile
und solide Finanzmärkte fortsetzen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({13})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gambke,
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wissing
hat seine Platte aufgelegt, die wir schon ein Stück weit
kennen. Herr Wissing, damit lenken Sie aber nur ab.
Herr Schick hat vorhin in seinen Ausführungen bezüglich der Situation der Trennbanken sehr klar beschrieben, dass Sie keinen Kompass haben. Wenn er sich
vorhin dafür ausgesprochen hat, abzuwarten, was auf
europäischer Ebene beschlossen wird, hat er damit recht.
Denn er traut Ihnen nicht zu, dass Sie einen klaren Kompass haben und vernünftige Regelungen schaffen. Deshalb hat er sich dafür ausgesprochen, zunächst einmal
abzuwarten, was auf europäischer Ebene passiert.
Wir haben das Trennbankensystem bereits vorgeschlagen. Das ist doch nicht neu. Ich bin Mitglied der
Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. In der Sitzung am Montag haben wir einstimmig
({0})
- mit der FDP und mit der CDU/CSU - Grundregeln
zum Finanzmarkt beschlossen. Darüber haben wir zwei
Jahre lang diskutiert. Es ist nicht so, dass das neu war.
({1})
Dabei standen drei Aspekte im Vordergrund, Herr
Flosbach; Herr King, der Gouverneur der Zentralbank
von England, hat Ihnen das noch in der vergangenen
Woche gesagt. Wir brauchen drei Dinge:
Wir brauchen erstens eine Stärkung des Eigenkapitals. Leverage Ratio war für Sie fast noch ein Fremdwort.
Zweitens brauchen wir Trennbanken. Die Debatte um
die Trennbanken läuft ein Stück weit falsch. Uns wird
unterstellt, dass es uns um die Zerschlagung der Universalbanken gehe.
({2})
Vielmehr geht es im Wesentlichen um Transparenz.
Drittens brauchen wir ein europäisches Restrukturierungsregime.
Das sind doch keine neuen Dinge. Jetzt tun Sie so, als
ob wir das erfunden hätten. Das ist seit zwei Jahren in
der Diskussion und muss jetzt umgesetzt werden.
({3})
Dann kommt immer der Satz: Wir dürfen nicht zu viel
regulieren. - Das hört man immer wieder.
({4})
Herr Flosbach, Herr Brinkhaus und Herr Zöllmer waren
dabei, als Herr King auf meine Frage, ob wir ein Problem mit Hongkong oder Singapur hätten, wenn wir zu
viel regulierten, geantwortet hat: Nein, die haben ein
Problem mit uns, weil wir zu wenig regulieren, zu spät
regulieren und möglicherweise nicht genug regulieren.
Das ist doch das Problem.
({5})
Ich halte die Debatte, die Sie hier führen, für eine
Scheindebatte. Ich kann mich in der Tat des Eindrucks
nicht erwehren, dass das, was Sie hier veranstalten, ein
bisschen Wahlkampf ist. Das ist dem Ernst der Sache
nicht angemessen. Wir brauchen eine Stärkung des Eigenkapitals, wir brauchen eine substanzielle Anhebung
der Leverage Ratio, wir brauchen Transparenz, wir brauchen eine europäische Restrukturierung. Sie sollten das
tun.
Noch etwas ist ganz lustig. Wir haben, wiederum in
der Enquete-Kommission, festgestellt, dass wir eine
ganz merkwürdige Allianz zwischen dem Finanzminister und der Opposition haben, und zwar bei der Finanzmarkttransaktionsteuer.
({6})
Es sind doch Vertreter der FDP, Vertreter aus Ihren Reihen, die ständig dagegen schießen, sodass wir die Transaktionsteuer nicht zügig umsetzen können. Herr
Wissing, ich erinnere mich noch an die Diskussion im
Finanzausschuss.
({7})
- Ich weiß es sehr gut; denn ich habe Ihre Bemerkung zu
diesem Thema gehört. Also bitte, verleugnen Sie doch
nicht die Intentionen, die Sie haben. Glauben Sie doch
nicht, dass Sie mit der Art und Weise, in der Sie argumentieren, die sicher schwierige Debatte, die wir in Europa zu diesem Thema haben, befördern. Sie hemmen
vielmehr diese Debatte, und Sie hemmen damit die Einführung der Finanzmarkttransaktionsteuer.
({8})
Wir können nicht umhin, festzustellen: Dieser Koalition fehlt der Kompass.
({9})
Sie kommt zu spät. Sie kommt im Ernstfall mit kleinkarierten Lösungen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir
sie ablösen.
Vielen Dank.
({10})
Hans Michelbach ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
internationale Finanzmarktkrise hat uns gezeigt, dass die
Rahmensetzungen für die Finanzbranche unzureichend
waren. Die Krise hat die Staaten und ihre Volkswirtschaften in jeder Hinsicht hart getroffen. Der Steuerzahler musste zur Rettung von Instituten einspringen. Die
Realwirtschaft kam in die Krise.
Das darf sich nicht wiederholen. Dafür arbeiten wir
mit großem Engagement; denn wir sind überzeugt: Eine
neue Finanzmarktkrise würde unsere westlichen Demokratien nachhaltig beschädigen. Die soziale Marktwirtschaft kann nach unserer Auffassung nur mit einem
glaubwürdigen Ordnungsrahmen zukunftsfest erhalten
werden.
Dazu gehören für diese Koalition eine lückenlose Regulierung des Finanzsystems, eine Risiko- und Haftungsübernahme durch die Marktteilnehmer, höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken, strengere Kriterien
für alternative Investment- und Hedgefonds, eine verschärfte Aufsicht über den Finanzsektor und insbesondere über das Schattenbankensystem.
Kurzum: Wir ziehen umfassende Lehren aus der Finanzkrise und haben, um die Stabilität der Finanzsysteme zu sichern und die Risiken spekulativer Geschäfte
zu verringern, über 30 Gesetzespakete - das war letzten
Endes eine große Leistung - auf den Weg gebracht. Wir
entwickeln Handlungsmechanismen und Regeln, die
frühzeitig wirken und Gefahren von der Realwirtschaft
abwenden. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode
bereits eine Vielzahl von Gesetzen beraten und beschlossen. Ich muss sagen: Es ist eigentlich unterirdisch, dass
Sie nicht bereit sind, diese Leistung anzuerkennen oder
die Gesetzentwürfe in irgendeiner Form positiv mitzuberaten. Sie betreiben gewissermaßen eine Fundamentalopposition, aber Sie bringen sich in der Sache nicht ein.
Wir haben die beste Bilanz. Diese gute Bilanz passt
Ihnen nicht. Sie haben bis heute diskutiert, und wir haben Schritt für Schritt gehandelt, meine Damen und Herren.
({0})
Heute setzen wir einen weiteren Meilenstein, um die
Vorbildfunktion und Vorreiterrolle weiter wahrzunehmen. Weitere wichtige Vorhaben stehen auf der Tagesordnung: die Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute und des internationalen Systems der
Schattenbanken, die man nicht in eine neue Grauzone
ausweichen lassen darf - das ist die Aufgabe -, das Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der
Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen, das Kapitalanlagegesetzbuch und die Umsetzung von Basel III
({1})
mit den Regelungen zur erhöhten Unterlegung der Banken mit Eigenkapital, mit hartem Kernkapital. Das sind
die wesentlichen Schritte, die das Finanzsystem insgesamt sichern.
Wir wollen Sicherheit für die Sparer und Stabilität für
die Wirtschaft. Das ist unsere Ausgangslage. Deswegen
müssen wir deutlich machen: Wir sind für eine Regulierung des Finanzsystems mit Vernunft, meine Damen und
Herren.
({2})
Sie hingegen wählen eine Form, zu der ich sage: Das,
was hier Rot-Rot-Grün betreibt, ist eigentlich ideologische Bankenhetze.
({3})
Das kann nicht der Weg sein. Wir müssen deutlich machen: Die Realwirtschaft muss dienende Banken haben;
das gehört dazu. Sonst können wir mit unserer starken
Wirtschaft nicht Exportweltmeister sein, meine Damen
und Herren.
({4})
Die Radikalität von Rot-Rot-Grün gegenüber dem Markt
ist Ideologie und dient diesem Land, den Arbeitsplätzen,
den Betrieben, nicht. Deswegen müssen wir deutlich machen, dass unser Weg der richtige ist.
Natürlich ist die Lernbereitschaft der Branche oft
nicht sehr ausgeprägt. Die Selbstregulierungskräfte reichen eben nicht aus. Sie reichen vor allem deshalb nicht
aus, weil das Verantwortungsbewusstsein in weiten Teilen der Finanzbranche weltweit unterentwickelt war und
teilweise noch ist. Etliche haben ihre Lektion bis heute
noch nicht gelernt. Weil das so ist, müssen wir die Bürger, die Unternehmen und den Staat vor den Folgen verantwortungslosen Handelns in der Finanzbranche schützen.
Meine Damen und Herren, es ist deshalb wichtig,
ohne Ideologie, ohne Schaum vor dem Mund Instrumente zu schaffen, um systemrelevante Finanzunternehmen auf globaler und nationaler Ebene in einem geordneten Verfahren ohne Zutun des Staates entweder zu
sanieren oder abzuwickeln, wenn sie in Schieflage geraten, ohne Einspringen des Steuerzahlers und des Staats;
darauf kommt es an. Wir haben jetzt die richtigen Konsequenzen gezogen. Dieses Gesetz schafft die richtige
Grundlage; das ist die richtige Schrittfolge für die Zukunft.
({5})
Dazu gehören die Sanierungspläne, damit Finanzunternehmen eine Krise möglichst schnell und effektiv aus
eigener Kraft bewältigen, ebenso das Bankentestament,
das eine geordnete Abwicklung von Finanzunternehmen
ermöglicht, wenn deren Sanierung scheitert. Das sind
Dinge, die ein verantwortungsbewusstes Management
eigentlich in der Schublade haben muss. Wir fordern
dies nun per Gesetz ein und setzen hier nicht auf die
Selbstvorsorge der Finanzbranche; denn wir wollen die
Kunden noch besser schützen.
Für viele hochriskante Spekulationsgeschäfte wurden
Kundeneinlagen genutzt. Wir wollen unterscheiden zwischen denen, die systemrelevant sind, und denen, die damit letzten Endes überhaupt nichts am Hut haben. Es ist
wichtig, dass wir differenzieren. Sie können doch nicht
alle gleichsetzen, indem Sie systemrelevante Großbanken mit den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen
in einen Topf werfen. Da lassen wir uns nichts vorwerfen, auch wenn Sie versuchen, hier eine Diskussion aufzumachen und uns anzugreifen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtig,
dass der Staat dauerhaft die richtigen Gesetze für den
Fall schwerwiegender Managementfehler hat. Deshalb
ist es konsequent, bei Großbanken die Risikogeschäfte
vom normalen Kundengeschäft zu trennen. Unser Trennbankengesetz ist ein weiteres zentrales Projekt der Finanzmarktregulierung. Es ist der richtige Weg. Denn es
berücksichtigt zwar aus fachlichen Gründen nicht die
Maximalforderungen, die Sie aufstellen, schafft aber ein
Trennbankensystem mit einer Abgrenzung zwischen Eigenhandel und Dienstleistungen. Dabei ist letzten Endes
die Abgrenzung, die Bemessung der Größenordnung der
Bank, wichtig. Insofern ist das der richtige Weg.
Ich meine, wir haben geliefert. Wir werden weiter liefern. Wir sind die, die für die Sparer, für die Wirtschaft
die richtigen Wege beschreiten. „Stabilität und Sicherheit“ ist der Weg in die Zukunft. Dabei lassen wir uns
von niemandem überbieten. Wir sind auf dem richtigen
Weg für die Realwirtschaft in unserem Land.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Sieling für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
jetzt eine Reihe typischer „Lieferantenreden“ gehört; die
letzte Rede war ein gutes Beispiel dafür. Da wird gesagt:
Wir haben geliefert; wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Dann werden Überschriften der verschiedenen Gesetze, die Sie vorgelegt haben, verlesen. Wir
erwarten Produktion. Bringen Sie endlich einmal Regeln
auf den Weg, die wirklich wirksam sind. Bisher haben
Sie das nicht gemacht.
({0})
- Es ist typisch, dass von ganz rechts außen in diesem
Saal Zwischenrufe kommen. Es ist immer dasselbe:
Nachdem hier Vorschläge zur Finanzmarktregulierung
gemacht worden sind, tritt in letzter Sekunde der Vorstopper auf den Plan, der sich gegen jegliche Finanzmarktregulierung ausspricht. Dieser Vorstopper heißt
„Wissing“ mit Nachnamen.
({1})
Herr Wissing, Sie sind mit Ihrer FDP derjenige, der hier
am stärksten blockiert. Darum haben Sie es nicht verdient, weiter an der Regierung zu sein.
({2})
Sie sind eine wirkliche Gefahr für das, was wir erreichen müssen.
({3})
Ich will dies an einigen Punkten deutlich machen.
Wir müssen erreichen, dass die Steuerzahler endlich
wirklich entlastet und nicht weiter belastet werden. Dasselbe gilt im Übrigen für die Sparer und für die Einlagen.
Zu Ihrem Vorschlag, ein Trennbankensystem aufzubauen, will ich erst einmal sagen: Wir Sozialdemokraten
schlagen eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking vor, um das Universalbankensystem zu stärken.
Unser Ziel ist ein starkes, stabiles Universalbankensystem.
({4})
Ich sage das ganz klar, damit an dieser Stelle wirklich
kein Zweifel aufkommt.
Was machen Sie? Sie greifen Vorschläge der europäischen Ebene auf. Fachleute nennen das Symbolik - das
ist hier schon zitiert worden - und behaupten, Sie blieben damit weit hinter den Erwartungen zurück. Ich verweise auf das, was Herr Professor Krahnen im Finanzausschuss gesagt hat. Sie wollen den Eigenhandel im
engeren Sinne verbieten. Sprechen Sie doch einmal mit
den Banken, die angeblich Eigenhandel im großen Stil
machen. Diese Banken sagen Ihnen: Wir machen so etwas in Deutschland gar nicht mehr. Das könnt ihr ruhig
machen. Das ist ein Geschäft, das hier sowieso nicht
mehr funktioniert. Das haben wir ausgelagert. - Sie stellen hier etwas übergroß dar, was in der Vergangenheit
ein Problem war, schlagen darauf und meinen, damit
hätten Sie das Problem gelöst. Nichts haben Sie gelöst!
({5})
Was Sie aber unterlassen, ist das, was man, auf Englisch gesagt, Market Making, also Marktmachen, nennt.
Worum geht es bei diesem Marktmachen? Es gibt Produktangebote wie Aktienpakete, für die sich keine Nachfrager finden. Manche Häuser sagen: Okay, wir nehmen
diese Produkte, schaffen dafür einen Markt, auch wenn
sie keiner will, lassen sie über unsere Bücher laufen, halten sie und versuchen, sie Stück für Stück zu verkaufen.
Als Sicherheit dafür nehmen diese Häuser die Einlagen
der Sparer. Auch das ist eine Art von Eigenhandel. Wir
sind der Auffassung: Auch das muss abgespalten werden. Ein solches Geschäft muss Risiko derer sein, die daran verdienen; es muss ein Risiko der Banken darstellen.
Doch dafür sorgen Sie nicht.
({6})
Sie belassen die Gefahren bei den Sparern. Das ist unsere wesentliche Kritik. Außerdem kritisieren wir das
Fehlen eines ordentlichen Rettungsfonds.
Darüber hinaus will ich etwas zu den Schattenbanken
sagen. Hierzu liegen ja weitere Anträge vor; plötzlich
hat die Koalition auch die Schattenbanken entdeckt. Es
ist nämlich so: Wenn Sie ein solches Gesetz auf den Weg
bringen, werden die großen Häuser in Schattenbereiche
abwandern, und es wird zu einer weiteren Aufblähung
kommen. Schon Ende 2012 befanden sich bei Schattenbanken weltweit 53 Billionen Euro.
({7})
Um diese Zahl zu verstehen, muss man wissen, dass es
vor zehn Jahren 20 Billionen Euro waren. Wenn Sie mit
Ihren harmlosen Anträgen so weitermachen, dann werden wir in zehn Jahren wahrscheinlich einen Schattenbankensektor in Höhe von 250 Billionen Euro haben,
und die Gefahren bleiben bestehen. Deshalb sind Sie
auch an dieser Stelle ein zahnloser Tiger. Sie nehmen
sich immer einen Teil der Finanzmarktregulierung nach
dem anderen vor, lösen aber nicht das Gesamtproblem.
Sie sorgen hier für keine wirksame Regulierung.
Es gibt einen weiteren Bereich, den ich kurz ansprechen möchte, weil wir ihn beraten werden. In diesem
großen Paket liegt ein Entwurf zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes vor. Hierbei geht es um die Einführung eines Kapitalanlagegesetzbuchs, das zurzeit diskutiert wird. In diesem Gesetzentwurf geht es auch um
das Problem, dass Veräußerungsgewinne bei offenen Im28630
mobilienfonds steuerfrei gestellt sind. Diese Regelung
darf nicht auf geschlossene Fonds ausgedehnt werden,
weil diese vom Kapitalanlagegesetzbuch mit erfasst werden. Ich sage ganz offen: Wir brauchen hier eine Lösung.
Wir werden uns dieser sehr sachlich und sehr konzentriert zuwenden. Eines will ich Ihnen sagen: Ihr Gesetz
darf nicht dazu führen, dass neue Lücken entstehen,
indem nicht nur Pensionsverpflichtungen zusammengefasst werden können, sondern zum Beispiel auch unternehmerische Aktivitäten von steuerpflichtigen Personengesellschaften, die gewerblich aktiv sind, in solche
Fonds überführt werden und damit steuerfrei bleiben.
Darauf haben die Bundesländer hingewiesen.
({8})
Wir werden diesen Hinweisen sehr kritisch nachgehen und hoffen, dass Sie diese Lücke schließen. Unsere
Erfahrung ist: Ihre Finanzmarktregulierung führte bisher
hinsichtlich der Steuern zu nichts Ordentlichem, weil Sie
keine Lücke schließen wollen. Bisher war es immer eine
Hydraulik für Steuervermeidung. Das wollen wir nicht.
Es kann nicht sein, dass die Großen laufen gelassen werden und die Kleinen herangezogen werden. Wir Sozialdemokraten stehen dafür, das zu verhindern.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({9})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Opposition waren etwas bemüht. Wenn
ich sie zusammenfasse, dann kann ich sagen: Sie wollen,
genauso wie wir, Sanierungs- und Abwicklungspläne.
Sie wollen sie nur etwas anders organisieren.
({0})
Sie wollen, genauso wie wir, eine Trennung der Risiken
im Rahmen eines Trennbankensystems. Sie wollen es
aber ein wenig strenger als wir. Sie wollen, genauso wie
wir, strafrechtliche Vorschriften für Bankmanager einführen, wollen sie aber schärfer als wir formulieren. Sie
wollen, genauso wie wir, das Schattenbankensystem regulieren, behaupten aber, Sie könnten es ein bisschen
schneller als wir.
Das ist nicht nur die Zusammenfassung dieser Debatte, sondern die Zusammenfassung von dreieinhalb
Jahren Oppositionspolitik in der Finanzmarktregulierung. Irgendwie wollen Sie immer das Gleiche wie wir,
behaupten aber, Sie könnten es schärfer, weitgreifender
und schneller hinbekommen.
Ich möchte Ihnen das anhand des Wahlprogramms der
SPD erläutern. Sie nennen es Regierungsprogramm. Das
ist ein bisschen optimistisch. Ich nenne es Wahlprogramm der SPD. Auf zweieinhalb Seiten von insgesamt
100 Seiten beschäftigen Sie sich mit dem Kernthema Finanzmärkte.
({1})
Fangen wir an: Sie sagen, Sie möchten, dass kein Finanzmarktakteur, kein Produkt, kein Vertriebsweg unreguliert bleibt. Das haben wir im Übrigen auch gesagt.
Dies ist umgesetzt worden. Beispielsweise ist der graue
Kapitalmarkt reguliert worden. Das AIFM-Gesetz, das
Finanzanlagenvermittlergesetz, Initiativen im Bereich
der Schattenbanken gibt es schon. Wer hat sie gemacht?
Die Koalition.
({2})
Sie möchten, dass Europa im Bereich der Bankenregulierung Vorreiter wird. Europa ist Vorreiter im Bereich
der Bankenregulierung. Wir werden nächste Woche als
eine der ersten Basel III verabschieden. Wir haben Boni
begrenzt und werden darüber hinaus einige Finanzmarktprodukte verbieten bzw. haben sie verboten. Innerhalb Europas ist Deutschland Vorreiter; denn Deutschland hat im Bereich der Bankenrestrukturierung, im
Bereich der Leerverkäufe, in der Regulierung des Hochfrequenzhandels Maßstäbe gesetzt, die in ganz Europa
und wahrscheinlich in der ganzen Welt umgesetzt werden.
Als Drittes - übrigens ist die Reihenfolge ganz interessant - fordern Sie die Begrenzung von Boni und Vergütung. Das gibt es schon. 2010 gab es das erste Gesetz
zur Begrenzung der Vergütung in Deutschland, übrigens
mit speziellen deutschen Regelungen. Wer hat es gemacht? Die Koalition.
({3})
Sie fordern eine Finanztransaktionsteuer, mindestens
dreimal, das scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. Wer hat
eine gemeinsame Verständigung auf den Weg gebracht?
Wer hat dafür gesorgt, dass dieses Thema in Europa vernünftig behandelt wird? Wir waren es, diese Koalition.
({4})
Dann geht es weiter: Sie wollen, dass es vernünftige
Eigenkapitalregeln unter besonderer Berücksichtigung
der Besonderheiten der Volksbanken und Sparkassen
gibt. Das wird nächste Woche verabschiedet. Wer hat hineinverhandelt, dass die Sparkassen und Volksbanken
dabei nicht untergehen? Diese Koalition.
({5})
Sie wollen, dass ein Trennbankensystem eingerichtet
wird. Wer hat einen Vorschlag gemacht, dass eine Trennbankenregulierung hier in Deutschland stattfindet, bevor
in Europa überhaupt darüber nachgedacht wird, einen
Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen? Diese Koalition.
({6})
Sie wollen die Schattenbanken regulieren. Wer hat
sich wie keine andere Bundesregierung dafür eingesetzt,
dass Schattenbanken weltweit reguliert werden?
({7})
Wer hat dazu Initiativanträge, Entschließungsanträge auf
den Weg gebracht?
({8})
Wer treibt diesen Prozess voran? Es ist diese Koalition.
({9})
Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass bestimmte
Produkte auf Finanzmärkten verboten werden. Das haben wir gemacht. Als erstes Land der Welt haben wir für
ein Verbot von Leerverkäufen gesorgt. Wer hat es gemacht?
({10})
Diese Koalition.
Sie fordern, dass es mehr Verbraucherschutz im Bereich Finanzmarkt gibt. Ich kann nur sagen: OGAW, Finanzanlagenvermittlergesetz, Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz, AIFM-Umsetzungsgesetz.
Wer hat es gemacht? Diese Koalition.
({11})
- So ist es, genau.
Sie fordern, dass der Hochfrequenzhandel reguliert
wird. Wer hat als erstes Land dieser Welt den Hochfrequenzhandel reguliert? Diese Koalition.
({12})
Sie gehen noch weiter. Sie fordern, dass Ratingagenturen schärfer reguliert werden. Damit haben wir schon
2010 angefangen. Wer hat es gemacht? Diese Koalition.
({13})
Sie fordern, dass es ein Restrukturierungsregime für
Banken gibt. Wer hat als erstes Land etwas vorgelegt,
das maßgeblich für Europa ist? Diese Koalition.
({14})
Sie fordern darüber hinaus, dass die Mittelstandskomponente bei der Bankenregulierung berücksichtigt wird.
Wer hat dafür gesorgt, dass diese Mittelstandskomponente Eingang in den europäischen Prozess findet? Diese
Koalition.
({15})
Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass die Honorarberatung reguliert wird. Wer hat ein Gesetz zur Regulierung der Honorarberatung vorgelegt? Diese Koalition.
({16})
Ich kann Ihnen jetzt nicht vorwerfen, dass Sie nach
der Identifikation der Probleme auf die gleichen Lösungen kommen wie wir. Das ist normal. Es ist auch das Geschäft der Opposition, zu sagen: Wir können das schärfer, weitreichender, schneller und besser. Das ist auch in
Ordnung. Das ist sogar Ihr Job. Ich würde es auch machen, wenn ich Opposition wäre. Aber was ich Ihnen
nicht durchgehen lassen kann, das ist die Tatsache, dass
Sie in Ihrem Wahlprogramm - mit dem Bewerbungsschreiben Ihres Kanzlerkandidaten vom letzten Herbst und in Ihren Reden behaupten, Sie würden jetzt etwas
grundlegend Neues und Innovatives im Bereich der Finanzmarktregulierung machen. Das ist nicht der Fall.
Sie hätten sich mit interessanten Themen beschäftigen können. Wie sieht Ihr Bild vom Finanzplatz
Deutschland im kommenden Jahrzehnt aus? Sie hätten
sich damit beschäftigen können, wie Sie in einer anhaltenden Niedrigzinsphase sicherstellen, dass Versicherungen und betriebliche Altersversorgung weiterlaufen. Was
sind denn Ihre konkreten Vorschläge zur Regulierung
der Schattenbanken? Davon findet man in Ihren Papieren nichts.
Am Ende des Tages ist es - irgendwie kann ich Ihre
Verzweiflung auch verstehen - wie in der Geschichte
vom Hasen und vom Igel: Überall da, wo der Steinbrück
regulieren will, da ist der Schäuble schon da.
Danke schön.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
den Drucksachen 17/12601, 17/12602, 17/12603 und
17/12687 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Zusatzpunkt 11. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/12686 mit dem Titel „Finanzstabilität si-
chern - Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute
und des internationalen Schattenbankensystems“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Ko-
alition angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 f auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zwei Jahre Fukushima - Ohne ehrlichen
Atomausstieg keine erfolgreiche Energiewende
- Drucksache 17/12509 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})-
Auswärtiger Ausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Lehren aus der Atomkatastrophe in Fukushima ziehen
- Drucksache 17/12688 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten René
Röspel, Rolf Hempelmann, Marco Bülow,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Den Euratom-Vertrag an die Herausforde-
rungen der Zukunft anpassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Euratom-Vertrag ändern - Atomausstieg
europaweit voranbringen - Atomprivileg
beenden
- Drucksachen 17/8927, 17/7670, 17/11713 -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({3}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Eine Europäische Gemeinschaft für die Förde-
rung Erneuerbarer Energien gründen - EU-
RATOM auflösen
- Drucksachen 17/6151, 17/11723 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Matthias Lietz-
Frank Schwabe-
Heinz Golombeck-
Alexander Ulrich-
Lisa Paus
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil
({5}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Keine Hermesbürgschaft für den Bau des
Atomkraftwerks Angra 3
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van
Aken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE sowie der Abgeordneten Ute Koczy,
Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter-
Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Bürgschaft für den Bau des Atom-
kraftwerks Angra 3
- Drucksachen 17/9578, 17/9579, 17/12653 -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Erich G. Fitz
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stilllegung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich
- Drucksachen 17/11206, 17/12675 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael PaulMarco BülowAngelika BrunkhorstDorothée MenznerSylvia Kotting-Uhl
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu bilateralen Verhandlungen mit Frankreich werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Die Kolleginnen und Kollegen, die die Debatte im
Augenblick nicht hier im Plenarsaal, sondern von ihren
Büros aus verfolgen, möchte ich schon einmal darauf
Präsident Dr. Norbert Lammert
aufmerksam machen, dass wir gegen 12.15 Uhr eine namentliche Abstimmung haben werden.
({7})
- Das ist beruhigend zu hören, Herr Kollege Grund.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
am vergangenen Montag der Reaktorkatastrophe von
Fukushima und der vorweggegangenen Flutwelle gedacht. Wir gedenken auch heute der fast 19 000 Opfer
dieser Flutwelle, und wir gedenken der Opfer der Atomkatastrophe. Als Folge dieser Katastrophe mussten hunderttausend Menschen ihre Heimat verlassen, weil Böden, Luft
und Wasser radioaktiv verseucht sind. 57 000 Japanerinnen
und Japaner konnten bis heute nicht zurückkehren. Sie
sind aus ihrer Heimat vertrieben. Diese Katastrophe hat
uns gezeigt: Die Risiken der Atomtechnologie sind nicht
beherrschbar. Die Welt muss aus dieser Hochrisikotechnologie aussteigen.
({0})
Es ist bitter, dass die neue japanische Regierung gegen den Willen von mittlerweile zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung versucht, diese Technologie wieder
zum Laufen zu bringen. Hier ist die besondere Verantwortung für Deutschland: Es ist unsere Verantwortung,
zu beweisen, dass es möglich ist, dass eine Industrienation seine Stromversorgung ohne Atomenergie und ohne
Rückgriff auf klimazerstörende Kohle realisieren kann.
Das ist die globale Verantwortung, vor der dieses Land
steht. Das, lieber Herr Altmaier, ist die Hausaufgabe dieser Regierung, die Sie zu erfüllen haben.
({1})
Sie haben mit manchen Schülern gemein, dass Sie sich
mit den Hausaufgaben schwertun.
({2})
Lange Zeit haben Sie gar nicht verstanden, was Ihre
Hausaufgabe ist. Jahrelang glaubten Sie, Ihre Aufgabe
bestünde darin, alles zu blockieren, was nach Energiewende aussah. CDU, CSU und FDP waren gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie waren gegen den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie.
({3})
Der Altmaier Peter hat es sogar als eine historische Entscheidung bezeichnet, die Laufzeiten von maroden Altmeilern zu verlängern.
({4})
Unsere Hauptaufgabe in dieser Zeit bestand eigentlich darin, Ihren Unsinn abzuräumen. Das haben wir mit
einigem Erfolg gemacht: Nach einem Jahrzehnt erzeugen wir heute 25 Prozent unseres Stroms durch die Nutzung erneuerbarer Energien. Das gibt 400 000 Menschen
in diesem Land Arbeit. Nach einem Jahrzehnt schien es
so zu sein, als wenn CDU und CSU ihre Hausaufgaben
gemacht hätten. Plötzlich waren auch Sie für das von Ihnen vorher bekämpfte Erneuerbare-Energien-Gesetz. Bei
der Atomenergie haben Sie noch ein bisschen länger gebraucht. Da bedurfte es der mehrfachen Kernschmelze
von Fukushima, bis bei Ihnen die Erkenntnis eintrat:
Atomkraft ist nicht beherrschbar.
Haben Sie Ihre Hausaufgabe jetzt verstanden? Haben
Sie verstanden, dass der Kern darin besteht, dass derjenige, der die Energiewende wirklich will, nicht nur entschlossen und konsequent aussteigen muss, sondern
auch in die Nutzung erneuerbarer Energien einsteigen
muss?
({5})
Nein, Sie haben es nicht verstanden. Sie steigen nicht
konsequent aus. Zu einem konsequenten Ausstieg würde
zum Beispiel eine Umorientierung der Forschungspolitik
gehören. Nach wie vor wird ein Drittel der Mittel in
Höhe von 2,7 Milliarden Euro für die Forschung im Bereich der Reaktortechnologie genutzt.
({6})
Nur ein kleiner Teil geht in die Endlagerforschung.
Sie müssten sich, wenn Sie konsequent aus solchen
Vorhaben aussteigen wollten, von solchen Wahnsinnsprojekten wie dem namens ITER verabschieden.
({7})
Vor allen Dingen müssten Sie, meine Damen und Herren, aufhören, anderswo den Bau von Atomkraftwerken
zu subventionieren, indem Sie Exporthilfen dafür geben,
dass in Erdbebengebieten Atomkraftwerke errichtet werden.
({8})
Sie scheitern schon bei der ersten Herausforderung.
Bei der zweiten sind Sie mittlerweile zu der Position zurückgekehrt, die Sie vor zehn Jahren eingenommen hatten. Statt für einen zügigen Ausbau erneuerbarer Energien zu fairen Preisen zu sorgen, spielen Peter Altmaier
und Philipp Rösler lieber im Glashaus Fußball, und die
Kanzlerin steht daneben und verdreht die Augen.
Früher gab es noch - daran erinnere ich mich - einen
Konflikt zwischen Umweltminister und Wirtschaftsminister. Heute sind sich beide einig: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland muss ausgebremst
werden. Das ist der Konsens zwischen Rösler und
Altmaier. Herr Altmaier beziffert die Kosten der Energiewende mit „Fantastilliarden“-Summen.
Lieber Herr Altmaier, das Forum Ökologisch-Soziale
Marktwirtschaft rechnet Ihnen vor, was alles Sie falsch
gerechnet haben: die Effekte der Preissenkungen an der
Strombörse, die Degression der Förderung und die Kosten für Investitionen in Kohle- und Gastkraftwerke. Sie
nennen die Autoren per Twitter unseriös. Peinlich für Sie
ist, dass sich die Autoren auf die Zahlen Ihres eigenen
Ministeriums berufen. Wollen Sie behaupten, dass das
Bundesumweltministerium unseriöse Zahlen liefert? Das
wäre eine neue Erfahrung, die wir hier zu machen hätten.
({9})
Es ist dreist, meine Damen und Herren, anderen vorzuhalten, sie würden ihre Hausaufgaben nicht machen.
Es ist Aufgabe des Umweltministers, für den Ausbau erneuerbarer Energien zu fairen Preisen zu sorgen. Nicht
Ihre Aufgabe, Herr Altmaier, ist es, die Agrarindustrie
zu subventionieren und Banken von Stromkunden bezahlen zu lassen. Es ist Aufgabe des Umweltministers,
für mehr Klimaschutz zu sorgen; aber es ist nicht Ihre
Aufgabe, durch Billigzertifikate für CO2 Kohlekraftwerke zu subventionieren. Weiter ist es die Aufgabe des
Umweltministers, dafür zu sorgen, dass wir letztendlich
100 Prozent erneuerbare Energien bei Strom, Mobilität
und Wärme erreichen. Es ist aber nicht Aufgabe, sondern Verfehlen der Aufgabe eines Umweltministers, gar
eine Ausbaubremse zu initiieren, die am Ende dazu führen wird, dass südlich von Ostfriesland kein einziger
Windpark mehr errichtet wird und Zehntausende Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr geraten. Das sind
nicht Ihre Aufgaben, sehr geehrter Herr Altmaier.
({10})
Sie machen lieber das Gegenteil. Ausbauziele für erneuerbare Wärme sind aufgegeben worden. Die Gebäudesanierung dümpelt dahin und wird zusammengespart.
Der Emissionshandel wurde auf der Grundlage Ihrer gemeinsamen Haltung in dieser Regierung konsequent ruiniert.
Ich sage Ihnen: Sie können Energiewende nicht, weil
Sie sie nicht wollen. Sie sind nicht in der Lage, die Konsequenzen aus dem Reaktorunfall von Fukushima zu ziehen.
({11})
Ausstieg aus der Atomenergie geht nur mit konsequentem Einstieg in die Erneuerbaren, mit mehr Energieeffizienz und mehr Energiesparen. Offensichtlich geht Ausstieg nicht mit der Merkel-Koalition. Das zu ändern, ist
jetzt unsere Hausaufgabe.
({12})
Das Wort erhält der Kollege Christian Hirte für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Kollege Trittin hat gerade ausgeführt, wie die Ereignisse in Fukushima vor zwei Jahren eine menschliche Katastrophe und Tragödie bislang
unbekannten Ausmaßes verursacht haben. Ich denke,
dass sich die Flutwellen in Japan in unser aller Bewusstsein eingegraben haben - möglicherweise aber nicht bei
allen Grünen. Anderenfalls hätte Claudia Roth auf ihrer
Facebook-Seite sicherlich nicht den Eindruck erweckt,
als wenn die vieltausendfachen Opfer in Japan Folge der
Reaktorkatastrophe und nicht der Erdbebenkatastrophe
gewesen seien.
({0})
Herr Trittin, Frau Roth und Sie bzw. Ihre Partei versuchen,
({1})
dieses menschliche Drama, die Tragödie der Menschen
in Japan, billig populistisch zu instrumentalisieren. Sie
spielen Wutbürger und versuchen, das Thema in einem
Wahlkampfjahr in die Debatte einzuführen. Das hilft uns
allen überhaupt nicht weiter.
({2})
Wir in der Koalition haben unsere Hausaufgaben gemacht, im Übrigen nicht nur nach Fukushima, sondern
bereits vorher. Wir haben nach Fukushima den Ausstieg
aus der Atomkraft noch einmal forciert.
({3})
Wir haben nach Fukushima die Risikobewertung für die
Kernkraft in unserem Energiemix noch einmal überdacht
und die notwendigen Konsequenzen gezogen. Es ist
doch klar, dass vor wie nach Fukushima in Deutschland
feststand: Wir steigen aus der Kernkraft aus.
({4})
Das galt im Übrigen schon im Jahr 2010
({5})
mit der Verabschiedung unseres Energiekonzeptes; zugegebenermaßen gab es unterschiedliche Auffassungen
zur Dauer der Restlaufzeiten. Aber dem Grunde nach hat
doch politischer Konsens darüber bestanden, dass wir in
Deutschland aus der Kernkraft aussteigen.
