Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz! - Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne unsere Sitzung und
gratuliere zu Beginn der Kollegin Lukrezia Jochimsen,
die heute ihren 77. Geburtstag feiert und der ich die
Glückwünsche des ganzen Hauses übermitteln möchte.
({0})
Es gibt heute noch ein anderes bedeutendes Jubiläum:
Jakob Mierscheid wird 80 Jahre alt.
({1})
Ich möchte ihm ebenfalls im Namen des ganzen Hauses
herzlich gratulieren. Dieser geschätzte, gelegentlich verzweifelt gesuchte Kollege hat schon im Jahre 1979 in der
Nachfolge von Carlo Schmid seine denkwürdige Tätigkeit im Deutschen Bundestag aufgenommen. Er hat sich
für die heutige Sitzung aus zwingenden Gründen entschuldigen müssen,
({2})
was vermutlich die Spekulationen befördern wird, es
gäbe ihn gar nicht.
({3})
Das ist allerdings durch zahlreiche Fundstellen in der Literatur eindeutig widerlegt: Im Protokoll des Deutschen
Bundestages taucht er zum ersten Mal am 25. April 1980
auf, interessanterweise angesprochen von einem Vertreter der Bundesregierung. Seine bisher denkwürdigste
Leistung ist die Formulierung des sogenannten
Mierscheid’schen Gesetzes über den Zusammenhang
von deutscher Rohstahlproduktion und Wahlergebnissen der SPD bei Bundestagswahlen;
({4})
davon werden wir in den kommenden Monaten vermutlich noch mehrfach zu hören bekommen.
({5})
Ich hoffe sehr, dass uns der Kollege Mierscheid auch in
der nächsten Legislaturperiode erhalten bleibt.
({6})
Die naheliegende Aufgabe, die konstituierende Sitzung
als Alterspräsident zu eröffnen, würde allerdings voraussetzen, dass er persönlich anwesend ist.
({7})
Wir kommen nun zur Tagesordnung und haben zunächst einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, die
zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebenten
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - das
ist der Tagesordnungspunkt 36 - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Wird dazu das Wort gewünscht? Kollege Beck.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich soll
Ihnen allen freundliche Grüße vom Abgeordneten
Mierscheid überbringen. Seine Auffassung zum Leistungsschutzrecht wird im Geleitwort zur nächsten Ausgabe der Zeitschrift des Taubenzüchterverbands nachzulesen sein - sozusagen als persönliche Erklärung.
({0})
Nun zum Ernst der Sache: Wir beantragen die Absetzung der Debatte über das Leistungsschutzrecht von der
Tagesordnung, und zwar aus drei Gründen: Zunächst
einmal sind verfassungs- und europarechtliche Fragen
nicht geklärt. Zweitens ist im Wesentlichen unklar, was
durch den Gesetzentwurf der Koalition in der durch den
Ausschuss geänderten Fassung nun eigentlich bewirkt
werden soll; das gestehen die Autoren auch ein. Zum
Dritten gab es bei der Beschlussfassung im federführenden Ausschuss, im Rechtsausschuss, Verfahrensfehler,
durch die die Minderheitenrechte der Opposition verletzt
wurden.
({1})
Volker Beck ({2})
Mich erinnert der ganze Vorgang daran, wie Sie damals im Umweltausschuss den Wiedereinstieg in die
Atomkraft unter Verletzung der Oppositionsrechte
durchgepeitscht haben. Erinnern Sie sich daran? Auf so
etwas ruht kein Segen. Ihr Gesetz hatte am Ende des Tages keinen Bestand. Es ist also kein gutes Omen, so mit
der Geschäftsordnung und der Opposition umzugehen.
({3})
Nun im Einzelnen:
Der Ausschussvorsitzende, Siegfried Kauder, hat
noch in der letzten Woche über dieses Gesetzesvorhaben
gesagt, es sei ein rechtspolitischer Eiertanz. Außerdem
bemängelte der Rechtsexperte, so schreibt Spiegel
Online, dass die Regierung den Gesetzentwurf nicht in
Brüssel vorgelegt hat, damit andere EU-Staaten ihn
kommentieren, und es sei dringend notwendig, dass Verfassungsrechtler einmal darüberschauten. Das sehen wir
auch so. Deshalb haben wir eine Anhörung im Ausschuss beantragt.
({4})
Sie haben im Ausschuss beantragt, sogenannte Snippets jetzt nicht mehr in die Regelung aufzunehmen, allerdings mit einer Formulierung, bei der keiner weiß,
was sie bedeutet. Dort steht: Einzelne Wörter und Textausschnitte dürfen auftauchen. - Wie viele einzelne
Wörter? „Ab wann ist kurz schon lang?“, fragen sich die
Leute, und die Koalitionsabgeordneten stehen ganz offen
dazu. Herr Krings sagt: Die Nachricht darf erkennbar
sein, der Kontext nicht. Wir überlassen es aber den Verlagen und den Konzernen, zu entscheiden, wann das der
Fall ist.
({5})
Herr Thomae sagt: So what? Dafür, dass man das vor
Gericht ausficht, ist der Rechtsstaat da. - Das heißt doch,
Sie schicken die Unternehmen, sowohl die Presseverlage
als auch die Suchmaschinenbetreiber und Content-Anbieter, vor die Gerichte. Das können sich aber nur die
Unternehmen leisten, die eine große Rechtsabteilung haben und es aushalten, auf diese Rechtsfrage erst in fünf
Jahren eine Antwort vom BGH und dann die Rechnung
darüber zu bekommen, wie viel sie an wen zahlen müssen. Damit führen Sie eine Marktbereinigung zugunsten
von Google durch; denn kein anderes Internetunternehmen wird sich diesen Spaß leisten können.
({6})
Ihre eigene Netz-Arbeitsgruppe bescheinigt Ihnen,
die Regelung zur Verwendung von Snippets biete weiterhin einen zu großen Interpretationsspielraum.
({7})
- Ja, ich habe drei Gründe genannt:
({8})
erstens verfassungsrechtlich nicht klar, zweitens rechtlich unbestimmt und drittens - dazu komme ich jetzt Bruch der Oppositionsrechte.
({9})
Aber Herr Kollege Beck, erstens dass und zweitens
warum Sie das gerne absetzen möchten, hat jetzt ja jeder
verstanden. Es würde der Beschleunigung unseres Verfahrens sehr dienen, wenn Sie jetzt zum Schluss kämen.
({0})
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, jetzt zur engeren geschäftsordnungsrechtlichen Frage zu kommen.
Grundlage für die Frage, wann ein Oppositionsrecht
auf Anhörung im Ausschuss gegeben ist, ist eine Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses vom
7. November 1985: Wenn nichts Wesentliches geändert
würde, ist das Anhörungsrecht verwirkt. Wenn ein neuer
Tatbestand hinzutritt, ist das Recht insoweit nicht verbraucht. Wenn unklar ist, ob das der Fall ist, muss der
Ausschuss über diese Frage einen gesonderten Beschluss
fassen. - Das ist in diesem Fall nicht erfolgt.
Ich will Ihnen sagen: Der Änderungsantrag, den Sie
im Ausschuss gestellt haben, führt zu einer wesentlichen
Änderung des Gesetzes, und damit liegt heute ein Aliud
auf dem Tisch.
({0})
Herr Grosse-Brömer, Sie schütteln den Kopf. Ich kann
Ihnen das anhand Ihrer eigenen Dokumente nachweisen.
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es -
Nein, Herr Kollege Beck. Dazu haben Sie jetzt erstens keine Zeit mehr, und zweitens bin ich sehr zuversichtlich, dass mehrere Redner in der folgenden Debatte
aus dem Gesetzentwurf auskömmlich zitieren werden.
({0})
Herr Präsident, wenn ich noch vier Sätze sagen
dürfte!
Nein.
({0})
In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, es
werde das BGH-Urteil „Metall auf Metall“ vom 22. November 2008 in Anspruch genommen;
({0})
in der Begründung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses heißt es, genau dieses Urteil solle keine Anwendung finden. Wenn das kein Aliud ist, weiß ich es
nicht.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Grosse-Brömer das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Absetzungsantrag der Grünen kann keinen Erfolg haben, weil er in keinem der drei genannten
Punkte überzeugend ist. Ich weise darauf hin, dass die
Frage, inwieweit Urheberrechte auch in Abgrenzung zu
Informationsfreiheitsrechten gesetzlich geregelt werden, Gegenstand wichtiger sachpolitischer Entscheidungen ist.
({0})
Was ich sehr bedauere, ist, dass man nach intensiven
Beratungen im Rechtsausschuss, nach Anhörungen, die
im Übrigen genau diese Punkte, die Herr Beck schon angesprochen hat, auch umfasst haben,
({1})
nicht bereit ist, demokratische Diskussionsprozesse und
Mehrheiten anzuerkennen, sondern permanent versucht,
hier durch Filibustern, durch Geschäftsordnungsanträge
normale, demokratisch mehrheitlich gefasste Entscheidungen infrage zu stellen.
({2})
Ich will kurz darauf hinweisen, dass der Rechtsausschuss am 30. Januar eine öffentliche Anhörung durchgeführt hat ({3})
im Übrigen auch zu europarechtlichen Fragen, zu verfassungsrechtlichen Fragen. Ich weise darauf hin, dass eine
Anhörung im Unterausschuss „Neue Medien“ des Ausschusses für Kultur und Medien stattgefunden hat. Da
wurden noch technische Fragen behandelt.
({4})
Infolgedessen kann ich Ihnen eines sagen: Es ist ausführlich auch zu dem gesamten Gesetzentwurf Stellung genommen worden.
({5})
Es hat keine gravierenden Änderungen an diesem Gesetzentwurf gegeben. Das ist alles umfangreich diskutiert worden.
({6})
Es besteht auch in rechtlicher Hinsicht keinerlei Anlass, darüber nachzudenken, dass hier eine Änderung erfolgt wäre, die Minderheitsrechte beeinflusst. Ganz im
Gegenteil! Ihren Ansprüchen, Ihren Minderheitsrechten
ist sehr umfänglich Rechnung getragen worden, und es
wäre schön, wenn Sie einfach dem Weg der demokratischen Auseinandersetzung und nicht permanent dem der
Geschäftsordnungsdebatte und -auseinandersetzung folgen würden.
Herzlichen Dank.
({7})
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß
nicht, ob wir gegen die Geschäftsordnung verstoßen,
wenn wir heute eine Entscheidung über dieses Gesetz
treffen. Aber ich bin absolut davon überzeugt, dass es
nicht vernünftig wäre, ein so weitreichendes Gesetz,
({0})
das auf der einen Seite den grundsätzlich legitimen und
berechtigten Anspruch der Verleger betrifft, eine Vergütung für publizistische Leistungen zu bekommen,
({1})
und das auf der anderen Seite den Informationsanspruch,
die Informationsfreiheit, die nach dem Grundgesetz geschützt wird, betrifft, heute zu verabschieden.
({2})
Denn dieses weitreichende Gesetz ist in letzter Minute
gravierend geändert worden.
({3})
In einer solchen Situation wäre es besser, noch einmal
eine Anhörung zu machen.
({4})
Wir bieten Ihnen an: Wir führen in der nächsten Woche
eine Anhörung durch und entscheiden in der übernächsten Woche über dieses Gesetz. - Ich glaube, das Gesetz
wird dann besser.
({5})
Denn hier sind in letzter Minute Begriffe in das Gesetz
gekommen, die überhaupt niemand definieren kann.
Dieses Gesetz ist ein verunglücktes Gesetz. Es ist ein
Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte, und
das dürfen wir als Bundestag nicht beschließen.
({6})
Gehen Sie noch einmal in sich! Jakob Mierscheid
kann heute nicht da sein. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Einem solchen Verfahren hätte Jakob Mierscheid
niemals zugestimmt, und schon gar nicht an seinem
80. Geburtstag.
({7})
Der Kollege van Essen hat nun für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Gegensatz zu all meinen Vorrednern war ich bei allen
Beratungen dabei, nämlich sowohl im Rechtsausschuss
als auch im Geschäftsordnungsausschuss als auch im
Ältestenrat.
({0})
Wenn man diese Beratungen mitgemacht hat, dann
kommt man ganz schnell zu einer Feststellung: Es gibt
keinen Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Punkt!
({1})
Ich kann das, wie ich finde, ganz schnell und auch
überzeugend begründen. Es gibt eine Auslegungsentscheidung - sie ist hier vom Kollegen Beck schon zitiert
worden -, die besagt: Das Minderheitenrecht der Opposition auf Beantragung einer erneuten Anhörung ist dann
verwirkt, wenn es keine wesentliche Änderung der ursprünglichen Vorlage gibt.
({2})
- Die gibt es nicht,
({3})
und zwar deshalb nicht, weil alles das, was geändert
worden ist - dass geändert werden kann, ist ganz selbstverständlich; deswegen macht man ja Anhörungen; man
will wissen, ob man gegebenenfalls noch was ändern
muss -,
({4})
Gegenstand der vorherigen Anhörungen war.
({5})
Beispielsweise ist das, was hier angesprochen worden
ist - die Schnipsel, die Snippets -, von zwei Sachverständigen, die von der Opposition benannt worden
waren, ausdrücklich in die Beratungen eingeführt worden. Von daher hat es keine Änderung zu irgendeinem
Gegenstand gegeben, der nicht auch in der Anhörung besprochen werden konnte. Deshalb gibt es keinen Verstoß
gegen die Geschäftsordnung.
({6})
Sie haben gestern versucht, im Geschäftsordnungsausschuss eine Beschlussfassung herbeizuführen. Wir
haben dort festgestellt, dass in dieser Auslegungsentscheidung klar festgelegt worden ist, dass die Sachentscheidung der Fachausschuss zu treffen hat, und die hat
er am Mittwoch getroffen.
({7})
- Herr Beck, Sie waren doch gar nicht dabei, als wir im
Rechtsausschuss darüber diskutiert haben.
({8})
- Herr Montag, Sie waren dabei. Ich habe gesagt: Herr
Beck war nicht dabei. - Sie, Herr Montag, ja.
({9})
Im Gegensatz zu dem von mir gerade angesprochenen
Kollegen Beck sind Sie ja ein hervorragender Jurist und
auch quer durch alle Fraktionen sehr geschätzt.
({10})
Deshalb, lieber Herr Kollege Montag, hätten Sie mich
schwer enttäuscht, wenn Sie nicht auf die Minderheitenrechte hingewiesen hätten. Das haben Sie natürlich, und
Sie haben es auch begründet, wie immer übrigens - das
darf ich Ihnen durchaus zugestehen - in einer nachvollziehbaren und auch mich nachdenklich machenden
Weise.
Aber ich sage, dass wir Ihre Argumente klar widerlegt
haben. Ich weise noch einmal darauf hin: Sachverständige haben beispielsweise die Snippets, um die es besonders ging, in die Anhörung mit eingeführt. Von daher ist
der Geschäftsordnung also Genüge getan worden. Der
Fachausschuss hat entschieden. Der Fachausschuss hat
sich mit der Frage, ob das Minderheitenrecht verwirkt ist
oder nicht, befasst. Von daher sollten wir auch so
entscheiden, dass wir heute in der Sache abstimmen
können.
Vielen Dank.
({11})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Enkelmann das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Herr
Kollege van Essen, es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Rechte von Minderheiten in diesem Parlament. Darüber reden wir hier auch in dieser Debatte.
Diese Rechte haben Sie, meine Damen und Herren der
Koalition, mit Füßen getreten.
({0})
Denn Sie haben kraft Ihrer Wassersuppe, quasi kraft
Ihrer Mehrheit im Rechtsausschuss, entschieden: Es gibt
keine zweite Anhörung, basta - howgh, wir haben gesprochen.
({1})
Dabei ist schon klar: Es gab eine Anhörung. Es gab
nach dieser Anhörung einen Änderungsantrag. Was strittig ist, ist die Frage: Geht es tatsächlich um gravierende
Änderungen im Gesetz?
({2})
Viele Sachverständige, die Opposition, viele in der Öffentlichkeit sagen: Ja, das sind gravierende Änderungen
im Gesetz.
({3})
Sie als Koalition behaupten: Wir sehen keine gravierenden Änderungen.
Genau darum wäre es aber in einer zweiten Anhörung
gegangen. Dort hätte man die Auswirkungen dieser Veränderungen genau geprüft hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit, möglicherweise aber auch hinsichtlich
ihrer Praktikabilität. Das wäre Gegenstand einer zweiten
Anhörung gewesen. Dieser ernsthaften Prüfung haben
Sie sich verweigert. Das nehmen wir nicht hin.
({4})
Es entstand sowieso schon vorher der Eindruck, dass
Sie dieses umstrittene Gesetz möglichst schnell von der
Tagesordnung haben wollen. Ursprünglich war geplant,
von der Opposition Fristverzicht zu erbitten.
({5})
Dem haben wir nicht zugestimmt. Deswegen steht das
heute auf der Tagesordnung.
Ich denke, Sie sind sich selbst nicht sicher, ob dieses
Gesetz für die Zukunft überhaupt Bestand haben wird.
({6})
Nun behaupten Sie also, das alles sei in der Anhörung
bereits besprochen worden; Weiteres sei nicht notwendig. Eigentlich ist mit dem Änderungsantrag aber genau
das Gegenteil erreicht worden. Es bleibt Rechtsunsicherheit. Sollen denn künftig wirklich Gerichte darüber
entscheiden, wie viele Zeichen - ich zitiere einmal „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ sind,
wann also Snippets tatsächlich lizenzfrei sind? Das ist
doch absurd. Ich bitte Sie!
({7})
Im Gesetz bleibt die Blockade von Innovationen.
Neue Informationsdienstleister werden kaum eine
Chance haben, in Verhandlungen um Lizenzverträge gegen große Medienkonzerne zu bestehen. Innovation wird
also künftig so nicht mehr stattfinden, wird von Ihnen
verhindert.
Es bleibt eine klare Benachteiligung von Journalistinnen und Journalisten.
({8})
- Ich weiß, dass Ihnen das nicht passt. Das kann ich mir
vorstellen.
({9})
Das heißt, künftig werden Verlage das Recht am Produkt
haben, das eigentlich den Produzenten, also den Journalistinnen und Journalisten, zusteht.
Lieber Kollege Lindner, all das hätten wir in einer
zweiten Anhörung mit Sachverständigen klären können.
({10})
So gehen Sie mit Sachverständigen um! Das ist typisch.
Das betrifft nicht nur dieses Gesetz.
({11})
Lieber Kollege Grosse-Brömer, es geht hier nicht um
Filibustern,
({12})
sondern es geht um eine seriöse Gesetzgebungsarbeit.
Dieser seriösen Arbeit haben Sie sich verweigert.
({13})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Arroganz
der Macht. Eines verspreche ich Ihnen aber: Das wird
Sie sehr schnell wieder einholen.
({14})
Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag.
Wer stimmt für die beantragte Absetzung des Tagesordnungspunktes 36? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Geschäftsordnungsantrag
abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksache 17/11470 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 17/12534 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis
Burkhard Lischka
Halina Wawzyniak
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen
Gesetzentwurf später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Stephan Thomae für die FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Nach rund dreijähriger Beratungszeit
schließt die Koalition heute ein sehr strittiges Gesetzesvorhaben ab, nämlich das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Das ist ein technisch und rechtlich ausgesprochen anspruchsvolles Gesetzesvorhaben, das auch viel
Widerspruch ausgelöst hat, wie wir gerade in der GODebatte festgestellt haben.
Dieser Widerspruch basierte und basiert im Wesentlichen auf Befürchtungen wie zum Beispiel die, dass die
Suche nach Zeitungsartikeln im Internet nicht mehr wie
gewohnt kostenlos möglich sein werde, dass Suchmaschinen ihren Dienst einstellen müssten oder dass - um
es einmal zuzuspitzen - das gesamte Internet nicht mehr
so funktioniere, wie wir es gewohnt sind.
Nun muss man etwas klarstellen. Leistungsschutzrechte sind dem Urheberrecht nicht unbekannt. Es gibt
sie auch für Fotografen und ausübende Künstler, für
Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen, für Datenbankhersteller und für Filmproduzenten, also für die
Werkvermittler von geistigen Schöpfungen, hinter denen
ein Urheber steht und wo ein Werkvermittler bereitsteht,
um das Werk zu verbreiten. Es ist also ein Investitionsschutzrecht. Für Presseerzeugnisse, also für Vermittler
journalistischer Werke, gibt es so etwas bislang nicht.
Wir haben beschlossen, dies einzuführen.
Vor zweieinhalb, drei Jahren kursierten erste Entwürfe, die nicht aus den Reihen des Parlaments oder der
Regierung stammten, die eine breite Ablehnung, vor allem im Netz, hervorgerufen haben. Wie es manchmal so
ist, hat sich diese erste Ablehnung verfestigt, obwohl die
ersten Entwürfe mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf kaum mehr etwas zu tun haben; denn es gibt drei
ganz wesentliche Unterschiede zu dem ursprünglichen
Entwurf.
({0})
Zum Ersten sieht der heute zu beschließende Gesetzentwurf nicht gesetzlich zwingend Verwertungsgesellschaften vor. Zum Zweiten sieht er nicht vor, dass gesetzliche Vergütungsansprüche entstehen. Es ist ein
reiner Unterlassungsanspruch. Zum Dritten - jetzt
kommt ein wichtiger neuer Punkt; das ist Ausfluss der
öffentlichen Anhörungen im Rechtsausschuss und im
Unterausschuss „Neue Medien“ - sind es die sogenannten Snippets. Dem liegt der Gedanke zweier BGH-Entscheidungen zur Bildersuche zugrunde. Worum geht es?
Wenn ich in einer Suchmaschine nach Bildern suche,
dann erscheint als Treffer, als Ergebnis meiner Suchanfrage ein verkleinertes Abbild des gesuchten Bildes.
Dazu sagt der BGH in seinen Entscheidungen: Wie soll
eine Suchmaschine einen Treffer anders darstellen als
durch eine verkleinerte Wiedergabe des Bildes? - Es
gibt, glaube ich, eine Zwischenfrage.
Der Kollege Montag möchte, soll und darf eine Zwischenfrage stellen. Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege
Thomae, da Sie jetzt in Ihrer Rede auf die Interpretation
von BGH-Entscheidungen eingehen, möchte ich Sie zunächst etwas Grundsätzliches fragen. Sie haben gerade
dargestellt, dass es Leistungsschutzrechte im Urheberrecht gibt. Das ist evident richtig. Das neue Leistungsschutzrecht soll, wenn man den Gesetzeswortlaut und
die Begründung zusammennimmt, die Leistung der Verleger schützen. Das kann ich auch nachvollziehen. Die
Verlage erbringen eine Leistung.
({0})
- Nein, die Verlage erbringen eine Leistung. - Man kann
sich sehr wohl überlegen, ob man sie schützen soll oder
nicht.
Der Gesetzentwurf in der Fassung, die Sie jetzt vorgelegt haben, erklärt, dass jeder Mann und jede Frau - jeder! - die Leistung von Verlagen öffentlich zugänglich
machen kann. Es ist für alle erlaubt.
({1})
Nur eine Gruppe nehmen Sie aus, nämlich die Suchmaschinenbetreiber. Dazu haben Sie noch gar nichts gesagt.
Mich interessiert: Warum gerade nur die Suchmaschinenbetreiber?
Hier wird Ihr Änderungsantrag evident. In der ersten
Fassung des Gesetzentwurfes war es klar; Sie wollten
auf die Snippets und das Internet abstellen. Jetzt behaupten Sie, Sie wollten dies gar nicht.
({2})
Warum nehmen Sie dann die Suchmaschinenbetreiber
als Einzige völlig willkürlich aus der Schar von allen,
die veröffentlichen könnten, heraus und machen sie
lizenzpflichtig?
Lassen Sie mich klarstellen, dass es nicht einfach nur
um Suchmaschinenbetreiber geht. Es geht auch um
Dienste, die dazu übergehen, eine Sammlung von journalistischen Texten anzulegen - Newsaggregatoren,
Harvester -, die zum Beispiel einen Überblick über
das gesamte journalistische Erscheinungsbild eines bestimmten Tages verschaffen. Wenn ich ein aktuelles Ereignis oder ein bestimmtes Thema recherchieren will,
kann ich mir über solche Newsaggregatoren und Harvester-Suchmachinen eine Liste von aktuellen Meldungen
anzeigen lassen, die die Lektüre einzelner Artikel überflüssig macht, weil ich ein Gesamtbild über die Publikationen erhalte. Das ist in der Qualität schon etwas anderes, als wenn ich als Privatperson einen bestimmten
Artikel wiedergebe, zum Beispiel zu ihm verlinke, was
immer zulässig ist, oder ihn zitiere, was auch zulässig
ist. So stellt die Trefferliste, die systematische Sammlung, die eine Suchanfrage in einer Suchmaschine, in einem Newsaggregator und in Harvestern auslöst, in der
Qualität etwas anderes dar als die private Wiedergabe eines Artikels, in dem zum Beispiel Sie oder ich zitiert
werden und den wir vielleicht aus persönlichen Gründen
bei uns veröffentlichen oder auf den wir verlinken. Dies
ist also in der Tat etwas anderes, nämlich etwas, was die
journalistische und verlegerische Tätigkeit ganz anders
betrifft als einzelne sozusagen private Veröffentlichungen etwa im Rahmen einer privaten oder Firmenhomepage.
({0})
Lassen Sie mich fortfahren. Ich habe die beiden
Entscheidungen des BGH zur Bildersuche zitiert und
deutlich gemacht, dass ein verkleinertes Abbild den
Treffer nach einer Bildersuchanfrage wiedergibt, also
eine Miniatur des Bildes. Da sagt der BGH: Wer ein Bild
ins Internet einstellt, der ist doch offensichtlich damit
einverstanden, dass es auch gefunden wird. Warum soll
er es sonst ins Netz einstellen?
Nun ist unsere Frage: Wie übertragen wir das auf
journalistische Texte, auf Erzeugnisse von Presseverlagen? Auch da muss es doch im Ergebnis möglich sein,
eine verkleinerte Wiedergabe des Presseartikels, also
eine Miniatur, abzubilden, und das sind die sogenannten
Textausschnitte, Textausrisse, auch Schnipsel oder Snippets genannt.
({1})
Ein solcher Snippet kann ganz unterschiedlich lang sein.
Es kann kurze und lange Schnipsel geben.
Wir sagen nun: Die Wiedergabe von kleinen Textausschnitten, die einfach nur notwendig sind, um das Suchergebnis zu beschreiben, es in einen Kontext zu stellen,
soll erlaubt, soll frei sein. Denn wie will man denn eine
Suchanfrage, ein Suchergebnis, einen Presseartikel anders darstellen als durch eine kleine Wiedergabe des
Textes? Ein Beispiel: Wenn ich „Golf“ eingebe, erhalte
ich Treffer zu einer Meeresströmung, zu einem Fahrzeugtyp und zu einer Sportart. Damit also der Suchende
erkennt: „Habe ich jetzt etwas gefunden, was in diesen
Kontext passt?“, muss man ein bisschen dazuliefern. Das
sind diese kleinsten Textausschnitte oder einzelne Wörter. Sie sind vom Schutzumfang ausgenommen.
Wir tragen mit der Änderung des ursprünglichen Gesetzes dazu bei, die wesentlichen Lotsenfunktionen der
Suchmaschinen im Internet zu erhalten, sodass wir am
Ende, so meine ich - damit bin ich leider schon am Ende
meiner Redezeit angelangt -, einen Entwurf eines ausgewogenen, ausbalancierten Gesetzes vorlegen, das auf der
einen Seite die Erzeugnisse von Presseverlagen schützen
und auf der anderen Seite wichtige Funktionen des Internets erhalten wird. Deswegen meine ich, dass diesem
Gesetzentwurf beruhigt zugestimmt werden kann.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort erhält nun die Kollegin Zypries für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wenn es
nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es
notwendig, kein Gesetz zu machen.“
({0})
Diesen Satz von Montesquieu kennen Sie alle. Da außer
der Regierungskoalition und dem BDZV niemand meint,
dass es eines solchen Gesetzes bedürfte, wäre es am besten gewesen, Sie hätten es gelassen. Aber wenn man
schon ein Gesetz macht, dann muss es doch zumindest
dem Gebot der Normenklarheit entsprechen.
({1})
Sie wissen: Normenbestimmtheit und Normenklarheit - das sind die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht von den deutschen Gesetzen verlangt; denn
wir wollen schließlich, dass die Bürgerinnen und Bürger
in der Lage sind, die Gesetze auch zu verstehen. Aber
diesen Anforderungen werden Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht gerecht. Daran ändert auch nichts, dass Sie
den Entwurf des Gesetzes vor drei Tagen aufgrund der
massiven Proteste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft
und der Netzgemeinde noch einmal geändert haben.
({2})
- Dadurch ist er aber nicht besser geworden, Frau Kollegin Rößner.
({3})
Im Gegenteil, jetzt ist klar: Die Urheber, also die Journalisten, die ihre geistigen Produkte an die Verleger zur
Veröffentlichung geben, werden nicht geschützt.
Deshalb haben gestern auch die Freischreiber und der
Deutsche Journalistenverband in einer Pressemitteilung
klar erklärt, dass sie dieses Gesetz ablehnen. Sie wissen,
meine Damen und Herren: Gerade den Schutz der Journalisten, der Urheber, wollten wir immer. Die Union hat
immer behauptet, dass der Schutz durch dieses Gesetz
erzielt würde. Jetzt sagen die Journalisten aber: Von
euch, von eurem Gesetzentwurf, fühlen wir uns nicht
vertreten.
({4})
Im Gegenteil: Sie fürchten eine eindeutige Verschlechterung. Ich glaube auch, dass durch das Gesetz in der Tat
eine Verschlechterung eintreten wird.
Das wirklich Schwierige ist, dass Sie dieses Leistungsschutzrecht als ein Verbotsrecht ausgestaltet haben.
Herr Kollege Thomae, es ist ja richtig: Die Urheber
können ihre Produkte weiter ins Netz einstellen. Das
Problem ist nur: Suchmaschinen dürfen nicht auf sie verlinken; Suchmaschinen dürfen die Produkte nicht mehr
zugänglich machen, wenn keine Lizenz erteilt wurde.
Das heißt konkret: Jeder gewerbliche Anbieter in
Deutschland, der seine Produkte auffinden lassen und
zur Verwertung bringen möchte - das gilt dann auch für
viele kleine Anbieter und nicht nur für die großen Tageszeitungen -, muss Lizenzverträge abschließen, wenn er
denn über Suchmaschinen im World Wide Web gefunden werden will. Wenn ich das richtig sehe, gilt das
wegen des EU-Vertrags und wegen einer fehlenden
Regelung im Gesetz auch für alle Presseverlage der Europäischen Union.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, der auch
nur ein bisschen vom Internet versteht, weiß, dass das
ein völliges Unding ist. Wie will man heutzutage im
World Wide Web überhaupt noch irgendetwas ohne
Suchmaschinen finden?
({5})
Deswegen ist die Verpflichtung für Presseverleger, eine
solche Lizenz abzuschließen, für meine Begriffe ein
komplett unverhältnismäßiger Eingriff in ihre Grundrechte.
({6})
Sie können das von den Menschen in der Wirtschaft
nicht verlangen.
Darüber hinaus sind im Hinblick auf die Normenklarheit zahlreiche andere Punkte zu berücksichtigen:
Es ist völlig unklar, meine Damen und Herren, ab
wann denn jemand Presseverleger ist. Ist man als Betreiber eines Blogs mit periodisch erscheinenden Einträgen
schon Presseverleger? Ist man es ab der dritten Veröffentlichung eines Blogeintrags oder ab der fünften Veröffentlichung?
({7})
Und wenn man ab der fünften Veröffentlichung Presseverleger ist, ist man es dann auch rückwirkend bei den
ersten vier?
Was ist denn überhaupt ein Presseerzeugnis? Die
Blogs fallen sicherlich darunter. Aber die Frage, ob die
Webseiten der Bundestagsabgeordneten mit ihren Informationsangeboten darunterfallen, das konnte in keiner
einzigen Sitzung, an der ich teilgenommen habe, beantwortet werden.
({8})
- Ja. Ich war aber in anderen Ausschüssen, im Ausschuss für Kultur und Medien und im Unterausschuss
„Neue Medien“, wo diese Frage, Herr Kollege, auch ein
Thema war und das zuständige Ministerium leider keine
belastbare Antwort geben konnte.
({9})
Durch die Gesetzesänderung, meine Damen und Herren, sind jetzt „einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte“ vom Leistungsschutzrecht ausgenommen; darüber sprachen wir eben schon. Zu der Frage, wie es sich
mit Bildern verhält, Herr Thomae, habe ich keine Regelung gefunden. Ich weiß also nicht, ob nach wie vor die
BGH-Rechtsprechung gilt oder Sie das mit diesem Gesetz ändern. Vielleicht kann einer der Koalitionsredner
nachher dazu eine Auskunft geben; Herr Dr. Krings, das
wäre freundlich.
Einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte - man
kann darüber rätseln, was das ist. Bei heise online kann
man nachlesen, dass die FDP eine Länge von 160 Zeichen festschreiben wollte. Das steht nun aber so nicht im
Gesetzentwurf. Jetzt fragt man sich natürlich: Was
schließen wir daraus? Müssen es weniger als 160 Zeichen sein, oder dürfen es eben auch mehr sein?
({10})
Wie definiert man den Begriff „kleinster Textausschnitt“? Steht die erlaubte Länge jetzt im Verhältnis zur
Länge des gesamten Textes des Beitrags? Hat also ein
Text von zehn Seiten einen anderen kleinsten Textausschnitt als ein Text von einer Seite? Oder reden wir
von einer absoluten Größe? Darf eigentlich „Bayern gegen Dortmund 1 : 0“ - oder „Dortmund gegen Bayern
1 : 0“ - lizenzfrei bleiben oder nicht?
({11})
Was dürfen also Suchmaschinen lizenzfrei anzeigen?
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Dieser Gesetzentwurf erfüllt die Ansprüche des Bundesverfassungsgerichts an die Normenklarheit und des Bestimmtheitsgrundsatzes in keiner Weise. Die Schutzlücke, die, wie
es die Union immer behauptet, geschlossen werden soll,
wird nicht geschlossen. Denn ich garantiere Ihnen: Vor
allem Gerichte werden sich mit dem Leistungsschutzrecht befassen, bevor auch nur irgendein Verlag Geld für
sein Angebot im Internet bekommt.
Zuvor allerdings, meine Damen und Herren, wird sich
die EU-Kommission noch um dieses Gesetz kümmern.
In der Süddeutschen Zeitung können wir heute schon lesen, dass die Kommission beim BMJ angefragt hat, wie
es sich hier eigentlich mit der Notifizierungspflicht verhalte.
Seit drei Jahren, meine Damen und Herren, diskutieren wir jetzt das Leistungsschutzrecht. Das, was heute
vorliegt, ist allerdings von dem, was ursprünglich einmal
geplant war, weit entfernt.
Ich glaube nicht, dass das Gesetz dazu dient, die
Verleger im Internetzeitalter zu schützen. Dabei wäre es
notwendig gewesen, die Diskussion darüber zu führen.
In der Tat sind Anstrengungen nötig, um sich damit auseinanderzusetzen, wie sich die Zeitungslandschaft in
Deutschland vor allen Dingen durch das Internet verändert. Wir von der SPD haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Da können Sie unsere Vorschläge
sehen. Wir glauben, dass das alles besser gewesen wäre
als das, was Sie hier heute präsentieren.
({12})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Günter Krings
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie schwach die Argumente der Opposition in
der Sache waren und sind, haben wir eben schon in der
Geschäftsordnungsdebatte erlebt. Sie wollen der Diskussion ausweichen.
({0})
Sie haben sich diese Diskussion nicht zugetraut: Sie
wollten den Punkt absetzen, wir wollen in der Sache
debattieren - im Interesse aller, die hier oder an den
Fernsehgeräten zuschauen und wissen wollen, wie die
Sachargumente sind und wie der Bundestag abstimmt.
({1})
Sie wollen sich der Diskussion nicht stellen und wollten
deshalb den Tageordnungspunkt absetzen.
({2})
Mit dem heute zu beschließenden Leistungsschutzrecht für Presseverlage geht es nicht um mehr, aber auch
nicht um weniger als die Schließung einer Lücke im Ur28226
heberrecht. Die Grundprinzipien dieses Urheberrechts
sind ganz einfach. Das können durchaus auch einige von
Ihnen verstehen. Es geht darum: Der Urheber hat ein
Urheberrecht, der Leistungsschutzinhaber - der Werkmittler -, der zwischen dem Urheber und dem Nutzer
steht, hat ein Leistungsschutzrecht. Diese Leistungsschutzrechte gibt es seit Jahrzehnten im Urheberrecht für
Hersteller von Tonträgern, Rundfunksendeunternehmen, Filmhersteller, Schauspieler und viele andere.
Dieses Leistungsschutzrecht ist jedenfalls immer
dann notwendig, wenn der Werkmittler nicht mehr die
Herrschaft über den Vertriebsweg hat. Zu der Zeit, als
Zeitungen noch rein in Printform erschienen, war das
nicht notwendig. Da war der Vertriebsweg in der Herrschaft des Verlegers. Heute ist das eben nicht mehr so.
Zeitungen werden - das werden Sie vielleicht wissen auch online gelesen. Deswegen ist die Notwendigkeit eines Leistungsschutzrechts offensichtlich begründet.
({3})
Wer es für falsch hält, dass Presseverlage - wie es bisher ist - ihre Inhalte im Netz verschenken müssen, und
wer es - wie wir - als fair ansieht, dass sie nicht nur am
Kiosk, sondern auch im Netz ihre Inhalte verkaufen dürfen, der muss diesem Gesetz zustimmen.
Manche Attacke aus der Opposition gegen die Idee
des Leistungsschutzrechts - das war es nämlich: Sie
haben letztlich maßgeblich immer gegen die Idee des
Leistungsschutzrechts als solches argumentiert ({4})
hat wirklich viele, auch Kulturschaffende, in Deutschland zutiefst verunsichert.
Sie sollten jetzt endlich einmal diese Debatte heute
zum Anlass nehmen und hier deutlich machen, dass Sie
sich - jedenfalls grundsätzlich - zur Idee des Leistungsschutzrechts bekennen. Sie werden das wahrscheinlich
nicht tun, und ich sage Ihnen auch, warum nicht. Wer
sich grundsätzlich zur Idee des Leistungsschutzrechts in
den anderen Bereichen bekennt, hat kein ernsthaftes Argument mehr, genau dieses Leistungsschutzrecht nicht
anzuerkennen.
({5})
Oder ist Ihr Problem vielleicht, dass es sich bei diesem Leistungsschutzrecht speziell um ein Leistungsschutzrecht handelt, das sich auf das Internet bezieht? Dann sagen Sie doch offen, dass unsere Rechtsordnung
und ihre gut begründeten Rechtsprinzipien im Internet
aus Ihrer Sicht nicht gelten sollen.
Die christliche-liberale Koalition steht dafür, dass gerade ein freies Internet einen fairen und verbindlichen
Rechtsrahmen braucht. Nur so können die Interessen
von Kreativen, Verlagen, Nutzern und der Internetwirtschaft zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden.
Begünstigte des Leistungsschutzrechts für Presseverlage sind nicht nur Verlage, sondern auch Journalisten.
Das haben wir so klar in den Entwurf des Gesetzes geschrieben. Aus dem Grunde setze ich - übrigens gemeinsam mit dem Deutschen Journalistenverband - darauf,
dass sich eine Verwertungsgesellschaft dieses Themas
annehmen wird. Nötigenfalls können wir als Gesetzgeber hier auch noch einmal Druck machen. Wir wollen,
dass die Arbeitsleistung von Journalisten und Verlagen
angemessen vergütet wird.
Das Internet ist ein hocheffizientes Medium zur Verbreitung und Aggregation von Informationen. Mit Suchmaschinen finden wir Inhalte natürlich besonders
schnell. Aber die abgespeicherten und gefundenen Inhalte schreiben sich eben nicht von selbst. Wir wollen,
dass sich Leistung lohnt - auch im journalistischen und
verlegerischen Bereich. Leistung kann sich aber nur lohnen, wenn sie einen Preis hat. Einen Preis kann sie nur
bekommen, wenn man ein Recht hat, auf das man sich
berufen kann. Dieses Recht wird in diesem Bereich das
Leistungsschutzrecht sein.
({6})
Selbst eine Bezahlschranke, die manche Verlage aufbauen wollen, ist zurzeit juristisch unwirksam, weil sie
ohne ein Leistungsschutzrecht juristisch nicht durchsetzbar ist. Sie verhindern damit Innovation. Sie verhindern
neue Bezahlangebote im Netz, wenn Sie gegen das Leistungsschutzrecht stimmen.
Ein Geschäftsmodell, bei dem ein immer aufwendiger
werdender, kostenloser Onlinebereich quersubventioniert wird von einem immer kleiner werdenden Printbereich, stößt an seine Grenzen. Das ist übrigens auch ein
wesentlicher Grund dafür, dass sich das Zeitungssterben
in Deutschland fortsetzt: Frankfurter Rundschau, Financial Times Deutschland und manche Regionalzeitung.
Das liegt nicht daran, dass die Menschen keine Zeitung
mehr lesen wollen, sondern das liegt daran, dass wir kein
angemessenes Bezahlsystem aufgebaut haben. Das Leistungsschutzrecht allein wird die Pressevielfalt in
Deutschland nicht sicherstellen. Aber es ist ein wichtiger
Beitrag für den Erhalt einer lebendigen Presselandschaft
in unserem Land.
Wir führen die Diskussion schon seit drei Jahren.
Frau Zypries, Sie haben darauf hingewiesen, vielen
Dank für den Hinweis. Es ist zu Recht oft betont worden, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, den Kuchen
zwischen Internetwirtschaft und Verlagen aufzuteilen.
({7})
Aber der Staat hat für faire Wettbewerbsbedingungen zu
sorgen, und darum geht es bei diesem Gesetz.
Aus guten Gründen gibt es in Deutschland für Presseund Medienunternehmen ein sehr strenges Medienkonzentrationsrecht. Es soll verhindern, dass eine demokratiegefährdende Marktmacht entsteht. Diese Regelung
gilt natürlich nicht für Internetsuchmaschinen, obwohl
es in diesem Bereich einen Marktführer mit 95 Prozent
Marktanteil gibt. Es ist festzustellen, dass Google allein
in Deutschland Werbeeinnahmen erzielt, deren Höhe das
übersteigt, was alle Zeitungsverlage gemeinsam in der
Onlinewerbung erzielen können.
({8})
Von Anfang an ist es uns wichtig gewesen, dass dieses Gesetz nicht für ein bestimmtes einzelnes Unternehmen gemacht wird. Es geht auch darum, dass es NewsAggregatoren gibt - Harvester wurden genannt -, die in
sehr intensiver Weise die Inhalte fremder Webseiten abfischen. Die Inhalte werden dem Nutzer dann als eigenes
Angebot mit eigenem Werbepartner unterbreitet, und so
wird Geld auf Kosten anderer verdient.
({9})
Gerade in diesem Bereich ist die Erhebung von Lizenzgebühren gerechtfertigt.
Das Gesetz war nie als eine Lex Google gedacht. Bei
der Ausnahme, die wir am Mittwoch im Rechtsausschuss beschlossen haben, geht es nicht darum, dass
Suchmaschinen insgesamt herausfallen. Für mich war es
eine wichtige Klarstellung; denn wir wollten von vornherein ein schlankes Leistungsschutzrecht. Aber zur Beruhigung: Aufgrund der Änderung vom Mittwoch und
der eingefügten Klarstellung unterfallen sogenannte
Schnipselangebote von Suchmaschinen - man kann es
auch auf Deutsch sagen, was sonst als Snippet bezeichnet wird - dann dem Leistungsschutzrecht, wenn der
Treffer über die Überschrift und einige Wörter hinausgeht.
Es ist ein ermutigendes Ergebnis dieses Gesetzgebungsverfahrens, dass auch Weltkonzerne des Internets
die deutschen Gesetze beachten müssen, dass sie nicht
über dem Gesetz in Deutschland stehen. Das entspricht
jedenfalls unserer Auffassung, Ihrer offenbar nicht.
({10})
Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage haben wir ein sachgerechtes Konzept zur Stützung der
Pressevielfalt und des Qualitätsjournalismus in Deutschland vorgelegt.
Gestatten Sie mir einen kurzen Blick darauf, was die
Opposition vorschlägt. Kurz vor Toresschluss des Verfahrens haben alle Oppositionsfraktionen plötzlich noch
Entschließungsanträge zum Thema Pressevielfalt vorgelegt. Kurz vor Ende gab es also noch ein wenig Bewegung, das klang auch schon in ein paar Wortmeldungen
an.
Zusammenfassend kann man sagen: Die SPD bewundert das Problem der Presseverlage, macht aber vorsichtshalber keinen wirklichen Vorschlag in der Sache.
({11})
Sie fordert lieber die Bundesregierung auf, einen neuen
Gesetzentwurf vorzulegen. Auch die Linke hat eine Idee,
was man machen könnte.
({12})
Man könnte nicht nur Runde Tische einberufen, sondern
man könnte auch - so las ich in der Presse - staatliche
Subventionen für die Presse einführen. Durch staatliche
Subventionen könnte man letztlich - wenn man das zu
Ende denkt - eine Staatspresse aufbauen. Aus Ihrer Sicht
wurden damit ja ordentliche Erfahrungen gemacht.
({13})
Die Grünen fordern zu diesem Thema einen Runden
Tisch, auch das ist ein sehr origineller Vorschlag.
Man kann zusammenfassen: Wir wollen mit dem
Leistungsschutzrecht ein Instrument schaffen, das die
berechtigten Interessen von Verlagen und Journalisten
gegenüber Internetunternehmen schützt. Sie wollen
Runde Tische und Steuergelder für die Presse. Sie palavern, wir handeln. Ich bitte um Zustimmung für unseren
Gesetzentwurf.
({14})
Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Medienkonzern Springer ruft, und fast das ganze Regierungslager springt - wie die Lemminge ins schwarze Loch.
Zur Vorgeschichte: Bereits seit Jahren rühren die großen deutschen Presseverlage die Trommel dafür, dass
dieses Gesetz auf den Weg gebracht wird. Im Herbst
2009 ist es ihnen dann endlich gelungen: Das Leistungsschutzrecht stand im Koalitionsvertrag von Union und
FDP.
So viel zum Thema „Machtverschiebung zwischen Medien und Politik“, so viel zum Thema „Erpressbarkeit
von Politik durch die Macht der Medienkonzerne“.
({0})
Ziel des Leistungsschutzrechts war es, Informationsdienstleistern im Internet, allen voran Suchmaschinen,
nur noch gegen Genehmigung, aber insbesondere gegen
Bezahlung zu erlauben, dass sie Verlagsinhalte, also
Pressetexte, im Internet auffindbar machen. Allerdings
- das haben wir immer wieder gehört - sind Onlineangebote der Verlage ohne Suchmaschinen und andere Informationsdienstleister im Internet gar nicht systematisch
auffindbar. Noch vor einem Monat sprach der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, in
einem Interview von bis zu 80 Prozent der Leser, die allein über Google bei den Angeboten seines Verlages landen und ihm so sozusagen die Chance geben, Geld zu
verdienen. Es gibt also nüchtern betrachtet überhaupt
keinen stichhaltigen Grund für dieses Gesetz. Das wird
erst recht deutlich, wenn man bedenkt, dass die Bundesregierung überhaupt keine belastbaren Daten besitzt, um
Auskunft darüber geben zu können, wie viel Suchma28228
schinen oder ähnliche Dienste direkt mit Verlagsinhalten
verdienen. Diesen Offenbarungseid musste sie abgeben,
als sie auf eine Kleine Anfrage der Linken zu antworten
hatte.
Das Leistungsschutzrecht ist aber nicht nur unnötig,
es ist auch schädlich:
Erstens. Im Text ist überhaupt nicht klar definiert, wer
alles als Verlag anzusehen ist. Die Interpretationsbreite
ist groß. Das Gesetz wird mehr Verwirrung als Klarheit
stiften. Das ist aber nicht die Aufgabe von Gesetzen,
wenn ich mich recht erinnere.
({1})
Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, was genau geschützt werden soll und warum. Es geht nun einmal um
Pressetexte, und diese sind durch das Urheberrecht klar
vor unerlaubter Nutzung geschützt. Der neue Schutz, so
sagen jetzt Verlage, soll nun für verlagstypische Eigenleistungen bestehen. Jetzt fragen wir uns natürlich: Worin sollen die bestehen, wenn es ausschließlich um die
Anzeige von Texten durch Informationsdienstleister im
Internet geht? Das ist ebenso schleierhaft. Sie schaffen
also ein Recht für Verlage an etwas, was eigentlich den
Urheberinnen und Urhebern zustünde, falls es denn
überhaupt einen stichhaltigen Grund für das Gesetz gibt.
({2})
Nun steht zur Beruhigung in dem Gesetzentwurf, dass
Verlage Urheberinnen und Urheber an den möglichen
Einnahmen angemessen beteiligen müssen. Wie die angemessene Beteiligung aussehen soll und wie die Beteiligung ausgehandelt werden soll, steht aber nicht in dem
Gesetzentwurf. Damit überlassen Sie das dem freien
Spiel der Kräfte. Aber wir haben in der parallel laufenden Debatte zum Urhebervertragsrecht ja längst erlebt,
was dann passiert: Bisher klappt dabei gar nichts vernünftig. Sie geben also den Medienkonzernen einen weiteren Machtvorteil gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Ich gratuliere zu dieser Leistung.
Drittens. Es bleibt ungeregelt, wie sich Suchmaschinen und Co. mit der durch das Gesetz nicht klar definierten Gruppe der Verlage über Nutzungsgenehmigungen
und Nutzungsgebühren einigen sollen. Das ist völlig offen. Unzählige Onlineanbieter müssten mit Tausenden
Verlagen Verhandlungen führen. Das sind Dinge, die
sich nur große Konzerne mit vollen Kriegskassen und
großen Rechtsabteilungen leisten können.
({3})
Kleinere und mittelständische Unternehmen, regional tätige Verlage oder Internet-Start-ups kommen da schlicht
und ergreifend gar nicht mit, die können sich das nämlich nicht leisten.
({4})
Sie schaffen hier also ein Gesetz aus lauter Rechtsunsicherheiten. Damit stärken Sie das Recht des Stärkeren
und schwächen dazu noch die Schwachen. Dazu kann
ich nur sagen: Das ist Wahnsinn mit Methode.
({5})
Als wäre das alles nicht schon genug, kamen Sie am
Dienstag - am Dienstag dieser Woche, wohlgemerkt wie Kai aus der Kiste mit einem neuen Änderungsantrag. Jetzt soll es den Informationsdienstleistern und den
Informationsdienstleisterinnen im Internet wieder genehmigungsfrei möglich sein, einzelne Wörter und einzelne Textausschnitte, die sogenannten Snippets, weiterzuverwenden. Nun wird die ganze Sache endgültig
absurd: Erst legte die schwarz-gelbe Bundesregierung
einen Gesetzentwurf vor und begründet ihn mit genau
diesen Snippets:
({6})
Diese Snippets würden den Verlagen schaden. Dann kamen die Regierungsfraktionen und änderten den Gesetzentwurf so ab, dass genau diese Snippets jetzt ausgenommen sind. Das heißt, der Hauptgrund der Kritik ist
entfallen. Jetzt frage ich mich: Ist damit nicht auch der
Hauptgrund des Gesetzes entfallen?
({7})
Um die Verwirrung dann noch weiter aufzuschäumen,
definieren Sie kein Stück klar, was Sie eigentlich unter
diesen einzelnen Snippets verstehen, wie lang die sein
dürfen. Da kann ich aus der Erfahrung der letzten Jahre
nur sagen: Ich sehe schon vor meinem geistigen Auge,
wie sich Abmahnanwälte die Hände reiben und über ein
neues Geschäftsfeld freuen.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie drehen also die ursprüngliche Intention des Gesetzes ins Gegenteil, und
Sie führen weitere Rechtsunsicherheiten ein. Das ist
nicht logisch, könnte man jetzt sagen - aber für schwarzgelbe Großhirne schon. Okay, machen Sie es!
Wenn wir aber einmal wohlwollend annehmen, dass
auch mit der Änderung das Leistungsschutzrecht die gewohnte Artikelvorschau, wie wir sie jetzt im Internet
vorfinden, in Suchmaschinen erlaubt, was bitte kann
dann das Gesetz noch bewirken? Zunächst einmal - zu
diesem Thema ist schon alles gesagt - Rechtsunsicherheiten zuhauf. Solange diese bestehen, weiß niemand,
was genau im Internet an Informationsweitergabe durch
Suchmaschinen und ähnliche Dienstleister überhaupt
möglich sein wird.
Am Ende werden Suchmaschinen dann wahrscheinlich gar keine größeren Veränderungen erfahren. Verlage
werden von diesen kein neues Geld einnehmen. Aber
immerhin werden sie ein Recht haben, das eigentlich den
Urheberinnen und Urhebern zusteht, und all die neuen
Apps, Programme und Dienste, die es heute jenseits von
Suchmaschinen so spannend und bequem machen, als
Netznutzerin die unterschiedlichsten Nachrichten, Artikel und Reportagen zu entdecken, werden in Deutschland nicht möglich sein - außer sie werden dann wiederum von Springer oder von Burda angeboten. Meine
Damen und Herren, Vielfalt und Innovation stelle ich
mir anders vor.
