Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/15/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich zur 229. Sitzung des Bundestages. Ich hoffe, dass sich im Laufe des Vormittags die Regierungsbank noch teilweise füllt, und begrüße einzelne Mitglieder der Bundesregierung stellvertretend für dieselbe. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf aufmerksam machen, dass die für heute verlangte Aktuelle Stunde zur Haltung der Bundesregierung zur Durchsetzung des Leistungsprinzips bei exorbitanten Managergehältern nicht stattfindet. ({0}) - Der Antrag auf diese Aktuelle Stunde ist zurückgezo- gen. Damit ist das Thema ja nicht erledigt. Die ent- täuschten Zwischenrufe werden also bei anderer Gele- genheit sicher zur Geltung kommen können. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c sowie die Zusatzpunkte 11 und 12 auf: 28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen - Drucksache 17/12601 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({1})- Rechtsausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/89/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Richtlinien 98/78/EG, 2002/87/EG, 2006/48/EG und 2009/138/EG hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats - Drucksache 17/12602 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({2})- Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz ({3}) - Drucksache 17/12603 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Finanzstabilität sichern - Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute und des internationalen Schattenbanksystems - Drucksache 17/12686 ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte: Erpressungspotenzial verringern Geschäfts- und Investmentbanking trennen - Drucksache 17/12687 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({4})Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Einen Widerspruch dazu höre ich nicht. Also können wir offenkundig so verfahren. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Finanzminister das Wort, der im Unterschied zu anderen bereits gleich zu Beginn dieser Sitzung im Saal war. - Bitte schön. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sollte ich hier auch reden, wenn ich nicht da wäre! ({0}) Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen gehen wir einen weiteren Schritt auf dem Weg, Konsequenzen aus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 zu ziehen und unser Finanz- und Bankensystem insgesamt krisenfester, stabiler zu machen. Weil die Vielzahl der einzelnen Regelungsschritte auf globaler, auf europäischer und auf nationaler Ebene manchmal fast schon verwirrend sein kann, ist es immer wieder wichtig, dass man sich die Zusammenhänge klarmacht bzw. sich darüber vergewissert. Funktionierende Finanzmärkte - das ist der Ausgangspunkt all dessen, was wir 2008 diskutiert haben sind für eine hoch arbeitsteilige, global aufgestellte Wirtschaft unverzichtbar. Eine Krise in den Finanzmärkten bedeutet eine Krise für die Wirtschaft insgesamt. Funktionierende Finanzmärkte sind von daher wie eine funktionierende Energieversorgung Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deswegen müssen die Finanzmärkte stabil gehalten werden, und es muss dafür gesorgt werden, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Bereichen nicht das ganze System in Gefahr bringen. Im Übrigen müssen die Chancen und die Risiken abgewogen werden. Chance und Risiko müssen immer in einem angemessenen Verhältnis stehen; andernfalls gibt es Fehlanreize. ({1}) Die Banken und die Finanzinstitute brauchen also genügend Kapital, damit sie krisenfest sind. Wir brauchen in Europa funktionierende Aufsichtsinstitutionen auf nationaler Ebene. Wenn es irgendwo in einem Teil Fehlentwicklungen gibt - das gibt es immer in der Wirtschaft -, dann muss sichergestellt sein, dass sich daraus keine Risiken, keine nachteiligen Entwicklungen für das System als Ganzes ergeben können. Das ist die sogenannte Ansteckungsgefahr. Weil sich das alles auf globaler und auf europäischer Ebene abspielt, müssen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, die für alle Finanzinstitute und Banken eine große Rolle spielt, natürlich globale oder wenigstens europäische Regelungen getroffen werden, die zusammen mit nationalen Regelungen ein sich verzahnendes System ergeben. Das ist etwa ein ganz wichtiger Gegenstand der Debatte um die Finanztransaktionsteuer. Alle sind dafür, dass wir diese Steuer auf globaler Ebene einführen. Aber wir wissen natürlich, dass es beachtliche Gegenargumente gibt, sobald man sie nicht global einführen kann. In diesem Zusammenhang ist allerdings ein weiteres Argument zu bedenken: Wenn der Langsamste das Tempo bestimmt, dann geschieht gar nichts. Das Festhalten an der Forderung nach globaler Regulierung ist häufig der Grund dafür, dass insgesamt nichts geschieht. Insofern müssen wir gelegentlich national Vorreiter in der Regulierung sein. Das sind wir in dieser Legislaturperiode mehrfach gewesen. Wir mussten uns immer kritisch fragen lassen, ob unsere Politik richtig ist. Wir haben immer gesagt: Wir handeln im Vorgriff auf europäische Regelungen. So haben wir zunächst einmal national die ungedeckten Leerverkäufe verboten. Dafür sind wir kritisiert worden. Zwei Jahre später gab es eine entsprechende europäische Regelung. Wären wir in Deutschland nicht vorangegangen, wäre es nicht zu dieser Regelung gekommen. ({2}) So haben wir mit dem Restrukturierungsgesetz Regeln eingeführt, die ermöglichen, dass Banken, die in Schwierigkeiten sind, geordnet abgewickelt werden. Zugleich haben wir angefangen, einen Fonds aufzubauen, der sicherstellen soll, dass die Banken selbst die Kosten solcher Aktionen tragen. Das geht nicht über Nacht. Das notwendige Kapital kann nur allmählich erarbeitet werden. Auch in diesem Bereich haben wir national angefangen, im Vorgriff auf die europäische Regelung. Im Augenblick sind wir dabei, mit nationalen Regeln den übertriebenen Hochfrequenzhandel wegen seiner gefährlichen Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu regulieren. Auch das tun wir im Vorgriff auf europäische Regelungen, nicht um sie zu ersetzen, sondern um sie zu beschleunigen, um sie weiter voranzubringen. Genau dieser Philosophie folgt der vorliegende Gesetzentwurf, mit dem wir den Banken Abwicklungs- und Sanierungspläne für den Fall, dass etwas schiefgeht, vorschreiben. So wollen wir eine geordnete Abwicklung schwächerer einzelner Teile ermöglichen, ohne dass die Gefahr der Ansteckung für das gesamte Institut entsteht und so der gesamte Finanzmarkt in Gefahr gerät. Die Abschirmung von Risiken aus den unterschiedlichen Geschäftsfeldern ist der schwierigste und komplizierteste Teil dieser gesetzlichen Regelung. Wir versuchen, Wege zu finden, wie wir Eigenhandel, Investmentbanking und die normalen Bankgeschäfte so voneinander abgrenzen können, dass Risiken in einem Bereich keine Ansteckungsgefahren für andere Bereiche bedeuten können. Dazu muss man im Übrigen sagen: Das Universalbankensystem in Deutschland hat sich über Jahrzehnte bewährt, und es ist nicht die Ursache der Bankenkrise gewesen. Die global tätigen Unternehmen brauchen Dienstleistungen von Banken aus einer Hand. Das Universalbankensystem hat sich insgesamt bewährt. Man muss allerdings die Entwicklung auf den Finanzmärkten in den zurückliegenden Jahrzehnten berücksichtigen: Es gab eine enorme Innovationsfähigkeit hin zu immer komplexeren Produkten. Die Vielfalt der modernen Finanzprodukte und die Vielfalt der modernen Finanzmarktteilnehmer hat außerdem dazu geführt, dass die Finanztransaktionen um ein Vielfaches stärker gestiegen sind als das reale Bruttoinlandsprodukt, sei es in Europa, sei es weltweit. Zugleich ist der Anteil der Finanztransaktionen, der mit der realen Ökonomie unmittelbar zu tun hat, am Gesamtmarkt der Finanztransaktionen immer geringer geworden. Daraus hat sich die Debatte ergeben, ob wir bessere Abschichtungen der Risiken im gesamten Bankensystem vornehmen können. Diese Debatte wird überall in der Welt geführt. In den Vereinigten Staaten wurde die „Volcker Rule“ eingeführt. Das wird auch für Europa gefordert; das muss im Einzelfall aber genau abgegrenzt werden. Es ist nämlich schwierig, weil man einem Devisengeschäft einer Bank nicht unmittelbar ansieht, ob es für einen Kunden gemacht wird oder ob es gemacht wird, um zukünftig einen entsprechenden Kundenbedarf erfüllen zu können, oder ob es auf eigene Rechnung gemacht wird. Das können die Ökonomen zwar abstrakt voneinander abgrenzen. Dies aber in einem Gesetz zu formulieren, ist schwierig. In Großbritannien geht man mit dem Vickers-Report einen etwas anderen Weg. In Europa hat man die LiikanenKommission beauftragt, die die Fragen intensiv diskutiert hat. Daraus wollen wir eine europäische Regelung ableiten. Gemeinsam mit der französischen Regierung haben wir uns entschieden, unseren nationalen Gesetzgebern vorzuschlagen, den relativ unstreitigen Teil der Empfehlungen des Liikanen-Reports im Vorgriff in nationale Gesetzgebung umzusetzen. Wir wollen damit keine europäische Regelung ersetzen, sondern das Zustandekommen einer europäischen Regelung befördern. Im Übrigen wollen wir damit dazu beitragen, dass bei einer europäischen Regelung ein wenig aus den nationalen Erfahrungen Frankreichs und Deutschlands geschöpft werden kann. Deswegen gehen wir diesen Weg. Der Liikanen-Report besagt ja letztendlich, dass man nicht wirklich abgrenzen kann, was Eigenhandel und was Kundenhandel ist. Das ist ja das eigentliche Problem. Deswegen sagen wir: Ab einer bestimmten Größenordnung, also wenn die Bank Handelsaktivitäten von über 100 Milliarden Euro hat oder wenn dieser Teil der Geschäfte mehr als 20 Prozent des Volumens der Geschäfte der Bank beträgt, sollen diese Geschäftsbereiche voneinander getrennt werden in eigene rechtlich abgeschichtete Institute mit entsprechenden Haftungsbegrenzungen. Daraus ergibt sich das Problem, dass die Banken, wenn sie diese Größenordnung erreicht haben, die Produkte für ihre Kunden nicht mehr vorrätig halten können. Sie können in dem Geschäftsfeld, in dem Kundengeschäfte getätigt werden, ja nicht auf Auftrag tätig werden, sondern sie müssen die Leistung vorrätig halten. Das ist das sogenannte Market Making. Deswegen sagen wir: Den eindeutigen Eigenhandel spalten wir ab. Das Market Making übertragen wir in die Zuständigkeit der Bankenaufsicht, damit sie im Einzelfall prüfen kann, ob das Market Making in erster Linie dem Kundengeschäft oder angesichts seiner Größenordnung doch eher dem Eigenhandel der Bank dient. Damit können wir Erfahrungen sammeln, wie die Empfehlungen des LiikanenReports tatsächlich in der Praxis zu handhaben sind. Das ist der Kern des Problems. Darüber muss man nicht so furchtbar viele Grundsatzstreitigkeiten führen. Ich glaube, es ist vernünftig, dass wir bei der Regulierung von Banken nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern immer daran denken, dass die Funktion und Leistungsfähigkeit unserer Banken in einem starken Maße vom Erfolg auf den Weltmärkten abhängt. Es muss also auch im Auge behalten werden, dass die Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird. ({3}) Dann sehen wir schließlich vor, die Strafbarkeit von Managern und Verantwortlichen der Finanzinstitute bei Fehlverhalten im Risikomanagement entsprechend zu verschärfen, weil die geltenden strafrechtlichen Vorschriften nicht ausreichen. Das sind die drei Elemente dieses Gesetzentwurfs. Ich will darauf hinweisen, dass wir mit diesen Maßnahmen unsere Bemühungen fortsetzen, Schritt für Schritt einen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte zu schaffen. Wir haben in dieser Legislaturperiode viel erreicht. Ich möchte mich auf diesem Weg bei allen Fraktionen des Hauses für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. Wir werden diesen Weg konsequent fortsetzen. Es leiten uns dabei die folgenden Prinzipien: erstens, das Finanzsystem krisenfester zu machen, zweitens, die Verursacher immer an den Kosten der Krise zu beteiligen, drittens, der Haftung wieder Geltung zu verschaffen, viertens, die Transparenz auf den Finanzmärkten zu erhöhen, und fünftens, die Aufsicht auf deutscher wie auf europäischer Ebene funktionsfähiger zu machen. So schaffen wir Schritt für Schritt einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Das Trennbankengesetz ist dabei ein wichtiger Schritt. Ich bitte Sie um zügige Beratung und um Zustimmung zum Gesetzentwurf. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Joachim Poß erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2008 hat die Lehman-Pleite die Finanzmärkte weltweit erschüttert. 2010 hat sich mit aller Macht der schädliche Einfluss von Banken und Finanzspekulanten in der Krise in Griechenland, Irland, Spanien gezeigt. Vor allem im Herbst 2011 wurde an vielen Orten im Rahmen der Occupy-Bewegung gegen die Bankenmacht demonstriert. Und dann, Herr Bundesfinanzminister, dauert es noch bis in den Februar 2013, bis Sie endlich reagieren und endlich einen Gesetzentwurf zur Einschränkung der Bankenmacht vorlegen. So schön ist Ihre Bilanz an die28616 ser Stelle nicht, wie Sie es vorhin versucht haben, darzustellen. ({0}) Sie malen sich das schöner, als es ist. Das gilt im Übrigen auch für Ihre Konsolidierungspolitik wie für Ihre Steuerpolitik. Ihre Bilanz ist alles andere als überzeugend. Das gilt auch für den Bereich „Einschränkung der Bankenmacht“. ({1}) Dass Sie jetzt einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, hat nur einen Grund: Sie wollen noch schnell das Thema Banken besetzen, ({2}) damit es Ihnen im anstehenden Wahlkampf nicht auf die Füße fällt. ({3}) Wären Sie, Herr Schäuble, tatsächlich an einer Lösung interessiert, die Bankenmacht und deren Erpressungspotenzial wirksam einzuschränken, was dringend notwendig wäre, hätten Sie schon viel eher agiert. Ihre Regierungszeit als Finanzminister dauert jetzt schon dreieinhalb Jahre an. Dieses jahrelange Zögern können Sie nicht damit rechtfertigen, dass Sie auf die Empfehlungen von Experten gewartet haben. Es gab schon vor dem Liikanen-Bericht Überlegungen der OECD, Diskussionen über die „Volcker Rule“ in den USA, auch der Vickers-Report ist in diesem Zusammenhang zu nennen. ({4}) Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem heute zu beratenden Gesetzentwurf bereits um einen Teil Ihres Bundestagswahlkampfes. ({5}) Große Fortschritte im Kampf um die Begrenzung der Bankenmacht sind mit Ihrem Gesetz auf jeden Fall nicht zu erzielen. Dafür fehlt es dem Gesetz an Reichweite und an Biss. ({6}) Dass zum Beispiel Herr Fitschen von der Deutschen Bank diesen Gesetzentwurf ablehnt, ist sein Job, dafür wird er bezahlt. ({7}) Aber das ist noch lange kein Beleg dafür, dass das Gesetz tatsächlich ausreicht und das angestrebte Ziel erreicht. Ein Grundübel dieses Gesetzes ist es, dass es in seinem zentralen Teil aufgrund falsch gesetzter Schwellenwerte und Größengrenzen im Ergebnis vermutlich nur wenige große Banken trifft. ({8}) Ich frage mich: Warum sollen eher mittelgroße Banken mit den Einlagen der Kunden weiterhin hochriskante Geschäfte machen dürfen? Warum soll das nur den ganz Großen verboten werden? Dafür gibt es keinen Grund, Herr Bundesfinanzminister. ({9}) Ein weiterer Punkt, warum Ihr Gesetz nicht ausreicht: Die Abschirmung des Einlagen- und Kreditgeschäfts vom Eigenhandel und anderen riskanten Geschäften wird von Ihnen nicht mit der nötigen Konsequenz durchgeführt. Der Gesetzentwurf enthält zu viele Ausnahmen und lässt den betroffenen Instituten, so zum Beispiel auch der Deutschen Bank, immer noch zu viel Spielraum für spekulative und riskante Geschäfte. Wenn Ihr Gesetzentwurf in der vorliegenden Form verabschiedet wird - Sie haben ja angedeutet, dass Sie für Verbesserungsvorschläge, die im Rahmen der weiteren Beratung eingebracht werden, offen sind -, ({10}) werden wir es nicht schaffen, die Einlagen der Kunden und Sparer vor Verlusten aus spekulativen und riskanten Geschäften zu schützen. Es ist aber unser Ziel, diese Einlagen zu schützen. ({11}) Mit Ihrem Gesetz bleibt das Risiko hoch, dass große Banken in der Krise weiter dem Steuerzahler auf der Tasche liegen können. Auch das wollen wir verhindern. Das ist unser Ziel. ({12}) Sie bleiben auch hinter der derzeit auf EU-Ebene verhandelten Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten zurück. So fordert die EU-Kommission zum Beispiel die Absetzung der Geschäftsleitung bei gescheiterten Banken. Sie dagegen, Herr Schäuble, halten das nicht für notwendig und sehen hierzu zahlreiche Ausnahmen vor. Ihr Gesetz mag die betroffenen großen Banken ein wenig ärgern, aber es wird nicht wirklich etwas ändern. Ein echtes Trennbankenregime wird so jedenfalls nicht etabliert. Während der gesamten, jetzt fast abgelaufenen Legislaturperiode, in der Sie die Verantwortung im Finanzministerium tragen, Herr Schäuble, sind die Banken von Ihnen unterm Strich doch eher geschont worden. Denken Sie nur an die kümmerliche Bankenabgabe, die Sie eingeführt haben und die die Banken fast aus der Portokasse zahlen können. ({13}) Einen Abwicklungsfonds, der den Steuerzahler aus der Staatshaftung für die Risiken der Banken befreit, können Sie so auf jeden Fall nicht füllen. In einem Namensartikel in der Börsen-Zeitung vom 27. Februar 2013 bezeichnen Sie richtigerweise nicht das heute zu beratende Gesetz als „zentrales Projekt der Bankenregulierung“, sondern die Umsetzung von Basel III. Bei dieser Umsetzung haben Sie aber jetzt wieder zeitlich Leine gelassen, damit die Briten die Möglichkeit haben, die bereits getroffene Vereinbarung über die Begrenzung von Bankerboni aufzuweichen. Das war ein klarer Fehler. Es ist nicht zu erwarten, dass man hinsichtlich der Zustimmung der City of London auf diesem Feld wirklich vorankommt. Das ist leider so. ({14}) - Ich kenne die Argumente, die dort ausgetauscht werden. Das habe ich Ihnen nicht vorgeworfen. Ich habe nur eine Feststellung getroffen. ({15}) Bei genauerem Hinsehen ist und bleibt Ihre Bilanz hinsichtlich der Banken- und Finanzmarktregulierung mager. Das sieht man auch an der entsprechenden Aufstellung Ihres Ministeriums „Informationen aus dem Bundesfinanzministerium - Neuer Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte“. Man kann sehr gut erkennen, dass das allermeiste die Umsetzung von EU-Rechtssetzung in deutsches Recht ist. Wenn Sie selbst initiativ geworden sind, haben Sie wie beim Restrukturierungsgesetz bei Steinbrück abgeschrieben, ({16}) oder Sie springen wie bei dem heute zu lesenden Gesetzentwurf oder dem Entwurf eines Hochfrequenzhandelsgesetzes viel zu kurz. Sie versuchen lediglich, durch viele Worte das alles zu einem großen Feldzug gegen Banken und Finanzmärkte aufzubauschen; aber die Fakten, Herr Schäuble, sprechen eine andere Sprache. Ihre Regulierungsvorschläge sind oftmals nicht mehr als heiße Luft. ({17}) Warum kämpfen Sie denn nicht in Brüssel für ein europaweit einheitliches Bankenrestrukturierungs- und -abwicklungsregime, das zeitgleich mit der europäischen Bankenaufsicht kommt und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag? Warum hat Ihr großes Haus mit den vielen Beamten und Experten noch keinen Aktionsplan gegen das Schattenbankenproblem erarbeitet? Beklagen Sie nicht die Probleme, sondern fangen Sie an, wirklich zu arbeiten! Verstecken Sie sich nicht hinter EU-Kommission oder Financial Stability Board! Ihre Politik, Herr Schäuble, ist keine Erfolgsstory, sondern ein Regulierungsversäumniskatalog. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Björn Sänger das Wort. ({0})

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Poß, die Argumentation, die Sie hier abgeliefert haben, war vorhersehbar. ({0}) Sie zieht sich wie ein roter Faden - welche Farbe sollte der Faden bei Ihnen auch sonst haben? ({1}) durch sämtliche Diskussionen. Sie lautet, es habe zu lange gedauert. Dazu sage ich: Ja, nach der Regulierung der Ratingagenturen, ({2}) nach dem Verbot der Leerverkäufe, nach der Regulierung des Hochfrequenzhandels, nach der Regulierung der Fondsbranche, nach der Regulierung des grauen Kapitalmarktes, nach der Regulierung der Vergütungssysteme und Boni in Instituten, nach der Regulierung des Derivatehandels, nach der Regulierung der Kreditverbriefung - ich könnte noch zig weitere Vorhaben anführen - hat es in der Tat etwas gedauert, bis wir nun heute dieses wichtige Regulierungsvorhaben auf dem Tisch haben. Lieber Herr Kollege Poß, Sie sind nicht so häufig im Finanzausschuss; aber jedes Mal, wenn wir derartige Verfahren im Ausschuss diskutieren, sind es Ihre Kollegen, die sagen, dass das alles irgendwie viel zu schnell gehe, man sich doch etwas mehr Zeit nehmen müsse. Ich finde, da sollten Sie sich schon entscheiden und auf eine Argumentationslinie festlegen. ({3}) Es liegt jetzt ein sehr wichtiges Regulierungsvorhaben vor. Das ist nach Umsetzung des Banken-Restrukturierungsgesetzes ein weiterer logischer Schritt in unserem Regulierungssystem. Dabei geht es um die Frage: Wie schirmt man Risiken ab? Das ist meines Erachtens eigentlich der entscheidende Regulierungsschritt; denn es geht darum, Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in der Finanzbranche wieder einzuführen. Dazu gehört, dass man eben auch scheitern kann. Versuch und Irrtum gehören zur sozialen Marktwirtschaft. Mit dem Banken-Restrukturierungsgesetz haben wir ein Insolvenzrecht für Banken geschaffen, das derzeit leider europaweit noch einmalig ist. Mit dem heute vorliegenden Gesetz gehen wir den nächsten Schritt, indem wir den Banken vorschreiben, Sanierungspläne zu erarbeiten und klar zu sagen, welcher Bereich überlebensfähig ist und wo die Risiken sind. Das muss den einzelnen Geschäftsbereichen zugeordnet werden, um im Ernstfall, wenn ein Unternehmen in der Krise ist bzw. wenn das Scheitern droht, eine geordnete Abwicklung so zu ermöglichen, dass zum einen der Einsatz öffentlicher Mittel vermieden - für uns ist ganz besonders wichtig, dass zuerst die Eigentümer und die Gläubiger zahlen, danach erst der Staat - und zum anderen ein Weiterführen des unbelasteten Teils ermöglicht wird. Zugleich soll vermieden werden, dass dadurch Ansteckungspotenzial oder Risiken für den Finanzmarkt entstehen. Im Übrigen haben wir im Banken-Restrukturierungsgesetz - das hätten Sie gesehen, lieber Kollege Poß, wenn Sie einmal hineingeschaut hätten - die Absetzung der Geschäftsleitung durch die BaFin entsprechend geregelt. Die BaFin kann das anordnen, wenn es notwendig wird. Insofern hilft auch hier ein Blick ins Gesetz bei der Rechtsfindung. ({4}) Zur Frage, ob die Einlagen gefährdet sind: Wir in Deutschland haben ein Einlagensicherungssystem. Die Einlagen der Kleinsparer sind entsprechend abgesichert und durch das Banken-Restrukturierungsgesetz auch geschützt. Wir haben nämlich die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen, dass die Teile, die sozusagen „über die Wupper gehen“, ausgelagert werden können. Darüber hinaus entstehen ab einem gewissen Punkt - das geben wir ja zu - möglicherweise Risiken, die wir noch einmal gesondert abschirmen wollen. Das machen wir mit einem Gesetzentwurf, der sich sehr stark an den Kabinettsbeschluss anlehnt - zum Teil ist er damit identisch -, den die französische Regierung am 19. Dezember 2012 verabschiedet hat. Ich habe nicht unbedingt den Eindruck, als ob in Frankreich turbokapitalistische Bankenhörige regieren. Mein Eindruck ist da eher ein anderer. Ich glaube, es handelt sich dabei um Ihre Freunde, die in dem Fall aber ein sehr gutes Gesetz zur Welt gebracht haben. Zusammen mit den Franzosen sagen wir nun: Wir schreiten voran und setzen gewissermaßen die unproblematischen Teile aus dem sogenannten Liikanen-Report um, um damit Erfahrungen zu sammeln und um dann auch auf europäischer Ebene handeln zu können. Wir gehen dabei davon aus, dass der Eigenhandel von Banken ab einer bestimmten Größenordnung möglicherweise Risiken birgt, die wir - zusätzlich zu den Regelungen, die wir ohnehin hier im Gesetz haben - entsprechend abschirmen und auslagern wollen. Es ist kein Wunder, dass sich die gesamte deutsche Kreditwirtschaft - im Übrigen auch die Sparkassen eindeutig für das Universalprinzip aussprechen. Es ist auch logisch, Bankdienstleistungen aus einer Hand anbieten zu wollen. Überlegen Sie einmal, wie sich die Märkte global entwickeln werden. Glauben Sie denn ernsthaft, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung in Europa hier noch mit einem nennenswerten Wachstum zu rechnen haben? ({5}) Das Wachstum findet auf anderen Märkten statt. Unsere Mittelständler, die auf Export setzen werden, wenn sie feststellen, dass sie im Heimatmarkt nicht weiterkommen, brauchen eben einen Dienstleister, der in der Lage ist, sie nach Asien sowie in die Schwellenländer Lateinamerikas und nach Afrika zu begleiten. ({6}) Dazu muss eine Bank eine gewisse Größenordnung haben. Dadurch wird eine Bank eben auch komplex; groß und einfach funktioniert also nicht. Um diese Risiken abschirmen zu können, haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Hohe Risiken werden wir auslagern, indem wir die Vorschläge aus dem Liikanen-Report aufgreifen. Ich will noch auf einen anderen Bereich eingehen, der in diesem Gesetzesvorhaben enthalten ist. Auch das ist nicht uninteressant. Es geht um die Regelung der Finanzkonglomerate, also Unternehmen, die in verschiedensten Bereichen der Finanzbranche tätig sind und die Versicherungen, Fonds und eben auch Bankdienstleistungen anbieten. Momentan sind sie in ihrer Gänze noch nicht reguliert. Auch hier greifen wir gewissermaßen eine europäische Regelung auf, die entscheidend von der Bundesregierung mit geprägt wurde, und setzen sie um. Des Weiteren - das ist der nächste Schritt, der sich hier schon am Horizont abzeichnet - kümmern wir uns darum, dass die Schattenbanken einer Regulierung zugeführt werden. Auf dem G-20-Gipfel in St. Petersburg ist mit entsprechenden Ergebnissen zu rechnen. Hierbei unterstützen wir die Bundesregierung - sie ist Vorreiter im Bereich der Regulierung der Finanzmärkte - mit Nachdruck. Sie sollten über Ihren Schatten springen und das ebenfalls tun. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Alle Finanzmärkte, Produkte und Akteure sollen reguliert oder beaufsichtigt werden. Das hat die G 20 im Jahr eins der großen Finanzkrise im Herbst 2008 angekündigt. Fast fünf Jahre ist das her. Ich muss schon sagen: Angesichts der Ausmaße und der Dramatik der Katastrophe und angesichts der Billionenkosten, die auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt wurden, finde ich die seither an den Tag gelegte politische Untätigkeit der Verantwortlichen schlicht und ergreifend skandalös. ({0}) Fünf Jahre - und nichts hat sich daran geändert, dass im Finanzsektor obskure Papiere kreiert und aberwitzige Geschäftsmodelle verfolgt werden, während die Kreditvergabe an reale Unternehmen immer dürftiger wird. Nichts hat sich daran geändert, dass mit diesen obskuren Papieren Monat für Monat mehr Geld verdient wird, als beispielsweise ein Arzt, der jede Woche Menschenleben rettet, oder ein Ingenieur, der Hightechmaschinen konstruiert, im ganzen Leben verdienen kann. Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe werden an dieser skandalösen Situation nicht das Geringste verändern. Derivate, also das, was Warren Buffett finanzielle Massenvernichtungswaffen nannte, sind heute im Nominalwert von 640 Billionen Dollar auf dem Markt. Das ist etwa zehnmal mehr als das, was die gesamte Weltwirtschaft an Gütern und Leistungen produziert. 53 Billionen Euro sind inzwischen im Schattenbankensystem angelegt, also in dem unregulierten Dickicht von Hedgefonds, von Private-Equity-Haien und sonstigen Finanzspekulanten, die gar keiner Aufsicht unterliegen. Auch für die Banker hat sich doch im Ernst nicht wirklich etwas verändert. Das Regulierungspaket Basel III wurde von der Lobby kleingeschossen, und es ist völlig offen, ob es überhaupt jemals in Kraft treten wird. Die strengeren Liquiditätsvorgaben wurden aufgeweicht. Die höheren Eigenkapitalanforderungen sind ein Witz, solange die Banken einfach nur ihre Modelle, wie sie die Risiken berechnen, ändern müssen. Schwupp ist dadurch die Eigenkapitalquote höher, ohne dass ein einziger müder Euro zusätzliches Eigenkapital aufgenommen wurde. ({1}) - Sie haben offenbar keine Ahnung. ({2}) Die Deutsche Bank hat im letzten Jahr ihre risikogewichteten Aktiva um 12 Prozent reduziert. Wie hat sie das gemacht? Etwa dadurch, dass sie weniger Derivate aufgelegt oder weniger in Lebensmitteln spekuliert hat? Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Hier dreht sie wieder ein ganz großes Rad. Sie hat das gemacht, indem sie, wie sie es selber nett formuliert, Model Improvements nutzt. Ich kann Ihnen erklären, was das ist. Das funktioniert in etwa so wie mit dem Armuts- und Reichtumsbericht. Wer glaubt, dass Armut dadurch verschwindet, dass man sie im Regierungsbericht nicht mehr erwähnt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Risiko dadurch verschwindet, dass man einfach die Berechnungsmethode verändert. Ich halte diese Logik für völlig absurd. ({3}) Das eigentliche Problem ist doch: Eine Bank, die weiß, dass die Regierung sie niemals fallen lassen kann, hat es doch gar nicht nötig, Eigenkapital zu bilden. Die kann es sich, wie die Deutsche Bank, leisten, mitten in der Euro-Krise Boni in Höhe von 3,2 Milliarden Euro an ihre Investmentbanker auszuschütten. Insgesamt haben die Banker im letzten Jahr übrigens 300 Milliarden Euro an Boni verteilt, die ganzen Dividenden, die ausgeschüttet wurden, nicht mitgerechnet. Angesichts solcher Zustände behaupten Sie, wir seien auf einem guten Weg. Vielleicht hätten Sie von der Bundesregierung, statt sich im Laufe dieser Legislaturperiode etwa hundertmal mit Investmentbankern zu treffen, sich lieber einmal mit den Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen austauschen sollen, ({4}) die Ihnen vielleicht plastisch geschildert hätten, wie oft sie schon mit dem Anliegen, einen langfristigen Investitionskredit zu bekommen, bei ihrer Bank abgeblitzt sind und was das am Ende für die Arbeitsplätze und für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft bedeutet. Oder Sie hätten sich vielleicht mit Familien treffen können, die in der Dispofalle festhängen und von den Banken jeden Monat mit Überziehungszinsen von 12 oder 14 Prozent abgezockt werden - von denselben Bankern, die dieses Geld praktisch gratis von der Europäischen Zentralbank bekommen. Die Wahrheit ist leider: Kein Finanzmarkt, kein Produkt und kein Akteur ist heute wesentlich wirksamer reguliert und beaufsichtigt als im Jahre 2008. Das ist ein Armutszeugnis für die Politik und ein erschreckender Ausweis ihrer Abhängigkeit und Steuerbarkeit durch die Lobby der Banker und Finanzjongleure. ({5}) Herr Schäuble, Sie haben selbst öffentlich gewarnt, dass die Demokratie eine nochmalige Finanzmarktkrise in diesem Ausmaß nicht überleben würde. Ich frage Sie: Wie können Sie es dann verantworten, alles weiterlaufen zu lassen? Der Finanzmarkt ist heute doch genauso wie vor fünf Jahren ein Markt ohne Haftung und Verantwortung, ein Markt, auf dem die normalen Gesetze, denen sich alle anderen unterwerfen müssen, schlicht und ergreifend nicht gelten. Die Banken, die jahrelang den Libor manipuliert und sich damit Milliardengewinne ergaunert haben, sollen nach dem Wunsch der EUKommission jetzt straffrei ausgehen, genauso wie auch die ganz großen Finanzmüllproduzenten für das, was sie angerichtet haben, nie zur Verantwortung gezogen wurden. Für die Situation, in der wir sind, tragen Sie alle eine Mitverantwortung. Hätte beispielsweise Rot-Grün damals die Hedgefonds in Deutschland nicht zugelassen, ({6}) dann müssten wir uns gar nicht erst den Kopf darüber zerbrechen, wie diese verrückten Finanzvehikel wieder reguliert werden können. ({7}) - Das tut Ihnen weh, aber es ist leider die Wahrheit. ({8}) Hätte die Große Koalition die Idiotie der Kreditverbriefungen nicht ausdrücklich gefördert, dann wäre vermutlich weniger von diesem Müll in den Bilanzen der Landesbanken hängen geblieben. Hätte ein Herr Steinbrück nicht das Gesetz zur Bankenrettung ausgerechnet von den Lobbykanzleien der Banker selber schreiben lassen, dann hätten sich die Probleme natürlich auch weniger generös für die Finanzinstitute und weniger ruinös für den Steuerzahler lösen lassen. ({9}) Oder will heute noch jemand behaupten, dass es alternativlos war, der Commerzbank mindestens 2 Milliarden Euro zu schenken? 2 Milliarden Euro, davon könnten Sie den Heizkostenzuschuss für arme Familien zehn Jahre weiter zahlen. ({10}) Oder wollen Sie behaupten, dass es alternativlos war, 200 Milliarden Euro in der Hypo Real Estate zu versenken, ({11}) nur damit der charmante Herr Ackermann seine Forderungen an die Hypo Real Estate nicht abschreiben muss? Dass Lobbykanzleien wie Freshfields für ihre erfolgreiche Interessenvertretung für die Banker dann auch noch 100 Millionen Euro vom Staat bekommen haben, setzt dem Ganzen allerdings die Krone auf. Insoweit muss ich schon sagen: Wenn man sich ansieht, wie erfolgreich die Finanzmafia in Deutschland den Steuerzahler über den Tisch gezogen hat und wie engagiert Herr Steinbrück als damaliger Finanzminister dabei behilflich war, dann sind die später geflossenen Honorare natürlich durchaus nachvollziehbar. Es ist nur schade, dass Korruption nach dem Motto „Gezahlt wird später“ in Deutschland nicht strafbar ist. ({12}) Ich muss sagen: Natürlich finde ich es sympathisch, dass die SPD die Banken jetzt regulieren will; denn das sagen und fordern wir ja schon lange. Aber ich muss Sie fragen: Wenn Sie ernsthaft den Banken ans Leder wollen, wie konnten Sie dann ausgerechnet den Bankenmann Peer Steinbrück zu Ihrem Kanzlerkandidaten machen? Das nimmt Ihnen doch der Dümmste nicht ab, ({13}) zumal die große Koalition der Bankenretter leider bis heute reibungslos weiterläuft. ({14}) Auch die Euro-Rettung war von Beginn an nichts anderes als eine einzige große Bankenrettung: Etwa 50 Milliarden Euro sind aus dem Rettungsschirm direkt an die griechischen Banken geflossen, 5 Milliarden Euro davon - das hat die Bundesregierung selber bestätigt an die Eurobank des griechischen Milliardärs Latsis, der in einer Villa am Genfer See sein Leben genießt. Wollen Sie wirklich behaupten, dass der Euro kaputtgegangen wäre, wenn der griechische Milliardär Latsis einen Teil seines Vermögens verloren hätte? Sie reden von einem Bail-in der Gläubiger und von Haftung; aber Sie tun alles, dass diese Haftung und dieser Bail-in nicht kommen. Wo war der Aufschrei der Bundesregierung, als die Europäische Zentralbank Irland unter Druck gesetzt hat, seine Banken und deren Gläubiger komplett freizukaufen, obwohl das kleine Land sich dadurch eine Verschuldung aufgehalst hat, für die noch Generationen bluten werden? Wo ist der Aufschrei der Bundesregierung angesichts des aktuellen Richtlinienentwurfs der EU-Kommission, nach dem eine Gläubigerhaftung bis 2018 ausgeschlossen werden soll? Und hören Sie doch auf, uns zu erzählen, diese elende Bankenretterei auf unser aller Kosten wäre im Interesse des Kleinsparers! Das ist nun wirklich eine der dümmsten Lügen. ({15}) Selbstverständlich könnten wir es in Europa machen, wie es die Isländer vorgemacht haben: Einlagen bis zu einer gewissen Höhe werden geschützt - sagen wir bis 500 000 Euro; damit es wirklich niemanden trifft, der für sein Geld hart gearbeitet hat -, alles andere allerdings - zunächst die Aktien, dann die Bankschuldverschreibungen und schließlich die Einlagen, die über diese Grenze hinausgehen - geht, wenn eine Bank pleite ist, in die Insolvenzmasse ein. Wo ist denn da das Problem? Jeder Handwerksbetrieb, der für ein Unternehmen gearbeitet hat, das pleitegeht, muss seine Forderungen abschreiben; da springt auch nicht der Staat bzw. der Steuerzahler rettend ein. Für so eine Regelung bräuchte man keine dicken Gesetze und keine endlosen EU-Richtlinien. Man hätte es in Irland und Griechenland so machen können, und man könnte es jetzt in Spanien und Zypern so machen - und natürlich auch hier in Deutschland. ({16}) Wäre dieser Weg in Europa beschritten worden, dann wären die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler heute um 4,5 Billionen Euro reicher. Im Gegenzug gäbe es vermutlich einige Milliardäre weniger, und das Vermögen der europäischen Oberschicht wäre vielleicht auf das Niveau der 90er-Jahre zurückgestutzt. Dann könnten wir in Deutschland mehr Lehrer und mehr Krankenschwestern beschäftigen, und in Griechenland und Spanien wären wahrscheinlich nicht 60 Prozent aller jungen Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektive. Wäre das eine so schlechte Alternative? Ich glaube, der Nobelpreisträger Stiglitz hat völlig recht: Das Problem ist die Verbindung von Wirtschaft und Politik. - Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten, statt sich von ihr einkaufen zu lassen. ({17}) Wir brauchen in Deutschland keine große Koalition der Bankenretter. Was wir brauchen, ist eine Politik, die endlich den Mut aufbringt, den Zockern das Handwerk zu legen. Dafür werden wir als Linke weiterhin streiten. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Standardvortrag von Sahra Wagenknecht wäre es einmal sinnvoll, über die Anträge und Gesetzentwürfe, die vorliegen, zu sprechen. ({0}) Man kann den Eindruck gewinnen, dass in diesem Haus eigentlich eine ganz große Einigkeit herrscht; denn die Begrifflichkeiten haben sich irgendwie angenähert: Auf beiden Seiten des Hauses ist von einem Trennbankensystem die Rede, auf beiden Seiten des Hauses ist von Sanierungsplänen für Banken die Rede, und es ist allgemein von einer Bankenunion die Rede. Die Unterschiede sind trotzdem sehr relevant, was ich im Folgenden deutlich machen will; denn es kommt darauf an, was hinter den gerade in Wahlkampfzeiten üblichen Überschriften steckt. Schauen wir uns die Punkte also im Einzelnen an: Erster Punkt: Trennbankensystem. Unsere Fraktion hat im Oktober 2011 einen Antrag vorgelegt und darin vorgeschlagen, dass man sich in Deutschland einmal damit beschäftigt, wie wir mit dem Problem der systemrelevanten Großbanken umgehen können, ohne dass es Schäden für unsere Volkswirtschaft gibt. Wir haben vorgeschlagen, dass man bis September 2012 zusammen mit Fachleuten eine Analyse dazu durchführt, um auf dieser Grundlage ein gutes Gesetz für Deutschland machen zu können. Sie haben das damals abgelehnt. In kurzer Frist legen Sie jetzt schnell einen Gesetzentwurf vor, für den Sie sich noch nicht einmal die Struktur in Deutschland angeschaut haben; sie ist dort nicht eingegangen. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, ohne sich vorher die Berechnungen anzuschauen. Sie haben jetzt über die BaFin Berechnungen in Auftrag gegeben und werden diesen Gesetzentwurf noch ziemlich deutlich ändern müssen, weil Sie im Wahlkampf erst einmal schnell etwas vorlegen wollten, ohne sich die Fakten vorher richtig anzuschauen. Meine Prognose ist, dass wir darauf noch einmal zurückkommen werden. Das Entscheidende ist aber: Es gibt inzwischen längst einen Politikprozess auf europäischer Ebene. Es gibt den Liikanen-Vorschlag. Eine Expertenkommission auf europäischer Ebene hat genau das gemacht, was wir Grüne für Deutschland vorgeschlagen hatten, und hat entsprechende Vorschläge vorgelegt. Was passiert jetzt? Die Opposition, SPD und Grüne, fordern, diese Vorschläge aufzugreifen und gesetzgeberisch umzusetzen; denn Leute haben sich das fachkundig angeguckt und einen guten Vorschlag gemacht. ({1}) Aber was macht die Bundesregierung? Sie legt jetzt einen Gesetzentwurf vor, der inhaltlich hinter diesen Vorschlägen bleibt, und tut so, als sei sie der Motor für eine bessere Regulierung in Europa. Das ist doch absurd! ({2}) Sie bremsen einen bestehenden Politikprozess in Europa und wollen sich als Motor verkaufen. Das ist nicht nur Wahlkampf, das ist richtig schlechter Wahlkampf, weil Sie die Dinge völlig verdrehen. ({3}) In der Stellungnahme für den Finanzausschuss sagt Professor Krahnen, Mitglied der Kommission, die die europäischen Vorschläge vorgelegt hat - ich zitiere -: Nach unserem Ermessen läuft der Gesetzesentwurf in seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch Gefahr, zwar symbolträchtig zu sein, aber in der Zielerreichung hinsichtlich Stabilität des Finanzmarktes und Schutz von Einlegern und Steuerzahlern hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Das zeigt genau: Es gibt konkrete Vorschläge für Trennbanken, die wir als Opposition unterstützen, und es gibt hier einen Wahlkampfgesetzentwurf, der in seiner Substanz den Schutz von Steuerzahlern nicht erreicht. ({4}) Zweiter Punkt: Sanierungspläne/Abwicklungspläne. Wir fordern das seit langem, und das ist auch richtig. Entscheidend ist aber doch: Findet das wirklich so statt, dass Banken im Ernstfall abgewickelt werden können? Wer ist dafür eigentlich verantwortlich? Die Koalition sagt: Die Banken sollen einmal etwas aufschreiben, aber letztlich bleibt die Bankenaufsicht verantwortlich. - Ja, Moment! Wir lassen doch die Banken nicht aus der Verantwortung, für ihre eigenen Probleme geradezustehen. Deswegen steht in unserem Antrag, dass die Verantwortung für die Sanierungspläne und dafür, dass eine Bank ohne Steuerzahlergeld abgewickelt werden kann, bei den Banken liegen soll. Und das ist auch richtig so. ({5}) Dritter Punkt: Bankenunion. In Ihrem Antrag schreiben Sie jetzt auch etwas von Restrukturierungsfonds, aber Sie wollen nationale Restrukturierungsfonds. ({6}) - Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag! Da steht doch etwas von nationalen Restrukturierungsfonds. ({7}) Es kommt zu dem Dilemma, dass eine europäische Aufsicht, die gerade auf den Weg gebracht wird, vor der Entscheidung steht, was gemacht werden soll, wenn ein großes, grenzüberschreitendes Institut in Schieflage gerät. Sollen sich Mitgliedstaaten, die nationale Restrukturierungsfonds haben, darüber streiten, was gemacht wird, was über Monate zu Problemen führt und dazu, dass im Ernstfall wieder der Steuerzahler einspringen muss? Nein! Wir sagen, es soll einen von den Banken finanzierten europäischen Abwicklungsfonds geben, damit der Steuerzahler in der Euro-Zone nie wieder in die Verlegenheit kommt, mit seinem Geld in Anspruch genommen werden zu müssen. Das ist der entscheidende Unterschied: Sie lassen es nach wie vor zu, dass der Steuerzahler das Risiko hat, wir wollen den Steuerzahler schonen und die Banken mit ihrem Fonds zahlen lassen. ({8}) Wir diskutieren gerade über das Thema Zypern. Hier muss man eine Sache einmal sehr ernst nehmen: Wo wären wir denn heute, wenn wir den Vorschlag von Kommission und Parlament, der schon seit über zwei Jahren auf dem Tisch liegt, bereits umgesetzt hätten? Dann müsste man jetzt nicht langwierige Verhandlungen durchführen, in deren Verlauf das Geld aus dem zypriotischen Bankensektor abfließt, sondern dann könnte eine europäische Bankenabwicklungsinstitution, der von uns vorgeschlagene europäische Bankenabwicklungsfonds, die betroffenen Banken zügig sanieren und die Gläubiger zur Kasse bitten. Wir würden damit den Steuerzahler, auch den deutschen Steuerzahler, mit einem Hilfspaket für Zypern nicht so belasten müssen, wie das jetzt der Fall ist. Man sieht, wie gefährlich es ist, bei den Fragen bezüglich der Bankenregulierung so zögerlich unterwegs zu sein und immer wieder auszubremsen, wie es diese Koalition tut. Wir werden im Gesetzgebungsprozess darauf drängen, dass die Verantwortung hier klar wird. Es soll, wie auf europäischer Ebene vorgeschlagen, ein richtiges Trennbankensystem und Sanierungspläne, bei denen die Verantwortung bei den Banken verbleibt, geben. Darüber hinaus wollen wir den Steuerzahler mit einem europäischen Bankenabwicklungsfonds, in den die Banken einzahlen, schonen. Danke schön. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Klaus-Peter Flosbach ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Poß seine Rede hier gehalten hat, habe ich gedacht: Warum sagt er eigentlich nichts zu dem Antrag? Warum poltert er ausschließlich herum? Ich habe dann auch an den Montag gedacht, als Sie ein Papier mit dem Titel „Deutschland besser und gerechter regieren“ vorgelegt haben. ({0}) Darin stehen auf 4 von insgesamt 102 Seiten ein paar Bemerkungen zu den Finanzmärkten. Dieses Papier enthält ein paar Allgemeinplätze, aber keine konkreten Forderungen. Das zeigt doch im Grunde nur, dass Sie sauer sind. In jeder Debatte zeigt sich, dass Sie sich darüber ärgern, dass wir in dieser Koalition so viel geregelt haben. Wo bleibt Ihr Anspruch, es noch besser zu machen, als wir es gemacht haben? ({1}) Ich weiß, dass die SPD es besser machen will. Aber Sie beweisen hier jedes Mal aufs Neue, dass Sie es wohl doch nicht besser können. ({2}) Keine Bundesregierung zuvor hat so viel im Finanzmarkt geregelt wie diese Bundesregierung, und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene. Wir sind der Antreiber auf der G-20Ebene, und in vielen Bereichen innerhalb Europas sind wir der Vorreiter und Initiator für neue Gesetze. ({3}) Daher haben wir hier eine stabile Wirtschaft. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchste Erwerbsquote. Gerade im Finanzmarkt sind wir deutlich stabiler aufgestellt als viele andere Länder. Wenn man mit den Amerikanern oder Engländern spricht, dann bestätigen uns diese, dass wir ein klar umrissenes System haben. Wir haben auf vielen Ebenen reguliert, aber wir haben die Wirtschaft nicht kaputtgemacht. Wir haben auch die Finanzwirtschaft nicht kaputtgemacht. Denn wir haben ein bankenbasiertes Wirtschaftssystem. Die Unternehmen brauchen Kredite. Sie brauchen Banken, die sie bei ihrem internationalen Geschäft begleiten. Schließlich gehen 40 Prozent unserer wirtschaftlichen Leistung ins Ausland. Dafür brauchen wir ein funktionierendes Bankensystem, aber keine roten Ampeln, wie sie von Ihrer Seite gefordert werden. ({4}) Wir sprechen heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, über ein Gesetz zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Banken. Wir betrachten dieses Gesetz nicht isoliert. Vielmehr ist es einer der wichtigen Bausteine im Ordnungsrahmen für die gesamte Finanzwirtschaft. Wir werden voraussichtlich in der nächsten Woche den Einigungsprozess auf der europäischen Ebene über Basel III erleben. Basel III regelt die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken; das ist einer der wichtigsten Bereiche, von denen viele nach dem Ausbruch der Krise bereits angegangen worden sind. Wir haben in Europa gemeinsam den außerbörslichen Derivatehandel geregelt. Wir haben uns mit den Ratingagenturen befasst. Wir haben gerade in dieser Woche eine Anhörung zur Regulierung von Hedgefonds, Private-Equity-Unternehmen, Investmentfonds und von offenen Immobilienfonds und geschlossenen Fonds durchgeführt. Wir haben auf nationaler Ebene in mehreren Gesetzen den Anlegerschutz gestärkt, und wir haben ein europäisches Aufsichtssystem geschaffen. Wir werden bei der Europäischen Zentralbank die Europäische Bankenaufsicht ansiedeln, um systemrelevante Banken kontrollieren zu lassen. Zusätzlich gibt es eine Aufsicht über Versicherungen und Wertpapiere. Wir sind - das hat auch der Bundesfinanzminister vorhin deutlich gemacht - in vielen Bereichen Vorreiter. Wir waren die Ersten, die die Leerverkäufe verboten haben, und waren damit Initiator für Europa. Wir haben hier vor 14 Tagen den Hochgeschwindigkeitshandel behandelt und Regulierungen in diesem Bereich auf den Weg gebracht. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Nur in Deutschland gibt es eine Regulierung des Hochgeschwindigkeitshandels. Wir haben das Restrukturierungsgesetz geschaffen. Das heißt: Wir in Deutschland sind in der Lage - dafür gibt es die rechtlichen Voraussetzungen -, Banken abzuwickeln. Auch dies ist wieder die Blaupause für Überlegungen auf europäischer Ebene. Meckern Sie also nicht herum, sondern machen Sie lieber mit, und unterstützen Sie die Bundesregierung in diesen Fragen! ({5}) Das Restrukturierungsgesetz behandelt die rechtlichen Grundlagen einer Abwicklung und Sanierung. Wir wollen aber nicht zwingend abwickeln und sanieren, sondern wir wollen Vorsorge treffen, präventiv arbeiten. Dafür ist dieses Gesetz da. Wir wollen, dass die Banken von vornherein darlegen müssen: Was passiert, wenn sie in eine Schieflage geraten? Wie können sie sich selbst sanieren? Wie können sie abgewickelt werden? Gemeinsam mit der Bundesbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht müssen die Banken darlegen, wie sie im Krisenfall abgewickelt werden können. Das ist die beste Prävention; denn dann wird für jeden klar: Hier gibt es ein systemisches Risiko. Es geht immer um die systemischen Risiken. Wir wollen nämlich nicht, dass der Steuerzahler für die Risiken, die Banken eingehen, haften muss. Wir wollen, dass die Banken haften, dass sie gegebenenfalls auch pleitegehen und dass der Steuerzahler nicht für die Kosten herangezogen wird. Das ist die Linie dieser Bundesregierung. Dazu müssen die Banken jetzt ein sogenanntes Bankentestament vorlegen. ({6}) Es gibt noch einen zweiten Bereich, der wichtig ist und über den wir heute diskutieren. Es geht um die Frage, die auch die Liikanen-Kommission - der ehemalige finnische Finanzminister Liikanen hat diese Kommission geleitet - gestellt hat: Ist es nicht sinnvoller, präventiv einen Teil des Bankengeschäftes auszulagern oder abzutrennen? Die Antwort findet sich im Liikanen-Bericht. Es ist doch richtig, dass wir, wenn sich Europa auf der Grundlage dieses Berichtes auf eine Position einigt, diese Position übernehmen und nicht zusätzlich noch eine eigene aufbauen. ({7}) Was wir im Vorgriff auf europäisches Handeln gemacht haben, haben wir immer mit dem Ziel gemacht, dass wir in Europa eine gemeinsame Lösung finden. Genau diese haben wir übernommen. ({8}) In dem Liikanen-Bericht wird deutlich, dass die Krise, die ihren Ursprung in den Jahren 2007 bis 2009 hat und die noch heute partiell vorhanden ist, nicht durch das Universalbankensystem entstanden ist. Im dritten Abschnitt des Berichtes wird darauf hingewiesen, dass die Krise völlig unterschiedliche Ursachen hatte. Bei der WestLB - sie ist der SPD bestens bekannt; man kann nachlesen, was dort alles passiert ist - waren es beispielsweise die strukturierten Papiere. Bei der Hypo Real Estate war es das Finanzierungsmodell. Es waren teilweise eben nicht Universalbanken, sondern Investmentbanken, die die Krise ausgelöst haben. Deswegen haben wir gesagt: Wir übernehmen im Vorgriff auf Europa den Vorschlag, einen gewissen Bereich von den Banken zu trennen, um damit auch das Risiko zu beseitigen. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein im globalen Ordnungsrahmen für die Finanzsysteme. Wir müssen darauf achten, die Steuerzahler nicht zu belasten, und darauf, dass vor allen Dingen die großen systemrelevanten Banken kontrolliert werden. Nicht die kleinen Banken, nicht die Sparkassen, nicht die Volksbanken vor Ort sind das Problem. Das Problem sind die großen systemrelevanten Banken. Dieses Problem wird mit diesem Gesetz angegangen. Wir sorgen dafür, dass die Aufsicht für die großen Banken bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt ist. Wir fordern eine hohe Eigenkapitalquote. Diese Forderung muss von den großen Banken erfüllt werden. Wir haben jetzt das Restrukturierungsgesetz, und wir sehen die Trennung der Geschäftsbanken von gewissen Bereichen vor. Wir wissen zwar nicht, was in Zukunft passieren wird. Wir wissen nicht - das kann uns auch die Finanzaufsicht nicht sagen -, ob es einmal eine neue Krise auf anderen Feldern geben wird. Aber unser Ziel ist es, Stabilität sowie Sicherheit für jeden Rentner und für jeden Steuerzahler zu schaffen. Das ist die Linie dieser Bundesregierung. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was ist ein Placebo? Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Es scheint nur so, als ob es wirken würde. Lieber Herr Flosbach, man kann auch Placeboreden halten. Das haben Sie eben gemacht, ({0}) indem Sie so getan haben, als ob Sie das, was auf europäischer Ebene diskutiert wurde, übernommen hätten. Das war also eine Placeborede. Ich werde zunächst einmal den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung etwas näher beleuchten und die Frage ventilieren, ob es sich hierbei nicht um ein politisches Placebo handelt, also um einen Gesetzentwurf, der nur den Anschein erweckt, dass er regulieren würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr als fünf Jahre nach der Lehman-Pleite ist die Gefahr einer Wiederholung der Krise noch nicht gebannt. Nach wie vor gibt es Banken, die „too big to fail“ sind. Nach wie vor machen Banken hochriskante Geschäfte. Nach wie vor ist die Eigenkapitalbasis der Banken in Europa zu gering. Nach wie vor gibt es unvorstellbar hohe Bonizahlungen. Nach wie vor müsste der Steuerzahler Banken retten. Nach wie vor können systemrelevante Banken Staaten erpressen. Nach wie vor haben wir einen völlig unregulierten Schattenbankensektor, dessen Risiken niemand kennt. Das ist die Realität. Deshalb wirken der Antrag von CDU/CSU und FDP zur Finanzstabilität und das, was Sie eben gesagt haben, wie Realitätsverweigerung. Offensichtlich gilt das Motto: Wenn uns schon keiner lobt, dann müssen wir es selber tun. Ich will noch einen Punkt zu Ihrem Antrag erwähnen. Sie formulieren darin: Wir wollen eine europäische Aufsicht - das wollen wir auch -, und dann wollen wir eine nationale Abwicklung. Ich sage Ihnen: Das wird nicht funktionieren. Das ist eindeutig falsch. Wenn ich eine europäische Aufsicht habe, dann brauche ich auch ein europäisches Abwicklungsregime. Alles andere macht keinen Sinn. Sie sollten Ihre Position in dieser Frage wirklich noch einmal überdenken. ({1}) Jetzt zu den Trennbanken. Ich erinnere mich noch gut, wie wir kritisiert worden sind, als wir diese Forderung aufgestellt haben, zum Beispiel durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Meister, der der Zeitung Euro am Sonntag sagte, die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers habe klar gezeigt, dass eine Aufspaltung nicht zur Problemlösung beiträgt. ({2}) Wir wollen niemanden daran hindern, klüger zu werden; aber die große Frage ist: Sind Sie eigentlich klug genug geworden? ({3}) - Ja, das werden wir jetzt erörtern. Richtig ist, die Banken zu verpflichten, Sanierungspläne - Stichwort: Living Wills - für den Krisenfall aufzustellen. ({4}) Selbst wenn wir davon ausgehen müssen, dass jede Krise anders sein wird - auch anders, als man vorher gedacht hat -, sind solche Notfallpläne sinnvoll. Was machen Sie beim Stichwort Trennbankensystem? Ziel eines Trennbankensystems muss es sein, in Zukunft zu verhindern, dass hochspekulative Geschäfte mit den Einlagen der Sparerinnen und Sparer finanziert werden können. Der Infektionskanal zwischen Kasino auf der einen Seite und Kreditbank auf der anderen Seite muss verschlossen werden. Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit muss der Kasinoteil geschlossen und abgewickelt werden können. ({5}) Sie wollen nun in Ihrem Gesetzentwurf die BaFin über die Abwicklungsfähigkeit entscheiden lassen. Sie soll den Nachweis erbringen. Dies ist falsch. Der Nachweis der Abwicklungsfähigkeit muss eine Bringschuld der Banken sein. Jede Bank muss gegenüber der Aufsicht den Nachweis erbringen können, dass sie auch abgewickelt werden kann. Diesen Punkt sollten Sie dringend ändern. ({6}) Dann wollen Sie systemrelevante Geldhäuser verpflichten, den spekulativen Handel in rechtlich selbstständige Einheiten auszulagern. Aber Sie legen die Hürde für diese Trennung sehr hoch. Das Ergebnis wird sein, dass höchstens zwei bis drei Banken unter dieses Gesetz fallen werden. Die Landesbanken haben jetzt schon begonnen, sich mit Bilanztricks aus dieser gefährlichen Zone zu befreien. Das heißt, es wirkt nicht. Dies wird ein Trennbankensystem ultralight. Der nächste Punkt ist die Frage, welche Geschäfte von der Trennbankenvorschrift eigentlich erfasst sind. Sie wollen Eigenhandel in Zukunft nicht mehr erlauben, aber ein Blick in den Gesetzentwurf zeigt: Die Liste der erlaubten Geschäfte ist nach wie vor lang, ellenlang, zu lang. Es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für die Kreditinstitute, auch in Zukunft toxische Handelsgeschäfte ohne Trennung durchführen zu können. Das heißt, es fehlt der Wirkstoff. Ich will noch einmal das Market Making erwähnen, das schon angesprochen worden ist. Es ist klar, dass eine Trennung zwischen Eigenhandel und Verkauf auf Rechnung des Kunden hier kaum vorzunehmen ist. Aber Sie erlauben dieses Market Making. Damit unterminieren Sie den Trennbankenansatz. Dies ist nicht in Ordnung. Sie gewinnen damit nichts. Um im Bild zu bleiben: Dies ist weiße Salbe ohne Wirkung. Die Liikanen-Kommission hat festgestellt, dass eine Trennung in der Praxis kaum möglich ist. Das heißt, es bleibt ein Gesetzesplacebo. Sie tun wieder einmal so, als ob Sie handeln würden, als ob Sie Vorreiter wären. ({7}) Wir sind nicht die Einzigen, die das kritisieren. Ich darf stellvertretend für die Medien die Süddeutsche Zeitung zitieren. Unter der Überschrift „Zerschlagung light“ heißt es: Jetzt präsentiert auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der nach Aufspaltung der Banken zumindest klingt. Ja, es klingt so; es ist aber nicht so. Schauen Sie sich doch einfach einmal den gemeinsamen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD an. Dort steht, wie man das richtig macht, wie man ein Trennbankensystem vernünftig aufbaut. ({8}) Unter anderem fordern wir dort ein Eigenhandelsverbot auch für Market-Making-Aktivitäten. Wir brauchen vernünftige Schwellenwerte für die Aufteilung. Wir müssen verhindern, dass es eine Finanzierung der Finanzhandelsinstitute durch Einlagenbanken gibt, indem wir Kreditobergrenzen festlegen. Wir müssen zukünftig Verstöße gegen das Verbot des Eigenhandels mit strafrechtlichen Konsequenzen versehen. ({9}) Nur so wird aus einem Placebo ein richtiges Medikament, und für Risiken und Nebenwirkungen sind dann nicht mehr die Steuerzahler verantwortlich, sondern die Bankmanager. Das ist der richtige Weg. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz, dessen Entwurf Ihnen heute vorliegt, gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung Stabilisierung der Finanzmärkte. Es rundet unsere Regulierungspolitik quasi ab, die wir in den letzten Jahren vorangetrieben haben. Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt, dass es um eine Abwägung geht: Geht man im nationalen Alleingang voran, oder bringt man das Ganze international im Gleichklang auf den Weg? Der internationale Weg hat den Vorteil, dass er zur Wettbewerbsgleichheit im Bankensektor führt. Das ist zu bevorzugen. ({0}) Man kann aber nicht immer warten. Es darf nicht sein - das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik -, dass am Ende der Langsamste zum Maßstab wird. Es gibt in der Tat viele, die eine Regulierung verhindern wollen und sagen: Wir warten so lange, bis es international abgestimmt ist. Vorher machen wir gar nichts. - Diesen Weg lehnen wir ausdrücklich ab. ({1}) Herr Minister Schäuble, Sie haben ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass sich - das wollen die Sozialdemokraten nicht wahrhaben -, das universale Bankensystem in Deutschland bewährt hat. Das ist die Wahrheit. Die Krise ging nicht von einer Universalbank aus. Sie kam vielmehr aus den USA und ging von einer Investmentbank aus. In Deutschland waren die problematischen Banken, die zur Schieflage geführt haben, auch Trennbanken wie die Landesbanken und nicht Universalbanken. ({2}) Deswegen kann die Lösung nicht darin bestehen, dass wir die Banken, die die Krise nicht verursacht haben, abschaffen, während wir die Banken, von denen die Krise ausgegangen ist, flächendeckend in Europa einführen. Was ist das denn für ein Unsinn, den sich Sozialdemokraten da haben einfallen lassen? ({3}) Der Kollege Poß hat sich hier an das Mikrofon gestellt und gesagt: Wir müssen die großen Banken in Deutschland zerschlagen. ({4}) Es gibt zwei Gruppen, die eine bestimmte Reaktion auf diese Äußerung zeigen müssen. Zum einen zucken die deutsche Wirtschaft und die Industrie zusammen und sagen: Was ist denn jetzt los? Verstehen die denn nichts mehr von Wirtschaftspolitik und insbesondere von Standortpolitik? ({5}) Zum anderen schreit eine Gruppe Hurra und sagt: Das, was Herr Poß vorschlägt, ist ein guter Weg. - Diese Gruppe besteht aus amerikanischen Investmentbanken, die nur darauf warten, dass wir den dummen Weg, den die Sozialdemokraten vorschlagen, gehen, um das Investmentbanking vom regulierten deutschen Markt nach Amerika zu exportieren. Wie absurd ist das denn, was die SPD den Menschen hier vormacht? ({6}) In der Opposition haben Sie über Jahre hinweg versucht, die Rolle des Oberregulierers einzunehmen. In Wahrheit haben Sie aber überhaupt keinen Plan. Sie wissen nicht, was Sie wollen. Die SPD sagt heute, das gehe alles zu langsam. Die Grünen sagen heute, das gehe alles zu schnell. Die SPD erhebt außerdem den Vorwurf, wir würden alles von der SPD abschreiben. Im gleichen Atemzug sagen Sie aber, wir würden alles falsch machen. Es ist doch absurd, was Sie im Bereich der Finanzmarktpolitik abliefern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Opposition kann man ja etwas holzschnittartig vorgehen. Sicherlich sei Ihnen das zugestanden. Man muss es in der Opposition nicht so genau nehmen. Deswegen wollen wir einmal vergleichen, was die eine Seite des Hauses in Regierungsverantwortung im Bereich der Finanzmarktregulierung getan hat und welche Bilanz die andere Seite des Hauses im Bereich der Finanzmarktregulierung vorzuweisen hat. ({7}) Wir scheuen den Vergleich mit Rot-Grün nicht. Unter Rot-Grün gab es in Deutschland eine Ära der Deregulierung der Finanzmärkte. ({8}) Die Ära der christlich-liberalen Koalition ist eine Ära der Regulierung und der Ordnung der Märkte. Wir sind stolz auf unsere Regierungsbilanz. ({9}) Die Grünen wollen sich immer noch schnell auf die Seite der Guten und der Richtigen schlagen. Sie sind jedoch diejenigen, die die Deregulierung in Deutschland in Regierungsverantwortung mitgetragen und mit vorangetrieben haben. Heute wollen Sie sich davon verabschieden und nichts mehr damit zu tun haben. Sie sagen, dass das damals so gewesen sei, aber heute seien Sie die besseren Regulierer und im Übrigen sowieso die Guten. Bei der Schuldenbremse war das genauso. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Herr Kretschmann in der Föderalismuskommission II aktiv gegen die Schuldenbremse argumentiert hat. Heute tun Sie so, als hätten die Grünen die Schuldenbremse erfunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben das Thema Finanzmarktregulierung erst entdeckt, als Sie keine Regierungsverantwortung mehr hatten. Wir haben damit angefangen, als wir die Regierungsverantwortung übernommen haben. Das ist der Unterschied zwischen einer glaubwürdigen Finanzmarktregulierung und dem Gefasel einer Opposition, die nur versagt hat. ({10}) Deutschland hat nach drei Jahren CDU-, CSU- und FDP-Regierungsverantwortung mit die reguliertesten Finanzmärkte weltweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, SPD und Grüne haben in diesem Hohen Hause keine Regulierung mitgetragen. Das Bild ist klar. In Regierungsverantwortung haben SPD und Grüne den Finanzmarkt dereguliert. In der Opposition haben SPD und Grüne jeden Vorschlag zur Finanzmarktregulierung im Deutschen Bundestag abgelehnt. ({11}) Warum soll ausgerechnet Ihnen jemand glauben, dass Sie im September mit der Finanzmarktregulierung beginnen wollen? Nein, das werden Ihnen die Menschen nicht glauben. ({12}) Wir wollen und wir werden unsere Politik für stabile und solide Finanzmärkte fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wissing hat seine Platte aufgelegt, die wir schon ein Stück weit kennen. Herr Wissing, damit lenken Sie aber nur ab. Herr Schick hat vorhin in seinen Ausführungen bezüglich der Situation der Trennbanken sehr klar beschrieben, dass Sie keinen Kompass haben. Wenn er sich vorhin dafür ausgesprochen hat, abzuwarten, was auf europäischer Ebene beschlossen wird, hat er damit recht. Denn er traut Ihnen nicht zu, dass Sie einen klaren Kompass haben und vernünftige Regelungen schaffen. Deshalb hat er sich dafür ausgesprochen, zunächst einmal abzuwarten, was auf europäischer Ebene passiert. Wir haben das Trennbankensystem bereits vorgeschlagen. Das ist doch nicht neu. Ich bin Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. In der Sitzung am Montag haben wir einstimmig ({0}) - mit der FDP und mit der CDU/CSU - Grundregeln zum Finanzmarkt beschlossen. Darüber haben wir zwei Jahre lang diskutiert. Es ist nicht so, dass das neu war. ({1}) Dabei standen drei Aspekte im Vordergrund, Herr Flosbach; Herr King, der Gouverneur der Zentralbank von England, hat Ihnen das noch in der vergangenen Woche gesagt. Wir brauchen drei Dinge: Wir brauchen erstens eine Stärkung des Eigenkapitals. Leverage Ratio war für Sie fast noch ein Fremdwort. Zweitens brauchen wir Trennbanken. Die Debatte um die Trennbanken läuft ein Stück weit falsch. Uns wird unterstellt, dass es uns um die Zerschlagung der Universalbanken gehe. ({2}) Vielmehr geht es im Wesentlichen um Transparenz. Drittens brauchen wir ein europäisches Restrukturierungsregime. Das sind doch keine neuen Dinge. Jetzt tun Sie so, als ob wir das erfunden hätten. Das ist seit zwei Jahren in der Diskussion und muss jetzt umgesetzt werden. ({3}) Dann kommt immer der Satz: Wir dürfen nicht zu viel regulieren. - Das hört man immer wieder. ({4}) Herr Flosbach, Herr Brinkhaus und Herr Zöllmer waren dabei, als Herr King auf meine Frage, ob wir ein Problem mit Hongkong oder Singapur hätten, wenn wir zu viel regulierten, geantwortet hat: Nein, die haben ein Problem mit uns, weil wir zu wenig regulieren, zu spät regulieren und möglicherweise nicht genug regulieren. Das ist doch das Problem. ({5}) Ich halte die Debatte, die Sie hier führen, für eine Scheindebatte. Ich kann mich in der Tat des Eindrucks nicht erwehren, dass das, was Sie hier veranstalten, ein bisschen Wahlkampf ist. Das ist dem Ernst der Sache nicht angemessen. Wir brauchen eine Stärkung des Eigenkapitals, wir brauchen eine substanzielle Anhebung der Leverage Ratio, wir brauchen Transparenz, wir brauchen eine europäische Restrukturierung. Sie sollten das tun. Noch etwas ist ganz lustig. Wir haben, wiederum in der Enquete-Kommission, festgestellt, dass wir eine ganz merkwürdige Allianz zwischen dem Finanzminister und der Opposition haben, und zwar bei der Finanzmarkttransaktionsteuer. ({6}) Es sind doch Vertreter der FDP, Vertreter aus Ihren Reihen, die ständig dagegen schießen, sodass wir die Transaktionsteuer nicht zügig umsetzen können. Herr Wissing, ich erinnere mich noch an die Diskussion im Finanzausschuss. ({7}) - Ich weiß es sehr gut; denn ich habe Ihre Bemerkung zu diesem Thema gehört. Also bitte, verleugnen Sie doch nicht die Intentionen, die Sie haben. Glauben Sie doch nicht, dass Sie mit der Art und Weise, in der Sie argumentieren, die sicher schwierige Debatte, die wir in Europa zu diesem Thema haben, befördern. Sie hemmen vielmehr diese Debatte, und Sie hemmen damit die Einführung der Finanzmarkttransaktionsteuer. ({8}) Wir können nicht umhin, festzustellen: Dieser Koalition fehlt der Kompass. ({9}) Sie kommt zu spät. Sie kommt im Ernstfall mit kleinkarierten Lösungen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir sie ablösen. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Hans Michelbach ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die internationale Finanzmarktkrise hat uns gezeigt, dass die Rahmensetzungen für die Finanzbranche unzureichend waren. Die Krise hat die Staaten und ihre Volkswirtschaften in jeder Hinsicht hart getroffen. Der Steuerzahler musste zur Rettung von Instituten einspringen. Die Realwirtschaft kam in die Krise. Das darf sich nicht wiederholen. Dafür arbeiten wir mit großem Engagement; denn wir sind überzeugt: Eine neue Finanzmarktkrise würde unsere westlichen Demokratien nachhaltig beschädigen. Die soziale Marktwirtschaft kann nach unserer Auffassung nur mit einem glaubwürdigen Ordnungsrahmen zukunftsfest erhalten werden. Dazu gehören für diese Koalition eine lückenlose Regulierung des Finanzsystems, eine Risiko- und Haftungsübernahme durch die Marktteilnehmer, höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken, strengere Kriterien für alternative Investment- und Hedgefonds, eine verschärfte Aufsicht über den Finanzsektor und insbesondere über das Schattenbankensystem. Kurzum: Wir ziehen umfassende Lehren aus der Finanzkrise und haben, um die Stabilität der Finanzsysteme zu sichern und die Risiken spekulativer Geschäfte zu verringern, über 30 Gesetzespakete - das war letzten Endes eine große Leistung - auf den Weg gebracht. Wir entwickeln Handlungsmechanismen und Regeln, die frühzeitig wirken und Gefahren von der Realwirtschaft abwenden. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode bereits eine Vielzahl von Gesetzen beraten und beschlossen. Ich muss sagen: Es ist eigentlich unterirdisch, dass Sie nicht bereit sind, diese Leistung anzuerkennen oder die Gesetzentwürfe in irgendeiner Form positiv mitzuberaten. Sie betreiben gewissermaßen eine Fundamentalopposition, aber Sie bringen sich in der Sache nicht ein. Wir haben die beste Bilanz. Diese gute Bilanz passt Ihnen nicht. Sie haben bis heute diskutiert, und wir haben Schritt für Schritt gehandelt, meine Damen und Herren. ({0}) Heute setzen wir einen weiteren Meilenstein, um die Vorbildfunktion und Vorreiterrolle weiter wahrzunehmen. Weitere wichtige Vorhaben stehen auf der Tagesordnung: die Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute und des internationalen Systems der Schattenbanken, die man nicht in eine neue Grauzone ausweichen lassen darf - das ist die Aufgabe -, das Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen, das Kapitalanlagegesetzbuch und die Umsetzung von Basel III ({1}) mit den Regelungen zur erhöhten Unterlegung der Banken mit Eigenkapital, mit hartem Kernkapital. Das sind die wesentlichen Schritte, die das Finanzsystem insgesamt sichern. Wir wollen Sicherheit für die Sparer und Stabilität für die Wirtschaft. Das ist unsere Ausgangslage. Deswegen müssen wir deutlich machen: Wir sind für eine Regulierung des Finanzsystems mit Vernunft, meine Damen und Herren. ({2}) Sie hingegen wählen eine Form, zu der ich sage: Das, was hier Rot-Rot-Grün betreibt, ist eigentlich ideologische Bankenhetze. ({3}) Das kann nicht der Weg sein. Wir müssen deutlich machen: Die Realwirtschaft muss dienende Banken haben; das gehört dazu. Sonst können wir mit unserer starken Wirtschaft nicht Exportweltmeister sein, meine Damen und Herren. ({4}) Die Radikalität von Rot-Rot-Grün gegenüber dem Markt ist Ideologie und dient diesem Land, den Arbeitsplätzen, den Betrieben, nicht. Deswegen müssen wir deutlich machen, dass unser Weg der richtige ist. Natürlich ist die Lernbereitschaft der Branche oft nicht sehr ausgeprägt. Die Selbstregulierungskräfte reichen eben nicht aus. Sie reichen vor allem deshalb nicht aus, weil das Verantwortungsbewusstsein in weiten Teilen der Finanzbranche weltweit unterentwickelt war und teilweise noch ist. Etliche haben ihre Lektion bis heute noch nicht gelernt. Weil das so ist, müssen wir die Bürger, die Unternehmen und den Staat vor den Folgen verantwortungslosen Handelns in der Finanzbranche schützen. Meine Damen und Herren, es ist deshalb wichtig, ohne Ideologie, ohne Schaum vor dem Mund Instrumente zu schaffen, um systemrelevante Finanzunternehmen auf globaler und nationaler Ebene in einem geordneten Verfahren ohne Zutun des Staates entweder zu sanieren oder abzuwickeln, wenn sie in Schieflage geraten, ohne Einspringen des Steuerzahlers und des Staats; darauf kommt es an. Wir haben jetzt die richtigen Konsequenzen gezogen. Dieses Gesetz schafft die richtige Grundlage; das ist die richtige Schrittfolge für die Zukunft. ({5}) Dazu gehören die Sanierungspläne, damit Finanzunternehmen eine Krise möglichst schnell und effektiv aus eigener Kraft bewältigen, ebenso das Bankentestament, das eine geordnete Abwicklung von Finanzunternehmen ermöglicht, wenn deren Sanierung scheitert. Das sind Dinge, die ein verantwortungsbewusstes Management eigentlich in der Schublade haben muss. Wir fordern dies nun per Gesetz ein und setzen hier nicht auf die Selbstvorsorge der Finanzbranche; denn wir wollen die Kunden noch besser schützen. Für viele hochriskante Spekulationsgeschäfte wurden Kundeneinlagen genutzt. Wir wollen unterscheiden zwischen denen, die systemrelevant sind, und denen, die damit letzten Endes überhaupt nichts am Hut haben. Es ist wichtig, dass wir differenzieren. Sie können doch nicht alle gleichsetzen, indem Sie systemrelevante Großbanken mit den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen in einen Topf werfen. Da lassen wir uns nichts vorwerfen, auch wenn Sie versuchen, hier eine Diskussion aufzumachen und uns anzugreifen. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtig, dass der Staat dauerhaft die richtigen Gesetze für den Fall schwerwiegender Managementfehler hat. Deshalb ist es konsequent, bei Großbanken die Risikogeschäfte vom normalen Kundengeschäft zu trennen. Unser Trennbankengesetz ist ein weiteres zentrales Projekt der Finanzmarktregulierung. Es ist der richtige Weg. Denn es berücksichtigt zwar aus fachlichen Gründen nicht die Maximalforderungen, die Sie aufstellen, schafft aber ein Trennbankensystem mit einer Abgrenzung zwischen Eigenhandel und Dienstleistungen. Dabei ist letzten Endes die Abgrenzung, die Bemessung der Größenordnung der Bank, wichtig. Insofern ist das der richtige Weg. Ich meine, wir haben geliefert. Wir werden weiter liefern. Wir sind die, die für die Sparer, für die Wirtschaft die richtigen Wege beschreiten. „Stabilität und Sicherheit“ ist der Weg in die Zukunft. Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten. Wir sind auf dem richtigen Weg für die Realwirtschaft in unserem Land. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt eine Reihe typischer „Lieferantenreden“ gehört; die letzte Rede war ein gutes Beispiel dafür. Da wird gesagt: Wir haben geliefert; wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Dann werden Überschriften der verschiedenen Gesetze, die Sie vorgelegt haben, verlesen. Wir erwarten Produktion. Bringen Sie endlich einmal Regeln auf den Weg, die wirklich wirksam sind. Bisher haben Sie das nicht gemacht. ({0}) - Es ist typisch, dass von ganz rechts außen in diesem Saal Zwischenrufe kommen. Es ist immer dasselbe: Nachdem hier Vorschläge zur Finanzmarktregulierung gemacht worden sind, tritt in letzter Sekunde der Vorstopper auf den Plan, der sich gegen jegliche Finanzmarktregulierung ausspricht. Dieser Vorstopper heißt „Wissing“ mit Nachnamen. ({1}) Herr Wissing, Sie sind mit Ihrer FDP derjenige, der hier am stärksten blockiert. Darum haben Sie es nicht verdient, weiter an der Regierung zu sein. ({2}) Sie sind eine wirkliche Gefahr für das, was wir erreichen müssen. ({3}) Ich will dies an einigen Punkten deutlich machen. Wir müssen erreichen, dass die Steuerzahler endlich wirklich entlastet und nicht weiter belastet werden. Dasselbe gilt im Übrigen für die Sparer und für die Einlagen. Zu Ihrem Vorschlag, ein Trennbankensystem aufzubauen, will ich erst einmal sagen: Wir Sozialdemokraten schlagen eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking vor, um das Universalbankensystem zu stärken. Unser Ziel ist ein starkes, stabiles Universalbankensystem. ({4}) Ich sage das ganz klar, damit an dieser Stelle wirklich kein Zweifel aufkommt. Was machen Sie? Sie greifen Vorschläge der europäischen Ebene auf. Fachleute nennen das Symbolik - das ist hier schon zitiert worden - und behaupten, Sie blieben damit weit hinter den Erwartungen zurück. Ich verweise auf das, was Herr Professor Krahnen im Finanzausschuss gesagt hat. Sie wollen den Eigenhandel im engeren Sinne verbieten. Sprechen Sie doch einmal mit den Banken, die angeblich Eigenhandel im großen Stil machen. Diese Banken sagen Ihnen: Wir machen so etwas in Deutschland gar nicht mehr. Das könnt ihr ruhig machen. Das ist ein Geschäft, das hier sowieso nicht mehr funktioniert. Das haben wir ausgelagert. - Sie stellen hier etwas übergroß dar, was in der Vergangenheit ein Problem war, schlagen darauf und meinen, damit hätten Sie das Problem gelöst. Nichts haben Sie gelöst! ({5}) Was Sie aber unterlassen, ist das, was man, auf Englisch gesagt, Market Making, also Marktmachen, nennt. Worum geht es bei diesem Marktmachen? Es gibt Produktangebote wie Aktienpakete, für die sich keine Nachfrager finden. Manche Häuser sagen: Okay, wir nehmen diese Produkte, schaffen dafür einen Markt, auch wenn sie keiner will, lassen sie über unsere Bücher laufen, halten sie und versuchen, sie Stück für Stück zu verkaufen. Als Sicherheit dafür nehmen diese Häuser die Einlagen der Sparer. Auch das ist eine Art von Eigenhandel. Wir sind der Auffassung: Auch das muss abgespalten werden. Ein solches Geschäft muss Risiko derer sein, die daran verdienen; es muss ein Risiko der Banken darstellen. Doch dafür sorgen Sie nicht. ({6}) Sie belassen die Gefahren bei den Sparern. Das ist unsere wesentliche Kritik. Außerdem kritisieren wir das Fehlen eines ordentlichen Rettungsfonds. Darüber hinaus will ich etwas zu den Schattenbanken sagen. Hierzu liegen ja weitere Anträge vor; plötzlich hat die Koalition auch die Schattenbanken entdeckt. Es ist nämlich so: Wenn Sie ein solches Gesetz auf den Weg bringen, werden die großen Häuser in Schattenbereiche abwandern, und es wird zu einer weiteren Aufblähung kommen. Schon Ende 2012 befanden sich bei Schattenbanken weltweit 53 Billionen Euro. ({7}) Um diese Zahl zu verstehen, muss man wissen, dass es vor zehn Jahren 20 Billionen Euro waren. Wenn Sie mit Ihren harmlosen Anträgen so weitermachen, dann werden wir in zehn Jahren wahrscheinlich einen Schattenbankensektor in Höhe von 250 Billionen Euro haben, und die Gefahren bleiben bestehen. Deshalb sind Sie auch an dieser Stelle ein zahnloser Tiger. Sie nehmen sich immer einen Teil der Finanzmarktregulierung nach dem anderen vor, lösen aber nicht das Gesamtproblem. Sie sorgen hier für keine wirksame Regulierung. Es gibt einen weiteren Bereich, den ich kurz ansprechen möchte, weil wir ihn beraten werden. In diesem großen Paket liegt ein Entwurf zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes vor. Hierbei geht es um die Einführung eines Kapitalanlagegesetzbuchs, das zurzeit diskutiert wird. In diesem Gesetzentwurf geht es auch um das Problem, dass Veräußerungsgewinne bei offenen Im28630 mobilienfonds steuerfrei gestellt sind. Diese Regelung darf nicht auf geschlossene Fonds ausgedehnt werden, weil diese vom Kapitalanlagegesetzbuch mit erfasst werden. Ich sage ganz offen: Wir brauchen hier eine Lösung. Wir werden uns dieser sehr sachlich und sehr konzentriert zuwenden. Eines will ich Ihnen sagen: Ihr Gesetz darf nicht dazu führen, dass neue Lücken entstehen, indem nicht nur Pensionsverpflichtungen zusammengefasst werden können, sondern zum Beispiel auch unternehmerische Aktivitäten von steuerpflichtigen Personengesellschaften, die gewerblich aktiv sind, in solche Fonds überführt werden und damit steuerfrei bleiben. Darauf haben die Bundesländer hingewiesen. ({8}) Wir werden diesen Hinweisen sehr kritisch nachgehen und hoffen, dass Sie diese Lücke schließen. Unsere Erfahrung ist: Ihre Finanzmarktregulierung führte bisher hinsichtlich der Steuern zu nichts Ordentlichem, weil Sie keine Lücke schließen wollen. Bisher war es immer eine Hydraulik für Steuervermeidung. Das wollen wir nicht. Es kann nicht sein, dass die Großen laufen gelassen werden und die Kleinen herangezogen werden. Wir Sozialdemokraten stehen dafür, das zu verhindern. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Opposition waren etwas bemüht. Wenn ich sie zusammenfasse, dann kann ich sagen: Sie wollen, genauso wie wir, Sanierungs- und Abwicklungspläne. Sie wollen sie nur etwas anders organisieren. ({0}) Sie wollen, genauso wie wir, eine Trennung der Risiken im Rahmen eines Trennbankensystems. Sie wollen es aber ein wenig strenger als wir. Sie wollen, genauso wie wir, strafrechtliche Vorschriften für Bankmanager einführen, wollen sie aber schärfer als wir formulieren. Sie wollen, genauso wie wir, das Schattenbankensystem regulieren, behaupten aber, Sie könnten es ein bisschen schneller als wir. Das ist nicht nur die Zusammenfassung dieser Debatte, sondern die Zusammenfassung von dreieinhalb Jahren Oppositionspolitik in der Finanzmarktregulierung. Irgendwie wollen Sie immer das Gleiche wie wir, behaupten aber, Sie könnten es schärfer, weitgreifender und schneller hinbekommen. Ich möchte Ihnen das anhand des Wahlprogramms der SPD erläutern. Sie nennen es Regierungsprogramm. Das ist ein bisschen optimistisch. Ich nenne es Wahlprogramm der SPD. Auf zweieinhalb Seiten von insgesamt 100 Seiten beschäftigen Sie sich mit dem Kernthema Finanzmärkte. ({1}) Fangen wir an: Sie sagen, Sie möchten, dass kein Finanzmarktakteur, kein Produkt, kein Vertriebsweg unreguliert bleibt. Das haben wir im Übrigen auch gesagt. Dies ist umgesetzt worden. Beispielsweise ist der graue Kapitalmarkt reguliert worden. Das AIFM-Gesetz, das Finanzanlagenvermittlergesetz, Initiativen im Bereich der Schattenbanken gibt es schon. Wer hat sie gemacht? Die Koalition. ({2}) Sie möchten, dass Europa im Bereich der Bankenregulierung Vorreiter wird. Europa ist Vorreiter im Bereich der Bankenregulierung. Wir werden nächste Woche als eine der ersten Basel III verabschieden. Wir haben Boni begrenzt und werden darüber hinaus einige Finanzmarktprodukte verbieten bzw. haben sie verboten. Innerhalb Europas ist Deutschland Vorreiter; denn Deutschland hat im Bereich der Bankenrestrukturierung, im Bereich der Leerverkäufe, in der Regulierung des Hochfrequenzhandels Maßstäbe gesetzt, die in ganz Europa und wahrscheinlich in der ganzen Welt umgesetzt werden. Als Drittes - übrigens ist die Reihenfolge ganz interessant - fordern Sie die Begrenzung von Boni und Vergütung. Das gibt es schon. 