({6})
Als Erste überhaupt haben wir in Deutschland den
Atomausstieg mit einem richtigen Konzept zum Ausbau
der erneuerbaren Energien verbunden. Wir haben mit
unserem Energiekonzept den Weg aufgezeigt, wie der
Atomausstieg bei gleichzeitigem Umstieg in eine ökologische Energiegewinnung gelingen kann. Während RotGrün im Jahr 2000 in der Tat den Atomausstieg beschlossen hat, sind wir einen Schritt weiter vorangegangen. Es reicht eben nicht, Herr Trittin, immer nur auf
dem Atomausstieg zu beharren, sondern es ist auch
wichtig und notwendig, diesen mit einem Konzept zum
Umstieg zu begleiten. Genau das haben wir getan.
({7})
Ich glaube, dass die Erfolge der letzten Jahre uns bestätigen.
({8})
Während Sie hier versuchen, den Anschein zu erwecken,
als seien wir auf diesem Weg nicht vorangekommen, zeigen die Tatsachen ein ganz anderes Bild. Mittlerweile
beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix - Sie haben es gerade ausgeführt - etwa 25 Prozent. Als Sie 2000 eine Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien gefordert haben und dann im Jahr
2005 einen Anteil von 10 Prozent gefeiert haben, war
das für Sie ein Riesenerfolg. Heute sollen 25 Prozent
kein Erfolg sein. Das glauben Sie doch selber nicht.
({9})
Während Sie weiterhin den Anschein erwecken wollen, als hätten wir mit diesem Eintritt in eine professionelle Energiewende versucht, den Ausbau der erneuerbaren Energien abzuwürgen, zeigt die Realität, dass das
Gegenteil der Fall ist. Allein in den letzten beiden Jahren
nach der Energiewende gab es erneut einen Zuwachs des
Anteils der erneuerbaren Energien von 5 Prozentpunkten. Wir sind also von knapp 17 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien in 2010 auf mittlerweile gut 22, 23,
24 Prozent gekommen. Wenn das kein Erfolg sein soll,
dann weiß ich auch nicht.
({10})
Herr Trittin und meine Damen und Herren von der
Opposition, statt sich über diesen Erfolg zu freuen und
Umweltminister Altmaier und Wirtschaftsminister
Rösler dabei zu unterstützen, den Weg professionell weiterzugehen,
({11})
nutzen Sie das tragische Ereignis mit vielen Toten in Fukushima, um billig mit parteipolitischem Kalkül Wahlkampf zu machen.
({12})
Der Ausstieg aus der Kernkraft ist beschlossen, und er
wird auch ganz sicher kommen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist: Wie schaffen wir ihn konkret? Diese Frage
stellt sich insbesondere auch deshalb, weil wir aus heutiger Sicht noch nicht alle Details vorab planen können;
denn viele Entwicklungen - teilweise über die nächsten
Jahrzehnte - sind noch gar nicht klar abschätzbar. Ich
glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist - gerade auch, weil
viele Dinge noch nicht abschätzbar sind -, dass wir insgesamt Vertrauen und Akzeptanz schaffen müssen.
Diese Akzeptanz muss auf breiten Schultern basieren.
Da reichen die breiten Schultern unseres Umweltministers allein nicht aus. Wir müssen sie auf viel breitere
Schultern stellen. Die Wirtschaft muss dahinterstehen,
aber auch unsere Bevölkerung muss sehen, dass wir uns
auf einem Weg befinden, der langfristig erfolgreich sein
kann.
In dieser Woche hat zum Beispiel Die Welt berichtet,
dass möglicherweise ein weiterer Anstieg der EEG-Umlage auf gut 6 Cent bevorsteht. Jedem, der sich mit dem
Thema beschäftigt, ist klar, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, sondern dass wir dringend handeln müssen, und zwar sehr kurzfristig.
({13})
Deswegen bin ich Umweltminister Altmaier und auch
Wirtschaftsminister Rösler ausgesprochen dankbar, dass
sie Vorschläge unterbreitet und auch einen politischen
Prozess angestoßen haben, wie wir den Anstieg der
Strompreise bremsen können. Über die einzelnen vorgebrachten Vorschläge können wir hier im Parlament sicherlich noch diskutieren, sie beraten, überarbeiten und
an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch korrigieren.
({14})
Aber dem Grunde nach ist doch klar, dass wir etwas tun
müssen, um den Anstieg der Strompreise zu mindern.
({15})
Ein Vorschlag lautet, bei der Industrie anzusetzen,
weil der Börsenstrompreis in den letzten Jahren massiv
gesunken ist. Aber klar ist doch auch, dass nun nicht jeder bei jedem Vorschlag sagen kann: Gerade an dieser
Stelle geht es aber nicht. - Wenn das der Maßstab wäre,
dann kämen wir überhaupt nicht weiter. Ich denke, dass
der Vorschlag von Peter Altmaier und Philipp Rösler, darüber nachzudenken, was wir bei Altanlagen tun können,
durchaus sinnvoll ist.
Natürlich müssen wir den Vertrauensschutz hier im
Parlament berücksichtigen.
({16})
Aber wir sollten auch darüber nachdenken - das vielleicht als Alternativvorschlag -, ob wir nicht durch einen
kleinen zusätzlichen Steueraufschlag auf den Gewinn
der Anlagen diejenigen heranziehen sollten, die besonders stark von den Einspeisevergütungen profitieren, ob
wir also quasi eine Art Strompreis-Soli erheben sollten.
Mit diesen Einnahmen könnte zum Beispiel die Stromsteuer gesenkt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, um insgesamt Akzeptanz zu erreichen, brauchen wir also die
Wirtschaft, die Bevölkerung, aber auch die Politik. Wir
müssen gemeinsam eine Lösung finden, um eine vernünftige Strompreisentwicklung zu gewährleisten. Lassen Sie uns also konstruktiv zusammenarbeiten und dafür Sorge tragen, dass wir auf Basis der Vorschläge der
Regierung zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, das
am Ende der Wirtschaft, den Bürgern, aber auch uns, der
Politik, zugutekommt, und zwar dahin gehend, dass erkennbar wird, dass es uns nicht nur um parteipolitisches
Kalkül, sondern auch um die Interessen der Menschen in
unserem Land geht.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort erhält nun der Kollege Marco Bülow für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir gedenken heute der vielen Opfer der Erdbebenkatastrophe und des Tsunamis in Japan, die vor zwei
Jahren die Welt erschütterten. Ich kann mich daran erinnern, dass wir vor zwei Jahren bangend vor dem Fernseher gesessen und gesehen haben, dass das Erdbeben und
der Tsunami alleine nicht ausreichten, sondern viele
durch die Atomenergie verursachte Gefahren noch obendrauf kamen.
Drei Reaktorkerne sind geschmolzen. Immer noch,
zwei Jahre später, ist ein Abklingbecken gefährdet; es
wird nur notdürftig gestützt, und man weiß nicht, ob es
den Druck aushalten wird. 360 000 Kubikmeter Wasser
wurden durch die Kühlung bzw. das Spülen verseucht.
Man weiß nicht, wo man das Wasser lassen soll; auch
heute ist das immer noch ein riesiges Problem. Jeden
Tag werden 400 000 Liter Wasser durch die Reaktoren
gepumpt, und keiner weiß, wo man das Wasser in Zukunft lassen soll. Bis heute sind bereits 100 000 Kubikmeter radioaktiver Erde abgetragen und erst einmal irgendwo zwischengelagert worden; auch da weiß man
nicht, wo man dieses Material am Ende lagern soll. Das
waren nur ein paar Zahlen, die deutlich machen, dass das
Problem auch zwei Jahre nach der Katastrophe noch immer riesengroß ist.
77 Milliarden Euro mussten bereits aufgewendet werden bzw. werden aufgewendet, um die schlimmsten Auswirkungen der Katastrophe zu beseitigen. Es stehen
noch 300 Milliarden Euro aus, die als Entschädigungsleistungen gezahlt werden müssen. Der Haushalt in Japan ist zwar relativ gut aufgestellt; aber man weiß nicht,
wie man das bezahlen soll. So viel zum Thema der billigen Atomkraft.
Alle Energieunternehmen in Japan sind im Minus und
können nicht mehr wirtschaften. Auf diese Unternehmen
kann sich die Wirtschaft in Japan nicht mehr verlassen.
Viel schlimmer noch: 160 000 Menschen haben ihre
Heimat verloren und wissen nicht, ob sie jemals zurückkehren können. Sie sind entwurzelt und haben ihren Job
verloren. Manche Menschen lebten ja von dem Land, auf
dem sie vorher gewohnt haben, und sie werden nur notdürftig versorgt. All das sind die Konsequenzen nicht
nur des Tsunamis und des Erdbebens, sondern vor allen
Dingen auch der Reaktorkatastrophe.
Das Allerschlimmste - man muss mit solchen Zahlen
allerdings immer vorsichtig sein -: Bei 133 000 Untersuchungen kleiner Kinder wurde in über 55 000 Fällen,
also in über 40 Prozent der Fälle, eine Schilddrüsenveränderung festgestellt. Eine solche Veränderung muss
nicht zwangsläufig zu Krebs führen; sie ist aber ein Zeichen, dass es dazu kommen kann. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Wen das nicht alarmiert, wer da noch
sagt: „Fukushima war nicht so schlimm: Da ist ein Erdbeben passiert, da ist ein Tsunami passiert; aber das mit
den Reaktoren war alles nicht so schlimm“,
({0})
dem spreche ich jedes Gewissen ab.
({1})
Schon vor einem Jahr mussten wir leider solche Reden
von einem Teil des Hauses hören, und wir werden wahrscheinlich auch heute wieder so etwas hören.
Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben bewiesen, dass der Mensch mit diesen Reaktoren nicht umgehen kann, dass das Risiko zu groß ist und vom Menschen nicht beherrscht werden kann.
Diese Störfälle haben gezeigt: Wolken machen nicht
an Grenzen Halt. Das Problem ist also ein globales Problem; daher müssen diese Themen international behandelt werden. Deswegen finde ich es auch richtig, dass die
Grünen den Antrag gestellt haben, zum Beispiel auch
über Reaktoren, die sich in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze befinden, zu sprechen. Wer sagt: „Die
Atompolitik in anderen Ländern geht uns nichts an“, der
muss sich die Frage stellen, ob er hier denn wirklich
deutsche Interessen wahrnimmt, ob er die Interessen der
Bürgerinnen und Bürger, die an der Grenze zu Frankreich wohnen, wirklich vertritt, wenn er sagt: Wir mischen uns in die Atompolitik Frankreichs nicht ein.
({2})
Nein, es ist unsere Pflicht, darüber zu diskutieren - so
wie wir das bei anderen Themen auch machen, natürlich
auf diplomatische Art und Weise -,
({3})
wir müssen uns Sorgen machen, wir müssen dieses
Thema international behandeln.
({4})
Die Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie steigt
zwar in Deutschland aus der Atomenergie aus; aber für
den Bau von Reaktoren in aller Welt - auch in Erdbebengebieten, auch in Gebieten, wo Tsunamis entstehen können - werden weiter Hermesbürgschaften übernommen.
Nur, dass die Brasilianer - Gott sei Dank - gesagt haben,
sie brauchen unser Geld nicht, hilft der Bundesregierung, dass sie da nicht mehr beteiligt ist.
Deutschland gibt weiterhin viel Geld für Euratom aus.
Euratom fördert nicht nur Atomsicherheit, Euratom fördert die Atomenergie insgesamt weiter. Es gibt keine
deutsche Initiative, die sagt: Wir müssen damit aufhören,
wir müssen dafür sorgen, dass Euratom insgesamt anders aufgestellt wird, wir müssen Energieeffizienz fördern, Erneuerbare fördern. - Nein, die Bundesregierung
fördert international weiterhin in erster Linie die Atomenergie. Deswegen fordern wir ein Verbot solcher Hermesbürgschaften,
({5})
und wir fordern eine Umgestaltung von Euratom. Sie
können unseren Anträgen da gerne einmal folgen!
Die Koalition spricht hier von der Energiewende.
Herr Hirte hat die Geschichtsklitterung mittlerweile so
weit betrieben, zu behaupten, dass die Energiewende eigentlich schon vor Fukushima eingeleitet worden sei.
({6})
Welche Energiewende denn? Das, was Sie vor Fukushima eingeleitet haben, war die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland. Sie hatten
den Atomausstieg beendet und waren wieder eingestiegen in diese Technologie; das ist vor Fukushima passiert.
({7})
Es ist schön - das haben wir hier mehrfach betont -,
dass Sie nach Fukushima dazugelernt haben;
({8})
aber das reicht nicht aus, um eine Energiewende einzuleiten.
({9})
In Deutschland steigen Sie aus der Atomenergie aus, europäisch fördern Sie die Atomenergie jedoch weiter. Die
Erneuerbaren bremsen Sie aus, und bei Energieeffizienz
passiert gar nichts.
Auf den Homepages der beiden Ministerien kann man
sich anschauen, wie viel in Sachen Energieeffizienz passiert ist: Die meisten Papiere stammen noch aus der Zeit,
wo Sie noch nicht an der Regierung waren.
Die Minister sitzen jetzt einträglich nebeneinander.
Sonst hört man jeden Tag aus dem Wirtschaftsministerium etwas anderes als aus dem Umweltministerium.
Der Wirtschaftsminister sagt etwas, der Umweltminister
etwas anderes. Das hat uns im Umweltausschuss dazu
verleitet, beide Minister einzuladen. Es war natürlich
nicht möglich, sie auf einen Sitz zu kriegen.
({10})
Die Minister sind nacheinander zu uns gekommen. Herr
Altmaier hat im Prinzip das Gegenteil gesagt von dem,
was Herr Rösler im Ausschuss eine Stunde zuvor gesagt
hat. Das zeigt Ihre „Einigkeit“ in der Energiepolitik; die
gibt es in dieser Bundesregierung nämlich nicht. Die Einigkeit besteht allenfalls darin, dass Sie uneinig sind.
({11})
Das Einzige, wo Sie einig sind, ist - Herr Trittin hat es
schon gesagt -, die Erneuerbaren zu bremsen. Sie nennen es die Strompreisbremse. Ich glaube, es gibt im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium Berater, die Ihnen
gesagt haben: Es gibt beim Heizölpreis einen Anstieg; es
gibt beim Benzinpreis einen Anstieg. - Dort gibt es kein
EEG. Ein Kollege von der Union hat deswegen zu Recht
im Ausschuss gefragt - Herr Rösler war, glaube ich, dabei -: Wo, bitte schön, bleibt denn dann die Heizölpreisbremse und die Benzinpreisbremse? - Dazu haben wir
von Ihnen nichts gehört. Vielleicht können Sie ja heute
etwas dazu sagen.
({12})
Ich möchte enden mit einem Zitat von Herrn Töpfer
- ich hoffe, dass wir dabei nicht stehen bleiben -, der
einmal gesagt hat:
Die Lobbyisten der Vergangenheit sind stärker als
die Lobbyisten der Zukunft.
Im Energiebereich hat das jahrelang nicht gegolten: weil
wir die Erneuerbaren ausgebaut haben, weil wir einen
Atomausstieg gewagt haben. Aber im Augenblick habe
ich das Gefühl, Sie wollen keine Energiewende, Sie wollen zurück zum Atom; einige Stimmen haben wir dazu
schon gehört. Sie wollen die Erneuerbaren ausbremsen
und am Ende sagen: Sehen Sie, es klappt doch alles
nicht; wir müssen die Atomanlagen länger laufen lassen. Das ist Ihre Politik. Wir werden versuchen, das zu verhindern.
({13})
Als nächster Redner hat jetzt der Kollege Michael
Kauch von der Fraktion der FDP das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte ich doch noch einmal festhalten, wie unerträglich ich es finde, dass die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, die es nicht einmal für
nötig hält, hier heute in die Debatte zu kommen, sich
hinstellt und behauptet, es gebe 16 000 Tote wegen Fukushima. Hier wird ganz bewusst die Unwahrheit gesagt,
um das Thema „nach oben zu ziehen“. Das finde ich ausgesprochen unanständig, meine Damen und Herren von
den Grünen.
({0})
Ich möchte auch festhalten, dass es die schwarz-gelbe
Regierung ist, die schneller als Rot-Grün aus der Kernkraft aussteigt.
({1})
Wir haben diese Beschlüsse gefasst.
({2})
Ich komme nun zu dem, was der Kollege Trittin gesagt hat. Er hat davon gesprochen, wie toll Sie die erneuerbaren Energien ausgebaut haben.
Im letzten Jahr von Herrn Trittin als Umweltminister
lag der Anteil der erneuerbaren Energien bei 10 Prozent.
In der gesamten letzten Wahlperiode, in der Sie Umweltminister waren, haben Sie den Anteil der erneuerbaren
Energien um 2,3 Prozentpunkte gesteigert.
({3})
Es gab dann den Umweltminister Gabriel, den heutigen SPD-Vorsitzenden. Der Anteil der erneuerbaren
Energien lag zu seiner Zeit bei 16 Prozent; der Zubau
betrug 6,3 Prozentpunkte.
Die Bilanz dieser Koalition sieht so aus: 25 Prozent
Anteil am Strom, plus 8 Prozentpunkte. Wir sind besser,
als Sie es je waren.
({4})
Das wird ganz besonders deutlich, wenn wir uns einmal angucken, was Sie zum Beispiel in Bezug auf den
Solarstrom gemacht haben: Der Zubau unter Herrn
Trittin betrug 2005 0,9 Gigawatt. Im letzten Ministerjahr von Herrn Gabriel betrug er 3,8 Gigawatt.
Diese Koalition hat die Gesamtinstallation von 2009
in Höhe von 9,9 Gigawatt auf über 30 Gigawatt mehr als
verdreifacht. Und da behaupten Sie, wir würden die Erneuerbaren stoppen! Das Gegenteil ist der Fall. Nie war
der Ausbau der erneuerbaren Energien so stark wie unter
der christlich-liberalen Koalition.
({5})
Dass wir es trotz dieses dynamischen Ausbaus, der
Verdreifachung der Solarkapazität, geschafft haben, die
Vergütungssätze um über 60 Prozent abzusenken, zeigt,
dass man an dieser Stelle auch die Kosten im Griff behalten kann.
Sie haben uns bei jeder Kürzung gesagt: Es wird
nichts mehr installiert. - Das Gegenteil war der Fall.
Nach jeder Kürzung ging der Ausbau weiter. Das zeigt
doch: Sie haben keine Ahnung vom Markt. Sie wollen
nur entsprechend hohe Vergütungssätze für diejenigen
erhalten, die davon profitieren, für Ihre Klientel. Wir
denken an die Bürgerinnen und Bürger und schaffen es
gleichzeitig, dass die Erneuerbaren nicht abgewürgt werden.
({6})
Meine Damen und Herren, die Ausbauzahlen zeigen
auch, dass die erneuerbaren Energien erwachsen werden,
und wer erwachsen wird, dem muss man auch mehr abverlangen können. Das bedeutet, dass die Produzentinnen und Produzenten von Solarstrom und von Strom aus
anderen erneuerbaren Energien auch Verantwortung für
die Versorgungssicherheit übernehmen müssen.
({7})
Deshalb ist es richtig, dass wir stärker in Richtung Direktvermarktung gehen. Sie müssen sich, wie jeder andere Produzent von Gütern in diesem Land auch, einen
Kunden für ihren Strom suchen.
({8})
Wir müssen auch daran denken, dass die Förderung
der erneuerbaren Energien von jemandem bezahlt werden muss.
({9})
Deshalb ist es nicht irrelevant, dass wir über Kosten
sprechen. Viele Bürgerinnen und Bürger könnten es sich
eben nicht leisten, wenn die Kosten ungebremst steigen
würden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesumweltminister hier entsprechende Vorschläge gemacht haben.
Wir denken die erneuerbaren Energien anders als Sie.
Wir denken sie stärker als Energiesystem, und wir denken daran, dass das Ganze am Schluss auch jemand bezahlen muss.
({10})
Das ist vernünftige, rationale Energiepolitik.
Vielen Dank.
({11})
Für die Fraktion die Linke spricht jetzt die Kollegin
Dorothée Menzner.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Aus Fukushima zu lernen, heißt nicht: AKW müssen sicherer werden. Nein,
sie gehören abgeschaltet, und zwar unverzüglich.
({0})
Atomenergie ist ein globales Problem. Kein Land dieser
Welt weiß, wohin mit seinem strahlenden Müll. Die
Atomkonzerne sind globale Konzerne, und die Strahlung
ist ebenfalls global. Sie macht an keiner Ländergrenze
halt.
Die Folgen sind langfristig, wenn es zu einem Unfall
kommt. Das wissen wir aus eigener leidvoller Erfahrung.
Für diejenigen von Ihnen, die es vielleicht nicht wissen:
Bis heute, 27 Jahre nach Tschernobyl, müssen neun von
zehn in Teilen des Bayerischen Waldes gejagten Wildschweinen vernichtet werden, weil sie zu hoch mit
Strahlen belastet sind. Und das nach 27 Jahren!
Deutschland ist nach wie vor ein Teil des Problems.
Ja, es ist richtig: Vor zwei Jahren haben wir hier einen
Beschluss zum Ausstieg gefasst. Neun AKW sind damals vom Netz gegangen. Aber der Ausstieg erfolgte
nicht schnellstmöglich. Wir als Linke haben nachgewiesen, dass er deutlich zügiger und schneller möglich gewesen wäre.
Der Ausstiegsbeschluss, der damals gefasst wurde, ist
nicht unumkehrbar. Das heißt, jede neue Parlamentsmehrheit kann ihn revidieren. Außerdem erleben wir,
dass der Druck auf uns alle, diese Meinung zu ändern,
sehr groß ist.
Und: Deutschland ist nach wie vor globaler Player im
nuklearen Geschäft. Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen: Die Urananreicherungsanlage in
Gronau produziert weit mehr, als die deutschen Anlagen
brauchen. Weiter sind zu nennen: die Brennelementeproduktion in Lingen, der Export von Atomkraftwerkstechnik und Investitionen in AKW in anderen Ländern; hier
möchte ich als Beispiele nur Brasilien, die Türkei und
Saudi-Arabien anführen.
Des Weiteren ist Deutschland nach wie vor Teil des
Euratom-Vertrags. Wir nehmen aber keine Initiativen
wahr, um diesen Vertrag aufzulösen oder aus dieser Staatengemeinschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Atomkraft zu fördern und auszubauen, auszusteigen.
({1})
Ich sehe von dieser Bundesregierung keine Initiative
dazu.
Gerade neulich haben wir im Umweltausschuss gehört, dass sich die Bundesregierung auf das Prinzip der
Nichteimischung beruft, wenn wir an die Gefahren erinnern, die von maroden, alten Kraftwerken in anderen
Ländern dicht hinter der deutschen Grenze ausgehen.
Ich habe am Montag deutsche Initiativen im Saarland
besucht, die sich mit Cattenom beschäftigen. Es schaudert einen, wenn man ihre Berichte über Cattenom hört,
wenn sie berichten, dass die Anlage nur alle zehn Jahre
einer Grundrevision unterzogen wird, wenn sie von freiliegenden Armierungsstählen an der Betonkuppel berichten, wenn sie berichten, dass bei der Revision zwei
Arbeiter tödlich verletzt wurden, weil ein Gerüst nicht
richtig verankert war. Klar, das ist kein nuklearer Unfall,
aber wenn solche Unfälle passieren, deutet dies zumindest auf Sicherheitsmängel hin. Dann möchte ich nicht
wissen, wie es im nuklearen Teil der Anlage aussieht.
Herr Altmaier, ich gehe davon aus, dass Sie als Saarländer dies und noch eine ganze Menge mehr berichten
und uns erzählen könnten. Aber Wissen allein reicht
nicht aus. Handeln ist das Gebot der Stunde nach all den
Erfahrungen, die die Menschheit mit dieser Technik in
den letzten Jahren und Jahrzehnten machen musste: in
Sellafield, in Harrisburg, in Tschernobyl und in Fukushima.
({2})
Ich meine, es waren genug dramatische Unfälle, die reichen sollten, dass die Menschheit dazulernt.
Vor zwei Jahren haben wir hier alle unsere Trauer und
Solidarität mit den Japanerinnen und Japanern bekundet.
Ich war seither viele Wochen und zu verschiedenen Terminen in ganz Japan unterwegs. Es ist richtig: Japan
braucht unsere Solidarität, und zwar nach wie vor.
({3})
Gerade gestern habe ich mit einer japanischen Delegation hier im Haus gesprochen. Sie haben mir berichtet,
dass der deutsche Atomausstieg damals zwar eine große
Hoffnung verbreitet hat, dass sie aber das Gefühl haben:
Wir kommen nicht weiter. - Sie wünschen sich Unterstützung und Solidarität beim Ausbau erneuerbarer
Energien in Japan. Wir alle wissen, dass dieses Land aufgrund von Sonne, Wind und Gezeiten dafür noch viel
besser geeignet ist als Deutschland.
Die Japaner waren ganz erstaunt, als sie hörten, dass
erneuerbare Energien bei uns inzwischen ein Arbeitsmarktmotor sind. Es ist in Japan nämlich nicht bekannt,
dass es in diesem Bereich fast 400 000 Arbeitsplätze
gibt. Das ist ein Argument in einem Land, das von einer
Wirtschaftskrise geschüttelt wird.
({4})
Japan braucht Unterstützung bei der gesundheitlichen
Versorgung; IPPNW hat diese Woche dramatische Zahlen vorgelegt. Japan braucht weiter Unterstützung und
Solidarität bei der Bewältigung des Desasters. Selbst
Tepco rechnet mit 40 Jahren, bis die Anlage zurückgebaut und stabil ist. Nicht zuletzt die fast 80 Prozent der
Japanerinnen und Japaner, die sich jetzt gegen Atomkraft wenden, brauchen unsere Solidarität und die Unterstützung der deutschen Anti-AKW-Bewegung.
({5})
Der deutsche Miniausstieg hat in Japan Mut gemacht.
Ich finde, wir sollten die richtigen Konsequenzen ziehen
und unseren Ausstieg konsequent fortschreiben und wasserdicht machen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Bundesumweltminister Peter
Altmaier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Fukushima war mehr als ein tragischer technischer Unfall. Fukushima war eine Zeitenwende. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir eines Tages, im Abstand
von 20, 30 oder 40 Jahren, feststellen werden, dass mit
dem Tag des Unfalls von Fukushima die Kernenergie
keine Zukunft mehr hatte und die Entwicklung - auch
weltweit - zum ersten Mal nicht nur auf einen weiteren
Ausbau, sondern in Richtung auf einen Ausstieg aus der
Kernenergie eingeleitet wurde.
Ganz sicher war es das Ende der Kernenergie in
Deutschland. Wir haben in Deutschland die Konsequenzen gezogen, und wir haben sie mit großer und mit eindrucksvoller Mehrheit gezogen. Es gibt keine andere
Frage, die in der deutschen Innenpolitik in den letzten
30 oder 40 Jahren so heftig umstritten war wie die Frage
der friedlichen Nutzung der Kernenergie.
Ich weiß, wie schwer es vielen meiner Kollegen und
teilweise auch mir selber gefallen ist, nachdem wir über
30 oder 40 Jahre mit dafür gesorgt haben, dass Kernenergie in Deutschland sicher und ohne schwere Unfälle
und Zwischenfälle genutzt worden ist, zu sagen: Wir ziehen einen Schlussstrich, weil wir nach Fukushima überzeugt sind, dass diese Energieart langfristig technisch
nicht sicher beherrschbar ist, und weil wir einen Beitrag
zum gesellschaftlichen Frieden leisten wollen.
Lieber Kollege Trittin, ich hätte mir an einem Tag wie
heute auch gewünscht, dass wir einmal nicht nur polarisieren und polemisieren, sondern anerkennen, welche
die demokratischen Parteien übergreifende Kraft diesem
Parlament innewohnt, dass es zu solchen richtunggebenden Entscheidungen fähig ist.
({0})
Deshalb wäre es vielleicht gut gewesen, wenn Sie an
diesem Tag einmal keine Wahlkampfrede, sondern eine
staatsmännische Rede gehalten hätten.
({1})
Ich sage Ihnen voraus - ich bin in Gesprächen mit unseren Partnern in Europa, aber auch weltweit -, dass bei
der Frage, wann und in welchen Schritten auch andere
Länder den Ausstieg aus der Kernenergie in Angriff nehmen und den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien finden, viel davon abhängt, wie es uns in Deutschland gelingt, nicht nur mit dem Ausstieg fertig zu
werden, sondern auch unsere Energieversorgung schrittweise auf erneuerbare Energien umzustellen.
Lieber Kollege Trittin, da möchte ich Sie auf einen
Irrtum hinweisen. Die Energiewende für erneuerbare
Energien, die Sie wollen, die ich möchte, die wir alle
wollen,
({2})
ist nicht dann ein Erfolg, wenn das letzte Kohlekraftwerk und das letzte Atomkraftwerk geschlossen und
durch Windräder und Solardächer ersetzt sind, sondern
dann, wenn wir diese Energiewende so organisieren,
dass Deutschland eine umweltverträgliche, CO2-neutrale
Energieversorgung hat und immer noch eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften dieser Welt ist; denn
nur dann werden andere Länder diese Energiewende
übernehmen und bei sich umsetzen.
({3})
Ich hätte mich gefreut, lieber Kollege Trittin, wenn all
die Hausaufgaben, die dafür notwendig sind, gemacht
worden wären. Dann hätte ich jetzt viel mehr Zeit, um
für die Energiewende zu werben.
({4})
Das tue ich sowieso. Aber wir wussten bereits im Jahr
2000 - wenn Sie Ihren eigenen Anspruch ernst genommen haben, wussten Sie das -, wie viele Leitungen wir
bei einem erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren im
Jahr 2013 brauchen würden. Wenn man weiß, dass es
zehn Jahre dauert, um eine solche Leitung zu bauen,
dann frage ich mich: Wo sind denn Ihre Leitungen heute,
Leitungen, die wir dringend bräuchten, damit Strom
nicht abgeregelt werden muss, sondern denen zugutekommt, die ihn brauchen?
({5})
Lieber Kollege Trittin, es war doch klar, dass die ersten 25 Prozent erneuerbare Energien eine ganz andere
Herausforderung darstellen als die zweiten 25 Prozent.
Wenn man erneuerbare Energien zu Beginn mit hohen
Subventionen und Zuschüssen ermuntert, in den Markt
einzutreten,
({6})
dann stellt das für die Menschen insgesamt keine große
Belastung dar. Wenn Sie aber 25 Prozent, 30 Prozent,
40 Prozent oder 50 Prozent erneuerbare Energien haben
und Geld für Einspeisevergütungen und das Bereithalten
von Reservekapazitäten in einer Größenordnung zahlen,
die deutlich über dem Börsenstrompreis liegt, der in anderen Ländern bezahlt wird, dann ist das nicht neutral
für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deshalb sind
das keine Peanuts, sondern zentrale Fragen der Energiewende. Sie haben das nicht geschafft. Wir werden Ihnen
zeigen, wie das geht.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
über Zahlen diskutiert. Ich habe als Umweltminister mit
großem Interesse die Aussagen meiner Vorgänger gelesen - Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel -, welche Kosten die Energiewende für den Stromkunden verursacht.
Wenn Sie jetzt sagen, die Zahlen des Kollegen Altmaier
würden von Instituten infrage gestellt und kritisiert, dann
wissen Sie: Das sind zum Teil genau die Institute, deren
Prognosen in den letzten zehn Jahren mit aller Regelmäßigkeit falsch waren. Das beeindruckt mich nun überhaupt gar nicht.
({8})
Es waren dieselben Experten, die uns noch vor einiger
Zeit gesagt haben: Der Preis für eine Kilowattstunde
wird nicht über 3,5 Cent steigen. Es waren dieselben Experten, die gesagt haben: Die Börsenstrompreise werden
weltweit steigen, und mit dem, was wir dann über die
Differenzkosten erlösen, können wir den Neuausbau aus
der Westentasche finanzieren.
Tatsächlich sind die Börsenstrompreise weltweit im
Sinkflug. Tatsächlich steigen die Differenzkosten. Tatsächlich muss der Stromkunde in diesem Jahr voraussichtlich 20 Milliarden Euro für Einspeisevergütungen
zahlen, und der Betrag steigt in den nächsten Jahren regelmäßig an.
({9})
Deshalb ist die Frage der Bezahlbarkeit elektrischer
Energie nicht nur eine Frage, die viele Rentnerinnen und
Rentner und Familien mit niedrigen Einkommen betrifft;
({10})
es ist eine Frage, die unsere Volkswirtschaft insgesamt
berührt, und deshalb muss sie gelöst werden.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Kollege Kelber, ich habe nicht nur Vorschläge für die Strompreisbremse gemacht,
({12})
die darin bestehen, dass man irgendwo etwas einspart;
ich habe auch Vorschläge gemacht, um die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Dazu gehört, dass wir die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen zum ersten
Mal seit 13 Jahren nicht weiter ausweiten, sondern einschränken.
({13})
Diese Vorschläge habe ich gemacht. Wir verhandeln inzwischen mit den Ländern darüber.
({14})
Ich warte bis zum heutigen Tag auf ein gemeinsames
Konzept von SPD- und grün-regierten Ländern und Ihren Bundestagsfraktionen dazu, an welcher Stelle gespart werden soll und wie Sie Ihre lautstarken Ankündigungen in die Praxis umsetzen wollen.
({15})
Tatsächlich geht es bei Ihnen zu wie bei Hempels unterm
Sofa, und Sie sind sich in keiner dieser Fragen einig.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich biete Ihnen eines an: Wenn wir gemeinsam überzeugt sind, dass
die Energiewende richtig ist, wenn wir es gemeinsam für
einen Erfolg halten, dass wahrscheinlich in diesem Jahr
in Deutschland mehr erneuerbarer Strom produziert
wird, als es bislang der Fall war, wenn wir wollen, dass
die Energiewende weitergeht, wenn wir wollen, dass der
Standort Deutschland nach Abschluss der Energiewende
nicht schwächer, sondern stärker dasteht, wenn wir all
das wollen, dann haben wir auch ein gemeinsames Interesse daran, nicht nur die Frage der Preisentwicklung aus
dem Wahlkampf herauszuhalten,
({17})
sondern auch dafür zu sorgen, dass die Entwicklung so
organisiert wird, dass der Strom in Deutschland heute,
morgen und übermorgen bezahlbar ist.
({18})
Sie haben die Chance, dabei mitzumachen. Wir werden
Sie aus dieser Verantwortung nicht entlassen.
Vielen Dank.
({19})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Matthias Miersch.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Altmaier, so staatstragend war das eben
nicht.
({0})
Eines kann ich Ihnen schon versprechen: Aus dem Wahlkampf werden wir dieses Thema ganz bestimmt nicht
heraushalten; denn an keinem anderen Thema kann man
so deutlich die Unzulänglichkeit der schwarz-gelben Regierung dokumentieren.
({1})
Man merkt Ihnen an, wie Sie sofort anspringen und
wie sehr Sie hier Ihre Energiepolitik rechtfertigen. Denn
Sie haben ein großes Problem: Sie müssen Ihre Persönlichkeitsspaltung, die Sie bei der Energiepolitik in dieser
Legislaturperiode zwangsläufig durchlitten haben, in irgendeiner Form bewältigen. Das klappt natürlich nicht.
Ich bin mir sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger Ihnen das nicht durchgehen lassen; denn, Herr Minister
Altmaier, es ist erst zwei Jahre her, dass Sie an diesem
Pult standen und als Parlamentarischer Geschäftsführer
der CDU/CSU in einer Geschäftsordnungsdebatte die
Laufzeitverlängerung zugunsten der Atomkraftwerke
gerechtfertigt haben. Sie haben damals das entsprechende Gesetz als das umweltfreundlichste Gesetz, das
jemals in Deutschland beschlossen worden ist, bezeichnet. Das waren Sie vor zwei Jahren, Herr Minister
Altmaier.
({2})
Damit, Herr Kauch, hängt natürlich auch das zusammen, was wir seit 2000, seit dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss, erlebt haben. Sie haben seit 2000 - nicht
Sie persönlich, weil Sie damals noch nicht Mitglied des
Deutschen Bundestags waren, wohl aber Schwarz-Gelb alles blockiert, was die Energiewende in Deutschland
heute viel besser hätte aussehen lassen. Sie haben immer
weiter auf die Atomenergie und die Kohleenergie gesetzt
und den Ausbau der Erneuerbaren verhindert, und zwar
in jeder Abstimmung, die wir hier durchgeführt haben.
({3})
Lieber Herr Meierhofer, es sind nicht Ihre Erfolge.
Der Ausbau der Erneuerbaren, den wir heute feiern können - das machen wir ganz deutlich -, ist nicht auf Ihre
Politik zurückzuführen. Trotz Ihrer Politik bauen wir die
Erneuerbaren aus, ich betone: trotz Ihrer Politik.
({4})
Was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren in einem
zentralen Punkt, der alle Bürgerinnen und Bürger sowie
die Wirtschaft betrifft, geschaffen haben, ist Verunsicherung. Diese Verunsicherung, Herr Minister Altmaier,
können wir bis zum heutigen Tag spüren. Sprechen Sie
mit Investoren aus dem Bereich der Erneuerbaren. Diese
werden Ihnen sagen: Die Banken finanzieren nichts
mehr, weil wir nicht mehr wissen, was Regierungspolitik
ist, weil wir nicht wissen, wie verlässlich die Pläne sind.