({9})
Konstantin von Notz ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lieber Kollege Thomae, wenn man
Ihnen hier so zuhört, gewinnt man den Eindruck, Sie
verstünden die ganze Aufregung nicht. Der Kollege
Krings spricht von einem mutigen Verfahren.
Das letzte Mal, als Sie hier mit einem ganz ähnlichen
Vorgehen die Regelungen zum Melderecht in der letzten
Kurve geändert haben, haben Sie ein datenschutzrechtliches Eigentor sondergleichen geschossen, was wir jetzt
gerade erst im Vermittlungsausschuss mühsam korrigieren mussten. Heute stellen Sie sich hier hin und schießen
sofort das nächste Eigentor.
Dabei wissen Sie es besser. Ihr schlechtes Gewissen
in Sachen Leistungsschutzrecht dokumentieren Sie
durch bizarre Pressekonferenzen. Da lädt der Vorsitzende des Rechtsausschusses, der Kollege Kauder, ein
und erklärt sachkundig die mannigfaltigen verfassungsrechtlichen Probleme, von Art. 5 GG bis hin zum nicht
erfolgten Notifizierungsverfahren. Gestern nun der Versuch, auf einer neuen Pressekonferenz die Wogen zu
glätten: Sie versuchten den Eindruck zu erwecken, man
habe das Gesetz völlig entschärft.
Tatsächlich haben Sie das ganze Ding in einer Nachtund-Nebel-Aktion im Büro des Kollegen Heveling erheblich verschlimmbessert. Mit vagen, gänzlich unbestimmten Rechtsbegriffen helfen Sie keinem Verlag, Sie
helfen keiner Journalistin und keinem Journalisten. Sie
setzen hier auf ein Beschäftigungsprogramm für Juristen, meine Damen und Herren.
({0})
Sie sind nicht imstande, den Grundwiderspruch Ihrer
Argumentation, Herr Kollege Heveling, hier aufzulösen.
Auf der einen Seite sagen Sie: Wir brauchen ein Leistungsschutzrecht; der Status quo ist untragbar. Eben
noch hat das der Kollege Krings gesagt. Auf der anderen
Seite beschwichtigen Sie und sagen: Keine Aufregung!
Wir ändern ja nichts am Status quo. - Das ist hoch widersprüchlich, und es ist falsch. Die Wahrheit ist: Sie haben keinen blassen Schimmer, was Sie mit diesem Gesetz anstellen.
Dreieinhalb Jahre haben Sie im rechtspolitischen Nebel herumgestochert, was das Leistungsschutzrecht soll,
was es könnte, ob es überhaupt trägt. Jetzt liefern Sie
hier bewusst nur ein Schlagwort aus dem Koalitionsvertrag ab. Den Rest sollen andere klären: die Anwälte, die
Gerichte, der Bundesrat, vielleicht demnächst der Vermittlungsausschuss. Das ist nicht nur politisch unterirdisch, meine Damen und Herren, es ist auch eine Verkennung des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Wir als
Gesetzgeber müssen die Gesetze hinreichend bestimmt
formulieren. Wir können die Probleme nicht einfach an
die Rechtsprechung outsourcen.
({1})
Sie sagen gern, Herr Kollege Krings, die Opposition
versucht, dieses Thema hochzuziehen. Ich sage Ihnen
einmal, wer dieses Thema noch alles hochzieht: der BDI,
die Unternehmensverbände von BITKOM und eco, das
Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, der Deutsche Journalisten-Verband genauso wie der Berufsverband freier Journalistinnen und
Journalisten und der Chaos Computer Club. Alle sind
gegen Ihren Gesetzentwurf. Das gilt auch für namhafte
Verfassungsrechtler und so gut wie alle Urheberrechtsexperten dieses Landes, alle Jugendorganisationen der
Parteien, den ehemaligen Chef der Monopolkommission, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Ihren
eigenen Reihen, darunter auch die stellvertretende CSUGeneralsekretärin Dorothee Bär, die hier netzpolitisch
einmal goldrichtig liegt. Schließlich ist auch die gesamte
Zivilgesellschaft dagegen, die aller Voraussicht nach mit
einer neuen Abmahnwelle überzogen werden wird. Das
ist keine hochgezogene Kritik. Dieses Gesetz ist eines,
das keiner will und keinem nutzt.
({2})
Das ganze Unternehmen hat nur einen einzigen Sinn:
die Gesichtswahrung Ihrer Kanzlerin, die im letzten
Bundestagswahlkampf den großen Verlagen ein solches
Gesetz versprochen hat. Wir sind aber als Parlament
nicht dazu da, irgendwelche hanebüchenen schwarzgelben Koalitionsvereinbarungen zu erfüllen.
Justus Haucap hat völlig recht: Das Gesetz, Ihr ganzes
Vorgehen ist ein einziges Fiasko. Sie stehen vor einem
Scherbenhaufen.
({3})
Sie haben in der Netzpolitik nichts zustande gebracht,
und das kleine bisschen Vertrauen, das Sie mit der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
vorne für sich hochgepuzzelt haben, reißen Sie jetzt mit
dem Hintern wieder ein.
Wissen Sie, gerade fährt Ihr Wirtschaftsminister ins
Silicon Valley und staunt. Kaum ist er wieder zu Hause,
verabschieden Sie hier ein Gesetz, das es in keinem anderen Land dieser Welt gibt und das den IT-Standort
Deutschland um Jahre zurückwirft, ein Gesetz, das fatal
an ein großes netzpolitisches Vorhaben am Ende der
letzten Legislatur erinnert, nämlich das verfassungsrechtlich ebenfalls hoch umstrittene Zugangserschwerungsgesetz, das heute zum Glück Geschichte ist.
({4})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Die Größe, sich Ihr eigenes Scheitern einzugestehen,
haben Sie nicht. Das ist sehr bedauerlich.
Ganz herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Manuel
Höferlin das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe manchmal den Eindruck, hier
wird noch über eine alte Version des Gesetzentwurfs gesprochen.
({0})
Kollege von Notz, manche Dinge, die Sie gesagt haben,
treffen vielleicht auf die Vorvorvorversion oder auf einen Referentenentwurf zu, aber nicht auf das, über das
wir heute diskutieren.
Grundsätzlich finde ich es interessant, dass sich die
SPD und die Linke fast dahin gehend geäußert haben,
dass wir zu wenig geregelt haben. Sie hätten gerne noch
viel mehr.
({1})
Das habe ich im Vorfeld anders gehört. Bei der SPD
muss man ja bedenken, inwieweit Sie aufgrund Ihrer
vielen Verlage betroffen sind. Bei einer Sitzung in einem
Gemeinderat müssen Betroffene, wenn es zum Beispiel
um Bauprojekte geht, rausgehen. Aber hier im Bundestag dürfen Sie, obwohl Sie betroffen sind, mitdiskutieren.
({2})
Deswegen muss man sich genau anschauen, wie Sie hier
dazu stehen.
Lassen Sie mich kurz auf die Sache eingehen. Wir haben einen langen Weg hinter uns. Über drei Jahre haben
wir über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage geredet. Uns wurde hier vorgeworfen, es gäbe einen
Wunschzettel. Sie von der Linken haben gesagt, die
Springers hätten einen Wunschzettel abgegeben, und wir
wären gesprungen.
({3})
Das ist genauso absurd, als würde ich sagen: Google hat
bei Ihnen angerufen, und Sie sind gesprungen. - Der
Wunschzettel entspricht inzwischen längst nicht mehr
dem, über das wir heute diskutieren.
Wir haben keine Lesegebühr, wir haben keine zwingende Umverteilung von Geldern. Es geht in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht um Gelder, sondern es geht
um eine Rechtsposition. Kollege Krings hat sehr gut dargelegt, dass wir eine Lücke haben. Selbst Herr
Oppermann hat vorhin gesagt: Es gibt einen grundsätzlich legitimen Anspruch der Verleger. So haben Sie es
vorhin gesagt. Von daher ist das wohl mehrheitlich hier
im Haus die Überzeugung.
Jetzt komme ich zu den Kritikpunkten. Einer ist der
unbestimmte Rechtsbegriff, den wir im Änderungsantrag
eingebracht haben. Übrigens ist der Änderungsantrag
Ausfluss von zwei Anhörungen, einer Anhörung im
Rechtsausschuss und einer im Unterausschuss „Neue
Medien“. Darüber wurde intensiv diskutiert.
({4})
Ein unbestimmter Rechtsbegriff wie zum Beispiel
„kleinste Teile“ ist im Urheberrecht völlig gängig. Zum
Beispiel ist in § 87 b des Urheberrechtsgesetzes bei den
Datenbanken - da geht es auch um Leistungsschutzrechte - von wesentlichen Bestandteilen die Rede. Ich
habe nicht gehört, dass es bei Datenbanken - die sind in
der Netzwelt nun wirklich sehr verbreitet - jetzt eine riesige Abmahnwelle gäbe oder eine große Prozesslawine
oder dass dies eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für
Anwälte wäre. Von daher ist es durchaus normal und
völlig systemkonform, einen unbestimmten Rechtsbegriff zu verwenden.
({5})
Die abstrakt generelle Regelung ist auch angemessen,
weil es darum geht, auf der einen Seite eine Leistung zu
schützen und auf der anderen Seite - das ist Ausfluss der
Anhörung - das Bedürfnis der Netznutzer zu befriedigen, auf Suchanfragen qualifizierte Ergebnisse zu bekommen, mit denen man auch etwas anfangen kann.
Dies soll weiterhin gewährleistet sein.
Diese Abgrenzung ist durch den Änderungsantrag
entstanden. Wir reden nicht über ein völlig neues Gesetz,
wir reden nicht über einen völlig anderen Regelungscharakter, sondern wir haben aufgrund der Anhörungsergebnisse erkannt: Es gibt die Befürchtung - und das
war genau der Kritikpunkt -, dass Informationsfreiheit
möglicherweise gefährdet sei. Genau diesen Punkt haben wir aufgegriffen, und genau diesen Punkt haben wir
minimalinvasiv verändert mit der Maßgabe, dieses freizustellen.
Mehr ist immer noch möglich. Es ist schlichtweg
falsch, dass Suchmaschinen oder Aggregatoren nicht
mehr arbeiten könnten.
({6})
Es ist schlichtweg falsch, Frau Kollegin, dass man keine
Apps mehr kriegen kann.
({7})
Nach dieser Rechtsposition ist es nur so, dass man den
Eigentümer des Inhalts vorher fragen muss.
({8})
- Ja, aber es ist doch Aufgabe der Marktteilnehmer, sich
zu überlegen - auch wenn es tausend sind -, ob sie sich
vielleicht zusammentun möchten. Wir schreiben ja nicht
ins Gesetz: Es darf keine Verwertungsgesellschaft geben.
({9})
Wir sehen eine auf freiwilliger Vereinbarung zustande
gekommene Verwertungsgesellschaft vor, und das ist ein
wesentlicher Unterschied und vielleicht auch eine wichtige Feinheit.
Deswegen ist es klug und richtig, einen Ausgleich
zwischen dem Recht von Verlegern und Verwertern, ihre
Inhalte auch weiterhin zu verteilen und die Kontrolle
darüber zu haben, und denjenigen zu schaffen, die im
Netz suchen und qualifizierte Suchergebnisse im Netz
haben wollen. Wer mehr nutzen möchte als kleinste
Textausschnitte, der muss den Eigentümer vorher fragen.
({10})
Wenn der dann sagt: „Ja, meine Inhalte könnt ihr in unbeschränktem Maße nutzen“, dann ist das auch in Ordnung. Das entspricht genau dem, wie wir Urheberrecht
verstehen. Das ist der Ausgleich zwischen zwei Rechtspositionen, ohne dass es zur Umverteilung kommt, ohne
dass wir ein bürokratisches System aufbauen.
({11})
Es geht vielmehr um ein eigenes Recht der Verlage, zu
bestimmen, was mit ihrem Eigentum geschieht und was
nicht.
Herzlichen Dank.
({12})
Lars Klingbeil erhält nun für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich gebe zu, ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass wir uns hier heute in der zweiten und dritten
Lesung mit dem Leistungsschutzrecht beschäftigen müssen. Zu klar waren die vielen Argumente gegen dieses
Leistungsschutzrecht, das heute auf den Weg gebracht
werden soll, und zu deutlich und zu groß war der Widerstand, den es aus allen gesellschaftlich relevanten Gruppen gegen dieses Leistungsschutzrecht gegeben hat.
Wenn man sich den gesamten Weg dieses Leistungsschutzrechts anschaut, dann ist klar: Dieses Gesetz steht
exemplarisch für den politischen Verfall dieser schwarzgelben Koalition.
({0})
Es war ein unwürdiges Schauspiel, das wir an vielen
Stellen erlebt haben. Wenn man ein Gesetz zwei Tage
vor der zweiten und dritten Lesung so maßgeblich verändert, was ja auch Redner aus dem schwarz-gelben Lager
zugegeben haben, und wenn man das Ganze dann hier
im Eilverfahren durchdrückt, dann ist das ein Programm
für die Steigerung von Politikverdrossenheit. Es gibt
viele Menschen, die wollen erklärt haben, was hier eigentlich passiert. Diese Erklärungen wurden in der heutigen Diskussion nicht geliefert.
({1})
Mehr als drei Jahre lang wurde diskutiert. Das Gesetz
wurde in den letzten Wochen aufgesetzt, und es wurde
abgesetzt. Wir haben zwei Tage vor der entscheidenden
Abstimmung eine gravierende Änderung bekommen,
und heute soll das Gesetz im Eiltempo durchgeboxt
werden.
Die Anhörung im Rechtsausschuss und im Unterausschuss „Neue Medien“ - da war ich dabei - haben
teilweise vernichtende Kritik am Leistungsschutzrecht
erbracht. Wir haben gesehen, es gibt schon heute technische Möglichkeiten, es gibt große rechtliche Bedenken.
Ich frage mich: Wie sollen wir als Parlamentarier eigentlich damit umgehen?
Siegfried Kauder, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, hat erklärt, er habe verfassungs- und europarechtliche Bedenken - ich zitiere -:
Wir stehen vor dem Dilemma, dass wir einen
großen Teil unserer Hausaufgaben nicht gemacht
haben.
Da hat Herr Kauder recht, und deswegen wäre es auch
richtig gewesen, die Entscheidung heute zu verschieben
und uns Zeit zu nehmen, uns das Leistungsschutzrecht
noch einmal genau anzuschauen.
Wenn Herr Kauder von verfassungsrechtlichen Bedenken geredet hat, dann frage ich mich: Sind die eigentlich in den letzten beiden Tagen ausgeräumt worden?
Oder ich verweise auf den Kollegen Peter Tauber, einen geschätzten Kollegen aus der Enquete-Kommission,
der ja erklärt hat, warum er heute gegen das Leistungsschutzrecht stimmt. Da frage ich mich: Wie kann es eigentlich sein, dass diejenigen, die von der CDU/CSU in
die Enquete-Kommission geschickt werden, diejenigen,
denen man sagt: „Ihr seid unsere Netzexperten, und ihr
vertretet uns da“, zum großen Teil das Leistungsschutzrecht ablehnen, das aber trotzdem ohne Relevanz in der
schwarz-gelben Regierung bleibt?
Außerhalb des Parlaments gibt es ein großes Bündnis:
Wirtschaftsverbände wie BDI, BITKOM und eco,
Jugendverbände der Parteien wie Jusos, Grüne Jugend
und Junge Union sowie der Chaos Computer Club, sie
alle sprechen sich gegen dieses Leistungsschutzrecht
aus. Ich sage Ihnen: Es gibt nicht viele Momente, in
denen es ein solch großes Bündnis gibt. Auch alle namhaften Urheberrechtsexperten haben sich gegen das
Leistungsschutzrecht ausgesprochen. Gestern hat sich
auch der Deutsche Journalisten-Verband klar positioniert
und uns aufgefordert, diesem Gesetzentwurf heute nicht
zuzustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
schwarz-gelben Seite, was muss denn eigentlich noch alles passieren, damit Sie merken: „Dieses Leistungsschutzrecht brauchen wir nicht“?
({2})
Herr Kollege Klingbeil, darf der Kollege Höferlin
eine Zwischenfrage stellen?
Nein, momentan nicht. Sie haben eine weitere Anhörung abgelehnt; dann lasse ich auch keine Zwischenfragen zu.
({0})
Wirtschaftsminister Rösler hat einen Beirat „Junge
Digitale Wirtschaft“ gegründet. Reden Sie doch einmal
mit denjenigen, die in diesem Beirat sitzen! Alle dort
lehnen das Leistungsschutzrecht ab. Ich sage Ihnen: Für
viele Menschen steht hinter der Frage, warum der
Gesetzentwurf zum Leistungsschutzrecht so schnell verabschiedet werden soll, ein großes Fragezeichen. Erst
handelte es sich um eine Lex Google. Dann wurde verändert. Jetzt heißt es: Einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte sind ausgenommen. Sie schaffen damit vage
und unklare Rechtsbegriffe. Sie überlassen die Auslegung dieses Gesetzes ganz offen Gerichten.
({1})
Ich habe vorhin schon gesagt: Das ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwaltskanzleien. Gerichte
müssen nachher klären, wie es mit diesem Leistungsschutzrecht weitergeht. Sie schaffen Rechtsunsicherheit,
und ich sage Ihnen: Sie verhindern auch Innovationen.
Google war lange Zeit die Zielscheibe dieses Gesetzes.
Aber jetzt werden es kleine Unternehmen, Mittelständler
und innovative Unternehmen sein, die hier am deutschen
Markt erfolgreich sein sollten; das wäre unser Wunsch.
Aber Sie würgen diese Innovationen ab.
({2})
Die SPD hat sich intensiv mit dem Leistungsschutzrecht auseinandergesetzt - das wissen Sie -, wir haben
eigene Gutachten auf den Weg gebracht, und wir haben
diskutiert. Aber wir sind zu dem Entschluss gekommen:
Ein Leistungsschutzrecht in Deutschland ist nicht notwendig. Auch wir sagen: Ja, es gibt Probleme. Es gibt
Probleme bei den Verlagen, um die wir uns kümmern
wollen. Wenn Sie sich den Entschließungsantrag, den
wir eingebracht haben, anschauen, dann stellen Sie fest,
dass wir sagen: Es ist beispielsweise problematisch,
wenn heute geschäftsmodellmäßig auf die Archive der
Süddeutschen Zeitung zurückgegriffen wird, wenn dort
herauskopiert wird, wenn etwas daraus unautorisiert verwendet wird. Aber das ist eine Problematik im Urheberrecht, für die wir kein neues Schutzrecht brauchen.
({3})
Deswegen noch einmal das Angebot: Ziehen Sie diesen
Gesetzentwurf zurück, und lassen Sie uns gemeinsam
auf einen vernünftigen Weg kommen! Dann finden wir
eine Lösung, die keine Rechtsunsicherheit schafft und
Innovationen nicht abwürgt.
({4})
Der Journalismus wandelt sich, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Er ist dezentraler, er ist partizipativer, er ist
schneller geworden. Wir Sozialdemokraten haben uns
viele Gedanken gemacht, wie wir Qualitätsjournalismus
sichern können. Wir haben im Jahr 2012 einen Antrag
zur Sicherung der Freiheit, der Vielfalt und der Qualität
und zur Finanzierung des Journalismus eingebracht, der
über 20 Vorschläge enthalten hat, was wir machen können, um Qualitätsjournalismus auch in Zeiten des digitalen Umbruchs zu gestalten. Dieser Antrag ist abgelehnt
worden, Herr Krings. Wenn Sie sich heute hier hinstellen
und sagen: „Die Sozialdemokraten haben keine Ideen“,
({5})
dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich
den Antrag an, den wir eingebracht und den Sie abgelehnt haben! Ihre Antwort auf die Herausforderungen
des digitalen Wandels ist das Leistungsschutzrecht. Wir
haben darauf umfassendere Antworten gegeben. Wir
helfen Ihnen gerne weiter.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb,
das Urheberrecht hat unter Ihnen dreieinhalb Jahre keine
Veränderung erfahren. Sie haben die Züge aufeinander
zufahren lassen. Sie stehen mit offenem Mund vor den
Herausforderungen, die das Urheberrecht mit sich
bringt. Das Einzige, was in dieser Legislaturperiode am
Urheberrecht geändert wird, ist das Leistungsschutzrecht. Das ist eine magere Bilanz. Ich sage Ihnen: Wir
werden diesen Gesetzentwurf, der heute verabschiedet
wird, im Bundesrat stoppen. Dann können wir mit der
Diskussion noch einmal von vorne anfangen.
Vielen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Höferlin
das Wort.
Herr Kollege Klingbeil, am Ende haben Sie Ihren Antrag kurz erwähnt und gesagt, Sie hätten gute Vorschläge
gemacht. Wenn ich Ihren Antrag lese, dann stelle ich
fest: Im Kern sagen Sie, man sollte eine Beweislastumkehr einführen. Ist das Ihre Vorstellung von einem eigenen Recht für Presseverlage, so wie Sie es offensichtlich
- wie es auch geäußert wurde - für richtig halten?
({0})
Lieber Kollege Höferlin, vielen Dank für die Nachfrage und auch dafür, dass Sie jetzt in der zweiten und
dritten Lesung anfangen, sich mit unseren Vorschlägen,
die schon die ganze Zeit im parlamentarischen Verfahren
sind, zu beschäftigen.
Ich habe es gerade gesagt: Wir sehen ein Problem darin, wenn zum Beispiel auf das Archiv der Süddeutschen
Zeitung zugegriffen wird, vollständige Artikel unautorisiert für Pressespiegel verwendet werden und daraus Geschäftsmodelle entstehen. Das hat aber nichts mit dem
Leistungsschutzrecht zu tun. Darüber wären wir mit Ihnen ins Gespräch gekommen, wenn Sie nicht im Hauruckverfahren das Leistungsschutzrecht durchgeprügelt
hätten.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Ansgar Heveling für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
kommt nicht oft vor, dass ein Thema aus dem Bereich
Urheberrecht einen so prominenten Debattenplatz wie
heute bekommt. Es freut mich natürlich, wenn so das
Themenspektrum Urheberrecht und geistiges Eigentum
noch mehr Interesse wecken kann.
Andererseits wurde in der Diskussion um die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage aus
vielem mehr gemacht, als tatsächlich zur Debatte steht.
Denn mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, treffen
wir schlichtweg eine ordnungspolitische Entscheidung.
Ebenso wie andere Werkmittler erbringen Presseverleger eine wirtschaftliche und organisatorische Leistung.
Viele andere Werkmittler wie zum Beispiel Tonträgerhersteller haben bereits ein Leistungsschutzrecht. Auch
die Urheber selbst, also im Fall der Presse die Journalisten, die einen Artikel verfassen, verfügen mit dem klassischen Urheberrecht über einen Schutz ihrer Leistungen.
Presseverlegern, die Zeitungen und Zeitschriften in
der Print- wie in der Onlineversion herstellen, steht ein
solches Recht unmittelbar nicht zur Verfügung. Deswegen schaffen wir nun ein Leistungsschutzrecht für sie.
Das bedeutet: Wir erfinden heute das Leistungsschutzrecht nicht, und wir erfinden es schon gar nicht
neu. Seit vielen Jahrzehnten - also auch schon lange vor
dem Zeitalter der Digitalisierung - haben wir einen bunten Strauß ganz unterschiedlicher Leistungsschutzrechte
im Urheberrechtsgesetz. Insofern fügt sich das Leistungsschutzrecht für Presseverlage nahtlos in die sogenannten verwandten Schutzrechte des Urheberrechts ein.
Und wir gestalten dieses Leistungsschutzrecht aus.
So kennt das Urheberrecht bei Werken etwa das
Recht, kleine Teile eines Werkes zu nutzen. Das Zitatrecht etwa vermittelt uns diese Befugnis. Durch die
„Metall auf Metall“-Entscheidung hat nun der Bundesgerichtshof, also die Rechtsprechung, festgestellt, dass
durch Leistungsschutzrechte auch bereits der kleinste
Teil eines Werkes geschützt ist.
Als Gesetzgeber treffen wir nun die Entscheidung,
dass es beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage eine
untere Grenze geben soll. Einzelne Wörter und kleinste
Textausschnitte eines Presseerzeugnisses, wie es im Gesetzentwurf heißt, sollen vom Leistungsschutzrecht nicht
erfasst sein.
({0})
Mit dieser Festlegung treffen wir mithin eine Regelung, die gut in die Systematik des Urheberrechts passt.
Dass wir die untere Grenze nicht in Zahlen genau festschreiben, ist dem Urheberrecht im Besonderen und unseren Gesetzen im Allgemeinen nicht fremd. Unbestimmte Rechtsbegriffe gehören zum Alltag unserer
Rechtstradition, und sie tragen auch gerade der dynamischen Entwicklung in der digitalen Welt Rechnung.
Der Änderungsantrag beim Leistungsschutzrecht enthält nun einen einzigen unbestimmten Rechtsbegriff: die
kleinsten Textausschnitte. Zum Beispiel in § 87 b Abs. 1
des Urheberrechtsgesetzes - der Kollege Höferlin hat
eben schon darauf hingewiesen; das ist der Schutz des
Datenbankherstellers - wimmelt es nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen. Darin ist von wesentlichen
Teilen einer Datenbank, die unwesentlichen Teilen einer
Datenbank gleichstehen, die Rede. Das ist alles auslegbar. Doch die Datenbankhersteller stehen nicht jeden
Tag in den Schlagzeilen, weil es Probleme mit § 87 b des
Urheberrechtsgesetzes gibt.
({1})
Insofern ist es offensichtlich möglich, mit unbestimmten
Rechtsbegriffen umzugehen.
Das gilt für die Praxis wie auch für die Rechtsprechung. Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben gesagt:
CDU/CSU und FDP überlassen die Auslegung den Gerichten. - Ich bin froh, dass wir die Auslegung von Gesetzen den Gerichten überlassen. Das nennt man nämlich
Gewaltenteilung.
({2})
Alles andere haben wir nach dem Zeitalter des Absolutismus schon hinter uns gelassen.
({3})
Die Praxis wie die Rechtsprechung werden mit dem Gesetz umgehen können, und das wird für sie auch nichts
Ungewohntes sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den öffentlichen
Anhörungen hat sich gezeigt, dass das Leistungsschutzrecht sowohl verfassungsrechtlich als auch technisch unbedenklich ist. Das Verlinken von Presseartikeln bleibt
auch in Zukunft frei. Auch die sozialen Netzwerke werden nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst. In der Anhörung im Unterausschuss „Neue Medien“ hat sogar der
von der Opposition benannte Sachverständige - er ist sicherlich eher unverdächtig, für das Leistungsschutzrecht
zu sein - ganz klar gesagt, dass die sozialen Netzwerke
durch das Gesetz nicht erfasst werden.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist die Informationsfreiheit im Internet entgegen mancher Behauptung
nicht beeinträchtigt. Von Beginn an war es nie das Ziel,
durch die Einführung eines Leistungsschutzrechts für
Presseverlage den Informationsfluss im Internet zu behindern. Daher war auch verfassungsrechtlich von Beginn an klar: Das im Grundgesetz festgeschriebene
Recht auf Meinungsäußerung und Information wird
durch die Regelungen nicht berührt.
({4})
Beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage geht es
nicht um Informationsfreiheit oder gar um die Freiheit
insgesamt - es geht darum, einen fairen Wettbewerb zu
ermöglichen und dafür Regeln aufzustellen, ganz genau
so, wie wir das in der realen Welt als Gesetzgeber auch
tun.
({5})
Wenn ich morgens am Kiosk eine Zeitung kaufen will,
kann ich ja auch nicht unter Berufung auf die Informationsfreiheit sagen: Lieber Kioskbesitzer, gib mir die
Zeitung kostenlos!
({6})
Ich muss dafür selbstverständlich bezahlen, und das
kann im Internet auch nicht anders sein.
Wenn wir den Gesetzentwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage heute beschließen, zeigen wir,
dass wir als Gesetzgeber einer unserer wichtigsten Aufgaben nachkommen: für einen sorgfältigen Ausgleich
der verschiedenen Interessen zu sorgen und die Regeln
unserer sozialen Marktwirtschaft sicherzustellen.
({7})
In unserem Nachbarland Frankreich kann man sehen,
wie es auf keinen Fall gehen sollte. Aus meiner Sicht ist
das, was in Frankreich auf diesem Gebiet geschehen ist,
der Worst Case. Wenn in Frankreich ein Internetunternehmen, in diesem Fall Google, eine Einigung mit den
Verlegern - in Form einer einmaligen Abschlagszahlung
in Höhe von 60 Millionen Euro an den Staat - im Beisein des Staatspräsidenten feiert, dann ist das aus meiner
Sicht kein gutes Signal, weder an die Verleger noch an
die Journalisten noch an die Nutzer noch an diejenigen,
die mit guten und legalen Geschäftsmodellen im Internet
Geld verdienen möchten. Es ist vielmehr das bedenkliche Signal, dass die Politik vor der strukturellen und finanziellen Macht einzelner Konzerne, eines großen
Players im digitalen Raum, kapituliert.
({8})
Genau das tun wir heute nicht.
({9})
Wir kommen unserer Aufgabe nach und sorgen für den
ordnungs- und rechtspolitischen Rahmen, der geboten
ist.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Tabea Rößner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende
schlecht, alles schlecht. Seit drei Jahren murkst die Koalition an diesem Gesetz herum. Es wurde hoch und runter diskutiert und in den unterschiedlichsten Entwürfen
vorgelegt. Alle renommierten Experten waren sich von
Anfang an einig: Dieses Gesetz verfehlt nicht nur das
Ziel, es ist der größte Schwachsinn aller Zeiten; deshalb
ist es abzulehnen.
({0})
Drei Jahre Diskussion, und dann legen Sie uns diese
Woche einen völlig neuen Entwurf vor und behaupten
allen Ernstes, Sie hätten das Problem erst jetzt richtig
verstanden? Also, wir lassen uns nicht an der Nase herumführen. Ihnen ist doch angesichts schwindender
Mehrheiten der Hintern auf Glatteis gegangen.
({1})
Das heißt aber leider nicht, dass Sie zur Vernunft gekommen wären; dann hätten Sie das Gesetz nämlich beerdigen müssen. Stattdessen stimmen wir heute über den
Scherbenhaufen Ihrer Verlags-Bauchpinseln-Politik ab.
Denn Ihre Kanzlerin hat es versprochen.
Niemand weiß, was genau vor wem geschützt werden
soll. Sie haben mir noch keinen deutschen Dienst genannt, vor dem das Leistungsschutzrecht schützen soll.
Gerade mit der Änderung der Koalition besteht völlige
Rechtsunsicherheit. Das hilft weder Journalisten noch
Verlagen noch Informationsdiensten. Die einzigen Profiteure werden Anwälte sein; das Leistungsschutzrecht
wird Anwalts Liebling. Ist das politische Unfähigkeit
oder dreiste Klientelpolitik?
({2})
Kollege Krings, Kollege Silberhorn, Sie haben gestern in einer Pressekonferenz gesagt, die Journalisten
wollten dieses Gesetz und würden den jetzigen Entwurf
begrüßen. Alle drei großen Journalistenverbände, DJV,
DJU und Freischreiber, haben sich zu Ihrem neuen Entwurf geäußert, begrüßt hat ihn aber niemand. Alle lehnen diesen Unsinn ab. Von welchen Journalisten sprechen Sie? Von Kai Diekmann? Niemand außer ein paar
großen Verlagschefs will das Leistungsschutzrecht nicht die Journalisten, nicht die Wirtschaft, nicht die
Wissenschaft und schon gar nicht das Netz.
Kollege Krings, die Herrschaft über den Vertriebsweg
haben die Verleger an dem Tag abgegeben, an dem sie
ihre Inhalte kostenfrei ins Netz gestellt haben. Sie wollen also doch die Zahnpasta zurück in die Tube drücken,
die die Verleger vorher herausgedrückt haben.
({3})
Wir wollen, dass Journalismus finanzierbar bleibt und
dass gerade auch freie Journalisten von ihrem Job leben
können. Wir sehen, dass einige Presseverlage in
Deutschland in einer schwierigen Lage sind. Wie aber
Journalismus zukünftig finanziert werden kann, beantworten Sie nicht. Das Leistungsschutzrecht ist jedenfalls
nicht die Lösung.
({4})
Wir fordern andere Instrumente, um die Situation von
Verlagen und Journalisten zu verbessern. Dazu braucht
man aber erst einmal valide Daten zum Pressemarkt. Sie
regulieren hier wild herum, ohne zu wissen, wo es welchen Bedarf gibt. Dass ausgerechnet der Axel-SpringerVerlag eine Leistungsschutz-Infusion braucht, um seine
Journalisten anständig zu bezahlen, kann ich mir bei einem Gewinn von 590 Millionen Euro alleine 2011 nur
schwer vorstellen.
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wollen
das Leistungsschutzrecht für Presseverlage nur, weil es
im Koalitionsvertrag steht. Hauptsache, der Name steht
drüber, egal was drin steht! Das zeigen die zum Teil sehr
konträren Gesetzentwürfe.
Das Gesetz wird heute allein zur Gesichtswahrung
verabschiedet. Ich hoffe, das reicht, um sich bis auf die
Knochen zu blamieren.
Vielen Dank.
({5})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird noch immer bestritten, dass es einen Handlungsbedarf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage gibt.
({0})
Ich rate den Kritikern, einmal nach Frankreich zu
schauen; denn die Lösung, die man dort gefunden hat, ist
heute noch gar nicht angesprochen worden. Sie belegt
aber, dass unbestreitbar ein Handlungsbedarf besteht.
Anfang Februar hat sich der Chef von Google mit
dem französischen Staatspräsidenten geeinigt und ein
Abkommen unterzeichnet, nach dem die Firma Google
60 Millionen Euro für die Nutzung von Verlagsinhalten
in der Vergangenheit - ({1})
Einen Augenblick, Herr Kollege. - Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die zur Abstimmung freundlicherweise in den Plenarsaal kommen, bitten, Platz zu nehmen und dem letzten Redner zuzuhören. - Helfen Sie
mal da hinten! - Herr Kollege Schockenhoff, es gibt
noch hinreichend Plätze, um das Ende dieser Debatte geordnet zu verfolgen. - Bitte schön, Herr Kollege
Silberhorn.
Vielen Dank. - Der Chef von Google und der französische Staatspräsident François Hollande haben Anfang
Februar ein Abkommen unterzeichnet, nach dem Google
für die Nutzung von Verlagsinhalten in der Vergangenheit 60 Millionen Euro in einen Fonds für Onlineprojekte von Verlagen und Redaktionen einzahlt. Dafür verzichtet Frankreich auf eine gesetzliche Regelung.
Google ist kein Wohlfahrtsverband, sondern ein gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen,
({0})
wie die Verlage übrigens auch.
({1})
Google hätte doch keinerlei Grund gehabt, einen solchen
Deal einzugehen, wenn nicht klar wäre, dass hier verlegerische Leistungen genutzt werden, die einen eigenen
wirtschaftlichen Wert haben. Deswegen ist unbestreitbar,
dass hier Handlungsbedarf besteht. Deshalb schaffen wir
das Leistungsschutzrecht in Deutschland.
Das Zustandekommen dieser Vereinbarung in Frankreich lässt übrigens viele Fragen offen. Es gibt einen
zweiten Teil des Abkommens, der der Öffentlichkeit
nicht mitgeteilt worden ist. Zeitungen zufolge soll es einen privilegierten Zugang von Verlagen zu den Plattformen der Firma Google geben, also eine geldwerte Leistung. Die Umstände dieses Vertragsschlusses, dass der
Geschäftsführer nur eines großen Unternehmens mit
dem Staatspräsidenten eines Landes verhandelt und dass
die Vertragsdetails nicht offengelegt werden, führen uns
vor Augen, dass es sich hier um ein wenig transparentes
Verfahren handelt, das eher an einen orientalischen Basar erinnert.
({2})
Nun ist ein orientalischer Basar ein spannendes Modell, aber kein Vorbild für unsere Gesetzgebung.
({3})
Wir haben einen anderen Weg gewählt. Wir schaffen ein
Leistungsschutzrecht für alle Verlage und beziehen alle
Beteiligten auch aufseiten der Suchmaschinenbetreiber
und der News-Aggregatoren ein. Wir schaffen damit einen transparenten Ordnungsrahmen für alle Beteiligten.
Wir schützen verlagstypische Leistungen, die im Internet
zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich gemacht werden. Insofern fügt sich das Leistungsschutzrecht homogen in das bestehende System der Leistungsschutzrechte im Urheberrecht ein.
Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wenn hier behauptet wird, dass die gesamte Zivilgesellschaft gegen
diesen Vorschlag wäre. Vor dem Brandenburger Tor
demonstrieren derzeit 10 bis 15 Demonstranten gegen
diesen Gesetzentwurf, insbesondere von der Piratenpartei.
({4})
Ich will aber doch ernst nehmen, wenn Blogger und
Journalisten immer noch die Sorge äußern, dass sie in
Zukunft Gefahr laufen könnten, wegen einer Verletzung
von Leistungsschutzrechten abgemahnt oder verklagt zu
werden.
Im Gesetzentwurf wird das Leistungsschutzrecht beschränkt auf gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen
und gewerbliche Anbieter von Diensten, die fremde
Inhalte entsprechend aufbereiten. Das bedeutet für Blogger oder Journalisten: Wer auf seiner Homepage ein
Werbebanner setzt, unterliegt damit nicht dem Leistungsschutzrecht; denn die gewerbliche Nutzung muss
sich auf das Aufbereiten fremder Inhalte beziehen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ein Blogger oder ein
Journalist, der selber als Verleger auftritt, kann auch Inhaber des Leistungsschutzrechts werden.
Wir haben den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts durch einen Änderungsvorschlag noch einmal klargestellt. Danach sind einzelne Wörter oder
kleinste Textausschnitte vom Schutzbereich des Leistungsschutzrechts ausgenommen. Auch ohne diese Präzisierung bliebe natürlich das Zitatrecht erhalten und
blieben bloße Verlinkungen nicht betroffen.
Inwieweit die Betreiber von Suchmaschinen von diesem Leistungsschutzrecht tangiert sind, hängt davon ab,
was genau sie in ihren Trefferlisten anzeigen. Entscheidend für den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts ist zunächst nicht die konkrete Länge des Textausschnitts; maßgeblich ist vielmehr, ob das Suchergebnis
auf die verlagstypische Leistung der Presseverlage und
damit auf den wirtschaftlichen Wert dieser Leistung
zugreift. Dort, wo Inhalte Dritter angezeigt werden - und
seien es nur ein oder zwei Zeilen -, wird eine verlagstypische Leistung eines anderen Anbieters genutzt, und
dort greift das Leistungsschutzrecht. Wenn aber nur einzelne Wörter, kleinste Textausschnitte angezeigt werden,
die beschreibender Natur sind, die lediglich das Auffinden des gewünschten Suchbegriffs ermöglichen sollen,
dann handelt es sich um die originäre Leistung der Suchmaschine. Das liegt nicht im Anwendungsbereich des
Leistungsschutzrechts. Deswegen ist es richtig, dass wir
uns hier für eine abstrakt generelle Regelung entschieden haben, die auf den Einzelfall abstellt und nicht den
Fehler macht, durch starre Zeichenbeschränkungen ungerechte Ergebnisse hervorzubringen.
Im Übrigen haben auch die Anhörungen ergeben,
dass die Praxis ohne Weiteres in der Lage sein wird, in
jedem Einzelfall sicher zu klären, was verlagstypische
Leistung ist. Wir schaffen damit den Spagat zwischen
dem Schutz der verlegerischen Leistung einerseits, ohne
andererseits die Auffindbarkeit von Suchergebnissen
und die Informationsfreiheit zu beeinträchtigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
dieses Thema in den vergangenen drei Jahren in aller
Ausführlichkeit diskutiert. Wir hatten drei umfangreiche
Anhörungen im Rechtsausschuss, im Ausschuss für Kultur und Medien und im Unterausschuss „Neue Medien“
des Deutschen Bundestages. Jetzt liegt es an den Suchmaschinenbetreibern und News-Aggregatoren, aber
auch an den Verlagen und Urhebern, sich zusammenzusetzen und über die Ausgestaltung der Lizenzierung zu
reden. In diesem Rahmen wird sich dann zeigen, ob etwa
Suchmaschinenbetreiber ihr Angebot auf ein Maß begrenzen, das nicht vom Leistungsschutzrecht umfasst ist.
Es mag sicher auch Suchmaschinenbetreiber geben, die
ihren Nutzern verlagstypische Inhalte anbieten wollen;
aber dafür müssen sie dann auch Lizenzen erwerben.
Diese Fragen wird der Markt regeln, und er soll sie auch
regeln. Das gilt ebenso für die Frage, ob zur Lizenzierung und zur Ausschüttung von Erlösen eine Verwertungsgesellschaft herangezogen werden soll oder nicht.
Es wird aber keine Abmahnwelle geben, und es wird
auch keine Prozesswelle geben. Vielmehr sorgen wir mit
diesem Gesetz dafür, dass jetzt verhandelt werden kann
- und zwar auf Augenhöhe - zwischen den Suchmaschinenbetreibern und den News-Aggregatoren auf der einen
Seite und den Verlagen einschließlich der Autoren auf
der anderen Seite. Das ist ein großer Schritt für das Leistungsschutzrecht in Deutschland. Es sichert die Vielfalt
der Presselandschaft in unserem Land, und es stärkt die
gesamte Kreativwirtschaft. Deswegen bitte ich Sie um
Ihre Zustimmung.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 17/12534, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 17/11470 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Bevor wir zur dritten Beratung und somit zur nament-
lichen Abstimmung kommen, möchte ich daran erin-
nern, dass wir bei dem folgenden Tagesordnungspunkt
zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen
werden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Gesetz-
entwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung geben
wir später bekannt.1)
Ich darf nun um Aufmerksamkeit und Mitwirkung bei
der Abstimmung über die Entschließungsanträge bitten.
Wir stimmen zunächst ab über den Entschließungsantrag
der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/12546. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Das scheint nur eine
kleine Minderheit der Antragsteller zu sein.
({0})
- Nach unserer Geschäftsordnung ist es unerheblich, für
wie viele Sie stehen. Entscheidend ist vielmehr, wie
viele sich an der Abstimmung beteiligen, die wir in
diesem Fall auf Antrag der SPD-Fraktion durchgeführt
haben und vielleicht besser wiederholen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der SPD-
Fraktion? - Na also, es geht doch. Es wird nur nicht
reichen. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Nun probieren wir das Gleiche mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
17/12547. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der Fraktion
der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eben-
falls mehrheitlich abgelehnt.
Schließlich stimmen wir über den Entschließungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/12548 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Auch dieser Entschließungsantrag ist mehrheitlich abge-
lehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 37 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Riester-Förderung in die gesetzliche Rente
überführen
- Drucksache 17/12436 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Finanzausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Wiederherstellung eines Lebensstandard si-
chernden und strukturell armutsfesten
Rentenniveaus
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Rente erst ab 67 sofort vollständig zurückneh-
men
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Risiko der Erwerbsminderung besser absi-
chern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE1) Ergebnis Seite 28240 D
Präsident Dr. Norbert Lammert
Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose wieder einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Kindererziehung in der Rente besser berücksichtigen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Eine solidarische Rentenversicherung für alle
Erwerbstätigen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Altersarmut wirksam bekämpfen - Solidarische Mindestrente einführen
- Drucksachen 17/10990, 17/10991, 17/10992,
17/10993, 17/10994, 17/10995, 17/10997,
17/10998, 17/12474 Berichterstattung:
Abgeordneter Frank Heinrich
Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache 90 Minuten dauern. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann bitte ich diejenigen, die an der Debatte teilnehmen wollen, die dafür vorgesehenen Plätze
einzunehmen, und diejenigen, die das nicht können oder
wollen, ihre sonstigen Staatsgespräche außerhalb des
Plenarsaals fortzuführen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rentenrasur in Deutschland wurde zunächst durchgeführt
von Union und FDP, dann allerdings ab 2001 von SPD
und Grünen verschärft. Das führte zu einem Paradigmenwechsel bei der Alterssicherung, mit dem wir es
heute zunehmend zu tun bekommen.
Das Rentenniveau wurde von 53 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns im Jahr 2030 gesenkt. Man überlege sich einmal, wie viel Geringverdienende wir haben, und schaue sich die Zahl der
Normalverdienenden an. Angesichts dessen ist das eine
skandalöse Absenkung, die Sie damals beschlossen
haben.
({0})
Die Anrechnungszeiten für die Kindererziehung und
die eigene Ausbildung wurden gekürzt. Die Rente wurde
durch die Einführung einer Rente erst ab 67 Jahren um
zwei Jahre gekürzt. Das hat mit den gesellschaftlichen
Realitäten übrigens nichts zu tun. Ich staune, dass Sie
diese nicht zur Kenntnis nehmen. Ich nenne Ihnen nur
ein Beispiel: Im Juni 2011 hatten von allen 64-Jährigen
in Deutschland 9,9 Prozent einen Vollzeitjob. Konkret
waren das 14,1 Prozent der Männer und 5,9 Prozent der
Frauen. Den anderen sagen Sie, sie sollen zwei Jahre
länger arbeiten. Ich frage Sie: Wo denn? Bei wem?
({1})
Die Erwerbsminderungsrenten haben Sie ebenfalls
gekürzt. Die Unternehmen wurden teilweise aus der
paritätischen Finanzierung entlassen, indem Sie den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt haben,
sie sollen private oder betriebliche Vorsorge treffen. Bei
der privaten Vorsorge sind Sie dann auf die Idee mit der
Riester-Rente gekommen. Dafür zahlen die Leute selbst,
dann gibt es noch staatliche Zuschüsse, und die Unternehmen sind von jedem Beitrag befreit. Um nichts anderes ging es Ihnen ja auch. Das heißt, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kam wieder weniger Netto vom
Brutto heraus. Die staatlichen Zuschüsse bekommen ja
nicht die Leute, sondern die Versicherungsunternehmen.
Von 2002 bis 2011 waren das 16,6 Milliarden Euro. Deshalb spendet die Allianz jedes Jahr an Union, SPD, FDP
und Grüne, nur an die Linke nicht. Man kann sich ausrechnen, woran das liegt.
({2})
Ich nenne Ihnen drei Beispiele. - Erstes Beispiel.
Zwei Arbeitnehmerinnen haben seit ihrem 35. Lebensjahr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt.
Beide verdienen 1 790 Euro netto im Monat. Das sind
keine Geringverdienenden. Das ist fast der Durchschnitt;
ich will nur daran erinnern. Die eine zahlt bei Riester
ein, und die andere sagt: Ich möchte den Beitrag nicht
bezahlen; ich möchte mir lieber mal ein hübsches T-Shirt
kaufen. Ich verzichte darauf. - Beide werden am selben
Tag Rentnerinnen. Was kommt bei ihnen heraus? Die
eine Arbeitnehmerin bekommt eine Rente von 500 Euro,
die andere eine Rente von 640 Euro. Beide können davon nicht leben. Beide erfüllen die Voraussetzungen für
eine Grundsicherung und beantragen sie. Dann bekommt
die eine, um auf die durchschnittliche Grundsicherung in
Höhe von 707 Euro zu kommen, einen Zuschuss von
207 Euro und die andere von 67 Euro. Sie hat also jahrelang Beiträge gezahlt, um dann den gleichen Betrag zur
Verfügung zu haben wie die andere. Sie ändern nichts
daran, auch wenn die FDP es will. Gelegentlich sagt das
auch die Union; aber Sie machen nichts.
({3})
Zweites Beispiel. Frau Schäfer, Rentnerin, ist
70 Jahre alt. Sie hat drei Kinder aufgezogen. Sie hat
Jahrzehnte als Verkäuferin und Kassiererin gearbeitet.
Sie bekommt heute eine Rente von 599 Euro. Sie könnte
Grundsicherung beantragen; das macht sie aber nicht.
Sie will das nicht. Sie sagt, dass es sie demütigt.
({4})
Viele, die es könnten, machen es nicht. Bei der Beantragung der Grundsicherung muss man auch die Voraussetzungen im Blick haben: Man darf keine Eigentumswohnung oder kein Grundstück ab einer bestimmten Größe
besitzen.
({5})
Der Höhepunkt aber ist: Man darf nur ein Sparguthaben
in Höhe von 2 600 Euro haben. Das ist weniger, als
selbst ein Hartz-IV-Beziehender haben darf. - Sie muss
erst einmal das Geld ausgeben, bevor sie die Grundsicherung beantragen kann. Indiskutabel!
({6})
Deshalb muss diese 70-jährige Frau bis an ihr Lebensende in einem Minijob arbeiten, nicht, weil sie es so
klasse findet, sondern um überhaupt existieren zu
können.
436 000 Menschen beziehen Grundsicherung im
Alter. 925 000 Personen könnten sie beantragen, tun es
aber nicht. Zwei Drittel der Personen verzichten auf ihren Rechtsanspruch, weil er so demütigend organisiert
ist.
Drittes Beispiel: die irrsinnige Lebenserwartung. Eine
Frau, die vor zehn Jahren im Alter von 35 Jahren einen
Riester-Rentenvertrag abschloss, muss knapp 80 Jahre
alt werden, bis sie als Rentnerin alle Beiträge wieder herausbekommen hat. Wenn sie aber davon träumt, eine
kleine Rendite von 2,5 Prozent zu erhalten, dann muss
sie 90 Jahre alt werden. Wenn sie die dreiste Vorstellung
hat, eine Rendite von 5 Prozent zu bekommen, dann
muss sie 128 Jahre alt werden. Das erklären Sie einmal
den Leuten. Die Riester-Rente ist ein Hohn. Sie muss
überwunden werden.
({7})
Was hat damals Bundesminister Riester gesagt? Ich
zitiere:
Wir haben das Ziel, das Versorgungsniveau im
Alter insgesamt zu erhöhen. In Zukunft soll die gesetzliche Rente als Basis durch eine zusätzliche
Rente ergänzt werden.
So ein Mist ist bei alledem herausgekommen, um es einmal deutlich zu sagen. Die Geringverdienenden „riestern“ sowieso nicht. Sie können es sich gar nicht leisten.
Zurück zur gesetzlichen Rente. Wer heute in Rente
geht und 40 Jahre ununterbrochen gearbeitet hat, nie
arbeitslos war, muss pro Stunde 10,80 Euro verdient
haben, um das Grundsicherungsniveau von 707 Euro zu
erreichen. Wenn er nur 35 Beitragsjahre hat, dann
müsste er durchschnittlich 13 Euro pro Stunde verdient
haben. Schauen Sie sich doch einmal die Realität in unserer Gesellschaft an! Wir laufen auf eine dramatische
Altersarmut zu.
({8})
Die Grünen haben den Paradigmenwechsel immer
damit begründet, dass sie gesagt haben, sie wollten die
junge Generation schützen, damit sie nicht so hohe
Beiträge zahlen muss. Die damals Jungen gehen jetzt in
die Altersarmut.
({9})
Wechseln Sie doch einmal Ihre Position! Nicht die
Demografieentwicklung ist entscheidend, sondern die
Produktivitätsentwicklung. Darauf müssen wir setzen.
({10})
Wir haben 3,3 Millionen Selbstständige, die überhaupt keine Altersvorsorge haben. Was soll eigentlich
aus denen im Alter werden? Auch dazu machen Sie sich
keine Gedanken.
Wenn wir die Altersarmut wirksam bekämpfen wollen, brauchen wir gute Löhne, gute Arbeit und als Erstes
einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von
10 Euro pro Stunde.
({11})
Wir müssen die ganze prekäre Beschäftigung, den Niedriglohnsektor, die Aufstockerei, die Leiharbeit, den
Missbrauch der Werkverträge und die befristete Beschäftigung endlich überwinden. Anders können wir die
Altersarmut nicht wirksam bekämpfen.
({12})
Ich muss der SPD einmal sagen - sonst bin ich ja
nicht so kleinlich -: Sie sind nicht die Erfinderin des
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns.
({13})
Das sind nun wirklich wir. Unseren Antrag vom
25. April 2002 haben Sie noch kategorisch abgelehnt.
({14})
Ich finde es gut, dass Sie sich korrigieren; aber Sie könnten es auch einmal erwähnen, wollte ich nur sagen.
({15})
Um darüber hinaus Altersarmut zu verhindern und die
Würde der Menschen im Alter zu wahren, damit sie den
Lebensstandard einigermaßen halten können, brauchen
wir folgende Schritte:
Erstens. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent des Durchschnittseinkommens erhöht werden; anders geht es nicht.
({16})
Zweitens. Die Kürzungsfaktoren, also Riesterfaktor,
Nachholfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor, müssen gestrichen werden.
({17})
Drittens. Die Rente erst ab 67 Jahren muss zurückgenommen werden. Das können wir heute hier entscheiden. Ein entsprechender Antrag liegt vor.
({18})
Viertens. 23 Jahre nach der deutschen Einheit muss
jetzt endlich einmal eine Rentenangleichung, eine Angleichung der Rentenwerte Ost an West, geschehen.