2010 gab es das erste Gesetz zur Begrenzung der Vergütung in Deutschland, übrigens mit speziellen deutschen Regelungen. Wer hat es gemacht? Die Koalition. ({3}) Sie fordern eine Finanztransaktionsteuer, mindestens dreimal, das scheint Ihnen sehr wichtig zu sein. Wer hat eine gemeinsame Verständigung auf den Weg gebracht? Wer hat dafür gesorgt, dass dieses Thema in Europa vernünftig behandelt wird? Wir waren es, diese Koalition. ({4}) Dann geht es weiter: Sie wollen, dass es vernünftige Eigenkapitalregeln unter besonderer Berücksichtigung der Besonderheiten der Volksbanken und Sparkassen gibt. Das wird nächste Woche verabschiedet. Wer hat hineinverhandelt, dass die Sparkassen und Volksbanken dabei nicht untergehen? Diese Koalition. ({5}) Sie wollen, dass ein Trennbankensystem eingerichtet wird. Wer hat einen Vorschlag gemacht, dass eine Trennbankenregulierung hier in Deutschland stattfindet, bevor in Europa überhaupt darüber nachgedacht wird, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen? Diese Koalition. ({6}) Sie wollen die Schattenbanken regulieren. Wer hat sich wie keine andere Bundesregierung dafür eingesetzt, dass Schattenbanken weltweit reguliert werden? ({7}) Wer hat dazu Initiativanträge, Entschließungsanträge auf den Weg gebracht? ({8}) Wer treibt diesen Prozess voran? Es ist diese Koalition. ({9}) Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass bestimmte Produkte auf Finanzmärkten verboten werden. Das haben wir gemacht. Als erstes Land der Welt haben wir für ein Verbot von Leerverkäufen gesorgt. Wer hat es gemacht? ({10}) Diese Koalition. Sie fordern, dass es mehr Verbraucherschutz im Bereich Finanzmarkt gibt. Ich kann nur sagen: OGAW, Finanzanlagenvermittlergesetz, Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz, AIFM-Umsetzungsgesetz. Wer hat es gemacht? Diese Koalition. ({11}) - So ist es, genau. Sie fordern, dass der Hochfrequenzhandel reguliert wird. Wer hat als erstes Land dieser Welt den Hochfrequenzhandel reguliert? Diese Koalition. ({12}) Sie gehen noch weiter. Sie fordern, dass Ratingagenturen schärfer reguliert werden. Damit haben wir schon 2010 angefangen. Wer hat es gemacht? Diese Koalition. ({13}) Sie fordern, dass es ein Restrukturierungsregime für Banken gibt. Wer hat als erstes Land etwas vorgelegt, das maßgeblich für Europa ist? Diese Koalition. ({14}) Sie fordern darüber hinaus, dass die Mittelstandskomponente bei der Bankenregulierung berücksichtigt wird. Wer hat dafür gesorgt, dass diese Mittelstandskomponente Eingang in den europäischen Prozess findet? Diese Koalition. ({15}) Sie fordern in Ihrem Wahlprogramm, dass die Honorarberatung reguliert wird. Wer hat ein Gesetz zur Regulierung der Honorarberatung vorgelegt? Diese Koalition. ({16}) Ich kann Ihnen jetzt nicht vorwerfen, dass Sie nach der Identifikation der Probleme auf die gleichen Lösungen kommen wie wir. Das ist normal. Es ist auch das Geschäft der Opposition, zu sagen: Wir können das schärfer, weitreichender, schneller und besser. Das ist auch in Ordnung. Das ist sogar Ihr Job. Ich würde es auch machen, wenn ich Opposition wäre. Aber was ich Ihnen nicht durchgehen lassen kann, das ist die Tatsache, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm - mit dem Bewerbungsschreiben Ihres Kanzlerkandidaten vom letzten Herbst und in Ihren Reden behaupten, Sie würden jetzt etwas grundlegend Neues und Innovatives im Bereich der Finanzmarktregulierung machen. Das ist nicht der Fall. Sie hätten sich mit interessanten Themen beschäftigen können. Wie sieht Ihr Bild vom Finanzplatz Deutschland im kommenden Jahrzehnt aus? Sie hätten sich damit beschäftigen können, wie Sie in einer anhaltenden Niedrigzinsphase sicherstellen, dass Versicherungen und betriebliche Altersversorgung weiterlaufen. Was sind denn Ihre konkreten Vorschläge zur Regulierung der Schattenbanken? Davon findet man in Ihren Papieren nichts. Am Ende des Tages ist es - irgendwie kann ich Ihre Verzweiflung auch verstehen - wie in der Geschichte vom Hasen und vom Igel: Überall da, wo der Steinbrück regulieren will, da ist der Schäuble schon da. Danke schön. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf den Drucksachen 17/12601, 17/12602, 17/12603 und 17/12687 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Zusatzpunkt 11. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12686 mit dem Titel „Finanzstabilität si- chern - Regulierung systemrelevanter Finanzinstitute und des internationalen Schattenbankensystems“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Ko- alition angenommen. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 f auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zwei Jahre Fukushima - Ohne ehrlichen Atomausstieg keine erfolgreiche Energiewende - Drucksache 17/12509 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})- Auswärtiger Ausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Lehren aus der Atomkatastrophe in Fukushima ziehen - Drucksache 17/12688 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Rolf Hempelmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Den Euratom-Vertrag an die Herausforde- rungen der Zukunft anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Euratom-Vertrag ändern - Atomausstieg europaweit voranbringen - Atomprivileg beenden - Drucksachen 17/8927, 17/7670, 17/11713 - Berichterstattung:- Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Eine Europäische Gemeinschaft für die Förde- rung Erneuerbarer Energien gründen - EU- RATOM auflösen - Drucksachen 17/6151, 17/11723 - Berichterstattung:- Abgeordnete Matthias Lietz- Frank Schwabe- Heinz Golombeck- Alexander Ulrich- Lisa Paus e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil ({5}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 - zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter- Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Bürgschaft für den Bau des Atom- kraftwerks Angra 3 - Drucksachen 17/9578, 17/9579, 17/12653 - Berichterstattung:- Abgeordneter Erich G. Fitz f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stilllegung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich - Drucksachen 17/11206, 17/12675 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Michael PaulMarco BülowAngelika BrunkhorstDorothée MenznerSylvia Kotting-Uhl Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu bilateralen Verhandlungen mit Frankreich werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen, die die Debatte im Augenblick nicht hier im Plenarsaal, sondern von ihren Büros aus verfolgen, möchte ich schon einmal darauf Präsident Dr. Norbert Lammert aufmerksam machen, dass wir gegen 12.15 Uhr eine namentliche Abstimmung haben werden. ({7}) - Das ist beruhigend zu hören, Herr Kollege Grund. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. ({8})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben am vergangenen Montag der Reaktorkatastrophe von Fukushima und der vorweggegangenen Flutwelle gedacht. Wir gedenken auch heute der fast 19 000 Opfer dieser Flutwelle, und wir gedenken der Opfer der Atomkatastrophe. Als Folge dieser Katastrophe mussten hunderttausend Menschen ihre Heimat verlassen, weil Böden, Luft und Wasser radioaktiv verseucht sind. 57 000 Japanerinnen und Japaner konnten bis heute nicht zurückkehren. Sie sind aus ihrer Heimat vertrieben. Diese Katastrophe hat uns gezeigt: Die Risiken der Atomtechnologie sind nicht beherrschbar. Die Welt muss aus dieser Hochrisikotechnologie aussteigen. ({0}) Es ist bitter, dass die neue japanische Regierung gegen den Willen von mittlerweile zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung versucht, diese Technologie wieder zum Laufen zu bringen. Hier ist die besondere Verantwortung für Deutschland: Es ist unsere Verantwortung, zu beweisen, dass es möglich ist, dass eine Industrienation seine Stromversorgung ohne Atomenergie und ohne Rückgriff auf klimazerstörende Kohle realisieren kann. Das ist die globale Verantwortung, vor der dieses Land steht. Das, lieber Herr Altmaier, ist die Hausaufgabe dieser Regierung, die Sie zu erfüllen haben. ({1}) Sie haben mit manchen Schülern gemein, dass Sie sich mit den Hausaufgaben schwertun. ({2}) Lange Zeit haben Sie gar nicht verstanden, was Ihre Hausaufgabe ist. Jahrelang glaubten Sie, Ihre Aufgabe bestünde darin, alles zu blockieren, was nach Energiewende aussah. CDU, CSU und FDP waren gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie waren gegen den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie. ({3}) Der Altmaier Peter hat es sogar als eine historische Entscheidung bezeichnet, die Laufzeiten von maroden Altmeilern zu verlängern. ({4}) Unsere Hauptaufgabe in dieser Zeit bestand eigentlich darin, Ihren Unsinn abzuräumen. Das haben wir mit einigem Erfolg gemacht: Nach einem Jahrzehnt erzeugen wir heute 25 Prozent unseres Stroms durch die Nutzung erneuerbarer Energien. Das gibt 400 000 Menschen in diesem Land Arbeit. Nach einem Jahrzehnt schien es so zu sein, als wenn CDU und CSU ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Plötzlich waren auch Sie für das von Ihnen vorher bekämpfte Erneuerbare-Energien-Gesetz. Bei der Atomenergie haben Sie noch ein bisschen länger gebraucht. Da bedurfte es der mehrfachen Kernschmelze von Fukushima, bis bei Ihnen die Erkenntnis eintrat: Atomkraft ist nicht beherrschbar. Haben Sie Ihre Hausaufgabe jetzt verstanden? Haben Sie verstanden, dass der Kern darin besteht, dass derjenige, der die Energiewende wirklich will, nicht nur entschlossen und konsequent aussteigen muss, sondern auch in die Nutzung erneuerbarer Energien einsteigen muss? ({5}) Nein, Sie haben es nicht verstanden. Sie steigen nicht konsequent aus. Zu einem konsequenten Ausstieg würde zum Beispiel eine Umorientierung der Forschungspolitik gehören. Nach wie vor wird ein Drittel der Mittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro für die Forschung im Bereich der Reaktortechnologie genutzt. ({6}) Nur ein kleiner Teil geht in die Endlagerforschung. Sie müssten sich, wenn Sie konsequent aus solchen Vorhaben aussteigen wollten, von solchen Wahnsinnsprojekten wie dem namens ITER verabschieden. ({7}) Vor allen Dingen müssten Sie, meine Damen und Herren, aufhören, anderswo den Bau von Atomkraftwerken zu subventionieren, indem Sie Exporthilfen dafür geben, dass in Erdbebengebieten Atomkraftwerke errichtet werden. ({8}) Sie scheitern schon bei der ersten Herausforderung. Bei der zweiten sind Sie mittlerweile zu der Position zurückgekehrt, die Sie vor zehn Jahren eingenommen hatten. Statt für einen zügigen Ausbau erneuerbarer Energien zu fairen Preisen zu sorgen, spielen Peter Altmaier und Philipp Rösler lieber im Glashaus Fußball, und die Kanzlerin steht daneben und verdreht die Augen. Früher gab es noch - daran erinnere ich mich - einen Konflikt zwischen Umweltminister und Wirtschaftsminister. Heute sind sich beide einig: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland muss ausgebremst werden. Das ist der Konsens zwischen Rösler und Altmaier. Herr Altmaier beziffert die Kosten der Energiewende mit „Fantastilliarden“-Summen. Lieber Herr Altmaier, das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft rechnet Ihnen vor, was alles Sie falsch gerechnet haben: die Effekte der Preissenkungen an der Strombörse, die Degression der Förderung und die Kosten für Investitionen in Kohle- und Gastkraftwerke. Sie nennen die Autoren per Twitter unseriös. Peinlich für Sie ist, dass sich die Autoren auf die Zahlen Ihres eigenen Ministeriums berufen. Wollen Sie behaupten, dass das Bundesumweltministerium unseriöse Zahlen liefert? Das wäre eine neue Erfahrung, die wir hier zu machen hätten. ({9}) Es ist dreist, meine Damen und Herren, anderen vorzuhalten, sie würden ihre Hausaufgaben nicht machen. Es ist Aufgabe des Umweltministers, für den Ausbau erneuerbarer Energien zu fairen Preisen zu sorgen. Nicht Ihre Aufgabe, Herr Altmaier, ist es, die Agrarindustrie zu subventionieren und Banken von Stromkunden bezahlen zu lassen. Es ist Aufgabe des Umweltministers, für mehr Klimaschutz zu sorgen; aber es ist nicht Ihre Aufgabe, durch Billigzertifikate für CO2 Kohlekraftwerke zu subventionieren. Weiter ist es die Aufgabe des Umweltministers, dafür zu sorgen, dass wir letztendlich 100 Prozent erneuerbare Energien bei Strom, Mobilität und Wärme erreichen. Es ist aber nicht Aufgabe, sondern Verfehlen der Aufgabe eines Umweltministers, gar eine Ausbaubremse zu initiieren, die am Ende dazu führen wird, dass südlich von Ostfriesland kein einziger Windpark mehr errichtet wird und Zehntausende Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr geraten. Das sind nicht Ihre Aufgaben, sehr geehrter Herr Altmaier. ({10}) Sie machen lieber das Gegenteil. Ausbauziele für erneuerbare Wärme sind aufgegeben worden. Die Gebäudesanierung dümpelt dahin und wird zusammengespart. Der Emissionshandel wurde auf der Grundlage Ihrer gemeinsamen Haltung in dieser Regierung konsequent ruiniert. Ich sage Ihnen: Sie können Energiewende nicht, weil Sie sie nicht wollen. Sie sind nicht in der Lage, die Konsequenzen aus dem Reaktorunfall von Fukushima zu ziehen. ({11}) Ausstieg aus der Atomenergie geht nur mit konsequentem Einstieg in die Erneuerbaren, mit mehr Energieeffizienz und mehr Energiesparen. Offensichtlich geht Ausstieg nicht mit der Merkel-Koalition. Das zu ändern, ist jetzt unsere Hausaufgabe. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Christian Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Trittin hat gerade ausgeführt, wie die Ereignisse in Fukushima vor zwei Jahren eine menschliche Katastrophe und Tragödie bislang unbekannten Ausmaßes verursacht haben. Ich denke, dass sich die Flutwellen in Japan in unser aller Bewusstsein eingegraben haben - möglicherweise aber nicht bei allen Grünen. Anderenfalls hätte Claudia Roth auf ihrer Facebook-Seite sicherlich nicht den Eindruck erweckt, als wenn die vieltausendfachen Opfer in Japan Folge der Reaktorkatastrophe und nicht der Erdbebenkatastrophe gewesen seien. ({0}) Herr Trittin, Frau Roth und Sie bzw. Ihre Partei versuchen, ({1}) dieses menschliche Drama, die Tragödie der Menschen in Japan, billig populistisch zu instrumentalisieren. Sie spielen Wutbürger und versuchen, das Thema in einem Wahlkampfjahr in die Debatte einzuführen. Das hilft uns allen überhaupt nicht weiter. ({2}) Wir in der Koalition haben unsere Hausaufgaben gemacht, im Übrigen nicht nur nach Fukushima, sondern bereits vorher. Wir haben nach Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft noch einmal forciert. ({3}) Wir haben nach Fukushima die Risikobewertung für die Kernkraft in unserem Energiemix noch einmal überdacht und die notwendigen Konsequenzen gezogen. Es ist doch klar, dass vor wie nach Fukushima in Deutschland feststand: Wir steigen aus der Kernkraft aus. ({4}) Das galt im Übrigen schon im Jahr 2010 ({5}) mit der Verabschiedung unseres Energiekonzeptes; zugegebenermaßen gab es unterschiedliche Auffassungen zur Dauer der Restlaufzeiten. Aber dem Grunde nach hat doch politischer Konsens darüber bestanden, dass wir in Deutschland aus der Kernkraft aussteigen. ({6}) Als Erste überhaupt haben wir in Deutschland den Atomausstieg mit einem richtigen Konzept zum Ausbau der erneuerbaren Energien verbunden. Wir haben mit unserem Energiekonzept den Weg aufgezeigt, wie der Atomausstieg bei gleichzeitigem Umstieg in eine ökologische Energiegewinnung gelingen kann. Während RotGrün im Jahr 2000 in der Tat den Atomausstieg beschlossen hat, sind wir einen Schritt weiter vorangegangen. Es reicht eben nicht, Herr Trittin, immer nur auf dem Atomausstieg zu beharren, sondern es ist auch wichtig und notwendig, diesen mit einem Konzept zum Umstieg zu begleiten. Genau das haben wir getan. ({7}) Ich glaube, dass die Erfolge der letzten Jahre uns bestätigen. ({8}) Während Sie hier versuchen, den Anschein zu erwecken, als seien wir auf diesem Weg nicht vorangekommen, zeigen die Tatsachen ein ganz anderes Bild. Mittlerweile beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix - Sie haben es gerade ausgeführt - etwa 25 Prozent. Als Sie 2000 eine Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien gefordert haben und dann im Jahr 2005 einen Anteil von 10 Prozent gefeiert haben, war das für Sie ein Riesenerfolg. Heute sollen 25 Prozent kein Erfolg sein. Das glauben Sie doch selber nicht. ({9}) Während Sie weiterhin den Anschein erwecken wollen, als hätten wir mit diesem Eintritt in eine professionelle Energiewende versucht, den Ausbau der erneuerbaren Energien abzuwürgen, zeigt die Realität, dass das Gegenteil der Fall ist. Allein in den letzten beiden Jahren nach der Energiewende gab es erneut einen Zuwachs des Anteils der erneuerbaren Energien von 5 Prozentpunkten. Wir sind also von knapp 17 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien in 2010 auf mittlerweile gut 22, 23, 24 Prozent gekommen. Wenn das kein Erfolg sein soll, dann weiß ich auch nicht. ({10}) Herr Trittin und meine Damen und Herren von der Opposition, statt sich über diesen Erfolg zu freuen und Umweltminister Altmaier und Wirtschaftsminister Rösler dabei zu unterstützen, den Weg professionell weiterzugehen, ({11}) nutzen Sie das tragische Ereignis mit vielen Toten in Fukushima, um billig mit parteipolitischem Kalkül Wahlkampf zu machen. ({12}) Der Ausstieg aus der Kernkraft ist beschlossen, und er wird auch ganz sicher kommen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist: Wie schaffen wir ihn konkret? Diese Frage stellt sich insbesondere auch deshalb, weil wir aus heutiger Sicht noch nicht alle Details vorab planen können; denn viele Entwicklungen - teilweise über die nächsten Jahrzehnte - sind noch gar nicht klar abschätzbar. Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist - gerade auch, weil viele Dinge noch nicht abschätzbar sind -, dass wir insgesamt Vertrauen und Akzeptanz schaffen müssen. Diese Akzeptanz muss auf breiten Schultern basieren. Da reichen die breiten Schultern unseres Umweltministers allein nicht aus. Wir müssen sie auf viel breitere Schultern stellen. Die Wirtschaft muss dahinterstehen, aber auch unsere Bevölkerung muss sehen, dass wir uns auf einem Weg befinden, der langfristig erfolgreich sein kann. In dieser Woche hat zum Beispiel Die Welt berichtet, dass möglicherweise ein weiterer Anstieg der EEG-Umlage auf gut 6 Cent bevorsteht. Jedem, der sich mit dem Thema beschäftigt, ist klar, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, sondern dass wir dringend handeln müssen, und zwar sehr kurzfristig. ({13}) Deswegen bin ich Umweltminister Altmaier und auch Wirtschaftsminister Rösler ausgesprochen dankbar, dass sie Vorschläge unterbreitet und auch einen politischen Prozess angestoßen haben, wie wir den Anstieg der Strompreise bremsen können. Über die einzelnen vorgebrachten Vorschläge können wir hier im Parlament sicherlich noch diskutieren, sie beraten, überarbeiten und an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch korrigieren. ({14}) Aber dem Grunde nach ist doch klar, dass wir etwas tun müssen, um den Anstieg der Strompreise zu mindern. ({15}) Ein Vorschlag lautet, bei der Industrie anzusetzen, weil der Börsenstrompreis in den letzten Jahren massiv gesunken ist. Aber klar ist doch auch, dass nun nicht jeder bei jedem Vorschlag sagen kann: Gerade an dieser Stelle geht es aber nicht. - Wenn das der Maßstab wäre, dann kämen wir überhaupt nicht weiter. Ich denke, dass der Vorschlag von Peter Altmaier und Philipp Rösler, darüber nachzudenken, was wir bei Altanlagen tun können, durchaus sinnvoll ist. Natürlich müssen wir den Vertrauensschutz hier im Parlament berücksichtigen. ({16}) Aber wir sollten auch darüber nachdenken - das vielleicht als Alternativvorschlag -, ob wir nicht durch einen kleinen zusätzlichen Steueraufschlag auf den Gewinn der Anlagen diejenigen heranziehen sollten, die besonders stark von den Einspeisevergütungen profitieren, ob wir also quasi eine Art Strompreis-Soli erheben sollten. Mit diesen Einnahmen könnte zum Beispiel die Stromsteuer gesenkt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, um insgesamt Akzeptanz zu erreichen, brauchen wir also die Wirtschaft, die Bevölkerung, aber auch die Politik. Wir müssen gemeinsam eine Lösung finden, um eine vernünftige Strompreisentwicklung zu gewährleisten. Lassen Sie uns also konstruktiv zusammenarbeiten und dafür Sorge tragen, dass wir auf Basis der Vorschläge der Regierung zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, das am Ende der Wirtschaft, den Bürgern, aber auch uns, der Politik, zugutekommt, und zwar dahin gehend, dass erkennbar wird, dass es uns nicht nur um parteipolitisches Kalkül, sondern auch um die Interessen der Menschen in unserem Land geht. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Marco Bülow für die SPD-Fraktion.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir gedenken heute der vielen Opfer der Erdbebenkatastrophe und des Tsunamis in Japan, die vor zwei Jahren die Welt erschütterten. Ich kann mich daran erinnern, dass wir vor zwei Jahren bangend vor dem Fernseher gesessen und gesehen haben, dass das Erdbeben und der Tsunami alleine nicht ausreichten, sondern viele durch die Atomenergie verursachte Gefahren noch obendrauf kamen. Drei Reaktorkerne sind geschmolzen. Immer noch, zwei Jahre später, ist ein Abklingbecken gefährdet; es wird nur notdürftig gestützt, und man weiß nicht, ob es den Druck aushalten wird. 360 000 Kubikmeter Wasser wurden durch die Kühlung bzw. das Spülen verseucht. Man weiß nicht, wo man das Wasser lassen soll; auch heute ist das immer noch ein riesiges Problem. Jeden Tag werden 400 000 Liter Wasser durch die Reaktoren gepumpt, und keiner weiß, wo man das Wasser in Zukunft lassen soll. Bis heute sind bereits 100 000 Kubikmeter radioaktiver Erde abgetragen und erst einmal irgendwo zwischengelagert worden; auch da weiß man nicht, wo man dieses Material am Ende lagern soll. Das waren nur ein paar Zahlen, die deutlich machen, dass das Problem auch zwei Jahre nach der Katastrophe noch immer riesengroß ist. 77 Milliarden Euro mussten bereits aufgewendet werden bzw. werden aufgewendet, um die schlimmsten Auswirkungen der Katastrophe zu beseitigen. Es stehen noch 300 Milliarden Euro aus, die als Entschädigungsleistungen gezahlt werden müssen. Der Haushalt in Japan ist zwar relativ gut aufgestellt; aber man weiß nicht, wie man das bezahlen soll. So viel zum Thema der billigen Atomkraft. Alle Energieunternehmen in Japan sind im Minus und können nicht mehr wirtschaften. Auf diese Unternehmen kann sich die Wirtschaft in Japan nicht mehr verlassen. Viel schlimmer noch: 160 000 Menschen haben ihre Heimat verloren und wissen nicht, ob sie jemals zurückkehren können. Sie sind entwurzelt und haben ihren Job verloren. Manche Menschen lebten ja von dem Land, auf dem sie vorher gewohnt haben, und sie werden nur notdürftig versorgt. All das sind die Konsequenzen nicht nur des Tsunamis und des Erdbebens, sondern vor allen Dingen auch der Reaktorkatastrophe. Das Allerschlimmste - man muss mit solchen Zahlen allerdings immer vorsichtig sein -: Bei 133 000 Untersuchungen kleiner Kinder wurde in über 55 000 Fällen, also in über 40 Prozent der Fälle, eine Schilddrüsenveränderung festgestellt. Eine solche Veränderung muss nicht zwangsläufig zu Krebs führen; sie ist aber ein Zeichen, dass es dazu kommen kann. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Wen das nicht alarmiert, wer da noch sagt: „Fukushima war nicht so schlimm: Da ist ein Erdbeben passiert, da ist ein Tsunami passiert; aber das mit den Reaktoren war alles nicht so schlimm“, ({0}) dem spreche ich jedes Gewissen ab. ({1}) Schon vor einem Jahr mussten wir leider solche Reden von einem Teil des Hauses hören, und wir werden wahrscheinlich auch heute wieder so etwas hören. Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben bewiesen, dass der Mensch mit diesen Reaktoren nicht umgehen kann, dass das Risiko zu groß ist und vom Menschen nicht beherrscht werden kann. Diese Störfälle haben gezeigt: Wolken machen nicht an Grenzen Halt. Das Problem ist also ein globales Problem; daher müssen diese Themen international behandelt werden. Deswegen finde ich es auch richtig, dass die Grünen den Antrag gestellt haben, zum Beispiel auch über Reaktoren, die sich in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze befinden, zu sprechen. Wer sagt: „Die Atompolitik in anderen Ländern geht uns nichts an“, der muss sich die Frage stellen, ob er hier denn wirklich deutsche Interessen wahrnimmt, ob er die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, die an der Grenze zu Frankreich wohnen, wirklich vertritt, wenn er sagt: Wir mischen uns in die Atompolitik Frankreichs nicht ein. ({2}) Nein, es ist unsere Pflicht, darüber zu diskutieren - so wie wir das bei anderen Themen auch machen, natürlich auf diplomatische Art und Weise -, ({3}) wir müssen uns Sorgen machen, wir müssen dieses Thema international behandeln. ({4}) Die Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie steigt zwar in Deutschland aus der Atomenergie aus; aber für den Bau von Reaktoren in aller Welt - auch in Erdbebengebieten, auch in Gebieten, wo Tsunamis entstehen können - werden weiter Hermesbürgschaften übernommen. Nur, dass die Brasilianer - Gott sei Dank - gesagt haben, sie brauchen unser Geld nicht, hilft der Bundesregierung, dass sie da nicht mehr beteiligt ist. Deutschland gibt weiterhin viel Geld für Euratom aus. Euratom fördert nicht nur Atomsicherheit, Euratom fördert die Atomenergie insgesamt weiter. Es gibt keine deutsche Initiative, die sagt: Wir müssen damit aufhören, wir müssen dafür sorgen, dass Euratom insgesamt anders aufgestellt wird, wir müssen Energieeffizienz fördern, Erneuerbare fördern. - Nein, die Bundesregierung fördert international weiterhin in erster Linie die Atomenergie. Deswegen fordern wir ein Verbot solcher Hermesbürgschaften, ({5}) und wir fordern eine Umgestaltung von Euratom. Sie können unseren Anträgen da gerne einmal folgen! Die Koalition spricht hier von der Energiewende. Herr Hirte hat die Geschichtsklitterung mittlerweile so weit betrieben, zu behaupten, dass die Energiewende eigentlich schon vor Fukushima eingeleitet worden sei. ({6}) Welche Energiewende denn? Das, was Sie vor Fukushima eingeleitet haben, war die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland. Sie hatten den Atomausstieg beendet und waren wieder eingestiegen in diese Technologie; das ist vor Fukushima passiert. ({7}) Es ist schön - das haben wir hier mehrfach betont -, dass Sie nach Fukushima dazugelernt haben; ({8}) aber das reicht nicht aus, um eine Energiewende einzuleiten. ({9}) In Deutschland steigen Sie aus der Atomenergie aus, europäisch fördern Sie die Atomenergie jedoch weiter. Die Erneuerbaren bremsen Sie aus, und bei Energieeffizienz passiert gar nichts. Auf den Homepages der beiden Ministerien kann man sich anschauen, wie viel in Sachen Energieeffizienz passiert ist: Die meisten Papiere stammen noch aus der Zeit, wo Sie noch nicht an der Regierung waren. Die Minister sitzen jetzt einträglich nebeneinander. Sonst hört man jeden Tag aus dem Wirtschaftsministerium etwas anderes als aus dem Umweltministerium. Der Wirtschaftsminister sagt etwas, der Umweltminister etwas anderes. Das hat uns im Umweltausschuss dazu verleitet, beide Minister einzuladen. Es war natürlich nicht möglich, sie auf einen Sitz zu kriegen. ({10}) Die Minister sind nacheinander zu uns gekommen. Herr Altmaier hat im Prinzip das Gegenteil gesagt von dem, was Herr Rösler im Ausschuss eine Stunde zuvor gesagt hat. Das zeigt Ihre „Einigkeit“ in der Energiepolitik; die gibt es in dieser Bundesregierung nämlich nicht. Die Einigkeit besteht allenfalls darin, dass Sie uneinig sind. ({11}) Das Einzige, wo Sie einig sind, ist - Herr Trittin hat es schon gesagt -, die Erneuerbaren zu bremsen. Sie nennen es die Strompreisbremse. Ich glaube, es gibt im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium Berater, die Ihnen gesagt haben: Es gibt beim Heizölpreis einen Anstieg; es gibt beim Benzinpreis einen Anstieg. - Dort gibt es kein EEG. Ein Kollege von der Union hat deswegen zu Recht im Ausschuss gefragt - Herr Rösler war, glaube ich, dabei -: Wo, bitte schön, bleibt denn dann die Heizölpreisbremse und die Benzinpreisbremse? - Dazu haben wir von Ihnen nichts gehört. Vielleicht können Sie ja heute etwas dazu sagen. ({12}) Ich möchte enden mit einem Zitat von Herrn Töpfer - ich hoffe, dass wir dabei nicht stehen bleiben -, der einmal gesagt hat: Die Lobbyisten der Vergangenheit sind stärker als die Lobbyisten der Zukunft. Im Energiebereich hat das jahrelang nicht gegolten: weil wir die Erneuerbaren ausgebaut haben, weil wir einen Atomausstieg gewagt haben. Aber im Augenblick habe ich das Gefühl, Sie wollen keine Energiewende, Sie wollen zurück zum Atom; einige Stimmen haben wir dazu schon gehört. Sie wollen die Erneuerbaren ausbremsen und am Ende sagen: Sehen Sie, es klappt doch alles nicht; wir müssen die Atomanlagen länger laufen lassen. Das ist Ihre Politik. Wir werden versuchen, das zu verhindern. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat jetzt der Kollege Michael Kauch von der Fraktion der FDP das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich doch noch einmal festhalten, wie unerträglich ich es finde, dass die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, die es nicht einmal für nötig hält, hier heute in die Debatte zu kommen, sich hinstellt und behauptet, es gebe 16 000 Tote wegen Fukushima. Hier wird ganz bewusst die Unwahrheit gesagt, um das Thema „nach oben zu ziehen“. Das finde ich ausgesprochen unanständig, meine Damen und Herren von den Grünen. ({0}) Ich möchte auch festhalten, dass es die schwarz-gelbe Regierung ist, die schneller als Rot-Grün aus der Kernkraft aussteigt. ({1}) Wir haben diese Beschlüsse gefasst. ({2}) Ich komme nun zu dem, was der Kollege Trittin gesagt hat. Er hat davon gesprochen, wie toll Sie die erneuerbaren Energien ausgebaut haben. Im letzten Jahr von Herrn Trittin als Umweltminister lag der Anteil der erneuerbaren Energien bei 10 Prozent. In der gesamten letzten Wahlperiode, in der Sie Umweltminister waren, haben Sie den Anteil der erneuerbaren Energien um 2,3 Prozentpunkte gesteigert. ({3}) Es gab dann den Umweltminister Gabriel, den heutigen SPD-Vorsitzenden. Der Anteil der erneuerbaren Energien lag zu seiner Zeit bei 16 Prozent; der Zubau betrug 6,3 Prozentpunkte. Die Bilanz dieser Koalition sieht so aus: 25 Prozent Anteil am Strom, plus 8 Prozentpunkte. Wir sind besser, als Sie es je waren. ({4}) Das wird ganz besonders deutlich, wenn wir uns einmal angucken, was Sie zum Beispiel in Bezug auf den Solarstrom gemacht haben: Der Zubau unter Herrn Trittin betrug 2005 0,9 Gigawatt. Im letzten Ministerjahr von Herrn Gabriel betrug er 3,8 Gigawatt. Diese Koalition hat die Gesamtinstallation von 2009 in Höhe von 9,9 Gigawatt auf über 30 Gigawatt mehr als verdreifacht. Und da behaupten Sie, wir würden die Erneuerbaren stoppen! Das Gegenteil ist der Fall. Nie war der Ausbau der erneuerbaren Energien so stark wie unter der christlich-liberalen Koalition. ({5}) Dass wir es trotz dieses dynamischen Ausbaus, der Verdreifachung der Solarkapazität, geschafft haben, die Vergütungssätze um über 60 Prozent abzusenken, zeigt, dass man an dieser Stelle auch die Kosten im Griff behalten kann. Sie haben uns bei jeder Kürzung gesagt: Es wird nichts mehr installiert. - Das Gegenteil war der Fall. Nach jeder Kürzung ging der Ausbau weiter. Das zeigt doch: Sie haben keine Ahnung vom Markt. Sie wollen nur entsprechend hohe Vergütungssätze für diejenigen erhalten, die davon profitieren, für Ihre Klientel. Wir denken an die Bürgerinnen und Bürger und schaffen es gleichzeitig, dass die Erneuerbaren nicht abgewürgt werden. ({6}) Meine Damen und Herren, die Ausbauzahlen zeigen auch, dass die erneuerbaren Energien erwachsen werden, und wer erwachsen wird, dem muss man auch mehr abverlangen können. Das bedeutet, dass die Produzentinnen und Produzenten von Solarstrom und von Strom aus anderen erneuerbaren Energien auch Verantwortung für die Versorgungssicherheit übernehmen müssen. ({7}) Deshalb ist es richtig, dass wir stärker in Richtung Direktvermarktung gehen. Sie müssen sich, wie jeder andere Produzent von Gütern in diesem Land auch, einen Kunden für ihren Strom suchen. ({8}) Wir müssen auch daran denken, dass die Förderung der erneuerbaren Energien von jemandem bezahlt werden muss. ({9}) Deshalb ist es nicht irrelevant, dass wir über Kosten sprechen. Viele Bürgerinnen und Bürger könnten es sich eben nicht leisten, wenn die Kosten ungebremst steigen würden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesumweltminister hier entsprechende Vorschläge gemacht haben. Wir denken die erneuerbaren Energien anders als Sie. Wir denken sie stärker als Energiesystem, und wir denken daran, dass das Ganze am Schluss auch jemand bezahlen muss. ({10}) Das ist vernünftige, rationale Energiepolitik. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion die Linke spricht jetzt die Kollegin Dorothée Menzner. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus Fukushima zu lernen, heißt nicht: AKW müssen sicherer werden. Nein, sie gehören abgeschaltet, und zwar unverzüglich. ({0}) Atomenergie ist ein globales Problem. Kein Land dieser Welt weiß, wohin mit seinem strahlenden Müll. Die Atomkonzerne sind globale Konzerne, und die Strahlung ist ebenfalls global. Sie macht an keiner Ländergrenze halt. Die Folgen sind langfristig, wenn es zu einem Unfall kommt. Das wissen wir aus eigener leidvoller Erfahrung. Für diejenigen von Ihnen, die es vielleicht nicht wissen: Bis heute, 27 Jahre nach Tschernobyl, müssen neun von zehn in Teilen des Bayerischen Waldes gejagten Wildschweinen vernichtet werden, weil sie zu hoch mit Strahlen belastet sind. Und das nach 27 Jahren! Deutschland ist nach wie vor ein Teil des Problems. Ja, es ist richtig: Vor zwei Jahren haben wir hier einen Beschluss zum Ausstieg gefasst. Neun AKW sind damals vom Netz gegangen. Aber der Ausstieg erfolgte nicht schnellstmöglich. Wir als Linke haben nachgewiesen, dass er deutlich zügiger und schneller möglich gewesen wäre. Der Ausstiegsbeschluss, der damals gefasst wurde, ist nicht unumkehrbar. Das heißt, jede neue Parlamentsmehrheit kann ihn revidieren. Außerdem erleben wir, dass der Druck auf uns alle, diese Meinung zu ändern, sehr groß ist. Und: Deutschland ist nach wie vor globaler Player im nuklearen Geschäft. Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen: Die Urananreicherungsanlage in Gronau produziert weit mehr, als die deutschen Anlagen brauchen. Weiter sind zu nennen: die Brennelementeproduktion in Lingen, der Export von Atomkraftwerkstechnik und Investitionen in AKW in anderen Ländern; hier möchte ich als Beispiele nur Brasilien, die Türkei und Saudi-Arabien anführen. Des Weiteren ist Deutschland nach wie vor Teil des Euratom-Vertrags. Wir nehmen aber keine Initiativen wahr, um diesen Vertrag aufzulösen oder aus dieser Staatengemeinschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Atomkraft zu fördern und auszubauen, auszusteigen. ({1}) Ich sehe von dieser Bundesregierung keine Initiative dazu. Gerade neulich haben wir im Umweltausschuss gehört, dass sich die Bundesregierung auf das Prinzip der Nichteimischung beruft, wenn wir an die Gefahren erinnern, die von maroden, alten Kraftwerken in anderen Ländern dicht hinter der deutschen Grenze ausgehen. Ich habe am Montag deutsche Initiativen im Saarland besucht, die sich mit Cattenom beschäftigen. Es schaudert einen, wenn man ihre Berichte über Cattenom hört, wenn sie berichten, dass die Anlage nur alle zehn Jahre einer Grundrevision unterzogen wird, wenn sie von freiliegenden Armierungsstählen an der Betonkuppel berichten, wenn sie berichten, dass bei der Revision zwei Arbeiter tödlich verletzt wurden, weil ein Gerüst nicht richtig verankert war. Klar, das ist kein nuklearer Unfall, aber wenn solche Unfälle passieren, deutet dies zumindest auf Sicherheitsmängel hin. Dann möchte ich nicht wissen, wie es im nuklearen Teil der Anlage aussieht. Herr Altmaier, ich gehe davon aus, dass Sie als Saarländer dies und noch eine ganze Menge mehr berichten und uns erzählen könnten. Aber Wissen allein reicht nicht aus. Handeln ist das Gebot der Stunde nach all den Erfahrungen, die die Menschheit mit dieser Technik in den letzten Jahren und Jahrzehnten machen musste: in Sellafield, in Harrisburg, in Tschernobyl und in Fukushima. ({2}) Ich meine, es waren genug dramatische Unfälle, die reichen sollten, dass die Menschheit dazulernt. Vor zwei Jahren haben wir hier alle unsere Trauer und Solidarität mit den Japanerinnen und Japanern bekundet. Ich war seither viele Wochen und zu verschiedenen Terminen in ganz Japan unterwegs. Es ist richtig: Japan braucht unsere Solidarität, und zwar nach wie vor. ({3}) Gerade gestern habe ich mit einer japanischen Delegation hier im Haus gesprochen. Sie haben mir berichtet, dass der deutsche Atomausstieg damals zwar eine große Hoffnung verbreitet hat, dass sie aber das Gefühl haben: Wir kommen nicht weiter. - Sie wünschen sich Unterstützung und Solidarität beim Ausbau erneuerbarer Energien in Japan. Wir alle wissen, dass dieses Land aufgrund von Sonne, Wind und Gezeiten dafür noch viel besser geeignet ist als Deutschland. Die Japaner waren ganz erstaunt, als sie hörten, dass erneuerbare Energien bei uns inzwischen ein Arbeitsmarktmotor sind. Es ist in Japan nämlich nicht bekannt, dass es in diesem Bereich fast 400 000 Arbeitsplätze gibt. Das ist ein Argument in einem Land, das von einer Wirtschaftskrise geschüttelt wird. ({4}) Japan braucht Unterstützung bei der gesundheitlichen Versorgung; IPPNW hat diese Woche dramatische Zahlen vorgelegt. Japan braucht weiter Unterstützung und Solidarität bei der Bewältigung des Desasters. Selbst Tepco rechnet mit 40 Jahren, bis die Anlage zurückgebaut und stabil ist. Nicht zuletzt die fast 80 Prozent der Japanerinnen und Japaner, die sich jetzt gegen Atomkraft wenden, brauchen unsere Solidarität und die Unterstützung der deutschen Anti-AKW-Bewegung. ({5}) Der deutsche Miniausstieg hat in Japan Mut gemacht. Ich finde, wir sollten die richtigen Konsequenzen ziehen und unseren Ausstieg konsequent fortschreiben und wasserdicht machen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesumweltminister Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fukushima war mehr als ein tragischer technischer Unfall. Fukushima war eine Zeitenwende. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir eines Tages, im Abstand von 20, 30 oder 40 Jahren, feststellen werden, dass mit dem Tag des Unfalls von Fukushima die Kernenergie keine Zukunft mehr hatte und die Entwicklung - auch weltweit - zum ersten Mal nicht nur auf einen weiteren Ausbau, sondern in Richtung auf einen Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet wurde. Ganz sicher war es das Ende der Kernenergie in Deutschland. Wir haben in Deutschland die Konsequenzen gezogen, und wir haben sie mit großer und mit eindrucksvoller Mehrheit gezogen. Es gibt keine andere Frage, die in der deutschen Innenpolitik in den letzten 30 oder 40 Jahren so heftig umstritten war wie die Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Ich weiß, wie schwer es vielen meiner Kollegen und teilweise auch mir selber gefallen ist, nachdem wir über 30 oder 40 Jahre mit dafür gesorgt haben, dass Kernenergie in Deutschland sicher und ohne schwere Unfälle und Zwischenfälle genutzt worden ist, zu sagen: Wir ziehen einen Schlussstrich, weil wir nach Fukushima überzeugt sind, dass diese Energieart langfristig technisch nicht sicher beherrschbar ist, und weil wir einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden leisten wollen. Lieber Kollege Trittin, ich hätte mir an einem Tag wie heute auch gewünscht, dass wir einmal nicht nur polarisieren und polemisieren, sondern anerkennen, welche die demokratischen Parteien übergreifende Kraft diesem Parlament innewohnt, dass es zu solchen richtunggebenden Entscheidungen fähig ist. ({0}) Deshalb wäre es vielleicht gut gewesen, wenn Sie an diesem Tag einmal keine Wahlkampfrede, sondern eine staatsmännische Rede gehalten hätten. ({1}) Ich sage Ihnen voraus - ich bin in Gesprächen mit unseren Partnern in Europa, aber auch weltweit -, dass bei der Frage, wann und in welchen Schritten auch andere Länder den Ausstieg aus der Kernenergie in Angriff nehmen und den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien finden, viel davon abhängt, wie es uns in Deutschland gelingt, nicht nur mit dem Ausstieg fertig zu werden, sondern auch unsere Energieversorgung schrittweise auf erneuerbare Energien umzustellen. Lieber Kollege Trittin, da möchte ich Sie auf einen Irrtum hinweisen. Die Energiewende für erneuerbare Energien, die Sie wollen, die ich möchte, die wir alle wollen, ({2}) ist nicht dann ein Erfolg, wenn das letzte Kohlekraftwerk und das letzte Atomkraftwerk geschlossen und durch Windräder und Solardächer ersetzt sind, sondern dann, wenn wir diese Energiewende so organisieren, dass Deutschland eine umweltverträgliche, CO2-neutrale Energieversorgung hat und immer noch eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften dieser Welt ist; denn nur dann werden andere Länder diese Energiewende übernehmen und bei sich umsetzen. ({3}) Ich hätte mich gefreut, lieber Kollege Trittin, wenn all die Hausaufgaben, die dafür notwendig sind, gemacht worden wären. Dann hätte ich jetzt viel mehr Zeit, um für die Energiewende zu werben. ({4}) Das tue ich sowieso. Aber wir wussten bereits im Jahr 2000 - wenn Sie Ihren eigenen Anspruch ernst genommen haben, wussten Sie das -, wie viele Leitungen wir bei einem erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren im Jahr 2013 brauchen würden. Wenn man weiß, dass es zehn Jahre dauert, um eine solche Leitung zu bauen, dann frage ich mich: Wo sind denn Ihre Leitungen heute, Leitungen, die wir dringend bräuchten, damit Strom nicht abgeregelt werden muss, sondern denen zugutekommt, die ihn brauchen? ({5}) Lieber Kollege Trittin, es war doch klar, dass die ersten 25 Prozent erneuerbare Energien eine ganz andere Herausforderung darstellen als die zweiten 25 Prozent. Wenn man erneuerbare Energien zu Beginn mit hohen Subventionen und Zuschüssen ermuntert, in den Markt einzutreten, ({6}) dann stellt das für die Menschen insgesamt keine große Belastung dar. Wenn Sie aber 25 Prozent, 30 Prozent, 40 Prozent oder 50 Prozent erneuerbare Energien haben und Geld für Einspeisevergütungen und das Bereithalten von Reservekapazitäten in einer Größenordnung zahlen, die deutlich über dem Börsenstrompreis liegt, der in anderen Ländern bezahlt wird, dann ist das nicht neutral für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deshalb sind das keine Peanuts, sondern zentrale Fragen der Energiewende. Sie haben das nicht geschafft. Wir werden Ihnen zeigen, wie das geht. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben über Zahlen diskutiert. Ich habe als Umweltminister mit großem Interesse die Aussagen meiner Vorgänger gelesen - Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel -, welche Kosten die Energiewende für den Stromkunden verursacht. Wenn Sie jetzt sagen, die Zahlen des Kollegen Altmaier würden von Instituten infrage gestellt und kritisiert, dann wissen Sie: Das sind zum Teil genau die Institute, deren Prognosen in den letzten zehn Jahren mit aller Regelmäßigkeit falsch waren. Das beeindruckt mich nun überhaupt gar nicht. ({8}) Es waren dieselben Experten, die uns noch vor einiger Zeit gesagt haben: Der Preis für eine Kilowattstunde wird nicht über 3,5 Cent steigen. Es waren dieselben Experten, die gesagt haben: Die Börsenstrompreise werden weltweit steigen, und mit dem, was wir dann über die Differenzkosten erlösen, können wir den Neuausbau aus der Westentasche finanzieren. Tatsächlich sind die Börsenstrompreise weltweit im Sinkflug. Tatsächlich steigen die Differenzkosten. Tatsächlich muss der Stromkunde in diesem Jahr voraussichtlich 20 Milliarden Euro für Einspeisevergütungen zahlen, und der Betrag steigt in den nächsten Jahren regelmäßig an. ({9}) Deshalb ist die Frage der Bezahlbarkeit elektrischer Energie nicht nur eine Frage, die viele Rentnerinnen und Rentner und Familien mit niedrigen Einkommen betrifft; ({10}) es ist eine Frage, die unsere Volkswirtschaft insgesamt berührt, und deshalb muss sie gelöst werden. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Kollege Kelber, ich habe nicht nur Vorschläge für die Strompreisbremse gemacht, ({12}) die darin bestehen, dass man irgendwo etwas einspart; ich habe auch Vorschläge gemacht, um die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Dazu gehört, dass wir die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen zum ersten Mal seit 13 Jahren nicht weiter ausweiten, sondern einschränken. ({13}) Diese Vorschläge habe ich gemacht. Wir verhandeln inzwischen mit den Ländern darüber. ({14}) Ich warte bis zum heutigen Tag auf ein gemeinsames Konzept von SPD- und grün-regierten Ländern und Ihren Bundestagsfraktionen dazu, an welcher Stelle gespart werden soll und wie Sie Ihre lautstarken Ankündigungen in die Praxis umsetzen wollen. ({15}) Tatsächlich geht es bei Ihnen zu wie bei Hempels unterm Sofa, und Sie sind sich in keiner dieser Fragen einig. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich biete Ihnen eines an: Wenn wir gemeinsam überzeugt sind, dass die Energiewende richtig ist, wenn wir es gemeinsam für einen Erfolg halten, dass wahrscheinlich in diesem Jahr in Deutschland mehr erneuerbarer Strom produziert wird, als es bislang der Fall war, wenn wir wollen, dass die Energiewende weitergeht, wenn wir wollen, dass der Standort Deutschland nach Abschluss der Energiewende nicht schwächer, sondern stärker dasteht, wenn wir all das wollen, dann haben wir auch ein gemeinsames Interesse daran, nicht nur die Frage der Preisentwicklung aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ({17}) sondern auch dafür zu sorgen, dass die Entwicklung so organisiert wird, dass der Strom in Deutschland heute, morgen und übermorgen bezahlbar ist. ({18}) Sie haben die Chance, dabei mitzumachen. Wir werden Sie aus dieser Verantwortung nicht entlassen. Vielen Dank. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Altmaier, so staatstragend war das eben nicht. ({0}) Eines kann ich Ihnen schon versprechen: Aus dem Wahlkampf werden wir dieses Thema ganz bestimmt nicht heraushalten; denn an keinem anderen Thema kann man so deutlich die Unzulänglichkeit der schwarz-gelben Regierung dokumentieren. ({1}) Man merkt Ihnen an, wie Sie sofort anspringen und wie sehr Sie hier Ihre Energiepolitik rechtfertigen. Denn Sie haben ein großes Problem: Sie müssen Ihre Persönlichkeitsspaltung, die Sie bei der Energiepolitik in dieser Legislaturperiode zwangsläufig durchlitten haben, in irgendeiner Form bewältigen. Das klappt natürlich nicht. Ich bin mir sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger Ihnen das nicht durchgehen lassen; denn, Herr Minister Altmaier, es ist erst zwei Jahre her, dass Sie an diesem Pult standen und als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU in einer Geschäftsordnungsdebatte die Laufzeitverlängerung zugunsten der Atomkraftwerke gerechtfertigt haben. Sie haben damals das entsprechende Gesetz als das umweltfreundlichste Gesetz, das jemals in Deutschland beschlossen worden ist, bezeichnet. Das waren Sie vor zwei Jahren, Herr Minister Altmaier. ({2}) Damit, Herr Kauch, hängt natürlich auch das zusammen, was wir seit 2000, seit dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss, erlebt haben. Sie haben seit 2000 - nicht Sie persönlich, weil Sie damals noch nicht Mitglied des Deutschen Bundestags waren, wohl aber Schwarz-Gelb alles blockiert, was die Energiewende in Deutschland heute viel besser hätte aussehen lassen. Sie haben immer weiter auf die Atomenergie und die Kohleenergie gesetzt und den Ausbau der Erneuerbaren verhindert, und zwar in jeder Abstimmung, die wir hier durchgeführt haben. ({3}) Lieber Herr Meierhofer, es sind nicht Ihre Erfolge. Der Ausbau der Erneuerbaren, den wir heute feiern können - das machen wir ganz deutlich -, ist nicht auf Ihre Politik zurückzuführen. Trotz Ihrer Politik bauen wir die Erneuerbaren aus, ich betone: trotz Ihrer Politik. ({4}) Was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren in einem zentralen Punkt, der alle Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft betrifft, geschaffen haben, ist Verunsicherung. Diese Verunsicherung, Herr Minister Altmaier, können wir bis zum heutigen Tag spüren. Sprechen Sie mit Investoren aus dem Bereich der Erneuerbaren. Diese werden Ihnen sagen: Die Banken finanzieren nichts mehr, weil wir nicht mehr wissen, was Regierungspolitik ist, weil wir nicht wissen, wie verlässlich die Pläne sind. Im Zweifelsfall können wir die Pläne gar nicht erkennen, weil zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltministerium keine Abstimmung erfolgt. - Das ist Ihre Politik. ({5}) Herr Minister Altmaier, wenn wir schon bei der staatstragenden Rede sind, dann muss ich sagen, dass Tage wie heute bzw. solche Wochen dazu dienen müssten, den Menschen zu erklären, warum wir von der Atomkraft weg wollen. Sie hätten zum Beispiel einmal auflisten können, welche volkswirtschaftlichen Kosten damit verbunden wären, wenn wir diesen Weg nicht ginDr. Matthias Miersch gen. Uns liegen die Berechnungen von Sir Nicholas Stern vor, die aufzeigen, welche volkswirtschaftlichen Kosten entstünden, wenn wir nicht umsteuern und in Europa und weltweit weiter auf klimaschädliche Kohlepolitik setzen. Anhand der volkswirtschaftlichen Folgelasten von Fukushima können wir genau sagen, was es für die Allgemeinheit, für die Steuerzahler etc. bedeutet, wenn wir nicht umsteuern und solche Unfälle billigend in Kauf nehmen. Was aber machen Sie? Sie sprechen nicht von diesen Folgen, sondern malen eine völlig unsubstanziierte Zahl von 1 Billion Euro Folgekosten an die Wand. Das ist nicht staatsmännisch. Das ist eines Umweltministers nicht würdig. Sie müssen für diese Energiewende brennen und dürfen sie nicht verteufeln, lieber Herr Kollege Altmaier. ({6}) - Ja, Herr Goldmann. Sie bekommen eine Antwort darauf. Wenn Sie sagen, dass das bezahlbar sein muss, dann begehen Sie gleich den nächsten Fehler. Sie verteufeln die Energiewende wiederum, wenn Sie sagen, dass sie angeblich nicht bezahlbar sei. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kollege Goldmann, wer meint, dass die alte Energiepolitik - Kohle und Atom billig gewesen sei und erneuerbare Energien etwas kosten, der lügt. Das sage ich hier an dieser Stelle. ({7}) Auf Seite 1 des Papiers, das der Kollege Herr Altmaier vorgelegt hat, steht: All das, was ich hier vorstelle, kann dazu führen, dass der Strompreis weiter ansteigt. - Warum schreiben Sie das? Sie schreiben das, weil Sie an die Wurzel des Übels nicht herangehen. Die Erneuerbaren senken augenblicklich Großhandelspreise etc. Aufgrund der Systematik kommt diese Senkung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber nicht an. An dieser Stelle hätten Sie ansetzen müssen, Herr Minister, und dafür sind Sie zuständig. ({8}) Wir erleben aber genau das Gegenteil. Das konnten wir auch in der Sitzung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages in dieser Woche feststellen. Wir haben Sie und Herrn Rösler eingeladen, um von Ihnen zu hören, welche Strategie Sie verfolgen. Das Erste ist - und das zeigt eigentlich schon alles -, dass Sie nicht bereit gewesen sind, gemeinsam vor dem Umweltausschuss aufzutreten. Herr Trittin hat sicherlich auch seine Erfahrungen damit gemacht. Zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium gibt es immer Reibung. Wenn diese Reibung aber genutzt wird, kann sie Wärme erzeugen, und dann ist das positiv. Sie aber gehen absolut planlos vor. Zweitens haben Sie kein Konzept. Das erkennt man am besten an dem von Ihnen eingerichteten Energie- und Klimafonds, mit dem Sie eigentlich Klimaschutzprojekte bzw. Energiewendeprojekte fördern wollen. Wir sagen Ihnen seit mindestens zwei Jahren, dass das nicht funktioniert, weil Sie die Einnahmen, die Sie an die Wand gemalt haben, niemals erzielen werden. Erst wollten Sie die Einnahmen von den Atomkonzernen aufgrund der Laufzeitverlängerung. Jetzt wollen Sie diese Einnahmen durch den Emissionshandel erzielen. Beides klappt aber nicht. Wir haben in diesem Fonds, mit dem die Energiewende organisiert werden soll, augenblicklich eine Lücke von über 1 Milliarde Euro in diesem Jahr und von noch einmal mindestens 1 Milliarde Euro im nächsten Jahr. Herr Minister Altmaier, wir haben Sie gefragt, wie Sie hier vorgehen wollen. Sie haben keine Antwort. Das ist ein Symbol schwarz-gelber Energiepolitik: Sie können das einfach nicht. - Hoffentlich geht es ab September mit einer anderen, mit einer originalen Politik weiter. Deswegen streiten wir hier. Sie haben in der Energiepolitik kläglich versagt. Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Angelika Brunkhorst. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Hauptaugenmerk meiner Rede auf einen ganz anderen Teil der Debatte richten, nämlich auf den in der Tagesordnung zuletzt genannten Antrag der Grünen, über den heute immerhin namentlich abgestimmt werden soll. Davon war bisher noch gar nicht die Rede. In diesem Antrag wird die unverzügliche Stilllegung der Kraftwerke in Cattenom und Fessenheim gefordert. Es gab eine ganze Reihe anderer Anträge dazu. Ich komme nachher auch noch auf die Vergangenheit zu sprechen. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die EU jedem Mitgliedstaat das Recht einräumt, die Struktur seiner Energieversorgung eigenverantwortlich und souverän zu bestimmen. Deutschland hat, wie wir wissen, nach den Erkenntnissen der Katastrophe von Fukushima 2011 entschieden, acht Kernkraftwerke sofort stillzulegen und weitere neun Kernkraftwerke beschleunigt bis 2022 vom Netz zu nehmen. Wir wollen möglichst umgehend eine bezahlbare, sichere und ökologische Energieversorgung forcieren, die weitgehend auf erneuerbaren Energien basiert. Dazu stehen wir auch. Da kann sich Herr Miersch noch so aufregen. Es ist auch gar nicht gesund, sich so in Rage zu reden, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind auf einem guten Weg. ({0}) In Frankreich gibt es eine ganz andere Entscheidung, auch wenn es mit Herrn Hollande dort einen anderen Staatspräsidenten gibt. Auch wenn er gesagt hat, er wolle den Anteil der Kernenergie auf 50 Prozent zurückführen, muss man doch erkennen, dass Frankreich nach wie vor vorwiegend auf die friedliche Nutzung der Kernenergie setzt. Deshalb nützt es gar nichts, wenn Sie in Ihrem Antrag immer wieder von der Hochrisikotechnologie sprechen. Das wird nicht dazu geeignet sein, die Souveränität Frankreichs infrage zu stellen. ({1}) Es gibt viele souveräne Staaten in Europa. Es gibt welche, die gar nicht auf Kernkraft gesetzt haben, und es gibt andere, die es getan haben. Es gibt sicherlich auch Staaten, die erstaunt oder sogar anerkennend auf Deutschland schauen und sehen, wie wir das hier regeln. Sie räumen vielleicht ein, dass sie die Energiewende nicht wie Deutschland auf den Weg gebracht haben; aber bei aller Anerkennung, die sie vielleicht für das deutsche Modell haben, wollen sie deshalb nicht automatisch das deutsche Modell adaptieren. Es gibt ganz klare Zuständigkeiten für die sicherheitstechnischen Regelungen. Die Bundesregierung hat nun einmal nicht die Zuständigkeit, die sicherheitstechnischen Kriterien der französischen Anlagen zu bewerten. Die Richtlinie 2009/71/EURATOM des Rates vom 25. Juni 2009 bestimmt, dass die sicherheitstechnische Bewertung der Anlagen von den jeweiligen Staaten auf der Basis der nationalen Regelwerke vorzunehmen ist. Die sicherheitstechnische Bewertung konkreter französischer Kernkraftwerke wie Cattenom und Fessenheim obliegt der französischen Aufsichtsbehörde ASN. Sie wird eigenverantwortlich ihre Entscheidungen treffen. Die Auflagen, die sie an den Weiterbetrieb stellt, wird sie sicherlich streng und verantwortlich erfüllen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihr Antrag tendiert an einer Stelle dazu, der Bundesregierung zu unterstellen, sie bemühe sich nicht ausreichend, einen bilateralen Dialog mit Frankreich zu führen. ({2}) Das müssen wir weit von uns weisen; denn das ist wirklich nicht so. Es ist vielmehr so, dass Deutschland und Frankreich auf bilateraler Ebene in einem ständigen Austausch stehen, und zwar in der Deutsch-Französischen Kommission, wo regelmäßig Informationen und Erfahrungen ausgetauscht werden. Die grenznahen Bundesländer wie das Saarland, Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg nehmen an diesen Sitzungen teil. Sie können dort die sicherheitstechnischen Bedenken und Anliegen der grenznahen Bevölkerung einbringen. Die Inhalte der Sitzungen der Deutsch-Französischen Kommission, die da sind: Strahlenschutz, nukleare Sicherheit, Betriebserfahrungen, Ereignisse, Nachrüstungen und Verbesserungen, werden von einem weiteren europäischen Gremium getoppt. Es handelt sich um die ENSREG, eine hochrangige Gruppe von atomrechtlichen Aufsichtsbehörden, die einen Aktionsplan aufgestellt hat, der in nationale Aktionspläne umgesetzt wurde. Im April wird ein Workshop stattfinden, wo diese Aktionspläne vorgestellt und ganz konkrete Handlungsanweisungen erarbeitet werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Brunkhorst.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich bin so weit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Nink möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das zum Ende Ihrer Rede?

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der kann eine Kurzintervention machen. Ich möchte zum Ende kommen. ({0}) - Keine Sorge, so habe ich es nicht gemeint.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen Sie bitte zum Schluss.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das wird eine sehr gute Plattform sein. Ganz zum Schluss: Der Euratom-Vertrag wird von der FDP als wichtiges Instrument betrachtet. Wir werden auch in Zukunft zum Euratom-Vertrag stehen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fukushima war eine Zäsur; die Bundesregierung musste die absurde Verlängerung der Laufzeiten von AKW zurücknehmen. Aber die Energiewende begann natürlich weit früher, und zwar unter dem Druck der Anti-AKW-Bewegung. An dieser Stelle herzlichen Dank an die zahlreichen Bürgerinitiativen, Windmüller, Biobauern, Energiedörfer und Genossenschaften, an die Familien, die sich Solarpanel aufs Dach schraubten, an die Tüftler und Unternehmen, die diese zuverlässige Technik entwickelt haben! ({0}) Diese Technik steht immer preiswerter zur Verfügung. Dafür hat auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gesorgt, das Herr Rösler am liebsten abschaffen will. Zwei Jahre nach Fukushima scheinen sich nun die Gegner der Energiewende gesammelt und in Stellung gebracht zu haben. ({1}) Sie sitzen nicht nur in den alten Strom- und Automobilkonzernen, sondern vor allem auch im Bundeswirtschaftsministerium. ({2}) Aber diese üble Allianz kennen wir ja; sie sah unter RotGrün ähnlich aus. Jetzt wird von Ihrer Seite zum Sturm geblasen. Auf der einen Seite verhindert Herr Rösler den Umbau des Stromsystems, indem er die Reformen beim Emissionshandel blockiert. Auf der anderen Seite ziehen Sie die Debatte über die Verteilung der Kosten der Energiewende so auf, dass die erneuerbaren Energien unter Beschuss geraten, die Zukunftsenergien also, und nicht die soziale Schieflage oder die Profite, die vielerorts damit verdient werden. ({3}) Es ist schon irrwitzig, dass es die FDP ist, die das einzige marktnahe Instrument zum Klimaschutz zerschießen will. Dabei ist klar: Im System befinden sich fast 2 Milliarden CO2-Zertifikate zu viel; das entspricht 2 Milliarden Tonnen des Klimakillers CO2. Darum sind die CO2-Zertifikatspreise im Keller. Es stimmt eben nicht, Herr Kauch, dass dieser Überschussberg vor allem durch mehr Effizienz, den schnellen Ökostromausbau oder die Krise verursacht wurde. Nach Ihrer Philosophie ist der bessere Klimaschutz für den Preisverfall verantwortlich; weil das Cap, die fixe Emissionsobergrenze, eingehalten werde, gäbe es kein Problem. Genau so hat es Herr Minister Rösler am Mittwoch im Ausschuss verkauft. Das Gegenteil ist richtig; denn das Cap wurde aufgebläht: Zwei Drittel der Überschüsse resultieren aus CDM-Gutschriften aus dem Ausland. Die Hälfte dieser Gutschriften ist aber faul, weil sie aus Projekten resultieren, bei denen kein zusätzlicher Klimaschutz stattfand. Daraus folgt zumindest für jeden, der das System halbwegs begriffen hat: Wenn die überschüssigen CO2-Zertifikate nicht dauerhaft stillgelegt werden, führt das nicht nur zu dauerhaft niedrigen Zertifikatspreisen, sondern vor allem auch zu einem zusätzlichen CO2-Ausstoß. ({4}) Das aber ist das genaue Gegenteil von Klimaschutz; das ist das völlige Scheitern des Systems, ja, fast eine Straftat an Mensch und Umwelt. ({5}) Der niedrige CO2-Zertifikatspreis schafft kaum Anreize für den Einsatz von Effizienztechnologien. So werden zum Beispiel moderne Gaskraftwerke gegenüber Kohlemeilern benachteiligt, Stichwort: Irsching 5. Das ist katastrophal; aber letztlich ist es nur eine Folge des aufgeblähten Caps. Das läuft eben etwas anders, Herr Kauch - Herr Rösler ist nicht da -, als im Erstsemester Volkswirtschaftslehre. Es geht natürlich nicht nur um Verständnisfragen; es geht um Macht und Geld. Die Wahrheit ist: Sie wollen die fossilen Kraftwerke im Spiel halten und bei den erneuerbaren Energien bremsen und verhindern, wo es geht. ({6}) Sonst würden Sie jetzt nicht wieder alte, bereits gescheiterte Geschichten aus dem Hut ziehen wie Quotensysteme beim EEG. Sie würden sonst auch nicht Neuinvestitionen in den Bereichen Wind und Sonne abwürgen, indem Sie die Einspeisevergütungen nachträglich streichen. ({7}) Sie würden sonst die energieintensive Industrie und die Betreiber von Anlagen - Stichwort: Mindestumlage für den Eigenverbrauch - nicht nur mit lächerlichen 700 Millionen Euro zur Kasse bitten; denn die Industrieprivilegien, für die die restlichen Stromkunden blechen, sind allein beim EEG achtmal so hoch. ({8}) Reden wir noch schnell über die Profite der Konzerne. Für 2012 erwarten allein die beiden größten Stromkonzerne, Eon und RWE, einen irrwitzigen Gewinn von insgesamt über 19 Milliarden Euro. Das sind 3 Milliarden Euro mehr, als die gesamte Förderung der erneuerbaren Energien den Stromkunden kostet. 19 Milliarden Euro Profit! Da reden wir nicht über Peanuts. Diesen Profit machen dieselben, die andauernd herumjammern, ihre Kraftwerke rechneten sich nicht mehr, sie brauchten zusätzliche Einnahmen, Stichwort „Kapazitätsmärkte“. Es ist immer die gleiche Geschichte: Die einen verdienen sich dumm und dämlich, und die anderen bezahlen. Das ist Ihre Politik. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich in meinen Gesprächen mit Japanern in den letzten Tagen am meisten erschüttert hat, war, zu hören, dass der oberste gesundheitliche Berater der japanischen Regierung auf die Frage, ob die nach dem Unglück in Fukushima frei gewordene Strahlung für die Menschen gefährlich sei, sagte, Menschen, die lächeln, habe die Strahlung nichts an, nur wer sich gräme, dem könne die Strahlung schaden. ({0}) - Das ist in der Tat unglaublich. - Ich dachte, da leben wir doch in einem etwas anderen Land. Aber ich muss sagen: Heute habe ich hier realitätsverweigernde Äußerungen vernommen, die dem nicht unbedingt nachstehen. ({1}) Herr Hirte und Herr Kauch sind stolz auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, brüsten sich, dass unter dieser Regierung der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangeschritten ist. ({2}) Wo wären wir denn, wenn wir Ihre Konzepte übernommen hätten? Wo wäre denn der Ausbau der erneuerbaren Energien, wenn Sie damals, 2000, darüber zu entscheiden gehabt hätten. Das ist doch völlig absurd, was Sie erzählen. ({3}) Herr Hirte, Sie haben den Atomausstieg angeblich noch einmal forciert. Waren wir denn 2010 alle im Delirium, und haben wir uns etwas zusammengeträumt? War es gar nicht so, dass Sie den Atomausstieg rückgängig gemacht und die Atomkraftlaufzeiten verlängert haben? ({4}) Haben wir das geträumt, Herr Hirte, oder haben Sie heute geträumt, als Sie diese Rede gehalten haben? ({5}) So etwas Absurdes habe ich noch nicht gehört. Frau Brunkhorst, genauso absurd ist die ständige Erklärung: „Wir mischen uns nicht in die Energiepolitik anderer Länder ein“, oder: Wir sind doch nicht die Atomaufsicht von Frankreich. - Das ist doch keine Reaktion auf ein grenzüberschreitendes Risiko. Sie weigern sich, ein grenzüberschreitendes Risiko anzuerkennen. Genauso negieren das die Bundesregierung und Frau Merkel. ({6}) Eine Bundesregierung hat den Auftrag, ihre Bevölkerung vor Risiken zu schützen. ({7}) Wenn die Begründung für den Atomausstieg, die wir in diesem Haus gehört haben, stimmt - das Risiko der Atomkraft sei der Gesellschaft in dem bisherigen Maße nicht mehr zuzumuten; deshalb hätten wir Atomkraftwerke abschalten müssen, die Cattenom und Fessenheim in nichts nachstehen -, dann gehört zu diesem Schutzauftrag auch, dass die Regierung bilaterale Gespräche mit Frankreich aufnimmt, um zu eruieren, ob sie ihre Bevölkerung unter Wahrung der französischen Souveränität schützen kann. Nichts anderes fordern wir. Dass Sie sich dem verweigern, das ist ein Skandal. Um das zu belegen, gibt es heute eine namentliche Abstimmung. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich bei dieser Abstimmung verhalten werden, ({8}) und ob Sie den Menschen im Saarland, in RheinlandPfalz und in Südbaden das Risiko weiter zumuten wollen. Nein, Minister Altmaier, Atomausstieg ist mehr als ein Abschaltplan für Atomkraftwerke. Dazu gehört ein Ausstieg aus Kernfusion und Transmutation. Wer in Kernfusion und Transmutation einsteigen will, der steigt nicht aus der Atomkraft aus, der hat den Atomausstieg nicht begriffen. ({9}) Dazu gehört eine Überarbeitung von Euratom. Dazu gehört der Ausstieg aus ITER. Außerdem gehören dazu schärfere Sicherheitsanforderungen, auf die wir bis heute vergeblich warten. Das alles sind Versäumnisse. Das ist kein Atomausstieg. Das passt zu den Reden, die wir hier gehört haben; aber das passt nicht zu dem, was Sie 2011 in diesem Haus versprochen haben. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch zwei Jahre nach dem Tsunami in Japan gilt den Menschen in der Region unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl, den Verletzten, den Angehörigen, den Toten und den Traumatisierten. Unser Dank gilt aber auch unseren Mitbürgern, die in großartiger Weise mit ihren Spenden zur Linderung der Not in Japan beigetragen haben. ({0}) Aus dem Unglück in Japan können wir für diese Debatte mitnehmen, dass wir uns in Fragen der Energie seriös und mit dem nötigen Ernst beschäftigen, ohne Gegröle und ohne sich gegenseitig zu unterstellen, man habe eine versteckte Agenda. Vor dem Hintergrund von Fukushima hat die Bundesregierung, hat die Koalition beschlossen, die zivile Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu beenden. 2022 wird das letzte AKW vom Netz gegangen sein. Die älteren Kollegen der Opposition wissen, dass auch ich im Rahmen unseres Energiekonzepts für eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke war, um Geld und Zeit zu gewinnen. Herr Bülow, ich muss bei Ihnen keine Nachhilfe nehmen, um zu wissen, was damals die Motivation für unseren Beschluss war. Ich weiß besser als Sie, was wir vorhatten. Dazu stehe ich nach wie vor. ({1}) Ich akzeptiere ohne Wenn und Aber die Entscheidung der Koalition, unserer Partei, des Deutschen Bundestages. Ich akzeptiere aber nicht, dass aus parteitaktischen Gründen immer wieder Unkenrufe von Rot-Grün kommen, wir nähmen den Ausstieg nicht ernst. Wir werden, im Gegensatz zu Ihren damaligen Lippenbekenntnissen, den Ausstieg vollziehen, und zwar ohne Wenn und Aber. ({2}) Ich akzeptiere auch nicht, Herr Hempelmann, Ihre Häme, ({3}) die immer wieder an den Tag gelegt wird, wenn es Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende gibt. ({4}) Ich akzeptiere auch, dass sich die politische Landschaft geändert hat. Das ist für diese Diskussion sogar von Vorteil; denn so können Sie sich mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat nicht länger aus der Verantwortung stehlen und notwendige Maßnahmen wie die Gebäudesanierung oder die EEG-Reform blockieren, ohne dass es die Menschen merken. Das nimmt Ihnen keiner mehr ab. ({5}) Es ist wahr, dass uns die Herausnahme der Kernkraftwerke aus unserer Energieproduktion vor massive Probleme stellt. Es ist aber auch wahr, dass wir Probleme mit unserem eigenen Erfolg haben, nämlich dem massiven Aufwuchs der erneuerbaren Energien. Herr Miersch, auch wenn Sie mit Ihrem Geschrei ins Mikrofon beißen: Es ist wahr - das hat Herr Kauch sehr gut dargestellt -, dass der Aufwuchs der erneuerbaren Energien vor allem unter dieser Bundesregierung erfolgte. Das hat natürlich Folgen. Die kann man auch ansprechen. Das hat übrigens auch ein gewisser Gabriel gestern getan; das ist doch Ihr Parteivorsitzender. Die Volatilität ist dadurch exorbitant gestiegen. Durch die absurde Ausgestaltung des EEG gehen die Energiepreise nach oben, obwohl sie anderswo fallen: In den Vereinigten Staaten zum Beispiel sind die Strompreise in letzter Zeit um 60 Prozent gefallen. Bei uns sind sie in den letzten Jahren für die normale Industrie um 20 Prozent, für die Verbraucher um 25 Prozent gestiegen. Das hat natürlich bedrohliche Folgen für unsere Wirtschaft. Über diese Folgen müssen wir uns seriös auseinandersetzen, auch in einem Land wie Nordrhein-Westfalen. Das kann unter die Haut gehen, wenn wir nicht aufpassen. Man muss feststellen: Was auch unter unserer Regierung in den 90er-Jahren als Markteinführungsvehikel gedacht war, nämlich das Stromeinspeisungsgesetz, hat sich zu einer gigantischen Gelddruckmaschine entwickelt und ist längst von den Klimaschutzzielen abgekoppelt. Es kommt zu einer grotesken Entkoppelung innerhalb der eigenen Gesellschaft: zu einer Privatisierung gigantischer Gewinne und zu einer Sozialisierung gigantischer Kosten. ({6}) Das muss doch auch die Opposition, das müssen sogar Sie, Herr Kelber - französisch oder nicht -, kapiert haben. Sie können die Auswüchse, die das annimmt, nicht wollen. Ein Beispiel: Wenn für ein einziges Windkraftrad bis zu 80 000 Euro Pacht gezahlt wird, dann bedeutet das den Ruin der normalen Landwirtschaft in Deutschland. ({7}) Das können wir nicht hinnehmen. ({8}) Angesichts dessen, was die Länder an Zubau planen, muss doch auch Ihnen aufgefallen sein, dass die Planungen Ihrer Länder mit der vorausschauenden Planung der Abnahme in keiner Weise übereinstimmen. Die ernüchternde Feststellung ist: Unser Ziel, mit unserer Energiewende Vorbild für die Welt zu sein, werden wir nicht erreichen, wenn wir jetzt nicht eingreifen. Es wird immer gesagt, wir müssten uns um die Atomenergie anderer Länder kümmern. Erstens, Frau KottingUhl, finden Gespräche über die beiden französischen Atomkraftwerke statt. Das kann auch Ihnen nicht entgangen sein. ({9}) Zweitens. Die beste Argumentation für einen Verzicht anderer Länder auf Kernkraftwerke liefern wir, wenn es uns gelingt, eine Technologie wettbewerbsfähig, also auch bezahlbar zu machen, die bei uns und anderswo Atomkraftwerke überflüssig macht. Die SPD liefert uns hier ein absurdes Spektakel mit der Verdrehung von Ursache und Wirkung, von Feuerwehr und Brandstifter; aber wenigstens ist sie aufgewacht. ({10}) Ich habe genau aufgepasst, was Herr Gabriel gestern gesagt hat. Obwohl eine Woche vorher Peter Altmaier noch kritisiert wurde, weil er Kosten von 1 Billion Euro ins Spiel gebracht hat - die übrigens zu niedrig angesetzt sind, weil einige Posten gar nicht eingerechnet sind -, ({11}) hat Ihr Herr Gabriel gesagt: Die Volatilität ist zu hoch. Das ist erstaunlich. Er hat gesagt: Die Preise sind zu hoch. - Auch das ist erstaunlich. Dann hat er gesagt: Der CO2-Ausstoß ist zu hoch. - Herr Gabriel hat auch gesagt, dass das die Analyse des gesamten Hauses sei. Das ist doch prima. Dann ist es doch nur noch ein kleiner Schritt - Wahlkampf hin oder Wahlkampf her -, zu gemeinsamem Handeln zu kommen. ({12}) Es ist wahr, dass die Energiewende eine Megaaufgabe ist. Es ist auch wahr, dass wir Berechenbarkeit und Planbarkeit brauchen. Genauso wahr ist, dass wir unsere Anstrengungen erhöhen und die Vorgänge beschleunigen müssen, aber auch Fehlentwicklungen korrigieren und an anderer Stelle entschleunigen müssen. Wir halten an unseren ehrgeizigen Zielen fest; aber wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren viel stärker mit dem Netzausbau synchronisieren. Wir müssen den Emissionshandel neu strukturieren. Wir müssen zusehen, dass wir stärker als bisher Themen wie Innovation und Technologie in unsere eigene Politik einspeisen. Wir müssen eine Abstimmung unter den Ländern herbeiführen. Das sind nicht nur unsere Länder, sondern auch die der „Krafts“ und der „Kretschmanns“. Damit bin ich wieder bei meiner These: Es hat keinen Sinn, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir brauchen ein Zusammenspiel von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat. Das sind wir den künftigen Generationen schuldig. Keiner wird später fragen: Habt ihr damals Wahlkampf geführt oder nicht? Jetzt geht es darum, die Blockaden zu beenden. Das gilt auch für Rot-Grün im Bundesrat. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Hempelmann. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Altmaier! Wo ist er? - Dort oben in den Reihen der Abgeordneten. Herr Abgeordneter, vielleicht darf ich Ihr Tête-à-Tête unterbrechen. Wir führen eine gemeinsame Debatte in diesem Haus, und Sie sind keine ganz unwichtige Figur dabei. Sie haben sich heute hier wieder breitbeinig hingestellt und erneut behauptet, dass Sie diejenigen seien, die jetzt endlich mit dem Systemumbau beginnen, und RotGrün zwar den Bereich der erneuerbaren Energien ausgebaut, den Systemumbau aber nicht vollzogen hätte. Ich sage Ihnen, was ich Ihnen schon gestern gesagt habe - man muss es Ihnen offenbar jeden Tag sagen -: So geht das nicht. Andere sind weiter: Die Unternehmen haben längst eingesehen, dass sie nach der Wurst, die ihnen Ihre Kollegen von Schwarz-Gelb damals in Form von Laufzeitverlängerungen hingehalten haben, niemals hätten greifen dürfen; denn dadurch wurde der Systemumbau zehn Jahre lang blockiert. ({0}) Sie haben dafür gesorgt, dass die Atomkraftwerksbetreiber, die zugleich Netzbetreiber waren und an den entsprechenden Schlüsselstellen des Systems saßen, diesen Systemumbau niemals begonnen, niemals unterstützt haben. So viel auch zu Ihnen, Herr Dr. Ruck, wenn Sie jetzt einfordern, wir, die Opposition, sollten die Blockade beenden. Lassen Sie uns doch wenigstens einmal feststellen: Zehn Jahre lang haben Sie eine moderne Energiepolitik, einen Systemumbau hin zu einer stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien behindert und blockiert. Sie sollten das wenigstens einmal offen sagen. ({1}) In der heutigen Debatte geht es auch um einen Antrag zum Thema Euratom. Wir sagen: Wir müssen den Euratom-Vertrag erneuern. Damit sind wir nicht allein. Es gibt zum Beispiel einen EU-Kommissar namens Oettinger, früher mal CDU-Ministerpräsident, der das ganz genauso sieht. Im Übrigen haben auch Sie das schon einmal so gesehen: Im Jahr 2007 hat die heutige Kanzlerin die Schlussakte des Vertrags von Lissabon unterzeichnet. Darin stand eindeutig: Wir brauchen eine Überarbeitung des Euratom-Vertrags, insbesondere in Richtung mehr Sicherheit im Bereich der Erzeugung von Strom in Anlagen zur atomaren Energieerzeugung. ({2}) Insofern glaube ich, dass diese Anträge sehr berechtigt sind und eigentlich auch Ihre Unterstützung verdienten. Herrn Oettinger wurmt im Übrigen, dass es keine europäische Kompetenz für die Überwachung und Kontrolle der Sicherheit der 145 Atomkraftwerke in Europa gibt. Er bedauert das. Allerdings hat ihm der EuGH, der Europäische Gerichtshof, grundsätzlich schon in einer Zeit grünes Licht gegeben, als er noch gar nicht Energiekommissar war, als er noch für die Atomenergie stritt. Er ist aber, glaube ich, ein wirklich Bekehrter. Deswegen möchte er diese europäische Zuständigkeit, wie auch der Europäische Gerichtshof sie sieht. Er hat immerhin Stresstest, Belastungsproben, für die 145 AKW durchgesetzt. Die Ergebnisse sind teilweise dramatisch, auch für französische Atomkraftwerke, zum Beispiel für Cattenom - deswegen sind die Fragen, die auf die grenzüberschreitende Sicherheit von Atomkraftwerken abstellen, völlig berechtigt -, aber auch für die 17 deutschen Atomkraftwerke. Probleme wurden festgestellt bei Notstromaggregaten, beim Erdbebenschutz, beim Überflutungsschutz, aber auch bei der passiven SiRolf Hempelmann cherheit, zum Beispiel vor Flugzeugabstürzen. Wohlgemerkt: Das wurde bei den deutschen Atomkraftwerken festgestellt. Der BUND in Deutschland bedauert, dass die Probleme auch heute noch nicht beseitigt sind. Es gibt Risiken durch Brände oder altersbedingte Ausfälle von Sicherheitssystemen. Es gibt eine mangelhafte Sicherheitsarchitektur. Kein deutsches Atomkraftwerk ist gegen den Ausfall der Stromversorgung gesichert. Genau das war die Ursache für die Probleme in Fukushima, für den Austritt von Radioaktivität in Japan und die Explosion von zwei Reaktoren. Klar ist: Die Atomkraftwerksbetreiber in ganz Europa werden nicht freiwillig in die Sicherheit ihrer Anlagen investieren. Es ist errechnet worden, dass es - dies ist vermutlich lediglich ein erster Schritt - im Schnitt um etwa 200 Millionen Euro pro Anlage geht. Deswegen brauchen wir - das sagt EU-Kommissar Oettinger - eine gemeinsame EU-Gesetzgebung für nukleare Sicherheit. Er will im April einen Gesetzesvorschlag unterbreiten. Ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung dazu stellen wird. Übrigens sagte gestern ein Vertreter der Koalition: Wenn wir das machen, wird es teuer, das verteuert dann den Strompreis. Ich sehe einmal von der Tatsache ab, dass er offenbar von der Merit-Order noch nichts gehört und deshalb noch nicht gelernt hat, dass gerade Atomkraftwerke die größten Gewinne abwerfen, weil sie im Vergleich zum konventionellen Kraftwerkspark die geringsten Brennstoffkosten haben. Weiter sehe ich von der Tatsache ab, dass eine Verteuerung von Atomstrom nicht unbedingt eine Erhöhung des Endpreises bedeuten würde. Abgesehen von diesen beiden Tatsachen zeigt das natürlich auch Ihre Prioritätensetzung bzw. an welcher Stelle für Sie die Sicherheit der Menschen hier im Lande steht. ({3}) Es ist kein Zufall, dass Sie bei der Überarbeitung des Euratom-Vertrags so zurückhaltend sind, wenn man sieht, wie Sie mit dem Export von Atomtechnologien umgehen. Wir waren - das ist hier schon angesprochen worden - da schon einmal weiter. Es gab unter Rot-Grün Leitlinien, die deutlich gemacht haben: Wenn man in einem Land aus der Atomtechnologie aussteigt, darf es nicht sein, dass man Atomtechnologieexport mit Hermesbürgschaften unterstützt. ({4}) So weit waren wir schon. Wenigstens dahin sollten Sie nach Ihrem Austrittsbeschluss - schon allein zur Steigerung Ihrer Glaubwürdigkeit - gelangen. Wenn Sie im Übrigen wollen, dass die deutsche Energiepolitik international als Modell begriffen werden soll - einer von Ihnen hat das gerade so gesagt -, müssen Sie selbstverständlich in Ihrer Politik konsistent sein. Das heißt, man muss dafür werben, dass uns andere auf diesem Weg folgen. Mindestens muss man dafür sorgen, dass die Sicherheit der Atomkraftanlagen verbessert wird. Auf gar keinen Fall darf man selbst zum Akteur in diesem Markt werden. Dies darf schon gar nicht mit politischen Instrumenten wie Hermesbürgschaften unterstützt werden. Meine Damen und Herren, Angra in Brasilien ist nur eines der Beispiele. Es gibt viele andere, die da drohen. Möglicherweise wird Angra kein deutsches bzw. Hermesprojekt werden. Viele andere aber mit ähnlichen Problemen - dabei handelt es sich um Erdrutschgebiete, Erdbebengebiete usw. - sind in der Warteschleife. Ich würde mir wünschen, dass es keine Abwartehaltung gibt, sondern ein klares Wort dieser Bundesregierung und möglichst auch dieser Bundeskanzlerin, dass solche Exporte in Zukunft von der Bundesregierung nicht unterstützt werden. ({5}) Wenn Sie wollen, dass die Menschen Ihnen abnehmen, dass Sie es mit dem Atomausstieg ernst meinen - wir alle wollen das gerne glauben -, seien Sie in diesem Sinne konsequent und folgen Sie den Vorschlägen, die wir heute gemacht haben. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Martin Lindner. ({0})

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Man kann zum deutschen Ausstieg aus der Kerntechnologie stehen, wie man will. Man kann ihn für vernünftig halten oder nicht. Richtig ist aber doch, dass wir ihn jetzt zu einer gemeinsamen Erfolgsstory machen müssen. Das ist es doch, was dieses Haus eint und für das wir gemeinsam stehen. ({0}) - Sie schreien herum. Ich weiß, es ärgert Sie, dass da für Sie persönlich und für Ihre Partei ein Thema weggerutscht ist. Man hat das gerade auch bei dem schäbigen Versuch Ihrer Parteivorsitzenden Roth gemerkt, die vielen Toten dieser Tragödie für billige Parteipolemik und Parteipolitik auszunutzen. Das ist ein wirklich ekelhafter Versuch gewesen, aus dem Schicksal dieser Menschen Kapital zu schlagen. ({1}) Wenn wir eine solche Entscheidung treffen, haben wir auf der anderen Seite auch zu respektieren und zu akzeptieren, dass andere souveräne Länder andere energiepolitische Entscheidungen treffen und dass nicht automatisch das, was wir hier in Deutschland entscheiden, für andere genauso vorbildhaft und nachahmenswert ist. Ihre Anträge zu Euratom und Angra 3 zeugen von einer erheblichen Ignoranz. Die Welt richtet sich eben nicht ausschließlich an Deutschland und Berlin aus. Zu28650 Dr. Martin Lindner ({2}) erst zu Ihren Euratom-Anträgen. Wissen Sie, wir führen in den Ausschüssen Anhörungen durch. Zweck dieser Anhörungen ist üblicherweise ein gewisser Erkenntnisgewinn. ({3}) Es gab, Herr Hempelmann, keinen Gutachter, der nicht bestätigt hat, dass es rechtlich gar nicht möglich ist, den Euratom-Vertrag zu kündigen, ohne gleichzeitig die EU zu verlassen. ({4}) Das war eindeutig das Ergebnis. Das kann man auch nachvollziehen. Die EU hat von Ländern wie Österreich, die nach Gründung der Euratom in die EU eingetreten sind, ({5}) verlangt, den Euratom-Vertrag zu unterschreiben, obwohl sie selber gar nicht Betreiber von Kernkraftwerksanlagen sind, weil im Euratom-Vertrag viele Dinge geregelt werden, die weit über das reine Betreiben von Kernkraftanlagen hinausgehen. ({6}) Damit bin ich beim zweiten Punkt. Es geht dabei nicht nur um eine Rechtsfrage, sondern es stellt sich natürlich auch die Frage, ob es für ein Land wie Deutschland vernünftig ist, aus einem Vertrag auszuscheiden, in dem Strahlenschutz, Reaktorsicherheit und Entsorgungsfragen geregelt werden. Ist es nicht vielmehr unsere Pflicht und Aufgabe, deutsche Technologie zur Verfügung zu stellen, mit am Drücker zu bleiben, mit über diese Fragen zu entscheiden? Das, was Sie fordern, ist doch völlig unvernünftig. Das wäre ein nationaler Alleingang. Das wäre unvernünftig und wird von uns abgelehnt. Das ist doch selbstverständlich. ({7}) Das andere Thema ist Angra 3. Hier rutschen Ihnen regelmäßig die verschiedenen Ebenen durcheinander. ({8}) Es gibt drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Frage, welche nationale Energiepolitik ein Land macht. Wir machen einen Ausstieg aus der Kerntechnologie und einen Einstieg in mehr regenerative Energien. Das ist unser deutscher Weg. Wir versuchen, ihn zur Erfolgsstory zu machen und ihn auch als Erfolgsmodell für andere Länder darzustellen. Aber wir müssen doch respektieren, dass beispielsweise die Chinesen, die Inder und auch die Brasilianer andere Wege in dieser Frage gehen. Die zweite Ebene ist: Haben wir nicht ein deutsches Interesse daran, dass in den Ländern, die sich nicht für einen Atomausstieg entschieden haben, die im Gegenteil sogar noch weitere Kernkraftwerksanlagen bauen, sichere deutsche Technologie zum Einsatz kommt? Haben wir nicht ein deutsches Interesse daran, dass genau unsere Hochqualitätsanlagen in diesen Ländern für ein Stück mehr Sicherheit, für ein Stück mehr Zuverlässigkeit dieser Kernkraftwerksanlagen sorgen? Das ist doch in unserem deutschen Interesse. ({9}) Unser deutsches Interesse ist doch nicht, sich danebenzustellen und so zu tun, als gäbe es diese ganzen Sachen nicht mehr. Während der Debatte über den Atomausstieg war ich einmal bei einer Podiumsdiskussion und habe eine Karte gezeigt. Auf dieser waren 140 europäische Kernkraftwerksanlagen außerhalb von Deutschland eingezeichnet. Das können wir doch nicht ignorieren. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Anlagen unter bestmöglichen Konditionen betrieben werden. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lindner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Arndt-Brauer?