Im Zweifelsfall können wir die Pläne gar nicht erkennen,
weil zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltministerium keine Abstimmung erfolgt. - Das ist Ihre
Politik.
({5})
Herr Minister Altmaier, wenn wir schon bei der
staatstragenden Rede sind, dann muss ich sagen, dass
Tage wie heute bzw. solche Wochen dazu dienen müssten, den Menschen zu erklären, warum wir von der
Atomkraft weg wollen. Sie hätten zum Beispiel einmal
auflisten können, welche volkswirtschaftlichen Kosten
damit verbunden wären, wenn wir diesen Weg nicht ginDr. Matthias Miersch
gen. Uns liegen die Berechnungen von Sir Nicholas
Stern vor, die aufzeigen, welche volkswirtschaftlichen
Kosten entstünden, wenn wir nicht umsteuern und in Europa und weltweit weiter auf klimaschädliche Kohlepolitik setzen. Anhand der volkswirtschaftlichen Folgelasten
von Fukushima können wir genau sagen, was es für die
Allgemeinheit, für die Steuerzahler etc. bedeutet, wenn
wir nicht umsteuern und solche Unfälle billigend in Kauf
nehmen. Was aber machen Sie? Sie sprechen nicht von
diesen Folgen, sondern malen eine völlig unsubstanziierte Zahl von 1 Billion Euro Folgekosten an die
Wand. Das ist nicht staatsmännisch. Das ist eines Umweltministers nicht würdig. Sie müssen für diese Energiewende brennen und dürfen sie nicht verteufeln, lieber
Herr Kollege Altmaier.
({6})
- Ja, Herr Goldmann. Sie bekommen eine Antwort darauf. Wenn Sie sagen, dass das bezahlbar sein muss,
dann begehen Sie gleich den nächsten Fehler. Sie verteufeln die Energiewende wiederum, wenn Sie sagen, dass
sie angeblich nicht bezahlbar sei. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kollege Goldmann, wer
meint, dass die alte Energiepolitik - Kohle und Atom billig gewesen sei und erneuerbare Energien etwas kosten, der lügt. Das sage ich hier an dieser Stelle.
({7})
Auf Seite 1 des Papiers, das der Kollege Herr
Altmaier vorgelegt hat, steht: All das, was ich hier vorstelle, kann dazu führen, dass der Strompreis weiter ansteigt. - Warum schreiben Sie das? Sie schreiben das,
weil Sie an die Wurzel des Übels nicht herangehen. Die
Erneuerbaren senken augenblicklich Großhandelspreise
etc. Aufgrund der Systematik kommt diese Senkung bei
den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber nicht an.
An dieser Stelle hätten Sie ansetzen müssen, Herr Minister, und dafür sind Sie zuständig.
({8})
Wir erleben aber genau das Gegenteil.
Das konnten wir auch in der Sitzung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages in dieser Woche
feststellen. Wir haben Sie und Herrn Rösler eingeladen,
um von Ihnen zu hören, welche Strategie Sie verfolgen.
Das Erste ist - und das zeigt eigentlich schon alles -,
dass Sie nicht bereit gewesen sind, gemeinsam vor dem
Umweltausschuss aufzutreten. Herr Trittin hat sicherlich
auch seine Erfahrungen damit gemacht. Zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium gibt es immer Reibung. Wenn diese Reibung aber genutzt wird,
kann sie Wärme erzeugen, und dann ist das positiv. Sie
aber gehen absolut planlos vor.
Zweitens haben Sie kein Konzept. Das erkennt man
am besten an dem von Ihnen eingerichteten Energie- und
Klimafonds, mit dem Sie eigentlich Klimaschutzprojekte bzw. Energiewendeprojekte fördern wollen. Wir
sagen Ihnen seit mindestens zwei Jahren, dass das nicht
funktioniert, weil Sie die Einnahmen, die Sie an die
Wand gemalt haben, niemals erzielen werden. Erst wollten Sie die Einnahmen von den Atomkonzernen aufgrund der Laufzeitverlängerung. Jetzt wollen Sie diese
Einnahmen durch den Emissionshandel erzielen. Beides
klappt aber nicht. Wir haben in diesem Fonds, mit dem
die Energiewende organisiert werden soll, augenblicklich eine Lücke von über 1 Milliarde Euro in diesem Jahr
und von noch einmal mindestens 1 Milliarde Euro im
nächsten Jahr. Herr Minister Altmaier, wir haben Sie gefragt, wie Sie hier vorgehen wollen. Sie haben keine
Antwort.
Das ist ein Symbol schwarz-gelber Energiepolitik: Sie
können das einfach nicht. - Hoffentlich geht es ab September mit einer anderen, mit einer originalen Politik
weiter. Deswegen streiten wir hier. Sie haben in der
Energiepolitik kläglich versagt.
Danke.
({9})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Angelika Brunkhorst.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte das Hauptaugenmerk meiner Rede auf einen
ganz anderen Teil der Debatte richten, nämlich auf den
in der Tagesordnung zuletzt genannten Antrag der Grünen, über den heute immerhin namentlich abgestimmt
werden soll. Davon war bisher noch gar nicht die Rede.
In diesem Antrag wird die unverzügliche Stilllegung der
Kraftwerke in Cattenom und Fessenheim gefordert. Es
gab eine ganze Reihe anderer Anträge dazu. Ich komme
nachher auch noch auf die Vergangenheit zu sprechen.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass die EU jedem
Mitgliedstaat das Recht einräumt, die Struktur seiner
Energieversorgung eigenverantwortlich und souverän zu
bestimmen. Deutschland hat, wie wir wissen, nach den
Erkenntnissen der Katastrophe von Fukushima 2011 entschieden, acht Kernkraftwerke sofort stillzulegen und
weitere neun Kernkraftwerke beschleunigt bis 2022 vom
Netz zu nehmen. Wir wollen möglichst umgehend eine
bezahlbare, sichere und ökologische Energieversorgung
forcieren, die weitgehend auf erneuerbaren Energien basiert. Dazu stehen wir auch. Da kann sich Herr Miersch
noch so aufregen. Es ist auch gar nicht gesund, sich so in
Rage zu reden, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind auf einem guten Weg.
({0})
In Frankreich gibt es eine ganz andere Entscheidung,
auch wenn es mit Herrn Hollande dort einen anderen
Staatspräsidenten gibt. Auch wenn er gesagt hat, er
wolle den Anteil der Kernenergie auf 50 Prozent zurückführen, muss man doch erkennen, dass Frankreich nach
wie vor vorwiegend auf die friedliche Nutzung der Kernenergie setzt. Deshalb nützt es gar nichts, wenn Sie in Ihrem Antrag immer wieder von der Hochrisikotechnologie sprechen. Das wird nicht dazu geeignet sein, die
Souveränität Frankreichs infrage zu stellen.
({1})
Es gibt viele souveräne Staaten in Europa. Es gibt
welche, die gar nicht auf Kernkraft gesetzt haben, und es
gibt andere, die es getan haben. Es gibt sicherlich auch
Staaten, die erstaunt oder sogar anerkennend auf
Deutschland schauen und sehen, wie wir das hier regeln.
Sie räumen vielleicht ein, dass sie die Energiewende
nicht wie Deutschland auf den Weg gebracht haben; aber
bei aller Anerkennung, die sie vielleicht für das deutsche
Modell haben, wollen sie deshalb nicht automatisch das
deutsche Modell adaptieren.
Es gibt ganz klare Zuständigkeiten für die sicherheitstechnischen Regelungen. Die Bundesregierung hat nun
einmal nicht die Zuständigkeit, die sicherheitstechnischen Kriterien der französischen Anlagen zu bewerten.
Die Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom
25. Juni 2009 bestimmt, dass die sicherheitstechnische
Bewertung der Anlagen von den jeweiligen Staaten auf
der Basis der nationalen Regelwerke vorzunehmen ist.
Die sicherheitstechnische Bewertung konkreter französischer Kernkraftwerke wie Cattenom und Fessenheim obliegt der französischen Aufsichtsbehörde ASN. Sie wird
eigenverantwortlich ihre Entscheidungen treffen. Die
Auflagen, die sie an den Weiterbetrieb stellt, wird sie sicherlich streng und verantwortlich erfüllen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihr
Antrag tendiert an einer Stelle dazu, der Bundesregierung zu unterstellen, sie bemühe sich nicht ausreichend,
einen bilateralen Dialog mit Frankreich zu führen.
({2})
Das müssen wir weit von uns weisen; denn das ist wirklich nicht so. Es ist vielmehr so, dass Deutschland und
Frankreich auf bilateraler Ebene in einem ständigen
Austausch stehen, und zwar in der Deutsch-Französischen Kommission, wo regelmäßig Informationen und
Erfahrungen ausgetauscht werden. Die grenznahen Bundesländer wie das Saarland, Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg nehmen an diesen Sitzungen teil. Sie können dort die sicherheitstechnischen Bedenken und Anliegen der grenznahen Bevölkerung einbringen.
Die Inhalte der Sitzungen der Deutsch-Französischen
Kommission, die da sind: Strahlenschutz, nukleare Sicherheit, Betriebserfahrungen, Ereignisse, Nachrüstungen und Verbesserungen, werden von einem weiteren
europäischen Gremium getoppt. Es handelt sich um die
ENSREG, eine hochrangige Gruppe von atomrechtlichen Aufsichtsbehörden, die einen Aktionsplan aufgestellt hat, der in nationale Aktionspläne umgesetzt
wurde. Im April wird ein Workshop stattfinden, wo diese
Aktionspläne vorgestellt und ganz konkrete Handlungsanweisungen erarbeitet werden.
Frau Kollegin Brunkhorst.
Ja, ich bin so weit.
Der Kollege Nink möchte Ihnen eine Zwischenfrage
stellen. Erlauben Sie das zum Ende Ihrer Rede?
Der kann eine Kurzintervention machen. Ich möchte
zum Ende kommen.
({0})
- Keine Sorge, so habe ich es nicht gemeint.
Dann kommen Sie bitte zum Schluss.
Das wird eine sehr gute Plattform sein.
Ganz zum Schluss: Der Euratom-Vertrag wird von
der FDP als wichtiges Instrument betrachtet. Wir werden
auch in Zukunft zum Euratom-Vertrag stehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Eva
Bulling-Schröter das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fukushima war eine Zäsur; die Bundesregierung musste die absurde Verlängerung der Laufzeiten
von AKW zurücknehmen. Aber die Energiewende begann natürlich weit früher, und zwar unter dem Druck
der Anti-AKW-Bewegung. An dieser Stelle herzlichen
Dank an die zahlreichen Bürgerinitiativen, Windmüller,
Biobauern, Energiedörfer und Genossenschaften, an die
Familien, die sich Solarpanel aufs Dach schraubten, an
die Tüftler und Unternehmen, die diese zuverlässige
Technik entwickelt haben!
({0})
Diese Technik steht immer preiswerter zur Verfügung.
Dafür hat auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gesorgt, das Herr Rösler am liebsten abschaffen will.
Zwei Jahre nach Fukushima scheinen sich nun die
Gegner der Energiewende gesammelt und in Stellung
gebracht zu haben.
({1})
Sie sitzen nicht nur in den alten Strom- und Automobilkonzernen, sondern vor allem auch im Bundeswirtschaftsministerium.
({2})
Aber diese üble Allianz kennen wir ja; sie sah unter RotGrün ähnlich aus.
Jetzt wird von Ihrer Seite zum Sturm geblasen. Auf
der einen Seite verhindert Herr Rösler den Umbau des
Stromsystems, indem er die Reformen beim Emissionshandel blockiert. Auf der anderen Seite ziehen Sie die
Debatte über die Verteilung der Kosten der Energiewende so auf, dass die erneuerbaren Energien unter Beschuss geraten, die Zukunftsenergien also, und nicht die
soziale Schieflage oder die Profite, die vielerorts damit
verdient werden.
({3})
Es ist schon irrwitzig, dass es die FDP ist, die das einzige marktnahe Instrument zum Klimaschutz zerschießen will. Dabei ist klar: Im System befinden sich fast
2 Milliarden CO2-Zertifikate zu viel; das entspricht
2 Milliarden Tonnen des Klimakillers CO2. Darum sind
die CO2-Zertifikatspreise im Keller. Es stimmt eben
nicht, Herr Kauch, dass dieser Überschussberg vor allem
durch mehr Effizienz, den schnellen Ökostromausbau
oder die Krise verursacht wurde. Nach Ihrer Philosophie
ist der bessere Klimaschutz für den Preisverfall verantwortlich; weil das Cap, die fixe Emissionsobergrenze,
eingehalten werde, gäbe es kein Problem. Genau so hat
es Herr Minister Rösler am Mittwoch im Ausschuss verkauft. Das Gegenteil ist richtig; denn das Cap wurde aufgebläht: Zwei Drittel der Überschüsse resultieren aus
CDM-Gutschriften aus dem Ausland. Die Hälfte dieser
Gutschriften ist aber faul, weil sie aus Projekten resultieren, bei denen kein zusätzlicher Klimaschutz stattfand.
Daraus folgt zumindest für jeden, der das System halbwegs begriffen hat: Wenn die überschüssigen CO2-Zertifikate nicht dauerhaft stillgelegt werden, führt das nicht
nur zu dauerhaft niedrigen Zertifikatspreisen, sondern
vor allem auch zu einem zusätzlichen CO2-Ausstoß.
({4})
Das aber ist das genaue Gegenteil von Klimaschutz; das
ist das völlige Scheitern des Systems, ja, fast eine Straftat an Mensch und Umwelt.
({5})
Der niedrige CO2-Zertifikatspreis schafft kaum Anreize für den Einsatz von Effizienztechnologien. So werden zum Beispiel moderne Gaskraftwerke gegenüber
Kohlemeilern benachteiligt, Stichwort: Irsching 5. Das
ist katastrophal; aber letztlich ist es nur eine Folge des
aufgeblähten Caps. Das läuft eben etwas anders, Herr
Kauch - Herr Rösler ist nicht da -, als im Erstsemester
Volkswirtschaftslehre.
Es geht natürlich nicht nur um Verständnisfragen; es
geht um Macht und Geld. Die Wahrheit ist: Sie wollen
die fossilen Kraftwerke im Spiel halten und bei den erneuerbaren Energien bremsen und verhindern, wo es
geht.
({6})
Sonst würden Sie jetzt nicht wieder alte, bereits gescheiterte Geschichten aus dem Hut ziehen wie Quotensysteme beim EEG. Sie würden sonst auch nicht Neuinvestitionen in den Bereichen Wind und Sonne abwürgen,
indem Sie die Einspeisevergütungen nachträglich streichen.
({7})
Sie würden sonst die energieintensive Industrie und die
Betreiber von Anlagen - Stichwort: Mindestumlage für
den Eigenverbrauch - nicht nur mit lächerlichen
700 Millionen Euro zur Kasse bitten; denn die Industrieprivilegien, für die die restlichen Stromkunden blechen, sind allein beim EEG achtmal so hoch.
({8})
Reden wir noch schnell über die Profite der Konzerne. Für 2012 erwarten allein die beiden größten
Stromkonzerne, Eon und RWE, einen irrwitzigen Gewinn von insgesamt über 19 Milliarden Euro. Das sind
3 Milliarden Euro mehr, als die gesamte Förderung der
erneuerbaren Energien den Stromkunden kostet. 19 Milliarden Euro Profit! Da reden wir nicht über Peanuts.
Diesen Profit machen dieselben, die andauernd herumjammern, ihre Kraftwerke rechneten sich nicht mehr, sie
brauchten zusätzliche Einnahmen, Stichwort „Kapazitätsmärkte“. Es ist immer die gleiche Geschichte: Die einen verdienen sich dumm und dämlich, und die anderen
bezahlen. Das ist Ihre Politik.
({9})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was mich in meinen Gesprächen mit Japanern in den
letzten Tagen am meisten erschüttert hat, war, zu hören,
dass der oberste gesundheitliche Berater der japanischen
Regierung auf die Frage, ob die nach dem Unglück in
Fukushima frei gewordene Strahlung für die Menschen
gefährlich sei, sagte, Menschen, die lächeln, habe die
Strahlung nichts an, nur wer sich gräme, dem könne die
Strahlung schaden.
({0})
- Das ist in der Tat unglaublich. - Ich dachte, da leben
wir doch in einem etwas anderen Land. Aber ich muss
sagen: Heute habe ich hier realitätsverweigernde Äußerungen vernommen, die dem nicht unbedingt nachstehen.
({1})
Herr Hirte und Herr Kauch sind stolz auf den Ausbau
der erneuerbaren Energien, brüsten sich, dass unter dieser Regierung der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangeschritten ist.
({2})
Wo wären wir denn, wenn wir Ihre Konzepte übernommen hätten? Wo wäre denn der Ausbau der erneuerbaren
Energien, wenn Sie damals, 2000, darüber zu entscheiden gehabt hätten. Das ist doch völlig absurd, was Sie
erzählen.
({3})
Herr Hirte, Sie haben den Atomausstieg angeblich
noch einmal forciert. Waren wir denn 2010 alle im Delirium, und haben wir uns etwas zusammengeträumt? War
es gar nicht so, dass Sie den Atomausstieg rückgängig
gemacht und die Atomkraftlaufzeiten verlängert haben?
({4})
Haben wir das geträumt, Herr Hirte, oder haben Sie
heute geträumt, als Sie diese Rede gehalten haben?
({5})
So etwas Absurdes habe ich noch nicht gehört.
Frau Brunkhorst, genauso absurd ist die ständige Erklärung: „Wir mischen uns nicht in die Energiepolitik
anderer Länder ein“, oder: Wir sind doch nicht die
Atomaufsicht von Frankreich. - Das ist doch keine Reaktion auf ein grenzüberschreitendes Risiko. Sie weigern
sich, ein grenzüberschreitendes Risiko anzuerkennen.
Genauso negieren das die Bundesregierung und Frau
Merkel.
({6})
Eine Bundesregierung hat den Auftrag, ihre Bevölkerung vor Risiken zu schützen.
({7})
Wenn die Begründung für den Atomausstieg, die wir in
diesem Haus gehört haben, stimmt - das Risiko der
Atomkraft sei der Gesellschaft in dem bisherigen Maße
nicht mehr zuzumuten; deshalb hätten wir Atomkraftwerke abschalten müssen, die Cattenom und Fessenheim
in nichts nachstehen -, dann gehört zu diesem Schutzauftrag auch, dass die Regierung bilaterale Gespräche
mit Frankreich aufnimmt, um zu eruieren, ob sie ihre Bevölkerung unter Wahrung der französischen Souveränität schützen kann. Nichts anderes fordern wir. Dass Sie
sich dem verweigern, das ist ein Skandal. Um das zu belegen, gibt es heute eine namentliche Abstimmung. Ich
bin sehr gespannt, wie Sie sich bei dieser Abstimmung
verhalten werden,
({8})
und ob Sie den Menschen im Saarland, in RheinlandPfalz und in Südbaden das Risiko weiter zumuten wollen.
Nein, Minister Altmaier, Atomausstieg ist mehr als
ein Abschaltplan für Atomkraftwerke. Dazu gehört ein
Ausstieg aus Kernfusion und Transmutation. Wer in
Kernfusion und Transmutation einsteigen will, der steigt
nicht aus der Atomkraft aus, der hat den Atomausstieg
nicht begriffen.
({9})
Dazu gehört eine Überarbeitung von Euratom. Dazu gehört der Ausstieg aus ITER. Außerdem gehören dazu
schärfere Sicherheitsanforderungen, auf die wir bis
heute vergeblich warten. Das alles sind Versäumnisse.
Das ist kein Atomausstieg. Das passt zu den Reden, die
wir hier gehört haben; aber das passt nicht zu dem, was
Sie 2011 in diesem Haus versprochen haben.
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Christian Ruck.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Auch zwei Jahre nach dem Tsunami in Japan
gilt den Menschen in der Region unsere Anteilnahme
und unser Mitgefühl, den Verletzten, den Angehörigen,
den Toten und den Traumatisierten. Unser Dank gilt aber
auch unseren Mitbürgern, die in großartiger Weise mit
ihren Spenden zur Linderung der Not in Japan beigetragen haben.
({0})
Aus dem Unglück in Japan können wir für diese Debatte
mitnehmen, dass wir uns in Fragen der Energie seriös
und mit dem nötigen Ernst beschäftigen, ohne Gegröle
und ohne sich gegenseitig zu unterstellen, man habe eine
versteckte Agenda.
Vor dem Hintergrund von Fukushima hat die Bundesregierung, hat die Koalition beschlossen, die zivile Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu beenden. 2022
wird das letzte AKW vom Netz gegangen sein. Die älteren Kollegen der Opposition wissen, dass auch ich im
Rahmen unseres Energiekonzepts für eine Verlängerung
der Laufzeiten der Kernkraftwerke war, um Geld und
Zeit zu gewinnen. Herr Bülow, ich muss bei Ihnen keine
Nachhilfe nehmen, um zu wissen, was damals die Motivation für unseren Beschluss war. Ich weiß besser als
Sie, was wir vorhatten. Dazu stehe ich nach wie vor.
({1})
Ich akzeptiere ohne Wenn und Aber die Entscheidung
der Koalition, unserer Partei, des Deutschen Bundestages. Ich akzeptiere aber nicht, dass aus parteitaktischen
Gründen immer wieder Unkenrufe von Rot-Grün kommen, wir nähmen den Ausstieg nicht ernst. Wir werden,
im Gegensatz zu Ihren damaligen Lippenbekenntnissen,
den Ausstieg vollziehen, und zwar ohne Wenn und Aber.
({2})
Ich akzeptiere auch nicht, Herr Hempelmann, Ihre
Häme,
({3})
die immer wieder an den Tag gelegt wird, wenn es
Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende
gibt.
({4})
Ich akzeptiere auch, dass sich die politische Landschaft geändert hat. Das ist für diese Diskussion sogar
von Vorteil; denn so können Sie sich mit Ihrer Mehrheit
im Bundesrat nicht länger aus der Verantwortung stehlen
und notwendige Maßnahmen wie die Gebäudesanierung
oder die EEG-Reform blockieren, ohne dass es die Menschen merken. Das nimmt Ihnen keiner mehr ab.
({5})
Es ist wahr, dass uns die Herausnahme der Kernkraftwerke aus unserer Energieproduktion vor massive Probleme stellt. Es ist aber auch wahr, dass wir Probleme
mit unserem eigenen Erfolg haben, nämlich dem massiven Aufwuchs der erneuerbaren Energien. Herr Miersch,
auch wenn Sie mit Ihrem Geschrei ins Mikrofon beißen:
Es ist wahr - das hat Herr Kauch sehr gut dargestellt -,
dass der Aufwuchs der erneuerbaren Energien vor allem
unter dieser Bundesregierung erfolgte. Das hat natürlich
Folgen. Die kann man auch ansprechen. Das hat übrigens auch ein gewisser Gabriel gestern getan; das ist
doch Ihr Parteivorsitzender. Die Volatilität ist dadurch
exorbitant gestiegen. Durch die absurde Ausgestaltung
des EEG gehen die Energiepreise nach oben, obwohl sie
anderswo fallen: In den Vereinigten Staaten zum Beispiel sind die Strompreise in letzter Zeit um 60 Prozent
gefallen. Bei uns sind sie in den letzten Jahren für die
normale Industrie um 20 Prozent, für die Verbraucher
um 25 Prozent gestiegen. Das hat natürlich bedrohliche
Folgen für unsere Wirtschaft. Über diese Folgen müssen
wir uns seriös auseinandersetzen, auch in einem Land
wie Nordrhein-Westfalen. Das kann unter die Haut gehen, wenn wir nicht aufpassen.
Man muss feststellen: Was auch unter unserer Regierung in den 90er-Jahren als Markteinführungsvehikel gedacht war, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz, hat
sich zu einer gigantischen Gelddruckmaschine entwickelt und ist längst von den Klimaschutzzielen abgekoppelt. Es kommt zu einer grotesken Entkoppelung innerhalb der eigenen Gesellschaft: zu einer Privatisierung
gigantischer Gewinne und zu einer Sozialisierung gigantischer Kosten.
({6})
Das muss doch auch die Opposition, das müssen sogar
Sie, Herr Kelber - französisch oder nicht -, kapiert haben.
Sie können die Auswüchse, die das annimmt, nicht
wollen. Ein Beispiel: Wenn für ein einziges Windkraftrad bis zu 80 000 Euro Pacht gezahlt wird, dann bedeutet
das den Ruin der normalen Landwirtschaft in Deutschland.
({7})
Das können wir nicht hinnehmen.
({8})
Angesichts dessen, was die Länder an Zubau planen,
muss doch auch Ihnen aufgefallen sein, dass die Planungen Ihrer Länder mit der vorausschauenden Planung der
Abnahme in keiner Weise übereinstimmen. Die ernüchternde Feststellung ist: Unser Ziel, mit unserer Energiewende Vorbild für die Welt zu sein, werden wir nicht erreichen, wenn wir jetzt nicht eingreifen.
Es wird immer gesagt, wir müssten uns um die Atomenergie anderer Länder kümmern. Erstens, Frau KottingUhl, finden Gespräche über die beiden französischen
Atomkraftwerke statt. Das kann auch Ihnen nicht entgangen sein.
({9})
Zweitens. Die beste Argumentation für einen Verzicht
anderer Länder auf Kernkraftwerke liefern wir, wenn es
uns gelingt, eine Technologie wettbewerbsfähig, also
auch bezahlbar zu machen, die bei uns und anderswo
Atomkraftwerke überflüssig macht.
Die SPD liefert uns hier ein absurdes Spektakel mit
der Verdrehung von Ursache und Wirkung, von Feuerwehr und Brandstifter; aber wenigstens ist sie aufgewacht.
({10})
Ich habe genau aufgepasst, was Herr Gabriel gestern gesagt hat. Obwohl eine Woche vorher Peter Altmaier noch
kritisiert wurde, weil er Kosten von 1 Billion Euro ins
Spiel gebracht hat - die übrigens zu niedrig angesetzt
sind, weil einige Posten gar nicht eingerechnet sind -,
({11})
hat Ihr Herr Gabriel gesagt: Die Volatilität ist zu hoch. Das ist erstaunlich. Er hat gesagt: Die Preise sind zu
hoch. - Auch das ist erstaunlich. Dann hat er gesagt: Der
CO2-Ausstoß ist zu hoch. - Herr Gabriel hat auch gesagt,
dass das die Analyse des gesamten Hauses sei. Das ist
doch prima. Dann ist es doch nur noch ein kleiner Schritt
- Wahlkampf hin oder Wahlkampf her -, zu gemeinsamem Handeln zu kommen.
({12})
Es ist wahr, dass die Energiewende eine Megaaufgabe
ist. Es ist auch wahr, dass wir Berechenbarkeit und Planbarkeit brauchen. Genauso wahr ist, dass wir unsere Anstrengungen erhöhen und die Vorgänge beschleunigen
müssen, aber auch Fehlentwicklungen korrigieren und
an anderer Stelle entschleunigen müssen. Wir halten an
unseren ehrgeizigen Zielen fest; aber wir müssen den
Ausbau der Erneuerbaren viel stärker mit dem Netzausbau synchronisieren. Wir müssen den Emissionshandel
neu strukturieren. Wir müssen zusehen, dass wir stärker
als bisher Themen wie Innovation und Technologie in
unsere eigene Politik einspeisen.
Wir müssen eine Abstimmung unter den Ländern herbeiführen. Das sind nicht nur unsere Länder, sondern
auch die der „Krafts“ und der „Kretschmanns“. Damit
bin ich wieder bei meiner These: Es hat keinen Sinn, mit
dem Finger auf andere zu zeigen. Wir brauchen ein Zusammenspiel von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat. Das sind wir den künftigen Generationen schuldig. Keiner wird später fragen: Habt ihr damals
Wahlkampf geführt oder nicht? Jetzt geht es darum, die
Blockaden zu beenden. Das gilt auch für Rot-Grün im
Bundesrat.
({13})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf
Hempelmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier! Wo ist er? - Dort oben in den Reihen der Abgeordneten.
Herr Abgeordneter, vielleicht darf ich Ihr Tête-à-Tête
unterbrechen. Wir führen eine gemeinsame Debatte in
diesem Haus, und Sie sind keine ganz unwichtige Figur
dabei.
Sie haben sich heute hier wieder breitbeinig hingestellt und erneut behauptet, dass Sie diejenigen seien, die
jetzt endlich mit dem Systemumbau beginnen, und RotGrün zwar den Bereich der erneuerbaren Energien ausgebaut, den Systemumbau aber nicht vollzogen hätte.
Ich sage Ihnen, was ich Ihnen schon gestern gesagt habe
- man muss es Ihnen offenbar jeden Tag sagen -: So
geht das nicht. Andere sind weiter: Die Unternehmen haben längst eingesehen, dass sie nach der Wurst, die ihnen
Ihre Kollegen von Schwarz-Gelb damals in Form von
Laufzeitverlängerungen hingehalten haben, niemals hätten greifen dürfen; denn dadurch wurde der Systemumbau zehn Jahre lang blockiert.
({0})
Sie haben dafür gesorgt, dass die Atomkraftwerksbetreiber, die zugleich Netzbetreiber waren und an den entsprechenden Schlüsselstellen des Systems saßen, diesen
Systemumbau niemals begonnen, niemals unterstützt haben. So viel auch zu Ihnen, Herr Dr. Ruck, wenn Sie
jetzt einfordern, wir, die Opposition, sollten die Blockade beenden. Lassen Sie uns doch wenigstens einmal
feststellen: Zehn Jahre lang haben Sie eine moderne
Energiepolitik, einen Systemumbau hin zu einer stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien behindert und
blockiert. Sie sollten das wenigstens einmal offen sagen.
({1})
In der heutigen Debatte geht es auch um einen Antrag
zum Thema Euratom. Wir sagen: Wir müssen den Euratom-Vertrag erneuern. Damit sind wir nicht allein. Es
gibt zum Beispiel einen EU-Kommissar namens
Oettinger, früher mal CDU-Ministerpräsident, der das
ganz genauso sieht. Im Übrigen haben auch Sie das
schon einmal so gesehen: Im Jahr 2007 hat die heutige
Kanzlerin die Schlussakte des Vertrags von Lissabon unterzeichnet. Darin stand eindeutig: Wir brauchen eine
Überarbeitung des Euratom-Vertrags, insbesondere in
Richtung mehr Sicherheit im Bereich der Erzeugung von
Strom in Anlagen zur atomaren Energieerzeugung.
({2})
Insofern glaube ich, dass diese Anträge sehr berechtigt
sind und eigentlich auch Ihre Unterstützung verdienten.
Herrn Oettinger wurmt im Übrigen, dass es keine
europäische Kompetenz für die Überwachung und Kontrolle der Sicherheit der 145 Atomkraftwerke in Europa
gibt. Er bedauert das. Allerdings hat ihm der EuGH, der
Europäische Gerichtshof, grundsätzlich schon in einer
Zeit grünes Licht gegeben, als er noch gar nicht Energiekommissar war, als er noch für die Atomenergie stritt. Er
ist aber, glaube ich, ein wirklich Bekehrter. Deswegen
möchte er diese europäische Zuständigkeit, wie auch der
Europäische Gerichtshof sie sieht.
Er hat immerhin Stresstest, Belastungsproben, für die
145 AKW durchgesetzt. Die Ergebnisse sind teilweise
dramatisch, auch für französische Atomkraftwerke, zum
Beispiel für Cattenom - deswegen sind die Fragen, die
auf die grenzüberschreitende Sicherheit von Atomkraftwerken abstellen, völlig berechtigt -, aber auch für die
17 deutschen Atomkraftwerke. Probleme wurden festgestellt bei Notstromaggregaten, beim Erdbebenschutz,
beim Überflutungsschutz, aber auch bei der passiven SiRolf Hempelmann
cherheit, zum Beispiel vor Flugzeugabstürzen. Wohlgemerkt: Das wurde bei den deutschen Atomkraftwerken
festgestellt. Der BUND in Deutschland bedauert, dass
die Probleme auch heute noch nicht beseitigt sind. Es
gibt Risiken durch Brände oder altersbedingte Ausfälle
von Sicherheitssystemen. Es gibt eine mangelhafte Sicherheitsarchitektur. Kein deutsches Atomkraftwerk ist
gegen den Ausfall der Stromversorgung gesichert. Genau das war die Ursache für die Probleme in Fukushima,
für den Austritt von Radioaktivität in Japan und die Explosion von zwei Reaktoren.
Klar ist: Die Atomkraftwerksbetreiber in ganz Europa
werden nicht freiwillig in die Sicherheit ihrer Anlagen
investieren. Es ist errechnet worden, dass es - dies ist
vermutlich lediglich ein erster Schritt - im Schnitt um
etwa 200 Millionen Euro pro Anlage geht. Deswegen
brauchen wir - das sagt EU-Kommissar Oettinger - eine
gemeinsame EU-Gesetzgebung für nukleare Sicherheit.
Er will im April einen Gesetzesvorschlag unterbreiten.
Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung dazu
stellen wird.
Übrigens sagte gestern ein Vertreter der Koalition:
Wenn wir das machen, wird es teuer, das verteuert dann
den Strompreis. Ich sehe einmal von der Tatsache ab,
dass er offenbar von der Merit-Order noch nichts gehört
und deshalb noch nicht gelernt hat, dass gerade Atomkraftwerke die größten Gewinne abwerfen, weil sie im
Vergleich zum konventionellen Kraftwerkspark die geringsten Brennstoffkosten haben. Weiter sehe ich von
der Tatsache ab, dass eine Verteuerung von Atomstrom
nicht unbedingt eine Erhöhung des Endpreises bedeuten
würde. Abgesehen von diesen beiden Tatsachen zeigt
das natürlich auch Ihre Prioritätensetzung bzw. an welcher Stelle für Sie die Sicherheit der Menschen hier im
Lande steht.
({3})
Es ist kein Zufall, dass Sie bei der Überarbeitung des
Euratom-Vertrags so zurückhaltend sind, wenn man
sieht, wie Sie mit dem Export von Atomtechnologien
umgehen. Wir waren - das ist hier schon angesprochen
worden - da schon einmal weiter. Es gab unter Rot-Grün
Leitlinien, die deutlich gemacht haben: Wenn man in einem Land aus der Atomtechnologie aussteigt, darf es
nicht sein, dass man Atomtechnologieexport mit Hermesbürgschaften unterstützt.
({4})
So weit waren wir schon. Wenigstens dahin sollten Sie
nach Ihrem Austrittsbeschluss - schon allein zur Steigerung Ihrer Glaubwürdigkeit - gelangen.
Wenn Sie im Übrigen wollen, dass die deutsche Energiepolitik international als Modell begriffen werden soll
- einer von Ihnen hat das gerade so gesagt -, müssen Sie
selbstverständlich in Ihrer Politik konsistent sein. Das
heißt, man muss dafür werben, dass uns andere auf diesem Weg folgen. Mindestens muss man dafür sorgen,
dass die Sicherheit der Atomkraftanlagen verbessert
wird. Auf gar keinen Fall darf man selbst zum Akteur in
diesem Markt werden. Dies darf schon gar nicht mit
politischen Instrumenten wie Hermesbürgschaften unterstützt werden.
Meine Damen und Herren, Angra in Brasilien ist nur
eines der Beispiele. Es gibt viele andere, die da drohen.
Möglicherweise wird Angra kein deutsches bzw. Hermesprojekt werden. Viele andere aber mit ähnlichen Problemen - dabei handelt es sich um Erdrutschgebiete, Erdbebengebiete usw. - sind in der Warteschleife.
Ich würde mir wünschen, dass es keine Abwartehaltung gibt, sondern ein klares Wort dieser Bundesregierung und möglichst auch dieser Bundeskanzlerin, dass
solche Exporte in Zukunft von der Bundesregierung
nicht unterstützt werden.
({5})
Wenn Sie wollen, dass die Menschen Ihnen abnehmen, dass Sie es mit dem Atomausstieg ernst meinen
- wir alle wollen das gerne glauben -, seien Sie in diesem Sinne konsequent und folgen Sie den Vorschlägen,
die wir heute gemacht haben.
({6})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Martin Lindner.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Man
kann zum deutschen Ausstieg aus der Kerntechnologie
stehen, wie man will. Man kann ihn für vernünftig halten
oder nicht. Richtig ist aber doch, dass wir ihn jetzt zu einer gemeinsamen Erfolgsstory machen müssen. Das ist
es doch, was dieses Haus eint und für das wir gemeinsam stehen.
({0})
- Sie schreien herum. Ich weiß, es ärgert Sie, dass da für
Sie persönlich und für Ihre Partei ein Thema weggerutscht ist. Man hat das gerade auch bei dem schäbigen
Versuch Ihrer Parteivorsitzenden Roth gemerkt, die vielen Toten dieser Tragödie für billige Parteipolemik und
Parteipolitik auszunutzen. Das ist ein wirklich ekelhafter
Versuch gewesen, aus dem Schicksal dieser Menschen
Kapital zu schlagen.