({19})
Es muss eine gleiche Rente für gleiche Lebensleistungen
geben. Ich verstehe nicht, dass Union und FDP dies erst
in den Koalitionsvertrag aufnehmen und es dann einfach
aufkündigen. Das ist für die ostdeutschen Rentnerinnen
und Rentner nicht hinnehmbar.
({20})
Die Lücken und Benachteiligungen bei der Rentenüberleitung müssen beseitigt werden.
Fünftens. Wir brauchen endlich eine Anrechnung der
Kindererziehungszeiten auch für Kinder, die vor 1992
geboren sind.
({21})
Erklären Sie doch einmal einem Kind, wieso es weniger
wert ist, nur weil es einen Monat früher geboren ist als
ein anderes Kind! Das ist nicht nachvollziehbar, um das
einmal ganz klar zu sagen.
({22})
Auch dazu liegt heute ein Antrag vor. Auch darüber können wir namentlich entscheiden.
Weiter müssen die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten gestrichen werden. Es müssen wieder Rentenbeiträge für die Hartz-IV-Beziehenden eingeführt
werden. Da die Riester-Rente gescheitert ist, muss sie
auslaufen. Wir wollen jetzt die Möglichkeit schaffen,
dass Leute, die einen Riester-Rentenvertrag abgeschlossen haben, alle Beiträge und die Zuschläge des Staates in
die gesetzliche Rente überführen können, ohne dass ihnen Kosten entstehen. Das wäre immerhin ein Ausweg.
Denken Sie einmal darüber nach!
({23})
Des Weiteren brauchen wir Lösungen für die Selbstständigen. Dazu haben wir Vorschläge unterbreitet.
Darüber hinaus brauchen wir in Deutschland eine solidarische Mindestrente von 1 050 Euro. Dann haben wir
auch keine Altersarmut.
({24})
Jetzt zu der Frage, wie wir das alles finanzieren
können; mich wundert, dass die SPD unseren Weg nicht
mitgeht.
({25})
Wir müssen der neuen Generation sagen: Erstens. Alle
Erwerbstätigen müssen von sämtlichen Erwerbseinkommen einen Beitrag an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, auch Abgeordnete, auch Rechtsanwälte,
auch Beamte.
({26})
Beamte müssen dann allerdings einen Ausgleich erhalten, damit sie nicht schlechtergestellt sind. Zweitens.
Wir müssen die Beitragsbemessungsgrenzen aufgeben.
Dann müssen die neuen Ackermänner, also die Ackermänner der nächsten Generation, einen bestimmten
Prozentsatz von ihrem gesamten Einkommen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.
({27})
Der damit verbundene Rentenanstieg - das sehen auch
wir - muss abgeflacht werden. Dies erlaubt auch das
Bundesverfassungsgericht.
Dann brauchen wir nicht mehr über Altersarmut zu
diskutieren, dann ist sie überwunden. Dann gilt endlich
der Grundsatz, der auch in der Schweiz gilt: Die Millionäre benötigen zwar keine gesetzliche Rente - das ist
richtig -; aber die gesetzliche Rentenversicherung benötigt die Millionäre. Genau das müssen wir durchsetzen.
({28})
Als Letztes: Wir brauchen nicht weitere Kürzungen;
wir brauchen einen anderen Weg. Fassen Sie einmal
Mut! Lassen Sie uns alle gemeinsam
({29})
etwas für die Rentnerinnen und Rentner der Zukunft in
diesem Lande tun!
Danke schön.
({30})
Bevor Frau von der Leyen für die Bundesregierung
das Wort erhält, möchte ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
bekannt geben: abgegebene Stimmen 539. Mit Ja haben
gestimmt 293, mit Nein haben gestimmt 243, enthalten
haben sich 3 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist der
Gesetzentwurf angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 539;
davon
ja: 293
nein: 243
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({22})
Florian Bernschneider
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Präsident Dr. Norbert Lammert
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({23})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({24})
Michael Link ({25})
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({26})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Manfred Todtenhausen
Serkan Tören
Johannes Vogel
({27})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({28})
Nein
CDU/CSU
Dr. Peter Tauber
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding ({29})
Gerd Bollmann
Bernhard Brinkmann
({30})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({31})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({32})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({33})
Dr. Eva Högl
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({34})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({35})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Marlene Rupprecht
({37})
Annette Sawade
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({38})
Ulla Schmidt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({42})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
FDP
Sebastian Blumenthal
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Yvonne Ploetz
Paul Schäfer ({43})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({44})
Volker Beck ({45})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({46})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Präsident Dr. Norbert Lammert
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Markus Kurth
Undine Kurth ({47})
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({48})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({49})
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Thomas Jarzombek
Dagmar G. Wöhrl
SPD
Hans-Ulrich Klose
Nun hat die Frau Bundesministerin das Wort.
({50})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi,
kein einziges Ihrer Worte kann ich im Grundsatz unterschreiben. Aber in einem Punkt haben Sie recht: bei der
von ihnen genannten Höhe der Stundenlöhne, die notwendig ist, um in Zukunft - im Jahr 2030, 2035, 2040 eine Rente über Grundsicherungsniveau zu erreichen.
Bei 35 Beitragsjahren benötigt man hierfür einen Stundenlohn von gut 13 Euro. Das ist Fakt; das ist richtig.
Die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, sind aber
völlig andere. Das Sinken des Rentenniveaus war wegen
der demografischen Entwicklung nötig.
({0})
Ihr Vorschlag, das Rentenniveau zu steigern, bedeutet ja:
Alle Renten gehen rauf, auch die mittleren und die
hohen Renten.
({1})
Ein Rentenniveau von 53 Prozent verursacht allein 2030
Zusatzlasten in Höhe von 40 Milliarden Euro für die
junge Generation. Das ist typisch für Sie. Sie sagen:
Nach mir die Sintflut; Hauptsache, ich habe meine
Schäfchen im Trockenen. - Das können wir den jungen
Leuten nicht zumuten.
({2})
Ich komme zur zweiten Lösung, die die Linke anbietet. Ich habe eben gehört und habe es mir aufgeschrieben, dass Sie gefordert haben: gleiche Rente für gleiche
Lebensleistung. In Ihren Papieren steht aber: 900 Euro
Rente für alle, ganz egal, ob man einen einzigen Tag gearbeitet hat oder 40 Jahre lang.
({3})
Das ist Ihre Vorstellung von Leistung. Ich weiß, dass Ihnen Leistung schon immer suspekt gewesen ist; aber das
ist nicht unsere Vorstellung. Leistung muss sich auch
lohnen.
({4})
Warum führen wir heute diese Debatte? - Wir führen
heute diese Debatte, weil wir zurückblickend sagen müssen: Man muss den Leuten erklären, was am Schluss bei
den notwendigen Reformen, die umgesetzt wurden, tatsächlich herauskommt. Vor mehr als zehn Jahren ist die
Rente von Rot-Grün reformiert worden. Sie haben das
Rentenniveau abgesenkt bzw. lassen es langsam sinken.
Dies verbirgt sich hinter Worten wie „Nachhaltigkeitsfaktor“ und „Riester-Treppe“. Sie haben die private Vorsorge als freiwillige Säule der Altersvorsorge eingeführt.
Sie haben der Versicherungswirtschaft das Produkt der
Riester-Rente gegeben. Sie haben einige Jahre später die
Hartz-Reformen umgesetzt und den Niedriglohnsektor
ausgebaut. Auch das ist richtig; denn es ist besser, man
hat Arbeit, als dass man arbeitslos ist.
({5})
Sie haben aber Folgendes nicht bedacht: Die Kombination der beiden Dinge, das Sinken des Niveaus der gesetzlichen Rente und der Ausbau des Niedriglohnsektors, führt, wenn wir nichts machen, dazu, dass
Geringverdiener keine Chance haben, am Ende des
Tages eine auskömmliche Rente über Grundsicherungsniveau zu erhalten.
({6})
Es bedurfte der schwarz-gelben Bundesregierung, um
diese Gerechtigkeitslücke aufzudecken, und wir werden
da etwas ändern, meine Damen und Herren.
({7})
Das Interessante ist, dass außer der Linken alle
- SPD, Grüne, Union, FDP - Modelle vorgelegt haben,
die eine Ähnlichkeit aufweisen. Das zeigt, dass die Diagnose, die ich gerade gestellt habe, stimmt. Wenn Sie
sich die Lebensleistungsrente anschauen,
({8})
wenn Sie sich die Solidarrente anschauen, wenn Sie sich
die Garantierente anschauen, dann erkennen Sie, dass
die Konzepte in den Grundzügen übereinstimmen: Sie
folgen dem Grundprinzip der Rente nach Mindestentgeltpunkten. Es geht in den Konzepten um ein Aufwerten der kleinen Renten langjähriger Beitragszahler,
damit sie am Ende des Tages nicht zum Grundsicherungsamt gehen müssen - das Ganze steuerfinanziert
und bis zu einem Niveau von maximal 30 Entgeltpunkten, was zurzeit knapp 850 Euro entspricht. Das steht in
den drei Konzepten.
Im Detail der Zugangsmöglichkeiten liegt vor allem
der Unterschied, und ich glaube, es lohnt sich, darüber
zu diskutieren: Die Grünen fordern, schon nach 30 Versicherungsjahren Zugang zur Garantierente zu haben. Ist
es wirklich Ihr Ernst, dass man nicht einmal 10 Jahre
Beiträge als Erwerbstätiger zahlen muss, aber daraus bereits eine Garantierente für 10, 15, 20 oder 25 Jahre beziehen kann? - Ich glaube, Generationengerechtigkeit
sieht anders aus.
({9})
Bei der SPD ist es besser. Da sind 30 Beitragsjahre
und 40 Versicherungsjahre gefordert. Aber die SPD verzichtet darauf, eine Einkommensprüfung durchzuführen.
Das heißt: Sie stocken einem Vermögenden, der von seinen Zinsen im Alter sehr gut leben kann und sich außerdem eine kleine gesetzliche Rente erarbeitet hat, tatsächlich die Rente auf. Gleichzeitig nehmen Sie aber den
Facharbeitern mehr Steuern ab, denn es soll ja steuerfinanziert sein. Auch das ist eine Mogelpackung, die
man so nicht wirklich umsetzen kann.
({10})
Wir wollen die Lebensleistungsrente. Da gilt das gleiche Prinzip: Aufstockung bei Geringverdienern, die
jahrzehntelang - wir legen 40 Beitragsjahre zugrunde eingezahlt haben. Ja, die Lebensleistungsrente wird einem nicht geschenkt. Erst nach 40 Jahren Beitragszahlung findet eine Aufstockung der Rente durch die Lebensleistungsrente statt. Aber vor dem Hintergrund der
Generationengerechtigkeit und der Tatsache, dass wir inzwischen eine sehr viel längere Lebenserwartung haben,
dass die Babyboomer zahlreich in Rente gehen werden
und dass unsere Kinder das alles finanzieren müssen, ist
das meines Erachtens ausgewogen. Da ist Solidarität mit
Generationengerechtigkeit, die eine verantwortungsvolle
Reform berücksichtigen sollte, verknüpft.
Frau Kollegin von der Leyen, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald von den Linken akzeptieren?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Frau
Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich
danke Ihnen auch dafür, dass Sie gerade mitgeteilt haben, dass die Konzepte von SPD und von den Grünen
sowie auch das Ihrige sehr ähnlich sind. Es geht bei Ihnen allen um 850 Euro. Sie müssten aber dazusagen:
brutto. Und das sind dann 764 Euro netto. Bei einer
durchschnittlichen Grundsicherung im Alter von 707
Euro sind das noch nicht einmal 60 Euro mehr. Und für
das, was Sie ganz zynisch Lebensleistungsrente nennen
und die anderen Garantierente oder Solidarrente, sollen
die Leute dann auch noch 30 Beitragsjahre und später
35, 40 oder 45 Versicherungsjahre vorweisen und obendrein auch noch privat vorsorgen, bevor sie sie bekommen. - Das sind alles Armutsrenten, egal wie sie heißen.
Wir brauchen vielmehr eine Nettorente, die oberhalb der
Armutsrisikogrenze liegt, um Altersarmut zu verhindern.
Deswegen haben wir vorgeschlagen, mit 900 Euro
einzusteigen und das auf 1 050 Euro zu steigern. Wie
finden Sie diesen Vorschlag, um Armut wirklich bei allen zu verhindern und nicht im Alter die Menschen in
würdige und unwürdige Alte aufzuspalten?
({0})
Sie haben übersehen, dass wir nach wie vor gemeinsam die Vorstellung haben, dass ein generationengerechtes, aber auch demografiefestes Rentensystem zwei Säulen hat. Das ist einerseits die umlagefinanzierte Rente
und andererseits die private Vorsorge, zum Beispiel Betriebs- oder Riester-Renten.
Deshalb sagen wir: Es gibt in der Umlage die Lebensleistungsrente mit 30 Entgeltpunkten. Das sind zurzeit
knapp 850 Euro. Dieser Betrag steigt, wenn die Renten
insgesamt steigen. Zusätzlich kann man das, was man
privat vorgesorgt hat - also zum Beispiel die Betriebsrente oder die Riester-Rente -, ohne Abschlag behalten,
ohne dass es angerechnet wird. Das hebt die Rente über
den Grenzbetrag der Grundsicherung. Und das bringt
den Menschen, die lebenslang gearbeitet und ihren Beitrag geleistet haben, eine auskömmliche Rente.
Was ich an Ihrem Konzept nicht schätze, sind die
900 Euro für jeden, ganz egal, ob man sein Leben lang
Balalaika vor der Friedenskirche gespielt oder aber
40 Jahre eingezahlt hat.
({0})
Sie schalten alle Leute gleich.
({1})
Das ist aber das Prinzip, das Sie immer verfolgen. Das
kennen wir von Ihnen. Das lehnen wir aber ab.
({2})
Wir debattieren heute natürlich auch - das kam schon
bei Herrn Gysi vor -, dass die Rente immer ein Spiegel
des Erwerbslebens ist. Das ist richtig. Deshalb ist es
auch gut, dass wir in dieser Legislaturperiode dafür gesorgt haben, dass es inzwischen zwölf branchenspezifische Mindestlöhne gibt, dass wir die Zeitarbeit reguliert
und damit sozialer gemacht haben. Wir haben also genau
die Arbeitsverhältnisse besser geregelt, bei denen man
aufpassen muss, dass sie nicht prekär werden.
Ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen, die mir
wichtig sind. Diejenigen, die in dieser Situation der Rentenversicherung in Verbindung mit dem Niedriglohnsektor am stärksten in die Gerechtigkeitsfalle geraten, sind
vor allem Frauen, die Kinder erzogen haben.
({3})
Deshalb sieht unser Konzept die Variante vor:
({4})
Wenn Kindererziehungszeiten oder Pflegezeiten vorgewiesen werden können, dann wird nicht um 50 Prozent,
sondern um 150 Prozent aufgewertet.
({5})
Das betrifft genau die Frauen, deren Kinder in der Vergangenheit Teilzeitschulen und Teilzeitkindergärten besucht haben. Der Rest der Welt hat ja Ganztagsschulen
und Ganztagskindergärten,
({6})
in Deutschland gab es vor allem Teilzeit. Ich stimme Ihnen allerdings zu, wenn Sie sagen: Das sind die Frauen,
die durch das Recht auf Teilzeit überhaupt eine Chance
erhalten haben, am Erwerbsleben teilzunehmen.
Mit Blick auf die Zukunft müssen wir dafür sorgen,
dass es im Erwerbsleben auch das Rückkehrrecht in
Vollzeitbeschäftigung gibt.
({7})
Im Bereich Teilzeit ist es oft so: einmal Teilzeit, immer
Teilzeit, Sackgasse, Abstellgleis, die Frauen kommen da
nicht mehr raus. Deshalb möchte ich den Vorschlag unterbreiten, das Rückkehrrecht auf Vollzeitbeschäftigung
im Teilzeitrecht einzuführen.
({8})
Arbeitgeber und Beschäftigte sollen, wenn sie Teilzeit
verabreden, gleichzeitig planen, wann wieder eine Vollzeitbeschäftigung aufgenommen werden kann, wann der
Weg zurück in die Vollzeitbeschäftigung möglich ist.
({9})
Das lohnt sich für beide Seiten. Das sorgt für Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Vor allem erhalten die
Frauen die Chance, auch in Teilzeitarbeit in die Karriere
zu investieren.
({10})
Dadurch könnte Teilzeit auch für Männer interessanter
werden. Daran wollen wir arbeiten.
({11})
Mein zweiter und letzter Punkt: Mindestlöhne. Die
entsprechende Debatte dazu findet heute im Bundesrat
statt. Die Einführung eines Mindestlohns ist meiner Meinung nach notwendig, aber er wird das Problem bei der
Rente nicht lösen.
({12})
Ein Mindestlohn von 8,50 Euro - das ist der Vorschlag
von SPD und Grünen - wird das Problem nicht lösen.
Auch ein Mindestlohn von 10 Euro - der Vorschlag der
Linken - wird das Problem nicht lösen. Es ist gut, dass
die Arbeitslosenquote so gering ist, es ist gut, dass wir
Rekordbeschäftigung haben. Auch der Mindestlohn
hilft, aber er wird das Problem bei der Rente nicht lösen.
({13})
Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir einen Mindestlohn brauchen.
Nach unserer Auffassung sollten wir eine Kommission einsetzen,
({14})
in der Arbeitgeber und Gewerkschaften einen Mindestlohn aushandeln, und zwar ohne Vorgaben. Sie wollen
Tarifautonomie, aber gleichzeitig sagen Sie den Tarifpartnern: Wir trauen euch nicht zu, dass ihr das schafft,
deshalb führen wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro
oder einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
ein. Wenn Sie daran festhalten, sind wir nicht bei Ihnen.
Wir sind der Meinung, Tarifautonomie ist ein kostbares Gut. Wir wollen Arbeitgeber und Gewerkschaften in
die Lage versetzen, einen Mindestlohn auszuhandeln.
({15})
Wir wollen deshalb eine Kommission, die den Mindestlohn aushandelt. Das ist unser Vorschlag. Damit wollen
wir uns durchsetzen.
Vielen Dank.
({16})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Matthias Birkwald von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben eben wiederholt falsche Informationen über die Position der Linken gegeben. Deswegen möchte ich Ihnen hier klar und
deutlich sagen: Die Linke ist gegen eine Grundrente, und
die Linke ist auch gegen eine Einheitsrente.
({0})
Wir haben nicht gefordert, jedem oder jeder eine Mindestrente in einer bestimmten Höhe zu zahlen.
Unser Konzept einer Mindestrente sorgt dafür, dass
niemand in Armut fällt. Wir wollen vor allen Dingen die
Sicherung des Lebensstandards durch die Rente wiederherstellen. Das heißt, wir wollen gute Arbeit, gute
Löhne, die dann für eine gute Rente sorgen. Das bedeutet, wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der möglichst
niemand auf eine solidarische Mindestrente - oder wie
immer man das nennen will - angewiesen ist. Diejenigen, die darauf angewiesen sind, sollten nur einen möglichst kleinen Zuschlag benötigen; denn wir wollen, dass
sich alle Menschen mit ihrer eigenen Hände oder Köpfe
Arbeit einen Rentenanspruch im Äquivalenzsystem „gesetzliche Rentenversicherung“ erarbeiten können.
Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen: Unser Konzept für eine solidarische Mindestrente ist einkommensund vermögensgeprüft. Es geht darum, dass niemand im
Alter in Armut leben muss. Alle anderen Konzepte, die
auf dem Tisch liegen, lassen die Menschen in der Armut.
Sie spalten die Gruppe der Alten in diejenigen, die eingezahlt haben und 10 oder 15 Euro über dem Niveau der
jetzt sogenannten Grundsicherung im Alter liegen, und
in diejenigen, die noch nicht einmal das bekommen. Wir
möchten, dass Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde
des Menschen ist unantastbar“, in unserem Land auch
für die Menschen über 65 gilt.
({1})
Wollen Sie antworten?
Gerne. Ganz kurz.
Bitte schön, Frau von der Leyen.
Herr Birkwald, das, was Sie gerade vorgetragen haben, ist entlarvend. Zuerst haben Sie gesagt: Bei uns gibt
es Differenzierungen und man erhält nicht ohne Vorleistungen 900 Euro. Aber dann wurden Ihre Äußerungen
total schwammig. Ich habe nichts von Versicherungsjahren gehört. Ich habe auch nichts von Beitragsjahren
gehört. Ich habe nichts von einem Deckel gehört.
({0})
Ich habe nur gehört: Wir wollen, dass im Prinzip alle im
Alter eine Rente erhalten. Genau das ist unser Vorwurf,
nämlich dass Sie eine Rente für alle unabhängig von der
Vorleistung versprechen.
({1})
Finanzieren kann man das sowieso nicht. Sie müssten
dann den Jungen sagen, dass sie das alles zusammentragen sollen. Unser Vorwurf an Sie lautet also, dass Sie das
nebulös in den Raum stellen, aber nicht konkret werden,
nicht einmal in einer Kurzintervention. Damit kommen
Sie nicht durch.
({2})
Jetzt hat die Kollegin Petra Hinz von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau von der Leyen, Sie sprachen von
„aufdecken“, davon, uns einen Spiegel vorzuhalten, und
sagten, wir sollten tun. Was meinen Sie damit? Sie sind
doch in der Regierung und kein anderer. Sie haben dreiPetra Hinz ({0})
einhalb Jahre lang nichts getan. - Doch, Sie haben etwas
getan: Sie haben angekündigt. Erinnern wir uns an den
Armuts- und Reichtumsbericht. Was haben wir gelernt?
Der Armuts- und Reichtumsbericht ist nicht verändert,
manipuliert worden, nein, er hat eine redaktionelle Ergänzung aus einem anderen Ressort erfahren. Ich muss
Ihnen schon sagen: Mehr als anzukündigen und aufzudecken haben Sie in der Tat nicht getan. Da Sie den Menschen einen Spiegel vorhalten wollten, wollen auch wir
Ihnen einen Spiegel vorhalten: Diese Regierungsleistung, das, was Sie hier auf den Tisch gelegt haben, war
mehr als ungenügend.
({1})
Ich möchte zur Frage des Mindestlohns Folgendes
deutlich sagen: Reden Sie doch einmal über das, was Sie
möchten. Sie möchten eine Lohnuntergrenze; das ist etwas ganz anderes. Wir wollen einen Mindestlohn von
mindestens 8,50 Euro haben.
({2})
Darüber wird heute zeitgleich im Bundesrat beraten.
Also, liebe Frau von der Leyen: Reden Sie nicht!
Handeln Sie! Sie hatten die Zeit. Sie haben die Chance
vertan. Sie haben nichts getan, weder für die Frauen
noch für die jetzige Rentnergeneration noch für die zukünftigen Rentnergenerationen.
Wie haben Sie sich am Arbeitsmarkt verhalten? Sie
haben nichts getan, damit Menschen eine Chance erhalten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Im Gegenteil: Sie haben die Gelder für entsprechende Maßnahmen
gekürzt, und zwar ganz massiv, um 40 Milliarden Euro.
Das sind die Dinge, die Sie auf den Weg gebracht haben.
Es geht heute aber auch um die Forderung der Linken,
die Risiken der Riester-Rente offenzulegen, bzw. den
Antrag der Linken mit dem Titel „Riester-Förderung in
die gesetzliche Rente überführen“. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich denke, Sie
können uns nicht absprechen, dass wir genau wie Sie
möchten, dass jeder sein Lebensmodell leben kann, dass
jeder ein auskömmliches Gehalt bzw. einen auskömmlichen Lohn bekommt und dass jeder im Alter von seiner
Rente leben kann.
({3})
Ich bitte Sie, endlich einmal davon Abstand zu nehmen,
hier etwas aufzubauschen, was nicht stimmt.
Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen:
Wir fordern einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Was sagen Sie jetzt? Mindestens 10 Euro! In Ihrem Antrag
steht, dass das Rentenniveau auf 73 Prozent festgeschrieben werden muss.
({4})
- Entschuldigung, 53 Prozent. - Meine Frage lautet: Warum nicht 55 Prozent? Warum nicht 60 Prozent?
({5})
Wir zum Beispiel sagen in unserem Rentenkonzept:
Mindestens 50 Prozent, und da soll gedeckelt werden; da
wollen wir hin. Warum fordern Sie jetzt 53 Prozent?
({6})
Ist diese Strategie nicht ein bisschen durchsichtig?
({7})
Zum Thema Riestern. Sie fordern, dass diese Förderung in die gesetzliche Altersvorsorge zurück überführt
wird. Ich möchte die Rechnung, die Sie hier immer verschweigen, weil Sie hier zwar viele Dinge ansprechen,
aber nicht konkret werden, einmal aufmachen: Wir hatten - das belegen die offiziellen Statistiken - Mitte 2012
rund 20,6 Millionen Rentner
({8})
und 34 Millionen Erwerbstätige, die dementsprechend in
die Rentenkasse eingezahlt haben.
({9})
Rechnen wir das einmal durch - ein Schreiben dazu
haben wir vom Staatssekretär erhalten -: Bei den
Riester-Verträgen sind im Augenblick maximal
2 100 Euro anrechenbar, die also jetzt angespart werden.
Rechnet man die steuerliche Förderung bzw. die, wie wir
sie nennen, Steuermindereinnahmen - rund 600 Millionen Euro - auf jeden einzelnen Rentner um, so macht
das für jeden 30 Euro im Jahr aus. Das sind im Monat
2,50 Euro. Dafür hat Herr Gysi hier gerade so einen langen Bericht abgegeben! 2,50 Euro sind sicherlich viel
Geld für eine Rentnerin oder einen Rentner, die bzw. der
mit 500 Euro auskommen muss. Aber nennen Sie doch
einmal die tatsächlichen Nettozahlen, was unterm Strich
jeder einzelne Punkt, den Sie fordern, für die Rentnerin
oder den Rentner ausmacht!
({10})
Aber die Steuervorteile für die jungen Familien, für
die, bei denen Kinderzuschläge und all das zu berücksichtigen sind, nennen Sie nicht. Denn das wollen Sie
letzten Endes aufgeben. Sagen Sie den jungen Familien,
was Sie ihnen unterm Strich an Leistungen streichen
wollen! Alles andere ist de facto unehrlich.
({11})
Petra Hinz ({12})
Ich wiederhole es: Die Förderleistung im Rahmen
von Steuermindereinnahmen beträgt nach dem Schreiben des Finanzministeriums 600 Millionen Euro. Dies
macht pro Rentner aufs Jahr umgerechnet 30 Euro bzw.
2,50 Euro im Monat aus. Darüber reden wir.
({13})
Wir können darüber reden - da gebe ich Ihnen recht -,
dass die Koalition sich bei der Nachbesserung im Rahmen des Altersvorsorgegesetzes leider ausschließlich auf
die Rürup-Rente, den Wohn-Riester und dergleichen
konzentriert und es versäumt hat, die Riester-Rente stärker zu fördern. Davon wären nämlich zwischen 15 und
16 Millionen Verträge betroffen gewesen.
({14})
- Das habe ich gesagt. - Durch eine solche Verstärkung
der Förderung hätten wir die dritte Säule, das dritte
Standbein der Altersvorsorge stützen können.
({15})
Ich gebe Ihnen aber recht: Zu einem schlüssigen Rentenkonzept gehört wesentlich mehr, und zwar auch die
Bekämpfung der Armut von Erwerbstätigen, also im
Umkehrschluss faire und gerechte Löhne.
({16})
Wenn wir uns darum bemühen, sollten Sie aber nicht
- was Sie immer wieder tun - populistisch Halbwahrheiten aussprechen. Wenn wir hier einen großen Konsens
bekommen können - flächendeckender Mindestlohn von
8,50 Euro -: Warum stimmen Sie dem nicht zu? Warum
wollen Sie dann noch eine Kelle drauflegen und fordern
10 Euro?
({17})
Angenommen, wir sagen: 10 Euro. Dann sagen Sie
schlussendlich: 11 Euro.
({18})
Das ist Ihre Strategie. Seien wir doch einmal ehrlich!
({19})
Frau Kollegin Hinz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ernst von der Linken?
({0})
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr Ernst.
Frau Kollegin, danke, dass Sie die Zwischenfrage und
die Bemerkung zulassen.
Sind Sie erstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die 10 Euro, die wir fordern, im Gegensatz zu den
8,50 Euro, die Sie fordern, dazu führen würden, dass die
Rente, die ein zu diesem Stundenlohn Beschäftigter bis
an sein Lebensende kriegt, tatsächlich über dem Niveau
der Grundsicherung liegen würde? Bei Ihrem Konzept
würde sie darunter liegen.
Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass wir schon einmal ein Rentensicherungsniveau von
53 Prozent hatten - Sie haben ja gefragt, woher unsere
53 Prozent kommen - und dass diese 53 Prozent insbesondere durch die Maßnahmen der rot-grünen Regierung
drastisch abgesenkt wurden, was bis zum Jahr 2030
letztendlich zu einer Kürzung um 10 Prozent führen
könnte? Sind Sie deshalb auch bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir, wenn wir ein Rentensicherungsniveau
von 53 Prozent in die Welt setzen, damit eigentlich nur
wieder auf das alte Niveau zurückgehen, das unter einer
früheren Regierung, unter Blüm, einmal üblich war?
({0})
Danke, Herr Ernst, für Ihre Frage bzw. Ihren Kommentar.
({0})
Ich nähme gerne zur Kenntnis, dass ich recht habe.
Wenn wir hier gemeinsam einen flächendeckenden Mindestlohn von mindestens - ich sage: mindestens 8,50 Euro beschließen würden, dann würden wir gemeinsam etwas auf den Weg bringen. Ihre permanente
Verhinderungstaktik,
({1})
immer etwas mehr zu fordern, statt einen Konsens für
die Menschen, für die Rentnerinnen und Rentner und für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu finden,
nehme ich zur Kenntnis. Mögen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir Sie einladen, unser Rentenkonzept mit auf
den Weg zu bringen, um etwas für die Menschen draußen zu tun!
({2})
Würden Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin
Golze entgegennehmen?
Ja, gerne. Natürlich.
Bitte schön.
({0})
- Ich sage aber: Das war jetzt auch die letzte Zwischenfrage, die ich zulasse.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, und vielen Dank, Frau Kollegin, dass
auch Sie dies tun. - Ich möchte Sie einfach nur fragen,
ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass es gerade heute im Bundesrat eine Abstimmung über einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt, dem
auch das Bundesland Brandenburg - bekanntlich regiert
von SPD und Linken - zustimmen wird, weil wir natürlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
gemeinsam durchsetzen wollen. Aber wir wollen eben
nicht bei 8,50 Euro aufhören, sondern sagen gleich, in
welche Richtung es gehen soll.
Natürlich ist die Linke für einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn, und dies nicht erst seit heute,
wie mein Kollege Gysi vorhin bereits ausgeführt hat.
({0})
Vielen Dank. Auch ich habe hier gerade bereits deutlich gemacht, dass zeitgleich im Bundesrat das Thema
„flächendeckender Mindestlohn“ beraten wird. Insofern
habe ich es zur Kenntnis genommen. Ich nehme es gerne
noch einmal zur Kenntnis. Ferner nehme ich gerne zur
Kenntnis, dass Sie in der Koalition in Brandenburg unserem Vorschlag im Bundesrat zustimmen werden, dass
wir also die Einführung eines gemeinsamen flächendeckenden Mindestlohns beschließen werden. Wenn ich es
heute Morgen richtig verstanden habe, soll eine Kommission eingesetzt werden,
({0})
die den Betrag entsprechend festlegt. Ich habe das alles
zur Kenntnis genommen.
({1})
Ich freue mich, dass Sie mir die Gelegenheit geben, hier
noch einmal zu sagen, dass wir heute aufgrund der
Mehrheit der sozialdemokratisch geführten Länder in
unterschiedlichen Koalitionen die Chance haben, im
Bundesrat die Einführung eines Mindestlohns gemeinsam zu beschließen.
({2})
Insofern ganz herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage.
Ich habe es zur Kenntnis genommen.
Zur Sicherung des Auskommens im Alter gehört wesentlich mehr. Das beginnt bereits bei der Bildung und
geht weiter bei der Ausbildung. Danach muss man auch
einen Arbeitsvertrag bekommen, nicht nur permanent
befristete Verträge, nicht nur Praktikastellen, sondern
tatsächlich vernünftige Arbeitsverhältnisse.
Ich fand es bezeichnend, dass Herr Blüm Familienministerin Schröder in einer Talkshow am Sonntag ein „ungenügend“ in ihr Zeugnis, um einmal in dieser Sprache
zu bleiben, geschrieben hat. Er hat ganz klar gesagt, dass
diese Regierung nichts getan hat. Sie hat weder das Problem der befristeten Verträge gelöst, noch ist sie das
Thema der Praktika angegangen noch das Thema Frauenförderung, und noch hat sie dafür gesorgt, dass für
gleiche Arbeit gleich viel Geld gezahlt wird. Dies alles
hat Norbert Blüm in dieser Sendung gesagt. Wer ist in
der Verantwortung? Sie sind in der Verantwortung.
({3})
Damit hat er Ihnen ganz klar gesagt, dass Sie eine fehlgeleitete Politik machen.
Wir stehen für eine Solidarrente.
({4})
Wir stehen dafür, dass die Brücke ins Rentenalter ausgebaut werden soll. Auch die Frage des Rentenniveaus und
die Frage der Beitragsentwicklung sind wir in unserem
Rentenkonzept angegangen. Seien wir doch einmal ehrlich. Was hat die Bundesregierung zuletzt gemacht? Sie
hat den Beitrag von 19,6 auf 18,9 Prozent gesenkt.
({5})
Das ist zwar kurzfristig wunderbar - jeder Arbeitnehmer
freut sich darüber -, aber langfristig ist das für unsere
Rentenkassen eine absolut fehlgeleitete Politik.
({6})
Ich kann Ihnen nur sagen, Frau von der Leyen: Alles,
was Sie bisher auf den Weg gebracht haben, waren Ankündigungen. Ihre eigenen Kabinettskollegen haben alle
Maßnahmen wieder eingestampft. Von der Quote ist nur
noch eine Flexiquote übrig geblieben. Von den geplanten
Maßnahmen zur besseren Teilhabe von Frauen ist gar
nichts übrig geblieben, weil Sie, die Kanzlerin und die
Familienministerin keinen Konsens finden konnten.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind froh, wenn der
22. September kommt. Dann wird diese Regierung abgewählt, und wir können für die Menschen die richtigen
Alternativen auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
({7})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Heinrich Kolb.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hinz, was den 22. September anbelangt, fällt mir ein altes Sprichwort ein: Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.
({0})
Wir sollten einmal abwarten, wie die Ergebnisse nach
dem Wahlkampf wirklich aussehen. Ich glaube, es wird
für die rechte Seite des Hauses besser sein, als Sie im
Moment zu erwarten bereit sind.
Gregor Gysis rentenpolitischer Gemischtwarenladen
hat heute Morgen wieder geöffnet, und eine ganze Reihe
von Lockvogelangeboten liegen im Schaufenster. Das
Unternehmen ist übrigens mit ungedeckten Schecks finanziert.
({1})
Das muss man dazusagen. Man muss sich überlegen, wie
man damit umgeht. Man kann es komplett ignorieren
und die Gelegenheit nutzen, zu anderen Themen etwas
zu sagen - das habe ich jetzt ein paarmal so gemacht -,
oder man kann wirklich versuchen, das einmal Punkt für
Punkt durchzugehen. Das will ich gleich einmal tun.
Eine Vorbemerkung möchte ich machen, weil hier
heute Morgen immer wieder andere renten- und sozialpolitische Baustellen angesprochen werden. Wir hatten
gestern schon eine Aktuelle Stunde zum Mindestlohn.
Mir fällt bei den Kollegen der Opposition eines auf: Sie
versteigen sich hier mehr und mehr zu einem MindestMindestlohn. Das Ganze soll ja unpolitisch stattfinden.
Eine Kommission soll die richtige Höhe festlegen, aber
mindestens die oder die Zahl soll dabei herauskommen.
Dazu kann ich nur sagen: Unpolitische Lohnfestlegung
sieht anders aus. Aus gutem Grund ist die Mehrheit in
diesem Hause der Meinung, dass Tariffindung eine Aufgabe der Tarifpartner ist und die Politik ihre Finger aus
diesem Spiel heraushalten soll.
({2})
In Gregor Gysis Rentenladen lässt vielfach das Schlaraffenland grüßen. Sie sind ja Meister darin, immer wieder die gleichen Forderungen vorzutragen; Sie sind auch
durch nichts von falschen Grundannahmen abzubringen.
Trotzdem will ich es heute noch einmal versuchen.
Sie sagen zum Beispiel, das Rentenniveau sinke dramatisch durch falsche politische Entscheidungen. Da
kann ich nur sagen: Offensichtlich hat die Fraktion der
Linken eine Version des Alterssicherungsberichtes bekommen, in dem die Seite 175 fehlt. Auf der kann man
nämlich übersichtlich nachlesen, dass wir im Jahr 2020
mit einem durchschnittlichen Gesamtversorgungsniveau
von 70,7 Prozent netto rechnen können,
({3})
2030 sogar mit einem Gesamtversorgungsniveau von
72,8 Prozent.
Ganz wichtig für Sie - manche im Haus sind ja nicht
bereit, das zur Kenntnis zu nehmen -: Der Nachhaltigkeitsfaktor wirkt nur dann und nur in dem Maße negativ
auf das Rentenniveau, wenn und wie die Zahl der Rentner schneller wächst als die der Beitragszahler. Dem sind
wir allerdings auch nicht ohne Gegenwehr ausgeliefert.
Vielmehr haben wir es doch selbst in der Hand, welche
Seite sich am Ende besser entwickelt.
({4})
Davon hängt also das zukünftige Rentenniveau ab. Wir
sind auf diesem Gebiet nachgewiesenermaßen erfolgreich; das möchte ich hier deutlich festhalten.
({5})
Die Beschäftigung hat im vergangenen Jahr mit
41,1 Millionen Personen ein Rekordniveau erreicht und
liegt auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die neu geschaffenen Arbeitsverhältnisse sind fast
ausschließlich sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse und sind zum größten Teil im Vollzeitbereich
entstanden.
({6})
Auch dies möchte ich hier einmal sagen, um mit der Mär
aufzuräumen, es gebe in Deutschland nur noch prekäre
Beschäftigung und alle Arbeitsplätze, die neu entstünden, seien inakzeptabel. Das Gegenteil ist der Fall. Diese
Regierung hat diesen Erfolg auf ihrem Konto zu verbuchen.
({7})
Wenn die Regierung so weitermacht wie bisher und
künftig auch mehr Arbeitnehmer mehr Beiträge einbezahlen, dann ist dies ein Weg, um im Jahr 2030 ein höheres Rentenniveau zu erreichen, als man bisher erwarten
konnte.
({8})
Wir sind im Moment auch deutlich besser unterwegs, als
dies frühere Regierungen prognostiziert hatten.
Als weiteren Punkt hat Gregor Gysi angesprochen,
dass die Riester-Förderung verfehlt sei und an die falschen Menschen gehe. Deswegen kommt er zu dem Ergebnis, dass man die Riester-Förderung einstellen
müsse. Das ist der Weg zurück in die rentenpolitische
Steinzeit, Herr Kollege Gysi.
({9})
Sie behaupten also, die Riester-Rente sei ein Flop. Ausweislich der Zahlen des Alterssicherungsberichtes 2012
kann man feststellen, dass inzwischen mehr als 70 Prozent aller Arbeitnehmer einen zusätzlichen Anspruch aus
einer betrieblichen oder einer Riester-Rente besitzen. Es
gibt 9,6 Millionen Riester-Verträge, 15,6 Millionen Betriebsanwartschaften. Aber - jetzt kommt es, Herr Gysi 27 Prozent der Zulagenempfänger - das sind 2,5 Millionen Menschen in diesem Lande - bekommen die staatliche Zulage für ein Jahreseinkommen von unter
10 000 Euro.
({10})
Weitere 20,3 Prozent bekommen die Zulage für ein Jahreseinkommen von unter 20 000 Euro, weitere 19,3 Prozent für ein Jahreseinkommen von unter 30 000 Euro.
Da sind wir immer noch nicht in Bereichen, die Sie vielleicht als Höchstverdiener bezeichnen würden.
({11})
Aber das heißt im Klartext: Mehr als zwei Drittel der
staatlichen Zulagen in diesem Bereich gehen an Menschen mit einem Jahreseinkommen von unter
30 000 Euro. Das nenne ich im Unterschied zu Ihnen,
Herr Kollege Gysi, zielgenau und fair. Genau dies ist
auch der Grund dafür, dass wir an dieser Art der Förderung in Zukunft festhalten wollen.
({12})
- Jetzt zur Frage, was hinten herauskommt.
Das Problem bleibt - dafür haben Sie ja ein Beispiel
gebracht, Herr Gysi -: Erworbene private und betriebliche Zusatzansprüche werden bei der Grundsicherung
gnadenlos angerechnet und dann eben auch weggenommen. Gerade Geringverdiener sind nicht schlecht im
Rechnen. Das unterstelle ich hier ausdrücklich, und dies
ist auch richtig so. Sie wissen genau, dass sie im Falle
der Grundsicherung am Ende keinen Euro mehr bekommen werden. Das ist ein rot-grüner Webfehler gewesen.
({13})
Das ist auch genau der Grund dafür, warum wir als FDP
ein Freibetragsmodell vorschlagen. Danach sollen mindestens 100 Euro als Sockel nicht angerechnet werden,
darüber hinaus sollen weitere 20 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Das ist ein Signal, das gerade an junge
Menschen in unserem Lande gegeben werden muss, und
das ist etwas, wofür wir in dieser Koalition eintreten.
({14})
Ich will zum Schluss noch sagen und damit vielleicht
doch noch ein bisschen werben: Uns treibt die Frage um,
wie wir in der Rentenpolitik die Flexibilisierung des
Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand besser
gestalten können. Das ist unsere Antwort auf die Rente
mit 67, die Sie ja auch ablehnen. Ich glaube, es ist ein
lohnenswertes Ziel, dass Menschen, die sich oberhalb
der Grundsicherung befinden, ab einem Alter von
60 Jahren frei entscheiden und frei wählen können, in
welchem Umfang sie noch erwerbstätig sein wollen.
Dann soll ihnen der Staat auch nicht mehr vorschreiben,
ob und was sie zuverdienen können. Das wird eine wichtige Entscheidung der Zukunft sein, die ich ganz am
Schluss noch aus dem Potpourri der Themen herausgreifen will.
Denken Sie einmal darüber nach, wie man es schaffen
kann, dass Menschen möglichst lange am Erwerbsleben
teilhaben, aber auf der Basis ihrer eigenen freien Entscheidung! Das ist es, was wir erreichen müssen. Denn
das Beste, was man den Menschen empfehlen kann, ist,
möglichst lange dabeizubleiben und nicht möglichst früh
in Rente zu gehen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({15})
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über neun Anträge der Fraktion Die
Linke zur Rente. Ich will gerne konstatieren, dass Ihre
Problembeschreibung zu einem großen Teil richtig ist,
die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, sind es allerdings
nur teilweise. Deswegen werden wir Ihre Anträge zum
Teil ablehnen, zum Teil aber auch nicht.
Viel spannender ist aber, was die Bundesregierung
bisher zum Thema Rente vorgelegt hat, nämlich
({0})
nichts - gar nichts, überhaupt nichts, nada, rien, nothing.
({1})
Seit drei Jahren stellen Sie die Regierung. Aber zum
Thema Rente hört man von Ihnen nur Ankündigungen.
Das war auch heute wieder der Fall. Sie sagen, Sie wollen die Armen, die Alten, die Kinder und wen sonst noch
alles retten. Aber nichts ist passiert, weder beim Mindestlohn noch bei der Ost-West-Rentenangleichung, die
im Koalitionsvertrag steht.
({2})
Sie wollten die Selbstständigen besser absichern; davon
ist nichts mehr zu hören. In dieser Woche haben wir eine
Diskussion über Ghettorenten geführt. Es gibt keine Vorschläge der Bundesregierung, wie die vorhandene Lücke
zu schließen ist.
({3})
Außerdem führten wir Debatten über DDR-Flüchtlinge
und über Geschiedene aus der DDR, die benachteiligt
sind.
({4})
Auch hier will die Regierung nichts unternehmen, und
das trotz eines entsprechenden Bundesratsbeschlusses.
Das Megathema ist die drohende Altersarmut. Dazu
sagt die Bundesarbeitsministerin schon seit Jahren: Ja,
da muss etwas passieren. Die Lebensleistung muss sich
lohnen, insbesondere für diejenigen, die lange etwas geleistet haben. - Was liegt vor? Nichts, überhaupt nichts!
Die Lebensleistungsrente ist doch nur ein Begriff. Es
gibt aber überhaupt kein Konzept. Die Koalitionsrunde
hat zwar beschlossen, dass 40 Beitragsjahre die Voraussetzung für den Bezug der Lebensleistungsrente sein sollen. Aber selbst bei der Höhe gibt es unterschiedliche
Meinungen. Frau von der Leyen hat gesagt: Die Lebensleistungsrente ist das Gleiche wie das, was ich vorher als
Zuschussrente bezeichnet habe. - Da hat dann aber sofort die FDP interveniert - Herr Kolb nickt - und gesagt:
Nein, sie ist nicht das Gleiche wie die Zuschussrente; sie
ist niedriger. - Wahrscheinlich würde er noch hinzufügen: einfacher und gerechter.
({5})
Es ist also etwas ganz anderes, aber es gibt kein Konzept.
({6})
Die Regierung hat bisher rein gar nichts vorgelegt. Ich
prognostiziere: Zu diesem Thema wird es auch nichts
mehr geben. Deswegen werde ich meine restliche Redezeit nutzen, um unser Konzept darzustellen.
({7})
Dann werden auch die Unterschiede zu den Konzepten
der beiden anderen Oppositionsfraktionen deutlich; bei
Schwarz-Gelb gibt es da ja, wie gesagt, nichts.
Wir sind der Meinung, dass die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale und noch zu stärkende Säule
der Alterssicherung ist.
({8})
Deswegen wollen wir die Rente schrittweise zu einer
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung weiterentwickeln,
in die alle Bürger Beiträge auf alle Einkunftsarten unabhängig vom Erwerbsstatus einzahlen.
({9})
Es ist klar, dass wir das nicht von heute auf morgen hinbekommen; das wird ein langer Prozess sein. Aber für
uns ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass alle Menschen in der gleichen Art und Weise für das Alter abgesichert sind.
({10})
Das gilt übrigens auch für Politikerinnen und Politiker.
Durch diese Bürgerversicherung werden Versicherungslücken geschlossen, eigene Ansprüche, die präventiv vor Altersarmut schützen, aufgebaut, und die Rente
wird nachhaltig finanziert.
({11})
Für uns sind stabile Rentenversicherungsbeitragssätze
ein wichtiges Ziel; das unterscheidet uns fundamental
von den Linken. Im Übrigen ist es so, dass die Beiträge
komplett von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gezahlt werden müssen.
({12})
Unter anderem deswegen sind wir dagegen, dass es Rentenversicherungsbeitragssätze von 26, 27 oder 28 Prozent geben soll. Die Menschen sind genug belastet. Wir
wollen stabile Rentenversicherungsbeitragssätze.
Gleichzeitig ist uns aber auch ein angemessen hohes
Rentenniveau wichtig. Wir wollen, dass unser Rentensystem über Generationen hinaus Vertrauen genießt.
Junge Menschen, die lange in die Rentenversicherung
eingezahlt haben, müssen im Alter auch eine angemessene Rente erhalten. Würde das Rentenniveau deutlich
sinken, wären viele von Armut bedroht. Das wäre eine
Legitimationskrise der Rentenversicherung. Das wollen
wir verhindern.
({13})
Herr Kolb hat eben den Mechanismus des von uns
eingeführten Nachhaltigkeitsfaktors gut beschrieben.
({14})
- Nein, der demografische Faktor hat anders funktioniert. - Dabei geht es nämlich um das Verhältnis von
Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern zu Rentnerinnen und Rentnern. Wenn wir eine Bürgerversicherung
haben, dann gibt es mehr Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Dadurch können wir zu einem angemessenen Rentenniveau bei stabilen Beiträgen kommen.
Zusätzlich müssen wir natürlich beim Arbeitsmarkt
ansetzen. Wir brauchen eine höhere Erwerbsbeteiligung
insbesondere von Frauen und Älteren, und wir müssen
endlich den Bereich der prekären Beschäftigung eingrenzen, wodurch auch mehr Beiträge gezahlt werden.
Auch dadurch würde das Rentenniveau steigen.
Das ist unser Ansatz. Steigende Beiträge sind keine
Lösung.
Zu einem guten Verhältnis von Beiträgen zum Rentenniveau trägt übrigens auch die Anhebung der Altersgrenze bei. Wenn es gelingt, dass die Menschen länger
arbeiten, erhöhen wir damit die Einnahmen der Rentenversicherung und damit auch die Renten. Das heißt, die
Alternative zur Rente mit 67 sind nicht nur höhere Beiträge, sondern auch ein geringeres Rentenniveau. Deswegen halten wir die langsame und schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 bis zum Jahr 2031 für
richtig.
Wir wollen aber flexible Übergänge in den Ruhestand
schaffen. Die Menschen sollen möglichst selbstbestimmt
entscheiden können, wann und in welchem Umfang sie
in Rente gehen. Wer will, soll schon mit 60 in Rente gehen können. Insbesondere wollen wir, dass Menschen ab
60 eine Teilrente beziehen können,
({15})
um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand und
längeres Arbeiten zu ermöglichen.
({16})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst von den Linken?
Ja, immer gerne.
Bitte schön, Herr Ernst.
Danke, Herr Kollege. - Ich möchte eigentlich nur
eine Frage stellen. Sie bestreiten sicherlich nicht, dass
nur 9,9 Prozent der Altersgruppe der 64-Jährigen eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben. Vorhin wurden die Zahlen genannt. Bei den Frauen ist der
Anteil noch deutlich geringer. Das ist der Istzustand.
Wir haben aber schon jetzt begonnen, die Rente mit
67 bzw. erst ab 67 einzuführen. Sind Sie mit mir der
Auffassung, dass das für 90 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die das betrifft, schon eine
Rentenkürzung ist?
({0})
Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass die
Zahl derer, die in dieser Altersgruppe eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, eher abnimmt,
({1})
und dass wir damit rechnen können, dass das, was wir
zum jetzigen Zeitpunkt tun und das sich in den nächsten
20 Jahren vermutlich nicht dramatisch ändern wird, dazu
führt, dass die Rente erst ab 67 für die Menschen tatsächlich eine reine Rentenkürzung ist? Denn pro Jahr,
das die Menschen vor dem 67. Lebensjahr in Rente gehen, müssen sie bis ans Lebensende einen Rentenabschlag von 3,6 Prozent jährlich - also 7,2 Prozent für
zwei Jahre - hinnehmen.
({2})
Ich stimme Ihnen zum Teil zu. Die Zahl 90 Prozent
stimmt wahrscheinlich nicht. Wir müssen uns die empirischen Zahlen noch einmal genau ansehen. Denn es sind
nicht nur die Erwerbstätigen, die keine Rentenkürzungen
erfahren,
({0})
sondern auch andere. Ich empfehle dazu das Gutachten
des Wissenschaftlichen Beirats zur Rente - es ist vorletztes Jahr vorgelegt worden -, in dem für die einzelnen
Gruppen beschrieben ist, wo eine Rentenkürzung drohen
könnte.
Womit Sie aber grundsätzlich recht haben: Es gibt
eine Gruppe, die das nicht erreicht. Für sie ist es tatsächlich eine Rentenkürzung. Ich hatte gesagt: Im Durchschnitt ist es eine Verbesserung und eine Erhöhung des
Rentenniveaus. In der Tat führt die Rente mit 67 dazu,
dass die Schere ein Stück weit auseinandergeht. Für diejenigen, die schwächer sind und nicht so lange arbeiten
können, ist es eine Rentenkürzung. Im Grundsatz ist es
aber eine Rentenerhöhung.
Aber gerade bei diesem Verteilungsproblem müssen
wir unbedingt und dringend ansetzen. Wir müssen dafür
sorgen, dass auch diejenigen, die nicht so lange arbeiten
können, vernünftig abgesichert sind. Die Teilrente ist ein
Beispiel. Wir müssen bei der Erwerbsminderungsrente
dafür sorgen, dass diejenigen, die aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr arbeiten können, keine Abschläge
mehr in Kauf nehmen müssen. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt. Wir müssen auch sonst dafür Sorge tragen, dass
wir zu fließenden Übergängen in den Ruhestand kommen.
Last, not least - dazu komme ich gleich noch ausführlicher - müssen wir dafür sorgen, dass die Rente mit 67
nicht dazu führt, dass der Lebensstandard der Menschen
unter ein Mindestniveau sinkt. Deswegen haben wir das
Konzept der grünen Garantierente, mit dem erreicht werden soll, dass alle, die 30 Versicherungsjahre haben, wenigstens ein Minimum bekommen, das über der durchschnittlichen Grundsicherung liegt.