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Herr Kollege Dr. Lindner, haben Sie mitbekommen, dass sich der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung auch mit den Stimmen Ihrer Fraktion gegen Hermesbürgschaften für Atomkraftwerke ausgesprochen hat, weil wir denken, dass ein Ausstiegsbeschluss für uns auch für Bürgschaften solcher Investitionen im Ausland verbindlich sein sollte? ({0})

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich sagte gerade: Die erste Ebene ist die nationale Entscheidung über die Energieform. Die zweite Ebene ist die Frage der Technologieförderung, des Technologietransfers. Die dritte Ebene, die davon separat zu betrachten ist, ist die Frage, ob wir Hermesbürgschaften für auswärtige Geschäfte zur Verfügung stellen oder nicht. Ausschließlich auf dieser Ebene ist aus meiner Sicht die Frage zu analysieren: Steht das Ausfallrisiko mit dem volkswirtschaftlichen Gewinn, Arbeitsplätze in Erlangen und anderswo, ({0}) in einem angemessenen Verhältnis? Es gibt drei verschiedene Ebenen: die Technologiefrage selbst, Technologieförderung, Hermes. Diese Dinge müssen Sie auseinanderhalten, wenn Sie zu Ergebnissen kommen wollen. Dr. Martin Lindner ({1}) ({2}) Dies müssen Sie separat betrachten. Das werden Sie auch zukünftig machen müssen. Wir müssen die Dinge auseinanderhalten. ({3}) Wir müssen - das ist im deutschen Interesse - dafür sorgen, dass in den Ländern, in denen noch Kernkraftwerke betrieben werden, optimale Bedingungen herrschen, deutsche Technologie zum Einsatz kommt, deutsche Arbeitsplätze davon profitieren und insgesamt die Reaktorsicherheit gestärkt wird. Was Sie machen, ist das Gegenteil. Sie wollen einen deutschen Alleingang. Sie wollen anderen Ländern vorschreiben, was sie zu tun haben. Das ist so eine Art Neokolonialismus des deutschen Gutmenschentums. Damit lassen wir Sie alleine. Wir lehnen Ihre Anträge selbstverständlich ab. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Thomas Bareiß von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zum Schluss der Debatte zeigt sich wieder einmal, dass Rot-Grün in der Energiepolitik nur zurückschaut, an einem alten Thema, nämlich am Atomausstieg, krampfhaft festhält, ({0}) keine, aber wirklich keine Konzepte hat, wie diese Energiewende organisiert werden muss, ({1}) und heute Vormittag keinen einzigen Lösungsvorschlag geliefert hat. Sie hängen immer noch am Atomausstieg fest. Wir sind diejenigen, die den Einstieg in die Energiewende gestaltet und organisiert haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Für uns ist die Energiewende das Wachstums- und Technologiethema für die nächsten vier Jahrzehnte. Deshalb - weil es uns so wichtig ist - möchte ich anhand von acht konkreten Punkten zeigen, was wir in den letzten drei Jahren gemacht haben, um den Einstieg in die Energiewende zu organisieren. Erster Punkt. In den letzten drei Jahren haben wir es geschafft, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von 15 Prozent auf 25 Prozent auszubauen. Kein einziges Land dieser Welt hat in den letzten drei Jahren solch einen Zubau geschafft. Kein einziges Industrieland hat so ambitionierte Ziele wie Deutschland. Wir haben gleichzeitig noch das EEG novelliert und reformiert und es bezahlbar gemacht. Wir haben im Bereich der Photovoltaik eine Vergütungsreduktion um 70 Prozent geschafft - gegen Ihren Willen ({3}) und damit den Verbrauchern Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren erspart. Wir haben den atmenden Deckel eingeführt und damit das EEG intelligent gestaltet. Wir haben mehr Markt und Wettbewerb eingeführt. ({4}) Mit der Marktprämie und dem Eigenanteil haben wir etwas geschaffen, was die erneuerbaren Energien auch zukunftsfähig macht, lieber Herr Kelber. ({5}) Zweiter Punkt. Wir bauen das leistungsfähigste und modernste Stromnetz der Welt. ({6}) Wir haben gestern mit dem Netzausbaugesetz den Startschuss gegeben für den Bau von 2 800 Kilometern neuer Leitungen und den Ausbau von 2 900 Kilometern bestehender Leitungen. Damit verbinden wir den erzeugungsstarken Norden mit dem verbrauchsstarken Süden. Wir machen Schluss mit Zuständigkeitsgewurstel bei der Planung und Genehmigung von Netzen ({7}) und verkürzen mit dem NABEG die Dauer des Netzausbaus von zehn auf vier Jahre. Wir setzen neue Technologien ein - HGÜ, Hochtemperaturseile, Erdverkabelung und schaffen damit das modernste Netz. Wir machen das wieder gut, was Rot-Grün in den letzten Jahren versäumt hat. Wir bauen die Netze. Drittens. Wir fördern Gebäudesanierung und Energieeffizienz so stark wie nie zuvor. Allein für die CO2-Gebäudesanierungsprogramme geben wir 1,8 Milliarden Euro aus - so viel Geld wie keine andere Regierung vor uns.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bareiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darüber hinaus versuchen wir mit der Mietrechtsnovelle, die Investoren zu schützen, aber auch die Mieter zu entlasten. Wir haben es geschafft, den schlafenden Riesen Energieeffizienz im Gebäudebereich zu wecken. Viertens. Wir haben die Energiewende zum Arbeitsplatzmotor gemacht. Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten drei Jahren 100 000 Arbeitsplätze geschaffen. ({0}) Im Bereich der Energieeffizienz haben wir 340 000 Arbeitsplätze, überwiegend im Handwerk, gesichert und neu geschaffen. Das ging nicht auf Kosten der Industrie. Im Gegenteil: Wir haben den industriellen Mittelstand Stück für Stück entlastet. Sie haben nur die Großkonzerne entlastet, wir haben auch den Mittelstand bei unserer Politik berücksichtigt. Wir sorgen mit der Energiewende für mehr Arbeitsplätze, gerade auch im Mittelstand. ({1}) Fünftens. Wir stärken den Wettbewerb und den Verbraucher. Heute hat der Verbraucher die Wahl zwischen mehr als 50 Stromanbietern, so vielen wie noch nie zuvor. Das haben wir mit gezielten Maßnahmen für mehr Wettbewerb ermöglicht. ({2}) So haben wir den Stromkunden den Wechsel erleichtert und die Fristen für den Lieferantenwechsel auf drei Wochen verkürzt. Wir haben eine Schlichtungsstelle eingerichtet, die allein im ersten Jahr 14 000 Beschwerden von Verbrauchern entgegengenommen hat und in 90 Prozent der Fälle eine Einigung erzielen konnte. Wir stärken den Verbraucher und verhindern Abzocke. ({3}) Sechstens. Deutschland ist im Bereich der Energieforschung so erfolgreich wie kein anderes Land der Welt. Wir haben die Mittel für die Energieforschung auf über 3,5 Milliarden Euro aufgestockt; das ist Rekord. Wir fördern damit die Zukunftstechnologien der Energiewende: 200 Millionen Euro für Speicher, 150 Millionen Euro für zukunftsfähige Netze, 400 Millionen Euro für die Elektromobilität. Wir machen die Energiewende zum Innovationsmotor für Deutschland. ({4}) Siebtens. Wir bringen Speichertechnologien voran; denn Speicher sind der Partner für die erneuerbaren Energien. Wir fördern Speicher schon heute, sowohl im Alltag als auch in der Forschung. Wir versuchen, die Wirtschaftlichkeit voranzubringen. Wir haben die Speicher von Netzentgelten und von der EEG-Umlage befreit. Wir haben Investitionen in Pumpspeicherkraftwerke erleichtert und die Mittel für die Speicherforschung um 200 Millionen Euro erhöht. Wir sorgen für power to gas, wir sorgen für Druckluftspeicher, wir sorgen für Batteriespeicher und für Pumpspeicherkraftwerke; auch damit bringen wir die Energiewende Stück für Stück voran. ({5}) Achtens. Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien sind wir Spitzenreiter in der Versorgungssicherheit und in der Netzstabilität. Im Jahr 2011 betrug die durchschnittliche Stromunterbrechung circa 15 Minuten. Wir sind damit besser als die Jahre zuvor, und wir sind besser als die USA, besser als Frankreich, besser als Großbritannien. ({6}) Wir wollen, dass das in Zukunft so bleibt. Deshalb haben wir abschaltbare Lasten, deshalb haben wir Smart Meter, Smart Grids vorangebracht. So bleiben wir auch weiterhin Spitzenreiter bei der Versorgungssicherheit und stärken unseren Standort Deutschland. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese acht Punkte zeigen: Unser Weg ist der richtige, die Energiewende kommt Stück für Stück voran. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass zur Abstimmung bislang fünf Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord- nung vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 17/12509 und 17/12688 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Den Euratom-Ver- trag an die Herausforderungen der Zukunft anpassen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/11713, den An- trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8927 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stim- men der SPD bei Enthaltung der Grünen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7670 mit dem Titel „Euratom-Vertrag ändern - Atomausstieg europaweit voranbringen - Atomprivileg beenden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh- 1) Anlage 2 und 3 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms lung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken. Tagesordnungspunkt 29 d. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegen- heiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Frak- tion Die Linke mit dem Titel „Eine Europäische Gemeinschaft für die Förderung Erneuerbarer Energien gründen - EURATOM auflösen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/11723, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6151 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthal- tung der Grünen. Tagesordnungspunkt 29 e. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12653, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9578 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der SPD und zweier Ab- geordneter der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung von Linken und Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des gemeinsamen Antrags der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9579 mit dem Titel „Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen und zweier Abge- ordneter der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 29 f. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stillle- gung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraft- werke in Frankreich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/12675, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11206 abzu- lehnen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament- lich ab. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Gut. Dann eröffne ich die Ab- stimmung. - Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- karte eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe auf die Ta- gesordnungspunkte 30 a und 30 b sowie Zusatzpunkt 13: 30 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale ({0}) - Drucksache 17/12570 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({1})- Verteidigungsausschuss- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 30 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland - Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland - Drucksachen 17/11323, 17/11225, 17/12251 Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerWolfgang GehrckeHans-Christian Ströbele ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Brugger, Volker Beck ({4}), Marieluise Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequent vorangehen für eine atomwaffen- freie Welt - Drucksachen 17/9983, 17/12733 - 1) Ergebnis Seite 28655 D Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterUta ZapfDr. Rainer StinnerJan van AkenMarieluise Beck ({6}) Zum Jahresabrüstungsbericht 2012 der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Aussprache nicht teilzunehmen wünschen, den Saal zu verlassen, damit die anderen der Debatte folgen können. - Als erstem Redner erteile ich dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle das Wort. ({7})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir bitte, dass ich mich jenseits des Protokolls an Frau Kollegin Zapf wende. Frau Kollegin, ich möchte mich aus Anlass der Rede, die Sie gleich halten werden, sehr herzlich für die exzellente Zusammenarbeit insbesondere in der Abrüstungs- und Sicherheitspolitik und in der Außenpolitik insgesamt bedanken und meinen Respekt für Ihr langjähriges Wirken in diesem Hause zum Ausdruck bringen. Es wird möglicherweise die letzte Gelegenheit sein, dieses anlässlich einer Rede von Ihnen zum Ausdruck zu bringen. Herzlichen Dank im Namen der Bundesregierung und vielleicht auch im Namen der anderen Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind ein Schwerpunkt deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Schon in der Präambel des Grundgesetzes sind die beiden Kernpfeiler unserer Außenpolitik benannt, nämlich in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Friedenspolitik, Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung insbesondere von Massenvernichtungswaffen, das ist ein klarer Zusammenhang, den wir hier alle gemeinsam über die Parteigrenzen hinweg betonen und sehen. Wir wollen das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt erreichen. Wir wollen an dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt arbeiten. Deswegen setzen wir uns ein für Frieden, für Sicherheit, natürlich auch für Stabilität durch weniger Waffen, die Verhinderung von Proliferation und höhere Transparenz. Wir alle wissen aus den Erfahrungen der Geschichte, dass Abrüstungspolitik einen langen Atem braucht. Abrüstungspolitik braucht gelegentlich auch strategische Geduld, aber Abrüstungspolitik muss gerade dann mit langem Atem betrieben werden, wenn die großen Erfolge nicht gleich auf den ersten Blick greifbar sind. ({1}) Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Auch wenn wir in den letzten Jahren in manchen Bereichen bei der Abrüstung gern weiter gegangen wären, können sich die Erfolge der letzten Jahre weltweit sehen lassen. Wir haben einen sehr erfolgreichen Abschluss der Überprüfung des NATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs beim NATO-Gipfel in Chicago im letzten Jahr gehabt. Dort wurde das Profil der Allianz auch in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen gestärkt. Wenn man die NATO-Strategien der letzten Jahrzehnte betrachtet, kann man sagen: So viel Abrüstungsbekenntnis in der NATO gab es noch nie. ({2}) Das ist ein klarer Erfolg und ein wichtiges Anliegen; denn wir wissen alle, dass Verteidigung und Sicherheit engstens zusammengehören. Der Gipfel in Chicago ist noch kein Durchbruch gewesen, aber es ist ein Aufbruch. Umso wichtiger ist es, dass weitere Abrüstungsschritte ins Auge gefasst werden. Dazu gibt es ermutigende Zeichen, auch durch die Administration der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit neuem Elan treibt Präsident Obama die Abrüstungsagenda voran. Dabei werden wir Präsident Obama natürlich unterstützen. Wir wollen dabei alle Beteiligten mit an Bord nehmen. Jetzt gilt es aber, den Dialog mit Russland voranzubringen. Das Angebot der NATO, auch die substrategischen, die sogenannten taktischen Nuklearwaffen in den Abrüstungsprozess einzubeziehen, steht. Dass sich hierauf die NATO geeinigt hat, trotz mancher Meinungsunterschiedlichkeit innerhalb der NATO-Mitgliedsländer, ist ein guter Erfolg auch der deutschen Abrüstungspolitik. ({3}) Wir wollen die Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland weiter unterstützen. Wir werden weiter auf eine Reduzierung der in Europa stationierten Waffen hinarbeiten. ({4}) Die Bundesregierung ist den Zielen, die sie sich zu Beginn der Legislaturperiode gegeben hat, näher gekommen. Wir haben noch nicht alles erreicht - das war auch nicht zu erwarten -, aber wir werden unbeirrt und mit langem Atem an der Abrüstungspolitik einschließlich der nuklearen Abrüstung festhalten. ({5}) Die Bundesregierung ist natürlich auch für Fortschritte bei der konventionellen Rüstungskontrolle; denn jeder sieht, dass das eine nicht durch Führbarkeit von konventionellen Kriegen erkauft werden darf. Das heißt, auch die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa bleibt ein zentrales und unverzichtbares Element einer kooperativen Sicherheitsarchitektur. Ich will in diesem Zusammenhang ein Wort zur Raketenabwehr sagen. Die Haltung der Bundesregierung ist in dieser Frage glasklar: Wir wollen mehr Sicherheit und Stabilität in Europa. Wir sind der Überzeugung: Das ist nur mit Russland und nicht gegen Russland erreichbar. Wir wollen, dass Russland eingebunden wird. Wir wollen, dass Russland bei einer kooperativen Lösung und beim Dialog, wenn es um die Raketenabwehr geht, konsequent eingebunden wird. Dies ist ein wichtiges Angebot, das die Bundesregierung in der NATO durchgesetzt hat: Es geht hier nicht darum, sich gegen Russland aufzustellen. Es geht um ein Projekt, das gemeinsam mit Russland für mehr Sicherheit auf unserem Kontinent und in unserer Weltregion sorgen soll. ({6}) Weil mir nur wenige Minuten Redezeit gegeben sind, ({7}) will ich zum Schluss noch auf zwei Dinge eingehen, nämlich einmal auf Iran und Nordkorea, und dann folgt noch ein letzter Gedanke. Im Konflikt mit Iran verfolgt die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern im sogenannten E3+3-Format ihren Doppelansatz von Verhandlungsbereitschaft und Druckausübung. Wir können eine nukleare Bewaffnung des Irans nicht akzeptieren. Wir wollen das auf diplomatischem und politischem Wege verhindern. Das ist die gemeinsame Auffassung. Alles andere, was uns unterstellt wird, ist Propaganda: gegen uns, gegen den Westen, gegen die westlichen und allgemeinen Sicherheitsinteressen. ({8}) Iran hat auf unser Verhandlungsangebot in Almaty mit positiven Worten reagiert; das würdige ich ausdrücklich. Ich mache mir keine Illusionen, aber es ist erkennbar zumindest schon einmal ein Fortschritt, dass ein weiterer Prozess vereinbart werden konnte. Aber Gespräche nur um der Gespräche willen reichen nicht, sondern es braucht substanzielle und greifbare Ergebnisse. Ein Spielen auf Zeit ist kein Weg, den wir akzeptieren können. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf Nordkorea. Die Bundesregierung verurteilt in aller Schärfe den Nukleartest sowie die jüngsten Drohungen Nordkoreas mit einem nuklearen Erstschlag und der Aufkündigung des Nichtangriffspaktes mit Seoul. Wir sind alle gemeinsam der Auffassung: Die Kriegsrhetorik des Regimes in Nordkorea muss beendet werden. ({9}) Ich begrüße deshalb ausdrücklich die konstruktive Rolle Chinas. Wir appellieren an China, diese konstruktive Rolle auch in den sogenannten Sechsergesprächen weiter wahrzunehmen. Dass China sich an den jüngsten Sanktionsverschärfungen in New York beteiligt hat, ist ein wichtiges Signal auch an das Regime. Meine Damen und Herren, natürlich geht es um unsere Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative; vor allen Dingen geht es aber auch um die Postkonfliktbewältigung. Wir bleiben dabei, bei der Vernichtung von Waffen einen wesentlichen Anteil zu leisten. Deutschland hat eine große Expertise bei der Vernichtung zum Beispiel von chemischen Waffen. Wir zeigen das in Libyen und auch an anderen Orten. Wir sind bereit, diese Expertise und dieses Wissen mit einzubringen. Wir haben noch wichtige Aufgaben vor uns: der Kampf gegen die Verbreitung auch von Kleinwaffen in fragilen Staaten oder beispielsweise auch unser deswegen großes Bemühen für ein weltweit gültiges Waffenhandelsabkommen. Bei den anstehenden Verhandlungen wollen wir einen Erfolg. Wir wollen, dass Antipersonenminen und Streumunition endlich von der Welt verschwinden. Wir setzen hierbei auf Transparenz, Dialog und Diplomatie in einer engen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Alles in allem ist der Abrüstungsbericht ein Erfolgsbericht, ein Bericht auch über gute Fortschritte in der Abrüstungspolitik. Wir werden uns nicht auf ihm ausruhen, sondern im Interesse des Friedens in der Welt mit großem Nachdruck, mit großer Energie, aber vor allen Dingen mit großer Ausdauer weiter auf Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung hinarbeiten. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung - es ging um die Beschlussempfehlung zu einem Antrag betreffend die Verhandlungsaufnahme mit Frankreich bezüglich der Stilllegung von Atomkraftwerken - bekannt: abgegebene Stimmen 505. Mit Ja haben gestimmt 280, mit Nein haben gestimmt 225, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 505; davon ja: 280 nein: 225 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({9}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({11}) Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({12}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({13}) Dr. Kristina Schröder ({14}) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({15}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({16}) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({17}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({18}) Peter Weiß ({19}) Sabine Weiss ({20}) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({21}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({22}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Holger Krestel Patrick Kurth ({23}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({24}) Michael Link ({25}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({26}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({27}) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({28}) Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({29}) Nein SPD Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({30}) Edelgard Bulmahn Petra Crone Dr. Peter Danckert Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({31}) Kerstin Griese Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({32}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({33}) Frank Hofmann ({34}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({35}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({36}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Petra Merkel ({37}) Ullrich Meßmer Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Marlene Rupprecht ({38}) Annette Sawade Axel Schäfer ({39}) Ulla Schmidt ({40}) Swen Schulz ({41}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({42}) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Jan Korte Jutta Krellmann Sabine Leidig Michael Leutert Ulla Lötzer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Paul Schäfer ({43}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({44}) Volker Beck ({45}) Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({46}) Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Katja Keul Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({47}) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({48}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloserAbgeordneter Wolfgang Nešković Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Uta Zapf für die SPD-Fraktion. ({49})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre freundlichen und anerkennenden Worte. Das tut einem ganz gut, denke ich. Herzlichen Dank! Ich danke aber auch meinerseits, zum einen für den Bericht, der wie immer ein umfangreiches Kompendium ist. Das kann man gar nicht alles auf einmal konsumieren. Das verlangt auch keiner von uns. Aber ich glaube, damit haben wir immer eine Quelle der Information. Deshalb auch dafür herzlichen Dank! Zum anderen danke ich ganz besonders für die gute Zusammenarbeit im Unterausschuss. Ich glaube, wir haben eine gute Zeit miteinander gehabt in all den Jahren, die ich in diesem Unterausschuss sein durfte. Auch die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt war immer ausgesprochen positiv. Das muss ich ganz deutlich sagen, auch wenn ich jetzt vielleicht gelegentlich etwas Kritik anführe. ({0}) Wir unterstützen die Position der Bundesregierung nicht immer, aber doch immer wieder. Es ist auch nicht nur eine positive Bilanz, Herr Minister; in der Frage der Beurteilung des NATO-Gipfels bin ich ganz anderer Meinung. Für mich und für die SPD war das Ergebnis des NATO-Gipfels eine große Enttäuschung. Aus unserer Sicht ist die Rolle der Nuklearwaffen nicht wirklich minimiert worden; denn der bisherige Mix von konventionellen und nuklearen Waffen hat Bestand, solange es Nuklearwaffen gibt. Ich denke, das ist zu kurz gesprungen. ({1}) Der NATO-Abrüstungsausschuss ist ein Fortschritt. Das sehe ich auch so. Aber er ist gerade einmal etabliert, und was er macht und welche Ergebnisse er möglicherweise bringt, wissen wir noch nicht. ({2}) - Vorher gab es auch schon Anläufe. Ich erinnere mich ganz gut. Da waren Sie noch nicht im Parlament. Der Transparenzdialog mit Russland in Bezug auf die taktischen Nuklearwaffen hat noch nicht begonnen. Er ist angekündigt, aber ich denke, es ist höchste Zeit, dass er in Angriff genommen wird. Denn was wir wirklich anstreben, ist das, was diese Regierung versprochen hat, nämlich die taktischen Nuklearwaffen von deutschem Boden zu entfernen. Das zu erreichen, haben wir bisher keinerlei Aussicht. Stattdessen steht uns die Modernisierung der B61 ins Haus. Der Antwort auf unsere Große Anfrage entnehmen wir: Das ist eine nationale Angelegenheit der USA. - Nein, liebe Freunde, das ist es nicht. Ich glaube, das ist eine Angelegenheit, die auch uns sehr berührt. ({3}) Herr Minister Westerwelle, Sie haben, als Obama wiedergewählt wurde, gesagt, nun müsse es neue Impulse geben und ein energischer weiterer Schritt gemacht werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich sehe keine energischen Schritte, erst recht nicht in der Frage der Modernisierung der Bomben, die auch in Büchel liegen. Mutig wäre es in der Tat, wenn wir sagen würden: Nein, wir modernisieren den Tornado nicht, der als Trägersystem notwendig ist. Dann kann man die modernisierte B61 auch nicht dranhängen. - Stattdessen haben Sie in Chicago unterschrieben - mit Brief und Siegel -, dass wir die Trägersysteme adäquat in Betrieb halten, sodass auch modernisierte B61 in Betrieb genommen werden können. Ich halte das für falsch und hoffe, dass wir darüber noch intensiv diskutieren werden. ({4}) Die NATO will durch Transparenzmaßnahmen bei den taktischen Nuklearwaffen mit Russland Fortschritte bei der Abrüstung von substrategischen Nuklearwaffen erreichen. Wie lange dauert das aber, wenn der Dialog noch nicht einmal begonnen hat? Die in Europa stationierten substrategischen Nuklearwaffen taugen nicht als Verhandlungsgegenstand, wie immer behauptet wird. Russland fordert - ich denke, das ist eine Forderung, die man ernst nehmen darf -, dass diese Waffen jeweils auf das eigene Territorium zurückgezogen werden, dass also die in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen in die USA zurückgebracht werden und dass man erst dann über weitere Schritte redet. Wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob das nicht eine gute Idee ist; denn diese Waffen sind zu nichts nutze. Sie liegen da und kosten Geld. Das können wir uns in der Tat sparen. ({5}) Auch der Herr Minister hat deutlich davon gesprochen, dass wir gemeinsame Sicherheit, kooperative Sicherheit brauchen. Das ist in der Tat wahr. Das ist insbesondere für die Aufrechterhaltung oder die Wiederherstellung der Rüstungskontrolle in Europa notwendig. Deshalb frage ich nicht nur mich, sondern uns alle: Was ist denn mit dem Medwedew-Vorschlag passiert? Was ist mit dem Korfu-Prozess passiert? Was ist mit den Beschlüssen in Astana passiert? Der Korfu-Prozess, der eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa definieren sollte - und zwar eine gemeinsame -, ruht. Mit ihm befassen sich momentan nur Wissenschaftler. Aber dieser Prozess sollte in die Politik überführt werden. Wir sollten genau darüber mit Russland reden, weil wir sonst einfach nicht vorankommen, auch in den Abrüstungsprozessen nicht. ({6}) Wir brauchen - das bestätigen Wissenschaftler immer wieder - mehr Vertrauen zwischen Russland und den westlichen Partnern, den USA und der NATO. Es gibt ein tiefes Misstrauen auf beiden Seiten. Nukleare Abrüstung wird ohne Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle überhaupt nicht möglich sein. Der KSEVertrag ist zurzeit mausetot. Das heißt, er muss dringend wiederbelebt werden. Durch das Scheitern des KSE-Vertrags gibt es keine Inspektionen, keine Transparenz und keine Vertrauensbildung. Das, was die Bundesregierung auf den Weg bringen will - das Ziel der verifizierten Transparenz -, muss noch Formen annehmen, die greifbar und umsetzbar sind. Der A-KSE-Vertrag wurde von den NATO-Staaten nicht ratifiziert. Ich habe das für einen Fehler gehalten. Die Nichteinhaltung der Istanbul-Verpflichtungen - das betrifft die Stationierung von Truppen der Russen in Georgien zum Beispiel und die Munitionsbestände, die in Moldawien und Transnistrien lagerten - war ein Grund dafür. Die Nichtratifizierung war aber ein Fehler, weil das eigentlich nicht zusammenpasst. Wenn wir an der Rüstungskontrolle im konventionellen Bereich festhalten wollen, dann müssen wir neue Ansätze finden. A-KSE wird nicht neu aufgelegt werden können, sondern es wird einen neuen Anlauf geben müssen. Es hat mich sehr gefreut, dass wir im Unterausschuss ein Gespräch mit Herrn Schmidt von der HSFK hatten, der ein Spezialist für den KSE-Vertrag ist. Er sagte, die Initiativen, die die Bundesregierung unternommen habe - diese waren nicht der Presse zugänglich und lagen auch nicht offen auf dem Tisch -, seien positiv und daher sehr zu loben. Insofern habe ich auch keine Schwierigkeiten damit, an dieser Stelle die Bundesregierung zu loben und zu ermutigen, in diese Richtung weiterzugehen. ({7}) - Da können ruhig alle klatschen. Es gibt aber eine Bedingung, deren Einhaltung ich für dringend notwendig halte, weil die Fortschritte, die wir uns wünschen, nicht erreicht werden können, wenn wir nicht bei der Raketenabwehr neue Gedanken entwickeln. Es gibt eine sicherheitspolitische Veränderung beim Design konventioneller Waffen in Europa und in den USA. „Prompt Global Strike“ und „Long-Range Strike“ sind Dinge, die die Russen total irritieren und die eine andere sicherheitspolitische Situation geschaffen haben. Ich denke, die Raketenabwehr ist ein wichtiger Punkt. Also müssen wir an diesen drei Stellen neue Ansätze finden. Eine kooperative Lösung zwischen der NATO und Russland ist deshalb dringlich. Dringender Handlungsbedarf wird auch von der Wissenschaft gesehen. Das haben wir in dieser Woche im Unterausschuss gehört. Ich glaube, wir sollten in unserem eigenen Interesse dieses Thema nicht so aus dem Blick verlieren, wie dies vielleicht in den letzten Monaten und Jahren geschehen ist. Die neuen östlichen NATO-Staaten haben historisch bedingt tiefes Misstrauen gegen Russland und wünschen Sicherheit durch Stationierung westlicher oder US-Truppen. Was passiert dann aber auf russischer Seite? Löst das dann nicht ein neues Wettrüsten aus? Dies ist nicht in unserem Interesse. Deshalb werden wir uns bemühen müssen, alles zu tun, um wieder Vertrauen und Transparenz zu schaffen, aber auch um Strukturen abzubauen, die dem Interesse entgegenstehen, gemeinsame Sicherheit zu organisieren. ({8}) Ich nenne noch ein paar Stichworte dazu. Das Wiener Dokument - so wurde es in Astana auf dem OSZE-Gipfel verabredet - sollte erweitert und verbessert werden. Es ist nicht viel passiert. Ich halte das aber für wichtig, weil das eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme ist. Als Letztes möchte ich noch den Vertrag über den Offenen Himmel erwähnen. Dieser macht uns allen Sorgen; denn er droht kaputtzugehen. Dieser Vertrag ist aber eine der wichtigen Maßnahmen. Es mag sein, dass wir den Streit zwischen der Türkei und Griechenland, der die Tagesordnung immerfort behindert, noch bereinigen können. Wir können aber nichts daran ändern, dass die Flugzeuge, die die Trägersysteme für die optischen Einrichtungen darstellen, das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen. Deshalb muss eine Lösung gefunden werden. Der Unterausschuss hat sich dafür ausgesprochen, ein neues System zu kaufen. Herr Minister, dabei sind wir uns alle einig gewesen; denn gerade durch diese gemeinsamen Inspektionen und durch den Informationsaustausch ist großes Vertrauen geschaffen worden, das wir nicht erodieren lassen dürfen. Dafür haben wir uns ausgesprochen. Vielleicht gelingt es, auch noch einen Antrag in der Richtung zu formulieren. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich bitte gleich zu Beginn als stellvertretender Vorsitzender unseres Unterausschusses Ihnen, Frau Kollegin Zapf, ganz herzlich danken für Ihre Arbeit in den letzten vier Jahren, in denen ich sie mitverfolgen konnte. Ich glaube, der heutige Bericht ist Anlass genug, einmal Ihre Arbeit zu würdigen. Ihnen, Frau Zapf, ist es gelungen, mit dem Unterausschuss ein wirklich sehr gutes Instrument der gegenseitigen Information zu schaffen und die Arbeit trotz parteipolitischer Prägung sehr übergreifend zu organisieren. Der Unterausschuss ist ein guter Informationsausschuss geworden, der viele Anregungen gibt. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Das Ganze wäre nicht machbar, wenn nicht auf der Seite der Exekutive das Auswärtige Amt uns so umfassend informieren würde. Hier möchte ich insbesondere Herrn Botschafter Nikel und sein Team ansprechen. Herr Außenminister, vorzüglich! ({1}) Es gibt nur wenig Anlässe im Deutschen Bundestag, zu denen wir übergreifend über Sicherheitspolitik diskutieren. Die Diskussion über Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung bietet einen Anlass dazu, weil sie Gelegenheit gibt, über übergreifende sicherheitspolitische Zielvorstellungen zu sprechen. Wir als Parlamentarier sind aufgerufen, Dinge, die zusammengehören, zu verzahnen. Zu einer guten sicherheitspolitischen Strategie gehört nicht nur die Beantwortung der Frage, wie eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder der transatlantische Pfeiler der NATO gestärkt werden können, sondern auch, wie wir mit weniger Waffen und mit höherer Transparenz mehr Vertrauen und vor allen Dingen mehr Sicherheit schaffen. Wenn es uns gelingt, Abrüstungspolitik, Rüstungskontrolle und Verifikation mit einer europäischen Sicherheitsstrategie, aber auch mit einer nationalen Sicherheitsstrategie - das Auswärtige Amt erarbeitet gerade eine - zu verzahnen, dann sind wir einen erheblichen Schritt weiter. Deshalb möchte ich aus dem aktuellen Abrüstungsbericht gerne einige Punkte ansprechen. Zunächst zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung mit Blick auf den Nichtverbreitungsvertrag. Hier ist es uns gelungen, in Diskussionen dafür zu werben, eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen und Mittleren Osten zu erreichen. Wir alle wissen, wie verhärtet dort die Lage ist. Deswegen müssen wir den dortigen Staaten ein Ziel, eine Vision bieten. Die gegenwärtige Sicherheitspolitik muss irgendwann einmal transformiert werden, damit die Waffen, die dort im Verborgenen sind und über die wir diskutieren, aus dieser Region verbannt werden. Es darf nicht geschehen, dass sich die Lage zuspitzt und es zu einem nuklearen Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten kommt. Zur konventionelle Abrüstung. Frau Zapf hat zu Recht die Weiterentwicklung des sogenannten KSE-Vertrags angesprochen. Es ist der Bundesrepublik gelungen, gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark für Impulse zu sorgen, sodass wir im Bereich der konventionellen Abrüstung möglicherweise bald Fortschritte erzielen. Herr Außenminister, ich möchte ausdrücklich Ihre Worte im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Russland unterstreichen. Es ist ganz entscheidend, dass wir in drei Bereichen mehr Kooperation erreichen: im Bereich der Raketenabwehr, im Bereich der substrategischen Atomwaffen und im Bereich der konventionellen Abrüstung. Hilfreich wäre sicherlich, wenn man eine übergreifende Bedrohungsanalyse erreichen würde. Aber, Frau Zapf, Medwedew ist nicht mehr Präsident; Putin bestimmt die Richtlinien der russischen Politik. Ich glaube, es ist eine ganz wichtige Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik, hier weiterhin am Ball zu bleiben. Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass die NATO nicht nur auf ihrem Gipfel in Chicago, sondern auch beim Strategischen Konzept Abrüstung und Rüstungskontrolle zum Thema gemacht hat. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend. ({2}) Ich komme zu einem weiteren Bereich, wo die Bundesregierung sehr gut arbeitet. Es handelt sich um das Einsammeln von Kleinwaffen in Nordafrika. Das betrifft die Konsequenzen der Proliferation und die Fragen der Endverbleibskontrolle, was in der Vergangenheit schwierig zu lösen war. Das Einsammeln von Kleinwaffen bedeutet mehr regionale Sicherheit. Das geht natürlich nur abgestimmt mit den Partnern. Ein Letztes möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen: die internationale Kooperation der G 8, der acht großen Industriestaaten, speziell die Initiative „Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien“. Hier wurden seit 2002, also seit gut zehn Jahren, 20 Milliarden Euro international eingesetzt. Deutschland ist mit 1,5 Milliarden Euro der zweitgrößte Geber. Wir fokussieren insbesondere auf Russland und hier auf die Sicherung von Nuklearwaffen und Reaktoren in geschützten Gebäuden. Darüber hinaus geht es uns um die Vernichtung von Chemiewaffen in Russland. Das ist uns 1,5 Milliarden Euro wert. Dies ist sicherlich auch ein Punkt, der Verhandlungen mit Russland beschleunigen müsste. Vielleicht kann unsere deutsche Diplomatie etwas mehr mit dieser Karte spielen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend möchte ich auf den Vertrag über den Offenen Himmel eingehen. Er schafft die Grundlage für ein vorbildliches Verifikationsinstrument. So wird es möglich, Schulter an Schulter mit ehemaligen Gegnern aus Flugzeugen heraus Verifikationen über bisher verschlossenen Gebieten vorzunehmen. Im Jahr 1997 ist das Flugzeug, das Deutschland hierfür zur Verfügung gestellt hatte, bei einem schrecklichen Unglück vor der afrikanischen Küste abgestürzt. Seither nutzen wir Mietlösungen. Eine Kauflösung würde etwa 34 Millionen Euro kosten. Die Gelder dafür sind nicht vorhanden. Allerdings bin ich dem Bundesverteidigungsministerium dankbar, dass es zurzeit mit unseren rüstungskontrollpolitischen Partnern auslotet, wer bereit wäre, sich hier zu engagieren. Es geht darum, die Kosten der Beschaffung von 34 Millionen Euro und des jährlichen Betriebs von etwa 6 Millionen Euro aufzuteilen. Ich denke, wenn es uns gelingt, hier für mehr Partnerschaft zu sorgen, erhalten wir ein Instrument, das eine Verifikation im täglichen Erleben leistet und zugleich eine vertrauensbildende Maßnahme darstellt. Die Dinge, die wir in den vergangenen 20 Jahren für Europa entwickelt haben, brauchen wir, um unsere Nachbarschaftspolitik besser zu gestalten. Ich sprach eingangs davon, dass Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung Themen sind, die in eine sicherheitspolitische Strategie eingebunden sein müssen. Wir haben im Hinblick auf die südliche Nachbarschaft in Afrika alle Hände voll zu tun, dass den dortigen Staaten eine Grundstabilität vermittelt wird und sie freiwerdende Mittel nicht dafür verwenden, in einen Rüstungswettlauf an der südlichen Küste des Mittelmeers einzutreten. Wir sollten diesen Staaten helfen, dass sie unter Rückgriff auf Erfahrungen mitteleuropäischer Staaten im Bereich der Abrüstung ein vertrauensbildendes Kontrollsystem, eine Art Verifikationssystem, aufbauen, und zwar hinsichtlich des Öffnens ihrer Waffentresore und hinsichtlich verbindlicher Obergrenzen für bestimmte Rüstungsgegenstände. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es uns gelingt, innerhalb der EU stärker dafür zu werben, können wir zumindest erreichen, dass das, was uns Mitteleuropäer auszeichnet - vertrauensvolle Zusammenarbeit, Kooperation und Transparenz -, auch für unsere südlichen Nachbarn ein Anreiz ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allein im letzten Jahr hat die deutsche Rüstungsindustrie das Volumen ihrer Exporte in die Golfstaaten mehr als verdoppelt: von 570 Millionen Euro auf mehr als 1,4 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, wie das Thema Abrüstung in dem Bericht der Bundesregierung behandelt wird, ein Hohn. Das sieht man zum Beispiel daran, wie über den NATO-Gipfel berichtet wird: Die Ergebnisse von Chicago werden als Erfolg verkauft. Auf genau diesem NATO-Gipfel aber hat das Kriegsbündnis seine Atomwaffen als „Kernkomponente“ bezeichnet. ({0}) Von einer atomwaffenfreien Welt sind wir weiter entfernt denn je. Die deutsche Regierung hat sogar zugesagt, ihre Tornadoflotte für teures Geld zu modernisieren, damit sie auch in Zukunft für den Abwurf von Atombomben bereitsteht. Die NATO hat damit bekräftigt, dass weiterhin mit der Hiroshima-Drohung Politik gemacht wird. Gegen diese Kriegspolitik haben in Chicago 20 000 Menschen demonstriert; und das war gut so. ({1}) Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, eine atomwaffenfreie Welt sei weiterhin Ihr Ziel. Der vorliegende Jahresabrüstungsbericht nennt das geplante Raketenabwehrsystem „einen nachhaltigen Fortschritt in Richtung größerer Sicherheit“. Das Gegenteil ist der Fall. Das geplante Raketenabwehrsystem sorgt weder für mehr Sicherheit in Europa noch für nukleare Abrüstung. Raketenabwehr wird Atomwaffen nicht ersetzen; es ist kein rein defensives System. Im Gegenteil: Es macht militärische Offensiven wahrscheinlicher. Schwert und Schild gehören in der Militärstrategie traditionell zusammen. Die Aufrüstungsspirale wird dadurch weiter angeheizt. Die Linke sagt als einzige Partei Nein zu Atomwaffen und Nein zu dem Raketenabwehrsystem. ({2}) Aus diesem Grund müssen wir auch den SPD-Antrag ablehnen, der sich unter anderem für die Raketenabwehr ausspricht. Schade, denn ansonsten enthält dieser Antrag viele sinnvolle Forderungen. Aber als Friedenspartei ({3}) wendet sich die Linke gegen jede Form der militärischen Aufrüstung. ({4}) Dann enthält der Bericht wieder einmal die übliche Kritik an den Staaten, die die Bundesregierung nicht als ihre Verbündeten ansieht. Da ist immer wieder die Rede von der Bedrohung durch den Iran und sein angeblich militärisches Atomprogramm. Dabei gibt es in allen IAEO-Berichten keine Beweise dafür, dass der Iran nach 2003 weiter an der Atombombe gebastelt hat. Spekulationen, Halbwahrheiten und Lügen führen schnell zum Krieg. Hören Sie auf damit! Sorgen Sie zuerst dafür, dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. ({5}) Die Bundesregierung lobt sich dafür, dass sie den Druck auf Nordkorea erhöht hat. Dieses Thema wird zurzeit heftig diskutiert. Meine Damen und Herren, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass die USA ihre Militärpräsenz in der gesamten Region Ostasien und Pazifik massiv ausbauen und gerade ein großes Manöver in Südkorea durchführen? ({6}) Die Aufrüstung und das Säbelrasseln Nordkoreas lehnen auch wir ab; ({7}) aber man muss beides im Zusammenhang mit der starken US-Präsenz in der Region sehen. Hier einseitig Pjöngjang mit Sanktionen zu belegen, ist kontraproduktiv. ({8}) Regionale Abrüstungsinitiativen werden auch hier nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn alle Beteiligten einbezogen werden. ({9}) Ein weiterer Misserfolg der weltweiten Abrüstungspolitik im Jahre 2012 war die Absage der geplanten Konferenz für einen atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Osten. Es wäre für eine friedliche Entwicklung in der Region und weltweit gut, wenn es in der Region keine Atomwaffen mehr geben würde. Dann müsste aber auch Israel seine Atombomben abschaffen. Die Bundesregierung will sich weiter für die Einberufung dieser Konferenz einsetzen. Allerdings schweigt sie darüber, wie man das machen will. Hier stellt sich die Frage, wie man die inoffizielle Atommacht Israel ({10}) zum Mitmachen bewegen kann. Bestimmt nicht durch die Aufrüstung mit deutschen U-Booten! ({11}) Man kann den deutschen Jahresabrüstungsbericht nicht losgelöst von den deutschen Rüstungsexporten betrachten. Deutschland ist inzwischen der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Wie passt dies damit zusammen, dass die Regierung sich rühmt, 2012 etwas gegen die Verbreitung von Kleinwaffen getan zu haben? Wie kann man einerseits das Kleinwaffen-Aktionsprogramm stärken und andererseits Kleinwaffen an den Menschenrechtsmusterknaben Saudi-Arabien exportieren, zumal man dorthin nicht nur Kleinwaffen exportiert, sondern auch Panzer und Drohnen? Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein. Wir wollen keine Geschäfte mit dem Tod. ({12}) Wenn ich den Jahresabrüstungsbericht einem Realitätscheck unterziehe, bleibt von Abrüstung nicht viel übrig - nur die Erkenntnis: Die Regierung will überall abrüsten, nur nicht im eigenen Land und nicht bei den Verbündeten. Das ist heuchlerisch. Abrüstung beginnt im eigenen Land. Wir Linken wollen eine echte Abrüstungspolitik. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Agnes Brugger von Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Uta Zapf, auch ich möchte mich bei dir ganz herzlich für die tolle Zusammenarbeit bedanken. Ich finde, in deiner sechsten Legislaturperiode hast du gezeigt, wie man mit viel langem Atem, mit viel Hartnäckigkeit, mit viel Herzblut und Leidenschaft für das wichtige Thema Abrüstung eintreten kann. Das hat mich persönlich sehr beeindruckt. ({0}) Ich danke auch für den Jahresabrüstungsbericht der schwarz-gelben Bundesregierung. Er ist in der Tat ein sehr schön formuliertes und umfangreiches Papier. Doch seitenweise schöne Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der schwarz-gelben Abrüstungspolitik an Substanz fehlt; denn es fehlt ihr auch an Glaubwürdigkeit, an Elan und an Konsequenz. Dafür möchte ich drei Beispiele nennen. Erstens. Herr Minister Westerwelle, Sie bekennen sich hier mit großen Worten zum Willen der Bundesregierung, für globale Abrüstung einzutreten. Die Frage ist natürlich - ich greife da das Stichwort „Verzahnung“ des Kollegen Kiesewetter auf -, was Sie jenseits dessen tun, was im Bericht geschrieben steht. Da sehen wir: Die Kanzlerin hält Waffenexporte nach dem Motto „Ertüchtigung statt Einmischung“ offensichtlich für ein wesentliches Instrument einer neuen deutschen Außenpolitik. Ausgewählte Staaten, ungeachtet der Menschenrechtslage, sollen mit deutschen Waffen befähigt werden, regional für eine vermeintliche Stabilität zu sorgen. Wir halten diesen Kurs für falsch und für grundgefährlich. ({1}) Oder nehmen wir Verteidigungsminister de Maizière, der in den Verteidigungspolitischen Richtlinien Deutschlands Festhalten an der nuklearen Abschreckung bekräftigt hat. Herr Minister Westerwelle, was auch immer Sie heute und an anderer Stelle in Sachen Abrüstung sagen, solche Aktionen und das Handeln der Bundesregierung entlarven das als Lippenbekenntnis. Zweites Beispiel. Die nukleare Abrüstung haben Sie am Beginn der Legislaturperiode zu einem wichtigen Ziel erklärt. Auch der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland wurde im schwarz-gelben Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt. Und doch werden nun diese Atombomben im Rahmen des amerikanischen LifeExtension-Programmes modernisiert und damit nicht abgezogen, sondern für eine lange Zukunft ertüchtigt. Auch die NATO ist weit davon entfernt, sich von den Nuklearwaffen zu verabschieden. Nach der Wiederwahl Barack Obamas als Präsident der Vereinigten Staaten im November und seiner Ankündigung, neue Verhandlungen mit Russland aufnehmen zu wollen, ließ der Außenminister verlauten, er hoffe nun auf neue Impulse in der Abrüstung. In dieser Äußerung tritt die ganze Passivität Ihrer Politik zutage. Sie warten immer nur auf den amerikanischen Taktgeber. Auch durch diese Passivität scheitern Sie. ({2}) Drittens. Herr Minister Westerwelle, Sie haben auch die Ächtung von Landminen und Streumunition angesprochen. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung für eine Universalisierung des entsprechenden Abkommens einsetzt. Aber es klafft auch in Deutschland eine erhebliche Lücke. Es ist nämlich immer noch erlaubt, in Unternehmen zu investieren, die diese barbarischen Waffen herstellen. Mit aller Kraft sträubt sich die schwarz-gelbe Koalition gegen ein gesetzliches Investitionsverbot. Das nenne ich inkonsequent. ({3}) Ich habe oft den Eindruck, ein grundlegendes Problem Ihrer Abrüstungspolitik ist die Mutlosigkeit. Dafür war die Lesung des Antrags der grünen Bundestagsfraktion, über den wir heute unter anderem abstimmen werden, ein gutes Beispiel. In unserem Antrag „Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreie Welt“ machen wir einmal mehr deutlich, dass Deutschland für ein starkes und vor allem glaubwürdiges Engagement bei der nuklearen Abrüstung bei sich selbst beginnen muss. Deshalb fordern wir Grüne zum Beispiel die Beendigung des Beitrages der Bundeswehr mit Trägersystemen und Piloten zum Bereithalten der US-Nuklearwaffen in Deutschland. Wir wollen, dass ihr Abzug endlich Realität wird und sagen deshalb klar Nein zu einer Modernisierung der Trägersysteme und dieser Atombomben. ({4}) Es geht aber auch um das deutsche Engagement auf internationaler Ebene, zum Beispiel für eine Konvention, die Nuklearwaffen für immer verbietet. In der Beratung unseres Antrags hier im Parlament haben wir dazu von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, in erster Linie zu hören bekommen: Das können wir nicht machen. Das geht nicht. Das wird nichts. Ja, der Weg zur atomaren Abrüstung ist langwierig und schwierig, aber offenbar haben Sie schon aufgegeben. Sie hocken sich an den Wegrand und warten nur darauf, dass jemand voranschreitet und Sie mitzieht. Sicher, bei der atomaren Abrüstung haben wir in den vergangenen Wochen auch herbe Rückschläge erlebt. Die Konferenz zur massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten kam nicht zustande, die Entwicklungen im Iran und die schrillen Ankündigungen aus Nordkorea bieten Anlass zu großer Sorge. Aber, meine Damen und Herren, Verzagen hilft nicht, Aufgeben gilt nicht. Mit einer „Geht nicht“-Einstellung bewegt man schließlich gar nichts. Es gibt viel zu tun für eine friedliche Welt. Doch in den vergangenen dreieinhalb Jahren hat diese Bundesregierung kaum mehr geschafft, als leere Versprechungen zu produzieren und diese dann auch noch durch eine ausufernde Rüstungsexportpolitik zu konterkarieren. Es wird höchste Zeit für den Wechsel, damit Deutschland endlich wieder zum Vorreiter für die globale Abrüstung wird. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Erich Fritz von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich schon gefreut, dass es zum Ende dieser Woche doch noch eine Debatte gibt, die nicht vom Wahlkampf bestimmt wird. ({0}) Nun ist es zum Schluss doch nicht ganz gelungen. Das kann man Ihnen nachsehen. Aber ich muss sagen: Der Auftakt der Debatte hat mich viel mehr begeistert als das, was Sie eben vorgetragen haben, liebe Kollegin. Meine Damen und Herren, die Vorträge, die wir am Anfang gehört haben, vor allen Dingen die Erläuterungen des Außenministers, zeigen, dass die Bundesregierung den selbstgestellten Auftrag, eine aktive Abrüstungspolitik zu betreiben, tatsächlich ernst nimmt. Keine Fraktion in diesem Haus ist eine Weltmacht, die andere Mächte bewegen könnte, dies oder jenes schneller zu machen, oder durchgreifende Erfolge in kurzer Frist gewährleisten könnte. Die Agenda der Abrüstungspolitik lässt sich nicht mit der Agenda von Wahlterminen synchronisieren. ({1}) Abrüstungspolitik lässt sich auch nicht durch Maximalforderungen beschleunigen, sondern sie ist einer der Politikbereiche, in dem es am wesentlichsten darauf ankommt, die Realitäten ganz genau zu beschreiben, die Interessen der Beteiligten genau zu kennen und neben ihren Interessen auch noch ihre Reaktionen und ihre Emotionen zu berücksichtigen. ({2}) Ich möchte das am Beispiel Russlands gerne etwas vertiefen. Kollege Kiesewetter hat die drei Bereiche, in denen man mit Russland weiterkommen könnte und auch sollte, beschrieben. Warum ist das so schwer? Warum haben wir so ein schwieriges Dialogverhältnis mit Russland in diesem Bereich? Zum einen gibt es alte Vorbehalte und tiefsitzendes Misstrauen, das durch vergleichsweise kleine Falschreaktionen oder schräge Töne schnell wieder geweckt wird. Das muss man berücksichtigen. So etwas kann man nicht in kurzer Frist beheben. Das Zweite ist, dass die Russen nicht nur auf diesem Feld sehr dazu neigen, dem Partner einen sehr weitreichenden und konstruktiven Vorschlag auf den Tisch zu legen, dann aber zu warten, was der andere daraus macht. Man kommt aber nur voran, wenn man in beide Richtungen in kleinen Portionen mit Konkretisierungen arbeitet. Drittens. Warum scheitert das auf russischer Seite immer wieder, was viele in Russland selbst bedauern? Das hängt damit zusammen, dass all die Sicherheitsdebatten in Russland immer noch eine ganz entscheidenden Bedeutung in der innenpolitischen Diskussion haben, und dass die Frage der Akzeptanz der Führung ganz wesentlich mit dem Signal: „Ich bin bereit, Sicherheit auch unter schwierigen Bedingungen und gegen einen angeblich starken Feind zu gewährleisten“, zusammenhängt. Das ist schade. Das heißt, wir müssen versuchen, vertrauensbildende Maßnahmen - Frau Zapf hat es genau richtig beschrieben - zu ergreifen. Wir müssen positive Anreizimpulse setzen, ({3}) was allerdings nicht so leicht ist. Ich hätte gedacht, wenn man als Europäer zum Beispiel hilft, die Abrüstung der Atom-U-Boote zu fördern oder die Chemiewaffen zu beseitigen - wie es gerade schon vorgetragen worden ist -, dann würde das als das entsprechende Zeichen aufgefasst, dass einem daran liegt, hier sehr kooperativ vorzugehen. Es ist also sehr schwierig. Ich bin froh, dass es auf der Seite der NATO einen gemeinsamen formulierten Willen zur Abrüstung gibt. Wir können dazu beitragen, indem wir das positiv begleiten und nicht kleine Münze machen, indem wir eine Atmosphäre erzeugen, die uns hilft, Schritt für Schritt weiterzukommen. ({4}) Meine Damen und Herren, der Außenminister hat ja deutlich gemacht, dass auch in den USA ein Perspektivwechsel erwogen wird. Wir sollten auf europäischer Seite eine die Aspekte zusammenfassende Debatte über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union und über eine gemeinsame Außenpolitik intensivieren. Warum sollten wir das tun? Warum hat das etwas mit Abrüstung zu tun? Ich glaube, dass der Umgang mit unseren zukünftigen Partnern südlich des Mittelmeers sowie die Möglichkeit der Einflussnahme auf die sicherheitspolitische Situation im Nahen Osten nur dann gegeben ist, wenn sich die Europäer selbst in die Lage versetzen, eine gemeinsame aktive Rolle zu übernehmen. ({5}) Wir haben aber zu viele Stellen, an denen alte Reflexe das gemeinsame europäische Handeln konterkarieren. Gerade wenn wir an die vergangenen Jahre denken, wird klar, dass die Reaktionen nicht immer ideal waren. Das gilt auch für den Beginn der Mali-Diskussion. Ich will das jetzt nicht kritisieren, aber doch sagen, dass man sich da etwas anderes hätte vorstellen können. Ich war mit dem Kollegen Kiesewetter vor nicht allzu langer Zeit in Libyen. Ich weiß, wie sehr man uns dort vertraut und akzeptiert. Man schätzt unser Engagement im Bereich der Minenräumung und unseren Versuch, mit Argumenten bei der Entwaffnung der Milizen oder wie auch immer man diese Einheiten nennen will zu assistieren. Wenn man die Zustände sieht, unter denen das dort geschehen muss, weiß man, dass das alles andere als einfach ist. Ich glaube also, dass wir sowohl in der großen politischen Linie wie auch in den konkreten Aktionen und im Umgang mit Partnern eine sehr gute Abrüstungspolitik betreiben. Der Bericht ist deshalb zu Recht von verschiedenen Seiten gelobt worden. Ich kann der Bundesregierung nur sehr dafür danken, dass sie dieses Thema weiterverfolgt, und zwar mit genau der Konsequenz und Beharrlichkeit, die das Thema verlangt. Alles andere, jede Form des Aktivismus ist bei diesem Thema unangebracht und ohnehin nutzlos. ({6}) Ich schließe mich dem Dank an die Kollegin Zapf sehr gerne an, obwohl ich sie lange Zeit bei diesem Thema eher besichtigt als gestört habe. ({7}) Wir sind gemeinsam 1990 in den Bundestag gekommen. Das hat uns nun beide veranlasst, nicht mehr zu kandidieren. Da es aber noch ein paar Themen in der Pipeline gibt, zu denen ich die Möglichkeit habe, zu sprechen, ist dies sicherlich nicht meine letzte Rede. Ihnen jedenfalls wünsche ich alles Gute. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12570 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Jahresabrüstungsbericht 2012 der Bundesregierung. Interfraktionell ist vereinbart, über den Entschließungsantrag auf Wunsch der einbringen- den Fraktion, abweichend von der Geschäftsordnung, sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag auf Drucksache 17/12703. Wer stimmt da- für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die ein- bringende Fraktion abgelehnt. CDU/CSU, FDP und Linke waren dagegen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 17/12251. Zunächst zu der Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland - Ab- rüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen“. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner Be- schlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11323 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Dage- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt gen waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke hat sich enthalten. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11225 mit dem Titel „Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion. Die Linke war dagegen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Zusatzpunkt 13. Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Konsequent vorangehen für eine atomwaffenfreie Welt“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 17/12733, den Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9983 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist angenommen bei Zustimmung der CDU/ CSU und der FDP. Dagegen waren Linke und Bünd- nis 90/Die Grünen. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern - Drucksache 17/12689 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})- Innenausschuss - Rechtsausschuss - Finanzausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Gesundheit - Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik - Drucksache 17/12694 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1})Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre und sehe ich keinen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen. Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Elvira Drobinski-Weiß. ({2})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Es ist nun genau ein Jahr her, dass uns Ministerin Aigner erklärt hat, ihr Auftrag sei - ich zitiere - „Kennedy 2.0“. Heute, am Weltverbrauchertag 2013, müssen wir leider feststellen: Auftrag nicht erfüllt, „Kennedy 2.0“ war eine Mogelpackung. Beispiel Lebensmittel. Da hieß es - ich zitiere -: Was draufsteht, muss auch drin sein. Die Menschen wollen ehrliches Essen - und dafür kämpfe ich. Das sagte Ministerin Aigner in ihrer Rede vor einem Jahr zum Weltverbrauchertag. Es war ein wenig erfolgreicher Kampf: Gammelfleisch, Dioxin in Eiern, Antibiotika in Hähnchen, Ehec, falsch etikettierte Eier, Pferdefleisch als Rindfleisch - all das hat mit ehrlichem Essen nichts zu tun. Leider wird sich das mit dieser Bundesregierung kaum ändern, denn dafür würde man mindestens dreierlei benötigen: eine ehrliche Analyse der Schwachstellen in der Lebensmittelkette und ihrer Kontrollen; den ehrlichen Willen, daran etwas zu ändern, und zwar auch dann, wenn man sich dabei mit der Wirtschaft anlegen muss; und eine ehrliche Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, sodass auch in Täuschungsfällen und bei Falschetikettierung Ross und Reiter genannt werden. ({0}) Kennedy forderte in seiner Rede zum Verbraucherschutz am 15. März 1961 für Verbraucher das Recht auf Informationen. Heute aber gibt es von Kennedy - geschweige denn von „Kennedy 2.0“ - keine Spur. Letzte Woche wurde in Windeseile das Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch geändert. Nichts hat sich dadurch verbessert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wir, die SPD, haben Sie davor gewarnt; denn die Hürden sind dafür zu hoch. Die Änderung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches wird nicht dazu führen, dass die Behörden über Täuschungsfälle informieren. ({1}) Das meinen auch die Juristen und Kontrolleure, die sich seit gestern auf dem 26. Deutschen Lebensmittelrechtstag treffen. Sie fürchten sogar, dass die Verbraucher bei Betrügereien und Skandalen wegen juristischer Unsicherheiten künftig noch schlechter informiert werden. Martin Müller, Deutschlands oberster Lebensmittelkon28666 trolleur, hält das Gesetz für handwerklich schlecht gemacht, und Fachjuristen sehen Unsicherheiten in einem Ausmaß, das es noch nie gegeben hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt: Wieder einmal sind Verbraucherschutz und Verbraucherinformation an der Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft gescheitert. ({2}) Nachbesserungen sind hier dringend nötig. ({3}) Darauf hoffen übrigens auch schwarz-gelb regierte Länder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jüngsten Lebensmittelskandale und das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher haben erneut deutlich gemacht: Es herrscht ein Ungleichgewicht der Kräfte zwischen den Anbietern und den Verbrauchern. „Marktintransparenzen“ und „erhebliche Informationssuchkosten“ bei den Konsumenten - so steht es im Gutachten - erschweren einen selbstbestimmten Konsum. Das Gutachten wohlgemerkt das Gutachten der Bundesregierung - sieht Bedarf für einen stärkeren staatlichen Schutz solcher Verbraucher, die ohnehin benachteiligt sind. Im Verbraucherministerium aber bleiben solche Botschaften ungehört. Das liegt auch daran, dass dieses Ministerium nicht ohne Grund den Verbraucherschutz als Letztes im Namen trägt. Die Bezeichnung „Verbraucherministerin“ ist für Frau Aigner einfach falsch; ({4}) denn die Interessen der Wirtschaft haben für sie immer Vorrang. Wir halten eine Trennung der Ressorts für dringend erforderlich. Der Verbraucherschutz ist in einem so wirtschaftsnahen Ministerium falsch aufgehoben. ({5}) Wirtschaftsnähe ist auch das Stichwort für die Aufregung in den Medien in den letzten drei Tagen über das Bündnis für Verbraucherbildung. Zweifellos brauchen Kinder und Jugendliche Verbraucherbildung, eine Anleitung zum kritischen Konsum und zum Hinterfragen von Werbestrategien. Dafür braucht man Geld. Aber auch mich besorgt die Einbindung von Unternehmensvertretern, wenn diese tatsächlich Handlungsempfehlungen mit entwickeln sollten. Als Kuratoriumsmitglied der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz halte ich eine Sondersitzung zur Klärung für dringend geboten; diese haben wir bereits vereinbart. Wir legen Ihnen heute Vorschläge vor, mit denen wir die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich verbessern wollen. Ich nenne ein paar Beispiele: Wir wollen mehr Markttransparenz. Deshalb fordern wir eine grundsätzliche Veröffentlichung aller amtlichen Kontrollergebnisse. ({6}) Das ist grundlegend für das Recht der Verbraucher auf Information. Wir müssen weiterhin die Grundlagen für eine bessere und effizientere Lebensmittelüberwachung schaffen. Dabei muss auch an die Finanzierung gedacht werden. Warum bürden wir die Kosten für die amtliche Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben eigentlich dem Steuerzahler auf? Die Aufgaben und der Aufwand der Überwachung sind enorm gestiegen. Die Ausstattung hat damit nicht Schritt gehalten. Dieses Dilemma darf nicht verschämt verschwiegen werden. ({7}) Hier muss offensiv nach Lösungen gesucht werden; möglicherweise beinhalten diese auch eine Beteiligung der Wirtschaft an den Kosten. Wir wollen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mit komplizierten und wenig aussagekräftigen Informationen überschwemmen, sondern wir wollen gute, das heißt sinnvolle, für Verbraucher verständliche und hilfreiche Informationen. Dafür müssen wir aber Kriterien erarbeiten, und zwar unter Einbeziehung etwa der Verbraucherforschung. Wir wollen Marktwächter einrichten, die in den Bereichen Finanzmarkt, Energie, Gesundheit, Lebensmittel und digitale Welt die Konsumenten auf Augenhöhe bringen und die Aufsichtsbehörden unterstützen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben noch viele Vorschläge, doch meine Redezeit reicht für die vollständige Aufzählung leider nicht aus. Die Vorschläge liegen Ihnen allen aber auch vor. Sie können uns dabei unterstützen, Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken und zu schützen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass wir am Weltverbrauchertag über die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher auch in Deutschland sprechen. Denn es gibt viel Gutes zu berichten. ({0}) Die Kollegen von der SPD und von den Grünen berufen sich in ihren Anträgen auf das Prognos-Gutachten. Meine sehr verehrten Kollegen, Sie haben da eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Dort wird nämlich festgestellt: Das Vertrauen der Bürger in den Markt ist stark ausgeprägt. - Von Misstrauen, welches Sie immer heraufbeschwören, ist da keine Rede. Also, die Verbraucherzufriedenheit in Deutschland ist gut. Frau Drobinski-Weiß, das ist ein Lob an die Wirtschaft, aber auch eine Bestätigung der christlich-liberalen Verbraucherpolitik. Wir machen gute Politik für die Verbraucher, weil wir uns kümmern, weil wir hinhören, weil wir verstehen, wo den Verbraucher der Schuh drückt, und weil wir handeln, anstatt Panikmache zu betreiben. ({1}) Die Ergebnisse der Studie motivieren uns, noch besser zu werden. Das Gutachten gibt erste Hinweise darauf: Wohin entwickeln sich die Märkte? Wo müssen wir mit neuen Schwierigkeiten rechnen? Das nehmen wir sehr ernst. Darum werden wir uns auch in Zukunft kümmern und das in gute Verbraucherpolitik umsetzen. Aber Ihre Schlussfolgerungen aus dem Gutachten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen - das kann ich Ihnen heute, am Weltverbrauchertag, nicht ersparen -, sind leider genauso überholt wie abwegig. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Zunächst das Verbraucherinformationsgesetz; Sie haben eben davon gesprochen. Es ist so formuliert, dass die Länder Verstöße gegen Hygienevorschriften melden müssen, wenn ein Bußgeld von mehr als 350 Euro zu erwarten ist. ({2}) In den anderen Fällen können sie es melden. Aber was tut Rot-Grün in den Bundesländern, in denen sie regieren? Nichts, gar nichts! ({3}) Baden-Württemberg, mit grün-roter Mehrheit regiert, meldet keine einzige Verfehlung. Auch von meinem Bundesland, von Rheinland-Pfalz, rot-grün regiert, wird keine einzige Verfehlung gemeldet. ({4}) Bayern hingegen ist Spitzenreiter beim Veröffentlichen von Hygieneverstößen. ({5}) Sie plustern sich hier immer auf und reden von Transparenz. Aber im Ausschuss stimmen Sie dagegen und halten in den Ländern alles unter Verschluss. Transparenz gibt es bei Ihnen nicht. Ihre Politik ist verlogen. ({6}) Es ist an der Zeit, dass Sie sich selber einmal an Ihre rotgrüne Nase fassen. ({7}) - Ich weiß, die Wahrheit tut weh. ({8}) Wenn Sie einmal im Ausschuss wären, würden Sie anders reden. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie die Zwischenfrage von Frau Maisch zulassen?

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Die Kollegin hat ja nachher Zeit, ihre eigenen Ausführungen zu machen. ({0}) Thema: Warteschleifen. Ihr Vorwurf, Verbraucher würden mit Warteschleifen abgezockt, ist völlig überzogen. Eigentlich müssten Sie es besser wissen - auch Sie, Herr Kelber, wenn Sie in den Ausschusssitzungen dabei wären. Warteschleifen sind nach einer Übergangsfrist ab dem 1. Juni 2013 völlig kostenlos, auch die nachgelagerten. ({1}) Thema: Produktinformationsblätter. Wir haben sie eingeführt. Anleger sehen jetzt auf einen Blick die wesentlichen Chancen und Risiken von Bankprodukten. Die deutschen Verbraucher brauchen keine Wärter oder Wächter. Sie brauchen erst recht keine Finanzmarktwächter bei den Verbraucherorganisationen, wie Sie sie fordern. Wir haben mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, bereits eine gute Einrichtung. Dort wird ein Verbraucherbeirat eingerichtet, der hilft, die Aufsichtsaufgaben aus Verbrauchersicht zu begleiten. Zudem haben wir die Stiftung Warentest bzw. Finanztest mit 2 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet, ({2}) damit sie Finanzdienstleistungen prüfen und bewerten und ihre Informationsangebote ausbauen kann. Auch die Schlichtungsstelle im Luftverkehr kommt. Bei einem weiteren Thema hängen Sie ebenfalls hinterher, nämlich beim Smiley. Die Gesetzeslage ist klar: Die Länder können in ihrem Zuständigkeitsbereich Modelle wie etwa ein Restaurantbarometer oder einen Gastro-Smiley einführen. ({3}) Keiner hindert sie daran. ({4}) Aber: Eine Nährwertkennzeichnung mit Ampelfarben auf Fertiggerichten lehnen wir ab, ({5}) weil wir die komplexe Welt nicht so einfach auf drei Farben reduzieren wollen. Das würde dem Verbraucher nicht helfen. ({6}) Wir setzen eben nicht auf Verbote oder Simplifizierungen, sondern wir wollen positive Anreize setzen. ({7}) Deshalb hat die Bundesregierung auch Projekte zur Verbesserung des Ernährungsverhaltens und für mehr Bewegung ins Leben gerufen, die sich vor allem an Kinder richten. Diese Projekte sind sehr beliebt und auch sehr erfolgreich. ({8}) Zwei Dinge fallen mir an den Forderungen in Ihren Anträgen auf: Manche Forderungen, die Sie stellen, sind veraltet und schon längst umgesetzt. ({9}) Da frage ich mich natürlich: Warum führen Sie all diese Forderungen seitenweise auf? Sind Ihnen etwa zwischenzeitlich die Ideen ausgegangen? Insgesamt lassen Ihre Forderungen erschreckende Rückschlüsse auf Ihr Verbraucherbild zu. ({10}) Der Verbraucher ist für Sie in erster Linie Opfer. In Ihren Augen treibt er ungeschützt und hilflos auf hoher See, von den Wellen hin- und hergeworfen, ohne Überblick und ohne die Kraft, selbst zu entscheiden, wohin die Fahrt gehen soll. Sie trauen dem Verbraucher noch nicht einmal zu, zu wissen, wohin er überhaupt will. Was ist das für ein Verbraucherbild, und was ist das für ein Menschenbild, das dahinter steht! Wir haben ein ganz anderes Bild vom Verbraucher. Für uns Christdemokraten und Christsoziale - sicherlich spreche ich da auch für die FDP - gilt: Wir trauen den Menschen etwas zu. ({11}) Aber wir überfordern sie auch nicht. Wir wissen, dass nicht jeder in unserer komplexen und komplizierten Konsumwelt immer und überall gleich mündig sein kann. ({12}) Aber jeder Mensch hat seinen Wert und hat seine Fähigkeiten. Für uns ist der Verbraucher nicht in erster Linie Opfer - er ist es, der die Marktmacht hat, er ist es, der die Entscheidungen treffen kann, ({13}) und er ist es, der den Impuls für die Wirtschaft setzt. Die Wirtschaft ist ohne den Verbraucher nichts. Wir schaffen die Verbindungen, damit der Verbraucher seine Marktmacht auch nutzen kann, und schützen ihn dort, wo er es nötig hat. ({14}) Es wäre toll, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten würden. Vielen Dank. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Caren Lay hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird höchste Zeit für eine gute, moderne und engagierte Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher. Das gilt nicht nur heute, am Weltverbrauchertag, das sollte eigentlich jeden Tag gelten. ({0}) Wenn wir uns heute drei Jahre schwarz-gelbe Verbraucherpolitik ansehen, dann müssen wir sagen: Was die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher angeht, waren das drei verschenkte Jahre ({1}) unter der Ägide einer Ankündigungsministerin, die wir heute vielleicht besser Untätigkeitsministerin nennen sollten; ({2}) aber da sie nicht anwesend ist, wird sie diese Worte gar nicht hören. Frau Kollegin Heil, ich kann Ihre Jubelbilanz wirklich nicht unterschreiben. Nehmen wir das Thema Warteschleifen: Diese Regelung gegen Abzocke bei Warteschleifen kam viel zu spät, und sie ist halbherzig gemacht. Oder nehmen wir die Produktinformationsblätter, mit denen Sie sich hier brüsten wollen. ({3}) Wegen der Produktinformationsblätter von Frau Ministerin Aigner werden die Finanzhaie nun wirklich keine zitternden Knie bekommen. Wenn das das Einzige ist, womit diese Regierung die Finanzspekulanten an die Leine legen will, dann muss ich sagen: Das ist eine traurige Bilanz. ({4}) Diese Regierung wird von einem Lebensmittelskandal nach dem anderen getrieben. Sie haben kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie solche Skandale in Zukunft verhindert werden können. Ich muss sagen: Die schwarz-gelbe Verbraucherpolitik bietet überhaupt keinen Anlass, sich zu brüsten. ({5}) Meine Damen und Herren, der Handlungsbedarf im Verbraucherbereich ist aus meiner Sicht so groß, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode eigentlich jede Sitzung mit verbraucherpolitischen Forderungen füllen könnten. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, wo aus unserer Sicht dringend gehandelt werden muss. Nehmen wir die Dispozinsen - hier verweigert sich SchwarzGelb seit vielen Jahren der Forderung nach einer Deckelung -, nehmen wir steigende Mieten, nehmen wir Abmahnungen im Internet, nehmen wir steigende Kosten bei Heizung und bei Strom: Hier hat diese Regierung nichts anzubieten, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Ich gehe noch einmal kurz auf die Lebensmittelskandale ein. Als der nunmehr fünfte Lebensmittelskandal in dieser Legislaturperiode aktuell war, hat Frau Aigner wieder einmal einen nationalen Aktionsplan angekündigt - mit magerem Inhalt: Er ist voller Prüfaufträge. Alle Prüfaufträge hätte man sich sparen können, wenn man zu Beginn dieser Legislaturperiode einige der Forderungen von uns Linken aufgegriffen hätte, ({6}) zum Beispiel beim Verbraucherinformationsgesetz. ({7}) Ich finde es, ehrlich gesagt, müßig, danach zu fragen, welches Land wie viel Verstöße gemeldet hat. Es liegt doch in der Verantwortung dieser Koalition und dieser Regierung, Gesetze zu erlassen, die besagen: Jedes Prüfergebnis, das den Behörden vorliegt, muss öffentlich zugänglich sein; das wäre einmal ein vernünftiger Ansatz gewesen. ({8}) Oder nehmen wir die überhöhten Strompreise. Dieses Thema ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wir die Verantwortung nicht auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen können. Natürlich kann man den Stromanbieter wechseln; aber selbst die Stiftung Warentest sagt, dass bei den Vergleichsportalen im Internet so viele Fallstricke zu beachten sind, dass es für viele Menschen ganz schwer abzusehen ist, was am Ende dabei herauskommt. Deswegen brauchen wir hier auch andere Maßnahmen, zum Beispiel eine staatliche Preisaufsicht. ({9}) Das ist genau der zentrale Unterschied zwischen unserer und Ihrer Verbraucherpolitik. Sie verstecken sich einfach hinter dem Begriff „Eigenverantwortung“. Frau Heil, da Sie heute gesagt haben, Sie trauten den Menschen etwas zu, muss ich erwidern: Sie lassen die Menschen im Regen stehen und liefern die Verbraucherinnen und Verbraucher der Wirtschaft aus. Das ist meine Analyse der Situation. ({10}) Ich denke, Sie haben im Kern einfach Angst davor - darum geht es doch -, die Wirtschaft, also die Unternehmen und Konzerne, in die Pflicht zu nehmen. Wir nicht! ({11}) Sie fürchten um die Gewinne Ihrer Freunde bei den Konzernen und machen eine entsprechende Verbraucherpolitik. Wir hingegen denken an die Menschen, in deren Interesse wir gute Verbraucherpolitik machen wollen. Das heißt, hier ab und zu auch einmal ein gutes Gesetz zu erlassen. ({12}) - Herr Kollege Schweickert, die Einschätzung, dass diese Regierung das permanent tut, kann ich nicht unterschreiben. Ein letzter Punkt. Auch das sogenannte Anti-Abzocke-Gesetz hat ja wegen des permanenten Streits in der Koalition jahrelang in den Schubladen gelegen und schon Schimmel angesetzt. Herausgekommen ist zum Schluss eine völlig verwässerte Variante von dem, was wir brauchen. Wir brauchen endlich eine Regulierung von unseriösem Inkasso. ({13}) Wir müssen verhindern, dass Jugendliche wirklich massenhaft abgemahnt werden, wenn sie mal ein YoutubeVideo über Facebook posten. Auch die Verbraucherzentralen sagen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung in dieser Sache macht es eher schlimmer als besser. ({14}) Deswegen sage ich auch an dieser Stelle: So kann es nicht gehen. ({15}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Einige der Maßnahmen, die wir als Linke vorschlagen, werden der Wirtschaft sicherlich Schmerzen bereiten. Ich sage aber: Das muss der Politik im Zweifel egal sein, wenn sie Politik nicht nur für die Konzerne und für die Märkte, sondern auch für die Menschen betreiben will. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Erik Schweickert. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland war noch nie so gut wie heute. ({0}) Es war diese schwarz-gelbe Regierung, die den Verbraucherschutz aus der Nische geholt und in den Fokus ihrer Politik gestellt hat. ({1}) Vieles von dem, was Sie hier fordern, haben wir bereits erledigt. Aber bei SPD und Grünen dauert es halt immer etwas länger - genau, wie zu Ihrer Regierungszeit. ({2}) Wir sind beim Verbraucherschutz deutlich weiter als Sie, die Sie mit dem Schreiben von Anträgen nicht hinterherkommen. ({3}) Schauen wir uns doch einmal die einzelnen Punkte an: Sie fordern die Einrichtung von Schlichtungsstellen. ({4}) Das ist längst erledigt. Seit Oktober 2011 gibt es die von uns eingerichtete Schlichtungsstelle Energie, und nächste Woche beschließen wir im Bundestag in dritter Lesung die Einrichtung einer Schlichtungsstelle für den Flugverkehr. ({5}) Sie fordern mehr Geld für die Stiftung Warentest. Das ist längst erledigt. Wir haben das Stiftungskapital der Stiftung Warentest in unserer Regierungszeit um 50 Millionen Euro aufgestockt, und wir haben ihr in diesem Haushalt 2013 noch einmal 2 Millionen Euro extra für den speziellen Bereich der Finanzdienstleistungen zukommen lassen, um die Marktüberwachung zu intensivieren. Sie fordern die Einrichtung eines Sachverständigenrates für Verbraucherfragen. Das ist längst erledigt; denn wir haben die Stiftung Verbraucherschutz ins Leben gerufen und mit 10 Millionen Euro gefördert. ({6}) Sie fordern Marktwächter für Energie. Auch das haben wir längst erledigt; denn wir haben eine Markttransparenzstelle eingerichtet, die den Markt überwacht und dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher dient. Daneben fordern Sie mehr Transparenz und bessere Informationen bei Täuschungen im Lebensmittelbereich. Wir haben gehandelt und das LFGB entsprechend geändert. Nun liegt es an Ihren Vertreterinnen und Vertretern in den Ländern, diesen Änderungen im Bundesrat auch zuzustimmen. Da wir gerade bei den Ländern sind: Ich finde es unredlich, sich hier hinzustellen und ein Kennzeichnungssystem für Gaststätten zu fordern, obwohl Sie wissen, dass die Wirtschaftsminister der Länder eine solche Regelung blockieren. Lassen Sie also bitte den Schwarzen Peter dort, wo er hingehört, nämlich in den von Ihnen regierten Ländern. ({7}) Sie fordern die strengere Regulierung von Inkassounternehmen und die Eindämmung unerlaubter Telefonwerbung. Auch hier liefern wir. Am Mittwoch - das ist also gerade einmal zwei Tage her - wurde ein entsprechender Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb im Kabinett beschlossen. ({8}) - Jetzt kommt der Zwischenruf „Zu spät“. Die, die zwölf Jahre lang nichts gemacht haben, sagen jetzt, wir seien zu spät dran. ({9}) Der Gesetzentwurf wurde also im Kabinett beschlossen. Im Inkassowesen werden die Transparenz- und Informationspflichten erhöht, Gebühren werden gedeckelt und die Bußgelder bei Verfehlungen werden erhöht. Wir werden eine schriftliche Bestätigungslösung für am TeDr. Erik Schweickert lefon geschlossene Verträge im Zusammenhang mit Gewinnspielen einführen. Wir schließen also Schlupflöcher für Betrüger beim Inkasso und bei unerlaubter Telefonwerbung und führen Verbesserungen ein durch kostenfreie Warteschleifen, durch eine Preisansagepflicht bei Call-by-Call und durch den Internetbutton. Wäre meine Redezeit länger, könnte ich diese Liste noch beliebig fortsetzen, meine Damen und Herren. ({10}) Wenn es aber nach Ihnen ginge, dann könnten wir am Telefon nicht einmal mehr eine Pizza bestellen. Denn genau das wäre die Folge einer von Ihnen geforderten allgemeinen Bestätigungslösung für am Telefon geschlossene Verträge. ({11}) Jetzt kommen Sie und sagen, wir sollten die Zinssätze für Dispokredite deckeln, was zur Folge hätte, dass die Girokonten insgesamt teurer würden. Ihrer Meinung nach soll also derjenige mehr zahlen, der sein Konto nicht überzieht und seine Finanzen im Griff hat, damit derjenige weniger zu zahlen braucht, der seine Finanzen nicht im Griff hat. Diese Form der ungerechten Umverteilung lehnen wir ab. ({12}) Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, verwechseln Verbraucherschutz mit Verbraucherbevormundung. Sie verfahren getreu nach dem Motto: Wir wissen besser, was der Verbrauch will, als es der Verbraucher selber weiß. - Verbraucher, die das nicht verstehen oder selbst entscheiden möchten, stellen Sie moralisch in die Schmuddelecke. Das ist aber nicht meine Vorstellung von Verbraucherpolitik. Unsere Verbraucherpolitik ermöglicht und ermuntert zu selbstbestimmten Entscheidungen. Schwarz-gelbe Verbraucherpolitik hat faire Rahmenbedingungen herbeigeführt, ohne zu bevormunden, und wir folgen keiner moralischen Zeigefingerpolitik. Wir setzen auf die Freiheit des Geistes, auf die Freiheit des Handelns und auf die Freiheit der eigenen Entscheidung. Denn wir stehen für die Freiheit, und Sie stehen für das Verbot. ({13}) Sie wollen Werbeverbote ausweiten, um von Ihnen als schlecht bewertete Produkte aus dem freien Markt zu drängen und Verbrauchern keine Wahl zu lassen. Sie wollen Sonntagsfahrverbote, Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen, Ladenöffnungsverbote am Sonntag, Schnäppchenverbote, Fleischverbote und einen verpflichtenden Veggieday. Ich würde gerne einmal sehen, was los wäre, wenn ich einen verpflichtenden Fleischtag fordern würde. ({14}) Sie wollen in diesem Bereich verbieten, was es zu verbieten gibt, und das schließt sogar das Ponyreiten auf Jahrmärkten ein. Überall dort, wo Sie nicht verbieten können, muss zumindest eine neue Steuer her. Sie fordern eine Steuer auf Plastiktüten, eine Fettsteuer, eine Zuckersteuer. Die Ökosteuer haben Sie uns schon in Ihrer Regierungszeit beschert. ({15}) Meine Damen und Herren, Sie wollen die Verbraucher nicht schützen, sondern ans Gängelband nehmen. Verbraucherpolitik mit Handschellen - das ist die rotrot-grüne Vision. Weil Sie genau diesem Leitbild in Ihrer rot-grünen Regierungszeit gefolgt sind, zahlen die Verbraucher heute beim Strom eine EEG-Umlage, an der Tankstelle die Ökosteuer und im Supermarkt das Dosenpfand. Das ist das Ergebnis, wenn man Ihnen die Verantwortung für die Verbraucherpolitik überträgt: Der Verbraucher zahlt. ({16}) Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nun fordern, Schwarz-Gelb solle für bezahlbare Energie sorgen, dann haben Sie offenbar vergessen, dass RotGrün die Stromrechnungen zu einem Armutsrisiko gemacht hat. Schwarz-Gelb ändert das jetzt. ({17}) Wir setzen nicht auf Bevormundung, und wir setzen nicht auf Subventionen und Steuern, sondern wir setzen auf Selbstentscheidung, auf Marktwirtschaft und auf Wettbewerb. ({18}) Gerade deshalb geht es den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland heute auch besser, als es in Ihren Regierungsjahren jemals der Fall gewesen ist. Herzlichen Dank. ({19})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Nicole Maisch das Wort.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser emotional aufgewühlten Verteidigung des Hackbrötchens und des Ponyreitens ist es natürlich schwer, die Leidenschaftlichkeit auf diesem Niveau zu halten. ({0}) Ich will es deshalb erst gar nicht versuchen, sondern direkt zur Sache reden. In der letzten verbraucherpolitischen Debatte sind wir Zeugen eines selten uninspirierten ABCs geworden, als Ilse Aigner ihre magere Bilanz von A bis Z vor uns ausgebreitet hat. Heute möchten wir Ihnen gerne präsentieren, wie Verbraucherpolitik aussehen würde, wenn wir eine andere Ministerin, aber vor allem andere Mehrheiten in diesem Hause hätten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich entscheiden, welche Mehrheit ihre Interessen besser vertritt, indem sie Ihr ABC mit unseren Anträgen vergleichen. ({1}) Thema Energiepolitik. Wird eine schwarz-gelbe Mehrheit gewünscht, der zu diesem Thema nicht mehr als durchschaubare Attacken auf das EEG einfällt? Herr Schweickert hat die EEG-Umlage zur Disposition gestellt, womit auch Arbeitsplätze vernichtet würden und die Energiewende abgewürgt würde. ({2}) Oder ist eine Mehrheit erwünscht, die sich wirklich Gedanken macht, wie man die Kosten zwischen den Privatkonsumenten und den großen energieintensiven Unternehmen aufteilen kann? Wir sagen: Führen Sie die Industrieprivilegien auf einen vernünftigen Stand zurück! ({3}) Dann sind auch die Kosten für die Privathaushalte tragbar. ({4}) Gerade bei der Frage der Energiepreise müssen sich doch die Menschen angesichts der Tatsache, dass Sie die Energiewende abwürgen, fragen, wie sie in Zukunft die Preise für Öl und Gas, die nicht bei uns zu Hause auf dem Acker wachsen, sondern teuer importiert werden müssen, bezahlen können. ({5}) Sie haben interessante Vorschläge zum Fracking gemacht. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob das der richtige Weg ist, die Energiepreise niedrig zu halten. Wir sagen dazu Nein. Thema Lebens- und Futtermittelüberwachung: Norovirus auf Erdbeeren, Gammelfleisch, Dioxin-Eier, Pferdefleisch statt Rindfleisch in Fertiggerichten. Da fragt man sich doch: Wo ist die Verbraucherministerin? ({6}) Reicht es da aus, immer wieder zu fragen: Wo sind die Länder? - Wir haben eine Verbraucherministerin, die nichts Besseres zu tun hat, als sich hinter den Ländern zu verstecken. ({7}) Frau Heil, Sie haben eben meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Sie haben gefragt: Welche Länder veröffentlichen denn am meisten Hygieneverstöße? Dazu kann ich Ihnen sagen: Baden-Württemberg stand auf einem guten zweiten Platz und musste dann, nachdem die Gerichte wieder und wieder Veröffentlichungsentscheidungen kassiert haben, feststellen, dass das Gesetz, das Sie auf Bundesebene gemacht haben, für die Länder im Vollzug nicht administrierbar ist. ({8}) Da müssen Sie doch einmal Selbstkritik üben und sich fragen: Wie kann man das Gesetz so verbessern, damit Bayern und Baden-Württemberg weiter so schön fleißig veröffentlichen können und die Entscheidungen zur Veröffentlichung nicht von den Gerichten kassiert werden? ({9}) Auch beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten können die Bürger entscheiden: Wollen sie weiter eine Regierung Merkel, die beim Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz, bei der Honorarberatung und bei der Finanzaufsicht die Interessen der Anleger fest im Blick hat, aber die Geldbörse der Bankkunden eben nicht? Das beste Beispiel ist doch die Frage der Bewertungsreserven der Lebensversicherungen. Hier haben wir die treuen Kämpfer für die Aktionäre von Allianz und Co. ({10}) Ich frage mich: Wer kämpft denn auf der rechten Seite des Hauses für die Kunden mit Lebensversicherungen? Ich empfehle Ihnen einen Blick in Ihren Postkasten zu Hause im Wahlkreisbüro. Da werden Sie genau wie ich die vielen Briefe empörter Versicherungsnehmer vorfinden, die die Altersvorsorge, mit der sie gerechnet haben, eben nicht bekommen werden. ({11}) Wir sagen: Auf den Finanzmärkten ist noch viel zu tun. Das Thema Dispozinsen ist von meinen Kolleginnen, die vor mir geredet haben, angesprochen worden. Wir sagen: Auch den Rechtsanspruch auf ein Girokonto muss es endlich geben. Frau Heil, Sie haben gesagt: Wir kümmern uns um die Leute. - Wer kümmert sich denn um die über eine halbe Million Menschen, die überhaupt kein Konto hat? Darum sollten Sie sich einmal kümmern, weil das wirklich gravierende soziale Probleme nach sich zieht. ({12}) Frau Heil, Sie haben sich sehr über die Marktwächter empört. Ich finde, heute ist der falsche Tag, sich über die Finanzmarktwächter zu empören, weil Ihnen heute wieder einmal von den Verbraucherzentralen aufs Brot geschmiert wird, dass die Regelungen, die Sie zur Transparenz bei Provisionen im Finanzvertrieb getroffen haben, nicht funktionieren. Die meisten Banken vertreten, was die Befolgung solcher Transparenzregeln angeht, offensichtlich den Standpunkt: Kann man machen oder eben nicht. Da stellt sich schon die Frage: Müssen Sie bei der Marktaufsicht auf der einen Seite, aber natürlich auch bei der zivilgesellschaftlichen Ergänzung dieser Aufsicht auf der anderen Seite nicht nacharbeiten? ({13}) Ein letzter Punkt angesichts der vielen blinden Stellen in Ihrem ABC. Da Sie so viel von der Selbstbestimmung und der Macht der Verbraucherinnen und Verbraucher gesprochen haben, frage ich mich: Warum sind Sie nicht in der Lage, die Bedeutung des privaten Konsums und der privaten Investitionsentscheidung für die ökologische und soziale Transformation unserer Wirtschaft zu erkennen? Warum erkennen Sie nicht die Macht, die zum Beispiel hinter den Milliarden Euro steckt, die wir Deutsche jährlich in die staatlich geförderte RiesterRente investieren? Da kann man sich doch überlegen: Braucht man nicht Mindestnachhaltigkeitskriterien? ({14}) Ich habe bei Ihnen die Hoffnung aufgegeben, dass wir uns da auf etwas einigen. Ich glaube, dass ich mich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsausschuss relativ schnell auf Standards einigen könnte, was die unterste Grenze sein sollte für Maßnahmen, die wir staatlich finanziell fördern. Meine Damen und Herren, Sie haben sich über die Länge unseres Antrags geärgert. Wenn Sie besser gearbeitet hätten, könnte der Antrag kürzer sein. Das ist er leider nicht. Aber das ist nicht die Schuld der linken Seite des Hauses, sondern Ihre. Ich denke, da haben Sie einiges nachzuarbeiten. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marlene Mortler hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Opposition John F. Kennedy bemüht, dann klingt das geradezu hilflos. ({0}) Denn das Wort „Nachbesserung“ war das Synonym für Ihre rot-grüne Regierungszeit. Meine Damen, meine Herren, je strenger die Gesetze - man wirft uns vor, dass wir zu wirtschaftsfreundlich wären - und je höher die Standards, umso schneller werden kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt gekegelt. ({1}) In dieser Herausforderung befinden wir uns. Das heißt, wir streben eine Politik auf Augenhöhe an, die jedem gerecht wird und jedem gerecht werden muss. Ich zitiere an dieser Stelle einen grünen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, der gesagt hat: Wenn alle bestehenden Gesetze eingehalten würden, dann bräuchten wir keine neuen. - An dieser Stelle wiederhole ich unseren Appell an die Bundesländer, ihrer Hausaufgabe besser gerecht zu werden. ({2}) Ich sage es gerne noch einmal: Diese Bundesregierung hat für den Verbraucherschutz mehr getan als jede andere Regierung zuvor. ({3}) Dieses Etikett gilt auch für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mich freut es ganz einfach, dass auch die neutrale Studie von Prognos zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher zu dem Ergebnis gekommen ist: Die machen eine gute Politik. ({4}) Wer bisher aufmerksam zugehört hat, der musste sich fragen: Sind wir eigentlich in einem verbraucherpolitischen Entwicklungsland? ({5}) Was passiert hier eigentlich? Wird nicht unter dem Deckmantel einer modernen Verbraucherpolitik ein ganz anderes Ziel verfolgt, nämlich eine demokratisch legitimierte Erziehungsdiktatur? ({6}) Gerade weil wir uns der wachsenden Bedeutung des Verbraucherschutzes bewusst sind, haben wir Verbraucherschutz und Politik umfassend im Blick. Ich zitiere gerne unsere Ministerin, die in ihrer letzten Rede von „Verbraucherpolitik von A bis Z“, von „Anlegerschutz“ bis „Zu gut für die Tonne“, gesprochen hat. ({7}) Das sind Themen, die Sie zu Ihrer Zeit nie auf der Agenda hatten. ({8}) Natürlich ist es unsere Aufgabe, falsche Entwicklungen zu korrigieren. Ich sage noch einmal: Wir stellen die Weichen richtig. Ich erinnere sehr gerne an das, was der Kollege Professor Schweickert in diesem Zusammenhang gesagt hat. Ich bin auch tourismuspolitische Sprecherin. Wir haben die Weichen für die Schlichtungsstelle im öffentlichen Personenverkehr neu gestellt. Inzwischen arbeitet diese Schlichtungsstelle so erfolgreich, dass immer mehr Verkehrsunternehmen mitmachen wollen, ob im Bereich Schiffe oder im Bereich Busse. Für nächste Woche ist die Einbringung des Gesetzentwurfs zum Thema Luftverkehr angekündigt. All das ist nicht selbstverständlich. Ich weiß, dass die Akzeptanz dieser Schlichtungsstelle aufgrund unserer Politik weiter wächst. Meine Damen und Herren, wir sind damit in Sachen Fahrgastrechte gut unterwegs. Das Verfahren der außengerichtlichen Streitbeilegung wird weiter an Akzeptanz gewinnen und sich bewähren. Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Thema Ernährung sagen. Ich bin auch Ernährungsexpertin. Ich bin gelernte Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Wenn Sie von gesunder Ernährung reden, kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt keine gesunde Ernährung, sondern nur ein gesundes Ernährungsverhalten. Deshalb setze ich auf eine abwechslungsreiche, saisonale, regionale und bedarfsgerechte Ernährung. Ich selber weiß am besten den Wert einer ausgewogenen Ernährung zu schätzen. Es ist nichts günstiger und besser, als Rohstoffe selber zu verarbeiten sowie Kochen und Essen zum gemeinsamen Erlebnis zu machen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich das geforderte Schulfach Allgemeinbildung bzw. Alltagsökonomie und Lebensökonomie bzw. Alltagskompetenz. Für uns ist es wichtig, dass wir nicht jede Verantwortung auf die Schule und den Staat verlagern. Ein solches Unterrichtsfach kann dazu beitragen, Schüler von Anfang an im Sinne eines mündigen Verbrauchers fit zu machen. Ich sehe mich hier mit den Landfrauen auf der richtigen Seite. ({9}) Denn ob Ernährung, Finanzen oder Medien: Kinder müssen sich auf immer komplexer werdenden Märkten zurechtfinden. Ich freue mich übrigens, dass das Bundesland Schleswig-Holstein bereits das Unterrichtsfach Verbraucherbildung eingeführt hat, und zwar unter Peter Harry Carstensen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich schließe sofort. - Es wäre schön, wenn das Bündnis für Verbraucherbildung auf Länderebene noch größere Zustimmung fände. Wir brauchen keine Bevormundung und erst recht keine Entmündigung, sondern mündige Verbraucher von Anfang an. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gabriele Groneberg das Wort. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit dem Thema Energie fortfahren; das hatten wir vorhin kurz gestreift. Herr Schweickert war kurz darauf eingegangen. Ich kann gerade nach den Reden der letzten Tage nur feststellen: Das organisierte Chaos der Bundesregierung bei der Energiewende sollte eigentlich kaum noch zu toppen sein. Doch Frau Ministerin Aigner setzt hier durch Nichtstun Standards. Auch das ist schon eine Leistung. ({0}) Ohne Frage steht das Thema der steigenden Energiepreise für Verbraucherinnen und Verbraucher ganz oben auf der Agenda; denn genauso wie das Wohnen gehören zu den Grundbedürfnissen eine warme Wohnung und Energie zum Heizen, Kochen, Lesen, Musikhören und Fernsehen. Sinnigerweise finden wir dazu nichts von der Verbraucherministerin. ({1}) Sie ist auf diesem Feld genauso abwesend wie im Augenblick hier im Plenum. ({2}) Sie haben das Gutachten zur Verbraucherpolitik angesprochen, Frau Mortler, Frau Heil und Herr Dr. Schweickert. Ich finde das witzig. Wo sind denn Ihre Schlussfolgerungen aus dem Gutachten? Das Gutachten sagt ganz genau, wie man damit umzugehen hat. Wo sind denn jetzt die Vorschläge der Ministerin für bezahlbare Energie, gegen Energiearmut sowie für bezahlbare Mieten und bezahlbares Wohnen? Was tut sie gegen die Steigerung der sogenannten zweiten Miete, der Nebenkosten? Nichts, gar nichts! Ihre Kabinettskollegen Rösler und Altmaier organisieren fröhlich das Chaos in der Energiewende. Ihre Aufgabe wäre es, sich hier einzumischen. Aber hier passiert nichts. Sie glänzt nur durch Abwesenheit. ({3}) Sie haben in den Debatten der letzten Tage zwar über die hohen Energiepreise geklagt, aber nur unter dem Aspekt, wie sich diese auf die deutschen Unternehmen auswirken und wie diese darunter zu leiden haben. ({4}) Wir fragen uns: Wo bitte sind denn die Menschen in Deutschland abgeblieben? Brauchen diese etwa keinen Strom? Der Privatverbraucher ist doch derjenige, der mit den von Ihnen zu verantwortenden hohen monatlichen Stromabschlägen die Unternehmen in Deutschland mitfinanziert. Dazu war von Ihnen in den letzten Tagen nichts zu hören. Auch heute gab es dazu keinen Piep. Fakt ist doch: Die Bürgerinnen und Bürger zahlen für eine total verkorkste Energiewende in Deutschland. Sie zahlen für die Regressforderungen der Energiekonzerne, weil diese Bundesregierung nicht in der Lage war, den Ausstieg aus der Atomenergie vernünftig zu organisieren. ({5}) Sie zahlen für den Wegwerfstrom, der durch den fehlenden Netzausbau und die damit einhergehende Verstopfung der Netze entsteht, weil diese Bundesregierung nicht in der Lage war, den Netzausbau in Deutschland zu organisieren. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen, weil Sie in Europa auf der Bremse stehen, wenn es um Energieeffizienz geht. ({6}) Sie zahlen, weil Sie den Unternehmen, die in den Ausbau der Windkraft investieren wollen, keine Investitionssicherheit bieten. Außerdem zahlen sie, weil sinkende Strompreise an der Börse nur an die Großindustrie, aber nicht an die Verbraucher weitergegeben werden. ({7}) Sie zahlen, weil die massiv ausgeweiteten Ausnahmen bei der Stromsteuer, von denen im Übrigen pikanterweise Hähnchenmastanlagen und Golfplätze profitieren, ({8}) vom Verbraucher zu bezahlen sind. Sie zahlen, weil Sie nicht in der Lage sind, etwas Wirkungsvolles gegen die steigenden Energiepreise zu unternehmen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aufgrund der steigenden EEG-Umlage mit Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer von bis zu 1 Milliarde Euro pro Jahr im Bundeshaushalt zu rechnen ist, haben wir Ihnen angeboten, diese Mehreinnahmen mit unserer Zustimmung auch dafür zu verwenden, Strom für Familien und Geringverdiener billiger zu machen. Darauf sind Sie in keiner Weise eingegangen. Wenn Sie darauf eingehen und zu diesem Thema in die Bütt gehen würden, dann würden wir Ihnen zustimmen. So kann ich aber nur feststellen: Dieses Verbraucherschutzministerium ist keines. Es stellt keine Lobby für Verbraucherinnen und Verbraucher dar. Wie soll der Verbraucher bei rund 1 000 Stromanbietern und etwa 800 Gasanbietern noch den Überblick behalten? ({9}) Da soll er mündig sein? Ich frage mich, woher der Verbraucher die Zeit nehmen soll, um sich in diesem Dschungel noch zurechtzufinden. Wir brauchen Markttransparenz und Marktüberwachung. Das täte diesem Bereich ganz besonders gut. Hier funktionieren die Märkte aber nur zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das gilt beim Benzin genauso wie beim Gas oder auch beim Öl. ({10}) Wir brauchen also dringend Marktwächter, die die Nutzer unterstützen, die die Nutzer auf Augenhöhe bringen und die auch die Aufsichtsbehörden unterstützen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass sich die Menschen in Deutschland beim Thema Bundesregierung in einigen Monaten im eigenen Interesse sehr energiesparend verhalten werden. Wenn ich unnötige Stromfresser an der Steckdose habe, schalte ich diese aus. Mündige Wählerinnen und Wähler werden sich im September genauso verhalten. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Carola Stauche das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Carola Stauche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004162, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich reden wir am Weltverbrauchertag in diesem Hohen Hause gern über den Verbraucherschutz. Das können wir als christlich-liberale Koalition auch mit gutem Gewissen tun; denn keine andere Koalition hat so viel für den Verbraucherschutz getan wie wir in den letzten knapp dreieinhalb Jahren. ({0}) Dass Ihnen das nicht passt, erkennen wir deutlich an Ihren Reaktionen. Sie verstricken sich ständig in Widersprüche. Vorhin wurde uns zum einen vorgeworfen, wir würden dem Verbraucher zu wenig Informationen geben, zum anderen aber auch, wir würden ihm verwirrenderweise zu viele Informationen geben. Dann wollen Sie, dass wir Handel und Industrie in die Pflicht nehmen. Wird dies getan und beteiligen sie sich an der Verbraucheraufklärung, passt Ihnen das auch wieder nicht. Ich weiß, warum wir dieses Thema jetzt regelmäßig diskutieren. Nicht etwa, weil Ihnen die Verbraucherinnen und Verbraucher am Herzen liegen. ({1}) Nein, Ihnen sind die Wahlkampfthemen ausgegangen. ({2}) Uns ist der Schutz der Verbraucher mindestens genauso wichtig, wie er Ihnen ist. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Wir als christlich-liberale Koalition nehmen die Ängste der Verbraucher ernst. ({3}) Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, wecken und schüren ständig Ängste. Die beiden Anträge, um die es in der heutigen Debatte geht, machen das wieder einmal ganz deutlich. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: ({4}) Wenn der Verbraucher getäuscht wird, wie es bei den jüngsten Lebensmittelskandalen geschehen ist, gehört das mit aller Härte des Gesetzes bestraft. ({5}) Aber einen ganzen Wirtschaftszweig, zum Beispiel die Tierhaltung, zu verteufeln, wie das beispielsweise im Antrag der Grünen getan wird, kann nicht die Lösung sein. ({6}) Um Ängste zu schüren, brauche ich selbstverständlich auch einen Räuber hinter dem Baum, der den Verbrauchern auflauert. Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen dem Verbraucherschutz, wie Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ihn sich vorstellen, und wie wir von der Union ihn uns vorstellen. Wir möchten niemanden bevormunden. Wir maßen uns nicht an, zu wissen, was der Verbraucher kaufen will. ({7}) Wir überlassen das dem Markt oder, besser gesagt, wir überlassen es den Verbraucherinnen und Verbrauchern, selbst zu entscheiden, was sie konsumieren wollen. Wir stehen für den mündigen Verbraucher, der selbst entscheidet, was auf den Tisch, in den Einkaufswagen oder in das Bankportfolio kommt. Wir schreiben nicht vor, wir bevormunden nicht, wir informieren und lassen selbst entscheiden. ({8}) Das heißt allerdings nicht, dass wir die Verbraucher alleinlassen, wenn es beispielsweise aus einer Mischung von Profitgier und krimineller Energie zur Täuschung von Verbrauchern kommt. Hier wurden bereits vorhandene Sicherungssysteme durch weitere sinnvolle Angebote des Bundesministeriums erweitert. Lassen Sie mich einiges stichwortartig vorstellen, was an Verbraucherschutz seit November 2009 verabschiedet wurde. Die Initiative „Klarheit und Wahrheit“ mit der Homepage www.lebensmittelklarheit.de ist ein Beispiel, wie sich Verbraucherinnen und Verbraucher informieren und, wenn nötig, beschweren und untereinander austauschen können. Für den Bereich Ernährungsbildung und Ernährungsinformation wurden Bildungsbausteine für Kitas, Schulen und Senioren entwickelt und aktualisiert. Das Gleiche gilt für Qualitätsstandards für gesunde Ernährung bei Gemeinschaftsverpflegung. Die Förderung aus dem Bundeshaushalt für die Verbraucherzentrale Bundesverband, die Stiftung Warentest und den DIN-Verbraucherrat ist weiterhin garantiert. Das Stiftungskapital der Stiftung Warentest wurde zusätzlich auf nun 75 Millionen Euro aufgestockt. Es wurde ein zentrales Verbrauchertelefon eingerichtet. Die Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ läuft seit einem Jahr. ({9}) Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch wurde dahin gehend geändert, dass Rechtsverstöße, die bei der Lebensmittelüberwachung aufgedeckt wurden, durch die Behörden veröffentlicht werden müssen. Es muss nur getan werden. ({10}) Es wurden Kriterien für eine Regionalkennzeichnung entwickelt. Seit Mitte Januar kann man bereits so gekennzeichnete Produkte kaufen. Es wurde das Tierschutzlabel eingeführt und, und, und. Ich will nicht noch einmal all das aufzählen, worauf meine Kollegen schon hingewiesen haben. Auch möchte ich nicht all das, was Frau Ministerin Aigner bereits in der vergangenen Diskussion hier im Plenarsaal darlegte, wiederholen. Insgesamt ist aber festzustellen: Die verbraucherpolitische Bilanz der schwarz-gelben Regierungskoalition ist gut. Das sollte auch einmal die Opposition anerkennen. ({11}) Ich würde mich freuen, wenn die Opposition in der Diskussion wieder mehr das Wohl und nicht die Ängste der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt stellen und zur Sachlichkeit zurückkehren würde; denn dann wäre dem selbstbestimmten und eigenverantwortlich handelnden Verbraucher am meisten geholfen. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/12689 und 17/12694 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 17/12636 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Peter Ramsauer. ({1})

Dr. Peter Ramsauer (Minister:in)

Politiker ID: 11001772

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Straßenverkehrsteilnehmer - nicht nur die Autofahrer - und Führerscheininhaber haben Anspruch auf ein klares und nachvollziehbares Regelwerk. Beim Flensburger Verkehrszentralregister, im Volksmund „Verkehrssünderdatei“ genannt, kann von solcher Klarheit und Nachvollziehbarkeit leider Gottes schon längst keine Rede mehr sein. Es ist bekanntermaßen über 50 Jahre alt, und hier hat sich viel Unnachvollziehbares und Intransparentes eingeschlichen. Das wollen wir nun ändern. Das neue Fahreignungsregister - so nennen wir es jetzt - macht das ganze System einfacher, gerechter und vor allen Dingen transparenter, wobei das oberste Ziel ist und immer sein muss, mehr Verkehrssicherheit zu schaffen. Dazu legen wir heute in erster Lesung den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vor. Das Thema betrifft naturgemäß viele Millionen Menschen. Deshalb haben wir ganz bewusst dafür gesorgt, dass die Reformpläne das Ergebnis eines breit angelegten Verfahrens der öffentlichen Beteiligung sind. Unsere Eckpunkte vom Frühjahr des vergangenen Jahres haben wir nicht nur mit den Ländern und den Verbänden, die im Verkehrsbereich aktiv sind, eng beraten, sondern wir haben in den ersten drei Maiwochen des letzten Jahres auch ein ausgesprochen breit angelegtes Verfahren der Bürgerbeteiligung durchgeführt, begleitet von einer ganztägig anwesenden Expertengruppe von jeweils sechs Helfern und Beratern, die ständig an den Telefonen und online waren. Sie haben in diesen drei Wochen 30 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern erhalten. All dies ist in unsere Erwägungen eingeflossen. Künftig sollen Punkte nur noch für solche Verstöße vergeben werden, die für die Verkehrssicherheit relevant sind. Zwei Beispiele für Verstöße, bei denen keine Punkte mehr vergeben werden sollen: Verstöße gegen das Sonntagsfahrverbot oder gegen die Umweltplakettenpflicht. Weil diese Verstöße nicht verkehrssicherheitsrelevant sind, sollen sie keine Punkte mehr zur Folge haben. Aber ich sage in aller Deutlichkeit: Wer dagegen verstößt, geht natürlich nicht leer aus; denn er wird natürlich mit einer Bußgeldsanktion belegt. Beispielsweise ist für einen Verstoß gegen die Umweltplakettenpflicht ein Bußgeld von 80 Euro vorgesehen, also ein höheres Bußgeld als bisher. Unsere Vorschläge zur neuen Höhe der Bußgelder halte ich übrigens für ausgewogen. Ich glaube, alle, die sich mit Bußgeldern in Nachbarländern Deutschlands befassen, können das bestätigen. Wer beispielsweise die Höhe der Bußgelder in Italien oder Österreich kennt - ich selbst wurde noch nie Opfer davon, aber es wird mir ständig erzählt -, der muss sich diesbezüglich in Deutschland regelrecht wohlfühlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Punktesystem wird also einfacher und transparenter: Erstens. Verstöße werden künftig mit einem Punkt, mit zwei Punkten oder mit drei Punkten geahndet, je nach Schwere des Verstoßes. Unterschieden wird zwischen einem schweren Verstoß, einem besonders schweren Verstoß und einem besonders schweren Verstoß inklusive eines Tatbestandes, der strafrechtsrelevant ist, beispielsweise wenn jemand über eine Ampel fährt, die schon länger als eine Sekunde rot war, und dabei auch noch jemanden verletzt. Zweitens. Wir schaffen einen Punktetacho - so haben wir es genannt - und sehen klare Maßnahmen vor: Bei ein bis drei Punkten erfolgt zunächst eine Vormerkung, ab vier Punkten eine Ermahnung, ab sechs Punkten eine Verwarnung mit Anordnung der Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, ab acht Punkten schließlich ein Führerscheinentzug. Drittens. Es wird endlich feste Tilgungsfristen geben. Jeder Verstoß verjährt für sich, und es wird keinen Mischmasch mehr mit Überliegefristen und Tilgungshemmungen geben. ({0}) Jeder kann sich also darauf verlassen, dass Punkte für einen bestimmten Verstoß nach einer klar definierten Zeitspanne auch wieder gelöscht werden. Meine Damen und Herren, bei so vielen Betroffenen kann es nicht verwundern, dass heftig darüber diskutiert wird; schließlich gibt es unter den 82 Millionen Menschen in Deutschland 82 Millionen Experten für dieses Thema. Das betrifft übrigens auch die Frage - ich will das ganz offen ansprechen -, ob es nicht weiterhin einen Punkterabatt für solche Personen geben soll, die sich freiwillig einem Seminar unterziehen. Ein Argument lautet, dass ohne eine solche Rabattregelung besonders Vielfahrer stärker belastet sind. Ich weiß, das ist ein ernstzunehmendes Argument. Bei allem, was wir hier entscheiden und tun, sollten wir hier aber immer die Frage der Verkehrssicherheit an vorderste Stelle rücken. ({1}) In diesem Fall müsste man die Frage beantworten, wann jemand ein Vielfahrer ist: bei 20 000 Kilometern, bei 50 000 Kilometern oder bei 100 000 Kilometern? Dabei eine Abgrenzung vorzunehmen, ist auch keine ganz einfache Angelegenheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im jetzt beginnenden parlamentarischen Verfahren zu praktikablen und überzeugenden Lösungen kommen. Ich werbe ausdrücklich für einen fraktionsübergreifenden Konsens. Bei der Materie, um die es sich hier handelt, geht es um Menschen und um Verkehrssicherheit. Ich glaube, hier kann das ganze deutsche Parlament zu einer einheitlichen Auffassung gelangen. Danke schön. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat für die SPD-Fraktion das Wort die Kollegin Kirsten Lühmann. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Kaum ein Verkehrsthema ist so emotional besetzt wie das, das wir heute im Rahmen der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zum Verkehrszentralregister diskutieren. Wenn man an einem Stammtisch sitzt und Gesprächsthema das Auto ist, kommt unweigerlich irgendwann die Frage: Und, wie viele Punkte hast du? - Was ist die richtige Antwort darauf? Wenn man zugibt, gar keine Punkte zu haben, gilt man als Weichei und Laternenparker. Wenn man zugibt, zu viele Punkte zu haben, könnte es sein, dass die Runde einem als potenzielle Verkehrsgefahr den Schlüssel wegnimmt. Aber es gibt auch ganz viele Menschen, die gar nicht wissen, wie viele Punkte sie aktuell haben, und das ist ein Zustand, der nicht tragbar ist. Darum hat Bundesminister Tiefensee schon 2009 gesagt: Da müssen wir etwas tun. In der letzten Legislatur haben die damaligen Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU einen Antrag vorgelegt, mit dessen Verabschiedung beschlossen wurde, dass eine Expertengruppe eingesetzt wird, die sich dieses Themas annehmen soll. Diese Expertengruppe hat im Sommer letzten Jahres ein Ergebnis vorgelegt. Ich fange mit dem Positiven an: Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf. Das ist, mit Verlaub, bei unserem jetzigen Verkehrsminister nicht selbstverständlich. Er fängt als Ankündigungsminister zwar viele Themen an, sei es nun das Problem der „Kampfradler“ oder die Frage der medizinisch-psychologischen Untersuchung, ohne sie abzuschließen; aber in diesem Fall liegt uns etwas vor. Eine zweite Sache finde ich bedeutsam: Das ist die eben schon angesprochene Bürgerbeteiligung. Ich denke, diese Bürgerbeteiligung zeigt, dass wir mehr Akzeptanz für Gesetzeswerke erreichen können. Die Zahl von 30 000 Menschen, die sich daran beteiligt haben, macht deutlich, dass dafür ein Bedarf da ist. Ich würde dieses positive Ergebnis gerne auf andere Gesetzesvorhaben übertragen. Um zu den Inhalten zu kommen: Worüber reden wir? Der Minister hat es eben angedeutet, aber nicht klar gesagt: Was ist die Flensburger Datei? Wozu soll sie dienen? Wir lesen und hören in den Medien viele Begriffe wie „Bestrafung von Verstößen“ - auch der Minister hat davon gesprochen -, „Strafpunkte“ oder „Verkehrssünder“, ein weiteres Wort, das es nur bei uns in Deutschland gibt. Wir denken also an Strafe und Erziehung. Aber ist es das wirklich? Nein, meine Kollegen und Kolleginnen, das ist es nicht. Es geht bei diesem Verkehrszentralregister darum, dass man der Verwaltung ein Instrument an die Hand gibt, mit dem sie erkennen kann, ob jemand geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen oder nicht; mehr ist es nicht. Es ist kein pädagogisches System, und es soll auch nicht zur Bestrafung von Autofahrern dienen. Jetzt komme ich zu den Vorschlägen, die die Expertenkommission damals gemacht hat. Aus dem von mir genannten Grund hat sie gesagt, das Sinnvollste wäre, es gäbe gar keine Punkte mehr. Entscheidend ist nur, dass jemand gegen Verkehrsregeln verstoßen hat und wie oft er dagegen verstoßen hat. Darum geht es, wenn wir der Verwaltungsbehörde helfen wollen. Die Sicherheit des Verkehrssystems hängt grundlegend von der Zuverlässigkeit der Menschen ab, die daran teilnehmen. Die Begründung der Verkehrspsychologen war eindeutig. Die Bewertung dieses Regelverstoßes in schwer oder weniger schwer ist irrelevant. Allein entscheidend ist, dass sie registriert werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, damit Sie sehen, dass es schon jetzt gängige Praxis ist. In dem Bereich, in dem ich als Polizistin tätig war, gab es eine Kraftfahrzeugführerin, die sich niemals angeschnallt hat, aus Prinzip nicht. Das ist ein Verstoß, der zwar mit einem Bußgeld bewehrt wird, aber von uns allen letztendlich als nicht so gravierend angesehen würde, um die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach einer gewissen Zeit, in der wir sie immer wieder darauf angesprochen haben und sie immer noch nicht bereit war, sich regelkonform zu verhalten, wurde ihr wegen Unzuverlässigkeit die Fahrerlaubnis entzogen. Das ist heute schon möglich. Ich denke, das war auch der Grund, warum die Experten dieses System vorgeschlagen haben. Der Minister hat sich anders entschieden. Im ersten Entwurf, der der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ging es darum, sich auf nur noch einen oder zwei Punkte zu beschränken. In dem Entwurf, den wir jetzt haben, lesen wir, dass es ein, zwei und drei Punkte geben soll. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich mir die Frage: Was ist daran das revolutionäre Neue? Ob ich 7 Punkte habe und mit 18 Punkten den Führerschein verliere oder ob ich 3 Punkte habe und den Führerschein mit 8 PunkKirsten Lühmann ten verliere, das hat nichts mit einem neuen System zu tun, sondern ist eine Kleinigkeit. Das hat nichts mit Transparenz zu tun. Das versteht kein Mensch. Die ersten Fachleute, wie die vom ACE, sagen: Kinder, lasst bitte alles beim Alten. Das ist doch einfach nur eine Reform des Aktionismus wegen. Unsere Länder haben auch noch andere Bedenken. Eines wurde angesprochen, was wir leider nicht im Ausschuss behandeln. Es geht nämlich um die Änderung von Verordnungen. Für Verordnungen ist der Bundestag nicht zuständig. Diese Verordnungen haben aber elementar etwas mit unserer Reform zu tun. Wenn es nur noch ein bis drei Punkte gibt, dann geht es um die Frage: Welcher Verstoß soll mit wie vielen Punkten geahndet werden? Das ist eine ganz gravierende Frage. Welcher Verstoß ist so gravierend, dass es zwei Punkte gibt, und welcher ist so gravierend, dass es drei Punkte gibt? Das wird im Ausschuss nicht beraten. Es wäre schön, wenn wir es machen könnten. Die nächste Frage, die sich daran anschließt, ist: Was machen wir mit Verstößen, für die es keinen Punkt mehr gibt? Der Minister hat gerade angedeutet, dass er dann das Bußgeld erhöhen will. Wie könnte das aussehen? Dazu gibt es einen ersten Entwurf. Für das Einfahren in die Umweltzone soll es künftig keinen Punkt mehr geben. Damit können wir uns alle anfreunden. Dafür soll das Bußgeld von 40 Euro auf 80 Euro erhöht werden. Herr Ramsauer, mich interessiert nicht, wie viel ich dafür in Frankreich oder Spanien bezahlen muss. Mich interessiert, wie das in unser Gefüge der Bußgelder passt. Ich lese in der Reform, die Sie neu auf den Weg gebracht haben: Das Parken auf einem Fahrradschutzstreifen - aus meiner Sicht eine höchst gefährliche Sache; Sie parken auf einem Fahrradschutzstreifen und die Fahrräder müssen auf die Fahrbahn ausweichen - kostet 10 Euro, und das Einfahren in eine Umweltzone kostet zukünftig 80 Euro. Das passt für mich nicht mehr zusammen. Darüber müssen wir reden. ({0}) Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, den Sie bereits erwähnt haben. Das ist die Frage: Soll es einen Punkterabatt geben? Ich nenne Ihnen ein Beispiel, warum wir einen Punkterabatt haben: Margret Meier, Anfang 40, zwei Kinder, keine Raserin, keine Dränglerin, Otto Normalfahrerin wie wir alle, ist mit dem Handy am Steuer erwischt worden. Der Kindergarten hat angerufen, und sie ist natürlich rangegangen. Sie wurde erwischt: ein Punkt. Zwei Jahre später will sie ihre Großtante in Erfurt besuchen. Sie kennt Erfurt nicht. Die Großtante lebt dort in einem Altersheim. Sie weiß nicht, dass es in der Umweltzone liegt und übersieht die Schilder. Sie fährt in die Zone hinein, wird erwischt, und das 14 Tage bevor ihr Punkt verjährt. Dumm gelaufen. Dieser Punkt bleibt und ein zweiter kommt hinzu. Das heißt, wenn wir die Reform nicht umsetzen, dann bleibt die Situation, dass sich bei Menschen, die alle zwei Jahre einmal erwischt werden, die Punkte ansammeln. Das sind nicht die Menschen, die wir erreichen wollen. Es war sinnvoll, dass wir bisher in diesem Fall die Möglichkeit eines Punkteabbaus hatten. Aber jetzt haben wir eine andere Situation. Der Punkt von Frau Meier, den Sie für das Telefonieren mit Ihrem Handy bekommen hat, ist nach zwei Jahren weg, völlig egal, was zwischendurch passiert. Wenn das so ist, sehe ich keinen Grund, warum Frau Meier die Möglichkeit haben soll, die Punkte abzubauen; denn das würde ja heißen, dass sie innerhalb dieser zwei Jahre noch fünf-, sechs- oder siebenmal zusätzlich aufgefallen ist. Das alles bedeutet, dass diejenigen, die sich die neuen, teuren Seminare leisten können, zukünftig eigentlich gar nicht mehr den Führerschein verlieren. Die reichen Raser werden begünstigt, und die Menschen, die wir eigentlich erreichen wollen, erreichen wir nicht. Fazit: Insgesamt liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Es ist nicht unser Ziel, den Otto Normalverkehrsteilnehmenden für einen Fehler, der uns allen passieren kann, zu bestrafen. Unser Ziel ist es, diejenigen von unseren Straßen zu bekommen, die andere Verkehrsteilnehmer verunsichern: die Raser und Drängler, die notorischen Schnellfahrer.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lühmann, diese Arbeit müssen Sie tatsächlich in den Ausschussberatungen fortsetzen. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich schließe mit einem Zitat eines Verkehrswissenschaftlers: Sie verfügen zur Durchsetzung eigener Interessen eine frei zugängliche Tatwaffe mit erheblicher Masse und Bewegungsenergie. Diese Menschen wollen wir von der Straße haben zugunsten derjenigen, die sich ordentlich verhalten oder vielleicht einmal ein bisschen auffällig sind. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Passend dazu mache ich mir gerade Gedanken darüber, was diese Überschreitung der Redezeit eigentlich an Sanktionen hervorrufen sollte. ({0}) - Genau. Das Wort hat die Kollegin Petra Müller für die FDPFraktion. ({1})

Petra Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004115, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist unsere erste Beratung - das wurde schon gesagt -, und ich finde es gut, dass wir über dieses Thema diskutieren. Es geht um die Reform des Verkehrszentralregisters. Damit setzen Union und FDP einen wichtigen Punkt des Koalitionsvertrages um. Wichtig ist vor allen Dingen eines - der Minister hat es eben ganz ausführlich erläutert -: die Verkehrssicherheit. Im Mittelpunkt der Reform und unserer Vorschläge steht die Verkehrssicherheit. Es wird die Möglichkeit geben, den Führerschein bei schweren Verstößen sofort zu entziehen. Ich glaube, dass die Akzeptanz für solche Maßnahmen bei den Autofahrerinnen und Autofahrern in unserem Land sehr groß sein wird. Das jetzige System - auch das ist schon angeklungen ist für Autofahrer intransparent und viel zu kompliziert. Das gehen wir erfolgreich an. Das hat ein Lob verdient. Jeder Autofahrer in unserem Land hat das Recht, zu wissen, wie viele Punkte er hat. Durch die Reform soll er künftig schnell und einfach einschätzen können, wie viele Punkte er hat und wie das mit dem Punkteabbau funktioniert. Derzeit ist es nur Verkehrsfachleuten und Verkehrsrechtsanwälten möglich, festzustellen, wie viele Punkte man hat. Es kann nicht sein, dass man jemanden beschäftigen muss, um eine einfache Information vom Staat zu erhalten. Ein weiteres Manko des bisherigen Systems: Die Tilgungsfristen - auch das hat die Kollegin eben angesprochen - sind undurchsichtig und kompliziert. Aber auch dieses Problem gehen wir durch die Reform erfolgreich an. Wir werden feste Tilgungsfristen setzen. Allerdings richten sich diese nach der Schwere des Vergehens. Die Berechnung der Fristen erfolgt einheitlich, beginnend mit der Rechtskraftfeststellung des Verstoßes. Erst dann kann wieder getilgt werden. Das ist eine vernünftige und nachvollziehbare Reihenfolge. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es war eine Forderung des Bundesrates, die wir, die christlich-liberale Koalition, umsetzen. Damit hoffen wir natürlich auch - ich möchte dafür werben -, das Gesetz einvernehmlich beschließen zu können. Es wäre ein starkes Signal an die deutschen Autofahrer, wenn wir das gemeinsam beschließen würden. ({0}) Im Verkehrszentralregister sind über 9 Millionen Autofahrer erfasst, das ist jeder neunte deutsche Bundesbürger. ({1}) Das bedeutet einen riesigen Verwaltungsaufwand und hohe Kosten; in Euro und Cent: 15 Millionen jährlich. Ein bewusstes Reformziel ist es, spürbare Verwaltungsvereinfachung zu erzielen. Ihre Forderung im Bundesrat, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tilgungsfrist auf zweieinhalb Jahre zu verlängern, konterkariert unsere Bemühungen. Ich möchte hier für unseren Entwurf werben. Wenn wir Ihren Vorschlag umsetzen, wird die Zahl der Eintragungen im Register um 135 Prozent steigen. Wenn wir unseren Vorschlag realisieren, wird sie sinken. Ich glaube, das ist das, was wir gemeinsam wollen. ({2}) Ich kann Ihnen versprechen, dass wir von der christlichliberalen Koalition auch in der weiteren Diskussion versuchen werden, diese Dinge erfolgreich nach vorne zu treiben, weil das ein Thema ist, das jeden in diesem Land angeht. Die FDP-Bundestagsfraktion sieht bei diesem Gesetzentwurf Ergänzungsbedarf: Den freiwilligen Seminarbesuch hat es bis jetzt immer gegeben. Aus unserer Sicht soll er weiterhin zum Punkteabbau führen, alle fünf Jahre zwei Punkte. 14 000 bundesdeutsche Autofahrer nutzen diese Chance jährlich. Das sind viele Menschen, und das soll unserer Ansicht nach so bleiben. ({3}) Die Chance zum Punkteabbau - ich spreche nicht von Rabatten, sondern ich spreche von Punkteabbau - ist im Hinblick auf den geplanten Führerscheinentzug bei acht Punkten umso sinnvoller und notwendiger. Das ist auch ein Einwand des Verkehrsgerichtstages. Den sollten wir ernstnehmen. Von der Vernunft der deutschen Autofahrer bin ich überzeugt. Aber wer soll ohne Anreiz des Punkteabbaus freiwillig an Seminaren teilnehmen? Wir wollen doch, dass gerade die positive Wirkung dieser Seminare - Verbesserung der Fahrweise, Verbesserung der Einstellung zum Straßenverkehr, nahezu Halbierung der Zahl der Unfälle, verkehrsangepasste Fahrweise; das alles sind Ergebnisse dieser Seminare - bei allen Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Weiterhin bedeutet der Wegfall des freiwilligen Punkteabbaus für viele Berufskraftfahrer und Vielfahrer eine wirkliche Härte. Auch das muss gesagt werden. ({4}) Wir unterstützen keine Raser und Alkoholiker am Steuer. Es geht um diejenigen, die mit dem Autofahren ihr Geld verdienen. Für viele geht es dabei um ihre Existenz. Deshalb sollten wir das Augenmerk auf diesen Punkt legen. Dafür möchte sich die FDP-Bundestagsfraktion einsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich spreche alle an -, die Gesetzesnovelle ist gut und richtig. Sie hat aber einige offene Punkte. Diese möchte ich mit Ihnen konstruktiv diskutieren und lösen, im Sinne der Verkehrsteilnehmer und im Sinne von Millionen Autofahrerinnen und Autofahrern in diesem Land. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit am Freitagnachmittag. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Ramsauer, auf das Angebot, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren, würden wir sehr gerne zurückkommen. Auch nach 22 Jahren im Deutschen Bundestag müssen wir dafür aber erst auf die Reaktion Ihrer Fraktion warten. Gemeinsame Anträge, auf denen auch die Linke steht, gab es noch nicht. Wir sind aber zu Kompromissen bereit, wenn Sie nachher Ihr Wort halten. Jetzt zur eigentlichen Sache. Diese Debatte ist aus unserer Sicht schon bemerkenswert; denn zurzeit dominieren in der Verkehrspolitik andere Themen die öffentliche Debatte, zum Beispiel die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 oder das Desaster beim Berliner Flughafen. Aber hier im Bundestag debattieren wir über Initiativen wie die zur Wiederzulassung von alten Autokennzeichen oder über die Reform der Flensburger Verkehrssünderdatei. Das kann man machen. Akuter Handlungsbedarf dafür liegt aus meiner Sicht allerdings nicht vor. Das alles wirft für meine Begriffe ein interessantes Licht auf die Schwerpunktsetzung des Verkehrsministeriums. Wie dem auch sei, der Minister hat angesichts der drängenden Probleme in der Verkehrspolitik nun seine Ressourcen gebündelt und es geschafft, einen Gesetzentwurf zur Reform des Verkehrszentralregisters vorzulegen. Wenn man eine solche Reform anpackt, muss sie folgende Ziele haben: die Steigerung der Verkehrssicherheit zum einen und die Reduzierung der Zahl von Unfällen zum anderen. Wichtig ist, dass die Anzahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr zurückgeht. Hier hat sich in den letzten Jahren sicherlich sehr viel zum Positiven gewendet. Die Frage ist also heute: Leistet diese Reform einen Beitrag dazu, diese positive Entwicklung fortzusetzen? Hier sehe ich - ähnlich wie meine Vorrednerinnen und Vorredner - einige Punkte kritisch. Zwar ist die Absicht der Vereinfachung des Punktesystems prinzipiell gut. Es ist allerdings die Frage, ob dies erreicht wird, wenn einzelne Punkte wiederum unterschiedliche Halbwertszeiten haben. Übersichtlich ist etwas anderes. Außerdem entfällt die Möglichkeit, dass durch freiwillige Teilnahme an Seminaren Punkte getilgt werden können. Es gab jetzt Wortbeiträge auch vonseiten der FDP, in denen das anders gesehen wurde. Wir kritisieren das als Linksfraktion ebenfalls; denn durch aktives Handeln sollte man auf sein Punktekonto Einfluss nehmen können. Dies wiederum schafft eine positive Motivation zur Übernahme von Verantwortung. Dazu wird nicht ermuntert, wenn man in ein starres Zwangssystem zurückfällt. Eine Verbesserung von Qualitätskontrollen bei diesen Seminaren wäre allerdings zwingend erforderlich. Wir müssen auch darüber reden, wie Verkehrsteilnehmer überhaupt zu ihren Punkten kommen. In meiner Heimatstadt Saarbrücken finden vor Kindergärten und Schulen so gut wie keine Geschwindigkeitsmessungen statt, sehr wohl aber auf Hauptverkehrsstraßen kurz hinter dem Ortseingangsschild. Hier müsste der Gesetzgeber einmal eingreifen. Wir reden darüber, dass wir Verkehrsteilnehmer nicht nur bestrafen, sondern auch zur Übernahme von Verantwortung motivieren wollen. Dazu gehört auch, dass die Maßnahmen nachvollziehbar sind. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Bußgelder ausschließlich dazu dienen, Haushaltslöcher zu stopfen. Die direkte Ansprache durch Polizeibeamte an Ort und Stelle wäre sinnvoller als der inflationäre Einsatz von Blitzern - er hat in den letzten Jahren stark zugenommen - mit dem Versand von Knöllchen meist Wochen oder Monate später. Auch das könnte dazu beitragen, dass die Verkehrssicherheit nicht abstrakt wahrgenommen, sondern dass das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen gestärkt wird. Leider ist der Trend aufgrund der angespannten Personalsituation bei der Polizei eher umgekehrt. Vor allem in ländlichen Regionen stellt die mangelnde Präsenz - zumindest für einige Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer - eher eine Einladung zum Rasen und zum Fahren unter Alkoholeinfluss dar. Ich komme zum Schluss. Wenn diese Reform richtig umgesetzt wird und im parlamentarischen Verfahren noch einige Verbesserungen erfährt, geht sie in die richtige Richtung. Der eine oder andere Wähler wird sich dennoch fragen, wofür das Bundesverkehrsministerium angesichts der großen Probleme der Verkehrspolitik seine Zeit verwendet. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf! ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verkehrssicherheit ist ein sehr wichtiges und bedeutendes Thema, das viel zu wenig im Fokus der Öffentlichkeit steht. Wir haben in dem Bereich aber sehr große Erfolge erzielt. Bei einer weitaus geringeren Verkehrsleistung in den 70er-Jahren gab es allein in Westdeutschland etwa 20 000 Verkehrstote pro Jahr. Inzwischen liegt die Zahl in Gesamtdeutschland - bei einer sehr stark gestiegenen Verkehrsleistung auf den Straßen - bei deutlich unter 5 000 Verkehrstoten pro Jahr. Es hat sich also sehr, sehr viel getan. Allerdings ist nicht besonders viel in Bezug auf die Anzahl der Unfälle sowie der Schwer- und Schwerstverletzten passiert. Deshalb ist es ein Thema, dem zu widmen sich lohnt. Worauf aber haben dieses Verkehrsministerium, diese Bundesregierung und diese Koalition ihren Fokus gelegt? Sie haben ihn auf die Reform der Punkte gelegt. Bisher lag die Grenze bei maximal 18 Punkten, und es wurden Punkte im Bereich zwischen 1 und 7 vergeben. Jetzt liegt die Grenze bei maximal 8 Punkten, und es werden 1 bis 3 Punkte angerechnet. Es gibt einen Fortschritt. Vorher reichten zwei Hände nicht aus, um die Anzahl der Punkte zu zählen. Jetzt reichen zwei Hände dafür aus. Das ist letztendlich der Unterschied. Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob jemand, der in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug zu führen, nicht fähig ist, bis 18 zu zählen. ({0}) Es gibt die Aussage, das jetzige System sei vollkommen intransparent. Wenn Sie wissen wollen, wie viele Punkte Sie haben, gebe ich Ihnen einen ganz simplen Tipp: Gehen Sie einfach online, und fragen Sie es ab. Das ist überhaupt nicht kompliziert, das kann jeder. Dazu muss man weder Verkehrsrechtler noch Rechtsanwalt sein. Vielmehr braucht man einen Führerschein; damit ist man in der Verkehrssünderpunktekartei registriert. ({1}) Was wäre wirklich notwendig? Wirklich notwendig wäre, dass wir uns stärker um die echten Probleme im Bereich der Verkehrssicherheit kümmern. Die Hauptunfallursache ist erhöhtes Tempo. Eine weitere häufige Unfallursache ist Alkohol. Ein weiteres großes Problem ist, dass die Gruppe der jungen Fahrer immer noch die Hauptunfallverursacher sind. Auch im Bereich der Landstraße - Stichwort „Infrastruktur“ - gibt es große Probleme. ({2}) Das sind die Hauptprobleme, die wir in dem Bereich haben. Da macht die Bundesregierung fast nichts. Warum macht sie nichts? Beim Hauptproblem Tempo macht sie aus ideologischen Gründen nichts. Das Argument lautet immer: freie Fahrt für freie Bürger. Dabei gehört viel stärker zur Freiheit, dass man unverletzt ankommt. Beim Thema Tempo wäre es dringend notwendig, etwas zu machen. Ein erster kostengünstiger Schritt wäre, endlich ein Tempolimit auf allen Autobahnen einzuführen. ({3}) Des Weiteren wäre es dringend notwendig, Verwaltungsvereinfachungen durchzuführen. Unsere Verkehrspolizei ist, wenn sie denn einmal Zeit und Kraft hat, Tempoüberwachungen durchzuführen, ewig damit beschäftigt, herauszufinden, wer denn der Fahrer war. In einem Großteil unserer Nachbarländer gibt es etwas ganz Einfaches. Das nennt sich Halterhaftung. Die Halterhaftung gilt natürlich nicht in strafrechtlichen Fragen, aber bei Ordnungsgeldern. Dann ist schlichtweg derjenige verantwortlich, dem das Auto gehört. Wenn der Halter jemanden mit seinem Auto fahren lässt, der unverantwortlich damit umgeht, dann muss er sich halt das Geld von demjenigen zurückholen. Aber damit muss man doch nicht unsere Polizei belasten, die dafür sowieso keine Zeit und keine Kraft hat. Sie sehen, man müsste sich endlich mit den wirklich wichtigen Themen im Bereich Verkehrssicherheit beschäftigen. Das würde sich sogar lohnen; denn obwohl wir viele Erfolge erreicht haben, passieren Tag für Tag immer noch schreckliche Unfälle auf unseren Straßen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die Unionsfraktion. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich mit einem Lob für das Ministerium beginnen. Ich möchte es dafür loben, dass es sich dieser wichtigen Aufgabe, der Reform des Verkehrszentralregisters, gewidmet hat. ({0}) Denn einige Kollegen haben jetzt ja die Auffassung vertreten, dass es wesentlich wichtigere Themen gibt, über die wir debattieren sollten. Dieser Meinung bin ich nicht. Dieses Ministerium kümmert sich nicht nur um Kernaufgaben, sondern auch um andere Aufgaben, und - die Kollegin Lühmann hat dies eben zu Recht gesagt - wir hatten einen Auftrag an das Ministerium formuliert, hier etwas vorzulegen. Ich erinnere mich noch gern an die Zeit 2009 in der Großen Koalition, ({1}) als ich mit dem Kollegen Volkmar Vogel das Verkehrszentralregister in Flensburg besucht habe, um mir dort erklären zu lassen, welchen Verwaltungsaufwand wir betreiben, um Punkte zu verwalten. Kollege Hofreiter, wir können online zwar feststellen, wie viele Punkte wir aktuell haben - das ist nicht das Problem -, aber Sie werden online nie feststellen können, wann Ihre Punkte wegfallen. Das können Ihnen wahrscheinlich nicht einmal die Sachbearbeiter ganz genau sagen. Da besteht Intransparenz. Das hatte uns motiviert, mit allen Fraktionen einen sehr weit gefassten Antrag zu formulieren, in dem wir das Ministerium beauftragt haben, einen Entwurf für eine Reform des Verkehrszentralregisters vorzulegen. Darüber reden wir heute. ({2}) Deshalb finde ich den Ansatz des Ministeriums richtig, nicht nur Verwaltung einzusparen und alles auf EDV umzustellen, sondern auch klare und feste Tilgungsfristen im System nachvollziehbar zu implementieren. Ich finde es auch richtig, dass die Verkehrssicherheit hierbei ein besonderer Aspekt ist; einige Punkte, die bisher eingetragen wurden, konnten wegfallen. Wir wissen: Verkehrsunfälle entstehen hauptsächlich durch rücksichtsloses und zu schnelles Fahren. Da setzt die Reform die richtigen Schwerpunkte. Denn wer wiederholt die Sicherheit gefährdet, hat auf unseren Straßen nichts verloren. ({3}) Ein Diskussionspunkt ist natürlich auch, wie wir mit Berufskraftfahrern umgehen, die täglich 100, 200 oder 300 Kilometer auf der Straße unterwegs sind. Als Verkehrssicherheitspolitiker habe ich da ein Problem. Denn ich erwarte, dass man sich zum Beispiel vor einem Kindergarten, in sensiblen Bereichen, in denen wir die Geschwindigkeit bewusst reduzieren, um Gefahren zu vermeiden, an die Regeln hält. ({4}) Da kann man keinen Unterschied machen zwischen einem Berufskraftfahrer, einer Hausfrau, die es eilig hat, und einer Mutter, die schnell ihre Kinder zur Schule fahren muss. Da sind alle gleich zu behandeln. Ich bin der Meinung, wir sollten feststellen: Jemand, der viele Regelverstöße begangen hat, ist für den Verkehr auf der Straße nicht geeignet. Deshalb ist mein Petitum, dass wir keinen Punkteabbau ermöglichen sollten. Wenn wir das gesetzlich so festlegen würden, hätten wir nach fünf Jahren auch Erfahrungen mit den Seminaren gesammelt, die nach einer gewissen Zeit, wenn man sein Punktekonto zu sehr aufgebaut hat, verpflichtend zu absolvieren sind. Wir könnten auch festlegen, dass wir dann evaluieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, einen Punkteabbau zu ermöglichen. Auch bei mir kommt natürlich an, dass Experten sagen, 50 Prozent der Teilnehmer an einem solchen Lehrgang würden hinterher ein besseres Verhalten an den Tag legen. Man könnte natürlich auch gemein sein und sagen: Wir erwischen sie nicht mehr. Wir wissen eigentlich nicht genau, ob sie ihr Verhalten verändert haben oder nicht. - Insofern ist das ein Punkt, den man wirklich evaluieren sollte, damit wir in diesem Hause allen Seiten gerecht werden. ({5}) Mein Ziel ist, dass wir diese Reform auf den Weg bringen. Wir sind eigentlich schon sehr weit. Der Bundesrat hat noch zwei, drei Punkte in die Debatte eingebracht, über die wir sprechen können. ({6}) Als wir mit der Debatte anfingen, haben wir gesagt: Die Tilgungsfrist soll drei Jahre betragen. - Als Ergebnis ist jetzt herausgekommen, dass die Tilgungsfrist zwei Jahre beträgt. Der Bundesrat sagt: Wir hätten gerne eine Frist von zweieinhalb Jahren. - Im Ergebnis bedeutet eine Frist von zweieinhalb Jahren mehr Verwaltung, mehr Führerscheinentzüge und, und, und. Darüber kann man reden. Daran sollte diese Reform nicht scheitern. Alle Kollegen haben gesagt: Wir möchten uns hier im Plenum um die ganz wichtigen Themen kümmern. Wir möchten nicht, dass die Punktereform in der nächsten Legislaturperiode ein zweites Mal auf die Tagesordnung kommt. - Ich glaube, da sind wir uns einig. Wir haben vier Jahre darüber diskutiert und daran gearbeitet; sogar Verkehrsgerichtstage haben sich damit beschäftigt. Deshalb halte ich es für sinnvoll, dass wir die Punktereform im Sommer dieses Jahres final auf den Weg bringen. ({7}) Ich möchte noch auf einen Aspekt, den Frau Lühmann angesprochen hat, eingehen. Sie hat gesagt, dass das Parlament keinen Einfluss auf Verordnungen hat, was die Verstöße angeht. Es ist hier allgemein Konsens, dass dem Gesetzgeber Verordnungsermächtigungen nur deswegen erteilt werden, damit sich die Fraktionen die jeweilige Verordnung noch einmal ansehen können. Nur wenn wir ihr zustimmen, darf die Verordnung in Kraft gesetzt werden. Insofern: Die Bußgeldreform ist das eine. Aber die Höhe der einzelnen Bußgelder zu bestimmen, ist ein Prozess, der uns wieder mindestens zwei, drei Jahre beschäftigen wird. Insofern ist der Einfluss des Parlaments in diesem Bereich enorm. Ich glaube, Frau Lühmann, wir sind uns einig: Da wollen wir mitreden, und da sollten wir mitreden. Ich glaube, wenn auch die Bürger mitreden würden, käme dabei etwas Komplizierteres heraus, so wie es auch bei diesem Gesetzentwurf der Fall ist. Ich habe eindeutig dafür geworben: Über die Tilgungsfristen können wir reden, und auch über die Kritik, die der Bundesrat vorgetragen hat, sollten wir sprechen; wir werden dazu eine Anhörung durchführen. Ich plädiere und werbe dafür, dass wir diese Reform des Verkehrszentralregisters noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 17/12636 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({1}), Christine Buchholz, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechts- konform unter Strafe stellen - Drucksachen 17/11698, 17/12736 - Berichterstattung:- Abgeordnete Ansgar Heveling- Burkhard Lischka- Jörg van Essen- Halina Wawzyniak- Ingrid Hönlinger b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Paul Schäfer ({2}), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3}) - Drucksache 17/11591 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 17/12711 Berichterstattung:Abgeordnete Ingo WellenreutherDr. Dieter WiefelspützGisela PiltzUlla JelpkeWolfgang Wieland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion. ({5})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt seit anderthalb Wochen Probleme mit Husten; ich hoffe, Sie drücken mir die Daumen, dass ich meine Rede ohne einen Hustenanfall über die Bühne bekomme. Deshalb werde ich auch etwas kürzer reden, als das üblicherweise der Fall ist. ({0}) Das Thema Angriffskrieg ist aus historischen Gründen ein Thema, das die Menschen in Deutschland bewegt. Von Deutschland sind zwei Weltkriege ausgegangen. Deshalb finde ich es richtig, dass in Art. 26 des Grundgesetzes festgestellt wird, dass Handlungen, die im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg stehen, verfassungswidrig sind und unter Strafe zu stellen sind. ({1}) Ich glaube, es gibt ganz wenige Fragen, die quer durch alle politischen Strömungen hindurch so einhellig beantwortet werden wie die, dass wir eine besondere Pflicht haben, sicherzustellen, dass von Deutschland nie wieder Krieg ausgeht. Ob das, was in den gesetzlichen Regelungen zu finden ist, ausreichend ist, darüber können und müssen wir immer wieder die Debatte führen, zumal wenn man sich das genauer anschaut: Der Verfassungsauftrag in Art. 26 des Grundgesetzes, Handlungen, die im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg stehen, unter Strafe zu stellen, hat erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Übrigens: Beim Thema Abgeordnetenbestechung, wo die Bundesregierung ja ein internationales Abkommen unterzeichnet hat, ist es ähnlich. Es gibt im Augenblick eine entsprechende Bestimmung im Strafgesetzbuch. Die Diskussion über das innerstaatliche Recht ist jedoch zu einem Zeitpunkt geführt worden, als etwas, von dem ich persönlich meine, dass es einen ganz erheblichen Fortschritt bedeutet, noch nicht existierte, nämlich die völkerrechtliche Regelung im Völkerstrafgesetzbuch. Ich gehöre mit zu denen, die sich intensiv dafür eingesetzt haben. Ich bin dankbar, dass der frühere Außenminister, Klaus Kinkel, der ja zuvor Justizminister war, sich da auch sehr engagiert hat. Angriffskriege sind in der Regel internationale Konflikte. Deshalb ist das Völkerstrafgesetzbuch genau der richtige Ort. Wir alle wissen, dass es 2010 in Kampala dazu eine neue Übereinkunft gegeben hat. Im Augenblick laufen Überlegungen, wie das Ganze gegebenenfalls auch in das nationale Strafrecht übernommen werden kann. Meine persönliche Auffassung ist - Herr Beck, ich glaube, Sie haben in der ersten Lesung auch Ihre Meinung dazu vorgetragen -, dass es die beste Lösung ist, das ins Völkerstrafgesetzbuch aufzunehmen: weil es dann nämlich für alle gleich gilt. Das ist, wie ich finde, der richtige Ansatz. Von daher ist alles das, was die Linkspartei in ihrem Antrag aufgeführt hat - dass es Strafbarkeitslücken gibt; dass die Gefahr besteht, dass von Deutschland wieder Krieg ausgehen könnte -, Bedienung von Vorurteilen, die in ihrer Klientel natürlich vorhanden sind, aber dem, was wir diesem Thema schulden - dass wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir das beispielsweise im Völkerstrafgesetzbuch, aber auch gegebenenfalls in der nationalen Gesetzgebung umsetzen -, nicht gerecht wird. Wir sind der Auffassung: Wir sollten darüber in aller Ruhe, in aller Sorgfalt nachdenken; denn Strafrecht muss nach Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt sein und für den Gesetzesunterworfenen klar und eindeutig erkennbar sein. Genau diesem Ziel sind wir verpflichtet. Die Vorschläge, die die Linksfraktion dazu gemacht hat, genügen diesen Anforderungen eindeutig nicht. Von daher mein Plädoyer heute: Ablehnung der Vorschläge der Linksfraktion und eine sachliche Diskussion über die anstehenden Fragen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Vermächtnis unserer deutschen Geschichte heißt: Menschen, die gegen Recht und Gesetz Kriege vom Zaune brechen, müssen vor Gericht gestellt werden. Das ist der Sinn des Art. 26 des Grundgesetzes und, ich denke, das ist identitätsstiftend für alle, die hier im Hause tätig sind. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass die Umsetzung in Gestalt der §§ 80 und 80 a Strafgesetzbuch, die ja schwer genug war, nicht ganz optimal gelungen ist. Es gibt jede Menge Abgrenzungsschwierigkeiten und bis heute keine einzige Verurteilung. ({0}) Das mag verschiedene andere Gründe haben. Insoweit macht es durchaus auch Sinn, darüber nachzudenken, ob man hier an der einen oder anderen Stelle zu Präzisierungen kommen kann. Aber die große Errungenschaft der letzten 20 Jahre, die auch unter starker Beteiligung Deutschlands zustande gekommen ist, besteht darin - an dieser Stelle stimme ich mit Herrn van Essen uneingeschränkt überein -, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen in Gestalt von Kriegen nicht mehr einfach nur Bestandteil der Geschichte sind und ohne Sanktionen bleiben. Menschenschlächter müssen heute damit rechnen, dass sie sich in Den Haag verantworten müssen. Das Rom-Statut ist eine wichtige Sache, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Dieser Weg ist aber noch nicht zu Ende. Nach dem Rom-Statut hat der Internationale Strafgerichtshof auch die Zuständigkeit für einen Angriffskrieg, aber es gibt keinen entsprechenden völkerrechtlichen Straftatbestand. Hier gibt es also eine unvollkommene Rechtslage, eine Lücke, von der ich meine, dass sie ausgefüllt werden sollte. Es wäre schön, wenn wir uns hier im Hause darauf einigen könnten, dass das vielleicht doch der klügere Weg ist, also nicht nur sozusagen ein deutscher Sonderweg, sondern ein Weg, den alle Staaten gehen sollten, und ich würde mir wünschen, dass das auch für die Vereinigten Staaten von Amerika gilt; auch hierin sind wir vermutlich alle einer Meinung. ({1}) Das ist die große Zielsetzung, die uns an dieser Stelle einigen sollte. Das könnte in der Tat ein entscheidender Schritt sein. ({2}) Ich räume ein - ich will jetzt nicht von Schnellschüssen reden; das passt in diesem Zusammenhang nicht -, dass hier auch Geduld gefordert ist, weil das nicht von heute auf morgen zu regeln sein wird. Aber wir sollten uns an dieser Stelle richtig anstrengen und die Bundesregierung ermutigen, diesen Weg zu gehen. Wir als Parlament sollten unsere Möglichkeiten nutzen, um diesen Weg voranzutreiben. Das Rom-Statut und mit ihm der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sind eine große zivilisatorische Errungenschaft. ({3}) Warum soll dieses Strafgericht im Laufe der kommenden Jahre nicht noch wichtiger werden und auch über Angriffskriege entscheiden dürfen? Ich denke, wenn man sich darauf verständigen kann, hat man einen großen Schritt voran getan. Das ist jedenfalls meine persönliche Überzeugung. ({4}) Wir haben hier heute auch noch über Art. 35 Grundgesetz und die Einsätze der Bundeswehr im Innern zu reden. Ich persönlich bin gemeinsam mit meiner Fraktion der Auffassung: Wir brauchen keine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern; wir brauchen aber auch keine Einschränkung. ({5}) Wir haben in Deutschland kraft Verfassungslage eine sehr klare Trennung: Die äußere Sicherheit ist unter anderem Sache der Bundeswehr und nicht der Polizei, die innere Sicherheit ist im Wesentlichen Sache der Polizei. Nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen kann die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden. Vier Fälle sind in den Art. 87 a Abs. 4, Art. 87 a Abs. 3, Art. 35 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 des Grundgesetzes geregelt. Mehr nicht! Es ist auch eine große zivilisatorische Errungenschaft, dass wir diese Zuständigkeiten nicht vermischen. Für die äußere Sicherheit ist die Bundeswehr zuständig, die das gut und bewährt macht, für die innere Sicherheit gibt es die Polizei. Das eine hat mit dem anderen nur relativ wenig zu tun. Jeder macht seinen Job, und zwar insgesamt gesehen sehr gut. Das sollten wir nicht vermengen. Noch einmal: Wir haben keinen Regelungsbedarf in Richtung Ausweitung der Zuständigkeiten der Bundeswehr im Innern. Wir haben aber auch keinen Regelungsbedarf in Richtung Einschränkung der Möglichkeiten der Bundeswehr in besonderen Fällen. Insofern werden wir diesen Antrag ablehnen. Schönen Dank fürs Zuhören. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Patrick Sensburg für die Unionsfraktion. ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe zwar keinen Husten wie der verehrte Kollege von Essen, aber auch ich werde mich kurzfassen, da schon meine beiden Vorredner die zwei entscheidenden Punkte ausführlich angesprochen haben. Meine Damen und Herren von der Linken, Sie erwecken den Eindruck, als hätten wir im deutschen Recht eine Gesetzeslücke, als stünden wir kurz vor der Vorbereitung eines Angriffskrieges, als müssten wir hier dringendst legislatorisch-normativ tätig werden. Das ergibt sich aus Ihren beiden Anträgen. Nichts davon ist der Fall. ({0}) Das hat sich schon im Jahre 2003 gezeigt, als die Strafanträge unter anderem gegen den damaligen Bundeskanzler Schröder, den damaligen Außenminister Joschka Fischer und den damaligen Verteidigungsminister Dr. Peter Struck erfolglos geblieben sind, weil die Bundesanwaltschaft ganz klar gesagt hat: Hier besteht kein erstes Anzeichen für die Vorbereitung eines Angriffskriegs. - § 80 StGB war die einschlägige Norm, um dies zu prüfen. Wir haben im Grundgesetz in Art. 26 einen Friedensauftrag normiert. Das ist eine besondere Leistung unseres deutschen Grundgesetzes, und darauf können wir auch stolz sein. Daraus erwächst ein Auftrag insbesondere im Rahmen des europäischen Friedensprozess, der uns seit 70 Jahren - daran sollten wir auch denken Frieden auf deutschem Boden beschert hat. Daher sollten wir diese Verantwortung wahrnehmen und den Frieden weiter gestalten. Meine Damen und Herren von der Linken, das ist Ihnen in den letzten Monaten mit Ihrer ständigen Ablehnung der Anträge, bei denen es um die Solidarität in Europa ging, übrigens nicht gelungen. ({1}) Gleichzeitig sollten wir auch des Auftrags der Bundeswehr gedenken, wenn deutsche Soldaten im Ausland ihr Leben riskieren und für Frieden einstehen. Meine Damen und Herren von den Linken, auch da sind Sie kein Glanzpunkt in der parlamentarischen Arbeit, ({2}) wenn Sie immer wieder das Ansehen unserer deutschen Soldatinnen und Soldaten, die sich für Frieden einsetzen, untergraben. ({3}) Ich glaube, Sie haben die Rechtslage nicht richtig durchschaut, oder Sie kennen sie nicht. Wir haben mit § 80 des Strafgesetzbuches eine Norm, die die Vorbereitung des Angriffskriegs unter Strafe stellt, und die funktioniert auch. Sie ist eine Ausgestaltung des Völkerrechts. Auch Art. 26 des Grundgesetzes ist eine Ausgestaltung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes, das wir seit dem Jahre 1928 kennen. Nur, das Völkerrecht - das müssen wir auch wissen - hat einen gewissen Anteil, bei dem man nicht konkreter werden kann. Strafrechtsnormen müssen allerdings hinreichend bestimmt und konkret sein. Sie werden insbesondere durch das internationale Völkerstrafrecht ausgestaltet, und daran müssen wir arbeiten. Die beiden Kollegen haben es doch gerade dargestellt. Sie können eine deutsche Norm nicht so hinreichend konkret formulieren, und das zeigt auch Ihr Antrag: Sie haben keinen Paragrafen formuliert. Hätten Sie doch einen § 80 formuliert! Den hätte ich gerne gesehen. ({4}) Sie merken doch selber, dass Sie mit Ihrem Antrag reine Schaufensterpolitik machen, ({5}) und Sie merken auch, dass Sie hier für Ihre Altlinken an den Stammtischen etwas tun wollen. Für die Sache selber tun Sie aber wirklich nichts Gutes. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir ein völkerrechtliches Gebot normieren und dass wir im Völkerstrafrecht weiterkommen. Ich glaube, dann tun wir wirklich etwas Gutes. Mit Ihrem Antrag bewirken Sie genau das Gegenteil. Das ist schade. Ich hoffe, dass wir diesen beiden Anträgen heute nicht zustimmen, sondern sie ablehnen. Auch dann haben wir etwas Gutes getan. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Paul Schäfer das Wort. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei wichtige Themen, zwei wichtige Vorlagen - und das in vier Minuten. Das ist eine echte Herausforderung, ({0}) zumal es um zwei verschiedene Dinge geht, die aber eine Gemeinsamkeit haben: Es geht um Einsätze der Bundeswehr und um Rechtsklarheit. Paul Schäfer ({1}) Erstens wollen wir kategorisch ausschließen, dass die Bundeswehr im Innern Waffen einsetzt, und zweitens wollen wir, dass verbindlich festgeschrieben wird, dass sich Deutschland niemals und in keiner Weise an der Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen beteiligt. ({2}) Im Verteidigungsausschuss wurde gesagt, das sei doch selbstverständlich. Dafür brauchten wir keine neue Regelung. ({3}) Niemand käme im Traum darauf, dass die Bundeswehr auf die eigene Bevölkerung schieße oder sich Deutschland an einem Angriffskrieg beteilige. Der Rest sei quasi typisch linke Phobie gegen die Bundeswehr. ({4}) Selbst wenn es so wäre, lieber Kollege van Essen: Was würde denn dagegen sprechen, das, was alle wollen, rechtsverbindlich festzuschreiben? ({5}) Aber offenkundig wollen Sie ganz bestimmte Festlegungen nicht. Nehmen wir den Antrag. Untersagt werden soll die Beteiligung an Angriffskriegen, die Zuwiderhandlung soll strafrechtlich belangt werden. - Sie sagen: Wenn Art. 26 des Grundgesetzes gilt, der die Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges untersagt, dann wird dadurch doch erst recht auch die Beteiligung am Angriffskrieg selber erfasst. ({6}) Ja, so sollte es sein. Aber es scheint nicht ganz so zu sein. Noch einmal zur Erinnerung. Deutschland hat 2003 die USA bei dem Krieg im Irak unterstützt; Stichwort: bewaffnete Eskorten der US-Schiffe. Die Strafanzeigen gegen die Bundesregierung wurden vom damaligen Generalbundesanwalt Nehm mit der Begründung zurückgewiesen, nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges sei eindeutig strafbewehrt. Das zeigt doch: Nicht unser Antrag ist schräg, sondern dieser Zustand. Es kann auch nicht sein, dass es im deutschen Strafgesetz immer noch keine präzise Definition dazu gibt, was man unter einem Angriffskrieg und einer kriegerischen Handlung versteht. Dafür sind aber jetzt auf internationaler Ebene Grundlagen geschaffen worden: einmal durch die UNO-Generalversammlung 1974, aber vor allem durch die Ergänzung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs 2010; das haben Sie auch gesagt. Das heißt, nach unserem Verständnis kann diese Rechtslücke jetzt geschlossen werden. Sie sollte geschlossen werden. Wir machen dazu einen Vorschlag. Deshalb haben wir keinen Gesetzestext vorgelegt. Vielmehr haben wir gesagt: Diese Debatte muss weitergehen. Ich bin ganz froh darüber, dass der Kollege van Essen hier in einer anderen Tonlage als in der ersten Lesung gesprochen hat. Er hat zumindest eingeräumt: Hier ist Handlungsbedarf. - Aber bitte, dann machen wir das! Mir leuchtet nicht ein, dass man sich jetzt nur auf Entwicklungen im Völkerstrafrecht verlegt und sagt: Im deutschen Strafgesetzbuch lassen wir das außen vor. Hier können wir anfangen, etwas zu machen. Dann sollten wir das auch tun. ({7}) Auch mit der zweiten Vorlage, unserem Gesetzentwurf, wollen wir Rechtsklarheit schaffen. Es sollte selbstverständlich sein, dass die Bundeswehr ihre Waffen nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. So ist es aber nicht ganz. 1968 sind mit den Notstandsgesetzen Passagen ins Grundgesetz eingefügt worden, die damals im Geiste des Kalten Krieges verabschiedet wurden und die die panische Angst der damaligen Bundesregierung vor sozialen Unruhen widergespiegelt haben, denen man im schlimmsten Fall - natürlich ist das eingegrenzt - mit spezifischen militärischen Mitteln begegnen müsse. Der Kalte Krieg ist vorbei, aber die Ermächtigung für den Gewalteinsatz der Bundeswehr ist geblieben. Es kommt hinzu: Teile der Bundesregierung sind seit langem bestrebt, den Handlungsspielraum der Bundeswehr im Innern auch über Art. 35 Grundgesetz zu erweitern. Die Regierung aus SPD und Grünen wollte, dass Kampfflugzeuge im Zuge der Terrorabwehr auch zivile Flugzeuge abschießen dürfen. Dem hat das Verfassungsgericht 2006 zum Glück einen Riegel vorgeschoben. Allerdings hat dasselbe Gericht im letzten Jahr auch mit dem Verweis auf die Notstandsgesetzgebung wieder ein Hintertürchen geöffnet. Diese Tür - darum geht es - gilt es, gesetzgeberisch - das heißt: hier - wieder zu schließen. Die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ist für uns eine Aufgabe der Polizei - ohne Ausnahme! Für uns bleibt auch die Terrorismusbekämpfung eine polizeiliche Aufgabe. Und für uns gibt es auch kein plausibles Szenario für eine bewaffnete Amtshilfe nach Art. 35 Grundgesetz. Es blieb den Grünen vorbehalten, im Verteidigungsausschuss ein Szenario heraufzubeschwören, den apokalyptischen Fall eines auf die Erde stürzenden Meteoriten, den man gegebenenfalls abschießen müsse. Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn es um die Rettung der Welt geht, spielt deutsche Gesetzgebung keine Rolle mehr. Was wir hier verhandeln, was wir hier brauchen, sind klare gesetzliche Grundlagen, um den Missbrauch militärischer Gewalt auszuschließen. Das fordern wir hier. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, bei mir ist es allenfalls der Stern von Bethlehem. - Meine Damen und Herren! Ich finde, es geht hier um zwei Debatten, die sich lohnen, ernsthaft geführt zu werden. Aber ich wundere mich, dass diese Anträge zu einem Tagesordnungspunkt zusammengefasst worden sind: Einsatz der Bundeswehr im Inneren und Verbot des Angriffskriegs. ({0}) Das hat schon ein bisschen die Grundmelodie von antimilitaristischer Gesetzgebung gegen den Militarismus in Deutschland. ({1}) Ich finde, das wird selbst dieser Koalition nicht wirklich gerecht. Wir haben doch einen anderen Diskussionsstand und eine andere politische Kultur - Gott sei Dank! ({2}) Das war nicht immer so, das war auch nicht immer so einvernehmlich, aber das halte ich für einen Fortschritt, den wir als Grundlage für die Debatte festhalten sollten. Ich finde es auch gut, dass Sie sich zumindest Gedanken gemacht haben, wie wir zu einer besseren Kodifizierung des Verbots des Angriffskrieges kommen. Aber ich finde, Sie springen mit Ihrem Vorschlag zu kurz. Auf der Konferenz in Kampala einigten sich die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes 2010 auf den neuen Straftatbestand des Aggressionsverbrechens. Danach soll ab 2017 der Internationale Strafgerichtshof über das Verbrechen des Angriffskrieges urteilen können. Das kann er gegenwärtig nicht. Seine Zuständigkeit ist bislang auf schwerste Kriegsverbrechen reduziert. Zusätzlich haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, eine völkerrechtskonforme Regelung im jeweiligen nationalen Recht zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe; denn der Internationale Strafgerichtshof soll nur subsidiär eingreifen, wenn die nationale Gesetzgebung oder Gerichtsbarkeit versagt haben. Deshalb finde ich es falsch, das in § 80 Strafgesetzbuch zu regeln. Dann müssten wir es vielmehr zusammen mit all den anderen Taten, die der Internationale Strafgerichtshof potenziell aufgreift, im Völkerstrafgesetzbuch regeln, ({3}) auch mit der Konsequenz, dass dann das Weltrechtsprinzip gilt. Das vermeidet zwar auch nicht die Einstellungsproblematik in § 153 f StPO, die nicht jeden glücklich macht, aber es ist der richtige Ort. Warum soll beim Angriffskrieg nicht das Weltrechtsprinzip gelten, aber in Bezug auf die anderen Taten, die der Internationale Strafgerichtshof potenziell aufgreift, schon? ({4}) Der Wortlaut Ihrer Anträge - vielleicht haben Sie etwas anderes gewollt oder gemeint, aber Sie haben es zumindest nicht geschrieben - hätte zur Konsequenz, dass nur Taten am Tatort Deutschland als Straftat verfolgt werden. Das halte ich für zu kurz gesprungen. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag enthalten. Wir teilen zwar das Anliegen, finden aber die Umsetzung in keiner Weise überzeugend. Aber ich finde, wir sollten damit nicht die Diskussion beenden. Wir sollten nicht jetzt bummeln und dann im Jahr 2017 mit einem - dieser Begriff verbietet sich in dieser Debatte eigentlich - Schnellschuss versuchen, das Thema abzuräumen; vielmehr sollten wir es sorgfältig vorbereiten. Denn das alles ist nicht trivial. Weil wir in Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Einführung des Internationalen Strafgerichtshofs und der Ratifizierung des Statuts hatten, müssen wir diesem Anspruch gerecht werden und mutig voranschreiten. Deshalb würde ich mich freuen, wenn sich alle Fraktionen zu gemeinsamen Gesprächen zusammenfinden, um dieses Thema in einer sinnvollen Art und Weise vorzubereiten, sodass wir es in der nächsten Legislaturperiode - ich denke, in dieser schaffen wir das nicht mehr - gemeinsam auf den Weg bringen können, weil auch das ein gutes Zeichen ist, dass wir uns in diesem Punkt in Deutschland zwischen den Fraktionen einig sind. ({5}) Zu den anderen Punkten: Was die Bundeswehr im Innern angeht, sehe ich das wie Herr Wiefelspütz in Bezug auf die Meinung bei der Koalition: Es braucht keine Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr. Wir wollen die Bundeswehr nicht als Hilfstruppe der Polizei; vielmehr soll die Polizei grundsätzlich die Aufgaben der inneren Sicherheit wahrnehmen. Dabei bleiben wir. Die von Ihnen vorgeschlagene Kodifizierung halte ich entweder für tatsächlich oder für rechtlich ungeeignet. Ich weiß nicht, was es bedeuten soll, wenn Sie das Wort „unbewaffnet“ einfügen. Meinen Sie „ohne militärische Bewaffnung“, oder meinen Sie: „Anders als die Polizei darf ein Bundeswehrangehöriger bei einer Aufgabe im Bereich der inneren Sicherheit überhaupt keine Waffen tragen“? Er kommt dann also lediglich in Uniform, aber ansonsten ist er blank. Das ist, glaube ich, bei bestimmten Aufgaben der inneren Sicherheit nicht überzeugend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Beck, ich glaube, diesen Fragen müssen Sie sich jetzt außerhalb dieser Debatte beantworten lassen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist total schade, Frau Präsidentin. Ich hätte noch so viel Wichtiges zu sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bin fest davon überzeugt.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber ich muss mich kurzfassen, nicht weil ich erkältet bin, sondern weil die Redezeit zu knapp ist. Aber vielleicht geben mir die anderen etwas ab.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das ist nicht übertragbar, was hier eingespart wurde.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der zweite Punkt sind die Notstandsgesetze. Darüber kann man meines Erachtens reden, man muss aber fragen - das will ich Ihnen noch mitgeben -, ob wir damit nicht eine Schranke bei anderen Normen einreißen. Das muss man zumindest diskutieren, bevor man nonchalant diese Regelung abräumt. Es ist also alles ein bisschen ungeeignet. ({0}) Deshalb wird das auch keine Mehrheit finden. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ingo Wellenreuther hat nun für die Unionsfraktion abschließend das Wort. ({0})

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem der Kollege Dr. Sensburg zum Thema Angriffskrieg gesprochen hat, spreche ich zum Thema Bundeswehr im Innern. Das Grundgesetz sieht den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu Recht nur in sehr eng begrenzten Fällen vor. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Linken sollen die Streitkräfte in diesen engen Ausnahmefällen sich nicht ihrer spezifisch militärischen Waffen bedienen dürfen. Die Linke zeichnet in ihrem Entwurf das Bild eines Staates, der angeblich bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Innern gegen seine eigenen Staatsbürger ausübt. Sie zeichnet ein Zerrbild von unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Es handelt sich um eine Wahnvorstellung von einer zunehmenden Militarisierung im Innern. Das entspricht nicht der Wirklichkeit unserer Bundesrepublik Deutschland. Richtig ist demgegenüber: Nach unserer Verfassung ist die Bundeswehr dazu berufen, innerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit Frieden zu wahren, unser Land zu verteidigen, Amtshilfe zu leisten, insbesondere in Katastrophenfällen, und Einsätze auszuführen, wenn der Bestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährdet ist. In diesem Rahmen leisten die Soldatinnen und Soldaten wichtige, verantwortungsvolle Aufgaben für unser Land, die uns zu Dank verpflichten. Gerade bei den Fällen im Innern geht es ganz offensichtlich um Unterstützungsleistungen und Einsätze zum Schutz unseres Staates und zugunsten der eigenen Bevölkerung, nicht gegen die Bevölkerung. Wenn Sie von den Linken hier von Einsätzen gegen die eigenen Staatsbürger sprechen, hat das daher mit der Realität wirklich nichts mehr zu tun, sondern ist meines Erachtens schlichtweg eine Frechheit. Irreführend ist auch, dass Sie in Ihrem Entwurf Veranstaltungen wie die Fußballweltmeisterschaft 2006 oder den Papstbesuch erwähnen. Sie erwecken damit den Eindruck, als sei es damals zu bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr gekommen. Tatsächlich handelt es sich aber dabei um Unterstützungsleistungen und logistische und sanitätsdienstliche Hilfen im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1, die unterhalb der Schwelle eines Einsatzes erfolgten. Sie mischen hier alles durcheinander und verunsichern damit ganz bewusst die Menschen. Konkret wollen Sie mit Ihrem Antrag das Grundgesetz in zwei Punkten ändern. Erst einmal soll Art. 35 des Grundgesetzes so gefasst werden, dass die Bundeswehr nur unbewaffnet Amtshilfe leisten darf. Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts, das heißt beide Senate zusammen, hatte demgegenüber am 3. Juli des letzten Jahres beschlossen, dass die Amtshilfe nach Abs. 2 und 3 des Art. 35 gerade nicht grundsätzlich ausschließt, dass die Streitkräfte ihre spezifisch militärischen Waffen verwenden, und das vollkommen zu Recht. Die Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 rechtlich möglich ist, sind äußerst eng. Es sind drei Punkte anzusprechen: Erstens. Es muss eine Katastrophe vorliegen, also eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall. Ein solcher Unglücksfall liegt nur - so formuliert es das Bundesverfassungsgericht - bei Ereignissen katastrophischer Dimension vor, was nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen umfasst. Dazu sind nach dem Bundesverfassungsgericht auch absichtlich herbeigeführte Schadensereignisse wie Terroranschläge zweifelsfrei zu zählen. Zweitens. Weiterhin ist der Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Kampfmitteln nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, zulässig, wenn keine sonstigen, milderen Maßnahmen Erfolg versprechen. Drittens muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Das heißt, der Unglücksverlauf muss bereits begonnen haben. Ein Schaden braucht noch nicht eingetreten zu sein. Aber er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen. Nur wenn diese engen Voraussetzungen vorliegen, die im Übrigen sicherstellen, dass die strikten Begrenzungen des Art. 87 a Abs. 4 nicht unterlaufen werden, ist ein entsprechender Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 zulässig. Aber dann ist er auch sinnvoll und notwendig, weil die Polizeikräfte und die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen. ({0}) Deshalb ist es auch richtig, die Streitkräfte nicht ihrer spezifischen Mittel von vornherein zu berauben, so wie Sie es von den Linken beabsichtigen. Ansonsten könnte bei entsprechenden Gefahrensituationen eine empfindliche Lücke entstehen und die Bevölkerung nicht ausreichend geschützt werden. ({1}) Wir stellen uns nur einmal vor: Es steht ein terroristischer Anschlag in Deutschland unmittelbar bevor. Gesundheit und Leben von Tausenden Menschen sind akut bedroht. Die Kräfte der Polizei reichen nicht aus, aber die Bundeswehr mit ihren spezifischen Einsatzmitteln könnte die Gefahr bannen. Nach dem Willen der Linken sollen die Streitkräfte nicht zum Einsatz kommen, sondern der Staat und die Soldaten sollen tatenlos zusehen und den Terroranschlag über unsere Bürger, über unschuldige Menschen hereinbrechen lassen. ({2}) Dass Sie durch die beabsichtigte Änderung unserer Verfassung diese Hilfe im äußersten Notfall verwehren möchten, ist skandalös. Der Staat ist zum Schutz seiner Bürger, zur Gefahrenabwehr und zum Katastrophenschutz verpflichtet. Dieses verfassungsrechtliche Gebot missachten Sie meiner Auffassung nach sträflich. Mit Ihren Plänen sind Sie eine Gefahr für die Sicherheit der Menschen in unserem Land. ({3}) Der zweite Punkt Ihres Gesetzentwurfs betrifft die Regelung in Art. 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes, mit dem Sie den Einsatz unserer Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei verhindern wollen. Diese Regelung wollen Sie aufheben bzw. streichen. Glücklicherweise haben wir eine stabile Demokratie, auf die wir stolz sein können. Dennoch kann es zu Krisensituationen kommen, zu Angriffen auf unsere Grundwerte der Freiheit und der Demokratie, auf die wir tatsächlich und verfassungsrechtlich vorbereitet sein müssen. Ihr Vorhaben hätte in einer solchen Krisensituation folgende Konsequenz: Die Bundeswehr dürfte nicht mit militärischen Kampfmitteln eingreifen, wenn zivile Objekte geschützt werden müssen oder organisierte Aufständische mit militärischen Waffen den Bestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährden, obwohl die Polizeikräfte der Lage nicht Herr werden. Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung empfindlich schwächen. Das machen wir von der Union nicht mit. Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12736, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11698 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 35 und 87 a. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12711, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11591 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 20. März 2013, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, falls Sie denn eines haben.