({1})
Wenn wir eine solche Entscheidung treffen, haben wir
auf der anderen Seite auch zu respektieren und zu akzeptieren, dass andere souveräne Länder andere energiepolitische Entscheidungen treffen und dass nicht automatisch das, was wir hier in Deutschland entscheiden, für
andere genauso vorbildhaft und nachahmenswert ist.
Ihre Anträge zu Euratom und Angra 3 zeugen von einer erheblichen Ignoranz. Die Welt richtet sich eben
nicht ausschließlich an Deutschland und Berlin aus. Zu28650
Dr. Martin Lindner ({2})
erst zu Ihren Euratom-Anträgen. Wissen Sie, wir führen
in den Ausschüssen Anhörungen durch. Zweck dieser
Anhörungen ist üblicherweise ein gewisser Erkenntnisgewinn.
({3})
Es gab, Herr Hempelmann, keinen Gutachter, der nicht
bestätigt hat, dass es rechtlich gar nicht möglich ist, den
Euratom-Vertrag zu kündigen, ohne gleichzeitig die EU
zu verlassen.
({4})
Das war eindeutig das Ergebnis. Das kann man auch
nachvollziehen. Die EU hat von Ländern wie Österreich,
die nach Gründung der Euratom in die EU eingetreten
sind,
({5})
verlangt, den Euratom-Vertrag zu unterschreiben, obwohl sie selber gar nicht Betreiber von Kernkraftwerksanlagen sind, weil im Euratom-Vertrag viele Dinge geregelt werden, die weit über das reine Betreiben von
Kernkraftanlagen hinausgehen.
({6})
Damit bin ich beim zweiten Punkt. Es geht dabei
nicht nur um eine Rechtsfrage, sondern es stellt sich natürlich auch die Frage, ob es für ein Land wie Deutschland vernünftig ist, aus einem Vertrag auszuscheiden, in
dem Strahlenschutz, Reaktorsicherheit und Entsorgungsfragen geregelt werden. Ist es nicht vielmehr unsere
Pflicht und Aufgabe, deutsche Technologie zur Verfügung zu stellen, mit am Drücker zu bleiben, mit über
diese Fragen zu entscheiden? Das, was Sie fordern, ist
doch völlig unvernünftig. Das wäre ein nationaler Alleingang. Das wäre unvernünftig und wird von uns abgelehnt. Das ist doch selbstverständlich.
({7})
Das andere Thema ist Angra 3. Hier rutschen Ihnen
regelmäßig die verschiedenen Ebenen durcheinander.
({8})
Es gibt drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Frage, welche nationale Energiepolitik ein Land macht. Wir machen einen Ausstieg aus der Kerntechnologie und einen
Einstieg in mehr regenerative Energien. Das ist unser
deutscher Weg. Wir versuchen, ihn zur Erfolgsstory zu
machen und ihn auch als Erfolgsmodell für andere Länder darzustellen. Aber wir müssen doch respektieren,
dass beispielsweise die Chinesen, die Inder und auch die
Brasilianer andere Wege in dieser Frage gehen.
Die zweite Ebene ist: Haben wir nicht ein deutsches
Interesse daran, dass in den Ländern, die sich nicht für
einen Atomausstieg entschieden haben, die im Gegenteil
sogar noch weitere Kernkraftwerksanlagen bauen, sichere deutsche Technologie zum Einsatz kommt? Haben
wir nicht ein deutsches Interesse daran, dass genau unsere Hochqualitätsanlagen in diesen Ländern für ein
Stück mehr Sicherheit, für ein Stück mehr Zuverlässigkeit dieser Kernkraftwerksanlagen sorgen? Das ist doch
in unserem deutschen Interesse.
({9})
Unser deutsches Interesse ist doch nicht, sich danebenzustellen und so zu tun, als gäbe es diese ganzen Sachen
nicht mehr.
Während der Debatte über den Atomausstieg war ich
einmal bei einer Podiumsdiskussion und habe eine Karte
gezeigt. Auf dieser waren 140 europäische Kernkraftwerksanlagen außerhalb von Deutschland eingezeichnet.
Das können wir doch nicht ignorieren. Wir müssen dafür
sorgen, dass diese Anlagen unter bestmöglichen Konditionen betrieben werden.
({10})
Herr Kollege Lindner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Arndt-Brauer?
Ja, bitte.
Danke schön. - Herr Kollege Dr. Lindner, haben Sie
mitbekommen, dass sich der Parlamentarische Beirat für
nachhaltige Entwicklung auch mit den Stimmen Ihrer
Fraktion gegen Hermesbürgschaften für Atomkraftwerke ausgesprochen hat, weil wir denken, dass ein Ausstiegsbeschluss für uns auch für Bürgschaften solcher Investitionen im Ausland verbindlich sein sollte?
({0})
Frau Kollegin, ich sagte gerade: Die erste Ebene ist
die nationale Entscheidung über die Energieform. Die
zweite Ebene ist die Frage der Technologieförderung,
des Technologietransfers. Die dritte Ebene, die davon separat zu betrachten ist, ist die Frage, ob wir Hermesbürgschaften für auswärtige Geschäfte zur Verfügung stellen
oder nicht. Ausschließlich auf dieser Ebene ist aus meiner Sicht die Frage zu analysieren: Steht das Ausfallrisiko mit dem volkswirtschaftlichen Gewinn, Arbeitsplätze in Erlangen und anderswo,
({0})
in einem angemessenen Verhältnis? Es gibt drei verschiedene Ebenen: die Technologiefrage selbst, Technologieförderung, Hermes. Diese Dinge müssen Sie auseinanderhalten, wenn Sie zu Ergebnissen kommen
wollen.
Dr. Martin Lindner ({1})
({2})
Dies müssen Sie separat betrachten. Das werden Sie
auch zukünftig machen müssen. Wir müssen die Dinge
auseinanderhalten.
({3})
Wir müssen - das ist im deutschen Interesse - dafür
sorgen, dass in den Ländern, in denen noch Kernkraftwerke betrieben werden, optimale Bedingungen herrschen, deutsche Technologie zum Einsatz kommt, deutsche Arbeitsplätze davon profitieren und insgesamt die
Reaktorsicherheit gestärkt wird. Was Sie machen, ist das
Gegenteil. Sie wollen einen deutschen Alleingang. Sie
wollen anderen Ländern vorschreiben, was sie zu tun haben. Das ist so eine Art Neokolonialismus des deutschen
Gutmenschentums. Damit lassen wir Sie alleine. Wir
lehnen Ihre Anträge selbstverständlich ab.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Thomas Bareiß von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Zum Schluss der Debatte zeigt sich wieder einmal, dass Rot-Grün in der Energiepolitik nur zurückschaut, an einem alten Thema, nämlich am Atomausstieg, krampfhaft festhält,
({0})
keine, aber wirklich keine Konzepte hat, wie diese Energiewende organisiert werden muss,
({1})
und heute Vormittag keinen einzigen Lösungsvorschlag
geliefert hat. Sie hängen immer noch am Atomausstieg
fest. Wir sind diejenigen, die den Einstieg in die Energiewende gestaltet und organisiert haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Für uns ist die Energiewende das Wachstums- und
Technologiethema für die nächsten vier Jahrzehnte. Deshalb - weil es uns so wichtig ist - möchte ich anhand
von acht konkreten Punkten zeigen, was wir in den letzten drei Jahren gemacht haben, um den Einstieg in die
Energiewende zu organisieren.
Erster Punkt. In den letzten drei Jahren haben wir es
geschafft, den Anteil erneuerbarer Energien an der
Stromerzeugung von 15 Prozent auf 25 Prozent auszubauen. Kein einziges Land dieser Welt hat in den letzten
drei Jahren solch einen Zubau geschafft. Kein einziges
Industrieland hat so ambitionierte Ziele wie Deutschland. Wir haben gleichzeitig noch das EEG novelliert
und reformiert und es bezahlbar gemacht. Wir haben im
Bereich der Photovoltaik eine Vergütungsreduktion um
70 Prozent geschafft - gegen Ihren Willen ({3})
und damit den Verbrauchern Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren erspart. Wir haben den atmenden Deckel eingeführt und damit das EEG
intelligent gestaltet. Wir haben mehr Markt und Wettbewerb eingeführt.
({4})
Mit der Marktprämie und dem Eigenanteil haben wir etwas geschaffen, was die erneuerbaren Energien auch zukunftsfähig macht, lieber Herr Kelber.
({5})
Zweiter Punkt. Wir bauen das leistungsfähigste und
modernste Stromnetz der Welt.
({6})
Wir haben gestern mit dem Netzausbaugesetz den Startschuss gegeben für den Bau von 2 800 Kilometern neuer
Leitungen und den Ausbau von 2 900 Kilometern bestehender Leitungen. Damit verbinden wir den erzeugungsstarken Norden mit dem verbrauchsstarken Süden. Wir
machen Schluss mit Zuständigkeitsgewurstel bei der
Planung und Genehmigung von Netzen
({7})
und verkürzen mit dem NABEG die Dauer des Netzausbaus von zehn auf vier Jahre. Wir setzen neue Technologien ein - HGÜ, Hochtemperaturseile, Erdverkabelung und schaffen damit das modernste Netz. Wir machen das
wieder gut, was Rot-Grün in den letzten Jahren versäumt
hat. Wir bauen die Netze.
Drittens. Wir fördern Gebäudesanierung und Energieeffizienz so stark wie nie zuvor. Allein für die CO2-Gebäudesanierungsprogramme geben wir 1,8 Milliarden Euro aus - so viel Geld wie keine andere Regierung
vor uns.
Herr Kollege Bareiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?
Nein.
Keine Zwischenfrage.
Darüber hinaus versuchen wir mit der Mietrechtsnovelle, die Investoren zu schützen, aber auch die Mieter
zu entlasten. Wir haben es geschafft, den schlafenden
Riesen Energieeffizienz im Gebäudebereich zu wecken.
Viertens. Wir haben die Energiewende zum Arbeitsplatzmotor gemacht. Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten drei Jahren 100 000 Arbeitsplätze geschaffen.
({0})
Im Bereich der Energieeffizienz haben wir 340 000 Arbeitsplätze, überwiegend im Handwerk, gesichert und
neu geschaffen. Das ging nicht auf Kosten der Industrie.
Im Gegenteil: Wir haben den industriellen Mittelstand
Stück für Stück entlastet. Sie haben nur die Großkonzerne entlastet, wir haben auch den Mittelstand bei unserer Politik berücksichtigt. Wir sorgen mit der Energiewende für mehr Arbeitsplätze, gerade auch im
Mittelstand.
({1})
Fünftens. Wir stärken den Wettbewerb und den Verbraucher. Heute hat der Verbraucher die Wahl zwischen
mehr als 50 Stromanbietern, so vielen wie noch nie zuvor. Das haben wir mit gezielten Maßnahmen für mehr
Wettbewerb ermöglicht.
({2})
So haben wir den Stromkunden den Wechsel erleichtert
und die Fristen für den Lieferantenwechsel auf drei Wochen verkürzt. Wir haben eine Schlichtungsstelle eingerichtet, die allein im ersten Jahr 14 000 Beschwerden
von Verbrauchern entgegengenommen hat und in
90 Prozent der Fälle eine Einigung erzielen konnte. Wir
stärken den Verbraucher und verhindern Abzocke.
({3})
Sechstens. Deutschland ist im Bereich der Energieforschung so erfolgreich wie kein anderes Land der Welt.
Wir haben die Mittel für die Energieforschung auf über
3,5 Milliarden Euro aufgestockt; das ist Rekord. Wir fördern damit die Zukunftstechnologien der Energiewende:
200 Millionen Euro für Speicher, 150 Millionen Euro für
zukunftsfähige Netze, 400 Millionen Euro für die Elektromobilität. Wir machen die Energiewende zum Innovationsmotor für Deutschland.
({4})
Siebtens. Wir bringen Speichertechnologien voran;
denn Speicher sind der Partner für die erneuerbaren
Energien. Wir fördern Speicher schon heute, sowohl im
Alltag als auch in der Forschung. Wir versuchen, die
Wirtschaftlichkeit voranzubringen. Wir haben die Speicher von Netzentgelten und von der EEG-Umlage
befreit. Wir haben Investitionen in Pumpspeicherkraftwerke erleichtert und die Mittel für die Speicherforschung um 200 Millionen Euro erhöht. Wir sorgen für
power to gas, wir sorgen für Druckluftspeicher, wir sorgen für Batteriespeicher und für Pumpspeicherkraftwerke; auch damit bringen wir die Energiewende Stück
für Stück voran.
({5})
Achtens. Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien sind wir Spitzenreiter in der Versorgungssicherheit und in der Netzstabilität. Im Jahr 2011 betrug
die durchschnittliche Stromunterbrechung circa 15 Minuten. Wir sind damit besser als die Jahre zuvor, und wir
sind besser als die USA, besser als Frankreich, besser als
Großbritannien.
({6})
Wir wollen, dass das in Zukunft so bleibt. Deshalb haben
wir abschaltbare Lasten, deshalb haben wir Smart Meter,
Smart Grids vorangebracht. So bleiben wir auch weiterhin Spitzenreiter bei der Versorgungssicherheit und stärken unseren Standort Deutschland.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese acht
Punkte zeigen: Unser Weg ist der richtige, die Energiewende kommt Stück für Stück voran. Wir lassen uns auf
diesem Weg nicht beirren.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass zur Abstimmung
bislang fünf Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-
nung vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 17/12509 und 17/12688 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der SPD mit dem Titel „Den Euratom-Ver-
trag an die Herausforderungen der Zukunft anpassen“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/11713, den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8927 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stim-
men der SPD bei Enthaltung der Grünen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7670
mit dem Titel „Euratom-Vertrag ändern - Atomausstieg
europaweit voranbringen - Atomprivileg beenden“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
1) Anlage 2 und 3
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
lung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünen
bei Enthaltung der Linken.
Tagesordnungspunkt 29 d. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Frak-
tion Die Linke mit dem Titel „Eine Europäische
Gemeinschaft für die Förderung Erneuerbarer Energien
gründen - EURATOM auflösen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/11723, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/6151 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthal-
tung der Grünen.
Tagesordnungspunkt 29 e. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit
dem Titel „Keine Hermesbürgschaft für den Bau des
Atomkraftwerks Angra 3“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12653, den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9578
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD und zweier Ab-
geordneter der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung von
Linken und Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des gemeinsamen
Antrags der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/9579 mit dem Titel „Keine
Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen und zweier Abge-
ordneter der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 f. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bilaterale
Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stillle-
gung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraft-
werke in Frankreich“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12675, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11206 abzu-
lehnen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab.
Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre
Plätze eingenommen? - Gut. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung. -
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm-
karte eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe auf die Ta-
gesordnungspunkte 30 a und 30 b sowie Zusatzpunkt 13:
30 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der
Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale ({0})
- Drucksache 17/12570 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({1})-
Verteidigungsausschuss-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
30 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf,
Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland - Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen
lassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland
- Drucksachen 17/11323, 17/11225, 17/12251 Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerWolfgang GehrckeHans-Christian Ströbele
ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes
Brugger, Volker Beck ({4}), Marieluise Beck
({5}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequent vorangehen für eine atomwaffen-
freie Welt
- Drucksachen 17/9983, 17/12733 -
1) Ergebnis Seite 28655 D
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerJan van AkenMarieluise Beck ({6})
Zum Jahresabrüstungsbericht 2012 der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen
und Kollegen, die an der Aussprache nicht teilzunehmen
wünschen, den Saal zu verlassen, damit die anderen der
Debatte folgen können. - Als erstem Redner erteile ich
dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle das
Wort.
({7})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Erlauben Sie mir bitte, dass ich mich jenseits
des Protokolls an Frau Kollegin Zapf wende. Frau Kollegin, ich möchte mich aus Anlass der Rede, die Sie gleich
halten werden, sehr herzlich für die exzellente Zusammenarbeit insbesondere in der Abrüstungs- und Sicherheitspolitik und in der Außenpolitik insgesamt bedanken
und meinen Respekt für Ihr langjähriges Wirken in diesem Hause zum Ausdruck bringen. Es wird möglicherweise die letzte Gelegenheit sein, dieses anlässlich einer
Rede von Ihnen zum Ausdruck zu bringen. Herzlichen
Dank im Namen der Bundesregierung und vielleicht
auch im Namen der anderen Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abrüstung,
Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind ein
Schwerpunkt deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.
Schon in der Präambel des Grundgesetzes sind die beiden Kernpfeiler unserer Außenpolitik benannt, nämlich
in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
Friedenspolitik, Abrüstung, Rüstungskontrolle und
die Nichtverbreitung insbesondere von Massenvernichtungswaffen, das ist ein klarer Zusammenhang, den wir
hier alle gemeinsam über die Parteigrenzen hinweg betonen und sehen. Wir wollen das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt erreichen. Wir wollen an dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt arbeiten. Deswegen setzen wir uns
ein für Frieden, für Sicherheit, natürlich auch für Stabilität durch weniger Waffen, die Verhinderung von Proliferation und höhere Transparenz.
Wir alle wissen aus den Erfahrungen der Geschichte,
dass Abrüstungspolitik einen langen Atem braucht. Abrüstungspolitik braucht gelegentlich auch strategische
Geduld, aber Abrüstungspolitik muss gerade dann mit
langem Atem betrieben werden, wenn die großen Erfolge nicht gleich auf den ersten Blick greifbar sind.
({1})
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Auch
wenn wir in den letzten Jahren in manchen Bereichen bei
der Abrüstung gern weiter gegangen wären, können sich
die Erfolge der letzten Jahre weltweit sehen lassen. Wir
haben einen sehr erfolgreichen Abschluss der Überprüfung des NATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs beim NATO-Gipfel in Chicago im letzten Jahr
gehabt. Dort wurde das Profil der Allianz auch in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen gestärkt. Wenn man
die NATO-Strategien der letzten Jahrzehnte betrachtet,
kann man sagen: So viel Abrüstungsbekenntnis in der
NATO gab es noch nie.
({2})
Das ist ein klarer Erfolg und ein wichtiges Anliegen;
denn wir wissen alle, dass Verteidigung und Sicherheit
engstens zusammengehören.
Der Gipfel in Chicago ist noch kein Durchbruch gewesen, aber es ist ein Aufbruch. Umso wichtiger ist es,
dass weitere Abrüstungsschritte ins Auge gefasst werden. Dazu gibt es ermutigende Zeichen, auch durch die
Administration der Vereinigten Staaten von Amerika.
Mit neuem Elan treibt Präsident Obama die Abrüstungsagenda voran. Dabei werden wir Präsident Obama natürlich unterstützen. Wir wollen dabei alle Beteiligten mit
an Bord nehmen.
Jetzt gilt es aber, den Dialog mit Russland voranzubringen. Das Angebot der NATO, auch die substrategischen, die sogenannten taktischen Nuklearwaffen in den
Abrüstungsprozess einzubeziehen, steht. Dass sich hierauf die NATO geeinigt hat, trotz mancher Meinungsunterschiedlichkeit innerhalb der NATO-Mitgliedsländer,
ist ein guter Erfolg auch der deutschen Abrüstungspolitik.
({3})
Wir wollen die Abrüstungsschritte zwischen den USA
und Russland weiter unterstützen. Wir werden weiter auf
eine Reduzierung der in Europa stationierten Waffen
hinarbeiten.
({4})
Die Bundesregierung ist den Zielen, die sie sich zu
Beginn der Legislaturperiode gegeben hat, näher gekommen. Wir haben noch nicht alles erreicht - das war auch
nicht zu erwarten -, aber wir werden unbeirrt und mit
langem Atem an der Abrüstungspolitik einschließlich
der nuklearen Abrüstung festhalten.
({5})
Die Bundesregierung ist natürlich auch für Fortschritte bei der konventionellen Rüstungskontrolle; denn
jeder sieht, dass das eine nicht durch Führbarkeit von
konventionellen Kriegen erkauft werden darf. Das heißt,
auch die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa
bleibt ein zentrales und unverzichtbares Element einer
kooperativen Sicherheitsarchitektur.
Ich will in diesem Zusammenhang ein Wort zur Raketenabwehr sagen. Die Haltung der Bundesregierung ist
in dieser Frage glasklar: Wir wollen mehr Sicherheit und
Stabilität in Europa. Wir sind der Überzeugung: Das ist
nur mit Russland und nicht gegen Russland erreichbar.
Wir wollen, dass Russland eingebunden wird. Wir wollen, dass Russland bei einer kooperativen Lösung und
beim Dialog, wenn es um die Raketenabwehr geht, konsequent eingebunden wird. Dies ist ein wichtiges Angebot, das die Bundesregierung in der NATO durchgesetzt
hat: Es geht hier nicht darum, sich gegen Russland aufzustellen. Es geht um ein Projekt, das gemeinsam mit
Russland für mehr Sicherheit auf unserem Kontinent und
in unserer Weltregion sorgen soll.
({6})
Weil mir nur wenige Minuten Redezeit gegeben sind,
({7})
will ich zum Schluss noch auf zwei Dinge eingehen,
nämlich einmal auf Iran und Nordkorea, und dann folgt
noch ein letzter Gedanke. Im Konflikt mit Iran verfolgt
die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern im sogenannten E3+3-Format ihren Doppelansatz von Verhandlungsbereitschaft und Druckausübung. Wir können
eine nukleare Bewaffnung des Irans nicht akzeptieren.
Wir wollen das auf diplomatischem und politischem
Wege verhindern. Das ist die gemeinsame Auffassung.
Alles andere, was uns unterstellt wird, ist Propaganda:
gegen uns, gegen den Westen, gegen die westlichen und
allgemeinen Sicherheitsinteressen.
({8})
Iran hat auf unser Verhandlungsangebot in Almaty
mit positiven Worten reagiert; das würdige ich ausdrücklich. Ich mache mir keine Illusionen, aber es ist erkennbar zumindest schon einmal ein Fortschritt, dass ein weiterer Prozess vereinbart werden konnte. Aber Gespräche
nur um der Gespräche willen reichen nicht, sondern es
braucht substanzielle und greifbare Ergebnisse. Ein
Spielen auf Zeit ist kein Weg, den wir akzeptieren können.
Dasselbe gilt auch im Hinblick auf Nordkorea. Die
Bundesregierung verurteilt in aller Schärfe den Nukleartest sowie die jüngsten Drohungen Nordkoreas mit einem nuklearen Erstschlag und der Aufkündigung des
Nichtangriffspaktes mit Seoul. Wir sind alle gemeinsam
der Auffassung: Die Kriegsrhetorik des Regimes in
Nordkorea muss beendet werden.
({9})
Ich begrüße deshalb ausdrücklich die konstruktive
Rolle Chinas. Wir appellieren an China, diese konstruktive Rolle auch in den sogenannten Sechsergesprächen
weiter wahrzunehmen. Dass China sich an den jüngsten
Sanktionsverschärfungen in New York beteiligt hat, ist
ein wichtiges Signal auch an das Regime.
Meine Damen und Herren, natürlich geht es um unsere Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative; vor allen Dingen geht es aber auch um die Postkonfliktbewältigung. Wir bleiben dabei, bei der Vernichtung von
Waffen einen wesentlichen Anteil zu leisten. Deutschland hat eine große Expertise bei der Vernichtung zum
Beispiel von chemischen Waffen. Wir zeigen das in
Libyen und auch an anderen Orten. Wir sind bereit, diese
Expertise und dieses Wissen mit einzubringen.
Wir haben noch wichtige Aufgaben vor uns: der
Kampf gegen die Verbreitung auch von Kleinwaffen in
fragilen Staaten oder beispielsweise auch unser deswegen großes Bemühen für ein weltweit gültiges Waffenhandelsabkommen. Bei den anstehenden Verhandlungen wollen wir einen Erfolg.
Wir wollen, dass Antipersonenminen und Streumunition endlich von der Welt verschwinden. Wir setzen hierbei auf Transparenz, Dialog und Diplomatie in einer engen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Alles in allem ist der Abrüstungsbericht ein Erfolgsbericht, ein Bericht auch über gute Fortschritte in der
Abrüstungspolitik. Wir werden uns nicht auf ihm ausruhen, sondern im Interesse des Friedens in der Welt mit
großem Nachdruck, mit großer Energie, aber vor allen
Dingen mit großer Ausdauer weiter auf Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung hinarbeiten.
Vielen Dank.
({10})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,
gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung - es ging um die Beschlussempfehlung zu
einem Antrag betreffend die Verhandlungsaufnahme mit
Frankreich bezüglich der Stilllegung von Atomkraftwerken - bekannt: abgegebene Stimmen 505. Mit Ja haben
gestimmt 280, mit Nein haben gestimmt 225, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 505;
davon
ja: 280
nein: 225
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({9})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({10})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({11})
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({12})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({13})
Dr. Kristina Schröder
({14})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({15})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({16})
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({17})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({18})
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({21})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({22})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({23})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({24})
Michael Link ({25})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({26})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({27})
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({28})
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({29})
Nein
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({30})
Edelgard Bulmahn
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({31})
Kerstin Griese
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({32})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({33})
Frank Hofmann ({34})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({35})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Petra Merkel ({37})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Marlene Rupprecht
({38})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({39})
Ulla Schmidt ({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({42})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Jan Korte
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Paul Schäfer ({43})
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({44})
Volker Beck ({45})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({46})
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Susanne Kieckbusch
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({47})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({48})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
fraktionsloserAbgeordneter
Wolfgang Nešković
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Uta Zapf für
die SPD-Fraktion.
({49})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre freundlichen und
anerkennenden Worte. Das tut einem ganz gut, denke
ich. Herzlichen Dank!
Ich danke aber auch meinerseits, zum einen für den
Bericht, der wie immer ein umfangreiches Kompendium
ist. Das kann man gar nicht alles auf einmal konsumieren. Das verlangt auch keiner von uns. Aber ich glaube,
damit haben wir immer eine Quelle der Information.
Deshalb auch dafür herzlichen Dank!
Zum anderen danke ich ganz besonders für die gute
Zusammenarbeit im Unterausschuss. Ich glaube, wir haben eine gute Zeit miteinander gehabt in all den Jahren,
die ich in diesem Unterausschuss sein durfte. Auch die
Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt war immer
ausgesprochen positiv. Das muss ich ganz deutlich sagen, auch wenn ich jetzt vielleicht gelegentlich etwas
Kritik anführe.
({0})
Wir unterstützen die Position der Bundesregierung
nicht immer, aber doch immer wieder. Es ist auch nicht
nur eine positive Bilanz, Herr Minister; in der Frage der
Beurteilung des NATO-Gipfels bin ich ganz anderer
Meinung.
Für mich und für die SPD war das Ergebnis des
NATO-Gipfels eine große Enttäuschung. Aus unserer
Sicht ist die Rolle der Nuklearwaffen nicht wirklich minimiert worden; denn der bisherige Mix von konventionellen und nuklearen Waffen hat Bestand, solange es
Nuklearwaffen gibt. Ich denke, das ist zu kurz gesprungen.
({1})
Der NATO-Abrüstungsausschuss ist ein Fortschritt.
Das sehe ich auch so. Aber er ist gerade einmal etabliert,
und was er macht und welche Ergebnisse er möglicherweise bringt, wissen wir noch nicht.
({2})
- Vorher gab es auch schon Anläufe. Ich erinnere mich
ganz gut. Da waren Sie noch nicht im Parlament.
Der Transparenzdialog mit Russland in Bezug auf die
taktischen Nuklearwaffen hat noch nicht begonnen. Er
ist angekündigt, aber ich denke, es ist höchste Zeit, dass
er in Angriff genommen wird. Denn was wir wirklich
anstreben, ist das, was diese Regierung versprochen hat,
nämlich die taktischen Nuklearwaffen von deutschem
Boden zu entfernen. Das zu erreichen, haben wir bisher
keinerlei Aussicht. Stattdessen steht uns die Modernisierung der B61 ins Haus. Der Antwort auf unsere Große
Anfrage entnehmen wir: Das ist eine nationale Angelegenheit der USA. - Nein, liebe Freunde, das ist es nicht.
Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, die auch uns sehr
berührt.
({3})
Herr Minister Westerwelle, Sie haben, als Obama
wiedergewählt wurde, gesagt, nun müsse es neue Impulse geben und ein energischer weiterer Schritt gemacht werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber
ich sehe keine energischen Schritte, erst recht nicht in
der Frage der Modernisierung der Bomben, die auch in
Büchel liegen. Mutig wäre es in der Tat, wenn wir sagen
würden: Nein, wir modernisieren den Tornado nicht, der
als Trägersystem notwendig ist. Dann kann man die modernisierte B61 auch nicht dranhängen. - Stattdessen haben Sie in Chicago unterschrieben - mit Brief und Siegel -,
dass wir die Trägersysteme adäquat in Betrieb halten, sodass auch modernisierte B61 in Betrieb genommen werden können. Ich halte das für falsch und hoffe, dass wir
darüber noch intensiv diskutieren werden.
({4})
Die NATO will durch Transparenzmaßnahmen bei
den taktischen Nuklearwaffen mit Russland Fortschritte
bei der Abrüstung von substrategischen Nuklearwaffen
erreichen. Wie lange dauert das aber, wenn der Dialog
noch nicht einmal begonnen hat? Die in Europa stationierten substrategischen Nuklearwaffen taugen nicht als
Verhandlungsgegenstand, wie immer behauptet wird.
Russland fordert - ich denke, das ist eine Forderung, die
man ernst nehmen darf -, dass diese Waffen jeweils auf
das eigene Territorium zurückgezogen werden, dass also
die in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen in
die USA zurückgebracht werden und dass man erst dann
über weitere Schritte redet. Wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob das nicht eine gute Idee ist; denn
diese Waffen sind zu nichts nutze. Sie liegen da und kosten Geld. Das können wir uns in der Tat sparen.
({5})
Auch der Herr Minister hat deutlich davon gesprochen, dass wir gemeinsame Sicherheit, kooperative
Sicherheit brauchen. Das ist in der Tat wahr. Das ist insbesondere für die Aufrechterhaltung oder die Wiederherstellung der Rüstungskontrolle in Europa notwendig.
Deshalb frage ich nicht nur mich, sondern uns alle: Was
ist denn mit dem Medwedew-Vorschlag passiert? Was ist
mit dem Korfu-Prozess passiert? Was ist mit den Beschlüssen in Astana passiert? Der Korfu-Prozess, der
eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa definieren
sollte - und zwar eine gemeinsame -, ruht. Mit ihm befassen sich momentan nur Wissenschaftler. Aber dieser
Prozess sollte in die Politik überführt werden. Wir sollten genau darüber mit Russland reden, weil wir sonst
einfach nicht vorankommen, auch in den Abrüstungsprozessen nicht.
({6})
Wir brauchen - das bestätigen Wissenschaftler immer
wieder - mehr Vertrauen zwischen Russland und den
westlichen Partnern, den USA und der NATO. Es gibt
ein tiefes Misstrauen auf beiden Seiten. Nukleare Abrüstung wird ohne Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle überhaupt nicht möglich sein. Der KSEVertrag ist zurzeit mausetot. Das heißt, er muss dringend
wiederbelebt werden. Durch das Scheitern des KSE-Vertrags gibt es keine Inspektionen, keine Transparenz und
keine Vertrauensbildung. Das, was die Bundesregierung
auf den Weg bringen will - das Ziel der verifizierten
Transparenz -, muss noch Formen annehmen, die greifbar und umsetzbar sind.
Der A-KSE-Vertrag wurde von den NATO-Staaten
nicht ratifiziert. Ich habe das für einen Fehler gehalten.
Die Nichteinhaltung der Istanbul-Verpflichtungen - das
betrifft die Stationierung von Truppen der Russen in
Georgien zum Beispiel und die Munitionsbestände, die
in Moldawien und Transnistrien lagerten - war ein
Grund dafür. Die Nichtratifizierung war aber ein Fehler,
weil das eigentlich nicht zusammenpasst. Wenn wir an
der Rüstungskontrolle im konventionellen Bereich festhalten wollen, dann müssen wir neue Ansätze finden.
A-KSE wird nicht neu aufgelegt werden können, sondern es wird einen neuen Anlauf geben müssen.
Es hat mich sehr gefreut, dass wir im Unterausschuss
ein Gespräch mit Herrn Schmidt von der HSFK hatten,
der ein Spezialist für den KSE-Vertrag ist. Er sagte, die
Initiativen, die die Bundesregierung unternommen habe
- diese waren nicht der Presse zugänglich und lagen
auch nicht offen auf dem Tisch -, seien positiv und daher
sehr zu loben. Insofern habe ich auch keine Schwierigkeiten damit, an dieser Stelle die Bundesregierung zu loben und zu ermutigen, in diese Richtung weiterzugehen.
({7})
- Da können ruhig alle klatschen.
Es gibt aber eine Bedingung, deren Einhaltung ich für
dringend notwendig halte, weil die Fortschritte, die wir
uns wünschen, nicht erreicht werden können, wenn wir
nicht bei der Raketenabwehr neue Gedanken entwickeln.
Es gibt eine sicherheitspolitische Veränderung beim Design konventioneller Waffen in Europa und in den USA.
„Prompt Global Strike“ und „Long-Range Strike“ sind
Dinge, die die Russen total irritieren und die eine andere
sicherheitspolitische Situation geschaffen haben. Ich
denke, die Raketenabwehr ist ein wichtiger Punkt. Also
müssen wir an diesen drei Stellen neue Ansätze finden.
Eine kooperative Lösung zwischen der NATO und Russland ist deshalb dringlich. Dringender Handlungsbedarf
wird auch von der Wissenschaft gesehen. Das haben wir
in dieser Woche im Unterausschuss gehört. Ich glaube,
wir sollten in unserem eigenen Interesse dieses Thema
nicht so aus dem Blick verlieren, wie dies vielleicht in
den letzten Monaten und Jahren geschehen ist.
Die neuen östlichen NATO-Staaten haben historisch
bedingt tiefes Misstrauen gegen Russland und wünschen
Sicherheit durch Stationierung westlicher oder US-Truppen. Was passiert dann aber auf russischer Seite? Löst
das dann nicht ein neues Wettrüsten aus? Dies ist nicht in
unserem Interesse. Deshalb werden wir uns bemühen
müssen, alles zu tun, um wieder Vertrauen und Transparenz zu schaffen, aber auch um Strukturen abzubauen,
die dem Interesse entgegenstehen, gemeinsame Sicherheit zu organisieren.
({8})
Ich nenne noch ein paar Stichworte dazu. Das Wiener
Dokument - so wurde es in Astana auf dem OSZE-Gipfel verabredet - sollte erweitert und verbessert werden.
Es ist nicht viel passiert. Ich halte das aber für wichtig,
weil das eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme
ist. Als Letztes möchte ich noch den Vertrag über den
Offenen Himmel erwähnen. Dieser macht uns allen Sorgen; denn er droht kaputtzugehen. Dieser Vertrag ist aber
eine der wichtigen Maßnahmen. Es mag sein, dass wir
den Streit zwischen der Türkei und Griechenland, der
die Tagesordnung immerfort behindert, noch bereinigen
können. Wir können aber nichts daran ändern, dass die
Flugzeuge, die die Trägersysteme für die optischen Einrichtungen darstellen, das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen. Deshalb muss eine Lösung gefunden werden.
Der Unterausschuss hat sich dafür ausgesprochen, ein
neues System zu kaufen. Herr Minister, dabei sind wir
uns alle einig gewesen; denn gerade durch diese gemeinsamen Inspektionen und durch den Informationsaustausch ist großes Vertrauen geschaffen worden, das wir
nicht erodieren lassen dürfen. Dafür haben wir uns ausgesprochen. Vielleicht gelingt es, auch noch einen Antrag in der Richtung zu formulieren.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Roderich Kiesewetter.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
bitte gleich zu Beginn als stellvertretender Vorsitzender
unseres Unterausschusses Ihnen, Frau Kollegin Zapf,
ganz herzlich danken für Ihre Arbeit in den letzten vier
Jahren, in denen ich sie mitverfolgen konnte. Ich glaube,
der heutige Bericht ist Anlass genug, einmal Ihre Arbeit
zu würdigen. Ihnen, Frau Zapf, ist es gelungen, mit dem
Unterausschuss ein wirklich sehr gutes Instrument der
gegenseitigen Information zu schaffen und die Arbeit
trotz parteipolitischer Prägung sehr übergreifend zu organisieren. Der Unterausschuss ist ein guter Informationsausschuss geworden, der viele Anregungen gibt.
Herzlichen Dank dafür!
({0})
Das Ganze wäre nicht machbar, wenn nicht auf der
Seite der Exekutive das Auswärtige Amt uns so umfassend informieren würde. Hier möchte ich insbesondere
Herrn Botschafter Nikel und sein Team ansprechen. Herr
Außenminister, vorzüglich!
({1})
Es gibt nur wenig Anlässe im Deutschen Bundestag,
zu denen wir übergreifend über Sicherheitspolitik diskutieren. Die Diskussion über Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung bietet einen Anlass dazu,
weil sie Gelegenheit gibt, über übergreifende sicherheitspolitische Zielvorstellungen zu sprechen. Wir als
Parlamentarier sind aufgerufen, Dinge, die zusammengehören, zu verzahnen.
Zu einer guten sicherheitspolitischen Strategie gehört
nicht nur die Beantwortung der Frage, wie eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder der transatlantische Pfeiler der NATO gestärkt werden können, sondern auch, wie wir mit weniger Waffen und mit höherer
Transparenz mehr Vertrauen und vor allen Dingen mehr
Sicherheit schaffen.