Das Problem ist von der Tendenz her durchaus richtig
beschrieben; aber wir haben noch 20 Jahre Zeit, um die
Voraussetzungen zu schaffen. Ob die Verlängerung der
Regelalterszeit um bisher zwei Monate tatsächlich zu
Rentenkürzungen geführt hat, müssen wir empirisch untersuchen. Meine Vermutung ist, dass das nicht in nennenswertem Umfang der Fall gewesen sein wird. Wir
werden 2014 einen Bericht zur Rente mit 67 vorlegen.
Die Ergebnisse werden wir uns genau anschauen und unsere Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Nun zu der Garantierente, die wir Grüne vorschlagen.
Ich habe gerade schon gesagt: Im Gegensatz zu vielen
anderen Ländern in Europa gibt es in Deutschland kein
Mindestniveau in der Rente. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich aber darauf verlassen können, dass sie
als langjährig Versicherte im Alter in der Regel nicht auf
Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Ein
großer Teil der Bevölkerung hat allerdings kein Vertrauen mehr in die gesetzliche Rentenversicherung.
Viele fragen sich, ob sie in der Rentenversicherung noch
ausreichend Rentenansprüche erwerben können, um im
Alter über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen.
Deswegen wollen wir eine steuerfinanzierte Garantierente einführen, durch die für Menschen mit 30 Versicherungsjahren ein Mindestniveau von 30 Entgeltpunkten - das sind zurzeit circa 850 Euro - in der Rente
garantiert wird; das liegt über dem durchschnittlichen
Grundsicherungsniveau. Das ist notwendig als Schutz
vor Armut, aber auch um die Akzeptanz der Rentenversicherung zu erhöhen.
Die grüne Garantierente ist so ausgestaltet - darin unterscheidet sie sich von dem Konzept der SPD, insbesondere aber von dem der CDU/CSU -, dass sie auch und
insbesondere für Frauen mit geringem Einkommen und
Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehung
erreichbar ist.
({1})
Für die Solidarrente der SPD wären 40 Versicherungsjahre, für die Lebensleistungsrente der CDU/CSU sogar
40 Beitragsjahre erforderlich. Das ist für einen Großteil
der Menschen in Deutschland, die von Altersarmut bedroht sind, überhaupt nicht erreichbar. Wir brauchen ein
Mindestniveau in der Rente, das tatsächlich vor Armut
schützt, und kein Placebo.
({2})
Von allen anderen Vorschlägen, auch von der Mindestrente der Linken, unterscheidet sich die grüne
Garantierente dadurch, dass es bei ihr keine Bedürftigkeitsprüfung gibt. Um die sogenannte solidarische Mindestrente zu erhalten, müssen - der Kollege Birkwald
hat das eben schon beschrieben - Einkommen und Vermögen komplett offengelegt werden. Die Linke sieht sogar eine Obergrenze für die Wohnfläche selbstgenutzten
Wohnraums vor. Das heißt, da kommt dann jemand von
der Rentenversicherung und prüft, wie groß die Wohnung ist. Mit einer Mindestrente hat das nichts zu tun.
Wir brauchen keine zweite Grundsicherung; denn die
Rentenversicherung ist kein Sozialamt.
Durch die grüne Garantierente und die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer
Bürgerversicherung schaffen wir eine stabile Basis für
die Absicherung im Alter mit einem Mindestniveau über
der durchschnittlichen Grundsicherung und einem gewissen Maß an Sicherung des Lebensstandards. Auf dieser Basis setzen dann die weiteren Säulen der Alterssicherung auf. Private und betriebliche Alterssicherung
sind wichtig für die Sicherung des Lebensstandards im
Alter. Für eine Absicherung gegen Altersarmut ist die
kapitalgedeckte Säule ungeeignet, weil sie zu risikoreich
ist. Bei der Sicherung des Lebensstandards halten wir
eine Risikomischung für richtig, weil das die Chance auf
eine höhere Rendite ermöglicht. Damit die Menschen
diese Chance tatsächlich bekommen, muss die RiesterRente allerdings grundlegend reformiert werden. Manche Riester-Produkte lohnen sich nur wegen der staatlichen Förderung. Viel zu viel Geld bleibt bei Banken,
Versicherungen und Vermittlern hängen. Das heißt, der
Staat fördert schlechte Finanzprodukte. Das halten wir
für falsch.
({3})
Wir wollen, dass die Förderung die Menschen erreicht,
die sie brauchen, und dadurch nicht der Finanzmarkt
subventioniert wird.
Eine Idee, die wir weiter verfolgen wollen, ist die eines Standardprodukts, eines Basisprodukts, das öffentlich organisiert wird. Die Deutsche Rentenversicherung
Baden-Württemberg nennt das Altersvorsorge-Konto.
Menschen, die keine Finanzexpertinnen und -experten
sind, brauchen einen barrierefreien Zugang zu zusätzlicher Altersvorsorge, bei der das Geld nicht in Provisionen und Zusatzkosten versickert. Dieses Basisprodukt
soll nicht obligatorisch werden, es soll kein Zwangsprodukt werden. Wer es nicht in Anspruch nehmen will,
kann gerne anders vorsorgen. Aber ein solches Basisprodukt ist eine Möglichkeit, um insbesondere Geringverdienern eine bessere Absicherung im Alter zu ermöglichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine grundlegende
und umfassende Reform der Alterssicherung ist dringend notwendig. Wir brauchen eine nachhaltig finanzierte Rente mit einem festen Fundament, das vor Armut
schützt, und darauf aufbauend Säulen für die Lebensstandardsicherung. Um die Rente für die Zukunft sicher
zu machen, müssen wir jetzt anfangen.
Schwarz-Gelb hat bei der Rente völlig versagt. Noch
205 Tage bis zum Wechsel;
({4})
dann fangen wir an, die Rente zukunftsfest zu machen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Was werfen Sie uns eigentlich vor?
({0})
Werfen Sie uns vor, dass 41 Millionen Menschen erwerbstätig sind, dass es 29 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gibt, dass
wir eine geringe Altersarmut von 2,5 Prozent haben,
({1})
dass 30 Milliarden Euro in der Rücklage der Rentenversicherung sind, dass wir entgegen allen Prognosen
den Rentenversicherungsbeitrag absenken konnten, ohne
dass die Rücklagen sofort abgeschmolzen werden? Werfen Sie uns das vor?
({2})
Wir sind der Stabilitätsanker der Deutschen Rentenversicherung und nicht die Traumtänzer der Nation wie die
Linksfraktion.
({3})
Verehrter Herr Gysi, wer den Menschen einen bunten
Rentenhimmel malt, Glocken dort oben hinhängt und
glaubt, er könnte alles versprechen, was er hinterher
nicht halten kann, der belügt das Volk wissentlich.
({4})
Ich sage Ihnen: Die Situation der Rente ist gut. Die
Zuhörer und Zuschauer könnten den Eindruck gewinnen, als wäre alles und jedes am Ende. Das ist nicht der
Fall. Ich will aber gerne zugestehen, dass es immer wieder schwierige Phasen gab, zum Beispiel 2001, 2002.
Ich gehörte dem Bundestag damals nicht an. Ich war
schlichter Bürger, der sich das alles politisch interessiert
angeschaut hat, und war in der Selbstverwaltung der
Rentenversicherung tätig. Ich habe natürlich nicht
schlecht gestaunt, als damals viele gesagt haben, die umlagefinanzierte Rente sei nicht mehr sicher und brauche
man nicht mehr; es müsse alles auf die private Vorsorge
und kapitalgedeckte Systeme umgestellt werden.
({5})
Darauf hat Herr Riester reagiert und gesagt: Wir machen
eine schöne Rente, indem die Leute privat vorsorgen. Daraus ist die Riester-Rente geworden,
({6})
also keine Kolb-Rente, sondern eine Riester-Rente.
Diese Riester-Rente haben wir begrüßt, weil im Prinzip Folgendes getan wird: Es wird akzeptiert, dass wir
aufgrund der demografischen Entwicklung, von der die
kapitalgedeckten Systeme genauso betroffen sind wie
die umlagefinanzierten Systeme, auf Dauer Vorsorge betreiben müssen. Jeder Einzelne muss Vorsorge betreiben,
damit das Einkommensniveau im Alter in etwa gehalten
werden kann.
Entschuldigung, Herr Schiewerling, lassen Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert zu?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Keine Zwischenfrage.
Zum Thema Rente gab es heute sehr viele Zwischenfragen. Nach uns kommen auch noch Kolleginnen und
Kollegen, die ein anderes Thema diskutieren.
({0})
Ich bitte jetzt, auch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir kollegial Rücksicht auf sie zu nehmen haben. Ich
befürchte, dass der Erkenntnishorizont durch eine
Zwischenfrage nicht sonderlich steigen würde.
({1})
Ich will auf die Frage zurückkommen, wie wir das auf
Dauer regeln können. Es gibt noch eine dritte Säule,
nämlich die betriebliche Altersvorsorge. Alles zusammengenommen, die umlagefinanzierte Rente, die
betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge,
sichert das Einkommen im Alter. Was erlebe ich? In den
Anträgen der Linken schwingt das Pendel genau zur anderen Seite, und alles und jedes soll ausschließlich über
die umlagefinanzierte Rente finanziert werden. Außerdem sollen noch alle möglichen Personengruppen aufgenommen werden. Jeder träumt nur davon, wie viel
Geld hereinkommt, aber keiner rechnet vor, wie hoch die
Belastungen sind, die sich aufgrund von Mitgliedschaft
und Beiträgen letztendlich automatisch daraus ergeben.
Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Das, was Sie
hier vorschlagen, ist nicht zielführend. Das dient den
Menschen nicht und schafft übrigens allenfalls eine gefühlte Gleichheit, aber keine Gerechtigkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen aus unserer
Sicht sehr deutlich sagen, dass wir natürlich im Blick
haben, dass die Altersarmut vermutlich steigen wird,
({3})
weil wir wissen, dass es gebrochene Erwerbsbiografien
gibt. Wir wissen aber überhaupt nicht, wie viele es sind,
({4})
weil es an keiner Stelle in Deutschland eine Übersicht
oder ein Konto gibt, anhand dessen wir sagen können,
dass Herr Sowieso oder Frau Sowieso soundso viel im
Alter haben wird. Wir kennen das Ergebnis der Rentenversicherung. Aber was machen Sie denn, wenn jemand
behauptet, er bekomme 250 Euro Rente? Das ist sicherlich das blanke Elend, es sei denn, dass er noch andere
Einkommen aus Vermögen, Verpachtung oder Zinserträgen hat. Möglicherweise ist der Betreffende sogar Arzt
gewesen und hat eine ganz andere Versorgung. Wir
dürfen nicht vergessen, dass es eine Vielzahl anderer
Versorgungssysteme gibt. Wie hoch das gesamte Alterseinkommen jedes Einzelnen ist, das können wir überhaupt nicht sagen. Wir haben keinen Überblick, weil es
keine entsprechende Stelle in der Bundesrepublik gibt.
Es wäre gut, sich Gedanken darüber zu machen, wie man
sich einen solchen Überblick verschaffen könnte.
({5})
Das ist aber schwierig, weil hier beispielsweise datenschutzrechtliche Fragen berührt sind.
({6})
Deswegen brauchen wir, Herr Kollege Birkwald, eben
keine allgemeine Rente für jeden,
({7})
egal ob jemand in seinem Leben gearbeitet hat oder
nicht. Anders als Sie in Ihrer Zwischenbemerkung vorhin versucht haben, deutlich zu machen, interessieren
Sie sich überhaupt nicht dafür, ob einer erwerbstätig war
oder nicht erwerbstätig war, ob jemand in seinem Leben
getan hat, was er tun konnte, oder ob jemand draußen
Balalaika gespielt hat.
({8})
Sie sagen: Egal, was jemand gemacht hat, er bekommt
eine bestimmte Rente, und dann ist Schluss. - Das haben
wir übrigens eingeführt. Das ist die Grundsicherung im
Alter. In den Genuss der Grundsicherung im Alter
kommt jeder. Tiefer fällt keiner.
({9})
Das ist die untere Auffanglinie, die wir in der Bundesrepublik haben. Ich sage Ihnen: Das blanke Elend wird
auch dann nicht ausbrechen.
({10})
Meine Damen und Herren, natürlich führen wir eine
heftige Diskussion über die Frage, wie wir denn in
Zukunft vor Altersarmut schützen werden. Wie soll die
Grundlinie aussehen, die wir dort ziehen? Die Grundlinie ist bei uns klar: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat
oder Kinder erzogen oder alte Eltern gepflegt hat, soll
eine Rente oberhalb der Grundsicherung erhalten.
({11})
Alles andere ist nicht zu finanzieren und können wir daher den Menschen auch nicht versprechen.
({12})
Wir wollen Erziehungszeiten für Frauen, die vor 1992
Kinder geboren haben, rentenrechtlich anerkennen. Wir
wollen eine entsprechende Anpassung und eine sukzessive Steigerung.
({13})
Meine Damen und Herren, wir wollen natürlich über
diesen Weg auch Altersarmut vorbeugen
({14})
und den Menschen helfen.
Meine Damen und Herren, Rentenpolitik ist kein
Wünsch-dir-was und hat immer mehrere Grundlagen zu
beachten. Erstens ist das Äquivalenzprinzip zu berücksichtigen, wonach das, was jemand einzahlt, in einem
angemessenen Verhältnis zu dem steht, was er bekommt.
Zweitens hat Rentenpolitik zur Aufgabe, dass innerhalb
des Rentensystems - deswegen heißt es Solidarsystem auch den Menschen geholfen wird, die weniger haben.
Deswegen gibt es im Rentensystem schon heute Mechanismen, die für einen entsprechenden Ausgleich sorgen.
Das Rentensystem muss darüber hinaus vor Invalidität
schützen und den Menschen, die auf Hilfe angewiesen
sind, Rehabilitation ermöglichen, damit sie länger arbeiten können.
Ich hoffe sehr und gehe davon aus, dass wir alles das
in der nächsten Zeit noch regeln werden.
({15})
Aber, meine Damen und Herren, an der Rente mit 67
werden wir nicht rütteln lassen. Ich bin Herrn
Strengmann-Kuhn dankbar dafür, dass er dies aus seiner
Sicht noch einmal nachhaltig und deutlich unterstrichen
hat.
({16})
Das hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Wir
müssen doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass
wir auf der Welt nicht die Einzigen sind und dass es nach
uns noch Kinder gibt - und zwar weniger als bisher -,
die das gesamte System zu tragen haben. Wie gehen wir
eigentlich mit den zukünftigen Generationen um? Diskutieren wir nur im Hier und Jetzt? Ich sage Ihnen: Es mag
ja sein, dass die Linken so denken können, weil ihre Mitglieder überaltert sind. Wir können uns das jedenfalls
nicht erlauben.
Danke schön.
({17})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Ilja Seifert das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Kollege Schiewerling,
Sie haben so getan, als wäre bei der Rente alles wunderbar. Sie haben gesagt, Vorsorge und Gerechtigkeit seien
angesagt. Jetzt sagen Sie mir bitte einmal: Wie soll
jemand, der eine DDR-Rente bekommt, noch vorsorgen,
und wie wollen Sie begründen, dass es unterschiedliche
Rentenwerte in Ost und West gibt? Wie soll jemand, der
Erwerbsminderungsrente bekommt, vorsorgen? Wo
sorgen Sie da für Gerechtigkeit? Wo wird da irgendetwas
für diejenigen getan, von denen wir geredet haben? Das
sind nur zwei Punkte aus unseren Anträgen, die ich
herausgehoben habe.
Sie tun so, als ob wir hier den Himmel buntmalen
würden. Wir wollen nur Gerechtigkeit, und zwar für diejenigen, die sie selber nicht herstellen können. Warum
verweigern Sie sich dem? Sagen Sie mir das bitte.
({0})
Herr Schiewerling, zur Erwiderung bitte.
Herr Kollege Seifert, für diejenigen, die heute schon
in der Rente sind - dazu gehören auch die Erwerbsminderungsrentner -, gilt das, was wir hier diskutieren,
nicht. Für sie gilt auch nicht das, was Sie in Ihren Anträgen fordern. Vielmehr geht es um die Gestaltung der Zukunft. Wir haben ja ein Rentenrecht.
Für die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die trotz des
1992 in Kraft getretenen Rentenüberleitungsgesetzes mit
ihrer Rente nicht auskommen, haben wir die Grundsicherung im Alter eingeführt. Ich halte das für einen
wichtigen sozialen Gesichtspunkt.
({0})
- Das deutsche Parlament hat das eingeführt, Frau
Kollegin Hagedorn. Vielleicht können wir uns darauf
verständigen.
Übrigens wird die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung ab 2014 komplett vom Bund getragen und nicht mehr von den Kommunen. Das wiederum
haben wir eingeführt, und damit haben wir die Kommunen entlastet.
({1})
Wir haben also im Prinzip eine solche Grundsicherung. Bei dem, was wir diskutieren, geht es um die
Frage: Was machen wir für die zukünftigen Rentner? Es
geht darum, hier für gerechte und für vernünftige
Strukturen zu sorgen. Wir sind dabei, dies entsprechend
zu gestalten.
Jetzt hat das Wort die Kollegin Bettina Hagedorn von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir diskutieren über neun Anträge von den Linken unter
dem Überbegriff „Rentenrecht“.
({0})
Es ist durchaus ein bisschen ungewöhnlich, dass dazu
neun Anträge zeitgleich debattiert werden, zumal wir
über einzelne Anträge namentlich abstimmen werden.
Ich werde das Gefühl nicht los: Ein bisschen Show ist
dabei.
({1})
„Rente“ ist wirklich ein megawichtiges Thema für
alle Menschen in unserem Land. Es gehört sich einfach,
dass wir es mit der gebotenen Ernsthaftigkeit diskutieren. Darum möchte ich nur den formalen Hinweis geben,
dass mir Ihr Vorgehen sauer aufgestoßen ist. Im Grunde
ist es so - das ist von Kollegen schon gesagt worden -,
dass Ihre Problemanalyse in weiten Teilen dieses Hauses
sehr wohl geteilt wird. Das hat sogar die Ministerin gesagt; das hat der Kollege der Grünen gesagt; das will ich
Ihnen ebenfalls bestätigen. Aber die Problemanalyse ist
das eine, und die Antworten darauf sind das andere.
({2})
An zwei Punkten werden wir uns nachher enthalten:
bei der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und
bei der Rente nach Mindestentgeltpunkten. Dort muss
zwar richtigerweise etwas getan werden, wir können
Ihren Vorschlägen aber nicht zustimmen und enthalten
uns deshalb, weil wir bessere Vorschläge haben. Sie sind
Bestandteil des Rentenkonzepts der SPD, das wir im
November einstimmig beschlossen haben.
Es geht an dieser Stelle vor allen Dingen um die Politik der Regierung. Der Kollege Schiewerling hat vorhin
gefragt: Was werfen Sie uns eigentlich vor? Zur Beantwortung dieser Frage will ich meinen Beitrag leisten.
Darum zitiere ich aus Ihrem Koalitionsvertrag:
Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hart
gearbeitet hat, der hat auch einen Anspruch auf eine
gute Rente.
Sie sagten: Eine Regierungskommission sollte Lösungen
erarbeiten. - Aber diese Regierungskommission kam nie
zustande. Was taten Sie stattdessen gleich im ersten Jahr,
in dem Sie gemeinsam regierten? Sie strichen unter anderem mit Ihrem sogenannten Sparpaket ersatzlos den
Rentenbeitrag für die Langzeitarbeitslosen in diesem
Land.
({3})
Das war eine Kürzung von 1,85 Milliarden Euro pro
Jahr. In Wahrheit sparten Sie gar nichts. Das war nämlich „linke Tasche, rechte Tasche“. Die Beiträge für die
Langzeitarbeitslosen wurden nicht mehr bezahlt. Dadurch wurde der Haushalt von Herrn Schäuble geschönt.
In Wahrheit fehlte das Geld natürlich in der Rentenkasse.
({4})
Summa summarum bedeutet das, dass Sie von 2011
bis 2016 mit diesem Manöver der Rentenkasse 19,5 Milliarden Euro entnommen haben.
({5})
Wie ging es weiter? - Frau Ministerin, Sie sind ja
großartig darin, etwas anzukündigen. Das Problem ist
aber, dass dann nichts kommt. - Dann brachten Sie einen
Rentendialog auf den Weg, der ein Jahr lang dauerte. Sie
haben mit vielen Experten gesprochen und Hochglanzbroschüren herausgegeben. Dadurch haben Sie den Anschein von Aktivität erweckt.
In Wahrheit ist dieser Rentendialog aber zu keinem
wirklichen Ergebnis gekommen. Das, was Sie nachher
vorschlugen, war Ihre Zuschussrente. Ihre Zuschussrente
ist nicht nur von Ihren eigenen Leuten zerrissen worden,
sondern von allen, übrigens auch von denjenigen, die an
diesem Rentendialog beteiligt waren. Die Zuschussrente
kam natürlich nicht. Im Übrigen war sie eine Fehlgeburt,
weil Sie eine sozialpolitische Leistung über Beiträge
finanzieren wollten. Das war schon einmal falsch.
Was kam als Nächstes? Als Nächstes kam die Lebensleistungsrente. Damit werden wir seit dem Herbst
beschäftigt. Das Problem dabei ist zum einen, dass die
Lebensleistungsrente ein falscher Vorschlag ist, weil
damit so getan wird, als würde sie eine Lebensleistung
belohnen. In Wahrheit tut sie das aber gar nicht, weil sie
eine lächerliche Erhöhung von 10 bis 15 Euro im Monat
dafür darstellt,
({6})
dass die Menschen 40 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt und zusätzlich privat vorgesorgt haben.
({7})
Das Problem ist aber zum anderen: Wo ist eigentlich
die Vorlage dazu? Das sind alles persönliche Vorschläge
der Ministerin - die zurzeit leider nicht zuhört. In dieser
Koalition besteht aber keine Einigkeit in diesem Punkt.
Darum kennen wir diesen Vorschlag bisher nur aus Ihrem Mund. Er liegt nicht auf dem Tisch der zuständigen
Ausschüsse. Unsere Trauer hält sich natürlich in Grenzen, weil wir diesem Vorschlag sowieso nicht zustimmen würden.
Frau Ministerin, Fakt ist, dass Sie den ganzen letzten
Sommer hindurch von Talkshow zu Talkshow getingelt
sind und überall über das Thema Altersarmut gesprochen haben. Sie sind sogar in diesem Parlament - und
auch von mir persönlich - dafür gelobt worden, dass Sie
ein wirklich wichtiges Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Das war gut. Frau Ministerin, es ist doch
aber nicht Ihre Aufgabe als Arbeits- und Sozialministerin, Probleme zu benennen
({8})
oder Analysen anzustellen, sondern Ihre Aufgabe ist es
doch, Vorschläge zur Lösung der Probleme auf den
Tisch zu legen. Darauf warten wir bis heute.
({9})
Darüber hinaus haben Sie bei den Haushaltsberatungen 2013 ein weiteres Mal in unnachahmlicher Weise in
die Rentenkasse gegriffen. Zum einen haben Sie den
Vorwegabzug um 1 Milliarde Euro im Jahr 2013 und um
1,25 Milliarden Euro in den Folgejahren gekürzt. Damit
hat Herr Schäuble seinen Entwurf schöngerechnet. Das
sind 4,75 Milliarden Euro - so steht es in Ihren Unterlagen -, die Sie angeblich konsolidiert haben - zulasten
der Rentenkasse. Zum anderen haben Sie durch die Absenkung des Beitrags von 19,6 Prozent auf 18,9 Prozent
beim Bundeshaushalt gekürzt.
({10})
- Es wäre schön, wenn ich ausreden dürfte.
Sie haben es aber versäumt - das ist in diesem Land
breit diskutiert worden -, die Chance zu nutzen, eine
wirklich demografiefeste Reserve aufzubauen. Dazu lagen Ihnen Vorschläge aus diesem Haus und auch aus
dem Bereich der Sozialpartner vor. Ich sage Ihnen ganz
deutlich: Das wäre natürlich der bessere Weg gewesen.
Wir reden über Generationengerechtigkeit. Wir reden
darüber, was zusätzlich geschehen muss. Ich weise gemeinsam mit den Kollegen von den Grünen ausdrücklich
auf unser Konzept hin. Wenn wir zu Verbesserungen
kommen wollen - und das wollen wir -, dann kostet das
natürlich Geld.
({11})
Wir wollen in Zukunft keine unverantwortlichen
Sprünge, sondern eine nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rente. Wir wollen eine Stärkung der Betriebsrenten, die ein wichtiger ergänzender Beitrag sind. Auch
Riester ist ein wichtiger Teil; auch da machen wir kein
komplettes Rollback.
Richtig ist aber auch, dass man nicht alles, was man
mal gemacht hat, immer weiterführen muss. Wenn man
hinterher erkennt, dass es Fehler gegeben hat, dann muss
man auch den Mut haben, diese im Detail zu korrigieren.
Dazu stehen wir.
Alles drei zusammengebunden ergibt eine gute
Zukunftssicherung. Dafür steht die SPD. Wir werden ab
Herbst versuchen, das gemeinsam mit Koalitionspartnern umzusetzen.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Pascal
Kober.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will niemandem zu nahe treten, aber ich bin heute der
jüngste Redner in dieser Debatte.
({0})
Ich freue mich über alle älteren Kollegen, die in dieser
Debatte das Thema Generationengerechtigkeit explizit
angesprochen haben; denn darum geht es letztlich.
Rentenpolitik bedeutet immer, mit Maß, langfristigem
Denken und vorausschauendem Handeln an die Dinge
heranzugehen. Die kleinen Veränderungen im Rentenversicherungssystem, in der Alterssicherung, die wir
heute beschließen, treffen in vollem Umfang sowohl im
Positiven als auch im Negativen die künftigen Generationen, Generationen, die heute noch gar nicht auf der
Welt sind. Wir müssen heute so vorausschauend handeln, dass wir diese Generationen im Blick haben.
({1})
In einer rentenpolitischen Debatte ist es angebracht,
dass man auf die Wurzeln des Systems zu sprechen
kommt.
({2})
Das haben einige Redner der Koalition schon überzeugend getan;
({3})
denn die Wurzeln des Rentenversicherungssystems sind
vor allen Dingen eine gute wirtschaftliche Entwicklung
und zahlreiche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
({4})
In der Frage der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist diese Regierungskoalition erfolgreicher,
als es viele Regierungskoalitionen vor ihr gewesen sind.
({5})
Wir haben im Moment so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, wie es nach der Wiedervereinigung lange nicht der Fall war.
({6})
Wir haben insgesamt so viele Beschäftigte in Deutschland wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.
({7})
Das ist ein ganz wichtiger Beitrag, um die Wurzeln des
Rentenversicherungssystems zu stabilisieren.
Genau deshalb, aus Überzeugung, haben wir, so wie
es im Gesetz vorgeschrieben ist, unter anderem die
Rentenversicherungsbeiträge zum 1. Januar 2013 von
19,6 auf 18,9 Prozent abgesenkt. Warum? Weil das gemeinsam für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer eine
Entlastung von 6 Milliarden Euro bedeutet.
({8})
Es wird damit eine wirtschaftliche Dynamik entfacht,
um weitere Arbeitsplätze zu schaffen und am Ende die
wirtschaftliche Stabilität in unserem Land voranzubringen, zu erhalten und weiter auszubauen. Das ist, wie
gesagt, die wichtigste Wurzel unseres Alterssicherungssystems.
Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gysi?
Sehr gerne.
Lieber Herr Kober, Sie sprechen von der jüngeren
Generation. Die Festlegungen, die wir heute treffen,
gelten doch auch für diese jüngere Generation, wenn sie
im Rentenalter ist. Was wir also heute mit Blick auf
diese Generation versäumen, wird ihr später fehlen. Das ist das eine.
Das Zweite. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass der überwiegende Teil der prekären Beschäftigung
bei den jungen Leuten stattfindet? Ich nenne Ihnen nur
eine Zahl: Von allen Menschen bis 35 Jahre haben
55 Prozent nur noch ein befristetes Arbeitsverhältnis und
kein unbefristetes. Dann haben sie mal wieder kein
Arbeitsverhältnis. Das heißt, die ganze Erwerbsbiografie
ist durchbrochen.
({0})
Wenn wir gerade bei der jungen Generation nichts
ändern, dann wird sie später in Altersarmut enden. Das
ist das Problem, das wir anschneiden wollten und worüber wir ganz sachlich miteinander diskutieren müssen,
weil wir eine Lösung brauchen, gerade für die junge
Generation.
({1})
Lieber Herr Kollege Gysi, ich widerspreche Ihnen bei
den empirischen Befunden, nicht aber bei der Frage, die
Sie grundsätzlich anschneiden; denn das ist der Tenor
meiner Rede. Wir müssen Folgendes leisten: Wir müssen
mehr Menschen in Beschäftigung bringen, mehr
Menschen in gut bezahlte sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung.
({0})
Man muss an den Ursachen ansetzen, aber nicht, indem
man jetzt Ausgabenprogramme beschließt, die die künftigen Generationen nicht mehr bezahlen können,
({1})
und heute zusätzliche Belastungen bzw. Steuererhöhungen beschließt, die am Ende nur Arbeitsplätze gefährden.
Ich glaube, Ihre Zielsetzung ist richtig. Nur, die Vorschläge, die Sie machen, werden genau das Gegenteil
von dem erreichen, was Sie wollen. Deshalb lehnen wir
Ihre Politik ab.
({2})
Im Übrigen lehnen wir auch die Politik von Grün und
Rot ab, und zwar genau in dem Bereich, den ich gerade
bei der Beantwortung der Frage von Herrn Gysi angeschnitten habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe bei
Grün und Rot nicht, dass Sie auf der einen Seite zwar
etwas für die Alterssicherung in der Zukunft machen
wollen - Sie müssen doch erkennen, dass die Voraussetzung hierfür die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist -, Sie aber auf der anderen Seite auf Ihren
Parteitagen und, noch schlimmer, in Ihren Wahlprogrammen Steuererhöhungen beschließen, die den Mittelstand
und das Handwerk mit Milliarden belasten werden.
({3})
Damit legen Sie die Axt an die Wurzel des Rentenversicherungssystems.
({4})
Denn Sie nehmen billigend in Kauf, dass Hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen.
Ein Zweites, was ich nicht verstehen kann, ist - Sie
wissen doch, dass wir schon heute über ein Viertel des
Bundeshaushalts als Zuschuss in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlen -, dass Sie in den Ländern, in
denen Sie regieren, nicht willens sind, die Verschuldung
zurückzufahren. Grün-Rot in Baden-Württemberg - das
ist irre; das muss man sich einmal vorstellen - hat aktuell 3 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr als die
letzte schwarz-gelbe Regierungskoalition, gibt über
5 Milliarden Euro mehr aus, treibt die Verschuldung
hoch und verspielt die Zukunft künftiger Generationen.
({5})
Das ist unverantwortlich und muss auch in einer Rentendebatte benannt werden, weil die Zusammenhänge
offensichtlich sind. Wer heute die Verschuldung in die
Höhe treibt, wird die Alterssicherung der Zukunft nicht
erreichen.
({6})
Diese Bundesregierung hingegen nimmt das Thema
Haushaltskonsolidierung mehr als ernst.
({7})
Man muss sich das einmal vorstellen: In Zeiten wie
diesen ist es dieser Regierungskoalition gelungen, die
Vorgaben der Schuldenbremse statt 2016 schon 2012
einzuhalten. Das ist eine verantwortungsvolle Politik.
({8})
Uns ist es gelungen, die Ausgaben zu begrenzen. Wir
gehen nicht so vor wie die Regierungen der Länder, in
denen Sie regieren, beispielweise Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. Dort steigern Sie die Ausgaben, obwohl Sie dazu überhaupt keinen Anlass haben.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn ({9})
Wir brauchen eine verantwortungsvolle Haushaltskonsolidierungspolitik - auch mit Blick auf die Sicherung der
Alterssicherungssysteme.
({10})
Als wir über die Zukunft der Alterssicherungssysteme
und über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gesprochen haben, haben schon viele zu Recht
gesagt - auch Sie, Herr Gysi -, dass man etwas gegen
die unterbrochenen Erwerbsbiografien tun müsse. Da hat
diese Regierungskoalition schon Entscheidendes auf den
Weg gebracht.
({11})
Ich nenne nur das Beispiel des Ausbaus der Kinderbetreuung als eine wesentliche Maßnahme, um der
Unterbrechung von Erwerbsbiografien etwas entgegenzusetzen.
({12})
Die 4 Milliarden Euro, die von der vergangenen Regierung beschlossen worden waren, hat diese Regierungskoalition noch einmal um knapp 600 Millionen Euro für
zusätzlich 30 000 Kinderbetreuungsplätze erhöht; das
haben wir gemacht. Wir werden darüber hinaus ab 2014
noch einmal 845 Millionen Euro jährlich für den Ausbau, den Erhalt und die Verbesserung der Kinderbetreuung ausgeben.
({13})
Das ist eingeplant. Das ist ein ganz wesentlicher Baustein, um der Unterbrechung von Erwerbsbiografien entgegenzuwirken.
({14})
Nächstes Thema. In unserer Gesellschaft darf in Zukunft kein Kind mehr im Schulsystem und kein Jugendlicher im Arbeitsmarkt verloren gehen. Was machen
wir? Wir haben ein Programm in Höhe von 400 Millionen Euro auf den Weg gebracht, mit dem 4 000 Kindertagesstätten speziell gefördert werden, um gerade
Kindern, die es schwer haben, Kindern mit Migrationshintergrund, mit Sprachproblemen, den Einstieg in unser
Bildungssystem zu erleichtern. Das ist eine ganz wesentliche Aufgabe, der wir uns gestellt und bei der wir eine
überzeugende Lösung auf den Weg gebracht haben.
({15})
Wir haben - lieber Herr Gysi, auch das gehört zu
Wahrheit - gegenwärtig über 33 000 unbesetzte Ausbildungsplätze. Das darf nicht so bleiben, wenn man bedenkt, dass gleichzeitig Kinder die Schule nicht schaffen
oder Jugendliche die Ausbildung nach kurzer Zeit abbrechen müssen. Hier müssen wir früh ansetzen.
({16})
Das alles ist ein Thema der Rentenpolitik der Zukunft.
Wir müssen heute die Ausbildungs- und Bildungsfähigkeit der Kinder stärken. Das tun wir sehr überzeugend
({17})
in dem Sinne, die Wurzeln der Alterssicherung zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dies alles ab dem 22. September mit der gleichen Entschiedenheit und in der gleichen Regierungskonstellation fortsetzen. Sie werden weiter auf Ihren Plätzen sitzen und uns
dabei zusehen.
Vielen Dank.
({18})
Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Weiß von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die deutschen Rentnerinnen und Rentner interessiert
und bewegt vor allen Dingen eines: Sie wollen Sicherheit haben, dass die Rente monatlich ausgezahlt wird,
und sie wollen, was Rentenerhöhungen anbelangt, am
wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland teilhaben
können.
({0})
Die entscheidende, wichtigste Nachricht, die es heute
gibt, ist deswegen, dass wir in der Rentenversicherung
die höchste Rücklage seit 20 Jahren haben, nämlich in
Höhe von 29,4 Milliarden Euro. Das zeigt: Was die
Sicherung der Rentenfinanzen anbelangt - sie ist das
Entscheidende -, ist diese Bundesregierung die erfolgreichste seit Jahrzehnten. Darauf können wir stolz sein.
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Rentnerinnen
und Rentner in Deutschland sind nicht vergesslich. Sie
können sich zum Beispiel an das Jahr 2005 erinnern.
({2})
Im Jahr 2005 hatten wir keine Rücklage in der Rentenversicherung.
({3})
Erstmals in der Geschichte der Deutschen Rentenversicherung musste der Bundesfinanzminister
({4})
ein Sonderdarlehen aus der Staatskasse an die Rentenversicherung zahlen, damit im Herbst 2005 überhaupt
Renten ausgezahlt werden konnten. Welch großer Unterschied zu heute!
({5})
Die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland können sich sogar noch an das Jahr 1998 erinnern. 1998 haben wir in Deutschland einen Rentenwahlkampf erlebt.
Rot-Grün trat damals an und sagte: Wir wollen die
Bundesregierung von CDU/CSU und FDP ablösen und
Peter Weiß ({6})
die letzte von Norbert Blüm in Gang gesetzte Rentenreform rückgängig machen. - Mit diesem Versprechen hat
Rot-Grün, wie wir wissen, sogar die Bundestagswahl
gewonnen. In der Tat hat Rot-Grün dann als Erstes
beschlossen, die damalige Rentenreform rückgängig zu
machen.
({7})
Aber nur ein Jahr später ist der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor den Deutschen Bundestag und
vor die deutsche Öffentlichkeit getreten und hat erklärt:
Das, was wir getan haben - die Rücknahme der Rentenreform von 1998 -, war ein großer Fehler.
({8})
Sprich: Der Rentenwahlkampf von 1998 war Lug und
Trug. Er war ein großer Fehler, weil die deutsche Bevölkerung, die deutschen Rentnerinnen und Rentner hinters
Licht geführt wurden. Wir wollen verhindern, dass das
ein zweites Mal passiert.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuhörerinnen
und Zuhörer, liebe Zuschauer, weshalb erinnere ich
daran? Es ist wunderschön, in einer Rentendebatte wie
heute zu hören,
({10})
welche Verbesserungen man sich für die heutigen und
die künftigen Rentnerinnen und Rentner vorstellen kann.
Das erinnert mich sehr stark an den Herbst 1998; da ist
das Gleiche gemacht worden. Das Ergebnis war nicht
nur, dass Gerhard Schröder ein Jahr später all das als
Fehler bezeichnet hat, sondern auch, dass die rot-grüne
Koalition unter dem Zwang der Zahlen tiefer in das deutsche Rentenrecht eingegriffen hat, als es CDU/CSU und
FDP je gewagt hätten.
({11})
Deshalb sollte für die deutschen Wählerinnen und
Wähler im Herbst 2013 gelten:
({12})
Liebe Bürgerinnen und Bürger, machen Sie den großen
Fehler von 1998 nicht noch einmal!
({13})
Das Ergebnis der großartigen Versprechungen ist, dass
es nachher schlimmer kommt, als man es sich je gedacht
hat.
({14})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung wird ausweislich des
Rentenversicherungsberichts der Bundesregierung auch
dazu führen, dass die Rentnerinnen und Rentner nicht
mehr wie damals unter Rot-Grün damit rechnen müssen,
({15})
dass ihnen eine Rentenerhöhung per Gesetz vorenthalten
wird, also per Gesetz eine Nullrunde verordnet wird.
Vielmehr können die Rentnerinnen und Rentner bis 2016
nach den derzeitigen Schätzungen mit einem Plus von
8,5 Prozent im Westen und 11,5 Prozent im Osten rechnen.
Es stimmt, was der Kollege Kolb gesagt hat: Je mehr
wir dafür sorgen und die Rahmenbedingungen dafür
schaffen, dass die Beschäftigung in Deutschland weiter
ansteigt, also mehr Menschen im Berufsleben stehen und
Rentenversicherungsbeiträge zahlen, umso eher sinkt
das Rentenniveau nicht. Das Sinken des Rentenniveaus
ist keine gesetzlich verordnete Maßnahme, sondern
hängt entscheidend davon ab, wie sich die Beschäftigung in Deutschland entwickelt. Gute Beschäftigungspolitik ist das beste Rezept für eine gute Rentenpolitik.
({16})
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höll?
Bitte schön.
({0})
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege,
Sie haben hier mit voller Stimme verkündet: Rot-Grün
ist weiter gegangen, als Sie jemals gegangen sind.
Ja.
Jetzt frage ich Sie: Warum haben Sie dann nicht eine
der Maßnahmen, die Rot-Grün verabschiedet hat, zurückgeholt - nicht eine einzige -, sondern im Gegenteil
genau diesen Weg noch verschärft, indem Sie zum Beispiel die Rentenbeiträge für die Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger einfach gestrichen haben?
Diese Erklärung müssen Sie der Öffentlichkeit geben.
Ich hoffe, dass Rot-Grün aus Fehlern gelernt hat und wir
vielleicht in der Zukunft gemeinsam etwas Ordentliches
hinbekommen.
({0})
Aber Sie beschweren sich hier, und dann machen Sie
nichts. Es ist nichts gekommen, Sie haben nichts zurückgeholt, Sie sind diesen Weg mitgegangen und haben ihn
verschärft. Warum?
({1})
Frau Kollegin Höll, wir haben nichts verschärft. Wir
haben zum Beispiel ganz entscheidende Maßnahmen ergriffen, indem wir in der Großen Koalition zusammen
mit der SPD bei der Riester-Rente den Förderbetrag für
Kinder auf 300 Euro jährlich heraufgesetzt haben. Das
ist eine ganz entscheidende Hilfe, gerade für Familien,
die Kinder haben.
({0})
Wir haben im Hinblick auf die Rentenversicherung
den Langzeitarbeitslosen einen Betrag gestrichen, der
aus der Steuerkasse in die Rentenkasse geflossen ist und
der zu einem so minimalen Rentenanspruch geführt
hätte, dass man ohnehin Grundsicherung hätte beantragen müssen; das hätte den Leuten also gar nicht geholfen. Aber neu ist, dass wir die Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit als Anrechnungszeiten in der
Rentenversicherung anerkannt haben. Das ist entscheidend.
({1})
Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand, der Erwerbsminderungsrente aus der Langzeitarbeitslosigkeit
heraus beantragen muss, im Zweifel heute eine höhere
Erwerbsminderungsrente bekommt als nach dem alten
Recht. Insofern sind das doch ganz entscheidende Reformen, die wir durchgeführt haben, die aber vielleicht bei
der Linkspartei und deren Rentenexperten nicht wahrgenommen worden sind.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was auch
stimmt, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land - junge wie alte - ein feines Gespür dafür haben,
dass dieses Rentensystem nur funktionieren kann, wenn
auch die Solidarität zwischen den Generationen funktioniert. Deshalb will ich daran erinnern, was der Ausgangspunkt für all die Rentenreformen der letzten
Jahrzehnte in Deutschland war. Ausgangspunkt war,
dass im Jahr 1987 - lang ist es her - die Prognos AG,
von der Bundesregierung beauftragt, eine Studie durchgeführt hat, in der sie festgestellt hat, dass angesichts der
Tatsache, dass die Zahl der Jungen abnimmt und die
Zahl der Älteren steigt, bei Nichtvornahme von Reformen der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2030
auf mindestens 36,6 Prozent, maximal sogar auf
41,7 Prozent steigen würde. Allen jungen Leuten ist
klar: 40 Prozent Rentenversicherungsbeitrag, dazu noch
Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungsbeitrag und Steuern zahlen - da macht das Arbeiten
keinen Spaß mehr.
Deswegen war und ist es notwendig - übrigens wird
keine politische Mehrheit im Deutschen Bundestag dem
ausweichen können -: Unser Rentenversicherungssystem funktioniert nur, wenn es getragen wird von der
Solidarität der Alten und der Jungen.
({3})
Unser Weg ist, ein ausgeglichenes Verhältnis von Belastungen und Entlastungen für Jung und Alt herzustellen.
Das sorgt für eine sichere Rente. Etwas anderes macht
die Rente kaputt.
({4})
Auch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten
haben wir, die Union,
({5})
zusammen mit der FDP 1986 erstmals in der Geschichte
in das Rentenrecht eingeführt und 1992 noch einmal verbessert.
({6})
Unsere Absicht ist, diese Verbesserung weiterzuführen;
denn ein Rentensystem funktioniert in der Tat nur dann,
wenn Männer und Frauen bereit sind, Kinder großzuziehen, die dann künftig bereit sind, unsere Renten mitzufinanzieren.
({7})
Dies ist eine entscheidende Reform, die nicht Rot
oder Grün und erst recht nicht die Linken erfunden haben, sondern die wir, die Union, zusammen mit der FDP
erfunden haben: Wir wollen, dass Kindererziehung in
der Rente stärker berücksichtigt wird.
({8})
Wir wollen gerade den Frauen die Zusage machen:
({9})
Eure Erziehungsleistung findet sich konkret auch in der
Rentenzahlung wieder.
({10})
Herr Kollege Weiß, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
unser Konzept ist klar: Wir wollen die Rente für Menschen, die lange gearbeitet haben, aber leider zu wenig
verdient haben, aufstocken.
({0})
Peter Weiß ({1})
Wir wollen, dass Erwerbsgeminderte, die wegen Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aussteigen, eine
bessere Rente erhalten. Wir wollen, dass Mütter und
Väter, die Kinder erzogen haben, eine bessere Rente erhalten.
({2})
Das ist unser klares Rentenkonzept für die Zukunft.
Vielen Dank.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der fortgeschrittenen Zeit möchte ich Sie bitten, so weit wie
möglich auf Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu
verzichten.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid ArndtBrauer von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute steht
ein ernsthaftes Thema auf der Tagesordnung. Es geht um
die Rente. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir hier
eine reine Wahlkampfschlacht erleben.
({0})
Das finde ich sehr schade.
Wir haben in Deutschland derzeit 20,5 Millionen
Rentenbezieher. In 20 Jahren werden es wahrscheinlich
30 Millionen sein. Da liegt es natürlich nahe, mit so
einer Gruppe Menschen Wahlkampf zu machen. Trotzdem finde ich, dass bei diesem Thema Ernsthaftigkeit
angesagt ist.
Es geht dabei um Geld. Für die SPD sprechen ausschließlich Finanz- und Haushaltspolitiker,
({1})
um zu zeigen: Wir wollen die Rente, die wir den Menschen für die Zukunft versprechen, auch finanzieren
können.
({2})
In einigen vorliegenden Anträgen ist das Gegenteil der
Fall. Gerade in den Anträgen der Linken bleibt die Frage
der Finanzierung eher vage, sie wird hintangestellt.
Es ist nicht zu verantworten, auf Dauer irgendein
Rentenniveau zu versprechen, wenn man genau weiß,
dass die Ausgaben in keinem zukünftigen Haushalt
gedeckt sind. Ein Rentenniveau von 53 Prozent - wir
wissen nicht, wer das bezahlen soll.
({3})
Sollen das die Beitragszahler, also unsere Kinder, bezahlen? Oder wollen wir neue Schulden machen? Aber auch
dann zahlen unsere Kinder. Nur das Stichwort „Produktivitätsfortschritt“ hereinzurufen, das reicht nicht ganz
aus.
({4})
Man kann die demografische Entwicklung nicht ignorieren; ich würde das auch gerne tun, aber das geht leider
nicht. Das heißt, es muss irgendein Zusatzfaktor in das
Rentensystem eingeführt werden. Wir als SPD haben das
gemacht. Wir als SPD stehen auch zukünftig für die
Dreipoligkeit im Bereich Rente.
Wir haben 29 Millionen Menschen, die in die gesetzliche Rente einzahlen. Das sind so viele wie nie zuvor
- da stimme ich allen Vorrednern zu -, aber wir wissen
nicht, wie lange es bei dieser Zahl bleibt. Wir wissen
nicht, wie sich die Konjunktur entwickelt. Wir wissen
aber, dass wir in Zukunft weniger Kinder haben werden.
Wir werden also aufgrund des demografischen Wandels
weniger Einzahler haben, sofern wir die Lücke nicht
durch Zuwanderung ausgleichen.
Wir haben neben der gesetzlichen Rente die betriebliche Altersvorsorge, leider nicht für jeden. Nicht alle Arbeitsplätze beinhalten eine betriebliche Altersvorsorge.
Gerade Frauen sind in dieser Gruppe schwach vertreten.
({5})
Derzeit haben 17 Millionen Arbeitnehmer eine
betriebliche Altersvorsorge. Dauerhaft reicht das mit
Sicherheit nicht aus. Hier muss mehr getan werden. Für
diesen Bereich hat die Regierung in den letzten Jahren
überhaupt nichts getan.
Weil wir von der SPD wissen, dass die beiden
genannten Säulen schwach sind, haben wir die private
Altersvorsorge eingeführt: Riester und Rürup sind hier
als Stichwörter zu nennen.
Es gibt viele Anträge zum Thema Riester-Förderung;
lassen Sie mich daher den Schwerpunkt meiner Ausführungen darauf legen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur kurz darauf hinweisen, dass auch das Problem
der Selbstständigen während der Regierungszeit der jetzigen Regierungskoalition nicht angegangen worden ist.
Wir haben es gehört: Es gibt knapp 16 Millionen
Riester-Verträge. Bei der Anrechnung auf die Grundsicherung gibt es Probleme. Das ist von allen erkannt
worden, gelöst wurde es aber nicht. Da nützt es nichts,
wenn man sich als CDU-Politiker hier hinstellt und sagt:
Das wollen wir alles klären. - Ich frage mich, wann. Sie
haben noch fünf Monate Zeit. Danach ist die FDP
vielleicht gar nicht mehr dabei, was sich hier viele wünschen würden. Wir wissen nicht, ob Sie in der Ihnen
verbleibenden Zeit noch etwas auf den Weg bringen
können. Die letzten dreieinhalb Jahre jedenfalls haben
Sie so gut wie nichts getan.
({6})
Da ich Ernsthaftigkeit eingefordert habe, will ich konkret auf die vorliegenden Anträge eingehen. Zum Antrag
der Linken „Riester-Förderung in die gesetzliche Rente
überführen“. Das ist illusorisch. Es ist nicht möglich, in
die Vertragsfreiheit einzugreifen.
({7})
Eine 3-prozentige Erhöhung des Sicherungsniveaus kostet 30 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
({8})
Zum nächsten Antrag mit dem Titel „Wiederherstellung eines Lebensstandard sichernden und strukturell armutsfesten Rentenniveaus“. Natürlich ist es auch unser
Ziel, das Rentenniveau zu halten. Ihre Vorschläge sind
zwar nicht besonders zielführend. Da aber auch wir an
diesem Ziel festhalten, werden wir uns enthalten.
Den dritten Antrag - „Rente erst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen“ - lehnen wir ab. Wir halten aus
demografischen Gründen grundsätzlich an der Rente mit
67 fest; das habe ich schon ausgeführt. Alles andere können Sie unserem Wahlprogramm entnehmen.
({9})
Bei dem vierten Antrag - „Risiko der Erwerbsminderung besser absichern“ - enthalten wir uns. Unsere Vorschläge zu diesem Thema sind wesentlich besser. Sie
sind in systematischer Hinsicht richtiger und zielgruppenorientierter; aber wir sind nicht grundsätzlich gegen
die Idee.
Den fünften Antrag - „Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose wieder einführen“ - werden wir ablehnen. Wir
halten ein neues Konzept in diesem Bereich für möglich.
Ansonsten würde es nur eine Miniaufstockung geben.
({10})
Bei dem sechsten Antrag - „Kindererziehung in der
Rente besser berücksichtigen“ - werden wir uns enthalten. Wir wollen das auch, aber nicht nach Ihrem System.
Dem siebten Antrag - „Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen“ - werden wir zustimmen. Das sehen
wir wie Sie.
Bei dem achten Antrag - „Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen“ - werden wir uns
enthalten.
Den neunten Antrag - „Altersarmut wirksam bekämpfen - Solidarische Mindestrente einführen“ - lehnen wir ab. Wir lehnen eine Mindestrente innerhalb der
gesetzlichen Rentenversicherung ab, weil Fürsorge- und
Versicherungsprinzip nicht miteinander vermischt werden können.
({11})
Alles in allem sagen wir: Sie haben ein paar Schritte
in die richtige Richtung unternommen, aber der Weg ist
zu korrigieren. Wir werden ihn korrigieren, wenn wir
wieder regieren. Fünf Monate noch - dann werden wir
viel tun müssen. Die Rente ist ein wichtiger Bereich, den
wir anpacken werden. Das verspreche ich hier.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben es heute mit vielen Anträgen der Fraktion Die
Linke zur Rentenpolitik zu tun, die letztendlich alle illusorisch sind. Sie stehen auf keinem guten, vor allen Dingen nicht auf einem finanzierbaren Fundament.
({0})
So ist es immer: Die Linke überzieht uns mit Anträgen,
die einer realistischen Prüfung nicht standhalten. Sie
versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Das ist
ihr gutes Recht; aber das werden die Bürgerinnen und
Bürger in keiner Weise goutieren.
Es ist schon bemerkenswert, dass der Kollege Gysi
hier ausgeführt hat, dass wir keine Beitragsbemessungsgrenze mehr brauchen - jeder zahlt ein -, er darüber hinaus aber in keiner Weise gesagt hat, ob auch jeder eine
Leistung daraus erhalten soll. Das hat er übersehen.
({1})
Das zeigt sehr deutlich: Sie haben kein richtiges rentenpolitisches Konzept.
({2})
Der Kollege Gysi hängt noch sehr in seiner DDR-Vergangenheit.
({3})
Dort haben auch alle in ein System eingezahlt. Manche
haben sich daraus stärker bedient, insbesondere Rechtsanwälte und andere Gruppierungen in diesem System.
Daran hängt der Kollege Gysi. Das will er uns als moderne Rentenpolitik verkaufen.
({4})
Es geht darum, einen guten und richtigen Weg für die
Bürgerinnen und Bürger zu finden. Ich bin dankbar für
die Ausführungen des Kollegen Schiewerling und des
Kollegen Weiß. Erst seit es eine Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze gibt, können sich die
Rentnerinnen und Rentner wieder auf das gesetzliche
Rentenversicherungssystem in Deutschland verlassen.