Wenn es uns gelingt, Abrüstungspolitik, Rüstungskontrolle und Verifikation mit einer europäischen Sicherheitsstrategie, aber auch mit einer nationalen Sicherheitsstrategie - das Auswärtige Amt erarbeitet gerade
eine - zu verzahnen, dann sind wir einen erheblichen
Schritt weiter. Deshalb möchte ich aus dem aktuellen
Abrüstungsbericht gerne einige Punkte ansprechen.
Zunächst zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung mit Blick auf den Nichtverbreitungsvertrag. Hier ist es uns gelungen, in Diskussionen dafür
zu werben, eine von Massenvernichtungswaffen freie
Zone im Nahen und Mittleren Osten zu erreichen. Wir
alle wissen, wie verhärtet dort die Lage ist. Deswegen
müssen wir den dortigen Staaten ein Ziel, eine Vision
bieten. Die gegenwärtige Sicherheitspolitik muss irgendwann einmal transformiert werden, damit die Waffen,
die dort im Verborgenen sind und über die wir diskutieren, aus dieser Region verbannt werden. Es darf nicht
geschehen, dass sich die Lage zuspitzt und es zu einem
nuklearen Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten
kommt.
Zur konventionelle Abrüstung. Frau Zapf hat zu
Recht die Weiterentwicklung des sogenannten KSE-Vertrags angesprochen. Es ist der Bundesrepublik gelungen,
gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark für Impulse zu sorgen, sodass wir im Bereich der konventionellen Abrüstung möglicherweise bald Fortschritte erzielen. Herr Außenminister, ich möchte ausdrücklich
Ihre Worte im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit
Russland unterstreichen. Es ist ganz entscheidend, dass
wir in drei Bereichen mehr Kooperation erreichen: im
Bereich der Raketenabwehr, im Bereich der substrategischen Atomwaffen und im Bereich der konventionellen
Abrüstung.
Hilfreich wäre sicherlich, wenn man eine übergreifende Bedrohungsanalyse erreichen würde. Aber, Frau
Zapf, Medwedew ist nicht mehr Präsident; Putin bestimmt die Richtlinien der russischen Politik. Ich glaube,
es ist eine ganz wichtige Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik, hier weiterhin am Ball zu bleiben. Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass die NATO nicht
nur auf ihrem Gipfel in Chicago, sondern auch beim
Strategischen Konzept Abrüstung und Rüstungskontrolle zum Thema gemacht hat. Das ist, glaube ich, ganz
entscheidend.
({2})
Ich komme zu einem weiteren Bereich, wo die Bundesregierung sehr gut arbeitet. Es handelt sich um das
Einsammeln von Kleinwaffen in Nordafrika. Das betrifft
die Konsequenzen der Proliferation und die Fragen der
Endverbleibskontrolle, was in der Vergangenheit schwierig
zu lösen war. Das Einsammeln von Kleinwaffen bedeutet mehr regionale Sicherheit. Das geht natürlich nur abgestimmt mit den Partnern.
Ein Letztes möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen: die internationale Kooperation der G 8, der
acht großen Industriestaaten, speziell die Initiative „Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien“. Hier wurden seit
2002, also seit gut zehn Jahren, 20 Milliarden Euro international eingesetzt. Deutschland ist mit 1,5 Milliarden
Euro der zweitgrößte Geber. Wir fokussieren insbesondere auf Russland und hier auf die Sicherung von Nuklearwaffen und Reaktoren in geschützten Gebäuden.
Darüber hinaus geht es uns um die Vernichtung von Chemiewaffen in Russland. Das ist uns 1,5 Milliarden Euro
wert. Dies ist sicherlich auch ein Punkt, der Verhandlungen mit Russland beschleunigen müsste. Vielleicht kann
unsere deutsche Diplomatie etwas mehr mit dieser Karte
spielen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend möchte ich auf den Vertrag über den Offenen Himmel eingehen. Er schafft die Grundlage für ein vorbildliches Verifikationsinstrument. So wird es möglich,
Schulter an Schulter mit ehemaligen Gegnern aus Flugzeugen heraus Verifikationen über bisher verschlossenen
Gebieten vorzunehmen. Im Jahr 1997 ist das Flugzeug,
das Deutschland hierfür zur Verfügung gestellt hatte, bei
einem schrecklichen Unglück vor der afrikanischen
Küste abgestürzt. Seither nutzen wir Mietlösungen. Eine
Kauflösung würde etwa 34 Millionen Euro kosten. Die
Gelder dafür sind nicht vorhanden. Allerdings bin ich
dem Bundesverteidigungsministerium dankbar, dass es
zurzeit mit unseren rüstungskontrollpolitischen Partnern
auslotet, wer bereit wäre, sich hier zu engagieren. Es
geht darum, die Kosten der Beschaffung von 34 Millionen Euro und des jährlichen Betriebs von etwa 6 Millionen Euro aufzuteilen. Ich denke, wenn es uns gelingt,
hier für mehr Partnerschaft zu sorgen, erhalten wir ein
Instrument, das eine Verifikation im täglichen Erleben
leistet und zugleich eine vertrauensbildende Maßnahme
darstellt.
Die Dinge, die wir in den vergangenen 20 Jahren für
Europa entwickelt haben, brauchen wir, um unsere
Nachbarschaftspolitik besser zu gestalten. Ich sprach
eingangs davon, dass Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung Themen sind, die in eine sicherheitspolitische Strategie eingebunden sein müssen. Wir haben
im Hinblick auf die südliche Nachbarschaft in Afrika
alle Hände voll zu tun, dass den dortigen Staaten eine
Grundstabilität vermittelt wird und sie freiwerdende
Mittel nicht dafür verwenden, in einen Rüstungswettlauf
an der südlichen Küste des Mittelmeers einzutreten. Wir
sollten diesen Staaten helfen, dass sie unter Rückgriff
auf Erfahrungen mitteleuropäischer Staaten im Bereich
der Abrüstung ein vertrauensbildendes Kontrollsystem,
eine Art Verifikationssystem, aufbauen, und zwar hinsichtlich des Öffnens ihrer Waffentresore und hinsichtlich verbindlicher Obergrenzen für bestimmte Rüstungsgegenstände.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es uns
gelingt, innerhalb der EU stärker dafür zu werben, können wir zumindest erreichen, dass das, was uns Mitteleuropäer auszeichnet - vertrauensvolle Zusammenarbeit,
Kooperation und Transparenz -, auch für unsere südlichen Nachbarn ein Anreiz ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allein im
letzten Jahr hat die deutsche Rüstungsindustrie das Volumen ihrer Exporte in die Golfstaaten mehr als verdoppelt: von 570 Millionen Euro auf mehr als 1,4 Milliarden
Euro. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, wie
das Thema Abrüstung in dem Bericht der Bundesregierung behandelt wird, ein Hohn.
Das sieht man zum Beispiel daran, wie über den
NATO-Gipfel berichtet wird: Die Ergebnisse von
Chicago werden als Erfolg verkauft. Auf genau diesem
NATO-Gipfel aber hat das Kriegsbündnis seine Atomwaffen als „Kernkomponente“ bezeichnet.
({0})
Von einer atomwaffenfreien Welt sind wir weiter entfernt denn je. Die deutsche Regierung hat sogar zugesagt, ihre Tornadoflotte für teures Geld zu modernisieren, damit sie auch in Zukunft für den Abwurf von
Atombomben bereitsteht. Die NATO hat damit bekräftigt, dass weiterhin mit der Hiroshima-Drohung Politik
gemacht wird. Gegen diese Kriegspolitik haben in
Chicago 20 000 Menschen demonstriert; und das war
gut so.
({1})
Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, eine atomwaffenfreie Welt sei weiterhin Ihr Ziel. Der vorliegende Jahresabrüstungsbericht nennt das geplante Raketenabwehrsystem „einen nachhaltigen Fortschritt in Richtung
größerer Sicherheit“. Das Gegenteil ist der Fall. Das geplante Raketenabwehrsystem sorgt weder für mehr Sicherheit in Europa noch für nukleare Abrüstung. Raketenabwehr wird Atomwaffen nicht ersetzen; es ist kein
rein defensives System. Im Gegenteil: Es macht militärische Offensiven wahrscheinlicher. Schwert und Schild
gehören in der Militärstrategie traditionell zusammen.
Die Aufrüstungsspirale wird dadurch weiter angeheizt.
Die Linke sagt als einzige Partei Nein zu Atomwaffen
und Nein zu dem Raketenabwehrsystem.
({2})
Aus diesem Grund müssen wir auch den SPD-Antrag ablehnen, der sich unter anderem für die Raketenabwehr
ausspricht. Schade, denn ansonsten enthält dieser Antrag
viele sinnvolle Forderungen. Aber als Friedenspartei
({3})
wendet sich die Linke gegen jede Form der militärischen
Aufrüstung.
({4})
Dann enthält der Bericht wieder einmal die übliche
Kritik an den Staaten, die die Bundesregierung nicht als
ihre Verbündeten ansieht. Da ist immer wieder die Rede
von der Bedrohung durch den Iran und sein angeblich
militärisches Atomprogramm. Dabei gibt es in allen
IAEO-Berichten keine Beweise dafür, dass der Iran nach
2003 weiter an der Atombombe gebastelt hat. Spekulationen, Halbwahrheiten und Lügen führen schnell zum
Krieg. Hören Sie auf damit! Sorgen Sie zuerst dafür,
dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen
werden.
({5})
Die Bundesregierung lobt sich dafür, dass sie den
Druck auf Nordkorea erhöht hat. Dieses Thema wird
zurzeit heftig diskutiert. Meine Damen und Herren, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass die USA ihre Militärpräsenz in der gesamten Region Ostasien und Pazifik massiv ausbauen und gerade ein großes Manöver in
Südkorea durchführen?
({6})
Die Aufrüstung und das Säbelrasseln Nordkoreas lehnen auch wir ab;
({7})
aber man muss beides im Zusammenhang mit der starken US-Präsenz in der Region sehen. Hier einseitig
Pjöngjang mit Sanktionen zu belegen, ist kontraproduktiv.
({8})
Regionale Abrüstungsinitiativen werden auch hier nur
Aussicht auf Erfolg haben, wenn alle Beteiligten einbezogen werden.
({9})
Ein weiterer Misserfolg der weltweiten Abrüstungspolitik im Jahre 2012 war die Absage der geplanten
Konferenz für einen atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Osten. Es wäre für eine friedliche Entwicklung in
der Region und weltweit gut, wenn es in der Region
keine Atomwaffen mehr geben würde. Dann müsste aber
auch Israel seine Atombomben abschaffen. Die Bundesregierung will sich weiter für die Einberufung dieser
Konferenz einsetzen. Allerdings schweigt sie darüber,
wie man das machen will. Hier stellt sich die Frage, wie
man die inoffizielle Atommacht Israel
({10})
zum Mitmachen bewegen kann. Bestimmt nicht durch
die Aufrüstung mit deutschen U-Booten!
({11})
Man kann den deutschen Jahresabrüstungsbericht
nicht losgelöst von den deutschen Rüstungsexporten betrachten. Deutschland ist inzwischen der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Wie passt dies damit zusammen, dass die Regierung sich rühmt, 2012 etwas gegen
die Verbreitung von Kleinwaffen getan zu haben? Wie
kann man einerseits das Kleinwaffen-Aktionsprogramm
stärken und andererseits Kleinwaffen an den Menschenrechtsmusterknaben Saudi-Arabien exportieren, zumal
man dorthin nicht nur Kleinwaffen exportiert, sondern
auch Panzer und Drohnen? Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein. Wir wollen keine Geschäfte mit dem
Tod.
({12})
Wenn ich den Jahresabrüstungsbericht einem Realitätscheck unterziehe, bleibt von Abrüstung nicht viel übrig - nur die Erkenntnis: Die Regierung will überall abrüsten, nur nicht im eigenen Land und nicht bei den
Verbündeten. Das ist heuchlerisch. Abrüstung beginnt
im eigenen Land. Wir Linken wollen eine echte Abrüstungspolitik.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Agnes Brugger von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Uta
Zapf, auch ich möchte mich bei dir ganz herzlich für die
tolle Zusammenarbeit bedanken. Ich finde, in deiner
sechsten Legislaturperiode hast du gezeigt, wie man mit
viel langem Atem, mit viel Hartnäckigkeit, mit viel
Herzblut und Leidenschaft für das wichtige Thema Abrüstung eintreten kann. Das hat mich persönlich sehr beeindruckt.
({0})
Ich danke auch für den Jahresabrüstungsbericht der
schwarz-gelben Bundesregierung. Er ist in der Tat ein
sehr schön formuliertes und umfangreiches Papier. Doch
seitenweise schöne Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der schwarz-gelben Abrüstungspolitik
an Substanz fehlt; denn es fehlt ihr auch an Glaubwürdigkeit, an Elan und an Konsequenz. Dafür möchte ich
drei Beispiele nennen.
Erstens. Herr Minister Westerwelle, Sie bekennen
sich hier mit großen Worten zum Willen der Bundesregierung, für globale Abrüstung einzutreten. Die Frage ist
natürlich - ich greife da das Stichwort „Verzahnung“ des
Kollegen Kiesewetter auf -, was Sie jenseits dessen tun,
was im Bericht geschrieben steht. Da sehen wir: Die
Kanzlerin hält Waffenexporte nach dem Motto „Ertüchtigung statt Einmischung“ offensichtlich für ein wesentliches Instrument einer neuen deutschen Außenpolitik.
Ausgewählte Staaten, ungeachtet der Menschenrechtslage, sollen mit deutschen Waffen befähigt werden, regional für eine vermeintliche Stabilität zu sorgen. Wir
halten diesen Kurs für falsch und für grundgefährlich.
({1})
Oder nehmen wir Verteidigungsminister de Maizière,
der in den Verteidigungspolitischen Richtlinien Deutschlands Festhalten an der nuklearen Abschreckung bekräftigt hat. Herr Minister Westerwelle, was auch immer Sie
heute und an anderer Stelle in Sachen Abrüstung sagen,
solche Aktionen und das Handeln der Bundesregierung
entlarven das als Lippenbekenntnis.
Zweites Beispiel. Die nukleare Abrüstung haben Sie
am Beginn der Legislaturperiode zu einem wichtigen
Ziel erklärt. Auch der Abzug der US-Atomwaffen aus
Deutschland wurde im schwarz-gelben Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt. Und doch werden nun diese
Atombomben im Rahmen des amerikanischen LifeExtension-Programmes modernisiert und damit nicht abgezogen, sondern für eine lange Zukunft ertüchtigt.
Auch die NATO ist weit davon entfernt, sich von den
Nuklearwaffen zu verabschieden. Nach der Wiederwahl
Barack Obamas als Präsident der Vereinigten Staaten im
November und seiner Ankündigung, neue Verhandlungen mit Russland aufnehmen zu wollen, ließ der Außenminister verlauten, er hoffe nun auf neue Impulse in der
Abrüstung. In dieser Äußerung tritt die ganze Passivität
Ihrer Politik zutage. Sie warten immer nur auf den amerikanischen Taktgeber. Auch durch diese Passivität
scheitern Sie.
({2})
Drittens. Herr Minister Westerwelle, Sie haben auch
die Ächtung von Landminen und Streumunition angesprochen. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung für
eine Universalisierung des entsprechenden Abkommens
einsetzt. Aber es klafft auch in Deutschland eine erhebliche Lücke. Es ist nämlich immer noch erlaubt, in Unternehmen zu investieren, die diese barbarischen Waffen
herstellen. Mit aller Kraft sträubt sich die schwarz-gelbe
Koalition gegen ein gesetzliches Investitionsverbot. Das
nenne ich inkonsequent.
({3})
Ich habe oft den Eindruck, ein grundlegendes Problem Ihrer Abrüstungspolitik ist die Mutlosigkeit. Dafür
war die Lesung des Antrags der grünen Bundestagsfraktion, über den wir heute unter anderem abstimmen werden, ein gutes Beispiel. In unserem Antrag „Konsequent
vorangehen für eine atomwaffenfreie Welt“ machen wir
einmal mehr deutlich, dass Deutschland für ein starkes
und vor allem glaubwürdiges Engagement bei der nuklearen Abrüstung bei sich selbst beginnen muss. Deshalb fordern wir Grüne zum Beispiel die Beendigung des
Beitrages der Bundeswehr mit Trägersystemen und Piloten zum Bereithalten der US-Nuklearwaffen in Deutschland. Wir wollen, dass ihr Abzug endlich Realität wird
und sagen deshalb klar Nein zu einer Modernisierung
der Trägersysteme und dieser Atombomben.
({4})
Es geht aber auch um das deutsche Engagement auf internationaler Ebene, zum Beispiel für eine Konvention,
die Nuklearwaffen für immer verbietet. In der Beratung
unseres Antrags hier im Parlament haben wir dazu von
Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, in
erster Linie zu hören bekommen: Das können wir nicht
machen. Das geht nicht. Das wird nichts.
Ja, der Weg zur atomaren Abrüstung ist langwierig
und schwierig, aber offenbar haben Sie schon aufgegeben. Sie hocken sich an den Wegrand und warten nur darauf, dass jemand voranschreitet und Sie mitzieht. Sicher, bei der atomaren Abrüstung haben wir in den
vergangenen Wochen auch herbe Rückschläge erlebt.
Die Konferenz zur massenvernichtungswaffenfreien
Zone im Nahen Osten kam nicht zustande, die Entwicklungen im Iran und die schrillen Ankündigungen aus
Nordkorea bieten Anlass zu großer Sorge. Aber, meine
Damen und Herren, Verzagen hilft nicht, Aufgeben gilt
nicht. Mit einer „Geht nicht“-Einstellung bewegt man
schließlich gar nichts.
Es gibt viel zu tun für eine friedliche Welt. Doch in
den vergangenen dreieinhalb Jahren hat diese Bundesregierung kaum mehr geschafft, als leere Versprechungen
zu produzieren und diese dann auch noch durch eine ausufernde Rüstungsexportpolitik zu konterkarieren. Es
wird höchste Zeit für den Wechsel, damit Deutschland
endlich wieder zum Vorreiter für die globale Abrüstung
wird.
Vielen Dank.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Erich Fritz von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich schon gefreut, dass
es zum Ende dieser Woche doch noch eine Debatte gibt,
die nicht vom Wahlkampf bestimmt wird.
({0})
Nun ist es zum Schluss doch nicht ganz gelungen. Das
kann man Ihnen nachsehen. Aber ich muss sagen: Der
Auftakt der Debatte hat mich viel mehr begeistert als
das, was Sie eben vorgetragen haben, liebe Kollegin.
Meine Damen und Herren, die Vorträge, die wir am
Anfang gehört haben, vor allen Dingen die Erläuterungen des Außenministers, zeigen, dass die Bundesregierung den selbstgestellten Auftrag, eine aktive Abrüstungspolitik zu betreiben, tatsächlich ernst nimmt.
Keine Fraktion in diesem Haus ist eine Weltmacht,
die andere Mächte bewegen könnte, dies oder jenes
schneller zu machen, oder durchgreifende Erfolge in
kurzer Frist gewährleisten könnte. Die Agenda der Abrüstungspolitik lässt sich nicht mit der Agenda von
Wahlterminen synchronisieren.
({1})
Abrüstungspolitik lässt sich auch nicht durch Maximalforderungen beschleunigen, sondern sie ist einer der
Politikbereiche, in dem es am wesentlichsten darauf ankommt, die Realitäten ganz genau zu beschreiben, die
Interessen der Beteiligten genau zu kennen und neben
ihren Interessen auch noch ihre Reaktionen und ihre
Emotionen zu berücksichtigen.
({2})
Ich möchte das am Beispiel Russlands gerne etwas
vertiefen. Kollege Kiesewetter hat die drei Bereiche, in
denen man mit Russland weiterkommen könnte und
auch sollte, beschrieben. Warum ist das so schwer? Warum haben wir so ein schwieriges Dialogverhältnis mit
Russland in diesem Bereich?
Zum einen gibt es alte Vorbehalte und tiefsitzendes
Misstrauen, das durch vergleichsweise kleine Falschreaktionen oder schräge Töne schnell wieder geweckt
wird. Das muss man berücksichtigen. So etwas kann
man nicht in kurzer Frist beheben.
Das Zweite ist, dass die Russen nicht nur auf diesem
Feld sehr dazu neigen, dem Partner einen sehr weitreichenden und konstruktiven Vorschlag auf den Tisch zu
legen, dann aber zu warten, was der andere daraus
macht. Man kommt aber nur voran, wenn man in beide
Richtungen in kleinen Portionen mit Konkretisierungen
arbeitet.
Drittens. Warum scheitert das auf russischer Seite immer wieder, was viele in Russland selbst bedauern? Das
hängt damit zusammen, dass all die Sicherheitsdebatten
in Russland immer noch eine ganz entscheidenden Bedeutung in der innenpolitischen Diskussion haben, und
dass die Frage der Akzeptanz der Führung ganz wesentlich mit dem Signal: „Ich bin bereit, Sicherheit auch unter schwierigen Bedingungen und gegen einen angeblich
starken Feind zu gewährleisten“, zusammenhängt. Das
ist schade.
Das heißt, wir müssen versuchen, vertrauensbildende
Maßnahmen - Frau Zapf hat es genau richtig beschrieben - zu ergreifen. Wir müssen positive Anreizimpulse
setzen,
({3})
was allerdings nicht so leicht ist. Ich hätte gedacht, wenn
man als Europäer zum Beispiel hilft, die Abrüstung der
Atom-U-Boote zu fördern oder die Chemiewaffen zu beseitigen - wie es gerade schon vorgetragen worden ist -,
dann würde das als das entsprechende Zeichen aufgefasst, dass einem daran liegt, hier sehr kooperativ vorzugehen.
Es ist also sehr schwierig. Ich bin froh, dass es auf der
Seite der NATO einen gemeinsamen formulierten Willen
zur Abrüstung gibt. Wir können dazu beitragen, indem
wir das positiv begleiten und nicht kleine Münze machen, indem wir eine Atmosphäre erzeugen, die uns
hilft, Schritt für Schritt weiterzukommen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Außenminister hat ja
deutlich gemacht, dass auch in den USA ein Perspektivwechsel erwogen wird. Wir sollten auf europäischer
Seite eine die Aspekte zusammenfassende Debatte über
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union und über eine gemeinsame Außenpolitik intensivieren. Warum sollten wir das tun? Warum hat das
etwas mit Abrüstung zu tun? Ich glaube, dass der Umgang mit unseren zukünftigen Partnern südlich des Mittelmeers sowie die Möglichkeit der Einflussnahme auf
die sicherheitspolitische Situation im Nahen Osten nur
dann gegeben ist, wenn sich die Europäer selbst in die
Lage versetzen, eine gemeinsame aktive Rolle zu übernehmen.
({5})
Wir haben aber zu viele Stellen, an denen alte Reflexe
das gemeinsame europäische Handeln konterkarieren.
Gerade wenn wir an die vergangenen Jahre denken, wird
klar, dass die Reaktionen nicht immer ideal waren. Das
gilt auch für den Beginn der Mali-Diskussion. Ich will
das jetzt nicht kritisieren, aber doch sagen, dass man sich
da etwas anderes hätte vorstellen können.
Ich war mit dem Kollegen Kiesewetter vor nicht allzu
langer Zeit in Libyen. Ich weiß, wie sehr man uns dort
vertraut und akzeptiert. Man schätzt unser Engagement
im Bereich der Minenräumung und unseren Versuch, mit
Argumenten bei der Entwaffnung der Milizen oder wie
auch immer man diese Einheiten nennen will zu assistieren. Wenn man die Zustände sieht, unter denen das dort
geschehen muss, weiß man, dass das alles andere als einfach ist.
Ich glaube also, dass wir sowohl in der großen politischen Linie wie auch in den konkreten Aktionen und im
Umgang mit Partnern eine sehr gute Abrüstungspolitik
betreiben. Der Bericht ist deshalb zu Recht von verschiedenen Seiten gelobt worden. Ich kann der Bundesregierung nur sehr dafür danken, dass sie dieses Thema weiterverfolgt, und zwar mit genau der Konsequenz und
Beharrlichkeit, die das Thema verlangt. Alles andere,
jede Form des Aktivismus ist bei diesem Thema unangebracht und ohnehin nutzlos.
({6})
Ich schließe mich dem Dank an die Kollegin Zapf
sehr gerne an, obwohl ich sie lange Zeit bei diesem
Thema eher besichtigt als gestört habe.
({7})
Wir sind gemeinsam 1990 in den Bundestag gekommen.
Das hat uns nun beide veranlasst, nicht mehr zu kandidieren. Da es aber noch ein paar Themen in der Pipeline
gibt, zu denen ich die Möglichkeit habe, zu sprechen, ist
dies sicherlich nicht meine letzte Rede. Ihnen jedenfalls
wünsche ich alles Gute.
({8})
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12570 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD zu dem Jahresabrüstungsbericht 2012
der Bundesregierung. Interfraktionell ist vereinbart, über
den Entschließungsantrag auf Wunsch der einbringen-
den Fraktion, abweichend von der Geschäftsordnung,
sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 17/12703. Wer stimmt da-
für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die ein-
bringende Fraktion abgelehnt. CDU/CSU, FDP und
Linke waren dagegen. Bündnis 90/Die Grünen haben
sich enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 17/12251.
Zunächst zu der Beschlussempfehlung zum Antrag der
Fraktion der SPD mit dem Titel „Keine Modernisierung
der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland - Ab-
rüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen“.
Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/11323 abzulehnen. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Dage-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
gen waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke
hat sich enthalten.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11225 mit dem
Titel „Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen
in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion.
Die Linke war dagegen. Bündnis 90/Die Grünen haben
sich enthalten.
Zusatzpunkt 13. Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreie
Welt“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/12733, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9983
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung der CDU/
CSU und der FDP. Dagegen waren Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher
verbessern
- Drucksache 17/12689 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})-
Innenausschuss -
Rechtsausschuss -
Finanzausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Gesundheit -
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung -
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit -
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Renate Künast, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik
- Drucksache 17/12694 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien
Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre und sehe ich keinen Widerspruch.
Das ist dann so beschlossen.
Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Elvira Drobinski-Weiß.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Es
ist nun genau ein Jahr her, dass uns Ministerin Aigner erklärt hat, ihr Auftrag sei - ich zitiere - „Kennedy 2.0“.
Heute, am Weltverbrauchertag 2013, müssen wir leider
feststellen: Auftrag nicht erfüllt, „Kennedy 2.0“ war eine
Mogelpackung.
Beispiel Lebensmittel. Da hieß es - ich zitiere -:
Was draufsteht, muss auch drin sein. Die Menschen
wollen ehrliches Essen - und dafür kämpfe ich.
Das sagte Ministerin Aigner in ihrer Rede vor einem
Jahr zum Weltverbrauchertag. Es war ein wenig erfolgreicher Kampf: Gammelfleisch, Dioxin in Eiern, Antibiotika in Hähnchen, Ehec, falsch etikettierte Eier, Pferdefleisch als Rindfleisch - all das hat mit ehrlichem
Essen nichts zu tun.
Leider wird sich das mit dieser Bundesregierung
kaum ändern, denn dafür würde man mindestens dreierlei benötigen: eine ehrliche Analyse der Schwachstellen
in der Lebensmittelkette und ihrer Kontrollen; den ehrlichen Willen, daran etwas zu ändern, und zwar auch
dann, wenn man sich dabei mit der Wirtschaft anlegen
muss; und eine ehrliche Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, sodass auch in Täuschungsfällen
und bei Falschetikettierung Ross und Reiter genannt
werden.
({0})
Kennedy forderte in seiner Rede zum Verbraucherschutz am 15. März 1961 für Verbraucher das Recht auf
Informationen. Heute aber gibt es von Kennedy - geschweige denn von „Kennedy 2.0“ - keine Spur.
Letzte Woche wurde in Windeseile das Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch geändert. Nichts hat sich dadurch verbessert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Koalitionsfraktionen, wir, die SPD, haben Sie davor
gewarnt; denn die Hürden sind dafür zu hoch. Die Änderung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches wird nicht dazu führen, dass die Behörden über
Täuschungsfälle informieren.
({1})
Das meinen auch die Juristen und Kontrolleure, die sich
seit gestern auf dem 26. Deutschen Lebensmittelrechtstag treffen. Sie fürchten sogar, dass die Verbraucher bei
Betrügereien und Skandalen wegen juristischer Unsicherheiten künftig noch schlechter informiert werden.
Martin Müller, Deutschlands oberster Lebensmittelkon28666
trolleur, hält das Gesetz für handwerklich schlecht gemacht, und Fachjuristen sehen Unsicherheiten in einem
Ausmaß, das es noch nie gegeben hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt: Wieder
einmal sind Verbraucherschutz und Verbraucherinformation an der Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft
gescheitert.
({2})
Nachbesserungen sind hier dringend nötig.
({3})
Darauf hoffen übrigens auch schwarz-gelb regierte Länder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jüngsten Lebensmittelskandale und das von der Bundesregierung in
Auftrag gegebene Gutachten zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher haben erneut deutlich gemacht:
Es herrscht ein Ungleichgewicht der Kräfte zwischen
den Anbietern und den Verbrauchern. „Marktintransparenzen“ und „erhebliche Informationssuchkosten“ bei
den Konsumenten - so steht es im Gutachten - erschweren einen selbstbestimmten Konsum. Das Gutachten wohlgemerkt das Gutachten der Bundesregierung - sieht
Bedarf für einen stärkeren staatlichen Schutz solcher
Verbraucher, die ohnehin benachteiligt sind.
Im Verbraucherministerium aber bleiben solche Botschaften ungehört. Das liegt auch daran, dass dieses
Ministerium nicht ohne Grund den Verbraucherschutz
als Letztes im Namen trägt. Die Bezeichnung „Verbraucherministerin“ ist für Frau Aigner einfach falsch;
({4})
denn die Interessen der Wirtschaft haben für sie immer
Vorrang. Wir halten eine Trennung der Ressorts für dringend erforderlich. Der Verbraucherschutz ist in einem so
wirtschaftsnahen Ministerium falsch aufgehoben.
({5})
Wirtschaftsnähe ist auch das Stichwort für die Aufregung in den Medien in den letzten drei Tagen über das
Bündnis für Verbraucherbildung. Zweifellos brauchen
Kinder und Jugendliche Verbraucherbildung, eine Anleitung zum kritischen Konsum und zum Hinterfragen von
Werbestrategien. Dafür braucht man Geld. Aber auch
mich besorgt die Einbindung von Unternehmensvertretern, wenn diese tatsächlich Handlungsempfehlungen
mit entwickeln sollten. Als Kuratoriumsmitglied der
Deutschen Stiftung Verbraucherschutz halte ich eine
Sondersitzung zur Klärung für dringend geboten; diese
haben wir bereits vereinbart.
Wir legen Ihnen heute Vorschläge vor, mit denen wir
die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich
verbessern wollen. Ich nenne ein paar Beispiele:
Wir wollen mehr Markttransparenz. Deshalb fordern
wir eine grundsätzliche Veröffentlichung aller amtlichen
Kontrollergebnisse.
({6})
Das ist grundlegend für das Recht der Verbraucher auf
Information.
Wir müssen weiterhin die Grundlagen für eine bessere und effizientere Lebensmittelüberwachung schaffen. Dabei muss auch an die Finanzierung gedacht werden. Warum bürden wir die Kosten für die amtliche
Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben
eigentlich dem Steuerzahler auf? Die Aufgaben und der
Aufwand der Überwachung sind enorm gestiegen. Die
Ausstattung hat damit nicht Schritt gehalten. Dieses Dilemma darf nicht verschämt verschwiegen werden.
({7})
Hier muss offensiv nach Lösungen gesucht werden;
möglicherweise beinhalten diese auch eine Beteiligung
der Wirtschaft an den Kosten.
Wir wollen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
mit komplizierten und wenig aussagekräftigen Informationen überschwemmen, sondern wir wollen gute, das
heißt sinnvolle, für Verbraucher verständliche und hilfreiche Informationen. Dafür müssen wir aber Kriterien
erarbeiten, und zwar unter Einbeziehung etwa der Verbraucherforschung.
Wir wollen Marktwächter einrichten, die in den Bereichen Finanzmarkt, Energie, Gesundheit, Lebensmittel
und digitale Welt die Konsumenten auf Augenhöhe bringen und die Aufsichtsbehörden unterstützen.
Frau Kollegin.
Wir haben noch viele Vorschläge, doch meine Redezeit reicht für die vollständige Aufzählung leider nicht
aus. Die Vorschläge liegen Ihnen allen aber auch vor. Sie
können uns dabei unterstützen, Verbraucherinnen und
Verbraucher zu stärken und zu schützen.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Schön, dass wir am Weltverbrauchertag über
die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher auch in
Deutschland sprechen. Denn es gibt viel Gutes zu berichten.
({0})
Die Kollegen von der SPD und von den Grünen berufen sich in ihren Anträgen auf das Prognos-Gutachten.
Meine sehr verehrten Kollegen, Sie haben da eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Dort wird nämlich festgestellt:
Das Vertrauen der Bürger in den Markt ist stark ausgeprägt. - Von Misstrauen, welches Sie immer heraufbeschwören, ist da keine Rede. Also, die Verbraucherzufriedenheit in Deutschland ist gut.
Frau Drobinski-Weiß, das ist ein Lob an die Wirtschaft, aber auch eine Bestätigung der christlich-liberalen Verbraucherpolitik. Wir machen gute Politik für die
Verbraucher, weil wir uns kümmern, weil wir hinhören,
weil wir verstehen, wo den Verbraucher der Schuh
drückt, und weil wir handeln, anstatt Panikmache zu betreiben.
({1})
Die Ergebnisse der Studie motivieren uns, noch besser zu werden. Das Gutachten gibt erste Hinweise darauf: Wohin entwickeln sich die Märkte? Wo müssen wir
mit neuen Schwierigkeiten rechnen? Das nehmen wir
sehr ernst. Darum werden wir uns auch in Zukunft kümmern und das in gute Verbraucherpolitik umsetzen. Aber
Ihre Schlussfolgerungen aus dem Gutachten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen
- das kann ich Ihnen heute, am Weltverbrauchertag,
nicht ersparen -, sind leider genauso überholt wie abwegig. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen.
Zunächst das Verbraucherinformationsgesetz; Sie haben eben davon gesprochen. Es ist so formuliert, dass die
Länder Verstöße gegen Hygienevorschriften melden
müssen, wenn ein Bußgeld von mehr als 350 Euro zu erwarten ist.
({2})
In den anderen Fällen können sie es melden. Aber was
tut Rot-Grün in den Bundesländern, in denen sie regieren? Nichts, gar nichts!
({3})
Baden-Württemberg, mit grün-roter Mehrheit regiert,
meldet keine einzige Verfehlung. Auch von meinem
Bundesland, von Rheinland-Pfalz, rot-grün regiert, wird
keine einzige Verfehlung gemeldet.
({4})
Bayern hingegen ist Spitzenreiter beim Veröffentlichen
von Hygieneverstößen.
({5})
Sie plustern sich hier immer auf und reden von Transparenz. Aber im Ausschuss stimmen Sie dagegen und halten in den Ländern alles unter Verschluss. Transparenz
gibt es bei Ihnen nicht. Ihre Politik ist verlogen.
({6})
Es ist an der Zeit, dass Sie sich selber einmal an Ihre rotgrüne Nase fassen.
({7})
- Ich weiß, die Wahrheit tut weh.
({8})
Wenn Sie einmal im Ausschuss wären, würden Sie anders reden.
({9})
Möchten Sie die Zwischenfrage von Frau Maisch zulassen?
Nein. Die Kollegin hat ja nachher Zeit, ihre eigenen
Ausführungen zu machen.
({0})
Thema: Warteschleifen. Ihr Vorwurf, Verbraucher
würden mit Warteschleifen abgezockt, ist völlig überzogen. Eigentlich müssten Sie es besser wissen - auch Sie,
Herr Kelber, wenn Sie in den Ausschusssitzungen dabei
wären. Warteschleifen sind nach einer Übergangsfrist ab
dem 1. Juni 2013 völlig kostenlos, auch die nachgelagerten.
({1})
Thema: Produktinformationsblätter. Wir haben sie
eingeführt. Anleger sehen jetzt auf einen Blick die wesentlichen Chancen und Risiken von Bankprodukten.
Die deutschen Verbraucher brauchen keine Wärter oder
Wächter. Sie brauchen erst recht keine Finanzmarktwächter bei den Verbraucherorganisationen, wie Sie sie
fordern. Wir haben mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, bereits eine gute Einrichtung. Dort wird ein Verbraucherbeirat eingerichtet,
der hilft, die Aufsichtsaufgaben aus Verbrauchersicht zu
begleiten. Zudem haben wir die Stiftung Warentest bzw.
Finanztest mit 2 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet,
({2})
damit sie Finanzdienstleistungen prüfen und bewerten
und ihre Informationsangebote ausbauen kann.
Auch die Schlichtungsstelle im Luftverkehr kommt.
Bei einem weiteren Thema hängen Sie ebenfalls hinterher, nämlich beim Smiley. Die Gesetzeslage ist klar:
Die Länder können in ihrem Zuständigkeitsbereich Modelle wie etwa ein Restaurantbarometer oder einen
Gastro-Smiley einführen.
({3})
Keiner hindert sie daran.
({4})
Aber: Eine Nährwertkennzeichnung mit Ampelfarben
auf Fertiggerichten lehnen wir ab,
({5})
weil wir die komplexe Welt nicht so einfach auf drei Farben reduzieren wollen. Das würde dem Verbraucher
nicht helfen.
({6})
Wir setzen eben nicht auf Verbote oder Simplifizierungen, sondern wir wollen positive Anreize setzen.
({7})
Deshalb hat die Bundesregierung auch Projekte zur Verbesserung des Ernährungsverhaltens und für mehr Bewegung ins Leben gerufen, die sich vor allem an Kinder
richten. Diese Projekte sind sehr beliebt und auch sehr
erfolgreich.
({8})
Zwei Dinge fallen mir an den Forderungen in Ihren
Anträgen auf: Manche Forderungen, die Sie stellen, sind
veraltet und schon längst umgesetzt.
({9})
Da frage ich mich natürlich: Warum führen Sie all diese
Forderungen seitenweise auf? Sind Ihnen etwa zwischenzeitlich die Ideen ausgegangen? Insgesamt lassen
Ihre Forderungen erschreckende Rückschlüsse auf Ihr
Verbraucherbild zu.
({10})
Der Verbraucher ist für Sie in erster Linie Opfer. In
Ihren Augen treibt er ungeschützt und hilflos auf hoher
See, von den Wellen hin- und hergeworfen, ohne Überblick und ohne die Kraft, selbst zu entscheiden, wohin
die Fahrt gehen soll. Sie trauen dem Verbraucher noch
nicht einmal zu, zu wissen, wohin er überhaupt will. Was
ist das für ein Verbraucherbild, und was ist das für ein
Menschenbild, das dahinter steht!
Wir haben ein ganz anderes Bild vom Verbraucher.
Für uns Christdemokraten und Christsoziale - sicherlich
spreche ich da auch für die FDP - gilt: Wir trauen den
Menschen etwas zu.
({11})
Aber wir überfordern sie auch nicht. Wir wissen, dass
nicht jeder in unserer komplexen und komplizierten
Konsumwelt immer und überall gleich mündig sein
kann.
({12})
Aber jeder Mensch hat seinen Wert und hat seine Fähigkeiten. Für uns ist der Verbraucher nicht in erster Linie
Opfer - er ist es, der die Marktmacht hat, er ist es, der
die Entscheidungen treffen kann,
({13})
und er ist es, der den Impuls für die Wirtschaft setzt. Die
Wirtschaft ist ohne den Verbraucher nichts. Wir schaffen
die Verbindungen, damit der Verbraucher seine Marktmacht auch nutzen kann, und schützen ihn dort, wo er es
nötig hat.
({14})
Es wäre toll, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten
würden.
Vielen Dank.
({15})
Caren Lay hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es wird höchste Zeit für eine gute, moderne und
engagierte Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher. Das gilt nicht nur heute, am Weltverbrauchertag,
das sollte eigentlich jeden Tag gelten.
({0})
Wenn wir uns heute drei Jahre schwarz-gelbe Verbraucherpolitik ansehen, dann müssen wir sagen: Was
die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher angeht, waren das drei verschenkte Jahre
({1})
unter der Ägide einer Ankündigungsministerin, die wir
heute vielleicht besser Untätigkeitsministerin nennen
sollten;
({2})
aber da sie nicht anwesend ist, wird sie diese Worte gar
nicht hören.
Frau Kollegin Heil, ich kann Ihre Jubelbilanz wirklich
nicht unterschreiben. Nehmen wir das Thema Warteschleifen: Diese Regelung gegen Abzocke bei Warteschleifen kam viel zu spät, und sie ist halbherzig gemacht. Oder nehmen wir die Produktinformationsblätter,
mit denen Sie sich hier brüsten wollen.
({3})
Wegen der Produktinformationsblätter von Frau Ministerin Aigner werden die Finanzhaie nun wirklich keine
zitternden Knie bekommen. Wenn das das Einzige ist,
womit diese Regierung die Finanzspekulanten an die
Leine legen will, dann muss ich sagen: Das ist eine traurige Bilanz.
({4})
Diese Regierung wird von einem Lebensmittelskandal nach dem anderen getrieben. Sie haben kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie solche Skandale in Zukunft
verhindert werden können. Ich muss sagen: Die
schwarz-gelbe Verbraucherpolitik bietet überhaupt keinen Anlass, sich zu brüsten.
({5})
Meine Damen und Herren, der Handlungsbedarf im
Verbraucherbereich ist aus meiner Sicht so groß, dass
wir bis zum Ende der Legislaturperiode eigentlich jede
Sitzung mit verbraucherpolitischen Forderungen füllen
könnten. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, wo aus
unserer Sicht dringend gehandelt werden muss. Nehmen
wir die Dispozinsen - hier verweigert sich SchwarzGelb seit vielen Jahren der Forderung nach einer Deckelung -, nehmen wir steigende Mieten, nehmen wir Abmahnungen im Internet, nehmen wir steigende Kosten
bei Heizung und bei Strom: Hier hat diese Regierung
nichts anzubieten, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.
Ich gehe noch einmal kurz auf die Lebensmittelskandale ein. Als der nunmehr fünfte Lebensmittelskandal in
dieser Legislaturperiode aktuell war, hat Frau Aigner
wieder einmal einen nationalen Aktionsplan angekündigt - mit magerem Inhalt: Er ist voller Prüfaufträge.
Alle Prüfaufträge hätte man sich sparen können, wenn
man zu Beginn dieser Legislaturperiode einige der Forderungen von uns Linken aufgegriffen hätte,
({6})
zum Beispiel beim Verbraucherinformationsgesetz.
({7})
Ich finde es, ehrlich gesagt, müßig, danach zu fragen,
welches Land wie viel Verstöße gemeldet hat. Es liegt
doch in der Verantwortung dieser Koalition und dieser
Regierung, Gesetze zu erlassen, die besagen: Jedes Prüfergebnis, das den Behörden vorliegt, muss öffentlich zugänglich sein; das wäre einmal ein vernünftiger Ansatz
gewesen.
({8})
Oder nehmen wir die überhöhten Strompreise. Dieses
Thema ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wir die
Verantwortung nicht auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen können. Natürlich kann man den
Stromanbieter wechseln; aber selbst die Stiftung Warentest sagt, dass bei den Vergleichsportalen im Internet so
viele Fallstricke zu beachten sind, dass es für viele Menschen ganz schwer abzusehen ist, was am Ende dabei herauskommt. Deswegen brauchen wir hier auch andere
Maßnahmen, zum Beispiel eine staatliche Preisaufsicht.
({9})
Das ist genau der zentrale Unterschied zwischen unserer und Ihrer Verbraucherpolitik. Sie verstecken sich
einfach hinter dem Begriff „Eigenverantwortung“. Frau
Heil, da Sie heute gesagt haben, Sie trauten den Menschen etwas zu, muss ich erwidern: Sie lassen die Menschen im Regen stehen und liefern die Verbraucherinnen
und Verbraucher der Wirtschaft aus. Das ist meine Analyse der Situation.
({10})
Ich denke, Sie haben im Kern einfach Angst davor
- darum geht es doch -, die Wirtschaft, also die Unternehmen und Konzerne, in die Pflicht zu nehmen. Wir
nicht!
({11})
Sie fürchten um die Gewinne Ihrer Freunde bei den Konzernen und machen eine entsprechende Verbraucherpolitik. Wir hingegen denken an die Menschen, in deren Interesse wir gute Verbraucherpolitik machen wollen. Das
heißt, hier ab und zu auch einmal ein gutes Gesetz zu erlassen.
({12})
- Herr Kollege Schweickert, die Einschätzung, dass
diese Regierung das permanent tut, kann ich nicht unterschreiben.
Ein letzter Punkt. Auch das sogenannte Anti-Abzocke-Gesetz hat ja wegen des permanenten Streits in
der Koalition jahrelang in den Schubladen gelegen und
schon Schimmel angesetzt. Herausgekommen ist zum
Schluss eine völlig verwässerte Variante von dem, was
wir brauchen.
Wir brauchen endlich eine Regulierung von unseriösem Inkasso.
({13})
Wir müssen verhindern, dass Jugendliche wirklich massenhaft abgemahnt werden, wenn sie mal ein YoutubeVideo über Facebook posten. Auch die Verbraucherzentralen sagen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung in
dieser Sache macht es eher schlimmer als besser.
({14})
Deswegen sage ich auch an dieser Stelle: So kann es
nicht gehen.
({15})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Einige der Maßnahmen, die wir als Linke vorschlagen,
werden der Wirtschaft sicherlich Schmerzen bereiten.
Ich sage aber: Das muss der Politik im Zweifel egal sein,
wenn sie Politik nicht nur für die Konzerne und für die
Märkte, sondern auch für die Menschen betreiben will.
Vielen Dank.
({16})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege
Dr. Erik Schweickert.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland war noch nie
so gut wie heute.
({0})
Es war diese schwarz-gelbe Regierung, die den Verbraucherschutz aus der Nische geholt und in den Fokus ihrer
Politik gestellt hat.
({1})
Vieles von dem, was Sie hier fordern, haben wir bereits erledigt. Aber bei SPD und Grünen dauert es halt
immer etwas länger - genau, wie zu Ihrer Regierungszeit.
({2})
Wir sind beim Verbraucherschutz deutlich weiter als Sie,
die Sie mit dem Schreiben von Anträgen nicht hinterherkommen.
({3})
Schauen wir uns doch einmal die einzelnen Punkte
an:
Sie fordern die Einrichtung von Schlichtungsstellen.
({4})
Das ist längst erledigt. Seit Oktober 2011 gibt es die von
uns eingerichtete Schlichtungsstelle Energie, und
nächste Woche beschließen wir im Bundestag in dritter
Lesung die Einrichtung einer Schlichtungsstelle für den
Flugverkehr.
({5})
Sie fordern mehr Geld für die Stiftung Warentest. Das
ist längst erledigt. Wir haben das Stiftungskapital der
Stiftung Warentest in unserer Regierungszeit um 50 Millionen Euro aufgestockt, und wir haben ihr in diesem
Haushalt 2013 noch einmal 2 Millionen Euro extra für
den speziellen Bereich der Finanzdienstleistungen zukommen lassen, um die Marktüberwachung zu intensivieren.
Sie fordern die Einrichtung eines Sachverständigenrates für Verbraucherfragen. Das ist längst erledigt; denn
wir haben die Stiftung Verbraucherschutz ins Leben gerufen und mit 10 Millionen Euro gefördert.
({6})
Sie fordern Marktwächter für Energie. Auch das haben wir längst erledigt; denn wir haben eine Markttransparenzstelle eingerichtet, die den Markt überwacht und
dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher
dient.
Daneben fordern Sie mehr Transparenz und bessere
Informationen bei Täuschungen im Lebensmittelbereich.
Wir haben gehandelt und das LFGB entsprechend geändert. Nun liegt es an Ihren Vertreterinnen und Vertretern
in den Ländern, diesen Änderungen im Bundesrat auch
zuzustimmen.
Da wir gerade bei den Ländern sind: Ich finde es unredlich, sich hier hinzustellen und ein Kennzeichnungssystem für Gaststätten zu fordern, obwohl Sie wissen,
dass die Wirtschaftsminister der Länder eine solche Regelung blockieren. Lassen Sie also bitte den Schwarzen
Peter dort, wo er hingehört, nämlich in den von Ihnen regierten Ländern.
({7})
Sie fordern die strengere Regulierung von Inkassounternehmen und die Eindämmung unerlaubter Telefonwerbung. Auch hier liefern wir. Am Mittwoch - das ist
also gerade einmal zwei Tage her - wurde ein entsprechender Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb im Kabinett
beschlossen.
({8})
- Jetzt kommt der Zwischenruf „Zu spät“. Die, die zwölf
Jahre lang nichts gemacht haben, sagen jetzt, wir seien
zu spät dran.
({9})
Der Gesetzentwurf wurde also im Kabinett beschlossen. Im Inkassowesen werden die Transparenz- und Informationspflichten erhöht, Gebühren werden gedeckelt
und die Bußgelder bei Verfehlungen werden erhöht. Wir
werden eine schriftliche Bestätigungslösung für am TeDr. Erik Schweickert
lefon geschlossene Verträge im Zusammenhang mit Gewinnspielen einführen.
Wir schließen also Schlupflöcher für Betrüger beim
Inkasso und bei unerlaubter Telefonwerbung und führen
Verbesserungen ein durch kostenfreie Warteschleifen,
durch eine Preisansagepflicht bei Call-by-Call und durch
den Internetbutton. Wäre meine Redezeit länger, könnte
ich diese Liste noch beliebig fortsetzen, meine Damen
und Herren.
({10})
Wenn es aber nach Ihnen ginge, dann könnten wir am
Telefon nicht einmal mehr eine Pizza bestellen. Denn
genau das wäre die Folge einer von Ihnen geforderten
allgemeinen Bestätigungslösung für am Telefon geschlossene Verträge.
({11})
Jetzt kommen Sie und sagen, wir sollten die Zinssätze
für Dispokredite deckeln, was zur Folge hätte, dass die
Girokonten insgesamt teurer würden. Ihrer Meinung
nach soll also derjenige mehr zahlen, der sein Konto
nicht überzieht und seine Finanzen im Griff hat, damit
derjenige weniger zu zahlen braucht, der seine Finanzen
nicht im Griff hat. Diese Form der ungerechten Umverteilung lehnen wir ab.
({12})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
verwechseln Verbraucherschutz mit Verbraucherbevormundung. Sie verfahren getreu nach dem Motto: Wir
wissen besser, was der Verbrauch will, als es der Verbraucher selber weiß. - Verbraucher, die das nicht verstehen oder selbst entscheiden möchten, stellen Sie moralisch in die Schmuddelecke. Das ist aber nicht meine
Vorstellung von Verbraucherpolitik.
Unsere Verbraucherpolitik ermöglicht und ermuntert
zu selbstbestimmten Entscheidungen. Schwarz-gelbe
Verbraucherpolitik hat faire Rahmenbedingungen herbeigeführt, ohne zu bevormunden, und wir folgen keiner
moralischen Zeigefingerpolitik. Wir setzen auf die Freiheit des Geistes, auf die Freiheit des Handelns und auf
die Freiheit der eigenen Entscheidung. Denn wir stehen
für die Freiheit, und Sie stehen für das Verbot.
({13})
Sie wollen Werbeverbote ausweiten, um von Ihnen
als schlecht bewertete Produkte aus dem freien Markt zu
drängen und Verbrauchern keine Wahl zu lassen. Sie
wollen Sonntagsfahrverbote, Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen, Ladenöffnungsverbote am Sonntag,
Schnäppchenverbote, Fleischverbote und einen verpflichtenden Veggieday. Ich würde gerne einmal sehen,
was los wäre, wenn ich einen verpflichtenden Fleischtag
fordern würde.
({14})
Sie wollen in diesem Bereich verbieten, was es zu verbieten gibt, und das schließt sogar das Ponyreiten auf
Jahrmärkten ein.
Überall dort, wo Sie nicht verbieten können, muss zumindest eine neue Steuer her. Sie fordern eine Steuer auf
Plastiktüten, eine Fettsteuer, eine Zuckersteuer. Die
Ökosteuer haben Sie uns schon in Ihrer Regierungszeit
beschert.
({15})
Meine Damen und Herren, Sie wollen die Verbraucher nicht schützen, sondern ans Gängelband nehmen.
Verbraucherpolitik mit Handschellen - das ist die rotrot-grüne Vision.
Weil Sie genau diesem Leitbild in Ihrer rot-grünen
Regierungszeit gefolgt sind, zahlen die Verbraucher
heute beim Strom eine EEG-Umlage, an der Tankstelle
die Ökosteuer und im Supermarkt das Dosenpfand. Das
ist das Ergebnis, wenn man Ihnen die Verantwortung für
die Verbraucherpolitik überträgt: Der Verbraucher zahlt.
({16})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
nun fordern, Schwarz-Gelb solle für bezahlbare Energie
sorgen, dann haben Sie offenbar vergessen, dass RotGrün die Stromrechnungen zu einem Armutsrisiko gemacht hat. Schwarz-Gelb ändert das jetzt.
({17})
Wir setzen nicht auf Bevormundung, und wir setzen
nicht auf Subventionen und Steuern, sondern wir setzen
auf Selbstentscheidung, auf Marktwirtschaft und auf
Wettbewerb.
({18})
Gerade deshalb geht es den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland heute auch besser, als es in Ihren Regierungsjahren jemals der Fall gewesen ist.
Herzlichen Dank.
({19})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Nicole Maisch
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dieser emotional aufgewühlten Verteidigung des
Hackbrötchens und des Ponyreitens ist es natürlich
schwer, die Leidenschaftlichkeit auf diesem Niveau zu
halten.
({0})
Ich will es deshalb erst gar nicht versuchen, sondern direkt zur Sache reden.
In der letzten verbraucherpolitischen Debatte sind wir
Zeugen eines selten uninspirierten ABCs geworden, als
Ilse Aigner ihre magere Bilanz von A bis Z vor uns ausgebreitet hat.
Heute möchten wir Ihnen gerne präsentieren, wie Verbraucherpolitik aussehen würde, wenn wir eine andere
Ministerin, aber vor allem andere Mehrheiten in diesem
Hause hätten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land können sich entscheiden, welche Mehrheit ihre Interessen besser vertritt, indem sie Ihr ABC mit unseren
Anträgen vergleichen.
({1})
Thema Energiepolitik. Wird eine schwarz-gelbe
Mehrheit gewünscht, der zu diesem Thema nicht mehr
als durchschaubare Attacken auf das EEG einfällt? Herr
Schweickert hat die EEG-Umlage zur Disposition gestellt, womit auch Arbeitsplätze vernichtet würden und
die Energiewende abgewürgt würde.
({2})
Oder ist eine Mehrheit erwünscht, die sich wirklich Gedanken macht, wie man die Kosten zwischen den Privatkonsumenten und den großen energieintensiven Unternehmen aufteilen kann? Wir sagen: Führen Sie die
Industrieprivilegien auf einen vernünftigen Stand zurück!
({3})
Dann sind auch die Kosten für die Privathaushalte tragbar.
({4})
Gerade bei der Frage der Energiepreise müssen sich
doch die Menschen angesichts der Tatsache, dass Sie die
Energiewende abwürgen, fragen, wie sie in Zukunft die
Preise für Öl und Gas, die nicht bei uns zu Hause auf
dem Acker wachsen, sondern teuer importiert werden
müssen, bezahlen können.
({5})
Sie haben interessante Vorschläge zum Fracking gemacht. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob das der
richtige Weg ist, die Energiepreise niedrig zu halten. Wir
sagen dazu Nein.
Thema Lebens- und Futtermittelüberwachung: Norovirus auf Erdbeeren, Gammelfleisch, Dioxin-Eier, Pferdefleisch statt Rindfleisch in Fertiggerichten. Da fragt
man sich doch: Wo ist die Verbraucherministerin?
({6})
Reicht es da aus, immer wieder zu fragen: Wo sind die
Länder? - Wir haben eine Verbraucherministerin, die
nichts Besseres zu tun hat, als sich hinter den Ländern zu
verstecken.
({7})
Frau Heil, Sie haben eben meine Zwischenfrage nicht
zugelassen. Sie haben gefragt: Welche Länder veröffentlichen denn am meisten Hygieneverstöße? Dazu kann
ich Ihnen sagen: Baden-Württemberg stand auf einem
guten zweiten Platz und musste dann, nachdem die Gerichte wieder und wieder Veröffentlichungsentscheidungen kassiert haben, feststellen, dass das Gesetz, das Sie
auf Bundesebene gemacht haben, für die Länder im
Vollzug nicht administrierbar ist.
({8})
Da müssen Sie doch einmal Selbstkritik üben und sich
fragen: Wie kann man das Gesetz so verbessern, damit
Bayern und Baden-Württemberg weiter so schön fleißig
veröffentlichen können und die Entscheidungen zur Veröffentlichung nicht von den Gerichten kassiert werden?
({9})
Auch beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten
können die Bürger entscheiden: Wollen sie weiter eine
Regierung Merkel, die beim Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz, bei der Honorarberatung und bei der Finanzaufsicht die Interessen der Anleger fest im Blick
hat, aber die Geldbörse der Bankkunden eben nicht?
Das beste Beispiel ist doch die Frage der Bewertungsreserven der Lebensversicherungen. Hier haben wir die
treuen Kämpfer für die Aktionäre von Allianz und Co.
({10})
Ich frage mich: Wer kämpft denn auf der rechten Seite
des Hauses für die Kunden mit Lebensversicherungen?
Ich empfehle Ihnen einen Blick in Ihren Postkasten zu
Hause im Wahlkreisbüro. Da werden Sie genau wie ich
die vielen Briefe empörter Versicherungsnehmer vorfinden, die die Altersvorsorge, mit der sie gerechnet haben,
eben nicht bekommen werden.
({11})
Wir sagen: Auf den Finanzmärkten ist noch viel zu
tun. Das Thema Dispozinsen ist von meinen Kolleginnen, die vor mir geredet haben, angesprochen worden.
Wir sagen: Auch den Rechtsanspruch auf ein Girokonto
muss es endlich geben. Frau Heil, Sie haben gesagt: Wir
kümmern uns um die Leute. - Wer kümmert sich denn
um die über eine halbe Million Menschen, die überhaupt
kein Konto hat? Darum sollten Sie sich einmal kümmern, weil das wirklich gravierende soziale Probleme
nach sich zieht.
({12})
Frau Heil, Sie haben sich sehr über die Marktwächter
empört. Ich finde, heute ist der falsche Tag, sich über die
Finanzmarktwächter zu empören, weil Ihnen heute wieder einmal von den Verbraucherzentralen aufs Brot geschmiert wird, dass die Regelungen, die Sie zur Transparenz bei Provisionen im Finanzvertrieb getroffen haben,
nicht funktionieren. Die meisten Banken vertreten, was
die Befolgung solcher Transparenzregeln angeht, offensichtlich den Standpunkt: Kann man machen oder eben
nicht. Da stellt sich schon die Frage: Müssen Sie bei der
Marktaufsicht auf der einen Seite, aber natürlich auch
bei der zivilgesellschaftlichen Ergänzung dieser Aufsicht auf der anderen Seite nicht nacharbeiten?
({13})
Ein letzter Punkt angesichts der vielen blinden Stellen
in Ihrem ABC. Da Sie so viel von der Selbstbestimmung
und der Macht der Verbraucherinnen und Verbraucher
gesprochen haben, frage ich mich: Warum sind Sie nicht
in der Lage, die Bedeutung des privaten Konsums und
der privaten Investitionsentscheidung für die ökologische und soziale Transformation unserer Wirtschaft zu
erkennen? Warum erkennen Sie nicht die Macht, die
zum Beispiel hinter den Milliarden Euro steckt, die wir
Deutsche jährlich in die staatlich geförderte RiesterRente investieren? Da kann man sich doch überlegen:
Braucht man nicht Mindestnachhaltigkeitskriterien?
({14})
Ich habe bei Ihnen die Hoffnung aufgegeben, dass wir
uns da auf etwas einigen. Ich glaube, dass ich mich mit
Ihren Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsausschuss relativ schnell auf Standards einigen könnte, was
die unterste Grenze sein sollte für Maßnahmen, die wir
staatlich finanziell fördern.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich über die
Länge unseres Antrags geärgert. Wenn Sie besser gearbeitet hätten, könnte der Antrag kürzer sein. Das ist er
leider nicht. Aber das ist nicht die Schuld der linken
Seite des Hauses, sondern Ihre. Ich denke, da haben Sie
einiges nachzuarbeiten.
({15})
Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn die Opposition John F. Kennedy bemüht, dann klingt das geradezu hilflos.
({0})
Denn das Wort „Nachbesserung“ war das Synonym für
Ihre rot-grüne Regierungszeit.
Meine Damen, meine Herren, je strenger die Gesetze
- man wirft uns vor, dass wir zu wirtschaftsfreundlich
wären - und je höher die Standards, umso schneller werden kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt gekegelt.
({1})
In dieser Herausforderung befinden wir uns. Das heißt,
wir streben eine Politik auf Augenhöhe an, die jedem gerecht wird und jedem gerecht werden muss.
Ich zitiere an dieser Stelle einen grünen Abgeordneten
des Europäischen Parlaments, der gesagt hat: Wenn alle
bestehenden Gesetze eingehalten würden, dann bräuchten wir keine neuen. - An dieser Stelle wiederhole ich
unseren Appell an die Bundesländer, ihrer Hausaufgabe
besser gerecht zu werden.
({2})
Ich sage es gerne noch einmal: Diese Bundesregierung hat für den Verbraucherschutz mehr getan als jede
andere Regierung zuvor.
({3})
Dieses Etikett gilt auch für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mich freut es ganz einfach, dass auch die
neutrale Studie von Prognos zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher zu dem Ergebnis gekommen ist:
Die machen eine gute Politik.
({4})
Wer bisher aufmerksam zugehört hat, der musste sich
fragen: Sind wir eigentlich in einem verbraucherpolitischen Entwicklungsland?
({5})
Was passiert hier eigentlich? Wird nicht unter dem
Deckmantel einer modernen Verbraucherpolitik ein ganz
anderes Ziel verfolgt, nämlich eine demokratisch legitimierte Erziehungsdiktatur?
({6})
Gerade weil wir uns der wachsenden Bedeutung des
Verbraucherschutzes bewusst sind, haben wir Verbraucherschutz und Politik umfassend im Blick. Ich zitiere
gerne unsere Ministerin, die in ihrer letzten Rede von
„Verbraucherpolitik von A bis Z“, von „Anlegerschutz“
bis „Zu gut für die Tonne“, gesprochen hat.
({7})
Das sind Themen, die Sie zu Ihrer Zeit nie auf der
Agenda hatten.
({8})
Natürlich ist es unsere Aufgabe, falsche Entwicklungen zu korrigieren. Ich sage noch einmal: Wir stellen die
Weichen richtig. Ich erinnere sehr gerne an das, was der
Kollege Professor Schweickert in diesem Zusammenhang gesagt hat. Ich bin auch tourismuspolitische Sprecherin. Wir haben die Weichen für die Schlichtungsstelle
im öffentlichen Personenverkehr neu gestellt. Inzwischen arbeitet diese Schlichtungsstelle so erfolgreich,
dass immer mehr Verkehrsunternehmen mitmachen wollen, ob im Bereich Schiffe oder im Bereich Busse. Für
nächste Woche ist die Einbringung des Gesetzentwurfs
zum Thema Luftverkehr angekündigt.
All das ist nicht selbstverständlich. Ich weiß, dass die
Akzeptanz dieser Schlichtungsstelle aufgrund unserer
Politik weiter wächst.
Meine Damen und Herren, wir sind damit in Sachen
Fahrgastrechte gut unterwegs. Das Verfahren der außengerichtlichen Streitbeilegung wird weiter an Akzeptanz
gewinnen und sich bewähren.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Thema Ernährung sagen. Ich bin auch Ernährungsexpertin. Ich bin
gelernte Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Wenn
Sie von gesunder Ernährung reden, kann ich Ihnen nur
sagen: Es gibt keine gesunde Ernährung, sondern nur ein
gesundes Ernährungsverhalten. Deshalb setze ich auf
eine abwechslungsreiche, saisonale, regionale und bedarfsgerechte Ernährung. Ich selber weiß am besten den
Wert einer ausgewogenen Ernährung zu schätzen. Es ist
nichts günstiger und besser, als Rohstoffe selber zu verarbeiten sowie Kochen und Essen zum gemeinsamen Erlebnis zu machen.
Deshalb begrüße ich ausdrücklich das geforderte
Schulfach Allgemeinbildung bzw. Alltagsökonomie und
Lebensökonomie bzw. Alltagskompetenz. Für uns ist es
wichtig, dass wir nicht jede Verantwortung auf die
Schule und den Staat verlagern. Ein solches Unterrichtsfach kann dazu beitragen, Schüler von Anfang an im
Sinne eines mündigen Verbrauchers fit zu machen. Ich
sehe mich hier mit den Landfrauen auf der richtigen
Seite.
({9})
Denn ob Ernährung, Finanzen oder Medien: Kinder
müssen sich auf immer komplexer werdenden Märkten
zurechtfinden. Ich freue mich übrigens, dass das Bundesland Schleswig-Holstein bereits das Unterrichtsfach
Verbraucherbildung eingeführt hat, und zwar unter Peter
Harry Carstensen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten.
Frau Mortler.
Frau Präsidentin, ich schließe sofort. - Es wäre schön,
wenn das Bündnis für Verbraucherbildung auf Länderebene noch größere Zustimmung fände. Wir brauchen
keine Bevormundung und erst recht keine Entmündigung, sondern mündige Verbraucher von Anfang an.
Danke schön.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gabriele
Groneberg das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
möchte mit dem Thema Energie fortfahren; das hatten
wir vorhin kurz gestreift. Herr Schweickert war kurz darauf eingegangen. Ich kann gerade nach den Reden der
letzten Tage nur feststellen: Das organisierte Chaos der
Bundesregierung bei der Energiewende sollte eigentlich
kaum noch zu toppen sein. Doch Frau Ministerin Aigner
setzt hier durch Nichtstun Standards. Auch das ist schon
eine Leistung.
({0})
Ohne Frage steht das Thema der steigenden Energiepreise für Verbraucherinnen und Verbraucher ganz oben
auf der Agenda; denn genauso wie das Wohnen gehören
zu den Grundbedürfnissen eine warme Wohnung und
Energie zum Heizen, Kochen, Lesen, Musikhören und
Fernsehen. Sinnigerweise finden wir dazu nichts von der
Verbraucherministerin.
({1})
Sie ist auf diesem Feld genauso abwesend wie im Augenblick hier im Plenum.
({2})
Sie haben das Gutachten zur Verbraucherpolitik angesprochen, Frau Mortler, Frau Heil und Herr
Dr. Schweickert. Ich finde das witzig. Wo sind denn Ihre
Schlussfolgerungen aus dem Gutachten? Das Gutachten
sagt ganz genau, wie man damit umzugehen hat. Wo
sind denn jetzt die Vorschläge der Ministerin für bezahlbare Energie, gegen Energiearmut sowie für bezahlbare
Mieten und bezahlbares Wohnen? Was tut sie gegen die
Steigerung der sogenannten zweiten Miete, der Nebenkosten? Nichts, gar nichts! Ihre Kabinettskollegen
Rösler und Altmaier organisieren fröhlich das Chaos in
der Energiewende. Ihre Aufgabe wäre es, sich hier einzumischen. Aber hier passiert nichts. Sie glänzt nur
durch Abwesenheit.
({3})
Sie haben in den Debatten der letzten Tage zwar über
die hohen Energiepreise geklagt, aber nur unter dem Aspekt, wie sich diese auf die deutschen Unternehmen auswirken und wie diese darunter zu leiden haben.
({4})
Wir fragen uns: Wo bitte sind denn die Menschen in
Deutschland abgeblieben? Brauchen diese etwa keinen
Strom? Der Privatverbraucher ist doch derjenige, der mit
den von Ihnen zu verantwortenden hohen monatlichen
Stromabschlägen die Unternehmen in Deutschland mitfinanziert. Dazu war von Ihnen in den letzten Tagen
nichts zu hören. Auch heute gab es dazu keinen Piep.
Fakt ist doch: Die Bürgerinnen und Bürger zahlen für
eine total verkorkste Energiewende in Deutschland. Sie
zahlen für die Regressforderungen der Energiekonzerne,
weil diese Bundesregierung nicht in der Lage war, den
Ausstieg aus der Atomenergie vernünftig zu organisieren.
({5})
Sie zahlen für den Wegwerfstrom, der durch den fehlenden Netzausbau und die damit einhergehende Verstopfung der Netze entsteht, weil diese Bundesregierung
nicht in der Lage war, den Netzausbau in Deutschland zu
organisieren.
Die Bürgerinnen und Bürger zahlen, weil Sie in Europa auf der Bremse stehen, wenn es um Energieeffizienz geht.
({6})
Sie zahlen, weil Sie den Unternehmen, die in den Ausbau der Windkraft investieren wollen, keine Investitionssicherheit bieten. Außerdem zahlen sie, weil sinkende
Strompreise an der Börse nur an die Großindustrie, aber
nicht an die Verbraucher weitergegeben werden.
({7})
Sie zahlen, weil die massiv ausgeweiteten Ausnahmen bei der Stromsteuer, von denen im Übrigen pikanterweise Hähnchenmastanlagen und Golfplätze profitieren,
({8})
vom Verbraucher zu bezahlen sind. Sie zahlen, weil Sie
nicht in der Lage sind, etwas Wirkungsvolles gegen die
steigenden Energiepreise zu unternehmen.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aufgrund der
steigenden EEG-Umlage mit Mehreinnahmen bei der
Mehrwertsteuer von bis zu 1 Milliarde Euro pro Jahr im
Bundeshaushalt zu rechnen ist, haben wir Ihnen angeboten, diese Mehreinnahmen mit unserer Zustimmung
auch dafür zu verwenden, Strom für Familien und Geringverdiener billiger zu machen. Darauf sind Sie in keiner Weise eingegangen. Wenn Sie darauf eingehen und
zu diesem Thema in die Bütt gehen würden, dann würden wir Ihnen zustimmen.
So kann ich aber nur feststellen: Dieses Verbraucherschutzministerium ist keines. Es stellt keine Lobby für
Verbraucherinnen und Verbraucher dar.
Wie soll der Verbraucher bei rund 1 000 Stromanbietern und etwa 800 Gasanbietern noch den Überblick behalten?
({9})
Da soll er mündig sein? Ich frage mich, woher der Verbraucher die Zeit nehmen soll, um sich in diesem
Dschungel noch zurechtzufinden.
Wir brauchen Markttransparenz und Marktüberwachung. Das täte diesem Bereich ganz besonders gut. Hier
funktionieren die Märkte aber nur zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das gilt beim Benzin genauso wie beim Gas oder auch beim Öl.
({10})
Wir brauchen also dringend Marktwächter, die die
Nutzer unterstützen, die die Nutzer auf Augenhöhe bringen und die auch die Aufsichtsbehörden unterstützen
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass sich
die Menschen in Deutschland beim Thema Bundesregierung in einigen Monaten im eigenen Interesse sehr energiesparend verhalten werden. Wenn ich unnötige Stromfresser an der Steckdose habe, schalte ich diese aus.
Mündige Wählerinnen und Wähler werden sich im September genauso verhalten.
Vielen Dank.
({11})
Jetzt hat Carola Stauche das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich reden wir am
Weltverbrauchertag in diesem Hohen Hause gern über
den Verbraucherschutz. Das können wir als christlich-liberale Koalition auch mit gutem Gewissen tun; denn
keine andere Koalition hat so viel für den Verbraucherschutz getan wie wir in den letzten knapp dreieinhalb
Jahren.
({0})
Dass Ihnen das nicht passt, erkennen wir deutlich an
Ihren Reaktionen. Sie verstricken sich ständig in Widersprüche. Vorhin wurde uns zum einen vorgeworfen, wir
würden dem Verbraucher zu wenig Informationen geben, zum anderen aber auch, wir würden ihm verwirrenderweise zu viele Informationen geben. Dann wollen
Sie, dass wir Handel und Industrie in die Pflicht nehmen.
Wird dies getan und beteiligen sie sich an der Verbraucheraufklärung, passt Ihnen das auch wieder nicht.
Ich weiß, warum wir dieses Thema jetzt regelmäßig
diskutieren. Nicht etwa, weil Ihnen die Verbraucherinnen und Verbraucher am Herzen liegen.
({1})
Nein, Ihnen sind die Wahlkampfthemen ausgegangen.
({2})
Uns ist der Schutz der Verbraucher mindestens genauso wichtig, wie er Ihnen ist. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Wir als christlich-liberale Koalition nehmen die Ängste der Verbraucher ernst.
({3})
Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, wecken und schüren ständig Ängste. Die beiden Anträge,
um die es in der heutigen Debatte geht, machen das wieder einmal ganz deutlich.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch:
({4})
Wenn der Verbraucher getäuscht wird, wie es bei den
jüngsten Lebensmittelskandalen geschehen ist, gehört
das mit aller Härte des Gesetzes bestraft.
({5})
Aber einen ganzen Wirtschaftszweig, zum Beispiel die
Tierhaltung, zu verteufeln, wie das beispielsweise im
Antrag der Grünen getan wird, kann nicht die Lösung
sein.
({6})
Um Ängste zu schüren, brauche ich selbstverständlich
auch einen Räuber hinter dem Baum, der den Verbrauchern auflauert.
Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen dem
Verbraucherschutz, wie Sie, sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen der Opposition, ihn sich vorstellen, und
wie wir von der Union ihn uns vorstellen. Wir möchten
niemanden bevormunden. Wir maßen uns nicht an, zu
wissen, was der Verbraucher kaufen will.
({7})
Wir überlassen das dem Markt oder, besser gesagt, wir
überlassen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern,
selbst zu entscheiden, was sie konsumieren wollen. Wir
stehen für den mündigen Verbraucher, der selbst entscheidet, was auf den Tisch, in den Einkaufswagen oder
in das Bankportfolio kommt. Wir schreiben nicht vor,
wir bevormunden nicht, wir informieren und lassen
selbst entscheiden.