({5})
Unter Rot-Grün wurden alle Rücklagen der Rentenversicherung aufgebraucht. Es musste sogar ein für das Jahr
2006 vorgesehener Zuschuss vorgezogen werden, damit
im Dezember 2005 die Renten überhaupt zeitgerecht
ausgezahlt werden konnten. Das war die Bilanz von rotgrüner Rentenpolitik.
({6})
Es gilt zu verhindern, dass sich dies wiederholt. Dazu
haben wir in der Großen Koalition wegweisende Beschlüsse gefasst, die auch der demografischen Entwicklung Rechnung tragen. Hier möchte ich insbesondere
Franz Müntefering unbedingt Respekt zollen, der dies
mit umgesetzt hat.
({7})
Letztendlich gibt es nur ein Einmaleins, das für alle
Fraktionen Gültigkeit hat. Wir wissen, dass wir in
Deutschland immer älter werden. Gott sei Dank! Das ist
erfreulich. Das ist ein großer Fortschritt. Aber darauf
muss auch unser Rentenversicherungssystem eingestellt
werden. Da haben wir nur vier Möglichkeiten:
Wir können die Renten kürzen. - Das schließe ich für
diese Koalition aus.
Wir können exorbitante Beitragssteigerungen in Kauf
nehmen. - Das schließe ich für diese Koalition aus.
Dann haben wir noch die Möglichkeit der Arbeitszeitverlängerung. - Das ist ein probates Mittel.
Die letzte Möglichkeit ist die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
In diesem Kontext liegen letztendlich unsere Entscheidungsmöglichkeiten. Da haben wir uns richtig entschieden, bis zum Jahr 2029 die Lebensarbeitszeit bis
zum 67. Lebensjahr zu verlängern. Das ist letztendlich
ein Kompromiss zwischen den Interessen der Generation
der Älteren, die nun natürlich auf die Rente bauen können, und denen der jungen Generation, die nicht mit ungerechtfertigten, überdimensionierten Beitragsbelastungen konfrontiert wird.
({8})
Das ist ein Beitrag zur Stabilitätssicherung unseres Systems.
Eine Ergänzung ist die Kapitaldeckung. Verehrte Kollegen von der Linken, Sie haben das System völlig verkannt. Wir wollen mit der zusätzlichen Förderung der
Kapitaldeckung Geringverdiener besser fördern. Die
Riester-Förderung macht bei ihnen zum Teil 80 Prozent
des gesamten Beitragsaufkommens für einen Altersvorsorgevertrag aus.
({9})
Zusätzlich wirkt dieses System stabilisierend in die Zukunft hinein. Denn die Mittel für die Riester-Renten
müssen nicht über das Umlagesystem von - zukünftig
weniger - Beitragszahlern requiriert werden. Das ist der
Sinn der Kapitaldeckung, die wir umgesetzt haben. Dies
ist zielführend und wird auch von dieser Koalition vertreten.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bin schon überrascht über die Konzepte, die heute vorgestellt worden
sind: Der Kollege Strengmann-Kuhn hat sich hervorragend bemüht; das möchte ich anerkennen. Aber er hat
die Finanzierungsfrage offen gelassen. Er hat die Höhe
offen gelassen. Er hat offen gelassen, unter welchen Voraussetzungen und Kautelen eine Rente von 850 oder
900 Euro zustande zu bringen ist. Er hat letztendlich alles offen gelassen. Es ist bei einem Wunschkonzert geblieben, wie bei den Linken üblich.
({10})
Auch das von der SPD vorgelegte Konzept - der neue
Chefdiplomat und Kanzlerkandidat der SPD steht voll
und ganz dahinter - ist keine Alternative. Vorgesehen ist
die Rückabwicklung der Rente mit 67. Denn sonst hätte
die SPD keine Einigkeit mit den Gewerkschaften zustande gebracht.
({11})
Das bedeutet eine Beitragssatzerhöhung auf 22 Prozent.
Das ist das SPD-Konzept.
({12})
Zusätzlich werben Sie dafür, sich schon ab dem
60. Lebensjahr frei entscheiden zu können, in Rente zu
gehen. Ich frage mich, ob das gerecht sein kann und zur
solidarischen Rentenversicherung passt. Denn so werden
unserem Rentenversicherungssystem Beiträge älterer
Arbeitnehmer entzogen. So früh in Rente zu gehen, können sich nur Begüterte leisten,
({13})
nicht aber die Geringverdiener; die müssen weiterhin in
die Rentenversicherung einzahlen. Ob das gerecht ist,
muss die SPD selbst beantworten. Ich glaube, da hat sie
sich vertan.
In diesem Sinne gibt es keine Alternative zu den Konzepten von CDU/CSU und FDP.
({14})
Bei uns können sich die Bürgerinnen und Bürger darauf
verlassen, dass unsere gesetzliche Rente, die betriebliche
Altersversorgung und die private Zusatzversorgung weiterhin auf einem guten Fundament ruhen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat nun das Wort die Kollegin Bettina Kudla.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner der Debatte
({0})
einige wichtige Punkte zusammenfassen. Die Vorschläge
der Fraktion Die Linke zum Rentensystem sind abzulehnen, weil sie kontraproduktiv sind. Sie machen die Rente
nicht sicherer, sondern unsicherer. Sie machen den Menschen etwas vor, und die Vorschläge sind finanziell nicht
unterlegt.
({1})
Besonders verwerflich und kritikwürdig finde ich,
dass Sie an die bewährte Struktur des Rentensystems herangehen wollen. Wo bitte schön gibt es ein Haus mit
nur einer tragenden Wand?
({2})
Sie stellen das bewährte Dreisäulensystem aus gesetzlicher Rentenversicherung, betrieblicher Altersvorsorge
und privater Vorsorge infrage. Das aber macht das Rentensystem sicher.
({3})
Sie sägen weiterhin an der gesetzlichen Rentenversicherung, indem Sie strukturelle Änderungen vorschlagen,
die völlig unsinnig sind. Die gesetzliche Rentenversicherung basiert auf der Umlagefinanzierung. Umlagefinanzierung heißt: Nur derjenige zahlt Beiträge, der arbeitet.
Das heißt: keine Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose. Ihr Vorschlag, die Rente mit 67 wieder auf die
Rente mit 65 zurückzufahren, ist abzulehnen. Es ist finanziell nicht unterlegt. Stellen Sie sich das einmal vor:
Jemand hört mit 65 auf, zu arbeiten, und es ist überhaupt
nicht absehbar, wie die Rente über die folgenden zwei
Jahre finanziert werden soll. Darüber hinaus fehlen die
Beiträge für diese zwei Jahre. Ihre Politik ist realitätsfern
und weltfremd.
({4})
Rentenpolitik kann man nicht völlig isoliert betrachten. Rentenpolitik wird durch viele andere Politikfelder
flankiert. Rentenpolitik ist von einer guten Finanz- und
Wirtschaftspolitik abhängig,
({5})
die wirtschaftliches Wachstum fördert, die unternehmerische Initiative sich entfalten lässt, die die Beitragszahler nicht über Gebühr belastet und somit Ausgewogenheit gewährleistet.
Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen,
das ist die große Herausforderung der kommenden Jahre.
Diese Zukunftsfestigkeit bedeutet: Es muss Ausgewogenheit herrschen zwischen dem, was die Sozialversicherungssysteme leisten können, dem, was die Beitragszahler leisten können, und dem, was der Bundeshaushalt
leisten kann.
({6})
Das heißt, die Höhe der Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt in die Sozialversicherungssysteme darf nicht weiter
ansteigen. Wenn sie ansteigen muss, sind die Sozialversicherungssysteme nicht solide finanziert.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Preisstabilität.
Wer sich für eine hohe Rente der Bürger einsetzt, muss
auch dafür sorgen, dass die Kaufkraft der Rente erhalten
bleibt.
({7})
Die Preise müssen stabil bleiben. Dies können sie nur
durch einen stabilen Euro und durch stabile Finanzmärkte. Wir haben bisher über 22 Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte im Finanzausschuss auf den Weg gebracht.
Meine Herren von der SPD,
({8})
ich wundere mich darüber, wie leichtfertig Sie darüber
sprechen können, dass es geradezu verwerflich sei, wenn
man die Beitragszahler entlaste. Mich wundert auch,
meine Damen und Herren der Linken, wie leichtfertig
Sie Riester kritisieren. Der Staat gibt enorm viel Geld
gerade den Geringverdienern dazu, damit diejenigen, die
ein geringes Einkommen haben, im Alter die sich daraus
ergebende Lücke schließen können, sich also ihre niedrige Rente etwas erhöht.
({9})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist
mit ihrer Politik auf dem richtigen Weg!
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12436 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 17/12474. Zunächst stimmen wir ab über
die Buchstaben b und e der Beschlussempfehlung, zu de-
nen die Fraktion Die Linke namentliche Abstimmung
verlangt hat.
Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 17/10991 mit dem Titel „Rente erst ab 67 sofort
vollständig zurücknehmen“.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist
offenkundig der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung
zu Buchstabe b der Beschlussempfehlung und bitte, die
Stimmkarten einzuwerfen.
Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimm-
karte eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.
Nun kommen wir zur zweiten namentlichen Abstim-
mung.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung wiederum
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/10994 mit dem Titel „Kindererziehung
in der Rente besser berücksichtigen“. - Die Urnen sind
noch besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung und
bitte, die Stimmkarten einzuwerfen.
Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimm-
karte zur zweiten namentlichen Abstimmung eingewor-
fen? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit
der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der Ab-
stimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich möchte Sie bitten, sich auf Ihre Plätze zu begeben,
da wir noch mehrere einfache Abstimmungen durchzu-
führen haben. Diejenigen, die nicht mehr teilnehmen
wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen, damit ich einen
Überblick bekomme.
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 17/12474 zu sechs weiteren Anträgen der
Fraktion Die Linke fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 17/10990 mit dem Titel „Wiederherstellung
eines Lebensstandard sichernden und strukturell armuts-
festen Rentenniveaus“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
bei Enthaltung der SPD.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags auf Drucksache 17/10992 mit dem
Titel „Risiko der Erwerbsminderung besser absichern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und bei
Enthaltung von SPD und Grünen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
auf Drucksache 17/10993 mit dem Titel „Rentenbeiträge
für Langzeiterwerbslose wieder einführen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Ent-
haltung der Grünen.
Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 17/10995 mit dem Titel „Rente nach Mindest-
entgeltpunkten entfristen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei
Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der SPD-
Fraktion.
Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags auf Drucksache 17/10997 mit dem Titel „Eine
solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstäti-
gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Ent-
haltung von SPD und Grünen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe h
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
auf Drucksache 17/10998 mit dem Titel „Altersarmut
wirksam bekämpfen - Solidarische Mindestrente einfüh-
ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothee Bär, Markus Grübel, Ingrid Fischbach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Nicole 1) Ergebnisse Seite 28271 A und 28273 C
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Bracht-Bendt, Miriam Gruß, Rainer Brüderle und
der Fraktion der FDP
Entgeltgleichheit für Frauen und Männer verwirklichen - Familienfreundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter
- Drucksache 17/12483 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Humme, Caren Marks, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichstellung - Fortschritt - Jetzt - Durch
eine konsistente Gleichstellungspolitik
- Drucksache 17/12487 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gleichstellung von Frauen und Männern im
Lebensverlauf durchsetzen
- Drucksache 17/12497 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind dafür
eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Bundesministerin Dr. Kristina
Schröder.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt eine Frage, mit der viele Frauen sich früher oder
später konfrontiert sehen, sei es im Vorstellungsgespräch, beim Wiedereinstieg oder als gestandene Führungskraft. Diese Frage kommt gerne in Kombination
mit hochgezogenen Augenbrauen daher, und sie lautet:
Wie machen Sie das eigentlich mit Ihrem Kind?
Jede berufstätige Mutter, die ich kenne, hat diese
Frage in ihrem Leben schon einmal gehört und sich darüber geärgert, zum einen, weil diese Frage Vätern fast
nie gestellt wird,
({0})
zum anderen aber auch, weil der Subtext dieser Frage
lautet: Sie sind doch jetzt mit diesem Handicap nicht
mehr leistungsfähig.
Die banale Frage „Wie machen Sie das eigentlich mit
Ihrem Kind?“ sagt deshalb viel über die Gründe von ungleich verteilten Chancen von Frauen und Männern in
unserer Gesellschaft aus. Wir haben eine Arbeitswelt, in
der Leistungsfähigkeit mit uneingeschränkter Verfügbarkeit gleichgesetzt wird. Das ist einer der wesentlichen
Gründe dafür, warum Frauen in den Top-Führungspositionen immer noch deutlich unterrepräsentiert sind und
warum Frauen im Durchschnitt 22 Prozent weniger verdienen als Männer.
Wir reden also über ein kulturelles Problem.
({1})
Faire Chancen haben viel zu tun mit der Art, wie Leistung im Unternehmen definiert wird und wie Arbeit koordiniert wird. Sie haben mit der Frage zu tun, ob Präsenz belohnt wird oder ob Effizienz belohnt wird, ob
Meetings in der Regel vor 17 Uhr stattfinden oder nach
19 Uhr und ob auch in Führungspositionen Teilzeitarbeit
möglich ist.
Faire Chancen haben also viel zu tun mit einer Arbeitskultur des Respekts vor familiärer Verantwortung.
Das muss unsere Botschaft zum 102. Internationalen
Frauentag sein, meine Damen und Herren.
({2})
Wie hoch der Preis ist, den Frauen zurzeit für familiäre Fürsorge zahlen, kann man ganz einfach an den Gehaltsstatistiken des Statistischen Bundesamtes ablesen.
Berufseinsteigerinnen verdienen etwa genauso viel wie
Berufseinsteiger. Die Lücke beträgt 2 Prozent. Bei den
25- bis 29-Jährigen beträgt die Lücke dann schon 8 Prozent, und bei den 35- bis 39-Jährigen liegt sie dann bei
über 20 Prozent.
({3})
Diese Zahlen sagen nicht, dass Frauen in den gleichen
Berufen und Positionen prinzipiell schlechter bezahlt
werden als Männer. Es handelt sich um Durchschnittswerte für alle berufstätigen Frauen und Männer unabhängig von der Qualifikation, der Berufserfahrung, der
Position und der Ausbildung.
Ein erheblicher Teil der Lohnlücke von 22 Prozent erklärt sich dadurch, dass Frauen und Männer unterschiedliche Studienfächer und unterschiedliche Ausbildungsberufe wählen: Über 70 Prozent der Studienanfänger in
den Kultur- und Sprachwissenschaften sind weiblich,
während der Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften bei 20 Prozent liegt. Das wirkt sich natürlich auch
auf die Durchschnittsgehälter aus: Ein Ingenieur wird in
der Regel besser bezahlt als eine Germanistin - eine Ingenieurin aber auch.
Was man an den Durchschnittszahlen aber ablesen
kann, ist eine der wesentlichen Ursachen für schlechtere
Einkommensperspektiven von Frauen: Dass Frauen im
Durchschnitt schlechter bezahlt werden, hat vor allen
Dingen damit zu tun, dass sie Mütter sind oder Mütter
werden könnten. Ein Entgeltgleichheitsgesetz, wie SPD
und Grüne es fordern, geht deswegen nach meiner Überzeugung völlig an den Problemen vorbei.
({4})
Das Problem vieler Frauen ist doch, dass sie, wenn sie
einmal im Job pausiert haben oder wenn sie Teilzeit arbeiten wollen, gar keine gleichwertigen Aufgaben mehr
bekommen. Zeit für Familie wird bestraft mit schlechteren Chancen; das ist die Ungerechtigkeit, und da müssen
wir an die Ursachen ran.
({5})
Zum einen müssen wir sicherstellen, dass alle Mütter
und Väter, die arbeiten wollen, gute Betreuung für ihr
Kind bekommen; denn eines ist völlig klar: Familie und
Beruf gehen nur dort zusammen, wo es ausreichend
Kitaplätze gibt. Letzte Woche hat der Landkreistag ganz
aktuelle Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass die meisten
Landkreise rechtzeitig zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs den Bedarf an Kitaplätzen decken werden. Probleme haben diejenigen Großstädte, die das Thema zu
lange vor sich hergeschoben haben. Aber auch hier wird
der Bund alles tun, um diesen Städten beim Aufholen zu
helfen.
Zum anderen brauchen wir aber auch Veränderungen
in der Arbeitswelt, die Frauen den Weg nach oben ebnen. Die DAX-30-Unternehmen haben daher, auf meine
Initiative hin,
({6})
individuelle Ziele für den Frauenanteil in Führungspositionen beschlossen,
({7})
und zwar für alle Führungspositionen. Wenn diese Ziele
umgesetzt werden, dann wird das allein in den DAX-30Unternehmen 5 400 Frauen den Weg in Führungspositionen ebnen.
({8})
Die Unternehmen müssen sich daran messen lassen, an
ihren eigenen Zielen, aber auch an den Zielen anderer
Unternehmen derselben Branche. Sie müssen diese Ziele
rechtfertigen: vor der eigenen Belegschaft, vor dem eigenen Betriebsrat, vor einer kritischen Öffentlichkeit.
Mir sagen viele Personaler, dass genau dieses öffentliche
Rechtfertigen-Müssen, dieser Druck,
({9})
diese Transparenz die Veränderungen in Gang setzen,
die dringend notwendig sind.
({10})
Neben der Politik und den einzelnen Unternehmen
stehen aber auch die Tarifpartner in der Verantwortung,
meine Damen und Herren, für faire Chancen und gleiche
Einkommen zu sorgen.
({11})
Wichtig ist zum einen, sich bei Tarifverhandlungen nicht
einseitig am typisch männlichen Lebensmodell mit der
Vollzeiterwerbsbiografie zu orientieren. Zum anderen
brauchen wir aber auch dringend eine Neubewertung typischer Frauenberufe. Männertypische Berufe werden
vielfach deshalb besser bezahlt als frauentypische Berufe, weil besondere Belastungen anders gewichtet werden. Bei Müllmännern zum Beispiel ist das Heben
schwerer Lasten ein Kriterium für die Arbeitsplatzbewertung - das ist auch richtig so -; bei Pflegeberufen,
die vor allen Dingen von Frauen ausgeübt werden, ist
das jedoch nicht der Fall, obwohl zur körperlichen Belastung oft auch noch die psychische Belastung hinzukommt. Wir brauchen Verfahren für geschlechtergerechte Lohnfindung. Frauen verdienen mehr; das gilt für
viele frauentypische Berufe.
({12})
Gleichberechtigung und faire Chancen für Frauen zu
fördern, bleibt eine wichtige Aufgabe, meine Damen und
Herren. Bei allen Meinungsverschiedenheiten über die
Wahl der Mittel sollten wir gerade im Hinblick auf den
Internationalen Frauentag nicht vergessen, dass uns auch
etwas eint: Wir alle streiten für eine Gesellschaft, in der
Frauen und Männer dieselben Chancen haben.
({13})
Dieser Streit ist kein erstarrtes Frauentagsritual, sondern
ein produktives Ringen um den besten Weg. Deshalb bin
ich zuversichtlich, dass unsere Töchter, aber auch unsere
Söhne davon profitieren werden.
({14})
Herzlichen Dank.
({15})
Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden
namentlichen Abstimmungen bekannt:
Erstens. Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der Drucksache 17/12474, Buchstabe b, zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rente
erst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen“ auf der
Drucksache 17/10991. Abgegeben wurden 524 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 457, mit Nein haben
gestimmt 58. 9 Kolleginnen und Kollegen haben sich
enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 522;
davon
ja: 456
nein: 57
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({15})
({16})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({18})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({19})
Peter Weiß ({20})
Sabine Weiss ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Gerd Bollmann
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({22})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({23})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({24})
Dr. Eva Högl
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({25})
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Petra Merkel ({26})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({27})
Marlene Rupprecht
({28})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({29})
Marianne Schieder
({30})
Ulla Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Swen Schulz ({33})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({34})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({35})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({36})
Michael Link ({37})
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({38})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Manfred Todtenhausen
Serkan Tören
Johannes Vogel
({39})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({40})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({41})
Volker Beck ({42})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Susanne Kieckbusch
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Markus Kurth
Undine Kurth ({43})
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({44})
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
SPD
Gabriele Hiller-Ohm
Steffen-Claudio Lemme
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Hermann Ott
Arfst Wagner ({45})
Zweitens. Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der Drucksache 17/12474, Buchstabe e, zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kindererziehung in der Rente besser berücksichtigen“ auf
der Drucksache 17/10994. Abgegeben wurden 520 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 296 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 60. Es gab 164 Enthaltungen. Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 520;
davon
ja: 296
nein: 60
enthalten: 164
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({46})
Manfred Behrens ({47})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({48})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({49})
Dirk Fischer ({50})
Axel E. Fischer ({51})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({52})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({53})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({54})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({55})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({56})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({57})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({58})
Anita Schäfer ({59})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({60})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({61})
({62})Dr. Ole
Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({63})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({64})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({65})
Peter Weiß ({66})
Sabine Weiss ({67})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Hans-Ulrich Klose
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({68})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Dr. Christel Happach-Kasan
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Patrick Kurth ({69})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({70})
Michael Link ({71})
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({72})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Manfred Todtenhausen
Serkan Tören
Johannes Vogel
({73})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({74})
Nein
SPD
Wolfgang Gunkel
Rüdiger Veit
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Niema Movassat
Thomas Nord
Yvonne Ploetz
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
SPD
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Gerd Bollmann
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({75})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Klaus Hagemann
Hubertus Heil ({76})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({77})
Dr. Eva Högl
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({78})
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Petra Merkel ({79})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({80})
Marlene Rupprecht
({81})
Annette Sawade
Axel Schäfer ({82})
Marianne Schieder
({83})
Ulla Schmidt ({84})
Carsten Schneider ({85})
Swen Schulz ({86})
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({87})
Volker Beck ({88})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Markus Kurth
Undine Kurth ({89})
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({90})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({91})
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Wir fahren in unserer Debatte fort, und ich gebe das
Wort der Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion.
({92})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schröder, Ihre Rede hat erneut bewiesen: Sie haben
Ihre Aufgabe als Frauenministerin definitiv nicht verstanden. Schade!
({0})
In der nächsten Woche, am 8. März 2013, begehen
wir wieder den Internationalen Frauentag. Für die
Frauen hier in Deutschland ist das nach fast vier Jahren
Schwarz-Gelb kein Grund zum Feiern: vier verlorene
Jahre für Frauen, vier verlorene Jahre für die Gleichstellungspolitik. Kanzlerin Merkel, Frauenministerin
Schröder sowie die gesamte schwarz-gelbe Koalition haben gleichstellungspolitisch nichts, aber auch wirklich
gar nichts zuwege gebracht.
({1})
- Herr Grübel, es ist auch nichts mehr zu erwarten, wie
der aktuelle Antrag der Koalition zeigt: Unverbindlichkeiten, Prüfaufträge und lauter inhaltslose Sätze. Lauter
vertane Chancen, auch erneut in Ihrem Koalitionsantrag.
Noch heute, im 21. Jahrhundert, fehlen in Deutschland Strukturen, die Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Frauen haben
nach wie vor nicht die gleichen Chancen. Sie verdienen
für gleiche und gleichwertige Arbeit deutlich weniger als
Männer. Die Lohnlücke beträgt skandalöse 22 Prozent.
Frauen arbeiten überdurchschnittlich oft in prekärer
Beschäftigung. Sie stellen die Mehrheit in den Minijobs,
arbeiten zudem oft in Teilzeit und bleiben viel zu häufig
in dieser stecken. Frauen sind trotz bester Ausbildung
kaum in Führungsfunktionen zu finden.
Das sind nur einige Beispiele. Diese Aufzählung ließe
sich leider verlängern. Obwohl dies alles bekannt ist, ist
nichts geschehen, hat Schwarz-Gelb gleichstellungspolitisch nichts bewegt.
({2})
Das ist umso unverständlicher vor dem Hintergrund
des wirklich sehr guten Sachverständigengutachtens für
den ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.
In diesem Bericht wird nicht nur die Situation dargelegt.
Vielmehr werden auch konkrete Vorschläge dafür gemacht, wie eine konsistente Gleichstellungspolitik für
den Lebensverlauf erreicht werden kann - eine Gleichstellungspolitik aus einem Guss, Frau Schröder, eine
Gleichstellungspolitik ohne Widersprüche, eine Gleichstellungspolitik des Handelns.
({3})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat hierzu konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt, sowohl einen Gesetzentwurf
zur Quote als auch einen zur Entgeltgleichheit. Viele
weitere Lösungsvorschläge, etwa zur Eindämmung der
Minijobs, zur Zeitpolitik und für Maßnahmen zur besseren Unterstützung von Alleinerziehenden, finden sich in
unseren Anträgen. Lesen bildet!
Nach wie vor lassen Merkel, Schröder und die
schwarz-gelbe Koalition keinerlei Gestaltungswillen erkennen. Dabei bedarf es gerade gesetzlicher Rahmensetzungen. Mit Freiwilligkeit ist Fortschritt in der Gleichstellungspolitik definitiv nicht zu erreichen.
({4})
Schaut man allerdings, meine Kolleginnen und Kollegen, auf die Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, staunen Frau und
Mann nicht schlecht. Dort findet man ein Übersichtspapier, das - ich zitiere - „über die weichenstellenden Meilensteine“ des Ministeriums in dieser Legislaturperiode
Auskunft gibt.
({5})
Auf der Suche nach den sogenannten Meilensteinen
in der Gleichstellungspolitik stößt man auf die Überschrift: „Mehr Frauen in Führungspositionen: Die FlexiQuote“. Darunter heißt es - Zitat -:
Es ist und bleibt unser Ziel, die Einführung einer
Flexi-Quote für Vorstände und Aufsichtsräte von
börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen gesetzlich zu regeln.
({6})
Frau Schröder, selbst bei der unverbindlichen FlexiQuote, bei der Wir-tun-so-als-ob-Quote, bleibt es nur bei
Lippenbekenntnissen. So kommen wir nicht voran.
({7})
Wenn es noch eines Beweises bedurft hat, hier ist er:
Absichtserklärungen statt Handeln, Worte statt Taten.
Im Übrigen nur der Vollständigkeit halber: Mehr gibt
es zur Gleichstellung in diesem Papier nicht. Auch in
den anderen Politikfeldern sucht man Meilensteine wirklich vergeblich.
Meine Kolleginnen und Kollegen, es muss bei einer
zielführenden Gleichstellungspolitik darum gehen, die
veränderten Lebensentwürfe von Frauen und Männern
zu unterstützen. Das hat auch der Gleichstellungsbericht
festgestellt. Dazu zählt, die gewünschte Vereinbarkeit
von Familie und Beruf besser zu ermöglichen und damit
die Partnerschaftlichkeit zu unterstützen.
Wir brauchen neue Angebote für Teilzeitarbeit für
Frauen und Männer, eine vollzeitnahe Teilzeit von zum
Beispiel 30 Wochenstunden. Teilzeitbeschäftigte brauchen einen Rechtsanspruch, der ihnen eine Rückkehr zur
Vollzeit ermöglicht.
Die Notwendigkeit einer solch befristeten Teilzeit,
Frau Ministerin, scheinen Sie erkannt zu haben. So
konnten wir es jedenfalls in der WAZ vom 22. Februar
lesen - Zitat -:
Realistisch betrachtet, wird das ein Projekt für die
Zeit nach der Bundestagswahl.
Kurz darauf geht es weiter:
Aber wir können leider nicht über die FDP hinwegregieren.
({8})
Fakt ist also: Verlässlicher Stillstand bei der Gleichstellung. Aber nur mit einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen gelingt eine wirkliche Gleichstellung. Es bedarf gesetzlicher Regelungen, um die
erforderlichen Strukturen in unserem Land aufzubrechen.
({9})
Denn, Frau Ministerin, Sie können hier noch so oft stehen und Appelle aussprechen und freiwillige Vereinbarungen loben: Es geht damit nicht voran. Es wird endlich
Zeit, dass sich etwas ändert. Es wird Zeit, dass SchwarzGelb nicht mehr regiert. Die Frauen haben es schon
lange satt.
({10})
Für die FDP-Fraktion redet jetzt die Kollegin Nicole
Bracht-Bendt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Antrag zum diesjährigen Frauentag greifen wir das
Thema „Entgeltgleichheit von Frauen und Männern“
ganz bewusst auf,
({0})
und zwar gemeinsam mit dem Aspekt der Familienfreundlichkeit von Unternehmen.
({1})
- Gefällt Ihnen das, Frau Marks? Anscheinend. - Denn
- so heißt es gleich zu Beginn des Antrags -: Die wichtigste Maßnahme zur Beseitigung der Entgeltungleichheit ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ständig heißt es plakativ: Frauen verdienen in
Deutschland rund 22 Prozent weniger als Männer. Damit
gehören wir zu den Schlusslichtern in Europa.
({2})
So weit die nackten Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Beim bloßen Vergleich der Durchschnittseinkommen von Männern und
Frauen bleiben ganz entscheidende Aspekte außen vor,
({3})
nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die
Berufserfahrung, die durch Erwerbsunterbrechungen bei
Frauen häufig geringer ist.
Legt man Zahlen von 2009 zugrunde, so haben knapp
91 Prozent der Mütter eine Auszeit vom Beruf genommen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, mehr als die
Hälfte davon für über anderthalb Jahre. Im Gegensatz
dazu haben dies nur ca. 5 Prozent der Väter getan - und
das nur kurz.
Nun ist aber gerade die Zeit der Elternschaft, also die
Phase zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr, auch
in beruflicher Hinsicht eine ganz entscheidende. Hier
wird die Grundlage für die spätere Karriere gelegt. Wenn
Frauen gerade dann lange pausieren, hat das nachhaltige
Folgen für ihre Aufstiegschancen und damit für ihren
Verdienst. Es droht der Karriereknick, und das darf nicht
sein.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat im Januar neue Zahlen vorgelegt. Demnach schrumpft die
Lohnlücke bei Frauen, die maximal 18 Monate aussetzen, auf weniger als 2 Prozent. Das ist nicht nur erfreulich; das ist wegweisend und ausbaufähig, und es zeigt,
wie die Verringerung der Lohnlücke in Deutschland zukünftig gelingen kann. Nun geht es darum, allen Frauen,
die es möchten, tatsächlich die Möglichkeit zu geben,
eine solche kurze Auszeit zu nehmen. Dabei ist das Elterngeld - ein Erfolgsmodell - eine wichtige Unterstützung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
zur heutigen Gleichstellungsdebatte haben Sie Anträge
vorgelegt, in denen Sie eine Fülle gesetzlicher Maßnahmen fordern. Ganz egal zu welchem Thema, ob Entgeltgleichheit, ob Frauenquote für die Privatwirtschaft oder
die öffentliche Verwaltung: Sie fordern wie immer ein
Gesetz.
({4})
Sie wollen bürokratische Regelwerke, staatliche Vorgaben, die die Privatautonomie aushebeln, die Vertragsfreiheit und Tarifautonomie beschränken und Arbeitgebern
alle möglichen Verpflichtungen aufbürden. Das wollen
wir nicht. Solche Regelungen wird es mit uns nicht geben.
({5})
Das Problem ist komplex; seine Ursachen sind vielschichtig.
({6})
Dementsprechend muss auch die Lösung sein: Es gibt
viele Stellschrauben, an denen wir drehen müssen. Da
sind zum Beispiel die langen und teilweise unfreiwilligen Erwerbsunterbrechungen. Die Mehrzahl der Mütter
würde gerne früher in den Beruf zurückkommen oder
früher wieder Vollzeit arbeiten. Das scheitert aber viel zu
oft an mangelnder Kinderbetreuung. Deshalb engagiert
sich die schwarz-gelbe Bundesregierung ganz besonders
für den Ausbau der Kinderbetreuung.
({7})
Dafür haben wir auch ordentlich Geld in die Hand genommen, sei es für die Erfüllung des Rechtsanspruches
auf Betreuung der unter Dreijährigen oder für das Programm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“. In
unserem Antrag bekennen wir uns noch einmal zu diesem Programm. Wir wollen es evaluieren und nach
Möglichkeit über das Jahr 2015 hinaus verstetigen.
({8})
Wichtig ist eine gute, verlässliche Infrastruktur, die
junge Eltern unterstützt und sie nicht unfreiwillig in ein
bestimmtes Lebensmodell zwingt, nur weil verschiedene
staatliche Ebenen Schwarzer Peter spielen. In diesem
Punkt kann sich keiner herausreden. Da ist die aktuelle
Bundesregierung ebenso in der Pflicht, wie es alle Vorgängerregierungen - damit sind Sie von Rot-Grün gemeint - waren und ganz besonders auch die Bundesländer.
Untersuchungen zeigen, dass sich viele junge Paare
vornehmen, als Eltern alles partnerschaftlich zu regeln:
Beide kümmern sich um die Kinder; beide gehen in Elternzeit; beide bleiben mal zu Hause, wenn eines der
Kinder krank ist. - Dann kommt das erste Kind, und
plötzlich ist alles anders: Sie bleibt daheim, er geht ins
Büro. Mütter arbeiten weniger, Väter hingegen mehr als
vor der Geburt von Kindern. Das ist das Gegenteil von
dem, was sie meist wollen, und trotzdem ist es immer
noch die Realität. Daher brauchen junge Eltern gut abgestimmte Rahmenbedingungen, ein Gesamtkonzept an
Maßnahmen, die ineinandergreifen und sie dabei unterstützen, frei zu entscheiden, wer wie und wie viel arbeitet und wie sie ihren Alltag partnerschaftlich aufteilen.
So wahren auch Frauen ihre Chance auf einen guten Job,
ein angemessenes Gehalt und den beruflichen Aufstieg.
Ein weiterer Punkt ist die Familienfreundlichkeit allgemein. Schauen wir nach Norwegen, schauen wir nach
Frankreich, dann wird klar: In Sachen Frauen und Familienpolitik ist in Deutschland noch Luft nach oben. Aber
wir sind auf einem guten Weg zu einer familienfreundlicheren Unternehmenskultur und Arbeitswelt. Mittlerweile engagieren sich mehr als 4 500 Betriebe im
Programm „Erfolgsfaktor Familie“ mit dem Ziel, Familienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen der deutschen Wirtschaft zu machen.
({9})
Eine Untersuchung des DIHK bestätigt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Thema
für fast 80 Prozent aller Firmen ist. Immer mehr bieten
schon gute Rahmenbedingungen, flexible Lösungen,
Gleitzeit, Arbeit im Homeoffice und Ähnliches; gute Alternativen zur herrschenden „Präsenzkultur“.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Erweiterung des Berufswahlspektrums. Junge Menschen haben viele Alternativen zu den ausgetretenen Pfaden, den geschlechtstypischen Berufen, die schon ihre Mütter und Väter
gegangen sind. Sie kennen sie aber nicht.
Ich selbst bin Tischlerin und war häufig die einzige
Frau. Das war vollkommen okay. Daher freue ich mich
über all die wertvollen Initiativen, die Jugendliche bei
ihrer Berufswahl unterstützen wie zum Beispiel der
Girls‘ and Boys‘ Day, bei dem ich im April wieder zwei
jungen Menschen die Möglichkeit geben werde, Einblick in meine Tätigkeit als Abgeordnete zu nehmen.
({10})
- Frau Marks, da müssen Sie ja selbst lachen.
({11})
In knapp drei Wochen ist Equal Pay Day. Auch ich
werde mit Kolleginnen und Kollegen auf der Straße stehen und auf die Lohnlücke zwischen Männern und
Frauen aufmerksam machen. Außerdem werde ich mit
den Menschen über unsere Konzepte diskutieren, die
dazu beitragen sollen, diese Lohnlücke weiter zu verringern.
({12})
Dafür bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung von
Wirtschaft, Verbänden, Arbeitgebern, Tarifpartnern,
Politik, Gesellschaft und natürlich jedem Einzelnen.
Ich habe noch Zahlen aus der Anhörung im Ohr:
Männer bewerben sich auf eine Stelle, wenn sie 50 Prozent der Kriterien für sich als erfüllt sehen, Frauen erst
bei 80 Prozent. Das sagt viel aus.
Für uns Liberale ist es selbstverständlich, dass Frauen
und Männer auf Augenhöhe sind. Schauen Sie einmal
genau hin! Das ist bei uns so.
Ganz herzlichen Dank. Tschüs!
({13})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Bracht-Bendt, die Außenwahrnehmung Ihrer FDP-Fraktion, was die Gleichstellung der Geschlechter angeht, ist wirklich eine andere.
Mir ist das so noch nicht aufgefallen.
({0})
Der 8. März ist der Tag der Vereinten Nationen für die
Rechte der Frauen und den Weltfrieden. Der 8. März gilt
also nicht nur den Rechten der Frauen, sondern auch
dem Weltfrieden. Seit über 100 Jahren kämpfen Frauen
für die Gleichstellung und das Wahlrecht, das es in
Deutschland seit dem Jahr 1918, seit der Weimarer Verfassung, gibt. Wenn man einmal in die Rechtsgeschichte
schaut, dann stellt man fest, dass Frauen erst seit 1977
das Recht haben, selbst und unabhängig von ihrem Ehemann zu entscheiden, ihre Existenz durch ihrer eigenen
Hände Arbeit zu sichern. Das ist wirklich noch nicht so
lange her.
Andererseits ist das viel zu lange her, als dass wir immer noch weiter warten können mit Selbstverpflichtungen, netten Appellen an die Wirtschaft, an die Politik, an
Vereine und an wen auch immer, doch bitte einmal die
Frauen zu fördern. Ich finde, es ist notwendig, dass wir
jetzt endlich gesetzgeberisch aktiv werden. Wir Frauen
haben lange genug gewartet.
({1})
So wie wir heute diskutieren, ist das schon symptomatisch. Es liegen zwei Anträge vor, mit denen versucht
wird, das Problem der Gleichstellung umfassend anzugehen. Die Frau Ministerin beschränkt sich jedoch ganz
bescheiden auf die Entgeltgleichheit. Frau hätte nun erwarten können, dass in einem Antrag mit solch einer
Selbstbeschränkung ganz konkrete Maßnahmen aufgelistet sind, die die Koalition befürwortet. Die Ministerin
hatte die Möglichkeit, hier zu sagen: Sie haben recht. Ich
mache jetzt ganz konkrete Dinge.
Unter den Forderungen finden wir wirklich nur: Machen Sie doch da eine Evaluierung!
({2})
Schauen Sie, ob das geklappt hat! Sie appellieren an die
Unternehmen, doch ein bisschen familienfreundlicher zu
werden. In Ihrem Forderungskatalog ist aber keine einzige konkrete Maßnahme enthalten. Die Ministerin hat
hier wieder keinen, aber auch gar keinen konkreten Vorschlag dazu gebracht, was sie tatsächlich machen will.
Frau Ministerin, man hat den Eindruck, für Sie ist Gender-Mainstreaming ein Fremdwort, und Sie stehen in einem Wettbewerb mit Herrn Rösler, wer der unverbindlichste Minister oder die unverbindlichste Ministerin
dieser Bundesregierung ist. Das ist einfach schrecklich.
({3})
Ich sage Ihnen: Gleichstellungspolitik bedeutet für
uns als Linke die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen und an allen
gesellschaftlichen Ressourcen. Der Schutz der Frauen
vor Diskriminierung und Gewalt sowie ein Leben für
alle Menschen frei von einschränkenden Geschlechterrollen, das ist unsere Zielstellung.
Es gibt zwei Grundvoraussetzungen, nämlich zum einen die Selbstbestimmung über den Körper, die eine
Frau braucht. Hierzu haben wir eine Regelung, mit der
das relativ gut sichergestellt wird. Die zweite Grundvoraussetzung ist eine eigenständige Existenzsicherung,
sodass eine Frau nicht durch den Ehemann oder durch
den Staat alimentiert wird. Das heißt also, Erwerbstätigkeit für Frauen zu ermöglichen.
Wie sieht aber die Realität aus? Leider sind mit der
Agenda 2010 durch Rot-Grün für Minijobs, Midijobs
und den Niedriglohnsektor Tür und Tor geöffnet worden.
({4})
Das hätten wir schon längst beseitigen können. 70 Prozent der in diesen Bereichen tätigen Menschen sind
Frauen. Sie sind berufstätig. Sie können aber nicht von
ihrer Hände Arbeit leben. Es reicht nicht, daran ein bisschen herumzudoktern oder zu reformieren. Diese Jobs
gehören gestrichen und abgeschafft. Es muss einfach
Standard sein, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können.
({5})
Deshalb brauchen wir natürlich auch den Mindestlohn für alle in der Bundesrepublik Deutschland. Wir
werden hoffentlich gemeinsam erst einmal den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro beschließen. Ich sage aber
ganz klar: 8,50 Euro sind zu wenig. Dies haben wir Ihnen in der vorangegangenen Debatte vorgerechnet. Wir
brauchen einen Mindestlohn von 10 Euro, um dann auch
Renten zu haben, die die Beibehaltung des Lebensstandards im Alter einigermaßen ermöglichen; es geht darum, dass sie wenigstens armutsfest sind. Das ist die
Zielstellung. Dem müssen Sie sich stellen.
({6})
Wenn wir über die Entgeltungleichheit sprechen,
dann gibt es einen logischen Fehler, der weit verbreitet
ist. Als allgemeiner Standard wird das Einkommen der
Männer genommen. Das sind 100 Prozent. Dann wird
ausgerechnet, wie viel die Frauen weniger verdienen.
Frauen werden so gering bezahlt, dass sie bei einem
durchschnittlichen Verdienst, 35 Berufsjahren und gleicher Berufstätigkeit einen Einkommensverlust gegenüber ihren männlichen Kollegen von etwa 100 000 Euro
haben. Also, die Entgeltungleichheit ist nicht gering.
Sagt man aber, dass das Einkommen der Frauen
100 Prozent beträgt, dann ist, in Prozenten ausgedrückt,
der Einkommensvorsprung der Männer viel größer. Denken wir einmal von den Frauen her! Mehr als die Hälfte
der Bevölkerung sind Frauen. Warum ist der Maßstab
das Einkommen der Männer? Nein, die Frauen müssen
der Maßstab sein.
({7})
Wir brauchen endlich ein Herangehen an die ungleiche Bezahlung der angeblich frauentypischen Berufe
gegenüber den angeblich männertypischen Berufen. Das
fordern wir auch für die Emanzipation der Männer. Das
ist ein dringendes Problem. Wir reden nicht einfach egoistisch für Frauen, sondern für alle. Schauen wir uns das
einmal an! Nehmen wir ein junges Paar: Der Papa ist
Grundschullehrer, die Mama ist Gymnasiallehrerin. Sie
bekommen ein Baby. Frau Schröder, was denken Sie?
Wahrscheinlich bleibt der Papa zu Hause, weil sein Einkommensverlust in der Elternzeit niedriger ist als der
Einkommensverlust, wenn die Mama als Gymnasiallehrerin zu Hause bleibt. Nun ist es so, dass die Grundschullehrer prinzipiell niedriger bezahlt werden als die
Gymnasiallehrer, dass es mehr Grundschullehrerinnen,
ganz wenige Grundschullehrer und dafür wesentlich
mehr Gymnasiallehrer als Gymnasiallehrerinnen gibt.
Ich sage Ihnen: Wir müssen ganz viel tun, damit sich in
dieser Gesellschaft, in unserem Staat Etliches ändert.
Dazu brauchen wir aber eine grundlegende Verbesserung
und nicht einfach eine Angleichung an schlechte Verhältnisse, die wir haben. Wir brauchen eine Verbesserung der Verhältnisse für alle.
Danke.
({8})
Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Renate Künast
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Schröder, Sie haben wunderbar angefangen und die Fragen gestellt, die die Frauen im Alltag erleben. Sie haben
damit angefangen, dass Frauen im Erwerbsleben mit der
Frage konfrontiert werden: Wie machen Sie es mit Ihrem
Kind? - Sie haben auf die Gehaltsstatistik verwiesen und
auf die Frage, welche Jobs die Frauen bekommen. Dann
dachte ich: Nach dieser mehr oder weniger radikalen
Analyse folgt jetzt auch ein radikales Handlungspaket. Das habe ich allerdings in Ihrer Rede nicht wahrgenommen.
({0})
Sie haben das Problem beschrieben und dann gesagt,
es sei ein kulturelles Problem. Das erinnert mich an
Ulrich Beck und sein Wort, das genau solche Situationen
beschreibt: „Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“.
({1})
Das haben Sie hier angeboten, aber dann kam nichts.
Ich habe vorhin den News entnommen, dass Sie heute
schon geäußert haben, da dies doch die Aufgabe der
Wirtschaft sei - dorthin haben Sie die kulturellen Fragen
sortiert -, sei es auch deren Aufgabe und Pflicht, regelmäßig zu berichten, inwieweit sie die Zahl ihrer Selbstverpflichtungen erfüllt hat. Sie haben alles dorthin geschoben. Glücklicherweise haben wir ein Grundgesetz.
Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Zu
der Frage, ob dies eine kulturelle Aufgabe ist, kann ich
nur auf Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes verweisen, der besagt - ich zitiere -:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Das ist Ihre Aufgabe, und davon habe ich in Ihrer
Rede nichts, aber auch gar nichts gehört.
({2})
Ich freue mich darüber, dass sich Frauen in diesem
Land wirklich engagieren. Nehmen wir nur einmal den
Hashtag-Aufschrei, als es um die Sexismusdebatte ging,
die noch nicht zu Ende ist, oder die Debatte um die Frauenquote, die der Deutsche Juristinnenbund, FidAR
- Frauen in die Aufsichtsräte - und der Verband deutscher Unternehmerinnen angeschoben haben. Diese,
Frau Schröder, und viele andere Frauen aus der Praxis,
aus der Wissenschaft haben den nötigen politischen
Druck ausgeübt. Ihre Einladung zu einem Gespräch hat
nicht dazu beigetragen. Auch die Tatsache, dass es in
Ländern in Europa schon Quotenregelungen bei öffentlichen Ausschreibungen gibt, hat Druck ausgelöst und
Unternehmen zum Nachdenken gebracht. Wenn die Telekom sieht, dass die Telefónica aus Spanien in ihren
Ausschreibungen in Spanien oder in Frankreich Quotenregelungen für Frauen und Männer vorsieht, dann bewegt sich die Telekom, und nicht weil Frau Schröder
einlädt.
({3})
Frau Schröder, in Ihrer Rede zum 102. Frauentag haben Sie kein Wort zu der Debatte um den Alltagssexismus gesagt, obwohl sich so viele Frauen geäußert haben.
Es gab kein wirkliches Wort zu einer verbindlichen
Frauenquote in Aufsichtsräten. Auch haben Sie nichts zu
Regelungen für die gleiche Bezahlung von Frauen und
Männern gesagt; ich habe nichts gehört. Stattdessen
setzen Sie getreu Ulrich Beck, also bei weitgehender
Verhaltensstarre, ständig falsche Anreize. Das Betreuungsgeld und das Festhalten am herkömmlichen Ehegattensplitting ist solch ein falscher Anreiz. Wenn wir wirklich sagen, auch aus einem christlichen Menschenbild
abgeleitet; „Wir investieren unsere Steuergelder in die
Kinder und stellen die Kinder in den Mittelpunkt“, dann
müssten Sie sagen: Das Ehegattensplitting wird abgeschmolzen, damit wir Geld für die Kinder haben. - Aber
dazu gibt es kein Wort von Ihnen. Sie hingegen sind für
das Betreuungsgeld und die Flexiquote. Ich sage einmal:
Flexiquötchen, denn sie kommt ja auf Pfötchen daher.
Das reimt sich auch. Die Unternehmen sollen
selber entscheiden. Das ist selbst Ihren Parteifreundinnen und -freunden zu wenig.
Das Pflegezeitgesetz ist so realitätsfern gestaltet, dass
von den Frauen in der gesamten Bundesrepublik, die
Pflege übernehmen, seit dem Inkrafttreten erst satte
150 Anträge gestellt wurden. 150 Anträge ist Ihr Versuch wert, den Frauen die Situation zu erleichtern, wenn
sie Pflege übernehmen. Das können sich Frauen gar
nicht leisten. Denn wer hat denn so viel Geld im Hintergrund, dass er eine Auszeit ohne monatliche Bezahlung
nimmt?
Ich kann nur sagen: Das, was Sie hätten anpacken
müssen, haben Sie liegen lassen, und wenn Sie gehandelt
haben, war es eigentlich immer ein Flop.
({4})
Ich muss feststellen, dass Ihre und Frau Merkels Frauenpolitik immer wieder die Realität der Frauen in
Deutschland ignoriert. Sie ignorieren auch die wissenschaftliche Expertise. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen:
Erstens. Der Erste Gleichstellungsbericht hat gezeigt:
Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind diskriminiert. - So
weit auch Ihre fast radikale Analyse. Dann heißt es im
Gleichstellungsbericht weiter: Wir brauchen einen Mindestlohn. Wir brauchen ein Entgeltgleichheitsgesetz. Wir
brauchen eine Quote. - Nichts davon haben Sie im Angebot.
({5})
Die Expertise und Beratung haben Sie überhaupt nicht
genutzt, weil Sie irgendwo in einer alten Ideologie stecken bleiben.
Zweitens. In der stattgefundenen Evaluierung der Familienleistungen steht: Es ist dringend nötig, einen
Modernisierungsschub bei den Familienleistungen zu
machen, Abschmelzen des Ehegattensplittings, kein Betreuungsgeld. - Was machen Sie? Sie halten die ganze
Studie unter Verschluss, weil Sie die gesellschaftliche
Debatte dazu fürchten. Dabei ist gerade jetzt eines wichtig, nämlich nicht in den Strukturen von vorgestern zu
agieren, sondern wirklich neue Strukturen für eine Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen zu schaffen.
Ich habe ein bisschen das Gefühl, Sie sind eine Art
Scheinregierung. Sie erinnern mich an den Riesen Tur
Tur: Je näher man kam, desto kleiner wurde er. So groß
die Worte auch sind, die Sie hier wählen: In Wahrheit
nehmen Sie eine Simulation von Politik vor, und da hilft
es auch nicht, eine Bundeskanzlerin zu haben.
({6})
Sie besetzen das Thema, indem Sie sich mit Frau von der
Leyen über den Begriff „Quote“ streiten, aber passiert ist
gar nichts - Simulation von Politik.
({7})
Sie reden über Lohngleichheit und beschreiben die
Situation. Aber die Kanzlerin hat neulich nur öffentlich
gesagt, sie rate den Frauen, einfach besser und schärfer
zu verhandeln, wenn es ums Gehalt gehe. Hier geht es
aber nicht allein um ein Problem der einzelnen Frauen.
({8})
Wir, die Politik, haben einen Gleichstellungsauftrag: Wir
müssen aktiv werden, und wir wollen keine Ankündigungspolitik. Deshalb, meine Damen und Herren, ist es
richtig, Folgendes zu beraten: ein Entgeltgleichheitsgesetz, den Mindestlohn und die Frauenquote. Ich glaube
übrigens, dass all das auch die Männer wollen, weil sie
wissen, dass es auch ihnen im Erwerbs- und Privatleben
neue Entwicklungsmöglichkeiten gibt.
Es ist Zeit für eine moderne Familienpolitik. Die
Konzepte sind da, und wir sind bereit.
({9})
Jetzt hat die Kollegin Dorothee Bär für die Fraktion
der CDU/CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Künast, jedes Mal, wenn Sie hier im Parlament eine
frauenpolitische Rede halten, frage ich mich, ob es den
Frauen danach besser geht.
({0})
Jedes Mal muss ich feststellen: nein.
({1})
Das, was Sie hier abliefern, trägt überhaupt nicht dazu
bei, gesellschaftspolitisch irgendetwas zu verbessern,
und sei es auch nur verbal. Ich finde, dass die Ministerin
am Anfang sehr gut aufgezeigt hat, wo die Probleme in
unserem Land liegen: Wir haben festgelegte Rollenbilder. Frauen sind auch deswegen am Arbeitsmarkt benachteiligt, weil in sehr vielen Firmen die Auffassung
herrscht, dass Frauen mit geringerer Wahrscheinlichkeit
dauerhaft in ihrem Unternehmen sein werden als Männer, allein aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären.
Da geht es oft gar nicht darum, ob sie tatsächlich Kinder
haben oder nicht. Aber allein die Gebärfähigkeit macht
Frauen als potenzielle Arbeitnehmerinnen weniger attraktiv als Arbeitnehmer. Deswegen gelten sie oft - das
hört man an der einen oder anderen Stelle - als risikoträchtige Arbeitnehmerinnen. Deswegen werden sie oft
zu einem geringeren Verdienst eingestellt und erhalten
weniger Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.
Natürlich gibt es jetzt nicht die eine Lösung, die
Ideallösung, wie Sie sie mit Ihrer Schwarz-Weiß-Malerei
fordern; denn die Ursachen sind viel zu vielfältig. Natürlich gibt es eine strukturelle Diskriminierung. Auch deswegen ist es wichtig, einen Mentalitätswandel zu erreichen. Einen Mentalitätswandel erreicht man natürlich
nicht, wenn man immer meint, die eine Lösung zu haben
bzw. ein Einheitsmodell, wie Sie, Frau Künast, es gerade
wieder angesprochen haben, für alle Frauen in Deutschland etablieren und einfach allen überstülpen zu müssen.
({2})
Wir haben ein Problem: Sobald Frauen eigene Kinder
haben, verschlimmert sich die strukturelle Diskriminierung. Wenn man sich die Studien, beispielsweise vom
Deutschen Juristinnenbund, anschaut, dann stellt man
fest, wie die Führungspositionen in Deutschland eigentlich besetzt sind: Die meisten Führungspositionen in unserem Land haben Männer mit Kindern inne. An zweiter
Stelle kommen dann Männer ohne Kinder. An dritter
Stelle kommen Frauen ohne Kinder. An vierter Stelle
kommen Frauen mit Kindern. Daran sieht man ganz
deutlich, dass Kinder nur beim weiblichen Geschlecht
ein Problem sind, beim männlichen aber nicht. Bei den
Männern ist es sogar ein Vorteil; Männer mit Kindern
nehmen die meisten Führungspositionen ein.
Der Kern unserer christlichen Familien- und Frauenpolitik ist deswegen die Wahlfreiheit: Wir fördern, dass
jede und jeder Einzelne in Staat und Gesellschaft die
Freiheit selbst ausfüllen kann, dass sich jede Mutter und
jeder Vater frei entscheiden kann, ob sie Vollzeit oder
Teilzeit arbeiten oder ganz zu Hause bleiben wollen. Unserer Auffassung nach hat der Staat nämlich nicht das
Recht, bestimmte Lebensmodelle aufzuzwingen. Unser
Ziel muss es doch sein, Freiräume zu schaffen.
Ich verstehe bis heute nicht, warum Sie der Meinung
sind, dass der Staat in jedem Fall der bessere Erzieher
ist. Wir sind diejenigen, die sagen: Wir setzen die Rahmenbedingungen für Wahlfreiheit. Mich stört wirklich
- das war heute in allen Reden der Opposition zu hören -,
dass Sie hier Keile hereintreiben und Frauen gegen
Frauen ausspielen. Das ist mit uns nicht zu machen.
({3})
Wir im Bund haben die Betreuungssituation von Kindern unter drei Jahren mit Mitteln in Höhe von insgesamt 4,58 Milliarden Euro erheblich verbessert - das ist
mehr als in all den Jahren, in denen Sie an der Regierung
waren. Wir unterstützen die Kommunen, und wir unterstützen sie freiwillig und auch künftig mit 845 Millionen
Euro jährlich bei den Betriebskosten.
({4})
Ja, ich sage voller Stolz: Wir haben das Betreuungsgeld
für ein- bis dreijährige Kinder eingeführt,
({5})
weil es uns eben wichtig ist, keine verschiedenen Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen.
({6})
Es ist bei den Debatten oft deutlich geworden, dass
Sie persönlich andere Lebensmodelle wählen. Das ist Ihnen auch unbenommen. Da mischt sich auch von außen
keiner ein. Aber ich finde, gerade wir, die wir alle berufstätig sind, müssen natürlich auch Lobbyisten für Familien sein, die sich andere Modelle wünschen, weil logischerweise keine Hausfrau und kein Hausmann die
Möglichkeit hat, hier am Rednerpult im Deutschen Bundestag zu stehen.
({7})
Wir wollen Eltern nicht unter Druck setzen. Wir wollen, dass nicht alle Kinder in eine ganztägige Kinderbetreuung gegeben werden, weil wir eben gegen diese
Gleichmacherei sind.
Sie beklagen, dass bei einer steigenden Erwerbsquote
das Arbeitsvolumen - ich finde, das ist ein ganz besonders furchtbares Wort - von Frauen stagniert, weil viele
nur in Teilzeit arbeiten. Da frage ich mich: Ist es wirklich Ihr Ziel, wie in der Wirtschaftswoche vom 9. Februar zu lesen war - ich zitiere -, dass „die totale Mobilmachung aller Arbeitskräfte“ erfolgt?
({8})
Ein weiteres Zitat:
Erst wenn jede Frau an der Aldi-Kasse für ihre Sozialbeiträge schuftet und Steuern dafür bezahlt, dass
andere Frauen ihre Kinder erziehen - erst dann ist
die endgültige Befreiung der Frau geschafft.
({9})
Das ist auf jeden Fall eine Politik, die mit uns nicht zu
machen ist, weil wir eben für die Wahlfreiheit stehen.
Wir brauchen keine arbeitsplatzgerechten Familien, die
sich nur unter das unterordnen, was der Arbeitsmarkt
will, sondern familiengerechte Arbeitszeiten.
({10})
Freiwillige Maßnahmen sind wichtig. Sie reichen
meines Erachtens aber nicht aus. Für mich persönlich
wäre es wichtig, dass Teilzeitkräfte auch das Recht haben, in Vollzeit zurückzukehren.
({11})
Deswegen wünsche ich mir auch einen Rechtsanspruch auf Vollzeit. Das hätte auch eine Wirkung auf
Männer, weil dann eine phasenweise Teilzeit eher in Anspruch genommen würde, und zwar von beiden Geschlechtern.
({12})
Mir ist das sogenannte Teilelterngeld auch sehr wichtig, weil sich die Anspruchsdauer des Elterngeldes bei
Teilzeitarbeit der Eltern und Aufteilung der Sorgearbeit
entsprechend verlängern würde. Wichtig wäre selbstverständlich auch eine Flexibilisierung der Elternzeit. Momentan ist es nur möglich, die Elternzeit bis zum 8. Lebensjahr des Kindes in Anspruch zu nehmen. Wir
wollen, dass in Zukunft die Frist bis zum 14. Lebensjahr
des Kindes ausgeweitet wird, um in Krisenzeiten einer
Familie, bei Schulproblemen, bei Trennung der Eltern
oder zur Pflege der Eltern-Kind-Beziehung eine größere
Flexibilität zu gewährleisten.
Wir haben in den letzten knapp vier Jahren eine hervorragende Familien- und Frauenpolitik gemacht. Ich
bin mir sicher, dass die Wählerinnen und Wähler erkennen, wer ihnen Wahlfreiheit gibt und wer ihnen ein Einheitsmodell aufdrücken wird.
({13})
Deswegen bin ich sicher, dass es im September mit
dieser Bundesregierung hervorragend weitergeht.
Vielen Dank.
({14})
Elke Ferner hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich frage mich die ganze Zeit, ob hier bei der Koalition
ein Wettbewerb stattfindet, wer die peinlichste Rede
hält.
({0})
Ich muss wirklich sagen, dass an Peinlichkeit kaum
zu überbieten ist, was in Ihrem Antrag steht und was die
Ministerin und Sie von den Koalitionsfraktionen hier
zum Besten geben. Sie nehmen in Ihrem Antrag - das
hat auch die Ministerin zu Beginn gemacht - eine Problemanalyse vor. Aber nach einer Problemanalyse erwartet der geneigte Leser, dass eine Problemlösung vorgeschlagen wird. Die fehlt aber, und zwar völlig.
({1})
Ich frage mich, wofür man eine Ministerin braucht, die
sich hier hinstellt und sagt: Wir brauchen dies, wir brauchen jenes usw., usf. - Ich wünsche mir eigentlich eine
Regierung und eine Ministerin, die sagen: Wir haben da
ein Problem, und deshalb machen wir das und das. Das
ist die Aufgabe einer Ministerin, Frau Schröder.
({2})
Ich will einmal sagen: Der einzig reale Vorschlag, den
Sie in Ihrem Antrag machen, nämlich das Logib-D-Verfahren zu verwenden, um die Entgeltungleichheit zu bekämpfen, ist dazu untauglich.
({3})
Die Ministerin hat eben zu Recht beklagt, dass frauentypische Berufe schlechter bezahlt würden als die der
Männer und dass sich daran etwas ändern müsse. Dafür
gibt es aber ein Verfahren, und das Verfahren heißt Entgelt-Check. Das gibt es. Da frage ich mich natürlich, warum Sie bei diesem Logib-D-Verfahren bleiben, bei dem
es eigentlich nur darum geht, Lebensläufe und Biografien miteinander zu vergleichen. Das heißt, wenn die
Frauen auf ihren Beruf verzichtet haben, um Kinder zu
erziehen, dann wird das durch die schlechtere Bezahlung
- gegenüber der Bezahlung der Männer - sozusagen
sanktioniert. Wir wollen gleiche Bezahlung für gleiche
Arbeit. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({4})
Wenn Sie dann endlich etwas tun - Renate Künast hat
das eben schon gesagt -, dann tun Sie das Falsche.
Schauen Sie sich beispielsweise an, welche Wirkung die
Anhebung der Verdienstgrenze von Minijobs auf
450 Euro haben wird. Im Bereich Minijob müssen wir
eigentlich die entgegengesetzte Richtung einschlagen.
({5})
Wir müssen endlich Schluss damit machen, dass in diesem Bereich Missbrauch betrieben werden kann. Aber
was macht die Koalition? Sie erhöht noch die Anreize,
einem Minijob nachzugehen.
Es gibt bereits über 7 Millionen Minijobs - und das
nicht nur in den haushaltsnahen Bereichen, das sind ungefähr 200 000; die kennen wir fast alle persönlich. Sie
haben die Schwarzarbeit nicht abgeschafft. Jetzt verstärken Sie noch den Anreiz, ohne soziale Absicherung erwerbstätig zu sein. In Verbindung mit der Steuerklasse V
und dem Ehegattensplitting ist das besonders für verheiratete Frauen attraktiv. Moderne Gleichstellungspolitik
sieht anders aus.
({6})
Sie haben eben gesagt: Wir brauchen andere Arbeitszeitmodelle. Ja, die brauchen wir. Man muss aber auch
etwas dafür tun, zum Beispiel, indem man den Anspruch
auf andere Arbeitszeitmodelle rechtlich absichert. Man
muss beispielsweise rechtlich absichern, dass die Inanspruchnahme von Teilzeit befristet ist und dass sofort
nach Beendigung der Teilzeitbeschäftigung der alte Arbeitsvertrag wieder greift, so wie wir das im Rahmen des
Pflegegesetzes in der letzten Wahlperiode auf den Weg
gebracht haben. Wo sind Ihre Vorschläge? Es gibt keine
Vorschläge. Es werden immer nur die Probleme analysiert.
Sie sprechen sich in Ihrem Antrag dafür aus, dass die
Bundesregierung für diese und jene Maßnahme werben
soll. Sind wir hier Gesetzgeber, oder sind wir eine Werbeagentur? Was Sie hier machen, ist wirklich nicht mehr
nachzuvollziehen.
({7})
Ich prophezeie Ihnen: Diese Form der Politik wird
sich im September, Gott sei Dank, erledigt haben. Wir
brauchen nämlich in der Gleichstellungspolitik Fortschritte und keinen Stillstand mehr. Deshalb haben wir
in unserem Antrag eine Reihe sehr konkreter Maßnahmen vorgeschlagen, durch die wir die Situation verbessern wollen.
Auf die Einzelheiten unseres Antrags wird Christel
Humme noch eingehen. Eines kann ich Ihnen aber jetzt
schon sagen: Ihr Problem ist, dass Sie kein partner28284
schaftliches Modell wollen. Das sieht man am Betreuungsgeld und daran, dass Sie am Ehegattensplitting festhalten. Das sieht man in vielen anderen Bereichen auch.
Frau Pawelski, Sie sind vielleicht eine Ausnahme in
Ihrer Fraktion. Es tut mir leid, dass Sie keine Mehrheiten
haben. Es ist schlimm, wenn man etwas will und man
darf oder kann es nicht umsetzen. Aber noch schlimmer
ist es, wenn man keinen Fortschritt will. Dafür stehen
Sie, Frau Schröder.
({8})
Ich bin froh, einer Partei anzugehören, die in diesem
Jahr ihr 150-jähriges Gründungsjubiläum feiert. Eine
ganze Reihe von Frauen, auch hier in diesem Haus, haben vor vielen Jahren dafür gesorgt, dass die Gleichstellungspolitik vorangekommen ist. Clara Zetkin, Marie
Juchacz, Lily Braun und Hedwig Dohm, aber auch
August Bebel mit seinem Werk Die Frau und der Sozialismus haben ein großes Stück dazu beigetragen. Ich
würde mir wirklich wünschen, liebe Kolleginnen von
Union und FDP: Seien Sie ein bisschen mutiger und ein
bisschen konsequenter. Geben Sie nicht nur Problemanalysen zum Besten, tragen Sie endlich auch Problemlösungen vor.
Schönen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion gebe ich jetzt Sibylle Laurischk
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte diese Debatte wieder etwas versachlichen.
({0})
Ich wende mich an die vorrangig jungen Zuhörer, die
hier auf der Tribüne in großer Zahl - ein paar gehen jetzt
leider - anwesend sind. Zunächst möchte ich dafür werben,
({1})
dass sich gerade die jungen Frauen unter Ihnen für Berufe entscheiden, die eine Perspektive bieten, dass Sie
sich auch für Berufe mit technischer und naturwissenschaftlicher Ausrichtung interessieren, bei denen zunehmender Fachkräftemangel zu verzeichnen ist.
Aber wir haben auch in ausgesprochenen Frauenberufen einen Fachkräftemangel und einen zunehmenden
Personalmangel. Ich habe feststellen müssen, dass im
Pflegebereich mittlerweile sehr viele ausländische Arbeitskräfte angeworben werden, weil wir auf dem bisher
üblichen Rekrutierungsfeld nicht mehr genügend Mitarbeiter finden, um die Pflege sicherzustellen. Mir sagen
Pflegerinnen und Krankenschwestern - das sind typische
Frauenberufe -: Der Beruf ist nicht attraktiv und hat ein
schlechtes Ansehen. - Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich dafür werben, dass das Ansehen dieser Berufe,
die nicht naturwissenschaftlich ausgerichtet sind, sondern soziale, menschliche Fähigkeiten voraussetzen, verbessert wird. Ich möchte dafür werben, dass diese Berufe
stärker wertgeschätzt und durch bessere Bezahlung attraktiver werden.
({2})
Das habe ich mir vor meiner Rede nicht aufgeschrieben.
In der Debatte ist mir aber deutlich geworden, dass man
auch dazu an dieser Stelle einmal etwas sagen muss.
Die Erwerbstätigkeit der Frauen in Deutschland hat
laut einer Studie aus dem Jahre 2011 eine Quote von
72 Prozent erreicht.
({3})
Damit liegen wir kurz hinter den skandinavischen Ländern. Dennoch sind wir hinsichtlich der beruflichen
Gleichstellung von Frauen noch nicht ausreichend vorangekommen.
Wir analysieren die Probleme - davor scheuen wir
uns nicht -: Ein wesentlicher Grund, warum die Gleichstellung von Frauen im Beruf noch nicht gewährleistet
ist, sind unzureichende Möglichkeiten zur Vereinbarung
von Familie und Beruf. Daran arbeiten wir. Wir geben
enorme Summen aus, um die Kinderbetreuung in den
verschiedensten Bereichen zu gewährleisten. Ich denke,
dass es dabei nicht nur um Kinder unter drei Jahren geht,
sondern zunehmend auch um Kinder, die in der Schule
sind. Insofern wird die Ganztagsbetreuung ein wichtiges
Thema werden. Das Defizit in diesem Bereich haben
auch rot-grüne Bundesregierungen mit zu verantworten.
({4})
Das ist ein Problem mit einer langen Geschichte. Dieses
Problem war in den letzten vier Jahren, in denen wir an
der Regierung beteiligt waren, nicht zu lösen.
Dass wir dieses Thema ernst nehmen, zeigt die heftige Diskussion, die wir darüber immer wieder führen.
Die linke Seite dieses Hauses konzediert das nicht gerne.
Aber gerade deswegen sage ich hier sehr deutlich: Wir
haben uns an der Stelle nicht zu verstecken. Die Betreuung von Kindern ist in Deutschland ein ernsthaftes
Thema geworden. Wir lassen nicht locker. Wie gesagt:
Es ist viel Geld dafür ausgegeben worden.
Dennoch haben wir, gerade was das Thema Teilzeit
anbetrifft, ein deutliches Defizit, das wir angehen müssen. Ich glaube, Frau Ministerin, dass sich die FDP an
dieser Stelle überhaupt nicht versteckt. Ich weiß nicht,
ob in einer Zeitung steht, dass Sie das so gesagt haben.
({5})
Ich glaube, wir sind durchaus erreichbar.
Es ist tatsächlich so, dass sehr viele Frauen in Teilzeitarbeit stehen und die Rückkehr in den Beruf im
Sinne einer Ganztagsbeschäftigung für sie sehr schwierig ist. Vor allen Dingen, wenn sie sich sehr lange der
Kinderbetreuung gewidmet haben, merken sie, dass sie
den Anschluss verlieren und keine Ganztagsbeschäftigung mehr finden. Das ist ein struktureller Mangel, der
meiner Ansicht nach durch entsprechende Anreize im
Unternehmen, aber - das ist denkbar - auch durch gesetzliche Maßnahmen zu ändern ist.
Gleichzeitig müssen sich aber auch Männer stärker
für Teilzeit interessieren.
({6})
Wenn es in einer Familie erforderlich ist, dass einer Teilzeit arbeitet, dann sind es meist die Frauen, die sagen:
Okay, ich gehe aus dem Beruf ein Stück weit heraus. Die
Männer machen weiter, sicherlich, weil der besser bezahlte Beruf eine Rolle spielt, aber auch, weil es nicht en
vogue ist, weil das im Unternehmen nicht selbstverständlich ist. Es muss uns klar sein, dass lediglich
10,6 Prozent der Männer im Westen und 7,5 Prozent der
Männer im Osten Teilzeit arbeiten. Das sind viel weniger als bei den Frauen. Es ist einfach kein Thema.
Ich glaube, dass wir die Lebensarbeitszeit von Frauen
und Männern gleichstellen müssen, dass wir dafür sorgen müssen, dass Frauen wie Männer flexible Zeitangebote wahrnehmen können - die Teilzeitarbeit gehört
dazu, aber selbstverständlich auch die Rückkehr in die
Vollzeitberufstätigkeit -, weil dann auch die Altersarmut
von Frauen ein Ende hat; denn dann können die Frauen
ebenso wie die Männer eine Altersversorgung aufbauen.
Das geschieht nur, wenn auch Männer in diesen strukturellen Wandel einsteigen. Das tun sie bisher per se noch
viel zu wenig. Es geht um einen Bewusstseinswandel,
den wir als Liberale nicht per Gesetz erzwingen.
({7})
Yvonne Ploetz hat jetzt für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den
ersten Blick sieht es für Frauen gar nicht so schlecht aus.
Statistiken erzählen uns seit langem von einer wunderbaren Vermehrung der Jobs für Frauen. Es ist tatsächlich
so: Seit Jahren steigt die Anzahl von Frauen in Lohn und
Brot.
Doch sieht man etwas genauer hin, bekommt man
schnell große Augen. Es ist nämlich nicht so, dass die
Anzahl der Frauen in Normalarbeitsverhältnissen angestiegen ist. Vielmehr ist die Anzahl der Frauen im Niedriglohnsektor, in befristeten Beschäftigungsverhältnissen und in Teilzeitarbeit explodiert. Sie hat sich seit
1991 annähernd verdoppelt.
Nur ein Beispiel: In Pflegeberufen - da arbeiten zu
80 Prozent Frauen - ist die Anzahl der Leiharbeitnehmerinnen in den letzten sechs Jahren um 400 Prozent angestiegen. Diese Frauen leisten wirklich Schwerstarbeit,
verdienen aber wenig und haben kaum arbeitsrechtlichen
Schutz. Sie nennen das die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wir nennen es Ausbeutung.
({0})
Das Mindeste, was ich von Ihnen als Regierenden verlange, ist, dass Sie die Leiharbeit in so sensiblen Bereichen wie der Kindererziehung und der Pflege endlich
stoppen.
Übrigens ist die Branche mit den meisten Frauen im
Niedriglohnsektor der Einzelhandel. Sie haben sicherlich mitbekommen, dass die Arbeitgeber im Einzelhandel die Tarifverträge aufgekündigt haben. Jetzt kämpfen
rund 3 Millionen Frauen um freie Wochenenden, um Urlaubsgeld, um einen guten Lohn. Der Handelsverband
nennt diese Aufkündigung der Tarifverträge Modernisierung. Wir wissen ganz genau, dass es hier nur um Lohndrückerei geht, und nennen es eine Kampfansage an die
Beschäftigten. Wir Linke stehen fest an der Seite der
Frauen und fordern von Ihnen, dass Sie einen Mindestlohn von 10 Euro einführen, damit die Frauen in diesem
Arbeitskampf abgesichert sind.
({1})
Wir wissen auch: Wo Tarifverträge gelten, fällt die
Entgeltlücke kleiner aus. Trotzdem verdienen Frauen
noch im Jahr 2013 rund ein Viertel weniger als ihre
männlichen Kollegen. Eine Großhandelskauffrau zum
Beispiel hat im Monat rund 564 Euro weniger als ihr
männlicher Kollege. Da kommen im Laufe eines Arbeitslebens locker 220 000 Euro zusammen. Sie reden in
diesem Zusammenhang von Eigenverantwortung, davon, dass Frauen die falschen Berufe wählen, davon,
dass man bei Lohnverhandlungen mutiger sein könnte.
Wir nennen das Diskriminierung am Arbeitsplatz und
fordern nicht weniger, als dass Sie per Gleichstellungsgesetz, Verbandsklagerecht und Lohntransparenz endlich für gleiche Löhne bei gleicher Arbeit sorgen.
({2})
Sicherlich erzähle ich Ihnen kein Geheimnis, wenn
ich sage, dass geringe Löhne zu geringen Renten führen.
Im Alter müssen Frauen wirklich fast jeden Cent umdrehen. Mittlerweile haben zwei von drei Frauen eine Altersrente unterhalb der Grundsicherung im Alter, also
unterhalb von Hartz IV im Alter. 83,5 Prozent der
Frauen - eigentlich fast alle - haben eine Rente von unter 850 Euro, ein Viertel davon sogar unter 250 Euro.
Ich komme aus dem Saarland und will nun ganz kurz
auf die Situation bei uns eingehen. Ein Mann bekommt
bei uns durchschnittlich eine Rente von 1 139 Euro. Eine
Frau bekommt durchschnittlich 415 Euro. Sie nennen
das eine „besonders unzureichende soziale Absicherung
von Frauen … im Alter“. Wir nennen das menschenunwürdige Armutsrenten und bleiben bei unserer Forderung nach einer Mindestrente, die wirklich jeden und
jede vor Armut im Alter schützt.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Internationale
Frauentag rückt näher. Wir reden hier über Entgelt, über
Quote. Wir reden über ausgebeutete Frauen in Pflegeund Erziehungsberufen. Wir reden über Kitas, die fehlen, und über Frauen mit Existenzangst im Alter. Aber
eigentlich reden wir doch darüber, dass der Kapitalismus
auf genau diese Frauen angewiesen ist. Er ist angewiesen auf eine ungeheure Anzahl von Frauen, die privat arbeiten, die zu Hause arbeiten und die in sogenannten typischen Frauenberufen arbeiten. Das sind Berufe, die
weniger mit Erdölgewinnung zu tun haben, weniger mit
Luftfahrt, weniger mit Fahrzeugbau, sondern sich mit
Menschen beschäftigen. Diese Berufe lassen sich nun
einmal nicht beliebig beschleunigen, um noch mehr Gewinne herauszupressen.
Lassen Sie mich mit einem, wie ich finde, sehr beeindruckenden Zitat von Robert Biel enden:
Es ist eindeutig, dass der Kapitalismus zu Überausbeutung der Frauen geführt hat. Das wäre wenig
tröstlich, wenn es nur vermehrtes Elend und vermehrte Unterdrückung bedeutet hätte, doch glücklicherweise hat es auch zu Widerstand geführt, um
vielleicht so sogar zum Keim einer neuen Gesellschaftsordnung zu werden.
Danke schön.
({4})
Jetzt hat Monika Lazar das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte zum Internationalen Frauentag ermöglicht
es uns, jährlich Bilanz über die Frauenpolitik der Bundesregierung zu ziehen. Als Erstes fällt mir da mein
Lieblingssatz aus dem Bundesgleichstellungsbericht ein:
Die Kosten des gegenwärtigen Nichtstuns übersteigen
die einer zukunftsweisenden Gleichstellungspolitik bei
weitem.
({0})
An das Nichtstun der Ministerin haben wir uns schon
gewöhnt. Aber ich verzweifle immer noch daran, dass
die guten Vorlagen wie der Bundesgleichstellungsbericht
oder der Bericht zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für
gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder nicht genutzt
werden und stattdessen in den Regalen verstauben. Hier
liegen Lösungsvorschläge, die die Ministerin ignoriert,
ja, sie sind ihr noch nicht einmal der Rede wert. Das
Grundgesetz gibt dem Staat einen deutlichen Auftrag,
und der heißt nicht, nichts zu tun, sondern engagierte
Konzepte zur Chefinnensache zu machen.
({1})
Wenn wir uns aber die Frauenpolitik der Koalition der
letzten Jahre anschauen, klafft da nur ein großes
schwarz-gelbes Loch. Wir haben eine uninspirierte
Ministerin, die selbst die positiven Denkansätze der
Frauen in ihrer eigenen Fraktion, zum Beispiel zur Frauenquote, ausgesessen hat. Jetzt ist zu lesen, dass Sie
nicht einmal mehr die Zahlen Ihrer unzureichenden Flexiquote gemeinsam mit den Unternehmen präsentieren
wollen. Das sollen jetzt die Unternehmen alleine machen. Für mich ist das wirklich die endgültige Kapitulation.
({2})
Diese Woche erreichte uns Ihr Vorschlag bzw. Antrag
zur Entgeltgleichheit. Da dachte ich: interessant. Nach
dem Lesen war ich überrascht, dass die Koalition wahrscheinlich endlich einsieht, dass es tatsächlich geschlechtsspezifische Verdienstunterschiede gibt. Das ist
schon mal ein großer Fortschritt. Denn vor einer Woche
- wer bei der Anhörung zu den Vorschlägen der SPD
und von uns Grünen zur Entgeltgleichheit anwesend
war, weiß das - klang das noch völlig anders. Da wurde
das Problem von den Abgeordneten und Sachverständigen der Koalition völlig verdrängt. Das Argument war
immer nur: Die Frauen sind doch selber schuld.
({3})
Im Antrag steht jetzt, dass sogar Erfahrungen aus dem
europäischen Ausland mit gesetzlichen Regelungen zur
Beseitigung der Ungleichheit ausgewertet werden sollen. Okay, aber wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Nein, nur Regelungen zur Transparenz sind geplant.
Klar, alles andere wäre ja zu revolutionär. Nur nicht zu
forsch werden!
Wir Grünen haben ein Entgeltgleichheitsgesetz gefordert, in dem verbindliche Regelungen von den Unternehmen eingefordert werden. Bei diesen vorliegenden Vorschlägen hätten Sie sich in den letzten Jahren einfach
Anregungen holen können. Aber der Antrag der Koalition ist wieder einmal nur mutlos.
({4})
Auch in den anderen Bereichen der Gleichstellungspolitik haben wir in den letzten Jahren umfassende Konzepte
vorgelegt. In unserem aktuellen Antrag, der heute mit
eingebracht wird, können Sie es nachlesen.
Um mit einem Beispiel aus der Seefahrt zu enden:
Dort markiert die Farbkombination schwarz-gelb die
Untiefen und rot-grün das Fahrwasser.
({5})
In diesem Sinne arbeiten wir Grüne weiter an einem Regierungswechsel; denn von der Koalition ist auch in Sachen Frauen- und Gleichstellungspolitik in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl nichts mehr zu erwarten.
Vielen Dank.
({6})
Die Kollegin Ingrid Fischbach hat jetzt das Wort für
die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Politik beginnt immer mit dem Betrachten der
Wirklichkeit.
({0})
Manchmal denke ich mir: Die Kolleginnen und Kollegen
der Opposition, die ich persönlich sehr schätze, nehmen
nicht nur anders wahr, sie wollen auch anders wahrnehmen. Deshalb - das muss ich sagen - leiden Sie teilweise
unter Wahrnehmungsstörungen.
({1})
Liebe Frau Künast, ich fange mit Ihnen an.
({2})
Sie geben mir immer so gute Vorlagen, die ich nicht liegenlassen kann; die muss ich auffangen und wieder an
Sie zurückspielen.
({3})
- Ja, aber lassen Sie uns jetzt einmal über die Punkte reden, die Sie im Sinne von „die Ministerin macht nichts,
wer macht was?“ angesprochen haben. In diesem Zusammenhang haben Sie das Stichwort „Kita“ genannt.
({4})
Nun kann man sagen, der Ausbau der U-3-Betreuung
in der Kita sei in der Großen Koalition verabredet worden. Das ist schön. Da stand es auf dem Papier, und Papier ist geduldig. Die Arbeit aber ist erst in dieser Legislaturperiode gemacht worden.
({5})
Wenn es um die Umsetzung geht - da komme ich gleich
auf Rot-Grün in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen zu sprechen, weil mir das am Herzen liegt und ich
dazu etwas sagen kann -, frage ich: Frau Künast, wer hat
es denn in die Hand genommen, den Kita-Ausbau nun
auch so umzusetzen, dass die Länder nicht mehr aus der
Verpflichtung kommen? Das waren nicht Sie, das war
nicht Rot-Grün, das ist nicht in den von Ihnen regierten
Ländern geschehen, sondern unsere Familienministerin
hat das gemacht.
({6})
Erstens hat sie mehr Geld zur Verfügung gestellt, was
wir gar nicht sollten, Frau Humme, und zweitens hat sie
Sie in Ihrer Landesverantwortung mal wieder daran erinnert, dass Sie ein Versprechen abgegeben haben. Sie haben vonseiten der Länder - und Sie haben in den Ländern ja die Mehrheit - gesagt: Wir wollen mitmachen,
wir wollen den U-3-Ausbau nach vorne bringen. - Wenn
Sie aber in der Verantwortung sind und das umgesetzt
werden muss, dann sagen Sie, liebe Frau Humme, auch
in Nordrhein-Westfalen: Dafür haben wir kein Geld. Wir
kürzen lieber noch ein bisschen. - Soll ich mal eben
nachschauen, wo Sie, die Sie in Nordrhein-Westfalen gesagt haben, kein Kind dürfe verlorengehen, überall gekürzt haben? Ich erinnere auch daran, dass Frau Ferner
und Frau Marks immer gerufen haben: Machen, machen,
machen! - Ich sage Ihnen einmal, was Sie in NordrheinWestfalen anders als die Ministerin gemacht haben, die
gesagt hat: Ich sorge dafür, dass noch Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ich sorge dafür, dass Betriebskosten übernommen werden.
({7})
Das hat es in der Kinderbetreuung noch nie gegeben.
({8})
Sie haben in NRW im Jahre 2011 für die unter Dreijährigen eine Betreuungsquote in Höhe von 16 Prozent
gehabt. Das war der schlechteste Stand in Deutschland,
Frau Humme. So sieht es bei Rot-Grün in dem größten
Bundesland Nordrhein-Westfalen aus.
({9})
Sie sparen in dem Haushalt 8,7 Millionen Euro an Zuweisungen für die Gemeinden ein, die für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf den Kindergartenplatz
und den Kitaplatz vorgesehen waren. 8,7 Millionen Euro
sparen Sie ein! Und dann stellen Sie sich hier hin und
fragen: Wer tut denn was? - Ja, wer denn? Sie nicht! Das
haben Sie bewiesen. Das Handeln liegt bei uns, und das
werden wir auch in Zukunft so halten.
({10})
Denn da, wo Sie Verantwortung haben, tun Sie nichts.
Im Gegenteil, Sie stecken den Kopf in den Sand. Das ist
nicht das, was wir wollen.
Nächster Punkt: Gleichstellungsbericht. Wer hat denn
den ersten Gleichstellungsbericht auf den Weg gebracht?
({11})
Etwa Sie von Rot-Grün in sieben Jahren? In dieser Zeit
gab es hier nur Reden, Reden, Reden. Der erste Gleichstellungsbericht, Frau Künast, auf den Sie sich netterweise auch beziehen, ist unter dieser Frauenministerin
auf den Weg gebracht worden.
({12})
Jetzt geht es darum, daraus auch etwas zu machen.
({13})
Ich lasse mir aber nicht nachsagen, wir hätten nichts gemacht.
Frau Fischbach, Frau Marks würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?
Das finde ich gut; denn sonst wäre ich mit meiner
Rede auch schon fast zu Ende.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich die Zwischenfrage stellen darf.
Liebe Frau Fischbach, Sie haben eben einiges über
den Kita- und den Krippenausbau gesagt. Würden Sie
bestätigen, dass die Frauen- und Familienministerin Frau
Schröder während der letzten Monate, eigentlich während der letzten gut drei Jahre, in diesem Plenarsaal vor
der Öffentlichkeit und auch in öffentlichen Reden immer
wieder gesagt hat, der Bund hat mit den 4 Milliarden
Euro, die die Große Koalition auf den Weg gebracht hat,
genug getan, mehr gibt es von Bundesseite definitiv
nicht? Das ist in den Protokollen mehrfach nachzulesen.
Würden Sie vielleicht auch bestätigen, dass es die Ministerpräsidenten der SPD, nämlich Olaf Scholz aus
Hamburg und der damalige Ministerpräsident Kurt Beck
aus Rheinland-Pfalz, zusammen mit anderen SPD-geführten Bundesländern im Bundesrat waren, die im Rahmen der Verhandlungen des Bundesrates über den Fiskalpakt zusätzliche 580 Millionen Euro hineinverhandelt
und dies als Bedingung dafür genannt haben, dass überhaupt etwas auf den Weg gebracht wird, und dass die
Ministerin diese 580 Millionen Euro, die sie zunächst
kontinuierlich verweigert hatte, erst jetzt im Zuge der
Verhandlungen über den Fiskalpakt bereitgestellt hat?
({0})
Ja, liebe Frau Marks, das ist so mit der Wahrnehmung.
({0})
- Ich streite das gar nicht ab, was Sie sagen.
({1})
Aber mit welcher Dreistigkeit sitzen da Menschen im
Bundesrat und fordern mehr Geld, wenn sie noch nicht
einmal die Zusagen, die sie selbst gegeben haben - es
sollten 4 Milliarden Euro von den Ländern kommen -,
eingehalten haben?
({2})
Das ist eine Dreistigkeit hoch drei.
Nur deshalb, Frau Marks - ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig -, hat die Ministerin an der einen
oder anderen Stelle gesagt: Der Bund hat seine Zusage,
4 Milliarden Euro bereitzustellen, als Einziger eingehalten.
({3})
Die Länder sind ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen und die Kommunen auch nicht - aus welchen
Gründen auch immer; wir kennen sie.
({4})
Wenn die Mittel noch nicht abgerufen waren - jetzt
kann ich wieder auf NRW kommen, diesmal dazu, wie
die Mittel abgerufen wurden ({5})
und die Ministerin sagt: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und bevor wir mehr Geld zur Verfügung
stellen, sollen erst einmal die anderen ihre Aufgaben erledigen“, dann, denke ich, ist das richtig.
Noch einmal zu Ihrer Erinnerung: Der Bund hat mit
der U-3-Betreuung nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({6})
Was wir hier gemacht haben, haben wir gemacht,
({7})
weil wir als christlich-liberale Regierung
({8})
und auch damals in der Großen Koalition gesagt haben:
Wir sehen die Notwendigkeiten der jungen Familie. Kinderbetreuung ist das A und O.
({9})
- Nein, ich bin noch nicht fertig. Frau Präsidentin, ich
bin noch bei meiner Antwort.
({10})
Ich entscheide darüber, wie das mit der Zeit ist, und
Sie antworten weiter auf die Frage. Bei dieser Gelegenheit können Sie gleich sagen, ob Sie auch noch eine
Frage von Frau Dörner zulassen.
Ja, ich rede gerne weiter.
Das machen wir dann so.
Ich wiederhole - darf ich wenigstens das abschließend sagen? -: Es war schon eine Farce, was sich Ihre
Leute im Bundesrat erdreistet und erlaubt haben: statt
erst einmal die eigenen Versprechungen einzulösen,
gleich neues Geld zu fordern. So macht man keine Politik.
({0})
Deswegen ist mir vor dem September dieses Jahres überhaupt nicht bange. - Frau Dörner.
({1})
Frau Dörner, bitte, Ihre Zwischenfrage.
Liebe Frau Fischbach, meine Frage ist sehr schnell zu
beantworten. Würden Sie mir bestätigen, dass auf der
ersten Seite des Gesetzentwurfs, den wir ja hier alle gemeinsam - weitgehend gemeinsam - beschlossen haben,
um dafür zu sorgen, dass die zusätzlichen 580 Millionen
Euro an die Länder bzw. an die Einrichtungen in den
Kommunen weitergeleitet werden können - also in dem
Text, der uns von der Bundesregierung vorgelegt worden
ist -, dargelegt ist, dass die Investitionsmittel aus diesem
4-Milliarden-Euro-Programm den Ländern zu 99 Prozent bewilligt und insofern auch beantragt worden sind?
({0})
Ich gebe Ihnen recht, Frau Dörner.
({0})
Hätten Sie doch nur auch erwähnt, dass ordentlich Druck
von der Bundesebene kommen musste
({1})
und dass die Ministerin die Länder mehrfach angeschrieben hat. Sie haben ja selber vor Ort nachgefragt - auch
Sie kommen ja aus Nordrhein-Westfalen - und wissen,
dass wir selber Druck gemacht und gefragt haben: Warum werden die Mittel nicht abgerufen? Das ist ein Verdienst unserer Familienministerin, und den lasse ich
auch nicht kleinreden, Frau Dörner.
({2})
Meine Damen und Herren, das, was Nordrhein-Westfalen macht, ist nicht gut. Das hat nichts mit Gleichstellungspolitik zu tun. Das hat auch nichts mit Entgeltgleichheit zu tun. Es gibt eine erste Studie - übrigens,
Frau Künast, wurde auch sie von dieser Familienministerin in Auftrag gegeben. Das zeigt: Rot-Grün hat sich
nicht auf den Weg gemacht, die familienpolitischen
Leistungen zu evaluieren; das war für Sie gar kein
Thema. Das ist bei uns passiert.
({3})
- Nein, sie ist nicht geheim. Sie können das nachlesen;
das steht auf der Internetseite des Ministeriums. Die Akzeptanzanalyse hat gezeigt, dass für die Eltern die Kinderbetreuung das A und O ist. Deswegen: Wenn Nordrhein-Westfalen jetzt sagt: „Wir kürzen die Mittel um
einen zweistelligen Millionenbetrag“ und: „Ob bei der
U-3-Betreuung zehn oder 15 Kinder betreut werden, ist
auch egal; da packen wir ein paar mehr dazu“,
({4})
sage ich Ihnen: Das geht nicht. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Eltern. Vor allen Dingen spielt das Kindeswohl
hier überhaupt keine Rolle. So kann man mit Kindern
nicht umgehen. Kinder sind keine Versuchskaninchen.
Das ist mit uns nicht zu machen.
({5})
Meine Damen und Herren, jetzt noch einmal kurz
zum Stichwort Entgeltgleichheit. Wir haben gesagt: Wir
müssen dafür sorgen, dass sich Väter und Mütter auf die
Kinderbetreuung verlassen können. Das ist ein wichtiger
Punkt, um zu gewährleisten, dass es nur wenige Auszeiten gibt. Für uns als christlich-liberale Regierung ist
wichtig, dass wir uns nicht nur zu der Zeit der Geburt eines Kindes kümmern, sondern auch eine Lebenslaufperspektive haben und uns fragen: Wo gibt es in einem
Lebenslauf Brüche, die dazu führen, dass der Lohn bzw.
das Entgelt sinkt? Hier müssen wir ansetzen.
Wir glauben auch, dass es Sinn macht, sich noch einmal speziell mit der Pflegezeit zu befassen.
Die Ministerin hat bereits gesagt, dass die Verdienstunterschiede zu Beginn der Ausbildung mit 2 Prozent
nicht groß sind, aber dann schon in der Kindererziehungsauszeit weiter zunehmen und später im Alter noch
größer werden, wenn die Auszeit länger war bzw. weil
vorrangig Frauen die zweite Auszeit nehmen müssen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir den Blick auf die
Übergänge im Leben einer Frau oder eines Mannes richten. Der Wiedereinstieg ist ein sehr wichtiger Punkt, den
wir in den Blick nehmen müssen.
({6})
Die Ministerin hat das Programm „Perspektive Wiedereinstieg“ auf den Weg gebracht. Damit zeigen wir: Wir
wollen die Möglichkeiten unterstützen, dass Frauen wieder leichter zurück in den Beruf kommen.
Ganz wichtig ist für uns, dass wir eine Bewertung der
typischen Frauenberufe vornehmen. Dabei sind auch die
Tarifparteien und die Tarifpartner gefragt. Hier geht
mein Appell an die Tarifpartner. Meine Fraktion und
auch ich können nicht nachvollziehen, dass Muskelkraft
nur bei Maurern höher bewertet wird. Muskelkraft ist
auch bei einer Pflegekraft wichtig und muss genauso honoriert werden wie im Fall des Maurers.
({7})
Wir wollen nicht, dass Verantwortung für Strukturen
und Maschinen höher bewertet wird. Wir wollen nicht
- auch darin unterscheiden wir uns von Ihnen -, dass
jetzt alle Frauen in die typischen Männerberufe gehen,
sondern dass auch die Berufe, in denen die Übernahme
von Verantwortung für Menschen eine große Rolle
spielt, zu einer Höher- und Besserbewertung kommen.
Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit und des zukünftigen gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Ein letzter Punkt, Frau Präsidentin.
Ein Punkt ist zu viel.
Ein letzter Satz. - Meine Damen und Herren, wir wollen kein Entgeltgesetz, das zu mehr Bürokratiekosten,
Verwaltungsaufwand und zur Einschränkung der Tarifautonomie führt.
Wir wollen im September antreten, und wir werden
im September gewinnen. Denn wir wollen Fortschritte in
der Gleichstellungspolitik.
Frau Kollegin.
Sie haben es schon mit Kanzler Schröder nicht geschafft, der von „Familie und Gedöns“ sprach.
({0})
Wollen Sie jetzt mit Peer Steinbrück antreten, einem
Kandidaten, der - das ist mein letzter Satz - sagt: „Frau
Merkel ist beliebt, weil sie einen Frauenbonus hat“? Mit
dem können Sie antreten. Wir haben keine Angst.
({1})
Willi Brase hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gustav Heinemann, der ehemalige Bundespräsident, hat zur heutigen Thematik seinerzeit ausgeführt
- ich zitiere -:
Gleichberechtigung zielt darauf ab, dass Männer
und Frauen unsere Gesellschaft in voller Gleichwertigkeit dessen, was sie an körperlichen, geistigen und seelischen Verschiedenheiten einbringen,
miteinander gestalten.
Ich finde, damit hatte Gustav Heinemann sehr recht.
({0})
Schauen wir uns die Realität an, dann müssen wir,
wie schon viele Vorredner dargestellt haben, einiges sehr
kritisch zur Kenntnis nehmen. Wenn wir Zahlen aus der
Arbeitswelt betrachten, dann sehe ich wenig, was die
Regierung bzw. diese Koalition auf den Weg gebracht
hat.
({1})
Die Lohnungleichheit ist sehr unterschiedlich. Bei ungelernten Arbeiterinnen liegen die Frauen gegenüber den
Männern um 8,3 Prozent im Minus, bei angelernten Arbeiterinnen um 14,3 Prozent, bei Fachkräften um
11,3 Prozent, bei höher qualifizierten Fachkräften um
14,3 Prozent und bei Frauen in leitender Stelle um
21,3 Prozent. Allein diese Zahlen zeigen, dass in den
letzten dreieinhalb Jahren von dieser Koalition nichts bis
gar nichts gemacht wurde, um dies zu verändern.
({2})
Wie kommt es eigentlich dazu, dass wir nach wie vor
diese Lohnunterschiede haben? Hat das vielleicht auch
etwas mit der Struktur der dualen Berufsausbildung zu
tun? Ist es nicht heute so, dass nur 40 Prozent der neu
abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit jungen
Frauen abgeschlossen werden? 75,4 Prozent aller Ausbildungsanfängerinnen sind in nur 25 Berufen zu finden.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Verkäuferinnen, Arzthelferinnen, Lebensmittelverkäuferinnen
usw. usf. Das sind alles Berufe, teilweise mit zweijähriger Ausbildung. In diesen Berufen sind nachher die Verdienstmöglichkeiten entsprechend schlechter und die
Lohnunterschiede werden deutlich.
Ich finde, hier muss sich etwas ändern. Geschlechtersensibilität bei Lehrerinnen und Lehrern, aber auch bei
den Eltern, was die Berufswahl angeht, ist wichtig. Deshalb begrüßen wir es, dass zumindest neun Bundesländer sich auf den Weg machen und versuchen, mit dem
neuen Übergangssystem hier eine wesentlich stärkere
Spreizung zu erreichen und den jungen Mädchen auch
mehr Chancen auf den Weg zu geben.
({3})
Wir können ein Stück weiter gehen und fragen - das
wurde teilweise schon angesprochen -: Wo bleiben denn
Frauen? Ist es nicht so, dass unsere Gesellschaft ein
Stück weit davon lebt, dass die Frauen Arbeitsplätze einWilli Brase
nehmen und Tätigkeiten ausführen, die schlechter bewertet werden, dass sie ehrenamtlich tätig sind? Wenn
ich nur den Bereich der Erziehung ansehe, muss ich feststellen: Es gibt heute noch Frauen, die haben ihre Kinder
großgezogen und dafür wenig oder nichts bekommen,
und kaum sind die Kinder aus dem Haus, können die
Frauen ihre Eltern, ihre Schwiegereltern pflegen - ein
Leben lang mit wenig Unterstützung, mit wenig Geld.
In dem Gutachten „Neue Wege - gleiche Chancen.
Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf“ wird zu den schlechteren Chancen von Frauen im
Verhältnis zu Männern ausgeführt - ich zitiere -:
Die vollzeitschulische Ausbildung in den personenbezogenen Dienstleistungen zementiert mit uneinheitlichen Qualifikationsprofilen und fehlenden
bundesweiten Standardisierungen den geringeren
Professionalisierungsgrad vieler typischer Frauenberufe.
Das haben wir zu ändern versucht. Bei der Pflegeausbildung hat damals das Bundesland Bayern das Bundesverfassungsgericht angerufen: Zweijährige, teilweise
einjährige Maßnahmen waren das Ziel. Die Professionalisierung und Aufwertung dieser Berufe wie auch deren
bessere Bezahlung ist überfällig.
({4})
Frauen arbeiten mehr in personen- und dienstleistungsbezogenen Berufen. Diese Tätigkeiten werden wesentlich schlechter bezahlt als Berufe, in denen Facharbeiter mit Material, mit Maschinen arbeiten. - Ich sehe
bei der Koalition Nicken. Das ist schön. Aber was ist in
den letzten dreieinhalb Jahren in diesem Verhältnis passiert? Es hat kaum bis gar keine Änderungen gegeben.
Dort müssen wir einiges mehr auf den Weg bringen, sehr
geehrte Damen und Herren.
({5})
Wir wollen, dass an dieser Stelle stärker über die duale
Ausbildung diskutiert und Entsprechendes auf den Weg
gebracht wird.
Kollegin Ferner hat eben darauf hingewiesen, dass die
SPD dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert. Wie
ich vorhin bewusst Gustav Heinemann zitiert habe, so
will ich zum Abschluss meiner Rede noch August Bebel
zitieren, der vor über 100 Jahren Folgendes in seinem
wegweisenden und bahnbrechenden Buch Die Frau und
der Sozialismus ausgeführt hat - ich zitiere -:
Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem
Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke.
Wenn wir es daran messen, haben wir noch verdammt
viel zu tun. Ich bin sicher, nach dem 22. September, in
anderer Konstellation, wird uns das gelingen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nadine Schön hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unsere Debatte findet auch statt mit Blick auf
den Weltfrauentag, der am Freitag kommender Woche,
am 8. März, stattfinden wird. Ich finde, wir sollten an
diesem Tag wenigstens eine Sekunde auch an die Frauen
in der Welt denken, denen es nicht so gut geht wie uns,
die ganz andere Probleme haben als die, über die wir
heute zu Recht diskutieren. Wir sollten am Weltfrauentag auch an die Frauen in der Welt denken, die im Krieg
leben, die Gewalt erfahren, die vergewaltigt werden, die
unter Hunger und Unterdrückung leiden. Der Weltfrauentag ist nämlich nicht nur ein Tag für uns Frauen in
Deutschland, sondern für alle Frauen auf der Welt.
({0})
Wir sind heute sehr auf uns selbst zentriert. Deshalb
möchte ich die Gelegenheit nutzen, um auch noch all
den Frauen in Deutschland zu danken, die in den unterschiedlichsten Verbänden und Berufen für die Gesellschaft arbeiten und sich vor allem auch für Frauen einsetzen. Auch die vielen Frauen, die sich ehrenamtlich für
Frauen einsetzen, sollten am Weltfrauentag nicht zu kurz
kommen. Deshalb von dieser Stelle aus ein herzliches
Dankeschön an diese Frauen!
({1})
Es ist in den Reden, denke ich, sehr deutlich geworden: Es gibt noch viele Probleme in unserem Land, es
gibt noch viel zu tun. Wir haben noch Probleme in Bezug auf die Lohnunterschiede zwischen Frauen und
Männern und die Erwerbsbeteiligung von Frauen, in Bezug auf Frauen in Führungspositionen, und uns eint die
Überzeugung, dass wir noch viel tun müssen.
Wenn ich Ihre Anträge lese, die sehr ausführlich sind,
dann sehe ich, dass wir hinsichtlich des Weges in vielen
Punkten übereinstimmen. Sie schlagen vieles vor, was
auch schon Teil unserer Regierungspolitik ist und was
Sie auch im Koalitionsvertrag finden.
Nadine Schön ({2})
Es ist schön, dass wir in einigen Punkten Übereinstimmung haben, aber wir müssen auch festhalten: Mit
vielem, was Sie vorschlagen, springen Sie zu kurz, und
bei vielen Dingen ignorieren Sie einfach die Realitäten.
Fangen wir einmal beim Thema Entgeltungleichheit
an: Abgesehen davon, dass Frau Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen es scheinbar völlig okay findet, dass
sie ihren Mitarbeitern 4 Euro pro Stunde bezahlt, wie
man kürzlich in der Zeitung nachlesen konnte
({3})
- genau, das kann man in ihrer Stellenausschreibung
noch einmal nachlesen -,
({4})
muss ich Sie zu dem Entwurf für ein Entgeltgleichheitsgesetz, den Sie hier heute propagiert haben, fragen: Meinen Sie wirklich, dass man damit die Entgeltungleichheit
in unserem Land beseitigt?
({5})
Für die, die das nicht wissen, will ich das noch einmal
wiederholen: Bündnis 90/Die Grünen und SPD schlagen
vor, dass in Deutschland zukünftig jedes Unternehmen
ab 15 Mitarbeitern eine Untersuchung durchführen, einen Bericht erstellen und seine Gehaltsstrukturen offenlegen soll.
({6})
Das heißt, über 300 000 Unternehmen in Deutschland
müssten Berichte anfertigen, die dann von der Antidiskriminierungsstelle bewertet werden können.
Meinen Sie wirklich, dass uns 300 000 Berichte weiterbringen? Meinen Sie wirklich, dass die Antidiskriminierungsstelle die richtige Stelle ist, um über diese
300 000 Unternehmen zu urteilen und abschließend zu
entscheiden, ob hier Lohnungleichheit vorherrscht oder
nicht?
({7})
In der Anhörung, die Sie ja eben angesprochen haben,
haben selbst Ihre Sachverständigen gesagt: Die Antidiskriminierungsstelle darf hier nicht das letzte Wort haben.
Das müssen in Deutschland immer noch die Gerichte
entscheiden. Viele Sachverständige haben auch gesagt:
Die Bürokratie, diese Unwucht an Berichten und Überprüfungen, steht wirklich in keinem Verhältnis zum Anspruch und dem an sich lobenswerten Ziel, das Sie verfolgen. Das ist wirklich der falsche Weg.
Ich darf hier eine Überschrift des Spiegels vom
21. Januar 2013 bemühen. Dort stand: „Placebo-Politik“.
Das ist wirklich Placebo-Politik!
({8})
Kollege Brase, Sie haben die Probleme sehr gut geschildert und auch die Ursachen benannt, auf den Gesetzentwurf sind Sie aber gar nicht eingegangen. Deshalb würde mich einmal interessieren, ob alle in der
SPD-Fraktion hinter dem Gesetzentwurf stehen.
({9})
Was zum Beispiel wirklich hilft, ist das Forschungsprojekt „Tarifverhandlungen und Equal Pay“. Vielleicht
kennen Sie das nicht. Sie sagen, das Problem liege in
den Ungleichgewichten zwischen den Frauen- und den
Männerberufen. Deshalb muss man doch gerade bei den
Tarifparteien ansetzen, die diese Bewertung vornehmen.
Deswegen ist das der richtige Ansatzpunkt. Hierauf
müssen wir den Fokus legen. Das sind die Verantwortlichen, und die müssen wir auch in die Verantwortung
nehmen.