({8})
Das heißt allerdings nicht, dass wir die Verbraucher
alleinlassen, wenn es beispielsweise aus einer Mischung
von Profitgier und krimineller Energie zur Täuschung
von Verbrauchern kommt. Hier wurden bereits vorhandene Sicherungssysteme durch weitere sinnvolle Angebote des Bundesministeriums erweitert.
Lassen Sie mich einiges stichwortartig vorstellen, was
an Verbraucherschutz seit November 2009 verabschiedet
wurde. Die Initiative „Klarheit und Wahrheit“ mit der
Homepage www.lebensmittelklarheit.de ist ein Beispiel,
wie sich Verbraucherinnen und Verbraucher informieren
und, wenn nötig, beschweren und untereinander austauschen können. Für den Bereich Ernährungsbildung und
Ernährungsinformation wurden Bildungsbausteine für
Kitas, Schulen und Senioren entwickelt und aktualisiert.
Das Gleiche gilt für Qualitätsstandards für gesunde Ernährung bei Gemeinschaftsverpflegung.
Die Förderung aus dem Bundeshaushalt für die Verbraucherzentrale Bundesverband, die Stiftung Warentest
und den DIN-Verbraucherrat ist weiterhin garantiert.
Das Stiftungskapital der Stiftung Warentest wurde zusätzlich auf nun 75 Millionen Euro aufgestockt. Es
wurde ein zentrales Verbrauchertelefon eingerichtet. Die
Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ läuft seit
einem Jahr.
({9})
Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch wurde dahin gehend geändert, dass Rechtsverstöße, die bei der
Lebensmittelüberwachung aufgedeckt wurden, durch die
Behörden veröffentlicht werden müssen. Es muss nur
getan werden.
({10})
Es wurden Kriterien für eine Regionalkennzeichnung
entwickelt. Seit Mitte Januar kann man bereits so gekennzeichnete Produkte kaufen. Es wurde das Tierschutzlabel eingeführt und, und, und.
Ich will nicht noch einmal all das aufzählen, worauf
meine Kollegen schon hingewiesen haben. Auch möchte
ich nicht all das, was Frau Ministerin Aigner bereits in
der vergangenen Diskussion hier im Plenarsaal darlegte,
wiederholen. Insgesamt ist aber festzustellen: Die verbraucherpolitische Bilanz der schwarz-gelben Regierungskoalition ist gut. Das sollte auch einmal die Opposition anerkennen.
({11})
Ich würde mich freuen, wenn die Opposition in der
Diskussion wieder mehr das Wohl und nicht die Ängste
der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt stellen und zur Sachlichkeit zurückkehren würde;
denn dann wäre dem selbstbestimmten und eigenverantwortlich handelnden Verbraucher am meisten geholfen.
Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/12689 und 17/12694 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und
anderer Gesetze
- Drucksache 17/12636 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Straßenverkehrsteilnehmer
- nicht nur die Autofahrer - und Führerscheininhaber
haben Anspruch auf ein klares und nachvollziehbares
Regelwerk. Beim Flensburger Verkehrszentralregister,
im Volksmund „Verkehrssünderdatei“ genannt, kann von
solcher Klarheit und Nachvollziehbarkeit leider Gottes
schon längst keine Rede mehr sein. Es ist bekanntermaßen über 50 Jahre alt, und hier hat sich viel Unnachvollziehbares und Intransparentes eingeschlichen. Das wollen wir nun ändern.
Das neue Fahreignungsregister - so nennen wir es
jetzt - macht das ganze System einfacher, gerechter und
vor allen Dingen transparenter, wobei das oberste Ziel ist
und immer sein muss, mehr Verkehrssicherheit zu schaffen. Dazu legen wir heute in erster Lesung den Entwurf
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vor.
Das Thema betrifft naturgemäß viele Millionen Menschen. Deshalb haben wir ganz bewusst dafür gesorgt,
dass die Reformpläne das Ergebnis eines breit angelegten Verfahrens der öffentlichen Beteiligung sind. Unsere
Eckpunkte vom Frühjahr des vergangenen Jahres haben
wir nicht nur mit den Ländern und den Verbänden, die
im Verkehrsbereich aktiv sind, eng beraten, sondern wir
haben in den ersten drei Maiwochen des letzten Jahres
auch ein ausgesprochen breit angelegtes Verfahren der
Bürgerbeteiligung durchgeführt, begleitet von einer
ganztägig anwesenden Expertengruppe von jeweils
sechs Helfern und Beratern, die ständig an den Telefonen und online waren. Sie haben in diesen drei Wochen
30 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern erhalten.
All dies ist in unsere Erwägungen eingeflossen.
Künftig sollen Punkte nur noch für solche Verstöße
vergeben werden, die für die Verkehrssicherheit relevant
sind. Zwei Beispiele für Verstöße, bei denen keine
Punkte mehr vergeben werden sollen: Verstöße gegen
das Sonntagsfahrverbot oder gegen die Umweltplakettenpflicht. Weil diese Verstöße nicht verkehrssicherheitsrelevant sind, sollen sie keine Punkte mehr zur Folge haben. Aber ich sage in aller Deutlichkeit: Wer dagegen
verstößt, geht natürlich nicht leer aus; denn er wird natürlich mit einer Bußgeldsanktion belegt. Beispielsweise
ist für einen Verstoß gegen die Umweltplakettenpflicht
ein Bußgeld von 80 Euro vorgesehen, also ein höheres
Bußgeld als bisher.
Unsere Vorschläge zur neuen Höhe der Bußgelder
halte ich übrigens für ausgewogen. Ich glaube, alle, die
sich mit Bußgeldern in Nachbarländern Deutschlands
befassen, können das bestätigen. Wer beispielsweise die
Höhe der Bußgelder in Italien oder Österreich kennt
- ich selbst wurde noch nie Opfer davon, aber es wird
mir ständig erzählt -, der muss sich diesbezüglich in
Deutschland regelrecht wohlfühlen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Punktesystem
wird also einfacher und transparenter:
Erstens. Verstöße werden künftig mit einem Punkt,
mit zwei Punkten oder mit drei Punkten geahndet, je
nach Schwere des Verstoßes. Unterschieden wird zwischen einem schweren Verstoß, einem besonders schweren Verstoß und einem besonders schweren Verstoß inklusive eines Tatbestandes, der strafrechtsrelevant ist,
beispielsweise wenn jemand über eine Ampel fährt, die
schon länger als eine Sekunde rot war, und dabei auch
noch jemanden verletzt.
Zweitens. Wir schaffen einen Punktetacho - so haben
wir es genannt - und sehen klare Maßnahmen vor: Bei
ein bis drei Punkten erfolgt zunächst eine Vormerkung,
ab vier Punkten eine Ermahnung, ab sechs Punkten eine
Verwarnung mit Anordnung der Teilnahme an einem
Fahreignungsseminar, ab acht Punkten schließlich ein
Führerscheinentzug.
Drittens. Es wird endlich feste Tilgungsfristen geben.
Jeder Verstoß verjährt für sich, und es wird keinen
Mischmasch mehr mit Überliegefristen und Tilgungshemmungen geben.
({0})
Jeder kann sich also darauf verlassen, dass Punkte für einen bestimmten Verstoß nach einer klar definierten Zeitspanne auch wieder gelöscht werden.
Meine Damen und Herren, bei so vielen Betroffenen
kann es nicht verwundern, dass heftig darüber diskutiert
wird; schließlich gibt es unter den 82 Millionen Menschen in Deutschland 82 Millionen Experten für dieses
Thema. Das betrifft übrigens auch die Frage - ich will
das ganz offen ansprechen -, ob es nicht weiterhin einen
Punkterabatt für solche Personen geben soll, die sich
freiwillig einem Seminar unterziehen. Ein Argument
lautet, dass ohne eine solche Rabattregelung besonders
Vielfahrer stärker belastet sind. Ich weiß, das ist ein
ernstzunehmendes Argument. Bei allem, was wir hier
entscheiden und tun, sollten wir hier aber immer die
Frage der Verkehrssicherheit an vorderste Stelle rücken.
({1})
In diesem Fall müsste man die Frage beantworten, wann
jemand ein Vielfahrer ist: bei 20 000 Kilometern, bei
50 000 Kilometern oder bei 100 000 Kilometern? Dabei
eine Abgrenzung vorzunehmen, ist auch keine ganz einfache Angelegenheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im
jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren zu praktikablen und überzeugenden Lösungen kommen. Ich
werbe ausdrücklich für einen fraktionsübergreifenden
Konsens. Bei der Materie, um die es sich hier handelt,
geht es um Menschen und um Verkehrssicherheit. Ich
glaube, hier kann das ganze deutsche Parlament zu einer
einheitlichen Auffassung gelangen.
Danke schön.
({2})
Jetzt hat für die SPD-Fraktion das Wort die Kollegin
Kirsten Lühmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Kaum ein Verkehrsthema ist so emotional besetzt
wie das, das wir heute im Rahmen der ersten Lesung des
Gesetzentwurfs zum Verkehrszentralregister diskutieren.
Wenn man an einem Stammtisch sitzt und Gesprächsthema das Auto ist, kommt unweigerlich irgendwann die
Frage: Und, wie viele Punkte hast du? - Was ist die richtige Antwort darauf? Wenn man zugibt, gar keine Punkte
zu haben, gilt man als Weichei und Laternenparker.
Wenn man zugibt, zu viele Punkte zu haben, könnte es
sein, dass die Runde einem als potenzielle Verkehrsgefahr den Schlüssel wegnimmt.
Aber es gibt auch ganz viele Menschen, die gar nicht
wissen, wie viele Punkte sie aktuell haben, und das ist
ein Zustand, der nicht tragbar ist. Darum hat Bundesminister Tiefensee schon 2009 gesagt: Da müssen wir etwas tun. In der letzten Legislatur haben die damaligen
Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU einen Antrag
vorgelegt, mit dessen Verabschiedung beschlossen
wurde, dass eine Expertengruppe eingesetzt wird, die
sich dieses Themas annehmen soll. Diese Expertengruppe hat im Sommer letzten Jahres ein Ergebnis vorgelegt.
Ich fange mit dem Positiven an: Wir haben jetzt einen
Gesetzentwurf. Das ist, mit Verlaub, bei unserem jetzigen Verkehrsminister nicht selbstverständlich. Er fängt
als Ankündigungsminister zwar viele Themen an, sei es
nun das Problem der „Kampfradler“ oder die Frage der
medizinisch-psychologischen Untersuchung, ohne sie
abzuschließen; aber in diesem Fall liegt uns etwas vor.
Eine zweite Sache finde ich bedeutsam: Das ist die
eben schon angesprochene Bürgerbeteiligung. Ich
denke, diese Bürgerbeteiligung zeigt, dass wir mehr Akzeptanz für Gesetzeswerke erreichen können. Die Zahl
von 30 000 Menschen, die sich daran beteiligt haben,
macht deutlich, dass dafür ein Bedarf da ist. Ich würde
dieses positive Ergebnis gerne auf andere Gesetzesvorhaben übertragen.
Um zu den Inhalten zu kommen: Worüber reden wir?
Der Minister hat es eben angedeutet, aber nicht klar gesagt: Was ist die Flensburger Datei? Wozu soll sie dienen? Wir lesen und hören in den Medien viele Begriffe
wie „Bestrafung von Verstößen“ - auch der Minister hat
davon gesprochen -, „Strafpunkte“ oder „Verkehrssünder“, ein weiteres Wort, das es nur bei uns in Deutschland gibt. Wir denken also an Strafe und Erziehung.
Aber ist es das wirklich? Nein, meine Kollegen und Kolleginnen, das ist es nicht. Es geht bei diesem Verkehrszentralregister darum, dass man der Verwaltung ein Instrument an die Hand gibt, mit dem sie erkennen kann,
ob jemand geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen oder
nicht; mehr ist es nicht. Es ist kein pädagogisches System, und es soll auch nicht zur Bestrafung von Autofahrern dienen.
Jetzt komme ich zu den Vorschlägen, die die Expertenkommission damals gemacht hat. Aus dem von mir
genannten Grund hat sie gesagt, das Sinnvollste wäre, es
gäbe gar keine Punkte mehr. Entscheidend ist nur, dass
jemand gegen Verkehrsregeln verstoßen hat und wie oft
er dagegen verstoßen hat. Darum geht es, wenn wir der
Verwaltungsbehörde helfen wollen. Die Sicherheit des
Verkehrssystems hängt grundlegend von der Zuverlässigkeit der Menschen ab, die daran teilnehmen. Die Begründung der Verkehrspsychologen war eindeutig. Die
Bewertung dieses Regelverstoßes in schwer oder weniger schwer ist irrelevant. Allein entscheidend ist, dass sie
registriert werden.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel, damit Sie sehen, dass es
schon jetzt gängige Praxis ist. In dem Bereich, in dem
ich als Polizistin tätig war, gab es eine Kraftfahrzeugführerin, die sich niemals angeschnallt hat, aus Prinzip
nicht. Das ist ein Verstoß, der zwar mit einem Bußgeld
bewehrt wird, aber von uns allen letztendlich als nicht so
gravierend angesehen würde, um die Fahrerlaubnis zu
entziehen. Nach einer gewissen Zeit, in der wir sie immer wieder darauf angesprochen haben und sie immer
noch nicht bereit war, sich regelkonform zu verhalten,
wurde ihr wegen Unzuverlässigkeit die Fahrerlaubnis
entzogen. Das ist heute schon möglich. Ich denke, das
war auch der Grund, warum die Experten dieses System
vorgeschlagen haben.
Der Minister hat sich anders entschieden. Im ersten
Entwurf, der der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ging
es darum, sich auf nur noch einen oder zwei Punkte zu
beschränken. In dem Entwurf, den wir jetzt haben, lesen
wir, dass es ein, zwei und drei Punkte geben soll. Hier,
liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich mir die Frage:
Was ist daran das revolutionäre Neue? Ob ich 7 Punkte
habe und mit 18 Punkten den Führerschein verliere oder
ob ich 3 Punkte habe und den Führerschein mit 8 PunkKirsten Lühmann
ten verliere, das hat nichts mit einem neuen System zu
tun, sondern ist eine Kleinigkeit. Das hat nichts mit
Transparenz zu tun. Das versteht kein Mensch. Die ersten Fachleute, wie die vom ACE, sagen: Kinder, lasst
bitte alles beim Alten. Das ist doch einfach nur eine Reform des Aktionismus wegen.
Unsere Länder haben auch noch andere Bedenken.
Eines wurde angesprochen, was wir leider nicht im Ausschuss behandeln. Es geht nämlich um die Änderung
von Verordnungen. Für Verordnungen ist der Bundestag
nicht zuständig. Diese Verordnungen haben aber elementar etwas mit unserer Reform zu tun. Wenn es nur
noch ein bis drei Punkte gibt, dann geht es um die Frage:
Welcher Verstoß soll mit wie vielen Punkten geahndet
werden? Das ist eine ganz gravierende Frage. Welcher
Verstoß ist so gravierend, dass es zwei Punkte gibt, und
welcher ist so gravierend, dass es drei Punkte gibt? Das
wird im Ausschuss nicht beraten. Es wäre schön, wenn
wir es machen könnten.
Die nächste Frage, die sich daran anschließt, ist: Was
machen wir mit Verstößen, für die es keinen Punkt mehr
gibt? Der Minister hat gerade angedeutet, dass er dann
das Bußgeld erhöhen will. Wie könnte das aussehen?
Dazu gibt es einen ersten Entwurf. Für das Einfahren in
die Umweltzone soll es künftig keinen Punkt mehr geben. Damit können wir uns alle anfreunden. Dafür soll
das Bußgeld von 40 Euro auf 80 Euro erhöht werden.
Herr Ramsauer, mich interessiert nicht, wie viel ich dafür in Frankreich oder Spanien bezahlen muss. Mich interessiert, wie das in unser Gefüge der Bußgelder passt.
Ich lese in der Reform, die Sie neu auf den Weg gebracht
haben: Das Parken auf einem Fahrradschutzstreifen
- aus meiner Sicht eine höchst gefährliche Sache; Sie
parken auf einem Fahrradschutzstreifen und die Fahrräder müssen auf die Fahrbahn ausweichen - kostet
10 Euro, und das Einfahren in eine Umweltzone kostet
zukünftig 80 Euro. Das passt für mich nicht mehr zusammen. Darüber müssen wir reden.
({0})
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, den
Sie bereits erwähnt haben. Das ist die Frage: Soll es einen Punkterabatt geben? Ich nenne Ihnen ein Beispiel,
warum wir einen Punkterabatt haben: Margret Meier,
Anfang 40, zwei Kinder, keine Raserin, keine Dränglerin, Otto Normalfahrerin wie wir alle, ist mit dem Handy
am Steuer erwischt worden. Der Kindergarten hat angerufen, und sie ist natürlich rangegangen. Sie wurde erwischt: ein Punkt. Zwei Jahre später will sie ihre Großtante in Erfurt besuchen. Sie kennt Erfurt nicht. Die
Großtante lebt dort in einem Altersheim. Sie weiß nicht,
dass es in der Umweltzone liegt und übersieht die Schilder. Sie fährt in die Zone hinein, wird erwischt, und das
14 Tage bevor ihr Punkt verjährt. Dumm gelaufen. Dieser Punkt bleibt und ein zweiter kommt hinzu. Das heißt,
wenn wir die Reform nicht umsetzen, dann bleibt die Situation, dass sich bei Menschen, die alle zwei Jahre einmal erwischt werden, die Punkte ansammeln. Das sind
nicht die Menschen, die wir erreichen wollen. Es war
sinnvoll, dass wir bisher in diesem Fall die Möglichkeit
eines Punkteabbaus hatten.
Aber jetzt haben wir eine andere Situation. Der Punkt
von Frau Meier, den Sie für das Telefonieren mit Ihrem
Handy bekommen hat, ist nach zwei Jahren weg, völlig
egal, was zwischendurch passiert. Wenn das so ist, sehe
ich keinen Grund, warum Frau Meier die Möglichkeit
haben soll, die Punkte abzubauen; denn das würde ja
heißen, dass sie innerhalb dieser zwei Jahre noch fünf-,
sechs- oder siebenmal zusätzlich aufgefallen ist.
Das alles bedeutet, dass diejenigen, die sich die
neuen, teuren Seminare leisten können, zukünftig eigentlich gar nicht mehr den Führerschein verlieren. Die reichen Raser werden begünstigt, und die Menschen, die
wir eigentlich erreichen wollen, erreichen wir nicht.
Fazit: Insgesamt liegt noch eine Menge Arbeit vor
uns. Es ist nicht unser Ziel, den Otto Normalverkehrsteilnehmenden für einen Fehler, der uns allen passieren
kann, zu bestrafen. Unser Ziel ist es, diejenigen von unseren Straßen zu bekommen, die andere Verkehrsteilnehmer verunsichern: die Raser und Drängler, die notorischen Schnellfahrer.
Kollegin Lühmann, diese Arbeit müssen Sie tatsächlich in den Ausschussberatungen fortsetzen.
({0})
Ich schließe mit einem Zitat eines Verkehrswissenschaftlers:
Sie verfügen zur Durchsetzung eigener Interessen
eine frei zugängliche Tatwaffe mit erheblicher
Masse und Bewegungsenergie.
Diese Menschen wollen wir von der Straße haben zugunsten derjenigen, die sich ordentlich verhalten oder
vielleicht einmal ein bisschen auffällig sind.
Herzlichen Dank.
({0})
Passend dazu mache ich mir gerade Gedanken darüber, was diese Überschreitung der Redezeit eigentlich
an Sanktionen hervorrufen sollte.
({0})
- Genau.
Das Wort hat die Kollegin Petra Müller für die FDPFraktion.
({1})
Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist unsere erste Beratung - das wurde schon gesagt -,
und ich finde es gut, dass wir über dieses Thema diskutieren. Es geht um die Reform des Verkehrszentralregisters. Damit setzen Union und FDP einen wichtigen
Punkt des Koalitionsvertrages um. Wichtig ist vor allen
Dingen eines - der Minister hat es eben ganz ausführlich
erläutert -: die Verkehrssicherheit.
Im Mittelpunkt der Reform und unserer Vorschläge
steht die Verkehrssicherheit. Es wird die Möglichkeit geben, den Führerschein bei schweren Verstößen sofort zu
entziehen. Ich glaube, dass die Akzeptanz für solche
Maßnahmen bei den Autofahrerinnen und Autofahrern
in unserem Land sehr groß sein wird.
Das jetzige System - auch das ist schon angeklungen ist für Autofahrer intransparent und viel zu kompliziert.
Das gehen wir erfolgreich an. Das hat ein Lob verdient.
Jeder Autofahrer in unserem Land hat das Recht, zu wissen, wie viele Punkte er hat. Durch die Reform soll er
künftig schnell und einfach einschätzen können, wie
viele Punkte er hat und wie das mit dem Punkteabbau
funktioniert. Derzeit ist es nur Verkehrsfachleuten und
Verkehrsrechtsanwälten möglich, festzustellen, wie viele
Punkte man hat. Es kann nicht sein, dass man jemanden
beschäftigen muss, um eine einfache Information vom
Staat zu erhalten.
Ein weiteres Manko des bisherigen Systems: Die Tilgungsfristen - auch das hat die Kollegin eben angesprochen - sind undurchsichtig und kompliziert. Aber auch
dieses Problem gehen wir durch die Reform erfolgreich
an. Wir werden feste Tilgungsfristen setzen. Allerdings
richten sich diese nach der Schwere des Vergehens. Die
Berechnung der Fristen erfolgt einheitlich, beginnend
mit der Rechtskraftfeststellung des Verstoßes. Erst dann
kann wieder getilgt werden. Das ist eine vernünftige und
nachvollziehbare Reihenfolge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
es war eine Forderung des Bundesrates, die wir, die
christlich-liberale Koalition, umsetzen. Damit hoffen wir
natürlich auch - ich möchte dafür werben -, das Gesetz
einvernehmlich beschließen zu können. Es wäre ein starkes Signal an die deutschen Autofahrer, wenn wir das
gemeinsam beschließen würden.
({0})
Im Verkehrszentralregister sind über 9 Millionen Autofahrer erfasst, das ist jeder neunte deutsche Bundesbürger.
({1})
Das bedeutet einen riesigen Verwaltungsaufwand und
hohe Kosten; in Euro und Cent: 15 Millionen jährlich.
Ein bewusstes Reformziel ist es, spürbare Verwaltungsvereinfachung zu erzielen.
Ihre Forderung im Bundesrat, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die Tilgungsfrist auf zweieinhalb Jahre zu verlängern, konterkariert unsere Bemühungen. Ich möchte
hier für unseren Entwurf werben. Wenn wir Ihren Vorschlag umsetzen, wird die Zahl der Eintragungen im Register um 135 Prozent steigen. Wenn wir unseren Vorschlag realisieren, wird sie sinken. Ich glaube, das ist
das, was wir gemeinsam wollen.
({2})
Ich kann Ihnen versprechen, dass wir von der christlichliberalen Koalition auch in der weiteren Diskussion versuchen werden, diese Dinge erfolgreich nach vorne zu
treiben, weil das ein Thema ist, das jeden in diesem
Land angeht.
Die FDP-Bundestagsfraktion sieht bei diesem Gesetzentwurf Ergänzungsbedarf: Den freiwilligen Seminarbesuch hat es bis jetzt immer gegeben. Aus unserer Sicht
soll er weiterhin zum Punkteabbau führen, alle fünf
Jahre zwei Punkte. 14 000 bundesdeutsche Autofahrer
nutzen diese Chance jährlich. Das sind viele Menschen,
und das soll unserer Ansicht nach so bleiben.
({3})
Die Chance zum Punkteabbau - ich spreche nicht von
Rabatten, sondern ich spreche von Punkteabbau - ist im
Hinblick auf den geplanten Führerscheinentzug bei acht
Punkten umso sinnvoller und notwendiger. Das ist auch
ein Einwand des Verkehrsgerichtstages. Den sollten wir
ernstnehmen.
Von der Vernunft der deutschen Autofahrer bin ich
überzeugt. Aber wer soll ohne Anreiz des Punkteabbaus
freiwillig an Seminaren teilnehmen? Wir wollen doch,
dass gerade die positive Wirkung dieser Seminare - Verbesserung der Fahrweise, Verbesserung der Einstellung
zum Straßenverkehr, nahezu Halbierung der Zahl der
Unfälle, verkehrsangepasste Fahrweise; das alles sind
Ergebnisse dieser Seminare - bei allen Bürgerinnen und
Bürgern ankommt.
Weiterhin bedeutet der Wegfall des freiwilligen Punkteabbaus für viele Berufskraftfahrer und Vielfahrer eine
wirkliche Härte. Auch das muss gesagt werden.
({4})
Wir unterstützen keine Raser und Alkoholiker am
Steuer. Es geht um diejenigen, die mit dem Autofahren
ihr Geld verdienen. Für viele geht es dabei um ihre Existenz. Deshalb sollten wir das Augenmerk auf diesen
Punkt legen. Dafür möchte sich die FDP-Bundestagsfraktion einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich spreche alle an -,
die Gesetzesnovelle ist gut und richtig. Sie hat aber einige offene Punkte. Diese möchte ich mit Ihnen konstruktiv diskutieren und lösen, im Sinne der Verkehrsteilnehmer und im Sinne von Millionen Autofahrerinnen
und Autofahrern in diesem Land.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit am Freitagnachmittag.
({5})
Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Ramsauer,
auf das Angebot, einen fraktionsübergreifenden Antrag
zu formulieren, würden wir sehr gerne zurückkommen.
Auch nach 22 Jahren im Deutschen Bundestag müssen
wir dafür aber erst auf die Reaktion Ihrer Fraktion warten. Gemeinsame Anträge, auf denen auch die Linke
steht, gab es noch nicht. Wir sind aber zu Kompromissen
bereit, wenn Sie nachher Ihr Wort halten.
Jetzt zur eigentlichen Sache. Diese Debatte ist aus unserer Sicht schon bemerkenswert; denn zurzeit dominieren in der Verkehrspolitik andere Themen die öffentliche
Debatte, zum Beispiel die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 oder das Desaster beim Berliner Flughafen. Aber
hier im Bundestag debattieren wir über Initiativen wie
die zur Wiederzulassung von alten Autokennzeichen
oder über die Reform der Flensburger Verkehrssünderdatei. Das kann man machen. Akuter Handlungsbedarf
dafür liegt aus meiner Sicht allerdings nicht vor. Das alles wirft für meine Begriffe ein interessantes Licht auf
die Schwerpunktsetzung des Verkehrsministeriums.
Wie dem auch sei, der Minister hat angesichts der
drängenden Probleme in der Verkehrspolitik nun seine
Ressourcen gebündelt und es geschafft, einen Gesetzentwurf zur Reform des Verkehrszentralregisters vorzulegen. Wenn man eine solche Reform anpackt, muss sie
folgende Ziele haben: die Steigerung der Verkehrssicherheit zum einen und die Reduzierung der Zahl von Unfällen zum anderen. Wichtig ist, dass die Anzahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr zurückgeht. Hier
hat sich in den letzten Jahren sicherlich sehr viel zum
Positiven gewendet. Die Frage ist also heute: Leistet
diese Reform einen Beitrag dazu, diese positive Entwicklung fortzusetzen? Hier sehe ich - ähnlich wie
meine Vorrednerinnen und Vorredner - einige Punkte
kritisch. Zwar ist die Absicht der Vereinfachung des
Punktesystems prinzipiell gut. Es ist allerdings die
Frage, ob dies erreicht wird, wenn einzelne Punkte wiederum unterschiedliche Halbwertszeiten haben. Übersichtlich ist etwas anderes.
Außerdem entfällt die Möglichkeit, dass durch freiwillige Teilnahme an Seminaren Punkte getilgt werden
können. Es gab jetzt Wortbeiträge auch vonseiten der
FDP, in denen das anders gesehen wurde. Wir kritisieren
das als Linksfraktion ebenfalls; denn durch aktives Handeln sollte man auf sein Punktekonto Einfluss nehmen
können. Dies wiederum schafft eine positive Motivation
zur Übernahme von Verantwortung. Dazu wird nicht ermuntert, wenn man in ein starres Zwangssystem zurückfällt. Eine Verbesserung von Qualitätskontrollen bei diesen Seminaren wäre allerdings zwingend erforderlich.
Wir müssen auch darüber reden, wie Verkehrsteilnehmer überhaupt zu ihren Punkten kommen. In meiner
Heimatstadt Saarbrücken finden vor Kindergärten und
Schulen so gut wie keine Geschwindigkeitsmessungen
statt, sehr wohl aber auf Hauptverkehrsstraßen kurz hinter dem Ortseingangsschild. Hier müsste der Gesetzgeber einmal eingreifen. Wir reden darüber, dass wir Verkehrsteilnehmer nicht nur bestrafen, sondern auch zur
Übernahme von Verantwortung motivieren wollen. Dazu
gehört auch, dass die Maßnahmen nachvollziehbar sind.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Bußgelder
ausschließlich dazu dienen, Haushaltslöcher zu stopfen.
Die direkte Ansprache durch Polizeibeamte an Ort
und Stelle wäre sinnvoller als der inflationäre Einsatz
von Blitzern - er hat in den letzten Jahren stark zugenommen - mit dem Versand von Knöllchen meist Wochen oder Monate später. Auch das könnte dazu beitragen,
dass die Verkehrssicherheit nicht abstrakt wahrgenommen, sondern dass das Verantwortungsbewusstsein des
Einzelnen gestärkt wird.
Leider ist der Trend aufgrund der angespannten Personalsituation bei der Polizei eher umgekehrt. Vor allem
in ländlichen Regionen stellt die mangelnde Präsenz
- zumindest für einige Verkehrsteilnehmerinnen und
Verkehrsteilnehmer - eher eine Einladung zum Rasen
und zum Fahren unter Alkoholeinfluss dar.
Ich komme zum Schluss. Wenn diese Reform richtig
umgesetzt wird und im parlamentarischen Verfahren
noch einige Verbesserungen erfährt, geht sie in die richtige Richtung. Der eine oder andere Wähler wird sich
dennoch fragen, wofür das Bundesverkehrsministerium
angesichts der großen Probleme der Verkehrspolitik
seine Zeit verwendet.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf!
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verkehrssicherheit ist ein sehr wichtiges und
bedeutendes Thema, das viel zu wenig im Fokus der Öffentlichkeit steht. Wir haben in dem Bereich aber sehr
große Erfolge erzielt. Bei einer weitaus geringeren Verkehrsleistung in den 70er-Jahren gab es allein in Westdeutschland etwa 20 000 Verkehrstote pro Jahr. Inzwischen liegt die Zahl in Gesamtdeutschland - bei einer
sehr stark gestiegenen Verkehrsleistung auf den Straßen - bei deutlich unter 5 000 Verkehrstoten pro Jahr. Es
hat sich also sehr, sehr viel getan. Allerdings ist nicht besonders viel in Bezug auf die Anzahl der Unfälle sowie
der Schwer- und Schwerstverletzten passiert. Deshalb ist
es ein Thema, dem zu widmen sich lohnt.
Worauf aber haben dieses Verkehrsministerium, diese
Bundesregierung und diese Koalition ihren Fokus gelegt? Sie haben ihn auf die Reform der Punkte gelegt.
Bisher lag die Grenze bei maximal 18 Punkten, und es
wurden Punkte im Bereich zwischen 1 und 7 vergeben.
Jetzt liegt die Grenze bei maximal 8 Punkten, und es
werden 1 bis 3 Punkte angerechnet.
Es gibt einen Fortschritt. Vorher reichten zwei Hände
nicht aus, um die Anzahl der Punkte zu zählen. Jetzt reichen zwei Hände dafür aus. Das ist letztendlich der Unterschied. Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob jemand, der in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu führen,
nicht fähig ist, bis 18 zu zählen.
({0})
Es gibt die Aussage, das jetzige System sei vollkommen intransparent. Wenn Sie wissen wollen, wie viele
Punkte Sie haben, gebe ich Ihnen einen ganz simplen
Tipp: Gehen Sie einfach online, und fragen Sie es ab.
Das ist überhaupt nicht kompliziert, das kann jeder.
Dazu muss man weder Verkehrsrechtler noch Rechtsanwalt sein. Vielmehr braucht man einen Führerschein; damit ist man in der Verkehrssünderpunktekartei registriert.
({1})
Was wäre wirklich notwendig? Wirklich notwendig
wäre, dass wir uns stärker um die echten Probleme im
Bereich der Verkehrssicherheit kümmern. Die Hauptunfallursache ist erhöhtes Tempo. Eine weitere häufige Unfallursache ist Alkohol. Ein weiteres großes Problem ist,
dass die Gruppe der jungen Fahrer immer noch die
Hauptunfallverursacher sind. Auch im Bereich der
Landstraße - Stichwort „Infrastruktur“ - gibt es große
Probleme.
({2})
Das sind die Hauptprobleme, die wir in dem Bereich haben. Da macht die Bundesregierung fast nichts. Warum
macht sie nichts? Beim Hauptproblem Tempo macht sie
aus ideologischen Gründen nichts. Das Argument lautet
immer: freie Fahrt für freie Bürger. Dabei gehört viel
stärker zur Freiheit, dass man unverletzt ankommt. Beim
Thema Tempo wäre es dringend notwendig, etwas zu
machen. Ein erster kostengünstiger Schritt wäre, endlich
ein Tempolimit auf allen Autobahnen einzuführen.
({3})
Des Weiteren wäre es dringend notwendig, Verwaltungsvereinfachungen durchzuführen. Unsere Verkehrspolizei ist, wenn sie denn einmal Zeit und Kraft hat,
Tempoüberwachungen durchzuführen, ewig damit beschäftigt, herauszufinden, wer denn der Fahrer war. In
einem Großteil unserer Nachbarländer gibt es etwas
ganz Einfaches. Das nennt sich Halterhaftung. Die Halterhaftung gilt natürlich nicht in strafrechtlichen Fragen,
aber bei Ordnungsgeldern. Dann ist schlichtweg derjenige verantwortlich, dem das Auto gehört. Wenn der
Halter jemanden mit seinem Auto fahren lässt, der unverantwortlich damit umgeht, dann muss er sich halt das
Geld von demjenigen zurückholen. Aber damit muss
man doch nicht unsere Polizei belasten, die dafür sowieso keine Zeit und keine Kraft hat.
Sie sehen, man müsste sich endlich mit den wirklich
wichtigen Themen im Bereich Verkehrssicherheit beschäftigen. Das würde sich sogar lohnen; denn obwohl
wir viele Erfolge erreicht haben, passieren Tag für Tag
immer noch schreckliche Unfälle auf unseren Straßen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich mit einem Lob für das Ministerium beginnen. Ich möchte es dafür loben, dass es sich
dieser wichtigen Aufgabe, der Reform des Verkehrszentralregisters, gewidmet hat.
({0})
Denn einige Kollegen haben jetzt ja die Auffassung vertreten, dass es wesentlich wichtigere Themen gibt, über
die wir debattieren sollten. Dieser Meinung bin ich nicht.
Dieses Ministerium kümmert sich nicht nur um Kernaufgaben, sondern auch um andere Aufgaben, und - die
Kollegin Lühmann hat dies eben zu Recht gesagt - wir
hatten einen Auftrag an das Ministerium formuliert, hier
etwas vorzulegen.
Ich erinnere mich noch gern an die Zeit 2009 in der
Großen Koalition,
({1})
als ich mit dem Kollegen Volkmar Vogel das Verkehrszentralregister in Flensburg besucht habe, um mir dort
erklären zu lassen, welchen Verwaltungsaufwand wir betreiben, um Punkte zu verwalten. Kollege Hofreiter, wir
können online zwar feststellen, wie viele Punkte wir aktuell haben - das ist nicht das Problem -, aber Sie werden online nie feststellen können, wann Ihre Punkte
wegfallen. Das können Ihnen wahrscheinlich nicht einmal die Sachbearbeiter ganz genau sagen. Da besteht Intransparenz. Das hatte uns motiviert, mit allen Fraktionen einen sehr weit gefassten Antrag zu formulieren, in
dem wir das Ministerium beauftragt haben, einen Entwurf für eine Reform des Verkehrszentralregisters vorzulegen. Darüber reden wir heute.
({2})
Deshalb finde ich den Ansatz des Ministeriums richtig, nicht nur Verwaltung einzusparen und alles auf EDV
umzustellen, sondern auch klare und feste Tilgungsfristen im System nachvollziehbar zu implementieren. Ich
finde es auch richtig, dass die Verkehrssicherheit hierbei
ein besonderer Aspekt ist; einige Punkte, die bisher eingetragen wurden, konnten wegfallen.
Wir wissen: Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlich
durch rücksichtsloses und zu schnelles Fahren. Da setzt
die Reform die richtigen Schwerpunkte. Denn wer wiederholt die Sicherheit gefährdet, hat auf unseren Straßen
nichts verloren.
({3})
Ein Diskussionspunkt ist natürlich auch, wie wir mit
Berufskraftfahrern umgehen, die täglich 100, 200 oder
300 Kilometer auf der Straße unterwegs sind. Als Verkehrssicherheitspolitiker habe ich da ein Problem. Denn
ich erwarte, dass man sich zum Beispiel vor einem Kindergarten, in sensiblen Bereichen, in denen wir die Geschwindigkeit bewusst reduzieren, um Gefahren zu vermeiden, an die Regeln hält.
({4})
Da kann man keinen Unterschied machen zwischen einem Berufskraftfahrer, einer Hausfrau, die es eilig hat,
und einer Mutter, die schnell ihre Kinder zur Schule fahren muss. Da sind alle gleich zu behandeln. Ich bin der
Meinung, wir sollten feststellen: Jemand, der viele Regelverstöße begangen hat, ist für den Verkehr auf der
Straße nicht geeignet. Deshalb ist mein Petitum, dass wir
keinen Punkteabbau ermöglichen sollten.
Wenn wir das gesetzlich so festlegen würden, hätten
wir nach fünf Jahren auch Erfahrungen mit den Seminaren gesammelt, die nach einer gewissen Zeit, wenn man
sein Punktekonto zu sehr aufgebaut hat, verpflichtend zu
absolvieren sind. Wir könnten auch festlegen, dass wir
dann evaluieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, einen
Punkteabbau zu ermöglichen. Auch bei mir kommt natürlich an, dass Experten sagen, 50 Prozent der Teilnehmer an einem solchen Lehrgang würden hinterher ein
besseres Verhalten an den Tag legen. Man könnte natürlich auch gemein sein und sagen: Wir erwischen sie
nicht mehr. Wir wissen eigentlich nicht genau, ob sie ihr
Verhalten verändert haben oder nicht. - Insofern ist das
ein Punkt, den man wirklich evaluieren sollte, damit wir
in diesem Hause allen Seiten gerecht werden.
({5})
Mein Ziel ist, dass wir diese Reform auf den Weg
bringen. Wir sind eigentlich schon sehr weit. Der Bundesrat hat noch zwei, drei Punkte in die Debatte eingebracht, über die wir sprechen können.
({6})
Als wir mit der Debatte anfingen, haben wir gesagt: Die
Tilgungsfrist soll drei Jahre betragen. - Als Ergebnis ist
jetzt herausgekommen, dass die Tilgungsfrist zwei Jahre
beträgt. Der Bundesrat sagt: Wir hätten gerne eine Frist
von zweieinhalb Jahren. - Im Ergebnis bedeutet eine
Frist von zweieinhalb Jahren mehr Verwaltung, mehr
Führerscheinentzüge und, und, und. Darüber kann man
reden. Daran sollte diese Reform nicht scheitern.
Alle Kollegen haben gesagt: Wir möchten uns hier im
Plenum um die ganz wichtigen Themen kümmern. Wir
möchten nicht, dass die Punktereform in der nächsten
Legislaturperiode ein zweites Mal auf die Tagesordnung
kommt. - Ich glaube, da sind wir uns einig. Wir haben
vier Jahre darüber diskutiert und daran gearbeitet; sogar
Verkehrsgerichtstage haben sich damit beschäftigt. Deshalb halte ich es für sinnvoll, dass wir die Punktereform
im Sommer dieses Jahres final auf den Weg bringen.
({7})
Ich möchte noch auf einen Aspekt, den Frau
Lühmann angesprochen hat, eingehen. Sie hat gesagt,
dass das Parlament keinen Einfluss auf Verordnungen
hat, was die Verstöße angeht. Es ist hier allgemein Konsens, dass dem Gesetzgeber Verordnungsermächtigungen nur deswegen erteilt werden, damit sich die Fraktionen die jeweilige Verordnung noch einmal ansehen
können. Nur wenn wir ihr zustimmen, darf die Verordnung in Kraft gesetzt werden. Insofern: Die Bußgeldreform ist das eine. Aber die Höhe der einzelnen Bußgelder zu bestimmen, ist ein Prozess, der uns wieder
mindestens zwei, drei Jahre beschäftigen wird. Insofern
ist der Einfluss des Parlaments in diesem Bereich enorm.
Ich glaube, Frau Lühmann, wir sind uns einig: Da wollen
wir mitreden, und da sollten wir mitreden. Ich glaube,
wenn auch die Bürger mitreden würden, käme dabei etwas Komplizierteres heraus, so wie es auch bei diesem
Gesetzentwurf der Fall ist.
Ich habe eindeutig dafür geworben: Über die Tilgungsfristen können wir reden, und auch über die Kritik,
die der Bundesrat vorgetragen hat, sollten wir sprechen;
wir werden dazu eine Anhörung durchführen. Ich plädiere und werbe dafür, dass wir diese Reform des Verkehrszentralregisters noch in dieser Legislaturperiode
auf den Weg bringen.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12636 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer
({1}), Christine Buchholz, Inge Höger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechts-
konform unter Strafe stellen
- Drucksachen 17/11698, 17/12736 -
Berichterstattung:-
Abgeordnete Ansgar Heveling-
Burkhard Lischka-
Jörg van Essen-
Halina Wawzyniak-
Ingrid Hönlinger
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Paul Schäfer ({2}), Wolfgang Gehrcke,
Jan van Aken, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({3})
- Drucksache 17/11591 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 17/12711 Berichterstattung:Abgeordnete Ingo WellenreutherDr. Dieter WiefelspützGisela PiltzUlla JelpkeWolfgang Wieland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe jetzt seit anderthalb Wochen Probleme mit Husten; ich hoffe, Sie drücken mir die Daumen, dass ich
meine Rede ohne einen Hustenanfall über die Bühne bekomme. Deshalb werde ich auch etwas kürzer reden, als
das üblicherweise der Fall ist.
({0})
Das Thema Angriffskrieg ist aus historischen Gründen ein Thema, das die Menschen in Deutschland bewegt. Von Deutschland sind zwei Weltkriege ausgegangen. Deshalb finde ich es richtig, dass in Art. 26 des
Grundgesetzes festgestellt wird, dass Handlungen, die
im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg stehen, verfassungswidrig sind und unter Strafe zu stellen sind.
({1})
Ich glaube, es gibt ganz wenige Fragen, die quer
durch alle politischen Strömungen hindurch so einhellig
beantwortet werden wie die, dass wir eine besondere
Pflicht haben, sicherzustellen, dass von Deutschland nie
wieder Krieg ausgeht.
Ob das, was in den gesetzlichen Regelungen zu finden ist, ausreichend ist, darüber können und müssen wir
immer wieder die Debatte führen, zumal wenn man sich
das genauer anschaut: Der Verfassungsauftrag in Art. 26
des Grundgesetzes, Handlungen, die im Zusammenhang
mit einem Angriffskrieg stehen, unter Strafe zu stellen,
hat erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Übrigens:
Beim Thema Abgeordnetenbestechung, wo die Bundesregierung ja ein internationales Abkommen unterzeichnet hat, ist es ähnlich.
Es gibt im Augenblick eine entsprechende Bestimmung im Strafgesetzbuch. Die Diskussion über das innerstaatliche Recht ist jedoch zu einem Zeitpunkt geführt worden, als etwas, von dem ich persönlich meine,
dass es einen ganz erheblichen Fortschritt bedeutet, noch
nicht existierte, nämlich die völkerrechtliche Regelung
im Völkerstrafgesetzbuch. Ich gehöre mit zu denen, die
sich intensiv dafür eingesetzt haben. Ich bin dankbar,
dass der frühere Außenminister, Klaus Kinkel, der ja zuvor Justizminister war, sich da auch sehr engagiert hat.
Angriffskriege sind in der Regel internationale Konflikte. Deshalb ist das Völkerstrafgesetzbuch genau der
richtige Ort.
Wir alle wissen, dass es 2010 in Kampala dazu eine
neue Übereinkunft gegeben hat. Im Augenblick laufen
Überlegungen, wie das Ganze gegebenenfalls auch in
das nationale Strafrecht übernommen werden kann.
Meine persönliche Auffassung ist - Herr Beck, ich
glaube, Sie haben in der ersten Lesung auch Ihre Meinung dazu vorgetragen -, dass es die beste Lösung ist,
das ins Völkerstrafgesetzbuch aufzunehmen: weil es
dann nämlich für alle gleich gilt. Das ist, wie ich finde,
der richtige Ansatz.
Von daher ist alles das, was die Linkspartei in ihrem
Antrag aufgeführt hat - dass es Strafbarkeitslücken gibt;
dass die Gefahr besteht, dass von Deutschland wieder
Krieg ausgehen könnte -, Bedienung von Vorurteilen,
die in ihrer Klientel natürlich vorhanden sind, aber dem,
was wir diesem Thema schulden - dass wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir das beispielsweise im Völkerstrafgesetzbuch, aber auch gegebenenfalls in der nationalen Gesetzgebung umsetzen -, nicht gerecht wird.
Wir sind der Auffassung: Wir sollten darüber in aller
Ruhe, in aller Sorgfalt nachdenken; denn Strafrecht muss
nach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt sein
und für den Gesetzesunterworfenen klar und eindeutig
erkennbar sein. Genau diesem Ziel sind wir verpflichtet.
Die Vorschläge, die die Linksfraktion dazu gemacht
hat, genügen diesen Anforderungen eindeutig nicht. Von
daher mein Plädoyer heute: Ablehnung der Vorschläge
der Linksfraktion und eine sachliche Diskussion über die
anstehenden Fragen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Vermächtnis unserer deutschen Geschichte
heißt: Menschen, die gegen Recht und Gesetz Kriege
vom Zaune brechen, müssen vor Gericht gestellt werden. Das ist der Sinn des Art. 26 des Grundgesetzes und, ich
denke, das ist identitätsstiftend für alle, die hier im
Hause tätig sind. Darüber kann kein Zweifel bestehen.
Ich persönlich bin der Auffassung, dass die Umsetzung in Gestalt der §§ 80 und 80 a Strafgesetzbuch, die
ja schwer genug war, nicht ganz optimal gelungen ist. Es
gibt jede Menge Abgrenzungsschwierigkeiten und bis
heute keine einzige Verurteilung.
({0})
Das mag verschiedene andere Gründe haben. Insoweit
macht es durchaus auch Sinn, darüber nachzudenken, ob
man hier an der einen oder anderen Stelle zu Präzisierungen kommen kann.
Aber die große Errungenschaft der letzten 20 Jahre,
die auch unter starker Beteiligung Deutschlands zustande gekommen ist, besteht darin - an dieser Stelle
stimme ich mit Herrn van Essen uneingeschränkt überein -, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen in
Gestalt von Kriegen nicht mehr einfach nur Bestandteil
der Geschichte sind und ohne Sanktionen bleiben. Menschenschlächter müssen heute damit rechnen, dass sie
sich in Den Haag verantworten müssen. Das Rom-Statut
ist eine wichtige Sache, die man gar nicht hoch genug
einschätzen kann. Dieser Weg ist aber noch nicht zu
Ende.
Nach dem Rom-Statut hat der Internationale Strafgerichtshof auch die Zuständigkeit für einen Angriffskrieg,
aber es gibt keinen entsprechenden völkerrechtlichen
Straftatbestand. Hier gibt es also eine unvollkommene
Rechtslage, eine Lücke, von der ich meine, dass sie ausgefüllt werden sollte.
Es wäre schön, wenn wir uns hier im Hause darauf einigen könnten, dass das vielleicht doch der klügere Weg
ist, also nicht nur sozusagen ein deutscher Sonderweg,
sondern ein Weg, den alle Staaten gehen sollten, und ich
würde mir wünschen, dass das auch für die Vereinigten
Staaten von Amerika gilt; auch hierin sind wir vermutlich alle einer Meinung.
({1})
Das ist die große Zielsetzung, die uns an dieser Stelle einigen sollte. Das könnte in der Tat ein entscheidender
Schritt sein.
({2})
Ich räume ein - ich will jetzt nicht von Schnellschüssen reden; das passt in diesem Zusammenhang nicht -,
dass hier auch Geduld gefordert ist, weil das nicht von
heute auf morgen zu regeln sein wird. Aber wir sollten
uns an dieser Stelle richtig anstrengen und die Bundesregierung ermutigen, diesen Weg zu gehen. Wir als Parlament sollten unsere Möglichkeiten nutzen, um diesen
Weg voranzutreiben.
Das Rom-Statut und mit ihm der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sind eine große zivilisatorische
Errungenschaft.
({3})
Warum soll dieses Strafgericht im Laufe der kommenden Jahre nicht noch wichtiger werden und auch über
Angriffskriege entscheiden dürfen? Ich denke, wenn
man sich darauf verständigen kann, hat man einen großen Schritt voran getan. Das ist jedenfalls meine persönliche Überzeugung.
({4})
Wir haben hier heute auch noch über Art. 35 Grundgesetz und die Einsätze der Bundeswehr im Innern zu reden. Ich persönlich bin gemeinsam mit meiner Fraktion
der Auffassung: Wir brauchen keine Ausweitung der
Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern; wir
brauchen aber auch keine Einschränkung.
({5})
Wir haben in Deutschland kraft Verfassungslage eine
sehr klare Trennung: Die äußere Sicherheit ist unter anderem Sache der Bundeswehr und nicht der Polizei, die
innere Sicherheit ist im Wesentlichen Sache der Polizei.
Nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen kann die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden. Vier Fälle sind in
den Art. 87 a Abs. 4, Art. 87 a Abs. 3, Art. 35 Abs. 2
und Art. 35 Abs. 3 des Grundgesetzes geregelt. Mehr
nicht!
Es ist auch eine große zivilisatorische Errungenschaft,
dass wir diese Zuständigkeiten nicht vermischen. Für die
äußere Sicherheit ist die Bundeswehr zuständig, die das
gut und bewährt macht, für die innere Sicherheit gibt es
die Polizei. Das eine hat mit dem anderen nur relativ wenig zu tun. Jeder macht seinen Job, und zwar insgesamt
gesehen sehr gut. Das sollten wir nicht vermengen.
Noch einmal: Wir haben keinen Regelungsbedarf in
Richtung Ausweitung der Zuständigkeiten der Bundeswehr im Innern. Wir haben aber auch keinen Regelungsbedarf in Richtung Einschränkung der Möglichkeiten
der Bundeswehr in besonderen Fällen. Insofern werden
wir diesen Antrag ablehnen.
Schönen Dank fürs Zuhören.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Patrick Sensburg für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich habe zwar keinen Husten wie
der verehrte Kollege von Essen, aber auch ich werde
mich kurzfassen, da schon meine beiden Vorredner die
zwei entscheidenden Punkte ausführlich angesprochen
haben.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie erwecken den Eindruck, als hätten wir im deutschen Recht
eine Gesetzeslücke, als stünden wir kurz vor der Vorbereitung eines Angriffskrieges, als müssten wir hier dringendst legislatorisch-normativ tätig werden. Das ergibt
sich aus Ihren beiden Anträgen. Nichts davon ist der
Fall.
({0})
Das hat sich schon im Jahre 2003 gezeigt, als die
Strafanträge unter anderem gegen den damaligen Bundeskanzler Schröder, den damaligen Außenminister
Joschka Fischer und den damaligen Verteidigungsminister Dr. Peter Struck erfolglos geblieben sind, weil die
Bundesanwaltschaft ganz klar gesagt hat: Hier besteht
kein erstes Anzeichen für die Vorbereitung eines Angriffskriegs. - § 80 StGB war die einschlägige Norm, um
dies zu prüfen.
Wir haben im Grundgesetz in Art. 26 einen Friedensauftrag normiert. Das ist eine besondere Leistung unseres deutschen Grundgesetzes, und darauf können wir
auch stolz sein. Daraus erwächst ein Auftrag insbesondere im Rahmen des europäischen Friedensprozess, der
uns seit 70 Jahren - daran sollten wir auch denken Frieden auf deutschem Boden beschert hat. Daher sollten wir diese Verantwortung wahrnehmen und den Frieden weiter gestalten. Meine Damen und Herren von der
Linken, das ist Ihnen in den letzten Monaten mit Ihrer
ständigen Ablehnung der Anträge, bei denen es um die
Solidarität in Europa ging, übrigens nicht gelungen.
({1})
Gleichzeitig sollten wir auch des Auftrags der Bundeswehr gedenken, wenn deutsche Soldaten im Ausland
ihr Leben riskieren und für Frieden einstehen. Meine
Damen und Herren von den Linken, auch da sind Sie
kein Glanzpunkt in der parlamentarischen Arbeit,
({2})
wenn Sie immer wieder das Ansehen unserer deutschen
Soldatinnen und Soldaten, die sich für Frieden einsetzen,
untergraben.
({3})
Ich glaube, Sie haben die Rechtslage nicht richtig
durchschaut, oder Sie kennen sie nicht. Wir haben mit
§ 80 des Strafgesetzbuches eine Norm, die die Vorbereitung des Angriffskriegs unter Strafe stellt, und die funktioniert auch. Sie ist eine Ausgestaltung des Völkerrechts. Auch Art. 26 des Grundgesetzes ist eine
Ausgestaltung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes,
das wir seit dem Jahre 1928 kennen. Nur, das Völkerrecht - das müssen wir auch wissen - hat einen gewissen
Anteil, bei dem man nicht konkreter werden kann. Strafrechtsnormen müssen allerdings hinreichend bestimmt
und konkret sein. Sie werden insbesondere durch das internationale Völkerstrafrecht ausgestaltet, und daran
müssen wir arbeiten.
Die beiden Kollegen haben es doch gerade dargestellt. Sie können eine deutsche Norm nicht so hinreichend konkret formulieren, und das zeigt auch Ihr Antrag: Sie haben keinen Paragrafen formuliert. Hätten Sie
doch einen § 80 formuliert! Den hätte ich gerne gesehen.
({4})
Sie merken doch selber, dass Sie mit Ihrem Antrag reine
Schaufensterpolitik machen,
({5})
und Sie merken auch, dass Sie hier für Ihre Altlinken an
den Stammtischen etwas tun wollen. Für die Sache selber tun Sie aber wirklich nichts Gutes.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir
ein völkerrechtliches Gebot normieren und dass wir im
Völkerstrafrecht weiterkommen. Ich glaube, dann tun
wir wirklich etwas Gutes. Mit Ihrem Antrag bewirken
Sie genau das Gegenteil. Das ist schade. Ich hoffe, dass
wir diesen beiden Anträgen heute nicht zustimmen, sondern sie ablehnen. Auch dann haben wir etwas Gutes getan.
Danke schön.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Paul
Schäfer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei
wichtige Themen, zwei wichtige Vorlagen - und das in
vier Minuten. Das ist eine echte Herausforderung,
({0})
zumal es um zwei verschiedene Dinge geht, die aber
eine Gemeinsamkeit haben: Es geht um Einsätze der
Bundeswehr und um Rechtsklarheit.
Paul Schäfer ({1})
Erstens wollen wir kategorisch ausschließen, dass die
Bundeswehr im Innern Waffen einsetzt, und zweitens
wollen wir, dass verbindlich festgeschrieben wird, dass
sich Deutschland niemals und in keiner Weise an der
Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen beteiligt.
({2})
Im Verteidigungsausschuss wurde gesagt, das sei
doch selbstverständlich. Dafür brauchten wir keine neue
Regelung.
({3})
Niemand käme im Traum darauf, dass die Bundeswehr
auf die eigene Bevölkerung schieße oder sich Deutschland an einem Angriffskrieg beteilige. Der Rest sei quasi
typisch linke Phobie gegen die Bundeswehr.
({4})
Selbst wenn es so wäre, lieber Kollege van Essen: Was
würde denn dagegen sprechen, das, was alle wollen,
rechtsverbindlich festzuschreiben?
({5})
Aber offenkundig wollen Sie ganz bestimmte Festlegungen nicht. Nehmen wir den Antrag. Untersagt werden soll die Beteiligung an Angriffskriegen, die Zuwiderhandlung soll strafrechtlich belangt werden. - Sie
sagen: Wenn Art. 26 des Grundgesetzes gilt, der die Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges untersagt, dann wird dadurch doch erst recht auch die Beteiligung am Angriffskrieg selber erfasst.
({6})
Ja, so sollte es sein. Aber es scheint nicht ganz so zu
sein.
Noch einmal zur Erinnerung. Deutschland hat 2003
die USA bei dem Krieg im Irak unterstützt; Stichwort:
bewaffnete Eskorten der US-Schiffe. Die Strafanzeigen
gegen die Bundesregierung wurden vom damaligen Generalbundesanwalt Nehm mit der Begründung zurückgewiesen, nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges sei
eindeutig strafbewehrt. Das zeigt doch: Nicht unser Antrag ist schräg, sondern dieser Zustand.
Es kann auch nicht sein, dass es im deutschen Strafgesetz immer noch keine präzise Definition dazu gibt, was
man unter einem Angriffskrieg und einer kriegerischen
Handlung versteht. Dafür sind aber jetzt auf internationaler Ebene Grundlagen geschaffen worden: einmal
durch die UNO-Generalversammlung 1974, aber vor allem durch die Ergänzung des Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofs 2010; das haben Sie auch gesagt.
Das heißt, nach unserem Verständnis kann diese
Rechtslücke jetzt geschlossen werden. Sie sollte geschlossen werden. Wir machen dazu einen Vorschlag.
Deshalb haben wir keinen Gesetzestext vorgelegt. Vielmehr haben wir gesagt: Diese Debatte muss weitergehen. Ich bin ganz froh darüber, dass der Kollege van
Essen hier in einer anderen Tonlage als in der ersten Lesung gesprochen hat. Er hat zumindest eingeräumt: Hier
ist Handlungsbedarf. - Aber bitte, dann machen wir das!
Mir leuchtet nicht ein, dass man sich jetzt nur auf Entwicklungen im Völkerstrafrecht verlegt und sagt: Im
deutschen Strafgesetzbuch lassen wir das außen vor. Hier können wir anfangen, etwas zu machen. Dann sollten wir das auch tun.
({7})
Auch mit der zweiten Vorlage, unserem Gesetzentwurf, wollen wir Rechtsklarheit schaffen. Es sollte
selbstverständlich sein, dass die Bundeswehr ihre Waffen nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. So ist
es aber nicht ganz. 1968 sind mit den Notstandsgesetzen
Passagen ins Grundgesetz eingefügt worden, die damals
im Geiste des Kalten Krieges verabschiedet wurden und
die die panische Angst der damaligen Bundesregierung
vor sozialen Unruhen widergespiegelt haben, denen man
im schlimmsten Fall - natürlich ist das eingegrenzt - mit
spezifischen militärischen Mitteln begegnen müsse. Der
Kalte Krieg ist vorbei, aber die Ermächtigung für den
Gewalteinsatz der Bundeswehr ist geblieben.
Es kommt hinzu: Teile der Bundesregierung sind seit
langem bestrebt, den Handlungsspielraum der Bundeswehr im Innern auch über Art. 35 Grundgesetz zu erweitern. Die Regierung aus SPD und Grünen wollte, dass
Kampfflugzeuge im Zuge der Terrorabwehr auch zivile
Flugzeuge abschießen dürfen. Dem hat das Verfassungsgericht 2006 zum Glück einen Riegel vorgeschoben. Allerdings hat dasselbe Gericht im letzten Jahr auch mit
dem Verweis auf die Notstandsgesetzgebung wieder ein
Hintertürchen geöffnet. Diese Tür - darum geht es - gilt
es, gesetzgeberisch - das heißt: hier - wieder zu schließen.
Die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ist für
uns eine Aufgabe der Polizei - ohne Ausnahme! Für uns
bleibt auch die Terrorismusbekämpfung eine polizeiliche
Aufgabe. Und für uns gibt es auch kein plausibles Szenario für eine bewaffnete Amtshilfe nach Art. 35 Grundgesetz. Es blieb den Grünen vorbehalten, im Verteidigungsausschuss ein Szenario heraufzubeschwören, den
apokalyptischen Fall eines auf die Erde stürzenden Meteoriten, den man gegebenenfalls abschießen müsse.
Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn es um die Rettung
der Welt geht, spielt deutsche Gesetzgebung keine Rolle
mehr.
Was wir hier verhandeln, was wir hier brauchen, sind
klare gesetzliche Grundlagen, um den Missbrauch militärischer Gewalt auszuschließen. Das fordern wir hier.
Danke.
({8})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Kollege, bei mir ist es allenfalls der Stern von
Bethlehem. - Meine Damen und Herren! Ich finde, es
geht hier um zwei Debatten, die sich lohnen, ernsthaft
geführt zu werden. Aber ich wundere mich, dass diese
Anträge zu einem Tagesordnungspunkt zusammengefasst worden sind: Einsatz der Bundeswehr im Inneren
und Verbot des Angriffskriegs.
({0})
Das hat schon ein bisschen die Grundmelodie von antimilitaristischer Gesetzgebung gegen den Militarismus in
Deutschland.
({1})
Ich finde, das wird selbst dieser Koalition nicht wirklich
gerecht. Wir haben doch einen anderen Diskussionsstand
und eine andere politische Kultur - Gott sei Dank!
({2})
Das war nicht immer so, das war auch nicht immer so
einvernehmlich, aber das halte ich für einen Fortschritt,
den wir als Grundlage für die Debatte festhalten sollten.
Ich finde es auch gut, dass Sie sich zumindest Gedanken gemacht haben, wie wir zu einer besseren Kodifizierung des Verbots des Angriffskrieges kommen. Aber ich
finde, Sie springen mit Ihrem Vorschlag zu kurz.
Auf der Konferenz in Kampala einigten sich die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes 2010
auf den neuen Straftatbestand des Aggressionsverbrechens. Danach soll ab 2017 der Internationale Strafgerichtshof über das Verbrechen des Angriffskrieges urteilen können. Das kann er gegenwärtig nicht. Seine
Zuständigkeit ist bislang auf schwerste Kriegsverbrechen reduziert.
Zusätzlich haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet,
eine völkerrechtskonforme Regelung im jeweiligen nationalen Recht zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe;
denn der Internationale Strafgerichtshof soll nur subsidiär eingreifen, wenn die nationale Gesetzgebung oder
Gerichtsbarkeit versagt haben.
Deshalb finde ich es falsch, das in § 80 Strafgesetzbuch zu regeln. Dann müssten wir es vielmehr zusammen mit all den anderen Taten, die der Internationale
Strafgerichtshof potenziell aufgreift, im Völkerstrafgesetzbuch regeln,
({3})
auch mit der Konsequenz, dass dann das Weltrechtsprinzip gilt. Das vermeidet zwar auch nicht die Einstellungsproblematik in § 153 f StPO, die nicht jeden glücklich
macht, aber es ist der richtige Ort. Warum soll beim Angriffskrieg nicht das Weltrechtsprinzip gelten, aber in
Bezug auf die anderen Taten, die der Internationale
Strafgerichtshof potenziell aufgreift, schon?
({4})
Der Wortlaut Ihrer Anträge - vielleicht haben Sie etwas anderes gewollt oder gemeint, aber Sie haben es zumindest nicht geschrieben - hätte zur Konsequenz, dass
nur Taten am Tatort Deutschland als Straftat verfolgt
werden. Das halte ich für zu kurz gesprungen. Deshalb
werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag
enthalten. Wir teilen zwar das Anliegen, finden aber die
Umsetzung in keiner Weise überzeugend.
Aber ich finde, wir sollten damit nicht die Diskussion
beenden. Wir sollten nicht jetzt bummeln und dann im
Jahr 2017 mit einem - dieser Begriff verbietet sich in
dieser Debatte eigentlich - Schnellschuss versuchen, das
Thema abzuräumen; vielmehr sollten wir es sorgfältig
vorbereiten. Denn das alles ist nicht trivial.
Weil wir in Deutschland eine Vorreiterrolle bei der
Einführung des Internationalen Strafgerichtshofs und der
Ratifizierung des Statuts hatten, müssen wir diesem Anspruch gerecht werden und mutig voranschreiten. Deshalb würde ich mich freuen, wenn sich alle Fraktionen
zu gemeinsamen Gesprächen zusammenfinden, um dieses Thema in einer sinnvollen Art und Weise vorzubereiten, sodass wir es in der nächsten Legislaturperiode - ich
denke, in dieser schaffen wir das nicht mehr - gemeinsam auf den Weg bringen können, weil auch das ein gutes Zeichen ist, dass wir uns in diesem Punkt in Deutschland zwischen den Fraktionen einig sind.
({5})
Zu den anderen Punkten: Was die Bundeswehr im Innern angeht, sehe ich das wie Herr Wiefelspütz in Bezug
auf die Meinung bei der Koalition: Es braucht keine
Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr. Wir wollen
die Bundeswehr nicht als Hilfstruppe der Polizei; vielmehr soll die Polizei grundsätzlich die Aufgaben der inneren Sicherheit wahrnehmen. Dabei bleiben wir.
Die von Ihnen vorgeschlagene Kodifizierung halte ich
entweder für tatsächlich oder für rechtlich ungeeignet.
Ich weiß nicht, was es bedeuten soll, wenn Sie das Wort
„unbewaffnet“ einfügen. Meinen Sie „ohne militärische
Bewaffnung“, oder meinen Sie: „Anders als die Polizei
darf ein Bundeswehrangehöriger bei einer Aufgabe im
Bereich der inneren Sicherheit überhaupt keine Waffen
tragen“? Er kommt dann also lediglich in Uniform, aber
ansonsten ist er blank. Das ist, glaube ich, bei bestimmten Aufgaben der inneren Sicherheit nicht überzeugend.
Kollege Beck, ich glaube, diesen Fragen müssen Sie
sich jetzt außerhalb dieser Debatte beantworten lassen.
Das ist total schade, Frau Präsidentin. Ich hätte noch
so viel Wichtiges zu sagen.
Ich bin fest davon überzeugt.
Aber ich muss mich kurzfassen, nicht weil ich erkältet
bin, sondern weil die Redezeit zu knapp ist. Aber vielleicht geben mir die anderen etwas ab.
Das ist nicht übertragbar, was hier eingespart wurde.
Der zweite Punkt sind die Notstandsgesetze. Darüber
kann man meines Erachtens reden, man muss aber fragen - das will ich Ihnen noch mitgeben -, ob wir damit
nicht eine Schranke bei anderen Normen einreißen. Das
muss man zumindest diskutieren, bevor man nonchalant
diese Regelung abräumt.
Es ist also alles ein bisschen ungeeignet.
({0})
Deshalb wird das auch keine Mehrheit finden.
({1})
Der Kollege Ingo Wellenreuther hat nun für die
Unionsfraktion abschließend das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nachdem der Kollege Dr. Sensburg zum
Thema Angriffskrieg gesprochen hat, spreche ich zum
Thema Bundeswehr im Innern. Das Grundgesetz sieht
den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu Recht nur in
sehr eng begrenzten Fällen vor. Nach dem vorliegenden
Gesetzentwurf der Linken sollen die Streitkräfte in diesen
engen Ausnahmefällen sich nicht ihrer spezifisch militärischen Waffen bedienen dürfen. Die Linke zeichnet in ihrem Entwurf das Bild eines Staates, der angeblich bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Innern gegen seine
eigenen Staatsbürger ausübt. Sie zeichnet ein Zerrbild
von unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Es
handelt sich um eine Wahnvorstellung von einer zunehmenden Militarisierung im Innern. Das entspricht nicht
der Wirklichkeit unserer Bundesrepublik Deutschland.
Richtig ist demgegenüber: Nach unserer Verfassung ist
die Bundeswehr dazu berufen, innerhalb eines Systems
kollektiver Sicherheit Frieden zu wahren, unser Land zu
verteidigen, Amtshilfe zu leisten, insbesondere in Katastrophenfällen, und Einsätze auszuführen, wenn der Bestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung
gefährdet ist. In diesem Rahmen leisten die Soldatinnen
und Soldaten wichtige, verantwortungsvolle Aufgaben
für unser Land, die uns zu Dank verpflichten. Gerade bei
den Fällen im Innern geht es ganz offensichtlich um Unterstützungsleistungen und Einsätze zum Schutz unseres
Staates und zugunsten der eigenen Bevölkerung, nicht gegen die Bevölkerung. Wenn Sie von den Linken hier von
Einsätzen gegen die eigenen Staatsbürger sprechen, hat
das daher mit der Realität wirklich nichts mehr zu tun,
sondern ist meines Erachtens schlichtweg eine Frechheit.
Irreführend ist auch, dass Sie in Ihrem Entwurf Veranstaltungen wie die Fußballweltmeisterschaft 2006 oder
den Papstbesuch erwähnen. Sie erwecken damit den Eindruck, als sei es damals zu bewaffneten Einsätzen der
Bundeswehr gekommen. Tatsächlich handelt es sich
aber dabei um Unterstützungsleistungen und logistische
und sanitätsdienstliche Hilfen im Wege der Amtshilfe
nach Art. 35 Abs. 1, die unterhalb der Schwelle eines
Einsatzes erfolgten. Sie mischen hier alles durcheinander und verunsichern damit ganz bewusst die Menschen.
Konkret wollen Sie mit Ihrem Antrag das Grundgesetz in zwei Punkten ändern. Erst einmal soll Art. 35 des
Grundgesetzes so gefasst werden, dass die Bundeswehr
nur unbewaffnet Amtshilfe leisten darf. Das Plenum des
Bundesverfassungsgerichts, das heißt beide Senate zusammen, hatte demgegenüber am 3. Juli des letzten Jahres beschlossen, dass die Amtshilfe nach Abs. 2 und 3
des Art. 35 gerade nicht grundsätzlich ausschließt, dass
die Streitkräfte ihre spezifisch militärischen Waffen verwenden, und das vollkommen zu Recht.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der
Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 rechtlich möglich
ist, sind äußerst eng. Es sind drei Punkte anzusprechen:
Erstens. Es muss eine Katastrophe vorliegen, also eine
Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall. Ein solcher Unglücksfall liegt nur - so formuliert es
das Bundesverfassungsgericht - bei Ereignissen katastrophischer Dimension vor, was nur ungewöhnliche
Ausnahmesituationen umfasst. Dazu sind nach dem
Bundesverfassungsgericht auch absichtlich herbeigeführte Schadensereignisse wie Terroranschläge zweifelsfrei zu zählen.
Zweitens. Weiterhin ist der Einsatz der Streitkräfte
mit militärischen Kampfmitteln nur als Ultima Ratio,
also als letztes Mittel, zulässig, wenn keine sonstigen,
milderen Maßnahmen Erfolg versprechen.
Drittens muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Das
heißt, der Unglücksverlauf muss bereits begonnen haben. Ein Schaden braucht noch nicht eingetreten zu sein.
Aber er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen.
Nur wenn diese engen Voraussetzungen vorliegen, die
im Übrigen sicherstellen, dass die strikten Begrenzungen
des Art. 87 a Abs. 4 nicht unterlaufen werden, ist ein
entsprechender Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 zulässig. Aber dann ist er auch sinnvoll und notwendig,
weil die Polizeikräfte und die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen.
({0})
Deshalb ist es auch richtig, die Streitkräfte nicht ihrer
spezifischen Mittel von vornherein zu berauben, so wie
Sie es von den Linken beabsichtigen. Ansonsten könnte
bei entsprechenden Gefahrensituationen eine empfindliche Lücke entstehen und die Bevölkerung nicht ausreichend geschützt werden.
({1})
Wir stellen uns nur einmal vor: Es steht ein terroristischer Anschlag in Deutschland unmittelbar bevor. Gesundheit und Leben von Tausenden Menschen sind akut
bedroht. Die Kräfte der Polizei reichen nicht aus, aber
die Bundeswehr mit ihren spezifischen Einsatzmitteln
könnte die Gefahr bannen. Nach dem Willen der Linken
sollen die Streitkräfte nicht zum Einsatz kommen, sondern der Staat und die Soldaten sollen tatenlos zusehen
und den Terroranschlag über unsere Bürger, über unschuldige Menschen hereinbrechen lassen.
({2})
Dass Sie durch die beabsichtigte Änderung unserer Verfassung diese Hilfe im äußersten Notfall verwehren
möchten, ist skandalös. Der Staat ist zum Schutz seiner
Bürger, zur Gefahrenabwehr und zum Katastrophenschutz verpflichtet. Dieses verfassungsrechtliche Gebot
missachten Sie meiner Auffassung nach sträflich. Mit
Ihren Plänen sind Sie eine Gefahr für die Sicherheit der
Menschen in unserem Land.
({3})
Der zweite Punkt Ihres Gesetzentwurfs betrifft die
Regelung in Art. 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes, mit
dem Sie den Einsatz unserer Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei verhindern wollen. Diese Regelung wollen Sie aufheben bzw. streichen.
Glücklicherweise haben wir eine stabile Demokratie,
auf die wir stolz sein können. Dennoch kann es zu Krisensituationen kommen, zu Angriffen auf unsere Grundwerte der Freiheit und der Demokratie, auf die wir tatsächlich und verfassungsrechtlich vorbereitet sein
müssen. Ihr Vorhaben hätte in einer solchen Krisensituation folgende Konsequenz: Die Bundeswehr dürfte nicht
mit militärischen Kampfmitteln eingreifen, wenn zivile
Objekte geschützt werden müssen oder organisierte Aufständische mit militärischen Waffen den Bestand unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährden,
obwohl die Polizeikräfte der Lage nicht Herr werden.
Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung empfindlich schwächen. Das machen wir von der Union nicht mit. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
Danke schön.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12736, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11698 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Grundgesetzes, Art. 35 und 87 a. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12711, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/11591 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 20. März 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende, falls Sie denn eines haben.