({10})
Wir müssen Strukturen ändern. Ich denke, das haben
meine Vorrednerinnen schon sehr gut erwähnt. Mit Placebos und Bürokratie kommen wir hier keinen Schritt
weiter. Wir brauchen Programme für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frau Kollegin
Fischbach ist sehr gut darauf eingegangen, was wir im
Bereich der Kinderbetreuung getan haben.
Wir brauchen Maßnahmen zur eigenen Altersvorsorge von Frauen. Hier muss ich sagen:
({11})
Ab Juli gibt es die Möglichkeit - Sie haben das Betreuungsgeld angesprochen -, das Betreuungsgeld in eine
Rente zu investieren. Sie sagen zu der Frau, die auch
dann noch für ihr Kind da sein möchte, wenn es 12 oder
14 Monate alt ist und gerade laufen und sprechen lernt:
Du hast in Bezug auf deine Rente halt Pech gehabt. Wir
sagen: Du bekommst Geld, das du für deine Rente anlegen kannst. Das hilft konkret gegen den Gender Pension
Gap.
Das ist konkrete Politik und mehr als Lippenbekenntnisse. Darauf sollten wir auch einen Fokus legen.
({12})
Christel Humme hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Frau Schröder, wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass Gleichstellungspolitik in der Regierung
gescheitert ist, dann war es Ihre Rede.
({0})
Denn ich habe gehört, dass Sie erwarten, dass dann,
wenn Ihre Kinder so weit sind, eine Verbesserung eingetreten sein wird: Das heißt: wenn Ihre Kinder und meine
Enkelkinder so weit sind. - Ich sage Ihnen: Ich habe
keine Lust mehr, so lange zu warten. Ich möchte jetzt
Entscheidungen, was ich bei Ihnen absolut vermisse.
({1})
Frau Pawelski, wie oft haben wir hier diskutiert, und
wie oft haben Sie gesagt, die Zeit der Freiwilligkeit sei
vorbei? Da stimmen wir völlig überein. Wir haben die
Erfahrung gemacht: Zwölf Jahre freiwillige Vereinbarungen haben nicht einen einzigen Schritt nach vorn gebracht. Das ist Fakt; das können wir ablesen. Aber gerade weil auch Sie das Ende der Freiwilligkeit immer
eingefordert haben, wundere ich mich, dass Sie einen
Antrag vorlegen, der wieder auf Freiwilligkeit fußt. Ich
denke, da haben Sie überhaupt nichts dazugelernt.
({2})
Wir wissen doch ganz genau: Wir müssen etwas tun,
wir müssen die Strukturen verändern. Das schaffen wir
doch aber nicht mit Freiwilligkeit. Wir wissen doch, warum Frauen benachteiligt sind: wegen der bestehenden
Rahmenbedingungen, wegen der bestehenden Gesetze
und natürlich auch wegen der bestehenden generellen
Strukturen. Frau Laurischk, da nutzt es überhaupt nichts,
zu sagen: Die Männer müssen sich ändern; sie müssen
sich auch der Teilzeitbeschäftigung widmen. - Das werden Sie auf freiwilliger Basis nicht hinbekommen. Warum sollte ein Mann freiwillig seine Macht abgeben?
({3})
Das wird er nicht tun, weil er wie die Frau Angst hat, einen Karriereknick zu erleben, wenn wir die Strukturen
nicht ändern.
({4})
Der schlimmste Fehler, den Sie, Frau Schröder, gemacht haben, ist, dass Sie den Gleichstellungsbericht
noch nicht einmal entgegengenommen haben. Dafür haben Sie Herrn Kues geschickt.
({5})
Sie haben ihn auch nicht gelesen
({6})
und ihn in der untersten Schublade versenkt. Wenn Sie
die Empfehlungen gelesen hätten, wären Sie sicherlich
zu einem ganz anderen Antrag gekommen als zu dem,
den Sie jetzt vorlegen.
Der Bericht zeigt uns doch ganz klar auf, wo es Benachteiligungen gibt. Dort heißt es: Frauen tragen im Lebensverlauf größere Risiken als die Männer. Bei Trennung, Scheidung oder bei Tod des Partners ist ihr Risiko,
arm zu werden, am größten. Die Frauen, die heute im
Rentenalter sind, haben im Lebensverlauf durchschnittlich 58 Prozent weniger verdient als die Männer, und sie
erhalten heute 48 Prozent dessen, was die Männer durchschnittlich an Rente beziehen. - Wenn Sie diese Lebenslaufperspektive aus dem Gleichstellungsbericht angenommen hätten, dann hätten Sie sich sicherlich gefragt,
was Sie tun und nicht nur fordern müssen, und dann hätten Sie einen Antrag gestellt, mit dem diese bestehenden
Ungerechtigkeiten endlich beseitigt werden. Aber Sie legen die Hände in den Schoß und glauben, es bewege sich
freiwillig etwas.
Es wundert nicht, dass in Ihrem Antrag ein konkretes
Leitbild zur Gleichstellung fehlt. Uns ist doch klar:
Echte Gleichstellung gibt es nur dann, wenn Männer und
Frauen die gleichen Chancen haben, eine Arbeit aufzunehmen und für ihre Existenz zu sorgen. Niemand darf
in eine bestimmte Rolle gedrängt werden. Hätten Sie
dieses Leitbild des Berichts angenommen, dann hätten
Sie den Nerv der 80 Prozent Frauen getroffen, die Beruf
und Familie in Einklang bringen wollen und dann hätten
Sie auch den Nerv der Männer, die sich mehr um Familie
kümmern wollen, getroffen. Aber das haben Sie nicht
getan.
({7})
Wir haben ja schon öfter über Ihre Analyse gesprochen. Sogar Sie stellen fest, die größte Ungerechtigkeit
sei, dass sich Frauen in der Teilzeitfalle befinden und
schlechter bezahlt werden als Männer. Aber es gibt keine
Lösung.
Heute hat der Bundesrat den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn beschlossen,
({8})
und zwar auf Antrag von SPD und Grünen.
({9})
- Das Saarland hat zugestimmt. - Wenn Sie das wirklich
wollen, Frau Fischbach, wenn Sie es ernst meinen mit
der Gleichstellung, dann können Sie dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nur zustimmen, weil
der dafür sorgt, dass die Lohnlücke für Frauen geringer
wird, und darum geht es uns. Das wäre ein erster Schritt.
({10})
- Es nutzt gar nichts, dass Sie mich jetzt anschreien.
Stimmen Sie im Bundestag der Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu! Das wäre
ein Beitrag zur Gleichstellung. Schauen Sie, dass Sie in
der Gleichstellung etwas umsetzen, wie wir es in unserem Antrag dargestellt haben. Aber ich glaube, für die
Umsetzung von Gleichstellung ist Schwarz-Gelb einfach
zu schwach.
Danke schön.
({11})
Jetzt hat für die Fraktion der CDU/CSU Rita Pawelski
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
… es ist bestürzend, dass Deutschland EU-weit zu
den Ländern mit den größten Vergütungsunterschieden zwischen Männern und Frauen zählt. Angesichts des internationalen Wettbewerbs um Fachkräfte können wir es uns als Standort Deutschland
nicht erlauben, die Hälfte der Leistungsträger unserer Gesellschaft aufgrund ihres Geschlechts abzuwerten. Frauen und Männer müssen die gleichen
Chancen auf Anerkennung ihrer Leistungen erhalten und auch gleiche Perspektiven.
({0})
Dieses Zitat stammt nicht etwa von einer Frauenrechtlerin oder den üblichen Verdächtigen in Sachen Gleichstellung, Frauenquote oder gleiche Bezahlung. Nein, dieses
Problembewusstsein hat Thomas Sattelberger bewiesen.
Er war bis vor einigen Monaten immerhin Manager eines DAX-Unternehmens, nämlich der Deutschen Telekom.
Dieses Zitat zeigt: Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit ist kein gleichstellungspolitisches Gedöns. Es
geht dabei vielmehr um knallharte Wirtschaftsinteressen.
Es geht darum, dass Unternehmen in Zeiten von demografischem Wandel und Fachkräftemangel attraktiv für
fähige und motivierte Mitarbeiter sind. Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit. Es geht um die Zukunft unseres Landes. Das sollte mittlerweile in den Chefetagen
angekommen sein. Deshalb - das sage ich hier ganz ehrlich - kann ich es nicht verstehen, dass wir uns heute immer noch über Gehaltsunterschiede von Männern und
Frauen unterhalten, trotz Equal Pay Day, trotz Lohntestverfahren Logib-D, trotz der Vereinbarung der Spitzenverbände der Wirtschaft von 2001 auf Chancengleichheit in der Privatwirtschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, jetzt
komme ich zu Ihnen. Damals, 2001, haben Sie regiert.
({1})
Die einzige große frauenpolitische Tat in der SchröderZeit zwischen 1998 und 2005 war, dass Sie versucht haben, der Schröder-Regierung einen frauenpolitischen
Stempel aufzudrücken, indem Sie beantragt haben, dass
Frauen in Führungspositionen stärker berücksichtigt
werden sollen.
({2})
Sie haben sich aber von Schröder in den Senkel stellen
lassen und wurden so klein. Das Elterngeld haben Sie
angekündigt. Wir haben es unter der Merkel-Regierung
umgesetzt. Wir haben doch erst die frauenpolitischen
Maßnahmen durchgeführt,
({3})
die Sie angedacht und angekündigt haben.
({4})
Aber Sie hatten keinen Mumm, sie umzusetzen. Das sind
doch die Fakten.
({5})
Unter Schröder gab es hier in Deutschland doch ein
familien- und frauenpolitisches Loch. Da war doch gar
nichts. Der Macho vor dem Herrn hat Sie doch als Gedöns beiseitegestellt. Da fand nichts statt. Darum finde
ich es ein bisschen vermessen, dass Sie, die Sie jetzt hier
auf den Bänken der Opposition sitzen, dicke Backen machen.
({6})
Sie werfen uns und der Ministerin vor, es sei nichts
passiert. Alles, was im Bereich Betreuung umgesetzt
wurde, wurde jetzt umgesetzt.
({7})
Alles, was wir in Sachen „Frauen in Führungspositionen“ erreicht haben, ist in den letzten Jahren passiert.
Zwischen 2001 und 2010 gab es eine Frau in den Vorständen der DAX-Unternehmen
({8})
- ich beantworte keine Zwischenfragen; ich habe zu wenig Zeit -;
({9})
jetzt gibt es dort 15 Frauen. Das haben wir erreicht - ich
muss sagen: gemeinsam -, indem wir Druck gemacht
haben. Ich gebe ehrlich zu: Das reicht mir nicht. Aber:
Statt einer Frau 15 Frauen, das ist ein Erfolg.
({10})
Wie es auch sei: Dass in Deutschland Frauen weniger
als Männer verdienen, ist ein Skandal. Das sage ich ganz
deutlich. Egal ob 25 Prozent, 22 Prozent, 11 Prozent
oder 2 Prozent - jede Lücke ist eine Ohrfeige für die
Frauen, jede Lücke ist eine Ohrfeige für die Gleichberechtigung. Dieser Missstand hat natürlich auch etwas
damit zu tun, dass Mädchen immer noch die falschen
Berufe ergreifen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich mache seit über 20 Jahren Frauenpolitik. Insofern kenne ich die beliebtesten Berufe der Mädchen.
Diese haben sich in den vergangenen 20 Jahren leider
nicht geändert. Das ist immer noch die Verkäuferin, die
MTA, die Friseurin usw. Das sind die Berufe, die Mädchen bzw. Frauen gerne ergreifen, obwohl man weiß,
dass diese Berufe schlecht bezahlt werden. - Liebe Mädchen, sucht euch bitte auch einmal andere Jobs! Wählt
Männerberufe!
({11})
Es bringt euch nicht weiter, wenn ihr nur reine Frauenberufe wählt.
Natürlich müssen wir auch zusehen, dass diese Berufe
besser bezahlt werden. Ich sage aber ganz deutlich, dass
das nicht Sache der Politik ist. Das ist Sache der Tarifpartner. Diese haben in erster Linie dafür Sorge zu tragen, dass sich die Rahmenbedingungen ändern. Tarifverträge wie die in Sachsen mit einem Stundenlohn einer
Friseurin von 3,60 Euro haben nicht wir, die Politik, abgeschlossen; das waren die Tarifpartner. Wir appellieren
an sie, hier endlich mehr zu tun.
Frau Kollegin!
Darf ich noch einen Satz sagen? - Wir haben schon
oft über Frauen in Führungspositionen geredet. Es wundert mich sehr, dass es gerade in diesem Bereich die
größten Gehaltsunterschiede gibt. Frauen in Führungspositionen bekommen 30 Prozent weniger Gehalt als
ihre männlichen Kollegen.
Frau Kollegin!
Aufgrund dieser Tatsache müsste es doch eigentlich
viel mehr Frauen auf dieser Ebene geben, weil das doch
ein großer Vorteil für die Unternehmen ist.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Peter Tauber das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kollegen und vor allem liebe Kolleginnen! Man muss in der Tat festhalten: Hier sitzen
viele - vor allem Kolleginnen -, die sich schon seit vielen Jahren engagiert um das Thema Gleichstellung kümmern. Diesen Kolleginnen und vielleicht auch dem einen
oder anderen Kollegen, der sich des Themas angenommen hat, gilt ein ordentliches Dankeschön.
({0})
- Immerhin lässt meine Fraktion mich reden, Frau Kollegin. Das ist schon einmal ein großer Vertrauensbeweis.
Dem versuche ich nun auch gerecht zu werden.
Die Wahrheit ist aber auch, dass viele, die sich in den
vergangenen Jahren und vielleicht sogar Jahrzehnten
sehr engagiert darum gekümmert haben, nicht immer die
Aufmerksamkeit für ihr Thema gefunden haben, die sie
sich selbst gewünscht haben. Auch das muss man feststellen.
({1})
Wenn ich mir die Gleichstellungspolitikerinnen und
Gleichstellungspolitiker von Rot-Grün anschaue, habe
ich ehrlich gesagt den Eindruck, dass diese erst seit drei
Jahren so richtig aufblühen bei der Frage, was man alles
machen könnte, was alles notwendig wäre - vielleicht
auch deshalb, weil das zuvor nicht so umgesetzt werden
konnte - lassen Sie es mich ein bisschen zurückhaltend
formulieren -, wie sie es sich vorgestellt haben. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, an Max Weber zu
erinnern. Max Weber hat den wunderschönen Satz geprägt von den dicken Brettern, die man in der Politik
bohren muss. Wir stellen auch bei diesem Thema fest,
dass es dicke Bretter sind, die es zu bohren gilt.
Ich sage aber - das ist ein freundschaftlich gemeinter
Rat, den ich Ihnen als letzter Redner in dieser Debatte
gern mitgeben möchte -: Seien Sie vorsichtig mit vollmundigen Ankündigungen!
({2})
Die Kollegin Pawelski hat es Ihnen bereits zugerufen.
Sie haben einmal einen Kanzler gestellt, der dieses Politikfeld als „Gedöns“ abqualifiziert hat.
({3})
Die Wahrscheinlichkeit, dass es im September für
Rot-Grün reicht - da sind wir alle entspannt -, ist ja
nicht sehr groß.
({4})
Die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen
haben aber einen Kanzlerkandidaten nominiert, der sehr
klar formuliert hat, was er von Entgeltgleichheit mit
Blick auf die Kanzlerin hält. Er hat nämlich gesagt, eigentlich verdiene die Kanzlerin im Vergleich zu ihm,
wenn er einmal Kanzler sei, viel zu wenig. Das ist ein
Verständnis von Entgeltgleichheit, das sehr spannend ist.
({5})
Insofern seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie jetzt vollmundig ankündigen! Sie müssen das erst einmal umset28296
zen. Den Beweis, dass Sie das umsetzen, sind Sie in der
Vergangenheit schuldig geblieben.
Kommen wir einmal zu zwei, drei Aspekten, die in
der Tat wichtig sind.
({6})
Wir haben über die gestiegene Erwerbstätigenquote der
Frauen gesprochen und sind schon auf das Problem eingegangen, dass Frauen dennoch nicht Jobs haben, die
dazu führen, dass sich die Gehaltslücke schließt. Die Gehaltsunterschiede betragen 22 Prozent in absoluten Zahlen und 8 Prozent bei vergleichbarer Qualifikation und
Tätigkeit.
In Ihrem Antrag steht auch wieder der Mindestlohn;
er ist ja Ihr Allheilmittel gegen alles. Die Wahrheit ist
aber, dass die Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden
hat, dass bei den vollzeitbeschäftigten hochqualifizierten
jungen Frauen die Gehaltslücke zu den Herren der
Schöpfung am größten ist.
({7})
Der Mindestlohn ist doch keine Antwort auf diese Feststellung.
({8})
Da ist es wieder, das reflexartige Festbeißen am Mindestlohn.
({9})
- Auch durch Ihre Zwischenrufe wird es nicht richtiger.
Ich versuche einfach, darüber hinwegzureden. Das ist
aber nicht ganz leicht angesichts Ihrer Lautstärke. - Der
Mindestlohn ist hier keine Antwort.
({10})
Es ist zunächst einmal gut, wenn die Erwerbstätigenquote der Frauen steigt. Was wäre denn die Alternative?
Dass sie nicht erwerbstätig sind?
Wir müssen uns auch fragen, was wir vorschreiben,
und berücksichtigen, dass die Prozesse lange dauern.
Das Elterngeld, das hier genannt wurde, ist ein gutes
Beispiel dafür. Es war von Anfang an klar, dass es nicht
von heute auf morgen dazu führt,
({11})
dass alle jungen Väter völlig begeistert sagen: Hurra,
auch ich nehme Elternzeit. - Es war völlig klar, dass die
erste Vätergeneration, die das Elterngeld nutzt, sich ungerechtfertigterweise den einen oder anderen dummen
Spruch hat anhören müssen. Inzwischen ist das Alltag
und Selbstverständlichkeit. Deswegen kann man Impulse setzen. Aber man sollte aufhören, den Leuten zu
suggerieren: Wir beschließen etwas, und die Welt ändert
sich von einem auf den anderen Tag.
({12})
Unsere Gesellschaft ist so nicht. Sie ist vielschichtiger
und vielfältiger.
Es ist gut, wenn die Kolleginnen, die sich schon lange
mit diesem Thema beschäftigen, nicht nur am Rand von
Debattenstunden am Donnerstag spätabends streiten,
sondern auch einmal am Freitag, wenn die Sonne
scheint. Es ist gut, wenn wir uns alle vornehmen, dass
das Thema auf der Agenda bleibt. Aber zu glauben, dass
die Welt von heute auf morgen durch das Umlegen eines
Hebels bunt und gut wird, ist erschreckend naiv.
({13})
Ganz ehrlich: Mit Ihrer Leistungsbilanz aus Ihren Regierungsjahren ist das auch nicht belegbar.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist verabredet, die Vorlagen auf den
Drucksachen 17/12483, 17/12487 und 17/12497 an die
Ausschüsse zu überweisen, die Sie in der Tagesordnung
finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 39 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Dr. Bärbel Kofler, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zukunft des „Energie- und Klimafonds“ und
der durch ihn finanzierten Programme
- Drucksachen 17/10088, 17/10815 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({1})
Otto Fricke
Sven-Christian Kindler
Verabredet ist es, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist auch
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Volkmar Klein hat jetzt
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich habe schon ein bisschen Zweifel, ob es uns wirklich weiterbringt, heute über den Antrag der SPD zur Zukunft des Energie- und Klimafonds
zu reden. Es ist zwar immer schön, wenn sich die Opposition über den Erfolg der Regierung Gedanken macht
und wenn uns die Opposition kritisch begleitet - das
macht ihr gut, das ist auch die Aufgabe der Opposition;
ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Aufgabe auch
wieder so zugeteilt wird -; aber wir als Koalition haben
weitgesteckte Ziele: energetische Gebäudesanierung,
Forschung, weitere Markteinführung erneuerbarer Energien, Schub bei den Speichertechnologien durch Unterstützung der E-Mobilität, internationale Verantwortung.
Dafür ist der Energie- und Klimafonds die richtige und
intelligente Institution. Das hat auch die jüngste Anhörung zum EKF im Juni vor anderthalb Jahren bestätigt.
({0})
Die Einnahmen aus dem Emissionshandel komplett
für Klima und Umwelt einzusetzen, ist einzigartig in Europa. Das ist eigentlich schon ein Stück Wegweisung.
Dieses Sondervermögen bietet Transparenz und verpflichtet auch zur ressortübergreifenden Kooperation;
das ist nicht selbstverständlich. Es besteht die Möglichkeit, bei schwankenden Einnahmen Aufgaben kontinuierlich zu finanzieren. Das macht die Möglichkeit, über
Rücklagen Ausgleiche zu schaffen, gerade interessant.
Klar: In der aktuellen Situation sind Sorgen sehr berechtigt. Die Preise für Zertifikate sind deutlich niedriger, weil die Nachfrage nach ihnen deutlich niedriger ist
als ursprünglich erwartet.
({1})
Man kann natürlich auch sagen: Das ist ein Stück weit
ein Erfolg unserer Umweltpolitik.
({2})
Wenn weniger Verschmutzungszertifikate gebraucht
werden, dann liegen die Gründe in Deutschland, wo die
Wirtschaft gut läuft, offensichtlich im Erfolg der Umweltpolitik. Leider gibt es einen zweiten Grund für die
zurückgehende Nachfrage nach Zertifikaten, nämlich die
Wirtschaftskrise in den anderen europäischen Ländern.
Das ist ein ernstes Problem. Wir beobachten das mit großer Sorge.
Wenn sich aber die Opposition wirklich Sorgen um
die Finanzierung des Energie- und Klimafonds machen
würde, dann hätte sie Ende 2012 nicht die steuerliche
Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen
verhindern dürfen.
({3})
Denn da es nicht zu einer steuerlichen Förderung gekommen ist, müssen wir jetzt zusätzlich 300 Millionen
Euro aus diesem Fonds mobilisieren, der zugegebenermaßen knapp finanziert ist. Das passt doch nicht zusammen: Das eine wird verhindert, und dann wird beklagt,
dass zu wenig Geld im EKF sei.
({4})
Der Verdacht, dass es eher um Show als um Fakten
geht,
({5})
wird an einer anderen Stelle noch ein bisschen untermauert: In 18 teilweise sehr detaillierten Einzelpunkten
dieses Antrags
({6})
werden die internationale Verantwortung sowie die
Klima- und Umweltpolitik gerade noch zweimal erwähnt, aber nur einmal überhaupt vernünftig aufgegriffen. Da fragt man sich doch, ob das nicht eine sehr große
Unausgewogenheit ist und ob niemand aus dem Bereich
der Entwicklungszusammenarbeit in den Reihen der
SPD-Fraktion einmal drübergucken durfte. Dort wird
ständig - ich denke, viel zu häufig - von der ODAQuote geredet, wobei wir insgesamt mehr über Wirkung
und weniger über Geldausgeben reden sollten. Beim
EKF wäre dieses Thema nun einmal wirklich angebracht
gewesen. Aber von diesem Thema steht keine einzige
Silbe in diesem umfangreichen, detaillierten Antrag. Vor
diesem Hintergrund halte ich es schon für berechtigt, zu
sagen: Der Antrag ist völlig unausgewogen. Sie sind nur
an Show interessiert und nicht daran, etwas zu bewegen.
({7})
Da wir schon beim Thema ODA sind: Es wäre für uns
sehr verlockend, zu sagen: Lasst uns doch den Fonds
auflösen und das Geld auf die Einzelpläne verteilen. Der Einzelplan 23, der Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums, wächst ruckzuck auf. Alle belobigen uns.
Aber am Ende wird nichts für die Länder erreicht, um
die es uns geht. Eine solche Show wollen wir nicht. Wir
sind an der Sache interessiert und eben nicht an einer
Show.
({8})
Heute ist es an sich viel zu früh, über den EKF abschließend zu urteilen und seine Finanzierungsmöglichkeiten dauerhaft zu bewerten. Wir setzen darauf, dass die
Euro-Politik der Bundeskanzlerin greift und dass die
Wirtschaft in den anderen Ländern wieder in Gang
kommt. Das wird dann zu einer erhöhten Nachfrage
nach Zertifikaten und auch zu steigenden Preisen führen.
In der jetzigen Situation ein abschließendes Urteil abzugeben, ist von der Sache her nicht korrekt.
Wir sind weiterhin daran interessiert, Wirkung zu erzielen, anstatt eine Show abzuziehen. Wir wollen in der
Umweltpolitik und in der Klimapolitik Wirkung erzielen, in Deutschland, aber, meine Damen und Herren,
auch über Deutschland hinaus. Dafür wird der EKF weiterhin eine vernünftige Grundlage bieten.
Herzlichen Dank.
({9})
Der Kollege Uwe Beckmeyer hat das Wort für die
Fraktion der SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Klein, es ist schön, dass Sie unseren Antrag
gelesen haben, anscheinend aber nur sehr flüchtig. Die
Behauptung, wir hätten die internationalen Verpflichtungen nicht aufgegriffen, trifft nicht zu. In unserem Antrag
steht das deutlich drin, und zwar auf Seite 3; ich will Ihnen das nicht vorlesen. Insofern haben Sie da ein bisschen Schaum geschlagen.
Worum geht es hier? Mit unserem Antrag vom
26. Juni 2012 haben wir Sie, die Bundesregierung und
die sie tragenden Koalitionsfraktionen, darauf aufmerksam gemacht, dass die Zukunft des Energie- und Klimafonds unseres Erachtens arg gefährdet ist. Mitte 2012
waren Sie wahrscheinlich noch auf dem Dampfer, zu sagen: Wir müssen erst einmal warten; wir brauchen Zeit.
Weshalb ist der Energie- und Klimafonds eigentlich
eingerichtet worden? Haben Sie einmal geschaut, was
im Gesetz steht? Seine Funktion ist es, zusätzliche Ausgaben zuverlässig und bedarfsgerecht zu finanzieren.
Das ist Kern des Gesetzes, das Sie beschlossen haben. Es
soll zur Verfügung in den Jahren 2011, 2012, 2013 und
folgende eine zuverlässige Finanzierung ermöglichen.
Was haben Sie erreicht? - Dieses Gesetz floppt auf ganzer Linie.
({0})
Dieses Gesetz ist bei der Finanzierung eines Herzstücks
Ihrer Klimapolitik in Deutschland unzuverlässig.
Nehmen wir einmal das Thema Elektromobilität. Da
machte die Frau Bundeskanzlerin - Sie sprachen gerade
von „Show“ - eine Riesenveranstaltung im Herzen dieser Stadt, mit Unterstützung der großen deutschen Automobilunternehmen, und es wurde die Aussage getroffen,
dass in dieser Legislaturperiode 1 Milliarde Euro zusätzlich bereitgestellt werden solle, um die Elektromobilität
voranzubringen. „Wir haben das Ziel, Leitmarkt für
Elektromobilität zu werden“, so die Kanzlerin. Bis 2020,
so die Ankündigung, sollen 1 Million Elektromobile auf
unseren Straßen fahren. Wir sind Lichtjahre davon entfernt.
({1})
Denn inzwischen ist klar, dass in dieser Legislaturperiode weder das Ziel, 1 Milliarde Euro zusätzlich bereitzustellen, noch das Ziel, 1 Million Elektromobile auf
die Straße zu bringen, erreicht wird. Von diesen Zielen
hat sich die Bundesregierung inklusive der Kanzlerin im
Oktober letzten Jahres auch recht leise entfernt.
Viele andere Projekte, die im Zusammenhang mit
dem Energie- und Klimafonds vorgesehen waren, sind
notleidend. Sie haben 2012 einen Bewirtschaftungserlass des Bundesfinanzministeriums erhalten; ich denke,
er liegt Ihnen vor. Auf den Erlass für 2013 warten wir
noch, weil es in der Bundesregierung Streit darüber gibt,
wie er ausgestaltet werden sollte. Im Erlass für 2012
wurde klargemacht: Es wird nur das ausgegeben, was
eingenommen wird. Diverse wichtige Projekte im Rahmen des Energie- und Klimafonds sind überhaupt nicht
mehr in Angriff genommen worden; sie sind unter den
Tisch gefallen. Man hat nichts mehr getan.
Wenn man auf den Internetseiten des BMF nach Informationen zu diesem Thema sucht, dann stellt man
fest: Nur eine schmale Seite ist noch vorhanden; alle anderen wurden getilgt. Man findet sie auch über die Suche
nicht mehr; sie sind weg. Warum eigentlich? Schämen
Sie sich Ihrer Politik, weil sie nicht finanziert ist? Sie haben den Fehler gemacht, und dieser Bundesfinanzminister - inklusive seiner Kollegen - hat ein Projekt mit dem
Versprechen gegenüber Deutschland und der deutschen
Industrie aufgelegt, dass eine zuverlässige Finanzierung
gegeben ist. Diese zuverlässige Finanzierung ist jedoch
nicht gegeben.
Wir haben hier die Bildung eines Attrappenfonds, der
in diesem Jahr - 2013 - auf 2 Milliarden Euro angelegt
ist. Inzwischen gibt es Erkenntnisse, sogar schriftlich bestätigt von der Bundesregierung, dass man vielleicht mit
1 Milliarde Euro rechnen kann. Ich frage die Damen und
Herren der Bundesregierung, die hier anwesend sind
- Minister sind nicht mehr da, weil das kein wichtiges
Thema ist -, wie denn überhaupt diese Milliarde verplant ist. Ist sie schon durch Vorbelastungen aus den Jahren 2011 und 2012 vergeben? Wenn das der Fall ist
- und es deutet einiges darauf hin -,
({2})
- 1 Milliarde -, heißt das doch, dass Sie 2013 gar keine
neuen Projekte mehr anfangen können.
({3})
Was heißt das eigentlich für die Elektromobilität und die
anderen Schaufensterprojekte Deutschlands, die Sie
stark reduziert haben? Keines dieser Schaufensterprojekte ist durch die Bundesregierung seriös finanziert wegen Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
({4})
Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Sie haben
hier einen Popanz Potemkin’scher Art aufgebaut in einer
Größenordnung von 2 Milliarden Euro. Alle Politiker
aus den Fachausschüssen wurden beruhigt und auf den
Energie- und Klimafonds beim Finanzminister verwiesen. Deshalb solle man in den Fachausschüssen nicht darüber reden. Aber am Ende des Tages ist dieser Finanzminister nicht in der Lage, die Dotation einigermaßen
sicherzustellen. Das ist ein Skandal sondergleichen,
({5})
weil uns dieser Finanzminister an der Nase herumführt.
Dieses Finanzministerium - und damit auch diese Bundesregierung und diese Bundeskanzlerin - erklärt der
deutschen Öffentlichkeit etwas anderes, als es tatsächlich tut. Insofern meine ich, dass klar und deutlich gesagt
werden muss, dass wir bei der Energie- und Klimapolitik
mitten im Tal der Tränen angekommen sind.
Sie sind verantwortlich für das Desaster, in dem wir
momentan mit all diesen Projekten stecken. Das ist
nichts, was man bis zum Wahltag in irgendeiner Form
verstecken kann. Das scheint ja Ihre Methode zu sein:
Wollen wir einmal abwarten. - Ich glaube, Sie müssen
das jetzt wirklich öffentlich kundtun, damit das einmal
bilanziert werden kann. Ich habe Hinweise - wir werden
weiter danach fragen -, dass alles, was Sie momentan
ausweisen können, beileibe nicht ausreicht, um wesentliche Projekte dieses Energie- und Klimafonds in irgendeiner Form zu beginnen und auskömmlich zu finanzieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Energie- und Klimapolitik ist auch in diesem Bereich total
gescheitert und hat eigentlich eine Sechs verdient.
Herzlichen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Florian
Toncar das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es gibt gute Gründe, den von der SPDFraktion vorgelegten Antrag heute abzulehnen.
Es gibt formelle Gründe. Der Antrag, den Sie vorlegen, ist teilweise veraltet, Kollege Beckmeyer. Wenn Sie
den vor Ihrer Rede noch einmal durchgelesen hätten,
hätten Sie das auch gesehen. Er nimmt Bezug auf den
Haushalt 2012. 2012 ist vorbei. Wenn die Regierung hier
noch etwas machen soll, verlangen Sie von der Regierung etwas, was schlichtweg unmöglich ist.
({0})
Auch das, was mit Blick auf 2013 da gefordert wird, ist
nicht mehr aktuell. Letzten Endes hätte man das nicht
heute, sondern noch im letzten Jahr beraten müssen.
Der Antrag ist aber auch inhaltlich wenig glaubwürdig, genauso wie ich das, was Sie, Kollege Beckmeyer,
hier an Rhetorik gewählt haben, etwas schrill fand. Zu
Beginn des Antrags steht der Satz: „Die Bundesregierung gefährdet die Energiewende in Deutschland“.
({1})
Dann kommt eine Kaskade von Katastrophenrhetorik;
ich persönlich glaube, dass die Bürger diese Art von
politischer Kommunikation, diese totale Übertreibung,
mittlerweile leid sind. Das bezieht sich auch auf das, was
Sie hier und heute geboten haben.
({2})
Man muss ganz klar sagen, dass die Fragen, die das
Projekt Energiewende betreffen, also nicht nur: „Will
man raus aus einer Technologie wie der Kernkraft?“,
sondern auch: „Wo kommen die Alternativen her, und
wie kommen die Alternativen dorthin, wo Menschen
wohnen, wo sich industrielle Zentren befinden?“, unter
Rot-Grün nicht wirklich gelöst worden sind,
({3})
auch nicht unter Schwarz-Rot angegangen wurden. Vielmehr wurde das Problem, wo der Strom herkommen
soll, wenn wir Kernkraft nicht wollen, erstmals und systematisch in dieser Legislaturperiode angegangen.
({4})
Da war bei Ihnen totale Fehlanzeige. Ich glaube, dass
das auch einmal gesagt werden muss.
Sie meckern an Vorhaben rum, die wir erstmals systematisch angegangen sind. Das ist der unglaubwürdige
Teil Ihrer Rede.
({5})
Auch wenn man anderswo beobachtet, wie sich die Opposition beim Thema Energiewende verhält, dann muss
man doch die Schlussfolgerung ziehen: Letzten Endes
sind Sie das Problem.
({6})
Ich nenne als Beispiel die energetische Gebäudesanierung, die Sie auch in Ihrem Antrag erwähnen. Sie spielt
bei Ihren drei Forderungen in Bezug auf den Energieund Klimafonds, über den wir heute sprechen, eine
Rolle. Das größte Förderprogramm für energetische Gebäudesanierung hätte die Umsetzung des Vorschlags unserer Regierung, Bürgern, die sich überlegen, ihr Eigenheim zu renovieren, die sich fragen, ob es sich lohnt,
energetisch zu sanieren, eine steuerliche Förderung zu
gewähren, mit sich gebracht.
({7})
Das hätte dem Handwerk geholfen, das hätte der Umwelt geholfen, das hätte eine Menge gebracht. 1,5 Milliarden Euro im Jahr waren vorgesehen, also fast so viel,
wie im ganzen Fonds drin ist, weit mehr, als der Fonds
für die energetische Gebäudesanierung tun kann. Aber
was ist passiert? Das muss man der deutschen Öffentlichkeit einmal sagen: Es waren Frau Kraft und Herr
Kretschmann, es waren Sozialdemokraten und Grüne,
die dieses sinnvolle Programm kaputtgemacht haben.
({8})
Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({9})
Von daher: Legen Sie nicht solche Anträge vor, sondern
sehen Sie zu, dass Sie sich dort, wo Sie Verantwortung
tragen, vernünftig abstimmen.
({10})
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel dafür nennen, warum Rot-Grün ein Problem für die Umsetzung der Energiewende darstellt.
({11})
Es gibt eine unglaublich hohe Subventionierung von
Teilbereichen der erneuerbaren Energien, mit tollen Renditen für Investoren, finanziert von den Verbraucherinnen und Verbrauchern, den privaten Haushalten genauso
wie von Handwerk und Gewerbe.
({12})
Wer ist es denn, der seit über zwei Jahren sagt: „Wir
wollen die Verbraucher nicht entlasten“? Das sind wieder Frau Kraft und Herr Kretschmann, das sind Sozialdemokraten und Grüne im Bundesrat. Ich finde, auch
hier muss sich etwas tun; denn die Rechnung dafür werden am Ende die Verbraucher zahlen. Auch das werden
wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({13})
Wir haben - das ist richtig - im Zuge der Energiewende ein neues Instrument eingeführt, nämlich den
Energie- und Klimafonds. Durch diesen Fonds alleine
werden wir die Energiewende nicht bewerkstelligen
können. Er soll aber ergänzend Projekte finanzieren, die
den Übergang erleichtern. Dieser Fonds ist neu, es hat
ihn früher nicht gegeben, auch zu Ihrer Regierungszeit
nicht.
({14})
Zum Teil wurden Programme übernommen, die es vorher schon gab, zum Teil wurden aber auch zusätzliche
Maßnahmen finanziert. Das ist die Wahrheit.
({15})
Der Fonds wird überwiegend aus Einnahmen aus den
Zertifikaterlösen gespeist, also durch das Geld, das die
Industrie für Zertifikate zahlen muss. In vielen Ländern
Europas - das wissen Sie sicherlich - fließen diese Einnahmen nicht in einen Fonds zur Umsetzung der Energiewende oder zur Förderung des Klimaschutzes, sondern sie gehen direkt in den Haushalt oder an den
Finanzminister. Deutschland hat hier vorbildlich gehandelt,
({16})
indem wir gesagt haben: Die Gelder, die eingenommen
werden, werden wieder zweckgebunden ausgegeben, um
ein sinnvolles Ziel voranzubringen. Das machen viele
andere europäische Länder nicht. Auch das muss man
hier einmal klarstellen.
({17})
Dieses Argument der Zweckbindung spricht für den
Fonds, auch wenn der Fonds derzeit ein Einnahmeproblem.
({18})
Aber das hat - das wissen Sie - mit den Zertifikatepreisen zu tun.
Nun kann man darüber diskutieren, wie das Problem
mit den Einnahmen zu lösen ist. Natürlich kann man sagen: Die Einnahmen sind niedriger, also verknappen wir
die Zertifikate. Was wir zurzeit erleben, ist aber doch
eher ein Beispiel dafür, dass der Emissionshandel funktioniert. Wenn Sie nun Zertifikate vom Markt nehmen,
dann bestrafen Sie die Unternehmen, die in Energieeinsparung investiert haben, doppelt. Sie profitieren nicht
davon; ihre Investition rentiert sich nicht mehr. Wenn
Sie das einmal machen, kann das funktionieren. Aber
spätestens wenn man das einmal gemacht hat, wird
kaum noch ein Unternehmen bereit sein, in weitere
Energieeinsparmaßnahmen, die ja Geld kosten, zu investieren, weil der daraus entstandene wirtschaftliche Vorteil ja auf diese Weise wieder abgeschöpft wird.
({19})
Deshalb bestreite ich auch, dass eine Verknappung von
Zertifikaten am Ende die ökologischen Wirkungen haben wird, die Sie sich davon versprechen. Das kostet
Geld, es zerstört Vertrauen; aber die Umwelt bringt es
am Ende nicht weiter.
({20})
Deswegen müssen wir prüfen, wie der Fonds kurzfristig finanziert werden kann. Dafür kommen einige Mittel
in Betracht,
({21})
zum Beispiel noch vorhandene Rücklagen. Zu fragen ist
auch, ob die KfW einzelne Dinge übernehmen kann
({22})
oder der Bundeshaushalt helfen kann. Das sind Instrumente, die man prüfen kann. Das wird die Regierung
auch tun.
({23})
Ich jedenfalls gehe fest davon aus, dass der Fonds auch
weiterhin funktionieren wird.
({24})
Was uns unterscheidet, Kollege Beckmeyer, ist Folgendes - ich sage das, weil Sie schmunzeln -: Wenn
man Ihren Antrag liest, sieht man, dass Sie da und da
und da mehr Geld fordern, dass Sie der Meinung sind,
dass noch mehr Geld ausgegeben werden muss.
({25})
Wie Sie die Lücke schließen wollen, wird in Ihrem Antrag mit keinem Wort erwähnt. Wortreich formulieren
Sie Vorschläge, die Geld kosten, aber Sie sind wortkarg,
wenn es um die Frage geht, wer das bezahlen soll, wer
die Lasten tragen soll, wer das finanzieren soll.
Wir jedenfalls werden nicht einfach nur kopflos an
der Schuldenschraube drehen
({26})
und die Haushalte wieder in Schieflage bringen, sondern
wir werden das mit unserem Kurs der soliden Finanzen
vereinbaren. Das unterscheidet euch von uns.
({27})
Das unterscheidet Regierung von Opposition. Das ist ein
ganz klassischer Oppositionsantrag, in dem sich um die
unbequemen Fragen im Zusammenhang mit der Energiewende gekonnt herumgedrückt wird. Daher ist dieser
Antrag nicht zustimmungsfähig.
({28})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Der
Energie- und Klimafonds ist eine absolute Fehlkonstruktion. Er trocknet aus. Eigentlich sollten 2 Milliarden Euro
aus dem Zertifikatehandel fließen. Experten erwarten
jetzt nicht einmal mehr die Hälfte. Ich sage Ihnen: Die
Konstrukteure dieses Fonds waren ideologisch verblendet.
({0})
Sie haben sich leichtgläubig auf den Markt verlassen.
Der Markt hat aber nicht funktioniert, sondern versagt.
Jetzt reiben sich die marktgläubigen Politiker verwundert die Augen und sagen: „Lasst uns doch noch ein
bisschen warten.“ Ich glaube, jede Stunde des Wartens
ist eine zu viel.
({1})
Es war ein schwerer Fehler, dass sich die Bundesregierung beim Klimaschutz von den stark schwankenden
Zertifikatepreisen abhängig gemacht hat. Wer sich nämlich nur auf den Markt verlässt und keine anderen Ideen
hat, der ist verlassen.
({2})
Der zweite Konstruktionsfehler ist schon im Namen
des Fonds erkennbar. Wir brauchen nämlich einen Energie-, Klima- und Sozialfonds. Wenn wir unser Leben auf
eine völlig neue Energiebasis stellen wollen, dann planen wir nämlich nicht nur eine Wende, sondern eine
wirkliche energetische Revolution. Wir als Linke wollen
verhindern, dass dabei Menschen unter die Räder kommen, die schon heute nicht genügend Geld zum Leben
haben. Nehmen Sie nur die Rentner: Im Osten haben die
Rentner in den letzten zwölf Jahren 22 Prozent an Kaufkraft verloren. Im Westen haben die Rentner 17 Prozent
- auch das ist viel - an Kaufkraft verloren. Wenn Sie
dann noch die Kosten der Energierevolution auf die
Schultern der einfachen Steuerzahler abladen wollen,
dann produzieren Sie sozialen Sprengstoff. Das ist unverantwortlich.
({3})
Die beiden zuständigen Minister, Herr Altmaier und
Herr Rösler, sind ja nun nicht dafür bekannt, dass sie
diese energetische Revolution sozial gestalten wollen.
Sozial gerechte Politik ist für die Koalition ein Fremdwort. Sie schwanken höchstens zwischen unterschiedlichen Lobbyinteressen. Doch wer Umweltpolitik ohne
Sozialpolitik denkt, der wird scheitern.
Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass
sich die Strompreise in den letzten zwölf Jahren verdoppelt haben. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest:
Das hat ganz wenig mit der Energieumlage zu tun. Die
Wahrheit ist: Die Gewinne der Stromkonzerne sind explodiert. Das muss endlich ein Ende haben. Wir brauchen wieder eine staatliche Strompreisaufsicht.
({4})
Wir wollen, dass ein Energie-, Klima- und Sozialfonds von den chaotischen Marktschwankungen entkoppelt wird. Dieser Schattenhaushalt muss aufgelöst und in
den Bundeshaushalt überführt werden.
({5})
Daher unterstützen wir diese Position im Antrag der
Kollegen von der SPD.
Meine Damen und Herren, wir wollen Transparenz
und finanzielle Solidität. Dafür ist die Koalition, die hier
regiert, aber nicht bekannt. Sie lieben offensichtlich
Schattenhaushalte und fürchten Transparenz wie der
Teufel das Weihwasser. Wir als Linke wollen die energetische Revolution sozial gestalten. Wir wollen einen
Strompreisstopp. Wir wollen die Selbstbedienungsmentalität der Stromkonzerne beenden. Wir brauchen endlich wieder staatlich genehmigte Strompreise.
({6})
Aus diesem Energie-, Klima- und Sozialfonds wollen
wir eine Abwrackprämie für Stromfresser in privaten
Haushalten finanzieren. Wir glauben, dass es eine gute
Idee ist, 200 Euro Zuschuss für den Ersatz von zehn
Jahre alten Geräten zu geben. Das würde nämlich den
privaten Stromverbrauch spürbar senken.
Meine Damen und Herren, wir brauchen auch mehr
Geld für soziale, finanzierbare Gebäudesanierungen.
({7})
Da reichen 1,5 Milliarden Euro nicht aus; 5 Milliarden
Euro sind realistisch. Als Haushälterin habe ich natürlich
belastbare Deckungsvorschläge. Diese Bundesregierung
subventioniert stromfressende Industrien mit 16 Milliarden Euro. Ich bin davon überzeugt, dass man diese Subventionen, ohne einen einzigen Arbeitsplatz zu gefährden, schrittweise abbauen kann.
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Am besten
ist es, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Energiefrage
in die eigene Hand nehmen. Hier, in meiner Heimatstadt
Berlin, läuft im Augenblick ein Volksbegehren zur Schaffung eines kommunalen Energieunternehmens für erneuerbare Energien. Ich glaube, dass das eine hervorragende
Idee ist. Ich schlage allen Berlinerinnen und Berlinern
vor, sich diesem Volksbegehren anzuschließen. Wer noch
nicht unterschrieben hat, sollte es tun. Man findet es im
Internet unter www.berliner-energietisch.net.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Sven Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sehen am Energie- und Klimafonds, was
passiert, wenn man einen Schattenhaushalt gründet. Das
hat die Koalition 2010 gemacht.
Sie hat die Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten in
diesen Fonds gespeist und seinen Umfang an diese gekoppelt. Das war übrigens nichts Neues. Das war vorher
im ordentlichen Bundeshaushalt und stand im Einzelplan 16, dem Einzelplan für Umwelt. Das heißt, man
kann es auch im ordentlichen Haushalt organisieren; das
war keine neue Erfindung von Ihnen.
Wir haben damals schon gesagt: Das ist eine riesige
Mogelpackung. Das funktioniert nicht. Sie haben nicht
die Deckung im Gesamthaushalt, und Sie haben mit viel
zu hohen Preisen gerechnet. Sie haben erst mit 17 Euro
gerechnet. Für 2013 haben Sie dann mit 10 Euro gerechnet, obwohl der Preis 2012 nie bei 10 Euro lag. Im
Durchschnitt lag er bei 7,50 Euro. Jetzt liegt er bei 4 bis
5 Euro. Das heißt, Ihnen fehlt, wenn das so bleibt, 1 Milliarde Euro - 1 Milliarde von 2 Milliarden Euro. Diese
1 Milliarde Euro ist schon aus Vorjahren rechtlich gebunden. Das heißt: Wenn sich nichts ändert, gibt es
de facto einen Förderstopp für neue Programme. Das
zeigt ganz deutlich: Sie fahren die Finanzierung der
Energiewende voll gegen die Wand, und das bewusst.
({0})
Das hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit
nichts zu tun. Das ist keine seriöse Haushaltspolitik. Das
ist aber auch schlechte Umweltpolitik und schlechte
Energiepolitik. Am Energie- und Klimafonds wird nicht
nur deutlich, welche handwerklichen Fehler Sie machen,
indem Sie grottenschlecht agieren und zeigen, dass Sie
es technisch einfach nicht können, sondern auch, dass
Sie - und das ist das Hauptproblem - es nicht wollen.
Sie haben nicht den Willen zur Energiewende. Sie haben
die Energiewende nicht verstanden. Ein Teil Ihrer Koalition hat der Energiewende im Zuge des Atomausstiegs
nur mit der Faust in der Tasche zugestimmt und versucht
jetzt, die Zeit wieder zurückzudrehen.
Was sagen Sie und was machen Sie eigentlich?
Sie als Bundesregierung sagen: Wir legen zusätzliche
Programme im Rahmen des Energie- und Klimafonds
auf. Was machen Sie? Sie kürzen Programme im Haushalt, und Sie kürzen Programme im Energie- und Klimafonds.
Sie sagen: Wir wollen eine Strompreisbremse. Was
machen Sie konkret? Sie vergeben Milliardensubventionen an die Großindustrie und kürzen rückwirkend bei erneuerbaren Energien.
Sie sagen: Wir wollen eine Energiewende. Und was
machen Sie? Sie machen Lobbypolitik für die großen
Stromkonzerne. Ihre Reden sind nichts als Wahlkampftaktik, weil Sie nämlich in Wahrheit Energiepolitik für
die großen Konzerne machen. Sie machen schwarzgelbe Klientelpolitik.
({1})
Jetzt zum Emissionshandel. Da könnten Sie einmal
handeln. Der Emissionshandel liegt am Boden, obwohl
der Ausstoß von Klimagasen in Deutschland 2012 gestiegen ist, und zwar - das Umweltbundesamt hat diese
Zahl gerade veröffentlicht - um 1,6 Prozent. Der Präsident des Umweltbundesamtes hat sich wie der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments zu Recht dafür
ausgesprochen, Backloading zu praktizieren, das heißt,
Emissionszertifikate ans Ende der Periode zu verschieben. Das wäre laut Aussage des Präsidenten der erste
Schritt. Der zweite wäre, die Zertifikate völlig aus dem
Markt zu nehmen, weil nämlich der Markt nicht funktioniert. Man hat viel zu viele Ausnahmen geschaffen, viel
zu viele Schlupflöcher, zum Beispiel für sogenannte
CDMs in Schwellen- und Entwicklungsländern. Deshalb
gibt es keinen Anreiz für Unternehmen, energieeffizient
zu handeln, und der CO2-Zertifikatehandel liegt am Boden.
Was macht jetzt diese Bundesregierung? Sie streitet
sich nur. Diese Woche gab es ein Ministertreffen aus vier
Ministerien: BMWi, BMU, Verkehrsministerium und Finanzministerium. Das Entwicklungsministerium war übrigens überhaupt nicht dabei; es wird völlig außen vor
gelassen. Sie bekommen es nicht hin. Sie streiten sich
weiterhin. Aber man darf nicht vergessen: Die Kanzlerin
duckt sich wieder weg. Die Kanzlerin macht wieder
nichts. Diese Kanzlerin ist eine Antiklimakanzlerin, weil
sie nichts macht. Wir haben in Norddeutschland ein
schönes Sprichwort dafür: Der Fisch stinkt vom Kopf.
So ist es auch bei dieser Bundesregierung.
({2})
- So ist es doch. - Merkel haut die Energiewende gegen
die Wand.
Wir als Grüne bieten eine Alternative. Wir wollen es
wieder ordentlich im Haushalt finanzieren. Wir wollen
Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Investitionssicherheit für die Klimaschutzprogramme, und wir wollen
dies durch den Abbau ökologisch schädlicher Subventionen solide gegenfinanzieren. Es gibt 48 Milliarden Euro
ökologisch schädliche Subventionen, davon wollen wir
kurzfristig 8 Milliarden Euro abbauen. Am Beispiel des
Dienstwagenprivilegs kann man ganz gut sehen, dass
Sozialpolitik und Umweltpolitik gut zusammengehen.
Mit 9 Milliarden Euro wird nämlich die Anschaffung
schwerer Dienstwagen - das sind häufig CO2-Schleudern und Spritschlucker - gefördert.
({3})
Wir wollen jedoch nicht, dass die Kassiererinnen und die
Krankenschwestern die Managerdienstwagen finanzieren. Das ist sozial ungerecht und auch umweltpolitisch
falsch.
({4})
Es lässt sich konstatieren: Sie wollen die Energiewende nicht. Sie blockieren sie, wo Sie können. Das
zeigt sich auch am Energie- und Klimafonds. Für eine
funktionierende Energiewende, für eine sozial gerechte
und ökologische Energiewende ist ein Regierungswechsel notwendig. Dafür streiten wir im Herbst 2013.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
Unionsfraktion.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Ich bin ja ein unverbesserlicher
Optimist. Ich glaube auch an die erkenntnisfortschrittstreibende Wirkung parlamentarischer Debatten, aber dieser Glaube hat heute einen schweren Rückschlag erlitten.
({0})
Der Kollege Volkmar Klein und der Kollege Florian
Toncar haben so überzeugend und schlüssig dargelegt,
({1})
wie das Konzept dieser Regierung und dieser Mehrheit
im Parlament aussieht,
({2})
dass wir uns alle eigentlich den Gefallen hätten tun können, die Debatte an diesem Punkt abzubrechen und nach
Hause zu fahren. Denn damit war alles gesagt, was zu
diesem Thema gesagt werden musste.
({3})
Aber den Grünen und Frau Lötzsch gefällt es, alles Mögliche zusammenzumischen, um für den Bürger möglichst undurchschaubar eine bunte Mixtur von Themen
hier auf den Tisch zu legen, von denen das eine mit dem
anderen nichts zu tun hat und wodurch die Geister nur
verwirrt werden.
Ich will einmal versuchen, deutlich zu machen, worum es hier eigentlich geht. Nachdem wir übereingekommen sind, dass der CO2-Aufwuchs gebremst werden
muss, haben wir uns in Kioto auf die Einhaltung gewisser Klimaziele verständigt. Dann haben wir uns gefragt,
wie wir das am besten in einer marktgerechten Weise
machen, und uns darauf verständigt, einen Anfangsbestand an CO2-Ausstoßrechten festzulegen und diesen
handelbar zu machen. Die Reduzierung von CO2-Ausstoß infolge technischer Fortschritte wird nun in der
Form vergütet, dass freie Zertifikate an andere Firmen,
die noch nicht so weit sind, verkauft werden können.
Das ist ein ausgesprochen ordentlicher und marktwirtschaftlicher Ansatz. Und Marktwirtschaft ist eben das,
was uns erfolgreich macht.
Nun ist bisher von all den Kassandrarufen, die hier
ständig im Plenum von Ihnen zu vernehmen sind, nichts
Wirklichkeit geworden. Im vergangenen Jahr, in 2012,
ist es im EKF, im Energie- und Klimafonds, so gut gelaufen,
({4})
dass 200 Millionen Euro Überschuss übrig geblieben
sind und Rücklagen für dieses Jahr gebildet werden
konnten.
({5})
Diese Zahlen sind Ihnen genauso zugänglich wie mir.
Vielleicht fehlt es Ihnen ein wenig an Deutungshoheit.
({6})
Das hat Ihr Beitrag, Herr Kollege Beckmeyer, jedenfalls
deutlich gemacht. Deshalb will ich es Ihnen hier noch
einmal erklären. Es besteht ja immer eine Chance, dass
man beim zweiten Mal besser zuhört als beim ersten
Mal.
Es gehört zum Wesen des Marktes, dass Preise - je
nach Angebot und Nachfrage - steigen und sinken. Nun
sind wir in der Situation, dass es außer in Deutschland in
nicht furchtbar vielen Ländern in Europa zurzeit gut
läuft. Eigentlich läuft es nur in Deutschland gut; die anderen sind in der Rezession. Man muss ökonomisch
nicht besonders vorgebildet sein, um vorauszusagen,
dass die Nachfrage nach solchen Ausstoßzertifikaten
nicht gerade steigt, wenn die industrielle Produktion
sinkt.
({7})
Das liegt eigentlich auf der Hand.
({8})
Jetzt haben wir aber eine Welt, die komplex ist, und in
der wir nicht nur über ein Thema reden, sondern über
viele Themen. Schwarz-Gelb, die christlich-liberale
Mehrheit in diesem Hause, hat es sich vorgenommen,
die Schuldenbremse ernst zu nehmen, einen strukturell
ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und endlich damit
Schluss zu machen, dass die gegenwärtige Generation
mehr verbraucht, als sie selbst erwirtschaftet, und damit
auf Kosten der nachfolgenden Generation lebt.
({9})
Die Fondskonstruktion ist dafür genau richtig, weil sie
nämlich atmet. Wir können unabhängig von dem, was
wir mit dem EKF für Energie und Klimaschutz tun,
({10})
unser Ziel des strukturellen Ausgleichs des Haushalts
weiterverfolgen. Und wir tun das mit großem Erfolg.
Das werden wir sehen, wenn wir im September den
Haushalt, den diese Bundesregierung vorlegen wird, hier
im Plenum diskutieren werden. Ich hoffe, Sie kommen
auch hinzu und nehmen sich die Zeit dafür; denn auch
das könnte ein Lernfortschritt für Sie bedeuten.
({11})
Wenn ein solcher Fonds geringere Einnahmen aufweist, dann muss man bei den Ausgaben eben auch ein
bisschen bremsen. Wir haben doch die Kioto-Ziele, die
zu erreichen wir international zugesagt haben, erreicht.
Deshalb müssen eben weitere Maßnahmen auf die folgenden Jahre verschoben werden. Wenn die Konjunktur
international wieder anzieht und dadurch die Rechte,
CO2 auszustoßen, teurer werden, sind auch wieder mehr
Möglichkeiten zur Förderung gegeben.
Bisher ist nichts abgewiesen worden. Alle Maßnahmen, die angemeldet worden sind, sind auch durchfinanziert worden. Insofern ist Ihr ganzes Geschrei in diesem
Zusammenhang völlig unangebracht. Es war unangebracht zu dem Zeitpunkt, als Sie den Antrag in den
Geschäftsgang gebracht haben, und es ist heute noch
genauso unangebracht.
({12})
Nur lassen Sie uns doch zunächst einmal die weitere
Entwicklung der Zahlen abwarten.
Sie haben dann angesprochen, dass viele Ressorts beteiligt sind. Dazu muss ich Ihnen sagen: Die Multiressortvorgehensweise, die dem Klimafonds zugrunde
liegt, ist genau die richtige. Wir wollen nämlich nicht
durch die einzelnen Fachpolitiken einzelne Interessengruppen bedienen lassen, sondern wir wollen das Thema
als Querschnittsaufgabe angehen. Wir wollen, dass die
verschiedenen Fachbereiche interdisziplinär zusammenarbeiten, um die besten Lösungen nach vorne zu bringen
und zu fördern. Wir wollen kein Töpfchendenken und
kein Ressortdenken.
({13})
- Auch Ihre Zwischenrufe bringen leider nicht zutage,
dass Sie den Kollegen Volkmar Klein und Florian
Toncar zugehört und etwas von der Sache verstanden
hätten, sondern Sie belegen einmal mehr, dass es Ihnen
hier nur darum geht, ein bisschen Geschrei aufzuführen.
Wenn es denn wirklich so wäre - dies will ich noch
einmal unterstreichen -, dass Sie Luft für alle möglichen
neuen Projekte schaffen wollten, dann hätten Sie doch
Luft schaffen können; und das können Sie immer noch
im Bundesrat. Was ist denn mit den 1,5 Milliarden Euro
für energetische Gebäudesanierung?
({14})
Warum blockieren Sie das? Warum geben Sie das Geld
nicht frei? Damit hätten wir dann wirklich Luft für andere Maßnahmen geschaffen,
({15})
wenn denn welche da sind. Sie können doch nicht eine
beliebige Menge Geld in den Raum stellen und sagen:
Jetzt erfinden wir die Welt neu. - Das muss ingenieurmäßig und wissenschaftlich abgearbeitet werden. Insoweit sind wir da auf einem sehr guten Weg.
Ich möchte Ihnen auch zu all Ihren Überlegungen,
hier weiter zu verteuern und auf eine Übererfüllung von
eingegangenen Zielen zuzusteuern, zu denken geben, ob
das zusammenpasst mit Ihrem Verhalten auf sonstigen
Politikfeldern. Sie sind ja sehr engagiert bei dem Thema,
dass wir eine Null-Zins-Politik brauchen und dass wir
den Ländern, die überschuldet sind, die Zinsen nach unten subventionieren sollen. Das wollen Sie dann wieder
konterkarieren, indem Sie denen die Energie verteuern.
Ich weiß nicht, ob es das richtige Rezept ist, in der Rezession Produktionsfaktoren willkürlich zu verteuern.
({16})
Wir sollten den Ländern, die aus dem Tal herauskommen
und aufholen müssen, die Gelegenheit lassen, dies bei
günstigen Zertifikatspreisen zu tun, statt ihnen ein Zusatzpäckchen auf die Schulter zu legen, was es ihnen nur
schwerer machen würde, aus der Krise herauszukommen.
Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Die
Politik, die die christlich-liberale Koalition mit dem
Energie- und Klimafonds auf den Weg gebracht hat, ist
gut. Sie ist die richtige, weil sie dieses Thema entkoppelt
von der Generationenaufgabe, endlich ausgeglichene
Haushalte zu erzielen, und sie wirkt. Alles, was wir bisher sagen können, ist: Wir haben die Klimaverpflichtungen eingehalten. Es gibt keine Anträge, die wir nicht bedient haben. Wir haben sogar Überschüsse gebildet.
Lassen Sie uns jetzt frohgemut ins Jahr 2013 gehen, das
im Übrigen auch dem Bürger die Chance gibt, über diese
Politik abzustimmen. Ich freue mich auf diese Abstimmung. Ich glaube nämlich, dass sich unsere Politik sehen
lassen kann.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Willsch, ich würde gerne frohgemut ins Jahr 2013 gehen. Aber, mit Verlaub: Wir befinden uns schon seit zwei
Monaten im Jahr 2013, und genau das ist das Problem,
wenn es um den Energie- und Klimafonds geht. Sie stellen sich hierhin und tun so, als sei alles kein Problem
und als sei alles finanziert. Die einzige Frage, die die
Koalitionsfraktionen, die Regierung und Sie als Haushälter beantworten müssen, lautet doch: Woher kommt
das Geld für die von Ihnen in den Wirtschaftsplan eingestellten Projekte? Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Darauf gibt diese Regierung seit einem Jahr keine Antwort.
({0})
Ich kann Ihnen vorlesen, wie sich die Regierung dazu
äußert; vor einem Dreivierteljahr habe ich diese Frage
nämlich gestellt. Kollege Beckmeyer hat ja schon gesagt, wie sich die Zertifikatspreise entwickelt haben. Im
letzten Jahr lagen die Preise bei durchschnittlich
7,50 Euro. Im Juli des letzten Jahres fragte ich die Regierung, welche Erkenntnisse sie dazu hat, was getan
werden muss, um im Durchschnitt des Jahres 2013 auf
einen Preis von 10 Euro zu kommen. Vom Bundesumweltministerium bekam ich die Antwort: Es liegen uns
keine konkreten Berechnungsgrundlagen vor. Aber wir
beobachten den Markt. - Ist das, was Sie gerade machen,
Marktbeobachtung? Anfang dieses Jahres lag der Zertifikatepreis bei 2,80 Euro, und derzeit liegt er zwischen
4 und 5 Euro. Einen Preis von 10 Euro werden wir in
diesem Jahr aber leider nie im Leben erreichen. Vor diesem Hintergrund müssen Sie die Frage beantworten:
Woher kommt das Geld für die Projekte? Oder seien Sie
so ehrlich und sagen Sie, wo Sie kürzen wollen. Das ist
die zweite Antwort, die Sie an dieser Stelle leider schuldig bleiben.
({1})
Jetzt komme ich auf einige Projekte zu sprechen; alle
aufzulisten, wäre ein bisschen viel. Fangen wir mit dem
Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien und mit der Nationalen Klimaschutzinitiative an.
Herr Klein, in unserem Antrag sind drei sehr ausführliche Punkte zur Internationalen Klimaschutzinitiative
enthalten. Als Entwicklungspolitikerin kann ich Ihnen
versichern: Darauf haben wir geachtet.
Weil man ja voneinander und miteinander lernen
kann, beginne ich mit der Situation bei uns in Deutschland. Es wird groß getönt: Aus dem letzten Jahr sind
noch 200 Millionen Euro übrig, und alles ist ganz toll. Schauen wir uns an, was beim Marktanreizprogramm
passiert ist. Die im Umwelthaushalt für dieses Projekt
vorgesehenen Mittel wurden gesenkt. Ganz nebenbei:
Bei diesem Programm geht es darum, wie gerade die
kleinen Leute in unserem Land mehr zur Energieeffizienz beitragen können, indem sie zum Beispiel Wärmepumpen oder Heizkessel austauschen und dadurch ihre
Heizkosten reduzieren. Hier geht es also um eine ganze
Menge sozial, ökologisch und ökonomisch wichtiger
Projekte. Der Wärmebereich ist für die Menschen in diesem Land nämlich ein großer Block. Aber was tun Sie?
Die entsprechenden Mittel im Einzelplan 16 werden gesenkt. In allen Haushaltsdebatten heißt es dann: Das
fließt ja alles in den EKF; das ist alles kein Problem.
Herr Willsch, in den Haushalt des EKF sind im letzten Jahr 100 Millionen Euro eingestellt worden; das ist
das Soll 2012. Beim zugewiesenen Betrag 2012 ist ein
Strich zu finden. Auch beim Ist des Jahres 2012 ist beim
Marktanreizprogramm ein Strich zu finden. Im Rahmen
dieses wichtigen Programms wurde im letzten Jahr also
nichts finanziert. Wenn das so ist, dann können Sie sich
doch nicht hier hinstellen und sagen: Die Mittel sind
ausreichend; denn im letzten Jahr ist ja noch etwas Geld
übrig geblieben. - So doch wohl nicht!
({2})
Ähnliches gilt für die Nationale Klimaschutzinitiative. Auch hier geht es um spannende Projekte, auch um
das Thema, das Ihr eigener Bundesumweltminister als
wichtiges Programm in seinen Zehn-Punkte-Plan aufgenommen hat: den Stromspar-Check. Mit dieser Aktion
kann man gerade einkommensschwache Haushalte dazu
bewegen, einen Beitrag zu mehr Energieeffizienz zu
leisten und sich energiesparende Geräte zuzulegen; man
kann also den Menschen helfen und etwas für die Umwelt tun. Ihr eigener Minister sagt, das sei ein ganz tolles
Erfolgsprojekt; ich jedenfalls habe das immer so vernommen, Herr Staatssekretär. Das sind die Mittel, die im
EKF eingestellt worden sind. Sie sind im letzten Jahr nur
zu einem Drittel abgerufen worden.
Dasselbe gilt für das Thema Kommunen. Sie wollen
soziale und kulturelle Einrichtungen beim Energiesparen
voranbringen, um von den Hallenbädern über die Schulen bis hin zur Straßenbeleuchtung zu mehr Energieeffizienz zu kommen und mehr einzusparen.
Vom Ministerium ist permanent zu hören, dass das
ganz tolle Projekte sind. Darin gebe ich Ihnen zwar
recht. Aber warum werden diese Vorhaben nicht ordentlich finanziert und unterfüttert? Sie haben diese Punkte
doch selbst in den Wirtschaftsplan eingestellt.
Kollegin Kofler, achten Sie bitte auf das Signal, und
kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wer sind
die Gelackmeierten an dieser Stelle? Selbstverständlich
auch wieder die Kommunen.
Von einer Regierung kann man erwarten, dass sie die
Pläne, die sie selbst aufstellt, erfüllt oder, wenn sie sie
nicht erfüllen kann, sagt, wie sie es anders machen
möchte.
Auf all das haben wir von Ihnen keine Antwort gekriegt. Darum ist es gut, wenn Sie ab September nicht
mehr regieren.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der SPD mit dem Titel „Zukunft des ‚Energie- und Klimafonds‘ und der durch ihn finanzierten
Programme“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10815, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10088 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Ingrid
Hönlinger, Markus Kurth, Volker Beck ({0}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Personenzentrierte und ganzheitliche Reform
des Betreuungsrechts
- Drucksachen 17/2376, 17/5323 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden über einen Rechtsbereich, der
potenziell Millionen von Menschen betrifft: das Betreuungsrecht, das Recht auf rechtliche Assistenz und Unterstützung. In diesem Rechtsgebiet haben sich in der vergangenen Zeit zwei große Trends oder Veränderungen
gezeigt.
Zum Ersten besteht seit dem Inkrafttreten der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen über die
Rechte der Menschen mit Behinderungen ein Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht gemäß
Art. 12, ein Menschenrecht auf Zugang zur Justiz gemäß
Art. 13 und ein Menschenrecht auf Freiheit und Sicherheit der Person gemäß Art. 14.
Zum Zweiten wird es ganz unabhängig davon aufgrund der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Zukunft eine wachsende Zahl von Menschen geben, die auf Betreuung oder - so würde ich es
nach dem Diktum der UN-Konvention bezeichnen rechtliche Assistenz angewiesen sind.
Das bringt zum Dritten wahrscheinlich eine Debatte
über die finanziellen Belastungen für die Justizverwaltungen der Länder nach dem Betreuungsrecht mit sich.
Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass dies
stets nur ein Aspekt sein kann und dass es im Wesentlichen auf die individuellen Bedürfnisse der auf rechtliche
Betreuung Angewiesenen und auf die Qualität der Betreuungsleistung ankommt.
({0})
Es mangelt der Bundesregierung nicht unbedingt an
Erkenntnissen. Im Gegenteil: Es gibt einen beachtlichen
Vorlauf an Arbeit, der nun eigentlich in ein Gesetzgebungsverfahren münden könnte. Es gibt die Beschlüsse
der Justizministerkonferenz aus den Jahren 2005 und
2009, eine Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes, und es gibt den sehr interessanten
Abschlussbericht der interdisziplinären Arbeitsgruppe
im Justizministerium. Was ist davon geblieben? Ein zarter Versuch, auf die Debatte einzugehen: durch einen
Gesetzentwurf zur Stärkung der Betreuungsbehörden,
der aber nach massiver Kritik wieder in der Schublade
verschwunden ist.
Was schlagen wir, Bündnis 90/Die Grünen, vor? Wir
wollen zum einen den Aspekt der Erforderlichkeit - das
heißt auch: der Betreuungsvermeidung - betonen. Ich
meine, als Sozialpolitiker müssten wir den Blick sehr
viel stärker auf die Zusammenarbeit zwischen sozialpolitischen Akteuren und Sozialleistungsträgern auf der
einen Seite und der Justiz auf der anderen Seite richten.
Aus der Praxis wird mir vielfach zugetragen, dass aufgrund mangelnder Beratungspflichten seitens der Sozialleistungsträger Anspruchsberechtigte, gerade auch Menschen mit Behinderungen, an der Situation verzweifeln
und sich sogar selber einen Betreuer suchen, um mit den
Behörden vernünftig kommunizieren und ihre Ansprüche durchsetzen zu können. Ich denke, dass der Aspekt
der interdisziplinären Zusammenarbeit viel zu wenig berücksichtigt wird.
Wir machen den Vorschlag, diese Zusammenarbeit in
einem übergreifenden Fallmanagement - in Arbeitsgruppen, in Betreuungsvereinen, in Betreuungsbehörden,
aber auch bei den Sozialleistungsträgern - zu institutionalisieren, um den Bedürfnissen der Personen gerecht zu
werden und um im Vorfeld Betreuung in solchen Fällen
zu vermeiden.
({1})
Trotz der Knappheit der Zeit möchte ich noch auf die
Arbeit der über 800 Betreuungsvereine hinweisen. Sie
sind es vielerorts, die wissen, wo es welche sozialen Hilfen gibt. Sie klären über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen auf und gewinnen und beraten Ehrenamtliche und bilden sie fort. Es ist besorgniserregend,
dass die Betreuungsvereine zunehmend in finanzielle
Schwierigkeiten geraten, weil ihnen die Mittel zur
Finanzierung von Querschnittsaufgaben wie der ehrenamtlichen Betreuung gestrichen werden.
Die Berufsverbände stellen in ihrer verbandlichen
Praxis fest, dass Zahl und Ausmaß der grundrechtsrelevanten Eingriffe bei qualifizierten Betreuerinnen und
Betreuern wesentlich niedriger sind als bei weniger qualifizierten Betreuerinnen und Betreuern. Aus diesem
Grunde sollten wir darüber nachdenken, gesetzliche
Mindestqualifikationen für Berufsbetreuer einzuführen,
insbesondere für anspruchsvolle Betreuung, und auch
auf Spezialisierung setzen. Wir brauchen eine vernünftige Qualitätsdebatte, eine Querschnittsdebatte und eine
Debatte über die Zusammenarbeit in Arbeitsgemeinschaften von sozialer Seite und Justiz. Ich glaube, das
sind wir den Menschen mit Unterstützungs- bzw. Assistenzbedarf schuldig, aber auch den im Betreuungswesen
Tätigen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute über eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2010, die 2011 von der
Bundesregierung beantwortet wurde, und über einen
Entschließungsantrag zum Betreuungsrecht. Ich möchte
an dieser Stelle erwähnen, dass wir genau vor acht Jahren über das Zweite Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts debattiert haben und es nach jahrelangen Beratungen einstimmig beschlossen haben. Das war ein
guter Tag. Wir hoffen sehr, dass wir die Weiterentwicklung des Betreuungsrechts - das ist ein Anliegen von uns
allen - genauso einvernehmlich und gut auf den Weg
bringen werden. Deshalb hoffe ich auf eine gute Debatte.
Wir haben - das ist, denke ich, unbestritten - ein sehr
modernes Betreuungsrecht, mit das modernste in Europa. Dieses gilt es fortzuentwickeln. Dabei ist darauf zu
achten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Menschen
in unserem Land geachtet wird und die Möglichkeiten
einer rechtlichen Assistenz und einer Betreuung genau
abgewogen werden. Wir schauen, dass die Regelungen,
die wir treffen, am besten für die Menschen sind.
Das Gebot der Erforderlichkeit wurde gerade angesprochen. Wir wollen zu einem maßgeschneiderten Konzept kommen, bei dem die Bedürfnisse jedes einzelnen
Menschen - die Assistenz, die er braucht - mit entsprechenden Bausteinen erfüllt werden, bis hin - wenn es
nicht anders geht und die Erforderlichkeit da ist - zu einer kompletten rechtlichen Betreuung. Das selbstbestimmte Leben eines Menschen ist uns sehr wichtig. Die
Aufgabe liegt bei uns, dieses Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung auf der einen Seite und Fürsorge durch den Staat auf der anderen Seite auszubalancieren.
Wenn wir uns die Zahl der Betreuungen anschauen
- Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Kurth -, sehen wir: Seit der letzten Gesetzesänderung im Jahr 2005
bis zum letzten Jahr ist die Zahl der Menschen, die auf
Betreuung angewiesen sind, von 1,2 auf 1,3 Millionen
Menschen gestiegen; diese Zahl steigt nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung stetig. Deshalb
müssen wir schauen, dass wir Regelungen für Qualität
und Umfang der Betreuung finden, die auf die Menschen
zugeschnitten sind.
Für uns ist es wichtig, festzustellen, dass den Menschen, sofern sie volljährig sind und einer Betreuung
oder Begleitung bedürfen, Unterstützungsangebote an
die Hand gegeben werden, die unterhalb der Schwelle
einer rechtlichen Betreuung liegen und, falls nötig, stetig
gesteigert werden können. Ich denke, da liegen wir ganz
nahe beieinander. Wir sind auch der Auffassung, dass
diese Hilfestellung interdisziplinär erfolgen muss. Es
kann nicht sein, dass sie nur im Rechtsbereich erfolgt,
sondern es muss sie auch im Sozialbereich geben. Viele
Akteure müssen mitwirken, um den zu Betreuenden und
den Menschen, die einen Assistenzbedarf haben, eine
wirklich gute Hilfestellung zu geben.
Sie haben die Genese kurz aufgezeigt. Ich möchte
auch noch einmal darauf eingehen: Im Jahr 2005 erfolgte
die zweite Änderung des Betreuungsgesetzes. Danach
hat die zugesagte Evaluierung im Auftrag des Bundesjustizministeriums stattgefunden. Es wurde ein Abschlussbericht vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspraxis vorgelegt. Das war eine sehr breite und
längere Zeit andauernde Evaluierung bezüglich der
Frage, ob das Gesetz fortentwickelt werden muss und,
wenn ja, in welcher Weise. Die Ergebnisse mündeten
dann in eine interdisziplinäre Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht - auch wieder unter Federführung des BMJ -, die auch einen Bericht vorlegte. An
dieser Arbeitsgruppe - das sollten wir an dieser Stelle
nicht vergessen - haben Vertreter der Landesjustizverwaltungen und Landessozialministerien verschiedener
Bundesländer, der Betreuungsbehörden, der Betreuungsvereine und des Deutschen Landkreistages sowie Richter
und Rechtspfleger teilgenommen. Das war also wirklich
eine breit aufgestellte Gruppe. Die Aufgaben waren ganz
klar gestellt: Analyse der Ergebnisse der Evaluation und
der Ergebnisse der Landesjustizministerkonferenzen in
den Jahren 2005 und 2009 sowie Verbesserungen im
Hinblick auf die UN-Behindertenrechtskonvention.
Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden im Oktober 2011 in einem Abschlussbericht veröffentlicht. Darin wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass das derzeitige System der rechtlichen Betreuung in Ordnung ist
und beibehalten werden soll. Hier bestand Konsens. Außerdem bestand Konsens, dass der Bund aufgefordert
wird, Neuregelungen zu treffen, sofern der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz hat, zum Beispiel im Bereich des Behördenbetreuungsgesetzes und
des Familienverfahrensgesetzes. Die Herbstkonferenz
der Justizminister hat dann dem Ministerium konkrete
Arbeitsempfehlungen erteilt, und ein Referentenentwurf
- Sie haben es erwähnt - wurde zur Abstimmung an die
Länder gegeben. Mittlerweile liegt ein abgestimmter Gesetzentwurf im Kabinett, der dort in der nächsten Woche
behandelt wird. Ich denke deshalb, dass wir uns in Kürze
ohnehin wieder mit diesem Gesetzentwurf befassen werden.
Es sind aber weitere Vorschläge aus der Arbeitsgruppe an uns herangetragen worden, die nicht das Bundesgesetz betreffen, sondern bei denen es um untergesetzliche Maßnahmen geht. Diese betreffen natürlich die
Betreuungsgerichte und die Betreuungsbehörden, aber
auch die Betreuungsvereine. Auch das muss in einem
Gesamtkonzept umgesetzt werden.
Die Vorschläge des Bundesgesetzgebers allein reichen hier natürlich nicht aus - hier gebe ich Ihnen recht
-, sondern die gesamten Ergebnisse der Arbeitsgruppe
müssen berücksichtigt werden. Dies muss immer vor
dem Hintergrund geschehen, dass die Eingriffe in das
Selbstbestimmungsrecht der Menschen so gering wie
möglich ausfallen. Hierin sind wir uns ja einig. Wenn es
erforderlich ist, müssen aber alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden - bis hin zu einer kompletten
rechtlichen Betreuung mit allen Möglichkeiten und Erfordernissen, die sich aus einer solchen Betreuung ergeben. Ob es um die Gesundheitsfürsorge, die Vermögensfürsorge oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht geht, all
das muss hier umfasst sein.
({0})
- Ich sage deshalb „oder“, weil es unser Anliegen ist,
dass die Menschen die Bausteine als Hilfe für die Begleitung in ihrem Leben erhalten, die sie benötigen. Hier
gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn jemand zwar
eine Gesundheitsbetreuung benötigt, sein Aufenthaltsbestimmungsrecht aber noch selbst wahrnehmen kann,
dann steht Letzteres auch nicht zur Diskussion. Wir sollten doch bei der Sache bleiben. Ich glaube, Polemik ist
bei diesem Thema ohnehin nicht angesagt.
({1})
Die vorgelagerten Systeme in diesem Bereich beinhalten Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmachten
und Begleitung durch Vertreter anderer Disziplinen. Es
ist für uns ganz wichtig, dass wir diese Bereiche stärken,
um möglichst von einer Berufsbetreuung wegzukommen. Die Zahl der Berufsbetreuer steigt bislang stetig.
Es war damals unser Petitum, die ehrenamtliche Betreuung durch die Betreuungsvereine zu stärken. Wenn es
hier einen Finanzierungsbedarf gibt - auf das Thema Finanzierung komme ich gleich zurück -, dann müssen wir
darauf unser Augenmerk richten. Ich bitte deshalb, bei
allen gemeinsamen Bestrebungen den Blick nicht nur
auf den unbedingten Sparwillen der Länder zu reduzieren. Dieser ist unbestritten gegeben, aber hier stehen der
Schutz der Menschen und die Fürsorge des Staates und
nicht das Geld der Länder an erster Stelle. Das möchte
ich also bitte nicht darauf reduziert wissen.
({2})
Das Gesetz, das jetzt auf den Weg gebracht werden
soll, dient der Stärkung der Betreuungsbehörden. Dazu
gehört, dass wir die Aufgaben der Betreuungsbehörden
gesetzlich festlegen und dass beispielsweise die Betreuungsbehörden - das steht dann im FamFG - vor einem
betreuungsgerichtlichen Verfahren angehört werden
müssen. Man ist schon im Vorfeld bemüht, kein Gerichtsverfahren durchzuführen, sondern unterschwellige
Maßnahmen zu ergreifen. Auch der Rahmen für die BeUte Granold
richte, die die Betreuungsbehörden den Gerichten geben,
wird im Gesetz verankert. Es wird klar festgelegt, wie
strukturiert ein solcher Bericht sein muss, um eine Entscheidungsgrundlage für das Betreuungs- bzw. Familiengericht, aber auch für Sachverständige zu sein, wenn
Gutachten eingeholt werden.
Dann ist es natürlich selbstverständlich, dass es eine
Kooperation zwischen dem Gericht und den anderen
Disziplinen gibt. Diese Kooperationspflicht soll auch
verankert werden.
Da sich die Betreuungsbehörden immer mehr mit
Vorsorgevollmachten befassen müssen - es war damals
unser Wunsch, als wir die Regelung getroffen haben,
dass für Vorsorgevollmachten geworben wird; das haben
wir alle auch getan; die Vorsorgevollmachten greifen -,
besteht natürlich Beratungsbedarf. Die Betreuungsbehörden erbringen Leistungen, indem sie die Bevollmächtigten beraten, wie mit Vorsorgevollmachten zum Beispiel im medizinischen Bereich umzugehen ist. Hier
bedarf es einer exakten Beschreibung der Aufgaben der
Betreuungsbehörden, aber auch mehr finanzieller Ressourcen und Fachkräfte, die in der Lage sind, die Menschen, die aufgrund einer Vorsorgevollmacht vorstellig
werden, zu begleiten. Sonst würde das ganze System der
Vorsorgevollmacht, das wir alle wollten, überhaupt keinen Sinn machen. All das ist Inhalt des Gesetzes, das
nun auf den Weg gebracht werden soll. Das, was Sie zu
Recht einfordern, ist also bereits aufgenommen.
Wir sollten aber auch daran denken, dass wir bereits
das eine oder andere auf den Weg gebracht haben, was
zum Teil mehr oder weniger erfolgreich war. Im Januar
haben wir eine Regelung nach der Vorgabe des BGH
verabschiedet unter der Maßgabe, dass diese Regelung
auch verfassungskonform ist. Wenn eine ärztliche Behandlung stattfinden soll, der zu Behandelnde aber nicht
einsichtig ist, dann hat der Betreuer die Aufgabe, zu entscheiden. Die dafür notwendige gesetzliche Regelung
wurde auf den Weg gebracht. Das hat der Bundestag entschieden. Damit haben wir hier einen Teil dessen, was
von der Arbeitsgruppe gefordert wurde, umgesetzt.
Leider hat es nicht funktioniert - das hätten wir gern
sehr schnell gemacht -, das Anliegen der Berufsbetreuer
aufzugreifen, die Vergütungssätze anzuheben. Schon bei
der ersten Beratung im Jahr 2005 hatten die Berufsbetreuer die finanzielle Ausstattung moniert. Wir hatten
eine Evaluierung zugesagt und wollten erreichen, dass
die Umsatzsteuerpflicht für Berufsbetreuer entfällt. Aber
leider Gottes ist dieses Anliegen, das wir alle unterstützt
haben und das im Jahressteuergesetz hätte geregelt werden müssen, im Vermittlungsausschuss gekippt worden.
Das heißt, wir haben keine Verbesserung für die Berufsbetreuer durchsetzen können. Wir wollen nun auf anderen Wegen die finanzielle Ausstattung verbessern. Denn
wenn die Berufsbetreuer bzw. die Betreuungsbehörden
mehr Aufgaben erhalten, muss auch die finanzielle Ausstattung stimmen. Da müssen wir noch einmal nachjustieren und sehen, welchen Weg die Koalition und vielleicht auch dieses Haus gehen kann, um hier relativ
zügig dem Anliegen Rechnung zu tragen und für eine
Verbesserung zu sorgen.
Wir haben also insgesamt noch einiges vor uns. Ich
hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode noch dazu
kommen, das Betreuungsrecht in den Punkten, die von
der interdisziplinären Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgezeigt wurden, sowohl auf bundesgesetzlicher Ebene
als auch auf untergesetzlicher Ebene zu ändern. Damit
könnten wir für die Menschen einen maßgeschneiderten
Rahmen schaffen, von der Sozialassistenz bis hin zu einer kompletten rechtlichen Betreuung. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen ist für uns unabdingbar.
Wir wollen als Gesetzgeber die notwendige Begleitung
geben und ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei der letzten
Änderung erreichen. Kollege Stünker und Kollege Jerzy
Montag waren diejenigen, die damals als Berichterstatter
das in langen Verhandlungen auf einen guten Weg gebracht und eine einstimmige Entscheidung zugunsten
der Menschen ermöglicht haben.
Nochmals: Das Betreuungsrecht in Deutschland ist
eines der modernsten in Europa. Es wird als gut empfunden. In diesem Sinne sollten wir weitermachen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Sonja Steffen für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bandbreite der gesetzlichen Betreuungsfälle ist vielfältig.
Herr Müller erkrankte mit 18 Jahren an einer Schizophrenie. Frau Meier ist 21 und lebt seit zehn Jahren in einem Heim für mehrfach behinderte Menschen, und Herr
Fischer findet sich aufgrund einer fortgeschrittenen Altersdemenz im Leben nicht mehr zurecht. - Drei Menschen, drei Schicksale, individuell und nicht zu vergleichen, und doch haben sie wahrscheinlich eines gemein:
Sie brauchen Unterstützung, um mit den Anforderungen
des Alltags fertigzuwerden. Das Amtsgericht muss für
sie einen Betreuer bestellen, der für sie Entscheidungen
in ihrem Sinne trifft. Das können Geldgeschäfte sein.
Das kann die Bestimmung des Aufenthaltsortes sein,
und das sind viele weitere Behördengänge.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in einer
Großen Anfrage 50 Fragen zur Reform des Betreuungsrechtes gestellt. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Die Antworten der Bundesregierung liegen vor und bieten uns
Anlass, darüber nachzudenken, ob und in welche Richtung das Betreuungsrecht reformbedürftig ist.
Ich möchte hier einige Punkte dieser Großen Anfrage
aufgreifen. Dazu gehört für mich als Erstes das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen. Gegenwärtig
ist es so: Ist für einen Menschen eine gesetzliche Betreuung ausdrücklich für alle Angelegenheiten angeordnet,
entfällt nach unserem derzeitigen Bundeswahlgesetz das
Wahlrecht. Wir schließen damit eine sehr große Gruppe
von Menschen von vornherein von der politischen Beteiligung aus.
({0})
Die Bundesregierung hat auf die Frage nach der Vereinbarkeit dieses Zustandes, die die Grünen gestellt hatten,
mit dem Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention nur ausweichend geantwortet.
({1})
Aber Art. 29 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht
vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen
Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt
mit anderen wahrnehmen können. Darüber hinaus verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten, Menschen
mit Behinderungen im Bedarfsfall und auf Wunsch zu
erlauben, dass sie sich durch eine Person ihrer Wahl bei
der Stimmabgabe unterstützen lassen. Deshalb fordert
meine Fraktion in einem Antrag, dass hier eine Änderung erfolgt.
({2})
Es ist nicht tragbar und mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar, dass Menschen mit bestimmten Behinderungen automatisch vom Wahlrecht
ausgeschlossen sind. Wir fordern, dass eine Betreuung
kein Ausschlussgrund für die Wahl sein darf und dass
die Unterstützung bei der Stimmabgabe für alle Menschen mit Behinderungen ermöglicht wird.
({3})
Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen möchte
- er ist schon vorhin von meinen Vorrednern angesprochen worden -, betrifft andere Hilfen, vor allem zur Vermeidung einer gesetzlichen Betreuung. Wir haben es
schon gehört: Es ist leider so, dass die Betreuungszahlen
in Deutschland ständig steigen. Eine verbesserte soziale
Arbeit und gut vernetzte Strukturen können erheblich
dazu beitragen, in vielen Fällen eine Betreuung zu vermeiden. Denn die gerichtliche Anordnung einer rechtlichen Betreuung führt aufgrund der Vertretungsbefugnisse des rechtlichen Betreuers immer zu einem
schwerwiegenden Eingriff in die Autonomie eines erwachsenen Menschen. Die rechtliche Betreuung ist daher stets nachrangig gegenüber anderen, insbesondere
sozialen Hilfen.
Hier hat mein Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, 2008 ein Projekt gestartet, von dem Sie wahrscheinlich schon gehört haben. Es trägt den Namen „Betreuungsoptimierung durch soziale Leistungen“. Die
Ergebnisse dieser Studie liegen vor. Sie zeigen zum einen zwar, dass man in der kurzen Zeit nachhaltige Erfolge nicht erzielen konnte. Dies war allerdings aufgrund
der kurzen Dauer des Projektes, 2008 bis heute, auch
nicht zu erwarten.
({4})
Andererseits kommt die Studie zu folgendem Ergebnis
- ich zitiere jetzt die CDU-Justizministerin in Mecklenburg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder -:
Wir brauchen gut funktionierende Betreuungsbehörden. Dazu müssen auch die bundesgesetzlichen
Rahmenbedingungen … verbessert werden.
Wir haben es schon gehört: Es liegt ein Referentenentwurf zur Stärkung der Funktion der Betreuungsbehörde aus dem BMJ vor; auch Frau Granold hat vorhin
darauf hingewiesen. Allerdings muss ich Ihnen sagen:
Weitreichende Verbesserungen erhoffe ich mir hiervon
nicht; denn die Studie aus Mecklenburg-Vorpommern
hat weiterhin ergeben, dass der Abbau sozialer Dienste
völlig kontraproduktiv ist.
({5})
Wir wissen es alle: In nahezu allen Sozialleistungsbereichen bestehen gegenwärtig ein hoher Kostendruck
und ein Problem hinsichtlich der Zuständigkeiten. Zwischen den Trägern findet aufgrund bestehender Überlastung und aufgrund mangelnder Durchsicht durch die
Zersplitterung der Leistungsbereiche zu wenig Kooperation statt. Die SPD-Fraktion fordert daher neben dem
Ausbau statt dem Abbau sozialer Dienste eine Revision
des SGB IX. Die Eingliederungshilfe, die bislang im
SGB XII untergebracht ist, gehört ins SGB IX. Damit erreichen wir eine einfachere Zuordnung und eine einfachere Anwendung der verschiedenen Möglichkeiten der
sozialen Hilfen.
({6})
Dies hilft nicht nur den Betroffenen bei der Suche nach
Hilfe. Eine erleichterte Kooperation und eine auf Beratung, Prävention und soziale Teilhabe zielende Politik
kann darüber hinaus Kosten in deutlicher Höhe sparen.
Die Behindertenbeauftragte der SPD-Fraktion, meine
Kollegin Silvia Schmidt, hat an anderer Stelle schon einmal auf erfolgreiche Projekte hingewiesen. Ich verweise
auf das Bielefelder Modell und auf die Wohnberatung
des Kreises Unna. Durch eine gute Präventionsarbeit
konnten innerhalb von zwei Jahren 58 Heimeinweisungen verhindert und damit Kosten von über 2 Millionen
Euro eingespart werden.
Meine Damen und Herren, ursprünglich hatte ich beabsichtigt, an dieser Stelle weitere Ausführungen zum
Persönlichen Budget zu machen, weil mir das ein besonderes Anliegen ist. Ich versuche, in der Kürze der Zeit
darzustellen, was damit gemeint ist. Ich bin überzeugt
davon, dass die meisten Zuhörer auf der Tribüne gar
nicht wissen, was das ist. Das ist traurig, aber wahr.
Das war eine gut gemeinte Idee, die wir mit auf den
Weg gebracht haben. Das Persönliche Budget folgt dem
Prinzip: Geld statt Sachleistung. Es sollte aus Hilfeempfängern eine Art Arbeitgeber machen. Was steckt dahinter? Es war so gemeint, dass der Betreute das Persönliche Budget beispielsweise für Hilfen im Haushalt,
Behördengänge, Arztbesuche, Fahrdienste oder KinoSonja Steffen
und Theaterbesuche verwenden kann. Leider ist aus diesem Projekt bislang noch viel zu wenig geworden.
({7})
Auf Ihre diesbezügliche Frage, meine Kollegen von
den Grünen, hat die Regierung nur geantwortet, dass es
in diesem Zusammenhang Gespräche zwischen dem
BMAS und dem BMJ gebe. Das ist uns viel zu dünn.
({8})
Das letzte Thema, das ich hier noch kurz ansprechen
möchte, betrifft die Stellung der ehrenamtlichen Betreuer und der Berufsbetreuer. Frau Granold hat schon
darauf hingewiesen: Im System ist vorgesehen, dass die
ehrenamtlichen Betreuer Vorrang vor den Berufsbetreuern haben. Man soll also erst versuchen, ehrenamtliche
Betreuer zu finden, bevor man auf die Berufsbetreuer
zurückgreift.
In der Praxis ist es so, dass rund 70 Prozent aller Betreuungen ehrenamtlich durchgeführt werden. Ich denke,
das ist auch gut so. Die meisten Betreuten wünschen sich
eine persönliche Betreuung von jemandem, der sie
kennt. Deshalb unterstützen wir dieses System nach wie
vor.
Andererseits darf es nicht so sein, dass man kategorisiert nach dem Prinzip, dass ehrenamtliche Betreuer gut
und billig und Berufsbetreuer böse und teuer sind, handelt. Das ist keineswegs damit gemeint. Sicher ist es so,
dass sich die meisten Menschen eine Betreuung durch
einen Angehörigen wünschen. Es gibt aber auch Fälle
- das sind meistens die komplizierten Fälle -, bei denen
eine Berufsbetreuung erforderlich ist.
Ein Gegeneinander beider Gruppen wird schon
deshalb keine Zukunft haben können, weil die massive
Zunahme an Hilfsbedürftigkeit der Schwächsten der
Gesellschaft nach einer konzertierten Aktion verlangt.
Wir müssen überlegen, ob das gegenwärtige Vergütungssystem für die Berufsbetreuer noch gerecht ist. Es
darf nämlich nicht sein, dass der tatsächliche Zeitaufwand, den Berufsbetreuer für die Betreuung benötigen,
in keinem Verhältnis zu dem pauschalierten Zeitbudget
steht. Insofern ist aus unserer Sicht eine weitere Forschung dringend erforderlich mit dem Ziel, Kriterien für
eine mehr einzelfallbezogene Typologie der Bezahlung
zu erarbeiten.
In einem sind wir uns wahrscheinlich alle einig: Wer
ehrenamtlich eine Betreuung wahrnimmt, verdient unsere höchste Anerkennung. Darüber hinaus müssen die
Berufsbetreuer die Möglichkeit haben, jedem Betreuten
ohne Zeitdruck die notwendige Zuwendung zukommen
zu lassen.
({9})
Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass der Entschließungsantrag der Grünen unsere Zustimmung finden wird.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Steffen, Ihre Aussage, dass Menschen mit
Behinderung kein Wahlrecht haben, trifft nicht zu.
({0})
Im Betreuungsrecht gibt es zwar eine Regelung, die
vorsieht, dass Menschen, die in allen drei festgelegten
Belangen unter Betreuung stehen, vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Grundsätzlich haben Menschen mit
Behinderung in unserem Land aber das Wahlrecht.
Bevor ich in die Thematik einsteige, möchte ich Ihnen
einen Blog-Eintrag vorlesen:
Es ist einfach gut zu wissen, dass es jemanden gibt,
den man bei Problemen, z. B. mit Anträgen, anrufen kann oder der einen bei Behördengängen begleitet. Ich finde es auch super, dass mir durch die
Betreuung nicht alles einfach nur abgenommen
wird, was mich wiederum in eine Art Abhängigkeit
treiben würde …
Diese Aussage stammt aus einem Internetforum zur
gesetzlichen Betreuung. Es wird deutlich, dass unser
Betreuungsrecht Menschen hilft, die aufgrund einer Behinderung oder einer psychischen Erkrankung auf die
Unterstützung bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten
angewiesen sind.
Menschen mit schwerer Demenz, Menschen im
Wachkoma, Menschen mit geistiger Behinderung oder
Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen Unterstützung - und das in unterschiedlichem Umfang.
1,3 Millionen Menschen stehen in Deutschland unter
Betreuung. Maßgeblich für eine Entscheidung, eine Betreuung zu verhängen, ist, ob eine Person aufgrund der
Behinderung oder Erkrankung die Angelegenheiten
selbst erledigen kann, ohne Gesundheit, Vermögen oder
andere Rechtsgüter zu gefährden. Eine bewusste Selbstschädigung eines Menschen hingegen wäre kein Grund
für eine Betreuung. Die Betreuung muss per Gerichtsbeschluss verhängt werden. Es muss auch darüber
entschieden werden, in welchen Aufgabenkreisen die
Betreuung erfolgen soll: Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge oder Wohnungsangelegenheiten.
Drei Aspekte machen das Wesen des Betreuungsrechtes aus: erstens Schutz, zweitens Fürsorge und drittens
Selbstbestimmung. Dabei steht das persönliche Wohlergehen der Menschen im Vordergrund. Angeordnet
werden soll die Betreuung nur dann, wenn sie wirklich
erforderlich ist.
Es ist bereits gesagt worden: Das deutsche Betreuungsrecht ist im internationalen Vergleich sehr angesehen. Es gilt als modern, weil das Selbstbestimmungsrecht an oberster Stelle steht, und es entspricht der UNBehindertenrechtskonvention.
Eine Beobachtung, die heute schon mehrfach geäußert worden ist, sollte uns nachdenklich machen: Das ist
die Erhöhung der Fallzahlen. Hier müssen wir schauen,
ob nicht durch den Einsatz von Beratung und Assistenz
etwas geleistet werden kann, was im Grunde den
gleichen Zweck erfüllt, nämlich die Menschen zu unterstützen.
An dieser Stelle hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht gute Arbeit geleistet.
Hieran war das Bundesjustizministerium maßgeblich
beteiligt. Es ging darum, wie das Betreuungsrecht weiterentwickelt werden kann und wo es verbessert werden
kann.
Im Abschlussbericht, der im Oktober 2011 vorgelegt
wurde, wird eine Verbesserung des Betreuungsrechtes an
der Schnittstelle zu anderen Hilfen für notwendig erachtet. Unser Sozialrecht ist derart kompliziert, dass es
mitunter nicht so einfach ist, sein Recht zu bekommen.
Also, die Handhabbarkeit ist sehr wichtig. Es muss
darum gehen, Unterstützung und Hilfsangebote für Menschen mit Behinderungen zu bekommen.
Wir wollen letzten Endes dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen nicht im Dschungel der Behörden verloren gehen, sondern dass sie auch zu ihrem
Recht kommen können. Gleichzeitig warne ich aber
davor, die rechtliche Betreuung grundsätzlich infrage zu
stellen. Es geht nicht darum, Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zu diskriminieren, ihr Recht auf
Selbstbestimmung zu beschneiden oder ihnen ihre Freiheit zu rauben. Manche Menschen sind aufgrund von
Behinderung oder schwerer Erkrankung nicht oder kaum
in der Lage, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Diese Menschen dürfen wir nicht allein lassen.
Diese Menschen sehen in einer Betreuung keine Bevormundung, sondern eine echte Hilfe.
Inklusion würde falsch verstanden, wenn notwendige
Hilfen und Unterstützungen abgelehnt werden. Inklusion
heißt, Menschen auch im Alltag und bei ihren persönlichen Angelegenheiten zu helfen. Deswegen habe ich hin
und wieder Probleme mit den Argumenten der Grünen.
Ich denke, dass das Betreuungsrecht sehr wohl in Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht.
Wir wollen erwirken, dass die Menschen Rechts- und
Handlungsfähigkeit haben. Der gesetzliche Betreuer
leistet hier eine wichtige Arbeit.
Ich schließe mich den Zielen und Vorschlägen der
Bundesjustizministerin an. Es ist wichtig, qualifizierte
Kriterien für den Bericht der Betreuungsbehörde gesetzlich festzulegen und die Aufgaben in einem Betreuungsbehördengesetz zu konkretisieren. Es geht auch darum,
andere Hilfen als die gesetzliche Betreuung aufzuzeigen
und zu prüfen, inwiefern sie zur Umsetzung des Ziels
der Selbstbestimmung beitragen können. Ich bin mir sicher, dass das bald vorzulegende Gesetz zur Stärkung
der Funktion der Betreuungsbehörden genau diese
Punkte mit umfasst. Es geht darum, die Betreuung ständig zu verbessern und fortzuentwickeln und zu einer
wirklichen Verbesserung für die Menschen mit Behinderungen in unserem Land zu kommen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Beim Betreuungsrecht
geht es darum, wer ganz am Ende das Sagen hat: der
Helfer oder derjenige, dem geholfen werden soll?
Momentan ist es so, dass der Helfer das Sagen hat, also
vormundschaftlich. Auf Treu und Glauben oder gemeinsam auf Augenhöhe? Das ist die Frage im Betreuungsrecht.
({0})
Es geht, so gesehen, um Sein oder Nichtsein der UNBehindertenrechtskonvention; die Art. 12 bis 14 sind
vom Kollegen Kurth schon genannt worden.
Es geht um 1,3 Millionen betroffene Menschen in
Deutschland, um eine Steigerungsrate an Betreuungsfällen von 110 Prozent innerhalb von 15 Jahren, um
rasant wachsende Betreuungszahlen unter Jugendlichen
und um zunehmende Beschwerden über die Betreuerinnen und Betreuer. Deshalb begrüßen wir euren Entschließungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen. Er stellt die regierungsamtliche Selbstgefälligkeit öffentlich auf den Prüfstand. Zitat:
Das deutsche Betreuungsrecht gilt als eines der modernsten Rechtsinstrumente dieser Art in Europa.
Das ist heute schon mehrfach gesagt worden. Das
stimmt, das mag ja sein. Aber es ist noch längst nicht auf
dem Stand der UN-Behindertenrechtskonvention.
Mit der Abschaffung der Vormundschaft, so heißt es
in der Antwort der Bundesregierung auf die vorliegende
Große Anfrage, sei die Regierung schon lange einen
Weg gegangen, auf dem jetzt die internationale Staatengemeinschaft folgen wolle. Bedauerlicherweise ist das
Vormundschaftsrecht nicht abgeschafft, sondern nur abgemildert worden.
Liest man die Antworten genauer, so zeigt sich, dass
die Worte „Vertretung“ und „Unterstützung“ synonym
verwendet werden, als läge in dieser Unterscheidung
nicht gerade ein Großteil des Problems.
({1})
Wer vertreten wird, ist Objekt. Als Subjekt wird der
Mensch unterstützt, nicht aber vertreten.
Fragen Sie doch einmal die Angehörigen sterbender
Eltern, die, mit ihrer Betreuungsvollmacht in der Hand,
entscheiden sollen, ob ihre Väter oder Mütter am Bett fixiert werden dürfen oder nicht. Sie wissen nicht, ob sie
für ihre Eltern entscheiden. Sie wissen aber, dass sie
über ihre Eltern entscheiden, und quälen damit sich
selbst und die Eltern.
Oder ein nicht weniger krasses Beispiel: Ein Mensch
mit Behinderung, der dem Betreuungsrecht unterworfen
ist, darf nicht einmal selbst entscheiden, ob sie oder er
Mitglied eines Behindertenverbandes werden oder bleiben darf. Wenn dem Betreuer die 4 Euro Mitgliedsbeitrag zu viel sind, bestimmt er vormundschaftlich, also
endgültig, dass die Mitgliedschaft in der eigenen Interessen- oder Selbsthilfeorganisation unnötig sei. Das ist
Vormundschaftlichkeit und kein modernes assistierendes
Betreuungsrecht.
Mir scheint allerdings, der Entschließungsantrag
bleibt in einer grundlegenden Frage der Regierungslogik
verhaftet, wenn er die Betreuung und Assistenz weiterhin gleichwertig nebeneinanderstehen lässt. Reicht es
wirklich, nach Modellen rechtlicher Assistenz zu fragen? Wir, die Linke, wollen ein Recht, das assistierende
Begleitung in den Mittelpunkt stellt und regelt und die
vormundschaftlichen Betreuungsmaßnahmen wirklich
ausschließt. Weniger Sanktionen, mehr rechtliche und
soziale Bildung. Darüber sind wir alle uns offensichtlich
einig. Diese Forderung des Entschließungsantrags unterstützen wir ausdrücklich. Wir meinen damit nicht nur die
Assistentinnen und Assistenten; auch Staatsanwälte,
Richter, Behörden und Sozialarbeiter gehören dazu.
Wir meinen aber auch, dass es dazu gehört, eine menschenrechtliche Grundlage zu bilden, das Recht zu vereinfachen sowie Beratungsstrukturen flächendeckend
und kostenfrei bereitzustellen. Angehörige und nahe
Freunde brauchen mehr Ressourcen, um flexibler begleiten zu können. Dazu gehören auch Lohnausgleich und
Supervision, wann immer das erforderlich ist.
Die Linke forderte schon bei der Ratifizierung der
UN-Behindertenrechtskonvention, das Betreuungsrecht
erheblich zu ändern und von der Vormundschaft zu befreien. Betreut oder begleitet, vertreten oder unterstützt das ist ein grundlegender Unterschied in der Verfasstheit
eines Lebens.
({2})
Hier steht nicht nur unser Menschenbild, sondern auch
unser Freiheitsverständnis auf dem Prüfstand. Es geht
um Partizipation und Emanzipation. Es geht darum, uns
selbst ernst zu nehmen, jede und jeden, jeden Tag.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12539. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. März 2013, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute.