Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm heute zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren. Alle guten Wünsche!
({0})
- Das leuchtet unter jedem Gesichtspunkt ein. Genießen
Sie diesen Tag in vollen Zügen in der dafür bestmöglichen Umgebung.
({1})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zur vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft
und Ehe als Konsequenz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
({2})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 41
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Meeresforschung stärken - Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern
- Drucksache 17/9745 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen
- Drucksache 17/12300 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz
Thönnes, Dr. Rolf Mützenich, Christoph Strässer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Viola von CramonTaubadel, Volker Beck ({5}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umfassende Modernisierung und Respektierung der Menschenrechte in Aserbaidschan
unabdingbar machen
- Drucksache 17/12467 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Ergänzung zu TOP 42
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Einhundertzweiundsechzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste
- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -
- Drucksachen 17/12001, 17/12114 Nr. 2.1,
17/12448 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer
ZP 4 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsaus-
schusses
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({8}) zu dem Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens ({9})
- Drucksachen 17/7746, 17/10158, 17/10768,
17/12463 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({10}) zu dem Gesetz zur Begleitung der Verordnung ({11}) Nr. 260/2012 zur
Festlegung der technischen Vorschriften und
der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung ({12}) Nr. 924/2009
({13})
- Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395,
17/11938 17/12464 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({14}) zu dem Gesetz zur Umsetzung
des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in
der Rechtssache C-284/09
- Drucksachen 17/11314, 17/11717, 17/11718,
17/11940, 17/11950, 17/12465 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Position der Bundesregierung zur Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns
ZP 6 Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes
- Drucksache 17/12033 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15})
- Drucksache 17/12400 Buchstabe a Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Dr. Christel Happach-Kasan
Cornelia Behm
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martin
Schwanholz, Manfred Nink, Wolfgang Tiefensee,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM({16}) 897 endg.; Ratsdok.
18960/11
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
Kommunale Versorgungsunternehmen stärken - Formale Ausschreibungspflicht bei
Dienstleistungskonzessionen insbesondere für
den Bereich Wasser ablehnen
- Drucksache 17/12519 ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren ({17})
- Drucksache 17/9666 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({18})
- Drucksache 17/12525 Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Kirsten Lühmann
Manuel Höferlin
Wolfgang Wieland
ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunftspflicht von Bundesbehörden gegenüber
der Presse ({19})
- Drucksache 17/12484 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({20})
Ausschuss für Kultur und Medien ({21})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 23 und 41 d werden abgesetzt.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der am 25. Oktober 2012 ({22}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Kultur und Medien ({23}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Nicole Gohlke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes - Störerhaftung
- Drucksache 17/11137 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({24})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Der am 21. Februar 2013 ({25}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({26})
zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung und Regulierung einer Honorarberatung
über Finanzinstrumente ({27})
- Drucksache 17/12295 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({28})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen einverstanden sind. - Das sieht so aus. Jedenfalls ist kein
Widerspruch erkennbar. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel ({29})
- Drucksachen 17/11631, 17/11874 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({30})
- Drucksache 17/12536 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass diese
Aussprache 90 Minuten dauern soll. - Auch dazu kann
ich Einvernehmen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesfinanzminister Harmut Koschyk.
({31})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Verabschiedung des Gesetzes zur Vermeidung von
Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel errichten wir heute einen weiteren wichtigen Baustein in
der Brandmauer, die uns wirksamer als in der Vergangenheit vor künftigen Finanzkrisen schützen soll.
Auf diesem Weg ist die Bundesregierung gemeinsam
mit den sie tragenden Koalitionsfraktionen ein gutes
Stück vorangekommen. Wir haben uns von Anfang an
für einen wirksamen europäischen und internationalen
Rahmen bei der Finanzmarktregelung eingesetzt. Wir
sind auf diesem Weg auch in Europa und auf der G-20Ebene Schrittmacher gewesen. Wir sind auf nationaler
Ebene oft vorangegangen, haben Leerverkäufe verboten,
Ratingagenturen reguliert, den Handel mit außerbörslich
gehandelten Derivaten transparenter gemacht, und
Deutschland hat massiv einen Beitrag dazu geleistet, die
europäische und deutsche Aufsichtsstruktur neu zu ordnen. Bereits 2010 haben wir Banken und Versicherungen
verpflichtet, angemessene, transparente und nachhaltige
Vergütungssysteme einzuführen. Wir haben den Anlegerschutz verbessert, und wir haben mit unserem Restrukturierungsgesetz und unserer Bankenabgabe den
Masterplan für die Regelung geschaffen, die jetzt auf europäischer Ebene ansteht.
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist einfach unverständlich, dass dieser erfolgreiche Weg
von der Oppositionsseite immer wieder mit Mäkeleien
und Kritteleien bedacht wird.
({1})
Hätten Sie in Ihrer Regierungszeit hier gehandelt, wäre
Deutschland, Europa und der Welt viel erspart geblieben.
({2})
Wir haben die Lehren aus der Finanzkrise gezogen
({3})
und seit Beginn dieser Legislaturperiode einen wichtigen
neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte geschaffen. Dabei lassen wir uns von klaren Prinzipien leiten,
die ineinandergreifen, und haben einen konsistenten
Ordnungsrahmen gebildet. Grundprinzip unseres Handelns dabei ist, dass Gewinnchancen und Haftung wieder eng beieinander liegen müssen.
({4})
Wir freuen uns, dass auf europäischer Ebene die Trilogverhandlungen über die Umsetzung von Basel III vor
einem Abschluss zu stehen scheinen. Denn eines ist klar:
Ein zentraler Punkt dieses Ordnungsrahmens muss die
Bankenregulierung sein, und dazu ist es unerlässlich,
dass das haftende Kapital der Banken schrittweise erhöht
wird.
Wir haben Anfang Februar einen Gesetzentwurf zum
Trennbankensystem vorgelegt, in enger Absprache mit
Frankreich. Dadurch wollen wir erreichen, dass Risikobereiche von Banken vom Einlagengeschäft getrennt
werden. Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir die sogenannte Too-big-to-fail-Problematik an. Aber - das hat
eine Fachanhörung gestern im Finanzausschuss zum sogenannten Liikanen-Bericht ganz deutlich gemacht - es
geht oftmals nicht nur um die Frage: Ist ein Institut zu
groß, um es fallen zu lassen? Es geht oftmals auch um
die Frage: Wie vernetzt, wie zusammenhängend sind die
Institute? All diese Fragen gehen wir in diesem Gesetzentwurf an.
({5})
Auf unserer Agenda steht auch eine gemeinsame Aufsicht über bedeutende Banken in Europa. Wir konnten bei
den europäischen Verhandlungen hier zentrale Anliegen
durchsetzen. Dies betrifft zum einen die klare Abgrenzung der Aufgaben zwischen EZB und nationalen Behörden gemäß dem Prinzip der Subsidiarität. Es war gut und
richtig, dass wir uns dafür eingesetzt haben, dass nur
große, systemrelevante, in grenzüberschreitendem Geschäft tätige Banken in Europa unter die europäische Aufsicht kommen, dass aber zum Beispiel unsere Sparkassen
und Genossenschaftsbanken, die ein stabiler Eckpfeiler
des Mittelstandsfinanzierungssystems in Deutschland
sind, nach wie vor unter unseren bewährten nationalen
Aufsichtsstrukturen stehen.
({6})
Ganz entscheidend ist für uns bei den neu zu schaffenden europäischen Aufsichtsstrukturen die weitgehende
Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik gewesen,
wie sie sich gerade auch im Bereich der deutschen Aufsichtsstrukturen bewährt hat.
Mit dem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter
Lesung verabschieden, wollen wir den Gefahren des sehr
schnellen Computerhandels begegnen und damit wieder
für mehr Stabilität und Integrität der Finanzmärkte sorgen. Denn - das ist nicht zu leugnen - der zunehmende
Hochfrequenzhandel hat die Geschwindigkeit und Komplexität des Handels in den letzten Jahren drastisch erhöht. Wir erinnern und alle noch an extreme Börsenszenarien, bei denen es in wenigen Minuten zu gravierenden
Marktausschlägen kam, etwa beim sogenannten Flash
Crash im Mai 2010. Da konnten wir erleben, wie durch
den computergesteuerten Hochfrequenzhandel extreme
Kursbewegungen ohne jeglichen Bezug zu realwirtschaftlichen Entwicklungen verstärkt wurden.
Zu dem Gesetz, das wir heute hier verabschieden, gehören erstens Mechanismen, die bei hohen Preisschwankungen den Handel vorübergehend aussetzen.
Zweitens sorgen wir dafür, dass bei einer übermäßigen Inanspruchnahme der Handelssysteme durch häufiges Einstellen, Ändern oder Löschen von Aufträgen in
Zukunft besondere Kosten fällig werden.
Drittens müssen Händler darauf achten, dass das Verhältnis von Orderanfragen und tatsächlichen Handelsabschlüssen nicht zu weit auseinanderklafft.
Viertens wird dem Trend zu immer mehr Geschäftsabschlüssen, bei denen minimale Preisunterschiede ausgenutzt werden, durch die Einführung von Mindestpreisänderungen entgegengewirkt.
Wir haben uns - auch aufgrund der Ausschussberatungen - sehr genau überlegt, ob wir in dieses Gesetz
eine Mindesthaltedauer für Wertpapiere aufnehmen. Die
unterschiedlichen Aussagen der Sachverständigen bei
der Ausschussanhörung haben deutlich gemacht, dass
sich die Folgen und vor allem der Nutzen einer Mindesthaltedauer schwer abschätzen lassen. Wir setzen daher
im Gesetzentwurf auf Maßnahmen, die negative Folgen
des schnellen Computerhandels wirksam einbremsen.
Wir wissen, dass es über die Frage einer Mindesthaltedauer auch auf europäischer Ebene, zum Beispiel im Europäischen Parlament, unterschiedliche Auffassungen
gibt.
({7})
Aber eines ist klar, verehrte Kolleginnen und Kollegen:
Einem solchen Instrument kann man, wenn überhaupt,
nur nähertreten, wenn es europaweit eingeführt wird.
Eine isolierte nationale Einführung würde überhaupt keinen Sinn machen. Denn wir haben auch eine Verantwortung für den Börsenstandort Deutschland.
({8})
Deshalb gehen wir hier wieder einmal voran. Wir prägen mit dem, was wir auf den Weg bringen, den europäischen Ordnungsrahmen. Ich kann an die Opposition nur
appellieren: Gehen Sie endlich mit uns diesen Weg mit!
({9})
Beschränken Sie sich nicht auf kleinliche Krittelei, sondern sehen Sie die Größe und Bedeutung dieser Aufgabe, und versagen Sie sich der Mitwirkung nicht!
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Sieling für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat handelt es sich bei dem sogenannten Hochfrequenzhandel
um eine erst in den letzten Jahren entwickelte Form des
Handels an den Börsen, der mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vor sich geht. Es geht hierbei um MilliDr. Carsten Sieling
sekunden, nicht um Sekunden - von Minuten oder Ähnlichem reden wir überhaupt nicht -, also um
Millisekunden, in denen der Handel vollzogen werden
soll. Das ist ein stark und schnell wachsendes Segment,
gerade übrigens für hochliquide Anlagen von großen
Unternehmen. 70 Prozent des Börsenhandels in den
USA und 40 Prozent des Börsenhandels in Europa werden so abgewickelt.
Es ist richtig, hier eine Regulierung anzusetzen. Es ist
richtig vor dem Hintergrund der Gefahren, der Crashs,
der Unfälle mit gewaltigen Wertvernichtungen, die schon
passiert sind. Deshalb muss hier endlich eingegriffen
werden. Aber man muss sich natürlich fragen, was für
eine Regulierung hier vorgelegt wird und ob dadurch
wirklich durchgegriffen wird.
Ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren und
Herr Staatssekretär, Ihr Gesetzentwurf, den Sie hier einbringen, wird nichts anderes bewirken, als dass einige
Registrierungen erfolgen und sicherlich eine Übersicht
über den Bereich geschaffen wird; aber die Geschwindigkeit und die Gefahren werden dadurch nicht beeinträchtigt.
({0})
Um einmal im Bild zu bleiben: Sie fassen nicht die
Computer an, sondern Sie wechseln nur die Monitore
aus. - Es geht hier darum, mit Hochgeschwindigkeit umzugehen. Das kann man nicht mit einigen Etiketten und
einigen wenigen Maßnahmen, die keine Überzeugungskraft haben, angehen.
Das Ganze hat einen wichtigen Hintergrund. Wenn
Sie in Ihr Herz hineinschauen, müssten Sie sich eingestehen, dass Sie diesen Handel gar nicht wirklich durchgreifend beschränken und regulieren wollen.
({1})
Das hängt damit zusammen, dass Sie den Nutzen des
Hochfrequenzhandels, dieses hyperschnellen Börsenhandels, deutlich überschätzen und die Risiken unterschätzen. Die Folge ist, dass Sie uns ein Regulierungsvorhaben vorlegen, wie wir es aus vielen Bereichen
kennen. Bei Ihnen fehlen durchgängig Stringenz und
Durchgriff. Dies bräuchten wir aber, um wirklich wieder
Ordnung auf den Finanzmärkten herzustellen.
({2})
Ich muss sagen, Herr Staatssekretär, dass es wohlfeil
ist, sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir sind diejenigen, die die Maßnahmen angegangen sind, und zwar seit
2009, seitdem wir regieren. - Das ist genau die Phase,
nachdem die G 20 die entscheidenden Beschlüsse gefasst haben.
({3})
Das ist aus zwei Gründen wohlfeil.
Der erste Grund ist, dass man schon in den Jahren
vorher, als Sie gemeinsam mit uns in der Großen Koalition regiert haben, eingreifen und schneller hätte etwas
machen müssen. Man hätte es auch machen können.
Aber Sie haben hier blockiert. Wir hätten viel mehr machen können.
({4})
Der zweite und entscheidende Grund, Herr Kollege,
ist: Vorher gab es in der Tat eine Phase, in der weltweit
liberalisiert wurde. Heute weiß man, dass das nicht richtig war. Aber wir haben damals in der Regierung gemeinsam mit den Grünen wenigstens dafür gesorgt, dass
beispielsweise Hedgefonds keine großen Möglichkeiten
in Deutschland bekommen. Wir wollten diese Heuschrecken nicht.
({5})
Sie - die FDP vorneweg, die Union hinterher - haben
versucht, uns hier im Parlament zu zwingen, an dieser
Stelle mehr zu machen.
({6})
Früher so und heute anders zu reden, das ist nicht glaubwürdig, meine Damen und Herren;
({7})
Sie haben hier nämlich nicht den Vertrauensvorsprung,
den man braucht. Das zeigt sich leider auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, an Ihren Gesetzentwürfen. Ich will
an einigen Punkten deutlich machen, wo wir die Probleme des vorliegenden Gesetzentwurfes sehen.
Sie greifen beispielsweise das Thema auf, dass
90 Prozent der Orders, die getätigt werden, storniert
werden und so Scheinliquidität erzeugt wird. Sie wollen
dieses Problem mit der Festlegung eines sogenannten
Order-Transaktions-Verhältnisses angehen; das ist gut.
Aber Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf nicht - Sie weigern sich, da heranzugehen -, wie dieses Verhältnis aussehen soll; das ist schlecht. Sie überlassen diese Regelung nicht dem Gesetzgeber, sondern wollen, dass das
hinterher über die Aufsicht und auch über die Börsen
selber reguliert wird.
({8})
Da sage ich: Wenn die, deren Geschäft das ist, selber regulieren, dann kann dabei nichts Ordentliches herauskommen. Von daher sind Sie inkonsequent und lassen
den Honigtopf für einige wenige unberührt stehen.
({9})
Es ist doch so: Es gibt den Irrglauben, ganz viele würden von diesem Computerhandel profitieren. Ich will
hier eindeutig sagen - das ist auch der Grund, warum wir
an dieser Stelle so energisch sind -:
({10})
In Wirklichkeit ist es so, dass nur ganz wenige Händler
einen wirklichen Vorteil haben. Es kommt darauf an, wie
gering der Abstand - Stichwort „kurzes Kabel“; so konkret ist das - zum Börsenstandort ist. Ein kurzer Abstand
zum Börsenstandort führt dazu, dass man Wettbewerbsvorteile hat. In dieser Situation sind nur wenige. Gerade
an den Börsen, die eigentlich eine Wettbewerbsplattform
in Reinkultur mit wirklich entwickelter Konkurrenz
sind, befördern Sie dadurch Monopolisierungsentwicklungen. Das wollen wir nicht.
({11})
Ich will Ihnen sagen - der Staatssekretär hat es ja angesprochen -: Das am besten geeignete Instrument, um
solche Entwicklungen zu verhindern bzw. einzuschränken - und das müssen wir tun -, ist die Einführung einer
sogenannten Haltefrist und Mindestverweildauer. Wir
fordern nicht etwa eine Haltefrist von mehreren Wochen,
Tagen, Stunden oder Minuten, sondern der Vorschlag,
den wir Ihnen hier vorlegen, lautet, eine 500-Millisekunden-Haltefrist einzuführen. Da wird es dann spannend.
Das ist nämlich ein Vorschlag, den wir uns nicht allein
überlegt haben. Die Experten streiten zwar noch darüber; aber das Europäische Parlament hat bereits vorgeschlagen, diese Regelung auf europäischer Ebene zu
treffen.
({12})
- Es war ein bayerischer Abgeordneter. Es gibt in Bayern zwar viele Abgeordnete, Gott sei Dank auch von der
SPD, von den Grünen und von anderen, aber in diesem
Fall ist es ein CSU-Mann gewesen, meine Damen und
Herren. Aus Ihrem eigenen Stall kommt dieser Vorschlag. Aber Sie sind zu feige, ihn hier in Deutschland
umzusetzen. Ich halte das für einen großen und zentralen
Fehler dieses Gesetzentwurfs.
({13})
Jetzt wird immer das schöne Argument vorgebracht,
da dürfe man keinen Alleingang machen, weil das zu gefährlich sei. In anderen Bereichen konnte man das zwar
machen; aber hier wolle man sich das nicht trauen. Darüber könnte man ja noch diskutieren, und das muss man
würdigen.
({14})
- Schön, dass Sie, Herr Kollege Wissing, so schlau dazwischenrufen.
({15})
Wenn die Bundesregierung und die Koalition aber sagen: „Eigentlich ist das ein Vorschlag, dem wir uns nähern müssen“, würde ich erwarten, dass Sie sich im Ministerrat auf europäischer Ebene auch dafür einsetzen,
dass diese Regelung getroffen wird.
({16})
Was ist nun die Wahrheit? Im Finanzausschuss ist gestern durch unsere Nachfragen ans Tageslicht gekommen:
({17})
Diese Bundesregierung gehört im Ministerrat auf europäischer Ebene zu denen, die das nicht wollen und die
das blockieren, meine Damen und Herren.
({18})
Sie versuchen, uns hier einzureden, das gehe nicht national, und dort sorgen Sie dafür, dass es auch international
nicht passiert. Das ist unredlich. Das trägt an diesem
wichtigen und kritischen Punkt nicht zur Regulierung
bei.
({19})
Das hat ja Methode, wir kennen das ja.
({20})
Wie lange hat es gedauert, Sie dafür zu gewinnen, das
wichtige Instrument der Finanztransaktionsteuer zu installieren?
({21})
- Richtig, Herr Kollege. Ich bin ja schon froh, dass die
CDU/CSU-Kollegen das Wort richtig aussprechen können.
({22})
Auch hier war es ja so: Sie haben sich dafür eingesetzt,
auf der europäischen Ebene eine Finanzaktivitätsteuer
einzuführen, und haben das hier die ganze Zeit blockiert.
Deshalb mussten wir Sie hier dazu bringen, indem wir
gesagt haben: Fiskalpakt, europäische Rettung gibt es
nur, wenn die Branche und die Verantwortlichen herangezogen werden. Erst da sind Sie umgestiegen, vorher
nicht.
({23})
Da haben Sie es genauso gemacht wie hier beim Hochfrequenzhandel.
Sie sind nichts anderes als Hasenfüße in der Regulierung auf europäischer Ebene. Und hier erzählen Sie uns,
Sie seien strikt und streng. Das ist doch ein ganz wichtiDr. Carsten Sieling
ger Punkt, Herr Kollege. Die Bundeskanzlerin sagt dort
in jeder Rede: jeder Akteur, jeder Markt, jedes Produkt.
({24})
- Sie sagen: „Genau, wir machen das“, aber Sie reden
nur darüber. - Wenn man Sie fragt, wie Sie es machen,
stellt sich heraus, dass auf jedem Markt bei jedem Produkt jeder Akteur weiter so machen kann wie bisher. Die
Bundeskanzlerin legt jedenfalls hier in Deutschland falsches Zeugnis gegenüber dem ab, was sie umsetzt.
({25})
So kann es an dieser Stelle nicht weitergehen.
Ich will jetzt nicht auf weitere Punkte eingehen.
({26})
- Dann will ich Ihnen aber doch noch sagen: Da gab es,
führend aus dem Bundesland Hessen wegen der dortigen
Börse, die Klage darüber, dass diese Regulierung zu
streng sei. Dem wäre man seitens der Bundesregierung
fast gefolgt.
({27})
Aber ich muss zugeben: Es gibt auch Länder mit sozialdemokratischer Beteiligung, die Börsenstandorte haben
und die darüber nachgedacht haben.
({28})
Wir haben uns Gott sei Dank gemeinsam dafür entschieden, bei der Regulierung nach Kreditwesengesetz zu
bleiben.
Beim Sekundenhandel machen Sie aber jetzt eine
kleine Tür auf, die hochgradig interessant ist. Bisher
sollte das Gesetz, damit es wirken kann, nach drei Monaten in Kraft treten. Weil Sie sich aber in diesem Punkt
gegenüber Ihren Leuten nachgiebig zeigen wollten, haben Sie die Dauer bis zum Inkrafttreten von drei auf
sechs Monate und für Unternehmen, die aus dem Ausland kommen, sogar auf neun Monate verlängert. Ich
frage mich: Wie weit verwässern Sie das Gesetz noch?
Wann wollen Sie es in Kraft treten lassen? In dieser Legislaturperiode sowieso nicht mehr.
({29})
Also auch hier inkonsequentes Handeln.
({30})
Das ist wirklich keine Regulierung, wie wir sie brauchen.
({31})
Wir schlagen Ihnen deshalb vor und sagen Ihnen sehr
deutlich: Seien Sie klug! Unterbrechen Sie die Beratung
heute! Nehmen Sie die Maßnahmen noch einmal auf!
Wir müssen weiter darüber reden; denn wir brauchen
eine richtige Regulierung, die dafür sorgt
Herr Kollege!
- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident -, dass das
Hochfrequenzhandelsgesetz so ausgelegt wird, dass
auch dieser hochgefährliche Handel verlässlich der
Finanztransaktionsteuer unterworfen werden kann. Aber
auch da bin ich skeptisch, ob Sie es wirklich ernst meinen.
Ich wünsche mir eine sachgerechte Regulierung in
Deutschland, damit die Steuerzahler dafür nicht länger
herangezogen werden. Dafür brauchen wir eine ordentliche Regierung in diesem Land.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Der Kollege Björn Sänger erhält nun das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege Sieling, bei aller persönlichen
Wertschätzung,
({0})
die ich für Sie hege,
({1})
war das nicht nur nichts, sondern das war sehr dreister
Wahlkampfklamauk.
({2})
Wir sollten dieses Gesetz einmal in Ruhe betrachten
und vom Ende her denken, was wir eigentlich erreichen
wollen.
({3})
Erreichen wollen wir doch, dass der Hochfrequenzhandel, gegenüber dem die Menschen in diesem Land zu
Recht Vorbehalte haben und vor dem sie Angst haben,
weil er sich auch problematisch entwickeln kann, einer
Regulierung unterzogen wird. Darüber wird zurzeit auf
europäischer Ebene diskutiert. Wir rechnen damit, dass
die europäischen Regelungen in etwa drei Jahren auch
hier in Deutschland anlanden und dann auch in Kraft gesetzt werden, sodass wir eine europaweit einheitliche
Regelung haben werden. Unser Vorschlag, mit dem wir
diesen Regelungen vorgreifen, orientiert sich, um hier
eben keine Regulierungsarbitrage zu schaffen, sehr eng
an den MiFID-Vorgaben.
Da stellt sich mir die Frage, geschätzter Kollege
Sieling, was die Sozialdemokraten eigentlich gegen die
vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
deutschen Börsen haben.
({4})
Eine Mindesthaltefrist einzuführen, würde zu nichts anderem führen, als dass ganz schnell eine Verlagerung
stattfände. So schnell, wie die Computer handeln, so
schnell kann man nämlich auch den Handelsplatz wechseln.
({5})
Ein Klick im Programm, und schon findet dieser Handel
nicht mehr in Deutschland, nicht mehr unter unserer Regulierung statt.
({6})
Im Übrigen hatten wir die Probleme, die in anderen
Ländern aufgetaucht sind, in Deutschland bisher überhaupt nicht. Das liegt daran, dass die Börsenbetreiber in
Deutschland verantwortungsvoll mit diesen Themen umgehen. Würde der Vorschlag der SPD zum jetzigen Zeitpunkt umgesetzt, führte das dazu, dass wir uns solche
Probleme hereinholten; denn dann würden die deutschen
Akteure im Ausland handeln, und das Risiko fände über
die Bilanzen den Weg zurück nach Deutschland. Das ist
nicht der Weg, den man gehen sollte, und deswegen gehen wir ihn auch nicht.
({7})
Wenn man sich die Zahlen einmal anschaut, sieht
man, dass durch unsere Regelungen etwa 25 Prozent des
Umsatzes an deutschen Börsen zur Disposition gestellt
würden. So groß ist in etwa der Bereich, der von dieser
Regulierung betroffen ist. Ich finde, 25 Prozent sind
nicht wenig. Das müssen wir uns an dieser Stelle bewusst machen. Das ist uns durchaus bewusst, und das ist
von uns im Übrigen auch so gewollt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bringt sinnvolle Regelungen, die es in noch keinem anderen Land
auf der Welt gibt. Die Regelungen, die Ihnen heute zur
Abstimmung vorliegen, sind weltweit einmalig: Zum
ersten Mal wird der Hochfrequenzhandel in dieser Art
und Weise reguliert. Zum ersten Mal weltweit werden
bestimmte Instrumentarien auch der Aufsicht und den
Börsenbetreibern zur Verfügung gestellt, um hier zu einer Entschleunigung zu kommen.
Dazu gehört die Order-to-Trade-Ratio, nämlich das
Verhältnis zwischen den Transaktionen, die in das
System eingestellt werden, und denen, die davon auch
ausgeführt werden. Wir haben die Zuständigkeit zur
Festlegung dieses Verhältnisses im Sinne des Subsidiaritätsprinzips bewusst unten, also an den Börsen, angesiedelt, weil die Börsen am besten wissen, wie dieser Parameter am jeweiligen Handelstag aussehen sollte. Es ist ja
nicht jeder Tag gleich, und die Marktsituation ändert
sich. Es muss die Möglichkeit bestehen, darauf flexibel
zu reagieren. Deswegen ist diese Zuständigkeit an den
Börsen, wo wir sie ansiedeln wollen, richtig angesiedelt.
Darüber hinaus haben wir uns mit der Frage der Mindestpreisänderungsgröße, der Minimum Tick Size, beschäftigt; dabei geht es um die Frage: Ab welcher Stelle
nach dem Komma darf eine Preisänderung Order auslösen: ab der sechsten, der vierten, der dritten oder der
zweiten? Darüber werden wir - davon bin ich fest überzeugt - eine Entschleunigung des Handels erreichen,
weil es sich eben nicht mehr lohnt, so schnell zu handeln, wenn eine wesentlich höhere Mindestpreisänderungsgröße gilt.
Ferner haben wir Übergangsregelungen vorgesehen.
Ich sagte bereits: MiFID wird in etwa in drei Jahren
kommen. Nun ist es so, dass die meisten Betroffenen aus
dem Ausland kommen - aus EU-Ländern und aus Drittstaaten -, und mittelbar handeln, gewissermaßen über einen deutschen Dienstleister an die Börsen herantreten.
Diese sind von entsprechender Regulierung - wir sind
hierbei ja die Ersten - bisher überhaupt nicht betroffen,
sie müssen erst einmal mitbekommen: Da ändert sich etwas für mich, ich muss mich einer Regulierung unterziehen. - Insofern begrüßen wir, dass die BaFin diese Handelsteilnehmer aktiv ansprechen will. Für den ein oder
anderen gibt es unter Umständen die Möglichkeit, sich
bei der BaFin freistellen zu lassen, weil in seinem Land
insbesondere hinsichtlich der Solvenzfragen - das muss
ja geprüft werden - eine ähnliche Regulierung existiert.
Wer einmal mit Behörden zu tun hatte, weiß: Neun
Monate sind ein durchaus angemessener Zeithorizont,
um zu klären: „Bin ich freigestellt?“, und, wenn nein,
um eine Niederlassung in Deutschland einzurichten, anzumelden, eintragen zu lassen usw. usf., wenn weiter
Handel in Deutschland getrieben werden soll.
Wir schaffen damit im Übrigen einen weiteren Vorteil
für den Finanzstandort; denn wenn MiFID kommt, ist jemand, der sich bereits in Deutschland hat registrieren
lassen, über den EU-Pass automatisch in ganz Europa registriert. Das heißt, mit dieser Form der sehr guten Regulierung verschaffen wir uns einen Wettbewerbsvorteil in
Europa.
In diesem Sinne kann ich nur sagen: Wir haben einen
ausgewogenen Ordnungsrahmen geschaffen, dem man
zustimmen kann, wenn man nicht, wie Sie, ein Prinzip
vertritt, das mich ein bisschen an den Wanderer in der
Wüste erinnert, der Durst hat, die Oase erreicht und das
Glas Wasser ablehnt, weil keine Zitrone darin ist.
({8})
Das ist kein verantwortungsvolles Handeln für dieses
Land. Sie sollten das überdenken und diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Richard Pitterle für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unter Hochfrequenzhandel, über den
wir heute reden, versteht man den automatisierten Anund Verkauf von Aktien und anderen Wertpapieren
durch Computerprogramme.
Nicht etwa die sozialistische Tageszeitung Neues
Deutschland, sondern das kapitalistische Handelsblatt
({0})
hat am 16. Januar 2013 alles Erforderliche zu Ihrem
Gesetzentwurf in einem Satz zusammengefasst - ich zitiere -:
Das Gesetz ist gut gemeint - nur ändern wird sich
dadurch kaum etwas.
({1})
In allen Lebensbereichen nutzen wir zunehmend die
digitale Technik, um Arbeitsprozesse zu automatisieren.
Auch im Börsenbereich ist diese Entwicklung nicht aufzuhalten. Nachdem die Bestellungen und Angebote per
PC etabliert waren, folgte schließlich der Hochfrequenzhandel.
Viele Menschen fragen sich zu Recht: Brauchen wir,
braucht die Volkswirtschaft, braucht die Gesellschaft den
Hochfrequenzhandel? Sollten wir ihn nicht gar verbieten, wie das etwa der ehemalige Börsenhändler Dirk
Müller, bekannt als „Mister Dax“, als Sachverständiger
bei der Anhörung zum Gesetzentwurf gefordert hat?
Stiftet der Hochfrequenzhandel mehr volkswirtschaftlichen Nutzen oder mehr Schaden?
Wir meinen, dass der Schaden überwiegt. Daher
braucht man eine Regulierung und muss zumindest dafür
sorgen, dass der Hochfrequenzhandel ausgebremst und
zurückgedrängt wird.
({2})
Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf aus unserer
Sicht nicht.
Hochfrequenzhändler sind Börsenhändler, die in Millisekunden Wertpapiere kaufen oder verkaufen oder, viel
wichtiger, zum Kauf oder Verkauf anbieten, also in einer
so kurzen Zeit, dass nicht nur Menschen, sondern auch
die allermeisten Computer nicht mehr mitkommen - und
auch nicht mitkommen sollen, damit die Gewinne der
Hochfrequenzhändler nicht geschmälert werden. Ich
frage Sie: Wo liegt der Nutzen für die Gesellschaft?
Schädlich ist der Hochfrequenzhandel zunächst wegen der Gefahren, die sich aus der Verselbstständigung
der Transaktionen und Loslösung von menschlichen
Entscheidungen durch die eingesetzte Software ergeben.
Jeder, der mit einem PC umgeht, weiß aus Erfahrung,
dass sich auch die leistungsfähigsten Rechner nicht immer entsprechend der Erwartung verhalten. Fehler zu
machen, ist nicht nur menschlich; Fehler zu machen, ist
auch „computerisch“.
({3})
Schädlich ist der Hochfrequenzhandel auch deswegen, weil der Börsenhandel durch ihn seinen Charakter
ändert und eine Abkopplung von der Realwirtschaft
stattfindet. Egal was man vom Börsenhandel an sich halten mag: Irgendwie ging es immer darum, die Unternehmen, die eine Geschäftsidee hatten, mit Menschen zusammenzubringen, die nach Abwägung ihrer Chancen
Geld in diese investieren wollten.
Die Software der Hochleistungsrechner entscheidet
nicht aufgrund einer Bewertung eines Unternehmens
oder seiner Entwicklung, sondern reagiert auf Signale,
zum Beispiel Kursdifferenzen, die sie zum Wohle der
Turbohändler in Gewinne zu verwandeln sucht. Was allein zählt, ist die Geschwindigkeit und sind die Millionen, die da zu verdienen sind. Ich frage Sie: Wo liegt der
Nutzen für die Wirtschaft?
Das Ausnutzen minimaler Preisunterschiede an den
unterschiedlichen Handelsplätzen funktioniert nur mit
superschnellen Rechnern, die möglichst nahe an den
Computern der Börse stehen, um durch kurze Leitungen
möglichst wenig Zeit zu verlieren. Diese hohen Kosten
können sich nur wenige Börsenhändler, nämlich die Turbohändler, leisten. Ich frage Sie: Wo bleiben die gleichen
Chancen für alle Marktteilnehmer?
Die Linke ist sich hingegen mit dem Europäischen
Parlament darüber einig, eine Mindesthaltedauer einzuführen. Damit meine ich, dass ein Hochfrequenzhändler
für eine bestimmte Zeit an sein Angebot gebunden sein
soll.
Es darf nicht sein, dass von Börsenhändlern Angebote
unterbreitet werden, die die Kurse beeinflussen und
Marktreaktionen auslösen, diese Angebote aber sofort
wieder storniert werden, noch bevor ein Kunde überhaupt eine realistische Chance hat, das Angebot anzunehmen.
({4})
Das Europäische Parlament hat sich mit Stimmen der
deutschen CDU-Abgeordneten für eine halbe Sekunde
Mindesthaltefrist ausgesprochen.
({5})
Demgegenüber haben sich die Bundesregierung und
Schwarz-Gelb hier im Bundestag mit der Ablehnung einer Mindesthaltedauer auf die Seite der Kommissare in
Brüssel gestellt.
Für uns bleibt neben der Finanztransaktionsteuer die
Mindesthaltedauer der entscheidende Punkt, um den
Wertpapierhandel zu entschleunigen. Dieses Ziel forderte Bundesminister Schäuble noch bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Kabinett. Was ist passiert,
dass das heute nicht mehr gilt? - Richtig. Da gab es die
Kritik der Märkte, von der Kollege Brinkhaus in seiner
letzten Rede sprach. Die sind immer gegen alles, was ihren Profit schmälert. Also knickte die Koalition ein. Wie
erbärmlich!
Für uns gilt weiterhin: Wir wollen entschleunigen.
Deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
Vielen Dank.
({6})
Gerhard Schick ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
ist ja wieder einmal ein komplexes Thema, mit dem wir
uns beschäftigen. Es geht um viele englische Fachbegriffe. Man kann aber sagen: Es geht in dieser Debatte
im Kern um zwei verschiedene Fragen. Die eine Frage
ist: Gibt es bei dem extrem schnellen Handel von Wertpapieren Risiken und Gefahren, die man mit Regulierung eindämmen sollte? Bei dieser Frage herrscht Konsens hier im Haus.
Dann gibt es die zweite Frage: Ist der Hochfrequenzhandel, also dieser Turbohandel, insgesamt nützlich, und
sollten wir versuchen, ihn in Deutschland zu halten? Bei
dieser Frage gibt es Dissens.
Diese verschiedenen Ebenen sollte man nicht vermischen. Denn bei der einen Frage, bei der es Einigkeit
gibt, müssen wir sagen: Ja, das Gesetz zur Vermeidung
von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel wird seinem Titel ein Stück weit gerecht; es werden
einzelne Missbrauchsmöglichkeiten korrigiert. Es ist
richtig, dass es in Zukunft - von den Börsen festgelegt eine Gebühr bei exzessiver Nutzung gibt. Es ist richtig,
dass ein angemessenes Verhältnis von Kauf- und Verkaufsaufträgen vorliegen muss und dass für den Fall
kurzfristiger Extrembewegungen Notmaßnahmen eingeführt werden. An dieser Stelle herrscht Konsens.
Es gibt allerdings auch bei dieser Frage zwei Punkte,
bei denen Sie eindeutig zu kurz greifen. Der erste Punkt
ist: Es bleibt bei immensen Interessenkonflikten. Sie beauftragen die Börsen selbst, die entscheidenden Regeln
festzulegen; aber die Börsen haben ja ein ökonomisches
Interesse daran, möglichst viel Umsatz zu machen. Deswegen kreieren Sie mit diesem Gesetz einen massiven
Interessenkonflikt. Hier die zentrale Regulierungsaufgabe bei den Börsen zu verankern, ist so ähnlich, als
würden Sie den Tabaksteuersatz von der Tabakindustrie
festlegen lassen. Das würde man doch auch nicht tun.
({0})
Sie haben hier zwar an einer kleinen Stelle - das möchte
ich zugestehen - noch eine Korrektur mit einem Änderungsantrag vorgenommen, aber das ändert an dem Kern
des Arguments nichts.
Der zweite Fehler ist, dass Ihre Transparenz- und Aufsichtsanforderungen bezüglich der Algorithmen, also der
konkreten Computermodelle, mit denen gehandelt wird,
zu harmlos sind. Anders kann man das einfach nicht bezeichnen. Denn Sie fordern letztlich, dass die Händler
selbst ihre Algorithmen testen und ihre eigenen Algorithmen im Notfall auch stoppen können. Das sind doch
Selbstverständlichkeiten.
Entscheidend ist - und da geht das Europäische Parlament sehr viel weiter -: Die Algorithmen müssen von
den Handelsplattformen getestet werden, bevor sie
scharfgeschaltet werden. Die Algorithmen müssen von
den Händlern auf Eigeninitiative an die Aufsicht übermittelt werden. Das Einhalten von voreingestellten Handels- und Kreditschwellen muss sichergestellt sein.
Warum greifen die Bundesregierung und die Koalition hier kürzer als das Europäische Parlament? Wir halten das für falsch.
({1})
Ich komme zur zweiten Frage, die in der Debatte gerade angeklungen ist: Ist es denn insgesamt sinnvoll,
Hochfrequenzhandel zu haben? Wir haben auf eine Anfrage von der Bundesregierung im Juni 2011 noch die
Antwort bekommen, dieser Handel habe positive Effizienzeffekte für die Märkte und beispielsweise niedrige
Transaktionskosten zur Folge. Auf eine zweite Anfrage
wurde schon etwas ausweichender geantwortet. Wir sehen aber an diesem Gesetzentwurf, dass Sie den Hochfrequenzhandel insgesamt für sinnvoll erachten. Herr
Kollege Sänger hat gerade sehr schön argumentiert: Wir
wollen den Hochfrequenzhandel halten, und deswegen
wollen wir keine Regelung, die die Geschwindigkeit
herausnimmt; denn dann könnte dieser Handel aus
Deutschland weggehen.
Nun muss man aber wissen: Der Hochfrequenzhandel
schadet mehr, als er nutzt. Das ist ziemlich eindeutig.
({2})
Das liegt an Folgendem: Erstens wird Liquidität nur für
wenige zentrale Wertpapiere, zum Beispiel für Aktien
von Großunternehmen, geschaffen. Das mittelständische
Unternehmen, das an der Börse in Stuttgart notiert ist,
hat von dem ganzen Hochfrequenzhandel gar nichts.
({3})
Zweitens handelt es sich um Pseudoliquidität. Da
wird sozusagen so getan, als würde man im Zweifelsfall
Geld bereitstellen. Aber dann, wenn man es wirklich
braucht, ist es weg. Wirkliche Liquidität wird von sogenannten Market Makers geschaffen und nicht von den
Hochfrequenzhändlern.
Das dritte Argument gegen den Hochfrequenzhandel
ist, dass er die Kosten anderer Marktteilnehmer erhöht.
Das haben wir in der Ausschussanhörung sehr gut heDr. Gerhard Schick
rausarbeiten können. Das ist auch in den Stellungnahmen der Sachverständigen nachzulesen. Deswegen sind
wir Grüne überzeugt: Es ist sinnvoll, den Hochfrequenzhandel auszubremsen, das Tempo zu reduzieren.
({4})
Es geht um die zentrale Frage: Was bedeutet das nun
für die Regulierungsmaßnahmen in Deutschland? Sollte
man das unilateral machen oder nicht? Sie sagen: Wir
sollten auf nationaler Ebene keine Bremse einführen,
weil sonst der Hochfrequenzhandel aus Deutschland
weggehen könnte. - Daran sieht man, dass Sie im Kern
der Meinung sind: Der Hochfrequenzhandel ist eine gute
Sache. Wir sagen: Man kann es auch auf nationaler
Ebene einführen; denn es schadet dem Börsenstandort
Deutschland, wenn einige zulasten der großen Anzahl
der Marktteilnehmer Profit machen und insgesamt die
Kosten der meisten langfristig orientierten Investoren
steigen. Deswegen sind wir für eine nationale Regulierung, eine nationale Reduzierung der Geschwindigkeit
auf dem Börsenmarkt. Das wollen Sie nicht. Das ist der
entscheidende Unterschied. Hier springen Sie zu kurz.
({5})
Kollege Sieling hat schon deutlich Ihre Argumentation, in der Sie auf Europa verweisen, zurückgewiesen.
Was nicht geht, ist, hier zu sagen: „National geht nicht,
wir wollen eine europäische Lösung“, und dann im Europäischen Rat auf der Bremse zu stehen. Wir lassen Ihnen
das nicht durchgehen. Da veräppeln Sie die Menschen.
({6})
Ja, man kann auch für andere Modelle sein. Statt für
eine Mindesthaltefrist könnte man auch für ein Auktionsmodell sein; darüber haben wir gestern im Ausschuss diskutiert. Aber Sie von der Bundesregierung
wollen keine der Bremsmöglichkeiten auf europäischer
Ebene vorantreiben, sondern Sie sind einfach nur gegen
den Vorschlag des Europäischen Parlaments. Das hat leider Tradition. Das stellen wir nicht nur bei diesem Gesetzentwurf fest. Immer wieder ist derselbe Vorgang zu
beobachten: Sie tun hier so, als seien Sie die strikten Finanzmarktregulierer,
({7})
als seien Sie der Motor bei den Regulierungsbemühungen auf europäischer und internationaler Ebene,
({8})
während die Fakten leider gegen Sie sprechen.
({9})
Damit Ihr Puls nicht wieder sofort nach oben geht,
nenne ich nicht die Finanztransaktionsteuer als Beispiel.
Es gibt schließlich genug andere Beispiele. Nehmen wir
als Beispiel eine verbindliche Schuldenbremse für Banken. Bei den Verhandlungen in Basel und in Brüssel zur
Bankenregulierung hat sich diese Bundesregierung gegen eine Schuldenbremse für Banken ausgesprochen.
Sie war für eine unverbindliche Orientierungsgröße und
nicht für harte Regeln, sodass das Eigenkapital bei den
Banken nicht deutlich angehoben werden muss. Das
liegt in der Verantwortung dieser Bundesregierung.
({10})
Als es um die Einführung der drei europäischen Aufsichtsbehörden ging: Wer hat denn im Rat das Parlament
aktiv unterstützt, um einen wirklichen Durchgriff auf die
Banken zu haben? Das war nicht diese Bundesregierung.
Erst jetzt sind Sie plötzlich für eine europäische Bankenaufsicht mit Durchgriffsrechten
({11})
und korrigieren damit den Fehler, den Sie zu Beginn der
Legislaturperiode selber gemacht haben. Geben Sie es
zu: Sie standen bei dieser Debatte auf der falschen Seite.
({12})
Wir haben das in den letzten Stunden bei zwei Themen bei den Verhandlungen zur Bankenregulierung im
Trilog, nämlich zwischen Kommission, Parlament und
Rat, erlebt. Es ging erstens darum, ob Bonuszahlungen
für Manager im Bankensektor effektiv begrenzt werden
oder nicht. Die Bundesregierung ist gemeinsam mit der
britischen Regierung für höhere Bonuszahlungen eingetreten, während sich das Europäische Parlament für
geringere Bonuszahlungen ausgesprochen hat. Schon
wieder stand diese Bundesregierung gegen die Finanzmarktregulierung.
({13})
So ist es auch bei einem zweiten Thema, das uns Grünen sehr wichtig ist: Große Banken können durch Steuergestaltung ihre Steuerlast massiv nach unten drücken
und damit niedriger halten als die Steuerbelastung vieler
realwirtschaftlicher Unternehmen. Sie zahlen übrigens
im Verhältnis zu ihrem Ertrag wesentlich weniger Steuern als Sparkassen und Genossenschaftsbanken.
Wir Grünen wollen, gemeinsam mit vielen Akteuren
der Zivilgesellschaft, dass das offengelegt wird. Wir haben an dieser Stelle die Unterstützung der Mehrheit des
Europäischen Parlaments. Uns geht es darum - Stichwort: Country-by-Country Reporting -, dass die Banken
offenlegen, welchen Teil ihres Gewinns sie wo versteuern, damit man endlich diesen Steuergestaltungen auf
den Grund gehen und etwas dagegen unternehmen kann.
Diese Bundesregierung hat diesen Vorschlag im Rat
blockiert
({14})
und stand bei der Frage der Finanzmarktregulierung wieder auf der falschen Seite.
({15})
Deshalb brauchen wir endlich eine andere Regierung,
die ein wirklicher Motor für Finanzmarktregulierung ist.
Danke schön.
({16})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Klaus-Peter Flosbach das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
diesem Gesetz wird erstmals
({0})
der sogenannte Hochfrequenzhandel geregelt. Er wird
nicht nur in Deutschland, sondern er wird überhaupt zum
ersten Mal geregelt, nicht nur europaweit, sondern weltweit. Diese Koalition in Deutschland stellt den ersten
Antrag auf Regulierung des Hochgeschwindigkeitshandels. Aber während wir weltweit die Ersten sind, die dieses Thema überhaupt anpacken, kritisieren Sie uns in
dieser Frage als kleinkrämerisch.
({1})
Wir haben Risiken im Finanzmarkt gesehen. Wir nehmen dieses Thema ernst. Wir haben unseren Bürgern
versprochen, dass wir in den ersten vier Jahren unserer
Koalition alle Produkte, alle Märkte und das Handeln
sämtlicher Finanzakteure regulieren werden. Nichts davon wird nach diesen vier Jahren mehr unreguliert sein.
Das haben wir den Bürgern versprochen, und das werden wir auch einhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Der Hochgeschwindigkeitshandel ist bisher überhaupt nicht reguliert. Jetzt könnten wir uns natürlich zurückziehen - wie es manche aus der Opposition schon
vorgeschlagen haben - und erst einmal abwarten, was in
Europa passiert. Denn bis Ende des Jahres wird es eine
europäische Regelung geben. Anschließend haben wir
zwei Jahre lang Zeit, diese umzusetzen. Das heißt, wir
würden die Regulierung um mindestens drei Jahre verschieben. Das wollen wir aber nicht. Wir haben Missbräuche und Gefahren erkannt, und wir werden die Regulierung mit dieser Koalition hier und heute umsetzen.
({3})
Was ist eigentlich der Hochgeschwindigkeitshandel?
Wir alle kennen noch die alten Bilder von den Börsenparketts, wo Hunderte von Personen handeln und schreien.
Das ist heute nicht mehr so. Wie im sonstigen Leben
auch läuft das heute vielfach über Computer.
({4})
Wir erkennen, dass viele mathematische Programme
genutzt werden - wir nennen sie Algorithmen -, mit denen in Bruchteilen von Sekunden Wertpapiere gekauft
und verkauft werden. Der Handel in diesem Bereich
läuft also in Millisekunden ab. Dieser Bereich macht in
Deutschland etwa 40 Prozent und in den USA rund
70 Prozent des Wertpapierhandels aus.
Warum wollen wir das regulieren? Seit der Finanzkrise, seit dem Jahr 2007, haben wir festgestellt, dass die
größten Probleme darauf beruhen, dass viele Bereiche
der Märkte intransparent, undurchsichtig, sind. Das haben wir damals bei der Krise der Industriekreditbank und
der Westdeutschen Landesbank gesehen. Es wurden Papiere gehandelt, aber keiner wusste mehr genau, was
überhaupt gehandelt wird.
Viele haben die Risiken, die dahinterstehen, überhaupt nicht richtig eingeschätzt. Es gab auch keine Eingriffsmöglichkeiten seitens der Aufsichtsbehörden. Weil
im Hochgeschwindigkeitshandel 25 Prozent der Akteure
überhaupt nicht registriert sind - das heißt, es sind weder
Banken noch Finanzinstitute; sie sind überhaupt nicht registriert -, haben wir gesagt: Wir gehen dieses Thema
jetzt an; wir warten da nicht. Wir haben erlebt, was in
den letzten Jahren passiert ist, und wir sind es unseren
Bürgern schuldig, dass wir dieses Thema in den vier Jahren dieser Legislaturperiode abräumen.
({5})
Wir wissen, dass die Geschäfte sehr komplex sind,
dass es teilweise Überlastungen der Handelssysteme
gibt. Eine Reihe von Manipulationen sind identifiziert
worden. Den meisten ist der sogenannte Flash Crash aus
dem Frühjahr 2010 bekannt, als der Dow-Jones-Index,
also die amerikanische Börse, innerhalb von 20 Minuten
um 9 Prozent abstürzte. Dann erholte sie sich schnell
wieder.
Aber was passierte in diesen 20 Minuten? Hier ging
es um einen Verlust in dreistelliger Milliardenhöhe. Wir
wollen so etwas in Deutschland nicht erleben. Wir können vielleicht sagen: Schon heute sind die Systeme so
geregelt, dass es nicht passiert. Aber unsere Verpflichtung ist es, dafür zu sorgen, dass nicht nur all diejenigen,
die an der Börse handeln, sondern auch die Bürger, die
über Investmentsparen, die über fondsgebundene Lebensversicherungen vorsorgen, die überhaupt einen Teil
ihrer Altersvorsorge über Pensionsfonds betreiben, nicht
von einem Schaden erfasst werden, der möglicherweise
an der Börse entsteht. Wir regulieren das Ganze so, dass
das unseren Bürgern nicht passieren kann. Wir sind die
Ersten in der gesamten Welt, die das machen.
({6})
Nun gut, die Opposition kritisiert, dass wir es machen
und wie wir es machen.
({7})
Man kann sagen: Das ist ja okay. - Auch der Kollege
Sänger hat es angesprochen: Sie, Rot-Grün, waren ja
einmal sieben Jahre lang an der Regierung. Das gilt
heute als die Zeit der sogenannten Deregulierung. Wie
wir alle wissen, spricht mittlerweile die ganze Welt von
der Zeit der Deregulierung.
({8})
Sie haben immerhin elf Jahre lang, Herr Poß, den
Finanzminister gestellt. Sie können uns nicht erzählen,
dass erst seit dem Jahre 2013 Computer existieren. Auch
früher gab es schon einen Hochgeschwindigkeitshandel;
aber er ist nie angepackt worden. Wir packen ihn in dieser Koalition an.
({9})
- Ich verstehe Ihre Haltung ja auch: Sie können einfach
nicht verknausern, dass wir in dieser Koalition in diesen
drei Jahren schon fast 20 große Maßnahmen angepackt
haben. Dazu gehört die gesamte Eigenkapitalerhöhung
bei den Banken, Stichwort „Liquidität“. Wir haben das
sogenannte Restrukturierungsgesetz umgesetzt. Das
heißt, wir sind heute in der Lage, Banken zu sanieren,
aber auch abzuwickeln. Wir haben damals noch gemeinsam mit Ihnen die Vergütungssysteme verändert, indem
wir sie auf eine langfristig stabile Basis gestellt haben.
({10})
Ich halte es ebenfalls für richtig, dass auf der europäischen Ebene ein weiterer Schritt gegangen worden ist.
Wir reden jetzt über das AIFM-Umsetzungsgesetz,
also über die Regulierung von Hedgefonds, Private
Equity, Investmentfonds. Wir regulieren aber auch die
geschlossenen Fonds. Wir haben die Ratingagenturen in
zwei verschiedenen Stufen reguliert. Wir haben die Produkte reguliert. Wir haben die Verbriefungen verändert.
Wir waren die Ersten, die spekulative Geschäfte, die sogenannten Leerverkäufe, verboten haben. Wir haben den
Zahlungsverkehr in Europa reformiert. Wir haben den
Verbraucherschutz gestärkt. Wir haben das Vermögensanlagegesetz umgesetzt. Wir haben die Tätigkeit der
Vermittler reguliert. Wir sind jetzt dabei, die Neuregelung der Honorarberatungen umzusetzen. Wir haben in
der Tat die Aufsichtssysteme verändert. Wir werden eine
Aufsicht über die systemrelevanten Banken durch die
Europäische Zentralbank haben, Herr Schick. Nach Ihrem Gutdünken sollte allein die EBA durchgreifen, und
das nicht nur bei den systemrelevanten Banken, sondern
auch vor Ort, bei den Volksbanken und den Sparkassen.
Das wollten wir nicht.
({11})
Wir wollen eine proportionale Aufsicht: Die Großen sollen von den Großen kontrolliert werden, und die Kleinen
sollen vor Ort kontrolliert werden.
Meine Damen und Herren, das Thema Hochgeschwindigkeitshandel bewegt uns; deswegen packen wir
es jetzt an.
Herr Kollege Flosbach, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Krischer zu?
Ja, gern. Bitte sehr.
Herr Kollege Flosbach, Sie berichten über all das,
was Sie machen, was Sie hätten tun wollen und was alles
hätte sollen sein.
({0})
Nur über das, was wir machen.
Es geht ja hier um den Hochfrequenzhandel. Ich
möchte Ihnen eine ganz einfache Frage stellen: Sind Sie
dafür, dass in Deutschland Hochfrequenzhandel stattfindet, ja oder nein?
({0})
Sie haben sehr treffend gesagt, lieber Kollege: „was
Sie hätten tun … sollen“. Das haben Sie gerade von den
Parteien Ihres Lagers gehört: was man hätte machen
können.
Ich bin dafür, dass wir in Deutschland einen Hochgeschwindigkeitshandel haben, der so kontrolliert wird,
wie wir es jetzt geregelt haben. Ich will Ihnen, lieber
Kollege, kurz darlegen, wie wir ihn kontrollieren wollen.
Verbote auszusprechen, ist einfach. Wenn Sie wollen,
dass ganze Geschäftsbereiche der Finanzmärkte aus
Deutschland verschwinden, können Sie selbstverständlich Verbote aussprechen. Verbote sind das Einfachste.
Wir suchen natürlich auch den Knopf, um das Problem
zu lösen. Das Thema ist aber - Herr Schick, Sie haben es
angesprochen - viel komplizierter, als man denkt. Wir
nehmen die Risiken, die es gibt, die Missbräuche, die
stattgefunden haben, aus dem System heraus, um auch
für den Hochgeschwindigkeitshandel eine stabile Basis
zu schaffen; denn wir können nicht die Computer verbieten, wie die Grünen es auf ihren Parteitagen in den 80erJahren versucht haben. In diesen Jahren war das Thema
Computerverbot ein wichtiges Thema. Das wollen wir
nicht. Das werden wir auch nicht tun, meine Damen und
Herren.
({0})
Wie kann also reguliert werden? Dazu noch einige
Anmerkungen. Wir wollen, dass diejenigen, die nicht re27906
guliert sind, einer Erlaubnispflicht unterliegen, und zwar
wie Banken, wie Finanzinstitute, unter dem Kreditwesengesetz. Damit haben wir eine Aufsicht durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowohl
in der Kontrolle als auch in der Solvenz. Wir wollen,
dass die Algorithmen gekennzeichnet werden. Wir wollen auch bestimmte Verbote aussprechen; denn es ist
identifiziert worden, dass es auch Manipulationen am
Markt gibt. Gewisse Geschäfte müssen verboten werden.
Andere gewisse Geschäfte müssen von vornherein begrenzt werden. Das Verhältnis von eingestellten Orders
zu ausgeführten Orders muss entsprechend geregelt werden.
Außerdem haben wir eine Regelung eingeführt, die in
diesem Bereich sehr wichtig ist: Für die Fälle, in denen
wir etwas nicht wollen oder etwas reduzieren oder verlangsamen wollen, haben wir vorgesehen, dass Gebühren gezahlt werden müssen. Das ist unser Ansatz: Für
die übermäßige Nutzung des Systems müssen Gebühren
gezahlt werden. Das werden wir in den nächsten Jahren
erleben. Sie haben so gesprochen, als wenn wir die
Finanztransaktionsteuer schon hätten. Wir haben sie
noch gar nicht. Wir diskutieren gerade auf europäischer
Ebene, wie wir dahin kommen können.
({1})
- Sie diskutieren seit Jahren darüber. Wir handeln sofort,
vor den anderen. Wir warten nicht drei Jahre, so wie Sie.
Wir machen es sofort.
({2})
Sie haben von Mindesthaltefristen gesprochen. Wir
haben uns sehr intensiv überlegt, ob wir diesen Mindesthaltefristen zustimmen können. Ein Kollege von der
CSU hat sich in einem Kompromissgespräch in der Tat
dazu bereit erklärt, hier mitzugehen. Aber alles, was ich
bisher gehört habe, auch in der Anhörung der Fachleute,
bestärkt mich in der Meinung, dass es nicht richtig sein
kann, wenn wir durch die Umsetzung dieses Gesetzes
die deutschen Akteure benachteiligen, indem wir nur in
Deutschland eine Haltefrist einführen und alle anderen,
die nicht reguliert sind, das ausnutzen können. Das können wir dem deutschen Finanzmarkt doch nicht zumuten.
({3})
- Nein, das ist einfach falsch. Sie strafen damit den in
Deutschland regulierten Finanzmarkt und bevorteilen
die Unregulierten. Das wollen wir nicht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine der wichtigsten Maßnahmen unserer 20 Gesetzespakete,
({5})
den Finanzmarkt in diesen vier Jahren zu regulieren. Wir
haben auf allen Ebenen zugegriffen: bei den Produkten,
bei den Märkten, bei den Verbrauchern. Wir haben die
Verbraucher gestärkt. Die Aufsicht ist auch in Deutschland neu aufgestellt. Dies ist ein mutiger Schritt nach
vorne. Es ist ein weiterer Baustein für einen starken und
stabilen Finanzmarkt. Wir sind in Deutschland auf dem
richtigen Weg; denn wir wollen für unsere Bürger Stabilität in diesem Lande haben.
Vielen Dank.
({6})
Manfred Zöllmer ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat: Börsen sind auch nicht mehr das, was sie einmal
waren. Ich erinnere mich noch gut, dass ich mit meinem
Leistungskurs Volkswirtschaft früher immer nach Düsseldorf zur Börse gefahren bin, wo die Schülerinnen und
Schüler einen Einblick in das Börsengeschehen nehmen
konnten. Sie konnten dort das Treiben auf dem Parkett
beobachten: die Händler, die hin- und herliefen, die mit
Zetteln wedelten, die ihre Hände in die Höhe reckten
und Unverständliches geschrien haben.
({0})
Wenn ich heute zur Börse gehe, dann stelle ich fest:
Es ist alles anders. Heute handeln dort Computer. Die
Menschen sitzen vor den Bildschirmen. Der Parketthandel ist längst Geschichte. Heute bestimmen Algorithmen, was gemacht wird. Hochgeschwindigkeitszocker
bestimmen das Marktgeschehen. Sie geben aberwitzige
Summen aus, um ein paar Nanosekunden Vorteil zu haben.
Der Börsenfachmann Dirk Müller ist heute hier schon
einmal zitiert worden und kommt wieder zu Ehren, weil
er etwas Kluges gesagt hat. Er hat nämlich gesagt:
Hochfrequenzhandel hat keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, er richtet nur Schaden an. Wenn man
es zu Ende denkt, dann müsste man ihn komplett
verbieten.
({1})
Diese Position ist verständlich; denn die Pannen häufen sich. Herr Flosbach hat eben in seiner Rede darauf
hingewiesen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu
Zwischenfällen an den Börsen in den USA haben das
mehr als deutlich gemacht. Dies wäre eine gute Gelegenheit für die Bundesregierung, endlich einmal richtig zu
regulieren, endlich einmal mögliche Gefahren wirklich
zu begrenzen und der Branche, die uns ja nicht nur lieb,
sondern vor allen Dingen auch teuer war, die Zähne zu
zeigen.
({2})
Jetzt fragen wir mal: Hat die Bundesregierung diese
Chance ergriffen? Ich greife nochmals auf Herrn Müller
zurück. Er sagt: Das Gesetz ist gut gemeint - nur ändern
wird sich dadurch kaum etwas. - Leider hat er recht.
Staatssekretär Koschyk sprach von einer „Brandmauer“, die hier errichtet worden sei. Es ist aber nur ein
Brandmäuerchen, leider nur 10 Zentimeter hoch.
({3})
Es gäbe einen wirklichen Hebel, um die Märkte zu
entschleunigen, um Luft herauszulassen aus dem, was
heißgelaufen ist: die Einführung einer Mindesthaltefrist.
Wir reden hier nicht über sieben Tage. Man könnte natürlich durchaus eine solche Frist einführen, wenn man der
Meinung ist: Aktien sollen der Finanzierung von Unternehmen dienen und einen realwirtschaftlichen Nutzen
haben. Nein, es geht um die Einführung einer Frist von
winzigen 500 Millisekunden - das ist eine halbe Sekunde -, damit das permanente Platzieren und Zurückziehen von Orders, ohne dass wirkliche Transaktionen
stattfinden, deutlich reduziert wird - eine halbe Sekunde,
damit man den Hochfrequenzhandel wirklich in den Griff
bekommt und das ausschließlich spekulative Geschäft mit
ultraschnellen Transaktionen, die keinen volkswirtschaftlichen Nutzen haben, endlich einen Teil seines Reizes verliert.
Meine Fraktion beantragt dies heute, und Sie haben
noch die Chance, sich dieser Position anzuschließen und
wirklich zu regulieren. Aber wir haben Ihren argumentativen Eiertanz im Finanzausschuss bereits erlebt. Daher
habe ich wenig Hoffnung.
Die Grundfrage ist doch: Macht es wirklich Sinn, eine
Aktie für eine Nanosekunde zu halten? Nur dann, wenn
ich die Börse als Kasino, als reine Zockerbude begreife,
macht es Sinn. Wenn ich hingegen die Börse in Beziehung zur Realwirtschaft sehe, dann macht es keinen
Sinn.
Schauen wir uns einmal die Position der Deutschen
Börse an. Sie hat gesagt:
Mindesthaltefristen führen zu einer Benachteiligung von Liquiditätsspendern und somit zu einer
nachhaltigen Störung der Marktstruktur.
Die Realität sieht aber anders aus: Da werden die
Märkte mit Aufträgen geflutet, die sofort wieder zurückgezogen werden. Damit werden die Märkte manipuliert.
Wer braucht eigentlich diese Nanosekundenliquidität?
Der Kollege Schick hat eben schon Ausführungen dazu
gemacht. Das ist doch nichts anderes als die Perversion
von Wirtschaft; das ist doch reines Kasino.
({4})
Die Position der Deutschen Börse ist nachvollziehbar:
Sie verdient halt massiv am Hochfrequenzhandel. Deshalb verwundert ihre Argumentation nicht. Sie finanziert
auch eine Reihe von wissenschaftlichen Gutachten, damit ihre Position untermauert wird. Aber was uns verwundert, ist das Verhalten der Bundesregierung, die
diese Position mit ihrer Gesetzgebung schützt; das ist
nicht in Ordnung.
({5})
Die in Europa in Abstimmung befindliche Finanzmarktrichtlinie MiFID II wird sich auch dem Thema
Hochfrequenzhandel widmen. Das Europäische Parlament wird sich zum Glück für eine Mindesthaltefrist einsetzen. Wir haben schon gehört - diesmal muss ich die
CSU ausdrücklich loben; das fällt mir sonst ein bisschen
schwer -: Herr Ferber kämpft für die Mindesthaltepflicht. Ich kann nur sagen: Dieser Mann hat recht.
({6})
Dass Sie sich auch auf europäischer Ebene nicht dafür
einsetzen, haben wir eben gehört. Sie schustern hier eine
nationale Regelung zusammen, die nur geringe Besserungen bringt, ihr eigentliches Regulierungsziel aber
deutlich verfehlt.
In einer Kolumne im letzten Stern kommt der stellvertretende Chefredakteur des Stern, Hans-Ulrich Jörges, zu
einer Bewertung der Regulierungspolitik dieser Bundesregierung. Er schreibt dort:
Kein Produkt, kein Akteur, kein Markt sollte unreguliert bleiben. Doch Jahre nach der Krise sind die
Finanzmärkte noch immer nicht unter Kontrolle allen Beteuerungen der Politik zum Trotz.
So weit Herr Jörges zu Ihrer Regulierungspolitik.
({7})
Wo der Mann recht hat, hat er recht.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Wissing für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Keine Regierung hat in Deutschland jemals die Finanzmarktregulierung so vorangetrieben wie die christlich-liberale Bundesregierung.
({0})
Keine Regierung treibt in Europa die Finanzmarktregulierung so nachhaltig und entschlossen voran wie die
christlich-liberale Bundesregierung.
({1})
Deswegen haben wir in Deutschland immer genau
überprüft: Was können wir im Alleingang tun, und was
bedarf einer internationalen Abstimmung? Alles, was im
nationalen Alleingang möglich ist - das ist unsere Prämisse -, setzen wir im nationalen Alleingang mit aller
Schärfe und allem Nachdruck durch. Wir haben ein
Leerverkaufsverbot im nationalen Alleingang beschlossen. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt.
Wir haben im nationalen Alleingang den Selbstbehalt
bei Verbriefungen - das sind die Papiere, die in Amerika
die Krise ausgelöst haben - in Deutschland verdoppelt.
Wir haben die Haftungsregeln im nationalen Alleingang
in Deutschland verschärft. Wir haben im nationalen Alleingang ein Restrukturierungsgesetz geschaffen. Wir
haben im nationalen Alleingang eine Bankenabgabe eingeführt und sind in all diesen Punkten Vorreiter in Europa.
({2})
Wir haben auch nicht gewartet, bis eine europäische
Bankenaufsicht kommt, sondern wir haben die nationale
Bankenaufsicht im Alleingang reformiert. Und heute gehen wir im nationalen Alleingang bei der Regulierung
des Hochfrequenzhandels voran - als erste Koalition, als
erstes Parlament in Europa. Wir sind die Nummer eins in
der Regulierung.
({3})
Jetzt schauen wir einmal auf die SPD, die hier so vollmundig behauptet, in Wahrheit sei die SPD eine Finanzmarktregulierungspartei. Wie können Sie eigentlich so
vermessen sein, Herr Kollege Sieling, und für sich als
Sozialdemokraten in Anspruch nehmen, Sie hätten irgendetwas mit der Finanzmarktregulierung in Deutschland zu tun?
({4})
Die Sozialdemokraten - neulich Peer Steinbrück - stellen sich hier hin und sagen, all das, was die christlich-liberale Koalition an Finanzmarktregulierungen auf den
Weg gebracht habe, habe die SPD schon immer gewollt.
Ich finde, das ist eine dreiste Behauptung.
Sie haben heute gesagt, die SPD habe das alles gewollt, habe es aber wegen der CDU/CSU nicht umsetzen
können. Jetzt fragt sich doch der kundige Bürger: Wenn
die CDU/CSU und die FDP gemeinsam die Finanzmärkte regulieren können, an wem wird es wohl gelegen
haben, als es in der Großen Koalition nicht möglich war?
({5})
Dann sagen Sie, alles, was die christlich-liberale Koalition gemacht habe, habe die SPD bereits früher aufgeschrieben; das hat uns Herr Steinbrück hier auch gesagt.
Nur haben Sie gegen jedes einzelne Regulierungsgesetz,
das ich Ihnen hier eben aufgeführt habe, mit Nein gestimmt. Erklären Sie doch einmal der Öffentlichkeit, warum Sie immer gegen die Finanzmarktregulierung in
Deutschland stimmen!
({6})
Heute steht ein Hochfrequenzhandelsgesetz zur Abstimmung. Es wird Deutschland zum reguliertesten
Hochfrequenzhandelsplatz Europas machen. In keinem
Land gibt es so strenge Zulassungsregeln, wie wir sie
heute im Deutschen Bundestag beschließen: strenge Zulassung, strenge Kontrolle, Solvenzaufsicht durch die reformierte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Möglichkeit, den Hochfrequenzhandel im
Krisenfall auf null zu stoppen - eine Vollbremsung wird
möglich sein in Deutschland.
Herr Kollege Zöllmer, natürlich kann man sich fragen: Wozu braucht man einen Hochfrequenzhandel,
wenn man doch auch langsamer handeln könnte? Man
kann sich auch fragen, wie die Grünen damals: Wozu
braucht man überhaupt einen Computer, wenn man doch
so schöne Schreibmaschinen hat?
({7})
Nur ist die Frage: Ist Deutschland ein Standort, der
den technologischen Anschluss verpassen möchte, oder
sollen wir ein regulierter Handelsplatz sein, der den
technologischen Fortschritt zum Wohlstand unseres Volkes nutzt?
({8})
Sie sagen: kein Fortschritt. Wir sagen: Ja, Fortschritt
nutzen, aber die Risiken einschränken durch Kontrolle
und Sicherheitsmechanismen.
({9})
Heute sagen Sie: Wir stimmen wieder gegen die Finanzmarktregulierung, gegen den nationalen Alleingang
bei der Regulierung des Hochfrequenzhandels.
({10})
Aber was Ihnen nicht gelungen ist: Sie haben kein einziges schlüssiges Argument vorgetragen, warum Sie wieder mit Nein stimmen.
({11})
Sie haben gesagt, Sie werden heute mit Nein stimmen,
weil Sie in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Haltefrist auf nationaler Ebene vermissen.
({12})
Nun kann man lange über Haltefristen diskutieren.
Man kann darüber diskutieren, ob so etwas technisch
möglich ist. Man kann darüber diskutieren, ob so etwas
sinnvoll ist. Manche Experten sagen: Haltefristen können die Gefahren des Hochfrequenzhandels verschärfen
und zu neuen Spekulationen führen, die weitaus gefährlicher und unkontrollierbarer sind.
({13})
Es gibt auch technische Probleme bei den Haltefristen, weil gegen Ende der Haltefrist mit noch höherer
Frequenz spekuliert werden könnte. Aber alle Experten
sind sich darin einig - ich werfe Ihnen vor, dass Sie das
nicht sagen; Sie wissen es eigentlich besser; Sie sind
klüger, als Sie sich heute hier am Mikrofon gegeben haben, Herr Kollege Sieling -:
({14})
Eine Haltefrist im nationalen Alleingang ist schlicht ein
Ding der Unmöglichkeit. Damit ist Ihr einziges Argument in sich zusammengebrochen. Sie haben kein Argument, um mit Nein zu stimmen. Wenn Sie es trotzdem
tun, stimmen Sie wieder gegen die Regulierung der Finanzmärkte. Das muss die Öffentlichkeit wissen. Sie setzen Ihre Verweigerung gegenüber der Regulierung der
Finanzmärkte heute fort.
({15})
Oder aber die SPD sagt: Man soll nichts im Alleingang machen. Man soll warten, bis das auf europäischer
Ebene oder auf G-20-Ebene geregelt wird.
({16})
Das war auch die Haltung von Herrn Steinbrück, als er
regiert hat. Er hat nur abgewartet und ist nicht vorgeprescht.
({17})
Wir glauben, die Lehre aus dieser Krise muss sein:
Was national reguliert werden kann, muss national reguliert werden. Ihnen fällt kein einziges Argument ein,
weshalb Sie den heute vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen könnten.
({18})
Sie entlarven sich wieder einmal. Die Sozialdemokraten
betreiben eine reine Blockade, sie sind gegen die Regulierung der Finanzmärkte.
({19})
Wir aber werden weitermarschieren und klar regulieren.
Deutschland ist und bleibt Vorreiter. Wir haben den reguliertesten Finanzmarkt Europas geschaffen, und darauf kann die christlich-liberale Regierung stolz sein.
({20})
Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Brauchen wir den Hochfrequenzhandel für die Realwirtschaft? Große Teile des Hauses sagen: Nein, er bringt
überhaupt keinen Nutzen. Im Gegenteil: Er gefährdet
realwirtschaftliche Prozesse.
({0})
Denn er führt dazu, dass Anleger einen unvorteilhaften
Preis erzielen, weil ihre Gebote durch Hochfrequenzhändler ausgespäht werden. Dadurch werden sie ausgebeutet.
Es gibt wahnsinnige Kurskapriolen und Handelsunterbrechungen. Einige wenige bedienen sich - sie spielen im Kasino -, und diejenigen, die real wirtschaften
und an die Börse gehen, um Geld zu bekommen, das sie
real brauchen, werden bestraft.
({1})
Der Hochfrequenzhandel verbraucht zudem eine
Menge an Ressourcen: an Technik und an Menschen, die
einer eigentlich sinnlosen Tätigkeit nachgehen. Deswegen müssen wir uns die Frage stellen: Brauchen wir ihn,
ja oder nein? Ich sage: Nein!
({2})
Aber Sie halten mit aller Kraft daran fest.
Wir alimentieren letztendlich den Porsche und die
Rolex-Uhren einiger weniger Finanzakrobaten; der realwirtschaftlichen Entwicklung hingegen wird geschadet.
Herr Flosbach, Sie haben eben gesagt: Wir sind die Einzigen, die regulieren. Ich darf daran erinnern: In den
2000er-Jahren, als Rot-Grün regiert hat, hechelten auch
Sie dem neoliberalen Zeitgeist hinterher. Damals hieß
es: Wir brauchen in Deutschland unbedingt Hedgefonds.
Die wurden dann zwar ein bisschen reguliert, aber
grundsätzlich war man der Auffassung: Wir brauchen sie
unbedingt.
({3})
Dann kam die Finanzkrise. Es erfolgte ein Umdenken, Positionen wurden geändert. All das zeichnet Politik aus. Aber Sie haben ein System geschaffen und perfektioniert: Sie bringen Gesetze mit schönen Titeln ein,
die den Eindruck erwecken, als ob sich durch deren Verabschiedung etwas verändert, aber in Wirklichkeit passiert nichts. Das ist die Realität.
Nehmen wir doch einmal Ihre Bankenabgabe. Was ist
denn dabei herausgekommen? Nehmen wir die Regelung der Boni. Das ist doch ein Placeboeffekt. Sie schadet nicht und tut niemandem weh. Bei Gesetzen, die
letztendlich nur das aufgreifen, was sowieso schon geregelt ist, ist der Anspruch sehr gering.
Die Wohlverhaltensregelung, die heute verabschiedet
werden soll, gibt es an der deutschen Börse bereits. Es
ist bereits gang und gäbe, dass dann, wenn ein Händler
Gebote abgibt und daraus eine Transaktion bzw. ein
Handel erfolgt, dies reguliert wird. Die Börsen sagen
schon heute - das ist von Börse zu Börse etwas unterschiedlich -: Wenn von 2 500 Geboten nur eines realisiert wird - bei einer anderen Börse sind es vielleicht
500 -, dann wollen wir das nicht.
Da sagen Sie: Das wollen wir jetzt mal gesetzlich regulieren. Sie nehmen nur das auf, was durch den Druck
der Realität erzwungen wird oder was selbst für die
Börse einfach unwirtschaftlich ist, und sagen: Das ist
jetzt ein Gesetz. - Das ist doch aber keine Regulierung.
Das ist überhaupt keine Regulierung.
Wenn wir regulieren wollen, stellt sich als Erstes die
Frage: Müssen wir etwas regulieren? Oder kann die Politik nicht auch sagen: Menschen sind zwar in der Lage,
Computer und Computerprogramme zu entwickeln - das
ist alles schön -; aber brauchen wir diesen Hochfrequenzhandel überhaupt? Darauf kann man schlicht
und ergreifend sagen: Nein, wir brauchen ihn nicht.
({4})
Dann können wir überlegen: Wie können wir hier etwas erreichen? Wir könnten schlicht ein Verbot fordern.
Das wäre eine Möglichkeit. Die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland und Europa sind nicht unbedingt so ausgeprägt, dass man damit durchkäme.
Dann überlegt man: Wir schreiben eine Mindesthaltedauer von einer halben Sekunde vor; das ist schon mehrmals genannt worden. Wir hatten eine Anhörung im
Finanzausschuss. Ich fasse einmal kurz zusammen:
Experten haben gesagt, damit wäre der Hochfrequenzhandel tot. Die Lobbyisten in der Anhörung haben gesagt, dies würde überhaupt nicht wirken.
Das ist die Realität: Sie hören auf die Lobbyisten. Wir
werden den Antrag zur Einführung einer Mindesthaltedauer unterstützen. Wir hören auf die Experten.
({5})
Wir haben natürlich auch die Möglichkeit, auf dem
Weg weiterzugehen, eine Finanztransaktionsteuer in
Deutschland, in Europa und weltweit zu installieren. Sie
haben sich damit geschmückt, Sie hätten sie auf den
Weg gebracht. Entschuldigung, wir diskutieren nun
wirklich seit Jahren im Ausschuss, hier im Bundestag
miteinander. Von Ihnen kommen immer wieder Einwände. Der FDP nehme ich bis heute nicht ab, dass sie
dafür steht; das muss ich schlicht sagen.
Zu dem heutigen Gesetzentwurf, bei dem wir nicht
die gesamten Finanztransaktionen betrachten, sondern
nur einen Teil, hat ein CDU-Ministerpräsident im Bundesrat gesagt: Die Händler, die sich an der Börse mit diesen Hochfrequenzfinanztransaktionen beschäftigen,
können wir doch aus dem Geltungsbereich des Kreditwesengesetzes herausnehmen. - In dem Moment aber, in
dem ich diese ausgenommen habe und die Finanztransaktionsteuer eingeführt wird, greift sie nicht mehr; denn
die sind im Ausland. Das ist doch wieder ein Torpedo
gegen die Finanztransaktionsteuer. Sie handeln hier
nicht ehrlich.
Ich sage Ihnen: Wenn man es ernst meint mit der Regulierung, dann muss man beim Hochfrequenzhandel
die Geschwindigkeit reduzieren. Aber Sie bringen mit
Ihrem Gesetz zum Ausdruck: Rasen Sie ruhig weiter,
machen Sie den Börsenhandel weiter kaputt! Es macht ja
nichts, wenn die Realwirtschaft dadurch Schaden
nimmt; das ist uns egal. Einige wenige verdienen daran.
Sie haben vielleicht ein kleines Überholverbot in bestimmten Situationen aufgestellt, aber mehr nicht. Es ist
keine Regulierung. Eine Mindesthaltedauer wäre das
Mindeste, was wir beschließen müssten. Wir brauchen
eine handfeste, konsequente Diskussion zur Einführung
einer Finanztransaktionsteuer in Europa mit der federführenden Rolle der Bundesrepublik Deutschland, damit
deutlich wird: Wir wollen sie einführen.
Danke.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Aumer für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren heute über das Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel. Wir leisten weiter einen Beitrag zu dem,
was wir als christlich-liberale Koalition versprochen haben - das haben die Damen und Herren der Opposition
schon zitiert -, nämlich dass wir jeden Markt, jedes Produkt und jeden Akteur auf den Finanzmärkten regulieren
wollen.
Wir leisten, liebe Frau Höll, einen Beitrag zur Realpolitik und machen keine Satire, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu beschädigen.
({0})
Ich habe vor einigen Tagen im Handelsblatt ein Zitat
gelesen, das dem widerspricht, was Sie als Opposition
die ganze Zeit zu behaupten versuchen. Dort stand:
Mit der Regulierung des ultraschnellen Börsenhandels prescht die Koalition bei einem weiteren Regulierungsthema in der EU voran.
({1})
- „Prescht“ stand da, genau. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren der Opposition, nehmen Sie das doch
bitte zur Kenntnis. So wird das, was wir als christlichliberale Koalition machen, in der Öffentlichkeit wahrgenommen und nicht so, wie Sie das hier vorgeben. Das,
was Sie nach außen transportieren, ist nicht getragen von
Wahrheit und Klarheit.
({2})
Selbst die Bundesbank, die nicht unbedingt immer
unsere Linie vertritt, bestätigt das. Die Bundesbank sagt:
Das Gesetz ist in angemessener und ausgewogener
Weise ein Schritt zur Regulierung, ein erster Schritt und
ein guter und großer Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Das ist kein Schritt zurück, Herr Sieling. Wir sind keine
„Hasenfüße“, wie Sie in Ihrer Rede gesagt haben. Das
sind Sie; denn Sie haben bisher - das haben wir vorhin
schon gehört - gegen alle Gesetzentwürfe zur Regulierung gestimmt.
({4})
Man sollte von der Opposition erwarten können, dass
sie Realpolitik betreibt, dass sie auch mal mithilft, diese
schwierige Aufgabe, die uns gestellt worden ist, zu
lösen. Unsere wesentliche Aufgabe ist, Realpolitik zu
betreiben, aber vor allem, der Realwirtschaft zu dienen.
Zur Realwirtschaft gehören natürlich auch die Finanzmärkte, die Geld zur Verfügung stellen, damit die Realwirtschaft funktioniert. Man muss den richtigen Ausgleich finden. Wir haben diesen Ausgleich gefunden.
Herr Sieling, Sie haben es vorhin selbst gesagt; auch
Herr Zöllmer hat in seiner Rede auf den Wandel hingewiesen. Als er während seiner Schulzeit mit seinem
Leistungskurs zur Börse gefahren ist, war das alles noch
anders. Man muss den aktuellen Wandel mit den richtigen politischen Entscheidungen begleiten. Wir tun das,
indem wir sagen: Wir wollen den Hochfrequenzhandel
nicht ganz verbieten, weil das in der heutigen Zeit nicht
geht, sondern wir wollen den Ordnungsrahmen gestalten. Das ist einer Partei, die für die soziale Marktwirtschaft steht, auch angemessen. Wir wollen, dass der Ordnungsrahmen richtig funktioniert. Wir wollen, dass die
Marktwirtschaft auch in diesem Bereich weiter funktionieren kann. Wir wollen einen Ordnungsrahmen, der
stark ist, der trägt, der einen Beitrag zur Stärkung und
Stabilität der Finanzmärkte leistet.
({5})
- Herr Präsident, der Kollege Sieling meldet sich.
Der Kollege Sieling möchte eine Zwischenfrage stellen, und der Kollege Aumer will sie offenkundig gerne
beantworten.
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege, und vielen Dank, Herr
Präsident. - Herr Kollege Aumer, Sie sind ja Mitglied
der CSU. Sie sind aus Bayern und CSU-Mann.
({0})
Werden Sie Ihrem Kollegen Ferber auf der europäischen
Ebene folgen, oder werden Sie ihn ausbremsen?
Das ist schön. Ich wollte in meiner Rede darauf zu
sprechen kommen. Ich war noch gar nicht so weit, Herr
Sieling. Aber so habe ich schon jetzt Gelegenheit, darauf
einzugehen. Es ist nett, dass Sie meine Redezeit verlängern.
Ich glaube, man muss ganz genau hinschauen. Es ist
vorhin schon gesagt worden, dass man im Parlament einen Kompromiss gefunden hat. Wir müssen gemeinsam
beobachten - das sollte auch die Opposition in Deutschland tun -, welche Auswirkungen der Hochfrequenzhandel hat.
({0})
- Lassen Sie mich doch antworten. Die komplexe Frage
„Wollen Sie verbieten, oder wollen Sie nicht verbieten?“
kann man nicht so einfach beantworten. Wir wollen,
dass das Ganze funktioniert, und wir wollen keine populistische Arbeit leisten. Eine populistische Oppositionsarbeit machen nicht Sie, Herr Dr. Schick, aber ein Großteil Ihrer Partei.
Man muss genau hinschauen, was die Einführung von
Mindesthaltefristen bedeutet. Mindesthaltefristen können dazu führen - das hat man auch in der Anhörung gehört -, dass die Märkte nicht mehr funktionieren. Das
sagt sogar die Deutsche Bundesbank; man sollte doch
auf die Experten vertrauen.
({1})
- Wir tauschen uns aus. Auch wir in der CSU vertreten
zum Teil gegensätzliche Positionen. Wir bilden dann
Mehrheiten. - Ich zitiere jetzt Herrn Dr. Nagel, Mitglied
des Vorstands der Deutschen Bundesbank, der zum
Thema Mindesthaltefristen sagt: Eine solche Maßnahme
bringt auch signifikante Nachteile.
({2})
Wir wollen keinen Populismus, lieber Herr
Dr. Sieling, sondern wir wollen eine Politik machen, die
dafür sorgt, dass die Märkte in unserem Land funktionieren. Das ist unsere Aufgabe. Dafür sind wir gewählt
worden.
({3})
- Ich habe es Ihnen doch gerade gesagt.
({4})
- Wir haben die Eiertänze heute schon hinter uns.
({5})
Herr Zöllmer hat schon versucht, uns Eiertänze vorzuhalten. Ich glaube, das ist in diesem Bereich nicht der
Fall. Wir haben eine klare Linie:
({6})
Die Finanzmärkte werden dementsprechend geregelt.
Passen Sie auf; Sie haben einfach keinen Angriffspunkt
in diesem Bereich.
({7})
- Ja, wir haben eine klare Linie: Wir wollen, dass der
Hochfrequenzhandel reguliert wird, dass die soziale
Marktwirtschaft auch in diesem Bereich Einzug hält.
Wir wollen in einem doch sehr komplexen System Leitplanken setzen. Dieses System ist aber wichtig, damit
unsere Märkte heute funktionieren.
Ich habe gerade während der Reden der Opposition
eine Nachricht von n-tv gelesen: dass die Arbeitsmärkte
bei uns im Land stabil sind, trotz einer schwierigen konjunkturellen Situation. - Das ist vor allem auch darauf
zurückzuführen, dass wir verlässliche Politik für die
Menschen in unserem Land machen. Sie machen das
nicht.
({8})
Sie versuchen, populistische Politik zu machen, den
Menschen zum Teil nicht die Wahrheit zu sagen. Wahrheit ist für uns, immer das umzusetzen, was der Mehrheit
der Menschen in unserem Land dient. Das macht auch
der bayerische Ministerpräsident. Deswegen steht Bayern so gut da, deswegen ist Bayern Vorreiter in Europa.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie können
mit allem Populismus dagegenhalten, Sie können einen
„Drehhofer“ zitieren - wie es vorhin schon geschehen
ist - oder nicht: Am Ende zählt das, was herauskommt.
({9})
Am Ende zählt das, was wir für die Menschen getan haben, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Es bleibt dabei: Wir arbeiten verlässlich für unser Land. Wir arbeiten
verlässlich daran, die Bereiche zu regulieren, die man regeln kann.
Wir schlagen nicht auf populistische Art und Weise
Dinge vor, die nicht funktionieren. Die Mindesthaltefristen sind ein solcher populistischer Vorschlag. Sie lehnen
jetzt das ganze Gesetz ab, nur weil eine Forderung
- mein Kollege Björn Sänger hat das vorhin schon gesagt -, die Sie stellen, nicht mit aufgenommen werden
kann. Wir sagen: Wir sind in Deutschland nicht alleine.
Die Welt ist international aufgestellt. Wir wollen das
zumindest europaweit geregelt haben. Wir setzen uns
dementsprechend auf europäischer Ebene dafür ein, dass
diese Regelungen eingeführt werden.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen Sie
zur Kenntnis, dass wir das tun, was wir den Menschen
versprochen haben: die Finanzmärkte zu regulieren, eine
verlässliche Politik auch in diesem Bereich einkehren zu
lassen. Leisten Sie einen Beitrag dazu! Stimmen Sie diesem Gesetz zu! Dann wird unser Land noch stabiler in
die Zukunft gehen können. Dann werden wir weiterhin
die Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land sichern können. Das ist die Aufgabe, die wir sehen, und
das sollte auch die Aufgabe der Opposition sein.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Lothar Binding hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute
Morgen wirklich große Worte gehört.
Herr Wissing hat gesagt: Keine Regierung hat die Regulierung jemals so vorangetrieben wie diese christlichliberale Regierung. Darauf könne sie stolz sein.
({0})
Kollege Koschyk hat gesagt: Keine Mäkeleien, Kritteleien! Eine Brandmauer soll aufgebaut werden.
({1})
Kollege Flosbach hat gesagt: Risiken und Missbräuche nehmen wir heraus.
({2})
In der Überschrift des Gesetzentwurfes wird von „Gefahren und Missbräuchen“ gesprochen. Etwas weiter unten steht: „Besonderen Risiken des algorithmischen
Hochfrequenzhandels“ soll „entgegengewirkt werden“.
Schauen wir einmal in das Gesetz:
({3})
„Der Börsenträger“ hat „für die übermäßige Nutzung der
Börsensysteme … separate Entgelte zu verlangen“. Es
steht weder die Höhe noch sonst etwas im Gesetz, und es
gilt nur „für die übermäßige Nutzung“. Was soll damit
eigentlich reguliert werden? Dass man für etwas, was
man benutzt, ein Entgelt zahlen muss, ist doch nichts
Besonderes. Für alles, was ich benutze, was ich leihe
oder kaufe, wird ein Entgelt verlangt. Geniale Regulierung!
Ferner kann die Geschäftsführung
- sie kann! das Ruhen der Zulassung längstens für die Dauer …
anordnen, wenn ein Handelsteilnehmer das OrderTransaktions-Verhältnis … nicht einhält …
Lothar Binding ({4})
Sie kann das machen. Wen bitten Sie dort eigentlich
zu regulieren? Wer soll eigentlich das regulieren, was Ihnen Angst macht, wovon Sie vorhin gesagt haben, es
macht den Menschen Angst? Sie bitten den, der Angst
macht, das zu regulieren, was Angst macht. Das ist doch
absurd! Da können Sie gleich Mövenpick fragen, wie
hoch die Hotelsteuer sein soll.
({5})
Die Börse
- ich habe natürlich nichts gegen die Börse; aber wir
reden hier über die Börse, an der das alles passiert, was
Angst macht und was Sie regulieren wollen hat geeignete
- welche eigentlich? Vorkehrungen zu treffen, um auch bei erheblichen
Preisschwankungen
- was ist eigentlich eine erhebliche Preisschwankung?
Das ist doch ein Gesetz und nicht ein Besinnungsaufsatz! ({6})
eine ordnungsgemäße Ermittlung des Börsenpreises
sicherzustellen. Geeignete Vorkehrungen im Sinne
des Satzes … sind insbesondere kurzfristige Änderungen des Marktmodells …
Was ist eigentlich die kurzfristige Änderung eines
Marktmodells? Kann das einmal jemand genauer erklären?
({7})
Es kommt dann. Sie meinen „kurzzeitige Volatilitätsunterbrechungen“. Es geht hierbei um den Nanosekundenbereich. Leuten, die in diesem Bereich handeln, sagen Sie jetzt, dass Sie, wenn sich kurzfristig etwas
ändert, etwas machen wollen. Geht es noch kurzfristiger
als im Nanosekundenbereich? Was meinen Sie eigentlich? Sie machen doch ein Gesetz.
({8})
Ein angemessenes Order-Transaktions-Verhältnis
liegt … dann vor, wenn dieses … wirtschaftlich
nachvollziehbar ist.
({9})
Das ist ja interessant. Wer soll Ihrer Ansicht nach eigentlich messen, was angemessen ist? Ja, sind wir denn
verrückt, dass der Gesetzgeber die Frösche fragt, ob er
wirklich den Sumpf trockenlegen soll? Was kann denn
die Antwort darauf sein?
({10})
Die Börsenordnung
- also nicht das Gesetz muss nähere Bestimmungen zum angemessenen
Order-Transaktions-Verhältnis für bestimmte Gattungen von Finanzinstrumenten treffen.
Ja, wen beauftragen Sie denn? Was wollen Sie denn regeln? Ich dachte, dies sei die genialste Regelung, die es
überhaupt jemals von einer Regierung in der Nachkriegsgeschichte gibt. Was regeln Sie? Ehrlich gesagt
- bei näherem Hinsehen erkennt man es -: nichts.
({11})
Alle Produkte, alle Märkte, eine Brandmauer. Vorhin ist
gesagt worden: Wir handeln sofort.
({12})
Nein, Sie schaffen einen abstrakten Rahmen dafür, dass
die Börse etwas tun darf. Das darf sie jetzt auch schon,
dazu braucht sie überhaupt kein Gesetz, jedenfalls nicht
Ihr Gesetz.
({13})
Die Börse
- dies ist jetzt versuchsweise; ich habe überall nach etwas Konkretem gesucht ist verpflichtet,
- da dachte ich: jetzt geht es los eine angemessene Größe der kleinstmöglichen
Preisänderung bei den gehandelten Finanzinstrumenten festzulegen…
Wissen Sie eigentlich, was die kleinstmögliche Preisänderung bei Arbitragegewinnen ist? Wenn Sie 20 Millionen Mal handeln, dann kann sie gar nicht klein genug
sein, und Sie machen trotzdem noch einen Gewinn.
Scheinorder, Scheinmärkte und fiktive Transaktionen
machen den Markt gefährlich. Von wegen „beste Regelung“, mit diesem Gesetzentwurf regeln Sie - das erkennt man bei näherem Hinsehen - nichts.
({14})
Ich glaube, man muss sich die Preisfindungsmechanismen, die Sie definieren, und die von Ihnen genannten
Ziele eines angemessenen Order-Transaktions-Verhältnisses im Sinne des § 26 a des Börsengesetzes, der nicht
beeinträchtigt werden soll, genauer anschauen.
Nähere Bestimmungen kann
- jetzt dürfen Sie fünfmal raten die Börsenordnung treffen.
Wieder soll ein Dritter regeln, was er selber anrichtet.
Ich glaube, wer dieses System erkennt, der weiß, warum
wir da nicht zustimmen können. Sie fingieren praktisch
einen Regelungsmechanismus. Würden wir dem zustimmen, würden wir den Menschen vorgaukeln, wir würden
Lothar Binding ({15})
das, was gefährdet, regulieren, obwohl wir alles noch
viel schlimmer machen. Denn jeder, der zur Börse geht,
denkt dann natürlich: Hier ist alles geregelt, alles sicher.
Nein, Sie schaffen einen Scheinmantel, von dem sogar
das Schlimmste gedeckt wird.
Wenn Sie da konkreter wären, würden wir auch zustimmen.
({16})
Es ist traurig, dass Sie der einzigen konkreten Zahl, die
sich hier finden lässt, nämlich in unserem Antrag, nicht
zustimmen.
({17})
Bei dieser unkonkreten Gesetzgebung dürfen Sie sich
nicht wundern, dass sie auch international nicht auf
fruchtbaren Boden fällt.
({18})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dies ist die 60. oder 70. Debatte, die wir hier zu
Finanzmarktthemen führen.
({0})
Es ist eigentlich immer das Gleiche:
({1})
Wir machen etwas,
({2})
und die Opposition stellt sich hin, nölt herum und sagt:
Ja, wir würden es ein bisschen kräftiger machen, wir
würden da eine Formulierung ändern, wir würden hier
etwas machen.
({3})
Es ist nicht schnell genug, es ist zu spät, es ist zu früh. Im Grunde genommen warte ich auf das große Gesamtbild. Ich warte darauf, dass die Opposition uns zeigt, wie
man Finanzmarktregulierung macht. Aber Sie beschränken sich auf Nölen und Herumkritteln und haben keine
überzeugenden Vorschläge.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem
konkreten Gesetzentwurf, der uns vorliegt. Der Kollege
Zöllmer hat ja ein schönes Bild aus der Vergangenheit
gemalt: Als er mit seinem Volkswirtschaftskurs die Düsseldorfer Börse besucht hat, rannten da Männer herum
- schwitzend und schreiend -, die sich in unverständlichem Kauderwelsch Kurse zuriefen. Irgendwie ist das
doch unser aller schöne Kindheit. Wer würde sich nicht
wünschen, dass diese unser aller schöne Kindheit bleiben würde?
Aber die Realität ist leider eine andere. Die Realität
ist, dass wir mittlerweile einen elektronischen Handel
haben, dass der Parketthandel weitgehend überholt ist.
Die Realität ist auch, dass nicht mehr Menschen miteinander handeln, sondern Maschinen; das nennt man algorithmisch. Wenn sie das ganz besonders schnell machen, dann reden wir vom Hochfrequenzhandel. Ganz
ehrlich: Wer von uns, meine Damen und Herren, ist nicht
beunruhigt, wenn Maschinen untereinander handeln?
Wer von uns ist nicht beunruhigt - wem macht das keine
Angst? -, wenn in Millisekunden Milliardenbeträge
durch die Welt geschoben werden? Deswegen ist es gut
und richtig, dass wir uns diesen Bereich vornehmen und
diesen Bereich regulieren.
An dieser Regulierung haben Sie Kritik geübt. Ich
möchte auf diese Kritikpunkte eingehen.
({5})
Sie haben zunächst gesagt: Das kommt alles viel zu spät. Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir zuerst die Vergütungen reguliert haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir
zuerst die Ratingagenturen reguliert haben, wenn Sie uns
vorwerfen, dass wir zuerst die Finanzaufsicht reformiert
haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir zuerst dafür gesorgt haben, dass bei den Banken und Versicherungen
mehr Eigenkapital und Liquidität vorhanden sein muss,
wenn Sie uns vorwerfen, dass wir uns zuerst mit dem
Anlegerschutz beschäftigt haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir uns zuerst mit den offenen Immobilienfonds beschäftigt haben, wenn Sie uns vorwerfen, dass
wir zuerst bestimmte Produkte aus dem grauen Kapitalmarkt herausgeholt haben, muss ich Ihnen sagen: Ja, das
alles müssen wir gelten lassen; denn das haben wir zuerst gemacht, bevor wir uns mit dem Hochfrequenzhandel beschäftigt haben.
({6})
Ich glaube, das war auch die richtige Reihenfolge, die
wir da gewählt haben.
({7})
Sie kritisieren: Ihr handelt nicht nur zu spät, sondern
- wenn ich an die Rede des Kollegen Schick aus der ersten Lesung denke - auch zu früh. Es wird doch auf europäischer Ebene etwas gemacht. Warum macht ihr denn
jetzt etwas in Deutschland?
({8})
Bald wird die MiFID-Reform kommen. Ihr könntet euch
eure nationalen Alleingänge eigentlich sparen. ({9})
Dazu muss man eines sagen: MiFID wird irgendwann in
drei, vier Jahren in Kraft treten. Wollen wir so lange
warten? Wollen wir die Märkte so lange so belassen, wie
ich es beschrieben habe? Oder haben wir nicht als Bundesregierung die Aufgabe, da schneller heranzugehen?
Ich glaube, wir haben die Aufgabe, da schneller heranzugehen.
({10})
Deswegen ist es gut und richtig, dass wir hier national
vorangehen.
({11})
Es wurde kritisiert: Es gibt lange Übergangsfristen. Ja, klar gibt es Übergangsfristen. Diese Übergangsfristen
sind so gewählt, dass die Marktteilnehmer die Möglichkeit haben, die erforderlichen Genehmigungen einzuholen; das ist gut, richtig und fair. Fairness gilt nämlich
auch für die Finanzmärkte, meine Damen und Herren.
Dann wurde ein besonders interessanter Vorschlag gemacht: Alles, was da gemacht wird, die sogenannten Algorithmen, sollten im Vorhinein genehmigt werden. Das passt natürlich prima in die Philosophie der linken
Seite dieses Hauses. Das ist eine weitere Aufgabe für das
Zentralkomitee für besseres Leben, das alles genehmigen muss:
({12})
ob und wann wir Fleisch essen, welche Algorithmen genommen werden, wie schnell wir Auto fahren; auch alles
andere sollte zentral vom Staat genehmigt werden. Das
wird nur nicht funktionieren, meine Damen und Herren.
({13})
Jetzt komme ich zu einem wichtigen Punkt, der hier
immer wieder angeklungen ist: zu den Mindesthaltefristen. Sie fordern: Ziehen wir doch eine Bremse in den
Hochfrequenzhandel ein! Sagen wir doch: Es muss eine
halbe Sekunde gewartet werden, bevor ein neues Geschäft getätigt wird. - Das hört sich bestechend an. Fakt
ist - der Kollege Wissing hat das an anderer Stelle einmal geäußert -: Dann hätten wir uns den gesamten Gesetzentwurf sparen können. Dann hätten wir nämlich sagen können: Der Hochfrequenzhandel wird verboten.
Sie haben sich ja heute dazu bekannt, den Hochfrequenzhandel tatsächlich verbieten zu wollen. Gut, dieser
Auffassung kann man sein. Aber Sie müssen auch anerkennen, dass die Experten - und zwar nicht nur die Experten, die von der Deutschen Börse bezahlt werden dazu ein sehr unterschiedliches Bild gezeichnet haben.
Die einen sagen, das wäre gut; die anderen sagen, das
wäre schlecht. Sie als Opposition sind jetzt ungemein
mutig, weil Sie genau wissen, dass Sie das nicht zu verantworten haben, und fordern: Mindesthaltefristen einbauen und Hochfrequenzhandel abschaffen! - Gut, das
können Sie fordern. Aber wir sind an der Regierung. Wir
tragen die Verantwortung für die Märkte und für das,
was auf den Märkten passiert. Deswegen sagen wir: Wir
machen an dieser Stelle keinen nationalen Alleingang.
Das kann man diskreditieren, aber zum Regierungshandeln gehört, dass man auch die Verantwortung für sein
Handeln übernimmt. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Finanzmarktpolitik der Regierung
und der der Opposition. Wir verantworten das, was wir
machen.
({14})
Sie stellen Forderungen auf, von denen Sie wissen, dass
Sie sie nie verantworten müssen. Deswegen übertreiben
Sie immer bei all dem, was Sie wollen.
({15})
Meine Damen und Herren, es ist einfach, Opposition
zu sein.
({16})
Es ist nicht nur Mist, wie Herr Müntefering sagt, sondern
es ist einfach; denn Oppositionshandeln im Finanzmarktbereich hat bisher nur darin bestanden, Dinge
schlechtzumachen, zu fordern und dagegen zu stimmen.
Ich muss Sie wirklich fragen: Welches ist denn Ihr
Bild von Politik? Ist es Ihr Bild, zu sagen: Wenn ich
mich nicht zu 100 Prozent durchsetze, dann blockiere
ich einfach alles? - Das ist nach meiner Auffassung sehr
verantwortungslos.
({17})
Wenn wir jetzt die ganze Sache zum Abschluss bringen und wieder zu dem schönen „Wimmelbild“ von den
schwitzenden Männern, die sich gegenseitig Kurse zuschreien, das Herr Zöllmer aufgemalt hat, kommen,
müssen wir wohl festhalten, dass wir dieses Bild nie
wieder erleben werden.
({18})
Ich glaube, wir müssen die Realität anerkennen. Die Realität in dieser Welt ist eine andere. Die Realität in dieser
Welt heißt auch: Wenn wir in Deutschland den Hochfrequenzhandel verbieten, dann wird er in Luxemburg stattfinden. Und wenn wir den Hochfrequenzhandel innerhalb der Europäischen Union verbieten, dann wird er an
anderen Plätzen stattfinden. Das heißt nicht, dass wir
diesen Hochfrequenzhandel weiterlaufen lassen sollten
wie bisher, sondern wir müssen versuchen, eine vernünftige Regulierung hinzukriegen. Aber die Realität einfach
auszublenden, die Welt als einen großen Ponyhof darzustellen, das wird nicht funktionieren.
Das, was wir hier vorlegen, beinhaltet eine verantwortungsvolle Regulierung des Hochfrequenzhandels.
Man kann sicherlich an der einen oder anderen Stelle
mehr machen, muss dies dann aber international organisieren. Das haben wir immer vor Augen gehabt, und deswegen handelt es sich hier um ein gutes Gesetz.
({19})
Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen - wir als
Finanzmarktregulierer haben ja nicht ganz so oft die Gelegenheit, zu dieser Stunde zu sprechen -, um noch das
eine oder andere Wort an die Branche zu richten. Die
Branche hat nämlich auch ein Problem. Die Branche hat
das Problem, dass sie bei allen Regulierungsvorhaben,
die wir machen, immer wieder sagt: Wenn ihr das jetzt
macht, dann wird alles zusammenbrechen. - Wir haben
das erlebt, als wir gesagt haben: Wir wollen die Hochfrequenzhändler dem Kreditwesengesetz unterstellen. Wir
wollen eine harte Aufsicht der Hochfrequenzhändler.
Sie müssen sich eines vorstellen: 25, 30, 40 Prozent
des Börsenumsatzes in Deutschland werden von Marktteilnehmern gemacht, die wir nicht kennen, von denen
wir nicht wissen, welche Interessenlagen die haben, und
von denen wir auch nicht wissen, mit welchen Werkzeugen die arbeiten. Dementsprechend sind wir an diese Problematik herangegangen und haben die Sache angepackt,
und zwar gegen den Widerstand der Branche. - Dies zu
Ihren Zwischenbemerkungen, Herr Poß.
Schaut man sich die Branche einmal insgesamt an,
stellt man fest, dass dort die Erkenntnis eingetreten ist,
dass sich nach dem Jahr 2008 etwas ändern musste.
Diese Erkenntnis ist aber nur sehr langsam eingetreten.
Bemerkenswerte Äußerungen gab es dazu vorgestern
von dem Privatkundenvorstand der Deutschen Bank, der
als erster Vorstand einer großen deutschen Bank gesagt
hat - ich gebe das, was in der Börsen-Zeitung gesagt
worden ist, nur sinngemäß wieder -: Wenn die Banken,
wenn die Finanzindustrie bei allen Regulierungsvorhaben immer nur schreien, das gehe nicht und das mache
alles kaputt, dann müssen sie sich nicht wundern, dass
sie das Vertrauen der Politik komplett verspielen.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich würde
mir wünschen, dass wir viel mehr aktive Mitarbeiter in
der Branche und in der Regulierung haben, dass die
Branche nicht ebenso wie die Opposition immer sagt,
das gehe nicht, das sei alles schlecht, das werde alles kaputtmachen, sondern dass sie mithilft, eine konstruktive
Regulierung hinzubekommen.
Das, was wir im Rahmen der 60 bis 70 Debatten hier
diskutiert haben, ist eine konstruktive Regulierung. Deswegen bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit wir am Ende des Tages einmal mehr besseren und stabileren Finanzmärkten nähergekommen sein
werden. Diese christlich-liberale Koalition steht dafür.
Danke schön.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
meidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfre-
quenzhandel. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12536, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 17/11631 und 17/11874 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in dieser Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange-
nommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von ihren
Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache
17/12551. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir sind damit mit diesem Tagesordnungspunkt
durch.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt
- Drucksache 17/12485 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Bezahlbare Mieten in Deutschland
- Drucksache 17/12486 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann,
Präsident Dr. Norbert Lammert
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Wohnungsnot bekämpfen - Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum Kern einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft entwickeln
- Drucksache 17/12481 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland
- Drucksache 17/11200 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger,
Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig machen - Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches Mietrecht
- Drucksachen 17/7983, 17/12472 Berichterstattung:
Abgeordneter Sebastian Körber
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache ebenfalls 90 Minuten vorgesehen. Dazu besteht Einvernehmen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich in die Runde schaue, stelle ich fest: Ich bin
nicht der Einzige, der heute Morgen direkt von München
aus hierher gekommen ist.
Ich bin auch nicht der Einzige, der das politische Cabaret
({0})
eigentlich erst gestern Abend auf dem Nockherberg erwartet hat, lieber Volker Kauder. Als ich mich zu diesem
Tagesordnungspunkt „Wohnen und Mieten“ gemeldet
habe, konnte ich nicht ahnen, dass das wahre politische
Kuriositätenkabinett schon am Wochenende vor dem
Nockherberg getagt hat.
Man stelle sich das einmal vor: Beim Mindestlohn sagen Christdemokraten und Liberale seit fast vier Jahren:
„Gott sei bei uns!“ - seit drei Tagen soll das alles ganz
anders sein. Bei der Homo-Ehe schien noch vor einer
Woche der Untergang des Abendlandes zu drohen - seit
dem Wochenende alles ganz anders.
({1})
Türkei-Beitritt: Jahrelang hat die Union getönt, dass die
Türken aus der Europäischen Union draußen bleiben sollen - am Wochenende sagte die Kanzlerin: Die Verhandlungen gehen gar nicht schnell genug.
({2})
Im Hinblick auf ein NPD-Verbot wurden die Ermittlungen der Innenminister der Länder wochenlang links liegen gelassen, und es wurde Skepsis gestreut - urplötzlich, ohne dass sich irgendetwas Neues ereignet hätte,
soll das Kabinett jetzt doch einen Verbotsantrag beschließen.
({3})
- Meine Damen und Herren, bevor Sie unruhig werden,
sage ich Ihnen: Glückwunsch zu so vielen neuen Einsichten!
({4})
Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die eine oder andere dieser neuen Einsichten durch den Wahltermin befördert wurde. Eines rate
ich nur: Überholen ohne einzuholen, das funktioniert
nicht, das haben schon andere versucht, meine Damen
und Herren.
({5})
Beim Wettbewerb um politisches Umfallen darf die
FDP natürlich nicht abseitsstehen. Bei der doppelten
Staatsangehörigkeit, einem absoluten No-Go für die Koalition - das war ein Evergreen -, überrascht uns Frau
Leutheusser-Schnarrenberger am Wochenende mit dem
Satz: Alles ist möglich.
({6})
- Jetzt müssen Sie nicht mehr länger neugierig sein. Bei
den Stichworten „Umfallen“ und „Kehrtwende“ - da haben Sie recht; insofern verstehe ich, dass Ihnen da etwas
gefehlt hat - darf einer nicht fehlen, nämlich der Bauminister.
({7})
Das dreisteste Stück, das in den letzten Tagen zur
Aufführung gekommen ist, stellt den Nockherberg von
gestern Abend mühelos in den Schatten. Man stelle sich
das einmal vor: Ausgerechnet derjenige, der den Kahlschlag im Wohnungsbau verursacht hat, ausgerechnet
derjenige, der zu den Ersten gehörte, als es darum ging,
die Eigenheimzulage zu streichen, ausgerechnet Herr
Ramsauer dreht sich auf den Hacken um und tut seit dem
Wochenende so, als sei er die Spitze der Bewegung, als
sei er Vorreiter beim Thema „Wohnen und Mieten“. So
einfach geht das nicht!
({8})
Dreistigkeit mag sich lohnen, auch in der Politik, aber
das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({9})
Sie sind verantwortlich dafür, dass das Bund-LänderProgramm „Die soziale Stadt“ „geschlachtet“ wurde. Sie
sind verantwortlich dafür, dass der Heizkostenzuschuss
abgeschafft wurde.
({10})
Sie haben das neue mieterfeindliche Mietrecht auf
den Weg gebracht.
({11})
Sie haben die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt
ignoriert und gleichzeitig eine rechtzeitige Gegenwehr
verpennt. Das haben wir nicht vergessen, und wir werden dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland das
auch nicht vergessen.
({12})
Ich kann ja verstehen, dass Sie nach diesen etwas
atemlosen Kehrtwenden vom vergangenen Wochenende
nicht mehr richtig wissen, wo Ihnen der Kopf steht. In
Ihren eigenen Reihen herrscht im Augenblick ein bisschen Chaos. Dazu will ich mich aber gar nicht äußern;
das ist Ihre Sache. Meine einzige Bitte ist: Richten Sie
bitte das Chaos, das Sie in der Energiepolitik angerichtet
haben, nicht auch noch in der Wohnungspolitik an.
({13})
Die Wohnungspolitik braucht nämlich keine Kehrtwenden, sondern Verlässlichkeit. Wenn Sie wollen, dass
Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen bauen, dann
machen Sie keine Kehrtwenden, sondern sorgen Sie für
Planbarkeit und Investitionssicherheit. Familien, die vor
der Entscheidung stehen, wo sie leben möchten und ob
sie mieten oder bauen wollen, brauchen ebenfalls Planungssicherheit. Solche Pläne kann man eben nicht einfach mal verändern, wenn es einem in den Kram passt.
Wir brauchen keinen Aktionismus und keine Chaotisierung, sondern Ernsthaftigkeit und lange Linien. Ohne
das wird es nichts mit bezahlbarem Wohnraum - auch
nicht bei uns.
({14})
Unser Vorwurf ist, dass es gerade an dieser Ernsthaftigkeit, von der ich rede, fehlt. In den letzten fünf Jahren
hat sich die Zahl der Haushalte, die 40 Prozent und mehr
von ihrem Einkommen für Miete ausgeben, verdoppelt.
Studenten - das wissen Sie auch - finden in den Unistädten kaum noch Wohnungen. Der Bestand an Sozialwohnungen geht Jahr für Jahr zurück. Die wenigsten Wohnungen sind altersgerecht.
Das alles ist nicht neu. Das haben Sie in Ihrem eigenen „Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland“ vom letzten Oktober sogar veröffentlicht. Sie haben es zwar veröffentlicht, aber passiert
ist nichts. Das ist das, was vorzuwerfen ist.
({15})
Wenn das so weitergeht, dann werden wir den Prozess
nicht aufhalten, dass ganz normale Familien aus ihren
Vierteln, in denen sie wohnen, verdrängt werden. Dann
können es sich nur noch ganz wenige leisten, tatsächlich
im Zentrum der Städte zu wohnen, dann erkennen wir
unsere Städte bald nicht mehr wieder, und dann kriegen
wir Verhältnisse wie anderswo auf der Welt, die wir
nicht wollen.
Ich finde es gut, dass wir uns in diesem Hause, als die
Bilder aus Frankreich, von den französischen Banlieues
durch die Medien gingen, einig waren, dass wir solche
Bilder in deutschen Städten nie sehen wollen. Darüber
gab es Konsens. Das Problem ist nur: Dieser Konsens ist
wohnungspolitisch folgenlos geblieben.
({16})
Er ist folgenlos geblieben und musste folgenlos bleiben, weil Sie gleichzeitig zum Beispiel die Mittel für das
Bund-Länder-Programm „Die soziale Stadt“ endlos zusammengekürzt haben. Hier stimmt einfach vieles nicht.
Sie haben damals gesagt, das sei deshalb notwendig,
um die Betonpolitik der SPD endlich zu einem Ende
kommen zu lassen. Das hat mir viel über das verraten,
was Sie nie verstanden haben. Ich gebe Ihnen ja recht:
Die Bereitstellung von Mitteln für den Bau - dann, wenn
man in Beton und Steine investiert - kann man vielleicht
mal ein oder zwei Jahre schieben, wenn der Haushalt
knapp ist. Das ist wahr. Beim Bund-Länder-Programm
„Die soziale Stadt“ geht und ging es aber nie um Beton.
Das sind soziale Netzwerke, die über zwei Jahrzehnte
gewachsen und in den Quartieren mühsam aufgebaut
worden sind.
({17})
Hier kann man nicht einfach das Geld wegnehmen
und darauf vertrauen, dass die sozialen Netzwerke erhalten bleiben. Nein, das produziert Enttäuschungen.
Wenn Sie dann, wie jetzt, nach zwei Jahren wieder
Geld dafür zur Verfügung stellen wollen, dann merken
Sie, dass es diese Netzwerke, auf die Sie zurückgreifen
wollen, nicht mehr gibt. Deshalb war das so verhängnisvoll. Das muss hier einmal zur Sprache kommen.
({18})
Notwendig ist etwas anderes, ist ein ganzes Bündel
von Maßnahmen, und das haben wir in unserem Antrag
vorgeschlagen. Das sind aus unserer Sicht zuallererst
Änderungen im Mietrecht, um zum Beispiel Mietsteigerungen zu begrenzen - nicht nur in bestehenden Verträgen, sondern auch bei Wiedervermietung.
({19})
- Ja, Sie können das ja gleich hier vom Pult aus gern sagen. - Sie haben nämlich gerade das Gegenteil gemacht.
Sie haben die Position der Mieterinnen und Mieter einseitig geschwächt. Das ist genau der falsche Weg, meine
Damen und Herren.
({20})
Unser Antrag ist ein Vorschlag. Schauen Sie sich den
an! Ein paar andere Dinge können wir ganz schnell und
einfach miteinander regeln. Ich meine da zum Beispiel
die Übernahme der Maklerkosten durch den Vermieter,
wenn er ihn denn bestellt hat. Der Grundsatz „Wer bestellt, der bezahlt auch“ ist in der Marktwirtschaft ja
nichts Neues.
({21})
Das gilt überall sonst, außer bei Mieten und Wohnen.
Aber warum nicht auch hier? Deshalb sage ich ganz einfach: Wer bestellt, der bezahlt. Wir haben eine entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Ich lade Sie ein,
diese Initiative zu unterstützen, meine Damen und Herren.
({22})
Es geht jedoch nicht nur um Mietrecht, auch nicht nur
um Maklerkosten. Wir brauchen in diesem Land wieder
Wohnungsneubau, und zwar nicht nur Luxusapartments
in einigen Innenstadtlagen, sondern gute und bezahlbare
Wohnungen für ganz normale Leute.
Damit das klappt, brauchen wir nicht irgendeine Förderung, wir brauchen eine sehr zielgerichtete Förderung
und gerade keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip. Denn wahr ist doch genauso - das erfahren Sie in
Ihren Wahlkreisen doch auch -: Im ländlichen Raum haben wir kein Unterangebot, keinen Mangel an Wohnraum, sondern da haben wir Wohnungsleerstand. Dort ist
das Problem eher, dass viele Leute viel Geld - teilweise
ihr ganzes Vermögen - in ihr Haus gesteckt haben und
sie es möglicherweise dann, wenn sie älter werden, nicht
einmal mehr verkaufen können. Deshalb: Förderung
nach dem Gießkannenprinzip kann nicht funktionieren.
Wir brauchen eine zielgerichtete Förderung. Das genau
müsste das Anliegen des Bundesbauministers seit dreieinhalb Jahren sein. Aber da war nichts, und da ist
nichts. Das ist heute zu beklagen.
({23})
Wir brauchen - das ist meine feste Überzeugung - ein
ganz breites Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Da
muss der Bund vorangehen, da müssen die Länder dazu,
da müssen die Kommunen dazu, die Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Sozialverbände. Wir brauchen da einen
breiten Pakt.
Wir haben mit unserem Antrag konkrete Vorschläge
unterbreitet, was jetzt in dieser Situation zu tun ist. Die
Menschen, finde ich, haben ein Recht darauf, dass wir
von der Politik Wohnen in diesem Land wieder bezahlbar machen.
({24})
Das, Herr Ramsauer, an Ihre Adresse: Ihre Verantwortung für den BER haben Sie abgewälzt auf Berlin
und auf Brandenburg. Ihre Verantwortung für Stuttgart 21 - wir beobachten das sehr genau - wälzen Sie im
Augenblick auf die Deutsche Bahn ab. Hier, bei Wohnen
und Mieten, steht niemand zur Verfügung, der die Verantwortung übernimmt. Hier, Herr Ramsauer, sind Sie in
der Verantwortung, und bei dieser Verantwortung werden wir Sie packen.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat nun der Bundesminister Peter
Ramsauer.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Steinmeier, wir hatten ja
heute Morgen schon einmal das Vergnügen. Aber, wissen Sie, das ist eine Generaldebatte, die Sie jetzt begonnen haben. Da Sie schon von meiner Verantwortung für
den Berliner Flughafen im Rahmen einer Generaldebatte
sprechen: Natürlich tragen auch der Bund und ich Verantwortung für dieses Projekt am Berliner Flughafen in
dem Ausmaß, in dem es dem Bund als Gesellschafter
aufgegeben ist. Wenn Sie aber schon die Formulierung
gebrauchen, ich hätte Verantwortung auf Berlin und
Brandenburg abgewälzt, dann muss ich hinzufügen: Leider streiten die beiden seit einigen Tagen dermaßen, dass
es mir als Vertreter des Bundes fürchterlich unangenehm
ist; das muss man auch sagen. Das stimmt auch wieder,
Herr Steinmeier.
({0})
Aber ich mache das still und leise im Hintergrund. Wir
bringen das schon wieder in Ordnung,
({1})
und zwar aus Gründen der Gesamtverantwortung.
Was Erinnerungen betrifft: Sie haben gesagt, Herr
Steinmeier, ich sei 2006/2007 auch dabei gewesen. Ich
war damals Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im
Deutschen Bundestag als Vorvorgänger der Kollegin
Gerda Hasselfeldt. In der Tat hat die Große Koalition damals zwei sehr wichtige Instrumente der Wohnungsbaupolitik abgeschafft, nämlich die Eigenheimzulage und
die degressive AfA. Beide Instrumente standen auf der
sogenannten Koch/Steinbrück-Liste.
({2})
Gut, dass wenigstens Herr Steinbrück heute hier ist. Der
andere, der neben dem Finanzminister Verantwortung
trug - ({3})
- Nicht einmal Sie bringen mich dazu, irgendetwas Negatives über meinen hochverehrten Amtsvorgänger zu
sagen.
Da Sie aber damit angefangen haben, Herr
Steinmeier, muss ich sagen: Der andere war ein SPDBauminister, der zusammen mit einem SPD-Finanzminister diese beiden wertvollen Instrumente abgeschafft hat, und zwar in federführender Position, nämlich
als Minister.
({4})
Wenn Sie nicht angefangen hätten, hätte ich es auch
nicht getan; denn ich mag es nicht, hinterher an bestimmte Sachverhalte immer wieder zu erinnern.
Wir müssen eine nach vorne gerichtete Baupolitik
und Wohnungspolitik betreiben; denn hier geht es um
ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen.
({5})
Deswegen ist es mein Wunsch, dass wir alle hier an einem Strang ziehen und nicht eine Bevölkerungsgruppe
gegen die andere aufhetzen. Das hat keinen Sinn.
({6})
Inzwischen gibt es Gott sei Dank eine Trendwende.
Dramatisierungen und Pauschalisierungen nutzen nicht.
Die Entwicklung auf den Wohnungsmärkten ist ausgesprochen differenziert und ist regional sehr unterschiedlich, auch was die Ursachen angeht. Deshalb habe ich zu
Beginn dieser Woche das Programm zur Bekämpfung
regionaler Wohnungsknappheit in Deutschland vorgestellt, das vieles neu aufgreift, was besser nicht hätte abgeschafft werden sollen.
Ich darf aber zunächst einmal feststellen: Deutschlands Wohnungsmarkt ist gekennzeichnet durch einen
hohen Versorgungsgrad und hohe qualitative Standards.
Von einem eklatanten, flächendeckenden Wohnungsmangel kann keine Rede sein.
({7})
Wir alle können froh darüber sein, dass eine Trendwende eingetreten ist. Ich verwende hier gerne das Bild
eines schweren Tankers, der seinen Kurs nur allmählich
und langsam verändert. Aber diese Trendwende, diese
Kursänderung ist intensiv und nachhaltig in Gang.
Ich möchte nur einige Zahlen in Bezug auf Baugenehmigungen und Baufertigstellungen nennen. Im Jahr 2009
gab es 177 000 Baugenehmigungen. Diese Zahl ist kontinuierlich auf 245 000 im vergangenen Jahr angewachsen. Den Baugenehmigungen folgten natürlich mit einer
Verzögerung von ein bis zwei Jahren die Baufertigstellungen. Analog ziehen auch die Baufertigstellungen an.
Im Jahr 2009 gab es 159 000. Bereits im letzten Jahr hatten wir rund 200 000 Baufertigstellungen zu verzeichnen. Analog zu den Baugenehmigungen wird die Zahl
der Baufertigstellungen in den kommenden Jahren weiter ansteigen.
Unser Ziel ist es, auf jährlich etwa 250 000 neue
Wohnungen zu kommen, sodass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre das Defizit abbauen. Wir haben gute Aussichten, das auch zu schaffen, wenn wir es richtig anpacken.
Wir tun bereits eine ganze Menge dafür. Man kann
nicht oft genug daran erinnern, dass Bund, Länder und
Gemeinden für das Wohnen, für die Kosten der Unterkunft und für das Wohngeld eine Summe von etwa
17 Milliarden Euro bereitstellen und dass wir infolge der
Föderalismusreform seit 2007 den Ländern jährlich
518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung
in die Hand geben. Ich trete sehr dafür ein, dass wir
diese Summe über das Jahr 2014 hinaus verstetigen. Dabei stimmen wir mit Ihnen überein; Sie verlangen das
auch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich füge hinzu, dass
wir wollen - das wollen auch Sie, wie ich gelesen habe,
Herr Steinmeier -, dass die Länder mit diesen 518 Millionen Euro - meinetwegen auf Dauer nicht nur nominal nicht nur irgendetwas im Bereich von Investitionen machen können, sondern dass damit auch wirklich der
Wohnungsneubau gefördert wird.
Einige Länder machen das in vorbildlicher Weise.
Dazu gehört der Freistaat Bayern. Dazu gehört Nordrhein-Westfalen. Dazu gehört Hamburg. Es gibt allerdings auch einige Länder - ich nenne jetzt keine -, die
keinen einzigen Euro in den Neubau von sozial gefördertem Wohnraum stecken.
Herr Minister, gestatten Sie zwei Zwischenfragen,
einmal von den Grünen, einmal von der SPD?
({0})
Ja. Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Minister, Sie haben recht. Wir wollen keine
Schlammschlacht, sondern wir wollen an einem Strang
ziehen. Insofern nehme ich das gerne auf, wenn Sie die
Hand reichen.
Nun zu meiner Frage. Wir werden demnächst im Plenum die Änderung des Baugesetzbuchs beraten. Das
Satzungsrecht könnten wir durch Bundesgesetzgebung
stärken, indem wir den Kommunen die Möglichkeit geben, in bestimmten Gebieten die Mieten zu deckeln; das
ist die Milieuschutzsatzung. Das könnten wir um diesen
Passus erweitern.
Wie sehen Sie das? Werden Sie den Kommunen an
dieser Stelle helfen? An dieser Stelle haben Sie die Möglichkeit dazu.
({0})
Wir sind in der Tat gerade dabei, das Baurecht zu novellieren. Ich bin sehr dafür, dass wir den Ländern und
Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, selbst tätig zu
werden. Wie ich eingangs bereits gesagt habe, haben wir
es mit regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu
tun. Es gibt auch Gegenden in Deutschland, in denen in
den letzten Jahren die Mieten gesunken sind, in denen
wir leer stehenden Wohnraum haben, lieber Volkmar
Vogel, aber nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch hier und dort in den alten Bundesländern.
Es ist natürlich schwierig, von Bundesseite aus mit einem politischen Breitbandantibiotikum regional und
passgenau zu reagieren und zu steuern. Deswegen ist es
richtig, den Ländern und den Kommunen Möglichkeiten
zu eröffnen, passgenau, bezogen auf ihre Verhältnisse
und Probleme, zu reagieren.
Eines dieser Instrumente haben wir mit der vor wenigen Monaten beschlossenen Novellierung des Mietrechts geschaffen. Damit haben wir den Ländern die
Möglichkeit eröffnet, die Kappungsgrenze von 20 Prozent auf 15 Prozent innerhalb von drei Jahren zu reduzieren. - Frau Kollegin, bleiben Sie bitte stehen; ich bin
noch nicht fertig mit der Beantwortung.
({0})
Ich lade die Länder ein, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
Den Ländern steht ein weiteres Instrument zur Verfügung. Das betrifft vor allen Dingen die Eigentumsbildung, aber auch Grundstückskäufe für den Mietwohnungsbau.
({1})
Man kann die Höhe der Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent festsetzen, wie es beispielsweise der Freistaat Bayern
getan hat. Man kann die Höhe der Grunderwerbsteuer
aber auch auf 5,5 Prozent festsetzen, wie es beispielsweise das Saarland getan hat. Das sind 2 Prozentpunkte
Unterschied. Auch hier haben es die Länder in der Hand,
zu reagieren und das Ganze zu steuern; schließlich steht
ihnen das Geld zu.
Also ein klares Ja, liebe Frau Kollegin, zur Möglichkeit für Städte, Gemeinden und Länder, passgenau zu reagieren.
Kollege Bartol wollte auch noch eine Frage stellen. Bitte.
Lieber Herr Bundesminister Ramsauer, bevor Sie mit
dem fortfahren, womit Sie begonnen hatten, nämlich mit
der Märchenstunde zur Frage „Wie geht es weiter mit
den 518 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau,
den sogenannten Entflechtungsmitteln?“ und mit ihren
Ausführungen zur Zweckbindung, möchte ich Sie noch
einmal darauf hinweisen - vielleicht ist Ihnen das in der
Kabinettssitzung einfach entgangen -, dass Sie selber ins
Kabinett einen Gesetzentwurf - er liegt uns als Drucksache 17/12296 vor - eingebracht haben, der entgegen
dem, was Sie auf der Pressekonferenz und auch hier angekündigt haben, nämlich dass Sie die Mittel für den
sozialen Wohnungsbau über das Jahr 2013/2014 hinaus
geben wollen, eine Verlängerung um nur ein Jahr beinhaltet.
Sie haben gerade eben zur Frage der Zweckbindung
ausgeführt. Genau das Gegenteil steht in diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. Februar 2013.
({0})
Dort steht nichts von Zweckbindung. Im Gegenteil: Die
Zweckbindung für diesen Aufgabenbereich entfällt. Es
bleibt nur die investive Zweckbindung.
Jetzt möchte ich Sie fragen: Haben Sie in der Kabinettssitzung geschlafen? Ist Ihnen das entgangen? Oder
wollen Sie das jetzt verändern? Wenn Sie das verändern
wollen, dann sagen Sie uns bitte, wann Sie diesen Gesetzentwurf - Ihren eigenen Gesetzentwurf - verändern!
({1})
Lieber Herr Kollege, wenn wir solche Gesetze machen, dann machen wir sie nicht gegen die Länder, sondern mit den Ländern. Das ist mein Verständnis von
Bundespolitik: nicht gegen, sondern mit den Ländern.
Nun haben wir bei den Ländern eine gewisse Entwicklung der Mehrheitsverhältnisse.
({0})
Wenn die konstruktive Haltung Oberhand behalten hätte,
hätten wir hinsichtlich der seit etwa einem Jahr laufenden
Verhandlungen über die Fortführung dieser Entflech27922
tungsmittel - sie werden auch „Kompensationsmittel“ genannt - schon längst eine weiterführende Einigung; die
hätte ich mir gewünscht. Diese Mittel betreffen nämlich
nicht nur den Bereich des sozialen Wohnungsbaus
- hierbei geht um Mittel in Höhe von 518 Millionen
Euro, wie Sie wissen -, sondern sie dienen auch der
Hilfe für Länder beim Nahverkehr, beim Regionalverkehr. Darauf entfallen etwa 1,35 Milliarden Euro.
Was wir jetzt getan haben, damit wir keine Zeit verlieren, ist, dass wir in einer Art Nothilfe für die Länder
wenigstens für das Jahr 2014 Klarheit schaffen. Mit
ebensolcher Klarheit sage ich: Wir wollen, dass diese
Mittel nicht nur für allgemein investive Zwecke, sondern
für den Wohnungsbau eingesetzt werden. Aber um so einem Nothilfegesetz, so nenne ich es jetzt einmal, alle
Angriffsflächen zu nehmen - ich sage das insbesondere
mit Blick auf die Seite der SPD-Länder -, haben wir diesen Gesetzentwurf so formuliert, damit wir Sicherheit
und Gewissheit im Interesse aller 16 Bundesländer haben.
({1})
Wenigstens für das Jahr 2014 soll Klarheit geschaffen
werden, und diese Klarheit brauchen wir auch im Hinblick auf den Haushalt.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert von der Fraktion Die Linke?
Ja.
Bitte schön.
({0})
Ich nehme solche Zwischenfragen deswegen sehr
gerne entgegen.
({0})
Wollen wir erst einmal warten, ob Ihnen meine Frage
gefällt, Herr Minister. Aber das ist ja nicht der entscheidende Punkt.
Der entscheidende Punkt ist: Sie haben jetzt schon
eine ganze Weile geredet. Wenn wir über Wohnungsbau
reden, dann reden wir über Bauten, die mindestens
50 Jahre funktionieren sollen. Insofern meine Frage:
Warum wollen Sie nicht verbindlich vorschreiben, dass
Barrierefreiheit herzustellen ist, wenn neu gebaut wird?
({0})
Wir sollten verhindern, dass neue Barrieren errichtet
werden, die dann mühselig und sehr, sehr teuer ausgemerzt werden müssen.
Jedes Mal, wenn Sie reden, vergessen Sie diesen Begriff. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass
Sie das insgesamt nicht für wichtig erachten. Ich finde,
das gehört mitten hinein in unsere Gesellschaft, nicht nur
wegen der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist
auch im Interesse der Menschen, die älter werden, im Interesse der Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, und
auch im Interesse von Kindern, die zum Beispiel durch
einen Aufzug viel leichter nach oben kommen als über
lange, steile Treppen.
({1})
Lieber Herr Kollege Seifert, Sie haben mir noch nicht
zu Ende zugehört. Sie können es gar nicht erwarten.
Danke, dass Sie mir die Gelegenheit geben, Ausführungen zum Thema „barrierefreies Bauen“ zu machen. Es
gab noch nie eine Zeit in unserem Land, in der das Bundesbaurecht, die Länderbauordnungen und die kommunalen Bausatzungen so intensiv behindertenfreundlich
ausgestaltet waren wie heute. Das ist eine großartige Errungenschaft bei Bund, Ländern und Gemeinden; denn
Barrierefreiheit im privaten und vor allen Dingen im öffentlichen Bau ist ein wesentlicher Bestandteil einer diskriminierungsfreien Gesellschaft.
({0})
Ich nenne ganz bewusst den öffentlichen Bau. Das bedeutet beispielsweise bei der Bahn auch den sukzessiven
Umbau zu barrierefreien Bahnhöfen. Das alles gehört
dazu. Vielleicht haben noch weitere Redner die Möglichkeit, diesen Aspekt aufzugreifen.
Herr Präsident, ich fahre in meiner Rede fort. - Was
haben wir uns vorgenommen? Vieles von dem, was wir
bereits tun, ist angesprochen worden, zum Beispiel die
Verlängerung der Bereitstellung von Kompensationsmitteln für die Länder - das ist eine Hilfe für die Länder auch über das Jahr 2014 hinaus, über das hinaus, was wir
jetzt für 2014 zunächst einmal gesetzlich regeln. Wir
werden des Weiteren nicht nur im Bereich des energetisch günstigen Bauens, sondern auch im Bereich des
kostengünstigen Bauens neue Instrumente bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau schaffen. Hierzu laufen die
Verhandlungen.
Ich greife jetzt noch einmal die Themen auf, die bereits eingangs meiner Rede zur Sprache kamen: Eigenheimzulage und degressive AfA. Wenn solche InstruBundesminister Dr. Peter Ramsauer
mente abgeschafft werden, dann sieht man die Folgen
nicht im ersten oder zweiten Jahr nach der Abschaffung,
sondern das hinterlässt erst im Laufe der Jahre gravierende Spuren.
({1})
Wir haben seit sechs, sieben Jahren Erfahrungen gesammelt. Ich bin froh darüber, dass alle immobilienwirtschaftlichen und wohnungswirtschaftlichen Verbände
meinen Vorschlag, den Vorschlag der Bundesregierung
unterstützen, die Möglichkeiten, die sich im Bereich der
degressiven Abschreibung und im Bereich der Eigenheimzulage bieten, neu zu bewerten. Das sind Instrumente, die in die nächste Legislaturperiode hineinreichen. Es braucht seine Zeit, bis solche Entwicklungen
wieder korrigiert werden.
Lassen Sie mich noch einmal etwas zur Eigenheimzulage sagen. Diese ist genauso wertvoll wie der WohnRiester und dient auch der Eigentumsbildung. Die Eigentumsbildung im Immobilienbereich ist für mich eine
der wertvollsten Arten der Altersvorsorge.
({2})
Die Möglichkeit der degressiven Abschreibung wird
auch den Mietwohnungsbau beleben. Die entsprechenden Investoren warten nur darauf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, kurzfristig
wirksam sind die Maßnahmen im Bereich des Wohngeldes. Wir schlagen vor, sowohl im Hinblick auf die
Leistungshöhe als auch auf die Miethöchstbeträge die
Entwicklungen bei den Kosten und Bestandsmieten
nachzuvollziehen. Der Freistaat Bayern wird in den
nächsten Tagen im Bundesrat mit einem entsprechenden
Antrag aktiv werden.
Zusammengefasst: Wenn wir diese Instrumente wirksam einsetzen, dann sind wir gewiss, dass wir damit
Wohnraum in einer mittleren Frist von vier bis fünf Jahren ausreichend verfügbar machen, dass wir Wohnraum
auch bezahlbar machen. Wohnraum muss erwerbbar
sein. Die Baugrundstücke müssen bezahlbar sein. Das
Bauen als solches muss bezahlbar sein. Bezahlbar müssen auch die Mieten sein. Ich lade alle dazu ein, meinen
Vorschlägen für besseres und ausreichendes Wohnen in
Deutschland zu folgen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Heidrun Bluhm für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich zunächst dachte, dass ich hier heute
Morgen den falschen Veranstaltungstermin erwischt habe,
sehe ich jetzt aber doch, dass der Wahlkampf seine
Schatten vorauswirft
({0})
und an dieser Stelle deutlich wird, dass wir von der Opposition tatsächlich fit und reif sind, in den Wahlkampf
einzusteigen. Denn es sind vier Anträge zu verhandeln,
aber von der Regierung ist da nichts. Offensichtlich will
sie nichts falsch machen; deswegen tut sie nichts.
({1})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch mit dem von Ihnen vorgelegten zweiten Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in
Deutschland zeigen Sie, dass Sie ohne eigene Initiativen
bleiben. Dieser Bericht liegt seit Oktober vor, und Sie
haben es bis heute nicht geschafft, in irgendeiner Weise
etwas aus diesem Bericht herauszuziehen, um etwas im
Bereich Wohnungspolitik zu machen, obwohl der Bericht den Zustand des Marktes weit schlechter einschätzt
als der Bericht davor. Das zeugt also nicht gerade von
übergroßem Eifer oder gar von politischer Kreativität.
Es wird also Zeit, dass endlich neu gewählt wird.
({2})
Herr Minister, oder war etwa das, was Sie zum Beispiel auf Ihrer vorgestrigen Pressekonferenz dargestellt
haben, das Konzept der Regierung? Eben haben Sie
noch einmal versucht, das Sammelsurium der Dinge, die
Sie wieder aufwärmen wollen, hier vorzutragen, aber
haben bei der Wohnungspolitik die Frage der Zukunftsfähigkeit überhaupt nicht im Auge.
Worauf soll aber dieser Bericht, den Sie vorgelegt haben, eine Antwort sein? Auf die drängenden Fragen von
Millionen Mieterinnen und Mietern nach bezahlbarem
Wohnraum ganz bestimmt nicht! Schon der erste Bericht
enthielt eine Reihe von kritischen Analysen und Empfehlungen dazu, wie die Politik auf die sich abzeichnenden Anforderungen durch den demografischen Wandel,
die Klimaveränderungen und die regionalstrukturellen
Veränderungen in Deutschland reagieren sollte. Aber es
stand leider ganz am Anfang des Berichtes auch der
Satz: „Die Wohnungsversorgung in Deutschland ist gut.“
Das war anscheinend der einzige Satz, den einige Fachpolitiker der CDU/CSU und der FDP zur Kenntnis genommen und vor allem auch auswendig gelernt hatten.
({3})
Nun aber steht dieser Satz im neuen Bericht von 2012
nicht mehr, und das hat einen Grund: Die Wohnungsversorgung in Deutschland ist nicht gut. Sie war es auch
schon zum Zeitpunkt der Erstellung des ersten Berichtes
nicht. Die Tendenzen der Verknappung und Verteuerung
von Wohnraum in Ballungsgebieten, der Mangel an altersgerechten, barrierefreien und barrierearmen Wohnungen sowie an energetisch saniertem Wohnraum waren
auch schon damals deutlich spürbar und als drängende
Aufgabenstellung und als große Herausforderung für
alle Akteure in der Politik und der Wohnungswirtschaft
nicht mehr vom Tisch zu wischen.
({4})
Die Bundesregierung hat das bestenfalls achselzuckend
zur Kenntnis genommen. Offenbar wird auch der jetzt
vorliegende Bericht zur Immobilienwirtschaft das gleiche
Schicksal erleiden und folgenlos in den Regierungsschubladen verschwinden. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass die Regierung irgendwelche logischen Schlussfolgerungen aus ihren eigenen Berichten gezogen oder
Maßnahmen ergriffen hätte, die den negativen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt entgegenwirken. Denn
seit Oktober 2012 ist nichts, aber auch gar nichts passiert. Herr Steinmeier, ich kann an Ihr Zitat anschließen.
Sie sagten: „Aber da war nichts, und da ist nichts.“ Ich
sage: Da kommt auch nichts.
({5})
Was die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode
auf dem Gebiet der Wohnungspolitik zuwege gebracht
hat, ist das unsägliche Mietrechtsänderungsgesetz, das
nach fast vierjährigen Geburtswehen doch noch rechtzeitig vor dem Verfallsdatum dieser Regierung pflichtschuldig an die Besteller ausgeliefert wurde.
({6})
Dieses Gesetz - da stimme ich mit dem Antrag der SPD
„Bezahlbare Mieten in Deutschland“ überein - muss
wieder vom Tisch.
({7})
Das kann man nicht kosmetisch aufhübschen oder mit
Korrekturen entschärfen: Das ganze Gesetz ist ebenso
unnötig wie schlecht gemacht, und es muss wieder verschwinden. Aber, meine Damen und Herren von der
SPD, Sie hätten vielleicht ein bisschen mehr Courage zeigen und diese Gesetzesinitiative im Bundesrat wenigstens an den Vermittlungsausschuss überweisen sollen.
({8})
Die Miet- und Wohnkosten laufen der Einkommensentwicklung davon, und trotzdem wollen Sie von der
SPD, dass die Bestandsmieten 3,75 Prozent im Jahr oder
bei Wiedervermietung sogar um 10 Prozent steigen können. Das ist - anders als angekündigt - keine Mietpreisbremse, liebe SPD; das treibt die Schere zwischen Einkommen und Mieten weiter auseinander.
Die möglichen Mietsteigerungen, wie Sie sie vorschlagen, liegen deutlich über der Inflationsrate und erst
recht weit über der Entwicklung der Realeinkommen.
Ihre Vorschläge entlasten also die Mieterhaushalte nicht,
sondern sie legitimieren die Mieterhöhung ohne jede Gegenleistung. Die Wohnungen sind in vier Jahren nicht
um 15 Prozent größer geworden, und sie werden allein
durch Neuvermietung auch nicht um 10 Prozent besser.
Wodurch sollten also diese Mieterhöhungen gerechtfertigt sein?
({9})
Die Menschen in Deutschland, jedenfalls die, die Monat für Monat sehen müssen, wie sie finanziell über die
Runden kommen - das betrifft nun einmal die allermeisten -, treibt die Sorge um, ob sie sich demnächst ihre
Wohnung noch leisten können. Wohnen in Deutschland
wird seit einigen Jahren immer teurer, und diese Tendenz
hält weiter an.
Die Ursachen sind vielfältig und regional differenziert. Steigende Bau- und Grundstückspreise spielen dabei ebenso eine Rolle wie Grund- und Grunderwerbsteuern; aber auch die unabwendbaren Erfordernisse der
Barrierefreiheit oder des Klimaschutzes in Wohngebäuden führen zwangsläufig zu Kostensteigerungen.
Im Kern aber liegt die Haupttriebkraft für den Anstieg
der Wohnungsmieten im Auseinanderdriften von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt; einerseits
quantitativ, weil in Deutschland insgesamt in den letzten
Jahren viel zu wenige Wohnungen gebaut worden sind,
und andererseits auch qualitativ, weil das, was gebaut
wurde, weder der finanziellen Leistungskraft der Haushalte noch den grundlegend veränderten Wohnbedürfnissen der Mieterinnen und Mieter entsprach.
Herr Ramsauer, diese 250 000 Wohnungen, die Sie
meinen, enthalten nicht den Begriff „sozial“, den nennen
Sie jedenfalls nicht. Ich fürchte, dass auch das wieder
Luxuswohnungen werden sollen.
Zusätzlich werden die Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt in den letzten Jahren zunehmend durch das
massive Auftreten nationaler und internationaler Finanzspekulanten verschärft, die Wohnungen lediglich als renditeträchtige Anlageobjekte erwerben und verwerten
wollen. Dazu sollten Sie alle einmal den vorgelegten Bericht der Enquete-Kommission aus NRW studieren. Herr
Steinmeier, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, es sei keine
Kehrtwende notwendig. Hier wird beschrieben, dass es
tatsächlich jetzt endlich eine Kehrtwende geben muss.
Vielleicht sollten Sie diesen Bericht, der erst zwei Tage
alt ist, für sich erschließen.
Der massenhafte Aufkauf von großen, ehemals öffentlichen oder betrieblichen Wohnungsbeständen durch
Finanzinvestoren wächst sich zu einer Bedrohung für die
gesamte Wohnungswirtschaft und natürlich zuerst für
die betroffenen Mieterinnen und Mieter aus - und das
nicht nur in NRW, sondern vor allem insgesamt in
Deutschland.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Mücke von der FDP?
Gern, ja.
({0})
Frau Kollegin Bluhm, Sie haben gerade die große Privatisierungswelle von öffentlichen Wohnungsunternehmen angesprochen. Stimmen Sie mir zu, dass Ihre Partei
ganz wesentlich mit dazu beigetragen hat? Beispielsweise ist in Berlin in Ihrer Regierungszeit, als Sie gemeinsam mit der SPD diese Stadt regiert haben, die
GSW veräußert worden, die größte kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die diese Stadt hatte.
Stimmen Sie mir zu, dass die Linkspartei in meiner
Heimatstadt Dresden zumindest zur Hälfte bei der Privatisierung der WOBA zugestimmt hat? Sind Sie mit mir
einer Meinung, dass niemand mehr Wohnungen in
Deutschland privatisiert hat als Linke, SPD und Grüne
zusammen?
Ich will Sie daran erinnern, dass Herr Steinmeier, der
hier vorhin
({0})
versucht hat, eine große Rede zu halten, als Chef des
Kanzleramts mit dafür verantwortlich gewesen ist, dass
in Deutschland 200 000 Eisenbahnerwohnungen - Wohnungen des Bundes - privatisiert worden sind. Stimmen
Sie mit mir überein, dass Herr Kollege Steinbrück als Finanzminister mit dafür verantwortlich gewesen ist, dass
86 000 Wohnungen der BfA privatisiert worden sind?
Stimmen Sie mit mir überein, dass die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg gerade eben 22 000
Wohnungen der Landesbank Baden-Württemberg privatisiert hat?
Es ist doch doppelbödig, wenn Sie hier sagen, die Privatisierungen von öffentlichem Wohnraum hätten zu
Mietpreissteigerungen geführt. Niemand hat mehr Wohnungen in Deutschland privatisiert als Sie alle drei zusammen.
({1})
Herr Mücke, auf Ihre lange Frage eine ganz kurze
Antwort: Ja, die Analyse, die Sie vorgetragen haben, ist
richtig. Aber die Linke hat aus diesen Fehlern gelernt.
Vielleicht sollten Sie unsere Fehler nicht auch noch
übernehmen.
({0})
Allein, dass die Bundesregierung, obwohl der eingangs zitierte Immobilienbericht davor warnt, dieser
Entwicklung tatenlos zusieht, ist sträflich und mehr als
vorsätzlich. Dass sie sich aber selbst an derlei Geschäften beteiligt und dabei kreative Geschäftsmodelle zur
Vermeidung von Steuereinnahmen anwendet, ist ein
Skandal erster Güte. Wenn es stimmt, worüber Monitor
in der vergangenen Woche berichtet hat, dann hat das
Bundesfinanzministerium durch einen Share Deal beim
Verkauf der TLG Wohnen GmbH zugunsten des Erwerbers auf Steuereinnahmen in Höhe von 50 Millionen
Euro verzichtet.
({1})
Obendrein geht das zulasten der ostdeutschen Bundesländer, denen die Grunderwerbsteuer zugestanden hätte.
Wie man sieht, hat die Bundesregierung nicht nur
kein Konzept zur Eindämmung der Explosion der Mietpreise, sie befördert diese Entwicklung selbst: entweder
durch Nichtstun oder durch falsches Tun. Deshalb bringt
die Linke heute einen Antrag ein, mit dem wir einerseits
auf die aktuelle Entwicklung auf dem deutschen Wohnungsmarkt reagieren, andererseits Vorschläge zur alternativen Entwicklung in der Wohnungswirtschaft vorlegen wollen.
({2})
Wir wollen den akuten Auswüchsen bei der Entwicklung der Miet- und Wohnkosten durch ordnungspolitische Maßnahmen schnell und wirksam begegnen. Wir
wollen eine Perspektive entwickeln, mit der die Wohnungswirtschaft auf ihre eigentliche Funktion und gesellschaftliche Aufgabe zurückgeführt wird, nämlich die
bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren, barrierearmen bzw. barrierefreien und klimagerecht sanierten Wohnungen. Selbst das Verbändebündnis Wohnungsbau, das heute tagt, fordert, diese Aufgabe
in Angriff zu nehmen.
Zunächst geht es uns darum, dass auch bei der Vermietung von Wohnraum, wie sonst überall in der Wirtschaft, das Prinzip von Leistung und Gegenleistung gelten muss. Allein der Besitz einer Wohnung ist keine
Leistung, die eine regelmäßige Erhöhung von Bestandsmieten rechtfertigt.
({3})
Auch die Neu- oder Weitervermietung stellt keine Steigerung des Gebrauchswertes der Wohnung dar.
({4})
Warum sollte also allein der Akt einer Neu- oder Weitervermietung eine Mietsteigerung von 10 oder 20 Prozent
oder gar mehr erwirtschaften?
({5})
Wir wollen, dass nicht der Mangel an Wohnungen den
Preis bestimmt, sondern der Gebrauchswert der Wohnung. Was die Linke fordert, ist also kein sozialistisches
Teufelszeug, sondern konsequent marktwirtschaftlich.
({6})
Wir schlagen deshalb entsprechende Veränderungen im
BGB vor.
Ebenso verhält es sich mit dem Kompromissvorschlag zur Begrenzung der Modernisierungsumlage. Ich
habe bisher weder von der Regierungskoalition noch von
SPD und Grünen eine betriebswirtschaftliche Begrün27926
dung für die Forderung nach einer 9- bzw. 11-prozentigen Modernisierungsumlage gehört. Bei 11 Prozent haben die Mieterinnen und Mieter dem Vermieter nach
neun Jahren die Investitionskosten bezahlt, bei 9 Prozent
nach elf Jahren. Der Vermieter denkt aber nicht im
Traum daran, die Mietsteigerung wieder zurückzunehmen, wenn die Modernisierungskosten vollständig zurückgeflossen sind.
({7})
Konsequenterweise müssten wir in Zukunft dafür sorgen, dass nur dann die Umlage der Modernisierungskosten erfolgen darf, wenn die Modernisierung der Wohnung mit einer entsprechenden Gebrauchswertsteigerung
für die Mieterinnen und Mieter verbunden ist, mindestens mit einer nennenswerten Einsparung bei den Nebenkosten. Das ist im Übrigen auch die Position des Deutschen Mieterbundes; das will ich nebenbei erwähnen.
Der Markt kann also nicht alles alleine leisten. Selbst
der Chef des GdW sagt: Gerade dieser ist momentan
eklatant überfordert.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Okay.
Noch eine letzte Bemerkung zum sozialen Wohnungsbau. Es wird so getan, als ob die Regierung in Bezug auf die bis zu 250 000 fehlenden Wohnungen den
sozialen Wohnungsbau im Blick hat. Das ist nicht so.
Hier geht es um normale bzw. Luxuswohnungen. Wir
brauchen mindestens 150 000 Wohnungen im Jahr, die
explizit den Stempel des sozialen Wohnungsbaus tragen.
Aber selbst das wird nicht ausreichen, um die Ziele, die
Sie sich selbst gesteckt haben, zu erreichen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Der letzte Satz. Mit der Flickschusterei, die eigentlich
schon Politikverweigerung ist, wird weder der Wohnungsmangel in Ballungsräumen überwunden, noch
werden die Mieten gebremst.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat Patrick Döring für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist immer spannend, wenn die geschätzte
Kollegin Bluhm das Wort ergreift; denn niemand kennt
sich so gut mit der sozialistischen Wohnraumpolitik wie
auch mit der marktwirtschaftlichen Wohnraumpolitik
aus.
({0})
Sie selbst, liebe Kollegin, haben von den anwesenden
Kollegen wahrscheinlich den größten Immobilienbestand in Ihrer Heimatstadt. Ich gehe davon aus, dass Sie
sich genau so verhalten, wie Sie hier vorgetragen haben,
und Ihren Mietern in den nächsten Jahren keine Mieterhöhung zumuten. Wenn Sie auf diese Weise Ihr Geschäft führen, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.
({1})
In diesen Tagen spielt das Thema Klartext eine große
Rolle. Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass
der Kollege Steinmeier auf die Verwirrungen eingeht,
die entstanden sind. Da er das nicht getan hat, will ich
das zumindest für die schwarz-gelbe Koalition machen.
Wir wollen und wir werden keine Mehrwertsteuer auf
Mieten erheben. Bei uns denkt über so etwas niemand
nach, anders als bei Ihnen, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({2})
Wenn man die Reden von Frau Bluhm und Herrn
Steinmeier hört, dann stellt man fest, dass sie übersehen,
dass der Markt, über den wir sprechen, vor allen Dingen
dann funktioniert, wenn er möglichst wenig verunsichert
wird.
({3})
Sie tragen in den letzten Tagen und Wochen dazu bei,
genau das zu tun. Eine Debatte über die Mehrwertsteuerpflicht bei Mieten ist das jüngste Beispiel. Davor haben
Sie begonnen, die Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer mit dem Thema „Vermögensteuer,
Vermögensabgabe“ zu verwirren.
Denn eines ist auch klar: Wenn Sie auf das Immobilienvermögen der Deutschen 1,5 Prozent Vermögensteuer
unabhängig vom Ertrag erheben, dann werden diese
1,5 Prozent nicht die Hauseigentümer bezahlen, sondern
die Mieterinnen und Mieter. Es ist das größte Mieterhöhungsprogramm, das dieses Haus je gesehen hat, meine
Damen und Herren.
({4})
Ich bin auch irritiert, wie leichtfüßig Sie hier über die
angeblichen Versäumnisse dieser Koalition sprechen.
Wir haben das Mietrecht modernisiert.
({5})
Wir haben in diesem Haus mit großer Mehrheit festgehalten, dass die energetische Sanierung von Wohnraum sowohl den Mieterinnen und Mietern als auch
unseren Klimaschutzzielen als auch der Qualität des
Wohnungsbestandes in Deutschland dienlich ist.
({6})
Dass das alle so sehen wie wir, erkennen wir daran,
dass alle sozialdemokratisch regierten Bundesländer, lieber Kollege Bartol, im Bundesrat unserem Gesetz zugestimmt haben. Bauen Sie hier doch nicht einen solchen
Popanz auf!
({7})
Dann kommen Sie mit dem wunderbaren Thema
Mietpreisdeckelung. Meine sehr verehrten Damen und
Herren, die Wohnungsmärkte in Deutschland sind differenziert. Es gibt Städte, in denen die Mieten steigen, es
gibt sehr viele Gegenden in Deutschland, in denen die
Mieten stagnieren. Wenn wir aber wollen, dass hochwertiger Wohnraum in den Ballungsräumen, in denen Wohnungsnot herrscht, erhalten bleibt und entsteht, werden
wir das ganz sicher nicht erreichen, indem wir den Investoren sagen: Geld verdienen dürft ihr mit diesen
Wohnungen aber nicht mehr. - Sie erreichen eine Verschärfung der Wohnungsnot mit Ihren steuerpolitischen
Programmen statt eine Erleichterung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({8})
In keinem Bundesland ist die Grunderwerbsteuer so
hoch wie in denen, die von Sozialdemokraten regiert
werden.
({9})
Auch diese zahlen am Ende nicht die Vermieter, sondern
immer die Mieterinnen und Mieter. Sie verteuern Wohnungseigentum und Wohnungsentwicklung in diesem
Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({10})
14,5 Millionen vermietete Wohnungen gehören Vermietern, die weniger als drei Wohnungen in ihrem Bestand haben. Sie gehören den Mittelständlern und Handwerksmeistern, die ihre Altersversorgung ein Stück weit
über die Vermietung von einer, zwei oder drei Wohnungen organisieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
den Eindruck haben, nur noch die ganz Großen in dieser
Republik könnten die Wohnungsnot bekämpfen, nur
noch die großen kommunalen Wohnungsbauunternehmen oder gar der Bund, dann liegen Sie falsch.
Die Abschaffung der degressiven AfA in Zeiten der
Großen Koalition hat das Investitionsvolumen verringert
und hat die Bereitschaft von vermögenden Privatpersonen, in diesem Bereich zu investieren, leider vermindert.
({11})
Deshalb haben wir Schwierigkeiten, den Bedarf zu decken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({12})
Ganz interessant ist, dass Sie in Ihrem Konzept auch
die Zweckbindung der Bundesmittel für die soziale
Wohnraumförderung einfordern.
({13})
Da haben Sie vorhin versucht, dem Bundesminister
Ramsauer den Vorwurf zu machen, er habe in den vom
Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf diese
Zweckbindung nicht hineingeschrieben. Nun erlaube ich
mir den Hinweis: Wenn man unser Grundgesetz ein bisschen kennt, weiß man, dass das alles schon in Art. 143 c
des Grundgesetzes steht. Die sozialdemokratisch regierten Länder verstoßen gegen diese Regelung jeden Tag in
Deutschland, gegen unser Grundgesetz. Das ist die
Wahrheit.
({14})
Soziale Wohnraumförderung ist nicht „Unser Dorf
soll schöner werden“, soziale Wohnraumförderung ist
nicht die Tilgung von Altschulden, wie sie hier in Berlin
erfolgt, und soziale Wohnraumförderung ist übrigens
auch nicht die Übernahme von Personalkosten, die vorher woanders gestanden haben, wie das überall in den
von Ihnen regierten Bundesländern passiert. Ihre Ministerpräsidenten verstoßen gegen Art. 143 c GG. Deshalb
brauchen wir kein neues Gesetz, meine sehr verehrten
Damen und Herren. Das ist leider die Wahrheit.
({15})
Nun werden immer wieder wortreich die Stadtentwicklungsprogramme angesprochen. Da wird der Eindruck erweckt, als ob durch die Stadtentwicklungsprogrammpolitik dieser Koalition die Wohnungsnot in
Deutschland verschärft worden wäre. Auch diesbezüglich rate ich zum Abrüsten. Das Wohnungsbauprogramm
„Die soziale Stadt“ und viele andere haben ihre Berechtigung und werden von uns ja auch weiter finanziert.
({16})
Aber anders als Sie, die Sie seit dem Ende der 90er-Jahre
immer nur die gleichen Programme fortführen wollen,
haben wir eine Fortentwicklung unserer Stadtentwicklungsprogramme vorgenommen. Für uns spielt die energetische Sanierung, die Sie im Bundesrat leider blockiert
haben, nämlich eine große Rolle. Deshalb haben wir sie
zum Schwerpunkt unserer Stadtentwicklungsprogrammpolitik gemacht, ganz zu Recht.
({17})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bartol?
Er erhält gleich ja noch das Wort. Deshalb werde ich
die letzten 30 Sekunden meiner Redezeit quasi zum Abbinden verwenden. Ich weiß ja auch, was kommt. Lieber
Kollege Bartol - das gilt auch für alle anderen Kollegen -,
Sie können mir nicht vorwerfen, wir hätten einen Kahlschlag bei unseren Stadtentwicklungsprogrammen vorgenommen.
({0})
Wir haben moderat umgesteuert und eines deutlich gemacht: Klimaschutz ist ein extrem wichtiges Thema. Sie
waren nicht bereit, im Bundesrat die steuerliche Absetzbarkeit von Klimaschutzinvestitionen zu ermöglichen.
({1})
Sie sind die Blockierer in diesem Bereich, nicht wir.
({2})
Das Wort hat nun Daniela Wagner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Guten Morgen, Herr Minister! Es ist ausgesprochen erfreulich, dass die Debatte über die Bezahlbarkeit des
Wohnens in Deutschland immer mehr an Fahrt gewinnt,
und zwar so sehr, dass durch die zügige Fahrt sogar unser Wohnungsminister aufgewacht ist.
({0})
Wir warnen seit mindestens drei Jahren vor den drohenden Problemen auf unseren Wohnungsmärkten. Ihre
eigenen Berichte bestätigen nun schriftlich das, was jeder sieht, der mit offenen Augen durch unsere Städte
geht. Ihr Wohnungs- und Immobilienwirtschaftsbericht
sagt: Seit 2006 nimmt sogar die Zahl der Landkreise mit
steigenden Mieten zu, also keineswegs nur die Zahl der
Städte.
Aktuell zeichnen sich in einer zunehmenden Zahl
von Städten und Regionen lange Zeit nicht mehr
bekannte Wohnungsmarktengpässe ab.
So steht es in Ihrem Bericht. Die höchsten Mietpreissteigerungen im Jahr 2011 waren zu verzeichnen in Berlin - plus
7,5 Prozent -, in Bremen - plus 8,8 Prozent -, in Hamburg - plus 7,5 Prozent -, in Freiburg - plus 8,4 Prozent und in Greifswald, wo die Mietpreissteigerung sogar
10,4 Prozent betrug. Also auch kleinere Städte weisen
eine deutliche Mietpreissteigerung auf. Das gilt nicht nur
für die klassischen Boomregionen.
Aber nicht nur die Mieten steigen, liebe Kolleginnen
und Kollegen und Herr Minister, auch die Kosten für
Heizung und Warmwasser nehmen zu. Herr Minister, Sie
lieben es ja, immer nur über den Strom zu reden. Das haben Sie mit vielen Medien gemeinsam. Aber hören Sie
sich diese Zahlen einmal an: Ungefähr 12 Millionen
Haushalte in Deutschland heizen mit Heizöl. In den letzten zehn Jahren stiegen die Preise für Heizöl um
153 Prozent. Nach einer Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, werden sich die Kosten bei einer durchschnittlich gedämmten Wohnung von 945 Euro im Jahr
2012 auf 1 932 Euro am Ende des kommenden Jahrzehnts erhöhen. Das entspricht pro Monat einer Steigerung von 79 Euro auf 161 Euro. Das stellt die Steigerung
bei den Strompreisen, von denen alle immer reden, bei
weitem in den Schatten.
Herr Minister, wir warnen seit Jahren vor den drohenden Konflikten. Wir haben Ihnen schon vor zwei Jahren
ein gutes Konzept vorgelegt, ein Gesamtkonzept zur Sicherung der Bezahlbarkeit von energetisch und qualitativ hochwertigem Wohnraum.
({1})
Und wo geistern Sie herum? Sie kürzen den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld, kürzen die Mittel für das
KfW-Programm für die energetische Gebäudesanierung,
um sie dann wieder leicht anzuheben, stellen die Finanzierung auf wackelige Beine - das war atemberaubend und verkaufen das dann auch noch als Erfolg. Sie kürzen
bei den Städtebauförderprogrammen und zerstören sie
inhaltlich mutwillig. Ich sage nur: „Kopftuchmädchen“
und Bibliotheken - das brauchen wir alles nicht. Das
sind Ihre Worte, Herr Döring von der FDP. Sie haben
dieses Programm materiell zerstört. Sie legen in dieser
Engpasssituation, in der Mieter sowieso die schwächere
Partei sind, dreist eine Mietrechtsnovelle vor, mit der unter dem Vorwand der Energiewende Mieterrechte ungerechtfertigt und völlig unnötig eingeschränkt werden.
({2})
Jetzt, im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl und
der Bundestagswahl, kommt Herr Ramsauer - er hat
jetzt nach drei Jahren im Kabinett ausgeschlafen - und
will das Wohngeld an die Mietpreise anpassen.
Sogar die Eigenheimzulage will er wieder einführen.
Dabei vergisst er vollkommen, dass sie in der Form, in
der sie damals abgeschafft wurde, überhaupt nicht mehr
zeitgemäß ist.
({3})
Wir brauchen keine Einfamilienhäuser auf der grünen
Wiese. Wir brauchen eine Innenentwicklung in den
Städten. So muss Wohnraum geschaffen werden. Das,
was Sie machen wollen, entspricht im Grunde genommen dem Gießkannenprinzip, das Sie jetzt, ganz wenige
Monate vor den Wahlen, plötzlich wieder gut finden.
({4})
Die soziale Wohnraumförderung soll weiter durch
den Bund finanziert werden. Dabei vergessen Sie - das
ist hier heute schon vorgetragen worden -, dass die
Zweckbindung selbstverständlich bestehen bleiben
muss, dass deren Einhaltung auch kontrolliert und dass
die Fördermittel gegebenenfalls zurückgezahlt werden
müssen.
Herr Minister, weswegen haben Sie eigentlich Ihre
gesamte Amtszeit verschlafen? Was können denn Ihre
potenziellen Wählerinnen und Wähler von Ihnen erwarten?
({5})
Die haben in den letzten drei Jahren doch gelernt, dass
nichts, aber auch rein gar nichts von all dem Angekündigten durchgesetzt und umgesetzt wird und dass das,
was gemacht wird, auch noch in die völlig falsche Richtung läuft. Sie, Herr Minister, haben leider Gottes Ihren
Job komplett verpennt.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie können weder uns, die
Opposition, noch die Wählerinnen und Wähler für völlig
blöde verkaufen. So einfach lassen wir Ihnen das nicht
durchgehen, auch nicht Ihr ewiges Gerede von der steuerlichen Entlastung. Die wäre selbstverständlich richtig
gewesen. Hätten Sie doch den Ländern ein passables
Angebot gemacht! Dann hätten wir heute die steuerliche
Entlastung bei der energetischen Gebäudesanierung.
({7})
Wir haben schon vor zwei Jahren ein umfassendes
Konzept vorgelegt. Wir waren also frühzeitig dran. Wir
sind froh, dass die SPD heute hier mit einem Antrag
erscheint, dessen Inhalt mit unseren Vorstellungen weitgehend übereinstimmt.
Am meisten freut mich persönlich, dass Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen in der SPD, sogar das Bestellerprinzip bei den Maklerkosten von uns übernommen
haben.
({8})
Das haben Sie noch vor zwei Jahren zu meinem großen
Unverständnis abgelehnt. Diese Initiative - das möchte
ich an dieser Stelle schon sagen; ein bisschen Redlichkeit muss auch so kurz vor den Wahlen sein - wurde von
uns auf den Weg gebracht und von sonst gar niemandem.
({9})
Ansonsten fordern Sie eine generelle Begrenzung von
Mieterhöhungen bei der Wiedervermietung auf 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete, was auch der
Mieterbund fordert. Wir halten das für einen interessanten Vorschlag.
({10})
Wir haben allerdings - das habe ich schon im Ausschuss
gesagt - noch ein bisschen mit der Verfassungsmäßigkeit
zu kämpfen; wir sind uns nicht sicher, ob das wirklich
geht. Wenn das tatsächlich geht, ohne dass es verfassungsrechtlich problematisch ist, dann sind wir für eine
generelle Begrenzung offen. Wir hatten stattdessen
vorgeschlagen, die Länder zu ermächtigen, Mietpreisbegrenzungen dort auf zehn Jahre befristet einzuführen,
wo tatsächlich ein extremer Wohnraummangel herrscht.
Aber darüber lässt sich sicherlich in späteren Koalitionsgesprächen reden.
Das Gleiche gilt für die Modernisierungsumlage. Die
wollen Sie - wie wir - von 11 auf 9 Prozent absenken,
und Sie wollen prüfen, ob man sie beschränken kann. Ich
finde den Beschränkungsvorschlag gar nicht schlecht,
warne allerdings vor einer Illusion: Bei einem Markt mit
hoher Mieterfluktuation, also häufigen Mieterwechseln,
haben nicht diejenigen Mieter, denen Sie diesen Vorteil
einräumen, am Ende den Benefit von dieser neuen Regelung, sondern ganz andere Mietparteien. Unter Umständen muss man auch hier in Sachen Realitätstauglichkeit
noch einmal gegen den Strich bürsten, meine Damen
und Herren. Denn wir reden immerhin von Refinanzierungszeiträumen von rund zehn Jahren. Das muss auf
verfassungsfeste Füße gestellt werden.
Wir wollen, dass die Mieterinnen und Mieter grundsätzlich nur das dulden und bezahlen müssen, wovon sie
einen tatsächlichen Nutzen haben. Wir wollen energetische Sanierungen sowie altersgerechten und barrierefreien Umbau. Darauf wollen wir die Modernisierungsumlage beschränken. Sie soll nicht mehr irgendwelchen
Käse und Schnickschnack umfassen, den irgendwer vielleicht gerade gut findet. Wir wollen die Modernisierungsumlage auf die Dinge beschränken, die für qualitätsvolles, sozial ausgewogenes Wohnen, aber auch für
ökologische Angemessenheit - Stichwort „energetisch
guter Zustand“ - notwendig sind.
({11})
Wir haben mit unseren Vorschlägen gezeigt, dass
Klima- und Mieterschutz zusammen gedacht werden
können und müssen. Deswegen ist unser Konzept für
eine sozial gerechte Umsetzung der Energiewende - lassen Sie mich das zum Schluss noch sagen - ganz entscheidend für ihren Erfolg. Denn hier werden 40 Prozent
der Endenergie verbraucht.
Wir wollen zielgruppengerechte Förderinstrumente
für Eigentümer und Vermieter sowie mietrechtliche und
baurechtliche Änderungen, damit die energetischen Sanierungen nicht zu Verdrängungen führen. Ich denke
hier an Milieuschutzsatzungen. Kollegin Herlitzius hatte
vorhin nachgefragt und wiederum keine Antwort bekommen; so ist es meistens bei Ihrem Minister.
({12})
Wir wollen, dass es möglich ist, die Mieten in bestimmten Quartieren, in denen die Mieten davongaloppieren,
wieder zu begrenzen, damit energetische Gebäudesanierung nicht zu Gentrifizierung führt und eine soziale und
gute Mischung in den Wohnquartieren erhalten bleibt.
({13})
Wir wollen die Klimakomponenten beim Wohngeld
sowie bei den Kosten der Unterkunft wieder einführen.
Das alles dient einem Zweck: einem vernünftigen Wohnungsmarkt, der die Rechte und Pflichten fair verteilt
und der auch in finanzieller Hinsicht fair mit Mietern
und Vermietern umgeht. Das ist unser Ziel. Ich denke,
nach dem 22. September werden wir die Chance haben,
unsere wohnungspolitischen Vorstellungen hier gemeinsam umzusetzen.
({14})
Das Wort hat nun Peter Götz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass
wir heute über die Lage am Wohnungsmarkt debattieren.
Das Thema ist zu Recht auf der politischen Agenda. In
Deutschland lebt und wohnt man eigentlich gerne, und
Wohnen - der Minister hat es vorhin gesagt - gehört zu
den Grundbedürfnissen der Menschen. Dieses Thema ist
für Polemik nicht geeignet. Es muss mit Sorgfalt behandelt werden.
({0})
Der Wohnungsmarkt entwickelt sich differenziert. Es
gibt sowohl Wohnungsknappheit - das ist richtig - als
auch nach wie vor große Leerstände in Deutschland.
Daraus leitet sich in bestimmten Ballungsräumen sachlicher Handlungsbedarf ab. Aber es gibt keinen Anlass für
Notstandsmaßnahmen. Eine Atmosphäre des Angstmachens wäre nach Lage der Dinge daher unverantwortlich.
Wenn wir über Wohnungsknappheit in Ballungsräumen reden, Herr Kollege Steinmeier, so muss ich sagen,
dass man diese nicht mit Strafen, nicht mit Mietendeckelung bekämpfen sollte, sondern mit Wohnungsneubau.
Wenn Sie die Menschen dafür bestrafen, dass sie neu
bauen, dann werden sie es einfach nicht tun. Der Bericht
über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, über den
wir unter anderem debattieren, unterstreicht die große
volkswirtschaftliche Bedeutung der Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft in unserem Land und in der Europäischen Union sowie ihren Anteil an der Wertschöpfung hier in Deutschland.
Wir haben nach wie vor einen attraktiven Wohnungsund Immobilienmarkt. Im Gegensatz zu der Situation in
vielen anderen Ländern um uns herum gehen von der
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft gerade in Zeiten
der internationalen Finanzmarktkrise stabilisierende Einflüsse aus. Der Grund liegt in der soliden Finanzierung
von Immobilieninvestitionen in Deutschland. Die immer
wieder befürchtete Immobilienblase ist weit und breit
nicht in Sicht. Allerdings stellen wir fest, dass die Schere
zwischen Angebot von und Nachfrage nach Wohnraum
regional sehr unterschiedlich betrachtet werden muss.
Dies gilt es genau zu untersuchen.
Ich danke dem Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
und seinen Mitarbeitern im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie im Bundesinstitut
für Bau-, Stadt- und Raumforschung für den vorgelegten
umfangreichen Bericht. Auch aus den immobilienwirtschaftlichen Verbänden erreicht uns keine Kritik, sondern Lob für die Qualität dieses Berichts.
({1})
Er ist eine gute regierungsamtliche Grundlage für eine
sachgerechte Debatte über die Weiterentwicklung der
Wohnungspolitik. Wir wollen im Ausschuss sachlich
darüber diskutieren und dazu auch die Expertise der
wohnungs- und immobilienwirtschaftlichen Verbände
einholen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Staat kann auf
allen Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - positiv
Einfluss auf die Entwicklungen am Wohnungsmarkt
nehmen, ohne marktwirtschaftliche Prinzipien infrage zu
stellen. CDU und CSU sind in ihrer Regierungszeit auf
Bundesebene dieser Verantwortung stets gerecht geworden. Es gibt erfolgreiche Instrumente, die in der Vergangenheit bereits ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt
haben. Für Menschen mit niedrigem Einkommen ist das
Wohngeld ein zielgenaues und treffsicheres Instrument,
um angemessen wohnen zu können. Wir sollten es, wie
Bundesminister Dr. Ramsauer vorgeschlagen hat, an die
Preisentwicklung anpassen. Ich bin gespannt, wie sich
die Länder zu der geplanten Wohngelderhöhung positionieren werden,
({2})
ob wir das gleiche Desaster erleben, wie wir es bei der
energetischen Gebäudesanierung erlebt haben; dort gab
es über eineinhalb Jahre eine Blockade.
Wir brauchen in Zukunft wieder eine steuerliche Förderung des Wohnungsbaus; dazu gehört selbstverständlich gerade die degressive Abschreibung, von der vorhin
gesprochen wurde. Diese Maßnahmen waren in der Vergangenheit sehr erfolgreich, und wir sollten sie wieder
aufnehmen.
Herr Kollege Steinmeier, Sie sagten, in der Wohnungspolitik sei nichts passiert. Ich denke, Sie sollten
sich zunächst die Fakten anschauen. Mit der Föderalismusreform, die wir gemeinsam beschlossen haben,
haben die Länder die Verantwortung für den sozialen
Wohnungsbau übernommen. Die Länder wollten es so.
Wir haben sie ihnen nicht aufs Auge gedrückt; sie wollten es so, und das ist in der Sache auch richtig. Der Bund
belohnt dies mit jährlich 518 Millionen Euro. Das heißt
konkret: Die Wohnungsbauförderung ist seit der Föderalismusreform im Jahr 2007 Aufgabe der Länder.
Etwas ernüchternd sind jedoch die Ergebnisse.
({3})
Wenn Sie von einem Kahlschlag im Wohnungsbau
reden, Herr Kollege Steinmeier, sollten Sie zur Kenntnis
nehmen, dass nur drei von 16 Ländern seit der Föderalismusreform kontinuierlich Wohnraumförderung betrieben haben, wie Herr Axel Gedaschko, der Präsident des
Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, heute Morgen um 8 Uhr - einige Kolleginnen und Kollegen waren dabei - deutlich zum Ausdruck gebracht hat.
({4})
Zu den Ländern, die aktive Wohnungspolitik betrieben haben, gehört zweifelsohne Bayern; auch das ist gesagt worden.
({5})
- Langsam; darauf komme ich noch, Frau Kollegin. Andere Länder haben mit dem Geld des Bundes lediglich landeseigene Verpflichtungen aus früheren Maßnahmen abfinanziert, aber nicht in neue Sozialwohnungen
investiert.
({6})
Dazu gehört zum Beispiel das Land Berlin, in dem wir
uns befinden.
({7})
Nur einige wenige Zahlen zur Wohnungsbauförderung in Nordrhein-Westfalen: 2009 und 2010 wurde dafür 1 Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt.
2012 waren es gerade noch 550 Millionen Euro,
({8})
also etwas mehr als die Hälfte.
({9})
Also, Herr Kollege Steinmeier: Wenn Sie irgendwo ansetzen wollen - hier haben Sie die Gelegenheit dazu.
Tun Sie etwas in den Ländern, in denen Sie Regierungsverantwortung tragen.
({10})
Auch Sie sind für die Wohnraumförderung zuständig.
({11})
Lassen Sie mich noch etwas sagen: Wenn es um die
Fortsetzung der Bundeszahlungen zur Förderung sozialen Wohnraums geht - auch darüber wurde gesprochen;
der Kollege Bartol hat die Diskussion über das Entflechtungsgesetz vorhin angesprochen -, dann muss auch
über eine Pflicht zur detaillierten Berichterstattung gesprochen werden. Mehr Transparenz muss die Basis der
künftigen Politik sein. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, den Ländern bei der Wahrnehmung ihrer
Verantwortung für die Förderung sozialen Wohnraums
konkret auf die Finger zu klopfen.
Ein Weiteres kommt hinzu: Die Beseitigung von
Wohnraummangel kann nur in enger Zusammenarbeit
mit den Kommunen vor Ort gelingen.
({12})
Vor allem die Ballungsräume sind gefordert, geeignetes
Bauland auszuweisen; denn ohne Bauland gibt es auch
keinen Neubau. Ich meine damit nicht Bauland auf der
grünen Wiese. Es gibt nach wie vor große Brachflächen
in den Städten, die einer Wiedernutzung zugeführt werden könnten.
({13})
Im Rahmen der anstehenden Novellierung des Bau- und
Planungsrechts wollen wir diesem Anliegen durch eine
weitere Stärkung der Innenentwicklung in den Städten
zusätzlich Rechnung tragen.
({14})
Ein weiterer Gedanke: Es lohnt sich auch, über den
Erwerb oder die Verlängerung auslaufender Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen nachzudenken, um der
Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen preiswerten Wohnraum anbieten zu können.
Die Wohnungs- und Städtebaupolitik der Bundesregierung und der Koalition von CDU/CSU und FDP ist
gut aufgestellt. Mit dem Ausbau der Förderung der energetischen Gebäudesanierung, Verzicht auf Zwangssanierungen und der Garantie der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots wurden gute Rahmenbedingungen für
die preisverträgliche Sanierung von Wohnungsbestand
geschaffen. Davon profitieren alle: Mieter und Eigenheimbesitzer.
Wir verfolgen die Absicht, die Eigenheimrente zu
vereinfachen, damit sich noch mehr Bürger den Traum
vom eigenen Haus oder von der eigenen Wohnung verwirklichen können.
Wir haben mit dem in dieser Woche von Bundesminister Ramsauer vorgestellten Vorschlagskatalog einen klaren Kompass dafür, wie auf die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt reagiert werden
soll. Länder und Kommunen sind aufgefordert, ebenfalls
ihren Beitrag dazu zu leisten.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist jetzt das sechste Mal in den
letzten Monaten, dass wir hier im Bundestag über diesen
Themenkomplex diskutieren. Das ist auch gut so; denn
wir Sozialdemokraten werden dieses Thema hier so
lange behandeln, bis sich an der sozialen Schieflage auf
dem Wohnungssektor in diesem Lande etwas geändert
hat, und zwar zum Besseren.
({0})
Ich finde es sehr positiv, dass der Minister heute wenigstens bei dieser Debatte anwesend war. Ich hätte mir
allerdings gewünscht, dass er hier konkret vorgetragen
hätte, zu welchen Ergebnissen er nach drei Jahren Nachdenkens in seinem Ministerium gekommen ist.
({1})
Mich beschleicht nach der Rede des Ministers das Gefühl, dass ihm die 80 Ortsumgehungen in Bayern immer
noch wichtiger sind als die 21 Millionen Mieter in diesem Land.
({2})
Statt die Problemlage anzugehen, dass es Familien in
Deutschland gibt, die 40 Prozent und mehr ihres Einkommens für Wohnung und für das Wohnen ausgeben
müssen, hat die Regierung die Lage mit dem Mietrechtsänderungsgesetz vom Dezember 2012 zulasten der Mieter noch verschlimmert.
Wir haben heute Morgen bei dem Frühstück der Wohnungsbauverbände gehört, dass sich diese 40-ProzentGrenze bis in die mittleren Einkommensschichten hinein
verschiebt. Das ist eine soziale Schieflage, die wir in diesem Land nicht tolerieren dürfen.
({3})
Es ist die Chance vertan worden, beim Mietrechtsänderungsgesetz über diese Frage zu diskutieren und dieses
Problem in Angriff zu nehmen. Was haben Sie gemacht?
Sie haben die Mietminderung für drei Monate bei der
energetischen Gebäudesanierung ausgeschlossen; damit
haben Sie das Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung beim Mietrecht aufgehoben. Sie haben die
fristlose Kündigung bei Zahlungsverzug bei der Mietkaution und die Räumung im einstweiligen Verfügungsverfahren eingeführt, um das vermeintliche Problem der
Mietnomaden zu lösen. Das alles sind Punkte, die zulasten des Mieters gehen, aber keine Lösung für das Problem der Mieterhöhung in Ballungszentren und das
Problem, wie die Kosten der energetischen Gebäudesanierung gerecht zu verteilen sind, darstellen.
({4})
- Ich habe es gelesen und habe es verstanden. Aber Sie
haben keine Ahnung, Herr Kollege; das ist das Problem.
({5})
Der Minister stellt sich hierhin und sagt: Wir haben
doch bei der Kappungsgrenze etwas gemacht. - Aber
das ist eine Mogelpackung, weil das nur bei den Bestandsmieten Wirkung zeigt. In dieser Frage haben Ihnen
sämtliche Presseorgane dieses Landes mitgeteilt, dass
sie nicht auf Sie hereinfallen. Sie lösen das Problem
schlicht und ergreifend nicht, weil Sie die Frage der
Neuvermietung nicht angehen. Dazu haben wir den Vorschlag mit den maximal 10 Prozent Mieterhöhung bei
Wiedervermietung gemacht. Wir sind ja bereit, über
diese Zahl zu diskutieren. Wenn Sie sagen, Sie wollten
das Problem angehen, dann diskutieren Sie doch mit den
Ländern Berlin und Hamburg. Die haben im Bundesrat
eine Initiative eingebracht, bei der sie es über § 5 Wirtschaftsstrafgesetz regeln wollen. Wir können uns auch
über 20 Prozent unterhalten. Aber Sie müssen endlich
mal rangehen, diese Probleme zu lösen. Das tun Sie
nicht, das wollen Sie nicht.
({6})
Kollegin Wagner hat auf die Mietsteigerungen in Ballungszentren im letzten Jahr hingewiesen. Wenn man dabei die letzten fünf Jahre betrachtet, dann sind dies
28 Prozent in Berlin, 23 Prozent in Hamburg, 16 Prozent
in München, wo das Niveau eh schon hoch ist. Was sollen eigentlich eine Krankenschwester oder ein Polizist
von der Äußerung eines Bundesbauministers halten, der
sagt: „Eigentlich haben wir kein Wohnungsproblem in
Deutschland“? Was nutzt es dieser Krankenschwester,
dass in Cottbus eine Wohnung leer steht,
({7})
wenn sie in München zu vertretbaren Konditionen keine
Wohnung mehr findet?
Ich denke, dass der Bundestag dieses Problem endlich
angehen muss. Diese Regierung wird nicht in der Lage
sein, das zu tun; deswegen ist es gut, wenn sie abgewählt
wird und die 21 Millionen Mieter nach dem 22. September mit einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung endlich eine anständige Mietenpolitik in diesem
Land erleben.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Sebastian Körber für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben es heute bereits mehrfach gehört:
Wohnungsbau ist das Gebot der Stunde. Ich brauche die
Analyse nicht zu wiederholen: Wir brauchen in den Ballungsgebieten und Universitätsstädten dringend neue
Wohnungen.
Allerdings: Zusätzliche Belastungen der Investoren
und der Wohnungsbaugesellschaften bewirken das GeSebastian Körber
genteil des Gewollten und verschärfen sogar noch den
Druck auf die Mieter, die Sie unterstützen zu wollen vorgeben.
Herr Kollege Egloff, Herr Kollege Steinmeier, ich
glaube, wir brauchen uns nur einmal anschauen, was da,
wo die SPD die Verantwortung trägt, passiert. Schauen
wir einmal nach Berlin - Sie regieren dort ja auch -:
Hier sind die Mittel dafür, dass neue Wohnungen gebaut
werden, nicht einmal richtig aufgewandt worden. Oder
schauen wir einmal nach München: Dort gibt es einen
Oberbürgermeister, der hinter seinem eigenen Ziel, neue
Wohnungen zu schaffen, zurückbleibt.
Das Einzige, was Sie an Vorschlägen bringen, sind
Mietpreisdeckelungen, neue Verordnungen, Vorschriften
und Regulierungen. Wenn das der rot-grüne Vorschlag
für mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland sein
soll, dann wird dadurch nur eines erreicht: dass bald
überhaupt niemand mehr Lust hat, in Deutschland zu investieren und zu bauen.
({0})
Der Kanzlerkandidat der SPD hat den Plenarsaal
gleich wieder verlassen; so wichtig scheint ihm dieses
Thema also nicht zu sein.
({1})
Das Einzige, was Rot-Grün an konkreter Politik gemacht hat: Sie haben die Abschreibungsmöglichkeiten
bei der energetischen Sanierung im Bundesrat blockiert,
verhindert; die Grünen ganz vorne mit dabei. Was haben
Sie dadurch erreicht? Weniger Klimaschutz, weniger Investitionen und auch weniger Sanierungen. Wenn dieses
Thema den Grünen so wichtig ist, dann verstehe ich
nicht, warum Herr Kretschmann - er ist ja mittlerweile
Ministerpräsident in Baden-Württemberg - sich da enthalten hat.
({2})
Schwarz-Gelb bekennt sich ausdrücklich zur energetischen Sanierung und hat sofort konkret reagiert: Wir haben sofort 300 Millionen Euro mehr KfW-Mittel bereitgestellt. Aus den Ländern ist dazu selbstverständlich
überhaupt nichts gekommen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein
paar Ausführungen zum Mietrecht. Wir hätten keine Ahnung, haben Sie gerade behauptet, Herr Kollege Egloff.
Vielleicht hätten Sie den Bericht vorher einmal lesen sollen. Ich kann Ihnen gern zwei Punkte daraus benennen:
Das Mietrecht ist in der Tat sozial ausgewogen, weil
nämlich die mietrechtlichen Maßnahmen, die wir jetzt
einsetzen, auch wirklich schneller und konkreter wirken.
Sie sehen Mietnomaden als kein Problem an. Der
Durchschnittsvermieter in diesem Land hat nur ein,
zwei, drei Wohnungen, und die sind für ihn vielleicht ein
wichtiger Beitrag zur Altersvorsorge. Mietnomaden können ihn wirtschaftlich ruinieren. Vielleicht sollten Sie
sich einmal damit auseinandersetzen, was da für Kosten
auflaufen können, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von der SPD.
Wir berücksichtigen sehr wohl mehr Mieterschutz:
Das unsägliche Münchener Modell wird jetzt nicht mehr
so einfach möglich sein. Wir verhindern hier ganz konkret Luxussanierungen. Das ist doch ein Mieterschutz,
über den sich sogar der Kollege Egloff - wenn er aufpassen würde - freuen könnte.
({4})
Ich will Ihnen noch die eine oder andere weitere Maßnahme darlegen, die wir jetzt andenken. Wir brauchen
weitere Förderungen und Anreize. Dazu gehört eine degressive AfA gerade für die angespannten Teilmärkte.
Sie haben daran mitgewirkt, dass sie wieder ausgesetzt
wird. Um Anreize zu setzen, müssen wir gerade dort
ganz gezielt wieder eine degressive AfA einführen; das
wäre außerordentlich hilfreich. Das würde etwa auch
den Studenten nützen.
Es ist bereits angesprochen worden, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wichtig ist natürlich auch,
dass die Kommunen ausreichend Bauland zur Verfügung
stellen. Schauen wir uns einmal die Städte an: München
- dort regiert ja Christian Ude für die SPD - hängt den
eigenen Zielen hinterher. In München wird dazu überhaupt nichts beigetragen: Die Baulücken werden nicht
besonders aktiviert, und auch bei den Konversionsflächen, die zur Verfügung gestellt werden könnten, wird
nichts gemacht. Auch zur Umnutzung von etwa 2,5 Millionen Quadratmetern Gewerbeflächen, die in München
leer stehen, weisen Sie nicht schneller Bauland aus.
Überall dort, wo SPD und Grüne in der Verantwortung sind, ducken Sie sich bei all den Themen, über die
Sie hier was erzählen, nämlich ganz schnell weg.
({5})
Das sollten Sie den Kolleginnen und Kollegen in den
Ländern und insbesondere auch in den Städten und
Kommunen, die die Planungshoheit noch immer innehaben, auch einmal sagen. Wo kein Bauland ist, kann man
nichts bauen. Dann machen Sie mal was!
({6})
Aber der grüne Bevormundungsstaat lässt ja grüßen.
Das, was wir in Berlin wieder zur Kenntnis nehmen
durften, ist ja eine wahre Pracht. Ein Bezirksbürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg möchte jetzt noch weiter
bevormunden und ins Eigentum der Menschen eingreifen. Er will dort gegen Luxus vorgehen
({7})
und verbieten, dass es in den Wohnungen Einbauküchen,
die dort in den 30er-Jahren eingeführt worden sind, ein
zweites WC - für eine Familie mit vier Kindern ist es ja
vielleicht durchaus nett, wenn man das hat - und einen
Balkon über 4 Quadratmeter gibt, auf dem man gemeinsam frühstücken kann. Nein, das alles will er nicht. Das
ist Luxus; das verbieten wir.
Bevormunden, Verordnungen, Regelungen: Das ist
das, was Sie ganz konkret vor Ort machen und umsetzen.
Das ist grundfalsch.
({8})
Ich komme jetzt zu einem Ihrer populistischen Vorschläge, die Sie hier jetzt wieder machen: zur Deckelung
bei der Neuvermietung. Bei Neuvermietungen soll die
Miete um nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Sie müssen es auch
wirklich so benennen, wie es ist. Herr Steinbrück hat das
so vorgeschlagen.
Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist, dass dann
überhaupt niemand mehr etwas baut, weil man nicht einmal mehr eine Reinvestition erzielen kann. Eine Wohnung wird nämlich nicht einfach so gebaut. Der Wertverlust durch Abnutzung muss irgendwann wieder
wettgemacht werden.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal
eine Lanze für die privaten Vermieter in diesem Land
brechen, die Sie ja alle pauschal als Miethaie hinstellen die Makler sowieso. Das kann ich einfach überhaupt
nicht akzeptieren.
Zu den Themen „Wohnungseigentum“, „Wohnriester“,
„ländlicher Raum“ sagen Sie gar nichts, nichts! Das bedeutet Ihnen anscheinend überhaupt nichts mehr.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gilt, die
Herausforderungen „bezahlbarer Wohnraum“, „Klimawandel“ und „demografischer Wandel“ vor Ort anzupacken. Dort müssen alle zusammenwirken.
Ich glaube, ich konnte aufzeigen, dass Sie das dort,
wo Sie Verantwortung tragen, nicht tun. Der beste Mieterschutz ist ausreichend bezahlbarer Wohnraum. Lassen
Sie uns doch daran arbeiten, und wenden Sie sich besser
dem zu, was wir Ihnen vorschlagen!
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Jan-Marco Luczak für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Bezahlbarer Wohnraum und
auch ein ausgewogenes Mietrecht sind wichtige Themen, weil sie die Menschen existenziell betreffen. Gerade weil das so wichtige Themen sind, bedauere ich
- das muss ich schon sagen -, wie die SPD hier an diese
Themen herangeht. Wenn man Ihren Antrag liest, dann
kann man nämlich eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Sie machen hier mit diesem Antrag Wahlkampf
und nichts sonst.
Gucken Sie sich nur einmal die Rhetorik und die
Worte an, die Sie dort wählen! Sie sprechen dort von einer „Explosion der Mieten“ und einem „Angriff auf das
… Mietrecht“.
({0})
Wer in einem solchen Antrag eine solche Rhetorik
verwendet und solche Worte wählt, dem geht es ganz offensichtlich nicht mehr um eine sachliche Debatte, sondern um Wahlkampf, und damit diskreditieren Sie sich,
meine lieben Damen und Herren von der SPD.
({1})
Es geht ja noch weiter. Anstatt eine sachliche Debatte
zu führen, werden die Mieter in unserem Land ganz gezielt desinformiert. Sie versuchen, die Menschen zu verunsichern und Ängste zu schüren, um daraus politisches
Kapital zu schlagen.
({2})
Sie behaupten in Ihrem Antrag an einer Vielzahl von
Stellen einfach Dinge, die schlichtweg falsch oder bereits geltendes Recht sind. Ich finde, das, was Sie von
der SPD hier machen, ist unredlich.
({3})
Nehmen wir das Beispiel Kündigung. Sie sagen: Ein
Vermieter soll nur dann kündigen dürfen, wenn eine
Pflichtverletzung des Mieters vorliegt, wenn Eigenbedarf angemeldet wird oder wenn ein Eigentümer seine
Wohnung wirtschaftlich verwerten will. - Ja, so soll es
sein. Genau das ist ja in § 573 Abs. 2 BGB geregelt. Ich
sage nur: Ein Blick ins Gesetz fördert manchmal die
Rechtsfindung.
Sie versuchen hier, den Eindruck zu erwecken, Vermieter könnten die Mieter einfach mir nichts, dir nichts
auf die Straße setzen, und das ist schlichtweg falsch.
({4})
Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel nennen:
In Bezug auf die Umlage der Modernisierungskosten
- das ist ja schon in der Debatte zwei-, dreimal genannt
worden - sagen Sie, dass die nicht rückzahlbaren Förderungen aus öffentlichen Mitteln nicht umlagefähig sein
sollten. Ja, selbstverständlich. Kein Eigentümer soll FörDr. Jan-Marco Luczak
dergelder erhalten, für Modernisierungen ausgeben und
sich dann Kosten, die er selbst gar nicht getragen hat,
von den Mietern zurückholen. Deswegen sagt ja auch
der geltende § 559 a BGB: Drittmittel, die der Vermieter
erhalten hat, müssen aus den Kosten der Modernisierung
herausgerechnet werden.
Hier versuchen Sie ganz offensichtlich, die Leute für
dumm zu verkaufen, indem Sie Dinge fordern, die längst
geltendes Recht sind. Entweder Sie machen das hier bewusst, oder Ihnen fehlt es schlicht an Sachkenntnis. Beides
finde ich ziemlich peinlich, meine Damen und Herren.
({5})
Werter Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen der CDU/CSU-Fraktion?
Sehr gern.
({0})
Danke, Herr Präsident.
({0})
Herr Kollege Luczak, ich habe noch eine Frage dazu.
Nach dem, was der Kollege von der SPD hier vorher alles an Kritik an der Mietrechtsnovelle geübt hat: Wie
kommt es eigentlich, dass der rot-grün dominierte Bundesrat dem dann so zugestimmt hat?
Das ist eine sehr gute Frage. Denn wenn uns hier im
Bundestag die Opposition vorwirft, dass wir mit dem
Mietrechtsänderungsgesetz Mieterrechte schleifen würden, dann muss man einmal im Detail sagen, wo wir an
vielen Stellen in diesem Gesetz Mieterrechte verbessert
haben. Das gilt zum Beispiel beim Kündigungsschutz,
wenn Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Das Münchener Modell ist hier ja
schon angesprochen worden. Das wird es in Zukunft
nicht mehr geben.
Oder ich weise auf das Wärme-Contracting hin, die
gewerbliche Wärmelieferung. Dort ist es bislang möglich, dass Verträge zulasten Dritter, nämlich zulasten der
Mieter, geschlossen werden, dass Vermieter auf die gewerbliche Wärmelieferung umstellen und die Kosten
einfach auf die Mieter umlegen - mit erheblichen Kostensteigerungen. Das wird es zukünftig nicht mehr geben. Es wird keine Gewinne auf Kosten der Mieter geben,
weil das zukünftig kostenneutral sein muss.
Oder ein anderes Beispiel: die Kappungsgrenzen. Da
haben wir gesagt: Wir schauen uns die Situation in unserem Land an. Natürlich, es gibt einen erheblichen Mietenanstieg in einzelnen Teilen unseres Landes, in Ballungszentren, in großen Städten, in Universitätsstädten.
Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen die Mieter
schützen; wir wollen, dass die Mieten dort nicht mehr so
stark steigen. Deswegen haben wir gesagt: Wir reduzieren die Kappungsgrenze, also die Möglichkeit, die Miete
um den entsprechenden Prozentwert der ortsüblichen
Vergleichsmiete zu erhöhen, von 20 auf 15 Prozent.
Aber wir sagen eben auch: Das soll zielgenau erfolgen
und nicht flächendeckend eingeführt werden, weil die
Situation der Wohnungsmärkte in unserem Land sehr
unterschiedlich ist. Es gibt einzelne Gebiete, wo es sogar
sinkende Mieten gibt. In den neuen Bundesländern, auf
dem platten Land gibt es großen Wohnungsleerstand.
Wenn man hier eine Einheitsregelung treffen würde, die
alles über einen Kamm schert - das ist ja immer das, was
SPD und Grüne wollen: immer alles gleichbehandeln,
immer alles gleichmachen -,
({0})
würde man an dieser Stelle nur den Mietern schaden.
Das führt uns nicht weiter.
Vielen Dank noch einmal für die Frage. Das hat mir
Gelegenheit gegeben, zwei, drei Punkte auszuführen.
Ich will aber noch einige Punkte nicht nur dazu sagen,
was Sie fordern, obwohl es bereits geltendes Recht ist.
Man muss sich nämlich auch einmal anschauen, was
Ihre Forderungen wirtschaftlich bedeuten. Dann wird
man sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, dass vieles
von dem, was Sie hier fordern, im Endeffekt sogar kontraproduktiv ist, weil Sie nämlich die wirtschaftlichen
Realitäten nicht anerkennen.
Ich nehme einmal als Beispiel - das ist mir sehr wichtig -, dass wir bei den Ursachen ansetzen und nicht allein die Symptome bekämpfen wollen. Denn steigende
Mieten sind ja letztlich nur ein Symptom dafür, dass wir
in unserem Land zu wenig Wohnungsneubau haben. Da
müssen wir natürlich die Frage stellen: Wie bekommen
wir denn mehr Wohnungsbau? Da ist es wichtig, sich zu
vergewissern: Wer baut denn in unserem Land Wohnungen? Das sind nämlich nicht die großen Gesellschaften,
sondern das sind die privaten Eigentümer. 60 Prozent der
Wohnungen in unserem Land sind von privaten Eigentümern gebaut worden. Das ist der Handwerksmeister, der
um die 60 Jahre alt ist, der zwei, drei Wohnungen als private Altersvorsorge hat. Da müssen wir immer darauf
achten: Wir müssen einen entsprechenden rechtlichen
und politischen Rahmen setzen, damit sich Investitionen
in den Wohnungsbau auch zukünftig noch lohnen. Denn
sonst baut nämlich keiner mehr Wohnungen.
Da ist es dann schon wichtig, sich einmal die durchschnittliche Rendite beim Wohnungsbau anzuschauen.
Sie tun ja immer so, als würden hier 10, 20 Prozent Rendite erzielt. Die durchschnittliche Rendite beim Wohnungsbau liegt bei etwas über 2 Prozent. Jetzt kann man
sich ja sehr schnell vorstellen, was passieren würde,
wenn wir auch noch die Mieten bei Neuverträgen deckeln und bei der Kappungsgrenze flächendeckend heruntergehen würden. Das würde dazu führen, dass wir in
unserem Land überhaupt keinen Wohnungsbau mehr haben. Weniger Wohnungen bedeutet weniger Angebot,
und weniger Angebot bedeutet steigende Preise. Meine
Damen und Herren, das ist das Einmaleins der Volkswirtschaft. Das sollte man schon kennen, wenn man solche Anträge schreibt.
({1})
Ich komme zum letzten Punkt. Sie machen nicht nur
Vorschläge, die mittelfristig für die Mieter sogar kontraproduktiv sind und zu weniger Wohnungen führen, sodass sich die Wohnungsknappheit verstärkt.
({2})
Sie wollen auch die Eigentümer schlechterstellen, Stichwort „Mietnomaden“.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Sie wollen den momentanen unhaltbaren Zustand,
dass Eigentümer bis zu zwei Jahre klagen müssen, bis
sie ihre Wohnung wiederhaben, offenbar fortschreiben;
denn Sie wollen das effiziente Instrumentarium, das wir
mit dem Mietrechtsänderungsgesetz endlich eingeführt
haben, abschaffen. Sie sollten sich genau überlegen, ob
Sie mit solchen Forderungen in den Wahlkampf ziehen
wollen. Den vielen Eigentümern, die wir für eine Steigerung des Wohnungsbaus brauchen, werden Sie damit sicherlich keinen Gefallen tun.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie haben gerade behauptet: Der Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung. - Es würde auch
bei den Vorwürfen, die Sie uns gegenüber erheben, helfen, wenn Sie vorher lesen würden. Erstens, zum Thema
Neubau, das Sie angesprochen haben. Die SPD fordert
nicht, dass bei jeder Neuvermietung die Mieterhöhung
auf maximal 10 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt wird. Das steht übrigens im wohnungspolitischen Programm der CSU, das gerade erst veröffentlicht wurde. Dahin müssen Sie sich also mit Ihrer
Kritik wenden. Wir gehen von der Wiedervermietung
aus. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied. Selbstverständlich wollen wir beim Neubau nicht bremsen.
Aber es geht um die Wiedervermietung und darum, dass
hier nicht Extraprofite auf Kosten derjenigen gemacht
werden, die dringend auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind.
({0})
Eine Lüge wird auch durch Wiederholung nicht wahr.
Die rot-grün geführten Länder haben nicht im Bundesrat
zugestimmt. Fakt ist dagegen, dass wir bei der Mietrechtsnovelle im Bundesrat noch keine Mehrheit für die
Anrufung des Vermittlungsausschusses hatten,
({1})
weil die neue niedersächsische Landesregierung noch
nicht im Amt war. Das ist die Wahrheit. Was Sie hier
darstellen, ist eine glatte Lüge.
({2})
Ich finde es spannend, Herr Kollege Körber, festzustellen, dass jemand an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich redet. Hier haben Sie behauptet, die vorgelegte Mietrechtsreform sei sozial ausgewogen. Ich
erinnere Sie an Ihre Aussage im zuständigen Verkehrsausschuss im Dezember letzten Jahres. Da haben Sie
sich gefreut und wortwörtlich gesagt: Endlich wieder
eine eigentümer- und vermieterfreundliche Mietrechtsänderung! - Was ist es denn nun? Ist es sozial ausgewogen, oder ist es - wie richtig dargestellt worden ist - ein
Anschlag auf die Rechte der Mieterinnen und Mieter?
Tatsächlich ist deren Rechtsposition verschlechtert worden. Nichts anderes ist hier Fakt.
({3})
Lesen Sie unsere Anträge! Wir müssen die Bundesregierung auffordern, wieder für soziale Ausgewogenheit
zu sorgen, und zwar nicht deswegen, weil uns das eben
erst eingefallen ist, sondern weil wir die Bilanz der letzten dreieinhalb Jahre Tätigkeit bzw. Untätigkeit dieses
Bundesbauministers gezogen haben. Wer hat denn die
Mittel für die Städtebauförderung um über 100 Millionen Euro gekürzt? Wer war denn das? Das waren doch
Sie. Ich finde es spannend, dass Sie sich hier hingestellt
und gesagt haben: Es tut uns leid, dass wir die Mittel für
die Städtebauförderung kürzen mussten, aber das Geld
ist einfach nicht da. Diese 100 Millionen Euro sind im
Bundeshaushalt nicht mehr zu finden. - Aber dann kündigen Sie ein milliardenschweres Programm für die
nächste Wahlperiode an, mit dem Sie den Wohnungsbau
ankurbeln wollen. Wer soll Ihnen das glauben, Herr
Ramsauer?
({4})
In dieser Wahlperiode haben Sie noch nicht einmal
100 Millionen Euro für die Städtebauförderung, aber in
der nächsten sollen dann die Milliarden vom Himmel
fallen. Das, was hier stattfindet, ist doch Lug und Trug
auf offener Bühne.
({5})
Nun zu den 518 Millionen Euro. Jawohl, die Föderalismusreform sieht vor, dass die soziale Wohnraumförderung in die Zuständigkeit der Länder fällt. In Ihrem
Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass Sie bis zur Mitte der
Legislaturperiode über die Höhe und die Fortführung der
Entflechtungsmittel entscheiden wollen. Bis zur Mitte
dieser Legislaturperiode war noch nichts entschieden. Erst
kürzlich, im Dezember, ist entschieden worden, und zwar
- anders als Sie hier gesagt haben, Herr Ramsauer - eben
nicht bis zum Ende des Förderzeitraums, sondern nur für
das nächste Jahr.
Es sind nicht die Zweckbindungen in Ihrem Gesetzentwurf enthalten, die wir alle hier in diesem Haus wollen. Das ist die Wahrheit und nichts anderes. Täuschen
Sie doch nicht vorsätzlich die Öffentlichkeit!
({6})
Ich finde es spannend, was alles an neuen Vorschlägen, an neuen Ideen und Förderungen kommt. Gerade ist
angesprochen worden, dass man die knappen Mittel zielgenau einsetzen muss. Was bedeutet denn die Reaktivierung der Eigenheimzulage? Das ist doch eine Förderung
mit der Gießkanne.
Ich bin jemand, der selten Kolleginnen und Kollegen
der Regierungsfraktionen lobt. Ich muss aber den Kollegen Dirk Fischer, der nachher noch reden wird, ausdrücklich ausnehmen und explizit loben. Er hat eine Bewertung des Programms abgegeben, das Herr Ramsauer
entgegen allem, was er bisher gemacht hat, in dieser Woche vorgelegt hat. Herr Fischer schreibt: Was der Verkehrsminister vorgelegt hat, ist ein Feuerwerk für den
Wohnungsneubau.
({7})
Ich finde, das ist ein sehr treffender Vergleich für eine
explodierende Luftnummer, lieber Kollege; denn dahinter steckt überhaupt nichts.
({8})
Wer nicht 110 Millionen Euro für die Städtebauförderung hat, aber Milliarden für die nächste Wahlperiode
ankündigt, der ist wirklich arm dran. Ich muss Ihnen sagen: Die Mieterinnen und Mieter in diesem Land erwarten keinen Ankündigungsminister.
({9})
Die Mieterinnen und Mieter erwarten auch keinen Feuerwerker. Sie erwarten eine Regierung, die endlich dafür
sorgt, dass Wohnen bezahlbar bleibt. Wir werden ab
September dieses Jahres dafür Sorge tragen.
({10})
Das Wort hat nun Gero Storjohann für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man bewahre uns davor, dass eintritt, was Sie
sich wünschen, dass Sie nach der nächsten Bundestagswahl die Verantwortung haben. Es wird mir schlecht,
wenn ich daran denke, wie sich die Situation auf dem gesamten Wohnungsmarkt dann darstellen würde.
({0})
Ja, es stimmt, die Nettokaltmieten sind gestiegen, in
den letzten zehn Jahren im Schnitt um 1,1 Prozent. Ja, es
stimmt, die Lebenshaltungskosten sind um 1,6 Prozent
gestiegen. Ja, es stimmt, dass wir unterschiedliche Wohnungsmärkte haben und dass wir in letzter Zeit hohe
Mietpreissteigerungen gerade in den Großstädten, in den
Metropolkernen und in den Studentenstädten zu verzeichnen hatten.
Es ist aber etwas ganz Normales, dass es im Wohnungsmarkt Zyklen gibt. In der Regel haben wir über
sieben bis acht Jahre hinweg einen erhöhten Wohnungsbedarf. Dann haben wir wieder einen Überschuss an
Wohnungen.
Auf diesem Markt muss investiert werden. Menschen,
die investieren, möchten auch gern ein Reinvest haben.
Sonst machen sie das nicht. Deswegen ist es wichtig,
dass wir jetzt darüber reden, wie wir mit diesem Thema
umgehen, damit Menschen investieren, damit es in
Deutschland nie wieder zu einer Wohnungsnot kommt.
Wohnungsnot hatten wir Anfang der 90er-Jahre. Das ist
uns allen noch sehr schmerzhaft in Erinnerung.
Wir haben das Problem, dass die Neubautätigkeit in
letzter Zeit enorm zurückgegangen ist. Die SPD macht
nun Vorschläge, wie man den Neubau ankurbeln könnte,
aber nicht durch die Zurverfügungstellung von Bauland,
durch viel Geld in den Ländern, sondern durch Vorschriften. Das ist das, was Ihnen einfällt.
Was haben uns aber heute Morgen die Verbände ins
Stammbuch geschrieben? Was haben sie dazu gesagt,
dass wir zurzeit keinen Wohnungsbau im erforderlichen
Maße haben? Sie haben gesagt: In der Vergangenheit haben sich wichtige Investoren aus dem Markt für bezahlbaren Wohnraum zurückgezogen; sie sind kaum noch
aktiv. Auch die Wohnungsbaugenossenschaften haben
das getan.
Der technische und organisatorische Aufwand beim
Bauen ist immer weiter gestiegen. Das liegt auch daran,
dass wir von politischer Seite aus Maßnahmen der energetischen Sanierung in den Vordergrund stellen und das
barrierefreie Bauen fördern wollen. All diese Maßnahmen lassen Investoren - ({1})
- Die Investoren müssen das machen, lieber Kollege.
({2})
Die Investoren können aber auch entscheiden, es
nicht zu machen. Nun stellt sich die Frage, welche Signale wir vonseiten der Politik aussenden, damit Investoren es zukünftig machen.
Das Bauen wird zunehmend teurer, und es wird immer schwieriger, günstigen Wohnraum am Markt zur
Verfügung zu stellen. Deswegen brauchen wir die Länder, die über ihre Wohnungsbauprogramme sehr viel
Geld in die Hand nehmen, um das Problem anzugehen.
Wohnungsknappheit wird nicht durch regulatorische
Maßnahmen behoben - das ist meine feste Überzeugung -, sondern nur durch Angebotserweiterung. Deswegen ist es angesichts des sensiblen Marktes, in dem
wir uns befinden, wichtig, dass die SPD von ihren Vorschlägen wieder abrückt. Das, was Sie vorschlagen, läuft
genau in die falsche Richtung.
({3})
Wir haben enorm steigende Nebenkosten. Für den
Verbraucher, für den Mieter, ist natürlich die Gesamtmiete entscheidend. Sie ist in den letzten Jahren enorm
gestiegen; aber die Nettokaltmiete ist in den vergangenen zehn Jahren ziemlich konstant geblieben. Das gehört, glaube ich, auch zur Wahrheit.
({4})
Wenn die Situation am Wohnungsmarkt nicht besser
wird, wenn wir den hohen Nebenkosten nicht entgegenwirken, dann werden die Mieter und nicht die Investoren
das spüren. Also: Ein ausreichendes Wohnungsangebot
ist Voraussetzung für erschwingliche Mieten. Wir wollen
die Mieter vor überzogenen steigenden Mieten schützen.
Die SPD schlägt nun vor - Herr Pronold hat das noch
einmal betont -, bei Wiedervermietung eine Mieterhöhung von maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete vornehmen zu dürfen. Konkret: Jemand hat
eine Eigentumswohnung finanziert, erhebt eine Miete
von vielleicht 10 Euro pro Quadratmeter, während die
ortsübliche Miete 8 Euro pro Quadratmeter beträgt.
Nach einem Jahr zieht ihm aufgrund der Fluktuation der
Mieter aus. Er hat eigentlich langfristig kalkuliert, darf
dann aber nur noch 8,80 Euro an Miete nehmen.
({5})
Angesichts einer maximal erzielbaren Rendite von
4 Prozent ist sein Geschäftsmodell in diesem Augenblick natürlich nicht mehr viel wert. - Vor diesem
Hintergrund überlegen sich viele, ob sie da einsteigen.
Deshalb: Nehmen Sie Ihren Vorschlag zurück! Er ist
kontraproduktiv für den deutschen Wohnungsmarkt. Er
verunsichert die Leute.
({6})
Sie möchten den Berechnungszeitraum bei der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier auf zehn Jahre ausweiten. Sie möchten bei energetischen Sanierungen
sichergestellt sehen, dass nur effiziente Maßnahmen
durchgeführt werden. Auch das bedeutet: Es muss kontrolliert werden; es muss reguliert werden. Das sind
Dinge, die das Bauen nicht attraktiver machen. Außerdem möchten Sie die Umlage der Modernisierungskosten von 11 auf 9 Prozent reduzieren. Das alles sind
Maßnahmen, die dem Markt nicht dienen.
Mein Eindruck ist: Die SPD will die Rendite beim
Wohnungsbau unter die Rendite der DB bei Stuttgart 21
drücken. Was kritisiert die SPD da nicht alles! Aber die
Rendite der Eigentümer soll bei 0,02 Prozent, wenn
nicht sogar im Minusbereich liegen.
({7})
Das, glaube ich, ist nicht Ihr Wille.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Meine Damen und Herren, wichtiges Thema heute:
Die SPD muss ihre Anträge zurücknehmen; dann geht es
dem Wohnungsmarkt viel besser.
({0})
Wir danken dem Minister für seinen hervorragenden
Bericht und werden ihn in seiner weiteren Politik gerne
unterstützen.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Dirk
Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich hatte von dem hamburgischen Kollegen
Egloff eigentlich erwartet, dass er jetzt in der Logik seiner Ausführungen den Mietern der 140 000 städtischen
Wohnungen in Hamburg die erfreuliche Mitteilung
machen würde, dass der Bürgermeister Scholz das Einfrieren ihrer Mieten angeordnet habe. Das hat mir ein
bisschen gefehlt.
({0})
Wir erleben heute eine Debatte, in der die politischen
Unterschiede deutlich geworden sind: Auf der einen
Seite hören wir, wie Sozialdemokraten, Grüne und Linke
auf der Grundlage eines sehr dramatisierten Szenarios
auch Instrumente aus der sozialistischen Mottenkiste der
Öffentlichkeit verkaufen wollen.
({1})
Auf der anderen Seite sehen wir die sachorientierte
Arbeit der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen von Union und FDP.
Dirk Fischer ({2})
({3})
Wir erkennen bestimmte Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt und präsentieren marktgerechte Lösungen.
Das ist für jede Bürgerin und jeden Bürger im Lande
glasklar erkennbar.
Bundesminister Peter Ramsauer hat im Herbst letzten
Jahres in seinem Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft die Dinge sachlich dargelegt und analysiert. Er hat dann die aus seiner und unserer Sicht erforderlichen und richtigen Konsequenzen gezogen und sie
nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine dieser Konsequenzen lautet: Wohnungsbau, Wohnungsbau, Wohnungsbau. Denn der beste Schutz vor steigenden Mieten
in Ballungsregionen ist mehr Wohnungsbau. Nichts anderes hilft den betroffenen Menschen, jenen, die Wohnungen suchen, und jenen, die bereits Mieter sind.
Die größte Bremse im Wohnungsbau wären Mietrechtsregelungen mit sozialistischen Zwangssystemen
einer staatlichen Preisbildung. Das war seit langem der
Traum der Linken; aber dass die SPD jetzt mitträumt,
das ist ziemlich neu. Ich glaube, selbst der Ex-Chef der
Neuen Heimat Albert Vietor, der SPD-Mitglied war,
würde sich bei derartigen Vorstellungen im Grabe umdrehen. Ich kann nur aufrufen: Lassen Sie die Finger davon! Packen Sie das Teufelszeug wieder dahin, wo es
hingehört: in das Museum für gescheiterte Ideologien!
({4})
Die Verwirklichung solcher Gedanken würde Wohnungsneubau verhindern. Bestehende Baufinanzierungen würden zerstört werden.
({5})
Gestern noch haben Sie, Herr Kollege Bartol, die
niedrige Rendite der DB AG bei Stuttgart 21 beklagt.
Heute fordern Sie im Grunde genommen, bei der Wohnungswirtschaft eine noch niedrigere Rendite herbeizuführen.
({6})
Das heißt also: Gestern Bestürzung, aber heute sind Sie
in der Gegenrichtung unterwegs. Das passt doch nicht
zusammen.
({7})
Der vorliegende Bericht über die Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft zeigt, dass die Immobilienpreise
und Mieten in den vergangenen drei, vier Jahren mancherorts wieder gestiegen sind, vor allem in den
Ballungsräumen. Aber Deutschland besteht nicht nur aus
Ballungszentren. Die Mietpreisentwicklung verlief seit
Beginn der 90er-Jahre insgesamt eher moderat bis
abnehmend. Jetzt haben wir zwar einen signifikanten
Anstieg, aber wir liegen überall inflationsbereinigt noch
unter dem Niveau von 1992. Das muss man sich bei dem
Szenario auch einmal verinnerlichen.
Wir wollen auf die Situation angemessen reagieren.
Lange Zeit wurde viel zu wenig gebaut. Das hat sich
zwar seit Ende 2009, seit Beginn der Koalition aus
Union und FDP, gebessert;
({8})
aber das reicht noch nicht aus. Wir brauchen mehr Wohnungen, die sich Normalverdiener leisten können. Das
gilt ganz besonders für Familien mit Kindern. Wir müssen einkommensschwache Mieter stärken und daher
beim Wohngeld Leistungshöhe und Miethöchstbeträge
an die Entwicklung der Bestandsmieten anpassen.
Minister Peter Ramsauer hat dazu die entsprechenden
Vorschläge präsentiert. Sein Programm zur Bekämpfung
der regionalen Wohnungsknappheit in Deutschland
kann, Herr Pronold, ein regelrechtes Feuerwerk für den
Wohnungsneubau werden,
({9})
wenn alle mitmachen. Ich frage Sie, Herr Pronold:
Warum wären Sie über ein solches Feuerwerk traurig?
Auch der berühmte Karl Schiller hat gesagt: 50 Prozent
einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie, ist
Optimismus. - Das heißt: Anpacken! Wenn alle mitmachen, schaffen wir es, das Ziel von 250 000 neuen Wohnungen pro Jahr, Mietwohnungen und Eigenheime, zu
erreichen.
({10})
Jeder verwirklichte Wunsch nach eigenen vier Wänden
ist nicht nur eine gute Altersvorsorge, sondern entspannt
auch die Lage auf dem Mietwohnungsmarkt. Wir lassen
die Länder dabei nicht aus ihrer Verantwortung. Wer sich
bei der Föderalismusreform nach der Zuständigkeit für
den sozialen Wohnungsbau drängte und sich diese vom
Bund jährlich mit 518 Millionen Euro bezahlen lässt,
muss jetzt auch dazu stehen.
({11})
Die Vorschläge unseres Bundesministers Ramsauer
geben den Ländern dazu die allerbeste Gelegenheit.
Packen wir es an! Dann werden wir das Ziel von
250 000 Wohnungen erreichen.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12485, 17/12486, 17/12481 und
17/11200 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig ma-
chen - Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches
Mietrecht“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/12472, den An-
trag der Fraktion der Grünen auf Drucksache 17/7983
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 c und
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf:
41 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012
zwischen der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien
und Peru andererseits
- Drucksache 17/12354 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 29. Juni 2012 zur Gründung
einer Assoziation zwischen der Europäischen
Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und Zentralamerika andererseits
- Drucksache 17/12355 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und
deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern
({2})
- Drucksache 17/12371 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe
Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Meeresforschung stärken - Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern
- Drucksache 17/9745 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen
- Drucksache 17/12300 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz
Thönnes, Dr. Rolf Mützenich, Christoph Strässer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Viola von CramonTaubadel, Volker Beck ({6}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umfassende Modernisierung und Respektierung der Menschenrechte in Aserbaidschan
unabdingbar machen
- Drucksache 17/12467 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({7})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 42 a bis
42 m sowie Zusatzpunkt 3. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 42 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ({8})
- Drucksache 17/11211 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9})
- Drucksache 17/12535 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Marco Buschmann
Ingrid Hönlinger
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12535, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11211 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung bei Enthaltung der Linken von den anderen
Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen ({10})
- Drucksache 17/12014 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({11})
- Drucksache 17/12510 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Lindner ({12})
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12510, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12014 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf so zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken
bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der
Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie zuvor angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala
Lumpur vom 15. Oktober 2010 über Haftung
und Wiedergutmachung zum Protokoll von
Cartagena über die biologische Sicherheit
- Drucksache 17/12337 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({13})
- Drucksache 17/12528 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Dr. Christel Happach-Kasan
Harald Ebner
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12528, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12337 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen
Tabakgesetzes
- Drucksache 17/12338 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({14})
- Drucksache 17/12530 Berichterstattung:
Abgeordnete Mechthild Heil
Dr. Erik Schweickert
Nicole Maisch
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12530, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12338 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkte 42 e bis 42 m. Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 42 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 537 zu Petitionen
- Drucksache 17/12401 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 537 ist einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 538 zu Petitionen
- Drucksache 17/12402 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 538 ist einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 539 zu Petitionen
- Drucksache 17/12403 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 539 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 540 zu Petitionen
- Drucksache 17/12404 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 540 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 541 zu Petitionen
- Drucksache 17/12405 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 541 ist mit den Stimmen
von vier Fraktionen gegen die Stimmen der Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 542 zu Petitionen
- Drucksache 17/12406 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 542 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 543 zu Petitionen
- Drucksache 17/12407 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 543 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen und der Linken gegen
die Stimmen von SPD und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 544 zu Petitionen
- Drucksache 17/12408 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 544 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 42 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 545 zu Petitionen
- Drucksache 17/12409 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 545 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({24}) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Einhundertzweiundsechzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste
- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 17/12001, 17/12114 Nr. 2.1,
17/12448 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12448, die Aufhebung der VerVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
ordnung auf Drucksache 17/12001 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 c, zu den
Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 4 a auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({25}) zu dem Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens ({26})
- Drucksachen 17/7746, 17/10158, 17/10768,
17/12463 Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Dies
gilt auch für die noch folgenden Beschlussempfehlungen
des Vermittlungsausschusses zu den Zusatzpunkten 4 b
und 4 c.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/12463? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 b auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({27}) zu dem Gesetz zur Begleitung der Verordnung ({28}) Nr. 260/2012 zur
Festlegung der technischen Vorschriften und
der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung ({29}) Nr. 924/2009
({30})
- Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395,
17/11938 17/12464 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
Der Kollege Michael Meister hat darum gebeten, im
Rahmen seiner Berichterstattung eine Protokollerklä-
rung der Bundesregierung zu Protokoll zu nehmen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 17/12464? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 c auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({31}) zu dem Gesetz zur Umset-
zung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011
in der Rechtssache C-284/09
- Drucksachen 17/11314, 17/11717, 17/11718,
17/11940, 17/11950, 17/12465 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
Der Kollege Michael Meister hat auch hier darum ge-
beten, im Rahmen seiner Berichterstattung eine Proto-
kollerklärung der Bundesregierung zu Protokoll zu neh-
men.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 17/12465? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Linken vom Haus angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Position der Bundesregierung zur Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke das Wort.
({32})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nachdem man den Eindruck hat, dass es in diesem Hause nur noch Befürworter eines gesetzlichen
Mindestlohnes gibt, weil inzwischen alle konsequent bei
uns abschreiben - leider nicht immer richtig -,
({0})
haben wir das zum Anlass genommen, uns mit der einen
oder anderen Aussage von Ihnen zu beschäftigen.
Michael Grosse-Brömer, Ihr Parlamentarischer Ge-
schäftsführer, sagte im Spiegel am 18. Februar - Zitat -:
Wir werden als Union noch einmal einen Versuch
unternehmen,
- noch einmal einen Versuch unternehmen -
die FDP für einen tariflich vereinbarten Mindest-
lohn zu gewinnen.
Sehr löblich! - Der CDU-Fraktionsvorsitzende in NRW,
Karl-Josef Laumann sagt:
Wir brauchen einen robusten Mindestlohn. Der
künftige Mindestlohn muss prägende Wirkung ha-
ben, sonst können wir es gleich sein lassen.
Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.
Wir können nicht Hunderte Ausnahmen gebrau-
chen, sondern streben eine einheitliche und ver-
bindliche Lohnuntergrenze an, bei der die Kommis-
1) Anlage 3 2) Anlage 4
sion der Tarifpartner in wenigen begründeten Fällen
differenzieren kann.
Selbst Brüderle kann sich jetzt vorstellen, dass sich bei
den Liberalen etwas tut, und auch Philipp Rösler spricht
von fairen Löhnen, was sehr löblich ist. Frau KrampKarrenbauer im Saarland will einer Initiative des Bundesrates zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne zustimmen. Gegenüber der Welt betont Frau Hasselfeldt,
mit der FDP laufend - das finde ich bemerkenswert über das Thema zu reden. Sie tun auch gut daran; denn
laut einer Erhebung sind inzwischen 66 Prozent der
Unionsanhänger für einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie
müssen Ihren Wählern etwas hinterherlaufen, um sie
noch einholen zu können.
({1})
Die entscheidende Frage ist: Meinen Sie es mit Ihrer
Forderung nach einem Mindestlohn eigentlich ernst?
Denn Ihr Vorschlag, dass nur in den Bereichen eine Lohnuntergrenze festgelegt werden soll, in denen es keine Tarifverträge gibt, geht vollkommen am Thema vorbei; die
sogenannte allgemein verbindliche Lohnuntergrenze ist
kein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Im
Fleischerhandwerk in Thüringen wird ein Stundenlohn
von 6,19 Euro gezahlt, im Friseurhandwerk in Berlin
sind es 4,65 Euro, in der Floristik in Brandenburg sind es
5,26 Euro, im Hotel- und Gaststättengewerbe - das die
FDP so gerne fördert - in Mecklenburg-Vorpommern
werden 6,73 Euro gezahlt, und die Garten- und Landschaftsbauern erhalten 6,25 Euro. All das sind tarifliche
Löhne. Mit Ihrer Position würden diese Löhne bleiben,
wie sie sind. Das ist Folge Ihrer Lohnuntergrenze.
({2})
Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Das, was Sie vorschlagen, brauchen die Menschen in unserem Land nicht.
Wird Ihr Vorschlag umgesetzt, dann bleibt es dabei:
23,1 Prozent verdienen unter 9,15 Euro pro Stunde,
4 Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 7 Euro
und 1,4 Millionen sogar weniger als 5 Euro. Das ist der
Zustand, den Sie ändern müssten; aber das tun Sie nicht.
Deshalb sind Sie für diese Löhne mit verantwortlich.
({3})
Momentan ist die Zeit der Plagiate. Deshalb noch ein
Wort zu Herrn Steinbrück. Ich habe ein Zitat aus der Tagesschau vom 24. Februar zur Kenntnis genommen.
Dort sagt Herr Steinbrück:
Wir sind das Original mit einem flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn, und die anderen werden
fummelig und eifern uns nach, weil sie merken: Da
passiert was.
({4})
Meine Damen und Herren von der SPD,
({5})
Sie haben in der letzten Legislaturperiode dagegen gestimmt. Unsere Forderung stand da schon längst auf der
Tagesordnung.
({6})
- Da könnt ihr brüllen wie ihr wollt.
({7})
Im Spiegel vom 1. April 2006 heißt es - Zitat -:
In der Öffentlichkeit hält er sich noch bedeckt.
- Ihr Spitzenkandidat Hinter den Kulissen jedoch kämpft Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit großer Energie gegen
die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
Das ist die Wahrheit.
Wir brauchen keinen Mindestlohn von 8,50 Euro,
sondern einen Mindestlohn von mindestens 10 Euro.
({8})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Das hat einen einfachen Grund - den kennen Sie genauso gut wie wir -: Jeder Lohn von unter 10 Euro die Stunde führt dazu, dass
der Mensch, der diesen Lohn sein Leben lang erhält
- und nie arbeitslos wird -, als Rentner eine Rente bezieht, die unterhalb der Grundsicherung im Alter liegt.
Das heißt, jeder Lohn unter 10 Euro in der Stunde führt
im Ergebnis dazu, dass Sie die Menschen arm machen,
wenn sie in Rente gehen. Das müssen Sie schon alleine
machen; das geht nicht mit den Linken.
({9})
Das Wort hat nun Karl Schiewerling für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich
mich sehr, dass wir, als heute die Arbeitslosenzahlen
vorgelegt worden sind, feststellen konnten, dass trotz eines schwierigen Winters keine weiteren Aufwüchse zu
verzeichnen sind, sodass der Präsident der Bundesagentur für Arbeit festhalten konnte, dass wir hoffnungsvoll
in die Zukunft schauen können.
({0})
Zu den guten Zahlen gehört, dass wir in Deutschland
im europäischen Vergleich mit 6,1 Prozent immer noch
die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Wir wollen,
dass sich das weiter verbessert.
({1})
Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich der Anteil der
Menschen in Kurzarbeit verringert. Warum sage ich
dies? Ich sage Ihnen dies, weil wir zunächst einmal feststellen dürfen, dass wir dank der guten Konjunktur, dank
der erfolgreichen arbeitsmarktpolitischen Initiativen vergangener Zeiten und dieser Regierung
({2})
mehr als 41 Millionen Erwerbstätige haben, darunter
rund 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Dank der guten Entwicklung können wir uns auch
darüber freuen, dass im Wesentlichen unter Unionskanzlern in 12 Branchen Mindestlöhne eingeführt worden
sind, die von Tarifpartnern gefunden wurden und die für
ungefähr 4,6 Millionen Menschen Wirkung entfalten.
Wir halten das für den richtigen Weg; denn verantwortlich für die Lohnsetzung, auch für Mindestlöhne,
sind die Tarifpartner und nicht der Staat.
({3})
Wir wollen nicht, dass wir sozusagen in das „Pokerverfahren“ einsteigen, wer denn nun am meisten bietet.
8,50 Euro Pflichtuntergrenze der SPD, 10 Euro Mindestgrenze der Linken - ich bin gespannt, wann im nächsten
Deutschen Bundestag diese Summe erhöht wird und wir
in einer Art orientalischer Phase anfangen auszuhandeln,
wie hoch der beste Mindestlohn liegt. Nein, meine Damen und Herren, für das Finden von Mindestlöhnen sind
die Tarifpartner zuständig. Dieses System hat sich bewährt, und dabei wollen wir bleiben.
({4})
Das hat etwas mit Ordnungspolitik in unserem Land
zu tun,
({5})
und das hat etwas mit klaren Strukturen zu tun.
Das Modell, das die Union beschlossen hat und das
wir jetzt in der Koalition miteinander diskutieren und zu
einer Lösung führen wollen, sieht vor, dass die Tarifpartner gezwungen werden, überall dort, wo keine Tarifverträge wirken, dafür zu sorgen, dass ein Mindestlohn eingeführt wird. Das Modell sieht übrigens auch vor, dass
überall dort, wo Tarifverträge ausgelaufen sind, der
Nachlauf dieser Tarifverträge gebremst wird und nicht,
wie wir das in der Tat in Thüringen erlebt haben, im Friseurhandwerk ein Tarifvertrag bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag gilt, dessen Tariflöhne übrigens viel zu niedrig
sind. Aber auch in diesem Bereich sind aufgrund der
Praxis die Löhne mittlerweile gestiegen. Das hat etwas
mit marktwirtschaftlicher Ordnung zu tun. Da befinden
wir uns auf dem entsprechenden Weg. Seien Sie versichert: Wir werden dieses Thema miteinander klären und
auch miteinander vereinbaren.
({6})
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle eines sehr deutlich machen: Das Thema Mindestlohn steht
ja symbolisch für das Thema Gerechtigkeit.
({7})
Ich kann dies nachvollziehen.
({8})
Worauf wir aber achtgeben müssen, ist, dass wir nicht
ständig den Eindruck vermitteln, als würden wir in
Deutschland in einer blanken Verelendungswüste leben,
({9})
in der die Menschen am Hungertuch nagen und in der
keine Perspektiven für die Menschen vorhanden sind.
Das ist nicht der Fall.
({10})
Seit 2010 sind deutliche Lohnsteigerungen zu verzeichnen. Überall dort, wo Tarifpartnerschaft funktioniert,
kommt es zu deutlichen Lohnsteigerungen und besseren
Rahmenbedingungen für die Menschen.
Wir haben ein Interesse daran, dass dies auch für alle
anderen Menschen zum Tragen kommt. Deswegen arbeiten wir jetzt daran, gemeinsam ein System zur Findung von tariflichen Mindestlöhnen zu etablieren. Ich
bin ganz sicher, dass dieses Konzept wirken wird, übrigens auch dort, wo Tarifverträge bestehen, die noch eine
Lohnhöhe vorsehen, die auch wir für hochproblematisch
halten.
({11})
Wir schreiben aber nicht vor, sondern wir setzen darauf,
dass die Tarifautonomie funktioniert. Ich glaube, dass
wir in der Bundesrepublik damit bisher am besten gefahren sind.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von FDP und
CDU, Sie stellen schon eine verdammte Regierung der
Gaukler.
({0})
Sie alle wissen, was Gaukler tun. Gaukler erwecken Illusionen, Gaukler tricksen und schwindeln, und alles nur
um der Show willen. Es ist natürlich klar, um welche
Show es Ihnen hier geht. Es geht um die Bundestagswahl. Sie wollen hier ein gutes Bild abgeben.
({1})
Ob Ihnen das tatsächlich gelingt? Wir werden es sehen.
Meine Damen und Herren dieser Regierung, ich bin
Ihnen dankbar dafür, dass Sie in Ihren Diskussionsbeiträgen einen Begriff verwenden, der nichts mit dem eigentlichen Markenprodukt zu tun hat. Ich bin Ihnen
dankbar dafür, dass Sie den Begriff der Lohnuntergrenze
verwenden.
Lassen Sie mich einige Dinge zu dieser Lohnuntergrenze sagen: Es hat sich in den letzten Tagen herausgestellt, dass FDP und Union einige gemeinsame Eckpunkte zu diesem Thema haben. Zunächst einmal will
ich festhalten, dass Sie alle miteinander sagen: Es darf
keine absolute Lohnuntergrenze qua Gesetz geben. Ich
finde es in diesem Zusammenhang interessant, dass
Guido Westerwelle davon spricht, dass die Grundsätze
der Leistungsgerechtigkeit verletzt sind, wenn ein Stundenlohn in Höhe von lediglich 3 Euro gezahlt wird. Da
stelle ich mir natürlich die Frage, was das heißt.
({2})
Heißt das, dass wir Mindestlöhne in Höhe von 3,50 Euro
bekommen sollen? Sind dann die Grundsätze der Lohngerechtigkeit erfüllt?
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie sagen
auch, dass eine Lohnuntergrenze immer dann nicht
greifen soll, wenn ein Tarifvertrag vorhanden ist oder
auf einen Tarifvertrag Bezug genommen wird. Herr
Schiewerling von der Union hat das gerade ganz elegant
formuliert. Er hat gesagt: überall da, wo Tarifverträge
wirken.
({3})
- Da haben Sie recht. Das ist ein angenehmer Mensch,
auf der persönlichen Ebene;
({4})
aber es ist sicherlich auch so, dass er politisch an der einen oder anderen Stelle mächtig danebenliegt. Das gilt
auch für diesen Punkt,
({5})
bei dem es darum geht, dass die Lohnuntergrenze immer
wieder durch Tarifverträge ausgehöhlt werden kann.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Hunderte von Tarifverträgen mit einem Stundenlohn unterhalb von 6 Euro. Man muss nur in das WSI-Archiv hineinschauen, um das festzustellen. Diese Bezugnahme
auf Tarifverträge bedeutet Folgendes: In jedem x-beliebigen Arbeitsvertrag könnte künftig der Mindestlohn
- Ihre Lohnuntergrenze - dadurch umgangen werden,
indem beispielsweise hineingeschrieben wird, dass der
Tarifvertrag für die Floristen greift. Also ist es möglich,
dass der Mitarbeiter an der Würstchenbude nach dem
Tarifvertrag für die Floristen und Floristinnen bezahlt
wird.
({6})
Das ist nicht nur kurios, sondern schlimm, weil die Bezahlung in diesem Bereich nicht gut ist.
Meine Damen und Herren der Union, Sie sagen: Es
muss so sein, dass nach Regionen und Branchen differenziert wird. Ich stelle mir einmal vor, wie das dann abläuft. Es gibt ganz viele Regionen in der Bundesrepublik, und man kann ganz viele Branchen finden, um die
es in diesem Zusammenhang geht. Ich denke, wir würden
in einen jahrelangen Prozess der Lohnfindung hineinkommen, um einen Mindestlohn, eine Lohnuntergrenze
zu finden. Ich stelle mir vor, wie Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer dann jeweils recherchieren müssen, um zu
wissen, was für sie konkret gilt.
Davon abgesehen, sehe ich Sie von einem Gesetzgebungsvorhaben noch ganz weit entfernt. Das gilt für Ihre
beiden Fraktionen. Ich will an dieser Stelle nur beispielsweise erwähnen, was der bildungspolitische Sprecher
der FDP gesagt hat. Er hat gesagt, es gebe keine Bewegung für eine Lohnuntergrenze oder für Mindestlöhne in
Deutschland. Na ja, wir werden sehen, wie Sie Mehrheiten dafür zusammenkriegen.
Meine Damen und Herren, dabei brauchen wir Mindestlöhne in der Bundesrepublik hochnotdringend.
({7})
Herr Schiewerling, Sie haben gesagt: Bei den Arbeitsmarktzahlen steht die Bundesrepublik toll da. Und Sie
haben gesagt: Die Löhne steigen. - Und trotzdem stellt
das IAQ fest: 23 Prozent aller Beschäftigten - im Prinzip
gleichbleibend - in Haupt- und Nebentätigkeit bekommen weniger als 8,50 Euro. Nicht umsonst wird immer
wieder festgestellt, dass die Bundesrepublik leider einen
der größten Niedriglohnsektoren, bezogen auf die Industrieregionen dieser Welt, hat.
Das alles ist ein Jammer. Es geht um Gerechtigkeit,
aber auch um die Bekämpfung von Altersarmut. An dieser Stelle von einer Lebensleistungsrente zu sprechen, ist
verlogen, wenn man den Niedriglohnsektor nicht konsequent bekämpfen will.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Anette Kramme. Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Kramme, um das Wort „verlogen“ aufzunehmen
({0})
- das ist eigentlich nicht meine Sprache, aber Sie haben
es eingeführt -: Verlogen finde ich eher, wenn eine Vertreterin einer Fraktion, die den Niedriglohnsektor in
Deutschland überhaupt erst eingeführt hat, hier mit großen Krokodilstränen genau diesen Umstand beweint.
({1})
Es ist nun einmal so, dass Rot-Grün damals die Idee
hatte, die Massenarbeitslosigkeit - über 5 Millionen Arbeitslose - dadurch zu bekämpfen, dass man einen Niedriglohnsektor an die deutsche Volkswirtschaft anflanscht. Ihr Handeln! Ihre Verantwortung! Sie sollten
das heute hier nicht so beweinen.
({2})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, nach dem Willen der Väter und Mütter des
Grundgesetzes ist Lohnfindung Sache der Tarifparteien.
Ich will - anders als die Vertreter der Opposition - hier
zunächst einmal festhalten, dass das in Deutschland immer noch in einem hohen Maße sehr gut funktioniert.
60 Prozent der Arbeitsverhältnisse in Deutschland unterliegen einer direkten Tarifbindung, bei weiteren 20 Prozent gibt es eine Bezugnahme auf Tarifverträge. Ich
kann überhaupt nicht verstehen, wenn ein ehemaliger
oder noch aktiver Gewerkschaftsfunktionär wie der Kollege Klaus Ernst hier eine allgemeine Tarifschelte betreibt.
({3})
Das finde ich nicht akzeptabel. Da muss ich fragen, wie
Sie es mit der Tarifautonomie halten, lieber Kollege
Ernst.
({4})
Ich finde es wichtig, in der Diskussion immer auch
auf aktuelle Tarifabschlüsse abzustellen. Deswegen ist
es schon ein Problem - das hat der Kollege Schiewerling
angesprochen -, wie man es mit ausgelaufenen Tarifverträgen halten will, die sich in der Nachwirkung befinden
und Signale senden, die heute so nicht mehr akzeptabel
sind. Das ist eine Frage, die wir uns stellen und die wir
sicherlich in einem guten Sinne beantworten werden. Jedenfalls steht für uns fest, dass es nicht Sache des Gesetzgebers sein kann, in bestehende, aktuelle Tarifverträge einzugreifen.
({5})
Zu den unverändert 60 plus 20 Prozent - also 80 Prozent - der Arbeitsverhältnisse in Deutschland, die direkt
einem Tarifvertrag unterliegen oder indirekt Bezug auf
ihn nehmen, kommen 3,8 Millionen Arbeitsverhältnisse
hinzu - teilweise überschneidet sich das -, in denen ein
Mindestlohn aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gilt. 2,1 Millionen Arbeitsverhältnisse sind in dieser Legislaturperiode, durch Handeln
dieser schwarz-gelben Koalition, neu mit Mindestlöhnen
ausgestattet worden. Das zeigt: Wir sind bei diesem
Thema nicht blind. Überhaupt nicht!
({6})
Wir sind für Mindestlöhne. Aber für uns macht es einen
Unterschied, ob sie auf der Basis von Tarifverträgen eingeführt werden - also durch die Tarifpartner auf ihre
Verträglichkeit überprüft wurden - oder nicht.
Das ist das große Manko einer politischen Lohnfindung, wie sie hier offensichtlich der Opposition vorschwebt: Sie wollen einen Basar eröffnen - Sie haben
das heute ja hier schon getan -, auf dem um den Mindest-Mindestlohn gefeilscht wird. Unter 10 Euro dürfen
es nach Ihrer Vorstellung überhaupt nicht sein. Dieser
Mindest-Mindestlohn von 10 Euro zeigt doch schon,
wohin die Reise bei Ihnen gehen würde.
({7})
Vor Wahlen lässt sich dann trefflich ein Überbietungswettbewerb starten. Das ist nicht unser Weg. Wir setzen
konsequent bei der Tarifbindung an.
({8})
So wollen wir die Dinge mit unserem Koalitionspartner weiter gestalten. Wir werden darüber diskutieren:
Muss man den Rahmen, den wir im Arbeitnehmer-Entsendegesetz vollständig ausgeschöpft haben - es gibt jetzt
für alle darin vorgesehenen Branchen Mindestlöhne -,
nachjustieren? Vor allen Dingen: Wie kann man das
Mindestarbeitsbedingungengesetz, wenn es denn Probleme aufwirft, noch einmal auf den Prüfstand stellen?
Eines wundert mich immer bei Ihnen, Frau Kollegin
Kramme - das muss ich deutlich sagen -: Sie führen die
Rente mit 67 ein - Sie haben das gemacht -, und fünf
Jahre später wollen Sie damit nichts mehr zu tun haben.
({9})
Sie führen einen Niedriglohnsektor in Deutschland ein,
und sechs Jahre später wollen Sie das nicht mehr als Ihr
Handeln gelten lassen. Genauso haben Sie in der Großen
Koalition das aktuelle Instrumentarium für die Einführung von Mindestlöhnen mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz
geschaffen, und hinterher, nachdem Sie modernisiert haben, machen Sie keinen Gebrauch davon.
({10})
Frau Kollegin Kramme, jede rot-grüne Landesregierung und auch jede grün-rote Landesregierung kann einen Antrag auf Einführung eines Mindestlohnes nach
dem Mindestarbeitsbedingungengesetz stellen. Was passiert? Nichts. Sie machen nichts. Sie vertagen sich lieber
auf einen Schauplatz, von dem Sie glauben, dass Sie ihn
besser beherrschen. Das finde ich unangemessen, Frau
Kollegin Kramme.
({11})
Uns geht es um faire Löhne für Arbeitgeber, die diese
Löhne zahlen müssen, und um faire Löhne für Arbeitnehmer, die von diesen Löhnen leben müssen.
({12})
Uns geht es auch um faire Löhne aus Sicht der Arbeitslosen, denen durch Lohnfindung ein Wiedereinstieg in
den Arbeitsmarkt nicht verwehrt und nicht verbaut werden darf. Das ist der Weg, den wir in guter Abstimmung
mit unserem Koalitionspartner gehen wollen. Sie dürfen
gespannt darauf sein, mit welchen Ergebnissen wir Sie
hier schon sehr bald konfrontieren werden.
({13})
Danke schön.
({14})
Vielen Dank, Kollege Dr. Kolb. - Nächste Rednerin
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Brigitte Pothmer. Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank; Herr Präsident. - Die einzige Aussage
in Ihrer Rede, die zutreffend war, war, dass wir gespannt
darauf sind, was bei dieser Vereinbarung herauskommt,
Herr Kolb.
({0})
Herr Kolb, Sie haben darauf hingewiesen, dass die
Lohnfindung in Deutschland so hervorragend funktioniere. Deswegen will ich Ihnen noch einmal ein paar
Zahlen in Erinnerung rufen. 6,6 Millionen Menschen in
Deutschland arbeiten für Löhne unter 8,50 Euro die
Stunde. 1,4 Millionen Menschen arbeiten für Löhne unter 5 Euro brutto die Stunde. So weit zu der Lohnfindung
in Deutschland. Dass wir Löhne unter 5 Euro die Stunde
haben, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Dieses Alleinstellungsmerkmal haben wir in Deutschland deswegen, weil
wir das einzige europäische Land sind, das keinen Mindestlohn hat.
({1})
Es gab und es gibt in dieser Legislaturperiode unzählige Initiativen aus den Oppositionsfraktionen, um dieses
Lohndumping, das zunehmend zum Geschäftsmodell
von Betrieben geworden ist, einzuschränken. Sie haben
alle diese Initiativen abgelehnt, ohne auch nur eine einzige eigene Initiative auf den Tisch zu legen. Insbesondere die FDP-Fraktion hat sich unter dem Deckmantel
der Marktwirtschaft als Gralshüter von Schmutzlöhnen
profiliert.
({2})
Jetzt, etwa sechs Wochen vor den Bundestagswahlen
({3})
- Monate! -, hat sich selbst der Sprecher für spätrömische Dekadenz, Außenminister Westerwelle, zum Gerechtigkeitsfanatiker entwickelt.
({4})
Plötzlich ist auch ihm klar, dass 3 Euro Stundenlohn mit
Leistungsgerechtigkeit nichts zu tun haben.
({5})
Was für eine Erleuchtung hat diesen Mann erfasst?
({6})
Auch Frau Merkel hat eine wundersame Wandlung
durchgemacht. Sie will jetzt eine Lohnuntergrenze einführen, will es also nicht mehr den Tarifvertragsparteien
überlassen.
Sollten die Debatten der letzten Jahre vielleicht doch
gefruchtet haben? Ich fürchte, die Erklärung ist viel banaler: Schwarz-Gelb hat elf Landtagswahlen in Folge
verloren. Genau dieses Schicksal befürchten Sie jetzt für
die Bundestagswahl.
({7})
Jetzt wollen Sie von den Koalitionsfraktionen, dass Ihnen der Zeitgeist in die Segel bläst, aber dazu haben Sie
den falschen Einfallswinkel.
({8})
Diese Bundesregierung ist Getriebene, Getriebene des
Bundesverfassungsgerichts und Getriebene des Gerechtigkeitsempfindens der Bevölkerung. 84 Prozent wollen
einen gesetzlichen Mindestlohn.
({9})
Zwei Drittel der Bevölkerung sind der Auffassung, dass
die Gerechtigkeitslücke in Deutschland immer größer
wird.
Mir könnte es eigentlich egal sein, ob Sie aus reinem
Opportunismus oder aus tiefer Einsicht in die Sache Ihre
Blockade gegen den Mindestlohn aufgeben. Aber Sie
geben sie eben nicht wirklich auf; das ist das Problem.
Ihr Modell der Lohnuntergrenze ist eine politische
Scheinlösung. Bestehende Ungerechtigkeiten werden
weiter beibehalten. 1 Million Beschäftigte arbeiten unter
Tarifverträgen und verdienen weniger als 8,50 Euro die
Stunde. Für diese Menschen ändert sich durch Ihre
Scheinlösung rein gar nichts.
({10})
Das, meine Damen und Herren, ist von der Leistungsgerechtigkeit, von der Herr Westerwelle spricht, so weit
entfernt wie ein Hartz-IV-Empfänger von den Millionen
auf einem Schweizer Nummernkonto.
Nein, diese Armutslöhne dürfen nicht Orientierungspunkt für Mindestlöhne werden. Mein Vorwurf an Sie
lautet: Ihnen geht es nicht um die Menschen. Ihnen geht
es auch nicht um die Inhalte. Für Sie sind Inhalte nur Instrumente zur Machtsicherung.
({11})
Ich finde, im Tagesspiegel wurde das ziemlich treffend
beschrieben - ich zitiere -:
Der Vorwurf gegen Angela Merkel, dass sie die
Positionen, die sie nicht hat, jederzeit räumt,
ist … berechtigt. Jetzt verändert sie die Haltung der
CDU zum Mindestlohn …
Aber die Menschen sehen: Das ist ein Betrugsmanöver.
Damit werden Sie nicht durchkommen.
({12})
Die Menschen wollen einen Mindestlohn ohne Wenn
und Aber, und sie wollen ihn für alle Beschäftigten und
für alle Unternehmen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit, und das ist auch ein Gebot des fairen Wettbewerbs
unter den Unternehmen. Die Leute wollen Schluss machen mit Lohndumping.
Meine Damen und Herren, vor Ihnen liegt eine historische Chance: Im Bundesrat liegt derzeit eine Gesetzesinitiative von Rheinland-Pfalz zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Ich
bin stolz darauf, dass letzte Woche die neue rot-grüne
Landesregierung von Niedersachsen dieser Initiative
beigetreten ist.
({13})
Frau Kramp-Karrenbauer hat bereits angekündigt, dass
sie dieser Initiative für das Saarland zustimmen wird.
({14})
Frau Kramp-Karrenbauer ist eine kluge Frau, meine Damen und Herren. Seien Sie es ein einziges Mal auch!
Ich danke Ihnen.
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin Pothmer. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Max Straubinger. Bitte schön,
Kollege Max Straubinger.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir debattieren auf Antrag der Fraktion Die Linke wiederum die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns.
({0})
Das ist für uns eine gute Gelegenheit - wir sind auch
dankbar dafür -, die unterschiedlichen Konzepte darzustellen. Vorauszuschicken ist - der Kollege Karl
Schiewerling und der Kollege Kolb haben das bereits gesagt -: Unter unserer Regierung wurden in zwölf Branchen gesetzliche Lohnuntergrenzen eingeführt,
({1})
allerdings solche, die von den Tarifpartnern nach eigenen Maßstäben und unter Berücksichtigung regionaler
Gesichtspunkte gefunden worden sind, also nicht flächendeckend. Das ist auch notwendig;
({2})
denn Deutschland ist keine Einheit; deshalb muss der
Aspekt der Regionalität auch bei der Lohnfindung zum
Ausdruck kommen. Deshalb sind wir dafür, dass die
Lohnfindung unter Beachtung der Tarifautonomie weiterhin zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgenommen wird.
({3})
Auch wenn wir uns in unserer Fraktion auf ein bestimmtes Modell, das dem Rechnung trägt, geeinigt
haben, möchte ich noch eines ergänzen: Es kann entscheidend sein bzw. wäre besser, Tarifverträge, zumindest die unteren Lohngrenzen eines Tarifvertrages, für
allgemeinverbindlich zu erklären. Wir sollten deshalb
darüber nachdenken, die Allgemeinverbindlicherklärung
zu erweitern bzw. zu verbessern. Wir könnten dadurch
einen Beitrag dazu leisten, dass die Lohnuntergrenzen,
die die Tarifpartner selbstständig im Rahmen ihrer Verhandlungen festlegen, die Politik dann für alle Arbeitgeber in der entsprechenden Branche für allgemeinverbindlich erklärt. So könnten wir für einen Wettbewerb
um die Qualität der Betriebe sorgen statt für einen Wettbewerb um den geringsten Lohn. Das ist auch ein Anspruch von CDU und CSU.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bedeutsam ist
auch, dass gleich nach der Beendigung der Wahl in
Frankreich Vertreter der SPD unter Führung des Chef27950
diplomaten der SPD, Herrn Steinbrück, nach Frankreich
geeilt sind. Damals hatte er noch nicht die Leier drauf,
dass Clowns gewählt worden sind, wie er es jetzt in Bezug auf Italien gesagt hat, wodurch möglicherweise
mehr Verstimmung hervorgerufen wird, als dass ein Beitrag zur Lösung von Problemen geleistet wird. Aber gerade von SPD-Seite aus wird doch Frankreich immer dafür gerühmt, dass es einen tollen, hohen gesetzlichen
Mindestlohn habe. Man muss sich aber auch dessen
Auswirkungen anschauen.
Während wir in Deutschland eine Jugendarbeitslosigkeit von 6 Prozent zu verzeichnen haben, worauf wir
stolz sein können, ist in Frankreich eine Jugendarbeitslosigkeit von 27 Prozent zu verzeichnen. Diese Quote
wäre noch höher - davon bin ich auch überzeugt -, wenn
dort noch höhere Mindestlöhne umgesetzt worden wären.
({5})
Aber es gibt ja den schönen Bericht der Gallois-Kommission. Darin wird dargelegt, dass in Frankreich jeder
neu geschaffene Arbeitsplatz auf Mindestlohnniveau mit
70 000 Euro - wohlgemerkt: mit 70 000 Euro je Arbeitsplatz! - subventioniert wird. Da frage ich mich schon, ob
dies richtig sein kann. Deshalb ist auch die französische
Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig. Mit Subventionen allein kann man keine Volkswirtschaft führen. Das
zeigt sich sehr deutlich.
({6})
Deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor staatlicher Lohnfestsetzung nur warnen. Staatliche Lohnfestsetzung
({7})
bringt in keiner Weise Positives für eine Volkswirtschaft.
Deshalb lehnen wir eine staatliche Lohnfestsetzung ab,
Herr Kollege Strengmann-Kuhn.
In dieser Frage ist auch Folgendes bedeutsam - darüber haben wir uns jüngst mit Juristen unterhalten -:
Wenn wir hier eine staatlich verordnete Lohnuntergrenze
haben, dann werden Sie feststellen, dass sich die Sittenwidrigkeit von Löhnen in Deutschland signifikant verändern wird. Derzeit wird Sittenwidrigkeit im Durchschnitt
dann festgestellt, wenn Löhne von unter 60 Prozent gezahlt werden.
({8})
Wenn ein Architekt, der durchschnittlich einen Verdienst
von 4 000 Euro im Monat hat, zu einem Gehalt in Höhe
von 2 050 Euro beschäftigt wird, dann wäre das nach
dem jetzigen Gesetz sittenwidrig. Wenn Sie aber einen
gesetzlichen Mindestlohn einführen, dann ist das nicht
mehr sittenwidrig. Das ist letztendlich ein Programm zur
Lohndrückerei
({9})
insbesondere in Facharbeiterkreisen. Das möchte ich Ihnen noch ins Stammbuch schreiben.
({10})
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der von uns
eingeschlagene Weg, Lohnuntergrenzen von den Tarifparteien festlegen zu lassen
({11})
und diese dann für allgemeinverbindlich zu erklären, im
Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im
Sinne einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft der bessere Weg ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Vielen Dank, Kollege Straubinger. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Gabriele Lösekrug-Möller. Bitte schön, Frau
Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Straubinger, Ihre Rede bestand zu 100 Prozent
aus Ideologie.
({0})
Ich finde, dafür ist das Thema nun wirklich ein bisschen
zu schade.
({1})
Ich habe hier das erste Blatt eines wunderbaren Papiers
mitgebracht. Dabei handelt es sich um - einschlägig Bewanderte erkennen es an der Farbe - um eine Drucksache
aus dem Bundesrat, und zwar die Drucksache 136/13.
Dies ist ein Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, BadenWürttemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und, liebe Kollegin
Pothmer, auch Niedersachsen.
({2})
Dieser Gesetzesantrag ist ganz eindeutig, weil in ihm für
ein klares Problem eine eindeutige Lösung vorgeschlagen wird.
({3})
Herr Straubinger, ich frage mich: Was müssen eigentlich die Gewerkschaften über diese Mehrheitsfraktionen
und über diese Regierung denken, wenn sie von Ihnen
als Kronzeuge gegen einen gesetzlichen Mindestlohn
missbraucht werden? Ich will Ihnen sagen: Das ist eine
ganz dreiste Nummer.
({4})
Ich kenne keine Einzelgewerkschaft, die Ihre Haltung
teilt. Selbst der DGB betreibt seit langem - aus guten
Gründen - eine große Initiative für einen gesetzlichen
Mindestlohn. Und dann stellen Sie sich hierher und sagen: „Es lebe die Sozialpartnerschaft!“,
({5})
und: „Die Gewerkschaften machen das richtig“.
({6})
Die Gewerkschaften machen es insofern richtig, weil sie
einen gesetzlichen Mindestlohn fordern, damit sie dann
mit voller Kraft, Herr Kolb, ihrer Tarifvertragshoheit
nachkommen können. Genau darum geht es. Was Sie
uns hier an Logik bieten, das taugt überhaupt nichts.
({7})
Wie wir gerade gehört haben, sind in der Bundesrepublik Deutschland 29 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Tatsache ist: 6,1 Millionen
Beschäftigte - die Zahl wurde genannt - warten auf einen gesetzlichen Mindestlohn; sie würden von einem
Mindestlohn von 8,50 Euro definitiv profitieren. Diese
Menschen lassen Sie im Regen stehen.
({8})
Übrigens würden die unter 25-Jährigen von diesem Mindestlohn überproportional profitieren: Jeder Zweite von
ihnen würde von einem Mindestlohn von 8,50 Euro profitieren.
({9})
Ich kann nur sagen: Liebe junge Leute, wartet nicht
mehr auf diese Regierung! Sie wird euch im Regen stehen lassen; denn es ist eindeutig, dass sie das, was richtig wäre, nicht will.
({10})
Ich weiß, dass Sie - das werden in Folge auch der
Kollege Vogel und andere tun - immer darauf rekurrieren, in wie vielen Branchen Sie die Einführung eines
Mindestlohns erreicht haben.
({11})
Da sage ich: Das ist gut; aber das ist weniger als die
halbe Miete, und dieser Prozess zieht sich schon über
eine lange Zeit hin.
Bei den Lösungsvorschlägen, die jetzt von Ihrer Seite
diskutiert werden, ergibt sich auch folgendes Problem:
Ist man in der falschen Branche und wohnt und arbeitet
man in der falschen Region, hat man doppelt Pech gehabt; dann steht man da, und gar nichts hilft. Ich frage
mich: Interessieren Sie diese Menschen nicht? - Ich bin
gespannt auf Ihre Antwort.
Im Zusammenhang mit der Debatte, die wir heute
Morgen über die Fragen geführt haben, wie es sich eigentlich mit Wohnen in Deutschland verhält, wer sich
das noch leisten kann, wer ordentliche Wohnungen bekommt und was diese Regierung eigentlich dafür getan
hat - gar nichts hat sie übrigens getan -, ist mir aufgefallen, dass die Koalition jetzt folgende drei Stücke auf den
Spielplan gesetzt hat:
Sie versprechen Verbesserungen beim Wohngeld und
auch beim sozialen Wohnungsbau. Das sind allerdings
nichts als Ankündigungen.
({12})
Auf den Spielplan kommt nach meinem Eindruck
auch die halbierte doppelte Staatsbürgerschaft. Das ist
der Akt, den die FDP auf die Bühne bringen wird; die
Proben dazu haben schon begonnen.
({13})
Für Ihre Ansagen in puncto Lohnuntergrenze, Herr
Kolb, können sich jene, die schon lange darauf warten,
für ordentliche Arbeit endlich einen ordentlichen Stundenlohn zu bekommen, nichts kaufen.
Das ist dreimal schlechtes Theater von dieser Regierung und diesen Fraktionen. Ich finde, das ist eine Zumutung.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner für
die Fraktion der FDP unser Kollege Johannes Vogel.
Bitte schön, Kollege Johannes Vogel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Schiewerling hat eben auf die Ausgangslage der
Debatte hingewiesen. Die Ausgangslage ist doch, dass
sich der deutsche Arbeitsmarkt in eine Richtung entwi27952
Johannes Vogel ({0})
ckelt, über die wir alle froh sein sollten: rekordniedrige
Arbeitslosigkeit, Rekordstand bei der Beschäftigung,
({1})
niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Auch
die Qualität der Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, geht in die richtige Richtung. Der
Niedriglohnsektor ist zuletzt geschrumpft, und die Einkommensungleichheit nimmt in Deutschland seit 2006
nicht mehr zu.
Das ist die Ausgangslage. Deshalb ist es doch richtig,
zu überlegen: Wie erhalten wir diese Ausgangslage und
verbessern die Lage noch, ohne Perspektiven zu zerstören? Ich denke, darüber sollte doch Einigkeit bestehen.
({2})
Deshalb sage ich ganz ehrlich: Ihre Forderung, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, einen
einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen,
({3})
überzeugt mich nicht;
({4})
wir konnten ja heute wieder erleben, wohin das führt. Sie
alle schlagen ja auch vor, dass die Politik dann die
Untergrenze dieses einheitlichen Mindestlohns definieren soll.
({5})
Wohin das führt, hat der Kollege Ernst hier im Deutschen Bundestag in der Einleitung dieser Aktuellen
Stunde doch wieder deutlich gemacht. Lieber Kollege
Ernst, das ist ja Ihr gutes Recht; aber Sie mögen mir verzeihen, dass ich ganz ehrlich bekenne: Lohnfindung
durch den Deutschen Bundestag, angetrieben durch
Klaus Ernst hier im Plenum, das will ich nicht. Das zerstört die Perspektiven der Menschen.
({6})
Ich fand interessant, was die Kollegin LösekrugMöller gesagt hat. Sie hat behauptet, dass gerade junge
Leute von einem gesetzlichen Mindestlohn profitieren
würden, und sie hat gesagt, wir sollten das Ganze ohne
Ideologie betrachten.
({7})
Ich finde, das ist eine gute Überlegung. Deshalb sollten
wir doch ernst nehmen, was uns die OECD gerade wieder einmal aufgeschrieben hat. Die OECD - nicht diese
Regierung, nicht die Koalition - sagt: Die Länder, die einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn haben,
stehen gerade hinsichtlich der Jugendarbeitslosigkeit erheblich schlechter da. Das sehen Sie an dieser Grafik.
({8})
Diese Grafik ist nicht von uns, sondern von der OECD.
Sie sehen hier, dass die Schere zwischen den Ländern,
die einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn
haben, und den Ländern, die ihn nicht haben, auseinandergeht, und zwar zulasten der Perspektiven der jungen
Menschen. Hier sollten wir doch auf der Seite der Perspektiven für die jungen Menschen sein.
({9})
Liebe Frau Kollegin Pothmer, das gilt übrigens nicht
nur für uns, sondern zum Beispiel auch für unsere Nachbarn in Österreich oder im Norden, in Skandinavien.
({10})
Sie haben auch keinen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn, sondern gehen über die Tarifpartner
branchendifferenziert vor.
({11})
Das ist genau der Weg auch dieser Koalition; denn
wir wollen natürlich faire Löhne. Wir wollen auch, dass
das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit vorherrscht. Wir
wollen alle Dumpinglöhne verhindern. Deshalb ist es
auch richtig, Lohnuntergrenzen einzuziehen. Diese
Lohnuntergrenzen müssen aber Branche für Branche geschaffen werden - im Einklang mit der Tarifautonomie.
Dann verbinden wir nämlich Einstiegschancen für die
Menschen, soziale Ausgewogenheit und ordentliche,
faire Bezahlung für alle. Diesen Weg sollten wir weitergehen.
({12})
Diese Koalition hat das auch schon getan. Ich wurde
ja eben von der Kollegin Lösekrug-Möller dazu aufgefordert, noch einmal zu sagen, was diese Koalition im
Bereich Mindestlöhne eigentlich getan hat.
({13})
Ich kann sagen: Für über 2 Millionen Menschen hat
diese Koalition neue, branchenbezogene Mindestlöhne
im Einklang mit der Tarifautonomie ermöglicht. Das
führt dazu, dass mittlerweile 4 Millionen Menschen in
Deutschland in Branchen arbeiten, in denen es diese
Mindestlöhne gibt - aber eben branchendifferenziert und
im Einklang mit der Tarifautonomie.
Johannes Vogel ({14})
Ich glaube, es ist richtig, diesen Weg weiterzugehen.
Deshalb ist es auch richtig, wie das der Kollege Kolb
schon gesagt hat, dass wir jetzt in der Koalition über
weiteren politischen Anpassungsbedarf sprechen, um
auf diesem Weg voranzukommen. Das ist der bessere
Weg, als sich hier in Wahlkämpfen mit politischen Mindestlohnforderungen zu überbieten,
({15})
wie Sie das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition.
({16})
Nur ein Punkt zum Abschluss, Frau Kollegin
Pothmer, weil Sie uns als Koalition in dieser Debatte
durchaus angegangen sind, was auch Ihr gutes Recht als
Opposition ist.
Sie kommen aus Niedersachsen, ich komme aus
Nordrhein-Westfalen. Ich will nur sagen: Wenn Sie, wie
uns alle, sehr niedrige Löhne, Dumpinglöhne, umtreiben, die wir alle nicht wollen, dann wäre es schön, wenn
Sie vielleicht im ersten Schritt vor der eigenen Haustür
kehren würden. Wir alle haben Berichte darüber gesehen, dass zum Beispiel Ihre Fraktionsvize Frau Bärbel
Höhn in Nordrhein-Westfalen für den Wahlkampf Mitarbeiter für Stundenlöhne von 4 Euro sucht.
({17})
Ich glaube, das ist nicht überzeugend. Vielleicht klären Sie das erst einmal intern bei den Grünen, bevor wir
hier die nächste Debatte führen, in der Sie uns von der
Koalition Vorwürfe machen.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank, Kollege Vogel. - Nächste Rednerin in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke
unsere Kollegin Frau Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Krellmann.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Straubinger, ich möchte
gerne die bayerische Verfassung zitieren, und zwar ganz
konkret den Art. 169 Abs. 1. Darin ist geregelt:
Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende
Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie
ermöglichen.
Irgendwie stehen Sie nicht auf dem Boden Ihrer Verfassung.
({0})
Mindestlöhne einzuführen, ist anscheinend hier in
Deutschland superschwierig. Zum einen können wir für
Rettungsschirme ganz schnell Milliarden Euro verteilen,
zum anderen sind Mindestlöhne plötzlich eine Jahrhundertaufgabe.
Es gibt aber Beispiele aus anderen Bereichen dafür
- da bitte ich die Damen und Herren von der FDP, gut
zuzuhören, Herr Kolb -, dass derartige Regelungen
funktionieren, und zwar sehr gut funktionieren:
({1})
Beispiel Bundesurlaubsgesetz. Das Bundesurlaubsgesetz - das ist im Grunde genommen nichts anderes als
ein Mindesturlaubsgesetz, und es gilt für alle, also kein
Unterschied zwischen Ost und West - legt 20 Arbeitstage fest. Das sind vier Wochen. Der Tarifvertrag sagt in
der Regel 30 Arbeitstage. Das sind im Grunde sechs
Wochen.
Ein anderes Beispiel ist die Arbeitszeit. In unseren
Gesetzen stehen 48 Stunden. Der Tarifvertrag sagt 35 bis
40 Stunden.
({2})
- Ja, hören Sie zu! Gesetze, Herr Kolb, legen schon
heute Mindest- und Höchststandards fest, und das einvernehmlich und erfolgreich.
({3})
Nach Tarifvertrag gibt es zusätzliches Urlaubsgeld,
zusätzliches Weihnachtsgeld, nach Gesetz nicht.
({4})
Das sind Beispiele dafür, meine Damen und Herren,
dass die Kombination von Tarifvertrag und Gesetz wunderbar funktioniert.
({5})
Nur die FDP begreift das anscheinend nicht.
Gesetze sind die Basis und so etwas wie die Untergrenze, Tarifverträge sind eigentlich on top.
Wenn Sie etwas machen wollen, dann tun Sie den Gewerkschaften, die Sie ja im Grunde für ihre Arbeit immer loben, doch den Gefallen und führen Mindestlöhne
ein, damit es Gewerkschaften in Zukunft bei dem, was
sie vorhaben, einfacher haben und nicht schwerer.
({6})
Ziel der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze war es,
einen Niedriglohnbereich zu etablieren. Minijobs,
Leiharbeit, Befristungen, Hartz IV und der Zwang, jede
Arbeit annehmen zu müssen, haben dazu geführt, dass
mittlerweile über 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten
im Niedriglohnsektor arbeiten. Ich persönlich hätte niemals geglaubt, dass es in Deutschland jemals so weit
kommen kann.
Frauen sind davon besonders betroffen. Mein Kollege
Klaus Ernst hat Beispiele genannt. Ich will das noch um
ein Beispiel aus dem Pflegebereich ergänzen. Es gibt
zwar einen Pflege-Mindestlohn - na toll! -, aber er gilt
nicht für die hauswirtschaftliche Versorgung.
In der Leiharbeit haben wir einen Mindestlohn - na
toll! - von 8,19 Euro. Die Leiharbeiter müssen aber
trotzdem aufstocken. Das kann doch wohl nicht wahr
sein! Das ist doch nicht richtig so.
({7})
Ich möchte gern ein Beispiel aus einer Broschüre von
Verdi und NGG vorlesen, das - wie ich finde - sehr
typisch ist, und zwar von einer Verkäuferin, die in solch
einer Situation arbeitet.
Als Verkäuferin in einer Fleischerei muss ich meistens 10 Stunden täglich arbeiten ({8}). Ich lebe zur Miete mit meinem
Kind. Ohne das monatliche Kindergeld und den
Unterhalt für mein Kind wäre ein Überleben nicht
möglich - ganz zu schweigen davon, sich auch mal
was leisten zu können. Urlaub war seit 20 Jahren
nicht drin. Ich bin für einen Mindestlohn, um das
Leben wieder lebenswert zu machen.
Das ist ein konkretes Beispiel.
({9})
Die Frauen, die im Grunde genommen auf Mindestlohn angewiesen sind, müssen sich fragen: Wer blockiert
eigentlich die Einführung eines Mindestlohns hier in
Deutschland? Warum geht das in Deutschland nicht? Weil die FDP das nicht will? Weil die Arbeitgeberverbände das nicht wollen? Weil die CDU lieber einen
Flickenteppich über unser Land ausbreitet? - 20 von
27 europäischen Ländern haben bereits einen Mindestlohn. Die sind doch nicht alle blöd; die wissen doch, was
sie da gemacht haben!
({10})
Mindestlöhne wurden in den meisten EU-Ländern in
den letzten Jahren erhöht - nicht in den südeuropäischen
Ländern; da wurden sie durch den Druck des EUSpardiktats reduziert. Deutschland ist mittlerweile das
reichste Land in der EU. Diskussionen über „zu hoch“
und „zu teuer“ sind richtig lächerlich. Durch ständiges
Wiederholen wird das auch nicht richtig.
({11})
Wir, die Linke - mein Kollege Klaus Ernst hat das
schon gesagt -, wollen einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 10 Euro, und zwar in Ost und
West. Es darf keinen Unterschied zwischen Ost und
West geben.
({12})
Ein solcher Unterschied wäre nach über 20 Jahren deutscher Einheit nicht richtig und ein völlig falsches Signal
an die Menschen, die hier in Deutschland leben.
Also: Packen wir es an! Setzen wir es durch! Ich
würde mich unheimlich freuen.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Nächste
Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Frau Maria Michalk. Bitte schön, Frau Kollegin
Michalk.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Noch einmal die
Frage: Warum arbeiten die Menschen eigentlich? Warum
arbeite ich? Diese Frage stellen sich zunehmend mehr
Menschen in unserem Land. Ich will das einmal von dieser Seite beleuchten. Ist es das Vergnügen oder vielleicht
das Bedürfnis, mit anderen Menschen etwas gemeinsam
zu machen, sich einzubringen, sich zu verwirklichen?
Oder ist es eine ganz normale Notwendigkeit unseres
Menschseins, seine Brötchen selbst zu verdienen, um ein
gutes persönliches Leben oder den Lebensunterhalt der
Familie zu sichern? Oder arbeiten wir, weil es ganz einfach zum Leben dazugehört, Freude bereitet und damit
wir nicht aus Langeweile auf dumme Gedanken kommen?
({0})
All diese Fragen beschäftigen immer wieder Menschen.
Wir sind uns doch einig: Die Mischung aus allen drei
Gesichtspunkten ist es, die unsere Arbeitswelt zusammenhält.
Nehmen wir als Beispiel einen Bäcker. Er backt seine
Brötchen nicht, weil er Mitleid mit Menschen hat, die
Hunger haben. Vielmehr macht er es, weil er seine
schmackhafte Ware verkaufen will und muss, weil er
Geld verdienen muss, weil er seine Familie ernähren
muss und weil er seinen Mitarbeitern Lohn zahlen muss.
Wenn er am Ende des Tages Brötchen übrig hat, dann
schmeißt er diese nicht weg, sondern gibt sie vielleicht
einer Tafel, um sozial Bedürftigen zu helfen. Bis vor
kurzem war es noch so: Obwohl er nichts eingenommen
hatte, musste er auf die Abgabe an die Tafel Umsatzsteuer zahlen. Das haben wir geändert. Das ist gut so;
das ist nun geklärt. Ich erwähne das nur, um deutlich zu
machen, dass es viele Details in dieser Frage gibt, die
nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, die aber den
Unternehmen vor Ort zum Teil das Leben ziemlich
schwer machen.
Fakt ist: Der Bäcker muss seine Ware zu einem Preis
verkaufen, dass unter dem Strich für seine Angestellten
die Lohnzahlung möglich ist und er auch noch investieren kann.
Der Lohn kommt vom Kunden. Das ist ein ewig geltender und richtiger Satz. Unser Kaufverhalten ist ein
Element in dieser Diskussion; denn wir beeinflussen mit
unserem Kaufverhalten, ob Waren abgegeben und
ordentliche Löhne gezahlt werden können. Ein auskömmliches Einkommen durch seiner eigenen Hände
oder seines Kopfes Arbeit zu haben, ist keine Gier - darin sind wir uns sicherlich einig -, sondern eine Selbstverständlichkeit. Dass aber immer noch viele Menschen
in unserem Land zu Bedingungen arbeiten, die ihnen
kein gedeihliches Auskommen ermöglichen und sie zu
Aufstockern werden lassen, ist wahr und vielfach nicht
die Schuld der Betreffenden, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass manche Zeitgenossen in unserem Land
sich auf Kosten der Mitarbeiterschaft überdimensionierte Gewinne öffentlich fördern lassen.
({1})
Auch darin sind wir uns einig: Löhne sind selbstverständlich ein Wettbewerbselement. Aber gute Mitarbeiter, wirkliche Facharbeiter, Experten in ihrem Fach
sind zunehmend gefragte Leute und haben auch ihren
Preis. Das haben viele Unternehmer in unserem Land erkannt und ihr Verhalten geändert. Manche Zeitgenossen
haben das noch nicht getan. Diese werden einen Preis
dafür zahlen. Dieses Element dürfen wir in der Debatte
nicht vernachlässigen.
Ich will kurz das Beispiel der Pflegedienste aufgreifen. Es ist klar: Wenn zum Beispiel ambulante Pflegedienste keine Mitarbeiter mehr bekommen, weil Mitbewerber höhere Löhne zahlen und die Menschen ganz
selbstverständlich die Arbeit dort aufnehmen, wo sie
besser verdienen können, dann liegt die Antwort doch
auf der Hand.
Wenn gerade in diesem Bereich bei gleichen Pflegeversicherungsbeiträgen immer noch unterschiedliche Tarife in Ost und West ausgehandelt werden, dann ärgert
mich das. Das ist ein Appell an die Tarifpartner, an dieser Stelle zu reagieren, aber nichts vorzuschreiben.
Weil der Dialog zwischen den Tarifpartnern so wichtig ist, ist der von uns gewählte Weg, von dem Sie heute
schon mehrmals gehört haben und den Sie hoffentlich
auch verinnerlicht haben, genau der richtige Weg, weil
im Dialog der Partner die regionalen Besonderheiten,
aber auch die speziellen Notwendigkeiten des Fachgebiets berücksichtigt werden können, weil eben der Bäcker
kein Schneider ist.
Aufgrund der Tatsache, dass 1,4 Millionen Menschen
in Deutschland weniger als 5 Euro in der Stunde verdienen - das ist heute schon gesagt worden -, nehmen wir
das Thema ernst und haben einen Weg vorgeschlagen,
den wir weitergehen werden. Ich persönlich bin mir
ziemlich sicher, dass das zwar ein kompliziertes Verfahren, aber der richtige Weg ist, den wir weitergehen werden.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Michalk. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte gibt Anlass, über das zu reden, was
das Wesen unserer sozialen Marktwirtschaft einmal war
und sein soll. Was macht eigentlich unsere Wirtschaftsordnung aus, die wir dem Grunde nach befürworten und
die über Jahrzehnte hinweg in Deutschland eine große
Akzeptanz hatte? Was macht eigentlich die heutige Zeit
mit der Unterstützung dieser marktwirtschaftlichen und
sozialen Ordnung?
Ich glaube, dass das Element der Leistungsgerechtigkeit zur Marktwirtschaft dazugehört.
({0})
Ich frage Sie, ob es leistungsgerecht ist, wenn 6,1 Millionen Erwerbstätige in diesem Land weniger als 8,50 Euro
pro Stunde verdienen.
({1})
Ich frage Sie, welche Auswirkungen das hat auf die Motivation der Kinder von Eltern, die hart arbeiten und sich
am Ende des Tages ergänzendes Arbeitslosengeld II vom
Staat abholen müssen.
({2})
Was ist das für ein Vorbild für junge Menschen, denen
wir sagen, dass sie sich im Leben anstrengen müssen,
damit aus ihnen etwas wird und sie einen gerechten Anteil am Wohlstand haben? Welche Auswirkungen hat das
auf Ihre Argumentation, die nicht falsch ist, dass wir einen Abstand zwischen sozialen Transfers und Einkommen brauchen?
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass
man das Existenzminimum bei der Berechnung des Regelsatzes nicht künstlich herunterrechnen darf, wie Sie
es immer wieder versucht haben. Wenn Sie tatsächlich
einen Lohnabstand haben wollen, geht das nur über einen
Mindestlohn - ich füge hinzu: über einen gesetzlichen
Mindestlohn.
Neben Leistungsgerechtigkeit geht es in dieser Debatte auch um die Frage des sozialen Ausgleichs und der
Teilhabe am Wohlstand in diesem Land. Auch das ist immer ein Kennzeichen der sozialen Marktwirtschaft ge27956
Hubertus Heil ({3})
wesen. An dieser Stelle sollten Sie sich an das Credo von
Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ - und nicht für wenige - erinnern. Was das angeht, ist in diesem Land etwas aus den Fugen geraten.
({4})
Schauen wir uns einmal den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an,
({5})
der aufzeigt, wie Einkommen und Vermögen in diesem
Land auseinandergehen. Im Übrigen versuchen Sie auf
Intervention von Herrn Rösler, diesen Tatbestand aus
dem Bericht zu tilgen und damit der Öffentlichkeit die
Wahrheit vorzuenthalten.
({6})
Deshalb müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir
in diesem Land eine gerechtere Teilhabe und Leistungsgerechtigkeit organisieren. Dabei geht es um Fragen der
Steuer- und Abgabenpolitik und darum, wie man diese
gerecht, vernünftig und wirtschaftlich gestaltet. Die primäre Verteilung des Wohlstands erfolgt in diesem Land
aber über die Lohnentwicklung.
Über Jahre und Jahrzehnte hinweg haben die Sozialpartner im Rahmen der Tarifautonomie das Richtige gemacht. Wir müssen aber feststellen, dass das in vielen
Bereichen heute nicht mehr funktioniert, weil Tarifbindungen nachgelassen haben, weil in einzelnen Branchen
immer weniger Menschen in Gewerkschaften organisiert
sind und weil zum Teil Arbeitgeber aus Arbeitgeberverbänden ausgetreten sind. Das ist der Grund, warum wir
in Deutschland eine Debatte über die neue Ordnung am
Arbeitsmarkt brauchen.
Die Tarifautonomie ist richtig und wichtig. Die Tarifautonomie und die Sozialpartnerschaft müssen gestärkt
werden, aber nicht in Sonntagsreden, sondern in einem
vernünftigen Ordnungsrahmen, den wir für Lohnfindungsprozesse in diesem Land brauchen.
({7})
Deshalb sage ich: Es ist gut und richtig, dass tarifvertragliche Lösungen Vorrang haben. Herr Kolb, wenn Sie
sich rühmen, dass Sie in einigen Branchen Mindestlöhne
eingeführt hätten,
({8})
dann kann ich Ihnen sagen, dass ich mich noch gut daran
erinnern kann, wie wir Ihnen in zähen Verhandlungen jeden einzelnen abringen mussten. So viel zu dem Thema,
wie Sie politisch manipulierend mit Tarifverträgen in
diesem Land umgegangen sind.
({9})
Meine Damen und Herren, neben Leistungsgerechtigkeit, sozialem Ausgleich und Motivation in einer sozialen
Marktwirtschaft geht es nicht zuletzt um fairen Wettbewerb in der Wirtschaft. Ich kenne sehr viele anständige
Unternehmer in diesem Land, die ihren Betrieb ordentlich führen - oft sind es familiengeführte mittelständische Unternehmen -, die sich bemühen, die persönliche
Risiken eingehen und die motivierte Kolleginnen und
Kollegen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben
wollen, die die Menschen anständig behandeln und bezahlen.
({10})
Aber es sind gerade diese Unternehmer, die anständigen
Unternehmer - das ist die große Mehrheit -, die von
Dumpingkonkurrenz bedroht werden,
({11})
die von Dumpingkonkurrenz unterboten werden. Im Interesse eines fairen Wettbewerbs, auch im Interesse fairer
Unternehmensführung, im Interesse anständiger Kaufleute in diesem Land brauchen wir einen Ordnungsrahmen, der fairen Wettbewerb ermöglicht und nicht eine
Abwärtsspirale auslöst, wie wir sie leider haben.
({12})
Deshalb sage ich Ihnen: Aus Gründen der sozialen
Gerechtigkeit, aus Gründen der finanzpolitischen Verantwortung - weil unser Staat im Übrigen durch die
Entwicklung, die Sie zugelassen haben, immer mehr an
ergänzendem Arbeitslosengeld II für aufstockende Leistung zahlen muss ({13})
und aus Gründen eines fairen Wettbewerbs in der Marktwirtschaft brauchen wir auch den gesetzlichen Mindestlohn in diesem Land.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Die ordnungspolitische Vorstellung, die hinter Ihrer Vorstellung
steckt, Herr Kolb, mit Staatsgeld Lohnbewirtschaftung
über aufstockende Leistungen zu gewähren, hat mit
marktwirtschaftlichem Verständnis nichts zu tun und mit
liberaler Politik schon gar nichts.
({14})
Das lassen Sie sich einmal sagen.
({15})
Das ist eine Form von Subventionsmodell, die Sie eingeführt haben. Die anständigen Menschen in diesem Land,
die ordentlich Steuern zahlen, müssen nach Ihrem Modell Niedriglöhne durch Steuerzahlungen aufstocken.
Das ist finanzpolitisch unsinnig, das ist ordnungspolitisch fragwürdig, und das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun.
({16})
Hubertus Heil ({17})
Ich sage meinen Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU - die Hoffnung auf die FDP habe ich an dieser
Stelle nicht -: Ich habe mit Interesse verfolgt, was Sie auf
Ihrem Parteitag diskutiert haben. Ich habe die Hoffnung
gehabt, dass man zu Ihnen mit Schiller - Wallenstein, erster Aufzug, erster Akt - sagen kann: Spät kommt Ihr
- doch Ihr kommt! - Ich habe mir dann allerdings anschauen müssen, was Sie tatsächlich entwickelt haben.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Mit Mindestlohn hat das, was
Sie vorschlagen, wirklich nichts zu tun.
({18})
Das ist weiße Salbe, die Sie hier vor der Wahl verteilen.
({19})
Offensichtlich müssen Sie erst Wahlen verlieren, um dazuzulernen.
Morgen wird der Bundesrat über eine Initiative von
Rheinland-Pfalz mit Unterstützung der großen Mehrheit
der Länder Ihnen die Gelegenheit geben, sich zu bekennen: Wollen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn, ja oder
nein? Alles andere ist Spiegelfechterei. Ich bitte Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Sie haben sich auch in anderen
Positionen an sozialdemokratische Politik angepasst.
Auch in diesem Punkt besteht dazu Gelegenheit.
Herzlichen Dank.
({20})
Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege
Dr. Matthias Zimmer. Bitte schön, Kollege Dr. Zimmer.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, vorab muss man erst einmal sagen, lieber Kollege Heil: Wenn Sie aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, den es ja so noch nicht gibt,
zitieren,
({0})
dann sollten Sie auch sagen, dass sich die Einkommensschere unter unserer Regierung wieder geschlossen hat.
Das ist einer der wesentlichen Erfolge unserer Regierung.
({1})
Ich habe die Rede von Klaus Ernst mit großer Faszination verfolgt.
({2})
Verfolgt habe ich auch die Freiluftübungen, die er hier
macht, nachdem der Sauerstoff hier vorne etwas knapp
geworden ist.
Lieber Herr Ernst, eines kann ich Ihnen so nicht
durchgehen lassen: Sie wollen einen Mindest-Mindestlohn nicht unter 10 Euro. Heute lese ich im Wirtschaftsdienst iwd, dass Ihr Kollege Bartsch gesagt hat: Wir
wären auch mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro zufrieden.
({3})
- Hat er wohl gesagt. So ist das im iwd zitiert.
({4})
Lieber Herr Ernst, das ist doch genau der Punkt, mit
dem wir immer argumentieren: dass bei Ihnen Mindestlohnhöhen von politischen Opportunitäten geprägt sind
und nicht von dem, was in der Wirtschaft los ist.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Branchenmindestlöhnen durchgesetzt. Insgesamt haben wir im Moment
zwölf Branchenmindestlöhne in der Bundesrepublik
Deutschland.
({6})
Ich habe einmal nachgeschaut, wie viele von diesen
Branchenmindestlöhnen unter Rot-Grün beschlossen
worden sind:
({7})
null; kein einziger.
Der Kollege Kolb hat darauf hingewiesen: Es ist RotGrün gewesen, das den Niedriglohnsektor eingeführt
hat. Es ist Rot-Grün gewesen, das die Arbeitsmarktreformen in den Jahren seiner Regierung nach vorne gebracht
hat. Dann kann ich mich nur fragen: Haben Sie die möglichen Verwerfungen am Arbeitsmarkt, haben Sie die
Folgen, die das haben kann, nicht gesehen, oder wollten
Sie sie nicht sehen?
({8})
Ich habe manchmal den Eindruck: Wahrscheinlich haben
Sie es nicht gesehen. Wahrscheinlich können Sie es
nicht. Wahrscheinlich sind Sie auch gar nicht regierungsfähig. Das zeigt sich im Grunde genommen auch bei der
Bemerkung, die Peer Steinbrück gestern gemacht hat.
Ich war schon versucht, Peer Steinbrück ein Duplo zu
schenken, damit er wenigstens die hohe Kunst der „Duplomatie“ lernt. Mit der Diplomatie ist es bei ihm wahrscheinlich zu spät.
({9})
Aber wir mussten auch eine ganze Reihe von Trümmern beseitigen, um Ihre Arbeitsmarktreformen erheblich zu verbessern. Sie haben sich in der Zwischenzeit,
lieber Herr Heil, was diese Arbeitsmarktreformen angeht, aus dem Staub gemacht. Manchmal hat man den
Eindruck, die besonderen Erkenntnischancen hat RotGrün nur, wenn es in der Opposition ist. Wir wollen dafür sorgen, dass Ihnen diese besonderen Erkenntnischancen noch lange gewahrt bleiben.
({10})
Meine Damen und Herren, es könnte aber auch sein,
dass Sie die nichtintendierten Folgen Ihres Tuns zwar
gesehen haben, aber beschlossen haben, sie einfach zu
ignorieren, dass Sie zynisch gesagt haben: Nach mir die
Sintflut; es ist mir egal, was passiert.
({11})
Sich dann aber, lieber Herr Heil, als Ritter der sozialen
Gerechtigkeit aufzuführen, halte ich für unredlich.
Ich habe mir einmal angeschaut, wer die Innenausstattung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat: Kündigungsschutzgesetz, Bundesurlaubsgesetz, Arbeitszeitgesetz, dynamische
Rente, Alterssicherung für Landwirte, Pflegeversicherung, Bundessozialhilfegesetz, Kindergeldgesetz, Erziehungsgeld- und Erziehungsurlaubsgesetz, Vermögensbildungsgesetz,
({12})
all das hat die Union gemacht. Mit Ihnen geht Hartz IV
nach Hause. Von Ihnen lassen wir uns über soziale Gerechtigkeit nicht belehren.
({13})
Ein Letztes, meine Damen und Herren: Ich habe diese
Bereiche deshalb aufgeführt, weil das alles Gesetzesvorhaben sind, die die Union nicht allein gemacht hat, sondern die wir in Zusammenarbeit mit den Liberalen gemacht haben.
({14})
Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn sich die Liberalen auf
ihrem Parteitag entschieden haben, dann werden wir mit
ihnen auch einen robusten und vernünftigen Mindestlohn in Deutschland einführen, der dann zum Markstein
der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland werden kann.
({15})
Dazu bedarf es Ihrer fürsorglichen Belagerung nicht.
Wir werden von alleine tätig und ein vernünftiges Gesetz
auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege
Dr. Matthias Zimmer war der letzte Redner in unserer
Aktuellen Stunde, die damit beendet ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten
militärischen Ausbildungsmission EUTM
Mali auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali sowie der Beschlüsse
2013/34/GASP des Rates der Europäischen
Union ({1}) vom 17. Januar 2013 und vom
18. Februar 2013 in Verbindung mit den
Resolutionen 2071 ({2}) und 2085 ({3})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 17/12367, 17/12520 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Marina Schuster
Kerstin Müller ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/12521 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler
b) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({6}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen
Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung ({7}) auf Grundlage der Resolution 2085 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksachen 17/12368, 17/12522 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Marina Schuster
Vizepräsident Eduard Oswald
Kerstin Müller ({9})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/12523 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler
Zu dem erstgenannten Antrag der Bundesregierung
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlungen zu beiden Anträgen
der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass unmittelbar im Anschluss an diese beiden namentlichen Abstimmungen eine weitere namentliche Abstimmung sowie
eine Wahl mit Stimmkarte und Wahlausweis auf der Tagesordnung stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die jetzige Aussprache
eine Stunde vorgesehen. - Sie sind alle damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.
Ich eröffne nun die Aussprache. Zunächst hat für die
Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Rainer Stinner das
Wort. Bitte schön, Kollege Dr. Rainer Stinner.
({11})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bei jeder Entscheidung über die Entsendung von deutschen Soldaten ins Ausland müssen wir im Deutschen
Bundestag eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Wir
müssen uns fragen: Sind unsere Interessen und Werte berührt? Welcher Beitrag wird von uns gefordert? Welchen
Beitrag können wir leisten? Können wir das, was wir
tun, vor den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen
Bundestag, vor allen Dingen aber auch vor den vielen
Bürgern in unserem Land verantworten? Deshalb ist es
jedes Mal eine sehr genaue Abwägung, was wir tun.
In Bezug auf Mali ist für uns, für meine Fraktion, völlig klar, dass die dortige Sicherheitssituation, die Möglichkeit einer regionalen Destabilisierung, auch unsere
deutschen Sicherheitsinteressen nachhaltig berührt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass das in
der Bevölkerung nicht überall genauso gesehen wird.
Umso wichtiger ist es, dass wir festhalten: Die Tatsache,
dass die Gefahr besteht, dass sich in einer weiteren Region dieser Welt terroristische Kräfte oder jedenfalls
Kräfte, die etwas Böses wollen, breitmachen, muss uns
natürlich berühren. Nur eine Grenze und das Meer liegen
zwischen Mali und der Europäischen Union. Daher müssen wir uns mit diesem Thema beschäftigen.
Die Franzosen haben in einer akuten Notsituation gehandelt. Denn es wäre natürlich nicht mehr möglich gewesen, unserer Maßgabe zu folgen, dass eine politische
Lösung das Wichtigste ist, wenn die Rebellen drei Tage
länger in Richtung Bamako vorgedrungen wären. Dann
hätten wir die ganze Diskussion gar nicht mehr führen
können. Die Franzosen haben das getan; ich höre aus
dem Deutschen Bundestag, vielleicht mit Ausnahme der
Linken, keine Kritik daran. Die Frage ist jetzt: Welchen
Beitrag können wir dazu leisten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war schon sehr
erstaunt, dass die ersten Überlegungen, die wir angestellt
haben, nämlich zwei Transall-Maschinen zur Unterstützung des Transportes nach Mali zu schicken, von einigen
Kollegen im Deutschen Bundestag ein bisschen ins Lächerliche gezogen wurden, so als ob das nur Peanuts
seien. Nein, nein, niemand kann und wird von uns erwarten, dass wir, wenn eine militärische Aktion anläuft,
jemand anderem mit Hurra und ohne Überlegung hinterherlaufen. Das werden wir nicht tun, auch in Zukunft
nicht, und das tun wir natürlich auch in diesem Fall
nicht.
({0})
Das, was wir tun können, ist an drei Kriterien zu messen: Erstens. Was ist notwendig? Zweitens. Was sind unsere Fähigkeiten und Kapazitäten? Drittens. Wie lässt
sich unser Einsatz in das Gesamtbelastungsprofil des
Bündnisses einbetten, in dem wir uns verantwortlich
fühlen?
Insofern finde ich, dass der Beitrag, den wir heute beschließen, genau richtig dosiert ist. Wir haben lange
überlegt: Sollen wir ein Mandat stricken oder es in zwei
Mandate aufteilen? Wir haben uns völlig zu Recht für
zwei Mandate entschieden. Denn es geht bei den beiden
Missionen um völlig unterschiedliche Arten der Unterstützung: erstens um eine regional abgegrenzte Trainingsmission im Süden von Mali, zweitens um eine Unterstützungsmission logistischer Art, die wir im Norden
Malis durchführen.
Meine Damen und Herren, ich habe von unseren französischen Partnern diesbezüglich keine Kritik gehört.
Wir hatten diese Woche im Auswärtigen Ausschuss Kollegen aus dem französischen auswärtigen Ausschuss zu
Gast. Wir haben ausführlich über das Thema Mali diskutiert. Aber ich habe nicht gehört, dass gesagt wurde: Warum habt ihr nicht zwei Bataillone, drei Brigaden und
vier Divisionen geschickt? Nein, nein, davon war nicht
die Rede. Vielmehr erkennen die Franzosen unseren Beitrag durchaus an.
Natürlich wissen wir - das müssen wir im Bundestag
dem deutschen Volk deutlich sagen -: Jeder Auslandseinsatz ist mit Gefahren verbunden. Es ist unsere Aufgabe, in verantwortlicher Weise dafür zu sorgen, die
möglichen Gefahren für unsere Soldaten bei einem solchen Einsatz zu minimieren, und das tun wir. Sicherlich
werden die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir
sprechen, auf Details des Einsatzes eingehen.
Es geht hier darum, dass Deutschland, das große,
wichtige europäische Land, in Zusammenarbeit mit
wichtigen europäischen Partnern, hier unter französi27960
scher Leitung, einen Beitrag zur Stabilität in einer für
uns wichtigen Region leistet. Dieser Beitrag ist verantwortbar, dieser Beitrag wird anerkannt, und er wird offensichtlich dazu führen, dass die Stabilität der betroffenen Region jedenfalls nicht weiter gefährdet wird,
sondern wir im Gegenteil davon ausgehen können, dass
auch in dieser wichtigen Region stabile Verhältnisse einkehren. Dazu leisten wir Deutsche mit der heutigen Zustimmung des Deutschen Bundestages einen wichtigen
Beitrag.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Kollege Dr. Stinner. - Nächster Redner
für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser Kollege
Dr. Gernot Erler. Bitte schön, Kollege Dr. Gernot Erler.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
Mali wird weiter gekämpft. Die bedrohliche Lage im
Norden des Landes hält weiter an, trotz der französischen Intervention seit dem 11. Januar 2013. Auch wenn
der Norden nicht mehr unter der Kontrolle von radikalen
und terroristischen Gruppierungen wie AQMI, Ansar alDin und MUJAO steht, muss das Ziel sein, Mali und die
Staaten der westafrikanischen Gemeinschaft ECOWAS
sowie Frankreich bei der Wiederherstellung der Integrität Malis zu unterstützen. Das auch mit bewaffneten
Kräften zu tun, steht aufgrund der Sicherheitsratsresolutionen 2071 und 2085 aus dem vergangenen Jahr auf einer einwandfreien völkerrechtlichen Grundlage.
Hier abseitszustehen und andere die Arbeit machen zu
lassen oder gar zu riskieren, dass Mali ein Failed State, ein
gescheiterter Staat, wird oder von dort aus die ganze Sahel-Region destabilisiert wird, wäre politisch unverantwortlich.
Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion heute
dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, im Rahmen der Mission EUTM Mali bei der Ausbildung malischer Pioniere zu helfen sowie die ECOWAS-Mission
AFISMA mit Lufttransport und der Betankung französischer Flugzeuge im Rahmen dieser Mission AFISMA zu
unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kennen die Unberechenbarkeit und Eigengesetzlichkeit militärischer
Interventionen. Nichts spricht dafür, dass dies in Mali
plötzlich anders sein könnte. So erfreulich der schnelle
Erfolg der vorrückenden französischen und malischen
Truppen war, so wenig überraschend ist es, dass die zunächst vertriebenen Terrorgruppen aus ihren Rückzugsgebieten heraus wieder angreifen und dabei zu den gefürchteten Mitteln der asymmetrischen Kriegsführung
greifen.
Die Mali zu Hilfe geeilten Truppen aus dem Tschad
haben dabei schon ernsthafte Verluste erlitten. Vor diesem Hintergrund ist jede Prognose über Dauer und Erfolgsperspektiven der jetzigen Intervention geradezu
fahrlässig. Viel wichtiger sind aus unserer Sicht zwei
Fragen, die wir beantworten müssen:
Erstens. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass
ein früher für seine Entwicklung häufig gelobtes Land
wie Mali plötzlich bewaffnete Hilfe von außen braucht,
um weiter zu existieren? Was ist da schiefgelaufen?
Wenn wir über eine internationale militärische Intervention sprechen, ist immer etwas schiefgelaufen. Warum
gab es keine politische Reaktion, weder von der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS oder der African Union noch von Frankreich, das bis 1960 Kolonialmacht in Mali war, oder anderen europäischen Staaten,
als die drei entscheidenden Spannungs- und Konfliktlinien in Mali immer sichtbarer wurden? Ich meine den
Konflikt zwischen den alten Eliten und den Putschisten,
die am 21. März letzten Jahres zugeschlagen haben. Ich
meine den Konflikt innerhalb der malischen Armee zwischen Infanterie und Präsidialgarde, und ich meine den
Nord-Süd-Konflikt, in dessen Verlauf sich die unzufriedenen Tuareg unter unseren Augen mit islamistischen
Gruppen eingelassen und mit ihnen illegalen Handel mit
Zigaretten, Drogen und sogar Menschen betrieben haben. Übrigens bestehen alle drei Konflikte auch jetzt,
nach der aktuellen Intervention, weiter.
Oder wieso wussten so viele, wie sich jetzt herausstellt, von den Geschäften des gestürzten Präsidenten
Amadou Toumani Touré mit den Tuareg, nach dem
Motto: „Ich lasse euch bei euren Drogengeschäften in
Ruhe, wenn ihr dafür eure separatistischen AzawadTräume zügelt und mich geschäftlich beteiligt“? War es
nicht klar, dass hier über kurz oder lang andere Gruppen
kommen und den Wunsch haben würden, sich auch an
diesen Geschäften zu beteiligen? Heute wissen wir, dass
die so entstandenen Verteilungskämpfe wesentliche Auslöser der aktuellen Krise in Mali waren.
Wieso ist eigentlich niemandem im Westen etwas
Besseres als Antwort auf den Mali-Putsch eingefallen,
als sofort die Entwicklungshilfe einzustellen - für ein
Land, das zu den ärmsten auf der ganzen Welt gehört,
das unter einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent leidet
und das im UNDP-Index für menschliche Entwicklung
von 187 Staaten auf Platz 175 steht?
Das alles muss aufgearbeitet werden; denn sonst werden wir auch die zweite Frage nicht glaubwürdig beantworten können. Die lautet: Was ist eigentlich unter der
Priorität einer politischen Lösung für Mali zu verstehen?
Das ist ein Postulat, das ständig wiederholt wird, auch
hier in den Bundestagsdebatten; Kollege Stinner hat es
eben auch wieder genannt. Gut, das malische Parlament
hat Ende Januar eine Feuille de Route, eine Roadmap,
verabschiedet, in der lauter vernünftige Sachen stehen:
Wiederherstellung der Integrität des Landes, Rückeroberung des Nordens, transparente und glaubwürdige Wahlen.
Es ist mutig, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen schon jetzt auf den 7. und 21. Juli dieses Jahres
festzulegen. Aber ich sehe nicht, wie bis dahin die drei
von mir genannten intermalischen Konfliktfronten entschärft werden sollten. Ich frage mich, wie die Sicherheit
in einem Land mit offenen Grenzen, mitten in der SahelDr. h. c. Gernot Erler
zone liegend, mit ihren vielen sozialen Herausforderungen und kaum noch überschaubaren radikal-islamistischen Gruppierungen - die übrigens Geld und Unterstützung aus Saudi-Arabien und von radikalen Kräften in
Ägypten erhalten -, ohne einen intensiven Prozess auf
regionaler Ebene stabilisiert werden kann.
Wir sehen, welche Probleme ECOWAS hat, die zugesagten 5 100 bewaffneten Kräfte vor Ort zu bringen, geschweige denn, sie selber zu bezahlen. Aber African
Ownership kann doch nicht darauf reduziert werden, in
katastrophalen Situationen Truppen stellen zu dürfen.
Wir müssen Wege finden, die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS tatsächlich zu einer nachhaltigen und präventiven Friedens- und Stabilitätspolitik zu
befähigen. Wir müssen vielleicht darüber nachdenken,
Herr Außenminister, die etwas eingeschlafene Aktivität
der Gemeinschaft der Sahel-Sahara-Staaten, abgekürzt
CEN-SAD, in dieselbe Richtung wiederzubeleben und
zu mobilisieren. Wir brauchen in einem solchen regionalen Stabilisierungsprozess eine proaktive Beteiligung
von terrorerfahrenen Staaten wie Algerien und Mauretanien.
Wir sind bereit, mit Ihnen von der Bundesregierung
über solche tatsächlichen politischen Lösungen zu reden
und zusammenzuarbeiten. Aber das wird nur dann
glaubwürdig sein, wenn die Versuche einer politischen
Lösung Priorität haben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Dr. Gernot Erler. - Nächster
Redner für die Fraktion der CDU/CSU: unser Kollege
Dr. Andreas Schockenhoff. Bitte schön, Kollege
Dr. Schockenhoff.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Entwicklungen in Mali in den vergangenen Wochen haben uns vor Augen geführt: Militärische Gewalt vermag
Politik und Diplomatie nicht zu ersetzen, aber militärisches Eingreifen kann die notwendige Voraussetzung
sein, damit ein politischer Prozess wieder möglich wird.
Militärisches Eingreifen muss Ultima Ratio sein. Das
war in Mali der Fall. Ohne den französischen Kampfeinsatz wäre das Land an die militanten Islamisten verloren
gegangen. Nur weil diese aufgehalten wurden und die
Städte im Norden des Landes befreit werden konnten,
kann ein politischer Prozess in Mali wieder in Gang
kommen.
Die Bevölkerung im Norden des Landes hat die Befreiung vom radikal-islamistischen Joch einhellig begrüßt.
Ein erfolgreicher Vormarsch der militanten Extremisten
in den Süden hätte ihrem Terror nicht nur in ganz Mali,
sondern in der Region insgesamt Vorschub geleistet. Vor
allem hätte er einen Rückzugsraum für militante Islamisten geschaffen, die unsere freiheitlich-demokratische Lebensweise bekämpfen.
Frankreich und die am Kampf beteiligten Soldaten
aus dem Tschad zahlen mit ihren Gefallenen einen hohen
Preis. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen. Wir danken den Soldaten aus Frankreich und aus dem Tschad,
die im Interesse der Sicherheit Europas und Nordafrikas
in diesen gefährlichen Kampfeinsatz gegangen sind und
ihr Leben riskieren.
({0})
Unser Einsatz in Afghanistan hat uns gezeigt: Man
darf nicht warten, bis ein fundamental-islamistisches Regime ein ganzes Land im Griff hat. Deshalb war das
französische Vorgehen so wichtig. Aber wir wissen mittlerweile auch: Langfristige Stabilität kann es nur in Eigenverantwortung der Menschen vor Ort geben.
Verteidigungsminister de Maizière weist immer wieder zu Recht darauf hin, dass Militär Politik und Entwicklung nicht ersetzen kann. Deshalb gilt es nun, nach
der militärischen Nothilfe zwei Vorhaben anzugehen:
erstens, in die Ausbildung der nationalen Sicherheitskräfte zu investieren, um diese zu befähigen, selbstständig und effektiv Bedrohungen der Stabilität ihres Landes
entgegenzutreten, und zweitens, den politischen Prozess
zügig voranzubringen.
Beides soll in Mali geschehen. Deutschland leistet
hierzu seinen Beitrag: mit der logistischen Unterstützung
der vom UN-Sicherheitsrat mit Resolution 2085 mandatierten internationalen Mission in Mali unter afrikanischer Führung - sie soll so lange die Sicherheit stabilisieren, bis malische Kräfte dazu eigenständig in der
Lage sind - und - damit dies möglich wird - mit der Beteiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der malischen Armee. Die CDU/CSU unterstützt beide Mandate.
Wir stehen am Anfang eines längeren Weges, der zu
einer nachhaltigen Stabilität Malis führen soll. Diesen
Weg können wir unterstützen - und das werden wir nach
Kräften tun - mit der Verabschiedung dieser beiden
Mandate, aber auch durch Entwicklungszusammenarbeit
und Hilfe beim politischen Prozess. Aber dieser liegt
letztlich in malischer und afrikanischer Verantwortung.
Niemand kann den Erfolg eines solchen Ansatzes garantieren. Aber schauen wir nach Somalia. Dort können
die Menschen nach langen Jahren der Instabilität und zuletzt der Terrorherrschaft islamistischer Extremisten
endlich wieder Hoffnung schöpfen, nachdem man einen
ganz ähnlichen Ansatz wie jetzt in Mali verfolgt hat.
Die internationale Stabilisierungstruppe der Afrikanischen Union hat dort militante Islamisten so weit schwächen und vertreiben können, dass ein politischer Prozess
wieder möglich wurde. Im vergangenen Jahr konnte sich
ein Parlament konstituieren und ein Präsident gewählt
werden. Zeitgleich hat die EU-Trainingsmission in Somalia bereits 3 000 Soldaten erfolgreich ausgebildet,
und Deutschland, Herr Außenminister, hat seit dieser
Woche nach über 20 Jahren wieder den Botschafterposten in Somalia besetzt.
({1})
Ohne Frage gibt es auch hier noch große Gefahren
und Probleme. Befriedung, Stabilisierung und Wiederaufbau einer funktionierenden Staatlichkeit in Somalia
werden noch auf lange Zeit der Unterstützung durch die
internationale Gemeinschaft bedürfen. Aber ein richtiger
Anfang ist gemacht, und darum geht es jetzt auch in
Mali.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das europäische
Engagement im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik in Mali fügt sich in ein Muster
ein: Die neuen EU-Missionen seit 2010 sind mehrheitlich klein, unterstützend und - das ist entscheidend - zivil. Größere militärische Operationen hingegen wie in
Libyen und jetzt in Mali erfolgen nicht im Rahmen der
GSVP. Vielmehr übernimmt ein EU-Mitgliedstaat die
Initiative und Führung und schmiedet eine Koalition der
Willigen.
({2})
Manche mögen diese Vorgehensweise gut finden. Ich
aber teile die Sorge, die der Kollege Arnold letzte Woche
in der Debatte hinsichtlich der Entwicklung der GSVP
geäußert hat. Libyen und Mali haben uns gezeigt, dass
wir in Europa mutige und aktive Schritte in Richtung einer Vertiefung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit und der militärischen Integration brauchen.
Zurzeit erleben wir aber das genaue Gegenteil: In der
Anhörung des Auswärtigen Ausschusses zur Entwicklung der GSVP in der vergangenen Woche wurde von
Experten dargelegt, dass die einzelnen Staaten in der EU
weiterhin nationalen Interessen folgen und ohne Koordination mit den europäischen Partnern ihre Verteidigungshaushalte verkleinern.
Verluste der nationalen Fähigkeit finden bereits heute
statt, und sie werden zu Verlusten der europäischen
Fähigkeit führen, wenn diese Prozesse weiterhin unkoordiniert verlaufen. Und dann werden auch die Möglichkeiten für ein effizientes Pooling und Sharing für die
dringend notwendige Stärkung der europäischen Verteidigung deutlich eingeschränkt werden. Angesichts der
wachsenden sicherheitspolitischen Aufgaben und Herausforderungen in unserem europäischen Umfeld können wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, das nicht
leisten.
Nationale Militäroperationen, die in der Hoffnung begonnen werden, dass sich andere anschließen, die aber
schließlich auch der Verteidigung der Sicherheit aller,
also auch unserer Sicherheit dienen, können und dürfen
nicht die Zukunft der europäischen Verteidigung sein.
Mali hat erneut verdeutlicht: Wir brauchen in der EU
militärische Kriseninterventionsverbände,
({3})
die rasch über weite Distanzen verlegt, geführt und
durchhaltefähig im Einsatzgebiet gehalten werden können. Dazu gehört auch unsere deutsche Bereitschaft, solche europäischen Sicherheitskräfte in den Einsatz zu
schicken.
Im Januar erst haben wir das ISAF-Mandat verlängert, im Dezember haben wir die Stationierung von
Patriot-Abwehrsystemen an der türkisch-syrischen
Grenze beschlossen. Die heutigen Entscheidungen sind
die Mandate Nummer 9 und 10, über die der Bundestag
aktuell zu befinden hat. Das zeigt: Die sicherheitspolitischen Herausforderungen und Fragen unserer Zeit sind
mannigfaltig und komplex, und sie gehen weit über die
konkreten Fragen der jeweiligen Einzelmandate hinaus.
Angesichts von rund 20 Mandatsdebatten jährlich
halten wir in der CDU/CSU die Einführung einer regelmäßigen Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage
Deutschlands für notwendig, um unsere Sicherheitsinteressen einer breiten deutschen Öffentlichkeit zu vermitteln sowie Fragen und Sorgen der Bevölkerung besser
aufgreifen zu können.
({4})
Damit wir uns richtig verstehen: Eine solche Generaldebatte kann kein Ersatz für unsere Debatten über die jeweiligen Mandate sein; aber es ist überfällig, über die
20 Einzelberatungen hinaus, die jeweils auf ein enges
Mandat begrenzt sind, eine regelmäßige strategische, sicherheitspolitische Grundsatzdebatte im Deutschen Bundestag zu etablieren.
({5})
Zum Schluss möchte ich unterstreichen, was der Verteidigungsminister bei der Einbringung der Mandate
letzte Woche gesagt hat: Diese Einsätze sind ernst. Sie
können gefährlich werden. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind einem Risiko für Leib und Leben ausgesetzt. - Wir danken ihnen, dass sie dies auf sich nehmen,
um unsere Sicherheit zu verteidigen. Wir wünschen ihnen dabei alles Gute und Gottes Segen.
Herzlichen Dank.
({6})
Herzlichen Dank, Kollege Dr. Andreas Schockenhoff. Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere
Kollegin Frau Christine Buchholz. Bitte schön, Frau
Kollegin Buchholz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den
Ball von Herrn Schockenhoff aufzunehmen: Ich glaube,
wir brauchen keine Generaldebatte über die Kriegspolitik der Bundesregierung, sondern wir brauchen eine Generaldebatte darüber, wie wir die wirtschaftlichen und
sozialen Probleme und die extremen Probleme, die der
Waffenhandel in dieser Welt verursacht, lösen können.
So eine Debatte würden wir gerne führen, aber nicht eine
Debatte über die Durchsetzung der wirtschaftlichen,
strategischen und militärischen Interessen Deutschlands
mithilfe der Bundeswehr.
({0})
Die Bundesregierung will die Bundeswehr als Unterstützungstruppe in den Krieg nach Mali entsenden, zum
einen, um Soldaten in das Kriegsgebiet zu transportieren, zum anderen, um malische Soldaten für den Kampf
auszubilden. Genau genommen beteiligt sie sich schon
jetzt am Krieg in Mali; denn seit Wochen transportieren
deutsche Transall-Maschinen westafrikanische Kampftruppen nach Mali. Das hat die Linke von Anfang an kritisiert. Sie wird auch die vorliegenden Mandate heute
ablehnen.
({1})
Angeblich geht es um Terrorbekämpfung. Doch die
islamistischen Rebellen haben sich in die Berge und in
benachbarte Länder zurückgezogen. Das Problem hat
sich also nur verlagert.
({2})
Ich sage Ihnen: Terrorismus lässt sich nie mit Krieg bekämpfen.
({3})
Schauen Sie nach Afghanistan: Mit genau demselben
Argument haben Sie die Bundeswehr vor mehr als elf
Jahren an den Hindukusch geschickt. Und was ist das
Ergebnis? Sie haben den Nährboden für neuen Terrorismus geschaffen. Al-Qaida hat sich in immer neuen Ländern ausgebreitet, verbreitet nun auch Terror im Irak, im
Jemen und in der Sahara. Das zeigt doch: Ihr Krieg erzeugt immer neuen Terror. Diese Logik muss ein Ende
haben.
({4})
Die französische Intervention wird von Ihnen als Notoperation bezeichnet. Nein, dieser Militäreinsatz ist kein
chirurgischer Eingriff, wie Sie mit dieser Wortwahl unterstellen. Das ist ein Krieg. Nur weil der französische
Kriegsminister Le Drian sich weigert, die Zahlen der
Opfer des Feldzuges zu nennen, heißt das noch lange
nicht, dass es keine Opfer gibt.
Der Krieg in Mali ist auch ein Propagandakrieg. Warum erwähnt eigentlich keine der anderen Fraktionen
hier im Bundestag, dass die französische Armee die
Pressefreiheit unterbindet? Offenbar will sie keine Bilder über die wahre Situation. „Reporter ohne Grenzen“
beklagten Ende Januar einen - ich zitiere - „medialen
Blackout“, der den Korrespondenten vom französischen
und malischen Militär aufgezwungen werde.
Auch der Bundesregierung liegen, wie sie uns schriftlich mitgeteilt hat, keine eigenen Erkenntnisse über die
Opfer infolge der französischen Luftangriffe vor. Es
kann doch nicht angehen, dass der Bundestag nun beschließt, ohne jegliche Kenntnis über ihre Auswirkungen
genau diese Luftangriffe zu unterstützen. Das ist unverantwortlich.
({5})
Sprechen wir auch darüber, dass dieser Militäreinsatz
die ethnischen Spannungen in Mali massiv verschärft hat.
Fast alle Tuareg und Araber sind aus Angst vor der malischen Armee aus Timbuktu geflohen. Ihre Geschäfte
wurden geplündert, ohne dass das Militär eingriff. Stattdessen melden Menschenrechtsorganisationen ein Massengrab von Hingerichteten.
Der Krieg verhindert zivile Versöhnungsinitiativen.
Ein für Januar geplanter Marsch von Bürgerrechtsorganisationen, der auf den Dialog zwischen den Ethnien abzielte, wurde von der französischen Armee verboten. Es
kann nicht angehen, dass Sie die Bundeswehr zum Komplizen dieser Eskalationslogik machen.
({6})
Meine Damen und Herren, bei dem Militäreinsatz
Frankreichs geht es nicht um die Beseitigung menschlichen Elends. Es geht um die Absicherung strategischer
und wirtschaftlicher Interessen. Wenn Sie mir das nicht
glauben, dann lesen Sie das Unternehmerblatt Wirtschaftswoche. Ich zitiere die Ausgabe vom 14. Januar
2013:
Tief im Herzen Afrikas will Frankreichs Staatspräsident Hollande die Versorgung seines Landes mit
dem Atomkraftbrennstoff Uran sichern.
Den Krieg „mit Sicherheitsinteressen zu begründen“, sei
- ich zitiere weiter - „zynisch“. Das ist die unverblümte
Sprache der Wirtschaftswoche. Dem brauche ich nichts
hinzuzufügen.
({7})
Klar ist: Die Bundesregierung möchte bei den Kriegen der Zukunft offenbar nicht nachstehen. Die Worte
von Herrn Stinner und Herrn Schockenhoff sind nur in
diese Richtung zu verstehen. Das ist ein Grund für ihr
Engagement in Mali.
({8})
Ich sage: Es kann nicht angehen, dass wir einen Krieg
unterstützen, der für die Rohstoffinteressen der europäischen Staaten und die Interessen von Bergbauunternehmen oder Atomkonzernen geführt wird. Da wird die
Linke nicht mitmachen.
({9})
Aber nun zur malischen Armee selbst. Angeblich soll
die Mission Abhilfe schaffen und die malische Armee
ausgebildet werden. Aber seien Sie doch ehrlich: Genau
die gleichen Ausbildungsprogramme seitens der Bundeswehr und der US-Armee liefen doch vor dem Putsch
im März 2012 über Jahre - offenbar ohne Erfolg. Nun
haben sich malische Truppen in Bamako auch noch gegenseitig beschossen.
Bisher haben Sie die Frage nicht beantwortet, welchen Teil der malischen Armee Sie nun eigentlich ausbilden wollen. Zur Wahrheit gehört: In dem Moment, in
dem Sie sich endlich dieser Frage gestellt haben, droht
die Bundeswehr als Konfliktpartei im innermalischen
Machtkampf angesehen zu werden. Das wissen Sie ganz
genau. Auch deshalb kommen in der EU-Mission auf
200 Ausbilder auch 250 Kampfsoldaten zur Absicherung.
Mali hat viele Probleme; aber keines davon ist militärisch zu lösen. Das zeigen die aktuellsten Zahlen: Allein
die französische Militäroperation hat bisher 100 Millionen Euro verschlungen. Doch von den 285 Millionen
Euro, die für die notleidenden Menschen in Mali laut
UN-Angaben benötigt werden, sind gerade einmal
13 Millionen Euro angekommen. Es zeigt sich wieder
einmal: Sobald Militär im Spiel ist, wird das Zivile verdrängt. Dem werden wir uns widersetzen.
({10})
Herr de Maizière, Herr Westerwelle, Sie können uns
nicht sagen, was für Folgen der Krieg hat, den Sie unterstützen. Sie können uns nicht sagen, welche neuen Bedrohungen entstehen und welches Risiko für die entsandten Soldaten Sie in Kauf nehmen. Sie können nicht
einmal sagen, wie lange der Einsatz wirklich dauern
wird.
Wir werden nicht einem weiteren Mandat für ein militärisches Abenteuer zustimmen. Terrorismus lässt sich
nicht mit Krieg bekämpfen. Krieg ist selber Terror.
({11})
Nach unserer Kollegin Christine Buchholz spricht
nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Kerstin Müller. - Bitte schön, Frau Kollegin
Kerstin Müller.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der
Linken, liebe Kollegin Buchholz, meinen wir, dass
Frankreich in Mali im Grundsatz richtig gehandelt hat.
Sie müssen sich einmal anschauen, wie die Lage vorher
war - dazu von Ihnen kein Wort -: Islamistische Rebellengruppen hatten im Norden Malis eine Schreckensherrschaft aufgebaut. Sie waren auf dem Vormarsch in
den Süden. Im Januar drohte ein Staatszerfall in ganz
Mali.
Insofern sagen wir - wir haben nicht von einem chirurgischen Eingriff gesprochen; das ist totaler Quatsch,
das haben Sie falsch verstanden -, dass die französische
Intervention eine Notoperation ist, um Schlimmeres zu
verhindern. Sie findet im Übrigen mit Zustimmung der
malischen Bevölkerung statt. Dazu haben Sie natürlich
auch kein Wort gesagt. Ohne diese Notoperation bräuchten Sie mit Politik gar nicht erst anzufangen, weil Sie in
einem „Failed State Mali“ keine Ansatzpunkte für Politik hätten. Deshalb war es im Grundsatz richtig von den
Franzosen, dort einzugreifen, und es ist richtig, dass sie
dafür unsere Unterstützung haben.
({0})
Wahr ist auch, dass Präsident Hollande im Oktober in
Dakar eigentlich eine Wende der französischen AfrikaPolitik erklärt hat, also das Ende von fünf Jahrzehnten
„Françafrique“, und damit auch das Ende einer neokolonialen Politik in West- und Zentralafrika. Das heißt,
Frankreich will künftig multilateral handeln, eingebunden in die UNO und die EU und gemeinsam mit den
Afrikanern. Das ist und bleibt das Ziel der neuen französischen Regierung. Wir meinen, dass es richtig ist, diesen französischen Kurswechsel weg von einer französischen Hinterhofpolitik generell zu unterstützen.
({1})
Denn es ist in unserem außen- und sicherheitspolitischen
Interesse und auch im Interesse der EU, die AfrikaPolitik generell zu europäisieren. Auch darum geht es,
und auch deshalb wird meine Fraktion beiden Mandaten
zustimmen.
({2})
Wobei ich klar sagen will - wir haben ja auch im Ausschuss darüber diskutiert -: Europäisierung der AfrikaPolitik - da müssen wir ehrlich sein - heißt mehr Verantwortung für Europa, und es wird auch mehr Verantwortung für Deutschland heißen. Mit unserem Beitrag zur
AFISMA, die ja in eine UNO-Mission umgewandelt
werden soll, unterstützen wir sowohl die Afrikaner, die
afrikanische ECOWAS, als auch die Franzosen und die
UNO. Mit der Ausbildungsmission wollen wir helfen,
die malische Armee aufzubauen.
Das Mandat zieht eine klare Trennlinie zwischen dem
Kampfeinsatz einerseits und der Ausbildung der malischen Sicherheitskräfte andererseits. Allerdings muss
man auch sagen: Angesichts des maroden Zustandes der
malischen Armee ist es wichtig, dass das Ausbildungsmandat einen Schwerpunkt auf den Schutz der
Menschenrechte und auch auf die Umsetzung des humanitären Völkerrechts legt. Das bleibt natürlich schwierig,
weil die Lage fragil ist. Aber es muss auch klar sein:
Wenn wir nicht jetzt intervenieren, das heißt, die Armee
aufbauen und nachhaltige Stabilität schaffen, dann werden wir es in einigen Monaten mit einer noch schwierigeren Situation zu tun haben. Deshalb gibt es dazu,
glaube ich, keine Alternative.
({3})
Aber klar ist auch: Die Ausbildung allein reicht nicht.
Wir brauchen einen politischen Prozess. Die Feuille de
Route, die verabschiedet wurde, wurde bereits erwähnt.
Die berechtigten Interessen der Tuareg müssen berücksichtigt werden. Mali braucht einen gesamtgesellschaftlichen Versöhnungsprozess. Es ist geplant, noch im Juli
Kerstin Müller ({4})
in Mali Wahlen durchzuführen; das wird schwierig
genug. Mali braucht die Unterstützung der Bundesregierung, der Europäischen Union und der UNO, damit die
Wahlen stattfinden können.
Wir brauchen noch mehr. Das will ich zum Schluss
meiner Rede sagen. Ich glaube, wenn wir nicht morgen
in Niger und übermorgen in Burkina Faso oder anderswo
intervenieren wollen, brauchen wir jetzt im Sinne klassischer krisenpräventiver Politik eine Strategie für den
gesamten Sahel. Es geht am Ende sozusagen um eine
Regionalstrategie. Da muss ich die Bundesregierung kritisieren. Denn wir haben ein gutes Netzwerk ziviler Krisenprävention in Deutschland und auch auf EU-Ebene.
Dieses fristet aber leider ein Schattendasein.
Ich wünsche mir, dass hier einmal Analysen vorgelegt
werden, die zeigen, warum diese Länder des Sahel wackelig sind. Was schwächt sie? Was stärkt sie? Es geht
zum Beispiel um künstlich niedrige Weltmarktpreise, um
unkontrollierten Rohstoffboom usw. Wir müssen dies
klar analysieren und eine entsprechende Strategie vorlegen, auf deren Grundlage wir dann auch handeln. Das
wäre eine effektive, nachhaltige und krisenpräventive
Politik. Wir werden sie brauchen. Da haben Sie aus
unserer Sicht größeren Nachholbedarf. Man muss im
Bereich der zivilen Krisenprävention klotzen und nicht
kleckern, wenn man künftig einen Schwerpunkt darauf
setzen möchte und nicht auf Militärinterventionen.
Danke schön.
({5})
Vielen Dank, Kollegin Kerstin Müller. - Nächste
Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin
Frau Elke Hoff. Bitte schön, Frau Kollegin Elke Hoff.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich möchte an zwei Punkte anknüpfen,
die sowohl meine Vorrednerin, die Kollegin Müller, als
auch Herr Schockenhoff vorgetragen haben, und diese
Aspekte ein Stück weit aus der Sicht einer Sicherheitsund Verteidigungspolitikerin beleuchten.
Unsere Bundeswehr befindet sich erneut in einem
Einsatz, der multinational ist. Ich glaube, dass solche
Einsätze, die stabilisierend in einer Region wirken sollen
und müssen, in Zukunft immer multinational sein werden. Das heißt, der Druck auf die Kooperation sowohl
im Bereich der zivilen Aufbauarbeit als auch im Bereich
des Militärischen ist ganz entscheidend. Meine Damen
und Herren, wir müssen uns an dieser Stelle die Frage
stellen: Sind wir - bei all den guten Zielen, die wir haben - mit den vorhandenen Mitteln und den Mechanismen der Zusammenführung wirklich effektiv? Nach den
Erfahrungen, die wir auch im Vorfeld des Mali-Einsatzes
gemacht haben, bezweifle ich das. Ich möchte das begründen und eine Perspektive aufzeigen, wie wir bei der
Verteilung der internationalen Verantwortung vielleicht
etwas besser werden können.
Wir haben gemerkt - das Beispiel Somalia ist eben
mit Recht angeführt worden; aber man könnte darunter
durchaus auch unsere Versuche in Afghanistan subsummieren -, dass Stabilität in einer Region dann gewährleistet ist, wenn die souveränen Staaten selbst in der
Lage sind, sie sicherzustellen. Wir verfügen nicht ad infinitum über die erforderlichen Mittel und die Durchhaltefähigkeit. Außerdem haben wir auch an anderen
Stellen Probleme und müssen dort Krisenbewältigung
betreiben.
Auf der einen Seite gibt es die NATO-Fähigkeiten,
auf der anderen Seite die europäischen Fähigkeiten. Seit
Jahren gibt es zwei Institutionen, die bei der schnellen
Krisenprävention bzw. bei Interventionen bis jetzt so gut
wie noch nie eingesetzt worden sind: die NATO Response Forces und die sogenannten EU Battle Groups.
Wir alle wissen, dass die EU große Probleme hat, militärisch durchhaltefähig zu sein. Das heißt, ohne die Fähigkeiten unserer großen NATO-Bündnispartner können
wir auf diesem Feld nur sehr schwer reüssieren.
Allerdings, meine Damen und Herren, können wir
- davon bin ich sehr überzeugt - im Bereich der Polizeiausbildung aktiv sein. Die Polizei kann in den jeweiligen
Staaten souverän Stabilität herstellen, angefangen bei
der Grenzüberwachung über die innere Sicherheit bis
hin zur Herstellung der Sicherheit beispielsweise in
Kommunen, die ja häufig - ich sage es einmal so - die
Keimzellen des Widerstands sind. Wir sollten darüber
diskutieren, ob eine Arbeitsteilung zwischen Europäischer Union und NATO möglich wäre, die zum Beispiel
so aussieht: Die NATO Response Forces sind für die
schnelle militärische Intervention da, und statt EU Battle
Groups richtet man eine EU Training Group ein. Das
wäre eine Möglichkeit, die Fähigkeiten, die wir haben,
in eine verstetigte Struktur zu überführen, in eine Struktur, die wir nach meiner Auffassung auch politisch sehr
gut verkaufen könnten. Denn die Bürgerinnen und Bürger können sehr gut verstehen, auch aufgrund eigener
Erfahrungen, dass das etwas ist, was ein Staat braucht,
um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten.
({0})
Ich glaube, die EU ist an dieser Stelle gut. Was mich
persönlich im Vorfeld solcher Missionen allerdings immer wieder stört, ist, dass das Ganze in gewisser Weise
eine Basarmentalität hat: Was bekommt man von wem,
und wer ist bereit, was zu geben? Hier müssen wir vor
dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir bei der Polizeiausbildung gemacht haben, eine Struktur schaffen,
die zur Stabilisierung der zivilen Sicherheit geeignet ist.
Meine Damen und Herren, ich denke, das ist ein Ansatz,
den man in die Diskussion mit einbeziehen sollte. Ich
glaube, das ist ein seriöser Vorschlag, wie eine Aufgabenteilung zwischen den Fähigkeiten Europas und den
militärischen Fähigkeiten der NATO aussehen könnte.
Leider ist meine Redezeit vorbei. Ich bedanke mich
für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Elke Hoff. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser
Kollege Dr. Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege
Dr. Rolf Mützenich.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses
haben sich am Montag dieser Woche mit Kolleginnen
und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung getroffen. Ich fand unsere
Diskussionen nicht nur nützlich, sondern auch lehrreich.
So haben uns die Parlamentarier aus der französischen
Nationalversammlung zum Beispiel erzählt, dass sie einen ständigen Ausschuss haben, der sich mit Mali und
der Sahelzone befasst, und dass sie sehr stark auf die
Situation in Algerien schauen, um eine politische Begleitung dieses Konflikts durch das Parlament zu gewährleisten.
Wie schon gesagt, fand ich das nicht nur nützlich,
sondern hielt es auch für eine lehrreiche Stunde im Hinblick auf eine Demokratisierung von Sicherheitspolitik.
Einen Teil haben wir im Deutschen Bundestag erreicht,
und ich glaube, in der französischen Nationalversammlung wird darum gestritten.
Wir waren uns mit den Kolleginnen und Kollegen darüber einig, dass absolute Priorität der politische Weg
haben muss und nicht das kurzfristige Engagement, das
zurzeit die internationale Gemeinschaft versucht. In diesem Zusammenhang war es wichtig, zu sagen: Wir brauchen die Einbindung aller relevanten Gruppen. - In der
Tat war dies wichtig. Wir dürfen uns nämlich nicht
alleine auf die ethnische Gruppe der Tuareg beziehen,
sondern es gibt noch viele andere ethnische Gruppen,
zum Beispiel in Mali, die genauso und vielleicht, eben
weil sie nicht zur Gewalt greifen, noch eher das Recht an
politischer Partizipation und an sozialer und wirtschaftlicher Beteiligung in diesem Land haben. Das muss die
internationale Gemeinschaft, das müssen Frankreich,
Deutschland und viele andere europäische Partner erreichen.
Das Zweite ist genauso wichtig. Wir brauchen auch
- und darüber müssen wir mit der malischen Regierung
reden - ein Ausstiegsprogramm für Gewaltakteure, für
gewaltbereite Gruppen. Ich meine, auch das gehört zu einem politischen Versöhnungsprozess.
Wir können über die europäischen Erfahrungen aus
Bürgerkriegssituationen sprechen. Im ehemaligen Jugoslawien gab es den Vertrag von Dayton, der unter anderem auch das Prinzip von Abrüstung und Rüstungskontrolle in die Befriedung von Bürgerkriegen eingebracht
hat. Das gehört für Mali und die Sahelzone genauso mit
dazu wie andere Fragen auch.
Ich finde es immer sehr interessant, wenn wir gefragt
werden: Wie versucht ihr eigentlich, föderale Strukturen
aufzubauen? Diese Länder stehen vor denselben Herausforderungen wie wir, weil es dort ebenso regionale
Unterschiedlichkeiten gibt, wie sie damals in Europa
und auch in unserem Land geherrscht haben. Föderale
Strukturen können dazu beitragen, auch Befriedungsprozesse im Inneren zu erreichen. Der Austausch mit den
französischen Kolleginnen und Kollegen war schon deshalb wichtig, weil wir dabei auch unsere Erfahrungen
einbringen konnten.
Hier ist die Frage aufgeworfen worden: Sollen wir
auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft auf einen Wahltermin drängen? Darüber wird es keinen Konsens geben. Aber ich möchte davor warnen; denn ich
glaube, die Festlegung eines Wahltermins ist nicht die
Ultima Ratio für die Befriedung von Konflikten.
({0})
Vielmehr kann dies in einem Prozess möglicherweise
hilfreich sein. Ein Wahltermin wird auch nur dann eine
ehrliche Antwort im Hinblick auf die politische Lage des
Landes sein, wenn an diesem Prozess alle Gruppen
gleichberechtigt beteiligt werden.
({1})
Aus diesem Grunde sollte das von unserer Seite ebenso
bedacht werden.
Wir müssen uns genau auf die Strukturen, auf die
Situation, aber auch auf die regionalen Herausforderungen einstellen. Deswegen warne ich von dieser Stelle aus
auch vor einer Vereinfachung der Probleme. Es war
nicht hilfreich, dass man die Situation von Mali mit der
in Afghanistan vergleicht. Damit werden wir der Herausforderung nicht gerecht, und damit werden wir auch
der Verantwortung nicht gerecht, die wir haben.
Es gab zweifellos Versäumnisse vonseiten der internationalen Gemeinschaft. Wir haben diesem Land und
den dortigen Herausforderungen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Wir haben uns möglicherweise
auch selbst getäuscht, weil uns der eine oder andere etwas erzählt hat, was wir vielleicht gerne hören wollten.
Und wir haben in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU versagt. Auch das müssen wir in diesem Zusammenhang eingestehen. Aus all diesen Dingen
müssen wir lernen. Insbesondere ist es wichtig, nicht
selbstgerecht zu reagieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Linken, Sie haben schon in der ersten Beratung über die
beiden Mandate durchaus zu Recht Fragen gestellt. Ich
kann aber nicht umhin, Ihnen hier den Vorwurf zu machen: Es ist auch eine Menge Selbstgerechtigkeit dabei.
({2})
Weil Ihnen das Land scheinbar so am Herzen liegt,
habe ich mir einmal angeschaut, welche parlamentarischen Initiativen Sie in der letzten Legislaturperiode zu
Mali eingebracht haben. - Null. Die erste parlamentarische Initiative in dieser Legislaturperiode gab es am
2. März 2012. Ich finde, man darf hier so nicht auftreten
und sagen, man habe den Stein der Weisen gefunden und
wisse, wie man mit diesen Konflikten umzugehen habe.
({3})
Denn ich finde, das, worauf Sie immer mit dem Finger
zeigen, zeigt auf Sie zurück.
({4})
Wenn ich zum Beispiel auf die Website Ihrer Partei
gehe und angesichts der aktuellen Situation den Begriff
„Mali“ eingebe, dann habe ich sieben Treffer, wovon
drei über Boni und Mali berichten und nicht über das
Land Mali. Ich finde, das ist zu wenig, wenn man sich
der internationalen Herausforderung stellt.
({5})
Das eine oder andere gemeinsam in den Raum zu stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zu kurz gesprungen. Die Gewalt in Libyen hat die Situation in Mali mit
Sicherheit mit destabilisiert. Dahinter muss doch aber
die Frage stehen: Woher hatte Gaddafi die Waffen, die in
diesen Konflikt in Mali mit eingeführt worden sind?
({6})
An dieser Stelle einfach immer nur gewisse Hinweise zu
geben, heißt, zu kurz zu springen. Die Gewalt ist in Gaddafis
Kerkern erlernt worden und nirgendwo anders. Das ist
eine der Herausforderungen, vor denen dieses Land steht.
({7})
Herr Kollege Stinner, ich fand es bemerkenswert,
dass Sie gesagt haben: Am Anfang einer Mandatierung
müssen wir uns immer die Frage stellen: Genügt ein solches Mandat deutschen Interessen? - Natürlich haben
wir auch immer noch eine deutsche Außenpolitik. Aber
ich habe gelernt: Es geht eigentlich um mehr, es geht sozusagen um die internationale Verantwortung Deutschlands. Wenn wir glauben, zur Situation nichts beitragen
zu können, unterstützen wir zumindest unsere Partner.
Die Bedeutung eines Mandats in dieser Situation geht
also etwas weiter.
Ich will betonen: Was Kollege Schockenhoff zu den
Herausforderungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union gesagt hat, hebt
sich stark ab von der Rede, die der Verteidigungsminister in München zu dieser Frage gehalten hat.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich sagen: Die SPD-Fraktion kann heute den
Mandaten zustimmen, wenn die Bundesregierung gemeinsam mit unseren Partnern den politischen Möglichkeiten Priorität einräumt.
Vielen Dank.
({8})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen
Wolfgang Gehrcke.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen Sie
dann schon erleiden.
({0})
- Ich weiß, das widerspricht der Haager Landkriegsordnung.
Wenn nicht Kollege Mützenich gesprochen hätte,
würde ich gar nicht damit anfangen; aber wir streiten ja
immer für das Völkerrecht, und ich weiß, dass Kollege
Mützenich mit solchen Fragen ernsthaft umgeht.
Uns wurde Selbstgerechtigkeit vorgehalten.
({1})
Ich finde, alle Fraktionen in diesem Hause sollten sich
fragen, ob sie nicht in einer gewissen Art und Weise
selbstgerecht sind. Wenn ich mir so sicher wäre, dass alles, was wir vorschlagen, sobald es Gesetz würde, sofort
zu einer Verbesserung der Situation führte, dann wäre
ich selbstgerecht. Ich habe aber meine Zweifel daran,
und wir artikulieren diese Zweifel hier.
Wir sind zumindest in der Lage, das auszuschließen,
was wir in der praktischen Erfahrung als falsch erkannt
haben. Deswegen frage ich Sie: Sehen Sie nicht die Parallelen zu Afghanistan? Auch ich sehe, dass die Menschen in Mali gejubelt haben, als die Islamisten geschlagen worden sind. Das war nach dem Sturz der Taliban
aber auch in Afghanistan der Fall, und die Menschen haben dann den Eindruck gewonnen, dass ihr Land besetzt
ist.
Ich möchte davor warnen - ich finde das furchtbar -,
dass politische Verantwortung in erster Linie immer mit
Militär buchstabiert wird.
({2})
Eine Veränderung der Lage in der Welt müssen wir
durch politische Verantwortung erreichen. Wenn globaler Gerechtigkeit mehr Raum gegeben wird, wenn mehr
davon gesprochen wird, dass die Menschen über die Produkte, die sie herstellen, auch verfügen können müssen,
wenn Waffen nicht mehr als Handelsware gelten, dann
werden wir alle zusammen weniger selbstgerecht sein
und mehr Gerechtigkeit in der Welt verbreiten können.
Wenn Sie sagen, wir sollen nicht selbstgerecht sein,
sage ich Ihnen: Fassen Sie sich an die eigene Nase!
Wenn hier keiner selbstgerecht wäre, wäre die deutsche
Politik besser. Das ist das, was ich rüberbringen wollte.
Danke sehr.
({3})
Kollege Dr. Mützenich, wollen Sie antworten? - Ja.
Das Wort hat Kollege Dr. Rolf Mützenich.
Lieber Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen, wie sehr
ich die Diskussionen mit Ihnen schätze, gerade im Auswärtigen Ausschuss; deswegen habe ich noch einmal darauf hingewiesen, dass ich glaube, dass Ihr Beitrag in der
ersten Runde dieser Beratungen differenzierter gewesen
ist als sozusagen die Kaskade von Vorwürfen vonseiten
der Sprecherin der Fraktion Die Linke.
Noch einmal: Ich glaube, Sie müssen akzeptieren,
dass wir in der Tat aus der - ({0})
- Dürfen Herr Gehrcke und ich uns einfach einmal über
das eine oder andere austauschen? Sie hätten sich ja
sonst zu Wort melden können. Er hat doch nun einmal
gefragt.
Ich habe eben davor gewarnt, weil ich glaube, dass es
falsch ist, Mali im Einzelnen mit Afghanistan zu vergleichen. Wir müssen in der Tat unsere Lehren aus Afghanistan ziehen, aber ich glaube, man muss sagen: Zu dem,
was in Afghanistan von Anfang an falsch gelaufen ist,
haben die Administration Bush und der amerikanische
Präsident Bush viel beigetragen. Er war nicht zu politischen Lösungen und Angeboten gegenüber Gewaltakteuren in diesem afghanischen Konflikt bereit.
Jetzt kommt es auf uns an, dass den Lehren, die wir
gezogen und über die wir heute in dieser Debatte, im
Auswärtigen Ausschuss, im Entwicklungshilfeausschuss
und im Zusammenhang mit den Menschenrechten diskutiert haben, Konsequenzen in einer Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik folgen. Hier kommt eine große
Verantwortung auf uns alle hier im deutschen Parlament,
aber insbesondere auch auf die Bundesregierung zu.
Mehr habe ich in meiner Rede nicht gesagt.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Kollege Dr. Mützenich. - Wir kommen
wieder zurück zu unserer Rednerliste. Für die Fraktion
der CDU/CSU gebe ich unserem Kollegen Ingo Gädechens
das Wort. Bitte schön, Kollege Ingo Gädechens.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die
Debattenbeiträge haben sehr deutlich gemacht, dass
nicht nur unsere Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
einsatzerfahrener geworden sind - egal ob durch das
KFOR- oder das ISAF-Mandat -, sondern auch wir, das
Parlament; denn schon der Titel des Antrages macht
deutlich, dass es leider nicht oder noch nicht darum geht,
wie man immer so schön banal sagt, Brunnen zu bohren,
Brücken zu bauen und Schulen zu errichten. Nein, wir
beraten über die Entsendung bewaffneter deutscher
Streitkräfte im Zusammenhang mit der mehrfach geschilderten angespannten Situation in Mali.
Die Republik Mali, ein Binnenstaat im Inneren Westafrikas, umringt von sieben Nachbarstaaten, liegt in der
Großlandschaft Sudan sowie im Sahel. Die Republik
Mali ist eigentlich weit weg von Zentraleuropa, und
doch rückt uns auch von hier aus der Terrorismus näher
bzw. ein gutes Stück entgegen. Putschende Streitkräfte,
ein geschwächter Staat und Dschihadisten, die den Norden des Landes als Rückzugsgebiet nutzen, um von dort
aus die Bevölkerung zu terrorisieren: ein uns nicht unbekanntes Muster.
In den Diskussionen und Beratungen wurde anerkannt, dass Frankreich richtig und entschlossen gehandelt und somit verhindert hat, dass die Republik Mali
von Radikalislamisten überrannt wurde. Diese aus meiner Sicht richtige Bewertung hat dazu geführt, dass die
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den anderen Verbündeten den französischen Streitkräften Unterstützung gewährt, Unterstützung, die nicht nur wertvoll
ist, sondern auch dankbar angenommen wurde; denn so,
wie Afghanistan nicht die alleinige Angelegenheit Amerikas war, kann und darf Mali nicht die alleinige Angelegenheit Frankreichs sein. Es sollte - auch das klang
mehrfach an - ein gemeinsames Anliegen unserer demokratischen Wertegemeinschaft sein, einem geschwächten
Staat Hilfe zu geben, um ihn vor Terror und marodierenden und menschenverachtenden Horden zu schützen.
Ich gebe dem Kollegen Nouripour nur bedingt recht,
der seitens der Grünen beklagt, man habe die explosive
Gemengelage in der Region zu lange ignoriert. Ich darf
daran erinnern, dass sich gerade die Mitglieder des Verteidigungsausschusses durch eindeutige Berichte des
Bundesnachrichtendienstes sehr früh und umfänglich
über die prekäre Situation in Mali informiert haben. Die
Frage, die nach diesen Berichten im Raum stand, war
doch, wie man auf die besorgniserregende Entwicklung
reagieren könnte.
Dass Deutschland vor dem Hintergrund seiner Geschichte in einer schwierigen Situation ist und war, ist sicherlich nachvollziehbar, und ehrlich gesagt, lieber Kollege Nouripour, glaube ich auch nicht, dass die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hier einen Antrag gestellt hätte,
dass die Bundeswehr als erste Streitkraft in Mali einmarschiert.
Es ist also gut, dass Frankreich entschlossen gehandelt und den ersten Schritt gemacht hat. Richtig ist aber
auch, dass Deutschland seinen Nachbarn nicht alleingeIngo Gädechens
lassen hat und ihn und die Mission im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten unterstützt.
Gleich zwei Anträge der Bundesregierung machen
die Teilung der Mission deutlich. Zum einen geht es darum, unter afrikanischer Führung auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates Lufttransportkapazitäten zur Verfügung zu stellen, um in der Region diese
Transporte und die Luftbetankungen vorzunehmen. Wir
unterstützen damit das Mandat AFISMA.
Es ist für mich keine Überraschung - dies gilt sicherlich auch für viele Verteidigungspolitiker hier im Saal -,
dass die überaus erfahrenen Soldatinnen und Soldaten
unserer Lufttransportgeschwader hier wieder einmal
routiniert, professionell und erfolgreich agieren. Man
möge mir nachsehen, dass ich als Schleswig-Holsteiner
besonders stolz bin auf die Soldatinnen und Soldaten des
Lufttransportgeschwaders 63 aus Hohn, also aus Schleswig-Holstein.
({0})
Ich lobe aber natürlich auch die Kameradinnen und Kameraden aus Penzing und Wunstorf, die hier einen hervorragenden Job leisten.
({1})
Im zweiten Antrag erbittet die Bundesregierung die
Zustimmung des Parlaments, um deutschen Streitkräften
den Auftrag zu erteilen, nach Maßgabe des Völkerrechts
und der durch die EU festgelegten Einsatzregeln einen
Beitrag zu der militärischen Ausbildungsmission EUTM
Mali zu leisten. Dabei wird sich die Bundeswehr an der
Planung und der fachlichen Aufsicht sanitätsdienstlicher
Unterstützung der Mission, aber auch der Pionier- und
Sanitätsausbildung für malische Soldaten beteiligen.
Ich danke dem Verteidigungsminister de Maizière nicht
nur für eine sach- und fachgerechte Beurteilung der
Lage, sondern auch für die richtige Einschätzung dessen,
was die Bundeswehr zusätzlich und neben den laufenden
Einsätzen noch in der Lage ist zu leisten.
So wie einige Oppositionspolitiker anfangs bemängelten, man habe zu lange beobachtet und zu spät reagiert, hört man nun auch in dieser Debatte vermehrt die
Sorge, Mali könnte ein zweites Afghanistan werden. Ich
denke, lassen wir einmal diese Vergleiche und erkennen
lieber an, dass es in Afghanistan deutliche und Gott sei
Dank auch unumkehrbare Erfolge für die Menschen
gibt. Natürlich wäre es gut, wenn das auch in Mali geschehen könnte.
In der Tat ist allerdings zu befürchten, dass der Einsatz länger dauern wird.
({2})
Ich gehe davon aus, dass uns sowohl AFISMA als auch
EUTM Mali länger in Anspruch nehmen werden, als die
von der Bundesregierung beantragten zwölf Monate.
Trotzdem finde ich es gut, dass dieses Zeitfenster so gewählt wird und sich dieses Parlament in einem vernünftigen zeitlichen Abstand erneut mit dieser Mission beschäftigen muss.
Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob
die Mission in ein Mandat des UN-Sicherheitsrats umgewandelt werden kann. Allerdings muss man hier kein
Prophet sein, um zu sagen, dass Deutschland auch unter
einem Blauhelm-Mandat eine wichtige Rolle spielen
muss.
Die Entscheidungen der Bundesregierung waren aus
Sicht der CDU/CSU-Fraktion gut und abgewogen. Die
heutigen Anträge sind folgerichtig, international abgestimmt, und sie sind verantwortbar. Deshalb bitte ich alle
Einsichtigen und alle Kolleginnen und Kollegen, die
sich verantwortungsbewusst, vor allem aber ideologiefrei mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, um
Zustimmung.
({3})
Und weil ich von „ideologiefrei“ gesprochen habe,
nehme ich einmal die Fraktion Die Linke aus.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Kollege Ingo Gädechens.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch zwei
Redner auf unserer Liste, und ich bitte um die notwendige Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Frau Ute Koczy. Bitte schön,
Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Sahelzone ist gefährdet: extreme Armut,
Klimawandel, Nahrungskrisen, Bevölkerungswachstum, Korruption, Menschenhandel, Waffenhandel, Drogenschmuggel - und Mali mittendrin.
Die dortige Ausbreitung von Islamisten war im
Grunde nur eine Frage der Zeit. Der Militäreinsatz
Frankreichs hat das Schlimmste abgewehrt. Jetzt müssen
die Weichen neu gestellt werden, und es braucht eine
afrikanisch geführte Lösung.
({0})
Die beiden Mandate sind wichtig. Sie sind aber nur
ein Notnagel. Der wirkliche Wiederaufbau muss viel
umfassender geleistet werden, langfristig angelegt sein
und natürlich die afrikanischen Staaten einbeziehen. Der
politische Prozess und darin die entwicklungspolitische
Zusammenarbeit muss kohärent, strategisch und multilateral angelegt sein.
Deutschland hat seit Beginn des Jahres 2013 den Vorsitz der Geberkonferenz für Mali. Doch davon hört man
wenig, vor allem nicht, was Deutschland mit dieser Aufgabe in Mali strategisch erreichen will. Die Ansagen aus
dem Haus des Entwicklungsministers Niebel sind viel zu
wenig konzeptionell, wenn man schon einmal den Vorsitz in dieser Geberkonferenz für Mali hat. Ich hätte es
richtig gefunden, wenn es parallel zur Diskussion über
die Mandate auch die Vorstellung - mindestens eine
Skizze - einer entwicklungspolitischen Agenda gegeben
hätte.
Die von Deutschland vor dem Putsch begleitete und
anerkannt wichtige Dezentralisierung muss wieder aufgenommen werden. Nur wenn alle Regionen in Mali den
Eindruck haben, dass sie vom Staat profitieren werden
und Einfluss nehmen können, wird Mali zu Frieden und
zu einer gefestigten Staatsstruktur finden. Wenn dazu die
Budgethilfen beitragen, sind sie gut angelegt.
({1})
Der tatsächliche Aufbau dauert Jahre, vielleicht auch
Jahrzehnte, und er muss an allen Orten stattfinden, Ernährungssicherheit schaffen, Frauenrechte im Blick
haben, Menschenrechte durchsetzen, Arbeit schaffen.
Der Aufbau muss in den Provinz- und Regionalregierungen zu guter Regierungsführung und zu einer ausgewogenen Arbeitsteilung zwischen den Ebenen führen. Er
muss in der Gesellschaft zu Aussöhnung und Dialog führen. Dies alles sind Mammutaufgaben, die nur gelingen,
wenn afrikanische Staaten, Gebergemeinschaft und die
humanitären Organisationen an einem Strang ziehen.
Da ist es doch blamabel, wenn UNOCHA gestern
Alarm schlagen musste. Von den dringend erforderlichen
285 Millionen Euro sind erst 13 Millionen eingetroffen.
Die von Deutschland für dieses Jahr gewährte Hilfe von
1 Million Euro ist viel zu wenig. Wir fordern daher einen
Anteil von mindestens 6,73 Prozent an der UN-Hilfe.
Das wären mindestens 17,5 Millionen Euro. Dahinter
sind wir weit zurück
Mali braucht sinnvolle Pläne: Wo wird humanitäre
Hilfe am dringendsten gebraucht? Was passiert mit den
Vertriebenen, die hoffentlich bald zurückkehren? Wie erhalten sie Saatgut? Wie werden Grundsteine für Ernährungssouveränität gelegt? Aber die Frage ist auch: Wie
stellen wir sicher, dass die Erträge aus den Rohstoffen
des Landes der Bevölkerung zugutekommen? Nicht nur
Frankreich wird beweisen müssen, dass es eine neue
Politik in Afrika gibt.
({2})
Auch wir in Deutschland sind gefragt, zu zeigen, was
durch internationale Unterstützung jenseits des Militärs
funktioniert. Enttäuschen wir diese Hoffnungen nicht!
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Reinhard
Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Beginn eines jeden neuen Bundeswehreinsatzes will
wohlüberlegt sein, weil man mit diesem ersten Schritt im
Zusammenspiel mit internationalen Partnern Verantwortung für ein Land und für Menschen übernimmt, zu der
man, wenn es nicht erwartungs- oder hoffnungsgemäß
läuft, auch stehen muss. Im Fall Mali wäre aber Nichthandeln verantwortungslos. Weder die Weltgemeinschaft noch Europa noch Deutschland können sehenden
Auges zulassen, dass im Norden Afrikas ein Staat zerfällt und dass dort Rückzugs- und Operationsräume für
Terroristen entstehen - wie zum Beispiel für al-Qaida im
islamischen Maghreb -, deren politische Agenda nicht
auf diese Region begrenzt ist, sondern deren Ziel es auch
ist, unsere Sicherheit, unsere Art, zu leben, und unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung zu bedrohen.
Selbst wenn die terroristische Anschlagsgefahr in Europa momentan noch wenig konkret ist: Ein Staat, der
zerfällt, in dem es kein Recht und keine staatliche Ordnung mehr gibt, zieht natürlich organisierte Kriminalität,
Drogenhandel, Entführungen usw. an.
Ein Nichthandeln jetzt könnte dazu führen, dass zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich die Terroristen erst
einmal richtig festgesetzt haben, mit einem viel größeren
Aufwand gehandelt werden muss. Das ist aber auch
nicht einfach; denn gerade wir als westliche Welt müssen uns nach den eher ernüchternden Erfahrungen, die
wir in Afghanistan machen müssen, genau überlegen,
wie wir wirkungsvoll Hilfe leisten können, ohne dass
wir falsche Erwartungen oder falsche Hoffnungen auf
den verschiedenen Seiten wecken.
Meine Damen und Herren, es ist heute in der Debatte
schon öfter angesprochen worden, dass es nur Hilfe zur
Selbsthilfe sein kann für den malischen Staat bzw. für
die benachbarten Staaten. Das Militär ist nur ein kleiner
Teil der Hilfe, über den wir heute abstimmen und der
deswegen diese große Prominenz erhält. Das ist aber sicher nicht der einzige Teil.
Was wir als Bundeswehr dazu beitragen können, ist
das, was wir bereits im Jahr 2005 begonnen haben, nämlich die Ausbildung malischer Streitkräfte im Bereich
der Pioniere und die militärische Ausstattungshilfe. An
diesem Punkt müssen wir weiter ansetzen. In den Bereichen, in denen wir Erfahrungen und Kompetenzen haben, sollten wir uns jetzt auch im Rahmen der EU-Ausbildungsmission einbringen.
({0})
Meine Damen und Herren, neben der Ausbildungsunterstützung leisten wir noch einen weiteren Beitrag. Der
UN-Sicherheitsrat hat zur Unterstützung der Rückeroberung des Nordens eine Militärmission mandatiert, die
von der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten, ECOWAS, geführt wird. Die Truppen werden von
den Nachbarländern Malis gestellt. Wir werden diese
Truppen durch Lufttransport und Luftbetankung logistisch unterstützen.
Diese beiden Bereiche für den Einsatz deutschen
Militärs sind meines Erachtens klug gewählt. Es ist
wichtig, auch in der Öffentlichkeit festzuhalten, dass wir
uns damit nicht an Kampfoperationen beteiligen. Es ist
auch wichtig, festzuhalten, dass das nicht der einzige
Beitrag ist, den Deutschland leistet. Dazu kommt humanitäre Hilfe. Dazu kommt Entwicklungszusammenarbeit. Dazu kommt diplomatische Unterstützung, vor allem durch den Dialog mit den gesprächsbereiten
Gruppen im Norden.
Entscheidend für Mali wird auch sein, dass es einen
politischen Fortschritt gibt; Kollegen haben das schon in
verschiedenen Reden angesprochen. Dies betrifft die
Vorbereitung und Durchführung von Wahlen, die politische Beteiligung aller rund 30 Ethnien, die Aussöhnung
von verfeindeten Gruppen, die Fortschritte bei der Entwicklung in allen Landesteilen, die Integration der
Flüchtlinge usw.
Deutschland und seine Partner in der Europäischen
Union leisten dazu einen sinnvollen und auch realistischen Beitrag, damit wir unsere Partner in Westafrika
befähigen, zu einer politischen Lösung zu kommen.
Ich möchte mich zum Schluss meiner Ausführungen
bei all denjenigen bedanken, die in Uniform oder in Zivil
diesen Auftrag für uns ausführen. Ich wünsche ihnen,
dass sie alle wieder gut nach Hause kommen. Ich wünsche ihnen auch, dass sie für ihren Einsatz jetzt eine
breite Unterstützung des Parlaments bekommen werden.
Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den beiden namentlichen Abstimmungen zu den Anträgen der Bundesregierung kommen,
weise ich darauf hin, dass wir direkt im Anschluss eine
weitere namentliche Abstimmung und eine Wahl mit
Stimmkarte und Wahlausweis durchführen werden. Bleiben Sie also alle im Plenarsaal!
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
mit dem Titel „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten militärischen
Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der Regierung von Mali sowie der Beschlüsse
2013/34/GASP des Rates der Europäischen Union ({0})
vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 ({1}) und 2085
({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12520, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12367 anzunehmen. Wir stimmen
nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab.
Hierzu liegen mir schriftliche Erklärungen zur Abstim-
mung vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind
alle Plätze an den Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Plätze
besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung.
Die obligate Frage: Ist noch jemand im Plenarsaal,
der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.
Wir kommen nun, liebe Kolleginnen und Kollegen,
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/12543. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der
Grünen bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Entsendung bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung
({3}) auf Grundlage der Resolution 2085 ({4})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12522, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12368 anzunehmen. Auch über diese
Beschlussempfehlung stimmen wir namentlich ab. Ich
bitte erneut die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung über diese Beschluss-
empfehlung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun-
gen werden Ihnen später bekannt gegeben.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Zusatzpunkt 6 auf:
Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes
- Drucksache 17/12033 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5})
- Drucksache 17/12400 Buchstabe a -
Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Dr. Christel Happach-Kasan
Cornelia Behm
1) Anlagen 6 bis 8 2) Ergebnisse Seite 27974 C und 27976 D
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur An-
nahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit der Mitglieder
des Deutschen Bundestages, das heißt mindestens 311
Stimmen, erforderlich.
Meine Damen und Herren, in der 222. Sitzung am
21. Februar 2013 ist in der dritten Beratung die vorge-
schriebene Feststellung, dass die erforderliche Mehrheit
vorliegt, unterblieben. Die Schlussabstimmung ist daher
zu wiederholen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen über den Gesetz-
entwurf namentlich ab. Der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12400, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/12033 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Auch zu dieser Abstimmung liegt mir eine
persönliche Erklärung nach § 31 GO vor.1) Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze eingenommen? -
Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Die obligatorische Frage: Ist noch jemand anwesend,
der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 6 auf:
Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des
Grundgesetzes
- Drucksache 17/12462 -
Die Fraktion Die Linke schlägt auf Drucksa-
che 17/12462 den Kollegen Steffen Bockhahn vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.
Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamenta-
rische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt,
wer mindestens 311 Stimmen erhält.
Die Wahl erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis.
Den Wahlausweis können Sie - soweit noch nicht
geschehen - Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby ent-
nehmen. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass der
Wahlausweis auch wirklich Ihren Namen trägt. Die
Stimmkarten wurden im Saal verteilt. Sollten Sie noch
keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglich-
keit, diese von den Plenarassistenten zu erhalten.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei
„ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind demzu-
folge Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein
Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Diese Wahl findet offen statt. Sie können Ihre Stimm-
karte also an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die
Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben
Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an
den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der
Teilnahme an der Wahl kann nur durch Abgabe des
Wahlausweises erbracht werden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist erfolgt.
Dann eröffne ich die Wahl.
Ich glaube, es ist Ruhe eingekehrt; also haben alle ge-
wählt. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.3)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie
Zusatzpunkt 7 auf:
9 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Privatisierung der Wasserversorgung
durch die Hintertür
- Drucksache 17/12394 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe ({6})
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundge-
setzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union
Wasser ist Menschenrecht - Privatisierung
verhindern
- Drucksache 17/12482 -
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martin Schwanholz, Manfred Nink, Wolfgang
Tiefensee, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-
päischen Parlaments und des Rates über die
1) Anlage 9
2) Ergebnis Seite 27979 C 3) Ergebnis Seite 27984 B
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Konzessionsvergabe
({7})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
Kommunale Versorgungsunternehmen stärken - Formale Ausschreibungspflicht bei
Dienstleistungskonzessionen insbesondere für
den Bereich Wasser ablehnen
- Drucksache 17/12519 Über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
sowie über den Antrag der Fraktion Die Linke werden
wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch dazu.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Britta
Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
({8})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nicht mehr zuhören will, den bitte ich, Platz zu nehmen oder den Saal
zu verlassen, damit wir in Ruhe weiter debattieren können. - Bitte schön, Kollegin Haßelmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren Besucherinnen und
Besucher des Deutschen Bundestages! Wir reden heute
über drei Anträge, nämlich einen Antrag von uns Grünen, einen Antrag der SPD und einen Antrag der Linken
zur EU-Richtlinie zum Thema „Vergabe von Dienstleistungskonzessionen“; vielen der Bürgerinnen und Bürger
bekannt unter dem Schlagwort „Wasser ist ein Menschenrecht“ und der entsprechenden Initiative für eine
Europäische Bürgerinitiative; über 1 Million Menschen
haben sich bereits gegen diese EU-Richtlinie ausgesprochen. Wir haben aber hier im Deutschen Bundestag noch
nie inhaltlich über das Thema öffentlich diskutiert. Deshalb haben wir das für diese Sitzung zu einem Debattenpunkt gemacht.
({0})
Wir fordern in unserem Antrag, die EU-Konzessionsrichtlinie so auf gar keinen Fall zu verabschieden. Die
Richtlinie muss in der vorliegenden Form gestoppt werden; denn sie wird in einem Verfahren durch die Hintertür zu einer Privatisierung der Wasserversorgung führen.
Sie wird viele kommunale Stadtwerke, Zweckverbünde
und interkommunale Kooperationen gefährden, und das
wissen alle. Alle hier im Saal wissen das, auch und insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU;
denn die haben sich mit diesem Thema auch auf ihrem
Parteitag befasst, aber nicht hier im Bundestag.
Es ist so: Heute und auch im Dezember hat Deutschland dieser EU-Richtlinie im EU-Ministerrat in den entsprechenden Ausschüssen in unveränderter Form zugestimmt, er lässt diese Richtlinie passieren. Das alles
geschieht durch das Wirtschaftsministerium. Man ist der
Auffassung, diese Art von Dienstleistungskonzessionen
der Ausschreibung zu unterwerfen, gefährde nicht die
kommunalen Stadtwerke. Das wird aber der Fall sein.
Wir werden demnächst mit europaweiten Ausschreibungen für Wasserversorgungskonzessionen konfrontiert
sein. Deshalb müssen wir uns hier im Bundestag positionieren und gegen diese Richtlinie vorgehen.
({1})
Während wir heute das Thema im Bundestag beraten,
hat Deutschland wieder eine Chance verpasst. Deutschland hat nämlich, anders als Österreich, nicht zugestimmt, dass Änderungen an der Richtlinie vorgenommen werden. Unser Ständiger Vertreter hat heute in der
EU Österreich im Stich gelassen und nicht dafür gestimmt, dass sich Deutschland für die entsprechenden
Änderungen der EU-Richtlinie einsetzt.
({2})
Die öffentlichen Aktionen von CDU und CSU und
das bisherige Verhalten der schwarz-gelben Bundesregierung gehen völlig auseinander. Das müssen wir
offenlegen. Das ist so nicht hinnehmbar. So viel Scheinheiligkeit auf einmal ist wirklich zu viel.
({3})
Meine Damen und Herren von der CDU, wir haben es
Ihnen eigentlich leicht gemacht; denn wir stellen heute
den Beschluss, den Sie im Dezember auf Ihrem Parteitag
gefasst haben, eins zu eins in einem Antrag zur Abstimmung. Es kann doch nicht sein, dass Sie den ganzen
Kommunalos flammend erklären, Sie sind gegen diese
Richtlinie, und gleichzeitig lassen Sie den Rösler laufen,
der die Richtlinie eins zu eins passieren lässt, so wie das
Barnier und andere Wettbewerbsleute in Brüssel wollen.
Sie müssen Ihren Leuten vor Ort erklären, wie Sie
eine solche Spaltung des Bewusstseins hinbekommen.
Auf Ihrem Parteitag sind Sie radikal gegen die EURichtlinie, und hier im Deutschen Bundestag ducken Sie
sich weg und lassen die schwarz-gelbe Bundesregierung
agieren.
({4})
Noch schlimmer ist es bei der CSU.
({5})
Bayern bringt morgen gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen eine Entschließung gegen diese Richtlinie in den
Bundesrat ein. Wie ich sehe, sind Horst Seehofer und
Alexander Dobrindt heute gar nicht hier.
({6})
Das kann ich auch gut verstehen; denn das ist für sie ein
unbequemes Thema. Sie äußern sich öffentlich, dass Sie
massiv gegen diese Richtlinie vorgehen wollen. Sie haben gesagt: Man muss einen Riegel vorschieben, eine
harte Gangart einlegen. - So lauteten die Formulierungen gegen die Richtlinie. Ich bin gespannt, ob Sie heute
hier im Bundestag unserem Antrag, der ja eigentlich Ihr
Parteitagsbeschluss ist, wirklich zustimmen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich fordere Sie auf: Bekennen Sie Farbe! Stoppen Sie
diese Richtlinie! Hören Sie von CDU und CSU vor allen
Dingen mit dem scheinheiligen Spiel: auf Parteitagen
gegen diese Richtlinie zu stimmen, aber am Ende hier im
Deutschen Bundestag nichts dagegen zu tun! Hören Sie
auf, zu behaupten, dass sich durch die Aussagen von
Barnier irgend etwas geändert hätte. Der EU-Kommissar
hat eine Ankündigung gemacht, die Richtlinie aber nicht
verhindert.
Frau Kollegin!
Das ist das Problem. Es ist daher gut, dass wir dieses
Thema heute diskutieren.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch darf
ich die Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmungen bekanntgeben.
Zunächst zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Beteiligung an der EU-geführten militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali.“ Das sind die Drucksachen 17/12367 und 17/12520. Abgegebene Stimmen:
567. Mit Ja haben gestimmt 496 Abgeordnete, mit Nein
haben gestimmt 67, Stimmenthaltungen 4. Die Beschlussempfehlung ist angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 496
nein: 67
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({8})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({10})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Dr. Kristina Schröder
({16})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding ({23})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({25})
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil ({27})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({28})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({29})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({30})
Michael Roth ({31})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({32})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({33})
Werner Schieder ({34})
Ulla Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Swen Schulz ({37})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({38})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({39})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({40})
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Martin Lindner ({41})
Michael Link ({42})
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({43})
Dirk Niebel
({44})
Cornelia Pieper
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({45})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({46})
DIE LINKE
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({49})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({50})
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({51})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Dr. Hermann E. Ott
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({52})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
({53})
FDP
Frank Schäffler
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Paul Schäfer ({54})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({55})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Wir kommen zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung
({56})“. Das sind die Drucksachen 17/12368 und
17/12522. Abgegebene Stimmen: 566. Mit Ja haben gestimmt 492 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 66,
Stimmenthaltungen 8.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 492
nein: 66
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({57})
Manfred Behrens ({58})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({59})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({60})
Axel E. Fischer ({61})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({62})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({63})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({64})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({65})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({66})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({67})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({68})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({69})
Anita Schäfer ({70})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({71})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({72})
Dr. Kristina Schröder
({73})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({74})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({75})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({76})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({77})
Peter Weiß ({78})
Sabine Weiss ({79})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding ({80})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({81})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({82})
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({83})
Hubertus Heil ({84})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({85})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({86})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({87})
Michael Roth ({88})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({89})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({90})
Werner Schieder ({91})
Ulla Schmidt ({92})
Carsten Schneider ({93})
Swen Schulz ({94})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({95})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({96})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({97})
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({98})
Michael Link ({99})
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({100})
Dirk Niebel
({101})
Cornelia Pieper
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({102})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({103})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({104})
Volker Beck ({105})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({106})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Oliver Krischer
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth
({107})Dr. Tobias
Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({108})
Omid Nouripour
Dr. Hermann Ott
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({109})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
({110})
FDP
Frank Schäffler
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Paul Schäfer ({111})
Michael Schlecht
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({112})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Ich komme zu dem von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung
des Holzhandels-Sicherungs-Gesetzes“. Das sind die
Drucksachen 17/12033 und 17/12400. Abgegebene
Stimmen: 564. Mit Ja haben gestimmt 313 Abgeordnete,
mit Nein haben gestimmt 126 Abgeordnete, Stimmenthaltungen 125. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche
Mehrheit erreicht.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 312
nein: 126
enthalten: 125
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({113})
Manfred Behrens ({114})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({115})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({116})
Axel E. Fischer ({117})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({118})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({119})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({120})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({121})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({122})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({123})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({124})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({125})
Anita Schäfer ({126})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({127})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({128})
Dr. Kristina Schröder
({129})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({130})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({131})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({132})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({133})
Peter Weiß ({134})
Sabine Weiss ({135})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({136})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({137})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({138})
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({139})
Michael Link ({140})
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({141})
Dirk Niebel
({142})
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({143})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({144})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding ({145})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({146})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({147})
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({148})
Hubertus Heil ({149})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({150})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({151})
Fritz Rudolf Körper
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({152})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({153})
Michael Roth ({154})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({155})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({156})
Werner Schieder ({157})
Ulla Schmidt ({158})
Carsten Schneider ({159})
Swen Schulz ({160})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({161})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
Enthalten
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Paul Schäfer ({162})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({163})
Volker Beck ({164})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({165})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({166})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({167})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Dr. Hermann E. Ott
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({168})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Wir setzen die Debatte zum Thema Wasserversorgung
fort. Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSUFraktion.
({169})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Dass die CSU keine Angst hat, zeigt sich schon daran,
dass die gesamte Redezeit der Union heute auf die CSU
fällt. So stehe ich hier.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wenn Sie
doch auch sonst so auf unsere Parteitagsbeschlüsse und
unsere Vorschläge wie zum Beispiel zum Steuerrecht
eingehen würden! Wir würden uns über diese Nähe
freuen, die Sie heute beim Wasser zeigen.
({1})
Aber es zeigt sich natürlich, dass dieser Antrag vor allem eines hat: Er hat populistischen Charakter. Um nicht
mehr und nicht weniger geht es.
({2})
Wenn es Ihnen um die Sache geht, dann treten Sie
jetzt an unsere Seite und hören sich zunächst einmal in
Ruhe an, was wir zu sagen haben.
Klar ist, dass in Brüssel mal wieder die Technokraten
regieren.
({3})
Ich sage es so offen: Wenn wir noch mehr für Europa
frustrierende Ergebnisse haben wollen wie in Italien,
dann müssen wir so weitermachen. Es bedarf des Drucks
aus diesem Hause, es bedarf des Drucks aus dem Europäischen Parlament, damit man in Brüssel überhaupt
begreift, was die Menschen beschäftigt und bewegt. Sie
bewegt und beschäftigt das Thema Trinkwasser.
({4})
Eines hat die Kommission leider immer noch nicht
begriffen. Das ist das Subsidiaritätsprinzip. Deswegen
- ich kann mich dem nicht verschließen - möchte ich der
EU-Kommission eine kurze juristische Nachhilfe geben.
Ich hoffe, dass sich in Brüssel jemand die Mühe macht,
das zu lesen.
Ich möchte auf Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die
Europäische Union hinweisen. Dort heißt es ganz klar:
Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in
den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche
Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit
die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen
von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch
auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen
ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.
Die Kommission ist sicherlich die Falsche, die diese
Aufgabe wahrnehmen könnte.
({5})
Es handelt sich nicht um eine Aufgabe, die auf die
Unionsebene gehört. Jahrzehntelang haben unsere Kommunen, unsere kommunalen Versorger für hohe Qualität
bei der Wasserversorgung gesorgt. Aus den Wasserrohren unserer Städte und Gemeinden kommt qualitativ
hochwertiges Wasser, und das wollen wir so beibehalten auch im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger.
({6})
Auch der EuGH - wenn ich schon bei der juristischen
Nachhilfe bin, spreche ich auch ihn an - sieht hier keinen Regelungsbedarf:
({7})
„Ein besonderer Regelungsbedarf für die Dienstleistungskonzession ist nicht ersichtlich“, so der EuGH.
Dies unterstrich er im März 2011.
Aber nein, die Kommission weiß es besser und legt
unter dem Deckmantel von Transparenz und Rechtssicherheit eine Richtlinie vor. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Wasser ist kein gewöhnliches Handelsgut,
sondern ein wichtiges Lebensmittel!
({8})
Daher steht die Wasserversorgung unter unserer besonderen Beobachtung.
({9})
Ich will hier jetzt nicht weiter auf Herrn Barnier und
den Kommissionsvorschlag eingehen. Man kann die ersten Hoffnungsschimmer haben, dass die Vernunft Einzug
hält. Mit dem, was bisher vorgelegt worden ist, sind wir
nicht zufrieden. Ich unterstreiche das: nicht zufrieden!
({10})
Wir wollen die Debatte über dieses Thema - auch das
sage ich ganz deutlich - nicht ideologisch unter dem
Titel „Liberalisierung/Privatisierung versus Rekommunalisierung“ führen, sondern wir führen diese Debatte
unter dem Gesichtspunkt, dass die Vorteile im Bereich
der Wasserversorgung klar aufseiten der Kommunen liegen und nicht aufseiten der großen Konzerne.
({11})
Unsere Kommunen liefern seit Jahren und Jahrzehnten - ich erlaube mir, das als Kommunalpolitiker zu sagen - Trinkwasser in Topqualität.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Haßelmann?
Nein. Ich erkläre das. Sie kann danach fragen.
({0})
Unsere Kommunen stehen für die Qualität des Produktes, und sie kennen die Strukturen vor Ort. Unser
Wasser ist ein Stück regionale Wertschöpfung. Auch
diese regionale Wertschöpfung sollten wir pflegen.
({1})
An dieser Stelle erlaube ich mir, auch wenn Sie, liebe
Kollegin, „Ha, ha, ha!“ sagen, da ich Kommunalpolitiker
bin, einen kleinen Exkurs zur Bayerischen Rieswasserversorgung in meinem Wahlkreis. Auch dort sieht man
das, was aus Brüssel kommt, sehr skeptisch. Auch dort
hat man die Sorge, dass schleichend eine Privatisierung
der Wasserwirtschaft beginnt. Natürlich hat man vor Ort
auch Angst, wem sich eventuelle Großunternehmen am
Ende verpflichtet fühlen: dem Gewinn oder der guten
Wasserversorgung? Die Unsicherheit ist also vor Ort angekommen. Diese nehmen wir als CDU/CSU auf;
({2})
denn eines ist klar: Wasser darf nicht zum Spekulationsobjekt werden.
({3})
Sie können gleich weiterklatschen, die ganze Runde
kann weiterklatschen: Hier hört die Liberalisierung auf!
({4})
Wir führen eine Debatte über Wasser, Strom und andere Versorgungsbereiche. Ich möchte diese Diskussion
nicht vertiefen, weil man nicht alles miteinander vergleichen kann. Es gibt gutes und gesundes Wasser, aber es
gibt keinen guten und keinen ungesunden Strom. Deswegen bitte ich, diese Differenzierung zu akzeptieren.
({5})
Jetzt geht es darum, dass wir versuchen, diese Dienstleistungskonzessionsrichtlinie in Brüssel zu kippen oder
wenigstens den sensiblen Bereich der Wasserversorgung
aus der Richtlinie zu nehmen.
({6})
Dazu stehen wir als CDU/CSU, auch in dieser Deutlichkeit.
Es geht jetzt darum, dass wir den neuesten Vorschlag
aufgreifen und an dieser Stelle weiterarbeiten. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt darum, für eine
gute Wasserversorgung zu verhandeln. Es geht nicht darum, hier mit populistischen Anträgen
({7})
ein großes Buhei zu machen.
({8})
Vielmehr geht es darum, daran zu arbeiten, dass die
Wasserversorgung in Deutschland die jetzige Qualität
behält.
Liebe Bundesregierung, verehrtes Wirtschaftsministerium, Wasser ist ein Stück Lebensqualität. In diesem
Sinne: Nein zur Privatisierung! Dafür steht auch die
Union.
Danke schön.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Britta
Haßelmann das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Lange,
ich fand es schade, dass Sie keine Zwischenfrage zugelassen haben. Aber nach den Pirouetten, die Sie gerade
gedreht haben - nach dem Motto: Sie haben mit Ihrem
Antrag vollinhaltlich recht; wir fordern eigentlich das
Gleiche, können dem Antrag aber nicht zustimmen -,
weiß ich, warum Sie keine Frage zugelassen haben.
Sie haben die ganze Zeit auf die EU-Kommission und
auf diejenigen geschimpft, die diese Richtlinie verbrochen haben. Wir teilen Ihre Kritik. Das haben Sie an
meinen Ausführungen gehört. Wir sind da Seit’ an Seit’
mit der CSU. Morgen wird auch das rot-grün regierte
Land Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern im
Bundesrat vorgehen.
Aber bitte nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis,
Herr Lange, dass Deutschland - das Wirtschaftsministerium - am 11. Dezember im EU-Ministerrat dem Entwurf der EU-Richtlinie ohne jede sektorale Ausnahme
für den Wasserbereich zugestimmt hat
({0})
und dass heute, als im Ausschuss der Ständigen Vertreter
der Mitgliedstaaten darüber beraten wurde, was man eigentlich noch machen kann, um diese Richtlinie zu verhindern, Deutschland - die schwarz-gelbe Bundesregierung, das Wirtschaftsressort - sich nicht hat durchringen
können, mit Österreich Einspruch gegen das Verhandlungsmandat für die Richtlinie zu erheben, mit dem Ziel,
die Wasserversorgung herauszuverhandeln. Das hat
heute der deutsche Vertreter abgelehnt.
Von daher hatte ich recht mit der Einschätzung: Bei
manchen liegt da eine Art Bewusstseinsspaltung vor.
({1})
Kollege Lange, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
({0})
Liebe Frau Kollegin, ich fühle mich bei vollem Bewusstsein; ich erlaube mir, das so zu sagen. Ich glaube
auch, dass ich meine Ausführungen bei vollem Bewusstsein getätigt habe und dass sie schlüssig waren. Wir sind
da ja nah beieinander. Wenn Sie mir ganz genau zugehört haben, dann haben Sie am Ende meiner Rede eine
Aufforderung eines Parlamentariers, einer Fraktion an
die Bundesregierung vernommen.
Danke schön.
({0})
Liebe Kollegen, zwischendurch - gewissermaßen zur
Beruhigung - teile ich das Ergebnis der Wahl eines
Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums
gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes mit: abgegebene
Stimmen 565, ungültige Stimmen 2, gültige Stimmen
563. Mit Ja haben gestimmt 449, mit Nein haben ge-
stimmt 70, Enthaltungen 44. Der Abgeordnete Steffen
Bockhahn hat 449 Stimmen erhalten. Die erforderliche
Mehrheit von mindestens 311 Stimmen wurde erreicht.
Damit ist der Kollege Bockhahn Mitglied des Parlamen-
tarischen Kontrollgremiums.1)
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Martin Schwanholz für
die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Lange, ich bin gespannt, wie Sie abstimmen werden. Ich glaube, das interessiert uns alle.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Wasser ist Leben - diesen Titel trägt ein
vom Bundesministerium für Umwelt herausgegebenes
Arbeitsheft für Schülerinnen und Schüler der Grundschule. Nun kann ich verstehen, dass Herr Rösler - er ist
jetzt nicht da - nichts liest, was von Herrn Altmaier
kommt. Aber in diesem Fall bin ich wohl nicht der Einzige, der sich gewünscht hätte, dass der Bundeswirtschaftsminister vor den Verhandlungen zur Konzessionsrichtlinie einmal einen Blick in dieses Heft geworfen
hätte. Denn dann würde er sich nicht einfach über die
mehrfach über alle Fraktionsgrenzen geäußerten Bedenken hinwegsetzen.
Sicherlich gibt es für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für die öffentliche Hand gewinnbringende Privatisierungsvorhaben - ich sage das ausdrücklich auch in Richtung der FDP -, aber der Bereich der
Wasserversorgung zählt eindeutig nicht dazu.
({1})
Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut. Eine qualitativ
hochwertige und bezahlbare Wasserversorgung muss
Ziel guter Politik bleiben. Daher lehnen wir als SPDBundestagsfraktion eine Ausschreibungspflicht für den
Bereich Wasser grundsätzlich ab. Wir fordern, öffentliche
Träger der Wasserversorgung aus der Richtlinie auszunehmen.
({2})
Die Wasserversorgung als Teil der Daseinsvorsorge
liegt in Deutschland größtenteils in öffentlicher Hand.
Der Vertrag von Lissabon sichert den Kommunen das
Recht der eigenverantwortlichen Erbringung der Leistungen der Daseinsvorsorge zu. Die aktuellen Beschlüsse stellen jedoch einen massiven Eingriff in die
Gestaltungsfreiheit dar und verletzen damit das Prinzip
der Subsidiarität, das Sie bei der CSU sonst immer so
hochhalten. Auch der Bundesrat hat diese Bedenken
mehrfach erhoben und wird dies in seiner morgigen Sitzung noch einmal tun.
Es gibt keinen ersichtlichen Grund, unsere gute und
bezahlbare öffentliche Wasserversorgung dem Wettbewerb zu unterwerfen. Wir müssen nur in große europäische Hauptstädte blicken - Berlin, Paris, London -, um
zu sehen, mit welchen Risiken die Privatisierung der
Wasserversorgung einhergeht. Hier wurden wichtige Investitionen aus übertriebenem Gewinnstreben nicht
mehr getätigt. Das Ergebnis ist eine unhaltbare Situation
für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Stiftung
Warentest kommt in einer Analyse aus dem Jahr 2012 zu
dem Ergebnis: Die deutsche Wasserversorgung ist gut
und preiswert, und mehr Privatisierung bringt keinen
Mehrwert.
({3})
Auch der aktuelle Kompromissvorschlag von Herrn
Barnier, die Wasserversorgung nur auszunehmen, wenn
sie zu 100 Prozent in öffentlicher Hand ist, ist blanker
Unsinn, zumal bei Stadtwerken, die als GmbH oder als
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl
siehe Anlage 2
AG organisiert sind, die Grenze der 80-prozentigen Erbringung innerhalb der Kommune vollkommen willkürlich gesetzt ist. Auch ist zu befürchten, dass sich der von
der Richtlinie ausgehende Liberalisierungsdruck auf andere Bereiche wie die Gesundheitswirtschaft, also Altenheime und Krankenhäuser, ausdehnen wird. Die Folgen
wären unabsehbar.
Festzuhalten bleibt: Die Merkel-Regierung hat sich in
keiner Weise für die vielfach artikulierten Interessen der
Bürgerinnen und Bürger für eine Wasserversorgung in
öffentlicher Hand eingesetzt.
({4})
Vielmehr hat sie dem Vorschlag der Kommission im Rat
zugestimmt und somit billigend in Kauf genommen,
dass die hochwertige und bezahlbare Wasserversorgung
in Deutschland gefährdet wird. Über einen entsprechenden Parteitagsbeschluss der CDU vom vergangenen Dezember hat sich Frau Merkels Bundeswirtschaftsminister
einfach hinweggesetzt. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schreibt deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender Herr Singhammer - ich zitiere -:
Es besteht zu Recht die Befürchtung, dass nach einer Privatisierung nur noch die Erzielung von möglichst hohen Renditen im Vordergrund steht.
Recht hat er, der Herr Singhammer.
({5})
Umso verwunderlicher finde ich es, dass Frau Merkel
höchstpersönlich in einem Schreiben Anfang Januar an
Verdi und den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft den Vorschlag der Kommission grundsätzlich
begrüßt hat.
Als Ergebnis dürfen wir also festhalten: die Konservativen in Deutschland dagegen, die deutschen Konservativen in Europa dafür, Teile der FDP dagegen, die
Regierung in Deutschland dafür. Das Chaos in der
Merkel-Truppe ist wieder einmal perfekt.
({6})
Klartext. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
meine Fraktion fordert Sie und die Bundesregierung auf:
Verhandeln Sie in Brüssel nach. Setzen Sie sich endlich
dafür ein, die gute öffentliche Wasserversorgung und die
hohe Qualität der deutschen Gesundheitswirtschaft zu
schützen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Hans-Joachim Otto.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegin Haßelmann, lieber
Kollege Dr. Schwanholz, wenn ich mir Ihre Redebeiträge hier anhöre,
({0})
dann erkenne ich, was die wahrhaft weder konservative
noch markthörige Zeitung Die Zeit meinte, als sie kürzlich von der Wasserlüge sprach. Hier läuft eine Kampagne, in der mit Unwahrheiten und Irreführungen
({1})
die Ängste der Bürgerinnen und Bürger geschürt werden
sollen. Bauen Sie doch keinen Popanz auf.
({2})
Sie wissen es genauso gut wie ich: Es wird auch künftig
keinen Zwang zur Privatisierung der Wasserversorgung
geben, weder direkt noch durch die Hintertür.
({3})
Natürlich können die Kommunen auch künftig frei darüber entscheiden, in welcher Form, ob kommunal oder
privat, sie die Versorgung ihrer Bürger mit Wasser gewährleisten wollen. Etwas anderes stand übrigens auch
nie im Zusammenhang mit der Konzessionsrichtlinie zur
Debatte.
Herr Kollege Otto, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Haßelmann?
Da kann ich ja nicht widerstehen.
({0})
Na! - Bitte schön.
Wenn schon Herr Kampeter vorschlägt, 1 Euro in die
Chauvi-Kasse zu zahlen, kann ich nur sagen: Er muss es
wissen.
({0})
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben, wir würden
einen Popanz aufbauen und von Zwangsprivatisierung
reden, muss ich annehmen, dass Sie meiner Rede nicht
zugehört haben; Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Oh doch!
- denn ich habe das Wort „Zwangsprivatisierung“
überhaupt nicht in den Mund genommen.
Das Perfide ist - da bin ich mir wahrscheinlich mit
Herrn Lange, Herrn Dobrindt, Herrn Seehofer und den
Kolleginnen und Kollegen von SPD, Linken und Grünen
einig -, dass Herr Barnier diese EU-Richtlinie so konzipiert hat und jetzt davon spricht, dass zu 100 Prozent
kommunale Unternehmen ausgenommen werden könnten. Dieser Vorschlag liegt allerdings noch nicht vor;
verkaufen Sie das von daher bitte nicht als Erfolg.
Jeder weiß, dass diese hohen Hürden von kommunalen Unternehmen nicht erfüllt werden können. Sie können auch dann nicht erfüllt werden, wenn ein kommunales Unternehmen mehr als 20 Prozent des Auftrags
außerhalb des eigenen Gebietes erfüllt. Dann ist eine europaweite Ausschreibung vorgesehen.
({0})
Das ist das Perfide, und Sie versuchen gerade, das zu
verkleistern. Es ist doch so, dass zwei Hürden gesetzt
worden sind, und es ist so, dass über die Hälfte der Stadtwerke privates Kapital in sich hat und deshalb europaweit ausschreiben muss. Das wissen Sie doch, oder?
({1})
Liebe Frau Kollegin, zunächst einmal: Es wäre sinnvoll gewesen, Sie hätten mich ein paar Worte sagen lassen. Dann hätte sich nämlich manches, wonach Sie gerade gefragt haben, erledigt.
Da Sie uns vorwerfen, wir würden hier perfide vorgehen, muss ich Sie darauf hinweisen: Ich halte es für perfide, den Menschen einzureden, dass diese Konzessionsrichtlinie an der bisherigen Rechtslage irgendetwas
ändert. Sie entspricht eins zu eins der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
({0})
Materiell verändert sich nichts. Es soll nur Rechtssicherheit geschaffen werden.
Liebe Frau Kollegin Haßelmann, wenn ich Sie noch
eine Sekunde um Ihr geschätztes Ohr bitten darf: Es ist
ja keineswegs so, dass nur Sie, Frau Kollegin
Haßelmann, und der Kollege Schwanholz solche Dinge
verbreiten. So etwas wird hier auf breiter Front erzählt.
Sie, liebe Frau Kollegin Haßelmann, sprechen von einer
Privatisierung durch die Hintertür.
({1})
Herr Schwanholz sagt, das laufe zwangsläufig auf eine
Privatisierung hinaus. Mit Verlaub, liebe Kollegen: Ich
halte dies für Unsinn, um es Ihnen ganz klar zu sagen.
Ich halte das für übertrieben.
Was die Mehrspartenunternehmen angeht, sollten Sie
mich einfach einmal ausreden lassen. Dann werde ich
dazu noch etwas sagen.
Herr Kollege Otto, es gibt den Wunsch nach einer
weiteren Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Lenkert.
Meine Güte ist heute unbegrenzt. Wir haben uns ja
schon in der Fragestunde in der letzten Woche darüber
unterhalten.
({0})
Ja, genau, Herr Staatssekretär Otto. Wir haben schon
letzte Woche geklärt, dass das Wirtschaftsministerium
dieser Richtlinie bei der EU-Kommission in dieser Form
zugestimmt hat.
Sie haben eben auf die Frage geantwortet, dass diese
Konzessionsrichtlinie nichts, aber auch gar nichts an der
Rechtslage ändert. Angenommen, Sie haben recht, dann
verschwenden Sie gerade die Arbeitszeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl in Brüssel als auch in
Berlin, weil sie an einer Richtlinie arbeiten würden, die
nichts verändert. Wenn dem aber nicht so ist, dann erzählen Sie hier die Unwahrheit. Deswegen frage ich Sie:
Setzen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in
Berlin und Brüssel an der Konzessionsrichtlinie arbeiten, dafür ein, an etwas zu arbeiten, das nichts verändert?
({0})
Lieber Herr Kollege, schade, dass Sie mir letzte Woche nicht zugehört haben; denn ich habe schon in der
letzten Woche versucht, Ihnen das zu erklären. Die
Dienstleistungskonzession ist bisher nicht gesetzlich geregelt; vielmehr ergibt sich die Vergabepflichtigkeit von
Dienstleistungskonzessionen aus der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat eine Kaskade
von Entscheidungen und Urteilen ausgelöst und hat daParl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
mit Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Wir wollen gerade
die Kommunen und die Unternehmen von dieser Rechtsunsicherheit entlasten.
({0})
Deswegen ist es notwendig, dass hier klare Verhältnisse
geschaffen werden.
Im Kern allerdings - das will ich betonen - ändert sich
an der Rechtslage nichts. Wir sind der Auffassung: Sobald
Private im Spiel sind - Frau Kollegin Haßelmann, wenn
Sie mir Ihr Ohr leihen -, darf es nicht zu einer freihändigen Vergabe unter der Hand oder unter dem Tisch kommen, weil das Korruption und Günstlingswirtschaft befördern würde.
({1})
Deswegen verstehe ich Ihr Geschrei in dieser Frage
nicht.
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich jetzt
gerne mit meiner Rede fortfahren.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
will noch einmal klarstellen: Nur dann, wenn ein privates Unternehmen mit einer Leistung betraut werden soll,
muss aus Gründen der Fairness ein transparentes und
diskriminierungsfreies Vergabeverfahren durchgeführt
werden. Das ist, wie ich eben schon sagte, auch ein geeignetes Mittel im Kampf gegen Günstlingswirtschaft
und Korruption, der uns doch allen am Herzen liegen
sollte.
Liebe Frau Kollegin Haßelmann, am Montag fand im
Wirtschaftsausschuss eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf Ihrer Fraktion statt. Thema war die Einführung
eines Korruptionsregisters speziell für öffentliche Vergaben. Wie, liebe Frau Kollegin Haßelmann, passt das zusammen mit dem Widerstand Ihrer Fraktion gegen
Transparenzregeln bei den Wasserkonzessionen? Ich
frage Sie: Ist denn beim Wasser Vetternwirtschaft wichtiger als Transparenz?
({2})
Bevor Sie hier schreien, sollten Sie auch wissen, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: In einem Vergabeverfahren darf nicht etwa nur allein der Preis über
den Zuschlag entscheiden. Selbstverständlich können
hohe Anforderungen an die Qualität der Leistung, die Investitionen in Netze oder Umweltaspekte maßgeblich
berücksichtigt werden. Seien Sie sicher: Niemand in
Deutschland muss künftig sein Wasser abkochen, weil
wir Transparenz einfordern.
Die Opposition beruft sich auf die Resolution der
UNO-Vollversammlung. Hätte sich die Opposition nur
mal die Mühe gemacht, die Resolution zu lesen, dann
wäre ihr aufgefallen: Ausschreibungen werden darin
nicht untersagt.
Was mitunter gern übersehen wird: Auch heute schon
werden Konzessionen nicht im rechtsfreien Raum vergeben. Zum Glück gibt es schon gewisse Vorgaben für
Transparenz und gegen Diskriminierung. Das, worüber
wir hier diskutieren, haben nicht wir uns ausgedacht,
sondern der Europäische Gerichtshof. Selbst wenn Sie
die Richtlinie ablehnen, haben Sie die gleiche Rechtslage, nur mit mehr Rechtsunsicherheit.
({3})
Wir wollen also Rechtssicherheit schaffen für die Kommunen, weil diese wissen sollen, wie ein Anbieter im
Einzelnen auszuwählen ist, sowie für die Unternehmen,
weil diese künftig Vergabeentscheidungen rechtlich einwandfrei überprüfen lassen können.
({4})
Sie können sicher sein: Wir haben uns in Brüssel dafür eingesetzt und werden das auch weiterhin tun, dass
die Kommunen auch künftig frei darüber entscheiden
können, wie sie ihre Wasserversorgung organisieren
wollen.
({5})
Im Gegensatz hierzu will die Europäische Bürgerinitiative das kommunale Selbstverwaltungsrecht beschränken. Die Bürgerinitiative will die Kommunen zwingen,
die Wasserversorgung zu verstaatlichen. Das habe ich
auch beim Herrn Kollegen Dr. Schwanholz herausgehört.
Natürlich müssen wir die bewährte Struktur der deutschen Wasserversorgung berücksichtigen. Das Nebeneinander von Unternehmen in kommunaler Trägerschaft
und privaten Betreibern liefert Topqualität zu stabilen
Preisen, wie der Kollege Lange bestätigt hat. Es gibt keinerlei Erkenntnisse dazu, dass die Qualität oder der Preis
von privaten Versorgern schlechter seien als die von öffentlichen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage,
diesmal von der Kollegin Bulling-Schröter?
Meine Güte heute ist unbegrenzt.
({0})
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, herzlichen Dank
erst einmal für Ihre Güte!
Ich habe gehört, Sie sind kulturell sehr interessiert.
Mich würde interessieren, ob Sie den Film Water Makes
Money kennen?
Mich würde weiter interessieren, wie Sie es einschätzen, dass die Klage eines großen Wasserkonzerns vor
Gericht abgelehnt wurde.
Dann wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
der Umweltausschuss - das ist vielleicht zehn, zwölf
Jahre her; ich weiß nicht, ob Sie das so verfolgt haben zum Thema Wasserprivatisierung in Großbritannien war.
Der Umweltausschuss hat seinerzeit festgestellt: Die
Wasserversorgung wurde privatisiert, der Wasserpreis
verdoppelte sich, die Belegschaften wurden halbiert. Das
Interessanteste war, dass die bürgerliche Gesellschaft in
Großbritannien eine Demonstration veranstaltet hat, weil
die Versorgungssicherheit so schlecht war, dass der tolle
Rasen in Großbritannien nicht mehr ohne Weiteres gesprengt werden konnte.
({0})
Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, bei allem kulturellen Interesse: Diesen Film habe ich nicht gesehen.
Ich habe stattdessen im Ministerium dafür gearbeitet,
dass wir diese Richtlinie möglichst gut für Deutschland
hinbekommen.
({0})
Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, es ist unbestreitbar, dass in Deutschland das Wasser in Topqualität
zu stabilen Preisen geliefert wird.
({1})
Da sind wir uns einig. Genauso unstreitig ist, dass es in
Deutschland auch private Wasserversorger gibt. Jetzt
verstehe ich nicht, wie Sie die beiden Dinge in einem
Atemzug nennen. Die Bundesregierung will die derzeitige Situation nicht verändern: Wir wollen weder einen
kommunalen Wasserversorger herauswerfen noch die
Wasserversorgung privatisieren. Wir wollen, dass die
derzeitige Situation in Deutschland rechtssicher und
rechtlich klar wird, und wir wollen verhindern, dass hier
Amigowirtschaft und Korruption herrschen.
({2})
Ich verstehe nicht, warum Sie an dieser Front eine so
große Schreierei machen. Niemand will die derzeitige
Rechtslage verändern;
({3})
wir wollen sie nur klarer machen.
Meine Damen und Herren, ich will zu dem kommen,
was der Kollege Lange auch schon angesprochen hat:
Wir begrüßen die Ankündigung der Europäischen Kommission, dass sie einen Vorschlag zum Wassersektor
vorlegen wird, der auf die - zugegebenermaßen besonderen - strukturellen Gegebenheiten in Deutschland eingeht. Das würde gerade die Mehrspartenstadtwerke in
Deutschland begünstigen. Auch für die vielen Zweckverbände in Deutschland und die sogenannten InhouseVergaben wollen wir eine praktikable, unbürokratische
Lösung finden; dafür setzen wir uns ein.
({4})
- Ach schreien Sie doch nicht, Frau Haßelmann; das ist
uncharmant, das gefällt niemandem.
({5})
Meine Damen und Herren, Sie sehen die Unterschiede: Die einen führen eine ideologische Kampagne
mit falschen Annahmen und Irreführungen. Die Bundesregierung verhandelt derweil in Brüssel intensiv zugunsten einer praktikablen Lösung zur Sicherung der
Topqualität der Wasserversorgung in Deutschland. Wir
sind an Transparenz und Rechtssicherheit interessiert.
Wir wollen keine Korruption und keine Amigowirtschaft. Ich frage mich wirklich: Was haben Sie eigentlich
dagegen? Steigen Sie doch endlich von den Bäumen herunter, und beenden Sie diese absurde Kampagne! Ziehen
Sie mit uns in Brüssel an einem Strang! Das wäre viel
sinnvoller, als hier herumzuschreien.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wissen
Sie, Herr Otto, statt mit Ihnen an einem Strang zu ziehen, ziehen wir lieber an einem Strang mit 1,2 Millionen
Menschen in Europa, die die Europäische Bürgerinitiative „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein
Menschenrecht! …“ unterzeichnet haben.
({0})
Darunter sind Vertreterinnen und Vertreter von CDU/
CSU, Linker, SPD, Grünen, der Verband kommunaler
Unternehmen und selbst der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Sie alle wollen diese Richtlinie nicht, erklären: Sie brauchen sie nicht.
Nur Herr Rösler und mit ihm Sie, Herr Otto, machen
das Gegenteil und sorgen in Brüssel für Zustimmung. Da
würde ich sagen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Stellen Sie sich hinter diese Bürgerinitiative!
Kollege Lange - er ist leider nicht mehr da - ist nicht
nur Parlamentarier - die CDU/CSU stellt, glaube ich, sogar die Regierung.
({1})
Die Frage ist schon: Wie geht es, dass Sie auf dem
CDU-Parteitag eindeutige Beschlüsse gegen die EUUlla Lötzer
Konzessionsrichtlinie fassen und gleichzeitig tatenlos
zusehen, wie Herr Rösler eine andere Politik macht?
({2})
Es geht hier nicht um Peanuts, und es geht auch nicht
einfach um die Klarstellung der Rechtsverhältnisse, Herr
Otto. Über die Festlegung des Geltungsbereichs für
europaweite Ausschreibungen erhöhen Sie den Zwang
zur Privatisierung der Wasserversorgung und der anderen Dienstleistungsbereiche. Das sei noch einmal ganz
klar gesagt, und das hat auch die CDU in ihrem Parteitagsbeschluss festgestellt.
Herr Lange, Sie erklären das hier für populistisch. Ist
Ihr Parteitagsbeschluss der CDU populistisch, nur weil
wir hier heute dasselbe sagen?
({3})
Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht; das haben Sie auch gesagt. Wasser muss zum Kernbereich der
Daseinsvorsorge werden.
Herr Otto, wir alle wissen - offenbar im Gegensatz zu
Ihnen -, was passiert, wenn die Wasserversorgung privatisiert wird: Die Qualität des Wassers wird schlechter,
die Preise werden höher, und Beschäftigte werden entlassen. Das ist ja auch kein Wunder: Ein privater Versorger will eben Gewinn damit machen, und Gewinngarantien werden oft vertraglich vereinbart. Es gibt das
Beispiel Großbritannien, es gibt das Beispiel Paris, aber
es gibt auch das Beispiel Berlin. So weit weg ist das also
gar nicht, als dass wir diese Erfahrung nicht gemacht
hätten. Deshalb wollen die Menschen diese Privatisierung zu Recht nicht.
Hier helfen auch keine Einschränkungen des Geltungsbereichs. Die Frage ist nicht, ob mehr oder weniger
Stadtwerke zur Privatisierung gedrängt werden. Es darf
überhaupt keine Privatisierung geben. Im Gegenteil:
Kommunen, die die Wasserversorgung bereits privatisiert haben, müssen dabei unterstützt werden, sie in
kommunale Hand zurückzuholen. Das Gegenteil ist bei
Ihnen der Fall.
({4})
Auf einen Punkt möchten wir noch hinweisen: Die
Herausnahme der Wasserversorgung aus dem Geltungsbereich der Richtlinie wäre zwar ein Fortschritt, würde
aber nicht ausreichen. Es gibt überhaupt keinen Bedarf
für die Richtlinie zur Liberalisierung von Dienstleistungskonzessionen, weil dieser Bereich über die europäische Rechtsprechung hinsichtlich Transparenz und
Diskriminierungsfreiheit bereits ausreichend geregelt ist.
Die Kollegen der SPD weisen in ihrem Antrag zu
Recht auch darauf hin, dass hier beispielsweise auch
Verträge der Kommunen mit Gesundheitsdiensten und
Krankenhäusern betroffen wären. Auch für sie wollen
wir keinen Zwang und keinen Druck zu europaweiten
Ausschreibungen und zur Privatisierung. Deshalb
braucht es ein Nein, wie Sie das auf Ihrem CDU-Parteitag auch festgelegt haben.
Kollege Lange, Sie können sich hier nicht hinter
Herrn Rösler oder hinter Brüssel und der EU verstecken.
Sie müssen heute in der Abstimmung Farbe bekennen,
ob Sie weiterhin ehrlich dagegen sind
({5})
oder ob Sie sich sozusagen nur hinter Herrn Rösler verstecken und die Position der CDU nicht ehrlich ist. Das
heißt, Sie müssen den Anträgen, die hier heute vorgelegt
werden, zustimmen, wie das die CDU im Landtag in
NRW bei ähnlichen Anträgen auch getan hat.
Folgen Sie diesem Beispiel! Dann wird ein Schuh daraus. Das ist dann ehrlich. Alles andere ist unehrlich und
verlogen.
Danke.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Manfred
Nink für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sicher kommen Ihnen folgende Worte bekannt
vor - ich zitiere -:
Dass SPD und Grüne heute einmal Anträge auf den
Tisch legen, die ich fast 1 : 1 unterschreiben könnte,
hat wirklich Seltenheitswert. Aber wo Rot-Grün in
der Sache ausnahmsweise einmal recht hat, da hat
sie eben mal recht.
Das ist ein Zitat aus der Protokollrede des von mir geschätzten Kollegen Dr. Nüßlein vom 1. März 2012 zur
Beratung über die EU-Konzessionsrichtlinie im Deutschen Bundestag.
Leider hat Ihre Fraktion, verehrter Herr Kollege
Lange, wider besseres Wissen ein Jahr lang nicht gehandelt. Überhaupt: Für einige Abgeordnete in diesem Haus
scheinen die Themen Wasserversorgung und EU-Konzessionsrichtlinie erst in den letzten Wochen wie aus heiterem Himmel gefallen zu sein. Verstärkt wurde das sicherlich durch eine immense mediale Öffentlichkeit. Sie,
insbesondere die Kollegen von CDU und CSU, haben
das verschlafen.
Deshalb möchte ich Sie in einer kurzen Chronologie
daran erinnern oder manche vielleicht das erste Mal darüber aufklären, wann Sie die Chance hatten, der Bundeskanzlerin und dem Wirtschaftsminister eine klare
Ansage für eine Ablehnung dieser Richtlinie auf europäischer Ebene zu machen. Das erste Mal beschäftigte
sich der Wirtschaftsausschuss am 18. Januar 2012 auf
der Grundlage eines entsprechenden Berichts des Minis27990
teriums intensiv mit der Richtlinie. Weitere Beratungen
folgten im Januar und im Februar.
Am 1. März war der Antrag der SPD auf eine Subsidiaritätsrüge auf der Tagesordnung des Plenums. Schon
damals forderten wir, die kommunale Daseinsvorsorge
zu schützen und die Richtlinie abzulehnen. Leider gingen die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt nur zu
Protokoll.
Am 29. März schließlich lehnte die Koalition unseren
Antrag in zweiter Lesung ab. Sie beschlossen stattdessen
einen eigenen Antrag. Dieser Entschließungsantrag beinhaltete eine wachsweiche Formulierung, die Bundesregierung solle in Brüssel die Belange der kommunalen
Wasserversorger berücksichtigen.
Dank des Kollegen Nüßlein wissen wir aber, dass die
Union, statt einen harten Kurs gegen die Richtlinie zu
fahren, vor der FDP aus Koalitionsräson eingeknickt ist.
Ich darf den Kollegen Nüßlein noch einmal aus dem
schon genannten Protokoll zitieren:
Spätestens bei meiner Initiative, im Rahmen eines
Entschließungsantrags der Koalition die Bundesregierung aufzufordern, bei ihren Verhandlungen
im Rat diese unsägliche Richtlinie gänzlich zu kippen oder wenigstens für den hochsensiblen Bereich
der Wasserversorgung eine Ausnahmereglung zu
schaffen, wie es seinerzeit in der EU-Dienstleistungsrichtlinie verankert worden war, bin ich auf
den Widerstand unseres Koalitionspartners gestoßen, der noch schnell Rücksprache mit dem
Bundeswirtschaftsministerium gehalten hatte. Die
FDP-Vertreter in der Bundestagsfraktion wurden
erwartungsgemäß zurückgepfiffen.
Ich danke dem Kollegen Dr. Nüßlein für seine offenen
Worte.
Was ist das Ergebnis? Die Bundesregierung hat die
Wasserwirtschaft bei den Verhandlungen im Ministerrat
nicht aus der Richtlinie ausgeklammert - nicht, weil sie
nicht konnte, nein, weil sie nicht wollte, obwohl von den
Koalitionsparteien hier im Deutschen Bundestag dies
mit dem Entschließungsantrag beschlossen wurde. So
viel zur Aufforderung an die Bundesregierung, Herr
Kollege Lange. Die nimmt nicht einmal ihre eigenen Beschlüsse wahr.
({0})
Sie ignorieren auch die derzeitige europaweite Petition - mittlerweile haben über 1 Million Menschen diese
Petition unterschrieben -, und Sie stellen sich heute hier
hin und tun so, als wären Sie mehrheitlich schon immer
gegen diese Richtlinie und gegen eine Privatisierung unserer kommunalen Wasserversorgung gewesen. Das ist
eine 180-Grad-Wende, und Sie schwindeln den Menschen etwas vor. Zahlreiche kommunale Vertretungen
bundesweit haben entsprechende Resolutionen beschlossen - fast immer mit den Stimmen der CDU.
Seien Sie sich gewiss, dass die kommunale Familie
ganz genau beobachtet, wer hier im Deutschen Bundestag die Entscheidungen gegen sie trifft! Springen Sie
über Ihren eigenen Schatten! Gehen Sie nicht schon wieder vor der FDP in die Knie! Verschaffen Sie stattdessen
Ihrem eigenen Parteitagsbeschluss Geltung! Zeigen Sie,
dass Sie die kommunale Familie nicht im Stich lassen!
Fordern Sie Bundeskanzlerin und Wirtschaftsminister
auf, den Kommissionsvorschlag in Brüssel abzulehnen!
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ab-
stimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/12394 mit dem Titel „Keine
Privatisierung der Wasserversorgung durch die Hinter-
tür“.
Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir namentlich über den Antrag ab. Es liegen
mir zahlreiche - wirklich zahlreiche - persönliche Erklä-
rungen zur Abstimmung vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich glaube, jetzt
sind alle vorgesehenen Plätze besetzt. Ich eröffne die
Abstimmung.
Die obligatorische Frage: Haben alle anwesenden
Mitglieder ihre Stimme abgegeben? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Wir kommen nun zur zweiten namentlichen Abstim-
mung, und zwar zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12482 zu dem
Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richt-
linie des Europäischen Parlaments und des Rates über
die Konzessionsvergabe mit dem Titel „Wasser ist Men-
schenrecht - Privatisierung verhindern“, hier: Stellung-
nahme des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23
Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 Abs. 4
EUZBBG.
Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung
verlangt. - Ich sehe, dass alle vorgesehenen Plätze an
den Urnen besetzt sind. Dann können wir mit der
Abstimmung beginnen. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abge-
geben? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das of-
fensichtlich so passiert. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der na-
mentlichen Abstimmung werden Ihnen später bekannt
gegeben.2)
Wir kommen zum Zusatzpunkt 7: Abstimmung
über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksa-
1) Anlagen 10 bis 15
2) Ergebnisse Seite 27993 C und 27995 D
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
che 17/12519 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe mit dem Titel „Kommunale Versorgungsunternehmen stärken - Formale Ausschreibungspflicht bei Dienstleistungskonzessionen insbesondere für
den Bereich Wasser ablehnen“, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 3 des
Grundgesetzes. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist,
wenn ich es richtig gesehen habe, angenommen. Die
CDU/CSU hat sich der Stimme enthalten, und die FDP
hat abgelehnt.
({0})
Ich glaube, wir sind uns hier vorne einig. Wir haben
geguckt. Die CDU/CSU hat nicht abgestimmt.
({1})
Das ist Enthaltung.
({2})
Es war auch klar erkennbar, dass hier die Kollegen
abgestimmt haben.
Herr Kollege, Sie können bestenfalls eine Wiederholung der Abstimmung beantragen.
Dann beantragen wir das.
Wir sind uns alle einig: Die Fraktion der CDU/CSU
hat nicht teilgenommen an der Abstimmung. Das ist wie
eine Enthaltung.
Kollege Fuchtel, Sie übersehe ich nie. Wahrscheinlich
stand der Kollege Kauder genau vor Ihnen.
({0})
- Das stimmt.
Ich beantrage die Wiederholung der Abstimmung.
Dann müssen wir das vollziehen.
Ich wiederhole die Abstimmung. Es geht um den Antrag der SPD. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen?
({0})
Enthaltungen? - Bei der zweiten Abstimmung war die
CDU/CSU-Fraktion beieinander. Der Antrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Tagesordnungspunkt 8 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung
radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II
- Drucksache 17/11822 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II
- Drucksache 17/12298 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksache 17/12537 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Angelika Brunkhorst
Sylvia Kotting-Uhl
Es liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Es gibt
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn
meiner Ausführungen ganz herzlich bedanken, zunächst
einmal bei den Mitgliedern der Asse-Begleitgruppe in
Wolfenbüttel, die unsere Arbeit in Berlin ganz aktiv
unterstützen und manchen Diskussionsbeitrag - notwendigerweise, kann man ja sagen - eingebracht haben.
Außerdem möchte ich mich bei den Berichterstatterinnen bedanken, insbesondere bei Maria Flachsbarth, bei
Angelika Brunkhorst, bei Ute Vogt, bei Sylvia KottingUhl, auch bei Dorothée Menzner, für die gute Zusammenarbeit in vielen, vielen Runden in den vergangenen
Monaten.
Ich möchte mich auch bedanken beim Land Niedersachsen, bei dem ehemaligen Umweltminister Stefan
Birkner und seiner Staatssekretärin Ulla Ihnen, die unsere Arbeit gut begleitet haben. Ich verbinde das natürlich mit den hoffnungsvollen Wünschen, dass der neue
Umweltminister in Niedersachsen, Stefan Wenzel, der
heute hier zugegen ist, unsere Arbeit genauso intensiv
unterstützt und begleitet, wie es bei Stefan Birkner der
Fall gewesen ist.
({0})
Weil alle gemeinsam daran gearbeitet haben, haben
wir es geschafft, den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle tatsächlich fertigzustellen. Das zeigt unseren Willen zur
Zusammenarbeit in einer so entscheidenden Frage wie
der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Mit diesem Gesetzentwurf wird inhaltlich die Grundlage geschaffen für ein
beschleunigtes, aber dennoch sicheres Vorgehen, weil
die Rückholung der radioaktiven Abfälle gefordert wird,
ohne dabei aber Abstriche beim Strahlenschutz für die
Bevölkerung und die Beschäftigten zuzulassen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie wissen, dass dieses Thema dem Bundesumweltministerium in dieser Legislaturperiode immer
ein außerordentlich wichtiges Anliegen gewesen ist.
Norbert Röttgen, der hier im Plenum ist, ist sehr früh in
der Asse gewesen. Peter Altmaier hat direkt zu Beginn
seiner Amtszeit einen Besuch in der Asse absolviert, um
deutlich zu machen, welchen Stellenwert dieses Thema
hat. Es ist eben nicht nur ein niedersächsisches Thema
- auch wenn ich hier viele Niedersachsen sehe -; die
Rückholung der Abfälle aus der Asse ist ein Thema, das
uns alle angeht. Ich freue mich, dass wir mit dem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf dem Ziel ein großes
Stück näher gekommen sind und hier mit großer Mehrheit unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.
Die Bundesregierung unternimmt alles, was verantwortbar ist, um die Abfälle aus der Schachtanlage
Asse II sicher zu bergen. Wir schaffen mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs Beschleunigungspotenziale, die von allen genutzt werden müssen. Wir müssen zügig handeln - das wissen alle, die sich mit dieser
Frage beschäftigt haben -, weil sich der gebirgsmechanische Zustand der Asse II stetig verschlechtert. Wir haben
Stabilitätsprobleme beim alten Grubengebäude. Wir haben eingeschränkte Betriebsmöglichkeiten unter Tage.
Der eine oder andere, der in letzter Zeit unten gewesen
ist, hat gesehen, dass die Wendelstrecke, die eine Zeit
lang nicht benutzt werden konnte, erst seit kurzem wieder zugänglich ist. Außerdem haben wir es mit der Gefahr eines unbeherrschbaren Laugenzutritts zu tun; auch
das ist ein Thema, das uns noch intensiv beschäftigen
wird. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen,
was wir mit den Laugen in der Asse machen werden. Das alles hat uns auch die Expertenanhörung im Umweltausschuss in der vergangenen Woche aufgezeigt.
Damit einher ging die klare Botschaft an uns - darin waren sich die Experten sehr einig -, dass die Arbeiten zur
Rückholung der Abfälle aus der Asse beschleunigt werden müssen.
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Eckpunkten
dieses Gesetzentwurfs sagen, mit denen wir die Grundlage schaffen, um das Verfahren zu beschleunigen.
Der erste wichtige Punkt - er ist auch in der Region
entscheidend, wie meine Kolleginnen und ich immer
wieder betont haben - ist, dass wir im Gesetzentwurf die
Rückholung der radioaktiven Abfälle zum Ziel machen.
Die Rückholung steht als klare Nummer-eins-Option im
Gesetzentwurf. Die entscheidende Botschaft, die wir als
Politikerinnen und Politiker senden müssen, um allen
betroffenen Institutionen Rückhalt zu geben, ist: Wir
wollen, dass die Abfälle herausgeholt werden.
({1})
Der zweite Punkt. Die Rückholung darf nur noch - das
ist mindestens genauso wichtig - in gesetzlich festgeschriebenen Fällen abgebrochen werden, also insbesondere dann, wenn die nach der Strahlenschutzverordnung
vorgeschriebene Dosisbegrenzung nicht eingehalten werden kann oder wenn die bergtechnische Sicherheit nicht
mehr gewährleistet ist. Aber auch dann kann man die
Rückholung nur unter Einhaltung strengster Kriterien abbrechen. Auch das war wichtig, um der Bevölkerung
klarzumachen, dass damit nicht leichtfertig umgegangen
wird, sondern dass es, ganz im Gegenteil, ein kompliziertes, aufwendiges Verfahren ist, einen solchen Prozess
abzubrechen. Wie gesagt: Die Nummer-eins-Option ist
die Rückholung.
Im Gesetzentwurf wird ebenfalls festgelegt - auch
das ist ganz wichtig -, dass wir weiter auf Beteiligungsund Mitspracherechte der Öffentlichkeit setzen, dass es
hier nicht zu Beschneidungen kommt. Immer wieder war
in der Diskussion, ob wir beispielsweise etwas von der
UVP-Pflicht abgehen, um das Verfahren zu beschleunigen.
Das hätte aber bedeutet, dass die Öffentlichkeit nicht
mehr so stark eingebunden wäre, wie wir uns das wünschen. Nach der Expertenanhörung in der vergangenen
Woche haben wir aber die Verpflichtung zu einer noch
umfassenderen Unterrichtung der Öffentlichkeit, zu einem Mehr an Transparenz aufgenommen; es muss entsprechend mehr berichtet und veröffentlicht werden, als
das bisher der Fall ist. Das ist ein Punkt, auf den wir, die
Berichterstatterinnen und das Bundesumweltministerium, uns verständigt haben. Das gehört unbedingt mit
hinein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Elemente - Sie
werden gleich darüber berichten, was Ihnen ganz besonders am Herzen liegt - sind entscheidend, um die Rückholung zu beschleunigen, aber immer unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus. Das ist genauso
entscheidend. Es ist entscheidend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Asse unter Tage arbeiten
und die Voraussetzungen für die Rückholung liefern. Es
ist aber genauso wichtig für die Bevölkerung vor Ort, die
schon seit vielen, vielen Jahren unter den Belastungen
der Asse leidet.
Mit diesem Gesetzentwurf haben wir einen guten
Schritt nach vorn getan. Nochmals herzlichen Dank an
alle! Ute Vogt, unsere einzige Juristin, hat uns entsprechend begleitet. Das Gesetz ist die Voraussetzung; es
wird allen Dimensionen gerecht. Jetzt geht es darum, es
mit Leben zu erfüllen. Das heißt, alle Beteiligten sind
aufgerufen, die technischen und die baulichen Umsetzungen vorzunehmen. Ich bin guten Mutes, dass mit einem klaren Signal aus Berlin noch schneller, besser und
unverzüglicher - um dieses Wort aufzunehmen - in der
Asse gearbeitet werden kann.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen
zwischendurch die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt geben.
Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Keine Privatisierung der Wasserversorgung durch
die Hintertür“ auf Drucksache 17/12394: abgegebene
Stimmen 548. Mit Ja haben gestimmt 249, mit Nein haben gestimmt 291, Enthaltungen 8. Der Antrag ist damit
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 548;
davon
ja: 249
nein: 291
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
CDU/CSU
Alois Karl
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({2})
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({6})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({7})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({8})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({9})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({10})
Ulla Schmidt ({11})
Carsten Schneider ({12})
Swen Schulz ({13})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
({14})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Paul Schäfer ({15})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({16})
Volker Beck ({17})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({18})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({19})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({20})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Dr. Hermann E. Ott
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({21})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
fraktionsloser
Abgeordnter
Wolfgang Nešković
Nein
CDU/CSU
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({22})
Manfred Behrens ({23})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({24})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({25})
Axel E. Fischer ({26})
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({27})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({28})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({29})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({30})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Dr. Michael Meister
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({31})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({32})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({33})
Anita Schäfer ({34})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({35})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({36})
Dr. Kristina Schröder
({37})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({38})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({39})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Volkmar Vogel ({40})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({41})
Peter Weiß ({42})
Sabine Weiss ({43})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({44})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({45})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({46})
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({47})
Michael Link ({48})
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
({49})
Cornelia Pieper
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({50})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
Enthalten
CDU/CSU
Herbert Frankenhauser
Bartholomäus Kalb
Stephan Mayer ({52})
Marlene Mortler
FDP
Horst Meierhofer
Sodann das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke zum Vorschlag
der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe mit dem Titel „Wasser ist Menschenrecht - Privatisierung verhindern“ auf Drucksache
17/12482: abgegebene Stimmen 545. Mit Ja haben gestimmt 122, mit Nein haben gestimmt 299. Enthalten haben sich 124. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 545;
davon
ja: 122
nein: 299
enthalten: 124
Ja
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Niema Movassat
Thomas Nord
Jens Petermann
Paul Schäfer ({53})
Michael Schlecht
Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({54})
Volker Beck ({55})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({56})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Susanne Kieckbusch
Sven-Christian Kindler
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({58})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Dr. Hermann Ott
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({59})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
fraktionsloser
Abgeordneter
Wolfgang Nešković
Nein
CDU/CSU
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({60})
Manfred Behrens ({61})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({62})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({63})
Axel E. Fischer ({64})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({65})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({66})
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({67})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({68})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({69})
Dr. Michael Meister
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({70})
Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({71})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({72})
Anita Schäfer ({73})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({74})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({75})
Dr. Kristina Schröder
({76})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({77})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({78})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({79})
Stefanie Vogelsang
Dr. Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({80})
Peter Weiß ({81})
Sabine Weiss ({82})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Bernhard Brinkmann
({83})
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({84})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Hans-Werner Ehrenberg
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({85})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Dr. Lutz Knopek
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Patrick Kurth ({86})
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({87})
Michael Link ({88})
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
({89})
Cornelia Pieper
Dr. Christiane RatjenDamerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Hagen Reinhold
Dr. Peter Röhlinger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Johannes Vogel
({90})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({91})
Enthalten
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Lothar Binding ({92})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Martin Dörmann
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({93})
Gabriele Groneberg
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({94})
Hubertus Heil ({95})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({96})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({97})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({98})
Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({99})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({100})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({101})
Ulla Schmidt ({102})
Carsten Schneider ({103})
Swen Schulz ({104})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
({105})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Brigitte Zypries
FDP
Horst Meierhofer
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jetzt fahren wir in der Debatte zum Thema „Schachtanlage Asse II“ fort. Ich erteile der Kollegin Ute Vogt für
die SPD-Fraktion das Wort.
({106})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ja, so schön und harmonisch kann es sein,
wenn wir uns einer Aufgabe stellen, die uns vermutlich
über Legislaturperioden hinweg begleiten wird, und
wenn alle Fraktionen des Hauses zu der Einsicht kommen, dass es überhaupt nicht anders geht, als sich an einen Tisch zu setzen und konstruktiv zusammenzuarbeiten, um das Schlimmste zu verhindern, nämlich dass die
strahlenden Abfälle in der Asse verbleiben und möglicherweise dort versickern. Es ist also gut, dass wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden.
Nachdem die Frau Staatssekretärin Heinen-Esser uns
allen so gedankt hat, möchte ich den Dank vonseiten der
Opposition ausdrücklich an das Bundesumweltministerium zurückgeben, vor allem aber an Sie, Frau HeinenEsser. Sie haben einen ganz entscheidenden Beitrag dazu
geleistet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Hauses sehr positiv mitgewirkt haben und es auch zu einer Beteiligung der Menschen vor Ort kommen konnte.
({0})
Einen Wermutstropfen gibt es am Ende doch, nämlich
die bedauerliche Tatsache, dass die Linke als eine Fraktion, die den Entwurf von Anfang an mit uns diskutiert
und vorbereitet hat, nun nicht als antragstellende Fraktion auf dem Antrag erscheint. Ich muss sagen: Es ist
sehr schade, dass die Ideologie der CDU/CSU-Fraktion
an dieser Stelle wieder Überhand gewonnen hat; es hatte
nichts mit dem zu tun, was wir als Berichterstatterinnen
gemeinsam erarbeitet haben. Ich muss ehrlich sagen: Es
ist nicht sehr sinnvoll, solche ideologischen Barrieren
bei Themen aufzubauen, die - vollkommen egal, wer in
den nächsten Jahren oder Jahrzehnten regiert - von allen
angepackt werden müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass
da insbesondere der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU
über seinen Schatten gesprungen wäre.
({1})
Gut war, dass die Bürgerinnen und Bürger einbezogen
waren. Es kann als Beispiel für weitere Gesetzesvorhaben dienen, dass die Asse-Begleitgruppe nicht erst hinterher, als alles feststand, sondern von Anfang an in die
Beratungen einbezogen war. Sie konnte jeden Schritt,
jede Änderung am Gesetzentwurf mit erarbeiten. Auch
der Rechtsanwalt der Asse-Begleitgruppe, Herr Gaßner,
hat uns sehr geholfen, indem er unsere Beratungen begleitet hat. Das ist ein gutes Beispiel, das wir bei anderen
Gesetzesvorhaben durchaus aufnehmen sollten.
Doch bei aller Freude müssen wir auch offen und ehrlich sagen: Bis zur Rückholung der Abfälle kann es auch
aus technischen Gründen noch viele Jahre dauern. Es
kann noch mehr als zehn Jahre dauern, bis wir die Abfälle nicht nur erfolgreich geborgen, sondern auch neu
verpackt und an anderer Stelle eingelagert haben. Das
heißt, es ist ein sehr langer Prozess, der erfordert, dass
der Bundestag - wir hier und diejenigen, die nach uns
kommen - diesen Prozess weiter begleitet. Man darf
auch nicht verschweigen, dass dieser Prozess die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler viel, viel Geld kostet. Die
Schätzungen gehen im Moment von 4 bis 6 Milliarden
Euro aus; man kann es noch nicht genau sagen, weil wir
nicht wissen, was technisch im Einzelnen erforderlich
sein wird.
Wir kennen die Bilder aus der Asse, auf denen wir
verschüttete Fässer sehen. Es gibt auch schöne Bilder,
auf denen Schulklassen zu sehen sind, die durch das
Asse-Bergwerk geführt werden, oder von Bürgerinnen
und Bürgern, die eingeladen wurden, das Bergwerk am
Tag der offenen Tür zu besichtigen. Diese Bilder sind
erst wenige Jahre alt. Dies ist ein mahnendes Beispiel
dafür, wie schnell es passieren kann, dass die Gefahren
radioaktiver Strahlung unterschätzt oder auch verdrängt
werden.
In diesem Sinne war es richtig und überfällig, dass der
damalige Umweltminister Sigmar Gabriel im Jahr 2009
die Asse zum einen dem Atomrecht unterstellt und damit
die Schutzanforderungen erhöht hat und zum anderen
dafür gesorgt hat, dass nicht länger eine private Betreibergesellschaft, nämlich das Helmholtz-Zentrum München, die Asse betreibt, sondern 2009 das Bundesamt für
Strahlenschutz die Federführung bei der Asse übernommen hat. Das war ein notwendiger Schritt, der es uns ermöglicht, das Gesetz weiterzuentwickeln. Dies ist ein
weiteres Beispiel dafür - das schließt ganz gut an unsere
gerade geführte Debatte zum Thema Wasserwirtschaft
an -, dass die privaten Betreiber nicht immer Segen bringen und es oft die öffentliche Hand ist, die dann das Unheil, das die privaten Betreiber angerichtet haben, mit
viel Geld beheben muss.
({2})
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir Rückendeckung geben - den Behörden, die die Genehmigungen zu erteilen haben und das Verfahren begleiten, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
vor Ort, die alle ganz ohne Zweifel wissen sollen: Die
Rückholung ist unser wichtigstes Ziel. Sie muss, wenn
es irgend geht, erfolgen, und zwar schnellstmöglich.
Dies ist ein guter Gesetzentwurf; aber er bedarf einer
Begleitung über die Verabschiedung hinaus. Ich denke,
dass wir dadurch, dass wir uns in diesem Haus so einig
sind, gewährleisten können, dass in der nächsten und
übernächsten Legislaturperiode noch Kolleginnen und
Kollegen da sind, die die Ausführung dieses Gesetzes
kontrollieren, die schauen, ob ein Nachsteuern notwendig ist, und dafür sorgen, dass die Rückholung weiter die
Priorität hat, die wir ihr mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf einräumen.
({3})
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der
Rückholung der Abfälle aus der Asse beheben wir die
Fehler der Vergangenheit. Ich glaube, es ist wichtig
- auch für die Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zuhören -, deutlich zu machen, worum es geht. Wir haben
ein Forschungsbergwerk, das nach heutigen Erkenntnissen nicht geeignet war, um die Abfälle dort einzulagern.
Die Abfälle sind zum Teil chaotisch eingelagert worden.
Wir wissen auch nicht genau, ob alle dokumentiert sind.
Dieses Thema geht nicht nur die Menschen vor Ort
an. Es ist vielmehr eine nationale Aufgabe, vor der wir
stehen; denn der ehemalige private Betreiber, über den
gerade gesprochen wurde, ist die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands.
({0})
Das Unheil, wie Frau Vogt es zu Recht genannt hat, hatte
eine staatliche Aufsicht. Deshalb sind hier alle Fraktionen - die Linke einmal ausgenommen, weil sie damals
nur in der DDR Verantwortung getragen hat - in der Verantwortung.
({1})
- Ja, wir können über die Fehler der SED in Morsleben
und anderen Fällen sprechen; ich glaube aber, das sollten
wir jetzt nicht tun. - Die Forschungs- bzw. Umweltminister, die in den letzten 30 oder 40 Jahren Verantwortung getragen haben, sind natürlich von allen Parteien
gestellt worden. Deshalb tragen wir gemeinsam Verantwortung, und deshalb ist es richtig, dass wir einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Lösung der Probleme der Vergangenheit vorgelegt haben.
Die Rückholung ist das klare Ziel dieses Gesetzentwurfs. Wir haben die Mittel im Bundeshaushalt schon in
diesem Jahr von 100 Millionen auf 142 Millionen Euro
erhöht. Frau Vogt hat zu Recht gesagt, welche Ausgaben
noch auf uns zukommen werden. Das ist aber unabwendbar, wenn wir an dieser Stelle wieder einen guten
Umweltzustand herbeiführen wollen.
Wir beschleunigen mit diesem Gesetzentwurf die
atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, um die Maßnahmen in der Asse schneller voranzubringen. Die fraktionsübergreifende Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes
ist wirklich ein Beispiel für gute Arbeit in diesem Parlament. In diesem Zusammenhang danke ich ausdrücklich
allen Berichterstatterinnen - es waren allesamt Frauen,
die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben -: Sie haben super Arbeit geleistet. - An dieser Stelle geht mein
Dank auch an die erkrankte Berichterstatterin unserer
Fraktion, Angelika Brunkhorst. Ich freue mich, dass Sie
das gemeinsam so gut geschafft haben.
({2})
Abschließend möchte ich allerdings noch betonen,
dass natürlich die Rückholung Priorität hat, dass wir
aber auch nicht die Verantwortung gegenüber den Beschäftigten vergessen dürfen. Auch sie dürfen wir keinen
Risiken aussetzen. Deshalb gehört es zu unserer Verantwortung, auch Grenzen der Rückholoption aufzuzeigen,
nämlich dann, wenn die Beschäftigten nicht mehr sicher
in dieses Bergwerk einfahren können. Wir hoffen alle,
dass wir es schneller schaffen, als dass dieser Fall eintritt. Ausschließen kann man das nicht. Das gehört auch
zur Wahrheit bei der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ein Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung der radioaktiven Abfälle
aus der Asse ist parteiübergreifend und vor allem von
den Menschen vor Ort ausdrücklich gewollt, geht es
doch schlicht darum, ob es eine Chance gibt, den strahlenden Müll noch herauszubekommen und durch Verfahrensbeschleunigung dafür auch die notwendige Zeit zu
haben, oder ob uns diese Chance nicht bleibt, weil alles
zu lange dauert; denn der Berg und der Stollen sind
morsch, Wasser tritt ein, das Grubengebäude ist brüchig,
und keiner von uns weiß, wann es zu einer nicht mehr
beherrschbaren Situation kommt.
Man kann es nicht oft genug betonen: Es handelt sich
um 126 000 Fässer atomaren Mülls, und das Bergwerk
droht einzustürzen. Ein Langzeitsicherheitsnachweis für
den Verbleib des Mülls im Berg liegt nicht vor. Laut
Aussagen aus Kreisen des Bundesamtes für Strahlenschutz ist er wohl auch künftig nicht zu erbringen.
Demnach ist die Rückholung die einzige Option, den
rechtswidrigen und gefährlichen Zustand in der Asse zu
beenden.
({0})
Die Frage ist, ob der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
wirklich alles an Möglichkeiten ausschöpft oder ob es
Hintertüren gibt, die es Gegnern der Rückholung ermöglichen, zu verschleppen, zu verzögern oder gar - das ist
die große Befürchtung der Bevölkerung in der Region die Stollen legal vorzeitig zu fluten. Um diesen Befürchtungen zu begegnen und Vertrauen aufzubauen oder neu
zu begründen, wäre eine deutlichere und konkretere Formulierung wünschenswert und möglich gewesen. Eine
ausdrückliche Klarstellung, dass eine Stilllegung erst
nach Rückholung der Abfälle erfolgen kann, wäre mög28000
lich gewesen. Wir haben dazu einen Vorschlag unterbreitet.
Zurück zu den Hintertüren. Mehrere dieser Hintertüren sind infolge der Expertenanhörung und auch aufgrund von Interventionen von Bürgerinnen und Bürgern
und des Asse-Koordinationskreises in den letzten Tagen
und Wochen noch geschlossen worden. Ich will ausdrücklich sagen: Das war wichtig und sehr gut. Aber
zwei Probleme bleiben.
Erstens. Uns fehlt die deutliche Feststellung des Klagerechtes für den Fall, dass eines Tages über den Abbruch entschieden werden muss. Wir meinen, das wäre
zentral gewesen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in
einer solchen Situation die Möglichkeit der Klage haben.
Das ist eine wichtige Form der öffentlichen Beteiligung.
Leider fehlt das.
Zweitens. Noch zentraler ist die Rechtfertigungspflicht. Es geht um die Frage, ob die Rückholung der
strahlenden Abfälle weiter rechtfertigungsbedürftig gemäß Strahlenschutzverordnung ist oder nicht. Die Linke
ist der Auffassung, dass die Bergung der Abfälle Teil des
Betriebs und der Stilllegung der Asse ist
({1})
und damit keinesfalls rechtfertigungsbedürftig. Der
Rechtfertigungspflicht ist nach unserer Auffassung bereits Genüge getan. Leider ist das an keiner Stelle festgeschrieben. Vielmehr wurde in dieser Woche in der
letzten Runde eine entsprechende Passage aus der Begründung des Änderungsantrages der vier Fraktionen gestrichen. Wir finden, das ist kontraproduktiv; denn das
bietet in Zukunft - und wir werden noch sehr viele Jahre
damit zu tun haben - den Gegnern der Rückholung zu
jeder Zeit die Möglichkeit - ich unterstelle das keinem
der heute hier Agierenden -, eine Rechtfertigungsprüfung
der Rückholung zu starten, in der dann wirtschaftliche
Kriterien gegenüber Kriterien des langzeitsicherheitlichen
Strahlenschutzes abgewogen werden. Das bedeutet: Es
gibt ein großes Einfallstor für die gesamte Dauer des
Prozesses. Das kann im schlimmsten Fall zu einem vorzeitigen Abbruch führen, und zwar rein aus Kostengründen.
({2})
Sicherheit und Schadensbegrenzung nach Kassenlage - auch für nachfolgende Generationen - ist mit der
Linken nicht zu machen.
({3})
Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem Änderungsantrag 17({4})702 zu! Andernfalls kann die Fraktion der
Linken der vorliegenden Version der Lex Asse nicht zustimmen. Seien Sie aber versichert: So, wie wir in den
letzten acht, neun Monaten konstruktiv an dem vorliegenden Text mitgearbeitet, wie wir uns reingehängt haben, werden wir uns auch in den kommenden Jahren und
Jahrzehnten einsetzen, in denen uns alle und vor allem
die Menschen in der Region dieses Thema notgedrungen
begleiten und belasten wird.
Ich danke Ihnen.
({5})
Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich will mit einem Dank starten und aus der
Gruppe derer, die an diesem Gesetzentwurf gearbeitet
haben, zwei Frauen herausgreifen.
Frau Flachsbarth, wir beide wissen besonders gut, wie
wüst und hässlich sich gerade unsere Fraktionen zerstreiten können, wenn es um Atommüll geht. Ich möchte
Ihnen ausdrücklich danken, dass die Diskussionen im
Ausschuss nicht nur pfleglich, sondern auch in einer unglaublich konstruktiven Weise vonstatten gingen. Herzlichen Dank, Frau Flachsbarth!
({0})
Die Zweite, der ich herausgehoben danken möchte,
ist Dorothée Menzner. Es war relativ bald klar, dass die
Linke im Rubrum des Gesetzentwurfes nicht erscheinen
würde. Nichtsdestotrotz hat Dorothée Menzner am Gesetzentwurf weiter mitgearbeitet, ihn mit erarbeitet und
damit auch die Verantwortung dafür übernommen, dass
am Ende ein gutes, tragfähiges Gesetz entsteht. Auch dafür unter dieser Bedingung herzlichen Dank, Dorothée
Menzner!
({1})
Ich möchte auch die Chance ergreifen, den neuen
Umweltminister von Niedersachsen, Stefan Wenzel, hier
zu begrüßen. Ich erlaube mir das einfach mal. Er ist eine
der Personen, die nachher mit der Umsetzung unseres
Gesetzes massiv zu tun haben werden. Ich glaube, er ist
prädestiniert dafür; denn es gibt kaum einen Zweiten,
der die Asse so gut wie er aus dieser intensiven Arbeit
kennt, die er im Untersuchungsausschuss zur Asse in
Niedersachsen geleistet hat.
({2})
Herzlichen Glückwunsch zu deinem Amt und gute Nerven und viel Geduld für die Umsetzung dieses Gesetzes!
({3})
Nun bin ich mit meiner Freude ein Stück weit am
Ende. Ich finde es, wie Ute Vogt schon gesagt hat,
extrem bedauerlich, um es freundlich auszudrücken,
dass die CDU/CSU nicht akzeptiert hat - ihre alten parlamentarischen Reflexe kamen trotz dieser guten Arbeit
an diesem Gesetzentwurf wieder hoch -, die Linke in
das Rubrum des Gesetzentwurfs, ja nicht einmal in das
des gemeinsamen Änderungsantrags aufzunehmen. Ich
muss schon sagen: Dass die Fraktionsführung bei einem
so wichtigen Gesetz, das für lange Zeit halten muss und
das wirklich das Vertrauen sehr vieler Menschen
braucht, um zu funktionieren, den Bruch der Geschlossenheit des gesamten Parlaments verantwortet, ist extrem bedauerlich.
Das Gesetz hat drei Aufgaben - um es kurz zu machen -: die Beschleunigung des Verfahrens für die Rückholung, Rechtssicherheit für die beteiligten Behörden
und Vertrauensaufbau in der Bevölkerung. An Letzterem
werden wir alle, die daran beteiligt sind, und manche andere noch lange arbeiten müssen; denn selbstverständlich ist vor Ort ein großes Maß an Misstrauen vorhanden. Das ist auch weiß Gott kein Wunder bei diesem in
der Geschichte größten Umweltskandal, den wir in der
Bundesrepublik zu verantworten haben. Die organisierte
Verantwortungslosigkeit von Wissenschaft und Politik,
die in den 70er-Jahren dazu geführt hat, dass wir heute
diese Katastrophe in der Asse haben, mündet jetzt jedoch in eine gemeinsame politische Verantwortungsübernahme.
Wir haben nach der Anhörung zur Lex Asse Änderungen vorgenommen. Diese sind auf Initiative des Koordinationskreises, dem ich hier ebenfalls danken möchte,
entstanden. Wir haben uns vor allem davon verabschiedet, die Grundsätze des Strahlenschutzes als mögliche
Abbruchkriterien zu benennen. Benannt wird als beispielhaftes Kriterium jetzt nur noch die Dosisbegrenzung. Was wir damit in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck bringen wollen, ist ausdrücklich, dass sowohl die
Rechtfertigung der Rückholung als auch das Minimierungsgebot, das in diesem Fall natürlich die Kollektivdosis bedeuten würde, keine Abbruchkriterien sein werden.
Dorothée Menzner hat selbstverständlich recht: Der Satz
in der Begründung, der das ganz eindeutig klargestellt
hat, fehlt. Ich glaube trotzdem, dass das Gesetz selbsterklärend ist, sicherlich ein Stück weit interpretierbar
wie fast jedes Gesetz; das kennen wir aus jeder Geschichte von Gesetzen.
Wir wollen zum Ausdruck bringen und haben uns darauf verpflichtet, dass die Rechtfertigung der Rückholung mit dem Ziel der Rückholung als Vorzugsoption
nicht vereinbar ist. Das bringt dieses Gesetz zum Ausdruck.
Vor Ort bestehen natürlich trotzdem Zweifel: Ist das
wasserdicht? Gibt es eine Garantie? - Besorgte Bürgerinnen und Bürger haben uns angeschrieben, auch gestern noch einmal. Ich muss ihnen sagen: Ja, Bürgerinnen
und Bürger, ihr seid zu Recht besorgt. Bleibt wachsam,
passt auf! - Aber ich muss auch sagen: Nein, weder der
Bundestag noch irgendein Gesetz kann die Rückholung
garantieren. Dass sie gelingt, kann niemand versprechen.
Wir können nur versprechen, dass wir alles tun, damit
sie gelingt. Das versprechen wir, und das verspricht auch
dieses Gesetz - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
({4})
Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kotting-Uhl! Liebe
Mitberichterstatterinnen! Liebe Frau Heinen-Esser, herzlichen Dank für das große Lob, das mir natürlich sehr
gutgetan hat. In einem solchen Prozess eine gute Rolle
zu spielen, ist nur möglich, wenn auf der anderen Seite
die Bereitschaft zur Kooperation vorhanden ist. Sie war
vorhanden, und dafür mein ganz herzliches Dankeschön.
Wir haben alle miteinander gemerkt und gelernt, dass
sich Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Industrie bei
den Vorgängen rund um die Asse tatsächlich nicht mit
Ruhm bekleckert haben. Aus dieser Erkenntnis heraus
ist die gemeinsame Überzeugung gewachsen, dass wir
das Ganze aus dem politischen Streit herausholen müssen und wirklich in der Sache und an der Lösung des
Problems arbeiten müssen. Wir haben das hier im
Deutschen Bundestag getan. Beim Niedersächsischen
Landtag verhält sich das genauso. Auch dort gibt es einen einstimmigen Beschluss, in dem man sich für die
Rückholung ausspricht. Die neue niedersächsische Landesregierung unterstützt das weiterhin, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin; denn zügiges Handeln ist angesagt. Das haben schon viele Rednerinnen vor mir gesagt.
Vorher war geplant - das wissen wir alle -, die Grube
unter Belassung des Atommülls zu verfüllen und zu fluten. Das hat zu massiven Bürgerprotesten geführt, bis
2009, nach einem Optionenvergleich durch das Bundesamt für Strahlenschutz ganz, ganz klar war: Ein Langzeitsicherheitsnachweis ist nicht zu führen, wenn der
Müll in der Grube verbleibt. Das heißt also: Rückholung
ist Vorzugsoption. Genau das wollen wir jetzt mit unserem Gesetzentwurf, der die Novellierung des § 57 b des
Atomgesetzes zum Ziel hat, gesetzlich festschreiben.
Dabei ist es uns ganz wichtig, dass diese Option, die Beschleunigung der Rückholung, ohne Senkung von Sicherungsstandards in Bezug auf die Bergleute, die Anwohner und Anwohnerinnen oder die Umwelt vonstatten
geht. Es ist an uns, deutlich zu zeigen, dass das Parlament, dass die Politik Verantwortung übernimmt. Es ist
an uns, den Beamtinnen und Beamten, die das Ganze
entscheiden müssen, die das administrieren müssen, die
letztendlich die Vorgaben machen müssen, die Gewissheit zu geben: „Ihr handelt im Sinne dessen, was der
Deutsche Bundestag und der Niedersächsische Landtag
wollen“, und damit eine größere Sicherheit in den Prozess zu bringen und alleine dadurch auch eine Beschleunigung.
Wir wollen aber auch weitere verfahrensrechtliche
Beschleunigungen auf den Weg bringen: Einführung von
Genehmigungen mit Konzentrationswirkung, Zulässigkeit von Teilgenehmigungen, Parallelisierung von Verfahren - das ist ganz wichtig insbesondere mit Blick auf
den Schacht 5, den es unbedingt geben muss; denn ohne
diesen Schacht wird es keine Rückholung geben - und
nicht zuletzt Vereinfachung von Vergabevorschriften.
Diesbezüglich hat sich insbesondere die Linke eingebracht.
Uns war es auch wichtig, behördliche Ausnahmen
von den Strahlenschutzvorschriften im Rahmen dessen,
was schon jetzt gesetzlich möglich ist, zu ermöglichen.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat uns in der Anhörung in der letzten Woche gesagt, dass insbesondere das
ein wichtiger Schritt ist für die Vorbereitung einer zügigen Rückholung.
Soweit irgend möglich wollen wir versuchen - dem
dient auch dieses Gesetz -, verlorengegangenes
Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb legen wir großen
Wert auf Transparenz. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der unter Bezugnahme auf das
Umweltinformationsgesetz ganz klar vorsieht, dass alle
wesentlichen zwischenbehördlichen Unterlagen zu veröffentlichen sind, insbesondere Weisungen, Empfehlungen und Verwaltungsvorschriften.
Die Zeit drängt. Das wissen wir. Die Situation vor Ort
ist insbesondere wegen der unsicheren Standfestigkeit
des Grubengebäudes und der Gefahr des unkontrollierten Zutritts von Laugen gefährdet. Und das Verfahren
dauert. Auch das wissen wir. Die sogenannte Faktenerhebung, die im Moment im Gange ist, hat sich stark
verzögert, weil sich das Anbohren einer Kammer - man
muss ja wissen, was darin ist - als fast unmöglich erwiesen hat. Man hat nämlich gar kein Lumen gefunden.
Offensichtlich ist diese Kammer zusammengesintert. In
diesem Rückholungsverfahren sind insofern gewaltige
technische Probleme verborgen.
Zugleich ist der Zustand des Bergwerks problematisch; das ist schon gesagt worden. Zumindest ist die
Wendel, die man braucht, um in diesem Bergwerk wie in
einer Spirale hoch- und runterfahren zu können, wieder
in einem betriebsfähigen Zustand. Aber wir haben große
Probleme. Diese sind nicht unter den Tisch zu kehren.
Ständiger Diskussionspunkt in unseren Berichterstatterrunden - das zog sich bis in die letzte Runde am vergangenen Montag - war die Frage: Wie vertragen sich
eigentlich Rückholung und Stabilisierung des Bergwerks
bzw. notwendige Vorsorge für den Notfall? Die Anhörung hat diesbezüglich noch einmal eindeutig ergeben:
Die Stabilisierung, der Erhalt der Gebrauchstüchtigkeit,
ermöglicht erst die Rückholung.
Ich verstehe doch die Sorgen der Bürgerinitiativen,
die sagen: Unter dem Anschein von Sanierungsmaßnahmen und Notfallvorsorge wollt ihr in Wirklichkeit die
Stilllegung ohne Rückholung vorbereiten. - Ich verstehe
das sofort; ich kann das nachvollziehen. Aber ich widerspreche dem mit Nachdruck, und ich verspreche hier wie
die Kolleginnen vor mir: Der Umweltausschuss des
Deutschen Bundestages wird sich regelmäßig vom BMU
und vom BfS über den Fortgang der Arbeiten unterrichten lassen und sofort eingreifen, wenn wir den Eindruck
bekommen, dass es dort nicht mit rechten Dingen - das
heißt so, wie in diesem Gesetz vorgesehen ist - zugeht.
({0})
Aber - auch das will ich sagen - wir können hier im
Deutschen Bundestag nicht das Gelingen der Rückholung beschließen. Auch das gehört zur Wahrheit. Das ist
ein technisch sehr ehrgeiziges, weltweit einmaliges Projekt. Von daher müssen wir gucken, dass wir es zu einem
Erfolg führen; aber wir können es eben nicht versprechen.
In dem Fall, dass man zu der Einschätzung gelangen
sollte, dass die Rückholung gegebenenfalls abzubrechen
ist, weil Strahlenschutz oder bergtechnische Sicherheit
nicht gewährleistet werden können, muss der Deutsche
Bundestag informiert werden, muss die Öffentlichkeit
informiert werden. Dann muss die Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen; der Deutsche
Bundestag hat sowieso immer Gelegenheit zur Stellungnahme. Wenn es dann tatsächlich so sein sollte, dass die
Rückholung abgebrochen werden muss und die Stilllegung anders - das heißt ohne Rückholung - erfolgen
muss, dann ist dafür ein Planfeststellungsverfahren notwendig, mit entsprechender Anhörung der Öffentlichkeit
und auch mit Möglichkeiten zur Verbandsklage. Ich will
damit nur sagen, dass wir so viele Absicherungen in das
Verfahren eingebaut haben wie nur eben möglich.
Wegen des großen Misstrauens in der Bevölkerung,
das ich verstehe, haben wir von Anfang an, als wir uns
auf den Weg dieses Gesetzgebungsverfahrens gemacht
haben, die örtliche Bevölkerung eng einbezogen. Mit der
Asse-II-Begleitgruppe und dem Asse-II-Koordinationskreis hat es über ein Jahr hinweg regelmäßige Konsultationen gegeben. Da hat sich Ulla Heinen-Esser, unsere
Staatssekretärin, große Verdienste erworben. Sie war in
vier- bis sechswöchigen Abständen vor Ort in Wolfenbüttel und hatte dort regen Kontakt zu den Menschen.
Auch wir Berichterstatterinnen haben diesen engen
Kontakt gehalten. Rechtsanwalt Gaßner, der von den
Bürgerinitiativen beauftragt wurde, hat an unseren Berichterstattergesprächen teilgenommen und an diesem
Gesetzentwurf mitgearbeitet. Im Dezember hatten wir
vor der ersten Lesung ein Gespräch mit den Vertretern
hier in Berlin. Im Januar gab es ein Gespräch im
Rahmen einer Podiumsdiskussion in Wolfenbüttel, wo
wir gemeinsam waren. Mehrere Sachverständige aus den
Reihen der Bürgerinitiativen waren bei unserer Anhörung dabei. Von daher, glaube ich, haben wir die Bevölkerung wirklich sehr gut einbezogen.
Aber es gibt bis heute - eben gerade habe ich noch
Mails bekommen - besorgte Bürgerinnen und Bürger, die
sagen: Das alles geht uns noch nicht weit genug. - Ich
will aber sagen: Lassen Sie uns jetzt dieses Gesetz verabschieden! Ich glaube, es ist so gut, wie ein Gesetz nur
eben sein kann. Es mag immer noch Fehler geben; es mögen immer noch Wünsche offen sein. Aber wir sollten
dieses intensive Verfahren jetzt tatsächlich abschließen
und langsam anfangen, das Ganze in die Realität umzusetzen. Nochmals das Versprechen: Wir Politikerinnen
stehen für Ihre Anliegen, liebe Bürgerinitiativen, liebe
Bürgerinnen und Bürger, jederzeit zur Verfügung.
Liebe Frau Menzner, noch einmal vielen Dank für
Ihre Mitarbeit, für Ihre Unterstützung. Ich würde mir
sehr wünschen, dass auch die Linke ihrem Herzen einen
Stoß geben kann. Ich verstehe, dass Sie enttäuscht sind.
Ich verstehe, dass Sie sich das anders gewünscht hätten.
Aber es wäre einfach ein wichtiges Signal, wenn wir
diese wichtige Angelegenheit aus dem politischen
Gerangel herausholen und uns ganz auf die Lösung der
Sache konzentrieren könnten. Deshalb möchte ich Sie
zugunsten der Menschen in der Region Wolfenbüttel
sehr bitten - natürlich auch alle anderen Kolleginnen
und Kollegen -: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und
stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!
Vielen Dank.
({1})
Nun hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Machen wir uns nichts vor: Das, was wir hier heute verabschieden, ist nur ein Auftakt und kann auch nur ein
Auftakt sein. Denn das Asse-Gesetz dokumentiert ganz
deutlich die Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten
des Gesetzgebers. Wir können Gesetze noch so gut formulieren, letztlich wird die Rückholung aus der Asse nur
gelingen und können wir das Vertrauen der Bevölkerung
vor Ort nur gewinnen, wenn zwei elementare Aspekte in
den nächsten Wochen, Monaten und Jahren gewährleistet werden, nämlich erstens ein Hochmaß an Transparenz und zweitens glaubwürdiges Handeln.
({0})
Ich bin sehr dankbar, dass die Staatsekretärin für uns
alle noch einmal deutlich gemacht hat: Wir wollen die
Rückholung, und wir wollen, dass jetzt alle, die mit diesem Gesetz arbeiten müssen, alles tun, um diese Rückholung zu befördern.
Gleichzeitig macht dieses Gesetz die Begrenztheit
von Wissenschaft, von Politik, von Verwaltung und von
Gesellschaft deutlich. Vor 50 Jahren haben Menschen
gesagt: Dieses Bergwerk ist geeignet. Dort könnt ihr die
Fässer für schwach- und mittelradioaktiven Abfall
lagern. - 45 Jahre später stellen wir fest: mitnichten.
Etwa 126 000 Fässer lagern in der Asse, und täglich gibt
es einen Wasserzufluss von circa 12 000 Litern.
Ich möchte an dieser Stelle ganz bewusst auch als
Niedersachse sagen: Wenn die Asse und die hier gemachten Erfahrungen einen Sinn haben, dann den, dass
wir hier in diesem Haus lernen, mit einer der größten
Herausforderungen, nämlich der Frage der Endlagerung
von atomarem Müll, sehr sensibel umzugehen.
Frau Staatssekretärin, der mir bekannte Entwurf eines
Gesetzes über ein Endlager von hochradioaktivem Müll
sieht in § 1 vor, dass ein Standort gesucht werden soll,
der bestmögliche Sicherheit über einen Zeitraum von
1 Million Jahre gewährleistet. Wir haben mit der Asse
die Erfahrung gemacht, dass Zusicherungen, dass wir
den atomaren Müll dort lagern können und auf die wir
vertraut haben, nicht einmal 50 Jahre gehalten haben.
Ich glaube, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn
wir gemeinsam die Frage der Endlagerung von hochradioaktivem Müll angehen. Wir werden - nicht dass ich
falsch verstanden werde - unserer Verantwortung gerecht werden müssen. Wir können nicht nachfolgenden
Generationen die Beantwortung dieser Frage überlassen,
während nur wir den Nutzen hatten.
Ich finde es richtig, dass die niedersächsische Landesregierung einfordert - das tut sie zu Recht -, dass sehr
sorgfältig geprüft wird und dass sie mitsprechen kann.
Es gibt keine weiße Landkarte mehr in Deutschland. Wir
haben die Erfahrungen mit der Asse. Wir haben auch die
Erfahrungen mit dem Prozess der Endlagersuche in Gorleben. Wir haben Erfahrungen mit Salzgestein. Wir haben Erfahrungen mit Zusicherungen und fragen uns vor
diesem Hintergrund: Was sind solche Zusicherungen
nach einigen Jahrzehnten noch wert? Welchen Wert
müssen wir diesen Zusicherungen beimessen, wenn es
um die Lagerung über 1 000, 100 000 oder sogar 1 Million Jahre geht?
Deswegen ist meine Bitte, dass wir, wenn wir die
nächste Etappe auf uns nehmen, vor allen Dingen versuchen, diese Frage aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Ich finde, da haben die heutigen
Berichterstatterinnen ein gutes Beispiel geliefert. Wir
sollten Sorgfalt walten lassen, wie wir sie, glaube ich,
fast nicht menschlich ermessen können. Denn wir wissen: Was sind schon 100 Jahre bei dem, was wir vor uns
haben, wenn wir für Generationen, für Millionen Jahre
etwas finden wollen? Wir sollten uns vor allen Dingen
auch Zeit nehmen, um ein Gesetz zu konzipieren, das ein
Großmaß an Transparenz, aber auch an Lernfähigkeit
beinhaltet.
Wir werden hier mit Sicherheit nicht die Lösung finden können. Das ist eine enorme Aufgabe. Wir sollten
diese Aufgabe mit ganzer Solidarität und möglichst ohne
Zeitdruck angehen. Ich glaube, alle in diesem Raum,
auch die Landesregierung von Niedersachsen, die auf
der Bundesratsbank vertreten ist, auch die Bundesregierung, sind dazu bereit. Das ist eine Frage, die sich dem
Gesetzgeber noch nie gestellt hat. Ich glaube, wenn wir
das berücksichtigen, dann stellen die negativen Erfahrungen, die wir augenblicklich machen - so schlimm sie
sind -, zwar eine Mahnung an uns dar, sind aber für den
weiteren Prozess eben auch hilfreich.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Florian Bernschneider hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass uns die Schachtanlage Asse II nicht nur vor
technische, sondern, wie wir heute sehen, auch vor juristische Herausforderungen stellt. Wir alle wissen auch,
dass Zeit der wesentliche Faktor ist, damit die Rückholung tatsächlich gelingen kann. Deswegen wäre es nicht
verantwortbar, durch verfahrenstechnische, durch bürokratische Stolpersteine wichtige Zeit zu verlieren. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir mit diesem Gesetz
heute eine Verfahrensbeschleunigung auf den Weg bringen, ohne dabei Zeitgewinn auf Kosten der Sicherheit
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Menschen in
der Region zu generieren. Die Aufgabe, die hinter diesem Gesetzentwurf steht, lässt sich also ganz schnell beschreiben.
Trotzdem - auch wenn wir uns heute alle so einig sind warne ich davor, zu meinen, dass das eine einfache Diskussion war, die die Berichterstatterinnen da geführt haben. Deswegen möchte ich als regional betroffener
Abgeordneter an die Berichterstatterinnen und die
Staatssekretärin meinen ganz herzlichen Dank dafür
richten, wie konstruktiv, wie fundiert, wie engagiert
diese Diskussion geführt wurde. Ich will in diesen Dank
ausdrücklich auch die Bürgerinitiativen und die Begleitgruppe einschließen, die dieses Gesetzgebungsverfahren ja nicht nur konstruktiv begleitet haben, sondern
auch mit den Anstoß dafür gegeben haben, dass es überhaupt erst zu diesem Gesetzentwurf kommen konnte.
({0})
Man sollte dabei nicht unterschätzen, was wir mit diesem Gesetz heute auf den Weg bringen. Es ist wesentlich
mehr als nur eine Verfahrensbeschleunigung, die wir
hier heute beschließen. Es ist das klare Signal: Ja, wir
wollen die Rückholung. - Und es ist noch mehr das klare
Signal: Wir als Deutscher Bundestag lassen die Menschen in der Region mit dem größten Umweltproblem in
unserem Land nicht alleine. - Dieses deutliche Signal ist
möglich, weil sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP mit
diesem gemeinsamen Gesetzentwurf auf wesentlich
mehr als auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben.
Ich weiß, dass die Anhörung viele offene Fragen beseitigen konnte - natürlich nicht alle -, dass es in der Region vereinzelt allerdings immer noch Kritik gibt. Aber
ich glaube, wir haben heute die große Chance, der Region mit einem geschlossenen Signal zu zeigen, dass
sich der Deutsche Bundestag dieses Themas annimmt.
Auch ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Linken
doch noch einen Ruck geben würden. Denn wenn wir
dieses Gesetz über alle Fraktionsgrenzen hinweg beschließen würden, hätte das natürlich noch einen wesentlich höheren Stellenwert. Man sollte sich nicht täuschen:
Bei all der Kritik im Detail, die auch ich in der Region
immer noch höre, sind doch alle Bürgerinnen und Bürger
dankbar, dass wir uns dieses Themas angenommen haben, Beschleunigungen auf den Weg gebracht haben und
ein klares politisches Signal für die Rückholung setzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend
eine Forderung aufgreifen, die der Asse-II-Begleitgruppe, den Bürgerinitiativen, aber auch mir persönlich
wichtig ist und die sozusagen der Grundgedanke hinter
diesem Gesetz ist: Wir brauchen für die Rückholung der
Abfälle einen verbindlichen Zeitplan. Wir brauchen ein
klares und erkennbares Projektmanagement; hierzu muss
das Bundesamt für Strahlenschutz nach dem heute vorliegenden Gesetzentwurf einen Plan vorlegen, der öffentlich und kontrollierbar ist.
Wesentlich ist Folgendes: Wir brauchen ein transparentes Verfahren, wir brauchen ein schnelles Verfahren,
mit dem man trotzdem keine zu hohen Risiken für die
Menschen in der Region eingeht, und wir brauchen eine
verantwortungsvolle Politik. Ich finde, heute beweisen
wir, dass der Deutsche Bundestag zu einer verantwortungsvollen Politik in der Lage ist. Lassen Sie uns eine
so verantwortungsvolle Politik nicht nur heute machen,
sondern tatsächlich auch so lange, bis wir das letzte Fass
aus der Asse herausgeholt haben!
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle
und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II.
Zur Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung des Abgeordneten Paul vor.1)
({0})
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12537, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 17/11822 in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Hierzu liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsan-
trag auf Drucksache 17/12552. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Die einbrin-
gende Fraktion war dafür, Bündnis 90/Die Grünen haben
sich enthalten. Die übrigen Fraktionen waren dagegen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/12553. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt. Dafür hat die Fraktion Die Linke gestimmt, alle
anderen dagegen.
1) Anlage 16
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Änderungsantrag auf Drucksache 17/12554. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Die
Linke und gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/12555. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
durch die Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Die anderen Fraktionen waren dagegen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/12556. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Fraktion Die Linke hat dafür gestimmt, Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten, die übrigen Fraktionen
waren dagegen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/12557. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen, die SPD-Fraktion hat sich
enthalten, CDU/CSU und FDP waren dagegen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Die Fraktion Die Linke hat
dagegen gestimmt. Es gab keine Enthaltungen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den und die bitte ich aufzustehen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der
Schachtanlage Asse II. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12537,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12298 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Raju
Sharma, Jan Korte, Petra Pau, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an
Religionsgesellschaften ({1})
- Drucksache 17/8791 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss ({3})
Federführung strittig
Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Das ist dann so beschlossen.
Der Kollege Raju Sharma hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Linke hat einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vorgelegt.
({0})
Worum geht es dabei? - Zunächst sollte ich vielleicht erklären, worum es nicht geht. Wir reden heute nicht über
Kirchensteuern oder staatliche Zuschüsse für kirchliche
Kindergärten, Pflegeheime oder Seelsorger in Justizvollzugsanstalten. All das wird gesondert geregelt, woanders
abgerechnet, und all das wird auch gesondert vergütet.
Wir reden heute über Entschädigungen, Entschädigungen für Enteignungen, die 200 Jahre zurückliegen
und durch die man versucht hat, nach dem sogenannten
Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Rechtsfrieden
zu schaffen. Seitdem zahlen die Länder Jahr für Jahr
pauschalierte Summen für Personalkosten und Baulasten
an die Kirchen.
Schon während der Verhandlungen über die Weimarer
Reichsverfassung gab es in der Gesellschaft einen großen Konsens darüber, dass mit diesen Zahlungen Schluss
gemacht werden sollte.
({1})
Der liberale Friedrich Naumann - der Friedrich
Naumann - forderte schon im Jahr 1919, dass der Staat
Inventur macht und diese Staatsleistungen ablöst.
({2})
Darüber gab es, wie gesagt, einen großen Konsens.
In der Konsequenz wurde in der Weimarer Verfassung
ein doppelter Verfassungsauftrag
({3})
mit zwei Adressaten festgeschrieben: Erstens sollten die
Länder durch Landesgesetzgebung die Staatsleistungen
ablösen. Zweitens wurde das Reich bzw. später der Bund
verpflichtet, ein Grundsätzegesetz zu erlassen, damit
diese Ablösung nach einheitlichen Regeln stattfinden
kann. Dieser Verfassungsauftrag wurde später unverändert in das Grundgesetz übernommen. Also nochmals:
doppelter Verfassungsauftrag mit zwei Adressaten, das
heißt, die Länder sind verpflichtet, Gesetze zu erlassen;
sie können ihrer Verpflichtung aber erst dann nachkommen, wenn zuvor der Bund seine Verpflichtung erfüllt
hat, indem er besagtes Grundsätzegesetz erlässt.
Dieser Verfassungsauftrag ist jetzt über 90 Jahre alt.
Nun kann man fragen: Wo ist denn dieses Gesetz des
Bundes? - Sie können lange forsten in den Gesetzesarchiven des Bundes, Sie werden feststellen: Da gibt es
kein Gesetz. Es gibt auch keine Initiative der Bundesregierung, so ein Gesetz auf den Weg zu bringen.
({4})
- Da ist nichts zu finden, Herr Kollege Wiefelspütz. Ich habe deshalb bei der Bundesregierung angefragt,
was sie zu tun gedenkt, um diesen Zustand zu beenden.
Die schriftliche Antwort der Bundesregierung war einerseits erfrischend offen, andererseits aber auch bemerkenswert dreist; denn die Aussage der Bundesregierung
war: Erstens. Ja, es gibt diesen Verfassungsauftrag.
Zweitens. Ja, wir wissen, er ist noch nicht erfüllt. Drittens. Wir gedenken nicht, irgendetwas zu tun; es gibt
keinen Handlungsbedarf.
Wir als Linke sagen: So geht man mit unserem
Grundgesetz nicht um!
({5})
Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich. Es ist aber nichts passiert.
Das Problem ist jetzt: Die Länder können nicht handeln; ihnen sind, weil der Bund untätig ist, die Hände gebunden. So zahlen sie Jahr für Jahr Staatsleistungen in
Millionenhöhe,
({6})
jedes Jahr - alle Länder zusammen - ungefähr 500 Millionen Euro,
({7})
eine halbe Milliarde Euro, und können nichts tun. Das
allein ist Grund, aktiv zu werden.
({8})
Die Länder müssen zahlen, obwohl sie - das wissen wir
alle - im Grunde gar kein Geld haben.
Ich will das an einem konkreten Beispiel festmachen,
wie viel Länder zahlen, die kein Geld haben: SchleswigHolstein - selbst ein verschuldetes Land - zahlt jedes
Jahr 12 Millionen Euro an Staatsleistungen. Genau diese
Summe fehlt dem Verkehrsminister des Landes für die
ganz irdische Beseitigung von Schlaglöchern in den
Straßen Schleswig-Holsteins; so wirkt sich das aus.
({9})
- Ich komme gleich zu den Haushalten der Länder, für
die auch Sie sich einsetzen sollten.
({10})
Wenn die Länder jetzt mit Kirchen verhandeln wollen, um diese Staatsleistungen zu reduzieren - dazu werden sie von den Landesrechnungshöfen aufgefordert -,
dann müssen sie gegenüber den Kirchen als Bittsteller
auftreten; denn die Kirchen können völlig zu Recht sagen: Solange der Bund kein Grundsätzegesetz erlassen
hat, haben wir einen Anspruch auf diese Staatsleistungen.
Wir Linke haben jetzt einen Vorschlag eingebracht,
wie man das regeln kann,
({11})
nicht nur, weil wir die Partei sind, die sich für die Verfassung einsetzt, sondern auch -
Entschuldigung, Herr Sharma! Herr Schwanitz würde
Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie
das zulassen?
({0})
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Sharma, Sie haben aus meiner Sicht einen sehr guten und längst überfälligen Gesetzentwurf
vorgelegt.
({0})
Das betrifft auch die - ich sage einmal - Übergangsregelungen in dem Gesetzentwurf; hier ist ja unter anderem
ein degressives Vorgehen vorgesehen. Ich habe eine
Frage an Sie: Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf in
diesem Zusammenhang von „Entschädigungszahlung“.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass es angesichts der Tatsache, dass dieser Ablösungsbefehl seit
über 90 Jahren nicht eingelöst worden ist, der Begriff der
Entschädigung unangemessen ist und noch einmal überdacht werden muss?
Das ist ein interessanter Aspekt, Herr Kollege
Schwanitz. Man kann diese Rechtsauffassung vertreten.
({0})
Diese Rechtsauffassung wird auch in der Literatur vertreten. Viele Menschen sagen: Durch die jahrhundertelangen Zahlungen - darum handelt es sich ja - sind diese
Staatsleistungen längst abgegolten. - Wir haben uns
diese Rechtsauffassung in unserem Gesetzentwurf ganz
bewusst nicht zu eigen gemacht,
({1})
obwohl man sie natürlich vertreten kann, weil wir die
Diskussion nicht gleich an dieser Stelle beendet sehen
wollten. Wir wollen eine Diskussion und wollen diese
auch fortsetzen.
({2})
Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass die Länder das
Zehnfache eines Jahresbetrages als Ablösesumme zahlen. Sie können das auf einen Schlag tun oder über einen
Zeitraum von maximal 20 Jahren strecken.
In 20 Jahren schreiben wir das Jahr 2033. Dann hätten
die Länder 230 Jahre lang Staatsleistungen an die Kirchen gezahlt. Der Verfassungsauftrag, der sagt, das
müsse beendet werden, wäre dann auch schon 114 Jahre
alt.
Wir finden, das ist ein moderater Vorschlag. Wir sind
aber ebenso der Meinung: Dann muss auch gut sein. Das
geht nicht bis in alle Ewigkeit.
({3})
Ich weiß, dass einige von Ihnen jetzt möglicherweise
wieder behaupten werden, dieser Vorschlag sei kirchenfeindlich. Ich sage Ihnen: Das ist alles Quatsch. Dieser
Vorschlag ist sehr sinnvoll und überhaupt nicht kirchenfeindlich. Ganz im Gegenteil! Der scheidende Papst
Benedikt XVI. hat in seiner Freiburger Rede 2011 darauf
hingewiesen, dass eine Entweltlichung der Kirche und
ein Abschaffen der Privilegien kein Angriff auf die Kirche ist, sondern dass das dazu beitragen kann, den christlichen Glauben zu stärken.
({4})
Nun will ich hier bestimmt niemanden katholisch machen, und ich teile auch bei weitem nicht alles, was der
scheidende Papst gesagt hat; aber an dieser einen Stelle
hat er einfach einmal recht.
({5})
Die Staatsleistungen an die Kirchen sind kein Gottesdienst. Sie sind ein Relikt aus dem vorvorletzten Jahrhundert, und es ist höchste Zeit, Inventur zu machen und
aufgeräumt in die Zukunft zu gehen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Die Kollegin Beatrix Philipp hat ihre Rede zu Proto-
koll gegeben.1)
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Dieter
Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe eigentlich immer geglaubt, ich kenne
unser Grundgesetz ganz gut.
({0})
Ich musste mich aber eines Besseren belehren lassen.
Ich wusste, dass es einen Art. 138 der Weimarer
Reichsverfassung gibt, der auch fortgilt; aber mir richtig
vergegenwärtigt, was darin steht, habe ich bislang nicht.
({1})
Das musste ich in den letzten Tagen tun. - Es ist entsetzlich, Frau Kollegin; das ist richtig. Ich schäme mich auch
ein wenig.
({2})
Ich stellte fest, dass wir seit 1919 einen Verfassungsauftrag haben, der nicht erfüllt wird. Ich habe dann kurzzeitig darüber nachgedacht: Könnte es sein, dass die
Kirchen, die hier Geld entgegennehmen, vielleicht die
Verantwortlichen sind, die man kritisieren und angehen
müsste? Wenn man sich aber mit dem Art. 138 der Weimarer Reichsverfassung auseinandersetzt, dann stellt
man fest, dass sich der Normbefehl nicht an die Kirchen,
sondern an uns richtet ({3})
an Sie alle, an mich und an diejenigen, die hier nicht sit-
zen, aber im Geiste anwesend sind.
Das heißt, das Verfassungsorgan Deutscher Bundes-
tag, unser Gesetzgeber, erfüllt einen Verfassungsauftrag
seit sehr vielen Jahrzehnten nicht: seit 1949 der Deut-
sche Bundestag nicht, aber auch - ich rede jetzt nicht
über die Nazizeit - das Weimarer Parlament, das Parla-
ment hier in diesem Hause während der Weimarer Repu-
blik, nicht. Hier muss ich Ihnen freimütig sagen: Als ich
mir darüber klar geworden bin, habe ich mich gefragt:
Was erzählst du denn jetzt, wenn du dich mit dem An-
trag der Linksfraktion auseinandersetzt?
Ich will zunächst einmal deutlich zum Ausdruck brin-
gen: Ich respektiere diesen Antrag, weil ich finde, auf
dieses Versäumnis, auf diese, wenn man so will, Miss-
achtung eines Verfassungsauftrages durch uns Parlamen-
tarier kann man nicht wirklich stolz sein.
Nun hat das alles seine Gründe. Es geht um 460 Mil-
lionen Euro. Sie werden in erster Linie von den Ländern
und nicht vom Bund gezahlt. Das ist nicht wenig Geld.
Andererseits ist das aber auch ein eher kleinerer Betrag
im Verhältnis zu den Einnahmen und Ausgaben der Kir-
chen in jedem Jahr. Trotzdem sind 460 Millionen Euro
keine kleine Summe.
Dies hat seinen Hintergrund - Sie haben das zutref-
fend dargestellt - in Säkularisierungsmaßnahmen An-
fang des 19. Jahrhunderts, vor über 200 Jahren. Auch
das war für mich neu, und es war für mich erstaunlich,
das zur Kenntnis zu nehmen.
Wenn man diesen Zustand beklagt, dass wir als Ge-
setzgeber einen Verfassungsauftrag nicht erfüllen, dann1) Anlage 18
wird man realistischerweise aber auch anerkennen müssen: Wenn das 90 Jahre lang, 93 Jahre lang nicht erfüllt
wurde, wird das nicht von heute auf morgen zu regeln
sein.
Ich bin also sehr dafür, dass man den Hinweis ernst
nimmt und dass wir in Deutschland einen Diskussionsprozess organisieren - nicht nur hier im Parlament, sondern auch mit den Kirchen -, um darüber zu reden, wie
das geht. Sie haben eine Summe genannt. Ich höre aus
kirchlichen Kreisen, dass das zu wenig ist. Das meine
ich jetzt auch gar nicht böse. Darüber wird zu reden sein.
Wie soll man das, was da vor 210 Jahren enteignet worden ist, beziffern, um die Höhe einer Entschädigung oder
Erstattung - wie immer man das, Rolf Schwanitz, dann
bezeichnen will - zu ermitteln?
Ich höre, dass es auch bei den Kirchen Gesprächsbereitschaft gibt. Wenn das so ist, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dann sollten wir einerseits ehrlich einräumen,
dass es keine gute Sache ist, dass wir über 90 Jahre lang
einen Verfassungsauftrag nicht erfüllt haben, aber andererseits auch anerkennen, dass das nicht - bei allem Respekt vor Ihrem Antrag - von heute auf morgen zu ändern sein wird. Über Summen wird man reden müssen.
Ich rate dazu, dass wir einen fairen Diskussions- und
Gesprächsprozess mit den Kirchen und auch in diesem
Hause organisieren, um einmal zu schauen, ob wir im
Laufe der kommenden Zeit - ich glaube realistischerweise eher, dass das nicht innerhalb von wenigen Monaten zu regeln sein wird - Ergebnisse erzielen können.
Ein Ergebnis könnte übrigens auch sein - das will ich
jetzt einmal in Klammern ansprechen -, dass wir das alles völlig in Ordnung finden, wie es ist. Dann allerdings
müsste man das Grundgesetz ändern. Nicht ertragen
kann ich - da bin ich zu sehr deformiert als Jurist, als
Verfassungsrechtler -, dass man kommentarlos einen
Grundgesetzartikel ignoriert, dass also wir als Gesetzgeber, der von jedem Bürger erwartet, dass er die Gesetze
ernst nimmt, unsere Verfassung nicht ernst nehmen. Das
kann keine Alternative sein,
({4})
sondern dann muss man gegebenenfalls den Art. 140 des
Grundgesetzes verändern. Wenn man beispielsweise den
jetzigen Zustand mit den Staatsleistungen für in Ordnung hält, dann muss man das so regeln.
Ich wäre sehr für einen kollegialen, fairen Diskussionsprozess. Ich selber bin, anders als mein Vorredner,
Mitglied der evangelischen Kirche, ein gläubiger
Mensch. Sie glauben auch an irgendetwas, aber an etwas
anderes als ich. Ich bin also der Auffassung, dass man
diesen Prozess einleiten sollte, um dann zu klären, wie es
gehen könnte. Der jetzige Zustand kann im Grunde niemanden, der es mit unserem Grundgesetz ernst meint,
wirklich zufriedenstellen.
Schönen Dank fürs Zuhören.
({5})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege
Dr. Stefan Ruppert.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, dass
Sie hier heute genau zu dem Zeitpunkt, zu dem viele unserer Kollegen in einem Gottesdienst des Rücktritts von
Papst Benedikt XVI. nicht nur gedenken, sondern ihn
sozusagen würdig begehen und ihm auch für seine Tätigkeit Danke sagen, diesen Gesetzentwurf vorlegen. Fairerweise muss man die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen und von der Union entschuldigen. Wenn sie
hier ihre Reden zu Protokoll geben, dann liegt das nicht
an Desinteresse, sondern an dem zeitgleich stattfindenden Gottesdienst.
Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der
über Art. 140 unseres Grundgesetzes Bestandteil unserer
Verfassung geworden ist, ist schon, wie man feststellt,
wenn man in die historischen Materialien schaut, ein
Kompromiss. Schon damals haben USPD und SPD untereinander vehement darum gerungen, wie man es damit halten soll, und auch bei den Liberalen war zwischen
der DDP und der DVP Uneinigkeit über die Frage, wie
man mit den Staatsleistungen an Religionsgesellschaften
umzugehen habe.
Anders als es von Herrn Sharma dargestellt wird und
auch ein wenig anders als es Herr Wiefelspütz gesagt
hat, hat man sich damals bewusst auf den nicht einklagbaren, eher deklaratorischen und eine Absicht bekundenden Kompromiss geeinigt, dass man eines - fernen - Tages die Staatsleistungen ablösen werde. Schaut man sich
genauer an, wie diese Staatsleistungen zusammengesetzt
sind, dann kommt man als Verfassungsrechtler in der Tat
etwas ins Grübeln und stellt fest, dass das keiner erkennbaren Systematik folgt. Es gibt sogar Landeskirchen
oder Bistümer, die gar keine Staatsleistungen erhalten.
Die Leistungen sind regional ungleich verteilt. Aber so
ist das nun einmal, wenn eine Leistung historisch gewachsen ist und unterschiedliche Funktionen erfüllt.
Wenn man mit den Kirchen im Dialog darüber ist, stellt
man fest: Es gibt Landeskirchen, bei denen die Staatsleistungen gar keine Rolle spielen, und es gibt Landeskirchen, bei denen sie eine erhebliche Rolle spielen,
etwa im Osten, weil Christen dort durch das Wirken Ihrer Vorgängerpartei, meine sehr geehrten Damen und
Herren von der Linken, einen sehr schweren Stand hatten und ganze Landstriche sozusagen entchristianisiert
worden sind. Gerade diese Christen sozusagen in der
Diaspora sind sehr wohl auf die historisch gewachsenen
Leistungen angewiesen, nachdem sie dort über 40 Jahre
tätig waren.
({0})
Schauen wir uns einmal an, wie diese Staatsleistungen zusammengesetzt sind, Herr Wiefelspütz. Es handelt
sich nicht nur - auch hier ist der Antrag der Linken
handwerklich leider nicht sauber verfasst - um LeistunDr. Stefan Ruppert
gen aus dem Reichsdeputationshauptschluss. Vielmehr
sind während des ganzen 19. Jahrhunderts, ja sogar noch
im 20. Jahrhundert Leistungen hinzugekommen, zum
Teil sozusagen auf historischem Grund basierend, zum
Teil aber auch aus Staatskirchenverträgen oder Konkordaten stammend. Es handelt sich um ein wirres bzw. unübersichtliches Gemisch aus Ansprüchen.
Vor diesem Hintergrund muss ich Ihren Antrag ein
wenig geraderücken. Es handelt sich eben nicht um eine
Rechtsposition, die einseitig aufkündbar wäre. Wir können nicht einfach deklaratorisch sagen: Wir lösen die
Staatsleistungen jetzt zu einem gewissen Satz ab. - Vielmehr geht es darum, mit den Kirchen konsensuale Gespräche zu führen und darüber nachzudenken, wie man
in nicht allzu ferner Zukunft einen Kompromiss finden
kann. Übrigens sagen sowohl der Finanzchef der EKD
als auch einzelne Stimmen aus der katholischen Kirche,
dass sie durchaus dialogbereit sind. Diesen Dialog sollten wir aufnehmen und führen. Wir sollten nicht einseitig und bewusst einen nach herrschender Meinung
rechtswidrigen oder enteignend wirkenden sehr niedrigen Satz gesetzlich festlegen. Wer wirklich Erfolg in dieser Sache haben will, darf gerade nicht so vorgehen, wie
Sie es tun.
({1})
- Ja, wir haben schon etwas getan. Es war eine christlich-liberale Landesregierung in Hessen, die die kommunalen Baulasten abgelöst hat. Dort sind wir genau so
vorgegangen, wie wir das eben besprochen haben. Es
gibt Staatsleistungen von Länderseite, aber auch kommunale Staatsleistungen. Häufig handelt es sich dabei
um Baulasten. So wurde früher beispielsweise festgelegt: Dem Pfarrer der Stadt sind zwei Schweine und ein
Fass Bier zu liefern, und die Kirchenglocke ist vonseiten
der Kommune instand zu halten. - Diese sehr unübersichtliche Rechtslage zersplitterte - auch in Hessen -,
und keiner wusste mehr ganz genau, was eigentlich Gegenstand der kommunalen Staatsleistungen an die Kirchen ist. Jene christlich-liberale Koalition in Hessen hat
eine Erhebung durchführen lassen, hat das alles zusammengefasst und hat eine Abfindung bzw. eine Verrentung der Ansprüche gefunden. Das ist zur beiderseitigen
Zufriedenheit geschehen; denn die Kirchen konnten so
ihre zunehmend in Vergessenheit geratenen Rechtspositionen einmalig geltend machen und wurden auch monetär entschädigt. Gleichzeitig wurde das komplizierte
Rechtsverhältnis, das auf lokaler Ebene bestand, in ein
geordneteres Verfahren überführt.
Herr Ruppert, der Kollege Sharma würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Ruppert, vielen Dank, dass Sie meine
Zwischenfrage zulassen. - Mir ist schon bekannt, dass
einige Länder mittlerweile die Staatsleistungen abgelöst
und Vereinbarungen mit den Kirchen getroffen haben.
Ich bitte Sie nur, erstens zur Kenntnis zu nehmen, dass
das nicht nach einheitlichen Maßstäben passieren kann.
Zweitens. Wenn der eine Verhandlungspartner mit der
Forderung des anderen Verhandlungspartners konfrontiert wird und dem entgegenhalten kann: „Das, was du
willst, kannst du dir wünschen, aber du hast gar keinen
Anspruch darauf, und ich muss mit dir gar nicht verhandeln“, würden Sie mir dann zustimmen - vielleicht sehen Sie das anders -, dass die Verhandlungsposition des
einen eindeutig besser ist als die des anderen und dass
Verhandlungen auf Augenhöhe gar nicht möglich sind,
weil der eine sofort sagen kann: „Ich muss nicht verhandeln“?
Auch solche praktischen Erfahrungen gibt es. So haben Sie es möglicherweise auch in Hessen verhandelt.
Ich habe in Schleswig-Holstein andere Erfahrungen gemacht, ohne dass man der Kirche einen Vorwurf machen
kann. Wie jeder Verhandlungspartner versucht natürlich
auch die Kirche, ihre eigene Verhandlungsposition und
nicht die des anderen möglichst zu stärken.
Herr Kollege Sharma, es trennt uns in der Tat das
Politikverständnis. Ich halte es eher mit dem Kollegen
Wiefelspütz. Wenn man in der Sache etwas erreichen
will, dann führt man ein Gespräch und bringt nicht einseitig deklaratorisch einen Gesetzentwurf ein, der zudem
aus meiner Sicht enteignungsgleiche Bedingungen enthält. Ich weiß, dass Sie mit dem ersten Versuch einer gesetzlichen Regelung vor zwei oder drei Jahren auch bei
Ihrer eigenen Fraktionsführung auf erheblichen Widerstand gestoßen sind
({0})
und man diesen den Kirchen gegenüber sehr unfreundlichen Akt wieder zurückgezogen hat. In größerer Wahlkampfnähe versuchen Sie es jetzt erneut, aber nicht zu
Bedingungen, die der geltenden Rechtslage entsprechen.
Wenn man etwas erreichen will - insofern trennt uns unser Politikverständnis -, geht man dabei anders vor als
einseitig, so wie Sie es hier tun.
({1})
Ich könnte weitere Beispiele aufzählen. Im Bistum
Paderborn beispielsweise ist erreicht worden, dass die
Staatsleistungen abgelöst worden sind. Wir Liberale sind
keineswegs der Auffassung, dass der Umstand, dass ein
katholischer Bischof in Bayern vom Staat bezahlt wird,
der Weisheit letzter Schluss ist. Auch Benedikt XVI.
- das haben Sie richtig gesagt - hat in der Entweltlichungsdebatte durchaus Hinweise dazu gegeben.
An dieser Stelle ist Ihr Antrag aber nicht handwerklich sauber ausgearbeitet. Gerade diese Ansprüche beru28010
hen nicht auf dem Reichsdeputationshauptschluss, sondern ergeben sich aus anderen Rechtsquellen.
Der bayerische Landesbischof der evangelischen Kirche denkt gerade über eine Ablösung nach. Auch auf katholischer Seite gibt es Stimmen, die sagen: Wir sollten
in einen Dialog eintreten und überlegen, wie das in Zukunft gehandhabt wird.
Aufgrund der zersplitterten Rechtslandschaft ist es
eine sehr mühselige Arbeit, die hier zu leisten ist. Wenn
wir aber das Gespräch konsensual gestalten und den
Rechtsanspruch der Kirche achten, dann könnte man
durchaus etwas erreichen. Auch bei den Kirchen wird
darüber nachgedacht, dass die Preise für solche Ablösungen in einer - aus meiner christlichen Sicht leider sich abwendenden Gesellschaft wahrscheinlich nicht
besser werden.
Daher sollten wir das gemeinsam und eher konsensual angehen, aber nicht mit einem kulturkämpferischen
Habitus.
({2})
Dann erreichen Sie auch etwas, so wie in Hessen und in
Paderborn. Unterschiedliche Couleurs haben schon bessere Vorarbeit geleistet, als Sie es mit Ihrem Gesetzentwurf machen. Deshalb werden wir diesem leider nicht
zustimmen können.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Josef Winkler und die Kollegin Maria
Flachsbarth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Ich gebe jetzt der Kollegin Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke hat einen Gesetzentwurf
zu einem Thema vorgelegt, über das es sich zu diskutieren lohnt; das haben, glaube ich, alle schon gewürdigt.
Allerdings muss man sagen, dass die Ablösung von
Staatsleistungen an die Kirchen bisher nur in sehr wenigen Fällen - die kommunalen Fälle in Hessen hat der
Kollege Ruppert geschildert - stattgefunden hat. Das hat
auch seine Gründe. Man muss also sehr genau hinschauen, um feststellen zu können, warum das wo und
wie funktioniert hat.
Den Weg, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, halte ich so für nicht gangbar. Ich bin aber sehr dafür, dass wir diese Fragen diskutieren; denn dahinter
steckt auch die Frage, wie wir unter Beibehaltung der
Trennung von Staat und Kirche, die wir in Deutschland
jetzt schon haben - und das ist auch gut so -, die wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit der Kirchen unterstützen können.
Auch das muss einmal gesagt werden: 70 Prozent der
Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Kirche
oder einer Religionsgemeinschaft; etwa ein Drittel ist
evangelisch, ein Drittel ist katholisch. Das ist also kein
Anliegen einer kleinen Gruppe.
Ich bin dafür, dass wir im Gespräch mit den Bundesländern - meine Vorredner haben bereits gesagt, dass es
hauptsächlich auf die Länder ankommt - und mit den
Kirchen darüber reden, wie und ob man diese Staatsleistungen ablösen kann. Dazu vier Punkte.
Erstens. Die Ausgangslage ist bereits geschildert worden. Den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 kennen nach dieser Debatte alle hier Anwesenden. Das haben wir den Nichtanwesenden voraus. Das muss man
noch einmal genau nachlesen. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss sind die Kirchen für die Enteignung
und Säkularisierung kirchlicher Güter entschädigt worden. Sie sind für eine Quelle entschädigt worden, die ihnen regelmäßig die Finanzierung ihrer Arbeit sicherte.
Deshalb ging es damals nicht um eine einmalige Zahlung, sondern um einen Ersatz für die wirtschaftliche
Grundlage, die es den Kirchen ermöglichte, Strukturen
und Personal zu finanzieren.
Die Weimarer Reichsverfassung, deren Artikel wir
ins Grundgesetz übernommen haben - das haben berufene Juristen hier geschildert -, hat als einen wichtigen
Schritt zur Trennung von Staat und Kirche diese Leistungen genau so gesetzlich verankert, wie wir es jetzt vorfinden. Eines ist mir wichtig: Es handelt sich nicht um
eine Privilegierung oder Bevorzugung der Kirchen, sondern um geltendes Recht und um geltende Verträge. Interessant ist ja auch, dass die Religionsgemeinschaften
erweitert werden können. Es gibt inzwischen auch
Staatsleistungen für die jüdischen Landesgemeinden und
für den Zentralrat der Juden in Deutschland. Die Länder
Hamburg und Bremen haben als Erste Staatsverträge mit
islamischen Gemeinschaften unterzeichnet. Auch da
verändert sich also etwas.
Zweitens. Unser Staat ist ein säkularer, aber er ist kein
laizistischer. Wir haben selbstverständlich Religionsfreiheit, ein hohes, wichtiges Gut der Menschenrechte. Die
Verfassungsrechtler nennen die Neutralität unseres Staates eine „fördernde Neutralität“, eine positive Religionsfreiheit, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht,
ihre Religion zu leben - oder auch nicht, wenn sie es
nicht möchten. Daher ist der - etwas durchklingende Rückkehrschluss Ihres Gesetzentwurfes, wir hätten erst
dann eine Trennung von Staat und Kirche, wenn Ihr Gesetzentwurf beschlossen worden ist, meines Erachtens
sicherlich falsch.
({0})
Drittens. Ich will betonen, dass es viele Äußerungen
aus dem kirchlichen Raum gibt. Kollege Ruppert hat den
bayerischen evangelischen Landesbischof zitiert. Die
EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, hat be-
reits 2011 erklärt, dass sie bereit ist, mit den Bundeslän-1) Anlage 18
dern über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln. Der bayerische evangelische Landesbischof hat
sein Befremden darüber geäußert, dass sein eigenes Gehalt aus dem Haushalt des Freistaats Bayern bezahlt
wird. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes hat
diese Staatsleistungen sogar als „nicht mehr zeitgemäß“
bezeichnet.
Ich will ausdrücklich festhalten: Die Kirchen verschließen sich dem Thema nicht. Ich will dazu den Verfassungsrechtler Professor Hans Michael Heinig zitieren, der gesagt hat:
Aber da die Kirchen ein partnerschaftliches Verhältnis zum Staat pflegen und das Grundgesetz mit
seinen religionsfreiheitlichen Komponenten wertschätzen, müssen sie auch das Ablösegebot ernst
nehmen.
Diesem Appell kann ich mich nur anschließen.
Viertens - das ist mein letzter Punkt -: Es kommt
eben auf die Bedingungen der Ablösung an. Sie schreiben selber in Ihrer Gesetzesbegründung: Alle seriösen
Vorschläge beziehen sich auf die 18- bis 25-fache
Summe der jährlichen Zahlung als Ablösesumme. Insofern ist der in Ihrem Gesetzentwurf gemachte Vorschlag,
einmalig die 10-fache Summe zu zahlen, glaube ich,
auch ein bisschen provokativ gemeint. Damit machen
Sie es sich etwas zu einfach. Aber selbst da, wo es in den
Bundesländern Debatten gab - ich habe das zum Beispiel in den Plenarprotokollen des thüringischen Landtages nachgelesen -, haben sich die Bundesländer
entschlossen, es lieber bei der jährlichen Zahlung zu belassen, als diese einmalige Summe aufzubringen.
Die Zahlungen umfassen bundesweit etwa 460 Millionen Euro; davon gehen knapp 240 Millionen Euro an
die evangelischen Landeskirchen. Das macht im Durchschnitt 2 Prozent ihres Etats für die kirchliche Arbeit
aus. Man sollte jetzt also nicht so tun, als machten diese
Zahlungen den größten Teil des Etats aus.
Wichtig ist, dass die Situation in den Ländern sehr heterogen ist. Deshalb kann man das Ganze nicht für alle
gleich lösen. Zur Erläuterung ein paar Zahlen: BadenWürttemberg zahlt jährlich 100 Millionen Euro an die
Kirchen, Nordrhein-Westfalen etwa 21 Millionen Euro,
die gleiche Summe wie Thüringen. Das hat, glaube ich,
mit Kirchengeschichte und -bauten zu tun. Das zeigt
noch einmal, dass eine pauschale Ablöseregelung, wie
Sie sie vorschlagen, nicht funktionieren kann.
Auf Landesebene gab es erste konkrete Schritte zur
Umsetzung; wir haben Entsprechendes gerade von Hessen gehört. Ich verweise auch auf die Regelung in Paderborn. Wichtig ist, dass dort, wo die Ablösung geregelt
wurde, immer von einer partnerschaftlichen Verantwortung gesprochen worden ist. Damit komme ich zu einem
Punkt, der für mich zu den Bedingungen für eine Ablösung dazugehört. Es wäre gut, wenn der Bund sowohl
mit den Ländern als auch mit den Kirchen partnerschaftlich verhandeln würde. Ich plädiere dafür, dass wir eine
sachliche Diskussion dazu führen, mit allen Beteiligten,
nicht ohne sie.
Ich will zum Abschluss festhalten, dass wir bei aller
- oft notwendigen - Kritik an den Kirchen, über die sicherlich anderenorts zu diskutieren ist, die Arbeit der
Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserem Land,
ihr soziales Engagement, ihr Engagement für Flüchtlinge und Asyl, ihre internationale Verantwortung, zum
Beispiel in der Entwicklungshilfe, sehr wertschätzen.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Norbert Geis hat seine Rede zu Proto-
koll gegeben.1)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8791 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Fraktion Die Linke beim
Rechtsausschuss.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke, Überweisung an den Rechtsausschuss, abstimmen. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Damit ist der Überweisungsvorschlag
abgelehnt. Die Fraktion Die Linke hat für den Vorschlag
gestimmt, alle anderen dagegen. Enthaltungen gab es
keine.
Jetzt lasse ich über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Überweisung an
den Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit
ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke; alle anderen waren
dafür.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher
Vorschriften ({0})
- Drucksache 17/12375 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 17/12532 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Lothar Binding ({2})
Dr. Thomas Gambke
1) Anlage 18
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/12533 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({4})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Sven-Christian Kindler
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem vorliegenden Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz - schöner Name - werden wir diejenigen Maßnahmen aus dem gescheiterten Jahressteuergesetz 2013
auf den Weg bringen, die jetzt zwingend einer Umsetzung bedürfen. Es geht dabei insbesondere um Angleichungen an EU-Recht, um Vertragsverletzungsverfahren
zu verhindern, die sonst vonseiten der Europäischen
Kommission drohen. Zu nennen sind hier beispielsweise
die Umsetzung der EU-Rechnungsrichtlinie sowie die
Anpassungen beim ermäßigten Steuersatz für Kunstgegenstände. Daneben geht es uns auch um die Bekämpfung von Steuermissbrauch. Hier will ich nur das Stichwort „Goldfinger-Modell“ nennen; wir werden es mit
dieser Gesetzesvorlage beenden und damit dem Missbrauch das Wasser abgraben.
Elektrofahrzeuge sollen bei der Bemessungsgrundlage für die 1-Prozent-Versteuerung, der sogenannten
Dienstwagenregelung, von einer pauschalen Listenpreisminderung profitieren. Wichtig sind für uns auch die
notwendigen Neuregelungen im Bereich der Vorschriften zur Einführung des Verfahrens der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale. - Dieses Gesetz strotzt geradezu vor langen Wörtern;
({0})
aber so ist unser Steuerrecht nun einmal. - Hier ist eine
Neuregelung dringend erforderlich, weil diese Vorschrift
ab dem 1. Januar 2013 bereits aufgehoben wurde.
Gleichzeitig gewähren wir den Arbeitgebern mehr Zeit
zur Umstellung auf das ELStAM-Verfahren. Damit vermeiden wir technische und organisatorische Probleme,
die bei einem gleichzeitigen Einstieg aller Arbeitgeber
zu einem festen Termin entstehen können.
Wir wollen, dass diese Maßnahmen noch in der laufenden Legislaturperiode in Kraft treten. Ich will hier
nicht noch einmal die Historie des gescheiterten Jahressteuergesetzes 2013 im Detail aufzeigen. Ich glaube im
Übrigen auch nicht, dass es die Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land interessiert, wenn wir uns hier darüber
streiten, wer für das Scheitern des Jahressteuergesetzes
2013 verantwortlich ist. Fakt ist aber: Wir haben das Jahressteuergesetz 2013 hier in diesem Haus bereits im Oktober letzten Jahres verabschiedet und beschlossen. Fakt
ist: Dieses Jahressteuergesetz 2013 ist, ebenso wie das
Gesetz zum Abbau der kalten Progression, wie das Gesetz zum Deutsch-Schweizer Steuerabkommen und wie
das Gesetz zur steuerlichen Absetzbarkeit der energetischen Sanierung, im rot-grün dominierten Bundesrat gescheitert.
Der vorliegende Gesetzentwurf - es ist ein abgespeckter Gesetzentwurf - trägt nun den schwierigen
Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat Rechnung. Ich
weiß, Sie hätten gern Ihren großen Änderungsantrag.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich bitte auch um Verständnis, wenn wir uns hier
nicht am Nasenring durch die Manege ziehen lassen.
({1})
Sie haben im Bundesrat ein klares Foul begangen; das
wissen Sie. Sie können nicht von uns erwarten, dass wir
mit Ihnen weiterspielen.
({2})
Wenn es Ihnen mit Sachpolitik ernst ist, dann stimmen Sie heute hier zu. Aber das wollen Sie nicht. Nein,
Sie wollen mit Ihrem Änderungsantrag die Konflikte,
die wir im Bundesrat hatten und die im Vermittlungsausschuss weitergingen, auch hier wieder austragen. Ich
habe schon im Ausschuss gesagt: Das Ganze erinnert
mich an die Argalis im Tierreich. Ich weiß nicht, ob Sie
sie kennen. Das sind Wildschafe mit großen Hörnern,
die regelmäßig aufeinanderprallen und mit den Hörnern
zusammenstoßen ({3})
bis irgendwann jemand aufgibt, weil er Kopfschmerzen
hat. Aber so funktioniert es hier nicht.
Sie kamen hier mit Ihrem Änderungsantrag um die
Ecke,
({4})
obwohl Sie genau wussten, dass wir nach der letzten
Nummer im Bundesrat diesem Änderungsantrag so nicht
zustimmen werden - prinzipiell nicht, weil wir uns hier
nicht zum Affen machen,
({5})
aber auch aus inhaltlichen Gründen nicht; darauf will ich
gleich eingehen.
Ein Beispiel sind die sogenannten Cash-Gesellschaften. Natürlich wollen auch wir von den Koalitionsfraktionen missbräuchliche Gestaltungen im Erbschaftsteuerrecht verhindern.
({6})
Wer in diesem Haus würde überhaupt dafür eintreten,
missbräuchliche Gestaltungen im Steuerrecht nicht zu
beseitigen? Jeder in diesem Haus möchte Missbrauch im
Steuerrecht verhindern.
({7})
Im Übrigen ist dies auch im Interesse unserer Unternehmen, der deutschen Mittelständler und der Familienunternehmen in diesem Land, die sich in schwierigen Prozessen der Unternehmensnachfolge befinden. Sie selbst
haben ein Interesse daran, dass sie nicht in irgendeinen
Missbrauchstopf geworfen werden; auch sie haben ein
Interesse daran, dass wir hier die Sache regeln.
Nur würde das, was Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, in Ihrem Änderungsantrag vorschlagen,
({8})
dazu führen, dass jegliche Liquidität in den Betrieben als
schädlich erachtet und einen Missbrauchsverdacht erwecken würde. Die 10-Prozent-Liquiditätsgrenze entspricht
nicht der Lebenswirklichkeit in mittelständischen Betrieben. Die 10-Prozent-Grenze, die Sie hier vorschlagen,
kann sogar insolvenzrechtlich problematisch werden.
({9})
Der von Ihnen übernommene Vorschlag des Bundesrates schießt deutlich über das Ziel hinaus.
({10})
Wir müssen hier eine gangbare Alternativlösung entwickeln - darüber herrscht Konsens in der Koalition -, die
Missbrauch vermeidet, aber eben auch Arbeitsplätze
schützt. Wir werden zeitnah einen entsprechenden Vorschlag erarbeiten; wir werden hier handeln.
Der vorliegende Entwurf unserer Koalition ist im Übrigen nicht das letzte Gesetz dieser Koalition in dieser
Legislaturperiode. Das, was wir hier vorlegen, ist nicht
das Ende der Fahnenstange beim großen Komplex des
gescheiterten Jahressteuergesetzes 2013.
({11})
Im ursprünglichen Jahressteuergesetz der Koalition war
zum Beispiel eine Umsatzsteuerbefreiung für Betreuungsleistungen sowie für Leistungen von Bühnenregisseuren vorgesehen.
({12})
An der Notwendigkeit dieser Maßnahmen halten wir
selbstverständlich nach wie vor fest; aber wir werden sie
nicht mit diesem Gesetz umsetzen,
({13})
weil wir hier ein schlankes Gesetz wünschen, das schnell
durch den Bundesrat geht.
({14})
Wir werden diese Maßnahmen in einem folgenden Verfahren umsetzen.
Das Gleiche gilt für den besonderen Gewerbesteuerzerlegungsmaßstab im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen. Wir werden die Maßnahme, die wir in diesem Haus bereits debattiert und mit dem Jahressteuergesetz 2013 beschlossen haben, nach Abschluss des vorliegenden Gesetzgebungsverfahrens noch einmal intensiv prüfen. Wir werden schauen, wie wir diese Maßnahmen möglichst zügig umsetzen und verwirklichen können.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
kann nur sagen: Wenn Sie wirklich etwas für die Menschen in diesem Land tun wollen, dann stimmen Sie
heute zu, und lassen Sie dieses Gesetz möglichst schnell
in Kraft treten. Sagen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat, dass sie das Gleiche tun sollen.
Herzlichen Dank.
({15})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Lothar Binding
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung
habe ich das Jahressteuergesetz 2013 noch kritisiert. Ich
habe gesagt: Es enthält sehr viele kleinteilige Regelungen; gemessen an der Koalitionsvereinbarung fehlen die
wichtigen Dinge: die Reform der Mehrwertsteuer, der
Unternehmensteuer usw. Aber immerhin: Wenn man bereit war, einmal auf die großen Lösungen zu verzichten
und sich auf die kleinteiligen einzulassen, konnte man
erkennen, dass im Vermittlungsausschuss ein ganz gutes
Ergebnis erzielt wurde.
({0})
Fast alles war ausgehandelt; sagen wir einmal: 98 Prozent.
In der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Gelb,
von CDU, CSU und FDP, gab es einen Passus, der die
steuerrechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften betrifft. Wer hätte darauf kommen
können, dass es ausgerechnet dann, wenn man etwas einbringt, was in Ihrem Vertrag steht, zur Explosion kommt,
({1})
dass man wegen der einen plötzlich von Ihnen nicht
mehr gewünschten Vereinbarung die 98 Prozent, die ausgehandelt waren, in Gefahr bringt?
Lothar Binding ({2})
Jetzt bekommen wir einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der nicht die ausgehandelten 98 Prozent enthält, sondern
vielleicht nur noch 15 Prozent, und das halte ich für ein
ganz großes Problem. Wir sehen hier ein bisschen einen
philosophischen Unterschied zwischen den verschiedenen Parteien. Wir haben hier gelernt: Erst kommt die
Partei, dann kommt die Partei, und dann kommt die Partei.
({3})
Dann kommt möglicherweise lange gar nichts, und dann
kommt erst der Bürger.
Ich will das einmal am Beispiel meines Wahlkreises
beschreiben: In meinem Wahlkreis ist es so, dass die
Bürger unbedingt und schon seit langem auf das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz warten. Praktisch können die sich gar nichts anderes vorstellen, als dieses tolle
Gesetz zu haben. Damit es für sie leichter wird, haben
wir auch die Abkürzung geübt: AmtshilfeRLUmsG. Dieses erwarten die Bürger jetzt ganz dringend.
({4})
Die Maßnahmen gegen Missbrauch im steuerlichen
Bereich fehlen praktisch komplett.
({5})
Das ist ein Desaster; da sind wir uns alle einig. Trotzdem
verzichten wir jetzt auf eine Regelung, die schon fast gesetzlich geregelt war. Das ist eigentlich völlig verrückt.
Wir brauchten nur den Arm zu heben und hätten eine Superlösung. Aber nein, man schafft ein neues, sehr sperriges Gesetz. Im Grunde wird jetzt eine Formalie beschlossen, die man eigentlich gar nicht zu beschließen
braucht; die ist zwingend. Aber auf das, was an politischer Gestaltung notwendig ist, verzichtet die Regierung. Dies geschieht nicht zum ersten Mal; aber man
muss doch die gleiche Dummheit nicht immer wieder
begehen.
Eine Regelung zur Monetarisierung von Verlusten
- dies betrifft das Umwandlungsteuergesetz - fehlt komplett. Eine Regelung zu Cash-GmbHs im Rahmen der
Erbschaftsteuergestaltung fehlt komplett. Die Grunderwerbsteuergestaltung, das, was man RETT-Blocker Real-Estate-Transfer-Tax-Blocker - nennt, fehlt komplett. Zu welchen Einnahmeausfällen dies für unseren
Fiskus, für unsere Gesellschaft, führt, sollte man sich
einmal klarmachen. Die Vermeidung weißer DBA-Einkünfte, also Gestaltungen von Gewinnen über DBA-Abkommen bei hybriden Finanzierungen, fehlt komplett.
Die Verhinderung von Steuertricks bei der Wertpapierleihe fehlt komplett. Ich muss sagen: Das ist ein Desaster.
Die Anpassungen im Einkommensteuergesetz an die
Aussetzung der Wehrpflicht, eine Regelung zu den Bezügen für freiwilligen Wehrdienst, fehlen komplett. Die
gesetzliche Klarstellung zur steuerlichen Berücksichtigung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen als Reaktion darauf oder Anerkennung dessen,
was BFH-Rechtsprechung bedeutet, fehlt komplett. Die
Neuregelung der Berechnung von Steuerzinsen bei der
Auflösung eines Investitionsabzugsbetrags fehlt komplett.
Soll ich das fortsetzen? Sie merken, dass Sie mit dem
vorliegenden Gesetz Maßnahmen verhindern, die wir
alle schon lange betreiben.
({6})
Jetzt ist etwas Interessantes passiert: Ich habe heute
Morgen an anderer Stelle ein paar Allgemeinplätze der
Kollegen von Schwarz-Gelb zitiert, etwa: Wir haben die
beste Regierung der Nachkriegsgeschichte, seit 1992.
({7})
- Olav Gutting applaudiert.
({8})
Heute Morgen gab es da immer Applaus. Olav Gutting
hat das gerade sehr gut gemacht; er hat praktisch ein Zitat benutzt. Er hat das Gleiche gemacht wie Sie heute
Morgen. Bei all den von mir heute Morgen zitierten Sätzen wurde applaudiert. Dann habe ich gesagt: Schauen
wir einmal ins Gesetz. Daraufhin hat der Kollege Kauder
gesagt: Ja, schauen Sie einmal ins Gesetz. - Dann habe
ich ins Gesetz geschaut und daraus zitiert. Interessanterweise hat keiner von Ihnen bei auch nur einem einzigen
Zitat dessen, was Sie aufgeschrieben haben, applaudiert.
Ist das nicht interessant?
({9})
Sie applaudieren Ihren eigenen Regelungen nicht. Jetzt
haben Sie einen Trick angewandt, der super ist: All das,
bei dem man aus Ihren Reihen nicht applaudieren
könnte, haben Sie einfach weggelassen.
({10})
Die Umsatzsteuerbefreiung für rechtliche Betreuungsleistungen - sehr wichtig - und für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene
Leistungen für privatgewerbliche Sozialleistungserbringer fehlt komplett. Die Umsatzsteuervergünstigung für
die Kulturschaffenden - das wird manche Leute aufhorchen lassen - wie die Befreiung für Leistungen von Bühnenregisseuren und -choreografen fehlt komplett. Die
Modernisierung und Vereinfachung des Verfahrens der
Anmeldung der Feuerschutzsteuer fehlt komplett.
Sie können sehen: Sie haben ein Gesetz gemacht, das
ein Torso ist, bei dem alle wichtigen Dinge fehlen, die
wir gemeinsam vereinbart haben. Ich glaube, ganz offen
gesprochen, dass Sie damit Ihrer Verantwortung nicht
gerecht werden.
({11})
Lothar Binding ({12})
Deshalb will ich - ohne die Punkte zu nennen, die
trotzdem noch fehlen, obwohl ich schon so viele genannt
habe - an Sie noch einmal applaudieren bzw. appellieren
({13})
- ich kann Ihnen auch applaudieren, wenn Sie da zustimmen -, ob Sie sich nicht doch einen Ruck geben könnten. Wenn wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auf die
von Ihnen inzwischen wieder neu beurteilte Regelung
hinsichtlich der eingetragenen Lebenspartnerschaften
verzichten - wir werden sie an anderer Stelle einbringen -, können Sie dann nicht darauf verzichten, das gesamte Jahressteuergesetz 2013 - ohne diesen strittigen
Fall - abzulehnen? Wäre das nicht politisch klug? Wäre
es nicht eine gute Idee, diesen Schritt im Vermittlungsausschuss noch einmal zu gehen? Denn alles andere
klingt ein bisschen nach beleidigter Leberwurst. Das
wurde eben deutlich, als Sie, Herr Gutting, sagten: „Wir
lassen uns doch nicht mit einem Nasenring durch die
Manege ziehen.“
Es wurden vorhin auch viele Tierbeispiele genannt.
Eines davon hat uns gut gefallen, nämlich das mit den
Hörnern und den Stieren. Man muss sich einmal überlegen, warum das alles gescheitert ist - das ist vielleicht
die Quintessenz dieses Verfahrens -: Angenommen, die
CSU und die FDP wären in dieser strittigen Frage einer
Meinung gewesen, dann wäre doch alles beschlossen
worden. Aber weil sich die beiden gestritten haben, war
es nicht möglich, das Verfahren im Vermittlungsausschuss zu Ende zu führen. Das haben Sie eben mit dem
Bild der Hörner, die aufeinander zusteuern, ganz gut beschrieben.
Das scheint im Moment Ihr Standardmodell in der
Regierungspolitik zu sein. Deshalb bekommen Sie auch
so große Probleme mit Ihrer Glaubwürdigkeit. Wer Ihnen jetzt glaubt, dass Sie ein gutes Gesetz gemacht haben, der könnte Gefahr laufen, dass er im September
falsch entscheidet.
Alles Gute!
({14})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Daniel Volk.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Binding,
Sie haben gerade die Punkte aufgezählt, die in dem Änderungsantrag Ihrer Fraktion - mit Unterstützung der
Fraktion der Grünen - enthalten sind. Dieser Änderungsantrag würde übrigens von anderen in diesem Lande als
ein Plagiat bezeichnet werden.
({0})
Was Sie hier gerade vorgetragen haben, ist durchaus plagiatverdächtig;
({1})
denn Sie haben die Urheberschaft hier am Rednerpult
verschwiegen.
({2})
Umsatzsteuerfreiheit für Bühnenregisseure und Betreuer, der Umgang mit Wehrdienst und Bundesfreiwilligendienst - alle diese Punkte
({3})
haben wir als Koalitionsfraktionen in den Entwurf des
Jahressteuergesetzes 2013 geschrieben.
({4})
Das haben Sie scheitern lassen.
({5})
Sie schmücken sich mit fremden Federn, wenn Sie das
alles hier aufzählen. Das ist ein Plagiat.
({6})
Herr Binding, Sie haben gerade so süffisant gesagt: In
Ihrem Wahlkreis würden die Bürgerinnen und Bürger
nach Ihrem Eindruck auf das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz warten.
({7})
Ich habe das so verstanden, dass Sie das ironisch meinten.
({8})
Ich kann Ihnen einen Punkt aus dem hier zu beratenden Gesetzentwurf nennen, auf den die Bürgerinnen und
Bürger sehr wohl warten. Es geht um die Vereinfachung
und die Anpassung des Lohnsteuerabzugsverfahrens an
die modernen technischen Gegebenheiten. Es geht um
ELStAM, um die elektronischen Lohnsteuerabzugs28016
merkmale, ein klares Jahressteuervereinfachungselement, das im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz enthalten ist. Das muss so schnell wie möglich umgesetzt
werden, damit wir auch in diesem Bereich eine Steuervereinfachung hinbekommen.
Wenn Sie dies wiederum ablehnen, zeigen Sie als
SPD-Fraktion - im Geiste mit den Grünen vereint -,
dass Sie überhaupt kein Interesse daran haben, eine
Steuervereinfachungspolitik zugunsten der Bürgerinnen
und Bürger zu unterstützen. Sie sind diejenigen, die das
komplizierte Steuerrecht weiterhin kompliziert halten
wollen.
({9})
Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein.
({10})
Sie haben natürlich auch die großen Linien vorangestellt und gesagt, es fehle eine Reform des Mehrwertsteuersystems,
({11})
Für uns Steuerpolitiker ist das eigentlich die Umsatzsteuer. Ihr Kanzlerkandidat hat gestern eine wunderbare
Ankündigung gemacht. Er hat gesagt, wenn er das Sagen
hätte, dann würde er auf jeden Fall eine große Mehrwertsteuerreform durchführen und er könne sich nur noch in
fünf Bereichen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz
vorstellen:
({12})
Lebensmittel, Mieten. Ich höre: Mieten.
({13})
Oh, das ist ja interessant! Umsatzsteuer auf Mieten. Was
will er denn dort reformieren? Soll etwa bei Privatwohnmietverhältnissen die Mehrwertsteuer von 0 auf 7 Prozent
angehoben werden?
({14})
Das passt ja hervorragend in Ihre Linie, den Mietwohnraum in Deutschland bezahlbar zu halten. Oder will er
möglicherweise bei der Gewerberaummiete die Umsatzsteuerpflicht von 19 Prozent auf 7 Prozent senken? Ein
erstaunlicher Vorschlag!
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Eine solche Mehrwertsteuerreform wie dort angekündigt sollte diesem
Lande wirklich erspart bleiben.
({15})
Wir sollten uns darauf konzentrieren, uns im steuerpolitischen Bereich jenseits einer gewissen Polemik und
jenseits eines gewissen Populismus an den Punkten zu
orientieren, die für die Bürger entscheidend sind.
({16})
Ich glaube schon, dass das elektronische Lohnsteuerverfahren ein Punkt ist, der auf jeden Fall kommen muss.
({17})
Ich richte auch in Ihre Richtung die Bitte: Geben Sie
sich einen Ruck, und stimmen Sie dieser Neuerung zugunsten aller Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
zu!
({18})
Im Bereich der Steuermissbrauchsbekämpfung bedarf
etwa das Goldfinger-Modell, das ebenfalls in dem hier
zu beratenden Gesetzentwurf enthalten ist, der Klärung.
({19})
Es gibt offenbar keinen Punkt, weswegen Sie gegen
dieses Gesetz sein können. Deswegen versuchen Sie mit
einem Änderungsantrag, sozusagen über ein billiges Plagiat des Jahressteuergesetzes 2013, das aus unserer Feder stammt,
({20})
eine künstliche Argumentation aufzubauen. Das ist aber
wirklich keine gute Politik für dieses Land.
({21})
Es ist keine gute Politik für die Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes, für die Steuerzahler, übrigens auch nicht
für die Steuerverwaltung. Sie verweigern sich durch Ihr
Verhalten hier im Parlament einer Verbesserung des
Steuervollzugs und der Steuerverwaltung.
({22})
Das sollten Sie wirklich überdenken. Deswegen bitte ich
Sie ganz herzlich, auch in Ihrem Interesse, diesem Gesetzentwurf in unveränderter Fassung zuzustimmen.
({23})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, heute müssen sich viele Bürgerinnen und
Bürger fragen, was wir hier im Bundestag machen. Die
Koalition ist zutiefst beleidigt und sitzt in der Ecke wie
ein trotziges kleines Kind und sagt: Jetzt wollen wir aber
auch nicht mehr. Schluss, wir wollen nicht mehr!
({0})
Dann denken Sie sich einen neuen Namen aus, damit
man es nicht ganz so doll merkt. Es heißt jetzt nicht
mehr Jahressteuergesetz 2013, jetzt ist es das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz.
({1})
Sie haben sich wahrscheinlich gesagt: Wir müssen etwas machen. Wie können wir damit in der Öffentlichkeit
irgendwie noch bestehen? - Dann verkündet Herr
Koschyk als Staatssekretär im Ausschuss: Ja, Sie haben
uns geärgert. Wir machen jetzt nicht mehr mit. Wir machen nur noch das, was europarechtlich notwendig ist.
Man könnte denken: Okay, das, was europarechtlich
notwendig ist; schauen wir doch mal ins Gesetz. - Das
ist für uns natürlich nicht ganz einfach gewesen. Wir bekamen in der letzten Sitzungswoche Mittwoch früh den
Gesetzentwurf auf den Tisch und durften uns diesen am
Mittwochvormittag anschauen. Am Donnerstag war die
erste Lesung im Bundestag. Am Mittwoch dieser Woche
war die Beratung im Ausschuss und heute ist die zweite
und dritte Lesung. Von einem wirklichen Beratungsablauf kann man hier nicht sprechen. Das spricht einer geordneten parlamentarischen Beratung hohn.
({2})
Das sind wir an der einen oder anderen Stelle von dieser
Koalition so gewöhnt.
({3})
Wir haben Sie dann gebeten: Machen Sie doch wenigstens eine Auflistung, was von dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses, auf das Sie sich geeinigt hatten,
tatsächlich Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat!
Daraufhin gab es eine Liste, die sehr schwer zu handhaben war. Aber okay, das sei Ihnen verziehen. Dann haben wir nachgeschaut, was von dem europarechtlich
Notwendigen, von dem, was unabdingbar ist, enthalten
ist. Da habe ich wirklich gestutzt.
Die Elektroautos, deren steuerliche Förderung unter
umweltpolitischen Aspekten sehr in der Kritik steht, ist
enthalten. Meines Erachtens hat das mit Europarecht erst
einmal nicht viel zu tun. Dafür haben Sie die umsatzsteuerliche Behandlung der Betreuungsleistungen, zu
denen es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt,
nicht aufgenommen, obwohl hier wirklich Handlungsbedarf besteht.
({4})
Die Frage der Behandlung der gastierenden Regisseure
haben Sie einfach rausgeschmissen.
({5})
Da interessiert Sie die künstlerische Arbeit nicht, und die
Leute interessieren Sie auch nicht.
Warum nun das Ganze? Warum dieses ganze Theater?
Herr Gutting, Sie haben gesagt, das gehe so nicht, wir
hätten ein Foul begangen. Entschuldigung, Herr Gutting,
in den Beratungen im Vermittlungsausschuss wurde nur
etwas eingebracht, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht.
Frau Dr. Höll, Herr Beck würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte schön.
Da der Kollege Volk Ihnen hier dauernd vorwirft, Sie
hätten das alles zum Scheitern gebracht
({0})
- wahrscheinlich meint er uns alle damit -, möchte ich
Sie fragen, ob Sie mir erklären können, wie es sein kann,
dass man, wenn eine Forderung der FDP in einen ansonsten konsensualen Gesetzentwurf aufgenommen
wird, den Vorwurf erhebt, dass Sie das zum Scheitern
gebracht haben, obwohl die FDP ihn dann abgelehnt hat.
({1})
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, vielleicht trägt ein
Rückblick auf die gestrige Debatte zur Aufklärung bei.
Ich denke, dass das, was Herr Geis hier gestern abgeliefert hat - ich möchte ihn gerne zitieren, um Ihnen und
mir das, was er gesagt hat, in Erinnerung zu rufen -, gezeigt hat, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, was
CDU und CSU unterschrieben haben, gar nicht so ernst
gemeint war, wie die Bürgerinnen und Bürger das eigentlich erwarten können. Herr Geis sagte gestern, das
Bundesverfassungsgericht befinde sich auf dem Irrweg
und man müsse schon sehr weit von dem Wesen der
Elternschaft abstrahieren, um Papa/Papa oder Mama/
Mama als Eltern anzugeben: Ich sehe darin eine Miss28018
achtung der menschlichen Natur. Ich glaube, wir müssen
uns auch um der Bewahrung unserer Kultur willen gegen
solche Tendenzen wehren.
({0})
Ich denke, dass die CDU/CSU große Probleme hat,
sie zum Teil wirklich mittelalterliche Ansichten vertritt,
sie keinen Bezug zur Realität und zu unserer veränderten
Gesellschaft hat und sie deshalb dem, was in ihrem Koalitionsvertrag steht und was die FDP vertritt, nicht mehr
folgen konnte. Deshalb haben nicht wir die Schuld, sondern die Schuld liegt eindeutig bei Union und FDP. Sie
können sich hier drehen und wenden, wie Sie wollen.
Das kriegen Sie nicht vom Tisch gewischt. Nur um der
Ideologie willen haben Sie das gesamte Gesetz scheitern
lassen.
({1})
Als Steuerpolitikerin habe ich angenommen, dass Sie,
wenn Sie das Gesetz scheitern lassen, weil Sie aus ideologischen Gründen nicht über die Hürde springen können, weil Sie es nicht schaffen, da herauszukommen,
wenigstens das nehmen, was schon ausgehandelt war. Es
gab eine Vorlage, die vom Bundestag verabschiedet worden ist. Im Bundesrat wurde noch einiges hineinformuliert. Es gab positive Veränderungen des Gesetzentwurfs.
Das wäre wirklich umgesetzt worden. Nichts anderes ist
der Änderungsantrag, der hier auf dem Tisch liegt. Dazu
sagen Sie aber auf einmal: Nein, das geht nicht.
Herr Gutting, Sie haben hier das Ergebnis des Vermittlungsausschusses infrage gestellt.
({2})
Da Sie sich hier damit gerühmt haben, Lücken für Steuergestaltungsmodelle zu schließen - Stichwort: Goldfinger -, sage ich Ihnen: Sie meinen es doch wieder nicht
ernst. Sie setzen das, was ab dem Datum der Verabschiedung hier im Bundestag im vergangenen Jahr möglich
wäre, nicht um, sondern halten das offen und verlegen
das in die Zukunft. Alle, die dieses Modell nutzen, können sich darauf einstellen und damit umgehen. Das
zeigt: Auch das meinen Sie nicht wirklich ernst. Das,
was Sie hier abliefern, ist wirklich unterstes Niveau. Ich
glaube, das haben die Bürgerinnen und Bürger nicht verdient.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass wir
hier unsere Hausaufgaben machen und dieses Thema aus
dem Parteienkrieg heraushalten. Mit dem, was Sie hier
abliefern, mit Ihrem Agieren führen Sie sich selbst durch
die Manege. Sie brauchen dazu niemand anderen.
Vielleicht wissen Sie es: Trotzigen Kindern sollte
man keine Streicheleinheiten geben und ihnen nicht sagen: Du hast in allem recht. - Nein, man muss da schon
ein bisschen Haltung bewahren. Mit der Verabschiedung
des Änderungsantrages mit den ausgehandelten Vorschlägen zum Jahressteuergesetz 2013 könnten wir hier
demonstrieren, dass uns die Sache wichtig ist. Das erwarte ich, das erwartet die Linke, das erwartet die gesamte Opposition von Ihnen, wenn es stimmt, dass Sie
wirklich im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handeln wollen.
Danke.
({4})
Der Kollege Dr. Thomas Gambke hat jetzt das Wort
für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diesen
dicken Packen Papier - in anderer Farbe - hat Herr
Brinkhaus hier vor einer Woche hochgehalten und sich
stolz damit gebrüstet, was für tolle Gesetze die Koalition
schon verabschiedet habe, was sie schon alles geschafft
habe.
Herr Brinkhaus, einmal abgesehen davon, dass Sie
sich da ein bisschen mit fremden Federn geschmückt haben - denn diesen dicken Packen Papier haben fleißige
Beamtinnen und Beamte des Finanzministeriums erarbeitet -, lenken Sie dabei von dem eigentlichen politischen Versagen der Koalition ab. Das ist das Problem.
Wissen Sie, was Herr Sell, Abteilungsleiter im Finanzministerium, heute Morgen zu dem gesagt hat, was Sie
uns hier anbieten? Er hat gesagt: Es nervt.
({0})
Es nervt, dass Sie das mit vielen Details bestückte
Jahressteuergesetz - wir haben darüber gesprochen; Herr
Kollege Binding hat das sehr schön ausgeführt -, das im
letzten Herbst hier auf dem Tisch lag, im Vermittlungsausschuss zu einem bitteren Ende gebracht haben. Es
nervt, dass Sie die Realität einfach nicht zur Kenntnis
nehmen. Sechs Urteile des Verfassungsgerichtes nehmen
Sie nicht zur Kenntnis.
In Abwandlung eines Spruches von Egon Bahr habe
ich ein bisschen den Eindruck, dass Sie, wenn ein Grüner sagt: „Zwei mal zwei ist vier“, sagen: Oh, das sagt
ein Grüner; dann ist zwei mal zwei für uns fünf. - So
kommen wir nicht weiter. Das ist Realitätsverweigerung.
({1})
Sie müssen einfach einmal sehen, was Sie hier nicht abgeliefert haben. Das ist nicht nur bei dem vorliegenden
Gesetz der Fall.
Nehmen wir die Mehrwertsteuerreform. Da gibt es eigentlich Einigkeit; Herr Steinbrück hat jetzt gerade davon gesprochen.
({2})
Das ist ein Thema, bei dem wir bis weit in Ihre Kreise
hinein Einigkeit erzielen könnten,
({3})
übrigens auf der Linie eines Positionspapiers der Grünen. Aber Sie sagen: Das sagt ein Grüner; zwei mal zwei
ist
({4})
fünf. - Ganz genau, das ist Ihre Rechnung.
Nehmen Sie die Gewerbesteuer. Was haben Sie da
geleistet? Gar nichts haben Sie geleistet. Was haben Sie
gemacht? Sie haben die wesentlichen Akteure nicht eingebunden. Sie wollten das Band zwischen den Gewerbesteuerzahlern, dem Gewerbe, und den Kommunen zerschneiden. Sie haben einfach nicht gefragt. Natürlich
sind Sie damit gescheitert.
({5})
- Ich spreche über Ihre Leistungen. Herr Kollege
Brinkhaus hat das beim letzten Mal auch so schön gemacht.
Zu den Unternehmensteuern haben Sie einen ZwölfPunkte-Plan vorgelegt. Was ist daraus geworden? Drei
kleine Änderungen.
Zum Steuerabkommen mit der Schweiz.
({6})
- Aus gutem Grund haben wir es blockiert. Denn was
lese ich heute? Herr Brinkhaus, was ist heute passiert?
Die Schweiz geht zu einer Weißgeldstrategie über. Sie
geht aus der Anonymität heraus. Und warum tut sie das?
Weil wir Widerstand geleistet haben.
({7})
Das sind die politischen Entscheidungen, die man treffen
muss.
Denken Sie an die Einkommensteuer. Was haben Sie
da geleistet? Nichts haben Sie geleistet.
Zum Thema Steuergestaltung. Finanzminister Schäuble
sagt, über Starbucks werde er mit seinem britischen Kollegen sprechen. Und was haben wir hier? Bei den CashGmbHs wäre eine Regelung wichtig. Das Perfide dabei
ist, dass Sie nicht einmal das Vermittlungsergebnis umsetzen wollen.
({8})
Insgeheim sagen Sie: Da ist jetzt noch eine andere Regelung, die wir haben wollen. - Das empfinde ich wirklich
als unredlich. Wir hatten ein Ergebnis. Sie hatten dem
zugestimmt. Aber dann haben Sie selber es abgelehnt.
Das ist nicht in Ordnung.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn wir das einmal resümieren, dann kann man nur sagen: Es ist wirklich beschämend, was für ein dünnes Gesetzchen Sie hier vorlegen. Mit dem Änderungsantrag, den wir gestellt haben,
wäre es zwar immer noch ein dünnes Gesetz gewesen,
weil viele wichtige Regelungen fehlen; aber man hätte
ihm zustimmen können. Das lehnen Sie ab. Ich kann nur
sagen: Das nervt. Ich bin sehr froh, dass Sie spätestens in
einem halben Jahr abtreten werden.
Vielen Dank.
({10})
Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten hier über das Gesetz mit dem trockenen und Charme versprühenden Titel Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz. Hinsichtlich des Charmes wird
er nur noch übertroffen von dem Titel einer Richtlinie
aus den 80er-Jahren - ich habe das einmal herausgesucht -,
der Richtlinie des Rates zur Annäherung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über bestimmte Bestandteile und Merkmale von land- oder forstwirtschaftlichen
Zugmaschinen auf Rädern.
({0})
Kollege Gutting hat ja schon gesagt, warum wir diesen Gesetzentwurf hier vorgelegt haben. Wir haben ihn
vorgelegt, weil notwendige Maßnahmen noch in dieser
Legislaturperiode umgesetzt werden müssen, und zwar
zwingend, weil Sie sich zunächst verweigert haben, dem
Jahressteuergesetz hier zuzustimmen, weil Sie es dann
auch im Bundesrat nicht haben passieren lassen und weil
es im Vermittlungsausschuss nicht zu vernünftigen Ergebnissen gekommen ist. Der Bundesfinanzminister
weist in seiner Vorlage zu Recht darauf hin, dass die
Bundesregierung verpflichtet ist, alle zwei Jahre einen
Bericht vorzulegen, beispielsweise über die Wirkung der
kalten Progression und zu Fragen der Grundsicherung;
denn wir haben hier im Deutschen Bundestag beschlossen, dass wir alle zwei Jahre einen solchen Bericht haben
wollen.
Ich brauche auf die einzelnen Inhalte hier nicht mehr
einzugehen, weil sie, wie ich meine, von den Kollegen
Gutting und Dr. Volk sehr eingehend dargelegt worden
sind. Wir müssen uns heute hier damit befassen, lieber
Kollege Binding, weil die SPD und die von ihr geführten
Länder sich darauf verständigt haben, in der Steuerpolitik eine destruktive Linie zu fahren
({1})
- nein -, und weil Sie nicht mehr zur konstruktiven Zusammenarbeit im Interesse der Steuerzahler, im Interesse
der Bürger und im Interesse der Wirtschaft dieses Landes fähig sind.
({2})
Ich habe vorhin schon das Stichwort „kalte Progression“ genannt. Sie sind wohl verliebt in das Ankündigen
von Steuererhöhungen, Sie verschweigen aber dabei,
dass Sie eben nicht nur Spitzenverdiener damit treffen,
sondern die breiten Schichten der Leistungsträger unseres Landes. Sie sind nicht bereit, die unteren Einkommensschichten in dem Maße zu entlasten,
({3})
wie die Inflationsrate steigt bzw. die Nominallöhne steigen.
({4})
Sie klagen beredt darüber, dass die Länder nicht in
der Lage sind, die Steuerausfälle zu tragen. Sie haben
das Steuerabkommen mit der Schweiz erfolgreich verhindert,
({5})
und Sie haben damit verhindert, dass Steuereinnahmen
in Milliardenhöhe nach Deutschland fließen; dies könnte
bereits jetzt geschehen.
({6})
Sie haben auch verhindert - ich glaube, Kollege
Gutting hat schon darauf hingewiesen -, dass wir eine
sehr vernünftige Maßnahme, nämlich die energetische
Gebäudesanierung, steuerlich begünstigen. Heute früh
ist wieder beklagt worden, dass im Bereich der Gebäudesanierung zu wenig getan wird. Dort, wo Sie hätten
mitwirken können, haben Sie sich verweigert. Sie haben
es abgelehnt.
({7})
Sie sind nicht an einer gerechten und sachgerechten
Besteuerung interessiert,
({8})
sondern Sie machen den Menschen mit Ihren Steuerplänen etwas vor. Kollege Dr. Volk hat hier eben schon die
neuesten Äußerungen des Herrn Steinbrück zum Besten
gegeben. Ich kann im Interesse der vielen Mieterinnen
und Mieter in diesem Lande nur hoffen, dass Steinbrück
mit seinen Vorstellungen nicht durchkommt.
({9})
Kollege Binding hatte auf die Verfahren hingewiesen.
Was sich im Vermittlungsausschuss abgespielt hat, war
schlicht und einfach - denken wir an das Fußballspiel
gestern Abend; als Bayer darf ich mich daran erinnern ({10})
ein komplettes Foulspiel.
({11})
Das Verfahren im Vermittlungsausschuss ist nicht dazu
da, um Spielchen zu treiben, sondern um Lösungen zu
suchen, um sich auf einen Kompromiss zu einigen. Man
sollte andere dort nicht vorführen; diese lassen sich auch
nicht vorführen. Das sollten Sie sich hinter die Ohren
schreiben.
({12})
- Genau, alles zulasten der Steuerzahler.
Lieber Kollege Binding, Sie haben vorhin vorgeschlagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wir sollten
doch die Urfassung des Jahressteuergesetzes hier wieder
einbringen.
({13})
- Jetzt bestätigen Sie per Zwischenruf, dass dies eine
gute Idee sei. Warum haben Sie denn diese gute Idee
nicht schon im Herbst letzten Jahres gehabt,
({14})
nämlich bei der zweiten und dritten Lesung des Jahressteuergesetzes am 25. oder 26. Oktober?
({15})
Hätten Sie ihm zugestimmt, dann hätten wir uns jetzt all
dies ersparen können, und dann würden wir auch den
Kollegen Gambke nicht nerven.
({16})
Herr Kollege, ihre Redezeit ist schon längst abgelaufen.
Vielen Dank, aber das musste einmal gesagt werden.
Da wir über der Zeit sind, sind auch keine Zwischen-
fragen mehr möglich.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie
sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften. Der Fi-
nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12532, den Gesetzentwurf auf
Drucksache 17/12375 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktio-
nen, die Oppositionsfraktionen waren dagegen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, der
möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Bera-
tung mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenom-
men.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und b
auf:
a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk
Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Die Energiewende - Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen
- Drucksachen 17/10366, 17/12246 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die europäische Energieeffizienzrichtlinie
wirkungsvoll ausgestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Die Energiewende braucht Energieeffizienz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid
Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Energie sparen, Kosten senken, Klima
schützen - Für eine ambitionierte Effizienzstrategie der deutschen und europäischen
Energieversorgung
- Drucksachen 17/8159, 17/8457, 17/7462,
17/10106 Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage vor.
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das damit so beschlossen.
Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin
Schwarzelühr-Sutter.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Das große Wursteln 2.0“, wie wir in BadenWürttemberg sagen, könnte der Titel einer Publikation,
die mir vorliegt, oder gar ein Thema für eine Doktorarbeit sein.
({0})
Ich spreche von der Antwort der Bundesregierung auf
unsere Große Anfrage mit dem Titel „Die Energiewende
- Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen“.
Wissen Sie eigentlich, dass es eine Wissenschaft des
Nichtwissens gibt?
({1})
Unwissen herzustellen ist eine Kunst. Seit einigen Jahren untersucht die Agnotologie, wie Unwissen durch absichtliche oder unabsichtliche Selektivität hergestellt
werden kann. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage ist dafür wirklich das Beispiel schlechthin.
({2})
Was alles wurde nicht beantwortet? Die Große Anfrage hat der Bundesregierung eigentlich eine große
Chance gegeben, nämlich den Verbraucherinnen und
Verbrauchern sowie der Wirtschaft den Stand der Energiewende darzustellen. Sie hätte mit Vergleichsrechnungen zeigen können, wie sich die Kostenbelastungen bei
unterschiedlichen Handlungsoptionen entwickeln und
im Vergleich zur Situation ohne Energiewende verhalten
hätten und welcher Nutzen durch die erneuerbaren Energien erzielt werden kann. Also verkürzt: Was kostet die
Energiewende? Und viel wichtiger: Welche Erlöse, welche Wertschöpfung und welche Chancen bringt sie?
Es ist wirklich unverständlich, dass die Bundesregierung diese Chance nicht genutzt hat, um vor allem mehr
Sachlichkeit und auch mehr Transparenz in die Energiekostendebatte zu bringen. Stattdessen haben Sie uns geantwortet, Sie hätten keine Daten, Sie hätten keine Er28022
kenntnisse, und Sie machten sich Zahlen Dritter nicht zu
eigen. Das ist die Kunst des Nichtwissens. So weit, so
schlecht. Für diese Antwort ein halbes Jahr Zeit gebraucht zu haben, ist wirklich ein Kunststück. Herzlichen Glückwunsch!
Dabei haben Sie den Sachverständigenrat an der
Hand, die Monopolkommission hat Ihnen Optionen vorgelegt, und auch eine Expertenkommission hat zum Monitoring-Bericht eine Stellungnahme abgegeben. Nichts
davon findet sich in der Antwort auf diese Große Anfrage wieder. Warum verteilt die Bundesregierung überhaupt ihren Monitoring-Bericht, wenn sie die daraus ersichtlichen Daten nachher nicht nutzt? Dort heißt es
nämlich: „Der Bericht ist faktenbasiert.“ Wo bleiben Ihre
Fakten? Sie bleiben wahrscheinlich auf der Strecke zwischen Umweltministerium, Wirtschaftsministerium und
Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das es doch tatsächlich auch noch gibt,
({3})
das aber im Moment andere Probleme hat.
Damit liegt der Verdacht nahe, dass sich die Bundesregierung nicht auf eine einheitliche Bewertung der vorliegenden Studien verständigen kann, dass sie nicht in
der Lage ist, gemeinsam zur weiteren Entwicklung der
Energiewende zu handeln, sondern sich nicht einmal
über die Faktenlage verständigen kann. Sie belegt, dass
sie nur wurstelt, kein abgestimmtes Konzept hat und im
Inneren zwischen den Ressorts zutiefst zerstritten ist.
Das ist allerdings nichts Neues, wenn man sich die Arbeit der vergangenen drei Jahre anguckt.
Doch jetzt wird es richtig spannend.
({4})
Genau zum richtigen Zeitpunkt und mit dem richtigen
Gespür für Drama und Public Relations präsentiert Umweltminister Altmaier die Strompreisbremse, garniert
mit einer Zahl, die anscheinend nicht einmal sein Ministerium kennt.
({5})
Auch bei diesem Vorschlag des Umweltministers zum
Einfrieren der EEG-Umlage zeigen sich das Chaos und
die Zerstrittenheit in der Regierungskoalition: nicht abgestimmt und gleich von den Kabinettskollegen zerrissen.
Der Umweltminister weiß nicht, wie sich die Kosten
der EEG-Umlage entwickeln - darauf bezog sich unsere
Frage 1 -, ob sie durch die bereits ergriffenen Maßnahmen auch sinken können, aber er weiß, er will die Kosten einfrieren.
Er weiß nicht, wie viel die wachsende Differenz zwischen Einspeisevergütung und Börsenpreis ausmacht
und wie er sie verringern kann. Welch nackte Panik
muss bei diesem Minister vor der Bundestagswahl geherrscht haben, dass er eine Zahl von 1 Billion Euro
nennt! Die KfW rechnet im Übrigen mit 30 Milliarden
Euro pro Jahr, andere kommen auch auf diese Zahl. Es
scheint, als habe Herr Bundesminister Altmaier diese
Zahl aus dem Bauch heraus erfunden, oder vielleicht hat
das Umweltministerium ja auch keine Taschenrechner.
Mit der Billion setzt man auf einen billigen Effekt,
schürt Ängste, und, was noch viel schlimmer ist, die
Energiepolitik dieser Bundesregierung wird noch viel
unglaubwürdiger, als sie bisher schon war. Das ist ein
verheerendes Signal insbesondere für diejenigen, die Investitionen in die erneuerbaren Energien oder in Netze
tätigen wollen. Das ist nicht nur trickreich, sondern das
ist auch gefährlich. Die Akzeptanz für die Energiewende
wird so zerstört, und der Wirtschaft wird mit einer solchen Energiepolitik die Planungssicherheit genommen.
So ist es nicht verwunderlich, wenn sogar der BDI
fordert: Energiewende jetzt, aber richtig. Wir Sozialdemokraten haben der Bundesregierung wiederholt Gesprächsangebote gemacht. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass alle an einen Tisch geholt werden - Bund,
Länder und Kommunen - und dass auch die Verbraucher
einbezogen werden, selbstverständlich auch die Wirtschaft und die Gewerkschaften. Wir brauchen nicht nur
einen Konsens über den Atomausstieg, sondern wir
brauchen auch einen echten Energiekonsens.
({6})
Wir versperren uns nicht, im akuten Fall die Strompreise
zu bremsen. Wir machen sinnvolle Vorschläge, die kurzfristig helfen, den Strompreis in den Griff zu bekommen.
Wir wollen eine Stromsteuerbefreiung für den Grundverbrauch einführen, weil die Kosten auch gerecht verteilt
werden müssen.
Umso bedauerlicher ist es, dass diese Bundesregierung nicht plant, sozial schwache Haushalte und Sozialleistungsbezieher bei der Anschaffung energieeffizienter
Haushaltsgeräte zu unterstützen. So hat sie uns auf die
Frage 122 geantwortet.
Wir wollen einen Energieeffizienzfonds auflegen, der
private Haushalte bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen wie der Anschaffung dieser energieeffizienten Haushaltsgeräte unterstützt. Wir schlagen weiterhin vor, zielgenauer vorzugehen, wenn es darum geht,
Unternehmen von der EEG-Umlage zu befreien. Die Befreiung von den Netzentgelten sollte auf den Stand von
2010 zurückgeführt werden.
Das Ziel von uns Sozialdemokraten ist und bleibt die
Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre energiepolitischen Entscheidungen aufgrund valider Daten - die
es natürlich gibt - zu treffen. Rechnen Sie seriös und
nachvollziehbar, und vergessen Sie dabei bitte nicht die
Steigerung der Energieeffizienz und den Umbau der Verteilnetze zu intelligenten Netzen!
Es lohnt sich, diesen Satz immer wieder zu wiederholen: Die beste Energie ist die, die nicht verbraucht wird.
Doch auch bei der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie haben Sie Ihre Chance vertan. Sie haben diese Einsparpotenziale nicht genutzt; das ist schade.
Machen Sie Schluss mit der Wissenschaft des Nichtwissens! Hören Sie auf mit Flickschusterei! Statt der üblichen Reparaturgesetze erwarten wir, dass endlich eine
Roadmap vorgelegt wird, aus der ersichtlich wird, wie
die Zahnräder der Energiewende ineinandergreifen. Statt
einer Veränderung von Stellschrauben in einzelnen Gesetzen wollen wir einen koordinierten Gesetzgebungsprozess. Nur mit einem Gesamtkonzept, neudeutsch:
Masterplan, und aufeinander abgestimmten Gesetzesnovellen kann die Energiewende für alle - für Verbraucherinnen und Verbraucher wie für die Wirtschaft - bezahlbar und versorgungssicher gelingen.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Thomas Bareiß das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unsere heutige Debatte hat einerseits die Große
Anfrage der SPD zum Inhalt, aber auch drei Oppositionsanträge zum Thema „Energiepreise und Energieeffizienz“. Wie in vielen Verlautbarungen der letzten
Wochen findet man auch in diesen drei Anträgen große
Worte, viele Ankündigungen, viele Forderungen; aber
wenn es konkret wird, fehlt den Antragstellern der Mut.
({0})
Frau Schwarzelühr-Sutter, wenn Sie uns vorwerfen,
dass wir, wie wir Schwaben sagen, herumwursteln - ich
bin, wie man hört, auch aus Schwaben -,
({1})
dann kann ich dazu nur sagen: Das, was wir von Ihnen
die letzten Wochen erlebt haben, ist ein großes Gewurstel gewesen. Ich will dazu nur einige Beispiele nennen:
Wenn es konkret darum geht, den Anstieg der Energiepreise zu bremsen, sagen Frau Kraft und Herr Duin:
Wir kämpfen weiterhin für die Ausnahmen im Bereich
der Industrie. - Hier sagt Rot-Grün immer: Wir müssen
die Ausnahmen für die Industrie verringern.
({2})
Herr Fell und Herr Kelber sagen einmütig: Der zukünftige Ausbau der erneuerbaren Energien darf nicht begrenzt werden.
({3})
Die Grünen wollen sogar noch mehr vorantreiben, sie
sagen: Bis 2030 brauchen wir 100 Prozent erneuerbare
Energien.
Zur Stromsteuer: Anfang Februar war in der Bild-Zeitung zu lesen, dass Sigmar Gabriel sich dafür ausgesprochen hat, die Stromsteuer teilweise abzuschaffen oder sie
zu reduzieren - obwohl die Stromsteuer 1999 von RotGrün eingeführt wurde. Der Energieminister von Schleswig-Holstein, Herr Habeck, sagt: Die Stromsteuer zu
senken, ist keine Lösung.
({4})
Ähnlich beim zukünftigen EEG: Ende Dezember war
in der Neuen Osnabrücker Zeitung zu lesen, dass Sigmar
Gabriel meint: Das EEG funktioniert so nicht mehr. - Sie,
Herr Kelber, haben noch vor zwei Wochen gesagt: Das
EEG funktioniert.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist
keine seriöse und glaubwürdige Politik. Deshalb muss
ich meiner Vorrednerin auch sagen, dass wir durch solche Äußerungen von Ihnen die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Energiewende verlieren.
({5})
Wir verlieren Stück für Stück die Akzeptanz, wenn wir
das Thema Strompreiserhöhungen bzw. Energiepreiserhöhungen nicht ernsthaft anpacken. Wenn wir uns in den
nächsten Wochen ganz konkret mit diesen Themen beschäftigen, werden wir sehen, an welchen einzelnen
Punkten Sie mitmachen.
({6})
Ein fünfköpfiger Haushalt in Deutschland zahlt in
diesem Jahr circa 200 Euro für erneuerbare Energien.
Wenn dieser Preisanstieg wie in den letzten Jahren weitergeht, werden in zwei Jahren nicht, wie dieses Jahr,
22 Prozent des Strompreises, sondern wird bereits ein
Drittel des Strompreises auf die erneuerbaren Energien
zurückgehen. Diese Entwicklung kann so nicht weitergehen. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung
- das ist kein Gewurstel, sondern ein einhelliger Vorschlag, der zwischen Peter Altmaier und Philipp Rösler
abgestimmt ist - den Anstieg der EEG-Umlage in den
nächsten zwei Jahren mit einer Strompreisbremse verlangsamen will.
({7})
Wir wollen versuchen, die EEG-Umlage bei 5,277 Cent
je Kilowattstunde zu belassen, und nehmen alle in die
Verantwortung und Verpflichtung, ihren Beitrag dafür zu
leisten, dass die EEG-Ausbaukosten nicht aus dem Ruder laufen. Alle müssen ihren Beitrag leisten.
Herr Kollege, der Herr Kelber würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?
Immer wieder gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Bareiß, Sie haben sich ja gerade zu einer
Prognose hinsichtlich der Kosten der Förderung der erneuerbaren Energien hinreißen lassen. Das hat der Umweltminister ja auch gemacht. Er hat gesagt, das würde
1 Billion Euro kosten. Dazu brauche ich eine Einschätzung von Ihnen.
Er hat diese Aussage ja in einem Interview getroffen,
also in der freien Wildbahn. Hier liegen jetzt Antworten
auf eine Große Anfrage vor, die im Juli 2012 gestellt
wurde. Nach sieben Monaten haben wir die Antworten
bzw. die Nichtantworten. Wenn ich mich richtig erinnere, müssen die Antworten nach der Geschäftsordnung
des Bundestages wahrheitsgemäß sein.
Wahrheitsgemäß ist auf die Frage, wie hoch die Kosten für den Ausbau bestimmter erneuerbarer Energien
sind, geantwortet worden: Das weiß die Bundesregierung nicht.
Auf die Frage, welche Investitionskosten entstehen
würden, wenn wir die erneuerbaren Energien nicht ausbauen, sondern weiter auf konventionelle Energien setzen würden, erhielten wir die wahrheitsgemäße Antwort
der Bundesregierung: Wissen wir nicht.
Auf die Frage - um jetzt einmal weg vom Strom und
hin zur Wärme zu kommen -, wie viel man für welche
Investitionen im Bereich von Wärme- und Effizienzmaßnahmen einsparen kann, ist die wahrheitsgemäße
Antwort der Bundesregierung: Wissen wir nicht.
Würden Sie mir, wenn die drei Antworten wahrheitsgemäß sind, dass man die Kosten nicht kennt, zustimmen, dass die Aussage, es kostet 1 Billion Euro, dann
nicht wahrheitsgemäß sein kann?
Ich glaube, diese Frage müssen Sie an die Bundesregierung richten.
({0})
- Ich bin Mitglied des Parlaments; Entschuldigung, aber
das ist nun einmal ein kleiner Unterschied.
Ich glaube aber, dass Peter Altmaier mit seiner Zahl
fast richtig liegt. Ich kann nicht sagen, ob es 1,1 Billionen Euro oder 900 Milliarden Euro sein werden, aber eines ist klar: Die Energiewende ist das größte und sicher
herausforderndste Projekt der nächsten 30, 40 Jahre. Das
Projekt wird nicht schon 2020 oder 2030 abgeschlossen
sein, sondern es wird noch wesentlich länger dauern.
Wenn ich allein nur die heutige EEG-Umlage, die wir
zahlen, hochrechne, ohne dass es in den nächsten Jahren
zu einem Zubau kommt, kommen wir schon heute auf
Gesamtkosten von 400 Milliarden Euro, lieber Herr
Kelber. Darin sind noch keine Kosten für den Leitungsausbau, für die Speicher, die wir brauchen, für das Verteilnetz, das wir brauchen, und für die Energieforschung,
die wir brauchen, und auch keine Investitionen in die
Gebäudesanierung enthalten. Insofern glaube ich, dass er
mit dieser 1 Billion Euro relativ richtig liegt und dass es
sicherlich nicht viel günstiger wird.
Ich glaube, wir müssen hier den Menschen reinen
Wein einschenken und ihnen einerseits sagen, wo die
Chancen liegen und wie unsere Wirtschaft davon profitieren kann, andererseits dürfen wir sie aber nicht anlügen und sagen, dass wir das alles ganz einfach hinkriegen, sondern wir müssen auch die Kosten ganz klar und
deutlich aufzeigen. Wie gesagt: Ich glaube, dass wir hier
mit 1 Billion Euro nicht ganz falsch liegen.
Herr Kollege, Sie könnten Ihre Redezeit jetzt noch
einmal verlängern, indem Sie Herrn Kollegen Fell die
Möglichkeit zu einer Zwischenfrage geben.
Ja, natürlich, sehr, sehr gerne. Wir haben ja Zeit heute
Abend.
Bitte schön.
Herr Fell, bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Kollege Bareiß, Sie haben gerade gesagt, wir müssten die Bundesregierung fragen,
wenn wir wissen wollten, wie die 1 Billion Euro errechnet worden sei. Ich habe die Bundesregierung gefragt
und auch eine Antwort bekommen. Vor allem habe ich
gefragt, welches denn die wissenschaftlichen Grundlagen seien und welche Quellen es für die Berechnung
gebe, weil wir das gerne nachvollziehen wollten.
({0})
Die Antwort der Bundesregierung war, diese hätte
Herr Minister Altmaier in einem Interview für die FAZ
benannt. Ich habe in dem Interview nachgeschaut. Darin
stehen keine Quellen, keine wissenschaftlichen Belege
und anderes. Insofern möchte ich Sie bitten, mir zu sagen, was Ihr Rat wert ist, wir sollten die BundesregieHans-Josef Fell
rung fragen, wenn die Bundesregierung diese Frage
nicht richtig beantwortet.
Zu der zweiten Frage, nämlich dazu, wie hoch die
Kosten wären, wenn wir nicht umstellen, gibt es immerhin einmal einen Anhaltspunkt, und ich bitte Sie, diesen
zu bewerten:
Wir haben Brennstoffkosten in Höhe von etwa
80 Milliarden Euro, die wir aufgrund der Importe von
Erdgas, Erdöl und Kohle zahlen müssen.
({1})
- Das kann man beim Statistischen Bundesamt und anderswo nachlesen. - Wenn wir nun die Energiewende
mit erneuerbaren Energien durchführen, vermeiden wir
diese doch. Wenn wir das über 20 Jahre hochrechnen,
dann kommen wir übrigens weit über 1 Billion Euro.
Wie können Sie denn behaupten, dass diese Kosten eine
Belastung für die Ökonomie sind? Wir kommen weg
von den Belastungen der Ökonomie!
({2})
Herr Fell, ich habe versucht, es zu erklären. Ich rate
dazu, auch normalen Menschenverstand einzuschalten.
Wir alle wissen, dass die heutigen EEG-Anlagen, die wir
haben, 20 Milliarden Euro kosten. Die nächsten 20 Jahre
({0})
sind die noch alle am Netz. Das heißt, wenn wir die Zahlen, die wir für die bestehenden Anlagen haben, für die
kommenden 20 Jahre aufsummieren, dann sind wir bei
400 Milliarden Euro.
({1})
Sie wollen aber sogar weitermachen mit dem EEGAusbau. Dann kommen noch einmal 100, 200 oder
300 Milliarden Euro dazu. Hinzu kommen noch Kosten
für den Netzausbau im Überlandbereich in Höhe von 80
oder 90 Milliarden und für den Verteilnetzbereich in
Höhe von 30, 40, 50 Milliarden Euro.
({2})
Wenn wir dann noch den Speicherbereich dazu zählen,
dann haben wir wahrscheinlich noch einmal 50 Milliarden Euro. Das sind Summen, die sich in den nächsten
30, 40 Jahren noch einmal erheblich nach oben entwickeln. Dann sind wir relativ schnell bei 1 Billion Euro.
Ich sage ja nicht, dass die Chancen nicht gesehen werden dürfen.
({3})
Ich sage auch, man muss beides sehen: Man muss die
Risiken, die Kosten sehen, aber auch die Chancen. Um
diese Debatte glaubwürdig zu führen,
({4})
müssen wir beides sehen und offen und ehrlich mit den
Menschen umgehen. Wir müssen Lösungsansätze finden, um diese enorme Steigerung bei den Energiekosten
in den Griff zu bekommen. Deshalb haben wir jetzt zum
Glück den Vorschlag einer Strompreisbremse vorliegen,
({5})
bei dem wir schauen können, inwieweit Sie mitmachen.
Es gibt verschiedene Punkte, bei denen wir eventuell
Ihre Hilfe brauchen.
Erster Punkt: Thema Industrieausnahmen
({6})
und Eigenerzeugnisse, wo wir 40 Prozent - ({7})
- Ja, da wollen wir jetzt drangehen. Schauen wir einmal,
wo Sie mitmachen.
Herr Kollege, ich hätte jetzt noch eine Möglichkeit
für Sie, Ihre Redezeit zu verlängern. Ihr Kollege Grund
hätte nämlich auch noch eine Zwischenfrage. Möchten
Sie die auch zulassen?
Sehr schön. Ja, gern.
Bitte schön.
Man merkt an der Überraschung, dass es keine bestellte Frage sein wird.
({0})
Weil wir bei der Größenordnung der Zahlen sind: Je
20 Milliarden Euro EEG-Umlage in den nächsten
20 Jahren. Man kann sich ja auch ausrechnen, wie viel
Kaufkraft und wie viel Finanzvolumen damit gebunden
werden. Die Frage ist ja, für welches Ergebnis.
Ich habe in dieser Woche bei der Bundesregierung angefragt, und ich würde Ihnen das gern einmal vorlegen,
damit Sie mir sagen können, ob das Ergebnis überhaupt
in einem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen steht.
Ich habe gefragt: Wie hoch war die im Monat Januar
2013 in der Bundesrepublik Deutschland verbrauchte
elektrische Arbeit in Terawattstunden, und welchen Anteil daran hatte der durch Photovoltaik erzeugte Strom?
({1})
- Ja, ich wollte die Zahl: 0,8 Prozent. Also, Photovoltaik
hat im Januar dieses Jahres zu 0,8 Prozent an der in
Deutschland verbrauchten elektrischen Arbeit teilgehabt, und zwar zu Kosten von 20 Milliarden Euro pro
Jahr.
({2})
Ist dies noch verhältnismäßig?
Mit der Frage der Verhältnismäßigkeit habe ich mich
in den letzten drei Jahren intensivst beschäftigt: in etlichen Debatten zur PV-Novelle innerhalb des EEG, wo
wir dafür gekämpft haben, dass wir Stück für Stück die
EEG-Umlage gerade im Bereich der PV-Anlagen, der
Solaranlagen, reduzieren. Wir haben es trotz erbitterten
Widerstands geschafft,
({0})
die Vergütung im Bereich der Solarenergie um 70 Prozent zu reduzieren und damit das, was Sie beschreiben,
nämlich diese enorme Kostensteigerung im Bereich der
Photovoltaik bei relativ wenig Ertrag, in den Griff zu bekommen und damit auch ein Stück weit mehr Sinn in
diese Energiedebatte zu bekommen.
({1})
Insofern haben wir den Punkt angepackt.
Die Zubauraten, die wir in den letzten Jahren im Bereich der Solarenergie hatten, gehen in eine ganz falsche
Richtung. Wir müssen da wieder auf ein sinnvolles Maß
an Zubauraten in einer Größenordnung von 1 000 bis
2 000 Megawatt kommen. Die 7 500 Megawatt in den
letzten Jahren waren - gelinde ausgedrückt - nicht immer ganz sinnvoll. Deshalb ist der Punkt, den Sie ansprechen, sehr wichtig. Da sieht man, dass vieles fehlgesteuert wurde, viel Geld in Bereichen ausgegeben wurde, bei
denen verhältnismäßig wenig herauszuholen ist. - Herzlichen Dank.
({2})
Zur Strompreisbremse. Wir haben - ich will jetzt auf
meinen ursprünglichen Redebeitrag zurückkommen - in
allen Bereichen die Verantwortlichen zu benennen. Die
Industrieanlagen, die Eigenerzeugnisse wollen wir anpacken; die werden anteilig circa 40 Prozent liefern. Wir
wollen aber auch, dass die Bestandsanlagen, die im
EEG-Topf mit 14,5 Milliarden Euro den größten Brocken ausmachen, ihren Beitrag leisten. Das ist ein Punkt,
der natürlich auch für uns nicht ganz einfach ist und über
den wir ebenfalls noch diskutieren werden. Aber wir
werden die EEG-Kosten nur dann begrenzen können,
wenn wir auch ein Stück weit die Bestandsanlagen mit
500 Millionen Euro mit ins Boot holen. Das macht
25 Prozent aus.
Der dritte Punkt wird sein, die zukünftigen Anlagen,
die noch kommen werden, ebenfalls mit in die Verantwortung zu nehmen und die Vergütungssätze Stück für
Stück zu reduzieren. Das wird mit 660 Millionen Euro
noch einmal 35 Prozent ausmachen.
Nun geht es ganz konkret darum, ob Sie bei den Bestandsanlagen, bei den Industrieanlagen und bei den Anlagen, die zukünftig kommen werden, mitmachen werden. Nur wenn wir es gemeinsam schaffen, das
Gesamtpaket umzusetzen, werden wir die EEG-Umlage
in den nächsten zwei Jahren auf ein gesundes Maß einfrieren und bei 5,277 Cent pro Kilowattstunde halten
und damit die Energiewende nicht nur für die Menschen,
sondern auch für die Wirtschaft und im Hinblick auf unsere Arbeitsplätze bezahlbar machen können.
({3})
Wenn wir dies schaffen und die EEG-Vergütung zwei
Jahre lang eingefroren werden kann, dann können wir
uns auch die Zeit nehmen, zu diskutieren, wie das zukünftige EEG aussehen soll.
({4})
Es wird darauf ankommen, für mehr Markt und Wettbewerb zu sorgen und so die erneuerbaren Energien zukunftssicher und nachhaltig zu machen. Auch da werden
wir sicherlich sehr viel diskutieren und langfristige Ideen
brauchen.
Wir haben aber nicht nur vor, das EEG zu ändern. Wir
haben schon in den letzten drei Jahren vieles bei den
Energiepreisen und der Energieeffizienz bewirkt. Ich
habe das Thema Solarenergie schon angesprochen. Wir
haben hier die Vergütung um 70 Prozent reduziert, um
für mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen. Wir haben die
Förderung der Energieeffizienz der Gebäude massiv ausgebaut. So fließen nun jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro in
die Verbesserung der Gebäudeenergieeffizienz. Das ist
ein Betrag, der jedem Häuslebauer hilft und dafür sorgt,
dass Energie eingespart wird. Ich nenne die Mietrechtsnovelle. Des Weiteren haben wir versucht, eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
gegen Ihren Willen durchzusetzen.
({5})
Das haben wir nicht geschafft. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, wurde ein Ausbau der Energieeffizienz immer wieder verhindert. Wir haben mit der Förderung von
Wettbewerb und Transparenz einiges auf dem Kraftstoffmarkt getan. Ich nenne als weiteres Stichwort die Stromsparinitiative.
Das ist eine in sich schlüssige und glaubwürdige Politik. Nur so kann die Energiewende gelingen. Ich fordere
Sie auf: Machen Sie mit! Nehmen Sie das Thema Energiepreise ernst,
({6})
und machen Sie auch bei der Strompreisbremse mit!
Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({7})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Hubertus Heil.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bareiß, ich habe mich schon ein bisschen gewundert, weil neben der Großen Anfrage, die dankenswerterweise meine Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter
federführend und verdienstvoll auf den Weg gebracht
hat, ein Antrag meiner Fraktion vorliegt, den man lesen
und auf den man sich beziehen kann.
Ich frage Sie also, Herr Bareiß: Was ist eigentlich Ihre
persönliche Meinung zum Thema Stromsteuer? Wie Sie
wissen, hat der Bund alleine durch die Mehrwertsteuer
auf die erhöhte EEG-Umlage Mehreinnahmen in Höhe
von 1 Milliarde Euro jährlich. Meine ganz konkrete
Frage lautet angesichts von Äußerungen der sächsischen
Staatsregierung und auch aus der CSU: Sind Sie bereit,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern kurzfristig zu
helfen, indem etwas im Bereich der Stromsteuer getan
wird?
({0})
Ich möchte Ihre persönliche Meinung als Abgeordneter
wissen. Das ist der erste Punkt.
Zweitens. Ich sage Ihnen ganz deutlich, Herr Bareiß,
was Ihr Problem ist. In dieser Legislaturperiode hätte der
Strommarkt in Deutschland umfassend neu geordnet
werden müssen. Tatsache ist: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein Riesenerfolg; sonst läge der Anteil
der erneuerbaren Energien in Deutschland nicht bei rund
25 Prozent. Aber Sie haben Zeit durch Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke, durch eine 180-Grad-Wende
und durch ein Verhaken zwischen Wirtschafts- und
Umweltministerium verplempert. Jetzt, am Ende der
Legislaturperiode, kommen Sie mit durchschaubaren
Manövern, die dazu dienen sollen, den Schwarzen Peter
- nicht Peter Altmaier - für die gestiegenen Energiekosten anderen zuzuschieben. Ich sage Ihnen: Sie haben
Deutschland in der Energiepolitik vier Jahre gekostet.
Deshalb würde ich von Ihnen gern wissen: Warum haben
Sie eigentlich nie Vorschläge für eine Neuordnung des
Strommarkts bzw. für ein anderes Strommarktdesign gemacht? Wir brauchen eine Neuordnung, um den Ausbau
der Erneuerbaren vernünftig voranzubringen, gesicherte
Kapazitäten bereitzustellen sowie die Bezahlbarkeit zu
erhalten und den Netzausbau nach vorne zu bringen. Ihnen fehlt die Vorstellung, wie es weitergehen soll.
({1})
Letzter Punkt. Über die Notoperation, die Sie jetzt
vorschlagen, können wir gerne reden. Wir haben eigene
Vorschläge gemacht, weil wir das Thema Bezahlbarkeit
sehr ernst nehmen. Aber was nicht geht, ist, dass Sie Investitions- und Planungssicherheit in diesem Land zerstören, indem Sie rückwirkend in den Bestand eingreifen.
({2})
Ausländische Investoren achten genau darauf, was in
Deutschland in diesem Bereich geschieht. Unterhalten
Sie sich bitte auch mit den großen Energieversorgern,
mit den Anbietern erneuerbarer Energien und mit den
Herstellern von Anlagen in diesem Land über die fatale
Wirkung dieser Art und Weise, Politik zu machen!
Ich sage Ihnen: Industriepolitisch gesehen - das ist
mein Schluss - haben Sie eine Antwort nicht gegeben.
Sie versuchen, bei uns einen Widerspruch hinsichtlich
der Ausnahmen für energieintensive Betriebe zu konstruieren. Da gibt es aber überhaupt keinen Widerspruch.
Wir sind der festen Überzeugung, dass Unternehmen,
die tatsächlich energieintensiv sind, die alle Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz genutzt haben
und die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht
stärker belastet werden dürfen. Sie machen mit Herrn
Altmaier jedoch einen gegenteiligen Vorschlag. Sie wollen auch Unternehmen belasten, die Maßnahmen zur
Energieeffizienzsteigerung ergriffen haben und im internationalen Wettbewerb stehen.
Herr Kollege Heil, die Zeit ist abgelaufen.
Das nenne ich industriepolitischen Irrsinn. Sie haben
ökonomisch gesehen die falsche Richtung eingeschlagen. Sie sollten umkehren.
({0})
Herr Kollege Bareiß zur Erwiderung, bitte.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Heil, für die Fragen. - Ich
finde es interessant, festzustellen, dass in Ihrer Fraktion
zwischenzeitlich ein Bewusstseinswandel stattgefunden
hat, was das zukünftige Marktdesign betrifft. Wenn ich
mit den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion über
das Thema Energie diskutiert habe, habe ich bisher immer den Eindruck gehabt, dass Sie zwanghaft am EEG
festhalten und keine einzige Reform des EEG vorsehen
wollen. Das war die Debatte der vergangenen drei Jahre.
Sie haben zwanghaft am EEG festgehalten.
({0})
Wenn wir im EEG Kleinigkeiten novellieren wollten,
gab es von Ihrer Seite aus immer nur Widerspruch, nicht
einmal konstruktiven Widerspruch. Sie waren immer nur
dagegen, weil Sie jede Änderung des EEG immer sofort
als einen Angriff auf die erneuerbaren Energien gewertet
haben. Das hat die Debatte auch enorm vergiftet.
({1})
Wenn wir ein Marktinstrument eingebaut haben wie die
Marktprämie beispielsweise, indem wir versucht haben,
die erneuerbaren Energien Stück für Stück an den Markt
zu bringen, waren Sie immer dagegen. Sie waren immer
dagegen, dass die erneuerbaren Energien in den Markt
eintreten, obwohl diese das könnten. Erneuerbare Energien sind nämlich schon so weit, dass sie Stück für Stück
in den Markt eintreten können. Sie brauchen nicht mehr
die für 20 Jahre fest vereinbarte Vergütung; sie brauchen
die Bevorzugung nicht.
Ich glaube, wir sind dabei schon ein Stück weiter als
Sie. Wir werden jetzt ganz unaufgeregt kurzfristige
Maßnahmen vorschlagen. Das haben wir bereits zum
Thema Strompreise gemacht, da wir gesehen haben, dass
wir das Thema kurzfristig angehen müssen. In den
nächsten zwölf Monaten brauchen wir eine Phase, in der
wir das große Thema von EEG und EnWG, die Verbindung der fossilen Kraftwerkswelt mit der Welt der
erneuerbaren Energien, anpacken. Das wird die größte
Reform der nächsten 20 Jahre sein.
({2})
Das wird die Grundlage der Energiewelt der nächsten
30 bis 40 Jahre sein. Dabei dürfen wir keine Schnellschüsse machen. Wir müssen schauen, was jetzt sinnvoll
und machbar ist. Ich glaube, dabei bekommen wir auch
gemeinsam etwas hin.
Deshalb glaube ich, dass die Stromsteuer - damit
komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben - kein
Ansatz ist, um das Ganze langfristig in den Griff zu
bekommen. Jetzt die Stromsteuer abzuschaffen, wäre ein
Taschenspielertrick. Dadurch würden wir anderswo
Löcher aufreißen, nämlich bei der Rente. Das haben Sie
1999 eingeführt.
({3})
Sie haben damals die Stromsteuer erfunden. Damit haben Sie die Rente finanziert. Wir wollen das jetzt nicht
mehr abschaffen. Vielmehr glauben wir, dass wir langfristig ausgerichtete, nachhaltige und ehrliche Debatten
über das EEG und die Energieversorgung und auch ehrliche Lösungen brauchen. Deshalb müssen wir das
Thema grundsätzlich angehen. Das über die Stromsteuer
zu versuchen, wäre der falsche Weg. Deshalb bin ich gegen die Senkung der Stromsteuer und auch gegen die
Abschaffung der Stromsteuer.
Herzlichen Dank.
({4})
Jetzt hat die Kollegin Dorothée Menzner von der
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Was kostet die Energiewende? Umweltminister Altmaier
- das wurde zitiert - hat neulich von 1 Billion Euro gesprochen. Da fragt man sich: Ist das Wirklichkeit oder
Panikmache? Wie kommt er eigentlich darauf?
Die Bundesregierung führt keine Vergleichsrechnung
der Kosten der atomaren und fossilen Energieerzeugung
im Verhältnis zu den Kosten der erneuerbaren Energien.
Die Bundesregierung hat keine Vorstellung von der
künftigen Preisentwicklung fossiler und atomarer Brennstoffe. Die Bundesregierung hat keine Vorstellung davon, wie sich die CO2-Preise entwickeln werden. Die
Bundesregierung hat keine Vorstellung davon, welche
Wertschöpfung die Branche der erneuerbaren Energien
in diesem Land bringt, nicht einmal für den nahen Termin 2020. Die Bundesregierung hat keine Vorstellung
davon, wie hoch die Klimafolgekosten von 1 Tonne
CO2-Ausstoß sind.
All das kann man der Antwort auf die Große Anfrage
der SPD entnehmen, die wir uns natürlich sehr genau angeschaut haben.
Ich frage Sie: Wie kann man so völlig ohne Vorstellungen von zukünftigen Preisentwicklungen Aussagen
zu zukünftigen Kosten machen? Das erschließt sich mir
nicht. Tut mir leid.
({0})
Die Bundesregierung gibt immer Auskunft darüber,
was die Energiewende kostet. Aber was sie verschweigt,
ist, wie hoch die Kosten denn sein werden, die auf uns
zukommen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Da
kann ich nur sagen: Es müssen externe Kosten in die
Rechnung mit einbezogen werden.
({1})
Das Umweltbundesamt rechnet mit Folgekosten von wenigstens 40 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2. Ich
kenne andere Schätzungen, die sogar bis zu 120 Euro
reichen. Schauen Sie doch alle einmal nach, was Ihr Pkw
so an CO2-Ausstoß hat!
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW,
beziffert die Klimafolgekosten allein für Deutschland
wirklich konservativ auf 800 Milliarden Euro. Steigende
Ressourcenpreise, Ressourcenkämpfe, Ressourcenkriege,
all das gibt es schon längst, und es wird sich besonders im
Hinblick auf wachsenden Energiebedarf aufstrebender
Länder weiter verschärfen. Auch Rüstungsausgaben sind
immer mehr Kosten der fossil-atomaren Energie. Folgekosten der Atomkraft, Stichwort: „Atommüll“ - wir hatten vorhin die Debatte zur Asse -, sind weitere mögliche
Kosten, von der Möglichkeit eines Super-GAUs in
Deutschland oder einem Nachbarland ganz zu schweigen.
All das sind externe Kosten der bisherigen Energiewirtschaft. Damit sind die aus der Luft gegriffenen 1 Billion
Euro an Kosten für eine ökologische Energiewende bei
weitem überboten; man wird es sich denken können.
Was macht die Bundesregierung? Sie plant den Abschuss des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und bringt
dadurch nicht nur die Energiewende in Gefahr, sondern
auch eine Branche mit 381 000 Arbeitsplätzen in
Deutschland. Dazu argumentiert sie seit langem das
erste Mal - es ist wirklich so - mit einer sozialen Komponente: Der Strompreis sei durch die erneuerbaren
Energien so angestiegen, dass genau an dieser Stelle
Abstriche gemacht werden müssten.
Fakt ist: Der Strompreis ist seit 2000 auf das Doppelte
gestiegen; das ist richtig. Aber davon ist wirklich nur ein
Drittel tatsächlich dem Ausbau der erneuerbaren Energien zuzurechnen. Was hingegen eklatant gestiegen ist,
sind die Ausnahmen für die energieintensive Industrie
beim Strompreis, bei der Stromsteuer, bei der EEGUmlage und bei Netzentgelten. Reden Sie also nicht von
sozialer Gerechtigkeit, wenn Sie gar keine Vorstellung
davon haben, wie Sie sie herstellen wollen!
({2})
Würden wir die gesamten Folgekosten der fossilen
und atomaren Energieerzeugung allein im Stromsektor
auf den Preis aufschlagen, dann wären wir längst bei einem Strompreis von 40 Cent pro Kilowattstunde. Das
würde man dann, anders als bisher, auch sehen.
Energiewende bedingt, wenn man es klug und vor
allem günstig machen will, Energieeffizienz. Ich bin
Realistin genug, um zu erkennen, dass Sie unserem Antrag hier nicht zustimmen werden. Aber ich würde Ihnen
raten: Dann machen Sie es doch wie so oft: Benutzen Sie
ihn als Steinbruch für Ihre zukünftige Arbeit!
({3})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir fordern Sie auf: Schlagen Sie einen anderen Weg
ein! Es wäre besser für alle, wenn Sie endlich Einsicht
hätten, dass Kohle und Atomenergie Dinosaurier sind,
dass wir so nicht weiterkommen und entsprechend
handeln müssen. Allein dann hätte das eine wirkliche soziale Komponente.
Ich danke.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Klaus
Breil.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst etwas Aufklärung im
Hinblick auf aufgeworfene Fragen geben, was die
1 000 Milliarden bzw. 1 Billion Euro für die ökologische
Energiewende betrifft. Es gibt ein Sondergutachten des
Sachverständigenrates für Umweltfragen aus dem Jahr
2011. Es enthält auf Seite 179 eine Folie - ich empfehle
sie Ihrer besonderen Aufmerksamkeit -, und da können
Sie sehen, wie sich die entsprechenden Zahlen entwickeln und wie die Zahl von 1 Billion Euro bzw.
1 000 Milliarden Euro zustande kommt.
({0})
Sie müssen dabei nur noch berücksichtigen, dass der
Aufwuchs in den letzten Jahren die Kurven von damals
ein ganz klein wenig gesprengt hat.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute mit den Anträgen der Opposition, die vor
über einem Jahr gestellt wurden. In letzter Minute kam
ein Entschließungsantrag der SPD dazu, wahrscheinlich
um der Debatte zumindest den Anschein von Aktualität
zu geben.
({2})
Allerdings kann man diesen Entschließungsantrag schon
nach den ersten Zeilen nicht mehr ernst nehmen. Die Regierungskoalition dafür anzugreifen, dass die Kürzungen
der Vergütung für Photovoltaik in den EEG-Novellen
nicht ausreichend waren, um die Umlage wirkungsvoll
zu begrenzen, müsste den Genossen die Schamesröte ins
Gesicht treiben. Den ganzen restlichen Winter könnte
ich mit Pressemitteilungen und Namensartikeln heizen,
in denen Sie uns anklagen, die Solarbranche, Ihre Amigos, kaputt zu machen, in denen Sie den Bürgerinnen
und Bürgern glauben machen, die Photovoltaik wäre die
Ersatzlösung für den Wegfall der konventionellen Kapazitäten, in denen Sie uns vorwerfen, die Energiewende
ganz und gar nicht zu wollen. Dabei waren Sie es doch,
die den letzten Kürzungsversuch im Bundesrat blockiert
haben. Das ist hochrangig unseriös, was Sie, die Genossen von EUROSOLAR, mit diesem Entschließungsantrag tun.
({3})
In dem einem Jahr, das vergangen ist, seit die anderen
Anträge geschrieben wurden, ist nicht nur die Opposition von der Realität eingeholt worden. Nein, auch die
Energieeffizienzrichtlinie der EU, auf die in den Anträgen eingegangen wird, wurde vom Europäischen Rat
verabschiedet.
Herr Kollege Breil, die Kollegin Schwarzelühr-Sutter
möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte gerne meine Gedanken zu Ende führen.
({0})
Im vergangenen Jahr ist die Richtlinie im Dezember
in Kraft getreten. Sie muss bis zum Juni 2014 in nationales Recht umgesetzt werden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird das mit Freude in der kommenden Legislaturperiode tun.
Unser Ziel ist es, mit der Richtlinie einen Beitrag zur
Erreichung des EU-Energieeffizienzziels bis 2020 zu
leisten,
({1})
die Hebung von wirtschaftlichen Potenzialen zur Energie- und Stromeinsparung zu unterstützen, die Verbraucher von steigenden Energie- und Strompreisen zu entlasten
({2})
und den Markt für Energiedienstleistungen weiter zu
stärken bzw. auszubauen.
Allerdings müssen wir bei allen Regelungen darauf
achten, dass erstens der bereits bestehende und bewährte
Mix an Instrumenten zur Steigerung der Energieeffizienz
fortgeführt und zweitens zusätzlicher bürokratischer
Aufwand minimiert wird. Deshalb sollten wir die Richtlinie eins zu eins umsetzen.
Bis 2020 soll der Primärenergieverbrauch gegenüber
2008 um 20 Prozent, bis 2050 um 50 Prozent sinken.
Das erfordert für uns in Deutschland pro Jahr eine Steigerung der Energieproduktivität um durchschnittlich
2,1 Prozent.
Gemäß dem Monitoring-Bericht - Sie alle kennen
ihn - haben wir in diesem Bereich schon vorzeigbare Ergebnisse geliefert. Im Zeitraum 2008 bis 2011 ist die
Energieproduktivität jährlich im Durchschnitt um 2 Prozent gestiegen. Wir befinden uns also auf dem Zielpfad
und müssen den Trend nur noch geringfügig verstärken.
({3})
Die in der vorigen Woche veröffentlichte Studie der
Prognos AG - Sie alle werden sie gelesen haben - hat
alle laufenden und geplanten politischen Maßnahmen
auf ihre Energieeinspareffekte im Zeitraum 2014 bis
2020 untersucht. Die Gutachter bescheinigen für diesen
Zeitraum sogar eine leichte Übererfüllung der europäischen Einsparvorgabe. Dabei ist schon eingerechnet,
dass die Vorleistungen bei Einsparungen, die Deutschland erbringt, nur zu 25 Prozent auf das Einsparziel in
Art. 7 der Richtlinie angerechnet werden dürfen. Das
zeigt uns eines: In Deutschland hat sich in den letzten
Jahrzehnten ein breiter und bewährter Mix an Instrumenten zur Steigerung der Energieeffizienz entwickelt, und
dieser Mix unterliegt einer fortlaufenden Weiterentwicklung oder - besser gesagt - einer Optimierung.
Die Maßnahmen, die wir in Deutschland bisher umgesetzt haben, tragen wesentlich zur Verringerung des
Endenergieverbrauches bei. Auch wenn ich hohe Energiepreise in keiner Form befürworte, werden doch in erheblichem Umfang Einsparimpulse gesetzt. Aber auch
die Energieeffizienz von Produkten und Dienstleistungen wird kontinuierlich gesteigert oder die Nutzung
energieeffizienter Technologien oder Techniken vorangetrieben. Die Gebäudesanierung und die Neubaustandards führen ebenfalls zu hohen Einsparungen. Vor diesem Hintergrund muss im Rahmen der Umsetzung der
Richtlinie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, unseren bewährten Instrumentenmix auszubauen.
So können wir die Energieeinsparverpflichtungen der
EU einhalten, ohne Verbraucher und Wirtschaft mit erheblichen zusätzlichen Kosten zu belasten.
Wer auch immer auf die Idee kommt, die bisherigen
Erfolge kleinzureden, hat ein Problem. Denn dann müssen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
Farbe bekennen und sagen, mit welchen Instrumenten
und mit wessen Geld die Effizienzfortschritte beschleunigt bzw. erzwungen werden sollen. Ich bin jedenfalls
gegen Sanierungszwang oder staatliche Effizienzumlagen à la EEG.
({4})
Ich werde mich dafür einsetzen, dass alle staatlichen
Maßnahmen, die tatsächlich eine Einsparwirkung haben,
bei der Umsetzung der Richtlinie anerkannt und nach
Brüssel gemeldet werden. Deutschland ist eine energieeffiziente Volkswirtschaft, die energieeffizienteste
Volkswirtschaft der Welt,
({5})
und das lasse ich mir nicht kaputtreden.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort
der Kollegin Schwarzelühr-Sutter.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Breil, ich finde es schon
ziemlich vermessen bzw. sogar etwas unverschämt, dass
Sie behaupten, unsere Anträge und Anfragen seien ein
Produkt von EUROSOLAR. Ja, ich bin genauso wie der
Kollege Göppel oder der Kollege Fell Mitglied von EUROSOLAR. Aber einen eingetragenen Verein - und Sie
wissen, was das heißt - mit Lobbyisten zu vergleichen,
die teuer bezahlt sind - da würde ich bei Ihrer Partei mal
gucken, was denn bei den Nebenverdiensten steht -,
({0})
das ist nicht in Ordnung.
({1})
- Ja, da war was mit Nebenverdiensten. Es gibt nämlich
diejenigen, die es offenlegen, angeben und versteuern.
Aber es gibt auch diejenigen, die keine Transparenz haben wollen und entsprechende Anträge ablehnen. Da
war was, genau!
({2})
Da müssen Sie schon in Ihren eigenen Reihen schauen,
warum Sie das abgelehnt haben.
({3})
Aber ich möchte festhalten: Einen eingetragenen Verein mit einer Lobbygruppe oder einem Lobbyverband zu
vergleichen, ist einfach nicht in Ordnung.
({4})
Zweiter Punkt: das Alter dieser Anfrage. Ist es unser
Problem, wenn die Bundesregierung nicht in der Lage
ist, ihre eigenen Materialien auszuwerten und uns nach
kürzerer Zeit die Antworten zu geben? - Es waren Fragen und keine Unterstellungen in Bezug auf das EEG
oder sonst etwas. Ich muss schon sagen: Es ist schon bezeichnend, wenn man Fragen nicht von Antworten unterscheiden kann und man uns dann Manipulation vorwirft. Es sind Fragen, die sich jeder Bürger stellt.
Ich bin nicht nur Mitglied von EUROSOLAR, sondern auch frei gewählte Abgeordnete und vertrete jeden
Bürger, auch Handwerker und Wirtschaft.
({5}) -
Ulrich Kelber [SPD]: Da wäre eine Entschul-
digung angesagt! - Hubertus Heil [Peine]
[SPD]: Das muss man sich von der Hotelpartei
nicht erzählen lassen!)
Herr Kollege Breil, wollen Sie antworten?
({0})
- Bitte schön.
Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, erstens ist die
Formulierung, die ich da gewählt habe, glaube ich, zulässig.
({0})
Zweitens ist es nun einmal so, dass EUROSOLAR viele
Mitglieder hat, die Ihnen nahestehen.
({1})
- Ja, über die Parteigrenzen hinweg; aber ganz besonders viele stehen Ihnen nahe. Ich habe mich mit denen
auseinandergesetzt; einige sitzen ja in München. Ich
weiß also, wovon ich da rede.
({2})
Frau Schwarzelühr-Sutter, Sie haben die zurückliegende Zeit angesprochen. Ich habe gesagt, dass ich auf
den aktuellen Entschließungsantrag Bezug nehme;
({3})
dazu habe ich heute im Wesentlichen gesprochen. Ich
habe also zu Dingen, die über ein Jahr zurückliegen, gar
nicht gesprochen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Krischer von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich die Antworten auf die Große Anfrage
anschaut, dann sieht man ein Dokument des Unwillens
und der Unfähigkeit, sich mit Fragen der Energiewende
auseinanderzusetzen. Das ist ein Zeichen von Nichtwollen und Nichtkönnen, und das wird nur noch von dem
getoppt, was Sie hier in der Debatte zu diesem Thema
abliefern.
({0})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie über das Thema Energiepreise reden, dann reden Sie immer nur über die EEGUmlage. Was Sie überhaupt nicht draufhaben, ist, dass
wir Preissteigerungen wegen Konzerngewinnen und
steigender Preise für fossile Energien haben. Der 1 Billion Euro von Herrn Altmaier müsste gegengerechnet
werden, was wir an fossilen Rohstoffimporten sparen,
was wir an Wertschöpfung in unser Land bekommen.
Das haben Sie nicht auf dem Schirm.
({1})
Das ignorieren Sie, weil Sie es am Ende gar nicht wollen, weil es nämlich Ihre Wirtschaft betrifft, die darunter
leiden würde.
({2})
Wenn man festhält, dass die EEG-Umlage steigt, dann
muss man auch festhalten, dass die nicht wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien steigt, sondern wegen
sinkender Börsenpreise und wegen überbordender Ausnahmetatbestände. Wenn man da etwas tun will, muss
man diese Fragen angehen. Sie aber wollen eine Ausbaubremse schaffen, Sie wollen den Ausbau der Windenergie an Land kaputtmachen. Mit Ihren Vorschlägen
- das ist jetzt schon zu beobachten - stoppen Sie den
Ausbau der Windenergie im Binnenland komplett. Das
ist eine Katastrophe für die Energiewende und für den
Ausbau der erneuerbaren Energien.
({3})
Was ich ganz deutlich sage: Man kann über vieles diskutieren, aber es ist eine Grenzüberschreitung, dass Sie
in bestehende Verträge eingreifen wollen, dass Sie rückwirkend Dinge infrage stellen, die vorher politisch zugesagt worden waren. Das macht mehr kaputt als nur die
erneuerbaren Energien. Das rüttelt an der Säule, die wir
in der Politik hatten, dass sich an geschlossene Verträge
gehalten wird. Das wird Ihnen dann auch an anderer
Stelle auf die Füße fallen.
({4})
Wir haben Vorschläge gemacht, was man gegen eine
steigende EEG-Umlage tun kann. Wenn ich mir das
Altmaier/Rösler-Papier ansehe, sehe ich 1,8 Milliarden
Euro, die man dadurch sparen könnte - wenn man für
Sie günstig rechnet! -, um den Preis, dass Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien kaputtmachen. Wir haben
Vorschläge gemacht, wie man 4 Milliarden Euro sparen
kann, ohne dass die erneuerbaren Energien kaputtgehen,
und darüber sollten wir reden.
({5})
Was Sie auch nicht verstehen, ist das ganze Thema
Energieeffizienz. Dazu haben wir Anträge vorliegen, die
heute auch debattiert werden. Frau Merkel hat 2007 verkündet, Deutschland solle Effizienzweltmeister werden.
({6})
Da muss man sich einmal die Bilanz dessen ansehen,
was Sie seit 2009 abgeliefert haben. Da ist null, da ist
gar nichts; es ist noch schlimmer: Überall da, wo es um
etwas ging, haben Sie blockiert, haben Sie gebremst.
({7})
Sie haben in Brüssel versucht, die Energieeffizienzrichtlinie zu verhindern. Das ist Teil Ihrer Politik.
({8})
Jetzt geht es noch weiter. Jetzt geht es um die Frage:
Wie setzen wir die Energieeffizienzrichtlinie um? Herr
Breil hat eben dieses wunderbare Prognos-Gutachten genannt. Das soll die Grundlage dafür sein. Wenn man sich
anschaut, was in diesem Gutachten ernsthaft vorgeschlagen wird, fällt man tot um. Die Netzentgelte, die LkwMaut, die Mehrwertsteuer - das alles wird plötzlich zu
Energiesparmaßnahmen umgerechnet. Ich habe nur noch
erwartet, dass plötzlich das Wiederaufbauprogramm
nach dem Zweiten Weltkrieg als Vorleistung zu Energiesparmaßnahmen gerechnet wird. Dann kommen Sie zu
dem Ergebnis, dass Sie nichts tun müssen. Das ist genau
das, was nicht sein kann.
Wir müssen Energie einsparen. Wir müssen da vorankommen. Wir müssen Maßnahmen vorschlagen. Wir
müssen einen Energieeffizienzfonds schaffen. Von all
dem wollen Sie nichts wissen. Mit Taschenspielertricks
wollen Sie verhindern, dass beim Thema Energieeffizienz tatsächlich etwas passiert. So werden wir nie Energieeffizienzweltmeister.
({9})
Wir sind in Europa bei diesem ganzen Thema zum
Bremser geworden. Italien, Dänemark und Großbritannien machen uns bei diesem Thema etwas vor.
Herr Kollege Krischer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum letzten Satz. - Da kann ich es nur mit
Herrn Göppel sagen, der gleich nach mir noch spricht:
Wenn man alles zusammenfasst, meine Damen und Herren, was Sie im Bereich Energiepolitik - Erneuerbare,
Effizienz - machen, dann ist das - ich zitiere - ein Aufruf, Rot-Grün zu wählen.
({0})
Da hat Herr Göppel recht.
Danke schön.
({1})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Josef Göppel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Zielvorgaben der Bundesregierung zur Energiewende
bleiben richtig, auch bei heftiger Kritik der Opposition.
({0})
Wenn wir den Istzustand mit den Zielvorgaben vergleichen, dann stellen wir fest: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien liegen wir zwar gut in der Zeit, aber
die Zielvorgaben haben wir noch nicht erreicht. Als Abgeordneter der CSU sage ich: Solange die Zielvorgaben
nicht erfüllt sind, muss der Ausbau weitergehen.
({1})
Das bedeutet, dass die Strompreisbremse, die für bestimmte Bevölkerungsschichten sehr wohl ihre Berechtigung hat, nicht zu einer Ausbaubremse führen darf.
({2})
Mit dem Ziel der Energiewende verbindet die Bundesregierung den Anspruch, eine krisenfeste und langfristig günstigere Energieversorgung für Deutschland zu
gewährleisten: krisenfest, weil der Strom durch erneuerbare Energien im eigenen Land erzeugt wird - und damit
indirekt Wärme aus Stromüberschuss -, und günstiger das beweist die Strombörse in Leipzig -,
({3})
weil die variablen Kosten sehr viel niedriger sind als bei
der Erzeugung von Strom aus herkömmlichen Energien.
Das heißt, die Langfristperspektiven sind günstig.
Zur Bewertung der aktuellen Vorschläge. Erstens. Für
Süddeutschland ist ein rückwirkender Eingriff nicht hinnehmbar. Das wäre aus unserer Sicht ein Dammbruch im
Hinblick auf die Investitionsbereitschaft der Menschen.
Das entspricht ausdrücklich der Stimmung in meiner
bayerischen Heimat.
({4})
Zweitens. Für uns ist eine undifferenzierte Kürzung
bei der Windenergie über das ganze Land hinweg nicht
akzeptabel. Hier muss nach der Standortqualität differenziert werden.
({5})
Drittens. Man kann darüber reden, den Eigenverbrauch heranzuziehen. Aber auch da muss nach den
klimabelastenden Faktoren differenziert werden, die die
einzelnen Energien und Brennstoffe mit sich bringen. Es
kann nicht sein, dass jemand, der in ein mit Kohle betriebenes Kraftwerk investiert und die gewonnene Energie
selbst verbraucht, nur so viel bezahlen muss wie jemand,
der auf seiner Scheune ein paar Solarzellen installiert hat
oder den Strom durch das Windrad einer Energiegenossenschaft seines Dorfes erzeugt.
Viertens. Weiterhin ist es für uns entscheidend, wie
die neue Stromvermarktung gestaltet werden kann. Wer
sich mit Praktikern an der Basis unterhält, der merkt,
dass sich zwei Vorschläge immer stärker herauskristallisieren. Der eine ist: Wir dürfen nicht den gesamten erneuerbaren Strom über die Börse ziehen. Vielmehr müssen wir versuchen - so wie es in der Realität bereits
stattfindet -, möglichst vorher große Anteile regional
direkt zu vermarkten. Der zweite Vorschlag bezieht sich
auf das Desaster beim europäischen Emissionshandel.
Solange er nicht wieder funktionsfähig ist, müssen wir
auf die Energiemengen, die in Leipzig an der Börse
angeboten werden, eine Abgabe auf die einzelnen Energiearten erheben, je nach Klimabelastung, um Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerbsgerechtigkeit zu gewährleisten.
({6})
In meinem Heimatland Bayern ist eine wahre Volksbewegung für den Ausbau erneuerbarer Energien in
Gang. Wir von der CSU unterstützen diese Bewegung
umfassend, weil es unseren Grundwerten entspricht,
dass Menschen von passiven Konsumenten von Energie
zu eigenverantwortlichen Produzenten und Managern
von Energie werden und auf diese Art und Weise ein
ganz anderes Verhältnis zur Energie bekommen; denn
das erstreckt sich auch auf alle Familienangehörigen.
Der nachhaltigere Umgang mit Energie hat sehr viel
damit zu tun, dass Millionen von Menschen in das Energiegeschäft einbezogen werden und wir auf diese Art
auch im sozialen Sinn der Nachhaltigkeit die alte, zentral
gesteuerte Energiewirtschaft überwinden.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/12538 zu ihrer Großen Anfrage soll zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, an den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung sowie an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen wer-
den. - Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 17/10106. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8159
mit dem Titel „Die europäische Energieeffizienzrichtli-
nie wirkungsvoll ausgestalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-
Fraktion und bei Stimmenthaltung der Linken und der
Grünen angenommen worden.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/8457 mit dem Titel „Die Energiewende
braucht Energieeffizienz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung von SPD und Grünen an-
genommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c der Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/7462 mit dem Titel „Energie sparen,
Kosten senken, Klima schützen - Für eine ambitionierte
Effizienzstrategie der deutschen und europäischen
Energieversorgung“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen von Linken und Grü-
nen sowie bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men worden.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksachen 17/11293, 17/11873 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 17/12526 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Christel Happach-Kasan
Friedrich Ostendorff
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm
Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Ein effizientes Tierarzneimittelgesetz schaffen
und die Antibiotikagaben in der Nutztierhal-
tung wirkungsvoll reduzieren
- Drucksachen 17/12385, 17/12526 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Christel Happach-Kasan
Friedrich Ostendorff
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Systematischen Antibiotikamissbrauch bekämpfen - Tierhaltung umbauen
- Drucksachen 17/9068, 17/10662 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Christel Happach-Kasan
Friedrich Ostendorff
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Erhebt sich
dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter
Bleser das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es gilt, Antibiotika als Waffe gegen lebensbedrohende Infektionskrankheiten für Mensch und Tier
zu erhalten. Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Den
Gesetzentwurf haben wir auch deswegen eingebracht,
weil wir eine zunehmende Antibiotikaresistenz feststellen und diese natürlich eine ernste Gefahr für Mensch
und Tier sein kann.
Wir kümmern uns aber nicht erst seit heute um die
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes. Vielmehr sieht
schon die im Jahr 2008 beschlossene Antibiotika-Resistenzstrategie die flächendeckende Erfassung des Einsatzes von Antibiotika vor.
({0})
Im letzten Sommer haben wir die ersten Ergebnisse erhalten. Erstmals gibt es verlässliche Zahlen: Es wurden
1 734 Tonnen Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt. Das ist uns zu viel. Aber, meine Damen und Herren, wie viel es zu viel ist,
({1})
ob es starke Reduzierungspotenziale gibt, lässt sich noch
nicht feststellen. Tatsächlich ist es so, dass die Menge,
die jetzt genannt wurde, mit der Anzahl der Tiere und
den Tierarten, bei denen die Antibiotika eingesetzt worden sind, in Zusammenhang steht. Man muss aber auch
die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffart bemessen, um eine Bewertung vornehmen zu können. Das
werden Sie, Kollege Priesmeier, sicher bestätigen.
Es ist klar: Auch in Zukunft müssen Tiere, die krank
sind, behandelt werden.
({2})
Daran darf überhaupt nicht gerüttelt werden. Deswegen
sage ich: Wer starre Reduzierungsziele vorschreiben
möchte - 50 oder 30 Prozent -, der kennt die Praxis
nicht,
({3})
der opfert Tiere einer Ideologie und tritt letztlich den
Tierschutz mit Füßen. Dafür sind wir nicht zu haben.
({4})
Ganz ohne Möglichkeiten zum Einsatz von Antibiotika geht es auch in Zukunft nicht.
({5})
Auch in den am besten geführten Betrieben kann das immer wieder notwendig werden. Diese Möglichkeit
müssen wir erhalten. Die Zwischenrufe zeigen, dass es
diesbezüglich einen breiten Konsens in diesem Saal gibt.
Wir wollen die Verringerung des Einsatzes von Antibiotika. Deswegen haben wir in dem Gesetzentwurf die
Stärkung der Eigenverantwortung festgeschrieben.
({6})
Wir haben auch festgeschrieben, dass wir den vorsorgenden Tier- und Gesundheitsschutz anstreben und diesbezüglich Verbesserungen wollen.
({7})
Das nimmt Tierärzte und Landwirte in die Verantwortung und in die Pflicht.
Wir verbessern mit diesem Gesetz die Überwachungsmöglichkeiten der Länder. Das ist das Ziel.
Aber die Länder müssen diese Möglichkeiten auch nutzen.
({8})
Sie hätten auch bisher schon stärker überwachen können;
({9})
denn jeder Tierarzt und jeder Landwirt dokumentiert den
Einsatz von Antibiotika und Arzneimitteln auf dem Hof
seit 2005.
({10})
Da wird zu wenig getan. Das muss man an dieser Stelle
einmal feststellen.
Kern dieses Gesetzentwurfs ist es, Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen, um herauszufinden, ob bei einem
Betrieb ein erhöhter Einsatz von Antibiotika festzustellen ist oder der Einsatz von Antibiotika im Rahmen liegt.
Dabei geht es auch darum, Eingriffsmöglichkeiten zu
schaffen. Deshalb wird der Einsatz von Antibiotika bei
Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten in Zukunft erfasst. Bei der Auswertung werden die Bestandsmeldungen herangezogen, um im Rahmen eines Benchmarking
festzustellen, ob eine erhöhte Einsatzhäufigkeit und eine
erhöhte Einsatzmenge vorliegen. Das ist das Ziel dieses
Gesetzentwurfs.
Ich bin sehr stolz darauf, dass es in den Beratungen in
den Koalitionsfraktionen gelungen ist, den bürokratischen Aufwand, der sich aus diesem Gesetz ergibt, für
Landwirte und Tierärzte deutlich zu reduzieren, ohne das
Ergebnis auch nur in geringster Weise zu beeinträchtigen.
({11})
Ich glaube, das war eine Meisterleistung. Deshalb gilt
mein Dank den Fachpolitikern. Diese Möglichkeit ist
auch in unserem Haus am Anfang nicht gesehen worden.
Das muss man auch einmal eingestehen.
Bei dieser Erfassung der eingesetzten Antibiotika
kann der Landwirt Dritte, zum Beispiel den Tierarzt, beauftragen, diese Meldung vorzunehmen. Der Tierarzt hat
auch die entsprechende Expertise dafür. Die Behörden
sind verpflichtet, vorhandene Dateien zu nutzen. Kollege
Ostendorff, das wird die HIT-Datei sein. Die Länder sind
für die Erstellung der Dateien verantwortlich. Der Landwirt muss die Tierbestandszahlen also nicht noch einmal
melden, weil sie schon zur Verfügung stehen. Auch das
ist ein riesiger Fortschritt.
Da auffällige Betriebe einen Managementplan erstellen müssen und ordnungspolitisch eingegriffen werden
kann, wenn die gewünschten Erfolge nicht eintreten,
wird diese Erfassung der Zahlen - da bin ich mir sicher Wirkung haben. Da bin ich sehr zuversichtlich.
({12})
Wir bleiben an dieser Stelle aber nicht stehen. Wir
setzen - auch das will ich kurz sagen - insgesamt
natürlich auf eine Weiterentwicklung im Bereich der
Nutztierhaltung. Deshalb haben wir 62 Millionen Euro
für die nächsten drei Jahre bereitgestellt. Damit wollen
wir eine moderne und tierschutzgerechte Tierhaltung mit
Modell-, Demonstrations- und Forschungsvorhaben weiter fördern.
({13})
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir damit mehr erreichen als mit mancher Kontrolle, die vielleicht doch nicht
so effizient ist, wie man erwartet hat.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn
die Stunde schon ein bisschen fortgeschritten ist: Das
Thema ist ernst. Das, was wir eben hier vom Herrn
Staatssekretär gehört haben, ist letztendlich nicht geeignet, kurzfristig eine Minimierung des Antibiotikaeinsatzes zu erreichen.
Fast anderthalb Jahre haben wir jetzt über dieses
Thema diskutiert.
({0})
Erst jetzt sieht sich die Regierung in der Lage, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Der taugt allerdings nicht dazu,
dieses Ziel zu erreichen.
({1})
Wir beraten im Wesentlichen über einen Gesetzentwurf. Zentrales Instrument der Minimierungsstrategie ist
offensichtlich ein Behandlungsindex. Wer sich damit
auseinandersetzt, sich den ersten Entwurf anschaut und
ihn mit den Änderungsanträgen und der jetzt vorliegenden Form vergleicht, der erkennt, dass dieser Gesetzentwurf in wesentlichen Punkten nicht verbessert, sondern
verschlimmbessert worden ist.
({2})
Offensichtlich haben die vielen - vielleicht auch bis spät
in den Abend dauernden - Verhandlungen zwischen
Gelb und Schwarz nicht dazu geführt, dass man zu der
richtigen Erkenntnis gelangt ist, wie der Antibiotikaeinsatz unter den Bedingungen, unter denen heute bei uns in
Deutschland Tiere gehalten und gemästet werden, zu minimieren ist.
({3})
Wir sollen hier über einen Gesetzentwurf beschließen,
der viele Rechtsverordnungen vorsieht, deren Inhalt im
Augenblick überhaupt nicht klar ist. Wir sollen über einen Gesetzentwurf beschließen, den der geneigte Mitbürger und der Landwirt kaum lesen, geschweige denn
verstehen kann. Der Gesetzentwurf enthält keine klare
Zielvorgabe zum Antibiotikaverbrauch und auch keine
klaren Zielvorgaben zu Zeiträumen.
Er enthält allein das statistische Bewertungsverfahren, das immerhin das obere Quartil definiert. Für die
Statistiker in diesem Hause ist das vielleicht nachvollziehbar. Ich habe einmal versucht, das Verfahren nachzuvollziehen.
({4})
Wenn keine klare Zielvorgabe vorhanden ist, findet sich,
solange das System implementiert bleibt, natürlich immer ein oberes Quartil. Letztendlich sind immer 25 Prozent der Betriebe verpflichtet, entsprechende Sanierungspläne vorzulegen. Denn das obere Quartil ist
immer verpflichtet.
Wir haben hier die Frage zu diskutieren, ob wir uns zu
einem ganzheitlichen Rahmen und ganzheitlichen Ansatz bereitfinden. Denn das ist die klare Erkenntnis aus
der Anhörung: Es funktioniert nur mit einem ganzheitlichen Ansatz. Rein administrative Maßnahmen - das sehen wir heute an den Zahlen aus Dänemark - führen zunächst einmal zu einer geringfügigen Verminderung und
dann wieder zu einem Anstieg. Dänemark meldet heute:
Die Bestandszahlen sind gesunken, aber im Jahr 2012
wurden in Relation zum Bestand 10 Prozent mehr Antibiotika verbraucht.
({5})
Das ist zunächst einmal keine gute Meldung für den in
Dänemark verfolgten Ansatz.
Wir brauchen - das haben die Bundesländer angemahnt - ein Gesetz, das zielführend ist, das Klarheit und
Transparenz schafft. Wir brauchen kein Gesetz, das wegen seiner Defizite - viele Unklarheiten, Allgemeinplätze und nicht ausreichende Definitionen - von der
Länderebene kaum vollzogen werden kann.
({6})
Ein solches Gesetz ist nicht ausreichend konkret und
versetzt die zuständige Behörde vor Ort nicht in die
Lage, zu handeln. Das wird nicht funktionieren. Unterhalten Sie sich mit den Kollegen vor Ort in den Veterinärämtern! Fragen Sie die nach ihrer Einschätzung, wie
es um die Umsetzung dieses Gesetzes steht!
({7})
Dann werden Sie, Herr Goldmann, als Kollege vielleicht
erkennen, dass die Ansätze, die hier formuliert sind, bei
weitem nicht ausreichend sind.
Wir brauchen Klarheit, vollständige Transparenz im
System. Arzneiströme vom Hersteller über den Tierarzt
bis zum Bestand müssen nachvollziehbar sein.
({8})
Das wird mit Ihren gesetzlichen Vorgaben bei weitem
nicht erreicht. Wir haben das in diesem Haus mit mehreren Anträgen gefordert. Sie sind nicht darauf eingegangen, sondern den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Sie haben einen großen Topf weiße Salbe
angerührt. Die schmieren Sie jetzt drauf.
({9})
Aber darunter heilt es nicht. Das Problem wird weiter
existieren; das kann ich Ihnen versichern.
Zu dem zentralen Instrument einer Datenbank machen Sie gar keine Aussage. Da schreiben Sie nur etwas
von einer gemeinsamen Stelle. Ich habe in dem Zusammenhang ein Gutachten beauftragt. Das haben Sie alle
bekommen. Sie haben sich dafür im Ausschuss bedankt.
Okay. Hätten Sie Schlussfolgerungen aus dem Gutachten gezogen und die dort dargelegten möglichen Gestaltungen in Erwägung gezogen, wären wir vielleicht heute
schon ein bisschen weiter und nicht da, wo wir jetzt sind.
({10})
Die Diskussionen über den Antibiotikamissbrauch
oder nicht ordnungsgemäßen Gebrauch führen wir schon
seit zwölf Jahren. Vor zwölf Jahren wurde die Verordnung erlassen, dass wir Abgabe- und Anwendungsbelege auszustellen haben und der Landwirt das zu dokumentieren hat. Ursache war damals der eklatante, fast
unglaubliche Antibiotikaskandal in Bayern, der zum
Rücktritt der Ministerin Stamm geführt hat. Das sollte
man sich einmal in Erinnerung rufen. In der Zwischenzeit ist übrigens nicht besonders viel passiert.
({11})
Das war damals der Grund für diese Verordnung. Das
ist auch der Grund dafür, dass wir heute an sich alle Daten bei den Beständen und auch in den tierärztlichen Praxen vorliegen haben. Schon damals haben wir darüber
diskutiert, ob diese Daten der Behörde zugänglich gemacht werden sollen oder nicht. Man hat sich damals dagegen entschieden. Jetzt ist es an der Zeit, das schleunigst nachzuholen. Ich glaube, das ist notwendig.
({12})
Was passiert denn? Schauen wir uns einmal die zeitliche Abfolge an. Es ist doch heute, wie man am QS-System sehen kann, ohne Weiteres möglich, zum Beispiel
7 Tage oder 14 Tage nach Abschluss der Behandlung die
Daten einzustellen und der zuständigen Behörde mitzuteilen. Warum ist es bei Ihnen erst halbjährlich am
14. des Monats möglich, also, je nachdem, wann das Gesetz in Kraft tritt, am 14. Juli oder am 14. Januar? Warum dauert es ein halbes Jahr, bis die Daten in die Datenbank eingestellt werden? Wir könnten doch auch ein
gleitendes Verfahren wählen.
Wissen Sie, was passieren wird? In vielen Betrieben
wird dann erst am 10. angefangen, die Daten aufzuarbeiten, um sie dann innerhalb von vier Tagen einzustellen.
Vorher ist nichts greifbar. Die Behörde, die vor Ort einen
Betrieb kontrollieren möchte, wird keinen Zugang haben, weil sie gar nicht weiß, was im letzten halben Jahr
dort verordnet worden ist.
({13})
Das ist die Konsequenz Ihres Gesetzes. Es ist meiner
Einschätzung nach vollkommen untauglich, um diesen
Zweck zumindest kurzfristig zu erfüllen.
({14})
Erst wenn anderthalb, maximal zwei Jahre ins Land gegangen sind, ist die zuständige Behörde überhaupt in der
Lage, mit Anordnung dem Betrieb zur Seite zu stehen
und ihm vielleicht zu sagen, wo es langgehen könnte,
wenn er es bislang selber nicht geschafft hat.
Wo liegen die Ursachen für das Problem? Die Ursachen sind doch im Regelfall Hygienemängel und Mängel
in der Haltung. Diese führen zu Erkrankungen. Ich kann
Ihnen hier aus meiner eigenen Praxis berichten. Ich
glaube, hier im Hause ist niemand, der so viele Antibiotika verordnet hat wie ich. Niemand; Sie garantiert nicht.
({15})
Ich kann Ihnen aus meiner eigenen praktischen Erfahrung sagen, wie das funktioniert. 80 Prozent aller Verordnungen sind bedingt durch Atemwegserkrankungen.
({16})
- Reden Sie doch nicht, Herr Kollege, Sie haben doch
nie Praxis gemacht.
({17})
Schlau reden, aber keine Praxis gemacht haben. Praxis
fehlt Ihnen komplett. Darüber brauchen wir gar nicht zu
diskutieren.
Ich kann Ihnen sagen, wie das hinterher ausschaut.
({18})
Ich kann Ihnen konkret sagen, wie das funktioniert.
({19})
Über 80 Prozent der Verordnungen sind begründet durch
Atemwegserkrankungen, in der Hauptsache weil das
Stallklima nicht in Ordnung ist und es bei entsprechenden klimatischen Situationen zu erheblichen Erkrankungsfällen kommt, die durchaus vermeidbar sind. Fangen wir doch einmal bei den Ursachen an,
({20})
und sorgen wir dafür, dass wir einen einheitlichen Gesetzesrahmen bekommen, durch den auch die Haltungsbedingungen mit entsprechenden Vorgaben, Hygienevorgaben geregelt werden, der nachvollziehbar ist und der
eine entsprechende Grundlage dafür bietet, dass die zuständige Behörde eingreifen kann, wenn es nottut - nur,
wenn es nottut -, und dem Landwirt hilfreich zur Seite
stehen kann, wenn er es mithilfe seines Haustierarztes
nicht schafft.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Priesmeier, ich glaube, es ist
deutlich geworden: Wir machen genau das, was Sie wollen.
({0})
Wir geben nämlich den Tierärzten das Instrument an die
Hand, dass dann, wenn es Missstände in einem Stall
gibt, angeordnet werden kann, diese Missstände zu beheben. Genau dafür machen wir die Behörden mit diesem
Gesetz stark. Damit machen wir genau das, was du gesagt hast.
Im Übrigen möchte ich dir sagen: Bei uns in Norddeutschland, in Schleswig-Holstein heißt das: „Jetzt einmal ein bisschen Butter bei die Fische.“ Einfach nur allgemein herumzureden und zu sagen, das alles sei Mist,
reicht nicht aus, um ein konkretes Modell hervorzubringen.
({1})
Lieber Kollege Priesmeier, wir haben doch eine gemeinsame Strategie. Wir haben das Arzneimittelgesetz.
Wir haben DART, die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie, in der letzten Legislaturperiode in Gang gesetzt und setzen sie jetzt weiter fort. Wir haben das Tierschutzgesetz, in dem wir explizit sagen, dass wir die
Eigenkontrolle der Tierhalter wollen. Denn das Entscheidende ist, dass es den Tieren gut geht. Der Tierhalter muss genau Bescheid wissen, was Sache ist. Und wir
haben das Tiergesundheitsgesetz, das wir jetzt beraten.
Der Kollege Bleser hat es schon gesagt: Wir investieren in die Tierhaltung, indem wir mit Forschungsaufträgen ermitteln, wie wir die Tierhaltung verbessern können. Das ist ein Gesamtkonzept, um die Tierhaltung in
Deutschland besser zu gestalten.
({2})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Priesmeier? Seine Redezeit war offensichtlich
zu kurz.
Aber gern.
Frau Kollegin, sind Sie überhaupt davon überzeugt,
dass es die richtige Rechtsgrundlage ist, wenn Sie in den
Gesetzentwurf schreiben, dass Sie zum Beispiel die
Mastdichte und die Mastdauer regeln wollen? Wir haben
eine andere rechtliche Grundlage, zum Beispiel die
Schweinehaltungshygieneverordnung - Basis ist das bisherige Tierseuchengesetz -, in der es Mindestvorgaben
gibt, die einzuhalten sind, die aber nie jemand kontrolliert hat. 50 ppm Ammoniak im Stall sind tolerabel,
mehr nicht. Aber gehen Sie einmal in die Ställe! Wie
sieht es denn dort aus? Können Sie mir eine Erklärung
dafür geben?
({0})
Genau deswegen halte ich das Gesetz für gut. Ich
weiß, Verordnungen stehen nur auf dem Papier, und die
Frage der Umsetzung muss geprüft werden. Das ist Aufgabe der Landesbehörden. Deswegen freue ich mich darüber, dass überall in den rot-grünen Koalitionsverträgen
steht, dass die Länder im Bereich der Tierhaltung besser
werden und den Antibiotikaeinsatz mindern wollen. Genau dafür geben wir ihnen jetzt ein Instrument in den
Landesbehörden, mit dem sie genau das, was sie wollen,
auch tatsächlich umsetzen können.
({0})
Der nächste Punkt ist, dass wir mit Blick auf das Tierschutzgesetz sagen: Es reicht nicht, dass ein Landwirt
alle Verordnungen einhält. Nein, er soll auch in den Stall
gehen und selbst einmal nachgucken, ob es den Tieren
bei Einhaltung aller Verordnungen tatsächlich gut geht.
({1})
Genau das wollen wir. Deswegen haben wir konkret
festgelegt,
({2})
dass die Tierschutzindikatoren beachtet werden müssen.
Ich nenne beispielsweise die Mortalität. Wir wissen,
dass es Haltungen gibt, in denen die Mortalität meines
Erachtens zu hoch ist.
({3})
- Nun bleib mal noch stehen! Noch bin ich nicht fertig.
({4})
- Ich antworte ihm auf seine Frage. Das mache ich
gerne; denn er ist ein geschätzter Kollege, Herr Kollege
Kelber. Das müssten Sie doch eigentlich wissen.
Das erste Thema ist, wie wichtig Tierschutzindikatoren sind. Sie sind enorm wichtig. Das Zweite ist, dass die
Fußballen- und Fußklauengesundheit kontrolliert werden muss. Drittens wollen wir, dass die Ergebnisse der
Schlachtkörperuntersuchung ebenfalls miteinbezogen
werden. Insofern haben wir ein Gesamtkonzept für die
Tierhaltung, für den Tierschutz festgelegt, auf das wir
wirklich stolz sein können.
Vielen Dank, Herr Kollege Priesmeier.
({5})
Antibiotika sind extrem wichtige Heilmittel. Es war
ein Meilenstein der Medizin, als 1928 antibiotisch wirkende Mittel entdeckt worden sind. Allerdings hat man
dann in der Folge feststellen müssen, dass sich Bakterien
auf solche Mittel einstellen, dass sie Resistenzen ausbilden. Deswegen sind wir jetzt dabei, die Antibiotikaabgabe so zu gestalten, dass die Resistenzbildung gemindert wird. Sie kann zwar nicht auf null gesetzt
werden, weil Bakterien spontan Resistenzen bilden, aber
sie kann durch den verringerten Einsatz von Antibiotika
zumindest gemindert werden. Im Übrigen: Das ist eine
Aufgabe für die Tiermedizin und die Humanmedizin. Es
reicht nicht aus, bei diesem Punkt nur auf die Tiermedizin zu gucken.
({6})
Wir verzeichnen das Auftreten von multiresistenten
Keimen, nämlich MRSA - lieber Kollege Priesmeier,
Sie haben dies im Ausschuss vielfach erwähnt, vielen
Dank - und ESBL. Wir haben die Situation, dass insbesondere Säuglinge davon betroffen sein können und dass
insbesondere ältere Menschen Probleme damit haben.
Deswegen müssen wir die Anzahl solcher multiresistenten Keime mindern.
Wir haben ein Gesetz vorgelegt, das sich nahtlos einfügt in die deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie, die
gemeinsam vom Gesundheitsminister, von der Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und von der Ministerin für Bildung und Forschung erarbeitet worden ist.
Die Untersuchungen von Herrn Lindemann in Niedersachsen haben gezeigt, dass in vielen Tierhaltungen
die Gabe von Antibiotika die Regel ist. Was wir alle aber
nicht richtig beachten und was meines Erachtens ganz
wichtig ist: Die Untersuchungen haben auch gezeigt,
dass es in allen Bereichen Betriebe gibt, die ohne Antibiotika auskommen. In der Mehrheit sind dies konventionell wirtschaftende Betriebe. Ich bin deswegen sehr
guten Mutes, dass wir uns an diesen Betrieben orientieren und die Betriebe, die zurzeit noch einen hohen Antibiotikaeinsatz haben, auf das Niveau der Betriebe ohne
Antibiotikaeinsatz zurückführen können.
({7})
Ziel dieses Gesetzes - das muss ganz eindeutig sein ist die Gesundheitsvorsorge, ist, dass sich weniger Bakterienresistenzen ausbilden. Dieses Ziel des Gesetzes
kann nur erreicht werden über die Stärkung der Tiergesundheit. Genau dieses Ziel verfolgen wir. Deswegen
wollen wir den Behörden die Möglichkeit geben, den
Tierhaltern, die diese Bedingungen nicht einhalten, Auflagen zu machen, damit sie besser damit umgehen können.
Ich bedanke mich im Übrigen bei den Grünen dafür,
dass sie so nett waren, uns Vertrauen zu schenken und
deutlich gesagt haben: Das Gesetz ist so gut, dass wir
nicht nur die vier Gattungen einbezogen wissen wollen,
die bereits enthalten sind, sondern dass wir das auf Fische
ausdehnen wollen. - Das ist eine Bestätigung für einen
guten Gesetzesansatz. Vielen Dank dafür!
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist
deutlich; denn sonst hätte man das nicht gemacht. Wenn
man gemeint hätte, dass der Ansatz nicht in Ordnung ist,
würde man nicht sagen, man muss ihn auf weitere Tierarten ausdehnen. Ich glaube, dass das richtig ist.
({9})
Wir haben die Kosten für die Dokumentation überschaubar gehalten. Wir nutzen Datenbanken, die bereits
bestehen. Es ist richtig: Die Betriebe, die über der Kennzahl liegen, werden investieren müssen, damit sie all die
Auflagen erfüllen, sodass es ihren Tieren in der Zukunft
besser geht. Dadurch wird dort die Tiergesundheit gestärkt. Dabei wollen wir die Tierärzte einbinden; denn
das Wissen von Tierärzten ist zu mehr gut als nur zum
Verschreiben von Antibiotika. Wir wollen Tierärzte stärker in das Bestandsmanagement einbinden. Dafür müssen sie selbstverständlich auch entsprechend bezahlt
werden.
Wir halten es nicht für sinnvoll, das Dispensierrecht
für Tierärzte aufzuheben. Wir haben gesehen, wie es in
Dänemark ist; es hat letztlich nichts gebracht. Insofern
sollten wir es nicht aufheben.
Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen guten Weg beschritten haben, und ich bin
darüber hinaus der Überzeugung, dass dieses Gesetz
wirken wird, noch bevor die erste Kennzahl überhaupt
ermittelt ist, weil sich Tierhalter an dem orientieren, was
wir vorhaben, und weil sie sagen: Ich möchte nicht ins
letzte Quartil hinein. Ich möchte unterhalb der Kennzahl
liegen. - Die Tierhalter werden sich deshalb von vornherein anstrengen, damit sie nicht Maßnahmen der Behörden zu befolgen haben, und von sich aus auf eine bessere Tiergesundheit in ihren Ställen setzen.
Wir haben uns in der Koalition außerdem dafür eingesetzt, dass es keinen Datenmissbrauch geben darf, und
wir sind der Auffassung, dass das Gesetz evaluiert werden muss. Wenn wir es evaluiert haben, können wir darüber nachdenken, darin weitere Bereiche einzubeziehen.
({10})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Es begab sich zur Grünen Woche 2012, dass Frau Aigner mal wieder einen Aktionsplan vorlegte.
({0})
Diesmal sollte es um die drastische Reduktion der Antibiotika gehen. Darüber wurde ein Jahr lang diskutiert.
Und was ist dabei herausgekommen? Ein Datenbänkchen, das hier heute in aller Eile durchgewunken werden
soll. Es löst das Problem leider überhaupt nicht; das hat
Herr Priesmeier schon gesagt. Dabei gab es so viele Verbesserungsvorschläge aus dem Bundesrat, von den Berufsständen, der Opposition, es gab eine Anhörung, und
trotzdem ist es bei allen Rechtsunsicherheiten und Regelungslücken geblieben.
Anstatt alle Nutzungsrichtungen einzubeziehen, bleiben Sie bei der Mast; das ist doch völlig unverständlich.
Die vorhandenen tierärztlichen Abgabebelege - auch
dies hat Herr Priesmeier schon erwähnt - hätten doch zur
Grundlage der Datenbank genommen werden sollen,
denn darin steht noch viel mehr; das ist wirklich relevant
für diese Auffassung.
({1})
Kurz vor Schluss haben Sie auch noch die Meldefrequenzen von drei Monaten auf sechs Monate verlängert;
was das soll, weiß überhaupt niemand. Statt konsequent
zu handeln, legen Sie uns also einen Entwurf auf dem
denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner vor; das reicht
nicht.
({2})
Um das auch ganz klar zu sagen: Es geht nicht nur um
das Arzneimittelgesetz.
Wie man es besser machen kann, können Sie in unserem Entschließungsantrag nachlesen. Ich nenne einmal
ein paar Beispiele: Die Tiergesundheit muss endlich in
den Mittelpunkt der Gesetzgebung gerückt werden.
({3})
Nutztiere dürfen nicht länger als Ware auf dem Basar eines gnadenlosen Marktes feilgeboten werden.
({4})
Es muss Rechtsschutz vor Dumpingzwängen geben. Auf
die Probleme der Nutztiergesundheit - zum Beispiel auf
die rasant gestiegenen Risiken durch den internationalen
Handel, durch den Klimawandel und durch hochriskante
Strukturen - muss endlich adäquat reagiert werden.
Die Linke fordert: Megaställe und zu hohe regionale
Viehdichten müssen verhindert werden.
({5})
Die Antibiotikadatenbank muss auf Bundesebene angesiedelt werden, und die tierärztlichen Abgabebelege
müssen einbezogen werden. Ebenso müssen Daten zu
Haltungsbedingungen, zur Sterblichkeit, zu Schlachtbefunden, zur Häufigkeit der Anwendung und zur Höhe
der täglichen Dosierung in diese Datenbank einbezogen
werden. Das darf nicht nur für die Mast gelten, das muss
für alle Haltungsformen und -stufen gelten. Die Behandlung ganzer Bestände muss unbedingt explizit vermerkt
werden. Alle Haltungssysteme inklusive der Bestandsdichten im Stall und in den Regionen müssen auf Tiergesundheitsrisiken hin überprüft werden. Die TierschutzNutztierhaltungsverordnung muss auf alle Nutztierarten
ausgeweitet werden; das ist ganz wichtig. Die Hygiene
und das Klima im Stall müssen dringend verbessert werden; dazu brauchen wir klare Regelungen. Wir brauchen
dringend eine integrierte tierärztliche Bestandsbetreuung,
({6})
in der auch geregelt ist, wie häufig ein Tierarzt, eine
Tierärztin im Stall aufzutauchen hat.
Die Behörden brauchen wirksame Kontroll- und
Sanktionsmöglichkeiten. Im Moment werden zwar
Missstände festgestellt; aber im Prinzip kann überhaupt
nichts dagegen gemacht werden.
Darüber hinaus müssen Wissenslücken geschlossen
werden. Die Deutsche Agrarforschungsallianz hat einen
ganz langen Katalog von Problemen in der Nutztierhaltung vorgelegt. Dieser Katalog muss jetzt dringend abgearbeitet werden, und das darf auf keinen Fall an Finanzierungsproblemen scheitern.
({7})
Und: Die Linke fordert - das ist auch wichtig - die Einrichtung eines epidemiologischen Zentrums, das sich
wissenschaftlich begründet explizit mit der Verhütung
und Bekämpfung von Tierseuchen beschäftigt und uns
entsprechende Konzepte vorlegt.
Die Aus- und Weiterbildung der Landwirtinnen und
Landwirte sowie der Tierärzte muss auf die neuen Herausforderungen, die ich beschrieben habe, ausgerichtet
werden. Beide Berufsgruppen müssen wie alle anderen
von ihrer Arbeit leben können. Das ist entscheidend dafür, dass auch die Qualität stimmt.
({8})
Aus unserer Sicht haben Humanantibiotika im Stall
nichts zu suchen.
({9})
Wir müssen auch konsequenter gegen Antibiotikamissbrauch vorgehen. Die Linke fordert die Bundesregierung
auf, zu prüfen, ob nicht im Fall von Betrug oder grob
fahrlässigem Handeln die tierärztliche Approbation entzogen werden kann.
({10})
Zu guter Letzt möchte ich sagen: Es ist ganz wichtig,
dass wir endlich gegen den Dumpingwettbewerb in
der Lebensmittelproduktion vorgehen. Den haben
viele satt - und das völlig zu Recht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der
Kollege Friedrich Ostendorff.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wo ist Behle?“,
fragte sich halb Deutschland, als Skilangläufer Jochen
Behle vor vielen Jahren, 1980, in den weiten Wäldern
Lake Placids verschwand und nicht mehr auftauchte.
Unsere Frage heute ist: Wo ist eigentlich Ministerin
Aigner bei der Bekämpfung des massiven Antibiotikaeinsatzes?
({0})
Behle war nur zu langsam, meine Damen und Herren,
aber noch in der Spur. Ministerin Aigner ist nicht nur zu
langsam, sie hat auch Spur und Richtung verloren.
({1})
Die Bekämpfung des Antibiotikaskandals schwebt nun
schon seit 16 Monaten. Wo ist Frau Aigner?
Frau Aigners Regierungszeit ist geprägt von Skandalen: Dioxin, Ehec, PCB, ESBL, MRSA usw. - und dem
Antibiotikaskandal in der Tierhaltung.
({2})
Mindestens genauso gravierend wie die Krisen ist jedoch Ihr unsägliches Krisenmanagement.
({3})
Verschleiern, solange es geht, verharmlosen, solange
es geht, vertrösten, solange es geht, und verschieben, solange es geht: Das ist die einzige Antwort, die Ministerin
Aigner und Sie von Schwarz-Gelb den Menschen draußen auf ihre drängenden Fragen geben. Wir sagen: Das
ist überhaupt keine Antwort. Das ist zutiefst verantwortungslos und vor allen Dingen verantwortungslos gegenüber unseren Nutztieren.
({4})
Außer Ankündigungen passiert nichts.
({5})
Keine Verbesserungen für Hühnchen und Schweine!
Keine Verbesserungen für Puten! Auch bei den Legehennen haben Sie komplett versagt, und selbst den anachronistischen Pferdeschenkelbrand haben Sie weiter erlaubt.
({6})
Wir sagen dazu: Thema verfehlt!
Ohne den Umbau der Tierhaltung werden Sie den Antibiotikaeinsatz niemals drosseln können.
({7})
Das sehen wir nämlich an Dänemark, wenn wir dort
genau hinschauen.
({8})
Wie viel Antibiotika eingesetzt werden, ist zuallererst
eine Frage der Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Schwarz-Gelb. Aber an Haltung lassen Sie es ja
vermissen, weil Sie regelmäßig vor der Agrarlobby einknicken.
({9})
Das ist verantwortungslos; denn Sie sind den Bürgerinnen und Bürgern und nicht Bauernverband und Agrarindustrie Rechenschaft schuldig.
({10})
Das, was Sie tun, ist aber nicht nur verantwortungslos, sondern leider auch höchstgefährlich.
({11})
Ihr Nichtstun führt zu weiteren Antibiotikaresistenzen. Sie wollen den Skandal weiter nur erfassen und dokumentieren, statt die Ursachen anzugehen.
({12})
Dabei hat gerade erst die Denkschrift der Leopoldina vor
dem Rückfall ins präantibiotische Zeitalter gewarnt. Lesen Sie das einmal nach! Die Leopoldina warnt davor,
dass Krankheiten wie Scharlach durch den Missbrauch
von Antibiotika möglicherweise lebensbedrohlich werden können.
({13})
- Ja, Wissenschaft interessiert Sie nicht, Herr
Goldmann; das wissen wir.
({14})
Ihre einzige Antwort darauf ist: Wir machen mal ein
bisschen mehr Erfassung und verordnen den Tierhaltern
Reduktionspläne - ohne wirkliche Durchgriffsrechte der
Landesbehörden. Das kann doch nach 16 Monaten nicht
alles gewesen sein.
({15})
Stoppen Sie endlich die verbotene prophylaktische
permanente Verfütterung von Antibiotika über das
Trinkwasser! Das ist doch die tägliche Praxis im Bereich
der Hühner. Stoppen Sie das!
Sie sind Ihrer Verantwortung, Antibiotika auf kranke
Tiere zu begrenzen, nicht gerecht geworden. Statt Wirtschaft, Gesellschaft und Politik an einen Tisch zu bringen und ein Gesamtkonzept für eine weitgehend antibiotikafreie Tierhaltung zu entwickeln, haben Sie Türen und
Fenster verschlossen und drinnen mit der Agrarlobby
das Handeln ausgekungelt.
({16})
Wir Grünen erwarten von Ihnen keinen Reformimpuls mehr. Wir setzen auf einen Neustart nach dem
22. September 2013.
({17})
Dann wollen wir den überfälligen Wandel in der Agrarund Verbraucherpolitik angehen.
({18})
Tiergerecht, offen und transparent, mit den Bürgerinnen
und Bürgern statt permanent an ihnen vorbei: So werden
wir es angehen.
({19})
Als letzter Redner hat jetzt der Kollege Dr. Max
Lehmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Ostendorff, ich darf das sagen, weil
ich, wie Sie, praktizierender Landwirt bin und seit
50 Jahren mit Tieren umgehe - das müssen Sie mir nicht
beibringen -: Mit der Polemik, die Sie gerade wieder
vorgetragen haben, lösen wir genau die Probleme, die es
unstrittig gibt, nicht.
({0})
Zu den Problemen mit Bioeiern und anderen Problemen, die es auch in der Ökolandwirtschaft gibt, müssen
Sie einfach stehen. Diese Form kann nicht einmal 3 Prozent des Fleischbedarfs und des Bedarfs an tierischen
Produkten der deutschen Bürgerinnen und Bürger decken.
Also haben Sie nur relativ wenig Berechtigung, über die
Tierhaltungsformen zu reden. Dass es in Ihrem Bereich
auch Probleme gibt, erleben wir jeden Tag.
Kommen wir also zur Sache. Es geht, wie der Herr
Staatssekretär gesagt hat, um die Sicherstellung des Einsatzes einer wirksamen Waffe gegen unvermeidbare Infektionskrankheiten. Die Gesunderhaltung unserer Nutztiere gehört zum aktiven Tierschutz.
({1})
Das ist das große Anliegen eines jeden Tierhalters.
({2})
Wenn Sie ihm das absprechen, dann beleidigen Sie viele
Tausend Familienbetriebe, die das hohe Bedürfnis und
das hohe Ziel haben, ihre Tiere so zu halten, dass sie
auch gesund bleiben.
({3})
Meine Damen und Herren, viele Technologien, die in
den letzten Jahrzehnten für die Stallbauten, für die Stallformen, für die Haltung von Tieren, die für Lüftungen,
Klimaanlagen, Bodenbeläge usw. entwickelt wurden,
dienen dem Tierwohl. Das können Sie nicht einfach negieren. Jeder ist bemüht - die Tierhalter, die Technikhersteller, die Behörden und die Tiermediziner -, diese Probleme zu lösen.
({4})
Die Versorgung der Tiere mit Arzneimitteln muss
stets gewährleistet sein.
Vermitteln Sie doch nicht den Eindruck, wir brauchten nur so wichtige Medikamente wie Antibiotika wegzulassen, und dann hätten wir das Problem gelöst!
({5})
Nein, dann haben wir es eben nicht gelöst. - Frau Kollegin, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Aber der Zusammenhang von Haltungsformen - Sie kritisieren die
Haltung in großen Formen - und epidemiologischen
Problemen ist genau nicht nachgewiesen.
({6})
- Lassen Sie doch die Kampfbegriffe weg! Gehen wir
doch zu den Ursachen!
({7})
Ist es die Lüftung, ist es die Größe, ist es die Stallform?
Was ist es? Herr Kollege Priesmeier, genau diese Zusammenhänge sind wissenschaftlich nicht ausreichend
erforscht.
({8})
- Aber natürlich nicht. Ich habe darüber mit dem Professor aus Hannover, der die Indikatoren entwickeln soll,
geredet. Er sagte, damit fangen wir erst richtig an. Das
ist die Tatsache.
({9})
Meine Damen und Herren, wir fangen anders an; wir
analysieren, wir stellen fest: Wir haben einen hohen Antibiotikaeinsatz. - Den mit dem in der Humanmedizin zu
vergleichen, ist sowieso völlig daneben - völlig daneben! -, weil die absolute Antibiotikamenge überhaupt
nichts über die Qualität des Einsatzes aussagt. Bei einer
Resistenzstrategie ist nicht die Menge entscheidend,
sondern der Einsatz. Wann setze ich es ein, welchen
Wirkstoff verwende ich, und wie lange und wie oft darf
ich bekämpfen? Das ist in der Humanmedizin nicht anders. Man könnte auch einmal auf die Idee kommen, den
Einsatz von Antibiotika dort zu überprüfen,
({10})
sich fragen, ob man bei jedem kleinen Nasenkitzler
schon ein Antibiotikum braucht. Da müssen wir uns alle
einmal an die Nase fassen.
({11})
Also: Die Einsatzmenge ist zunächst nicht der wichtigste Indikator für oder gegen die Anwendung eines
Medikaments, das unverzichtbar ist.
Wir wollen selbstverständlich Resistenzen vermeiden.
Das ist überhaupt keine Frage.
({12})
Aber diese Resistenzentwicklung ist ein biologisches
Prinzip. Das gilt bei Pflanzen, Tieren und Menschen in
gleicher Weise. Wenn Sie mit einem Wirkstoff einen Organismus lange behandeln, dann wehrt er sich, und das
nennt man „Resistenz“. Das heißt, der Organismus kann
sich zur Wehr setzen. Das ist zunächst nichts Schlimmes.
Das Schlimme dabei ist, dass dann der Wirkstoff nicht
mehr brauchbar ist. Genau das müssen wir verhindern.
Deshalb haben wir eine Strategie. Bei dieser Strategie, Herr Kollege Priesmeier, fangen wir nicht bei den
Transporten auf der Autobahn an. Wir wissen ja nicht,
wo in einer bestimmten Haltungsform der optimale Einsatz ist. Das weiß keiner; das weiß in Deutschland kein
Wissenschaftler. Deshalb machen wir ein Benchmark.
Wir testen jetzt mit einer aufwendigen Analyse und in
einem Erfassungssystem - da nehmen wir übrigens auch
die AuA-Belege und alle Daten, die wir in QS schon haben, um dem Landwirt zusätzliche Bürokratie zu ersparen -, was denn eingesetzt wird. Das machen wir zeitnah
und schnell. Zusammen mit dem Tierarzt ist der Landwirt verpflichtet, alles aufzulisten. Wir werden dabei die
Therapiehäufigkeit tierspezifisch und haltungsspezifisch analysieren. Daraus ergibt sich dann ein Benchmark. Wer über oder unter diesem Benchmark liegt, hat
mit Maßnahmen zu rechnen. Wer im Benchmark auffällig wird, weil er über dem Behandlungsquotienten liegt,
muss sich mit dem Tierarzt zusammensetzen und binnen
eines Jahres einen Beleg vorlegen oder mit dem Tierarzt
einen Maßnahmenkatalog besprechen. Diese Zeit muss
man dem Landwirt geben, weil in dieser Zeit auch erst
ermittelt wird, welcher Ursachenkomplex für dieses Abweichen von der Norm, vom Benchmark, verantwortlich
ist.
Das ist ja auch kein Klacks, da geht es um große Entscheidungen. Deshalb muss man das valide machen, und
das tun wir mit diesem Ansatz.
Dieses schlüssige Gesamtkonzept, das jetzt mit drei
Schwerpunkten angegangen werden soll, ist wirklich
eine Innovation.
({13})
Erstens. Wir fördern und verbessern den sorgfältigen
Einsatz und den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung, zum Beispiel bei Umwidmungen von Arzneimitteln.
Zweitens. Wir ermöglichen der Überwachung eine effektivere Aufgabenwahrnehmung.
Drittens. Wir führen ein umfangreiches Antibiotikaminimierungskonzept für Mastbetriebe neu ein. Das hat
es bisher nicht gegeben. Dass wir das bürokratiesparend
machen wollen, habe ich schon erwähnt.
({14})
Wir ergreifen auch Maßnahmen, damit die Bürokratie
nicht ausufert. Wir legen Bestandsuntergrenzen fest, sodass bei der Erfassung des Großteils des Tierbestandes
die Ermittlung der Kennzahlen repräsentativ bleibt. Neben einer Präzisierung des Berechnungsverfahrens zur
Ermittlung der Therapiehäufigkeit, das bereits im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde,
Aber den lesen Sie jetzt nicht mehr vor, bitte.
({0})
Denn Ihre Zeit ist abgelaufen.
- haben wir die Maßnahmen präzisiert, die bei Überschreiten der Kennzahlen zu treffen sind.
Insgesamt ist das ein rundes Konzept. Über Nacht ist
keine Lösung zu finden. Lassen Sie uns jetzt mit sachgerechter Kompetenz, genauer Analyse und einer guten
Zusammenarbeit zwischen dem verantwortlichen Tierhalter, dem Tierarzt und den Behörden an die Sache herangehen und eine Verbesserung des Antibiotikaeinsatzes erreichen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Änderung des Arzneimittelgesetzes. Der Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12526, den Gesetzentwurf der Bundesregierung - das sind die Drucksachen 17/11293 und
17/11873 - in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/12544. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Grünen und
Zustimmung von SPD und Linken abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12545. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der
Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/12526 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12385 mit dem Titel
„Ein effizientes Tierarzneimittelgesetz schaffen und die
Antibiotikagaben in der Nutztierhaltung wirkungsvoll
reduzieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Systematischen Antibiotikamissbrauch bekämpfen - Tierhaltung umbauen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/10662, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9068 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika
Graf ({0}), Petra Crone, Dr. h. c. Gernot
Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Menschenrechte älterer Menschen stärken und
Erarbeitung einer UN-Konvention fördern
- Drucksache 17/12399 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Angelika Graf von der SPD-Fraktion
das Wort.
({2})
- Vielleicht können die Kollegen, die nicht mehr teilnehmen wollen, den Saal verlassen, damit die anderen der
Rednerin folgen können. - Bitte schön, Frau Graf, Sie
haben das Wort.
({3})
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Inzwischen spricht in
Deutschland jeder über die demografische Entwicklung.
Positiv wird sie wahrgenommen als Chance für den Einzelnen; denn man lebt länger. Positiv wird sie auch
wahrgenommen im Bereich der Wirtschaft. Positiv wird
sie wahrgenommen im Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Aber sie wird ebenso mit Angst und Schrecken wahrgenommen wegen der großen Herausforderungen, die
für unsere Gesellschaft damit einhergehen, zum Beispiel
der Herausforderung für die sozialen Sicherungssysteme.
Im Jahr 2050 wird jeder dritte Deutsche älter als
60 Jahre sein. Mit dieser Entwicklung stehen wir aber
nicht alleine da. Das weltweite Durchschnittsalter von
derzeit 42,9 Jahren wird auf 48 Jahre steigen. Gleichzeitig werden 2050 weltweit etwa 2 Milliarden Menschen
über 60 Jahre alt sein. Heute sind es gerade einmal
810 Millionen. In knapp 40 Jahren, also innerhalb einer
durchaus absehbaren Zeit, werden mehr ältere Menschen
auf der Erde leben als Kinder unter 14 Jahren.
Die wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren und
insbesondere der Hochaltrigen ist überall auf der Welt
ähnlich wie die Gruppe der Kinder sehr verletzlich. Ihre
spezifischen Bedürfnisse sind im deutschen wie im interAngelika Graf ({0})
nationalen Recht bisher nur sehr unzureichend berücksichtigt und geschützt.
Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Lebensalters ist zum Beispiel im internationalen und europäischen Recht im Vergleich zu anderen Diskriminierungsmerkmalen schwach ausgestaltet. Deshalb war es
uns als SPD damals in der Großen Koalition so wichtig,
dass Deutschland eine Vorreiterrolle spielt. Wir haben
trotz des Widerstands der Union das Verbot der Diskriminierung wegen Alters in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen können.
({1})
So ganz klappt das allerdings noch nicht mit der Implementierung; das muss man einfach feststellen. Nach
einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
gelten ältere Menschen als sehr stark diskriminiert. Auch
die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen weist regelmäßig darauf hin. Es handelt sich vorwiegend um Diskriminierungen am Arbeitsmarkt, in der
Gesundheitsversorgung und in der Bildung, also in sehr
zentralen Bereichen des Lebens.
Die Vulnerabilität der Gruppe verstärkt sich mit steigendem Alter, und zwar in Deutschland wie überall auf
der Welt. Dann sind nämlich viele Menschen abhängig
von Drittpersonen und können sprachlich oder körperlich nur noch beschränkt kommunizieren und sich nur
selten wehren.
Immer wieder beschäftigen uns in Deutschland Berichte über Pflegeskandale. Sie sind - das sage ich hier
ganz deutlich - nicht die Regel. Aber oft sind Pflegekräfte oder auch Angehörige überfordert. Da kann es
eben zu einer Einweisung einer pflegebedürftigen oder
dementen Person gegen ihren Willen in ein Pflegeheim,
einer Ruhigstellung durch Medikamente, einer Zwangsernährung über eine Magensonde oder einer Fixierung
kommen - schlimme Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen.
Auch über körperliche und psychische Gewalt wird
berichtet. Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeeinrichtungen wird zudem oft nicht das Maß an Privatleben, an Privatsphäre zugestanden, das ihnen zusteht.
Im Bereich der politischen Rechte reichen die Benachteiligungen vom nicht altersgerechten Zugang zu
Wahlurnen und zum Wahllokal über Altersgrenzen bei
Ehrenämtern - Stichwort: Schöffen - bis hin zur politischen Entrechtung durch die Vormundschaft Pflegebedürftiger, so zum Beispiel durch die Kündigung von Parteimitgliedschaften.
Frauen im Alter, hier in Deutschland wie in den Entwicklungsländern und Schwellenländern, sind von den
Diskriminierungen mit am stärksten betroffen. In vielen
Entwicklungsländern arbeiten Frauen ein Leben lang im
informellen Sektor und sind dann im Alter sozial nicht
abgesichert und rechtlos. Auch werden Frauen in vielen
Gesellschaften im Erbrecht diskriminiert und haben im
Alter keine angemessene Unterkunft.
Wir sind der Ansicht, dass die Bundesregierung auf
nationaler Ebene die Probleme der Diskriminierung Älterer nicht ernst genug nimmt. Eine ihrer ersten Amtshandlungen beim Amtsantritt 2009 war, der Antidiskriminierungsstelle die Mittel zu kürzen. Wir fordern die
Bundesregierung ausdrücklich auf, diese Kürzungen zurückzunehmen.
({2})
Wir wollen, dass die Menschenrechte im Bereich der
Pflege effektiver überwacht werden. Hierfür müssen die
Heimaufsichtsbehörden und die Medizinischen Dienste
besser als bisher in die Lage versetzt werden, ihre Kontrollmöglichkeiten zu nutzen. Sanktionen dürfen da kein
Tabu sein. Die Ergebnisse der Kontrollen sollen wissenschaftlich evaluiert und die Pflegearbeit im stationären,
aber auch im ambulanten Bereich soll in Richtung Ergebnisqualität überprüft werden. Ebenso sollen die Erfahrungen mit dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz überprüft werden. Dies ist, denke ich, eine notwendige Voraussetzung dafür, dass bessere Pflegestandards durchgesetzt werden.
Auf internationaler Ebene setzt die Bundesregierung
aus unserer Sicht ebenfalls keine Zeichen, und das, obwohl die UN im Jahre 2012 festgestellt hat, dass das
Menschenrechtssystem lückenhaft ist, und damals explizit angeregt hat, die Rechte zum Schutz Älterer neu zu
regeln. Bisher hat die Bundesregierung dieses Thema
der Zivilgesellschaft überlassen. Organisationen wie
HelpAge leisten wirklich gute Arbeit. Doch braucht es
ein ernsthaftes politisches Engagement. Das bedeutet,
die bereits seit 2010 bestehende Working Group on
Ageing der UNECE zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, eine UN-Konvention über die menschenrechtlichen Bedürfnisse älterer Menschen zu erarbeiten.
({3})
Um effektiv den Schutz der Rechte Älterer zu kontrollieren, ist aber auch vonnöten, einen UN-Sonderberichterstatter einzusetzen. Denn was hilft es, wenn man eine
Konvention hat und keine entsprechende Kontrolle möglich ist?
Wer glaubt, mit einer solchen neuen Konvention würden die Rechte anderer Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel der Jungen, beschnitten, der ist im Irrtum. Ich
denke, dass Schutzmechanismen für eine vulnerable
Gruppe, seien es Kinder - da gibt es die UN-Kinderrechtskonvention -, seien es die Frauen - da gibt es CEDAW oder Behinderte - da gibt es die UN-Behindertenrechtskonvention -, der gesamten Gesellschaft nutzen. Allein
die Befassung mit der Menschenrechtssituation dieser
Gruppen und der Zwang, die Konvention umzusetzen,
verändern aus meiner Sicht langfristig die gesellschaftlichen Prozesse und führen dazu, dass Verhaltensweisen
generell überdacht werden. Ich denke, das gereicht zum
Vorteil aller. Deswegen brauchen wir dringend diese
Konvention. Sie bringt uns weiter, insbesondere mit
Blick auf die Entwicklung der Demografie in vielen
Angelika Graf ({4})
Ländern, wo der Schutz für Ältere noch viel schlechter
ist als bei uns.
({5})
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Schönen guten Abend! „Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Konvention fördern“, mir persönlich ist das ein ganz besonderes Anliegen; das wissen Sie vielleicht nicht. Ich habe
wahrscheinlich Ihnen allen gegenüber einen kleinen Vorsprung: Ich habe 14 Jahre meines Lebens in einem Altenheim gelebt; das hat mit meinen Eltern und ihrem Beruf zu tun. Ich habe dadurch viele Menschen und den
Schatz kennengelernt, den es in den damit verbundenen
Begegnungen gibt, von dem in Reden immer wieder gesprochen wird.
Ich erinnere mich an Gesichter, und ich erinnere mich
an Begegnungen. Ich erinnere mich etwa an Oma Berta,
wie wir sie alle nannten, 99 Jahre, quicklebendig, nicht
nur im Haus, sondern auch im Dorf, in dem das Heim
stand. Ich erinnere mich an Schwester Luise, die eines
Nachts meine Mutter weckte - Schwester Luise war
blind; sie hatte sich in der Etage vertan; sie musste ja
kein Licht anmachen, auch im Zimmer meiner Mutter
nicht -, als sie bei der Berührung ihres Gesichtes feststellte, dass sie im falschen Zimmer gelandet war. Ich erinnere mich auch an Opa Walther, der überhaupt kein
Problem hatte, sich mit den Jugendlichen zu unterhalten,
und ihnen sogar das Wasser reichen konnte. - Ältere
Menschen sind ein sozialer Schatz für unsere Gesellschaft. Das kam auch in Ihrer Rede zum Ausdruck, Frau
Graf. Neben dieser Wertschätzung brauchen Sie aber
auch unseren Schutz.
({0})
Ältere Menschen spielen - darauf werden sie leider
immer wieder reduziert - auch eine ökonomische Rolle,
nicht nur bezogen auf den Wirtschaftsfaktor, sondern
auch als Rentner, wenn sie ehrenamtlich tätig sind, Enkel betreuen, den Ehe- oder Lebenspartner pflegen, aber
auch, wenn sie ihre spezifischen oder allgemeinen Erfahrungen aus ihrem Leben weitergeben.
Leider werden die älteren Menschen oft nur mit negativen Begriffen beschrieben. Zum Beispiel reden wir
vom Problem der Überalterung. Zusammen mit einem
Landtagskollegen aus Chemnitz habe ich mich entschieden, wenn möglich, auch von Unterjüngung und nicht
immer von Überalterung der Gesellschaft zu sprechen.
Das Altern dieser Bevölkerung ist einer der bedeutenden Trends des 21. Jahrhunderts. Es gibt natürlich große
regionale Unterschiede. Eine Schwierigkeit, die wir mit
Ihrem Antrag haben, ist, dass darauf unserer Meinung
nach nicht differenziert genug eingegangen wird, weil er
zum einen die deutsche Situation beschreibt und zum anderen aber auch die weltweite Situation. Die nötige Bewältigung dieser Herausforderung, nämlich der Alterung
unserer Bevölkerung, ist eine absolute Maßgabe für unsere Politik. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen
Ban Ki-moon schreibt - ich zitiere -:
Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieses
Phänomens sind tiefgreifend und reichen in beispielloser Weise weit über das Individuum und die
Familie hinaus bis in die Gesamtgesellschaft und
die Weltgemeinschaft.
Was sind diese Herausforderungen? Sie benennen sie
in Ihrem Antrag. Es geht um die Anerkennung der Sorge
um dieses Problem. Die Zahlen in Deutschland zeigen
- der demografische Wandel; Sie haben es genannt -,
dass der Anteil der Jüngeren ständig abnimmt, während
der Anteil der Älteren in der Bevölkerung steigt. Den
Fokus auf ältere Menschen zu richten, ist eine demografische Notwendigkeit und damit politisch mehr als angezeigt. Sie werden sich erinnern, dass einige Maßnahmen
der Bundesregierung eindeutig in diese Richtung gehen.
Die weltweiten Zahlen besagen, dass 2050 mit 2 Milliarden Menschen ein Fünftel der Menschen dieser Erde
über 60 Jahre alt sein wird. Heute ist es „nur“ ein Neuntel. 80 Prozent der über 60-Jährigen werden 2050 - das
ist der geografische Unterschied - in Entwicklungsländern leben. Die Organisation HelpAge hat gesagt: „Die
Welt wird grau“ - verstehen Sie das nicht falsch -, wenn
wir diese Herausforderung nicht bewältigen.
Herausforderungen für Deutschland sind altersbedingte Krankheiten - wir reden oft über Alzheimer; das
führt oft zu Fremdbestimmung und Entmündigung -, Altersarmut und Diskriminierung. Wir alle kennen das
Wort „Sexismus“; für das Wort „Ageism“ gibt es noch
kein deutsches Wort. Es sind stereotype Einstellungen,
die zu diskriminierendem Verhalten gegenüber älteren
Menschen führen. Ageism beschreibt einerseits die Diskreditierung des Altersprozesses als solchen und andererseits die Exklusion aller, die als „alt“ etikettiert werden. Die Welt hat im letzten Jahr in einem Bericht das
Beispiel von Margret Schukies, einer attraktiven und unternehmenslustigen Dame - 62 Jahre alt - beschrieben.
Sie wollte sich einen Hundewelpen in einem Tierheim
abholen; aber die Leiterin des Tierheims sagte ihr, sie sei
zu alt.
Es gibt Diskriminierung im Erwerbsleben, beim Abschluss von Versicherungen und soziale Isolation. Ein
frappierendes Beispiel war eine Hitzewelle im Jahr 2003
in Frankreich; im letzten Jahr drohte sie dort wieder. Daran sind etwa 15 000 Menschen gestorben; 80 Prozent
von ihnen waren über 75 Jahre alt. Es wurde einfach vergessen, sie zu versorgen. Es gibt sogar Misshandlungen
- Sie haben das geschildert -: körperliche Misshandlung
durch Festhalten, emotionale Misshandlung durch Beschimpfung oder in Form von Vernachlässigung. Zudem
gibt es Menschenrechtslücken im Hinblick auf institutionelle und private Pflege.
Ich komme zu den Problemen in den Entwicklungsländern. Die Lage älterer Menschen hat sich in den Entwicklungsländern um einiges verschlechtert. Ältere
Menschen waren früher aufgrund ihrer Lebenserfahrung,
von der ich hier anfangs sprach, Vermittler in der Gemeinde bzw. der Gemeinschaft. Zurzeit erleben sie immer häufiger Gewalt und Misshandlungen. Dazu kommt
es natürlich auch aufgrund von Druck und Notsituationen. Armut oder HIV/Aids sind Gründe für die Verschlechterungen, ebenso Analphabetismus und die höhere Verletzbarkeit älter werdender Menschen. Aber es
kann sogar noch weiter gehen: Im Jahr 2011 wurden in
Tansania 500 ältere Frauen ermordet, die der Hexerei beschuldigt wurden.
Ich komme zu Lösungen bzw. zu Antworten und Reaktionen auf die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag
beschrieben haben. Wir können bei Ihrem Antrag an
zwei Stellen nicht mitgehen; die Punkte bauen, wie Sie
in Ihrer Rede gesagt haben, sogar aufeinander auf.
Wir sind erstens nicht der Meinung, dass die Erarbeitung einer UN-Konvention für die Rechte älterer Menschen angezeigt ist, zumal die Vereinten Nationen den
Auftrag haben, zu prüfen, ob dies Sinn macht. Wir können hier unter anderem deshalb nicht mitgehen, weil die
entsprechenden völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Voraussetzungen bereits bestehen und es nun an
ihre Umsetzung gehen muss. Da gibt es zum Beispiel
- ich könnte jetzt alle Vereinbarungen nennen, aber Sie
kennen sie schon; sie stehen auch in Ihrem Antrag - den
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte, den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie die Internationale Konvention zum
Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
Familienangehörigen. Immer geht es auch um das Alter;
nicht immer wird es explizit genannt. So heißt es auch in
Ihrem Antrag - ich zitiere daraus -:
Artikel 25 der 2009 in Kraft getretenen Charta der
Grundrechte der Europäischen Union verbürgt „das
Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und
kulturellen Leben“.
Alter ist darüber hinaus eines von sechs Merkmalen,
die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt
und aufgrund derer kein Mensch diskriminiert werden
darf. Zudem sind die Vereinten Nationen dabei - ich
habe es schon gesagt -, zu untersuchen, ob die Lösung,
eine Konvention zu erarbeiten, Sinn macht. Die von Ihnen genannte UN Open-ended Working Group on Ageing
wurde letzten Dezember beauftragt, einen Vorschlag
dazu zu unterbreiten, was eine Vereinbarung zum Schutz
der Rechte Älterer umfassen sollte. Einer Konvention
können wir also nicht zustimmen.
Insofern können wir - das ist die logische Folge zweitens nicht der Einsetzung eines Sonderberichterstatters für die Menschenrechte älterer Menschen zustimmen. Es besteht der Bedarf, die bestehenden Verträge,
die bestehenden Mechanismen besser anzuwenden. Das
tut auf der einen Seite die EU. Letztes Jahr war das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen. Um die entsprechende Debatte
voranzubringen - darum muss es zuerst gehen -, wurden
anlässlich des Europäischen Jahres 90 Initiativen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene durchgeführt.
Was wurde in Deutschland schon gemacht? Letztes
Jahr wurde die Demografiestrategie auf den Weg gebracht. Dabei geht es zuerst einmal darum, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. „Jedes Alter zählt“ - so
wurde diese Strategie genannt. Eines der sechs Themenfelder der Demografiestrategie trägt den Titel „Selbstbestimmtes Leben im Alter“. Hier geht es um folgende
Ziele - ich gehe nur kurz darauf ein -: selbstbestimmtes
Leben, Aktivität im Alter, gesellschaftliche Teilhabe, gesundes Altern.
Die Bundesregierung engagiert sich auch bei der Bekämpfung von diesen Stereotypen bezüglich älterer
Menschen und setzt sich für eine bessere Lebensqualität
ein. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die Posterkampagne
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
wahrgenommen hat. Ich habe ein Bild von dem Poster
gemacht. Darauf steht:
Ältere auf dem Arbeitsmarkt
unverzichtbar
({1})
Das ist letztendlich etwas, das die Gesellschaft durchdringen muss; es darf nicht nur ein Signal sein, das von
uns in der Politik ausgeht.
Als erstes deutsches Bundesland hat Sachsen 2005 einen Landesseniorenbeauftragten bestellt. Er hat unter
anderem folgende Projekte verfolgt: altersentsprechende
Anpassung von Bildschirmen und Eingabemasken, Förderung der Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben insbesondere im ländlichen Raum.
({2})
Von den Forderungen, die Sie aufführen, könnte man
folgende Forderung tatsächlich unterstützen: stärkere
Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Verbände bei der
Verbesserung der menschenrechtlichen Situation. Des
Weiteren könnte man die Forderung unterstützen, sich
für die Umsetzung von Systemen für sozialen Basisschutz, für sogenannte Social Protection Floors, in Partnerländern einzusetzen, auf Länder hinzuwirken, im
menschenrechtlichen Bereich ordnungsrechtliche Verantwortung zu übernehmen, auf die Bundesländer hinzuwirken, Seniorenbeiräte in den Ländern und Kommunen
nach einheitlichen rechtlichen Grundlagen einzurichten
- ich habe gerade das Beispiel Sachsen angesprochen -,
und - das ist mir am Schluss noch wichtig - sich für die
Abschaffung diskriminierender Altersgrenzen, „Höchstaltersgrenzen“ genannt, im Ehrenamt und im Kirchengesetz einzusetzen. So hat auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das letzte Jahr zum Themenjahr gemacht: „Im besten Alter. Immer“. Das ist heute noch auf
der Webseite zu sehen. Weitere Vorschläge in diesem
Bereich wären Forschung bezüglich Krankheiten, die
mit dem Alter verknüpft sind, oder weitere Maßnahmen
zur aktiven Alterung. Da gibt es das Projekt „Homeshare“ aus Großbritannien zur Stärkung der Solidarität
zwischen Generationen durch Dienstleistungen, sodass
ältere Menschen Mitbewohner haben können.
Zum Schluss. Demografischer Wandel sollte eher als
Möglichkeit, als Opportunity - ich nenne den englischen
Begriff, weil es auch um den internationalen Zusammenhang geht -, als Möglichkeit für innovative Lösungen
für viele aktuelle, soziale und wirtschaftliche Probleme
denn als Last angesehen werden. Aber dafür brauchen
wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, dass ältere
Menschen ein sozialer Schatz für unsere Gesellschaft
sind, und nicht nur eine politische Initiative. Ältere Menschen zu befähigen, gesünder und aktiver in der Arbeitswelt und der Gemeinschaft zu sein, wird uns bei diesen
demografischen Herausforderungen helfen - auf einem
Weg, der gerecht und nachhaltig ist.
Mein letzter Satz. Art. 10 des Madrid International
Plan of Action on Ageing lautet: Das Potenzial älterer
Menschen ist eine mächtige Grundlage für die zukünftige Entwicklung. Es befähigt zunehmend die Gesellschaft, sich auf die Fähigkeiten, die Erfahrung und die
Weisheit älterer Menschen zu verlassen.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen guten Anstoß
und ein gutes Weiterarbeiten an dem Thema dieser Debatte; denn sie ist wichtig genug.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin
Heidrun Dittrich das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Heute geht es um den Antrag der SPD
„Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Konvention fördern“. Ja, Schutz vor Gewalt ist nötig, und eine stärkere Kontrolle der Pflegeheime ist angebracht. Ihr Antrag zeigt in die richtige
Richtung, ändert aber nichts am Pflegealltag. Wenn es zu
wenig examinierte Altenpflegerinnen gibt, dann können
Kontrollen und Berichte nur nützlich sein, wenn Sie Vorgaben für mehr Personal machen. Aber genau das fehlt
in Ihrem Antrag.
Auch an der Armut von älteren Menschen, vor allem
von Frauen - zu geringe Löhne und Teilzeitjobs führen
zu Minirenten -, ändert Ihr Antrag nichts. Erst im letzten
Satz Ihres Antrags fordern Sie, meine Damen und Herren von der SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn, aber
ohne die Höhe anzugeben. Ich muss schon sagen: Das ist
das Allerletzte!
({0})
10 Euro Mindestlohn, wie ihn die Linke fordert, bedeutet zwar, dass die Menschen über die Grundsicherung
kommen; aber das bedeutet nicht, dass man im Alter
wirklich abgesichert ist. Es ist ein erster Schritt.
({1})
Alle Parteien haben in der Regierung den Sozialabbau
und die Rentenkürzungen sowie die Privatisierung der
Pflege vorangetrieben. Sie haben einen großen Markt
geschaffen, bei dem die Pflegebedürftigen die Verlierer
sind. Jetzt hat das Alter seinen Schrecken wieder. Der
soziale Fortschritt, den Älteren die Furcht vor der Abhängigkeit zu nehmen, ist nämlich dahin. Die Pflegebedürftigen fürchten sich vor dem Heim und vor der Abhängigkeit. Sie wünschen sich Unterstützung in einem
selbstbestimmten Leben. „Die Würde des Menschen ist
unantastbar - bis zuletzt“,
({2})
das hat die Hospiz-Bewegung 2001 geschrieben. Der
Pflegenotstand ist bekannt. Ich erspare mir die Details.
Sie wissen, dass Vernachlässigung zum Tode führen
kann.
Es ist in Wohngruppen und Heimen einfach nicht die
Zeit vorhanden, 1 Liter Flüssigkeit am Tag anzureichen.
Meist trinken die Älteren aus eigenem Antrieb nur ein
Glas. Hier muss motiviert werden: abwechslungsreiche
Getränke mit Geselligkeit und Unterhaltung, damit sie
Flüssigkeit zu sich nehmen. Mit Gewalt geht das nicht.
({3})
Weil die Grundversorgung nicht gesichert ist, kommt
es zu Krankenhauseinweisungen. Doch dort geht es den
Seniorinnen und Senioren nicht besser. Auch dort
herrscht Pflegenotstand: Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in der Notaufnahme, Stress, Überforderung.
({4})
Es werden Sonden gelegt. Fremde Umgebung, fremde
Menschen - das macht den Aufenthalt unangenehm.
Die Pflegekräfte selbst wollen gute Pflege leisten; leider fehlt ihnen durch den Personalmangel die Zeit dazu.
Die Altenpflegerinnen spüren, dass sie mehr tun müssten. Deshalb bleiben sie länger, versuchen nach Feierabend für die Gruppe einzukaufen und den nächsten Tag
vorzubereiten; aber das bekommen sie nicht bezahlt. Angestellte in der Pflege sind in der Regel bereits nach
8,5 Jahren krank, Krankenschwestern nach 14 Jahren.
Mit 8,50 Euro die Stunde, die im Branchentarifvertrag
für Pflegekräfte vereinbart wurden, sind sie angesichts
der zu leistenden Schwerstarbeit noch immer unterbezahlt.
({5})
Ist denn der Gesellschaft ein würdevolles Leben im
Alter nichts wert? Müssen die Menschen, die in diesen
Berufen arbeiten, so belastet werden? Der größte private
Pflegebereich ist die Familie. Wie werden die Frauen,
die keinen Beruf ausüben, weil sie Angehörige pflegen,
vor Altersarmut geschützt? Die Leistungen nach dem
Pflegezeitgesetz der Ministerin Schröder werden von
den pflegenden Angehörigen nicht nachgefragt, weil es
eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber ist.
Warum fordern Sie nicht gemeinsam mit der Linken
im Interesse der Angehörigen, der Pflegebedürftigen und
der Altenpflegerinnen mehr Personal? Das führt zu kleiHeidrun Dittrich
neren Gruppen, das sichert die Einhaltung von Menschenrechten. Wir werden demnächst einen Antrag zu
den Themen „Bemessung der Pflege“ und „Personalausstattung“ vorlegen.
Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass examinierte Altenpflegerinnen nicht zu bezahlen seien. Wir
haben heute den Militäreinsatz in Mali beschlossen.
Wenn es ums Töten geht, spielen die Kosten keine Rolle.
Es geht nur darum, die wirtschaftlichen Interessen von
Unternehmen zu sichern.
({6})
Wie schnell die Zerstörung eines Sozialstaates ablaufen kann, können Sie am Beispiel Griechenland sehen.
Entbindungen werden nicht mehr bezahlt. Damit steigt
die Kindersterblichkeit. Das bedeutet: Zurück ins
19. Jahrhundert!
Ein positives Beispiel für eine alte Person - wenn ich
das noch anmerken darf - ist Stéphane Hessel, der vor
zwei Tagen im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Er
überlebte die Deportation durch die Gestapo und blieb
aktiv. Er schrieb Empört euch!, setzte sich für Menschenrechte und die Überwindung der Armut ein. Er
schlug vor, das Gemeinwohl vor die Interessen des
Großkapitals zu setzen. Das sollten wir auch tun.
({7})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Pascal Kober.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegen der SPD, das Thema, „Menschenrechte
älterer Menschen stärken“, das Sie ansprechen, ist ein
wichtiges Thema. Deshalb ist es kein Wunder, dass sich
die Regierungskoalition seit Anbeginn ihrer Regierungszeit dieses Themas gerade auch im nationalen Bereich
mit Tatkraft und Mut angenommen hat und vieles bewegt hat, was richtig ist. Sie schreiben im Forderungsteil
Ihres Antrags, dass es auch nationale Herausforderungen
gibt, die es zu meistern gilt. Lassen Sie mich deshalb
kurz auf das eingehen, was wir in den letzten drei Jahren
gerade in diesem Bereich auf den Weg gebracht haben.
Ich möchte mit einer Sache beginnen, an die man
vielleicht nicht als Erstes denkt: die Übernahme der
Grundsicherung im Alter durch den Bund. Damit haben
wir zweierlei Sachen erreicht: Zum einen haben wir für
die größte Entlastung der Kommunen in der Geschichte
der Bundesrepublik gesorgt. Zum anderen haben wir die
Finanzierung der Grundsicherung im Alter und damit
das Leben derer, die im Alter bedürftig und auf Unterstützung angewiesen sind, auf eine sichere Grundlage
gestellt.
({0})
Das wird bis 2016 20 Milliarden Euro kosten. Trotzdem
werden wir die Vorgaben der Schuldenbremse nicht erst
2016 einhalten; vielmehr haben wir sie schon vier Jahre
früher, 2012, eingehalten.
({1})
Warum sage ich das? Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen, die Kollegin der Linken
hat die Staatsschuldenkrise in Griechenland angesprochen. Wir alle wissen, was ein überschuldeter Haushalt
bedeutet: Es trifft am Ende die Schwächsten, auch die
Alten. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD und der Grünen, möchte ich Sie bitten, auf Ihre
Kollegen in den Ländern, zum Beispiel in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, hinzuwirken, die
Verschuldungspolitik der Länder nicht fortzuführen und
ihr Einhalt zu gebieten.
({2})
In Ihrem Antrag thematisieren Sie zu Recht das
Thema Altersarmut. Wir wissen alle, dass die weit verbreitetste Ursache für Altersarmut unterbrochene Erwerbsbiografien sind. Vor diesem Hintergrund frage ich
mich, warum Sie für Ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl milliardenschwere Steuererhöhungen beschließen, mit denen Sie den Mittelstand und das Handwerk
belasten und damit Hunderttausende Arbeitsplätze aufs
Spiel setzen.
({3})
Das ist die falsche Politik. Sie sollten sich noch einmal
überlegen, ob Ihr Vorgehen richtig ist, wenn Sie dem
Thema Altersarmut langfristig etwas entgegensetzen
wollen.
Dann haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, das Thema „gesetzlicher Mindestlohn“ aufgegriffen. Sie sprechen nicht von einer Mindestlohnhöhe. Wir
wissen aber aus Ihrem Wahlprogramm, dass Sie eine
Zahl im Kopf haben: 8,50 Euro. Wir sollten aber so ehrlich sein, zu sagen, dass man es bei 8,50 Euro sehr
schwer haben wird, im Alter über das Niveau der Grundsicherung zu kommen. Dafür müsste man bei 35 Beitragsjahren 10,40 Euro, also noch mehr als die von der
Linkspartei geforderten 10 Euro in der Stunde verdienen. Wir sollten so ehrlich sein, den Menschen nicht
Sand in die Augen zu streuen. Einfach nur einen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern, wird dieses Problem
nicht lösen.
({4})
Wenn wir der Altersarmut wirklich etwas entgegensetzen wollen - das ist glücklicherweise derzeit noch
kein Massenphänomen, wie es häufig skizziert wird; nur
2,4 Prozent der Menschen sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen -, dann müssen wir einen präventiven Ansatz verfolgen. Ich habe das Thema „unterbrochene Erwerbsbiografien“ schon angesprochen. Wir
müssen an mehreren Stellschrauben beginnen. Beispielsweise bei der Kinderbetreuung - weil mangelnde Kinderbetreuung eine wesentliche Ursache dafür ist, dass
eine Erwerbsbiografie gerade bei Frauen nicht stetig verläuft - haben wir zusätzlich zu den 4 Milliarden Euro,
die schon vereinbart waren, für 30 000 zusätzliche Kinderbetreuungsplätze noch einmal knapp 600 Millionen
Euro in die Hand genommen, und wir werden über 2014
hinaus mit jährlich 845 Millionen Euro den Ausbau der
Kinderbetreuung weiter fördern.
({5})
Das ist wichtig, gerade wenn man auf lange Sicht der Altersarmut begegnen will.
({6})
Das nächste Thema, um unterbrochenen Erwerbsbiografien vorzubeugen - die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium Annette Widmann-Mauz ist hier -: Mit
dem Programm „Unternehmen unternehmen Gesundheit“ fördern wir Betriebe, damit sie die Belegschaften
bei der Gesundheitsvorsorge unterstützen, damit sie länger bei guter Gesundheit arbeiten können. Auch das ist
ein wesentliches Schräubchen, das wir eingeführt haben,
an dem wir gedreht haben und an dem wir weiter drehen
müssen, damit in Zukunft Altersarmut vermieden werden kann.
Nicht nur Altersarmut ist das Thema. Sie haben in Ihrem Antrag zu Recht das Thema Pflegesituation angesprochen. Auch hier haben wir einiges zur Verbesserung
der Situation älterer Menschen in unserem Land erreicht.
Seit dem 1. Januar 2013 gibt es erstmalig Leistungen aus
der Pflegeversicherung für Demenzkranke. Das ist auch
etwas, was wir in dieser Regierungskoalition auf den
Weg gebracht haben. Das ist wichtig.
({7})
Wir wissen, dass noch immer mehr als zwei Drittel
der Pflegebedürftigen von ihren Familien gepflegt werden. Deshalb haben wir gerade die finanzielle Unterstützung der Selbsthilfegruppen verstärkt und dort auch eine
Verbesserung erzielt. Familien sind, wenn sie pflegen,
besonders belastet und können sich in Netzwerken gegenseitig entlasten.
Wir haben die Qualität der Pflegeeinrichtungen verbessert. Bisher galt, dass am Ende nur die Pflegedokumentation ausschlaggebend ist. Wir haben hier gegengesteuert und gesagt: Es muss neben der Pflegedokumentation auch eine Inaugenscheinnahme der Patienten ausschlaggebend sein, um die Qualität eines Pflegeheimes
zu bewerten. Auch das haben wir auf den Weg gebracht;
auch das ist etwas, um die Rechte älterer Menschen in
unserem Land zu stärken.
Wie gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind
einige Beispiele dafür, was wir auf nationaler Ebene in
diesen drei Jahren schon erreicht haben und was wir ab
September in der nächsten Koalitionsperiode mit aller
Kraft fortsetzen werden. Sie werden vonseiten der Opposition weiter zuschauen und von uns lernen. Wir werden weiter mit Ihnen diskutieren. Ich freue mich auf die
weitere Beratung dieses Antrags.
Vielen Dank.
({8})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Tom Koenigs von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im vorliegenden Antrag wird eine UN-Konvention gefordert, eine internationale Konvention zum
Schutz der Menschenrechte der Alten.
({0})
Die Koalitionsfraktionen nehmen diesen Antrag nicht
an, weil die SPD dies tut. Nun ist aber der Menschenrechtsschutz seit der universellen Erklärung der Menschenrechte genau durch solche Konventionen vorangekommen, Schritt für Schritt, aber sicher. Das sind nicht
nur Zivilpakt und Sozialpakt, sondern auch die Zusatzkonventionen, und zwar für einzelne Gruppen, die dieses
Schutzes ganz besonders bedürfen - Frauen, Kinder,
Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Staatenlose
und Wanderarbeiter -, aber noch nicht für die Alten.
Wenn Sie sagen: „Das muss auch nicht sein“, dann steht
dahinter im Grunde die Vermutung: Das brauchen wir
nicht, weil wir das schon haben, und eigentlich ist das
Problem schon längst gelöst. - Da fehlt es an Aufmerksamkeit. So eine Konvention würde genau diese Aufmerksamkeit schaffen.
Es geht um Aufmerksamkeit für ein Problem, das sehr
wohl existiert. Altersdiskriminierung existiert, und zwar
in verschiedenen Bereichen. Die interpersonelle Diskriminierung haben wir alle schon einmal erfahren. Sie ist
nicht so häufig, aber wir alle haben sie schon erfahren.
Es gibt sie in unserer Gesellschaft. Wichtiger ist die institutionelle Diskriminierung, vor allem im Arbeitsleben.
Die Quote der Beschäftigten zwischen 55 und 64 Jahren
liegt noch bei knapp 60 Prozent. Diese Quote ist in anderen Ländern besser. Im Rahmen einer internationalen
Konvention könnte man hier etwas machen. Es gibt institutionelle Diskriminierung, vor allem in der Wirtschaft.
Aber auch in unseren Gesetzen gibt es noch Diskriminierung, auch in den Tarifverträgen. Wozu gibt es angesichts der demografischen Veränderungen eigentlich
noch Altersgrenzen, frage ich. Beispielhaft sei auch ein
Gesetz angeführt: In § 39 der Hessischen Gemeindeordnung wird gesagt, dass ein Bürgermeister nicht über
67 Jahre alt sein darf. Als ob Petra Roth nicht mehr fit
für das Amt der Bürgermeisterin gewesen wäre. Legt
man das zugrunde, hätte Konrad Adenauer nie Bürgermeister in Maintal werden können, weil er zu alt war.
Das ist Altersdiskriminierung. Dagegen muss man etwas
tun, statt nur zu reden.
({1})
So eine Konvention könnte auch Institutionen stärken
oder besser verankern. Gegenwärtig werden die Institutionen, die sich mit diesem Thema befassen, von der
Bundesregierung ja wie Stiefkinder behandelt. Das
Deutsche Institut für Menschenrechte braucht eine gesetzliche Grundlage, sonst wird es den A-Status verlieren.
({2})
Sie weigern sich beharrlich, das zu machen. Das zweite
Beispiel ist die schon erwähnte Antidiskriminierungsstelle. Sie krepelt mit schwacher finanzieller Unterstützung vor sich hin. Das ist keine wirkliche Stärkung.
Im internationalen Bereich wird nun gesagt: Es wird
noch geforscht. Warum kommt man nicht vorwärts?
Auch weil Deutschland nichts macht. Im Januar hat sich
der Menschenrechtsrat damit befasst. Es gab einen Call
for Papers, er hat um Anregungen gebeten. Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung diesbezüglich mehr unternimmt, als nur zu sagen: „Eine Konvention wollen
wir nicht“, wie sie es bisher in der Open-ended Working
Group on Ageing gemacht hat.
Schließlich komme ich auf das Handeln zu sprechen.
Sie drücken sich davor, zu handeln. Deshalb wollen Sie
keine Konvention. Wenn es eine Berichtspflicht gäbe,
müssten Sie auch über das Handeln berichten. Ja, ich
spreche auch Sie an, Herr Heinrich. Sie haben darüber
gesprochen. Ein Peer Review würde offenbaren, dass
nicht gehandelt wird, sondern nur gesagt wird: Wir machen nichts anderes als das, was wir immer schon gemacht haben. Herr Kober sprach sogar von etwas ganz
anderem, weil es schön ist, dass das gemacht worden ist.
Ein Special Rapporteur wäre ein Fortschritt.
({3})
Schauen wir auf die internationale Szene: Bei der
Open-ended Working Group on Ageing, bei der wir alle
wohl geborene Mitglieder sind, kommt gegenwärtig
nichts heraus. Es bedarf eines richtigen Impulses.
({4})
Der könnte von Deutschland ausgehen. Das ist aber
nicht nur ein deutsches Problem, sondern auch ein internationales Problem. Da darf man nicht einfach sagen:
Wir machen da nichts. - Sie wollen nicht handeln, sie
sollten aber handeln. Gerade Sie sollten handeln. Gerade
wir Alten haben das verdient.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12399 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen ({0})
- Drucksache 17/12032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1})
- Drucksache 17/12478 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Christel Happach-Kasan
Friedrich Ostendorff
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten
- Drucksachen 17/9580, 17/10663 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Rainer Erdel
Friedrich Ostendorff
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich würde die Aussprache gerne eröffnen, sobald in
den Fraktionen keine lauten Gespräche mehr geführt
werden und es möglich ist, dem Redner zuzuhören. - Ich
eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Alois
Gerig aus der Unionsfraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wohlergehen
und die Gesunderhaltung von Tieren ist eine wichtige
und wahrhaft verantwortungsvolle Aufgabe, in erster Linie natürlich für die Tierhalter - die wissen das -, aber
auch für Tierärzte, für die zuständigen Veterinärbehörden
und für die Politik. So ist es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, zeitgemäße und situationsangepasste Rahmenbe28052
dingungen zu schaffen. Genau das machen wir mit diesem neuen Tiergesundheitsgesetz.
({0})
Das alte Tierseuchengesetz aus dem Jahr 1909 wird
damit abgelöst. Das alte Gesetz stellte die Bekämpfung
von ausgebrochenen Krankheiten und Seuchen in den
Vordergrund. Das neue Tiergesundheitsgesetz hingegen
zielt neben der Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen auch darauf ab, diesen wirksam vorzubeugen. Zahlreiche Neuregelungen sorgen dafür, dass in der Tierhaltung die Prävention vor Krankheiten und Seuchen ein
größeres Gewicht erhält.
Hervorzuheben ist unter anderem, dass künftig in Betrieben mit Tierbeständen zur Vorbeugung eigenbetriebliche Kontrollen und verpflichtende hygienische Maßnahmen angeordnet werden können.
({1})
Außerdem wird der Personenkreis, der zur Anzeige
einer Tierseuche verpflichtet ist, erweitert.
Ein weiterer wichtiger Eckpunkt ist das geplante Monitoring über den Gesundheitsstatus unserer Tiere. In
Zeiten der zunehmenden Globalisierung der Märkte
- was per se ja gar nichts Schlechtes sein muss - steigt
die Gefahr, dass Tierseuchen aus dem Ausland nach
Deutschland eingeschleppt werden. Vor diesem Hintergrund ist es sicher richtig und wichtig, dass das
Friedrich-Loeffler-Institut zukünftig damit beauftragt
wird, das weltweite Seuchengeschehen auszuwerten.
Damit können wichtige Erkenntnisse für Präventivmaßnahmen in Deutschland gewonnen werden.
Ebenso wird vom gleichen Institut die Ständige Impfkommission Veterinärmedizin - auch etwas Neues - eingerichtet, welche auf wissenschaftlicher Grundlage
Impfempfehlungen erarbeitet. In den vergangenen Jahren haben ja die Koalitions- und die Oppositionsfraktionen in einem gemeinsamen Antrag gefordert, bei der
Tierseuchenbekämpfung den Grundsatz „Impfen statt
Keulen“ durchzusetzen. Schön, dass wir das gemeinsam
geschafft haben.
({2})
Mit der verpflichtenden Einrichtung einer Impfkommission kann man davon ausgehen, dass dieses Ziel noch
konsequenter in die Praxis umgesetzt wird.
Bei der Erkennung von Seuchen und Krankheiten
spielen sogenannte In-vitro-Diagnostika eine sehr wichtige Rolle, die künftig nur für anzeigepflichtige Seuchen
und Krankheiten eine amtliche Zulassung benötigen. Für
alle anderen, nicht anzeigepflichtigen Seuchen wird ein
aufwendiges amtliches Zulassungsverfahren entbehrlich.
Dies ist nicht nur im Sinne der Hersteller, wie manche
betonen, sondern dient insbesondere auch einer schnelleren und effektiveren Bekämpfung von Krankheiten und
Seuchen.
Tritt der Seuchenfall ein, ist es weiterhin - das ist
ganz wichtig - die Aufgabe der Tierseuchenkassen in
den Ländern, gegenüber den Landwirten Entschädigungen für Tierverluste zu leisten. Schnelle und unbürokratische Hilfe ist hierbei ganz besonders wichtig, weil im
Ernstfall ganz schnell Existenzen auf dem Spiel stehen
können.
Mit unserem Tiergesundheitsgesetz werden wir erreichen, dass in Deutschland an der konsequenten Bekämpfung von Tiersuchen festgehalten wird und gleichzeitig
bei der Prävention von Krankheiten und Seuchen noch
mehr Anstrengungen als seither unternommen werden.
Meine Damen und Herren, mit einer ganzen Reihe
von Gesetzesinitiativen, dem Tierschutzgesetz, dem Arzneimittelgesetz, dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch und nicht zuletzt diesem Tiergesundheitsgesetz
verbessert die christlich-liberale Koalition die Rahmenbedingungen für die Tierhaltung in Deutschland.
({3})
Ich möchte deshalb ausdrücklich unser Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Leitung unserer Ministerin Ilse Aigner für
diese logistische Meisterleistung, die in den letzten Monaten aufzubringen war, loben.
({4})
Wir sorgen mit dem Gesetz a) für mehr Verbraucher-
schutz, Transparenz und Aufklärung und tragen b)
gleichzeitig mit dem notwendigen Augenmaß und Feingefühl dazu bei, dass unsere Landwirte weiterhin die
Chance für tragfähige wirtschaftliche Perspektiven für
ihre Betriebe und hoffentlich auch - das betone ich weiterhin Freude an ihrem Beruf haben werden. Wir
werden es nicht zulassen, dass die Landwirtschaft - eine
der ältesten und solidesten Branchen überhaupt - permanent von Besserwissern und Theoretikern an den Pranger
gestellt wird.
({5})
Dies ist verantwortungslos und unmoralisch. Dabei
denke ich insbesondere an die vorhergehende Debatte
zum Arzneimittelgesetz.
({6})
Ich bin überzeugt davon, dass es insbesondere zum
Wohle unserer Verbraucher ist, wenn die Landwirtschaft
und die Tierhaltung in Deutschland erhalten werden.
Aktuelle Skandale zeigen uns leider, dass kriminelle
Energie nie auszuschließen ist. Deshalb brauchen wir einerseits ein wirksames Netzwerk von Kontrollen. Andererseits brauchen wir aber auch - das ist mir ganz
wichtig - kritische Verbraucher, die noch bewusster einkaufen, als sie dies seither machen.
({7})
Kollege Gerig, ich unterbreche Sie ungern, aber Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
({0})
Ich komme zum Schluss. - Natürlich können wir immer noch besser werden, aber im Grundsatz gilt: Die bei
uns produzierten Lebensmittel sind die nachweisbar besten Nahrungsmittel mit den geringsten Rückständen an
unerwünschten Stoffen. Sie sind nach den weltweit
höchsten Standards produziert. Insbesondere bei Tierkomfort und Tierschutz haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten Welten positiv bewegt. Das höre ich nie von
der Opposition. Unsere Landwirte haben den Respekt
unserer Gesellschaft verdient.
({0})
Sie versorgen uns mit Nahrungsmitteln und Energie, und
ganz nebenbei pflegen sie unsere schöne und liebgewonnene Kulturlandschaft.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mit der heutigen Beratung wird in der Tat
ein Meilenstein bei der Weiterentwicklung des Tierseuchenrechtes gesetzt. Dies gilt auch für die Anpassung
der deutschen Vorschriften und Vorgaben im Zuge der
Harmonisierung des europäischen Tierschutzrechts. Das
war an sich dringend notwendig und in der Rückschau
schon längst überfällig.
Die Einschleppung von Tierseuchen bedeutet für den
gesamten Sektor eine erhebliche Gefahr: die Gefährdung
von einzelnen Existenzen in den Betrieben, aber auch
die Gefährdung der gesamten Wertschöpfung bei
schwerwiegenden Verläufen von Tierseuchen. Wir sollten uns einmal an die Schweinepestzüge in Deutschland
erinnern und daran, wie unsere Tierbestände in früheren
Jahrzehnten durch Maul- und Klauenseuche dezimiert
worden sind.
Die Gefahr ist dauernd und immanent vorhanden und
bleibt vorhanden. Gerade durch die zunehmenden
Handelsbeziehungen bzw. Handelsströme, die man vielfach kaum noch einzeln nachverfolgen kann, und auch
durch den Personen- und Reiseverkehr steigt das Risiko
und wird nicht kleiner. Ein Beispiel dafür ist unlängst
das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in der
Ukraine.
Das ist nicht sehr weit weg von uns. Wenn uns diese
ereilen würde, hätte das fatale Konsequenzen für den
ganzen Sektor. Aus diesem Grunde halte ich in diesem
Zusammenhang auch die jetzigen Regelungen für mehr
als nur vernünftig.
Wir brauchen Prävention; das ist unbestritten. Vor allen Dingen brauchen wir aber auch die wissenschaftliche
Expertise jenes Institutes, das weltweit eine herausragende Bedeutung im Rahmen der Tierseuchenbekämpfung hat; das ist das Friedrich-Loeffler-Institut. Wir
haben immerhin mehr als 100 Millionen Euro in dieses
Institut investiert, sodass es weltweit den technologisch
höchsten Standard aufweist. Viele in diesem Institut leisten ihren Beitrag dazu, dass die weltweite Tierseuchensituation beobachtet wird und dass demnächst die Ständige Impfkommission, hoffentlich zur rechten Zeit, die
richtigen Empfehlungen gibt.
Das verbindliche Monitoring, das in dem Gesetzentwurf vorgeschrieben wird, ist eigentlich selbstverständlich. Auch die Errichtung von seuchenfreien Schutzgebieten wird einen wesentlichen Fortschritt in der
weiteren Bekämpfung und in der weiteren Prävention
vor Tierseuchen bringen. Das Gesetz ist also in seinen
Kernbereichen unstrittig.
({0})
Die SPD wird ihm zustimmen, wie auch im Ausschuss.
Die Frage ist letztendlich: Warum haben Sie es nicht
bei der alten Bezeichnung belassen? Wenn oben drübersteht: „Tiergesundheitsgesetz“, so muss ich sagen, dass
für mich nicht alles drin ist, was ich unter Tiergesundheit
subsumieren würde; denn Tiergesundheit ist mehr als
das Verhindern von Tierseuchen allein.
({1})
Ich komme jetzt auf die Argumentation zurück, die
ich schon in der vorletzten Debatte hier in diesem Haus
vorgetragen habe. Ich glaube, dass gerade dieses Tiergesundheitsgesetz eine hervorragende Möglichkeit wäre,
um zum Beispiel einen entsprechenden Beitrag für
betriebliches Hygienemanagement und optimierte Haltungsbedingungen zu leisten. Dazu müssten darin allerdings rechtliche Verfahren geregelt werden. Allein ein
paar vorbeugende Maßnahmen in das Gesetz zu schreiben, ist in vielen Bereichen einfach zu wenig.
Wir haben nun eine ganze Reihe von Regelungen, die
die Tierhaltung betreffen. Wir sollten uns in diesem
Hause wirklich einmal ernsthaft Gedanken darüber
machen, ob es nicht eine sinnvolle Alternative zu den
bisherigen gesetzlichen Regelungen wäre, wenn wir versuchten, sie in ein Gesamtkonzept einzubinden und in einem einheitlichen Rahmen zusammenzuführen.
({2})
Ich glaube, dann hätten wir viel mehr Möglichkeiten,
steuernd oder begleitend einzugreifen. Zugleich würden
wir dem Sektor insgesamt einen rechtlichen Rahmen geben, in dem die betroffenen Betriebe letztendlich auch
zukunftsfähig arbeiten könnten.
Das Tiergesundheitsgesetz an sich sollte alle hygienischen Maßnahmen regeln, auch solche, die das Auftreten
von Bestandserkrankungen verhindern. Aus der letzten
Debatte haben wir ja mitgenommen, dass uns gerade die
Bestandserkrankungen und auch die Haltungs- sowie die
Hygienebedingungen in den Betrieben vielfach große
Probleme machen. Schlechtes Hygienemanagement oder
auch schlechtes betriebliches Management leisten zudem unter Umständen der Ausbreitung von Tierseuchen
Vorschub.
Auch sind Vorgaben für Betriebe ab einer bestimmten
Größenordnung im Hinblick auf Desinfektionsmaßnahmen und deren regelmäßige Kontrolle zu treffen. Wir
haben zwischenzeitlich nicht nur Antibiotikaresistenzen,
sondern wir haben mittlerweile in vielen Bereichen
Keime, die schon vollständig gegen Desinfektionsmittel
- ich nenne da nur quartäre Ammoniumverbindungen resistent sind oder zunehmend resistent werden. Das
lässt einiges befürchten, wenn man dort nicht gegensteuert. Ich glaube, auch in diesem Zusammenhang sollte
man einen integrierten Ansatz wählen und im Rahmen
der Tiergesundheitsgesetzgebung, die dann weiterzuentwickeln wäre, die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit wir solchen Entwicklungen Einhalt gebieten
können.
Ein regelmäßiges Bestandsmonitoring und auch die
regelmäßige tierärztliche Bestands- und Hygieneberatung sind heute in vielen Betrieben reine Routinepraxis,
in vielen anderen Betrieben aber nicht. Deshalb halte ich
eine entsprechende Regelung für überfällig, durch die
dies zur Voraussetzung für das wirtschaftliche Handeln
gemacht wird; denn das sind Ausgaben, die sich im
Regelfall für den Betrieb auszahlen und nicht allein das
Honorar des Tierarztes, der diese Beratung macht, erhöhen. Das haben viele Betriebe erkannt; viele Betriebe
halten sich daran und haben ausgefeilte Hygienekonzepte entwickelt. Das sind die Spitzenbetriebe, mit
denen wir auch in anderen Bereichen keine gravierenden
Probleme haben. Darüber hinaus ist aber noch nicht
überall erkannt worden, dass es so funktionieren kann.
Deshalb gibt es auch Betriebe, die meinen, sie müssten
das anders handhaben, oder sich aus wirtschaftlichen
Erwägungen unter Umständen solchen Beratungen vollständig entziehen.
Die Beratungen über die Novelle des Tierschutzgesetzes haben auch gezeigt, dass zum Beispiel Tierschutzindikatoren auch als wichtige Indikatoren für die Tiergesundheit im Bestand dienen können. Wir können aber
auch bisher noch nicht in Gänze verwendete Befunde,
die bei der Schlachtuntersuchung am Schlachthof erhoben werden, einsetzen. Auf diese Weise würden wir gemäß dem Verständnis der Kette von der Produktion bis
letztendlich zum Produkt alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Status der Tiergesundheit in unseren Betrieben zu erhöhen. Das wird uns auch wirtschaftlichen Erfolg bringen, und es wird auch dazu beitragen, dass in
Deutschland weiterhin zu adäquaten Kosten Tiere für die
Lebensmittelproduktion herangezogen werden können.
Ich halte es für überfällig und vernünftig, dies auch gesetzlich zu regeln.
Vor diesem Hintergrund finden natürlich die tierseuchenrechtlichen Regelungen unsere volle Unterstützung.
Aber bis wir das gesamte Gesetz zu einem wirklichen
Tiergesundheitsgesetz gemacht haben, müssen wir alle
noch kräftig nacharbeiten. Vielleicht schafft es ja eine
neue Regierung im Herbst dieses Jahres.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel HappachKasan für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe mich sehr über die Rede des Kollegen Priesmeier gefreut, der deutlich gemacht hat, dass
das, was wir auf den Weg gebracht haben, gut ist. Das ist
schon mal eine gute Voraussetzung für eine gute
Debatte.
Aber, lieber Kollege Priesmeier, Sie haben doch genau die Begründung geliefert, weshalb wir das Tierseuchengesetz jetzt Tiergesundheitsgesetz nennen. Wir tun
dies, weil es eben nicht mehr nur darum geht, wie man
Tierseuchen bekämpft, sondern weil es auch um Vorbeugung, damit Bestände nicht von Tierseuchen befallen
werden, um Monitoring und um Stärkung der Institutionen geht, die damit befasst sind. Insofern ist die Begründung für die Neubenennung des Gesetzes von der SPDFraktion richtig erkannt worden. Das finde ich gut. Herzlichen Dank dafür.
({0})
In Ihrem Beitrag ist auch deutlich geworden - ich
hätte es kaum besser darstellen können -, dass dieses
Tiergesundheitsgesetz eines von drei Gesetzen ist. Wir
haben eben etwas kontroverser als jetzt über das Arzneimittelgesetz diskutiert, und wir haben davor schon das
Tierschutzgesetz verabschiedet, das auch die Billigung
des Bundesrates gefunden hat, worauf ich eigens noch
einmal hinweisen möchte. Und jetzt geht es um das Tiergesundheitsgesetz.
In allen drei Gesetzen geht es darum - als Liberale
finde ich das wichtig -, die Eigenverantwortung der
Tierhalter zu stärken und diese in den Mittelpunkt zu
stellen. Das bedeutet insgesamt natürlich auch, dass wir,
wenn wir Eigenverantwortung wollen, dem Tierhalter
nicht jeden einzelnen Handgriff vorschreiben können. Es
darf nicht so sein, dass er, bevor er in den Stall geht, erst
ins Gesetz gucken und sich fragen muss, ob er dieses
oder jenes macht; vielmehr muss er dies vorher wissen.
Das bedeutet auch, dass wir uns einmal darüber unterDr. Christel Happach-Kasan
halten müssen, wie die Ausbildung von Landwirten und
Tierhaltern auszusehen hat, damit sie die Aufgaben, die
ihnen diese drei Gesetze vorgeben, auch wirklich eigenverantwortlich wahrnehmen können. Ich könnte mir vorstellen, dass in dem Bereich noch einiges zu tun ist.
Das Gesetz, über das wir jetzt sprechen, hat eine alte
Grundlage. Es wurde 1909 beschlossen und hat seinen
Ursprung 1880. Deshalb ist es verständlich, dass ein solch
altes Gesetz einmal eine Grundrenovierung braucht. Ich
glaube, auch in diesem Punkt sind wir uns sehr einig.
Festzuhalten ist auch, dass es damals, als das Gesetz
beschlossen worden ist, noch keine Europäische Union
gab. Jetzt befinden wir uns in einer fortentwickelten
Europäischen Union von 27 Ländern. Es gibt heute eine
innergemeinschaftliche Harmonisierung von verschiedenen tierseuchenrechtlichen Bestimmungen. Das ist auch
gut so; denn in der Regel machen Viren an den Grenzen
nicht halt. Deswegen ist es richtig, wenn wir innerhalb
der EU auf gemeinsame Rechtsakte setzen.
Außerdem müssen wir auch in diesem Bereich eine
zunehmende Globalisierung feststellen. Das gilt nicht
nur für die Warenströme, das gilt auch für Menschen, die
reisen. Wir haben das selbst erlebt in dieser Legislaturperiode: Am Anfang mussten wir den Blauzungenvirus
bekämpfen, als Letztes kam letztes Jahr der Schmallenberg-Virus hinzu, mit dessen Bekämpfung wir noch
nicht fertig sind. Es hat sich gezeigt, dass wir mit dem
alten Gesetz nicht adäquat reagieren konnten. Der Bund
konnte nicht von vornherein eine Anzeigepflicht festlegen - dieses Instrument gab es nicht -, er musste erst
auf die Entscheidung des Bundesrates warten. Dieses regeln wir im vorliegenden Gesetzentwurf neu.
({1})
Das heißt, es kann gemeldet werden, ohne dass der Bundesrat vorher zugestimmt hat; er kann hinterher seine
Zustimmung dazu geben. Ich glaube, dass das eine deutliche Verbesserung darstellt.
Für die effektive Bekämpfung von Tierseuchen
braucht man bessere Vorsorge und Monitoring, zugleich
ist aber auch eine globale Betrachtung des Tierseuchengeschehens notwendig, um vorgewarnt, um gewappnet
zu sein für Dinge, die bei uns auftreten könnten.
Die Zulassung von Tierimpfstoffen ist beim PaulEhrlich-Institut angesiedelt, die Zulassung von In-vitroDiagnostika im Friedrich-Loeffler-Institut; ich glaube,
dass dies die richtige Aufgabenaufteilung ist.
Wir sind uns in diesem Hause ja weitgehend einig,
dass die Devise „Impfen statt Töten“ gelten sollte. Die
FDP-Bundestagsfraktion hat mehrfach Anträge dazu
eingebracht, weil wir der Auffassung sind, dass solche
modernen Verfahren tatsächlich genutzt werden sollten.
Die Einrichtung der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin, die Impfempfehlungen aussprechen soll, ist
erwähnt worden.
Einige Änderungsanträge sind in der parlamentarischen Beratung vorgenommen worden: Wir haben schon
gesehen, dass die wissenschaftliche Erprobung von immunologischen Tierarzneimitteln und von In-vitroDiagnostika in Ausnahmefällen auch außerhalb akademischer Institute erfolgen kann. Durch eine solche Ausnahmeregelung wollen wir kleine und mittelständische
Labore stärken; denn wir brauchen diese Labore, weil
sie innovativer sind als manche großen.
Wir lassen außerdem zu, dass in Einzelfällen Tiere,
die für den Export bestimmt sind, auch mit Impfstoffen
behandelt werden können, die bei uns nicht zugelassen
sind - einfach um den Bedingungen des Importlandes zu
entsprechen. Auch das ist, glaube ich, ein wichtiges
Anliegen.
Wir sind den weitgehend technischen Änderungsanliegen des Bundesrates im Wesentlichen gefolgt, weil
wir der Auffassung sind, dass in diesem Fall im Bundesrat gute Arbeit geleistet worden ist. Das ist nicht immer
so; aber wenn es so ist, dann sollte man das meines Erachtens auch sagen.
Wir wollen, dass das FLI gestärkt wird. Es soll schon
im Verdachtsfall epidemiologische Untersuchungen aufnehmen können, damit, wenn es ernst wird, tatsächlich
Möglichkeiten der Behandlung da sind.
Insgesamt legen wir Ihnen einen ausgesprochen gut
erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes vor, das einen
wichtigen Reformansatz aufzeigt. Ich bitte Sie alle um
Zustimmung.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann hat nun für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste, herzlich willkommen zu später Stunde! Die
Linke fordert schon lange, dass die Tiergesundheit ein
strategisches Ziel der Gesetzgebung wird. Deswegen
finden wir es richtig, dass das Tierseuchengesetz heute
zu einem Tiergesundheitsgesetz fortentwickelt wird. Wir
brauchen den Perspektivenwechsel von einem Krisenmanagement- und Kontrollsystem hin zu mehr Vorbeugung und Vermeidung von Krankheiten; da sind wir uns
völlig einig. Dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf
nicht nur eine Überschrift geändert, sondern tatsächlich
in der Substanz etwas vorgelegt wird, finden wir sehr erfreulich.
Das ist auch volkswirtschaftlich wichtig und notwendig. Ich möchte ein Beispiel nennen: Allein in den Jahren zwischen 2000 und 2010 hat die Bekämpfung von
BSE über 2 Milliarden Euro gekostet.
({0})
Das ist eine erhebliche Summe; deswegen ist es gut und
wichtig, Tiererkrankungen zu vermeiden.
Die Tiergesundheit ist aber - da bin ich dem Kollegen
Priesmeier sehr dankbar - mehr als die Abwesenheit von
Tierseuchen. Wir müssten uns zum Beispiel auch viel
mehr um Faktorenerkrankungen kümmern. Es geht nämlich nicht nur um die klassischen Erkrankungen, es geht
oftmals auch um chronische und andere Erkrankungen,
die nur ausbrechen, wenn bestimmte Faktoren zusammenkommen.
Deswegen hätten Sie in diesem Gesetzentwurf eigentlich mehr Dinge verankern müssen. Es ist durchaus zu
bedauern, dass das nicht geklappt hat. Das gilt zum Beispiel für die Tierdichte. Welchen Einfluss hat die Tierdichte sowohl in Ställen als auch in Regionen auf die
Tiergesundheit? Das gilt aber auch für die Stallhygiene,
für das Stallklima und für Betreuungsstandards.
({1})
Die integrierte tierärztliche Betreuung hätte man in
diesem Gesetzentwurf festschreiben können. Dort hätte
man auch regeln können, wie häufig sich ein Tierarzt einen Bestand vor Ort anschauen muss, und wir hätten darüber reden müssen, was wir bei der Ausbildung von
Landwirtinnen und Landwirten sowie Tierärzten und
Tierärztinnen zu leisten haben, damit sie mit dieser
neuen Situation klarkommen. Daneben müssen die entsprechenden Behörden wirklich ausgebildetes Personal
haben. Diese Dinge sind ganz dringend erforderlich.
({2})
Wir haben auch einen Regelungsbedarf in Bezug darauf - das haben wir ja vorhin in der Debatte über das
Arzneimittelgesetz schon einmal diskutiert -, dass die
Durchsetzungskraft in Bezug auf behördliche Verfügungen und Ähnliches gestärkt wird, und auch die Tierärzte
müssen gestärkt werden, damit die problematischen
Dinge, die sie im Stall feststellen, auch wirklich verändert werden. Das heißt also, wir brauchen eine gut ausgebildete Tierärzteschaft und gut ausgebildete Tierhalterinnen und Tierhalter.
Daneben brauchen wir risikoärmere Strukturen. Hier
sehe ich einige Entwicklungen durchaus mit großer Sorge:
Der Lebensmittelhandel übt einen enormen Kostendruck
auf die tierhaltenden Betriebe aus. Das kann nicht gutgehen. Das Risiko von Tierseuchen steigt, zum Beispiel
durch den Klimawandel, weil hier vektorübertragene Erkrankungen eine Rolle spielen, und durch die vielfältigen Handelsbeziehungen; denn wenn wir die Ferkel einmal quer durch Europa fahren, dann ist das ein Problem,
dessen Auswirkungen auf die Tiergesundheit wir nicht
abbilden können. Megaställe, über die wir vorhin schon
einmal diskutiert haben, und viehdichte Regionen führen
natürlich dazu, dass der Ausbruch einer Tiersuche verheerendere Wirkungen hat, als wenn andere Strukturen
gegeben wären.
Daneben sind auch große Wissenslücken zu schließen. Es geht hier zum Beispiel um die vielfältigen Risiken eines Ausbruchs oder einer Verschleppung, die wir
teilweise gar nicht genau kennen, und wir müssen auch
die Bekämpfungsszenarien, die wir uns überlegen, wissenschaftlich prüfen lassen und entsprechend evaluieren.
Weil hierfür wirklich Fachkompetenz erforderlich ist
- das ist eine besondere Herausforderung -, fordert die
Linke schon seit langem ein epidemiologisches Zentrum; das ist überfällig. Stattdessen schließen Sie Ende
des Jahres 2013 das Institut für Epidemiologie des
Friedrich-Loeffler-Instituts am Standort Wusterhausen
und riskieren mit dem Umzug zur Insel Riems die Arbeitsfähigkeit dieses Standortes. Das ist aus meiner Sicht
ein völlig falsches Signal und hätte eigentlich korrigiert
werden müssen.
({3})
Die neuen Risiken setzen die Tierhaltungsbetriebe zusätzlich unter Druck. Deshalb hat die Linke einen Antrag
für einen Notfonds für tierhaltende Betriebe vorgelegt.
Das ist kein Rundum-sorglos-Paket, sondern es geht tatsächlich um Erkrankungen, die entweder noch nicht
amtlich festgestellt sind oder bei denen noch ein wissenschaftlicher Streit darüber herrscht, welche Ursache sie
haben. Wir reden über das Schmallenberg-Virus, wir reden über das Blutschwitzen der Kälber, und wir reden
über den sogenannten chronischen Botulismus.
Aus meiner Sicht ist dieser Notfonds wirklich dringend erforderlich. Die Argumente der anderen Fraktionen gegen diesen Notfonds aus der ersten Debatte kann
man wirklich gut widerlegen: Die klassischen Tierseuchenkassen handeln in einer entsprechenden Situation
eben nicht adäquat, und wir haben keine Möglichkeit,
Überbrückungskredite zu leisten. Die Versicherungslösung ist nicht finanzierbar; das wissen wir. Eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage haben Sie auch schon abgelehnt.
Kollegin Tackmann.
Ja, ich komme zum Schluss. - Deswegen bitte ich Sie
wirklich dringend, diesem Antrag auf einen Notfonds für
tierhaltende Betriebe zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Friedrich Ostendorff hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tiergesundheitsgesetz soll, so sagt § 1, nicht nur „die Vorbeugung vor Tierseuchen und deren Bekämpfung“ regeln,
sondern „auch der Erhaltung und Förderung der Gesundheit von Vieh und Fischen“ dienen,
({0})
also unter anderem von Kühen, Schweinen, Hühnern,
Puten und viele anderen Nutztieren.
Dieser Anspruch ist richtig, er ist wichtig, und er ist
notwendig. Dieser Anspruch ist aber auch selbstverständlich, wenn wir Art. 20 a des Grundgesetzes ernst
nehmen. Vielleicht erinnern sich einige Kolleginnen und
Kollegen von Schwarz-Gelb noch, dass es möglich war,
dies im Grundgesetz zu verankern.
Dieser Anspruch ist auch hoch, meine Damen und
Herren. Offensichtlich ist er für einige von Ihnen in der
schwarz-gelben Koalition viel zu hoch.
({1})
Denn im Gegensatz zu den durchaus richtigen Ansätzen
in diesem Gesetzentwurf dient Ihre Agrarpolitik überhaupt nicht der Erhaltung und Förderung der Gesundheit
der Tiere.
({2})
Oder dient die von Ihnen so gelobte und protegierte
Massentierhaltung der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?
({3})
Dienen viele Millionen Euro Hermesbürgschaften für
Tierfabriken mit 5 Millionen Tieren in der Ukraine der
Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?
Dienen Pferdeschenkelbrand und unbetäubte Ferkelkastration der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?
({4})
Dient es der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit, wenn Frau Aigner versucht, in Brüssel dafür zu
sorgen, dass zukünftig für artgerechte Ställe und Weidehaltungsprogramme kein Geld mehr da sein wird?
({5})
Dient der von Ihnen so propagierte Strukturwandel,
der immer mehr Kühe von der Weide in die Ställe treibt,
der Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit?
Meine Damen und Herren, wir wissen: Sie - und vor
allen Dingen wir - beantworten diese Fragen alle mit
Nein. Aber das müssen wir miteinander besprechen.
Wenn Sie etwas zur Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit tun wollen, dann sollten Sie sich vielleicht
einmal an dem orientieren, was wir Ihnen vorgeschlagen
haben. Wir haben Ihnen wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Antibiotikamissbrauchs vorgeschlagen.
({6})
Sie haben abgelehnt. Wir haben Ihnen ein Tierschutzgesetz vorgelegt, das für den Tierschutz und nicht für die
Agrarlobby geschrieben wurde wie Ihres.
({7})
Sie haben abgelehnt. Wir haben Vorschläge eingebracht,
um die Massentierhaltung zu stoppen, etwa über das
Baugesetzbuch. Sie haben abgelehnt. Wir haben Ihnen
Anträge für bessere Haltungsbedingungen und für mehr
Tierschutz bei Tiertransporten vorgelegt. Sie haben abgelehnt.
({8})
Frau Aigner hat diese Woche nicht ohne Grund vom
Spiegel, einer nicht ganz unbedeutenden Zeitschrift, im
Münchhausen-Check für ihre Tierschutzpolitik die Note
„Fünf“ erhalten. Aber Sie von Schwarz-Gelb sind beim
Tierschutz nicht nur untätig, Sie sind auch noch zynisch.
Wir haben Minister Rösler gefragt, wie die Bundesregierung denn damit umgeht, dass die Haltungsbedingungen in den von der Bundesregierung mit Hermesbürgschaften geförderten Legehennenfabriken in der Ukraine
eklatant allen Bekundungen von Frau Aigners Charta für
Landwirtschaft widersprechen. Antwort Minister Rösler
- ich zitiere -:
Die Diskussionen zur Verbesserung des Tierschutzes in Deutschland im Rahmen der Charta für
Landwirtschaft und Verbraucher bezogen sich auf
die Bundesrepublik Deutschland sowie die Europäische Union. Ausweislich der öffentlichen und
transparenten Diskussionen und der vielfältig veröffentlichten Dokumente des Charta-Prozesses ging
es hierbei nicht um die Verbesserung des Tierschutzes in der Ukraine.
({9})
Meine Damen und Herren, das ist Ihre Politik. Zynischer und kleinkarierter kann man bei einem so wichtigen Thema wie dem Tierschutz, glaube ich, nicht sein.
({10})
Es ist an der Zeit, dass Sie diese falsche Politik schleunigst beenden.
({11})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Johannes
Röring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
der Verabschiedung des Tierschutzgesetzes und am heutigen Abend des Arzneimittelgesetzes folgt jetzt die
grundlegende Neufassung des Tiergesundheitsgesetzes.
Das ist für mich ein weiterer Schritt - sozusagen ein
Dreiklang - in der Frage: Wie können wir besser mit unseren Tieren umgehen? Es ist ein weiterer Schritt im
Sinne des Tierwohls und auch des Verbraucherschutzes
in Deutschland.
Ich kann nur ganz deutlich sagen: Gut, dass wir das zu
verantworten haben. Wir setzen auch auf die Praktiker
vor Ort, auf die guten Tierärzte, die uns da stark unterstützen, aber auch auf die Landwirte, die es gelernt haben, mit Tieren umzugehen. Deswegen sage ich noch
einmal: Gut, dass wir Verantwortung haben, dass wir
dieses Gesetz nach etwa 100 Jahren seines Bestehens
weiterentwickeln.
Ich finde es gut, dass wir hier auch eine große Einigkeit bis in die Oppositionsreihen hinein haben. Lieber
Kollege Priesmeier, ich wünschte mir, dass wir diese Einigkeit auch bei anderen Themen der Tierhaltung erreichen könnten.
({0})
Kollege Ostendorff hat das Thema komplett verfehlt.
Er kann im Grunde zwischen Krankheit und Seuche
nicht unterscheiden. Wir haben das alte Tierseuchengesetz in Tiergesundheitsgesetz umbenannt. Allein diese
Umbenennung zeigt, in welche Richtung das Ganze
geht.
({1})
Ich finde, es ist ein toller Fortschritt, dass wir das gemacht haben.
({2})
Warum ist das passiert? Das hat auch etwas mit der
Veränderung der Gesellschaft zu tun. Die Menschen sind
heutzutage wesentlich mobiler. Sie reisen in Länder, in
die sie früher nie gekommen wären, zum Beispiel nach
Osteuropa und Südamerika. Aktuell stellen wir Seuchengeschehen in Osteuropa, in der Ukraine und in Südrussland, fest. Die Afrikanische Schweinepest, aber auch die
Maul- und Klauenseuche in Rumänien und in Südamerika sind noch längst nicht bekämpft. Aufgrund der Mobilität der Menschen sind auch die Krankheitserreger
mobil. Eine Wurst oder ein Butterbrot mit Wurst, die aus
den betreffenden Ländern mitgebracht wird und irgendwo im Futtertrog unserer Tierbestände landet, kann
eine Seuche auslösen. Es gilt, diesen neuen Herausforderungen zu begegnen. Das machen wir mit dem Tiergesundheitsgesetz. Das ist der richtige Weg.
({3})
Wir müssen auch die neuen Möglichkeiten der Diagnostik, die in unseren wissenschaftlichen Instituten entwickelt wurden und weltweit anerkannt sind, konsequent
nutzen. Aufgrund der neuen Diagnostikmethoden können wir die Parole ausgeben: Keulen statt Impfen war
gestern. Notimpfen und anschließend Freitesten ist für
uns der bessere Weg. Die neuen Methoden werden wir
geballt zum Einsatz bringen.
({4})
Das Gesetz ermöglicht des Weiteren die sogenannte
Kompartimentierung. Das heißt, wir können Seuchen
geografisch besser eingrenzen. Wenn also irgendwo in
Deutschland ein Seuchenfall auftritt, dann muss nicht
mehr der gesamte Handel Deutschlands mit anderen
Staaten gesperrt werden. Es ist sehr begrüßenswert, dass
das FLI die notwendigen Kompetenzen hat, um die Impfungen nach vorne zu bringen, das Seuchengeschehen
auf ganz kleine Regionen zu begrenzen und Seuchen
ganz schnell auszumerzen.
({5})
Impfung ist auch in Zukunft das zentrale Element bei
der Tierseuchenbekämpfung und der Tierseuchenprävention. Noch viel wichtiger ist der Schutz vor der Einschleppung von Seuchen. Moderne Tierhaltungsbetriebe
sind heute in der Lage, durch geregelten Verkehr und geregelte Einkäufe von Tieren aus bekannten Beständen,
mit denen partnerschaftlich zusammengearbeitet wird,
dafür zu sorgen, dass Tierseuchen erst gar nicht auftreten. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist genau
richtig.
Das gesamte Parlament ist aufgerufen, in Zukunft in
allen Tierhaltungsfragen - dabei geht es letztlich um die
zentrale Frage, wie wir die Menschen in Deutschland
und darüber hinaus ernähren - genauso viel Einigkeit zu
erzielen wie - Gott sei Dank - über den vorliegenden
Gesetzentwurf. Ich habe mit Wohlwollen vernommen,
dass die Opposition den von uns eingeschlagenen Weg
mitgeht. Ich kann Sie alle nur aufrufen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, genauso wie den anderen Gesetzen, die jetzt im Hinblick auf die Tierhaltung in die
Wege geleitet werden. Ich bin sehr sicher: Wenn wir den
Praktikern vor Ort - in diesem Fall: den Tierärzten - und
den Wissenschaftlern, aber auch den Bäuerinnen und
Bauern Verantwortung überlassen und ihnen vertrauen,
dann wird sich zeigen, dass wir etwas Gutes für die deutschen Verbraucher und für unsere Gesellschaft insgesamt erreicht haben.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12478, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/12032 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Darf ich wissen, ob es bei der SPD
unterschiedliches Abstimmungsverhalten gibt?
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
- Aha. Das waren dann andere gymnastische Übungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Lesung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung, Ablehnung
und Enthaltung von Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion sowie bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10663, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9580 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Stüber, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Neue Flusspolitik - Ein „Nationales Rahmenkonzept für naturnahe Flusslandschaften“
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva BullingSchröter, Sabine Stüber, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Umfassendes Elbekonzept erstellen
- Drucksachen 17/9192, 17/9160, 17/11063 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Waltraud Wolff ({2})
Horst Meierhofer
Dorothea Steiner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Ich weise darauf hin, dass wir die Rede des Kollegen
Ingbert Liebing von der Unionsfraktion zu Protokoll
nehmen.1)
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der
SPD-Fraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde das sehr
traurig. Wir wissen: Wasser ist die Grundlage unseres
Lebens. Wir haben heute früh über die Privatisierung der
Wasserversorgung gesprochen. Jetzt meint die Regierungskoalition, dass sie heute Abend ihre Reden zu Protokoll geben kann. Schade!
({0})
Wir reden dennoch.
Es gibt nichts Neues; wir machen das alles schon. Das
war die Kernaussage der Reden, die die Koalition zur
ersten Lesung der Anträge mit den Titeln „Neue Fluss-
politik - Ein ‚Nationales Rahmenkonzept für naturnahe
Flusslandschaften‘“ und „Umfassendes Elbekonzept er-
stellen“ zu Protokoll gegeben hat.
Vielleicht sind die Regierungsfraktionen davon aus-
gegangen, dass niemand liest, was sie abgeliefert haben.
Ich habe das aber gelesen. Zusammengefasst kann man
sagen, dass darin steht: Erstens. Rahmenkonzept? Dafür
gibt es doch die Wasserrahmenrichtlinie. Außerdem sind
nicht wir, sondern die Länder dafür zuständig. Zweitens.
Elbe-Konzept? Machen wir schon. Kommt schon. War-
ten Sie einmal ab! - Das waren die Aussagen, die ich
den Reden entnommen habe. Aber, meine Damen und
Herren, das überzeugt niemanden. Wo sind Ihre Kon-
zepte denn?
Die Wahrheit ist doch: Mit Ihrer Reform der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung haben Sie deutlich gezeigt,
dass Sie weder einen Ausgleich von Interessen noch eine
Zusammenarbeit mit den Regionen wollen. Fakt ist:
Ohne Rücksprache werden die Wasserstraßen neu kate-
gorisiert. Fakt ist: Ohne Rücksprache wird die Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung zerschlagen. Fakt ist: Ohne
Rücksprache ziehen Sie die Behörden aus der Fläche ab.
Jedoch hat der Kollege Liebing - er wurde eben
schon angesprochen; er hat seine Rede wieder zu Proto-
koll gegeben - in seiner ersten Rede zu diesem Thema
gesagt - ich zitiere -:
„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein
ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entspre-
chend behandelt werden muss.“ Dieser Auszug aus
den Erwägungsgründen der Europäischen Wasser-
rahmenrichtlinie beschreibt die Überzeugung, aus
der heraus die Gemeinschaft ihre integrierte Ge-
wässerschutzpolitik entwickelt hat.
1) Anlage 19
Waltraud Wolff ({1})
Jetzt kommt es:
Dieser Überzeugung fühlen sich auch die Bundesregierung und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in
ihrem Handeln verpflichtet …
Ja, meine Güte, was soll ich denn da sagen? Wenn
dem so ist, dann machen Sie es doch einfach! Wer ist
denn für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie an
den Bundesgewässern zuständig? Natürlich die Wasserund Schifffahrtsverwaltungen, die Sie gerade mit Ihrer
Reform beerdigt haben.
({2})
Herzlichen Glückwunsch!
({3})
Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
zeigt mehr als deutlich: Sie haben überhaupt kein Konzept. Was allerdings überfällig und ausgesprochen nötig
gebraucht wird, ist ein neues integriertes Konzept, das
sowohl Naturschutz, die Binnenschifffahrt als auch die
Interessen der Regionen berücksichtigt. Das kann der
Bund nicht allein bewerkstelligen.
Um den Erhalt der noch intakten Gewässer und Auen
zu fördern, muss es einfach eine Zusammenarbeit mit
den Ländern geben, allein schon, weil die Finanzierung
zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist: Der Bund ist
zuständig für die Maßnahmen zum Erhalt der Schiffbarkeit, und die Länder sind zuständig für den Hochwasserschutz und für ökologische Maßnahmen; das wissen wir
alle. Es geht hier also um eine Querschnittsaufgabe; deshalb sind die enge Zusammenarbeit und die Koordinierung so wichtig.
Alle Beteiligten, meine Damen und Herren, müssen
sich um die vielen Einzelfragen kümmern, wie zum Beispiel eine Binnenschifffahrt, die stärker an die Flüsse angepasst werden muss, oder eine Landwirtschaft, die die
Rückhaltefunktion der Böden erhält, oder aber auch die
Rückverlegung von Deichen. Die Lösungen können nur
vor Ort gefunden werden, nicht am grünen Tisch. Sie
aber ziehen die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung aus
den Regionen ab.
({4})
Mit einer solchen Gesetzgebung verabschieden Sie sich
auch aus dem Dialog mit der Bevölkerung. Das finde
ich, ehrlich gesagt, fatal.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein nationales Rahmenkonzept ist mehr als notwendig. Der Antrag der Linken geht zweifellos in die richtige Richtung. Wir lehnen
ihn jedoch trotzdem ab, weil wir in Bezug auf die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ein Moratorium für laufende Ausbaumaßnahmen nicht richtig finden.
({6})
Aber richtig und sehr sinnvoll finden wir auch den
Antrag zu Ihrem Elbe-Konzept. Wir als SPD haben umfassende Gespräche gesucht: in den Ländern, mit den
Verbänden, mit den Anwohnern. Ich darf aus persönlicher Befindlichkeit sagen: Durch meinen Wahlkreis
zieht sich die Elbe in Gänze, und darum ist es mir ein
ganz persönliches Anliegen, die ökologische Funktion
der Elbe zu verbessern. Ich weiß noch, wie die Elbe aussah, als ich Kind war, und ich bin froh darüber, wie es
heute ist. Daran wollen wir weiter arbeiten.
Dennoch bin ich dafür, die Schiffbarkeit zu gewährleisten. Früher unter Rot-Grün haben wir immer gesagt
- das weiß ich noch ganz genau -: Wir wollen weg von
der Straße hin zu Schiene und Wasser. Meine Damen
und Herren, dazu stehe ich auch heute noch - doppeltes
Ausrufezeichen!
Wie schaffen wir, ein Sowohl-als-auch gut hinzubekommen?
Erstens. Wir als SPD setzen auf einen öffentlichen
Dialog und auf frühzeitige Bürgerbeteiligungsverfahren,
die nicht auf die Fragen der Umweltverträglichkeit reduziert sind, sondern alle Aspekte der Planung umfassen.
Zweitens. Wir setzen darauf, dass die Öffentlichkeit
bei der Festlegung der Planungsziele und bei möglichen
Änderungen von Anfang an dabei ist. Dazu schlagen wir
als SPD einen Elbe-Rat vor, in dem Vertreter des Naturschutzes und der Binnenschifffahrt sind. Nur auf diese
Weise kann man Stück für Stück zu einem tragfähigen
Konzept kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel, den guten
ökologischen Zustand der Elbe gemäß Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen, hat dabei natürlich Priorität. Ich
sage: Es ist möglich, mit ökologisch optimierten Buhnen
und Leitwerken vielfältigere Gewässerstrukturen zu
schaffen und gleichzeitig die Schiffbarkeit zu verbessern. Allerdings muss dabei klar sein: Es wird keine Eingriffe ohne ökologische Verbesserung geben. Unter dieser Prämisse kann man ganz einfach sagen: Der Schutz
der Elbe als Naturraum und ihre wirtschaftliche Nutzung
als Bundeswasserstraße schließen sich nicht aus. Dazu
steht die SPD.
Diese Grundaussage und viele unserer Forderungen
finde ich auch im Antrag der Linken wieder. Deshalb unterstützen wir diesen Antrag und lehnen die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Die Rede des Kollegen Horst Meierhofer für die
FDP-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Fraktion Die Linke.
({0})
1) Anlage 19
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute um zwei Dinge: generell um
das Rahmenkonzept für eine neue Flusspolitik in unserem Land und speziell um die Elbe. Sauberes Wasser
brauchen wir für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche.
Deshalb muss es als Ressource in ausreichender Menge
und guter Qualität erhalten werden. Und das will die EU
mit ihren Wassergesetzen sicherstellen.
Damit wir einen guten chemischen und ökologischen
Zustand unserer Gewässer erreichen, müssen wir vor allem im Umgang mit den Flüssen etwas ändern. Das ist
seit Jahren Konsens in diesem Hause. Nur, was verändern? Da gibt es Unterschiede in den Auffassungen. Die
Linke sagt: Wir betrachten Flüsse in ihrer Gesamtheit
und wollen sie naturnah entwickeln.
({0})
Gegenwärtig ist der Zustand der Gewässer schlecht.
Obwohl Deutschland bei der Abwasserreinigung technologisch viel erreicht hat, ist das ökologische Gleichgewicht der Flüsse aus der Balance; denn sie werden nach
wie vor begradigt, vertieft, umverlegt und aufgestaut.
Dabei gehen Überflutungsflächen und Auen verloren,
während im Gegenzug die Hochwassergefahr steigt und
die Artenvielfalt abnimmt.
Durch eine konsequente Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie kann diese Entwicklung aufgehalten werden.
({1})
Das ist Aufgabe der Bundesregierung. In der letzten Debatte war dazu aus der Koalition zu hören, dass die Gesetze auf Bundesebene in Kraft gesetzt sind und ansonsten Gewässerschutz Ländersache ist. Die Landes- und
Bundesgesetze wirken aber nicht so zusammen wie erwartet. Die Schnittstellen passen nicht. Und da sind wir
wieder bei der Verantwortung der Bundesregierung.
Ich will jetzt nicht alle Versäumnisse auflisten. Es
geht vielmehr darum, eine ökologische Flusspolitik auf
den Weg zu bringen. Unser Antrag für ein nationales
Rahmenkonzept naturnaher Flusslandschaften ist eine
Grundlage, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Darüber, was alles in ein solches Konzept gehört, kann man
geteilter Meinung sein und durchaus konstruktiv streiten. Deshalb meine Bitte an die Koalition: Halten Sie
sich nicht weiter an Formalien fest!
Es gibt viele konkurrierende Interessen an den Flüssen: Binnenschifffahrt, Tourismus, Natur- und Hochwasserschutz, Fischerei, Landwirtschaft bis hin zu Industrie
und Energiegewinnung. Die Elbe ist dafür ein beredtes
Beispiel. Sie ist über Hunderte Kilometer durch natürliche Flussdynamik und Auenlandschaft geprägt. Seit
Jahrzehnten setzen sich Menschen dafür ein, dass dieser
einzigartige Lebensraum erhalten bleibt,
({2})
oft im Konflikt mit Wirtschaftsinteressen.
Wie sieht es zurzeit aus? Laut Spiegel soll der Ausbau
von Mittel- und Oberelbe vom Tisch sein. Die Unterelbe
soll weiter ausgebaggert werden, damit auch Schiffe bis
14,5 Meter Tiefgang den Hamburger Hafen anlaufen
können. Dagegen haben allerdings Umweltverbände,
Elbefischer und Obstbauern aus dem Alten Land geklagt
und so die weitere Vertiefung der Fahrrinne vorerst gestoppt.
({3})
Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Die Linke fordert klipp und klar ein umfassendes
Konzept für eine naturnahe Elbe.
({4})
Flüsse sind wertvolle Lebensräume. Sorgen wir dafür,
dass sie uns erhalten bleiben!
Danke.
({5})
Die Kollegin Dorothea Steiner hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, dass wir am späten Abend noch die Chance
haben, über ein wichtiges Thema zu sprechen, das in der
Regel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt: Flusspolitik im
Allgemeinen und der Elberaum im Besonderen. Dafür
vielen Dank!
Auch wir Grüne haben in dieser Legislaturperiode
schon entsprechende Anträge vorgelegt, unsere Ideen für
eine Entwicklung des Elberaumes skizziert und darüber
relativ breit mit der Bevölkerung und den Anrainern diskutiert. Bei der Bundesregierung hingegen: Fehlanzeige!
Die Bundesregierung hat 2009 ein umfassendes Elbekonzept angekündigt und will schon jetzt, 2013, ihre
Vorstellungen dazu öffentlich diskutieren.
({0})
Das ist leider etwas spät, um parteiübergreifend ein gutes Konzept für einen zukunftsfähigen Elberaum entwickeln zu können.
({1})
Das wird wohl eher eine Aufgabe für die nächste Bundesregierung sein, die dann - hoffentlich in einer anderen Zusammensetzung - ein Elbekonzept entwickelt, das
nicht nur der Bevölkerung, der Natur und der Elbe nützt,
sondern auch der ganzen Elberegion Entwicklungschancen
bietet.
Dem Antrag der Linken mit dem Titel „Umfassendes
Elbekonzept erstellen“, der sich auf die mittlere Elbe bezieht, können wir klar zustimmen. Er greift viele Punkte
auf, deren Umsetzung unserer Meinung nach notwendig
ist. Das mag auch ein bisschen damit zusammenhängen,
dass wir, die Grünen, eine hohe Übereinstimmung mit
unserem schon erwähnten eigenen Antrag mit dem Titel
„Elberaum entwickeln - Nachhaltig, zukunftsfähig und
naturverträglich“ erkennen können. Er zeigt, wie man
Naturschutz- und Tourismuspolitik mit Arbeitsmarktpolitik verbindet. Bedauerlicherweise wurde unser Antrag von den Regierungsfraktionen abgelehnt.
Wir Grünen sagen: Es ist zwingend notwendig, sämtliche Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe
hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Natur und Umwelt
zu prüfen.
({2})
Wir fordern die Bundesregierung auf, den kompletten
Elbeausbau nicht nur in Sonntagsreden abzulehnen, sondern auch alltags damit aufzuhören, sinnlose, ökologisch
schädliche Ausbaumaßnahmen zu ergreifen, die als Unterhaltung getarnt werden.
({3})
Die Bundesregierung scheut die Auseinandersetzung darüber, welche Schifffahrt verträglich und auf der mittleren Elbe möglich ist. Es geht auch nicht an, dass Sie weiterhin auf das Prinzip „Unterhaltungsmaßnahmen um
jeden Preis“ setzen, gleich welche ökologischen Folgen
dies für die Elbe, das Grundwasser und die Absenkung
des Grundwassers hat. Wir hoffen dennoch, dass die
vielbeschworene Konferenz der Bundesregierung zur
Flusspolitik, die in der nächsten Woche stattfindet, keine
reine Showveranstaltung wird, sondern Sie endlich einmal eine echte Diskussion und eine Abwägung zwischen
ökologischen und wirtschaftlichen Ansprüchen insbesondere an die Elbe eröffnen.
Der zweite Antrag der Linksfraktion zum Thema
Flusslandschaften benennt sicherlich viele wichtige Ziele
einer guten Flusspolitik. Aber er bleibt bei der Benennung und Aufzählung dieser Ziele stecken; er bleibt im
Allgemeinen, wo schon lange Konkretisierung erforderlich ist.
Werte Kollegin von der Linken, das Rad in der Flusspolitik muss nicht mehr neu erfunden werden. Wir müssen uns wichtige Punkte vorknöpfen, um die notwendigen Verbesserungen für die Qualität der Flüsse zu
erreichen. Im Mittelpunkt einer aktiven Flusspolitik
- das wissen wir alle; in Sonntagsreden wird es auch beschworen - steht eine umfassende Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und ein konsequenter, vorbeugender
Hochwasserschutz. Dazu brauchen wir ein wirksames
Auenprogramm - jetzt endlich einmal -, Auenrenaturierung und Deichrückverlegungen an ausgewählten Flüssen. Das müssen wir vorantreiben.
Wir müssen einen zweiten Punkt thematisieren: Stoffeinträge in die Flüsse, beispielsweise durch die Landwirtschaft. Auch das gehört ins Zentrum der Diskussion
über eine moderne Flusspolitik. Wir Grüne diskutieren
das ebenfalls im Zusammenhang mit der Gülleproduktion an den Flüssen und in der Nähe der Flüsse und der
Nitratbelastung des Grundwassers und der Flüsse. Das
ist der Punkt, wo sich die Flusspolitik mit der Agrarwende verbindet: weniger Gülleeintrag, weniger Grundwasserbelastung, weniger Wasserbelastung. Da können
wir nur sagen: Von mehr grüner Agrarwende werden
auch die Flüsse und Flusslandschaften profitieren, zum
Beispiel die Elbe, die Oder und die Ems.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Ulrich Petzold hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich vor, Ihnen ein bisschen mehr freie Zeit am Abend zu schenken.
Aber nachdem diese Reden gehalten worden sind, wie
sie gehalten worden sind, fühle ich mich doch verantwortlich, ein paar Worte dazu zu sagen.
Frau Steiner, erst einmal herzlichen Dank, dass Sie
wenigstens erwähnt haben, dass am Mittwoch die Elbekonferenz in Magdeburg stattfindet.
({0})
Es sind dort zwei Staatssekretäre der Bundesregierung
anwesend; sie werden dort sprechen. Ich glaube, ein bisschen was machen wir dann schon.
({1})
Zum Elbekonzept, das hier von der SPD eingefordert
worden ist: Liebe Waltraud, es ist nun einmal so, dass
die Flussgebietskonferenz in Magdeburg Aussagen treffen wird; das ist klar. Aber in der Flussgebietskonferenz
ist die Bundesregierung nicht allein vertreten. Da spielen
alle Bundesländer mit. Ich frage ganz besorgt, was denn
aus Niedersachsen kommen wird. Bis vor kurzem gab es
klare Aussagen aus Niedersachsen, was Niedersachsen
und wie Niedersachsen es haben will. Das alles ist jetzt
infrage gestellt.
({2})
Liebe Freunde, so geht es natürlich nicht: Nun mal
schnell, wir verändern jetzt die Welt, und deswegen
muss alles neu werden. - Das geht nicht! Man muss auch
eine gewisse Verlässlichkeit zeigen.
({3})
Die Elbe ist ein tausendjähriger Fluss.
({4})
Es geht natürlich darum, dass man in der Politik auch
Konsistenz benötigt, und die werden wir in der ElbeKonferenz durchsetzen. Das kann ich Ihnen sicher sagen.
({5})
Liebe Kollegin Steiner, Sie haben das Hochwasserschutzgesetz angesprochen. Das ist mit Herrn Trittin
grandios gescheitert.
({6})
Ich wage nur, mich ganz vorsichtig daran zu erinnern.
Das sollten Sie nicht in irgendeiner Form als Großtat der
Grünen erwähnen. Das ist es nicht.
Liebe Kollegin Stüber, zu den Differenzen mit der
EU. Die Differenzen mit der EU liegen nicht darin begründet, dass die Elbe oder irgendein Fluss in Deutschland irgendwie verseucht wäre oder durch Umwelteinflüsse in sehr schlechtem Zustand wäre. Da geht es um
eine ganz einfache rechtliche Frage. Es geht um die
Frage der Wasserdienstleistung. Es geht in diesem Zusammenhang zum Beispiel darum, ob die Nutzung des
Wassers von Flüssen und Bächen für Kleinwasserkraftanlagen und Wasserkraftanlagen eine Wasserdienstleistung ist, die mit Gebühren beaufschlagt werden kann.
Darüber streitet sich die Bundesrepublik im Auftrag von
elf europäischen Ländern mit der Europäischen Union.
Das kann man in einem solchen Antrag nicht einfach der
Bundesregierung zuschustern. Das funktioniert nicht.
Ein bisschen klarer und besser muss man sich schon informiert haben.
Deswegen sage ich klar und deutlich: Flussgebietspolitik ist etwas anderes als die Vorlage solcher Anträge.
Zu dem Antrag eines Elbekonzeptes habe ich in meiner
ersten Rede schon einiges gesagt. Wissen Sie, es hat
mich dann schon erstaunt, dass Sie diesen Antrag nicht
wenigstens ein bisschen verändert haben. Man kann zwischen der ersten und zweiten Beratung eines solchen Antrages ein paar Veränderungen vornehmen; aber in einem
Antrag einfach weiterhin falsche Sachen zu behaupten,
das funktioniert nicht.
({7})
Die Elbe als frei fließender Fluss? Na, prima! Die Elbe
ist ein Fluss, der bis zum 11. Jahrhundert - ({8})
- Sie werden im Zuge der Elbe-Konferenz erfahren, was
wir vorhaben.
({9})
- Meine Aussage ist klar und deutlich. In meinem Wahlkreis liegt das Biosphärenreservat Mittelelbe. Wir haben
gemeinsam mit dem Biosphärenreservat Mittelelbe klare
Vorgaben für Baumaßnahmen an der Elbe festgelegt.
Dazu gehört zum Beispiel auch der Bau von Sohlschwellen im Bereich Dessau-Wörlitz. Wenn Sie aber den Bau
von Sohlschwellen sofort als Steinigung der Elbe diffamieren
({10})
- Sie! -, dann sorgen Sie dafür,
({11})
dass die Eintiefung der Elbe fortschreitet und dass die
Auenwälder bei Dessau-Wörlitz trockenfallen. Das ist
die Situation. Wir stehen dazu in Differenz. Wir wollen,
dass die Auenwälder auch weiterhin erhalten werden.
Dafür sind ökologische Maßnahmen notwendig.
Liebe Freunde, im Bereich Dömitz/Hitzacker geht es
darum, ein paar Buhnen zu versetzen
({12})
- das ist aber das Wesentliche -, um dafür zu sorgen,
dass sich die Sandbänke an bestimmten Stellen nicht ablagern.
({13})
Um Gottes willen, warum soll man nicht darüber sprechen können? Weswegen ist es sakrosankt, darüber zu
sprechen? Das kann so nicht funktionieren.
({14})
- Sie haben gar nichts beantragt. Ihren Antrag kenne ich
nicht; das ist das Problem.
({15})
Einen Antrag der Grünen und der Linken habe ich gelesen, aber einen SPD-Antrag, der sich mit diesem Thema
befasst, definitiv nicht.
({16})
Lieber Herr Kelber, die Situation ist nun einmal: Sie
greifen Kampfbegriffe auf, Sie arbeiten mit Schlagwörtern, wir arbeiten in der Realität.
({17})
Wir sorgen dafür, dass die Elbe ökologisch weiterhin in
Ordnung bleibt, dass die Elbe weiterhin schiffbar bleibt
und dass wir weiterhin in unserem Land vernünftig leben
können. Das ist der Hintergrund.
({18})
Wir stehen für die Konferenz. Frau Staatssekretärin,
Herr Staatssekretär, wir freuen uns auf Ihre Ausführun28064
gen und sind gespannt, was von den Ländern im Einzelnen kommen wird.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/11063. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/9192 mit dem Titel „Neue
Flusspolitik - Ein ‚Nationales Rahmenkonzept für naturnahe Flusslandschaften‘“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9160 mit dem Titel „Umfassendes Elbekonzept erstellen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Beruf der Notfallsanitäterin und des
Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer
Vorschriften
- Drucksache 17/11689 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0})
- Drucksache 17/12524 -
Berichterstattung:
Abgeordnte Kathrin Vogler
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/12524, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11689 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Viola
von Cramon-Taubadel, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zusammenarbeit mit China intensivieren China-Kompetenzen in Deutschland ausbauen
- Drucksache 17/11202 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Die Reden nehmen wir zu Protokoll.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11202 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
- Drucksache 17/12059 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
- Drucksache 17/12353 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({2})
- Drucksache 17/12498 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({3})
Fritz Rudolf Körper
Burkhardt Müller-Sönksen
Harald Koch
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.3)
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes. Der
Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12498, den
1) Anlage 20
2) Anlage 21
3) Anlage 22
Vizepräsidentin Petra Pau
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP auf Drucksache 17/12059 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12353 zur Änderung des
Soldatengesetzes für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren ({4})
- Drucksache 17/9666 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 17/12525 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Kirsten Lühmann
Manuel Höferlin
Wolfgang Wieland
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. -
Sie sind damit einverstanden.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12525, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/9666 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/12549. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({6})
zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth
({7}), Lothar Binding ({8}),
Gabriele Fograscher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Undine Kurth
({9}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte indigener Völker stärken - ILO-Konvention 169 ratifizieren
- Drucksachen 17/5915, 17/11209 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Karin Roth ({10})
Helga Daub
Niema Movassat
Thilo Hoppe
Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11209, den Antrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5915
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak-
tionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches
sowie anderer Vorschriften
- Drucksache 17/11818 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und
1) Anlage 23 2) Anlage 24
Vizepräsidentin Petra Pau
Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksache 17/12299 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11})
- Drucksache 17/12527 Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Christel Happach-Kasan
Friedrich Ostendorff
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD und der Fraktion Die Linke vor.
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung
schützt die Verbraucher nicht wirksam vor Lebensmittelskandalen. Das schreibt die SPD in ihrem Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf zur Änderung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches, welchen wir heute
beschließen werden. Glauben Sie wirklich, was Sie da
in Ihrem Antrag schreiben? Oder ist es wie bei den
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass man
sich bei Skandalen oder vermeintlichen Skandalen
heimlich die Hände reibt und auf den Rücken von Verbraucherinnen und Verbrauchern Wahlkampf betreibt?
Nein, ehrlich ist das nicht, was Sie da treiben. Ich
werde Ihnen das gleich verdeutlichen.
Wir werden heute den Gesetzentwurf zur Änderung
des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches beschließen. Das LFGB ist Sinnbild für die Politik der christlich-liberalen Koalition: Wir arbeiten sachorientiert;
wir arbeiten gründlich, und wir arbeiten schnell.
Die Novelle des LFGB wird dazu beitragen, dass
Behörden im Falle von Lebensmittelkrisen - wie zum
Beispiel der Ehec-Krise - oder im Falle von Täuschungen der Verbraucher bei Lebensmitteln schneller
und zielgerichteter reagieren können.
Wir werden mit dem LFGB drei Punkte regeln: Zunächst schließen wir mit der Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmen den letzten Punkt des
Dioxinaktionsplans ab. Darüber hinaus werden wir in
Konsequenz auf die Ehec-Krise das Krisen- und Informationsmanagement zwischen Bund und Ländern verbessern. Und schließlich werden wir als Reaktion auf
die Pferdefleischtäuschungen die Vorschriften zur Information der Öffentlichkeit noch einmal verschärfen.
Lassen Sie mich kurz auf diese drei Sachverhalte
eingehen.
Der aktuelle Pferdefleischskandal hat gezeigt, dass
Länderbehörden Probleme haben, die Verschärfung
der behördlichen Auskunftspflicht bei Täuschungen zu
vollziehen. Deshalb werden wir die Vorschrift noch
einmal anpassen.
Gern möchte ich die rot-grüne Opposition auf einige Tatsachen aufmerksam machen, die sie der Öffentlichkeit gern verschweigt: Die schwächste Form
der Informationsverpflichtung durch die Behörden bei
vermuteter Täuschung wurde unter Rot-Grün eingeführt. Damals konnten die Behörden laut LFGB informieren. Verschärft wurde diese Vorschrift, nachdem
die Union in der Großen Koalition das Agrarministerium übernommen hatte. 2007 wurde aus dem
„konnte“ ein „sollte“. Und die christlich-liberale Koalition hatte dann im vergangenen Jahr aus der Solleine Muss-Vorschrift gemacht. Wer tut hier also was
für den Verbraucherschutz? Doch es ist wie immer:
Rot-Grün tut so als ob, und viele Medien plappern
ohne gründliche Recherche nach.
Die christlich-liberale Koalition hat hier schnellstmöglich zum Schutz der Verbraucher gehandelt. Wer
anderes behauptet, sollte einmal in sich gehen.
Das kann ich übrigens auch einmal den Ländern
empfehlen. Wenn ich an die Rede der Hamburger
Verbraucherschutzsenatorin vergangene Woche bei
uns im Plenum denke, kommt mir nur das Wort „Glashaus“ in den Sinn. In dem sollte man ja bekanntlich
vorsichtig mit Wurfgeschossen umgehen. Ich empfehle
den Ländern, sich einmal intensiv mit der Qualität und
der Quantität ihrer Lebensmittelkontrolle auseinanderzusetzen. Hier liegen große Aufgaben vor ihnen.
Und dabei meine ich nicht die Qualität der Lebensmittelkontrolleure - die machen nämlich einen tollen Job.
Also noch einmal: Die Opposition kann gern anderes behaupten - Ministerin Aigner und die Koalition
haben schnell und gut im Sinne der Verbraucher reagiert.
Bleiben wir bei der Verbraucherinformation: Sie erinnern sich nur zu gut an die dramatischen Wochen der
Ehec-Krise im Jahr 2011. Dem Ehec-Ausbruch waren
53 Personen zum Opfer gefallen. In der Krise hat sich
gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern, aber auch zwischen den Bundesländern verbessert werden muss.
Im Herbst 2012 haben der Bund und die Verbraucherschutzminister der Länder hierzu eine Vereinbarung getroffen, die wir jetzt im LFGB umsetzen. Im
Mittelpunkt steht dabei der schnelle Datenaustausch
zwischen den beteiligten Behörden auf Ebene des
Bundes und der Länder. Zudem schaffen wir gesetzliche Sicherheit für den Datenaustausch zwischen
Lebensmittelüberwachungs- und Gesundheitsbehörden. Damit greifen wir Anregungen aus dem Gutachten des Bundesrechnungshofes zum gesundheitlichen
Verbraucherschutz auf.
Und schließlich werden wir den letzten Punkt des
Dioxinaktionsplanes umsetzen. Ministerin Aigner hat
in Reaktion auf die Dioxinfunde in Mischfuttermitteln
den Aktionsplan Verbraucherschutz in der FutterFranz-Josef Holzenkamp
mittelkette aufgestellt und zügig abgearbeitet. Der
letzte offene Punkt - die Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmen - bedurfte intensiver
Beratungen. Wir haben jetzt im LFGB eine Pflichtversicherung für Mischfuttermittelhersteller verankert,
die sich am Umfang der Produktion orientiert.
Damit hat der Landwirt, der von den Folgen verunreinigter Futtermittel betroffen ist, künftig die Sicherheit, dass der Futtermittelhersteller ausreichend
versichert ist, um seiner Schadensersatzpflicht nachzukommen. Gleichzeitig können sich die Geschädigten
- anders als bisher - direkt an die Versicherung wenden, um Schadensersatz einzufordern. Damit besteht
im Falle einer Insolvenz des Schädigers der Versicherungsschutz fort.
Sie sehen, die christlich-liberale Koalition arbeitet
schnell, gründlich und sachorientiert für den Verbraucherschutz in der Lebensmittelkette. Deshalb bitte ich
Sie um Zustimmung zu der vorliegenden Änderung des
Lebens- und Futtermittelgesetzbuches.
Diese Bundesregierung hat einmal mehr bewiesen,
dass sie nicht in der Lage ist, die Verbraucherinnen
und Verbraucher vor Lebensmittelskandalen zu schützen. Während wir noch fassungslos sind über die täglich neuen Details hinsichtlich des Ausmaßes des Pferdefleischbetrugs, haben wir schon den nächsten groß
angelegten Betrugsfall: Eier von Legehennen, die gesetzeswidrig auf engstem Raum gehalten wurden, die
teilweise sogar als Bioeier verkauft wurden. Es geht
dabei um Betrug sowie Verstöße gegen das Lebensmittel- und das Ökolandbaugesetz. Womöglich haben die
Betriebe auch Tierschutzvorschriften und Umweltgesetze missachtet.
Doch sicherlich wird sich auch hier die Bundesregierung mit groß angekündigten Punkteplänen, wirkungslosen Einzelmaßnahmen und Prüfaufträgen von
Skandal zu Skandal hangeln. Verbraucherinnen und
Verbraucher ziehen den Kürzeren, und die schwarzen
Schafe in der Lebensmittelwirtschaft kommen ungeschoren davon.
Jetzt will die Bundesregierung in Windeseile das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ändern - allerdings ohne die notwendigen Konsequenzen aus den
Lebensmittelskandalen zu ziehen. Das lehnen wir ab.
Mit der dort vorgesehenen Änderung des § 40 LFGB
wird nicht gewährleistet, dass Behörden über Falschetikettierung und Täuschungsfälle informieren. Im Gegenteil: Behörden werden über Täuschungsfälle nicht
informieren, weil die Hürden zu hoch sind.
Aber: Wir sind es den Verbraucherinnen und Verbrauchern schuldig, alle unsere Möglichkeiten zu nutzen, um die Verbraucherinformation, die Qualität der
Lebensmittelkette und die Lebensmittelüberwachung
zu verbessern und so das Risiko von weiteren Lebensmittelskandalen zu minimieren.
Wir brauchen eine grundsätzliche Offenlegung der
behördlichen Untersuchungsergebnisse. Transparenz
ist nicht nur im Hinblick auf gleiche Wettbewerbsbedingungen für redliche Anbieter unverzichtbar und
soll den einzelnen Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer noch stärker und kontinuierlicher als bisher
dazu veranlassen, seinen Betrieb im Einklang mit den
lebensmittel- oder futtermittelrechtlichen Vorschriften
zu betreiben. Transparenz ist auch für die Demokratie
selbst konstitutiv. Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtstaats sinkt, wenn
Bürgerinnen und Bürger über Pferdefleischfunde in
Fertiggerichten und Dönerspießen nicht durch die Behörden selbst informiert werden können, sondern auf
die teilweise lückenhaften Informationen der Anbieter
und Handelsketten angewiesen sind.
Wir brauchen die Rückverfolgbarkeit, um nicht ordnungsgemäße Produkte schnell aus der Kette zu holen,
Qualität zu gewährleisten und Betrüger zu entlarven.
Bisher dokumentieren viele Lebensmittelunternehmer
die Handelsströme lediglich eine Stufe vor und eine
Stufe zurück. Das erschwert die Arbeit der Lebensmittelkontrolleure und ermöglicht es Betrügern, die Herkunft von Lebensmitteln zu verschleiern. Die Unternehmen stehen nach den Bestimmungen der EUBasisverordnung Lebensmittelrecht, VO-Nr. 178/2002,
jedoch in der Pflicht, Verfahren und Systeme zur stufenübergreifenden Rückverfolgung bereitzustellen. Die
Wirtschaftsbeteiligten müssen sich gegenseitig kontrollieren, und Lebensmittel müssen lückenlos rückverfolgbar sein, damit mangelhafte Produkte auf allen
Produktionsstufen schnell identifiziert und vom Markt
genommen werden können. Die Lieferkette muss für
die Kontrolleure transparent werden, und zwar nicht
nur über eine, sondern über alle Handelsstufen hinweg. Wir brauchen eine wirkliche Rückverfolgbarkeit.
Wir brauchen eine echte Herkunftskennzeichnung.
Noch letztes Jahr hat die Verbraucherministerin Ilse
Aigner auf EU-Ebene abgelehnt, sich für eine Herkunftskennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln
und die Herkunft von Fleisch und Milchprodukten einzusetzen. Wir begrüßen, dass genau dies im Nationalen
Aktionsplan nun vorgeschlagen wird.
Wir brauchen Klarheit auf einen Blick für die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Hygienezustand in Restaurants und sämtlichen Lebensmittelbetrieben. Wir brauchen die Hygieneampel. Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält keinen
Vorschlag zur Einführung eines Restaurantbarometers
zur Kennzeichnung der Betriebshygiene mit Ampelfarben. Die zuständige Bundesministerin bleibt uns weiterhin einen Vorschlag für eine bundeseinheitliche Regelung schuldig. Damit ignoriert sie die Beschlüsse
der 8. Verbraucherschutzministerkonferenz und die
Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches.
Wir brauchen den Hinweisgeberschutz. Wenn Lebensmittelskandale von Mitarbeiterinnen und MitarZu Protokoll gegebene Reden
beitern aufgedeckt werden, gehören diese unter den
Schutz der Rechtsordnung. Dazu genügt es nicht, wenn
der damalige Bundesminister Horst Seehofer einen
Hinweisgeber, der den Gammelfleischskandal aufgedeckt hat, mit der Professor-Niklas-Medaille des Bundesverbraucherministeriums auszeichnet. Hinweisgeber müssen gesetzlich vor Kündigung und anderen
Nachteilen geschützt werden. Ein Gesetzentwurf der
SPD-Bundestagsfraktion für ein Hinweisgeberschutzgesetz, Bundestagsdrucksache 17/8567, liegt vor und
befindet sich im parlamentarischen Verfahren.
Wir brauchen harte Strafen für Betrüger. Lug und
Trug darf sich nicht lohnen. Die Sanktionen im Lebensmittel- und Futtermittelrecht müssen verschärft
werden. Das Strafrecht bietet schon jetzt die Möglichkeit, die durch Verbrauchertäuschung erzielten Gewinne der Lebensmittelindustrie abzuschöpfen. Darüber hinaus sind Vorschläge zu prüfen, abgeschöpfte
Unrechtsgewinne für die Verbraucherarbeit zu verwenden.
Wir müssen die Lebensmittelunternehmer in die
Pflicht nehmen. Sowohl hinsichtlich der Anforderungen an die Eigenkontrollsysteme als auch im Hinblick
auf Täuschung und Irreführung sind Unternehmen zur
sofortigen Information zu verpflichten.
Wir müssen die Grundlagen schaffen für eine bessere und effizientere Lebensmittelüberwachung. Dabei
muss auch die Finanzierung überdacht werden: Warum bürden wir die Kosten für die amtliche Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben den
Steuerzahlern auf? Im rot-grünen Koalitionsvertrag in
Niedersachsen wurde vereinbart, auch für Regelkontrollen der Lebensmittelüberwachung kostendeckende
Gebühren zu erheben, um dadurch die finanzielle Basis für eine schlagkräftige Lebensmittel- und Futtermittelaufsicht zu verbessern.
Die Verbesserung der Schlagkraft der Lebensmittelund Futtermittelaufsicht tut dringend not; das sehen
wir bei jedem Lebensmittelskandal erneut. Die Unternehmen an den Kosten zu beteiligen, sollte durchaus in
deren Interesse sein; denn je besser die Kontrollen,
umso schneller werden unseriöse Anbieter vom Markt
gedrückt.
Wir haben mit unserem Entschließungsantrag im
Ausschuss Vorschläge zur Änderung des LFGB gemacht, die wirklich Konsequenzen aus den Lebensmittelskandalen ziehen und die endlich mehr Transparenz
und Sicherheit bringen würden. Doch dazu sind CDU/
CSU und FDP nicht bereit. Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt, und ganz bestimmt auch
der nächste fruchtlose Aktionsplan dieser Bundesregierung. Die Leidtragenden bleiben die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die christlich-liberale Koalition schützt Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschungen im Lebensmittelbereich und handelt klug und entschlossen
im Sinne aller Betroffenen. Heute verabschieden wir
ein sehr gutes Gesetz. Die christlich-liberale Bundesregierung „löscht die Brände“ dort, wo sie auftreten,
und sorgt in Zukunft für Sicherheit und Transparenz.
Mit der Beratung am heutigen Tage setzen wir den
letzten Punkt unseres Aktionsplans „Unbedenkliche
Futtermittel, sichere Lebensmittel, Transparenz für
den Verbraucher“ um. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte diesen im Nachgang zum Dioxingeschehen erarbeitet. Damals wurde bekannt, dass ein
Futtermittelunternehmen mit Dioxinen belastete Industriefette für die Herstellung von Futtermitteln verwendet hatte. Wir arbeiten den Aktionsplan konsequent ab und führen eine Versicherungspflicht für
Mischfuttermittelunternehmer ein, um zukünftig wirtschaftliche Schäden bei den Landwirten, die unwissentlich belastete Futtermittel erhalten, zu verhindern.
Die Versicherungspflicht gilt für Futtermittelbetriebe,
die mindestens eine im Inland zugelassene oder registrierte Mischfutteranlage haben. Sie müssen in Zukunft
dafür Sorge tragen, dass sie eine Versicherung entsprechend ihrer Produktionsmenge abschließen. Diese
Versicherung deckt die Schäden ab, die durch die Verfütterung eines von ihnen hergestellten Mischfuttermittels entstehen, wenn es nicht den futtermittelrechtlichen Anforderungen entspricht. Wir sorgen dafür, dass
Geschädigte einen Schadensersatzanspruch künftig
auch gegen den Versicherer geltend machen können,
wenn der Mischfuttermittelunternehmer/Verursacher
in die Insolvenz geht oder nicht mehr greifbar ist.
Aus Anlass des aktuellen Pferdefleisch- und Hühnereierskandals, bei dem mit kriminellem Tun die Verbraucherinnen und Verbraucher in arglistiger Weise
getäuscht wurden, haben wir eine weitere Verbesserung des § 40 des LFGB, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, vorgenommen. Hier haben wir sehr
schnell gehandelt und tragen damit dem öffentlichen
Informationsanspruch der Verbraucher Rechnung.
Durch die Erweiterung in § 40 Abs. 1 sollen die
Überwachungsbehörden der Länder die Hersteller
oder Inverkehrbringer falsch gekennzeichneter Produkte dann veröffentlichen, wenn der durch Tatsachen
begründete Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel gegen den Täuschungsschutz verstoßen hat und somit
eine Täuschung am Verbraucher besteht. Wir schaffen
damit den Rahmen, den die Länder brauchen, um Produkt- und Herstellernamen zu nennen.
Bisher musste bei Gesundheitsgefahren oder schweren Hygienemängeln veröffentlicht werden. Heute sorgen wir dafür, dass Täuschungen bei Lebensmitteln
durch die zuständigen Lebensmittelbehörden der Länder, nach Abwägung der beteiligten Interessen, immer
veröffentlicht werden können. Damit ist eine schnelle
Information der Verbraucher gewährleistet.
Gerade beim Pferdefleischskandal hat die öffentliche Diskussion deutlich gemacht, dass die Belange der
Öffentlichkeit sehr hoch einzuschätzen sind. Die neue
Zu Protokoll gegebene Reden
Vorschrift der christlich-liberalen Koalition ist praxistauglich und handhabbar in der Umsetzung.
Die Anzahl immer neuer Lebensmittelskandale führt
uns vor Augen, wie unwirksam die Maßnahmen von
Verbraucherministerin Ilse Aigner sind. Mit Glaubwürdigkeit hat das nicht viel zu tun. Das zeigt auch der
aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, des LFGB. Das Papier ignoriert völlig die Auswirkungen einer international arbeitenden Lebensmittelindustrie und des
zunehmend globalisierten Lebensmittelhandels.
Schlimmer noch: Es greift nicht einmal die Vorschläge einer umfassenden Studie zur Neuordnung der
Lebensmittelaufsicht, die Frau Aigner höchstselbst in
Auftrag gegeben hatte, auf. Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Beauftragter für das wirksame Handeln von Behörden, stellte erhebliche Mängel fest und
schlug eine Art Neustart für die Lebensmittelaufsicht
vor. Die Kernbotschaft: Der Bund hat das grundgesetzliche Recht - nach meiner Auffassung auch die
Pflicht -, Kompetenzen an sich zu ziehen, wenn Länderstrukturen dafür nicht geeignet sind. Und eines
steht fest: Global agierende Lebensmittelkonzerne
können kaum von einer Landkreisebene her kontrolliert
werden.
Der europaweite Fund von Pferdefleisch in Rindfleischgerichten verdeutlicht einmal mehr, dass eine
Neuordnung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland dringend erforderlich ist. Man muss sich das vor
Augen führen: Nicht einmal die Hersteller wussten,
woher ihr Fleisch kam. Da wirken die Versprechen der
Branche nach Sicherheit und Qualität, nach Rückverfolgbarkeit und Transparenz wie ein schlechter Witz.
Der bleibt den Verbraucherinnen und Verbrauchern
mit dem Bissen im Halse stecken.
Die Linke sagt: Mit Blick auf den weltweiten Handel
von Lebensmitteln ist die Lebensmittelkontrolle in
Deutschland mit ihrer zersplitterten Struktur und ihren
unzulänglichen Zuständigkeiten nicht mehr zeitgemäß.
Handeln Sie endlich, Frau Aigner!
Der Gesetzentwurf setzt ja nicht einmal die Beschlüsse der Verbraucherschutzministerkonferenz der
Länder von 2012 um. Dort wurde zum Beispiel dringend Rechtssicherheit für die sogenannte HygieneAmpel gefordert. Der Bundesrat forderte außerdem,
dass der Bund die Verantwortung für ein bundesweit
einheitliches System zur Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über die Ergebnisse amtlicher
Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen in der Gastronomie übernimmt. Die erforderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen, ist Aufgabe des Bundes. Mehrfach
belegten Gerichtsurteilte in den letzten Monaten, dass
für die Veröffentlichung von Hygienemängeln bei Lebensmittelbetrieben durch die Gemeinden die derzeitigen Rechtsgrundlagen nicht ausreichen. Aber das
nennt Frau Aigner Verbraucherinformation. Die Linke
fordert: Frau Aigner, hören Sie endlich auf, die Lebensmittelindustrie vor den Verbraucherinnen und
Verbrauchern zu schützen!
Mit dem hier vorliegenden Entschließungsantrag
der Linksfraktion weisen wir auf die gröbsten Mängel
von Schwarz-Gelb hin und fordern:
Erstens. Das Gutachten „Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes - Schwerpunkt Lebensmittel“ des Bundesrechnungshofes muss Schritt
für Schritt umgesetzt werden. Bei herausgehobenen
Überwachungsaufgaben, zum Beispiel bei Lebensmittel- und Futtermittelherstellern mit überregionalem
Markt, bei großen Handels- und Discounterketten für
Lebensmittel sowie bei Fastfoodketten ist dem Bund
die Zuständigkeit im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch zuzuordnen.
Zweitens. Die von der 8. Verbraucherschutzministerkonferenz am 14. September 2012 beschlossene und
vom Bundesrat geforderte Rechtsgrundlage zur Veröffentlichung der Ergebnisse amtlicher Überwachungsund Kontrollmaßnahmen ist unverzüglich auf den Weg
zu bringen. Zudem ist ein bundeseinheitliches Modell
zur Transparentmachung der Kontrollergebnisse von
Lebensmittelunternehmen für die Verbraucherinnen
und Verbraucher zu schaffen. Denn eines ist klar: Mit
Aktionsplänen und Eigenlob ist den Lebensmittelskandalen nicht beizukommen. Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Politik muss durch
Taten zurückgewonnen werden. Frau Aigner, fangen
Sie endlich damit an!
Über zwei Jahre und ungezählte Zehn-Punkte-Ankündigungspläne von Ministerin Aigner sind seit dem
Dioxinskandal 2010/2011 vergangen. Über zwei Jahre
haben Sie gebraucht, um einen so schlichten Punkt wie
die Versicherungspflicht für Futtermittelunternehmen
in Gesetzesform zu gießen und diesen Skandal halbwegs aufzuarbeiten. Das war notwendig und richtig.
Nur leider sind wir schon wieder diverse Skandale
weiter: Antibiotikamissbrauch, Pferdefleischskandal,
jetzt der Legehennenhaltungsskandal: Die Skandalkarawane ist längst weitergezogen, und Frau Aigner
läuft mit ihren Aktionsplänen hilflos hinterher.
Die Hektik, mit der Sie nun Schnellschüsse nachreichen, hilft da auch nicht weiter. Sie schaffen beim
Thema Transparenz nur eine Sollregel mit zu viel
Raum für Interpretationen, die juristisch auf sehr
wackligen Füßen steht. Wir kennen das bereits vom
Fall der Verbraucherinformationen bei Hygienemängeln: Durch eine seit 2012 geltende Veränderung im
LFGB sollen die Behörden über Hygieneverstöße informieren, zum Beispiel auf Internetseiten. Die Gerichte haben aber in verschiedenen Fällen die Veröffentlichung untersagt. Das heißt, der Gesetzestext ist
nicht gerichtsfest, und daher kommt es nicht zu den gewünschten Veröffentlichungen. So wird es leider auch
Ihrem heutigen Gesetzentwurf ergehen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Frau Aigner, Sie kriegen die Sache einfach nicht in
den Griff. Sie versagen regelmäßig bei der Skandalbekämpfung, weil Sie sich nicht an die Ursachen wagen
wollen. Mehr noch: Sie unterstützen eben jene Strukturen, die uns einen Lebensmittelskandal nach dem anderen bescheren.
Sie fördern mit Ihrer Fleischexportstrategie aktiv
die Billigfleischproduktion in Deutschland. Sie widersetzen sich allen unseren Vorschlägen zur gesetzlichen
Eindämmung der Massentierhaltung in Deutschland,
etwa über das Baugesetzbuch.
Sie unterstützen die Massentierhaltung in Osteuropa mit Hermesbürgschaften von weit über 100 Millionen Euro und bringen damit das internationale
Fleischkarussell erst richtig in Schwung.
Sie blockieren die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und verhindern damit, dass endlich Klasse statt
Masse gefördert wird.
Sie fördern eine Agrarindustrie, die der Intransparenz und dem Betrug Vorschub leistet, und wundern
sich, wenn Ihnen die Sache regelmäßig um die Ohren
fliegt. Denn die Lebensmittelskandale sind immer
Skandale der Agrarindustrie und oft der Futtermittelindustrie. Immer sind es die industriellen Strukturen,
die in den Betrug verwickelt sind. Der eigentliche politische Skandal dahinter ist Ihre Politik für diese Agrarindustrie und gegen die bäuerliche Landwirtschaft.
Das ist der Skandal dieser Bundesregierung. Das ist
Ihr Skandal, Frau Aigner.
Solange Sie die Agrarwende verhindern, wird die
Landwirtschaft nicht aus den Schlagzeilen verschwinden. Solange wir nicht zu einer grundsätzlich anderen
Ausrichtung der Agrarpolitik kommen, ist der nächste
Aktionsplan von Frau Aigner nur eine Frage der Zeit.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie
ernähren sich politisch immer noch von dem Märchen,
Sie seien die Partei der Bauern. In Wahrheit schadet
niemand den Bäuerinnen und Bauern mehr als CDU
und CSU.
Ich nenne nur ein Beispiel: 16 EU-Regierungschefs
haben bei den Verhandlungen zum mehrjährigen
Finanzrahmen in Brüssel vor wenigen Tagen Sonderzuschläge in der zweiten Säule erreicht: Italien 1,5 Milliarden Euro extra, Frankreich 1 Milliarde Euro extra.
Deutschland: null Euro extra.
Bundeskanzlerin Merkel und Ministerin Aigner stehen mit leeren Händen da. Dieses Ergebnis bedeutet
weitere heftige Kürzungen bei den Agrarumweltmaßnahmen und der ländlichen Entwicklung in Deutschland. Das ist das Ergebnis einer Politik, die sich nur
für die Privilegien der Agrarindustrie interessiert und
die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft vernachlässigt. Dieses Ergebnis ist das Resultat Ihrer
Politik, meine Damen und Herren.
Wir Grünen wollen eine andere Agrarpolitik. Eine
Agrarpolitik für die bäuerliche Landwirtschaft, die Lebensmittelskandale dieses Ausmaßes gar nicht erst
aufkommen lässt, anstatt ihnen immer nur hinterherzulaufen. Darauf wollen wir die Gemeinsame Agrarpolitik ausrichten. Daran arbeiten unsere grünen Ministerinnen und Minister in den Ländern. Und das wollen
wir nach der Bundestagswahl auch in der Bundespolitik endlich wieder voranbringen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12527, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/11818 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/12558. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/12559. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/12527 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12299 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Struktur der Nationalen Anti Doping
Agentur schaffen
- Drucksachen 17/11320, 17/12237 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Vizepräsidentin Petra Pau
Martin Gerster
Katrin Kunert
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Ziel der Nationalen Anti Doping Agentur, NADA, in
Bonn ist die Bekämpfung des Dopings in Deutschland.
Dieses Ziel verfolgt die NADA seit ihrer Gründung im
Jahr 2002 konsequent und nachdrücklich.
Der Besuch des Vorstandsvorsitzenden der US-amerikanischen Nationalen Anti-Doping-Agentur, Travis
Tygart, im Sportausschuss des Deutschen Bundestages
hat gezeigt, dass sie diese Konsequenz und Nachdrücklichkeit nicht nur in Deutschland bekannt gemacht hat,
sondern dass sie auch weltweit für ihre Tätigkeit Anerkennung erhält.
Die hervorragende und äußerst wichtige Arbeit, die
die NADA unter ihren Vorständen, Dr. Andrea
Gotzmann und Dr. Lars Mortsiefer, mit den rund
30 Mitarbeitern täglich leistet, gilt es daher auch in
Zukunft weiter fortzuführen und zu unterstützen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der NADA auch die
entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Bis heute ist nur der Bund seinen 2002 eingegangenen Verpflichtungen nachgekommen. Man muss sogar
an dieser Stelle sagen, dass er seine finanziellen Verpflichtungen übererfüllt hat. Das müssen auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition anerkennen. Es
stammen mehr als 11 Millionen Euro des 13 Millionen
umfassenden Stiftungskapitals der NADA aus Bundesmitteln. Erst bei den kürzlich beendeten Haushaltsberatungen hat sich die christlich-liberale Koalition
erneut erfolgreich für einen Ausgleich einer Finanzierungslücke der NADA von 1 Million Euro eingesetzt.
Leider kommen jedoch nicht alle Stakeholder ihren
2002 gegebenen Versprechungen bezüglich der finanziellen Unterstützung nach. Die 16 Länder haben es
seit elf Jahren schlicht versäumt, durch Erbringung
des ihnen obliegenden Beitrags der Finanzierung der
NADA und dem Anti-Doping-Kampf in der Bundesrepublik Deutschland eine noch größere Schlagkräftigkeit zu verleihen.
Sicherlich sind die Haushalte der Länder nicht prall
gefüllt. Im letzten Jahr hätten sie aber beispielsweise
die Chance gehabt, die Novellierung des Gesetzes zur
Besteuerung von Sportwetten für eine entsprechende
Finanzierung der NADA und damit eine Stärkung der
Integrität des Sports zu nutzen.
Aber auch die Wirtschaft mit Ausnahme der Firma
Adidas als weiterer „Stakeholder“ der NADA ist bisher ihren zugesagten Verpflichtungen nicht nachgekommen. Dies ist umso bedauerlicher, als doch gerade
Wirtschaftsunternehmen von einem sauberen und fairen Sport in besonderem Maße profitieren. Daher
sollte es ihr ureigenstes Interesse sein, entsprechende
Kontrollmaßnahmen zu unterstützen.
Selbst wenn die von mir aufgezeigten Stakeholder ihren finanziellen Verpflichtungen noch nicht oder bisher
nur teilweise nachgekommen sind, vermag mich eine
erneute Grundsatzdiskussion, so wie von der SPDFraktion im vorgelegten Antrag gewünscht wird, nicht
zu überzeugen.
Für die NADA wurde im Jahr 2002 ganz bewusst
ein „Multi-Stakeholder-Modell“ zu ihrer Finanzierung ausgewählt. Die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche der Wirtschaft, der Politik und des Sport
sollten unmittelbar in den Anti-Doping Kampf mit einbezogen werden. Nur so kann sichergestellt werden,
dass die NADA unabhängig agiert und kontrolliert.
Gleichzeitig ist mit dem ausgewählten „Multi-Stakeholder-Ansatz“ sichergestellt, dass das Handeln der
NADA eine breite gesellschaftliche Akzeptanz in
Deutschland erfährt.
Der von der SPD-Fraktion in ihrem Antrag dokumentierte Vorschlag, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die Vorschläge für eine neue Träger- und Finanzierungsstruktur der NADA erarbeiten
soll, geht an der eigentlichen Herausforderung, vor
der die NADA und auch wir als Deutscher Bundestag
stehen, vorbei.
Sie tragen mit Ihrer Forderung gerade nicht zu einer konkreten Lösung bei, sondern drehen sich weiterhin im Kreis. Denn durch die anhaltende Diskussion
über einen grundsätzlichen Umbau des NADA-Strukturmodells bewegen Sie weder Länder noch die Wirtschaft sich endlich in größerem Maße finanziell zu
engagieren. Im Gegenteil: Sie bestätigen dadurch die
Haltung einiger Verantwortlicher in den Ländern,
keine weiteren Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Der Antrag der SPD ist daher zum jetzigen Zeitpunkt
sogar kontraproduktiv.
Zur Erinnerung: Der im Jahr 2002 von allen Stakeholdern unterschriebene Stiftungsvertrag verpflichtet
alle Stakeholder, finanzielle Mittel bereitzustellen. Die
fortlaufende Infragestellung dieses Vertrags nimmt jedoch den Druck und ist daher für die Arbeit der NADA
äußerst schädlich.
Der Antrag ist daher abzulehnen.
Seit langer Zeit beschäftigen wir uns im Sportausschuss des Deutschen Bundestages mit Fragen zum
nationalen und internationalen Kampf gegen Doping
im Sport. Die Glaubwürdigkeit und die Integrität des
sportlichen Wettstreits drohen deutlich abzunehmen,
wie nicht zuletzt eine Studie der Deutschen Sporthilfe
gezeigt hat. Bei aller Skepsis gegenüber Rekorden und
sportlichen Höchstleistungen gilt es aber auch, die
Athletinnen und Athleten nicht alle pauschal abzuurteilen und dem Leistungssport seinen Sinn vorschnell
abzusprechen. Allzu oft wird mit der „großen Unbekannten“, der „Dunkelziffer des Dopings“, in eigener
Sache Interessenspolitik betrieben - letztlich auf dem
Rücken der fairen und sauberen Sportlerinnen und
Sportler. Gerade unter schwierigen Wettkampfbedingungen, der Pflicht zu umfangreichem Training sowie
in Aussicht stehenden, hohen ökonomischen Prämien
sind die Athleten und das Umfeld gefordert, die Integrität des sportlichen Wettkampfs zu wahren und sich
aktiv hierfür einzusetzen.
Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen
sind Sportler ebenso Menschen, die Fehler begehen
können, dem Leistungsdruck und moralischen Anspruch gegebenenfalls nicht standhalten oder sogar
ganz bewusst zu unerlaubten Mitteln greifen. Unabhängig des zugrunde liegenden Menschenbildes brauchen wir national wie international starke unabhängige Organisationen, die das Doping im Sport
professionell bekämpfen. Die NADA hat sich in der
Zeit seit Gründung vor mehr als zehn Jahren zu einem
nationalen Kompetenzzentrum entwickelt, das auch international höchste Anerkennung erfährt.
Dabei lässt sich der Erfolg einer Anti-Doping-Organisation jedoch nicht allein an der Anzahl der aufgedeckten, positiven Dopingfälle festmachen. Die abschreckende Wirkung der Dopingkontrollen der NADA
bei Wettkämpfen oder bei unangekündigten Trainingskontrollen kann kaum oder gar nicht gemessen werden. Die Präventionsarbeit und die Aufklärung junger
Athletinnen und Athleten sind in dieser Hinsicht
ebenso zu nennen, die aber genauso wenig „positive
Schlagzeilen“ produzieren, da sie ja gerade das Fehlverhalten verhindern. Dies soll allerdings nicht heißen, dass wir uns zurücklehnen können und uns im
Anti-Doping-Kampf, in der Prävention oder in der Dopinganalytik nicht weiter verbessern müssen. Kurzum:
Die NADA hat sich seit ihrer Gründung zu einem starken Kompetenzzentrum entwickelt. Der NADA wird
berechtigterweise von vielen Seiten ein hohes Renommee und Professionalität im Anti-Doping-Kampf zugesprochen. Gleichwohl müssen alle, die sich für die Integrität des Sports einsetzen, gemeinsam den AntiDoping-Kampf konstruktiv weiterentwickeln und unterstützen.
Für einen wirksamen Kampf gegen Doping im Sport
bedarf es selbstverständlich einer soliden Finanzierung der NADA. Die Möglichkeit, überhaupt erst im
Anti-Doping-Kampf erfolgreich arbeiten zu können,
basiert wesentlich auf einer nachhaltigen Finanzierung durch die jeweiligen Stakeholder. Der Erfolg der
NADA basiert genauso stark auf dem Engagement der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung wie auf
jenen, die sich ehrenamtlich für einen sauberen Sport
einsetzen. An dieser Stelle sei allen ausdrücklich gedankt! Die Unabhängigkeit einer Organisation wird
ebenso häufig als Voraussetzung für einen erfolgreichen Anti-Doping-Kampf genannt. Beide Faktoren haben eine wesentliche Rolle bei der Gründung der
NADA als eine unabhängige Stiftung gespielt.
Der Antrag der SPD-Fraktion verknüpft nun unsachgemäß die Finanzierung der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland, NADA, mit der grundsätzlichen Frage nach deren Struktur bzw. Rechtsform. Die
NADA wurde 2002 als Stiftung in Bonn gegründet, um
eine größtmögliche Unabhängigkeit gegenüber externen Einflüssen zu gewährleisten. Mit Blick auf eine finanzielle Unabhängigkeit der NADA wurde deshalb
mit der Stiftung ein „Stakeholder-Modell“ etabliert.
Hiernach sind für die NADA-Finanzierung der Bund,
die Bundesländer, der organisierte Sport sowie die
Wirtschaft verantwortlich.
Entgegen dieser Zusage haben sich bisher vor allem
die Bundesländer der Verantwortung entzogen. Der
Bund hat sich weit überproportional an den Kosten der
NADA beteiligt. Demnach stammen mehr als 11 Millionen Euro des ({0}) Stiftungskapitals der NADA aus Bundesmitteln.
Auch mit Blick auf das operative Geschäft der NADA
leistet der Bund den größten Beitrag. Bei den Haushaltsberatungen 2012/2013 haben sich die Koalitionsfraktionen erneut für einen kurzfristigen Ausgleich einer Finanzierungslücke der NADA von 1 Million Euro
eingesetzt. Unabhängig von der Bedeutsamkeit des
Anti-Doping-Kampfes ist es jedoch nicht richtig, dass
der Bund jedes Jahr immer dann einspringt, wenn andere Stakeholder erneut ihren eigenen Zusagen nicht
nachgekommen.
Mit wenigen Ausnahmen haben hierbei vor allem
die Bundesländer ihre Zusagen bezüglich der NADAFinanzierung nicht eingehalten. Im Gegensatz zur eindimensionalen Forderung der SPD-Fraktion, eine
Strukturkommission einzusetzen, sollen dahin gehend
die Bundesländer ihrer Verantwortung endlich gerecht
werden. Über die künftigen Einnahmen aus dem
Glücksspiel bzw. den Sportwetten können sich die Bundesländer an der NADA-Finanzierung beteiligen. Im
Rahmen des Rennwett- und Lotteriegesetzes bzw. des
Glücksspielstaatsvertrages haben sich der Bund und
die Bundesländer hierfür bereits ausgesprochen. Der
SPD-Antrag mit der wenig kreativen Forderung, eine
Expertenkommission für die Entwicklung alternativer
NADA-Strukturmodelle einzurichten, zeugt indes von
eigener Perspektivlosigkeit. Nicht eine neue Struktur
der NADA zählt zu den künftigen Herausforderungen
des Anti-Doping-Kampfes, sondern eine solide Finanzierung unter angemessener Beteiligung der vielfach
SPD-geführten Bundesländer.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht sich zusammen mit der Bundesregierung und der NADA seit
langem für einen sauberen Sport stark. Durch die immer wieder ({1}) auftretenden Dopingfälle wird bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck erweckt, man bekomme das Problem nicht in den
Griff, die Strafen seien einfach nur noch nicht schwerwiegend genug oder man müsse nur zu einer vollständigen Überwachung der Sportler übergehen. Die
Wahrheit ist, dass in der Tat das hoch professionalisierte Doping kriminalistisch nicht einfach aufzudecken ist, gleichwohl - nach dem Evaluationsbericht
der Bundesregierung - die Anzahl der Verfahren deutZu Protokoll gegebene Reden
lich zugenommen hat. Zudem sind zum Beispiel datenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen, wie auch
die Persönlichkeitsrechte der Athletinnen und Athleten
nicht aus dem Blick geraten dürfen. Eine seriöse
Sportpolitik muss beim Kampf gegen Doping im Sport
rechtsstaatliche Grundsätze unserer Demokratie wahren und nicht den Eindruck erwecken, mit einer Lawand-Order-Politik ließe sich das Problem aus der Welt
schaffen. Deshalb setzt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachhaltig dafür ein, die im Evaluationsbericht der Bundesregierung gemachten Vorschläge
zur Verbesserung des Anti-Doping-Kampfes umzusetzen. Die Einsetzung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften ist dabei nur ein Punkt, der aber zeigt, dass
wir vor allem ein Vollzugsdefizit haben.
Nicht zu vergessen sei, dass neben der Strafgerichtsbarkeit auch eine Sportgerichtsbarkeit besteht,
die zudem viele Vorteile für sich beanspruchen kann.
Die schnelle Durchführung von Dopingverfahren und
gegebenenfalls rasche Bestrafung von dopenden
Sportlern sichern die Integrität des sportlichen Wettstreits. Nichts wäre schlimmer als laufende strafrechtliche Dopingverfahren ohne Konsequenzen für den
sportlichen Wettbewerb. Auch die Höhe der sportrechtlichen Sanktionen, die im Dopingfall einem Berufsverbot gleichkommen kann, ist ausreichend und
mit jenen in einem strafrechtlichen Verfahren nicht
vergleichbar. Das Sportrecht hat hier ungleich härtere
Konsequenzen zur Folge. Nicht eine neue Strukturdebatte über die NADA, noch der Ruf nach einem immer
schärferen Strafrecht - uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit - sind die künftigen Herausforderungen im
Anti-Doping-Kampf. Wofür wir uns künftig einsetzen
müssen, ist, dass die NADA auf eine solide, finanzielle
Basis gestellt wird und die SPD-geführten Bundesländer endlich ihren Zusagen nachkommen. Wir müssen
das Testsystem weiter professionalisieren und gezielt
einsetzen. Wir müssen die wissenschaftliche Forschung und die Dopinganalytik weiter kraftvoll unterstützen. Und wir müssen die Empfehlungen der Bundesregierung zur „Evaluierung des Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“,
DBVG, aufnehmen und umsetzen.
Der Anti-Doping-Kampf kann nicht von heute auf
morgen gewonnen werden - schon gar nicht international. Es gilt weiter, sich engagiert für die NADA einzusetzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir über
die Fraktionsgrenzen hinweg uns gemeinsam für die
wirklichen Herausforderungen starkmachen.
Unser Antrag hat das Ziel, eine ergebnisoffene Debatte über eine erfolgversprechendere Struktur der
Nationalen Anti Doping Agentur zu führen und somit
den Kampf gegen Doping in Deutschland zu stärken.
Man sollte meinen, dass dieses Ansinnen die einhellige
Unterstützung des Hohen Hauses finden würde. Aber
weit gefehlt! Ihre Beiträge in der ersten Lesung und
auch bei den Beratungen im Sportausschuss, verehrte
Kolleginnen und Kollegen der Koalition, haben gezeigt: Ihnen fällt nichts anderes ein als ein hilfloses
„Weiter-so“. Weiter so mit einer Struktur, in der die
jetzigen Stakeholder zwar jederzeit ihren Einfluss
nachhaltig geltend machen, den an sie gerichteten
finanziellen Erwartungen jedoch nicht oder nur unzureichend gerecht werden und wo am Ende dann immer
der Bund einspringen muss, um wenigstens ein Mindestmaß an Arbeitsfähigkeit der NADA zu gewährleisten?
Vor zehn Jahren hatte man sich auf das bis heute die
NADA tragende Stakeholder-Modell geeinigt, theoretisch ein Modell, das funktionieren könnte. Könnte! In
erster Linie zahlt seit zehn Jahren der Bund für die
NADA. Sowohl Wirtschaft und vor allem die Bundesländer halten sich bis auf wenige Ausnahmen nach wie
vor sehr vornehm zurück; auch der Beitrag des organisierten Sports könnte deutlich höher sein.
In die Finanzierung durch die Länder kommt zwar
nach Jahren schwarz-gelber Stagnation durch die teilweise neu gewählten rot-grünen Landesregierungen
ein bisschen Bewegung, aber kleine Beiträge im vierstelligen Bereich sind nur der berühmte Tropfen auf
den heißen Stein und nicht dazu angetan, um die
NADA in ihrer jetzigen Form nachhaltig auf finanziell
sichere Füße zu stellen.
Hier hat im Übrigen auch der von Bundesinnenminister Friedrich im vergangenen Jahr einberufene
Runde Tisch zur NADA-Finanzierung so gut wie keine
Verbesserung gebracht. Im Gegenteil: Vertreter der
Wirtschaft haben unmissverständlich erklärt, dass der
Kampf gegen Doping nicht zu ihren Kernaufgaben gehört, und der vollständige Rückzug der Telekom aus
der Unterstützung der NADA ist ein eindrucksvoller
Beleg dafür.
Man kann also ganz objektiv feststellen: Das Stiftungsmodell mit den derzeitigen Stakeholdern ist gescheitert.
Und was fällt der Union dazu ein? Man müsse eben
warten, bis die Saat aufgehe, so der Kollege Riegert im
Ausschuss zu diesem Thema. Herr Kollege, wenn das
Pflänzchen nach zehn Jahren noch nicht erblüht ist,
gibt selbst der geduldigste Gärtner die Hoffnung auf,
dass das noch etwas werden könnte.
Es kann doch kein Dauerzustand werden, dass die
NADA in jedem Jahr aufs Neue um die nötigsten finanziellen Grundlagen kämpfen muss und bis zum letzten
Moment nicht weiß, ob und in welchem Maße sie als
funktionierende Organisation überleben wird. Was für
ein verheerendes Signal an die sauberen Sportlerinnen
und Sportler, was für eine negativ besetzte Botschaft
über die Landesgrenzen hinweg und - ebenso verheerend - was für eine Zumutung für die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der NADA. Denn dort liegen die Aufgaben auf dem Tisch, manchmal aber wohl auch in der
Warteschleife. Ist die NADA beispielsweise personell
und finanziell in der Lage, die noch vielen offenen
Fälle der Causa Erfurt zu bearbeiten? Oder sind diese
Zu Protokoll gegebene Reden
bereits kollektiv in der Ablage verschwunden? Die
hohe personelle Fluktuation bei der NADA ist bekannt: Sicherlich trägt die anhaltende finanziell unsichere Situation und die damit verbundene Perspektivlosigkeit für den Mitarbeiterstab nicht zu einer
Verbesserung der personellen Konstanz bei.
Bleibt Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen der
Koalition, all das verborgen? Oder interessiert es Sie
schlicht und ergreifend nicht?
Uns allerdings interessiert es sehr wohl. Deshalb
fordern wir als SPD-Fraktion eine, ich betone nochmals, ergebnisoffene Diskussion von unabhängigen
Experten, die alternative Vorschläge für eine Trägerund Finanzierungsstruktur der NADA erarbeiten sollen.
Aus aktuellem Anlass verweise ich auf die Studie
„Dysfunktionen des Spitzensports“ der Stiftung Deutsche Sporthilfe. An dieser Stelle gilt es, der Sporthilfe
ausdrücklich dafür Dank zu sagen, sich dieser Thematik angenommen zu haben, selbst wenn dieses innerhalb des organisierten Sports nicht überall auf einhellige Begeisterung gestoßen sein soll; so hört man
jedenfalls.
Innerhalb der Studie wurden 1 154 Leistungssportler anonym unter anderem zum Thema Doping befragt.
5,9 Prozent der befragten Sportler haben angegeben,
regelmäßig zu dopen; 40,7 Prozent wollten auf diese
Frage keine Antwort geben.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Aus diesen
Ergebnissen lässt sich nicht zwingend ableiten, dass
eine erhebliche Zahl der deutschen Spitzensportler
und -sportlerinnen dopt. Sehr wohl ist in diesem Kontext aber die Frage nach der Effektivität der Dopingkontrollen in Deutschland legitim. Ich bin sicher, eine
finanziell und personell ausreichend ausgestattete
NADA könnte durchaus effektiver arbeiten. Damit sind
wir wieder beim Geld. Und wieder einmal kommt man
aus dem Staunen nicht heraus.
Zur Erinnerung: Anfang Dezember 2012 lag für die
Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen
Sportbundes ein Antrag eines Spitzenverbandes mit
der Forderung vor, den finanziellen Beitrag des organisierten Sports für die NADA zu erhöhen. Bekanntlich
muss die NADA in diesem Jahr ihre Rücklagen zu einem erheblichen Teil angreifen, um wenigstens ihre
Kernaufgaben erfüllen zu können. Dieser Antrag
wurde - wie zu erwarten - mit wortgewaltiger Unterstützung des Generaldirektors Dr. Vesper vom Tisch
gefegt. Und nun das: Nur einen Tag nach Vorstellung
der Sporthilfestudie im Sportausschuss fordert derselbe Generaldirektor laut Pressemeldungen „eine
bessere strukturelle und finanzielle Unterstützung der
NADA“. Da ist man schon einigermaßen fassungslos.
Leider hat Herr Dr. Vesper, wie aber zu erwarten war,
es versäumt, seinen Worten Konkretisierungen folgen
zu lassen. Wie beispielsweise soll eine bessere strukturelle Unterstützung nach Lesart des DOSB aussehen?
Und vor allem: Wer soll mehr zahlen? Wie auch immer,
wir werten diese Einlassung trotz dieser Versäumnisse
als ausdrückliche Unterstützung unseres Antrages und
sehen konkreten Beiträgen des DOSB, vor allem in
finanzieller Hinsicht, mit Freude entgegen.
Es gibt viele gute Gründe, die Strukturdiskussion zu
führen. Wenn Sie ein tatsächliches Interesse an einer
nachhaltig finanzierten, erfolgreich arbeitenden
NADA haben, gibt es keinen Grund, eine solche Diskussion bereits im Keim zu ersticken. Wer sich verweigert, zementiert den völlig unbefriedigenden Status
quo - zum Nachteil der sauberen Sportlerinnen und
Sportler in unserem Land. Wollen Sie das wirklich?
Alle Bundestagsfraktionen, dies lässt sich ganz sicher feststellen, sind an einer gut arbeitenden Nationalen Anti Doping Agentur interessiert. Die NADA
wurde 2002 gegründet, da der organisierte Sport für
sich alleine überfordert war, dem zunehmenden Doping effizient entgegenzutreten. Das galt damals und
gilt auch noch heute. Die Agentur sollte den gesamten
Dopingkampf in einer Organisation bündeln, und sie
sollte nicht einseitig abhängig von Sport oder Staat
sein. Beides ist der NADA im Grundsatz gelungen. Sie
ist heute das Kompetenzzentrum im Kampf gegen Doping in Deutschland.
Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die
NADA von Anfang an an einem Finanzierungsdefizit
leidet. Mit der Gründung als Stiftung wurde ein Stakeholder-Modell eingerichtet. Hiernach sind für die
NADA-Finanzierung der Bund, die Bundesländer, der
organisierte Sport sowie die Wirtschaft verantwortlich. Entgegen den ursprünglichen Zusagen hat sich in
der Vergangenheit jedoch der Bund weit überproportional an den Kosten der NADA beteiligt. Demnach
stammen mehr als 11 Millionen Euro des ({0}) Stiftungskapitals der NADA
aus Bundesmitteln. Auch im Blick auf das operative
Geschäft der NADA leistet der Bund den größten Beitrag. Bei den Haushaltsberatungen 2012/2013 hat sich
die Koalition im Sinne einer einmaligen Zwischenlösung für einen kurzfristigen Ausgleich einer Finanzierungslücke der NADA von 1 Million Euro eingesetzt.
Mit wenigen Ausnahmen haben vor allem die Bundesländer ihre Zusagen bezüglich der NADA-Finanzierung nicht eingehalten. Die FDP-Fraktion fordert
deshalb ausdrücklich die Bundesländer auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich beispielsweise
über die künftigen Einnahmen aus dem Glücksspiel
bzw. den Sportwetten an der NADA-Finanzierung zu
beteiligen. Im Rahmen des Rennwett- und Lotteriegesetzes bzw. des Glücksspielstaatsvertrags haben sich
Bund und Länder hierfür bereits ausgesprochen. Auch
die Wirtschaft und der organisierte Sport müssen endlich ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen.
Es gab einen Grund, warum die NADA von mehreren
Verantwortlichen finanziert werden sollte: um die politische Unabhängigkeit zu wahren. Allein deshalb sollte
und kann der Bund nicht der alleinige Zahler sein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ein Argument der Länder ist stets, dass die NADA
es nicht geschafft hat, das Stiftungskapital durch Beiträge aus der Wirtschaft zu erhöhen. Wie ich bereits in
meiner ersten Rede zu diesem Thema im November gesagt habe, sollte der Vorsitzende des Aufsichtsrates,
Professor Dr. Hans Georg Näder, erst einmal die Möglichkeit bekommen, seine versprochenen Aktivitäten,
denen ich zuversichtlich entgegenschaue, umzusetzen,
bevor man sich nach neuen Finanzierungsmodellen
umschaut.
Die Frage, die sich nun stellt, ist, was die SPD mit
der Einrichtung einer Expertenkommission, die über
die Entwicklung alternativer NADA-Strukturmodelle
beraten soll, bezwecken möchte. Für mich zeugt der
Antrag der Fraktion der SPD von eigener Perspektivlosigkeit. Nicht eine neue Struktur der NADA ist dringend nötig, sondern Verantwortungsbewusstsein unter
den Stakeholdern. Was soll eine Kommission daran ändern, dass die Zahlungsbereitschaft der Länder, darunter viele SPD-geführte, fehlt?
Die FDP-Fraktion hofft sehr, dass die Debatten im
Plenum und im Ausschuss rund um diesen Antrag
nicht, wie von der SPD beabsichtigt, den Bund, sondern die anderen Parteien des Stakeholder-Modells,
namentlich den Sport, die Wirtschaft und die Länder,
wachrüttelt und dass endlich eine klare und langfristige Finanzierung der NADA geschaffen wird. Der
deutsche Sport braucht ein starkes und zuverlässiges
Dopingkontrollsystem mit einer NADA, die nicht alle
Jahre wieder auf ihre Finanzen schauen muss, sondern
in die Zukunft planen kann. Alle Fraktionen des Bundestages wissen, wo aktuell die Probleme in der Finanzierung der NADA liegen, nämlich beim Sport, der
Wirtschaft und den Ländern gemeinsam.
Mit ihrem Antrag muss sich die SPD die Frage gefallen lassen, was sie sich von einer Expertenkommission verspricht. Welche konkreten Lösungen zur
Finanzierung der NADA hat sie im Sinn? Sollte die Absicht eine Vollfinanzierung durch den Bund sein, stehen wir, die Koalition, nicht an ihrer Seite. Der Bund
hat seine Aufgabe bereits mehr als erfüllt. Meine Fraktion wird diesen Antrag daher ablehnen.
Fast 6 Prozent der deutschen Kader-Athletinnen
und -Athleten haben in einer aktuellen Studie zugegeben, sich regelmäßig zu dopen. Immerhin 40 Prozent
der Befragten antworteten auf diese Frage erst gar
nicht. Auch in Verbindung mit vorausgegangenen Untersuchungen deutet also vieles darauf hin, dass die
Kontrollen der Nationalen Anti Doping Agentur,
NADA, alles andere als effektiv sind und wir ein manifestes Dopingproblem im deutschen Sport haben.
Ein Lösungsansatz wäre, die NADA völlig neu zu
strukturieren und mit ausreichenden Mitteln auszustatten. In Ansätzen scheint das die Zielrichtung des SPDAntrages zu sein. Als Linke halten wir das Anliegen für
richtig, den Antrag allerdings für unzureichend. Unsere Ergänzungsvorschläge wurden aber im Ausschuss
von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Weil uns die
SPD-Vorlage nicht weit genug greift, haben wir uns
abschließend enthalten.
Sicherlich dokumentieren die Ereignisse der vergangenen Monate, wie erfolgreich eine gut ausgestattete und vor allem entschlossene Antidopingagentur
handeln kann. Allen voran steht hier die US-amerikanische Agentur mit ihrem Chef Travis Tygart, der sich
selbst vom System „Armstrong“ nicht aufhalten ließ.
Andererseits wirft die bereits erwähnte Studie der
Deutschen Sporthilfe und der Deutschen Sporthochschule Köln Fragen auf, die in eine Richtung weisen,
die nicht nur auf unintelligente Kontrollen abzielt.
Letztlich geht es doch darum, warum Sportlerinnen
und Sportler dopen, warum sie zusätzlich häufig zu
Schmerzmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln greifen.
Bereits in der Debatte im Herbst habe ich darauf
verwiesen, dass für die Linke die Prävention beim
Kampf gegen Doping einen hohen Stellenwert einnimmt. Die Kölner Studie belegt unsere Einschätzung.
Nahezu 60 Prozent der befragten Athletinnen und Athleten gaben zu, Existenzängste zu haben, erschreckende 10 Prozent leiden unter Depressionen. Sich in
einer solchen Lage in einer Zeit, in der der Spitzensport immer stärker durch den Kommerz bestimmt
wird, mit unerlaubten Mitteln zu behelfen, scheint darum nicht abwegig.
Deshalb stehen aus unserer Sicht zwei Aspekte im
Vordergrund des Anti-Doping-Kampfes: Schon die jugendlichen Sportlerinnen und Sportler müssen verstärkt darüber aufgeklärt werden, dass die Einnahme
von Dopingmitteln ihre Gesundheit erheblich gefährdet. Nierenschäden, Herzschwäche, Hautveränderungen und Veränderungen bei den Geschlechtsmerkmalen sind nur einige der Nebenwirkungen, die
insbesondere auf Anabolika am missbrauch zurückzuführen sind, der nicht nur im Spitzensport, sondern
auch im Nachwuchs- und Breitensport weit verbreitet
ist.
Außerdem scheinen Doping und Wettbewerbsmanipulationen direkte Folgen der Existenzängste zu sein,
die mehr als die Hälfte der Sportlerinnen und Sportler
während ihrer Karriere umtreiben. Neben verstärkter
psychologischer Betreuung müssen die Möglichkeiten
für die berufliche Ausbildung der Sportler dringend
ausgebaut werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass eine Berufsausbildung unbedingt Angebote
umfasst, die über eine Laufbahn bei Bundeswehr, Zoll
oder Polizei hinausgehen. Nicht alle, die sich dem
Spitzensport verschreiben, können in diesem Bereich
eine Perspektive finden.
Es gilt also, neue Wege in der Sportförderung einzuschlagen, um im Kampf gegen Sportbetrug endlich
erfolgreicher zu werden. Doping und Wettbewerbsmanipulation sind auch direkte Folgen von Existenzängsten. Es geht letztlich darum, die Ursachen zu
Zu Protokoll gegebene Reden
beheben und dadurch die Folgeerscheinungen zu reduzieren.
Das ist nicht ohne finanzielle Investitionen zu haben. In der Pflicht steht dabei vor allem der Bund. Die
Regierung sollte endlich die Vorreiterrolle einnehmen,
die sie sich in ihrem letzten Sportbericht selbst zuschreibt. Die Zeit für Sonntagsreden ist längst vorbei.
Der Bund muss sein finanzielles Engagement endlich
deutlich ausweiten. Die Bundesregierung hat sich
durch ihr zögerliches Agieren im Anti-Doping-Kampf
ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen.
Es wäre eine gutes Signal, wenn wir endlich parteiübergreifend nach Lösungen suchen, wie wir die
Sportförderung - und damit meine ich auch den Breitensport - so organisieren, dass sie die Sportlerinnen
und Sportler in den Mittelpunkt stellt. „Spitzensport
ohne Existenzangst. Breitensport ohne Zugangsbehinderungen“: So könnte unser gemeinsamer Arbeitstitel
lauten. Die Linke streckt die Hand aus.
Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
wird dem vorliegenden Antrag zustimmen. Wir meinen,
dass die Nationale Anti Doping Agentur, NADA, ein
zentrales Element in der Dopingbekämpfung in
Deutschland ist. Wir teilen die Ansicht, dass es um die
NADA nicht gut bestellt ist.
Vor einigen Wochen war der Geschäftsführer der
US-Anti-Doping-Agentur, USADA, Travis Tygart, im
Sportausschuss zu Gast. Die USADA hat vor fast zehn
Jahren den BALCO-Skandal aufgedeckt und Sportle-
rinnen und Sportler gesperrt. Die USADA hat vor kur-
zem Lance Armstrong und das Radsportteam US Pos-
tal des Dopings überführt und dafür zu Recht viel Lob
erhalten. Man hat sich in den USA an die mächtigen
Sportler und Funktionäre des Sports herangetraut und
die Verfahren durchgezogen.
In Deutschland dagegen wird die Arbeit gerne an-
deren überlassen. So ist die NADA erst nach Interven-
tion der Welt-Anti-Doping-Agentur, WADA, von ihrer
halbherzigen Vorgehensweise abgewichen, als in
Erfurt am Olympiastützpunkt Thüringen verbotene
Blutbehandlungen durchgeführt wurden. Bei der Auf-
klärung der Dopingvergangenheit der Freiburger
Uniklinik war die NADA kaum beteiligt. Das langjäh-
rige Dopingsystem des Radsportteams Telekom wurde
erst durch Zeugenaussagen von Sportlern und durch
die Arbeit einer unabhängigen Kommission der Uni-
versität Freiburg aufgedeckt. Im Kerngeschäft der
NADA, der Dopingbekämpfung mittels Durchführung
von Trainingskontrollen, gibt es kaum Erfolge. So sind
positive Proben lediglich im Promillebereich festzu-
stellen. Von einer wirksamen und erfolgreichen Do-
pingbekämpfung in Deutschland kann man auch zehn
Jahre nach Gründung der NADA nicht sprechen.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass
auch Politik und Sportorganisationen ihre Verantwor-
tung an den Problemen der Dopingbekämpfung in
Deutschland haben. Es stellt sich besonders die Frage
nach den gesetzlichen Bestimmungen in der Dopingbe-
kämpfung. Eine verbesserte gesetzliche Grundlage, sei
es ein Straftatbestand Sportbetrug durch Doping oder
eine volle Besitzstrafbarkeit für Sportlerinnen und
Sportler, wird von der Bundesregierung vehement ab-
gelehnt. Es wird weiter ignoriert, dass Verfahrensfra-
gen und auch Regelungen für einen verbesserten Da-
tenschutz besser in einem Gesetz aufgehoben wären
als in den Codes von WADA und NADA.
Auch vier Monate nach der Vorlage des Evaluie-
rungsberichts zum Gesetz zur Verbesserung der Be-
kämpfung des Dopings im Sport, DBVG, ist die Regie-
rungskoalition nicht fähig, selbst die vorgeschlagenen
Minimaländerungen für eine strafrechtliche Sanktio-
nierung des Erwerbs von Dopingmitteln auf den Weg
zu bringen. Sie wollen weder ein Anti-Doping-Gesetz
noch eine Schmalspuränderung im Arzneimittelgesetz.
Die Regierungskoalition ist bis heute nicht in der
Lage, die notwendigen gesetzlichen Konsequenzen aus
dem überbordenden Dopingproblem zu ziehen. In Zei-
ten einer großen Krise des Anti-Doping-Kampfes
macht die Bundesregierung nur Dienst nach Vor-
schrift. Viele Sportverbände in Deutschland gefallen
sich ganz offenbar in ihrer Rolle als Sekundant und
nehmen dabei in Kauf, dass Staaten wie Frankreich,
Italien und Österreich inzwischen viel konsequenter
gegen Doping vorgehen.
Dabei liegen viele Fakten bereits auf dem Tisch.
Eine Studie im Auftrag der Stiftung „Deutsche Sport-
hilfe“ hat in der letzten Woche ergeben, dass mindes-
tens 5,9 Prozent der Sportlerinnen und Sportler in
Deutschland regelmäßig Dopingmittel nehmen. Es gibt
mit über 40 Prozent eine sehr hohe Dunkelziffer bei
den befragten Personen, die einer Antwort ausgewi-
chen sind. Weitere Studien gehen von einer Verbreitung
von Dopingmitteln von bis zu 48 Prozent bei Sportle-
rinnen und Sportler in Deutschland aus. Egal welche
Zahlen wir heute hier zugrunde legen: Die Situation ist
aus unserer Sicht alarmierend. Denn in Deutschland
herrscht ganz offenbar eine Symbiose zwischen Spit-
zensport und Politik, die diese Fakten ignorieren und
einen notwendigen politischen Kurswechsel verhin-
dern wollen.
Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich
noch auf ein weiteres schwerwiegendes Versäumnis in
der Politik der Regierungskoalition hinweisen. In den
Haushaltsberatungen im Herbst wurde kurzfristig für
2013 wieder die 1 Million für die Nationale Anti Do-
ping Agentur, NADA, zur Verfügung gestellt, die man
einige Wochen vorher noch gestrichen hatte. Ich sage
jedoch ganz deutlich: Die Finanzierungsklippe beim
Zuschuss für die NADA kann damit maximal bis Sep-
tember dieses Jahres überwunden werden. Denn es
wurde versäumt, eine langfristige Finanzierungszu-
sage im Finanzplan des Bundes zu geben. Der Ret-
tungsanker durch einen weiteren Zuschuss des Bundes
greift jedoch erst, wenn die gesetzliche Ermächtigung
Zu Protokoll gegebene Reden
durch den Bundeshaushalt 2014 vorliegt. Das wird
aber aufgrund der Bundestagswahl am 22. September
und der nachfolgenden Neukonstituierung des Deut-
schen Bundestages erfahrungsgemäß erst im März
oder April 2014 der Fall sein. Dieses kurzfristige Den-
ken der Regierungskoalition von Union und FDP hat
zur Folge, dass die NADA schon ab September dieses
Jahres entweder Personalentlassungen vornehmen
muss oder aber die Zahl der Trainingskontrollen dras-
tisch reduziert wird. Der Vorschlag meiner Fraktion
liegt auf dem Tisch: Zukünftig sollten 5 Prozent der
Spitzensportförderung zur Dopingbekämpfung ver-
wendet werden. Dies würde die notwendige Finanzie-
rungs- und Planungssicherheit für Dopingkontrollen,
Anti-Doping-Forschung und Prävention schaffen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12237, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/11320 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Gesetze ({0})
- Drucksache 17/8802 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des Vollzugs im Unterhaltsvorschussrecht
- Drucksache 17/2584 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
- Drucksache 17/12488 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Sibylle Laurischk
Katja Dörner
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana
Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Alleinerziehende entlasten - Unterhaltsvorschuss ausbauen
- Drucksachen 17/11142, 17/12488 Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Sibylle Laurischk
Katja Dörner
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
In Deutschland gibt es immer mehr alleinerziehende Mütter und Väter: In knapp 20 Prozent aller
Familien leben mehr als 2 Millionen Kinder unter
18 Jahren bei einem alleinerziehenden Elternteil. Da
in alleinerziehenden Familien Erwerbs- und Familienpflichten nicht partnerschaftlich geteilt werden
können, müssen diese Eltern ihre Kinder in der Regel
unter erschwerten Bedingungen erziehen. Wenn dann
das Kind keinen oder nicht regelmäßig Unterhalt vom
anderen Elternteil erhält, verschärft sich die Situation.
Dann muss der alleinerziehende Elternteil neben der
Versorgung des Kindes auch noch für den ausfallenden
Unterhalt des anderen Elternteils aufkommen. Viele
Alleinerziehende sind in dieser Situation dringend auf
Unterstützung angewiesen. Der zum 1. Januar 1980
eingeführte Unterhaltsvorschuss setzt hier an und
kann helfen, Armut zu vermeiden. Von dieser Leistung
profitieren jährlich rund eine halbe Millionen Kinder.
Der Unterhaltsvorschuss soll den ausfallenden
Unterhalt zumindest zum Teil ausgleichen, ohne den
unterhaltspflichtigen Elternteil aus seiner Verantwortung zu entlassen. Das Land, auf das die Unterhaltsansprüche der Kinder übergehen, versucht, sich den
Unterhalt beim Unterhaltsschuldner zurückzuholen.
Das ist auch für die alleinerziehende Familie wichtig,
weil es nach erfolgreichem Rückgriff leichter ist, auch
dann regelmäßig Unterhalt vom unterhaltspflichtigen
Elternteil zu bekommen, wenn kein Unterhaltsvorschuss mehr gezahlt wird. Denn der Unterhaltsvorschuss wird insgesamt längstens für 72 Monate gezahlt und endet, wenn das Kind 12 Jahre alt wird.
CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag
vereinbart, den Unterhaltsvorschuss zu entbürokratisieren und die Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre anzuheben. Aufgrund der Schuldenbremse im Grundgesetz
und der angespannten Haushaltslage konnten wir die
Anhebung der Altersgrenze leider nicht realisieren.
Aber mit dem Gesetzentwurf wird der Verwaltungsvollzug vereinfacht; um den alleinerziehenden Elternteilen
und ihren Kindern die unterstützende Wirkung der Unterhaltsleistung so einfach und so effektiv wie möglich
zu machen. Für die alleinerziehenden Eltern wird die
Antragstellung vereinfacht, den Unterhaltsvorschussstellen werden Prüfung und Bewilligung der Anträge
erleichtert. Beides beschleunigt das Antragsverfahren.
Außerdem wird der Rückgriff auf den unterhaltspflichtigen Elternteil durch eine Erweiterung der
Auskunftsansprüche der zuständigen Stellen effektiver
gestaltet. Dafür werden die zur Auskunft befugten
Sozialleistungsträger verpflichtet, auf Verlangen auch
Angaben über den Arbeitgeber des unterhaltspflichtigen Elternteils an die zuständigen Stellen zu machen.
Außerdem dürfen die für den Rückgriff zuständigen
Stellen das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen,
Daten bei Kreditinstitutionen abzurufen, soweit es für
die Ermöglichung eines Rückgriffs erforderlich ist.
Die Koalitionsfraktionen haben zwei Regelungen
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung in einem ersten Änderungsantrag zurückgenommen: Wir stimmen
dem Wunsch der Bundesregierung auf Streichung der
Regelung nicht zu, wonach der Unterhaltsvorschuss
nicht mehr rückwirkend beantragt werden kann.
Gerade in schwierigen Zeiten der Trennung kann der
alleinerziehende Elternteil gehindert sein, rechtzeitig
einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss zu stellen. Nach
der Trennung brauchen vor allem die Elternteile, bei
denen das Kind lebt, Zeit, um sich zu orientieren und
auf die neue Situation einzustellen. Die rückwirkende
Gewährung der Unterstützungsleistung kann vor allem dann wichtig sein, wenn aufgrund einer verspäteten Antragstellung Schulden entstanden sind.
Rückgängig gemacht haben wir auch die Regelung,
nach der die Leistungen auf den Unterhaltsvorschuss
angerechnet werden, die der unterhaltspflichtige
Elternteil zur Deckung des Unterhaltsbedarfs an
Dritte erbringt. Wir wollen nicht, dass der alleinerziehende Elternteil, der sehr häufig auch nur über knappe
finanzielle Ressourcen verfügt, eventuell die Kosten
für den täglichen Bedarf des Kindes allein finanzieren
muss, während der unterhaltspflichtige Elternteil Leistungen übernimmt wie Sportkurse oder Musikunterricht. Es sollte nicht in das Belieben des unterhaltspflichtigen Elternteils gestellt werden, wie er den
Unterhalt zahlt. Für den Elternteil, bei dem das Kind
lebt, ist es wichtig, dass er das Geld des anderen Elternteils zur eigenverantwortlichen Verfügung erhält.
Unser Änderungsantrag wurde in der öffentlichen
Anhörung des Familienausschusses von den geladenen Expertinnen und Experten einhellig begrüßt.
In einem zweiten Änderungsantrag haben CDU/
CSU und FDP die Möglichkeiten erweitert, wie die
den Kindern zustehenden Unterhaltsansprüche gegenüber dem zahlungspflichtigen Elternteil tatsächlich
auch realisiert werden können. Dafür wird künftig im
Gesetz auf eine Norm in § 74 SGB X verwiesen, die die
zuständigen Stellen ermächtigt, relevante Daten des
Unterhaltsschuldners - in dem dort geregelten Verfahren - an die alleinerziehenden Familien weiterzugeben.
Der durch unsere Anträge geänderte Gesetzentwurf
der Bundesregierung entlastet die Behörden und stärkt
die alleinerziehenden Familien. Daher bitte ich Sie um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von dem
Gesetzentwurf der Regierung, der seinerseits wiederum auf Wünschen und Vorschlägen der Länder beruht. Leider konnten wir unser Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, den Bezug von Leistungen nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz bis zum 14. Geburtstag des
Kindes auszuweiten, aus Haushaltsgründen nicht umsetzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir
hier ein Gesamtpaket vorlegen, das sowohl für die
Praxis der Jugendämter einige Erleichterungen vorsieht, aber auch - und das ist uns besonders wichtig die alleinerziehenden Elternteile stärkt, die die Unterhaltsansprüche parallel oder auch nach Auslaufen der
UVG-Leistungen selbst gegen den Unterhaltspflichtigen durchsetzen wollen oder müssen.
Ein besonderes Ziel des Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetzes war - und das steckt schon
im Wort - Entbürokratisierung, also Erleichterungen
und Vereinfachungen sowohl für den Alleinerziehenden als auch für die Verwaltung. Wo die im Regierungsentwurf vorgesehenen Entlastungen für die Verwaltungspraxis auf Kosten der Alleinerziehenden und
der Kinder gegangen wären, haben wir dies durch Änderungen im Gesetzgebungsverfahren nicht umgesetzt.
Gerade Alleinerziehende erziehen in der Regel ihre
Kinder unter erschwerten Bedingungen. Fällt dann
noch der Barunterhalt des anderen Elternteils aus,
helfen die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss
gezielt und unterstützen und entlasten alleinerziehende
Elternteile und ihre Kinder in dieser besonderen Situation.
Wir haben deshalb durch einen Änderungsantrag
für Klarheit gesorgt, dass Leistungen des Unterhaltspflichtigen an Dritte auf den UVG-Anspruch nicht angerechnet werden. Es darf zum Beispiel nicht sein,
dass etwa ein unterhaltspflichtiger Vater Unterhaltszahlungen an Dritte zum Beispiel für einen Sportkurs
oder Musikunterricht zahlt und dann diese Leistung
auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird mit der
Folge, dass der Betrag der Mutter für den Bedarf des
Kindes als Bargeld fehlt. Ohne das explizite Einverständnis der Mutter wäre es dann ins Belieben des Unterhaltspflichtigen gestellt, wie er den Unterhalt zahlt,
und damit wären weitere Konflikte zwischen den Eltern
vorprogrammiert. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag klarstellen, dass der Barunterhalt gesichert ist.
Denn für den Elternteil, bei dem das Kind lebt, ist es
von qualitativer Bedeutung, ob Geld zur eigenverantwortlichen Verfügung steht oder als eine Sachleistung
an Dritte. Wir haben zu diesem Änderungswunsch allen Sachverständigen eine positive Bestätigung bekommen, insbesondere auch aus der Praxis.
Auch eine weitere Änderung im Gesetzentwurf war
uns wichtig. Die Möglichkeit der rückwirkenden Zahlung des Unterhaltsvorschusses für einen Monat. Der
Gesetzentwurf sah vor, dass der Unterhaltsanspruch
erst ab dem Monat der Antragstellung bestehen sollte.
Als Begründung wurde ein sehr hoher Verwaltungsaufwand angeführt. Aus unserer Sicht kann die Streichung
der Rückwirkung für einen Monat damit nicht aufgewogen werden. Der Verlust einer monatlichen UnterZu Protokoll gegebene Reden
haltsvorschusszahlung wiegt aus unserer Sicht schwerer.
Trennung und Scheidung sind besonders belastende
Lebenssituationen, in denen auch gerade über die
Zahlung von Unterhalt häufig Konflikte ausgetragen
werden. Diese Belastungen und daraus resultierende
Unklarheiten können dazu führen, dass eine Antragstellung nicht rechtzeitig erfolgt. Für die Alleinerziehenden und ihre Kinder ist gerade in der Trennungsphase das Armutsrisiko besonders hoch und die
Leistung des Unterhaltsvorschusses oft von existenzieller Bedeutung. Deshalb sorgen wir nun dafür, dass
die Rückwirkung für einen Monat erhalten bleibt.
Wesentliche Verbesserungen bringt das Gesetz bei
der Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs gegenüber
dem Unterhaltspflichtigen. Hier sei nochmals daran
erinnert: Unterhaltsvorschuss ist grundsätzlich als
Vorschussleistung konzipiert; das Jugendamt kann und
soll Rückgriff beim unterhaltspflichtigen Elternteil
nehmen. In der Praxis ist daraus vielfach eine Ausfallleistung geworden, wo die dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen nicht leistungsfähig sind oder aus anderen Gründen nicht erreichbar sind. Hier setzen wir
an und wollen die Voraussetzung für den Rückgriff bei
leistungsfähigen, aber nicht leistungswilligen Elternteilen verbessern. Hier ist es nämlich nicht einzusehen,
dass der Unterhalt des Kindes aus öffentlichen Kassen
bestritten wird; hier ist es ein wichtiger Schritt, die
Rückgriffsmöglichkeiten der Jugendämter zu verbessern und dafür die Informationsmöglichkeiten, wo der
Pflichtige wohnt, wo er arbeitet und wie notfalls auch
Ansprüche gegen ihn vollstreckt werden können, auszubauen. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen verbesserten Auskunftsrechte wurden von allen Sachverständigen
begrüßt. Sie dienen der verbesserten Geltendmachung
von Unterhaltsansprüchen. Es können jetzt weitere Informationen bei den Finanzämtern und Geldinstituten
eingeholt werden und auch Nachfragen beim Arbeitgeber gestellt werden.
Hier haben wir auf Grundlage der Sachverständigenanhörung noch einen wichtigen Aspekt ergänzt:
Unterhaltsvorschuss ist bekanntlich begrenzt: in der
Dauer auf maximal 72 Monate, beim Kindesalter
höchstens bis zum 12. Geburtstag und in der Höhe
durch den Mindestunterhalt abzüglich Kindergeld.
Weitergehende Unterhaltsansprüche muss der alleinerziehende Elternteil selbstständig gegen den Unterhaltspflichtigen geltend machen. Dabei steht er in der
Praxis oft ebenfalls vor dem Problem, die nötigen Informationen darüber zusammenzutragen, um einen
nicht zahlungswilligen Elternteil in Anspruch zu nehmen. Hier sind die Alleinerziehenden oft auf die Informationen des Jugendamtes angewiesen: diese könnten
ihnen maßgeblich helfen, den Anspruch des Kindes
dann auch selbstständig gegen den Pflichtigen durchzusetzen. Hier hapert es bislang in der Praxis:
In der öffentlichen Sachverständigenanhörung
wurde deutlich, dass es in der Praxis bei den Jugendämtern oft nicht klar ist, inwieweit Daten nach Maßgabe
des § 74 SGB X an den alleinerziehenden Elternteil herausgegeben werden dürfen. Wir haben deshalb die
Anregung aufgegriffen und an dieser Stelle nicht nur
eine Klarstellung ins Gesetz gebracht, dass die Ämter
berechtigt sind, die Auskünfte zu geben. Wir haben darüber hinaus die Jugendämter verpflichtet, auf Antrag
der Alleinerziehenden die benötigten Daten herauszugeben. Wir wollen damit die Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen außerhalb eines gerichtlichen
Verfahrens verbessern. Es bleibt damit bei dem bewährten Verfahren nach dem 10. Sozialgesetzbuch, das
heißt, zuerst erhält der Pflichtige selbst die Gelegenheit, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Wir wollen damit auch für die Unterhaltspflichtigen nochmals
ganz deutlich machen: Es geht bei Unterhaltsschulden
nicht um ein Kavaliersdelikt. Unterhaltspflichtverletzung stellt einen Straftatbestand dar; die vorsätzliche
Nichtleistung steht unter Strafe - Unterhalt ist nicht
verhandelbar. Unterhaltsansprüche werden in Zukunft
auch nicht mehr von einer Restschuldbefreiung in der
privaten Insolvenz des Unterhaltspflichtigen erfasst.
Unterhaltsansprüche von Kindern sind zu erfüllen.
Auch diese Botschaft ist damit verbunden.
Außerdem wollen wir mit dieser Änderung sicherstellen, dass die Realisierung des laufenden Unterhaltsanspruchs in der Praxis Vorrang hat vor den
Rückgriffsansprüchen des Jugendamts. Wenn es für
beide nicht reicht, ist der laufende Bedarf des Kindes
wichtiger als der Ausgleich in den öffentlichen Kassen.
Insgesamt bringt der Gesetzentwurf mit den von uns
eingebrachten Änderungen Erleichterungen für Alleinerziehende sowie für die Behörden, er stärkt die
Alleinerziehenden und ihre Kinder.
Heute debattieren wir abschließend das Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz. So sperrig wie
der Titel des Gesetzentwurfes gestaltet sich auch das
parlamentarische Verfahren. Die schwarz-gelbe
Regierungskoalition hatte in der Vergangenheit regelmäßig die parlamentarische Beratung dieses wichtigen Themas hinausgeschoben. Im Oktober letzten Jahres wurde der Gesetzentwurf endlich in erster Lesung
in den Bundestag eingebracht. Bereits hier wurde
deutlich, dass der Gesetzentwurf wesentliche Mängel
enthält, die sowohl von der SPD-Bundestagsfraktion
als auch von zahlreichen Verbänden wiederholt zur
Sprache gebracht wurden. So sollte den Alleinerziehenden die Möglichkeit genommen werden, den Unterhaltsvorschuss rückwirkend zu beantragen - ein bislang gültiges Recht, welches den Betroffenen
ermöglicht, finanzielle Engpässe, zum Beispiel bei
Trennung, zu überbrücken.
Zum Glück, kann man sagen, ist diese Regelung aufgrund des großen Drucks durch einen Änderungsantrag der Regierungskoalition zurückgenommen
worden. Schwarz-Gelb hat offenbar eingesehen, wenn
auch spät, dass die errechneten fünf Minuten Zeitersparnis bei der Antragstellung - dies wäre wohlgemerkt nur bei 10 Prozent der Neuanträge der Fall Zu Protokoll gegebene Reden
zur finanziellen Belastung des betreuenden Elternteils
in keinem Verhältnis steht.
Einen weiteren Rückzieher gab es vonseiten der
Regierungskoalition bei der geplanten Leistung des
barunterhaltspflichtigen Elternteils an Dritte. Diese
wurde im Änderungsantrag aufgrund verstärkter
Kritik ebenfalls zurückgenommen; zum Glück, kann
ich auch hier nur wiederholen. Das ist nämlich ein intransparentes und aufwendiges Verfahren, welches
nicht im Sinne der Kinder gewesen wäre.
Nun bleibt die Frage: Was debattieren wir eigentlich noch? Dieser Gesetzentwurf wird in keiner Weise
dem Anspruch gerecht, den Unterhaltsvorschuss positiv weiterzuentwickeln. Es ist nicht ausreichend, dass
in dem vorliegenden Änderungsantrag lediglich die
größten Fehler des Gesetzentwurfes behoben werden.
In der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs
wurde nicht einmal die Vereinbarung des schwarzgelben Koalitionsvertrages umgesetzt, für eine Anhebung der Altersgrenze von Kindern auf 14 Jahre für
den Bezug von Unterhaltsvorschuss zu sorgen. Das
wäre eine wirkliche Verbesserung für Alleinerziehende
und ihre Kinder gewesen. Leider wurde hier eine weitere Chance vertan. Genügend Zeit zur Prüfung war
gegeben. Die Mehrheit der Sachverständigen forderte
in der Anhörung ebenfalls eine Anhebung der Altersgrenze.
Der Anspruch auf Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz eines Kindes endet nach wie vor mit
dem zwölften Lebensjahr, nicht aber die Notwendigkeit
weiterer Unterstützung. Ursprünglich ist die Altersgrenze von zwölf Jahren mit einem erhöhten Betreuungsbedarf von kleineren Kindern begründet worden.
Das ist richtig, doch gerade bei älteren Kindern steigt
der materielle Aufwand. Statistiken zeigen, dass bei
Alleinerziehenden, deren Kinder älter als zwölf Jahre
sind, eine größere Gefahr besteht, in Armut zu fallen.
Der Wegfall des Unterhaltsvorschusses macht sich
also gerade hier deutlich bemerkbar. Ironischerweise
zeigt gerade eine Publikation des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass eine
Ursache der hohen Armutsquote bei Alleinerziehenden
mit Kindern im Jugendalter unter anderem mit den
endenden Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Verbindung gebracht wird.
Warum lassen Frau Merkel und die schwarz-gelbe
Koalition diesen Erkenntnissen keine Taten folgen?
Der Koalitionsvertrag wird beim Unterhaltsvorschuss
umgangen, beim unsinnigen Betreuungsgeld hingegen
war er in Stein gemeißelt. Die von Schwarz-Gelb im
Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 3 UVG ist
sogar definitiv eine Verschlechterung für Alleinerziehende und ihre Kinder. Es ist vorgesehen, die Bezugsdauer auch dann anzurechnen, wenn ein zu Unrecht
bezogener Unterhaltsvorschuss zurückgezahlt werden
muss. Hier handelt es sich um eine Sanktion, die zulasten der Kinder geht. Der Bundesregierung sind - so
hat sie sich auf schriftliche Nachfrage geäußert - nicht
einmal konkrete Zahlen bekannt, die darauf hinweisen
würden, dass in großem Stil rechtswidrig Unterhaltsvorschuss bezogen wird. Häufig ist dies durch Nichtwissen bei den Alleinerziehenden begründet. Hier
wäre detaillierte Aufklärung bei der Antragstellung
notwendig.
Ein weiterer Punkt in der Reihe der nicht erledigten
Hausaufgaben der Bundesregierung beim Unterhaltsvorschuss ist die Überprüfung der Tatsache, dass das
volle Kindergeld nicht länger vom Unterhaltsvorschuss abgezogen werden sollte. Diese Regelung steht
im Gegensatz zum Unterhaltsrecht. In dem Antrag der
SPD-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Alleinerziehende besser unterstützen“ auf Drucksache 17/11032,
eingebracht im Oktober letzten Jahres, fordern wir die
Bundesregierung auf „zu prüfen, wie die bestehende
Ungleichbehandlung, hervorgerufen durch den vollständigen Abzug des Kindergeldes beim Unterhaltsvorschuss, beseitigt werden kann, sowie für das Unterhaltsvorschussgesetz eine Anhebung der Altersgrenze
von derzeit 12 auf 14 Jahre zu prüfen und das Ergebnis
der Prüfung umgehend und vor Beginn der parlamentarischen Beratungen zum Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz vorzulegen“.
Überprüft werden sollte unserer Meinung nach
auch der Zeitraum des Bezugs des Unterhaltsvorschusses, der bisher bei 72 Monaten liegt. Häufig ist
der Anspruch schon dann, wenn sich das Kind im
Grundschulalter befindet, verbraucht. Falls beispielsweise für das Kind der Vorschuss erst mit neun oder
zehn Jahren beantragt wird, können nicht einmal die
vorgesehenen 72 Monate bzw. sechs Jahre voll ausgeschöpft werden. Hier ist eine Änderung dringend anzuraten. Die ursprüngliche Zielsetzung, eine Übergangsfinanzierung zu schaffen, wird den heutigen
gesamtgesellschaftlichen Lebensverhältnissen nicht
mehr gerecht.
Der hier vorliegende Gesetzentwurf setzt weder den
schwarz-gelben Koalitionsvertrag um, noch bringt er
wesentliche Verbesserungen für die Situation der Alleinerziehenden und ihrer Kinder. Zumindest könnte
mit diesem Gesetzentwurf eine Entbürokratisierung
und dadurch eine Entlastung der Ämter teilweise erreicht werden. Die Prüfung und die Bewilligung der
Anträge in den Unterhaltsvorschussstellen soll beschleunigt werden. Ebenso soll den Ämtern der Rückgriff auf den Unterhaltsschuldner oder die Unterhaltsschuldnerin erleichtert werden. Aber wesentlich
drängender als eine Entbürokratisierung wären die
Stärkung und der Ausbau des Unterhaltsvorschusses
für die betroffenen Kinder gewesen. Hierfür wird sich
die SPD-Bundestagsfraktion weiter starkmachen.
Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes der
Bundesregierung zum Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz kann ich ein Thema abschließen,
das ich lange begleitet habe. Als Familienrechtlerin
war es mir immer ein wichtiges Anliegen, deutliche
Zu Protokoll gegebene Reden
und positive Signale an Alleinerziehende ({0}) zu senden, indem der Gesetzgeber das
Unterhaltsrecht vereinfacht, verbessert und die Effizienz steigert. Ich bin mit dem vorliegenden Ergebnis
durchaus zufrieden, wenngleich die Wünsche offen
bleiben. Eine Erhöhung der Altersbezugsgrenze auf
mindestens 14 Jahre, wie es auch im Koalitionsvertrag
steht, war aufgrund der Haushaltslage letztlich nicht
erreichbar. Allerdings haben sich alle Fraktionen im
Gesetzgebungsverfahren mit dem Unterhaltsvorschussrecht in einer Art und Weise auseinandergesetzt,
wie das bislang nicht der Fall war.
Alleinerziehende haben im Allgemeinen schon
Schwierigkeiten, überhaupt einen Unterhaltstitel für
das Kind oder die Kinder zu bekommen. Und weil das
Verfahren zu Beantragung Zeit kostet, hat man den Unterhaltsvorschuss als eine „Überbrückungsleistung“
eingeführt und etabliert. Das originäre Ziel war es, in
der Zeit, bis Mütter den Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater klären können, eine Überbrückung von
staatlicher Seite zu bieten. Das Kind braucht Unterhalt; das Kindeswohl, seine Bedürfnisse müssen im
Vordergrund stehen.
Mittlerweile ist der Unterhaltsvorschuss aber zu einer Leistung geworden, die sich - auch wegen der
stark voneinander abweichenden Praxis der föderal
geführten Jugendämter - verselbstständigt hat. Insbesondere die Rückholungen der gezahlten Unterhaltsleistungen beim Verpflichteten ist in den Bundesländern unterschiedlich organisiert. Ich hoffe, dass die
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geführte
Diskussion und das neue Gesetz ein Anlass für die
Bundesländer sind, den Rückgriff effizienter zu gestalten. Das kann als klares Signal gewertet werden, dass
Unterhaltsleistungen an Kinder auch nach der Trennung oder Scheidung zu erbringen sind. Mit
Nachdruck möchte ich nochmal erwähnen, dass das
Unterlassen von Unterhaltszahlungen kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine Straftat, die von den Staatsanwaltschaften konsequenter als bisher verfolgt werden
muss. Zu Zeiten, in denen wir die Stärkung der Rechte
von Vätern im Deutschen Bundestag diskutieren und
verabschieden, dürfen wir deren Pflichten - meist sind
die Väter unterhaltspflichtig - nicht vernachlässigen.
Bei Verabschiedung des Gesetzentwurfes wird die
Stellung der Alleinerziehenden gestärkt. Ihr Informationsrecht wurde verbessert. Künftig sind die zuständigen Stellen für den Unterhaltsvorschuss dazu verpflichtet, notwendige Auskünfte und Informationen wie
Einkommensnachweise, Vermögen oder Anschriften
des Verpflichteten zu erteilen. Das macht deutlich, wie
wichtig und notwendig eine unbürokratische Kooperation zwischen den zuständigen Stellen ist. Maßgeblich
ist auch, dass die Leistungen rückwirkend für einen
Monat vor der Antragsstellung beibehalten werden.
Die Bundesländer wollten diese Regelung streichen.
Zukünftig muss man trotzdem nochmal darüber
nachdenken, wie das Nebeneinander von Leistungsansprüchen nach dem UVG und dem SGB II bereinigt
werden kann. Der Bundesrechnungshof regt zum
Beispiel an, den unbedingten Vorrang von Unterhaltsvorschuss und Wohngeld beim Bezug von SGB-IILeistungen aufzugeben. Betroffene müssten dann statt
drei nur noch einen Antrag stellen, würden aber den
gleichen Leistungsbetrag erhalten wie bisher schon.
Hier ist also auch eine Kosteneinsparung möglich, wie
es in der Anhörung des Familienausschusses zur
UVG-Novelle hieß. Es besteht demnach weiterhin politischer Handlungsbedarf.
Statt vieler Einzelleistungen für Kinder könnte man
eine Art „Kinderbasisgeld“ einführen, das Familien
mit Kindern für diese erhalten könnten. So würden Sie
schnell und unbürokratisch unterstützt.
Unter Entbürokratisierung versteht die Linke etwas
anderes. Schon der Titel hält nicht, was er verspricht.
Um es noch einmal zu wiederholen: Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute
und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorübergehend.
Immerhin hat die Regierungskoalition diesmal zumindest partiell Sachverstand einfließen lassen, indem
sie nach der Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss die Streichung der rückwirkenden Bewilligung
wieder gestrichen hat, sodass den Alleinerziehenden
insoweit durch das neue Gesetz kein finanzieller Nachteil entsteht.
Die von der Linken geforderte Erleichterung der
Darlegungspflicht der „zumutbaren Bemühungen“ zur
Durchsetzung der Unterhaltsansprüche gegenüber dem
unterhaltspflichtigen Elternteil ist leider nicht umgesetzt worden. Wieder einmal hat diese Regierung eine
Chance vertan.
Die Anrechnung von Sachleistungen auf den Unterhalt ist nach der Sachverständigenanhörung glücklicherweise revidiert worden. Die Linke hat dies von
Anfang an gefordert; denn Zahlungen an Dritte sind
für den betreuenden Elternteil weniger verlässlich und
weitaus schwerer nachprüfbar als direkte Leistungen.
Zudem verlieren Alleinerziehende und ihre Kinder
durch indirekte Leistungen einen Teil ihrer Entscheidungskompetenz und möglicherweise auch den bedarfsdeckenden Unterhalt.
Dafür hat die Koalition jetzt im Gesetzentwurf einen
automatisierten Datenabgleich beim Bundeszentralamt für Steuern sowie vorhandener Konten bei Kreditinstituten eingeführt. Insoweit verweist die Regierung
auf gute Erfahrungen beim Wohngeld und BAföG. Hier
herrscht wieder die Angst, dass das Unterhaltsvorschussrecht missbraucht werden könnte, diese alles
überschattende Angst der Regierung vor Missbrauch.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dagegen werden datenschutzrechtliche Bedenken
hinsichtlich des Umgangs mit Informationsquellen und
des automatisierten Datenabgleichs einfach hintangestellt, anstatt hier einmal zu überlegen, wie Anreize für
Kommunen geschaffen werden können, um die Rückholquote zu erhöhen. In der Sachverständigenanhörung
kam klar heraus, dass das Engagement der Kommunen
insoweit nicht riesig sei, wenn sie an der Steigerung
der Rückholquote nicht selbst auch zumindest partiell
teilhaben können.
Wieder einmal wird ein Gesetz verabschiedet, ohne
den Bedürfnissen der Realität gerecht zu werden. Es
wäre besser gewesen, dem Antrag der Linken zu folgen
und den Unterhaltsvorschuss zu entfristen und das
Höchstalter für den Bezug von Unterhaltsvorschuss
auf 18 Jahre anzuheben. Bar- und Betreuungsunterhalt
sind als gleichwertig anerkannt. Daher ist es notwendig, dass beim Unterhaltsvorschuss nicht länger das
volle Kindergeld angerechnet wird, sondern stattdessen - wie beim „normalen“ Unterhalt - nur das halbe
Kindergeld angerechnet wird und die andere Hälfte
beim betreuenden Elternteil verbleibt.
Das ist die Realität, aber dafür stehen angeblich
keine Gelder zur Verfügung. Bereits 2006, vor fast genau sieben Jahren, hat die Linke einen derartigen Antrag ins Parlament eingebracht. Auch damals wurde er
abgelehnt. Aber die regierenden Parteien hatten sieben
Jahre Zeit, um zu klären, wie dies zu finanzieren ist.
Nichts haben sie getan, egal ob schwarz-rot oder
schwarz-gelb: vertane sieben Jahre für Alleinerziehende.
Und wie die Regierungskoalition zu der Ansicht gelangt, dass den Alleinerziehenden wesentlich geholfen
ist, wenn ihnen nach Einstellung der Zahlung durch
das Amt die Daten des Unterhaltsverpflichteten mitgeteilt werden, damit die Unterhaltszahlung auch weiter
sichergestellt wird, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.
Warum ist denn Unterhaltsvorschuss durch das Jugendamt gezahlt worden? Weil der Unterhaltspflichtige Unterhalt zahlen kann und will? Eher doch aus
den gegenteiligen Gründen oder weil der Unterhaltsverpflichtete nicht greifbar ist.
Liebe Regierungskoalition, es wird Zeit aufzuwachen. Willkommen in der Realität! Und da helfen
auch nicht Sprüche wie „Gut regiert“ oder „Vorfahrt
für Familien“. Selbst die geplante Hilfe aus dem Koalitionsvertrag, nach welchem das Bezugsalter immerhin
um zwei Jahre auf 14 Jahre angehoben werden sollte,
war ein falsches Versprechen. Reine Augenwischerei,
wie so vieles dieser Koalition. Im Ergebnis ändert dieser Gesetzentwurf nichts an der Situation von Alleinerziehenden.
Politik für Menschen sieht anders aus. Die Linke
kämpft weiter für eine Politik für die Menschen.
Meine Bemerkungen zum Gesetzentwurf der Bun-
desregierung selbst kann ich kurzhalten - zum Glück,
möchte ich sagen. Das hat damit zu tun, dass zwei aus-
gesprochen kritisch zu bewertende geplante Änderun-
gen, die Anrechnung von Unterhaltszahlungen, die an
Dritte geleistet werden, sowie die Aufhebung der rück-
wirkenden Antragstellung, durch den Änderungs-
antrag der Koalitionsfraktionen zurückgenommen
werden. Beide hätten erhebliche Verschlechterungen
für Alleinerziehende bedeutet. Ein Punkt bleibt aller-
dings kritisch, und zwar der Verbrauch der Gesamt-
bezugsdauer, wenn Gelder zwischenzeitlich zurück-
gezahlt wurden. In einen Gesetzentwurf, der als
Entbürokratisierung daherkommt, werden faktisch
Verschlechterungen für Alleinerziehende hineingemo-
gelt. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.
Trotz der Veränderungen beim Datenabgleich, die
durch den vorliegenden Gesetzentwurf ermöglicht
werden sollen, wird die sogenannte Rückholquote ein
Problem bleiben. Eines hat die Anhörung zum Gesetz-
entwurf deutlich gemacht: Die Rückholquote kann
sehr wohl deutlich gesteigert werden. Aber wenn man
dies erreichen will, muss die Problematik gelöst
werden, dass die Kommunen gar kein Interesse daran
haben, das von Bund und Ländern für den Unterhalts-
vorschuss ausgezahlte Geld von den Unterhaltsschuld-
nerinnen und Unterhaltsschuldnern wieder hereinzu-
holen, weil sie Personal einsetzen müssten, ohne von
den Mehreinnahmen zu profitieren.
Etwas ausführlicher möchte ich auf die grundsätzli-
che Haltung zu Einelternfamilien eingehen, die beim
Regierungshandeln von Schwarz-Gelb zum Ausdruck
kommt. Für die 1,8 Millionen Alleinerziehenden, zu
90 Prozent Frauen, hat die schwarz-gelbe Regierungs-
tätigkeit vor allem negative Konsequenzen. Die guten
Vorschläge, die im Koalitionsvertrag vereinbart
wurden, wie die Verbesserungen beim Unterhalts-
vorschuss und die Prüfung einer alternativen Besteue-
rung, werden schlicht nicht in Angriff genommen. Pa-
pier scheint geduldig; denn seit der Unterzeichnung
des Koalitionsvertrages sind diese Themen von der
Agenda verschwunden. Dabei steht dort klar: „Wir
werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend
ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokrati-
siert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebens-
jahres eines Kindes gewährt wird.“ Das wäre eine
sinnvolle Maßnahme. Wir wissen: Im Gegensatz zur
bildungs- und gleichstellungspolitischen Katastrophe
namens Betreuungsgeld, das den Bundeshaushalt mit
rund 2 Milliarden Euro im Jahr belasten wird, sind die
Verbesserungen für Alleinerziehende dem Sparzwang
zum Opfer gefallen.
Schlimmer noch: Gerade für Alleinerziehende
wirken sich viele Reformen der Koalition besonders
negativ aus, beispielsweise die Anrechnung des Eltern-
geldes auf ALG-II-Leistungen, die nicht verfassungs-
gemäßen Regelsätze oder Kürzungen bei der Arbeits-
marktförderung. Es ist bitter, zu sehen, dass weder
Alleinerziehende noch Frauen in der Regierung eine
Lobby haben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter
hat in einem Positionspapier zur Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik sehr gut herausgearbeitet, dass
alleinerziehende Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht in
erster Linie deshalb benachteiligt sind, weil sie allein-
erziehende Frauen sind, sondern erstens deshalb, weil
sie Frauen sind, und zweitens, weil sie Mütter sind.
Solange die Geschlechtergerechtigkeit auf dem
Arbeitsmarkt nicht forciert wird, wird sich auch für
alleinerziehende Mütter wenig ändern. Wir müssen
also große und kleine Räder drehen. Es wäre wichtig,
bei den Alleinerziehenden endlich damit anzufangen.
Vertan hat die schwarz-gelbe Koalition auch die
Chance, die Familienleistungen insgesamt neu aus-
zurichten. Auch hier warten wir seit Monaten auf
Ergebnisse der groß angelegten Gesamtevaluation
familienpolitischer Leistungen. Es ist zentral, die
Unterstützung Alleinerziehender in einen gesamtge-
sellschaftlichen Kontext zu stellen und die Familien-
förderung am Kind auszurichten. Wir brauchen eine
Kindergrundsicherung, die Kinder direkt fördert und
Armut vermeidet. Mit Blick auf die anstehende Bun-
destagswahl im September dieses Jahres kann ich nur
sagen: Das werden wir deutlich besser machen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer Ge-
setze. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12488, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8802 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 17/2584 zur Verbesserung des Voll-
zugs im Unterhaltsvorschussrecht für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 21 b. Wir setzen die Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksa-
che 17/12488 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11142 mit dem Titel „Alleinerziehende entlasten -
Unterhaltsvorschuss ausbauen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten Diplomatische Verhandlungslösung für den
Konflikt fördern
- Drucksachen 17/11697, 17/12243 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Bijan Djir-Sarai
Kerstin Müller ({1})
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Tom Koenigs, Volker Beck
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Syrische Flüchtlinge nicht im Stich lassen
- Drucksache 17/12496 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Seit fast zwei Jahren wütet der Bürgerkrieg in Syrien,
und ein Ende scheint leider auch heute weit entfernt zu
sein. Navi Pillay, die Hohe Kommissarin der Vereinten
Nationen für Menschenrechte, hat Mitte Februar erklärt, dass sich die Zahl der Todesopfer nun der 70 000
nähere. Der UN-Menschenrechtsrat sieht eine Zunahme
der Gewalttätigkeit aller Konfliktparteien; immer häufiger komme es zu Verstößen gegen das humanitäre
Völkerrecht. Nach aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen sind derzeit über 4 Millionen Syrer auf
humanitäre Hilfe angewiesen. Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind uns der prekären Lage in Syrien
bewusst und versuchen einen Beitrag zu deren Verbesserung zu leisten.
Die Beweggründe der Opposition für die beiden Anträge, die wir heute debattieren, kann ich deshalb nur
schwer nachvollziehen. Denn auch die Bundesregierung tut meines Erachtens ihr Möglichstes, um der syrischen Bevölkerung zu helfen und auf ein Ende des
Bürgerkrieges hinzuwirken. Dabei sollte sie die Unterstützung des gesamten Parlaments erfahren und nicht
- wie es beispielsweise die Fraktion Die Linke tut - des
widersprüchlichen Verhaltens bezichtigt werden. Ich
lehne die beiden Anträge der Opposition deshalb ab.
Es wird völlig außer Acht gelassen, in welchem
Maße sich die Bundesregierung bereits in Syrien engagiert. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung nach einer Aufstockung der Mittel zur humanitären Hilfe. Am
30. Januar dieses Jahres wurden, im Rahmen einer humanitären Geberkonferenz der Vereinten Nationen in
Kuwait, weitere 10 Millionen Euro für humanitäre
Hilfsmaßnahmen in Syrien und den umliegenden Länder bereitgestellt. Erst heute hat der Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärt, dass die Bundesregierung die Mittel für die humanitäre Hilfe nochmals
um 5 Millionen Euro aufstocken wird.
Die deutsche Unterstützung beträgt damit seit Beginn der Krise insgesamt 118 Millionen Euro, womit
Deutschland einen der größten bilateralen Geldgeber
darstellt. Davon sind 68 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe bestimmt. 50 Millionen Euro stehen für die
strukturbildende Übergangshilfe und die bilaterale
Unterstützung zur Verfügung.
Ich kann hier keine Versäumnisse der Bundesregierung erkennen. Wir müssen uns jedoch darüber im
Klaren sein, dass die Unterstützung und die humanitäre Hilfe auch in Zukunft auf gleichem Niveau aufrechterhalten werden müssen. Bis Juni 2013 schätzen
die Vereinten Nationen den Bedarf an humanitärer
Hilfe auf circa 500 Millionen US-Dollar.
Nach Angaben des UNHCR sind bis heute über
857 000 Menschen aus Syrien geflohen. Die Dunkelziffer wird als weit höher eingeschätzt. Sowohl im Antrag
der Linken als auch bei den Grünen wird der Umgang
mit syrischen Flüchtlingen in Deutschland thematisiert. Doch auch der Vorwurf, die Bundesregierung
würde sich zu wenig für syrische Flüchtlinge engagieren, ist nicht berechtigt. Die Grünen verwenden sogar
die Formulierung „im Stich lassen“. Dass dies keineswegs der Fall ist, wird unter anderem am Beispiel der
syrischen Studenten deutlich, die derzeit in Deutschland studieren und aufgrund des Konflikts in finanzielle Not geraten sind. Um dieser Situation entgegenzutreten, hat das Auswärtige Amt im vergangenen Jahr
die Vergabe kurzfristiger Überbrückungsstipendien
deutscher Hochschulen mit 1,5 Millionen Euro finanziert.
Auch die Forderung der Opposition, das mit Syrien
geschlossene Rückübernahmeabkommen zu kündigen,
wurde hier im Plenum des Deutschen Bundestages bereits thematisiert. Das Rückübernahmeabkommen enthält prozedurale Regelungen und konkretisiert die Verpflichtungen beider Vertragsparteien bei der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger. Es verpflichtet
jedoch nicht zur Durchführung von Abschiebungen
und stellt auch keinen Hinderungsgrund dar, Abschiebungen in bestimmten Situationen auszusetzen. Fakt
ist, dass seit April 2011 niemand nach Syrien abgeschoben wurde. Mit diesem Abschiebestopp der Bundesländer kommt Deutschland seinen humanitären
Verpflichtungen bereits nach. Die Forderung der Opposition ist demnach schlichtweg unbegründet.
Bei der Debatte über die Aufnahme syrischer
Flüchtlinge in Deutschland darf außerdem nicht vergessen werden, dass viele Syrer, die die Hoffnung auf
ein baldiges Ende der Kämpfe nicht aufgegeben haben, in ihrer Region bleiben wollen. Für die CDU/
CSU-Fraktion hat daher weiterhin die Hilfe vor Ort
Vorrang.
Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt: Der
Schutz der christlichen Minderheit in Syrien. Die
Christen versuchen sich im syrischen Bürgerkrieg neutral zu verhalten, aber es droht fortwährend die Gefahr, dass sie zwischen die Fronten geraten. Europa
muss seine Verantwortung für die orientalische Christenheit stärker wahrnehmen, um sie in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen.
Als ich am 13. Dezember 2012 zum gleichen Thema
gesprochen habe, tat ich dies in der Hoffnung auf ein
baldiges Ende des Assad-Regimes. Wie wir alle
zwischenzeitlich einräumen müssen, hat sich diese
Hoffnung nicht erfüllt. Eine Lösung des Konflikts in
Syrien ist nach wie vor in weiter Ferne.
In der heutigen Debatte liegen uns zwei Anträge
vor, einer der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten - Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern“
und ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Syrische Flüchtlinge nicht im Stich
lassen“. Beide Anträge sind abzulehnen, da sie die
Anstrengungen der Bundesregierung auf humanitärem
Gebiet in dieser Krisenregion negieren.
Die Flüchtlingsproblematik ist uns allen - und
selbstverständlich auch der Bundesregierung - nur
allzu bewusst. Im Dezember vergangenen Jahres haben die Vereinten Nationen rund 450 000 syrische
Flüchtlinge registriert, wobei die angenommene Dunkelziffer weitaus höher lag.
Die im Februar veröffentlichten Zahlen sprechen
eine noch deutlichere Sprache: Mittlerweile verzeichnet der UNHCR eine Gesamtzahl von rund 814 000 registrierten Flüchtlingen aus Syrien in die benachbarten Länder. Allein im Libanon waren im Februar 2013
rund 275 000 Flüchtlinge registriert; in Jordanien
waren es 260 000, in der Türkei rund 183 000, in
Ägypten 18 000 und im Irak 92 500. Neben den Flüchtlingen, denen es gelungen ist, das Land zu verlassen,
leiden in Syrien selbst geschätzte 4 Millionen Menschen unter den Folgen des Konflikts.
Der überwiegende Teil der Flüchtlinge in den Nachbarländern, zum Großteil Frauen und Kinder, leben in
Zu Protokoll gegebene Reden
Camps oder Zeltstädten, nur wenige bei Verwandten
oder Freunden in den Städten.
Mittlerweile stehen die aufnehmenden Staaten vor
großen Problemen: Die Versorgung der Flüchtlinge
mit elementaren Dingen wie Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Wasser bedeutet eine logistische Herausforderung.
Um diese Herausforderungen auch international zu
koordinieren und zu meistern, wurde im Jahr 2012
erstmals der „Regional Response Plan“ aufgestellt,
eine Art „Hilfskoordinierungsplan“, an dem insgesamt circa 60 nationale und internationale Partner beteiligt sind. Einer dieser Partner ist übrigens das Technische Hilfswerk, das in Jordanien wichtige praktische
Hilfe leistet.
Bereits seit Eröffnung des Flüchtlingscamps alZaatari nahe der syrisch-jordanischen Grenze im Juni
2012 waren THW-Kräfte vor Ort. Als erfahrene Organisation in internationalen Einsätzen leistet das THW
wertvolle Hilfe. Der Aufbau von Kücheneinheiten,
Wasseraufbereitungsanlagen sowie Toilettenanlagen
im Camp sichert die Versorgung der Flüchtlinge mit.
Mit diesen Maßnahmen wird Hilfe dort geleistet, wo
sie dringend benötigt wird: bei den Menschen vor Ort.
Seit Juni 2012 waren so insgesamt 110 Helfer des deutschen THW im Einsatz. Kritiker können jetzt natürlich
behaupten, das sei bei Weitem nicht genug, aber angesichts der prekären Lage in den Camps zählt jeder
Helfer, und jede Maßnahme hilft den Flüchtlingen.
Darüber hinaus steht die Bundesregierung auch
finanziell zu ihrer internationalen Verantwortung.
Deutschland hat 2012 für den Bedarf an humanitärer
Hilfe insgesamt rund 103 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und gehört damit zu einem der größten
Geber. Auf der internationalen Geberkonferenz, die
Ende Januar in Kuwait stattfand, hat die Bundesrepublik Deutschland nochmals zusätzlich 10 Millionen
Euro zugesagt.
Angesichts dieser Zahlen kann man wohl kaum davon sprechen, dass syrische Flüchtlinge „im Stich gelassen werden“, wie der Titel des Antrags der Fraktion
von Bündnis 90/Die Grünen impliziert. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich in herausragender
Weise an den finanziellen und humanitären Maßnahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union. Insgesamt sollen von der internationalen
Staatengemeinschaft mehr als 1,1 Milliarden Euro für
humanitäre Maßnahmen in der Region zur Verfügung
gestellt werden.
Diese Zahlen zeigen, dass die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die humanitäre Hilfe eben nicht
das eigentliche Problem ist, wie Sie es in Ihren Anträgen formulieren. Entscheidend ist, dass die bereitgestellten Gelder für die Maßnahmen verwendet werden
können, für die sie gedacht sind, das heißt, dass sie bei
den Menschen in den betroffenen Gebieten ankommen.
Hierfür bedarf es einer ausgeklügelten Logistik und einer guten Koordination, vor allem aber eines dauerhaften Waffenstillstands
Und darüber hinaus sollten wir auch das Schicksal
derjenigen im Auge behalten, die in Syrien leben und
täglich mit den Folgen des Konflikts konfrontiert werden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation
wird deren humanitäre Lage immer schwieriger. Die
wenigen Hilfsorganisationen, die noch in Syrien arbeiten können, können dies aufgrund der Kampfhandlungen nicht effektiv genug tun.
In diesem Zusammenhang sind vor allem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und damit auch
die fünf ständigen Mitglieder in der Verantwortung.
Appelle des Generalsekretärs bzw. der Vollversammlung sind bedauerlicherweise nicht nachhaltig genug.
Daher geht die Forderung zum Handeln, die Sie in
Ihren Anträgen von der Bundesregierung verlangen,
ins Leere, da sie längst tätig ist.
Es liegt in der Hand des UN-Sicherheitsrates, nicht
gegen- sondern miteinander zu arbeiten. Angesichts
der Dauer des Konfliktes sollte es die vordringliche
Aufgabe des Gremiums sein, nicht nur über die
schlechte humanitäre Lage in Syrien zu sprechen, sondern konkret zu handeln. In der Vergangenheit wurde
die Verteilung von Hilfslieferungen massiv behindert.
Nur mit einem einheitlichen Votum des UN-Sicherheitsrates kann ein gewisser Druck aufgebaut werden,
um mehr internationalen Hilfsorganisationen den Zugang ins Land zu ermöglichen. Insbesondere müssen
die Kampfhandlungen eingestellt werden, und zwar
auf beiden Seiten.
Auch die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geäußerte Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich
der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen entbehrt jeder Grundlage. Im Januar 2013 zählte das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge circa 1 000 Asylanträge
von Syrern. Aufgrund des bereits seit längerem bestehenden Abschiebestopps können die Flüchtlinge in
Deutschland bleiben. Damit zeigt die Bundesregierung
deutlich ihre Solidarität mit der syrischen Bevölkerung.
Deutschland hat seit Beginn der Krise in Syrien in
enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern seine klare Position deutlich gemacht. Die von Ihnen geforderten diplomatischen Verhandlungslösungen mit dem herrschenden Regime
sowie der Ausbau intensiver Kontakte zur demokratischen, gewaltfreien Opposition in Syrien entbehren
zum einen durch die Tatsache, dass sich die Bundesregierung immer auf einen friedlichen Verhandlungsweg berufen und aus diesem Grund die syrische Vertretung in Deutschland nicht gänzlich geschlossen hat,
und zum anderen durch das Ergebnis der Konferenz in
Marrakesch jeglicher realistischer Grundlage.
Wir sind uns in diesem Hause darin einig, dass so
schnell wie möglich die Bürgerkriegsauseinandersetzungen beendet werden und der syrischen Bevölkerung
Zu Protokoll gegebene Reden
in ihrer Not jetzt, aber auch später beim Wiederaufbau, geholfen werden kann.
Die in den beiden Anträgen vorgebrachte Kritik an
der Bundesregierung ist jedoch unbegründet, und daher werden wir beide Anträge ablehnen.
Der Grundforderung des Antrags „Sofortige humanitäre Hilfe für Syrien leisten - Diplomatische Verhandlungslösung für den Konflikt fördern“ widersprechen wir Sozialdemokraten nicht. Der Konflikt in
Syrien hat mit wahrscheinlich über 70 000 Toten, circa
1,5 Millionen Binnenflüchtlingen und Hunderttausenden Flüchtlingen in die Nachbarstaaten mittlerweile
eine neue blutige Dynamik erreicht. Die dramatische
Flüchtlingssituation treibt uns in der SPD-Bundestagsfraktion um. Ich hatte bei einem Besuch in Beirut
Anfang Februar die Gelegenheit, mit syrischen Flüchtlingen zu sprechen, und dieser Dialog hat meine Einschätzung für deren prekäre Situation stark geprägt.
Die Aufnahme von Hunderttausenden syrischen
Flüchtlingen in den Nachbarstaaten Jordanien, Libanon und Türkei ist eine Leistung, die man nicht genug
würdigen kann. Allein im Libanon wurde eine Zahl von
Menschen aufgenommen, die auf Deutschland umgerechnet der Aufnahme von etwa 3 Millionen Flüchtlingen entspräche. Die größte Flüchtlingswelle der deutschen Nachkriegszeit brachte während der
Balkankriege der 90er-Jahre einige Hunderttausend
Flüchtlinge zu uns. 3 Millionen zusätzliche Menschen
in der Bundesrepublik übersteigen dagegen aber unser
Vorstellungsvermögen.
Vor diesem Hintergrund fordern wir Sozialdemokraten die Bundesregierung auf, sich gegenüber den
anderen EU-Mitgliedstaaten für eine gemeinsame
europäische Initiative zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge einzusetzen. Unabhängig davon ist die Bundesregierung dazu aufgerufen, auf nationaler Ebene zur
Minderung des syrischen Flüchtlingselends initiativ zu
werden. Es geht auch um ein Signal der Menschlichkeit. Da viele Syrer oder syrischstämmige Verwandte
in Deutschland haben, ist ein Beitrag aus Deutschland
möglich, wenn die Bundesregierung dem Ernst der
Lage angemessen reagiert. Die Forderung, schnell etwas gegen das syrische Flüchtlingselend zu unternehmen, teilen viele Kräfte in Deutschland, darunter auch
die beiden Kirchen. In Deutschland lebende Syrer und
syrischstämmige Deutsche haben signalisiert, bei der
Aufnahme von Verwandten bei uns vor Ort tatkräftig
zu helfen. Diese Chance muss die Bundesregierung
nutzen.
Die im Antrag geforderte Einbindung Chinas und
des Iran in eine Lösung des Konfliktes ist grundsätzlich richtig. China war als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aber von Anfang
an eingebunden und hat dort - ebenso wie Russland die Chance auf eine Eindämmung des Konfliktes verstreichen lassen. Der Iran ist durch seine Waffenlieferungen und durch die Entsendung von Militärberatern
für das Assad-Regime in diesem Konflikt bereits faktisch Kriegspartei. Interessant, dass die Linkspartei
ihn in ihrer Liste der Staaten, an keine Waffen die geliefert werden sollen, unter Punkt 4 c im Antrag gar
nicht aufführt. Die Geld- und Waffenlieferungen des
Iran an das Assad-Regime scheinen für die Linke ein
nachrangiges Problem zu sein. Sie tauchen nirgendwo
im Antrag auf. Wer so argumentiert, der ist in seiner
Bewertung der Aufrüstungssituation in Syrien einäugig.
Auch macht es sich die Linke zu einfach, wenn sie
Art.-VII-Resolutionen des VN-Sicherheitsrates kategorisch ausschließt. Wer sich selbst einer solchen Option
beraubt, der schwächt die Position des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und goutiert das Verhalten
Russlands und Chinas in dem Gremium. Ich kann die
Forderung an die Linke, dass es gilt, klar Partei zu ergreifen für die syrische Bevölkerung, Demokratie und
einen zivilen Wandel zu fördern, nur nochmals wiederholen. Doch anstatt eines klaren Bekenntnisses zur syrischen Bevölkerung hört man nur, dass die Fraktion
der Linken die Schuld des Assad-Regimes an der Eskalation des syrischen Bürgerkriegs herunterspielt. Wenn
in dem vorliegenden Antrag für die Eskalation in Syrien nur von einer „erheblichen Verantwortung“ des
Assad-Regimes die Rede ist, dann muss ich dies als
Euphemismus zurückweisen. Ich selbst habe mir in Gesprächen mit ehemals engen Vertrauten des syrischen
Präsidenten mehrfach bestätigen lassen, dass Baschar
al-Assad immer wieder zu umfassenden Reformen in
seinem Land gedrängt worden war. Nichts dergleichen
ist geschehen! Aus einer Politik der vermeintlichen
Stärke heraus hat Assad den Konflikt in seinem Land
wissentlich eskalieren lassen, und dies wohlgemerkt zu
einer Zeit, als er noch alle politischen Fäden in der
Hand gehalten hatte. Ich kann die Fraktion Die Linke
daher nur ausdrücklich auffordern, endlich aufzuhören, die Verantwortung des Assad-Regimes in diesem
Bürgerkrieg zu verharmlosen, wenn sie ein außenpolitischer Verantwortungsträger sein will.
Die Gespräche zwischen dem US-amerikanischen
Außenminister John Kerry und seinem russischen
Amtskollegen Sergej Lawrow in Berlin waren auch ein
Signal dafür, dass die Chance für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts weiterhin besteht. Gleiches
gilt für das Treffen zwischen Vertretern des Assad-Regimes und syrischen Oppositionellen bei der Konferenz der Freunde Syriens in Rom. Für mich ist dies Bestätigung dafür, dass nach wie vor der Wille zu einer
friedlichen Beilegung des Konflikts besteht. Die heutigen Äußerungen des französischen Präsidenten
Hollande anlässlich seines Moskau-Besuchs unterstützen meine Auffassung, dass eine politische Lösung des
Konfliktes in den kommenden Wochen im Bereich des
Möglichen ist - vorausgesetzt, alle direkt und indirekt
beteiligten Konfliktparteien erkennen ihre Verantwortung für diesen Prozess und nehmen sie auch an. Auch
wenn die Kontaktaufnahme zwischen den Konfliktparteien nur einen ersten Schritt auf einem langwierigen
und steinigen Weg darstellt, so erhoffe ich mir von dieZu Protokoll gegebene Reden
sen Treffen doch wenigstens humanitäre Erleichterungen.
Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern eine Vorreiterrolle einzunehmen und einen erheblichen Beitrag
zur Verbesserung der Flüchtlingssituation zu leisten.
Deutschland ist sicherlich kein Schlüsselstaat, wenn es
um die Beilegung des Syrien-Konflikts geht. Aber dort,
wo wir eine internationale Verantwortung und vor allem eine Verpflichtung gegenüber der Menschlichkeit
haben, müssen wir diese auch wahrnehmen.
Die humanitäre Lage in Syrien ist verheerend und
schon längst nicht mehr mit Worten zu fassen - und sie
verschlechtert sich weiter. Der Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen gibt die Zahl der Todesopfer mit
beinah 70 000 an. Insgesamt 4 Millionen Menschen
sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Zahl der
Binnenvertriebenen liegt bei 2 Millionen Menschen.
Kürzlich wurde bekannt, dass sich nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO 2 500
Menschen in der nordöstlichen Provinz Deir al-Sor mit
Typhus infiziert haben. Dort gibt es nicht genügend
Treibstoff oder Elektrizität, sodass die Menschen gezwungen sind, Wasser aus dem Euphrat zu trinken.
Kurzum: Eine höhere humanitäre Notfallstufe ist
laut Vereinten Nationen nicht mehr möglich.
Deshalb wird die Zahl der Syrer, die dieser Hölle
entkommen wollen, nicht kleiner werden. Im Gegenteil: Die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer nehmen weiterhin zu. Inzwischen befinden sich knapp
730 000 Menschen als Flüchtlinge im Libanon, in
Jordanien, der Türkei, dem Irak, in Ägypten und Nordafrika. Bis zum Juni dieses Jahres werden es 1,1 Millionen Flüchtlinge sein.
Vor diesem Hintergrund danke ich der Bundesregierung für die bisher geleistete große Hilfe, die zuletzt im
Rahmen der Geberkonferenz Ende Januar in Kuwait
um 10 Millionen Euro aufgestockt worden ist. Und
heute hat das Auswärtige Amt mitgeteilt, weitere
5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Syrien bereitzustellen. Insgesamt hat die Bundesregierung seit
Beginn der Krise Hilfe in Höhe von 118 Millionen
Euro geleistet. Davon entfallen 68 Millionen Euro auf
humanitäre Hilfsmaßnahmen in Syrien und den Nachbarländern sowie rund 50 Millionen Euro für strukturbildende Übergangshilfen und bilaterale Hilfe. Damit
ist Deutschland international der größte Geber.
Für dieses außerordentliche Engagement können
wir alle dankbar sein. In diesem Zusammenhang will
ich die hervorragende Arbeit unterstreichen, die zum
Beispiel in Flüchtlingslagern an der Grenze Syriens
vom THW geleistet wird. Mein Dank gilt auch den
Anrainerstaaten, die die syrischen Flüchtlinge bereitwillig aufnehmen.
Dennoch sage ich: Wir müssen unsere Anstrengungen für die syrischen Flüchtlinge erhöhen. Wenn man
versucht, zu begreifen, welche Leidensgeschichten hinter all diesen Zahlen verborgen sind, wäre es für mich
unvorstellbar, nicht weitergehend zu handeln.
Es ist kein Geheimnis, dass wir Außenpolitiker fraktionsübergreifend und seit geraumer Zeit Bewegung in
der Frage der syrischen Flüchtlinge fordern. Herr
Polenz und die Sprecher aller Fraktionen haben sich
mehrfach zu diesem Thema geäußert. Allerdings gibt
es hier auseinandergehende Auffassungen, die teilweise in den unterschiedlichen fachpolitischen Perspektiven begründet liegen. Und bei aller Koalitionsdisziplin muss ich die Innenpolitiker der Union
ansprechen: Aus meiner Sicht könnten wir jetzt schon
mehr tun, ohne dass wir gesetzliche Änderungen vornehmen müssten.
Deshalb unterstütze ich den Vorschlag des
Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung,
Markus Löning, Menschen aus Syrien vermehrt die
Einreise zu ermöglichen, die Verwandte in Deutschland haben. Das Argument, das bisher gegen diese
Maßnahme sprechen soll, leuchtet mir nicht ein. Es ist
angesichts eines der weltweit grausamsten Kriege zynisch, zu sagen: Die könnten ja hier bleiben wollen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wir müssen uns zu
einem Akt der Menschlichkeit, der christlichen Nächstenliebe aufraffen. Wir könnten somit gleichzeitig ein
politisches Zeichen der Unterstützung setzen. In diesem Zusammenhang sollten wir vorangehen und uns
für eine europäische Kontingentlösung starkmachen,
die einen Verteilungsschlüssel zur Aufnahme der
Flüchtlinge vorgibt und die die anderen Mitgliedstaaten der EU nicht aus ihrer Verantwortung entlässt.
Es würde mich freuen, wenn sich Innenminister
Friedrich auf EU-Ebene dafür einsetzte - so wie es
sein Vorgänger Wolfgang Schäuble im Fall der irakischen Flüchtlinge auch getan hat.
Gleichwohl sage ich: Das Grundrecht auf Asyl
macht nicht an den Religionsgrenzen halt. Den Vorschlag, nur Christen aufzunehmen, halte ich für den
Vielvölkerstaat Syrien für brandgefährlich.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Aufarbeitung der
Verbrechen sagen. Wir begrüßen, dass sich der
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
in Syrien befassen wird. Diese Ankündigung kam nur
einen Tag nach den Forderungen der UN-Menschenrechtskommissarin an den Sicherheitsrat, endlich den
Strafgerichtshof in Den Haag einzuschalten. Das sind
wichtige erste Schritte, um mit der strafrechtlichen
Verfolgung der Täter zu beginnen; denn nur so können
wir einer gefährlichen Kultur der Straflosigkeit entgegentreten - selbst wenn dies angesichts der Konfliktlage viele Jahre in Anspruch nehmen wird.
Zu Protokoll gegebene Reden
Es ist längst überfällig, dass sich der Bundestag
ernsthaft und tiefer gehend - was er leider nicht tut mit der Lage in Syrien und der deutschen Syrien-Politik auseinandersetzt. Bislang sind zu diesem Thema
drei Anträge den parlamentarischen Gremien vorgelegt worden: Ein Antrag der Fraktion Die Linke, syrische Flüchtlinge in Deutschland und in Europa aufzunehmen, wurde abgelehnt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt
heute erneut, dass sich Deutschland für die Aufnahme
syrischer Flüchtlinge human und unbürokratisch öffnen soll. Ich hoffe, dass der grüne Antrag, dem meine
Fraktion zustimmen wird, nicht das gleiche Schicksal
erleidet wie der vorgenannte Antrag der Linken.
Zur politischen Situation in Syrien hat ausschließlich die Fraktion Die Linke einen umfassenden Antrag
vorgelegt. Dieser Antrag deckt sich in seinen Forderungen und Vorschlägen mit der grundsätzlichen Linie, die der Sonderbeauftragte der UN für Syrien, Herr
Lakhdar Brahimi, verfolgt. Er steht heute zur Abstimmung. Ich stelle fest: SPD, CDU/CSU und FDP haben
zu Syrien nichts zu sagen oder wollen sich schriftlich
nicht äußern.
Das Wichtigste, was für Die Linke im Vordergrund
steht: Es muss ein Weg gefunden werden, das tägliche
Morden in Syrien - der Bürgerkrieg hat mittlerweile
über 70 000 Menschen das Leben gekostet - zu beenden. Der einzig sinnvolle Weg in diese Richtung sind
Verhandlungen zwischen dem Präsidenten Syriens,
Baschar al-Assad, und/oder von ihm beauftragten Personen mit Gremien der Opposition. Die Linke hat darauf hingewirkt, dass an solchen Verhandlungen auch
die Teile der Opposition beteiligt werden, die ausdrücklich auf Gewalt verzichtet haben und in Syrien
für einen gewaltfreien Wandel aktiv sind. Gerade dieser Teil der politischen Opposition, mit dem wir sehr
eng zusammenarbeiten, steht derzeit unter einer doppelten Repression: unter der anhaltenden Repression
des Regimes und unter der Repression und Gewalttätigkeit anderer oppositioneller Gruppen, die immer extremistischer werden.
Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal: Es ist
doppelbödig und unglaubwürdig, wenn in Syrien die
Gruppen mit Geld und Waffen versorgt werden, auch
vom Westen, aber besonders aus Saudi-Arabien und
Katar, die in Mali mit Waffengewalt - auch vom Westen vertrieben wurden.
Die Regierung Assad hat Verhandlungen zugesagt
und offensichtlich die Bitte von Lakhdar Brahimi, für
diese Verhandlungen eine Person zu autorisieren, die
auch für die Gegenseite gesprächsfähig ist, aufgegriffen. Die „Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ und ihr Sprecher Muas
al-Chatib hat solchen Gesprächen zugestimmt, allerdings in den letzten Tagen diese Zustimmung unter
dem Druck der extremistischen Kräfte wieder relativiert. Von der Bundesregierung gibt es keinen Appell
- zum Beispiel im Rahmen der „Freunde Syriens“ - an
die oppositionellen Gruppen, in Verhandlungen einzuwilligen.
Die Bundesregierung lügt, wenn sie behauptet, den
Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen Lakhdar
Brahimi in seinen Bemühungen um einen Dialog und
einen Waffenstillstand zu unterstützen. Im Gegenteil:
Die Bundesregierung sabotiert die Bemühungen
Brahimis und trägt damit Mitverantwortung für die
Fortsetzung von Bürgerkrieg und Gewalt.
An keiner Stelle im Genfer Kommuniqué wird davon
gesprochen, dass der syrische Präsident Assad als
Preis für Verhandlungen zurückzutreten hat. Als Ziel
von Verhandlungen wird eine Waffenruhe, die zu einem
Waffenstillstand führen soll, definiert. In einem solchen Klima der Verhandlungen und des Dialoges soll
es zu einer Übergangsregierung kommen. Die Bundesregierung jedoch geht umgekehrt heran. Sie verlangt
den Rücktritt von Assad, bevor es zu Gesprächen kommen könne, und befördert, dass die vom Westen und
den Golfstaaten präferierte „Nationale Koalition der
syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ als
Übergangsregierung anerkannt und eingesetzt wird.
Zwei konkurrierende Regierungen aber spitzen den
Bürgerkrieg zu.
Ein wichtiger Punkt von Verhandlungen soll und
muss die Freilassung von Gefangenen auf beiden Seiten und eine Sicherheitsgarantie für die kurdischen
Gebiete sein. Ein Gefangenenaustausch - und der ist
dringend notwendig - muss sorgfältig verhandelt werden. Ich betreue in Syrien einen langjährigen Oppositionellen, der wegen seines Eintretens für Gewaltlosigkeit und Demokratie vom Regime verschleppt wurde
und in einer Einrichtung der syrischen Luftwaffe festgehalten wird. Abdel Asis al-Chair gehört zu den Mitbegründern und Repräsentanten des Nationalen Koordinierungskomitees für den demokratischen Wandel in
Syrien. Ich bitte die syrische Regierung zu verstehen,
dass es schwer ist, Gewaltlosigkeit als politisches und
ethisches Prinzip durchzuhalten und auf Verhandlungen zu bauen, wenn gleichzeitig Menschen, die das
vertreten, verschleppt und möglicherweise gefoltert
werden. Ich verlange, dass Abdel Asis al-Chair sofort
freigelassen wird und bitte alle Kolleginnen und Kollegen, mein Begehren zu unterstützen.
Halten wir noch einmal fest: Lakhdar Brahimi, die
UNO, Russland und China setzen auf ein Ende der Gewalt durch Verhandlungen. Die Bundesregierung setzt
auf einen militärischen Sieg der Aufständischen im
Bürgerkrieg und nimmt eine Verschärfung der Auseinandersetzungen und damit weitere Opfer in Kauf.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat die unterschiedlichen Grundlinien in der Syrien-Politik sehr
klug analysiert. Sie kommt zum Ergebnis, dass keine
der Seiten im syrischen Konflikt derzeit in der Lage ist,
die Situation militärisch für sich zu entscheiden, und
dass der Aufstand in Syrien längst enteignet und zu einem Stellvertreterkrieg gemacht wurde. In Syrien kreuZu Protokoll gegebene Reden
zen sich strategische Grundlinien einer neuen Verteilung von Macht und Einfluss nicht nur in der Region
des Nahen und Mittleren Ostens, sondern weitreichender bis nach Nordafrika und in den asiatischen Raum.
Es droht die Gefahr einer langanhaltenden blutigen
Auseinandersetzung, die letztlich zur Zerstörung des
syrischen Staates führen wird. Die realistische Alternative zu Assad ist gegenwärtig kein demokratisches
Syrien, sondern eine Zerstückelung des Landes in unterschiedliche Macht- und Herrschaftsbereiche. Was
tun in dieser Situation?
Die Stiftung Wissenschaft und Politik empfiehlt der
Bundesregierung, ihre Kraft auf humanitäre Hilfe für
die Bevölkerung zu konzentrieren. In den USA, aber
auch in Deutschland und damit auch in der EU nimmt
die Debatte zu, die „Aufständischen“ mit direkten
Waffenlieferungen zu unterstützen. Außenminister
Westerwelle fordert das noch verklausuliert, einzelne
Grünenpolitiker mittlerweile ganz offen. Waffenlieferungen nach Syrien, und zwar über die türkisch-syrische Grenze, sind mittlerweile ein ganz neues Konzept
grüner „Friedenspolitik“.
Es wäre ein geringer Trost, wenn man sich wenigstens in der Frage der humanitären Hilfe über Grundsätze einigen könnte. Humanitäre Hilfe soll, wo immer
es möglich ist, überparteilich geleistet werden. Das
entspricht den Prinzipien des Roten Kreuzes und des
Roten Halbmonds. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde jedoch diskutiert, humanitäre Hilfe gezielt nur in den sogenannten befreiten Gebieten zu leisten, sodass die Aufständischen „etwas vorzuweisen“
hätten. Keine Hilfe der Bundesregierung ging bisher in
die kurdischen Gebiete, kein Wunder, da der Bündnispartner Türkei in diesem Konflikt nicht an einem autonomen kurdischen Gebiet in einem syrischen Staatsverband interessiert ist.
Unerträglich jedoch ist die Heuchelei der Bundesregierung zur Nichtaufnahme von Flüchtlingen aus
Syrien. Mehr als 1 Million Menschen ist bisher aus
Syrien geflüchtet - vor allem nach Jordanien, in die
Türkei und in den Libanon. Allein nach Jordanien
flüchteten an einem Tag 20 000 Menschen, das ist
mehr als die gesamte EU seit Ausbruch des Konfliktes
in Syrien aufgenommen hat. Man verweigert syrischen
Bürgerinnen und Bürgern, die in Europa und auch in
Deutschland leben, das Nachholen von Familienangehörigen aus dem Bürgerkrieg und damit aus unmittelbarer Lebensgefahr. Im Auswärtigen Ausschuss waren
sich alle Fraktionen einig, dass dieser Heuchelei ein
Ende bereitet werden muss. Statt Krokodilstränen
brauchen Syrien und die politische Moral in unserem
Land aufrechte menschliche Hilfe. Wer dazu nicht bereit ist, soll den Menschen nicht erzählen, dass die Not
in Syrien unerträglich geworden sei.
Die grüne Bundestagsfraktion hat erneut einen Antrag zur Unterstützung und Aufnahme syrischer
Flüchtlinge in den Bundestag eingebracht. Hintergrund hierfür waren neben der dramatischen Menschenrechtssituation in Syrien auch Äußerungen von
Außenpolitikern der schwarz-gelben Regierung, die
sich für eine Aufnahme syrischer Flüchtlinge aussprechen.
Die humanitäre Situation in Syrien verschlechtert
sich zunehmend. 4 Millionen Menschen sind nach Angaben der UNO auf Hilfslieferungen angewiesen. Fast
70 000 Menschen sind ums Leben gekommen. Zehntausende wurden verhaftet oder gelten als vermisst.
Laut UNHCR-Angaben vom 27. Februar 2013 sind bereits 940 000 Menschen in benachbarte Länder geflohen - davon zwei Drittel Frauen und Kinder -, seitdem
die Revolte gegen Staatschef Assad im März 2011 begann. Pro weitere Woche des Krieges werden
40 000 Flüchtlinge in den Nachbarländern Jordanien,
Libanon und Türkei erwartet. Der Hohe Flüchtlingskommissar der UN, António Guterres, sprach in seiner
gestrigen Mitteilung davon, dass die Situation für die
Flüchtlingshelfer unlösbar zu werden droht.
Angesichts der Eskalation der Gewalt in Syrien und
der ständig steigenden Zahl der Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten muss Deutschland nicht nur weitere
Hilfe für die Anrainerstaaten bereitstellen, sondern
auch syrische Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen.
Es ist zwar positiv, dass die Bundesregierung heute erneut 5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für notleidende Syrer zur Verfügung gestellt hat.
Direkte Unterstützung muss die Bundesregierung
aber auch durch die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen aus den Nachbarländern Syriens leisten. Das
wäre ein Zeichen der Solidarität für syrische Flüchtlinge und die Nachbarländer, die mit der Aufnahme
der Flüchtlinge an ihre Grenzen stoßen. Es ist an der
Zeit, dass sich die Bundesregierung hier auch deutlich
gegenüber den europäischen Mitgliedstaaten für eine
Aufnahme eines größeren Kontingents starkmacht und
selbst mit gutem Beispiel vorangeht.
Es häufen sich Hilfeersuchen verzweifelter in
Deutschland lebender syrischer Staatsangehöriger, die
keine Möglichkeit haben, Verwandte zu sich zu holen.
Grund hierfür sind die strengen Vorgaben beim Familiennachzug, die eine Einreise nur für die „Kernfamilie“ - dies sind Ehegatten und minderjährige Kinder
anerkannter Flüchtlinge und Asylberechtigter - zulassen. Bei anderen Schutzberechtigten ist der Nachzug
selbst von Ehegatten und minderjährigen Kindern in
aller Regel ausgeschlossen. Der Nachzug weiterer
Verwandter wie erwachsener Kinder, Geschwister
oder Eltern zu ihren in Deutschland lebenden Angehörigen ist unabhängig von deren Status nahezu ausgeschlossen.
Auch deutschen Staatsangehörigen syrischer Abstammung gelingt es kaum, Verwandte nach Deutschland zu holen, selbst wenn die Finanzierung des Aufenthalts gesichert ist. Denn ein Visum wird regelmäßig
unter Hinweis auf eine Rückkehrprognose und manZu Protokoll gegebene Reden
gelnde Verwurzelung der Antragsteller im Heimatland
abgelehnt. Vor diesem Hintergrund muss in Bezug auf
syrische Staatsangehörige dringend eine Lösung außerhalb der strengen Regelungen zum Familiennachzug gefunden werden. Die Anordnung des Auswärtigen
Amtes vom 12. Oktober 2012 in Bezug auf Erleichterungen beim Erfordernis des Nachweises ausreichender deutscher Sprachkenntnisse für den Familiennachzug reicht hier bei weitem nicht aus.
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNHCR, hat bereits mehrfach an die Innenminister von Bund und Ländern appelliert, syrischen
Flüchtlingen in Deutschland den Nachzug von Familienangehörigen aus der Region unabhängig vom Vorliegen der auf nationaler oder europarechtlicher
Ebene geregelten Familiennachzugsvoraussetzungen
zu erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Appell
nun endlich erhört wird.
Auch für die bereits in Deutschland aufgenommenen Syrerinnen und Syrer muss die Situation verbessert werden. Die Innenminister der Länder haben sich
mit dem Bundesinnenminister zwar darauf verständigt,
den Abschiebungsstopp für Syrien zu verlängern.
Eigentlich stünde damit geduldeten Flüchtlingen aus
Syrien laut Gesetz eine Aufenthaltserlaubnis zu. Nach
dem Beschluss der Innenministerien sollen sie aber
weiterhin lediglich Duldungen bekommen - hier muss
dringend nachgebessert werden.
In Anbetracht des immer brutaleren Vorgehens der
syrischen Regierung hat Deutschland den diplomatischen Druck auf diese erhöht. Dazu passt jedoch nicht,
dass das Anfang 2009 in Kraft getretene Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und Syrien weiterhin in Kraft bleibt. Auch wenn derzeit praktisch
keine Rückführungen nach Syrien möglich sind, ist
eine unverzügliche Aufkündigung des Rückübernahmeabkommens dringend erforderlich, da es jegliches
menschenrechtliche Fundament vermissen lässt. Das
Festhalten an dem Abkommen verleiht dem derzeitigen
Regime Assads den Anschein völkerrechtlicher Anerkennung und sendet zudem ein falsches Signal an eine
künftige syrische Staatsführung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12243, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11697 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPDFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12496 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 17/12046, 17/12302 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 17/12529 Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Kerstin Tack
Dr. Kirsten Tackmann
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Mit dem vorgelegten Gesetz zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften ist es uns wichtig, den Spagat
zu meistern: Umsetzung des Urteils des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte und weiterhin Sicherung der vorbildlichen Bejagung im Rahmen der Jagdgenossenschaften und Eigenjagden.
Die Mehrheit der Sachverständigen der öffentlichen
Anhörung in der vorletzten Woche hat uns eindrucksvoll bestätigt, dass dies mit dem vorgelegten Gesetzentwurf sehr gut gelungen ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
EGMR, hat in einem im Juni verkündeten Urteil entschieden, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt. Es geht dabei um Fälle, in denen ein
Grundstückseigentümer trotz entgegenstehender ethischer Motive ausnahmslos gesetzlich zur Duldung der
Jagd verpflichtet ist. Der EGMR sah darin eine unverhältnismäßige Belastung.
Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs
stellte fest, dass die gesetzliche Mitgliedschaft in einer
Jagdgenossenschaft das Grundrecht auf Schutz des
Eigentums verletze. Allerdings hat das Gericht auch
festgestellt, dass die flächendeckende Bejagung nicht
grundsätzlich unvereinbar mit der Menschenrechtskonvention sei.
Der hier vorgelegte Gesetzentwurf trägt dem Rechnung, indem betroffenen Grundeigentümern künftig
ein Anspruch auf Einrichtung eines befriedeten Bezirks gewährt wird, in dem die Jagd ruht. Wir haben
dies an klar formulierte Bedingungen geknüpft: Es ist
hierzu notwendig, einen Antrag zu stellen.
Der Grundeigentümer muss dabei glaubhaft versichern, dass er die Jagd aus ethischen Gründen grundsätzlich ablehnt. Dies kann zum Beispiel durch eidesstattliche Versicherung erfolgen.
Hier liegt auch begründet, dass lediglich natürliche
Personen einen Antrag auf Befriedung stellen können.
Juristische Personen - beispielsweise Verbände, Gruppen, Stiftungen - haben grundsätzlich kein Gewissen
und können daher auch keine ethischen Motive anführen.
Der Entscheidung über den Antrag muss eine Anhörung vorausgehen. Die schützenswerten Belange des
Antragstellers, Ablehnung der Jagd aus ethischen
Gründen, müssen in diesem Rahmen mit wichtigen Gemeinwohlbelangen und Interessen Dritter, insbesondere angrenzender Grundeigentümer abgewogen werden. Dazu gehören: Erhaltung eines artenreichen und
gesunden Wildbestands, Schutz vor übermäßigen Wildschäden, Naturschutz und Landschaftspflege, Schutz
vor Tierseuchen und die Abwendung von Gefahren für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Die Befriedung wird im Erfolgsfall des Antrags in
der Regel räumlich und zeitlich beschränkt genehmigt.
In jedem Fall ist die Befriedung an die Pachtlaufzeit
gekoppelt. Die Entscheidungskompetenzen liegen vor
Ort, in den Kreisen, bei den unteren Jagdbehörden.
Hierzu duften wir in der Anhörung erfahren, dass
wir mit dem Gesetzentwurf für die Entscheidungen auf
Bewilligung des Antrags einen guten Rahmenkalatog
mitgeben. Neben der ohne Zweifel vorbildlichen Umsetzung des Urteils ist in diesem Zusammenhang weiterhin Folgendes festzustellen: Das System der Jagdgenossenschaften und das Reviersystem sind bewährt.
Auch hier gaben die Sachverständigen uns recht. Andere Länder beneiden uns um dieses System.
Das Reviersystem hat dazu geführt, dass die heimischen Wildarten aufgrund des jagdlichen Artenschutzes erhalten wurden. Der Wildbestand wird so nachhaltig bejagt. Der Revierinhaber übernimmt eine
persönliche Verantwortung für das Wildmanagement.
Ein Flickenteppich in der Bejagung ist von uns nicht
gewünscht. Und er wäre auch kontraproduktiv
hinsichtlich der Artenvielfalt und der Gesundheit des
Wildes.
Die Zusammenfassung von einzelnen Grundstücken
in der Jagdgenossenschaft ist zur Verwirklichung der
Hegeziele zwingend. Wild macht nicht an Grundstücksgrenzen halt. Daher sind die Auswirkungen von
Hegemaßnahmen auch nicht auf das einzelne Grundstück zu beschränken. Gesetzlich zu regeln war in diesem Zusammenhang auch die Frage der Haftung. Auf
befriedeten Flächen kann Wild sich einen Rückzugsraum schaffen. Diese Rückzugsräume können aus
wildbiologischer Sicht sinnvoll sein. Wo dies der Fall
ist, gibt es sie auch.
Keinesfalls können aber ethische Gründe dafür entscheidend sein, wo ein wildbiologisch geeigneter
Rückzugsraum zu finden ist. Hierzu haben wir Folgendes in den Gesetzesvorschlag aufgenommen: Eigentümer befriedeter Bezirke sollen zur Wildschadenshaftung in ihrem Jagdbezirk verpflichtet werden.
Dies wurde von der großen Mehrheit der Sachverständigen als angemessen bewertet. Denn das Grundstück bildet genauso einen Lebensraum für das Wild
wie die bejagten Grundstücke im Jagdbezirk. Auch sahen die Sachverständigen in der Frage der Haftung
der Eigentümer des befriedeten Bezirks keine unverhältnismäßigen Hürden für die Wahrnehmung der
Grundrechte. Auch und vor allem die Jagdausübung
unserer Jäger wird über Deutschlands Grenzen hinaus
positiv bewertet.
Der Dank der Union, aber auch mein ganz persönlicher Dank gilt unseren Jägern für ihre vorbildliche
Hege, den Jagdgenossenschaften mit einem hohen Anteil an diesem aufwändigen Einsatz und den Eigentümern, darunter viele Land- und Forstwirte, für ihre
auch gesamtgesellschaftlichen Leistungen.
Besonders wichtig war es uns auch, das Zusammenspiel von Wald und Wild im Blick zu behalten. Hier haben wir bereits in der Waldstrategie 2020 einen Weg
festgelegt. Von uns wurde in der Waldstrategie formuliert:
„Die Wildbestände sind so zu regulieren, dass eine
natürliche Verjüngung aller Hauptbaumarten ohne
Zaun möglich wird. Die Abschusspläne sind im Hinblick auf das Management der Schalenwildpopulationen an die regionalen/örtlichen Gegebenheiten anzupassen.“
Die Jagd dient einer nachhaltigen Forstwirtschaft
im besonderen Maße. Einer der geladenen Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung hat einen auch
für mich sehr interessanten Satz geprägt: „Jagd ist
Dienstleistung am Wald.“ Wald und Wild gehören zusammen. Wald ist Lebensraum für viele Tierarten einschließlich der jagdbaren Arten. Im Bundesjagdgesetz
ist festgelegt, dass die Jagd einen gesunden, artenreichen Wildbestand erhalten und seine Lebensgrundlagen pflegen und sichern soll.
In den deutschen Wäldern sind Reh-, Rot- und
Schwarzwild die flächenmäßig am häufigsten vorkommenden Schalenwildarten. Die Jagdstrecken bei diesen Arten sind in den letzten 40 Jahren stark angestiegen, um drohende Verbissschäden im Wald und die
Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen zurückzudrängen.
Das Bundesjagdgesetz setzt einen klaren rechtlichen Rahmen für die Erreichung der gesellschaftlichen Ziele im Bezug auf Feld, Wald und Wild: Das
Wild ist zu hegen. Die Hege muss dabei so durchgeführt werden, dass insbesondere Wildschäden möglichst vermieden werden. Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf, über den es nun abzustimmen gilt, ist
es gelungen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte umzusetzen, die Bewahrung des
Eigentums zu schützen, Tierseuchen vorzubeugen, einer vorbildlichen Hege weiterhin den Weg zu ebnen
und damit die umfangreiche Artenvielfalt weiter zu
schützen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wer die Jagd als politischen Inhalt anpackt, der
merkt schnell, was für ein heißes Eisen er da in der
Hand hält. Da fliegen die Blattschüsse meist in indirekten statt in direkt geführten Diskussionen nur so hin
und her. Von „Befriedigung der Mordlust“ von Jägern
ist da die Rede, und Jagdgegnern wird im Internet angedroht, dass ihre Schonzeit vorbei sei. Es sind solche
Formulierungen, die eine bestimmte Haltung suggerieren und Missverständnisse provozieren. Die Debatte um die Jagd wird höchst emotional geführt. Ich
habe selten politische Inhalte erlebt, die so stark polarisieren wie die Debatte zwischen Jagdgegnern und
Jagdfreunden. Emotionen machen eine vernünftige
Diskussion aber unmöglich.
Ich halte nichts von solch einer Kategorisierung,
und ich pflege auch keine Gegnerschaft oder gar
Feindbilder. Es bringt doch nichts, wenn eine Meute
die andere hetzt. Die SPD-Bundestagsfraktion will
auch in der Jagdpolitik eine an der Sache orientierte
Politik machen. Wir wollen nicht der schnellen Versuchung der Polarisierung erliegen. Als zuständige Abgeordnete höre ich zunächst einmal zu und setze mich
mit gegenläufigen Positionen auseinander. Und ich
gebe offen zu, dass sich in der Positionierung der SPD
zur Jagd in den letzten Jahren einiges gewendet hat,
wie ich finde zum Positiven.
Grundsätzlich: Die SPD will die Jagd nicht abschaffen und setzt auch weiterhin auf das Reviersystem. Über alles andere können und müssen wir reden.
Jäger übernehmen Verantwortung für Mensch und Natur. Naturschutz, wie wir ihn in einer vom Menschen
gehegten und gepflegten Kulturlandschaft verstehen,
braucht den Jäger. Das unterschreibt die SPD-Bundestagsfraktion sofort.
Wir sind allerdings sehr dafür, dass auch die Jäger
mit der Zeit gehen. Eine Gruppe innerhalb einer Gesellschaft, die auf Tradition beharrt und ihre Passion
dem gesellschaftlichen Wandel nicht anpassen will,
bleibt zurück. Wer heute noch jagen will wie zu Karl
Mays Zeiten, mag sich als Romantiker sehen. Tatsächlich zieht er vielfach den Zorn von Bürgerinnen und
Bürgern auf sich.
Einer dieser Bürger hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt. So war die Bundesregierung durch das Urteil vom 26. Juni 2012 des
EGMR gefordert. Nach deutschem Recht ist jeder Besitzer kleiner Wald- und Flurstücke bis 75 Hektar
Zwangsmitglied in einer Jagdgenossenschaft. Das
EGMR-Urteil besagt, dass keiner die Jagd auf eigenem Land dulden müsse. Die Pflicht zur Duldung der
Jagd ist unvereinbar mit der europäischen Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Nach Ansicht des Gerichtshofes verstößt die Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft gegen den Schutz des
Eigentums, der in der Konvention verankert ist.
Nach dem Urteil galt es für den Gesetzgeber sowohl
zwischen den Bedürfnissen der Gemeinschaft und der
ethischen Überzeugung des Grundstücksbesitzers als
auch zwischen den Interessen des Jagdfreunds und des
Jagdgegners abzuwägen. Keine leichte Aufgabe unter
den zuvor skizzierten Bedingungen! In Straßburg hat
die Bundesrepublik verloren, und so war es folgerichtig, dass hier der Bundesgesetzgeber die Fäden in die
Hand nimmt und für alle 16 Bundesländer eine einheitliche Regelung schafft. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften zeigt
Lösungen auf, die den unterschiedlichen Belangen entsprechen. Das war auch der Tenor der Sachverständigen in der Anhörung am 20. Februar 2013 im ELVAusschuss. Daher wird die SPD-Bundestagsfraktion
diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Die Einzelheiten der Umsetzung werden sich in der
Praxis zeigen, und ja, notfalls auch auf dem rechtsstaatlichen Weg. Ich setze bei den nun anlaufenden
Verfahren zur Befriedung von Flächen auf Verständigung und Kooperation unter allen Beteiligten. Es ist
wichtig, dass die ethische Befriedung der Jagd ermöglicht wird. Und es muss ebenfalls möglich sein, eine
Befriedung im Interesse des gemeinschaftlichen Wohls
zu untersagen bzw. einzuschränken. Die SPD-Bundestagsfraktion hat Vertrauen in die Arbeit der Obersten
und Unteren Jagdbehörden der Länder. Sie werden ihrer Verantwortung gerecht werden. Daher war es uns
ein Anliegen, zur Anhörung einen Vertreter der Landesbehörde von Mecklenburg-Vorpommern einzuladen. Die Bundesregierung hat einen passablen Entwurf vorgelegt; es liegt aber nun bei den Frauen und
Männern in den Behörden, diesen umzusetzen. Wir
weisen ihnen damit keine behagliche Aufgabe zu.
Viele Fragen bleiben auch nach der Anhörung im
Ausschuss offen: Wie geht es generell weiter mit dem
Bundesjagdgesetz? Für die SPD-Bundestagsfraktion
muss sich eine zeitgemäße und naturnahe Jagd an ökologischen Prinzipien ausrichten und den Erfordernissen des Tierschutzes gerecht werden. Nur auf diesem
Weg verleihen wir ihr die dringend nötige gesellschaftliche Akzeptanz. Wir müssen hinsichtlich der jagdlichen Anforderungen bundeseinheitliche Ausbildungsund Prüfungsstandards bei der Schießausbildung
implementieren und sicherstellen, dass die Schießfertigkeit auch nach der Jägerprüfung fortbesteht und
hinreichend erhalten wird. Wer in 14 Tagen einen
Jagdschein ablegt, ist doch meilenweit von den Kenntnissen und Fähigkeiten eines Berufsjägers nach dreijähriger Ausbildung entfernt. Diese Angebote sind gefährlich.
Ein bundesweites Verbot bleihaltiger Munition steht
ebenfalls noch aus. Die Bundesregierung ist weiterhin
in der Verantwortung, das Bundesjagdgesetz zu modernisieren. Es ist nur recht und billig, das Jagdrecht
im Interesse von Mensch und Tier dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen.
Wir brauchen darüber hinaus einen ambitionierten
jagdpolitischen Dialog, der vom Bund angestoßen und
Zu Protokoll gegebene Reden
geleitet wird. Warum nutzen beispielsweise noch nicht
alle Länder ihre Spielräume nach der Föderalismusreform in den Landeswaldgesetzen so vorbildlich wie
Rheinland-Pfalz? Weshalb ist der Zaunbau offensichtlich immer noch lohnender als eine Bejagung, die
Wald mit Wild zulässt? Auch mit anderen Landnutzern
muss gesprochen werden: Wer immer nur Monokulturen wie Mais auf dem Acker zulässt, braucht sich über
das Schwarzwild im Feld nicht zu wundern. Und
weshalb gelingt es den Forstwirtinnen und den Forstwirten in den staatlichen Forstverwaltungen immer
weniger, ihre jagdlichen Aufgaben wahrzunehmen?
Das alles sind hochspannende Fragen, zu deren Klärung wir auch in diesem Haus beitragen sollten.
Die Achtung der Eigentumsrechte ist Teil unserer
Grundordnung. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte, EGMR, hat mit seinem Urteil vom
26. Juni 2012 die Eigentumsrechte von Grundeigentümern gestärkt. Grundeigentümer können nach diesem
Urteil die Mitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft
ablehnen und ihre Grundstücke zum befriedeten Bezirk
erklären lassen, in dem Jagd verboten ist, wenn sie für
diese Entscheidung ethische Gründe glaubhaft machen.
Dieses Gerichtsurteil macht eine Änderung unseres
Jagdgesetzes erforderlich. Ich freue mich, dass unser
Gesetzentwurf bei der Beratung im Ausschuss eine so
weitgehende Zustimmung auch vonseiten der Opposition erfahren hat. Die Zustimmung entspricht dem Ergebnis der Anhörung. Sie ist Ausdruck der Einsicht der
überwiegenden Mehrheit im Deutschen Bundestag in
die Notwendigkeit der Jagd.
Wir leben in einer Kulturlandschaft, die weitgehend
von den menschlichen Ansprüchen an die Natur geprägt ist. Wir beobachten, dass in vielen Regionen
hohe Wildbestände dazu führen, dass in den Wäldern
junge Forstpflanzen geschädigt und in der Landwirtschaft Wiesen und insbesondere Maisbestände in Teilen
durch Wildschweine zerstört werden. Die hohe Wilddichte führt angesichts zerschnittener Lebensräume zu
einer hohen Zahl von Unfällen mit Wildtieren. Die
Zahl der pro Jahr im Straßenverkehr verendeten Wildtiere liegt im Schnitt der Jahre bei etwa 240 000. Darunter sind etwa 200 000 Rehe. Nach Angaben des
ADAC wurden etwa 2 800 Menschen bei Wildtierunfällen verletzt; etwa 10 starben.
Deshalb können Wildtierbestände bei uns nicht sich
selbst überlassen werden, wie dies in unbewohnten Regionen in Sibirien oder Kanada möglich ist. Bei uns ist
ein Wildtiermanagement erforderlich. Eine nachhaltige und sachgerechte Waldbewirtschaftung ist nur mit
angepassten, durch Jagd und Hegemaßnahmen regulierten Tierbeständen möglich.
Vor diesem Hintergrund gilt es, das Gerichtsurteil
des EGMR angemessen und unter Berücksichtigung
der verschiedenen Interessen in deutsches Recht umzusetzen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ermöglicht es Grundstückseigentümern auf Antrag, ihr
Grundstück zum befriedeten Bezirk erklären zu lassen,
das von der Jagd ausgenommen wird, und trägt gleichzeitig der Tatsache Rechnung, dass das Ruhen der
Jagd auf einzelnen Flächen Auswirkungen auch auf
andere Betroffene und die Natur haben kann. Der Entwurf stellt zu Recht fest, dass wildbiologisch gesehen
das Risiko von Wildschäden durch erhöhte Wildbestände bei einer Zunahme der befriedeten Flächen ansteigt.
Der vorgelegte Gesetzentwurf wahrt die Balance
zwischen den Interessen von Grundeigentümern, die
die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, und den Interessen der Allgemeinheit. Dies haben die Experten
aus Wissenschaft, Umwelt- und Jagdverbänden in der
Anhörung der Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einhellig bestätigt. Die
Hürden für eine Befriedung von Grundstücken aus
ethischen Gründen sind hoch, aber sie sind nachvollziehbar und gut begründet. Die Eigentumsrechte Dritter werden ebenso wie Seuchen- und Tierschutzaspekte
oder Belange des Naturschutzes gegenüber den Vorgaben des EGMR angemessen berücksichtigt. Das sind
keine leeren Floskeln. Wildschweine zum Beispiel bilden ein Reservoir für die Schweinepest, einer gefährlichen Viruserkrankung bei Schweinen. Weiterhin ist
eine finanzielle Beteiligung der Grundstückseigentümer, die auf ihren Flächen keine Jagd dulden wollen,
rechtlich geboten. Damit wird dem Antragsteller die
Wahrnehmung seiner Menschenrechte nicht verbaut.
Die Beteiligung soll sicherstellen, dass dadurch die
- grundrechtlich geschützten - Rechte Dritter und das
überwiegende Interesse der Allgemeinheit gewahrt
werden.
Uns ist bewusst, dass es Menschen gibt, die die Jagd
total ablehnen. Aber ist diese Haltung ethisch wirklich
verantwortbar? Ich bitte diese Menschen, sich über
Wildschäden zu informieren und Vorschläge zu machen, wie diese anders als durch Bewirtschaftung der
Wildbestände - ein Instrument ist die Jagd - vermieden werden können.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vollzieht völlig überraschend in ihrer Waldpolitik eine vollständige
Kehrtwendung. Bisher ist sie für die natürliche Sukzession im Wald eingetreten. Voraussetzung dafür sind
waldgerechte Wildbestände. Das ist vorbei. Vor dem
Hintergrund des Gerichtsurteils des EGMR hat sie
diese Position verlassen. Sie will laut ihrem Entschließungsantrag die für eine Befriedung erforderlichen
Bedingungen deutlich aufweichen und damit Jagd erschweren. Das Ziel waldgerechter Wildbestände hat
sie aus den Augen verloren. Das ist Opportunismus gegenüber Jagdkritikern und sachlich nicht zu begründen. Dies gilt insbesondere für ihre Forderung, juristischen Personen und Eigenjagdbesitzern das Recht zur
Befriedung aus ethischen Gründen zu gewähren. Es
erschließt sich außerdem nicht, wie juristische Personen, also Gemeinden, Stiftungen oder Vereine ethische
Beweggründe glauben machen wollen. Ein Gewissen
haben nur natürliche Personen. Ist es das Ziel der
Zu Protokoll gegebene Reden
Grünen, dass künftig jeder Gemeinderat oder jede
Stadtverordnetenversammlung Jagd auf ihren Flächen
verbieten kann? Der Vorschlag der Grünen begünstigt
Wald-Wild-Konflikte und ist aus Umwelt- und Naturschutzgründen völlig abwegig.
Die FDP stimmt dem Gesetzentwurf zur Änderung
des Jagdgesetzes zu. Wir lehnen den argumentativ wenig überzeugenden Änderungsvorschlag ab.
Die Linksfraktion steht für eine naturnahe Waldbewirtschaftung. Das gilt sowohl für die Forstwirtschaft
als auch für die Jagd. „Jagd ist Dienstleistung am
Wald“, hat der Sachverständige Dietrich Mehl von der
Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft in
der Anhörung zur Novelle des Bundesjagdgesetzes am
20. Februar 2013 gesagt. Das sehe ich auch so.
Die Linke will aber keine Jagd als elitäres Vergnügen betuchter, älterer Herren, obwohl sie das manchmal ist. Wir wollen, dass die Jagd im Interesse des Gemeinwohls und tierschutzgerecht ausgeübt wird, von
einer Jägerschaft, die breit in der Gesellschaft und in
den Dörfern und kleinen Städten verankert ist und die
ihre jagdliche Funktion als Teil des Ökosystems Kulturlandschaft definiert, in dem der Mensch große Beutegreifer wie Wölfe, Braunbären oder Luchse nahezu
ausgerottet hat.
Um das Ziel einer naturnahen Waldbewirtschaftung
zu erreichen, müsste sich an der Jagdpraxis und teilweise auch den gesetzlichen Grundlagen einiges
ändern. Ob dies besser auf Bundes- oder auf Landesebene zu ändern ist, da scheiden sich die Waldgeister.
Vermutlich liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte:
Manches sollte auf Bundes- und anderes kann auf
Landesebene geregelt werden.
Es gäbe jedenfalls viele Gründe für eine umfassende Novelle des Bundesjagdgesetzes. Leider ist der
Gesetzentwurf kein umfassender Reformansatz, sondern lediglich eine notwendige Umsetzung eines Gerichtsurteils.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
EGMR, entschied am 26. Juni 2012, dass Bodeneigentümerinnen und -eigentümern die Möglichkeit eingeräumt werden muss, das Jagen auf ihrem Grundstück
verbieten zu können. Nach Ansicht des Gerichtes verstößt die aktuelle deutsche Gesetzgebung gegen Art. 1
Protokoll Nr. 1 ({0}) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eigentümer von
Grundstücken unter 75 Hektar sind automatisch Mitglied in einer Jagdgenossenschaft und müssen bisher
die Jagd auf ihren Flächen dulden, auch wenn sie das
nicht wollen. Entgegen der Hoffnung einiger Hundert
Jagdgegnerinnen und -gegner, die sich in den vergangenen Wochen per Mail auch an mein Büro gewandt
haben, begründet das Urteil des EGMR kein Recht auf
Befriedung.
So oder so muss das EGMR-Urteil natürlich in
deutsches Recht umgesetzt werden, und wir können in
Zukunft von einigen jagdfreien Flächen ausgehen.
Die Linke respektiert selbstverständlich diese
Rechtslage. Wer Jagd aus ethischen Gründen ablehnt,
muss die Möglichkeit haben, diese auch mit in die
Waagschale zu werfen. Allerdings gibt es weitere Betroffene von dieser Entscheidung. Das ist auch in der
Anhörung diskutiert worden. Dabei geht es nicht nur
um die Flächenbewirtschafter wie Land- oder Forstwirtschaft, sondern - und für uns als Linke besonders
wichtig zu berücksichtigen - auch um das Gemeinwohl. Eigentum muss nach Art. 14 des Grundgesetzes
zum Gemeinwohl verwendet werden. Das ist eine der
sogenannten Ewigkeitsklauseln unserer Verfassung.
Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, brauchen
wir eine bessere gesellschaftliche Legitimation der
Jagd. Denn die Ablehnung der Jagd hat ja teilweise
auch mit berechtigter Kritik zu tun. Und wahr ist ja
auch, dass trotz Jagd die Schalenwildbestände - Rehe,
Hirsche, Wildschweine - vielerorts historisch hoch
sind. Die Ursachen dafür müssen ebenso sachlich diskutiert werden wie wildbiologisch begründete Maßnahmen zur Lösung des Problems. Dabei kann eine effektive Jagd auch nur ein Baustein in einer vielfältigen
Strategie sein.
Jagdfreie Grundstücke sollten eine begründete Ausnahme sein. Sie erschweren eine wirkungsvolle, naturnahe Bejagung und damit auch eine naturnahe Waldbewirtschaftung. Beispielsweise werden Drückjagden
durch befriedete Flächen in den Revieren erheblich
schwieriger und unsicherer. Weder großflächige noch
ein Mosaik aus vielen jagdfreien Flächen dienen einer
naturnahen Waldbewirtschaftung. Die flächendeckende
Bejagung macht Sinn, auch wenn sowohl ihre Ausübung als auch die damit einhergehende Jagdkultur
hier und da kritisierenswert sind. Über berechtigte
Kritik muss dringend gesprochen werden. Daher haben wir auch die Anhörung zum Gesetzentwurf im
Agrarausschuss des Bundestages zusammen mit der
SPD und den Grünen beantragt.
Die Linksfraktion hat sich bereits vor einigen Wochen intensiv mit dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt. So haben wir zum Beispiel in einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung zur Änderung jagdlicher
Vorschriften befragt ({1}). Die heute vorgeschlagenen Änderungsvorschläge zum Bundesjagdgesetz halte ich für
angemessen. Die Ablehnung der Jagd aus ethischen
Gründen steht nun einmal Gemeinschaftsinteressen
wie Waldumbau, Arten- oder Tierschutz gegenüber.
Damit wird den Behörden eine Interessenabwägung in
die Hände gelegt. Diese ist vor allem dann sorgfältig
durchzuführen, wenn einerseits mehrere Anträge in einem Revier vorliegen oder andererseits die herauszunehmende Fläche von zentraler Bedeutung für die
jagdliche Funktionalität des Revieres ist. Dass nur natürliche Personen antragsberechtigt sind, halte ich für
Zu Protokoll gegebene Reden
angemessen. Die ethische Entscheidungsgrundlage juristischer Personen wäre nur sehr schwer zu belegen.
Gegebenenfalls muss dies juristisch entschieden werden.
Die Linksfraktion stimmt dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zu. Wir hätten gerne noch den Vorschlag des Bundesrates zum unbeabsichtigten Überjagen der Hunde aufgenommen, doch dies lässt sich ja
gegebenenfalls bei der nächsten Novelle des BJagdG
nachholen. Und diese sollte deutlich umfassender sein
als die heutigen Änderungen. Bis dahin müssen wir
weiter über die ursprünglich im Gesetzentwurf enthaltenen Wildtierfütterungsverbote oder Veränderungen
bei den Jagd- und Schonzeiten debattieren.
Wieso die grüne Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnt, ist mir unverständlich, unterstützt er doch das
Ziel einer naturnahen Waldbewirtschaftung, die ihr
sonst so wichtig ist. Gleichzeitig kritisiert sie, dass zur
Anhörung keine Tierschutzverbände eingeladen wurden. Die Expertinnen und Experten für die Anhörungen werden aber nach Größenproporz von den Fraktionen benannt. Die grüne Fraktion hatte es also selbst
in der Hand, einen Tierschutzverband zu benennen.
Sich öffentlich nun über das Fehlen zu empören, ist
scheinheilig.
Ich bin keine Jagdgegnerin, sondern ich stehe auf
dem Standpunkt, dass eine effektive Jagd insbesondere
im Interesse einer naturnahen Waldwirtschaft, aber
auch der Landwirtschaft in Deutschland aktuell erforderlich und legitim ist. Trotzdem bin ich der Meinung,
dass das EGMR-Urteil zur Zwangsmitgliedschaft in
Jagdgenossenschaften zu achten und ohne Wenn und
Aber und ohne den Versuch umzusetzen ist, es ins
Leere laufen zu lassen. Und gleichzeitig bin ich der
Meinung, dass die Landnutzung in Deutschland dieses
Stück Liberalisierung des Jagdrechts vertragen würde.
Der von der schwarz-gelben Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf jedoch dient, das ist sehr offensichtlich, in erster Linie dem Interesse, eine flächendeckende Bejagung sicherzustellen und den Jagdgegnern
deshalb die ethische Befriedung ihrer Grundstücke
und damit die Wahrnehmung ihrer Grund- und Menschenrechte so schwer wie möglich zu machen. Der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser wurde
mit dem - in einem Gespräch mit einer Jagdgegnerin
geäußerten - Satz zitiert, genau das sei auch die Absicht der Bundesregierung. Mir ist nicht bekannt, dass
er das mittlerweile dementiert hätte.
Was wir im Einzelnen kritisieren: Befriedungsanträge aus ethischen Gründen können unter Verweis auf
vielfältige Gründe abgelehnt werden, und unter Verweis auf ebenso vielfältige Gründe kann Zwangsbejagung angeordnet werden. Eigenjagdbesitzer sind vom
Gesetz ausgenommen, auch wenn sie verpflichtet sind,
Abschusspläne einzuhalten. Ebenfalls haben juristische Personen kein Recht, Befriedungsanträge zu stellen, auch wenn ihre Vereins- oder Stiftungssatzung eindeutige Aussagen zur Ablehnung der Jagd enthält. Das
dürfte beispielsweise für die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, deren Glauben die Ablehnung von
Jagd beinhaltet, oder eines Tierschutzvereins genauso
unzumutbar sein wie für jeden einzelnen Jagdgegner
mit ethischen Vorbehalten. So bleiben die ethisch befriedeten Grundstücke weiter Teil des Jagdbezirks, und
ihre Eigentümer müssen weiter für Wildschäden im gesamten Jagdbezirk haften, obwohl sie in der Jagdgenossenschaft keine Rechte mehr ausüben können.
Es ist offensichtlich, dass diese Regelungen den
Jagdgegnern reichlich Möglichkeiten für Klagen bieten. Und die werden sie mit absoluter Sicherheit nutzen. Das Thema Befriedung wird die Jägerschaft und
den Tierschutz noch sehr lange beschäftigen, und ich
bin mir sicher, dass die Jagdgegner weitere juristische
Erfolge erringen werden.
Am wahrscheinlichsten sind diese bei einer Regelung, die ich mir kaum hätte ausmalen können: So wird
laut Gesetzentwurf die ethische Befriedung erst zum
Ende des laufenden Jagdpachtvertrags in Kraft treten.
Dabei beträgt die gesetzliche Mindestpachtzeit für
Jagdpachtverträge neun Jahre. Wer bei besonders langer Wartezeit von der vorgesehen Ausnahmeregelung
Gebrauch machen möchte, muss die Jagdgenossenschaft entschädigen. Dass hier nicht einfach geregelt
wurde, dass die Befriedung zum Ende des laufenden
Jagdjahres in Kraft tritt, und die befriedete Fläche
dann aus dem Pachtpreis herauszurechnen ist, macht
die Intention dieses Gesetzentwurfes deutlich.
Auch wenn es im Interesse aller Beteiligten ist, dass
das EGMR-Urteil zeitnah umgesetzt wird, halte ich es
nicht für einen guten parlamentarischen Stil, dass die
Koalition über den Gesetzentwurf ohne vorherige parlamentarische Beratung entscheiden wollte. So haben
wir als Oppositionsfraktionen eine Anhörung im Ausschuss erzwungen. Eine Anhörung kann eine parlamentarische Debatte aber nicht ersetzen, sondern nur
ergänzen, weil eine Anhörung den Abgeordneten letztlich nur Fragen erlaubt, aber keinen Raum für
ausführliche Stellungnahme bietet. Trotz der recht einseitigen Zusammensetzung der Sachverständigen - es
waren nur Sachverständige aus der Jägerschaft vertreten - wurden einige Schwachpunkte des Gesetzentwurfes deutlich. So lässt dieser Gesetzentwurf zum Beispiel die Landwirte, die Flächen in ethisch befriedeten
Bezirken gepachtet haben, im Ungewissen darüber, ob
und von wem sie gegebenenfalls Wildschadensersatz
erhalten. Der Gesetzentwurf schweigt sich zu dieser
Frage aus. So wird es auf die Interpretation anderer
Formulierungen ankommen.
Die Regelung, dass Grundeigentümer ethisch befriedeter Bezirke keinen Wildschadensersatz geltend
machen können - was selbstverständlich eine richtige
Regelung ist, - scheint den Landwirten die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Wildschäden weiterhin gegenüber der Jagdgenossenschaft bzw. dem Jagdpächter
geltend machen zu können. Dass diese das akzeptieren
werden, ist jedoch mehr als fraglich; denn der
Zu Protokoll gegebene Reden
Jagdausübungsberechtigte hat ja keinerlei Möglichkeit, die Wildschäden auf diesen Grundstücken mit
jagdlichen Mitteln zu verhindern. Warum soll er dann
für diese Wildschäden haften? Hier werden voraussichtlich die Gerichte das letzte Wort haben. Mehrere
Sachverständige haben daher bei der Anhörung zu
Recht für die Wildschäden von Landpächtern eine
klare Regelung angemahnt. Aus unserer Sicht wäre es
nach dem Verursacherprinzip sachgerecht und notwendig gewesen, zu regeln, dass der Grundeigentümer
ethisch befriedeter Bezirke gegenüber dem Landpächter für Wildschäden haftet, sofern im Landpachtvertrag nichts anderes vereinbart ist. Denn er ist es, der
die Entscheidung über die Befriedung des Grundstückes zu verantworten hat.
Angesichts dieser genannten und zahlreicher anderer unzureichender Regelungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass das Gesetz beklagt
und die Umsetzung des EGMR-Urteils deshalb für längere Zeit infrage gestellt ist, lehnen wir Grünen den
Gesetzentwurf ab.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12529, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 17/12046 und 17/12302 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet
Kilic, Josef Philip Winkler, Dr. Konstantin von
Notz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des
assoziationsrechtlichen Rechtsstatus Staatsangehöriger der Türkei im Aufenthalts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht
- Drucksache 17/12193 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir
die Reden zu Protokoll.
Dieser Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zeigt Ihre ganze Doppelzüngigkeit, man kann auch sagen, Verlogenheit in der Ausländerpolitik. Seit Wochen
bestürmen uns gerade rot-grün regierte Städte, dass
wir ihnen seitens des Bundes helfen, mit der ungesteuerten Zuwanderung von Ausländern fertigzuwerden.
Es sind gerade auch grüne Sozialdezernenten, die auf
unhaltbare Zustände in Wohnungen, auf Integrationsprobleme von Kindern und wachsende Probleme im
Bereich des Ordnungs- und Strafrechts hinweisen.
Während uns diese Hilferufe von rot-grün regierten
Städten erreichen, bringen Sie hier einen Gesetzentwurf für eine ungesteuerte Zuwanderung von türkischen Staatsangehörigen in den Deutschen Bundestag
ein. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Integration
nicht nur widersprüchlich zu den Forderungen Ihrer
Kollegen in den Städten und Kommunen, sondern es ist
den bereits bei uns lebenden türkischen Mitbürgern
gegenüber völlig verantwortungslos.
Sie verhindern eine erfolgreiche Integrationspolitik,
wie sie CDU/CSU und FDP jetzt seit einigen Jahren
auf den Weg gebracht haben, und wollen zurück zu den
Zeiten von rot-grünen Bundesregierungen, als wir Parallelgesellschaften hatten, als wir eben gerade keine
Integration hatten und viele Probleme, die nicht zuletzt
auch dazu geführt haben, dass unsere deutschen Mitbürger es an Aufnahmebereitschaft haben fehlen lassen.
Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten mit den Menschen in den von ungesteuerter Zuwanderung betroffenen Städten intensiv darüber reden
müssen, ob wir, wie SPD und Grüne hier im Deutschen
Bundestag, uns weiter hilflos einer ungesteuerten Zuwanderung gegenübersehen, oder ob wir endlich handeln und geeignete Maßnahmen ergreifen, um Integrationspolitik erfolgreich in Deutschland durchsetzen zu
können und ungesteuerte Zuwanderung zu verhindern.
Das ist die Alternative, um die es auch in den kommenden Monaten geht.
Es ist abenteuerlich, dass Sie jetzt mit der Krücke
des EU-Assoziationsabkommens mit der Türkei versuchen, zahlreiche ideologische Vorstellungen zu verwirklichen, die wir hier bei anderer Gelegenheit im
Deutschen Bundestag schon mehrfach abgelehnt haben. Ich weise mit allem Nachdruck zurück, wenn die
Grünen den Mitarbeitern unserer Ausländer- und Ordnungsbehörden unterstellen, dass sie, wie es in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf heißt, unwillig sind,
Erfordernisse des Assoziationsabkommens umzusetzen.
Das Gegenteil ist wahr. Selbstverständlich ist das
Assoziationsabkommen mit der Türkei im Aufenthaltsgesetz umfassend berücksichtigt worden, und es wird
täglich von unseren Behörden auch angewandt. Außerdem gibt es zu Fragen des Assoziationsrechts regelmäReinhard Grindel
ßig bei der Besprechung der Ausländerreferenten des
Bundes und der Länder einen ausführlichen Abstimmungsprozess. Neben ständigen informellen Kontakten auf Arbeitsebene findet zu diesem Thema ein Erfahrungsaustausch der Ausländerbehörden großer
Städte und der Zuständigen in den Innenministerien
von Bund und Ländern statt. Auch hier ergaben sich
niemals Anzeichen für Probleme bei der Umsetzung
des Assoziationsrechts.
Hinzu kommt, dass Sie hier mit Ihrem Antrag Regelungen im Aufenthaltsrecht durchdrücken wollen, die
sich überhaupt nicht aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ergeben und schon gar nicht dafür
erforderlich sind. Sie fordern zum wiederholten Mal,
dass wir den Zuzug von Ehegatten zu Ausländern nach
Deutschland nicht mehr davon abhängig machen, dass
einfache Deutschkenntnisse beherrscht werden. Ich
habe es Ihnen schon neulich im Innenausschuss versucht klarzumachen. Reden Sie einmal mit den Leitern
der Goethe-Institute in vielen Ländern der Welt! Sie
haben immer wieder bestätigt, dass das Erlernen der
deutschen Sprache vor der Übersiedlung nach Deutschland großen Wert gerade für Frauen hat. Wir stärken
Frauen, wenn wir sie überhaupt erst einmal in die
Lage versetzen, ihr Recht in die Hand nehmen zu können, wenn sie zu uns nach Deutschland kommen.
Was nutzen bei der Frage der Zwangsverheiratung
die besten Beratungseinrichtungen, wenn es zum Beispiel einer Türkin eben schon an den Sprachkenntnissen mangelt, um überhaupt die Polizei anrufen zu
können, wenn sie in Not ist, geschweige denn mit Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle reden zu können.
Wir wissen gerade auch von den Experten der GoetheInstitute, dass es in einer Vielzahl von Fällen gelungen
ist, durch den Erwerb der Sprachkenntnisse und damit
verbundenem Kontakt von Zwangsverheiratung betroffener Frauen zu unseren Experten in den Goethe-Instituten zu verhindern, dass es tatsächlich am Ende zu einer Übersiedlung nach Deutschland gekommen ist.
Und wir wissen auch, dass es vielen jungen Frauen,
gerade auch aus der Türkei, sehr gutgetan hat, dass sie
eben in den Integrationskursen der Goethe-Institute
und vergleichbarer Einrichtungen nicht nur allein
deutsche Sprachkenntnisse erworben haben, sondern
auch etwas erfahren über die Rechtslage, etwa die
Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland, und auf den Lebensalltag in unserem Land gut
vorbereitet werden.
Wer wie die Grünen, die sich sonst immer so sehr
für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und
gerade gegen die Gewalt und die Einschränkungen der
Selbstbestimmung von Frauen einsetzen, dieses
Spracherfordernis beim Familiennachzug kippen will,
der verhindert nicht nur den Start in einen erfolgreichen Integrationsprozess, sondern er verhindert auch,
dass Frauen gegenüber Zwangsverheiratung geschützt
werden, und er verhindert, dass Frauen informiert und
mit mehr Selbstbewusstsein ihr Leben in Deutschland
beginnen. Sie versündigen sich geradezu, wenn Sie auf
dieses wichtige Integrationsinstrument verzichten wollen. Und, wie gesagt, mit dem EU-Assoziationsabkommen hat das schon gar nichts zu tun.
Auch mit der Regelung zur Ehebestandszeit wird
das wichtige und legitime Ziel verfolgt, Zwangsheirat
und Scheinehen entgegenzuwirken. Wenn Sie sich einmal mit dem Alltag in den Ausländerbehörden vertraut
machen würden, dann wüssten Sie, dass insbesondere
das Thema Scheinehen nach wie vor ein großes Problem darstellt. Immer wieder erhalten wir Informationen über die gleiche Praxis, die den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Ausländerbehörden auffällt. Türkische Ehefrauen lassen sich schon wenige Tage nach
Verstreichen der Ehebestandszeit von ihren Ehemännern scheiden und heiraten türkische Staatsangehörige in ihrer früheren Heimat, mit denen sie vorher
schon einmal verheiratet waren.
In einer ganzen Reihe von Fällen gibt es Indizien
dafür, dass diese Ehefrauen niemals in Deutschland
gelebt haben, sondern sich immer in einer Lebensgemeinschaft mit ihren Ehepartnern in der Türkei befunden haben. Dieses ganze Verfahren hat nur den Zweck,
dass die Ehefrau, die ein unbefristetes Aufenthaltsrecht durch die Verheiratung mit einem hier lebenden
Mann erhalten hat, ihren früheren und dann wieder geheirateten Ehemann nach Deutschland nachzieht. So
wird in vielen Fällen ein dauerhafter Aufenthaltsstatus
in Deutschland erschwindelt. Mit der Senkung der
Ehebestandszeit leisten Sie einen Beitrag dazu, dass
wir diesen Schwindel jetzt wieder öfter in den Ausländerbehörden hätten. Mit uns als CDU/CSU ist das
nicht zu machen. Und auch diese Frage der Ehebestandszeit hat mit dem EU-Assoziationsabkommen genau gar nichts zu tun.
Einen Beitrag zur massenhaften ungesteuerten Zuwanderung leisten Sie durch Ihre Forderung nach einer praktischen Visumfreiheit für türkische Staatsbürger. Nichts anderes ist in Wahrheit der Inhalt und die
Zielsetzung Ihres Antrags. Wir wissen, welchen enormen Migrationsdruck es in der Türkei gibt. Wir wissen
auch, dass man in der Türkei in großen Familienverbänden zusammenlebt und es gerade auch in den wirtschaftlich besonders problematischen Regionen der
Türkei zahlreiche Menschen gibt, die, wenn auch nur
entfernte, Verwandtschaft bei uns in Deutschland haben.
Es bedarf keiner besonderen Phantasie, dass bei
einem Wegfall der Visumpflicht für türkische Staatsangehörige sich viele von diesen auf den Weg nach
Deutschland machen würden, nicht zu touristischen
oder Besuchszwecken, sondern um hier auf Dauer zu
leben und zu arbeiten. Gerade angesichts des ungesteuerten Zustroms von Roma und Sinti und sonstigen
Bürgern aus Rumänen, Bulgarien und anderen EULändern wäre eine solche Ballung von Problemen, die
uns integrationspolitisch vor eine nicht zu bewältigende Herausforderung stellen, eine völlige Fehlentwicklung. Mit uns als CDU/CSU ist das nicht zu maZu Protokoll gegebene Reden
chen. Es gibt für eine solche Maßnahme auch gar
keinen Bedarf.
Wir haben etwa die Möglichkeiten von ausländischen Arbeitnehmern, auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Beschäftigung zu finden, erheblich ausgeweitet. Das
gilt auch und gerade für türkische Staatsangehörige.
Wenn es auf unserem Arbeitsmarkt Bedarf für die Beschäftigung von türkischen Arbeitnehmern gibt, kann
der heute schon umfassend gedeckt werden. Das gilt
auch für die Aufnahme von selbständigen Tätigkeiten.
Insofern gibt das geltende Recht schon jetzt alle Möglichkeiten für diejenigen, die tatsächlich einen Beitrag
zu Wachstum und Beschäftigung unseres Landes leisten wollen, diesen auch verwirklichen zu können. Darüber hinaus haben die Bundesländer und auch der
Bund eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um
Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zum
Beamtenverhältnis zu ermöglichen.
Es ist integrationspolitisch völlig verfehlt, türkische
Staatsangehörige mit EU-Bürgern gleichzusetzen. Wir
haben ein Interesse daran, dass türkische Mitbürger,
die erfolgreich einen Integrationsprozess durchlaufen
haben, sich an dessen Ende auch zu unserem Land
durch die Einbürgerung bekennen. Die EU und dementsprechend auch deren Staatsangehörige sind eben
etwas anderes als Länder, die außerhalb der Europäischen Union stehen, und insofern ist es abwegig, türkische Staatsangehörige hier mit deutschen und EUBürgern sofort gleichstellen zu wollen.
Es ist integrationspolitisch schon ausgesprochen
sinnvoll, dass wir auch in Zukunft erwarten, dass man
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wenn man in
unserem Land Beamter werden will.
Der Antrag der Grünen ist integrationspolitisch
verfehlt. Er gefährdet in manchen Teilen auch die Sicherheit unseres Landes, und er passt vor allem angesichts der ungesteuerten Zuwanderung, die wir in diesen Tagen und Wochen erleben, überhaupt nicht in die
politische Landschaft, und deshalb lehnen wir ihn als
CDU/CSU nachdrücklich ab.
Ziel des Assoziationsabkommens zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei vom September 1963 ist die Stärkung der
Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den
Vertragsparteien. In Art. 12 des Assoziationsabkommens heißt es: Die Vertragspartner vereinbaren „untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
schrittweise herzustellen.“ Eine wichtige Konkretisierung erfuhr das Assoziationsabkommen durch den Beschluss des Assoziationsrates, ARB, vom September
1980, der eine Reihe von Erleichterungen und Besserstellungen türkischer Arbeitnehmer vorsieht, zum Beispiel bei der Familienzusammenführung und dem Aufenthaltsrecht.
So heißt es in Art. 13 ARB, dass die Mitgliedstaaten
und die Türkei für „Arbeitnehmer und Familienangehörige … keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“
Wenn die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen im vorliegenden Antrag nun
vortragen, dass Verschärfungen im Bereich der Familienzusammenführung wie die Einführung des Spracherfordernisses 2007 für nachziehende Ehegatten gegen
dieses Verschlechterungsverbot verstoßen, stimmen
wir dem zu.
Auch wir wollen keine vom Assoziationsabkommen
ausdrücklich nicht gewollte nachträgliche Erschwerung der Familienzusammenführung für türkische
Arbeitnehmer. An dieser Stelle sei die Anmerkung erlaubt, dass wir außerdem für die grundsätzliche Abschaffung des Spracherwerberfordernisses für nachziehende Ehegatten sind, wie wir es in unserem
Gesetzentwurf zur Änderung des aufenthalts- und freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs, Drucksache
17/8921, vorgeschlagen haben.
Für ähnlich plausibel erachten wir die Begründung,
dass das Gebot des Art. 13 ARB, keine nachträglichen
Verschlechterungen oder Bedingungen für Arbeitnehmer einzuführen, dazu führen müsste, dass die erst mit
dem Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsheirat im Juni
2011 eingeführte Verlängerung der Ehebestandszeit
von zwei auf drei Jahre für vom Assoziationsrecht Begünstigte keine Anwendung finden kann. Im Übrigen
erachte ich die Anhebung der Ehebestandszeit auf drei
Jahre grundsätzlich für verfehlt. Ich kann nach wie vor
nicht erkennen, wie die Verlängerung der Bestandszeit
von zwei auf drei Jahre dazu führen soll, Zwangsehen
zu verhindern. Eher scheint mir die Verlängerung dazu
geeignet, die Zwangssituation von Menschen in nicht
gewollten bzw. sich nicht bewährt habenden Ehen um
ein Jahr zu verlängern.
Der Gesetzentwurf enthält des Weiteren Erleichterungen für nachziehende Kinder bis 16 Jahre. Bis zum
Januar 1997 sei es so gewesen, dass Minderjährige bis
zur Vollendung des 16. Lebensjahres generell von dem
Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit waren, bzw.
ab 1990 immerhin noch Kinder unter 16 Jahren aus
den europäischen Mitglied- und ehemaligen Anwerbestaaten. Diese Befreiung von der Notwendigkeit eines
Aufenthaltstitels wurde 1997 aufgehoben und stelle insofern für Assoziationsberechtigte ebenfalls eine unzulässige Verschlechterung dar.
Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen halten darüber hinaus Erleichterungen bei der Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis
und der Niederlassungserlaubnis durch das Assoziationsabkommen für geboten. Außerdem fordern sie
eine gesetzliche Klarstellung der Rechtsstellung von
Assoziationsberechtigten im Aufenthaltsgesetz sowie
Einreiseerleichterungen für türkische Staatsangehörige, die in Deutschland eine selbstständige Tätigkeit
ausüben wollen.
All diesen Vorschlägen stehen wir dem Grunde nach
positiv gegenüber. Wir halten es auch für notwendig
Zu Protokoll gegebene Reden
und richtig, die Vereinbarkeit der geltenden Rechtslage mit dem Assoziationsabkommen zu überprüfen,
und möchten den Kolleginnen und Kollegen von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen danken, dass sie insofern hier die Initiative ergriffen haben.
Die Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen, der
Linken und wir werden im Innenausschuss eine Anhörung zur vorliegenden Gesetzesvorlage beantragen.
Ich schlage vor, die Anhörung abzuwarten, um dann
besser noch beurteilen zu können, ob die geforderten
Änderungen assoziationsrechtlich zwingend sind.
Im Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen lesen
wir: „Die sich aus dem Assoziationsabkommen EWG/
Türkei unmittelbar ergebenden Rechte werden durch
diesen Entwurf explizit im deutschen Recht verankert.“ Recht, das sich bereits unmittelbar aus dem Abkommen ergibt, soll also explizit in einem Gesetz verankert werden. Nehmen wir für einen Moment an, dass
der Entwurf das tatsächlich umsetzen würde: Wieso
genau brauchen wir eine rechtliche Verankerung dessen, was längst Recht ist? Wieso sollten wir ein Gesetz
verabschieden, wenn der Inhalt längst Gesetz ist?
Sie sagen, es diene der Transparenz und der Rechtssicherheit, wenn wir Ihr Gesetz heute beschließen. Ich
verspreche Ihnen: Mit diesem Gesetz bekämen wir genau das Gegenteil: Intransparenz und Rechtsunsicherheit. Der assoziationsrechtliche Status von Türken in
der EU ergibt sich unmittelbar aus dem Assoziationsabkommen. Das Assoziationsabkommen hat Vorrang
gegenüber dem nationalen Recht. Entscheidend sein
wird also immer das Abkommen selbst und dessen Interpretation durch den EuGH - das würde auch Ihr
Gesetzentwurf nicht ändern. Streuen Sie also den Menschen keinen Sand in die Augen! Ihr Vorschlag macht
es für die Menschen nur verwirrender, definitiv nicht
einfacher.
Aber Ihr Gesetzentwurf umfasst nicht nur die Regelungen des Abkommens - und zwar selbst dann nicht,
wenn wir die bisherige Rechtsprechung durch den
EuGH noch hinzunehmen. Nein: Sie wollen sogar über
Einzelfragen entscheiden, über die der EuGH selbst
nicht entschieden hat. Sie stellen bloße Mutmaßungen
an, wie der EuGH entscheiden würde. Solche Mutmaßungen aber können weit von den künftigen Entscheidungen des EuGH abweichen. Und wenn sie abweichen, wird das von Ihnen geplante Gesetz veraltet sein
und nur noch Verwirrung stiften. Das kann niemand
ernsthaft wollen.
Während Sie Symbolpolitik betreiben, hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP längst die Verbindungen
zur Türkei gefestigt. Die Türkei ist einer unserer wichtigsten Handelspartner außerhalb der EU. Deshalb
streben wir im Rahmen des EU-Visadialogs mit der
Türkei langfristig eine Visafreiheit an. Bereits jetzt haben wir die Einreisebestimmungen gelockert. So erlassen wir die Visagebühren für Kinder im Alter von bis
zu 12 Jahren und bei Jugendlichen im Alter bis zu
25 Jahren, wenn sie im Rahmen eines zivilgesellschaftlichen Austausches über eine NGO nach Deutschland
reisen. Wir haben Mehrjahresvisa bis zu fünf Jahren
eingeführt sowie ein Terminvereinbarungssystem, das
eine schnellere Bearbeitung der Anträge ermöglicht.
Anträge für Mitarbeiter von Unternehmen der Auslandshandelskammer können sogar bei den Kammern
selbst gestellt werden, wodurch eine persönliche Antragsstellung entfällt. Für weitere Verbesserungen setzen wir uns ein.
Lassen Sie uns weiter Deutschland und die Türkei,
aber auch die gesamte EU und die Türkei annähern.
Dazu bedarf es jedoch Augenmaß und rechtliche Klarheit. Der Inhalt des Gesetzentwurfs von Bündnis 90/
Die Grünen hingegen würde nur Verwirrung schaffen.
Anfang der Woche besuchte Bundeskanzlerin
Merkel die Türkei und traf den türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan und Staatspräsident Gül. Ihr Besuch
sollte auch der Verbesserung der deutsch-türkischen
Beziehungen dienen. Doch auch das beständige Beschwören der deutsch-türkischen Freundschaft und
der engen Verbindungen zwischen der Bundesrepublik
und der Türkei bleiben leere Worthülsen. Geradezu
heuchlerisch wirkt es vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung türkischen Staatsangehörigen die
Einreise nach Deutschland durch die unrechtmäßige
und europarechtswidrige Praxis der Visumpflicht erschwert und für viele sogar verhindert. Insofern bietet
der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen die Gelegenheit, im Bundestag erneut über den skandalösen
Umgang der Bundesregierung mit den Rechten türkischer Staatsangehöriger und über die Brüskierung des
Europäischen Gerichtshofs, EuGH, in diesem Zusammenhang zu debattieren.
Bereits im Oktober 2011 hat die Linke einen Antrag
mit dem Ziel einer wirksamen Umsetzung des EWG-Türkei-Assoziationsrechts in den Bundestag eingebracht.
Vor allem geht es um die Beachtung der Verschlechterungsverbote im Assoziationsrecht, auch StandstillKlauseln genannt. Vereinfacht gesagt bedeutet dies,
dass jedwede Verschlechterung der Rechtslage und
Praxis im Umgang mit türkischen Staatsangehörigen
verboten ist, soweit damit in deren Rechte auf Beschäftigung bzw. in die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit eingegriffen wird. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass diese
Verschlechterungsverbote effektiv und umfassend anzuwenden sind. Ständige Rechtsprechung ist, dass
auch Aufenthaltsrechte und die Bedingungen der erstmaligen Einreise dem Verschlechterungsverbot unterfallen und dass zwischenzeitliche Lockerungen des
Rechts nicht mehr wieder zurückgenommen werden
dürfen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat auf meine Bitte hin eine umfangreiche
Ausarbeitung dazu angefertigt, in der der Frage nachgegangen wird, in welchem Ausmaß in Deutschland
Zu Protokoll gegebene Reden
gegen verbindliches EU-Recht verstoßen wird. Doch
obwohl die Rechtsprechung des EuGH und auch die
überwiegende Kommentarliteratur recht eindeutig
sind, verweigert die Bundesregierung aus politischen
Gründen die Rechtsprechung des EuGH und verletzt
damit die betroffenen Menschen in ihren Rechten. Das
ist ein unerhörter Vorgang und belegt auch die Bigotterie der Bundesregierung, die gerade gegenüber
türkischen Staatsangehörigen nicht müßig wird, vorwurfsvoll die Beachtung von Recht und Gesetz einzufordern.
Die Strategie der Bundesregierung ist klar: Man
will, solange es irgend geht, an Vorschriften festhalten,
von denen man längst weiß, dass sie europarechtlich
nicht haltbar sind. Denn würde die Bundesregierung
die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs umsetzen, wäre dies das Eingeständnis,
mit maßgeblichen aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre nicht nur faktisch Europarecht
missachtet zu haben, sondern auch gescheitert zu sein.
So ist zum Beispiel die diskriminierende Regelung der
Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug, auf die
vor allem die CDU/CSU-Fraktion gedrungen hat, wegen des Verschlechterungsverbots auf türkische Staatsangehörige eigentlich nicht anwendbar - also ausgerechnet auf die Gruppe nicht, auf die die Regelung
abzielt. Wenn aber wichtige Regeln im Aufenthaltsrecht für die größte Gruppe von Migrantinnen und Migranten in Deutschland gar nicht gelten - für Unionsangehörige gelten sie ohnehin nicht -, dann drängt
sich die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz
in Bezug auf alle anderen Migrantinnen und Migranten auf. In letzter Konsequenz muss dies bedeuten, im
Bereich der Migrations- und Integrationspolitik einen
grundlegenden Politikwechsel zu vollziehen, der nicht
auf Gesetzesverschärfungen, Sanktionen und Zwang
setzt, sondern auf gleiche Rechte, aktive Förderung
und soziale Inklusion. Dies ist zumindest der Ansatz
der Linken.
In mehr als einem Dutzend Kleiner Anfragen und
zuletzt in einer Großen Anfrage hat meine Fraktion die
Rechtsauffassungen der Bundesregierung in diesem
Bereich infrage gestellt. Dadurch ist nachlesbar, mit
welcher ideologischen Borniertheit und welchen juristisch nur notdürftig bemäntelten Ausreden die Bundesregierung sich aus der Verantwortung stehlen will.
Und wenn ihr die Argumente ausgehen, erklärt sie kurzerhand, sie sehe es nicht als ihre Aufgabe an, „in einen juristischen Fachdisput einzutreten“. Dazu passt,
dass sich im Jahr 2011 eine Richterin des EuGH sogar
öffentlich über die mangelnde Rechtstreue mancher
Mitgliedstaaten der EU beim Assoziationsrecht beschwerte.
Völlig inakzeptabel ist es auch, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Beantwortung unserer
Großen Anfrage unter Missachtung der Parlamentsrechte sogar geweigert hat, die Bundesländer zur
Anwendungspraxis in Bezug auf die Verschlechterungsverbote des Assoziationsrechts zu befragen. Die
Bundesregierung behauptet nämlich, dass für die Umsetzung und Beachtung des Assoziationsrechts „überwiegend“ die Bundesländer zuständig seien. Das ist
mehr als fragwürdig, weil die Bundesregierung auch
und gerade angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik dafür Sorge tragen muss, dass verbindliches EU-Recht in Deutschland effektiv umgesetzt wird.
Doch diese Regierung erklärt, „keine Erkenntnisse“
dazu zu haben, wie die Bundesländer das Assoziationsrecht und die Rechtsprechung des EuGH zu den
Verschlechterungsverboten umsetzen. Es bleibt dabei
ihr Geheimniss, woher sie dann eigentlich wissen will,
dass es in der Praxis zu keinen Rechtsverstößen beim
Assoziationsrecht kommt, die ein Eingreifen des Bundes erforderten. Die Argumentation ist aber auch in einer anderen Hinsicht widersprüchlich: Der Umstand,
dass das Bundesinnenministerium Anwendungshinweise zum Assoziationsrecht erlassen hat und an einer
Überarbeitung dieser Hinweise arbeitet, zeigt deutlich, dass ein Vereinheitlichungsbedarf seitens des
Bundes gesehen und für notwendig erachtet wird.
Dass es bundeseinheitliche Vorgaben geben muss
- sei es durch Anwendungshinweise, sei es durch Gesetzesänderung, wie es die Grünen vorschlagen -, ist
offenkundig. Die Rechtsprechung des EuGH erfordert
nicht weniger als eine Betrachtung der Entwicklung
des Rechts und auch der untergesetzlichen Weisungen
der letzten Jahrzehnte, um die Standstill-Klauseln
richtig anwenden zu können. Das können einfache
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Ausländerbehörden nie und nimmer leisten. Geradezu ein
Hohn ist es da, wenn die Regierung erklärt, es sei nicht
schlimm, dass die Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum Assoziationsrecht „nicht aktuell sind“; denn die zuständigen Ausländerbehörden
seien an Recht und Gesetz gebunden und würden auch
die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung stets
beachten.
Um es deutlich zu sagen: Jedenfalls in Bezug auf die
Verschlechterungsverbote des Assoziationsrechts sind
die amtlichen Hinweise aus dem Jahr 2002 das Papier
nicht wert, auf dem sie stehen, da der EuGH hierzu
gerade in den letzten Jahren maßgebliche Entscheidungen getroffen hat. Wohl nicht einmal die Bundesregierung selbst glaubt ihre Behauptung, diese Rechtsprechung lasse „sich in der Praxis zufriedenstellend
umsetzen“, zumal „Fehlverständnisse … gegebenenfalls durch fachaufsichtliche Maßnahmen der zuständigen Landesbehörden in aller Regel beseitigt werden“ könnten. Wissen Sie, was der Hamburger Senat
auf die parlamentarische Anfrage der dortigen Linksfraktion antwortete, ob man sich klarere Vorgaben von
der Bundesregierung zu den Verschlechterungsverboten wünsche? „Die zuständige Behörde geht davon
aus, dass die Bundesregierung alle erforderlichen Informationen und Vorgaben übermittelt …“, erklärte
der Senat am 15. Februar 2013 ganz im Widerspruch
zu der Behauptung der Bundesregierung, die Länder
würden das Assoziationsrecht eigenverantwortlich und
umfassend umsetzen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zwei Anmerkungen aber noch zu dem ansonsten
sehr umfassenden Gesetzentwurf der Grünen. Hier
fällt auf, dass ein wichtiger Punkt fehlt: Auch der
Zwang zum Integrationskursbesuch und damit einhergehende Sanktionen sind nach Ansicht von Fachkundigen mit den Verschlechterungsverboten des Assoziationsrechts nicht vereinbar. Fehlt dieser Aspekt etwa,
weil die Grünen nur ungern daran erinnern wollen,
dass sie an dieser Verschärfung mitgewirkt haben?
Oder fehlt er, weil die Grünen nach wie vor am sanktionsbewehrten Zwang zur Integration festhalten wollen? Fakt ist, dass dieser sanktionsbewehrte Zwang
überflüssig wie ein Kropf ist. Denn das Interesse und
die Motivation der Migrantinnen und Migranten ist da
es braucht vor allem verbesserte Möglichkeiten für die
Teilnahme. Nicht nachvollziehen kann ich zudem, dass
auch eine weitere bedeutende Verschärfung im Aufenthaltsrecht aus jüngster Zeit im Gesetzentwurf der Grünen unangetastet bleibt: Die Regelung, wonach eine
mehr als einjährige Aufenthaltserlaubnis nur nach einem erfolgreichen Integrationskursbesuch und
Sprachtest erteilt werden darf, verstößt meines Erachtens ganz eindeutig gegen die Standstill-Klausel des
Assoziationsrechts.
Dessen ungeachtet unterstützen wir die Zielrichtung
und das Grundanliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Ich freue mich vor allem darüber, dass wir nun
endlich eine Sachverständigenanhörung zum Thema
beschließen können, die von der Linken seit langem
angestrebt wird. Denn selten gab es ein Thema, das
sich angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage, die wohl nur von wenigen Fachkundigen wirklich
durchdrungen wird, mehr geeignet hätte für eine Sachverständigenanhörung.
Dieses Jahr feiern wir das 50-jährige Bestehen des
Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. In Anbetracht
dessen ist es ein Armutszeugnis, dass sich die Bundesregierung und die Koalition immer noch weigern, das
Assoziationsrecht vollständig und rechtsstaatlichen
Standards gemäß umzusetzen. In über 50 Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof - insbesondere
immer wieder in Korrektur der restriktiven deutschen
Rechtspraxis - aufgezeigt, dass aus dem Assoziationsrecht ein besonderes aufenthaltsrechtliches Regime für
Staatsangehörige der Türkei folgt. Dieses Regime
orientiert sich entsprechend den Vorgaben in dem Assoziationsabkommen eng an den Rechten von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die von ihrem Recht
auf Arbeitnehmerfreizügigkeit oder ihrer Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht
haben. Es unterscheidet sich daher deutlich von den
Rechten, die sonstigen Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland zustehen.
Bisher hat es die Bundesregierung versäumt, zu
handeln. Sie weigert sich nämlich nach wie vor, Vorschläge auszuarbeiten und dem Parlament vorzulegen,
wie das Assoziationsrecht auf nationaler Gesetzesebene angemessen umgesetzt werden kann. Deshalb
muss man leider sagen, dass die alte Weisheit, wonach
ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung fördert, für die
Staatsangehörigen aus der Türkei in Deutschland
nicht gilt. Obwohl das Assoziationsrecht nahezu alle
Fragen des Aufenthaltsrechts für Staatsangehörige der
Türkei wesentlich beeinflusst, finden sich im gesamten
Aufenthaltsgesetz gerade einmal drei Vorschriften, die
das Assoziationsrecht überhaupt erwähnen. Und diese
Vorschriften lassen sowohl die Betroffenen als auch
die Behörden dann auch noch völlig im Unklaren darüber, welche Rechte den Betroffenen zustehen und
was die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme
sind. Klar geregelt ist allein ein Bußgeldtatbestand für
die versäumte Beantragung eines Aufenthaltstitels, der
ohnehin nur deklaratorische Bedeutung hat. Auf einen
Nenner gebracht lautet das Motto der Bundesregierung hier: Restriktion ja, Rechte nein.
Es ist aber eines Rechtsstaates nicht würdig, wenn
die Betroffenen nicht klar erkennen können, was ihre
Rechte sind. Auch die Ausländerbehörden und Gerichte klagen seit langem darüber, dass die Rechtslage
immer unübersichtlicher wird, weil sich die Rechtsstellung für die größte hier lebende Gruppe von Ausländerinnen und Ausländern noch nicht einmal mehr ansatzweise aus dem Gesetz ablesen lässt. Dies darf so nicht
weitergehen. Es gehört nun mal zu den Pflichten eines
Rechtsstaates, für Transparenz und Rechtsicherheit zu
sorgen.
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir daher die
sich aus dem Assoziationsabkommen ergebenden
Rechte im deutschen Recht klar und transparent verankern. Die Betroffenen, die Ausländerbehörden und die
Gerichte sollen endlich die wesentlichen Rechte, die
sich aus dem Assoziationsrecht ergeben, mit einem
Blick ins Gesetz entnehmen können. Unser Gesetzentwurf geht aber noch ein weiteres Problem an. Bisher
war es so, dass die Betroffenen jeden Rechtsfortschritt
mühsam vor dem Europäischen Gerichtshof erstreiten
mussten. Anstatt auf die nächsten Verurteilungen
durch den Europäischen Gerichtshof zu warten, setzt
unser Gesetzentwurf nicht nur die in der Rechtsprechung bereits entschiedenen Einzelfragen um, sondern
trifft auch dort Regelungen, wo sich aus der allgemeinen Linie der Rechtsprechung Änderungsbedarf ergibt. Darüber hinaus soll unser Entwurf Lücken
zwischen dem Assoziationsrecht und dem nationalen
Recht schließen.
Unser Gesetzentwurf sieht unter anderem vor:
Erstens. Regelungen zum Aufenthaltsstatus: Eine
spezielle Aufenthaltserlaubnis für Assoziationsrechtsberechtigte wird eingeführt, die das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts bescheinigt. Die Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts
ist wichtig, um Benachteiligungen im Rechtsverkehr
etwa beim Abschluss längerfristiger Mietverträge oder
Arbeitsverhältnisse zu vermeiden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zweitens. Regelungen zur Familienzusammenführung: Hier wirken sich die assoziationsrechtlichen
Verschlechterungsverbote aus, die eine Vielzahl von
ausländerrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre
unanwendbar machen. So kann der Nachzug von Ehegatten nicht von dem Nachweis von Deutschkenntnissen vor der Einreise abhängig gemacht werden. Kinder unter 16 Jahren müssen kein Visumsverfahren
durchlaufen, wenn ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Assoziationsrechts besitzt. Und
schließlich erhalten nachziehende Ehegatten nach wie
vor nach zwei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, weil die von dieser Koalition beschlossene
Verlängerung auf drei Jahre klar gegen das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot verstößt.
Drittens wird entsprechend der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes klargestellt, dass Staatsangehörige der Türkei für einen Kurzaufenthalt in
Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit kein Visum
brauchen.
Viertens werden die Assoziationsrechtsberechtigten
bei den Gebühren für Aufenthaltstitel so gestellt wie
die Staatsangehörigen der Schweiz. Statt bis zu
110 Euro fallen hier wie bei einem Personalausweis
nur Gebühren von 28,80 Euro an. Auch das folgt aus
dem assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbot.
Schließlich fünftens, Regelungen zum Arbeitsmarktund Berufszugang. Wir stellen klar, welche Verschärfungen beim Arbeitsmarktzugang in verschiedenen Berufsgruppen keine Anwendung finden. Und wir stellen
die Assoziationsrechtsberechtigten beim Zugang zum
Beamtenverhältnis mit den Unionsbürgern und anderen europarechtlich Privilegierten gleich.
Die Lücke zwischen nationalem und Europarecht
muss endlich geschlossen werden, allein schon deshalb, um die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates
zu wahren. Genauso aber müssen den Assoziationsrechtsberechtigten endlich ihre Rechte zugestanden
werden. Diesen Zielen wollen wir mit unserem Gesetzentwurf näher kommen und bitten um Ihre Unterstützung.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12193 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: Änderung der Geheimschutzordnung
({1}) im Zusammenhang mit geheimhaltungsbedürftigen Belangen in parlamentarischen Anfragen
- Drucksache 17/12287 Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten
Jörg van Essen
Volker Beck ({2})
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Das Bundesverfassungsgericht gibt uns, dem Deutschen Bundestag, immer wieder Anlass, bestehende
Regelungen anzupassen. So haben wir uns erst in der
vergangenen Woche mit der Neuregelung des Bundeswahlgesetzes befassen müssen. Heute beschäftigen wir
uns nun mit einem der elementaren Rechte von Abgeordneten, dem parlamentarischen Frage- und Auskunftsrecht und seiner Bedeutung für das parlamentarische Regierungssystem.
Die Abgeordneten besitzen das Recht, sich die für
ihre Tätigkeit notwendigen Information zu beschaffen.
Dies geschieht zum Beispiel durch die Beantwortung
parlamentarischer Anfragen, welche es den Volksvertretern ermöglicht, ihre Aufgabe im eigentlich Sinne,
nämlich die Interessenvertretung, aber auch die Kontrolle der Regierungsarbeit, zu erfüllen. Hintergrund
ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 1. Juli 2009 zu der Frage, wie bei parlamentarischen Anfragen verfahren werden soll, die nach Ansicht der Bundesregierung geheimhaltungsbedürftige
Belange berühren. Die Antragsteller hatten seinerzeit
keine Antwort auf die von ihnen gestellten Anfragen an
die Bundesregierung erhalten, mit dem Verweis darauf, „verfassungsrechtlich nicht tragfähige Erwägungen“ ließen dies nicht zu.
Das Gericht hat in seinem Urteil zum Informationsinteresse des Parlaments vom 1. Juli 2009 unter anderem darauf hingewiesen, dass der parlamentarische
Informationsanspruch zwar auf die Beantwortung der
gestellten Fragen „in der Öffentlichkeit hin“ angelegt
sei, aber auch Formen der Informationsvermittlung zu
suchen seien, durch die die berechtigten Geheimhaltungsbedürfnisse der Bundesregierung gewahrt werden. In gegenseitiger Rücksichtnahme der Verfassungsorgane war es also unbedingt nötig, eine Lösung
zu finden, die dem Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Regierung Rechnung trägt.
Sich zwischen diesen beiden Polen bewegend
- Transparenz und Informationsanspruch auf der einen Seite und Sicherung von als Geheim eingestuften
Belangen auf der anderen Seite - haben wir im Ausschuss über die Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen,
dass bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen die Kollegen im Parlament einen Anspruch auf Informationen durch die Bundesregierung haben, und
zwar - das erscheint mir für die transparente Arbeitsweise innerhalb des Parlaments von großer Bedeutung auch bei einer Einstufung als geheimhaltungsbedürftig. Aber es gilt trotz allem zu beachten, dass es der
Bundesregierung in Einzelfällen zur Sicherung des
Staatswohls möglich sein soll, Informationen als geheimhaltungsbedürftig einzustufen und somit den
Kreis derjenigen einzuschränken, die Zugang zu diesen Informationen erhalten.
So haben wir in der uns hier vorliegenden Beschlussempfehlung in einem zweiten Teil festgelegt, dass die als
Verschlusssache eingestufte Information selbst ausschließlich an die Geheimregistratur des Bundestages
weitergeleitet wird. Dort kann sie, wie bisher, von jedem Mitglied des Bundestages sowie von den vom
Bundestagspräsidenten hierzu ausdrücklich ermächtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abgeordneten und Fraktionen eingesehen werden. Eine Beschränkung der Einsicht hinsichtlich Verschlusssachen
wird auf die Mitglieder von Untersuchungsausschüssen oder sonstigen Gremien, die regelmäßig geheim
tagen, unter anderem des Parlamentarischen Kontrollgremiums, empfohlen. Da durch die geschilderten
Maßnahmen Fragen der Geheimhaltung nach der Geschäftsordnung berührt werden und sie eine Änderung
der Geheimschutzordnung erfordern, haben wir uns im
Geschäftsordnungsausschuss durchaus kontrovers mit
dieser schwierigen Abwägung befasst.
Ich darf aus der vorliegenden Beschlussempfehlung zitieren, die übrigens - das kommt ja nicht allzu
oft vor - von den Vertretern aller Fraktionen im Ausschuss einstimmig angenommen wurde: „Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade Streng geheim oder
Geheim dürfen nur in den Räumen der Geheimregistratur eingesehen werden. Abweichend hiervon können Verschlusssachen Mitgliedern von Untersuchungsausschüssen sowie von Gremien, die aufgrund
rechtlicher Grundlage regelmäßig geheim tagen, zur
Einsichtnahme in ihren Büroräumen ausgegeben werden, sofern diese mit VS-Verwahrgelassen ausgestattet
und die Verschlusssachen dem Bundestag zum Zwecke
der Auftragserledigung dieses Gremiums zugeleitet
worden sind.“
Wir Abgeordnete können unseren Aufgaben als Parlamentarier nur dann nachkommen, wenn es uns ermöglicht wird, die entsprechenden Informationen zu
erhalten. Dennoch sehe ich auch die Bundesregierung
in der Pflicht, verantwortungsbewusst mit durchaus
sensiblen Informationen umzugehen. Die nun gefundene Lösung halte ich für eine angemessene. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit mit den Vertretern der Regierung, den Kollegen im Ausschuss
sowie den Mitarbeitern des Ausschusssekretariats.
In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass die Bundesregierung bei parlamentarischen
Anfragen den fragenden Abgeordneten eine Antwort
schuldig blieb. Hierbei handelte es sich zum Beispiel
um Anfragen zur Überwachung von Mitgliedern des
Deutschen Bundestages durch den Verfassungsschutz.
Die Bundesregierung verwies darauf, sie äußere sich
zu den geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten
der Nachrichtendienste grundsätzlich nur in den dafür
vorgesehenen besonderen Gremien des Deutschen Bundestages. Diese Vorgehensweise ist vor allem insofern
problematisch, als die Bundesregierung durch die
selbst vorgenommene Einstufung von Informationen in
die unterschiedlichen Geheimhaltungsstufen das Frageund Informationsrecht der Abgeordneten theoretisch
deutlich einschränken kann.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte daher 2009,
dass hier eine Verletzung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und
des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz vorliegt. Das
Bundesverfassungsgericht kam zu dem Schluss, dass
die Informationsrechte des Bundestages auch bei geheimhaltungsbedürftigen Belangen vollumfänglich gewahrt werden müssen, dass dabei aber den Geheimhaltungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland
Rechnung getragen werden muss.
Dass vertrauliche Informationen auf eine parlamentarische Anfrage nicht, wie sonst üblich, in einer
Bundestagsdrucksache veröffentlicht werden können,
ist klar und leuchtet ein. Wir haben uns daher im Geschäftsordnungsausschuss intensiv mit der Frage beschäftigt, wie derartige Informationen den Abgeordneten zugänglich gemacht werden können bzw. müssen
und welcher Personenkreis Einsichtsrechte erhalten
soll.
Mit der heute vorliegenden Änderung der Geheimschutzordnung werden wir die Vorgaben des Urteils
endlich umsetzen und eine klare Regelung schaffen.
Ich freue mich, dass sich das Bundesministerium des
Innern in dieser Frage letztlich doch gesprächsbereit
gezeigt hat und wir so im Geschäftsordnungsausschuss
zu einer einstimmigen Entscheidung kommen konnten.
Wir haben uns darauf verständigt, dass Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade Geheim oder Streng
geheim in der Regel die Geheimregistratur des Deutschen Bundestags nicht mehr verlassen und nur noch
vor Ort eingesehen werden dürfen. Es sollen aber alle
bisher schon nach der Geheimschutzordnung berechtigten Personen, so auch die vom Bundestagspräsidenten ermächtigten Mitarbeiter von Abgeordneten und
Fraktionen, Einsicht nehmen können. Damit wird einerseits der Geheimschutz des Deutschen Bundestages
gestärkt, andererseits die Arbeitsfähigkeit der Abgeordneten und ihre Entlastung durch die Mitarbeiter sichergestellt.
Ausgenommen hiervon sind Mitglieder von Gremien, die regelmäßig mit Verschlusssachen arbeiten,
wie Untersuchungsausschüsse, das Parlamentarische
Kontrollgremium oder das Vertrauensgremium. Hier
bleibt die Möglichkeit der Herausgabe von Verschlusssachen bei Vorhandensein eines Verwahrgelasses im
Büro des Abgeordneten ausdrücklich bestehen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir waren uns im Geschäftsordnungsausschuss darüber einig, dass die teilweise extrem umfangreichen
Akten, beispielsweise die des NSU-Untersuchungsausschusses, anders nicht zu bewältigen sind. Vor diesem
Hintergrund müssen wir unbedingt sicherstellen, dass
diese parlamentarische Praxis beibehalten und von
der Bundesregierung respektiert wird. Hierfür sollten
wir die Regelung regelmäßig in Bezug auf die tatsächliche Umsetzung und ihre Praktikabilität überprüfen.
Mit der vorliegenden Änderung der Geheimschutzordnung halten wir an den hohen Anforderungen des
Geheimschutzes fest, stellen jedoch gleichzeitig die Arbeitsfähigkeit der Abgeordneten und bestimmter parlamentarischer Gremien sicher. Insgesamt stärken wir
das parlamentarische Frage- und Informationsrecht
und damit die Rechte der Abgeordneten.
Dem parlamentarischen Frage- und Informationsrecht des Bundestages gegenüber der Bundesregierung kommt in der Demokratie eine wesentliche Bedeutung zu. Ein System von „Checks and Balances“ ist
nicht denkbar, wenn dem Parlament Informationen
entzogen werden, die zur Bewertung des Regierungshandelns erforderlich sind.
Im sensiblen Bereich geheimhaltungsbedürftiger
Tatsachen, die in der Sphäre der Bundesregierung liegen, kann das parlamentarische Frage- und Informationsrecht an Grenzen stoßen, die unter bestmöglicher
Wahrung der betroffenen Interessen zum Ausgleich
gebracht werden müssen. Es ist dabei offensichtlich,
dass nachrichtendienstliche Tätigkeit geheimhaltungsbedürftig sein kann. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2009 zu
Recht festgestellt, dass sich die Bundesregierung nicht
pauschal darauf zurückziehen kann, dass Informationen, die die Tätigkeit der Nachrichtendienste beträfen,
generell geheimhaltungsbedürftig sind. So leicht darf
es sich die Bundesregierung nicht machen.
Insbesondere kann sich die Bundesregierung nicht
dadurch ihrer Verpflichtung zur Aufklärung und Information entziehen, dass sie schlicht auf ihre Berichte im
Parlamentarischen Kontrollgremium verweist. Diese
- ja durchaus gängige - Praxis der Bundesregierung
verkennt das Gewicht und die Bedeutung der Kontrollrechte des Parlaments. Der gern gegebene Verweis
darauf, die Bundesregierung berichte zu geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten nur vor den hierfür
vorgesehenen, geheim tagenden Gremien, ist unzulässig.
Zutreffend führte das Bundesverfassungsgericht
nämlich aus, dass die Einrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums eine zusätzliche Maßnahme
ist, um die Kontrollrechte des Parlaments zu stärken.
Die Auffassung der Bundesregierung, wonach sie allein im PKGr berichten könne und damit ihrer Pflicht
Genüge getan habe, verletzt grundlegende Parlamentsrechte. Denn mit dem zusätzlichen Kontrollinstrument
begibt sich der Bundestag ja gerade nicht seiner Kontrollrechte im Übrigen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dies endlich klargestellt
wird und der Anlass für die heute zu beratende Änderung ist, ist deshalb sehr zu begrüßen.
Nicht nur diese Klarstellung ist ein Erfolg für das
Parlament, sondern auch die Feststellung, dass die
Geheimhaltungspflicht einer Begründung bedarf. Wie
schon vorhin gesagt, kann eine nachrichtendienstliche
Tätigkeit geheimhaltungsbedürftig sein. In einem
Rechtsstaat kann nicht einfach eine Bereichsausnahme
geschaffen werden für staatliches Handeln, das sich
der Kontrolle entzieht. Vielmehr ist auch hier im Einzelfall zu begründen, warum eine Einstufung in eine
Geheimhaltungsstufe erforderlich ist. Im Hinblick auf
die Rechte des Parlaments ist dies auch bedeutsam,
weil nur dann eine Fraktion oder ein einzelner Abgeordneter die nötige Entscheidungsgrundlage hat, ob
die Bundesregierung ihrer Pflicht zur umfassenden
und wahrheitsgemäßen Information auch nachgekommen ist.
Mit Freude sehen wir daher künftigen Antworten auf
Kleine oder Große Anfragen oder Einzelfragen entgegen, die statt des üblichen Textbausteins „Hierüber erteilt die Bundesregierung nur den dafür vorgesehenen
Gremien des Deutschen Bundestages Auskunft“ eine
- wenigstens in der Geheimschutzstelle hinterlegte Antwort sowie eine plausible Begründung dafür enthalten, warum die Antwort geheimhaltungsbedürftig
ist.
Die Grundsätze des Geheimschutzes werden dadurch allerdings natürlich nicht obsolet. Es muss an
dieser Stelle auch deutlich und ausdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass mit dem Recht, eine eingestufte Information zu kennen, auch eine Pflicht korrespondiert. Sofern und soweit die Geheimhaltung zutreffend begründet ist, muss auch sichergestellt sein, dass
die Information geheim bleibt. In unserem Rechtsstaat
müssen hohe Anforderungen an Geheimhaltung gestellt werden, weil es den Rechtsstaat gerade auszeichnet und von Diktaturen und anderen Unrechtsregimen
unterscheidet, dass die Offenlegung, Überprüfbarkeit
und Kontrolle staatlichen Handelns gewährleistet
wird. In den Fällen aber, in denen eine Geheimhaltung
tatsächlich begründet und erforderlich ist, muss diese
auch sichergestellt sein.
Deshalb wird mit dem heute vorliegenden Vorschlag
zweierlei geregelt: Zum einen wird sichergestellt, dass
der Zugang zu eingestuften Informationen nicht unzulässig auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt
wird, sondern nach wie vor alle Abgeordneten sowie
die hierzu besonders ermächtigten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordneten eingestufte Teile von Antworten der Bundesregierung in
der Geheimschutzstelle einsehen können. Das stärkt
die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns und stellt die effektive parlamentarische Arbeit
sicher.
Zu Protokoll gegebene Reden
Zum anderen wird der Geheimschutz dadurch gestärkt, dass Unterlagen grundsätzlich in der Geheimschutzstelle verbleiben, statt in die eigenen Büros mitgenommen zu werden. Denn auch mit der ja ohnehin
bestehenden Einschränkung, dass in den betreffenden
Büros ein Verwahrgelass - schönes Verwaltungsdeutsch für Safe - vorhanden ist, muss man doch festhalten, dass die Gefahren für die Geheimhaltung steigen, wenn Unterlagen „wandern“ können.
Es ist aber zugleich richtig, dass diejenigen, die regelmäßig mit Verschlusssachen befasst sind, also etwa
im Vertrauensgremium oder im Finanzmarkstabilisierungsgremium oder auch im PKGr wie auch in den
Untersuchungsausschüssen, nach wie vor die Unterlagen, die für ihre dortige spezifische Tätigkeit erforderlich sind, auch - unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften - in ihren Büros studieren können.
Das ist auch nicht eine Frage der Bequemlichkeit, sondern der Effektivität parlamentarischer Kontrolltätigkeit in diesen Gremien.
Für diejenigen, die solchen Gremien nicht angehören, aber trotzdem regelmäßig mit Verschlusssachen in
ihrer Aufgabe etwa im Haushaltsausschuss umgehen
müssen, zum Beispiel die dortigen Berichterstatter für
Verteidigung, kann nach der neuen Regelung in § 3 a
der GSO-BT eine Genehmigung vom Bundestagspräsidenten erlangt werden, damit auch hier Unterlagen
von der Geheimschutzstelle ausgehändigt werden können. Dies gilt im Übrigen dann für die betreffenden
Abgeordneten wie auch für die besonders ermächtigten Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordnetenbüros.
Mit der heute vorgelegten Regelung schaffen wir einen guten Ausgleich: parlamentarische Kontrolle stärken und Geheimschutz gewährleisten. Ich bin froh,
dass alle Fraktionen gemeinsam zu dieser guten und
ausgewogenen Lösung finden konnten. Wir alle als
Parlamentarier sind aufgerufen, Regierungshandeln
zu kontrollieren. Wir alle als Parlamentarier haben ein
gemeinsames Interesse, dies effektiv zu tun. Und wir
alle als Parlamentarier sind uns unserer Verantwortung bewusst, wenn es um tatsächlich geheimhaltungsbedürftige Tatsachen geht.
Wir befassen uns heute mit der Änderung der Geheimschutzordnung. Hintergrund ist ein von Kollegen
erstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Diesem Verfahren lag die Weigerung der Bundesregierung zugrunde, darüber Auskunft zu erteilen, ob
und gegebenenfalls welche Informationen die Geheimdienste des Bundes und der Länder über die Mitglieder
des Deutschen Bundestages sammeln. Mittlerweile
wissen wir, dass diese verfassungswidrige Praxis, gegen die sich die Betroffenen gerichtlich umfassend
wehren, sehr viele Abgeordnete meiner Fraktion betrifft bzw. betraf.
Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil
diesbezüglich ganz richtig festgestellt: Die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten birgt
erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung und damit für
den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt. Das Urteil des Gerichts zur Frage der Beobachtung steht noch aus; heute geht es uns um die Entscheidung zum Fragerecht der Abgeordneten.
Für diesen parlamentarischen Bereich hat das Bundesverfassungsgericht den Abgeordneten und dem
Parlament den Rücken gestärkt und die Ausflüchte der
Bundesregierung nicht gelten lassen: Wieder einmal
hat es der Bundesregierung im Ergebnis nichts genutzt, dass sie sich mit Verweis auf geheimhaltungsbedürftige Belange ihrer im Grundgesetz verankerten
Antwortpflicht gegenüber dem Parlament entziehen
wollte. Gegebenenfalls müsse die Bundesregierung
das Informationsinteresse des Parlaments eben unter
Wahrung ihrer berechtigten Geheimhaltungsinteressen
befriedigen. Die gängige Praxis genügte dem Anliegen
schon bisher.
Der 1. Ausschuss hat dennoch auf die Bedenken der
Bundesregierung und von Teilen des Ausschusses in
Bezug auf Geheimhaltungsschutz reagiert und schlägt
nun eine Neuregelung der Geheimschutzordnung vor.
Zunächst möchte ich betonen: Wir haben ganz klar
solchen verfassungswidrigen Überlegungen eine Abfuhr erteilt, die das Recht auf Einsicht in geheimhaltungsbedürftige Teile einer Antwort auf parlamentarische Anfragen auf Abgeordnete oder Mitarbeiterinnen
bzw. Mitarbeiter der fragestellenden Fraktion beschränken wollten.
Stattdessen wird nun die Einsicht in Verschlusssachen grundsätzlich auf die Geheimregistratur des Bundestages beschränkt, mit gewichtigen Ausnahmen für
Untersuchungsausschussmitglieder und andere geheim tagende Gremien und die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der MdB und Fraktionen. Es soll also
nicht der zugangsberechtigte Personenkreis, sondern
der Ort der Einsichtnahme verändert werden. Die Botschaft ist: Die Arbeit des Parlaments soll nicht erschwert werden. Der 1. Ausschuss geht davon aus,
dass sich insbesondere für den Bereich der Untersuchungsausschüsse und der anderen Gremien, die regelmäßig geheim tagen, so zum Beispiel Vertrauensgremium, Parlamentarisches Kontrollgremium und
andere nichts ändert.
Das betrifft auch die unveränderte Möglichkeit der
Aushändigung von Verschlusssachen zur Einsichtnahme und zum Verbleib in den Büroräumen mit Safe,
ungemindert auch direkt für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der betreffenden Abgeordneten und der
Fraktionen. Das wurde von allen Fraktionen im Ausschuss so geteilt. Sollte sich demgegenüber etwa herausstellen, dass die bisherige Praxis beeinträchtigt
wird, wird sich der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung umgehend wieder mit dem
Zu Protokoll gegebene Reden
Thema befassen. Dass wir uns in dieser Woche schon
mit der juristisch absurd begründeten, generellen Weigerung der Bundesregierung, Mitarbeiterinnen bzw.
Mitarbeitern von Mitgliedern des Vertrauensgremiums
Einsichtnahme in VS zu geben, beschäftigen müssen,
lässt mich allerdings nichts Gutes ahnen.
Ich möchte hier noch auf das eigentliche und zugleich wichtige Problem im Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Anliegen beim Fragerecht eingehen,
auf dessen Lösung ich schon im Ausschuss gedrängt
habe: Das Problem ist nicht die Geheimhaltung aufseiten des Bundestages. Das Problem stellt die ungerechtfertigte Einstufung von Antworten als Verschlusssachen durch die Bundesregierung dar.
Folgendes ist daher klar und deutlich voranzustellen: Die Abgeordneten und die Fraktionen entscheiden
darüber, welcher Informationen sie bedürfen. Kontrolle ohne Transparenz ist nicht möglich. Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament bedarf der
Transparenz. Als langjährige Erste Parlamentarische
Geschäftsführerin meiner Fraktion muss ich leider
feststellen, dass sich die Bundesregierung mitunter
jede einzelne Information buchstäblich abtrotzen lässt.
Dies widerspricht unserer parlamentarischen Demokratie und dem verbürgten Fragerecht der Abgeordneten. Es ist nicht hinnehmbar, wenn erst das Bundesverfassungsgericht bemüht werden muss, um derartige
Selbstverständlichkeiten durchzusetzen. Die Bundesregierung erschwert die naturgemäß von der Opposition und insbesondere der Linken wahrgenommene
Kontrolle der Regierung mit immer neuen Ausreden,
Ausflüchten und Weigerungen.
Im Zusammenhang mit der hier in Rede stehenden
Geheimschutzordnung ist festzustellen: Die Bundesregierung verfällt neuerdings auf den Trick, die Antworten auf Fragen als geheim einzustufen, obwohl sie
gar nicht geheimhaltungsbedürftig sind. Ziel ist ganz
offensichtlich, zu erreichen, dass die Öffentlichkeit so
wenig wie möglich Kenntnis von der mangelhaften Regierungstätigkeit erhält. Ich will hierzu ein Beispiel nennen: Im Falle einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion
zur „Unterstützung des Bundes für die Münchner Sicherheitskonferenz“, Bundestagsdrucksache 17/8399,
hatte das Bundesministerium der Verteidigung die Antwort zunächst als „VS - Nur für den Dienstgebrauch“
eingestuft.
Ich hatte für die Linke dagegen - mit Erfolg - protestiert. Die annähernd gleichen Fragen wurden nämlich in den Jahren zuvor selbstverständlich beantwortet. Die Einstufung war also schlicht rechtswidrig. Es
kann nicht sein, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit zu umgehen versucht, indem sie die Antwortpflicht in der Geheimkammer erfüllt. Das wird sich
meine Fraktion auch in Zukunft nicht gefallen lassen.
Dass wir heute alle gemeinsam dieser Änderung der
Geschäftsordnung zustimmen, bedurfte zweier erfolgreicher Klagen der Grünen-Bundestagsfraktion vor
dem Bundesverfassungsgericht, um den fälschlichen
Missbrauch der Geheimschutzordnung durch die Bundesregierung zu beenden.
Wie eh und je können Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade Streng geheim oder Geheim
grundsätzlich nur in der Geheimschutzstelle eingesehen werden. Das gilt nach wie vor für alle Abgeordneten sowie für ausdrücklich dafür geprüfte und ermächtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Diese Regelung stellt nun eine Klarstellung dar: Sie
wahrt die Informationsrechte des Bundestages, die vom
BVerfG bekräftigt wurden, und die Geheimhaltungsinteressen der Bundesregierung. Die Ausnahmeregelung
soll solchen Abgeordneten und Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die häufig mit Verschlusssachen arbeiten, weiterhin einen problemlosen Arbeitsablauf ermöglichen. Das heißt, wer eine Ausstattung mit entsprechendem Safe hat, kann die Verschlusssache im
eigenen Büro einsehen und aufbewahren. Es ändert
sich also für Mitglieder und deren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von Untersuchungsausschüssen und
weiteren geheim tagenden Gremien nichts. Ich verweise hier besonders auf Satz 3 der Neuregelung.
In den Beratungen wurde von uns die „kann“-Formulierung in Satz 2 so aufgefasst, dass diese Möglichkeit lediglich eine praktische Einschränkung der
Transportierbarkeit oder Aufbewahrung der Unterlagen betreffen kann.
Die ursprüngliche Idee der Koalition und der Bundesregierung, die Mitarbeiter von dem Zugang gänzlich auszuschließen, wurde von uns erfolgreich abgewehrt.
Auch in Zukunft wird der Bundestagspräsident im
Sinne der allgemeinen Ausgestaltungsmöglichkeiten
diesen praktischen und praktikablen Zugang zu den
Unterlagen ermöglichen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 17/12287.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
UN-Menschenrechtsrat nutzen und von Sri
Lanka Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der
Menschenrechte und Versöhnungsprozess fordern
- Drucksache 17/12466 Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns im
Plenum des Deutschen Bundestages mit der Menschenrechtslage in Sri Lanka. Obwohl ich die menschenrechtliche Situation in Sri Lanka nicht beschönigen
möchte und dies auch nie getan habe, glaubte ich bis
vor kurzem, dass sich das Land insgesamt auf einem
guten Weg befindet.
Sri Lanka ist ein Staat, der von einem Jahrzehnte
andauernden Bürgerkrieg zwischen den tamilischen
Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE, und der singhalesischen Regierung erschüttert wurde und in dem
erst im Jahr 2009 mit einem Sieg der Regierung wieder
Ruhe eingekehrt ist. Alle Menschenrechtsverletzungen
am Ende des Krieges aber auch in der Zeit unmittelbar
nach dem Sieg sind auch vor dem Hintergrund dieses
seit 1983 von beiden Seiten grausam geführten Krieges zu verstehen, wenn auch nicht zu relativieren.
Nach 2009 mussten wir uns im Menschenrechtsausschuss des Bundestages vor allem mit der Lage der tamilischen Bevölkerung und ganz besonders mit den
Binnenvertriebenen beschäftigen, die anfangs in einer
Zahl von mehreren Hunderttausend Menschen in Lagern interniert waren und deren humanitäre Situation
prekär war.
Als ich im Jahr 2011 in Sri Lanka war, wurde von
weiterhin massiven Menschenrechtsverletzungen berichtet. Auf der anderen Seite war aber auch eine positive Entwicklung festzustellen, ein Willen der Regierung, die unerträglichsten Verletzungen der Menschenrechte in Sri Lanka abzustellen. Letztes augenfälliges
Indiz dafür war die Aufhebung der Notstandsgesetze
durch die Regierung Ende August 2011, nachdem diese
für fast 30 Jahre in Kraft waren. Dadurch wurde der
Polizei zumindest das Recht entzogen, umfassende
Maßnahmen gegen die Tamilen in Form von Wohnungsdurchsuchungen und willkürlichen Verhaftungen
zu vollziehen. Allerdings bestand schon damals bei fast
allen Beobachtern Einigkeit, dass die Anstrengungen
noch erhöht werden müssen und eine wirkliche politische Integration der tamilischen Bevölkerungsminderheit nicht die allerhöchste Priorität genießt.
Seit 2011 hat sich gerade im Bereich der Infrastruktur- und Wirtschaftsentwicklung auch in den von Tamilen bewohnten Gebieten einiges getan. Auch die Räumung der Flüchtlingslager und die Rückkehr der
Tamilen in ihre Heimat ist als positive Entwicklung
hervorzuheben und wird ja auch im Antrag der SPD
erwähnt. Von einer Verbesserung der menschenrechtlichen Situation können wir jedoch seit 2011 insgesamt
nicht sprechen, eher ist das Gegenteil der Fall.
Einer der Kritikpunkte an der aktuellen Situation
und aus meiner Sicht der Impulsgeber für die Erstellung des vorliegenden Antrages der SPD ist ein anderer: Es geht um die Entlassung der Obersten Richterin
Dr. Shirani Bandaranayake aus offenbar politischen
Gründen. Diese Amtsenthebung durch das Parlament
ist als deutliches Zeichen eines Angriffs auf die Unabhängigkeit der Justiz verstanden worden. Das ist eine
Deutung, die auch in meiner Fraktion geteilt wird und
somit eine Entwicklung, die auch mir große Sorgen
macht.
Es kann nicht im Sinne Deutschlands sein, wenn
sich Sri Lanka in Richtung eines autoritär regierten
Staates entwickelt, in dem der Präsident und seine Familie das alleinige Sagen haben und in dem die Justiz
in keiner Weise mehr unabhängig ist. Es ist aus meiner
Sicht kein Zufall, dass die Oberste Richterin zuvor ein
Gesetzespaket der Regierung als verfassungswidrig
gestoppt hat, das die Rechte der Zentralregierung gegenüber den Provinzen gestärkt hatte.
Die Amtsenthebung der obersten Repräsentantin
der Judikative lässt für die Zukunft Sri Lankas nichts
Gutes ahnen. Es kann meines Erachtens nicht angehen, wenn die siegreiche Bürgerkriegspartei den verbreiteten Wunsch nach Frieden und Stabilität ausnutzt,
um einen autoritären Staat zu schaffen. Ich unterstütze
deshalb die Forderungen des Antrags der SPD im Hinblick auf die Untersuchung des Vorgangs der Amtsenthebung von Frau Bandarayanake im Grundsatz. Dieser Fall muss durch internationale Organisationen
untersucht werden.
Neben der aktuellen Entwicklung der Aushöhlung
der Unabhängigkeit der Justiz bestehen die Probleme
der Menschenrechtsverletzungen sowie der Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkrieges bzw. nach seinem Ende weiterhin fort. Wir müssen immer noch teilweise massive Menschenrechtsverletzungen feststellen.
Ein Teil davon wird durch das Anti-Terror-Gesetz, das
die frühere Notstandsgesetzgebung abgelöst hat, sogar
ganz offiziell legitimiert. Wir als Menschenrechtspolitiker der Union fordern vehement die Abschaffung dieses Gesetzes.
Die Forderungen des SPD-Antrags weisen im Bereich der Menschenrechte und der Aufarbeitung der
Menschenrechtsverletzungen in die richtige Richtung.
Allerdings kann es nicht alleiniges Ziel sein, Sri Lanka
zur Unterzeichnung und Ratifizierung internationaler
Abkommen und Gesetzesänderungen zu bewegen. Im
Fokus muss vielmehr noch stärker stehen, die konkrete
menschenrechtliche Situation zu verbessern. Insofern
kann man bei genauerer Betrachtung des Antrags
schon konstatieren, dass bestimmte Forderungen der
SPD, wie die Ratifikation des Römischen Statuts, in
der jetzigen Situation unrealistisch sind. Wenn wir zu
viel auf einmal fordern, machen wir uns als Partner
ein Stück weit unglaubwürdig.
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt näher eingehen, nämlich auf die Integration der ehemaligen Kindersoldaten, die im Antrag ebenfalls gefordert wird.
Hier hat sich die sri-lankische Regierung erfreulicherweise selbst engagiert, indem ehemalige Kindersoldaten betreut und offenbar durch eine Berufsausbildung
in die Gesellschaft integriert werden.
Sri Lanka ist Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, und auch in diesem Bereich, für
Zu Protokoll gegebene Reden
den ich im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zuständig bin, stellt der SPD-Antrag Forderungen auf. Lassen Sie mich kurz auf Projekte eingehen, die durch das deutsche Entwicklungsministerium finanziert werden:
Es werden lokale Friedensinitiativen gefördert, ein
weiteres Projekt betrifft die Friedenserziehung;
Deutschland unterstützt den Verwaltungsaufbau im
Norden und Osten Sri Lankas; mit Entwicklungsmitteln stärkt Deutschland außerdem den Mikrofinanzsektor; zwei neu aufgenommene Projekte betreffen den
Bau einer Geburtsklinik sowie ein Projekt zur beruflichen Bildung.
Ich denke, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Friedensförderung, Bildung, Gesundheit und Mikrofinanzen gute Schwerpunkte setzt, die
vor allem der Zivilgesellschaft und auch den benachteiligten Bevölkerungsgruppen zugutekommen.
Eine Reaktion im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auf die jüngsten Ereignisse im Sinne einer
Abschwächung der Kooperation lehne ich zum jetzigen
Zeitpunkt ab. Hier gilt es zunächst, die weitere Entwicklung abzuwarten. Fakt ist, dass die deutschen Entwicklungsmittel eine gute Möglichkeit bilden, Einfluss
auf die weitere Entwicklung Sri Lankas zu nehmen und
unsere Haltung mit Nachdruck deutlich zu machen.
Angesichts der Gesamtentwicklungen in Sri Lanka
sollten wir uns diese Möglichkeit erhalten.
Abschließend möchte ich noch etwas zum Antrag
der SPD-Fraktion insgesamt sagen: Man muss festhalten, dass wichtige Forderungen der Initiative auf die
aktuellen Ereignisse und die grundlegenden menschenrechtlichen Defizite Sri Lankas eingehen. Allerdings werden alle wesentlichen Forderungen des Antrags seitens der Bundesregierung, teilweise zusätzlich
im Rahmen der EU sowie auf Ebene der Vereinten Nationen bereits umgesetzt. Das betrifft gerade den Einsatz im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats; auch
hier ist die Bundesregierung bereits aktiv.
Insofern muss ich festhalten, dass die Forderungen
des Antrags an die Bundesregierung bereits erfüllt
werden, sie sind Bestandteil unserer Außenpolitik. Der
vorliegende Antrag erweckt durch seinen umfangreichen Forderungsteil den Eindruck, dass hier Versäumnisse der Bundesregierung vorliegen. Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall. Letztlich ist der Antrag somit
eigentlich überflüssig.
Gleichwohl hätte man sich im Vorfeld der Einbringung dieses Antrags oder auch im Rahmen einer Ausschussbefassung mit den Menschenrechten in Sri
Lanka befassen können, mit dem Ziel hier einen gemeinsamen Antrag oder eine Entschließung herbeizuführen oder dem Thema in der deutschen Öffentlichkeit
zumindest mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Dass diese Ansprache nicht erfolgt ist, eine Ausschussberatung nicht stattfindet und ich als Berichterstatter
den Antragstext erst am Tag vor der abschließenden
Debatte erhalten habe, spricht dafür, dass es den Antragstellern gar nicht darum ging, gemeinsam mit den
Regierungsfraktionen einen Beschluss des Bundestages herbeizuführen. Das halte ich für sehr bedauerlich und der Lage nicht angemessen.
Deshalb lassen Sie mich abschließend festhalten,
dass auch meine Fraktion die Lage in Sri Lanka als
kritisch ansieht, dass auch wir im Moment eine Verschlechterung der menschenrechtlichen Situation in
Sri Lanka wahrnehmen. Wir erkennen in diesem Bereich ganz ausdrücklich die Arbeit der Bundesregierung an, die in der Frage der Menschenrechtsdefizite
aktiv arbeitet und dabei auch die Forderungen des Antrags der SPD-Fraktion bereits umsetzt.
Vor diesem Hintergrund lehnen wir diesen Antrag
als überflüssig ab.
Ich bin erfreut, dass wir in dieser Woche, da der
UN-Menschenrechtsrat seine Sitzung eröffnet hat, das
dort auf der Tagesordnung stehende Thema Sri Lanka
ebenfalls in den Fokus nehmen.
Ich möchte Sie mit einem Zitat von Friedrich
Schiller konfrontieren, das die Situation in Sri Lanka
sehr treffend beschreibt: „Wie unglückbringend, liebe
Mutter, ist Feindschaft zwischen Brüdern, und wie
schwer hält die Versöhnung.“
Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat großes Leid
und Unglück über das Land und seine Bevölkerung gebracht. Seit Ende des Krieges scheint sich die Situation
positiv zu entwickeln; weisen doch die Fakten wirtschaftlicher Entwicklung seither gute Tendenzen auf
und konnten viele ehemalige Binnenflüchtlinge in ihre
Heimat zurückkehren und die Flüchtlingslager aufgelöst werden. Wie so oft zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass noch ein weiter Weg vor dem Land und seiner Bevölkerung liegt, um die Weiterentwicklung und
vor allem die Versöhnung im Lande zu fördern.
Mit Sorge erfüllen mich daher die politischen Entwicklungen in den letzten Wochen und Monaten, die
erwarten lassen, dass die nötigen Prozesse nicht mit
Nachdruck und unter Beteiligung aller Bevölkerungsteile realisiert werden. So weisen zahlreiche Berichte
darauf hin, dass der Präsident ein System unumschränkter Herrschaft errichtet und mit diesem in alle
politischen und gesellschaftlichen Felder vordringt,
ohne vor der Ebene der Exekutive und Legislative Halt
zu machen.
Die Entlassung der Obersten Richterin, die sich gegen die Entscheidungen von Präsident Rajapaksa gestellt hat, ist eine wirkliche Gefahr. Damit verstieß der
Präsident gegen jegliches demokratisches Prinzip der
Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz.
Zugleich zeigte er, dass er der geltenden Verfassung
wenig Bedeutung beimisst, und lässt Befürchtungen
aufkommen, diese - wie bereits durch die Aufhebung
einer Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten weiterhin willkürlich umzuformulieren.
Zu Protokoll gegebene Reden
Weiterhin müssen wir eine erhebliche Zensur der
freien Presse zur Kenntnis nehmen - so wurden neue
Regulierungen zur Überwachung von Internetseiten
erlassen, die die Regierung betreffende Nachrichten
veröffentlicht bzw. Nachrichten, die die Regierung als
solche erachtet - und die Schließung von nahezu allen
staatlichen Universitäten. Auch dies ist besorgniserregend, weist es doch in die Richtung von Kontrolle und
Steuerung der Bevölkerung. Zudem wurde das AntiTerror-Gesetz, das auch zur Kontrolle der Bevölkerung genutzt werden könnte, auch Jahre nach dem
Ende des Bürgerkriegs noch nicht abgeschafft. Wir
sind der Überzeugung, dass dieses Gesetz, das einem
Notstandsgesetz gleicht, abgeschafft werden muss und
damit zu rechtsstaatlichen Prinzipien zurückgekehrt
werden muss.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Staatspräsident Rajapaksa, gemeinsam mit seinen Getreuen, den
Staat und die Gesellschaft nach seinen Prinzipien umgestaltet - und dies nicht zum Wohle des gesamten Volkes in Sri Lanka. Gleichwohl genießt Rajapaksa großes Ansehen in der Bevölkerung - unter anderem auch,
weil er in ihren Augen für die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen verantwortlich ist.
Diese auf der politischen Ebene verlaufenden Verschlechterungen haben auch sehr konkrete Auswirkungen in der Gesellschaft. Im hauptsächlich von hinduistischen Tamilen bewohnten Norden wurden vermehrt
buddhistische Tempel errichtet. Diese werden oftmals
von Militärangehörigen genutzt. In meinen Augen ist
dies in doppelter Hinsicht negativ: Zum einen wird die
Lebenswirklichkeit der Menschen nicht anerkannt;
zum anderen sehen sich die Tamilen nach Beendigung
der militärischen Auseinandersetzungen erneut einer
täglichen Begegnung mit dem Militärpersonal ausgesetzt. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass die
andauernde Präsenz militärischer Kräfte im Gebiet
der Tamilen einer Besatzung gleiche. Derartige
Entwicklungen sind nach meinem Ermessen für ein
friedliches Zusammenleben und eine dauerhafte Aussöhnung kontraproduktiv. Zugleich sind die tieferliegenden Ursachen für den vergangenen Konflikt noch
immer nicht behoben; die Tamilen fühlen sich weiterhin politisch und sozioökonomisch marginalisiert.
Neben der politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung spielt die tatsächliche Herbeiführung von
äquivalenten Lebensverhältnissen eine entscheidende
Rolle, um nicht alte Konfliktlinien wieder aufbrechen
zu lassen.
Bisher wurden auch wenig effektiv Schritte unternommen, um nach Ende des Bürgerkrieges den Versöhnungsprozess voranzutreiben. Bisher konnten lediglich zahlreiche politische Willensbekundungen und
theoretische Zusagen vernommen werden; echter Wille
zu einer umfassenden Aufarbeitung und konkrete
Handlungen hingegen blieben bisher aus. Vielmehr
gab es große politische Rhetorik. In der Lebenswirklichkeit der Menschen sind Wahrheit, Versöhnung und
Aufarbeitung leider bisher nicht angekommen. Dabei
ist von entscheidender Bedeutung, dass es zwischen
den ehemaligen Kriegsparteien zu einer echten Aussöhnung kommt. Gerechtigkeit und Rechenschaft sind
elementare Bestandteile.
Dazu gehört es auch, die derzeit in den Medien kursierenden Vorwürfe der Hinrichtung von Gefangenen
durch die Armee Sri Lankas, unter denen unter anderem der Sohn des Anführers der Befreiungstiger von
Tamil Eelam, LTTE, Balachandran Prabhakaran, betroffen sein soll, zu untersuchen und aufzuklären. Ich
bin überzeugt, dass derartige Verbrechen - sollten
diese Vorwürfe nicht ausgeräumt werden - eine dauerhafte Belastung für den noch fragilen Frieden sein
können.
Es überraschte, dass der von der Regierung Sri
Lankas veröffentlichte LLRC-Bericht zwar relativ konkrete Empfehlungen hinsichtlich eines effektiven Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozesses enthält, deren
Umsetzung aber von der derzeitigen Regierung mit
dem Verweis auf eine Gefährdung der angeblich stabilen Friedenslage abgelehnt wurde. Mittlerweile wurde
im Juli des letzten Jahres, auch dank internationalem
Druck, ein dem Bericht folgender Aktionsplan veröffentlicht, der Zuständigkeiten und Zeitpläne für die
Umsetzung des Berichtes definiert. Es bleibt abzuwarten, ob mit diesem Aktionsplan das Eis gebrochen werden konnte und tatsächliche Veränderungen folgen
werden.
Nur auf Basis dieses Prozesses kann der Entwicklungsprozess des ganzen Landes effektiv vorangetrieben werden und weitere Schritte unternommen werden,
um Fragen der Landverteilung und Sprachenpolitik im
Interesse aller dauerhaft zu lösen. Zudem können weitere wichtige Reformvorhaben wie die Dezentralisierung und Unabhängigkeit der Institutionen nachhaltig
nur gelöst werden, wenn die ausgesöhnten Bevölkerungsgruppen gemeinsamen an einer effektiven Lösung arbeiten. Nach unserem Dafürhalten ist mit Blick
auf die Vergangenheit die Aussöhnung der letzte
Schritt zur Beendigung des Bürgerkriegs; mit Blick auf
die Zukunft ist sie Voraussetzung für alle künftigen
Entwicklungsschritte, die die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gemeinsam zu bewältigen haben.
Mit Blick auf das eingangs präsentierte Zitat weisen
auch im Falle Sri Lankas alle Zeichen darauf hin, wie
schwer die Versöhnung zwischen ehemaligen Feinden
ist und wie brüchig selbst die Verbindungen zwischen
Brüdern sind. Gleichwohl ist dies nicht unmöglich und
muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln forciert und unterstützt werden.
Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern
sollten wir daher die verfügbaren Wege ausnutzen, um
auf die Regierung Sri Lankas einzuwirken und wirkungsvolle Antworten auf die zurückliegenden Entwicklungen zu finden und die Regierung und das Volk
in seinen Bemühungen unterstützen, Antworten auf die
vielfältigen Fragen der Vergangenheit und Zukunft zu
finden. Wie sich am Aktionsplan zum LLRC-Bericht
Zu Protokoll gegebene Reden
zeigt, waren hier internationale Bemühungen von außen - wenngleich sie sich stets in einem Spannungsfeld
zwischen Mahnung und Einmischung in innere Angelegenheiten bewegen - erfolgreich.
Es wird Geduld erfordern und die Initiative unterschiedlichster Akteure auf dem internationalen, multilateralen Parkett, um Präsident Rajapaksa zu überzeugen, seine autoritären Schritte zu überdenken und
seine politischen Handlungen in eine andere Richtung
zu lenken. Auch weil er in der Bevölkerung enormes
Ansehen genießt, welches gepaart mit seinen vielfältigen Verbindungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein großes Gewicht besitzt, ist es relevant, ihn
als Adressaten der Veränderung zu respektieren.
Wir begrüßen ausdrücklich Initiativen, die eine Folgeresolution zur Resolution „Promoting reconciliation
and accountability in Sri Lanka“ ermöglichen sollen.
Es wäre erfreulich und ein wichtiges Monitoring, wenn
das Engagement der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte die Entwicklungen im Land weiterhin
begleiten würde. Zeitgleich wollen wir, dass die UNSonderberichterstatterinnen und -erstatter offiziell
eingeladen und durch die sri-lankischen Behörden in
ihrer Arbeit unterstützt werden, um vor Ort die tatsächlichen Verhältnisse in Augenschein nehmen zu
können und wichtige menschenrechtsspezifische Themenbereiche wie Minderheitenfragen, willkürliche
Verhaftungen, extralegale Hinrichtungen untersuchen
zu können. Auch die Wahrung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Rechte
von Frauen und Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidigern sollte hierbei beleuchtet werden.
Auch die Bundesregierung kann auf vielfältigen Wegen auf die Regierung Sri Lankas einwirken, den
gegenwärtigen Zustand der Unsicherheit und der ungelösten Probleme zu bewältigen. Wir haben dies in
unserem Antrag formuliert und bitten Sie heute herzlich um Ihre Zustimmung für dieses wichtige politische
Anliegen.
Diese christlich-liberale Regierungskoalition beobachtet mit Aufmerksamkeit die politischen Entwicklungen in Sri Lanka. Aus diesem Grund ist der Antrag
der SPD-Fraktion im Grundsatz zu begrüßen. Die
menschenrechtliche Situation in Sri Lanka ist nach wie
vor schwierig und stellt Sri Lanka vor politische und
zivilgesellschaftliche Herausforderungen.
Mit Sorge habe ich die Fernsehdokumentation „Sri
Lanka's Killing Fields“ des britischen Senders BBC
Channel 4 zur Kenntnis genommen, in der über angebliche Kriegsverbrechen beider Kriegsparteien in den
letzten Monaten des sri-lankischen Bürgerkriegs im
Jahr 2009 berichtet wird.
Und dementsprechend hat sich die Bundesrepublik
wiederholt besorgt zur Lage in den sri-lankischen Bürgerkriegsgebieten geäußert. Die Bundesregierung hat
in der Vergangenheit dazu aufgerufen, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, die Versorgung der in der
Kampfzone eingeschlossenen Menschen zu ermöglichen
und eine politische Lösung des ethnischen Konflikts
anzustreben.
Darüber hinaus hat diese christlich-liberale Regierungskoalition seit dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen mit über 100 000 Toten gemeinsam
mit der EU wiederholt appelliert, die in den Flüchtlingslagern untergebrachten Binnenvertriebenen wieder in ihren Städten und Dörfern anzusiedeln. Auch hat
Deutschland dazu aufgerufen, internationalen Hilfsorganisationen den Zutritt zu den Lagern zu ermöglichen. Dabei ist es ein klares Bekenntnis Deutschlands, dass eine dauerhafte Friedenslösung nur dann
möglich sein wird, wenn sie unter Einbeziehung aller
Bevölkerungsgruppen gefunden wird.
Zugleich ist es überaus erfreulich zu sehen, dass
sich Sri Lanka in den letzten Jahren und nach dem
Ende des Bürgerkrieges wirtschaftlich überaus erfolgreich entwickelt hat. Wir stehen sowohl dem Aufbau einer Tourismusindustrie als auch der Entwicklung des
Industriesektors positiv gegenüber.
Ungeachtet dieser Entwicklungen hat diese Regierungskoalition wiederholt auf diese Defizite im Menschenrechtsbereich reagiert. So ist aufgrund des noch
nicht abgeschlossenen Friedens- und Aussöhnungsprozesses kein entwicklungspolitisches Engagement im
klassischen Sinne möglich.
Vielmehr unterstützt Bundesminister Dirk Niebel einen entwicklungspolitischen Ansatz, der bewusst auf
Konflikttransformationsziele fokussiert ist, insbesondere auf die Friedenserziehung.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit fördert mit Bedacht die
Friedens- und Werterziehung. Dazu zählen unter anderem auch die konfliktsensible Lehrplanentwicklung
und Lehrerfortbildung sowie die gezielte Förderung
von konfliktbetroffenen Kindern und Jugendlichen.
Mit diesen Aktivitäten unterstützt diese Regierungskoalition den langfristigen Aussöhnungsprozess der
ehemals verfeindeten Gruppierungen in Sri Lanka und
fördert die schrittweise Verwirklichung der Anerkennung der Menschenrechte durch die sri-lankische Regierung.
Es ist gut, dass wir heute über die aktuelle Situation
in Sri Lanka diskutieren und die Kolleginnen und Kollegen von der SPD hierzu einen Antrag vorgelegt haben. Nach dem militärischen Sieg der sri-lankischen
Armee über die tamilischen Rebellen im Frühjahr
2009 hat die öffentliche Aufmerksamkeit für das Land
merklich nachgelassen. Die Zentralregierung hat den
jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt zwar militärisch gewonnen, gelöst ist er aber noch längst nicht.
Hierfür müssten die Ursachen beseitigt werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der Grundstein für den Konflikt wurde von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien gelegt, indem
diese die administrative Grenzziehung unter ethno-demografischen Gesichtspunkten manipulierte und die
tamilische Minderheit gegenüber der singhalesischen
Bevölkerungsmehrheit ökonomisch privilegierte. Dadurch konnte nach der Entkolonialisierung Sri Lankas
die tamilische Bevölkerung leicht als vermeintliche
Gegnerin der nationalen Unabhängigkeit und staatlichen Einheit stigmatisiert werden. Der sri-lankischen
Regierung diente dies als Rechtfertigung für massive
Unterdrückungsmaßnahmen und staatlich gelenkte
Pogrome an der tamilischen Zivilbevölkerung.
Als Reaktion hierauf formierte sich in Gestalt der
Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE, ein bewaffneter tamilischer Widerstand, der über eine Massenbasis
verfügte, mittels derer dann die militärische De-factoAbspaltung der Tamilengebiete Sri Lankas erst bewerkstelligt werden konnte.
Die Frage von Ursache und Wirkung lässt sich
somit eindeutig beantworten: Die sri-lankischen Regierungen haben den im Kern sozio-ökonomischen
Verteilungskonflikt gezielt ethnisiert, um einen Krieg
zwischen den Bevölkerungsgruppen anzuzetteln. Der
Bürgerkrieg kam den singhalesischen Eliten gut gelegen, weil er ihnen die Möglichkeit bot, sich mithilfe
autoritärer Methoden der Machtausübung nach innen
auf Kosten der eigenen Bevölkerung schamlos zu bereichern und hierfür die Tamilen als Sündenböcke zu
missbrauchen.
Während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs wurden auf beiden Seiten schwere Menschenrechtsverletzungen verübt. In der Schlussphase des Bürgerkriegs
haben sich nach Einschätzung der UNO und von internationalen Menschenrechtsorganisationen die Kriegsführungsmethoden der beiden militärischen Konfliktparteien nochmals brutalisiert: Die sri-lankischen
Streitkräfte haben im Zusammenwirken mit singhalesischen Paramilitärs und Todesschwadronen bei ihrem
Vormarsch eine Vielzahl von tamilischen Zivilistinnen
und Zivilisten getötet und extralegale Exekutionen von
Kriegsgefangenen durchgeführt, Krankenhäuser,
Schulen und andere zivile Einrichtungen angegriffen
und humanitäre Hilfe für die notleidende und traumatisierte Zivilbevölkerung verweigert. Das sind zweifellos schwere Kriegsverbrechen. Die LTTE hat ihrerseits
Zivilistinnen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht, Fluchtversuche der Zivilbevölkerung mit drakonischen Strafen wie Erschießungen aktiv unterbunden und trotz aussichtsloser militärischer
Lage Kindersoldaten zwangsrekrutiert.
Wenn wir heute über notwendige Versöhnungsprozesse zwischen Singhalesen und Tamilen diskutieren,
müssen wir folglich immer bedenken, dass das schreckliche Kriegsgeschehen aufgearbeitet werden muss und
sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse
in Sri Lanka grundlegend ändern müssen. Die aktuelle
Menschenrechtslage ist dramatisch: Politische Auftragsmorde an und das Verschwindenlassen von Regierungskritikerinnen und -kritikern sind an der Tagesordnung. Erst kürzlich wurde sogar die Oberste Richterin
Sri Lankas, Shirani Bandaranayake, ihres Amtes enthoben, weil sie zwei Gesetzesvorhaben der Regierung
wegen Verfassungswidrigkeit suspendiert hatte. Dieses
Beispiel zeigt, dass in der Realität die Gewaltenteilung
zugunsten der Exekutive aufgehoben ist.
Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger, die sich insbesondere auch für die
Rechte der tamilischen Bevölkerung einsetzen, werden
meist pauschal der Unterstützung des Separatismus
und der Propaganda für die besiegte frühere Rebellenarmee LTTE bezichtigt. In den tamilischen Siedlungsgebieten werden von der sri-lankischen Regierung in
großem Umfang gezielt Familien von singhalesischen
Militärangehörigen angesiedelt, um die ethno-demografischen Mehrheitsverhältnisse in naher Zukunft
umzukippen. Für die tamilische Bevölkerung sind dagegen kaum Arbeitsmöglichkeiten vorhanden.
Besonders schwer haben es alleinstehende Tamilinnen, die während des Krieges ihre Männer und Söhne
verloren haben. Sie leiden unter extremer gesellschaftlicher Ausgrenzung, da sie oft zur Armutsprostitution
gezwungen sind. Viele von ihnen arbeiten aus schierer
Not als Sexsklavinnen für singhalesische Soldaten,
weil sie sich davon wenigstens den Zugang zu überlebensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmitteln erhoffen.
Eine öffentliche Aufarbeitung der Kriegsverbrechen
hat bisher kaum stattgefunden. Gegen die Einsetzung
einer unabhängigen Untersuchungskommission der
UNO hat sich die sri-lankische Regierung vehement
gewehrt und stattdessen zu Alibizwecken eine eigene
Kommission gebildet, die erwartungsgemäß nur solche Erkenntnisse zutage gefördert hat, nach denen
ausschließlich die tamilische Seite Verantwortung für
begangene Menschenrechtsverletzungen zu tragen
habe.
Vor diesem Hintergrund ist das bevorstehende Prüfverfahren vor dem UN-Menschenrechtsrat ein geeignetes Instrument, um auf internationaler Ebene auf die
genannten Missstände hinzuweisen und Verbesserungen einzufordern. Der Antrag der SPD beschreibt im
Feststellungsteil die gegenwärtige Situation zutreffend, und seine Forderungen finden unsere Unterstützung. Da die Linke stets in der Sache entscheidet,
stimmt sie dem Antrag zu. Wir wären erfreut gewesen,
wenn sich die SPD umgekehrt bei unserem Antrag zu
Sri Lanka ähnlich konstruktiv verhalten hätte. Das
Thema Menschenrechtsverletzungen ist viel zu ernst,
um damit parteitaktische Spielchen auf dem Rücken
der Betroffenen auszutragen.
Die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit während des Bürgerkrieges in Sri
Lanka 2008/2009 gehören zu den schlimmsten Gräueltaten des vergangenen Jahrzehnts. 40 000 Zivilisten,
so schätzen die Vereinten Nationen, sind allein in den
Zu Protokoll gegebene Reden
letzten Monaten des Konflikts ums Leben gekommen.
Sowohl die sri-lankische Regierungsarmee als auch
die tamilische Rebellenorganisation LTTE, „Befreiungstiger von Tamil Eelam“, haben Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.
In erster Linie hat die Regierung Sri Lankas in ihrer
Verantwortung für den Schutz der eigenen Bevölkerung versagt. Doch auch die Vereinten Nationen, VN,
und ihre Mitgliedstaaten sind der 2005 beschlossenen
Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect,
RtoP, nicht gerecht geworden. Mit dem RtoP-Konzept
hat sich die internationale Gemeinschaft darauf verständigt, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen
nicht mehr wegzusehen, sondern sie zu verhindern, mit
zivilen Mitteln, soweit dies irgend geht, und nur im äußersten Notfall mit militärischen Mitteln, und das nach
der VN-Charta. Fast 20 Jahre nach der Tragödie in
Ruanda hat die internationale Gemeinschaft noch zu
wenig aus vergangenen Fehlern gelernt.
Das zeigt ein im November 2012 veröffentlichter
Untersuchungsbericht, den VN-Generalsekretär Ban
Ki-Moon in Auftrag gegeben hat, „Report of the
Secretary-General’s Internal Review Panel on United
Nations Action in Sri Lanka“. Der Bericht legt Versäumnisse der VN und ihrer Mitgliedstaaten während
der letzten Monate des Bürgerkriegs in Sri Lanka
schonungslos offen. Wir sollten ihn nutzen und breit
diskutieren, um aus Fehlern zu lernen und Menschen in
ähnlichen Situationen künftig wirksamer vor schwersten Menschenrechtsverletzungen schützen zu können.
Vor allem müssen wir besser werden in der Prävention
solcher Verbrechen, damit militärische Eingriffe erst
gar nicht nötig werden.
Laut dem Bericht hat die internationale Gemeinschaft in vier Bereichen versagt. Erstens sind die VN
der Regierung Sri Lankas nicht entschieden genug entgegengetreten, als diese den Zugang zur schutzbedürftigen Bevölkerung verwehrt hat. Stattdessen haben die
VN eine Konfrontation vermieden und Menschenrechtsverletzungen nicht entschieden kritisiert. Indem
auf den Menschenrechtsschutz zugunsten des humanitären Zugangs verzichtet wurde, konnte schließlich
beides nicht erreicht werden.
Zweitens waren die Planungsverfahren der VN zu
langsam und ihre institutionellen Strukturen veraltet.
Verantwortlichkeiten innerhalb der VN-Hauptverwaltung waren unklar; dem Landesteam fehlte es an menschenrechtlicher Expertise.
Drittens war der Informationsaustausch zwischen
den VN und ihren Mitgliedstaaten über die Situation in
Sri Lanka unzureichend. Die VN haben an die Mitgliedstaaten kommuniziert, was diese aus Sicht der VN
wissen wollten, nicht das, was sie hätten wissen
müssen. So konnte die Regierung Sri Lankas ihre Menschenrechtsverletzungen weiterhin unter dem Deckmantel einer letzten Offensive im „Krieg gegen den
Terror“ begehen.
Viertens haben die Mitgliedstaaten die VN nicht
zum Handeln gedrängt. Die Situation in Sri Lanka
wurde nicht bzw. zu spät auf die Agenda des VN-Sicherheitsrates, des VN-Menschenrechtsrates und der
VN-Generalversammlung gesetzt. Durch Nichthandeln
machen wir uns zu Komplizen von Menschenrechtsverbrechen.
Der Bericht zeigt, dass wir auf verschiedenen Ebenen mehr tun müssen, um unseren humanitären Schutzauftrag zu erfüllen und Einrichtungen und Verfahren
der VN und der Mitgliedstaaten tauglicher für die Prävention von schwersten Menschenrechtsverletzungen
zu machen. Er gibt eine Reihe von Handlungsempfehlungen. Gerade im Bereich der Kommunikation und
Informationspolitik gibt es Möglichkeiten, die Prävention zu verbessern. So ruft der Bericht die Vereinten
Nationen die Mitgliedstaaten auf, Krisen stärker aus
RtoP-Perspektive zu betrachten. Außerdem sollen
neue institutionelle und prozessuale Formen der Zusammenarbeit zwischen VN, Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen geschaffen und die Kommunikation zwischen Hauptquartier und dem Feld intensiver
und transparenter gestaltet werden. In Krisensituationen sollte zum richtigen Zeitpunkt Kritik geübt werden.
Wichtig erscheinen mir auch Verbesserungen im
Management der VN-Reaktion auf RtoP-Situationen.
Eine klare Zuweisung der Verantwortung innerhalb
des VN-Systems könnte zu einer verbesserten Koordination, einem effizienteren Einsatz von Ressourcen
und der Vermeidung von Parallelstrukturen und der
Schließung von Zuständigkeitslücken führen. Außerdem sollte bei der Auswahl von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der VN menschenrechtliche Expertise
eine größere Rolle spielen.
Ich wünsche mir eine aktive konzeptionelle und operative Mitarbeit der Bundesregierung, damit die Empfehlungen des Berichtes wirksam umgesetzt werden
können. Aufgrund unserer historischen Verantwortung
für die Verhütung von Völkermord sollten wir die Ersten sein, die zu einem besseren Schutz vor schwersten
Menschenrechtsverletzungen beitragen. Der Bericht
des Generalsekretärs liefert wichtige Hinweise. Jetzt
ist es an uns, sie mit Leben zu füllen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12466. Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist durch die Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren
- Drucksache 17/12035 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Vizepräsidentin Petra Pau
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren. Ziel
dieses Gesetzes ist die Verhinderung oder Einschränkung von Umgehungsmöglichkeiten im Beurkundungsrecht, die nicht zuletzt in den Fällen des Verkaufs
sogenannter Schrottimmobilien offenkundig wurden.
Vor diesem Hintergrund bin ich vor allem dem Berliner Justizsenator Heilmann für seine Initiative dankbar, durch eine Änderung des Beurkundungsgesetzes
Verbraucher vor derartigen Geschäftsmodellen besser
zu schützen.
Um was geht es? Bereits seit Mitte der 90er-Jahre
sind Fälle bekannt geworden, in denen Verbraucher
zur übereilten Beurkundung von Immobilienkaufverträgen gedrängt wurden. Oftmals lagen jedoch die
Verkehrswerte dieser Immobilien deutlich unter dem
verabredeten Kaufpreis. Zuvor wurde mit vollmundigen Versprechen einer lukrativen Geldanlage den
Kaufinteressenten die Investition angepriesen. Ebenfalls wurden die Käufer mit dem Hinweis auf weitere
Kaufinteressenten zum schnellen Abschluss gedrängt.
Später stellte sich für die Verbraucher heraus, dass
die tatsächliche Immobilie nicht den Versprechungen
und Erwartungen entsprach, die vom Verkäufer geweckt wurden. Oft handelte es sich bei der beschriebenen Sanierung des Objektes nur um eine sogenannte
Pinselsanierung, bei der nur notdürftig Mängel bearbeitet wurden. So blieben in der Folge auch die erzielten Mieteinnahmen hinter den Erwartungen zurück
und reichten nicht wie versprochen aus, um die Kreditraten zu decken. Erforderlich wurde dann ein erheblicher Einsatz eigenen Geldes. Kam es deswegen zu einem vorzeitigen Verkauf der Immobilie, waren die
finanziellen Verluste für den Verbraucher oft existenzbedrohend.
Bei der Frage, wie es denn zum notariellen
Abschluss derartiger überhasteter Kaufabschlüsse
überhaupt kommen konnte, war zum Beispiel in einem
Interview mit dem Präsidenten des Berliner Landgerichts, Bernd Pickel, in der „Berliner Morgenpost“ im
Februar diesen Jahres zu lesen: „Das Beurkundungsgesetz sieht vor, dass der Verbraucher den Vertragsentwurf zwei Wochen vor Unterzeichnung schon vorliegen haben muss. Wir haben bei den Fällen sehr oft
festgestellt, dass die Vertriebsunternehmen, die das
Immobiliengeschäft einfädeln, die Kunden gebeten haben, den Notar darüber zu belügen. Wenn der Notar
dann fragt, ob der Vertrag in der Frist schon bekannt
war, haben die Leute Ja gesagt. Das hatte System.“
Der viel gescholtene Formzwang des BGB, der
beim Immobilienkaufvertrag das strengste Formerfordernis der notariellen Beurkundung vorsieht, wird
zwar oft genug als zu bürokratisch kritisiert, ist aber
dennoch immer wieder - wie auch dieses Beispiel
zeigt - Umgehungsversuchen ausgesetzt. So haben wir
in der Stellungnahme des Deutschen Notarvereins zu
diesem Gesetzgebungsvorhaben lesen können, ich zitiere: „Versuche von Beteiligten, das Beurkundungsverfahren zum eigenen Vorteil auszuhöhlen und dessen
Schutzfunktion zu unterlaufen, sind wahrscheinlich so
alt wie das Beurkundungsverfahren selbst.“
Mit Einführung des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 des
Beurkundungsgesetzes im Jahr 2002 erkannte der
Gesetzgeber, dass neben der Beurkundungspflicht für
Immobilienkaufverträge, die den Beteiligten die Tragweite ihres rechtsgeschäftlichen Handelns vor Augen
führen sollte, es im Bereich der Verbraucherverträge
aber eines zusätzlichen Schutzes bedurfte. Wegen der
Komplexität eines Immobilienkaufvertrages und dem
- wodurch auch immer bedingten - hohen Entscheidungsdruck sah der damalige Gesetzgeber die Notwendigkeit, dem Verbraucher ausreichend Gelegenheit
zu geben, den Vertragstext aufmerksam zu studieren
und die rechtlichen Folgen zu erkennen.
Um Verbrauchern so ein Mindestmaß an Bedenkzeit
zu ermöglichen, wurde damals der § 17 Abs. 2 a Satz 2
Nr. 2 des Beurkundungsgesetzes geschaffen. Hiernach
soll der Notar darauf hinwirken, dass Verbraucher den
zu beurkundenden Vertragstext mindestens zwei
Wochen vor dem Beurkundungstermin ausgehändigt
bekommen. Zwei Wochen, um den Vertragstext zu verinnerlichen und sich am Ende über die Wirkung im
Klaren zu sein, wenn vor dem Notar die Unterschrift
geleistet wird. Dies ist eine aus Sicht des Verbraucherschutzes sinnvolle Regelung, die, wie sich in den
Folgejahren aber zeigte, in der Umsetzung nicht zum
gewünschten Erfolg führte, denn sie weist eine entscheidende Schutzlücke auf. So soll der Notar nach der
derzeitigen Fassung des Gesetzes zwar darauf hinwirken, dass die Zweiwochenfrist eingehalten wird, jedoch kann die Aushändigung des Vertragsentwurfes
bislang auch durch den Verkäufer oder sonstige Dritte
selbst geschehen.
Hieraus ergibt sich ein erhebliches Missbrauchspotenzial; denn ob diese Aushändigung durch einen
Dritten tatsächlich unter Fristwahrung stattfindet,
lässt sich durch den Notar nur schwer überprüfen.
Zahlreich sind offenbar die Fälle, in denen zur Ausnutzung dieses Mangels dubiose Verkäufer ihren Kunden
erklären, es handele sich bei der Frist um eine reine
Formalie und es solle dem Notar bei der Beurkundung
einfach wahrheitswidrig die Einhaltung der Frist bestätigt werden.
Der Vorstoß des Bundesrates, diese Umgehungsmöglichkeit durch eine Änderung des § 17 Abs. 2 a
BeurkG einzuschränken, ist aus meiner Sicht im
Grundsatz zu begrüßen. Nicht zuletzt die neuesten
Meldungen über die zahlreichen Fälle von Verkäufen
von Schrottimmobilien zum Beispiel in Berlin machen
deutlich, dass hier offenkundig Handlungsbedarf besteht.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll zukünftig der beurkundende Notar nunmehr selbst die Aushändigung des Vertragsentwurfes mindestens zwei
Wochen vor dem Termin vornehmen. Zweifellos führt
dies zu einer besseren Kontrolle für den Notar und einer erhöhten Transparenz und Nachvollziehbarkeit
auch durch die Dienstaufsicht. Wird die Frist unterschritten, soll der Notar dies in der Niederschrift angeben.
Die Einhaltung der Zweiwochenfrist für Verbraucher wird durch diese Gesetzesänderung deutlich besser gewährleistet. Gleichwohl können sich aus der
derzeitigen Fassung des Gesetzentwurfes Nebeneffekte
ergeben, die es zu vermeiden gilt und die wir während
der parlamentarischen Beratungen näher beleuchten
sollten:
Zum einen ist das die im Gesetzeswortlaut verwendete Formulierung hinsichtlich der Kostenfreiheit des
Vertragsentwurfes. An sich könnte diese Formulierung
an dieser Stelle gänzlich entfallen, da sich dies bereits
aus der Kostenordnung ergibt. In der Regel ist ja der
Verbraucher nicht der Auftraggeber des Entwurfes.
Wenn man denn aber hier eine Klarstellung der
Kostenfreiheit für den Verbraucher wünscht, dann
sollte dies auch eindeutig formuliert werden.
In seiner aktuellen Fassung führt der Gesetzentwurf
des Weiteren zu einer Fragestellung, welche Auswirkungen die Gesetzesformulierung hat, wenn die Vertragsparteien nicht am gleichen Ort wohnen. Nehmen
wir einmal an, der Verkäufer beauftragt seinen Notar
vor Ort mit der Anfertigung des Entwurfes, später aber
möchte der Käufer die Beurkundung statt am Ort des
Verkäufers an seinem Wohnort bei seinem Notar
durchführen lassen. In diesem Fall müsste laut dem
Gesetzestext der Vertragsentwurf ein zweites Mal vom
„Käufernotar“ dem Verbraucher fristgerecht zur Verfügung gestellt werden. Diese Vorgehensweise erscheint nicht nur unnötig kompliziert, es stellt sich
auch die Frage, wie die Kosten der beiden Notare in
dieser Konstellation abgerechnet werden sollen. Hier
sollte überlegt werden, ob es sinnvoll ist, dass zwingend der „beurkundende“ Notar die Aushändigung
des Vertragsentwurfes vornehmen muss.
Der weitere Vorschlag im Gesetzentwurf, die Amtsenthebungsgründe für Notare des § 50 Abs. 1 Nr. 9
BNotO um Verstöße gegen § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG zu erweitern, ist im Lichte der Tatsache, dass
vereinzelt Notare als sogenannte Mitternachtsnotare
an der übereilten Beurkundung vorsätzlich mitgewirkt
haben, sinnvoll und standesrechtlich geboten.
Im Rechtsausschuss werden wir Gelegenheit haben,
die Fragen, die sich aus dem Gesetzentwurf noch ergeben, gemeinsam zu erörtern, sodass wir am Ende der
Beratungen über einen Vorschlag entscheiden können,
der die begrüßenswerte Zielstellung des Gesetzentwurfes auch passgenau umsetzt.
„Der Notar hat das Beurkundungsverfahren so zu
gestalten, daß eine Überrumpelung der Beteiligten
durch gewerblich tätige Vermittler vermieden wird.
Unzulässig ist insbesondere eine Vergabe von Terminen … außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, wodurch
es den Vermittlern ermöglicht wird, Interessenten in
unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Anwerbegesprächen zur Vornahme einer Beurkundung zu
veranlassen.“ OLG München vom 20. April 1994, so
auch zitiert in der Stellungnahme der Bundesnotarkammer. Wir beschäftigen uns heute mit der Stärkung
der Rechte des Verbrauchers im notariellen Beurkundungsverfahren, vor allem für den Bereich der
Schrottimmobilien und Mitternachtsnotare.
Insbesondere seit den 90er-Jahren werden unerfahrenen Käufern unter dem Vorwand von Steuervorteilen, totsicheren Wertsteigerungen etc. sogenannte
Schrottimmobilien zu völlig überhöhten Preisen angeboten. Unseriöse Strukturvertriebe und Drücker üben
während der Gespräche Druck auf die Kaufinteressenten aus. Unter dem Vorwand, es gäbe noch weitere Interessenten, werden die Käufer zu unüberlegten überhasteten Vertragsabschlüssen gedrängt, meist ohne
dass sie den Verkäufer und das Objekt kennen. Oft am
Wochenende oder zu später Stunde noch werden
Notarverträge unterzeichnet - der „Mitternachtsnotar“ kommt zum Einsatz.
Der Gesetzgeber reagierte 1998 und 2002 und fügte
§ 17 Abs. 2 a Satz 2 und 3 ins BeurkG ein, wonach der
Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhalten soll,
sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen. In der Regel soll er den beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor der Beurkundung zur Verfügung gestellt bekommen.
Das war der richtige Ansatz, aber augenscheinlich
nicht weitgehend genug. In den letzten Jahren häufen
sich wieder die Beschwerden von getäuschten und betrogenen Verbrauchern.
Wie wird vorgegangen? Ein beliebtes Vorgehen war
lange Zeit die Aufspaltung der Beurkundung in Kaufangebote und Verkäufe. Beim Notartermin mit dem
überrumpelten Käufer ist dann der Verkäufer und Bauträger nicht anwesend. Der Käufer kann sich kein Bild
vom Verkäufer machen, keine Nachfragen stellen zur
Beschaffenheit der Wohnung, die Vermietsituation etc.
In Einzelfällen war sich der Interessent gar nicht darüber bewusst, dass sein Angebot schon so verbindlich
und ausreichend ist, dass der Verkäufer zu einem späteren Zeitpunkt ohne Weiteres annehmen kann und der
Vertrag zustande kommt. Die Richtlinienempfehlung
der Bundesnotarkammer für die Amtspflichten der Notare besagt aber, dass eine systematische Aufspaltung
von Verträgen in Angebot und Annahme, soweit die
Aufspaltung nicht aus besonderen sachlichen Gründen
gerechtfertigt ist, unzulässig ist.
Ein weiteres Problem bleibt die Übereilung. In den
problematischen Fällen wird die Zweiwochenfrist
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht eingehalten. Zwar soll dem Verbraucher der Text
des Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor Beurkundung
zur Verfügung gestellt werden. Doch das musste bisher
nicht durch den Notar geschehen. Der Notar musste
darauf vertrauen, dass der Verkäufer oder Vertriebsmitarbeiter den Text weitergeleitet hatte und der Käufer das wahrheitsgetreu bestätigte. Es ist aber vorgekommen, dass die Verbraucher auf Veranlassung von
Vertriebsmitarbeitern den Notaren unrichtige Antworten gegeben haben, um eine sofortige Beurkundung
ohne Einhaltung der Frist erreichen zu können. Das ist
sicherlich der Hauptanwendungsfall. Nicht die Notare
sind die Urheber der Missstände, sondern unseriöse
Vertriebsmitarbeiter. Das soll betont werden.
In Einzelfällen besteht aber auch die Gefahr, dass
Mitternachtsnotare mit den Strukturvertrieben in einem zu engen Kontakt stehen und für diese Tag und
Nacht erreichbar sind. Steht der Notar in einem zu engen Kontakt zu den Bauträgern, den Vermittlern und
Verkäufern, ist die Unparteilichkeit des Notars gefährdet.
Deshalb ist es richtig, wenn diese Regelungslücke
geschlossen wird. Ich begrüße daher die Initiative der
Großen Koalition des Landes Berlin. Auf Initiative des
Landes Berlin haben die Justizminister der Länder im
Juni 2012 Handlungsbedarf für einen verbesserten
Verbraucherschutz beim Immobilienerwerb gesehen.
Insbesondere sei dafür Sorge zu tragen, dass sogenannte Strukturvertriebe nicht die mangelnde Erfahrung von Käufern ausnutzen und ihnen dadurch nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Nun liegt
dem Bundestag der Bundesratsentwurf vor.
Ich begrüße es, den Notar noch besser und weitreichender in den Verbraucherschutz einzubeziehen.
Kernpunkt der Neuregelung ist es, dass dem Verbraucher der Text des Rechtsgeschäftes zwei Wochen vor
der Beurkundung aus der Sphäre des Notars zugesandt
wird. Damit ändert sich an der notariellen Praxis wenig. Im besten Fall und regelmäßig haben die Notare
das bereits so gemacht. Jetzt wird aus einer wünschenswerten Praxis eine gesetzliche Regel.
Gerade in den Missbrauchsfällen wird die Änderung es dem Verbraucher erleichtern, sich der Beeinflussung und dem Drängen von Vertriebsmitarbeitern
einfacher entziehen und eine informierte Entscheidung
treffen zu können.
Zu den Pflichten des Notars gehören die unparteiische Betreuung, Belehrungspflichten, Hinweispflichten, die Überwachung von Verträgen. Es ist nicht
die Aufgabe des Notars, zu prüfen, ob eine Immobilie
als Kapitalanlage für einen Anleger geeignet ist. Er
führt keine steuerrechtliche oder verkehrstechnische
Prüfung durch. Der Notar ist aber in der Lage, den
Verbraucher dahin gehend zu beraten, wer ein geeigneter Ansprechpartner für die Prüfung der Angelegenheit in wirtschaftlicher Hinsicht sein könnte. Das wird
ohne Zeitdruck besser möglich sein.
Kritisch wird angemerkt, dass durch die Regelung
der Verbraucher gegenüber Unternehmern, die eine
Immobilie erwerben wollen, benachteiligt werden
könnte, da die Verbraucher durch die Zweiwochenfrist
keine zeitnahen Entscheidungen treffen könnten.
Grundsätzlich ist das richtig. Doch handelt es sich bei
der Frist nur um eine Regelfrist, von der abgewichen
werden kann, wenn im Einzelfall Eile geboten ist.
Derzeit besteht keine Pflicht des Notars, eine Verkürzung der Frist zu begründen. Das soll sich nun ändern. Durch die Einführung einer Dokumentationspflicht für die Verkürzung der Zweiwochenfrist kann
eine spätere Überprüfung des Rechtsgeschäfts, zum
Beispiel durch die Dienstaufsichtsbehörde, auf dokumentierter Grundlage erfolgen. Da die Dokumentation
Teil der Niederschrift und dem Verbraucher bei der
Beurkundung verlesen wird, wird dieser auch noch
einmal deutlich auf den Verzicht der schützenden Frist
hingewiesen.
Der Gesetzentwurf macht deutlich, dass die Versendung der Unterlagen durch den Notar gebührenfrei erfolgt. Der Begriff „kostenfrei“ könnte insofern missverständlich sein, als dass damit nicht gemeint sein
sollte, dass der Notar eigene Aufwendungen nicht erstattet bekommen kann, wie zum Beispiel Kopier- und
Portokosten.
Als unterstützenden Punkt erweitert der Gesetzentwurf die Bundesnotarordnung um einen weiteren disziplinarrechtlichen Sondertatbestand. Als neuer Amtsenthebungsgrund in § 50 Abs. 1 BnotO wird der
wiederholte grobe Pflichtverstoß gegen die verbraucherschützenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 a Satz 2
BeurkG aufgenommen.
Der Gesetzentwurf stößt auf breite und auch unsere
Zustimmung. Bundesrat, Bundesregierung, DAV und
BNotK begrüßen den Entwurf, wenn auch DAV und
BNotK den disziplinarrechtlichen Teil ablehnen. Die
Frage ist, warum die Bundesregierung, namentlich
Verbraucherministerin Aigner, nicht früher tätig geworden ist. So hoffe ich aber, dass die Bundesratsinitiative aus Berlin breite Unterstützung findet. Über
Details lässt sich sicherlich reden.
Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes
im notariellen Beurkundungsverfahren hat das Ziel,
unlauteren Geschäftspraktiken entgegenzuwirken. Ausgangspunkt ist, dass seit den 90er-Jahren vermehrt
minderwertige Immobilien an Verbraucher als Vermögensanlage oder Altersvorsorge verkauft werden.
Diese sogenannten Schrottimmobilien haben einen erheblich geringeren Verkehrswert als der vom Verbraucher zur Begleichung des Kaufpreises aufgenommene
Kredit. Bei einem vorzeitigen Verkauf oder einer
Zwangsversteigerung der Immobilien können die Verbraucher daher existenzbedrohende Verluste erleiden.
Schon im Jahre 2002 wurde daraufhin das Beurkundungsgesetz ergänzt, um Verbraucher besser vor solZu Protokoll gegebene Reden
chen Schrottimmobilienkäufen zu schützen. Der
Schutzbedarf des Verbrauchers ergibt sich in diesem
Fall aus seiner strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem Bauträger oder Vertriebsunternehmer. Mit
der Einführung des § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2 BeurkG
sollte dem Verbraucher ausreichend Zeit - in der Regel
zwei Wochen - gegeben werden, um den Inhalt des
Rechtsgeschäftes prüfen zu können und keine übereilte
Entscheidung zu treffen.
In der tatsächlichen Praxis ist § 17 Abs. 2 a Satz 2
Nr. 2 BeurkG seiner Warn- und Schutzfunktion jedoch
kaum gerecht geworden. Deshalb sollen mit diesem
Gesetzentwurf aufgetretene Schutzlücken im Beurkundungsgesetz geschlossen werden und es der Dienstaufsicht über die Notarinnen und Notare erleichtert werden, die Einhaltung der Regelung zu kontrollieren.
Die Schutzlücken sind dadurch entstanden, dass die
derzeitige Regelung nicht ausdrücklich verlangt, dass
der Beurkundungstext dem Verbraucher vom Notar
selber überlassen wird. Der Text kann auch durch einen Unternehmer - zum Beispiel dem Bauträger oder einem Vertriebsmitarbeiter dem Verbraucher zur
Verfügung gestellt werden.
Diese Praxis hat dazu geführt, dass sich der Verbraucher bei Fragen zu dem Beurkundungstext in aller
Regel an die Person wendet, von der er den Text erhalten hat. Da aber der Bauträger oder der Vertriebsmitarbeiter ein eigenes Interesse am Zustandekommen
des Vertrages hat, wird eine objektive Aufklärung über
Risiken und Nachteile für den Verbraucher durch diese
Personen kaum stattfinden. Vielmehr dürften eigene
Interessen des Unternehmers bei einer „Aufklärung“
des Verbrauchers im Vordergrund stehen. Der Gedanke des Verbraucherschutzes wird durch diese
Handhabung umgangen.
Für den Notar muss die Einhaltung der Frist für den
Verbraucher von zwei Wochen nachvollziehbar sein.
Bei Überlassung des Beurkundungstextes durch Dritte
ist die Einhaltung der Zweiwochenfrist für den Notar
nicht kontrollierbar. Der Verbraucher kann in vielen
Fällen die Bedeutung und die Tragweite dieser Zweiwochenfrist nicht richtig einschätzen. Er fühlt sich genötigt, sie fälschlicherweise zu bejahen, da er dies als
rein formalistisches Verfahren einschätzt. Der Verbraucher ist deshalb nicht vor einem übereilten Handeln ausreichend geschützt; er ist sich der Tragweite
seiner Entscheidung nicht bewusst.
Genau an diesen derzeitigen Schlupflöchern setzt
der Gesetzentwurf an. § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG soll künftig den Notar oder seinen Sozius verpflichten, den Beurkundungstext dem Verbraucher
zwei Wochen vor der Beurkundung selbst zu überlassen. Der Notar soll sowohl die Überlassung des Beurkundungstextes, wie auch - in seltenen Fällen - die
Unterschreitung der Zweiwochenfrist dokumentieren.
Damit wird die tatsächliche Ausgestaltung einer notariellen Beurkundung gegenüber dem Verbraucher konkretisiert und die Warn- und Schutzfunktion der notariellen Beurkundung wiederhergestellt.
Die zwingende notarielle Begleitung bei einem Immobilienkauf als Schutz für den Verbraucher ist auch
Ausdruck der besonderen Stellung der Notare. Sie können nicht nur rechtlich über Gefahren oder Risiken
eines Geschäfts aufklären, sondern sind in ihrer Funktion als Rechtspflegeorgan unabhängige und unparteiische Betreuer der Beteiligten. Notare sind Träger eines öffentlichen Amtes und Teil der vorsorgenden
Rechtspflege. Daraus ergibt sich bereits eine Aufklärungspflicht für besonders risikoreiche Geschäfte. Verbraucher sind deshalb bei Notaren in guten Händen.
Anders als im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgesehen, bedarf es der Feststellung im Gesetzestext
zur Kostenlosigkeit der Neuregelung nicht. Zum einen
passt eine kostenrechtliche Regelung von der Systematik her nicht ins Beurkundungsgesetz. Zum anderen
fehlt es bereits an einem Gebührentatbestand; das
macht eine Aussage über die Kostenfreiheit überflüssig.
Soweit der Gesetzentwurf vorsieht, bei einer Verletzung der Pflicht des Notars zur Überlassung des Beurkundungstextes oder der Nichteinhaltung der ZweiWochen-Frist ohne Begründung disziplinarische Maßnahmen einzuleiten, halte ich dies für angemessen. Die
vorgeschlagene Änderung der Bundesnotarordnung
wird Pflichtverstößen wirksam entgegenwirken. Eine
einschneidende Disziplinarmaßnahme wie die Amtsenthebung muss jedoch restriktiv gehandhabt werden
und darf nur bei groben beziehungsweise mehrfachen
Pflichtverletzungen gegen § 17 Abs. 2 a Satz 2 Nr. 2
BeurkG zulässig sein.
Mit diesem Gesetzentwurf entwickeln wir die
Grundlage eines praxisgerechten Verbraucherschutzes
weiter. Denn ob ein Gesetz die gewünschte Wirkung
entfaltet, zeigt sich oft erst bei seiner Anwendung.
Durch diese Klarstellung im Beurkundungsgesetz wird
der Verbraucher besser und objektiv aufgeklärt. Erst
durch eine qualitative und objektive Aufklärung von
Vor- und Nachteilen eines Rechtsgeschäfts ist eine eigenständige und abwägende Meinungsbildung für den
Verbraucher überhaupt möglich.
Mit einer Änderung des Bundesnotargesetzes und
der Bundesnotarordnung möchten die Verfasser des
Gesetzentwurfs aus dem Bundesrat die Verbraucherinnen und Verbraucher besser schützen. Bei einem
Immobilienkauf sollen die Notarinnen und Notare zukünftig den Vertragstext zwei Wochen vor Unterzeichnung den Verbraucherinnen und Verbrauchern kostenlos zur Verfügung stellen, damit diese ausreichend Zeit
haben, sich mit dem Kaufgegenstand auseinanderzusetzen. Mit diesem Verfahren sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher vor einem Kauf von Schrottimmobilien, das heißt nicht werthaltigen Immobilien
zu überhöhten Preisen, geschützt werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Offenkundig dreht sich das Schrottimmobilienkarussell der 90er-Jahre wieder munter weiter. Die
Menschen versuchen vermehrt, ihr Geld in Immobilien
anzulegen, um es vor einem vermeintlich drohenden
Euro-Crash zu retten. Gerade in diesem Bereich hat
sich in letzter Zeit die Rechtsprechung zugunsten der
Verbraucherinnen und Verbraucher weiterentwickelt.
Eine verstärkte Haftung der Banken bei der Finanzierung solcher Schrottimmobilien erschwert es heutzutage, in derart unseriöser Weise Geschäfte zu machen.
Die Linke ist der Ansicht, dass dieser Form der Geschäftemacherei ein Riegel vorgeschoben werden muss.
Dafür bietet der vorliegende Entwurf gute Ansätze.
In der Vergangenheit wurden deutschlandweit systematisch minderwertige Immobilien an Verbraucherinnen und Verbraucher veräußert, bei denen der
Verkehrswert deutlich unter dem zum Erwerb erforderlichen Kreditbetrag lag. Somit war vorprogrammiert,
dass die Käuferinnen und Käufer im Falle eines
- möglicherweise auch zwangsweisen - Wiederverkaufs auf einem Schuldenberg sitzen blieben, der in
vielen Fällen direkt in die Privatinsolvenz führte. Bei
solchen Geschäften bestand meist eine Zusammenarbeit zwischen unseriösen Maklerinnen und Maklern
mit Kreditunternehmen. Eines von vielen Beispielen ist
die bekannt gewordene Querverbindung zwischen dem
Dortmunder Immobilienvertrieb Heinen & Biege und
der Bausparkasse Badenia. Vor diesem Hintergrund
und vor allem mit Hinblick auf die existenzbedrohenden Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen die gesetzlichen Schutzlücken in diesem Bereich endlich geschlossen werden.
Der vorliegende Entwurf ist noch nicht der „Stein
der Weisen“ für einen umfassenden Schutz vor einem
Kauf einer Schrottimmobilie, aber ein Schritt in die
richtige Richtung.
In den meisten dieser Fälle drängen die Verkäuferinnen und Verkäufer, zum Teil unter dem Vorwand des
besonders günstigen Angebotes oder dem Vorhandensein von Mitbewerbern, auf eine sehr schnelle Abwicklung des Kaufs. Das führt dazu, dass für Beurkundungen die Zweiwochenfrist des Beurkundungsgesetzes
fast nie eingehalten wird. Dieses wurde 2002 eingeführt, um das bekannte Phänomen zu unterbinden. Gebracht hat diese Norm wenig, weshalb nun nachgebessert werden muss. Fortan sollen die Notare den
beabsichtigten Text für das Rechtsgeschäft den Verbrauchern direkt zur Verfügung stellen. Die Notare dokumentieren das Datum der Zurverfügungstellung in
ihren Akten und überwachen somit die Einhaltung der
Zweiwochenfrist nach § 17 Beurkundungsgesetz. So
soll die gängige Praxis, dass der Verkäufer den Vertragstext zur Verfügung stellt und der Verbraucher nur
vor dem Notar versichert, dass ihm der Text schon zwei
Wochen lang vorgelegen habe - egal ob das den Tatsachen entsprach oder nicht -, geändert werden. Verbraucher können sich bei rechtlichen Fragen nun direkt an die Notarin oder den Notar wenden und werden
fachkundig und neutral beraten. Weitere Kosten sollen
den Verbrauchern dadurch nicht entstehen. Notare
sind als Organe der Rechtspflege aufgefordert, dieses
Verfahren durchzuführen und genau zu überwachen.
Sollte dies unterbleiben, drohen ihnen standesrechtliche Sanktionen durch die Dienstaufsichtsbehörde, wie
die Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Bundesnotarordnung.
Die vorgeschlagenen Regelungen sind aus Verbrauchersicht ein Schritt in die richtige Richtung. Ob diese
Regelungen ausreichend sind, Schrottimmobilienkaufverträge zu verhindern, wird die Praxis zeigen. Ob das
Ziel, einen verlässlichen gesetzlichen Verbraucherschutz herzustellen, mit diesem Gesetz erreicht wird,
ist deswegen noch offen.
Zwei neue Begriffe haben vor nicht allzu langer Zeit
Eingang in unsere Sprache gefunden: die „Schrottimmobilie“ und der „Mitternachtsnotar“.
Spätestens als 2011 die wahrscheinlich kürzeste
Amtszeit eines Senators endete - die zwölftägige Amtszeit des Berliner CDU-Senators für Justiz und Verbraucherschutz -, ist das Problem, das sich hinter diesen Begriffen verbirgt, deutschlandweit bekannt:
Verkäufe minderwertiger Immobilien werden kurzfristig beurkundet, ohne dass die Verbraucherin oder der
Verbraucher genügend Zeit hatte, die Immobilie oder
den Vertrag zu überprüfen. Die Beurkundung erfolgt
häufig zu ungewöhnlichen Geschäftszeiten. Der Verkehrswert der Schrottimmobilie ist erheblich geringer
als der vom Käufer zur Finanzierung der Immobilie
aufgenommene Kredit. Das Resultat: Anstelle einer
Geldanlage hat die Verbraucherin oder der Verbraucher ein lebenslanges Verschuldungsproblem.
Ich spreche hier nicht von Einzelfällen. Seit den
90er-Jahren wurden Verbraucherinnen und Verbrauchern systematisch Schrottimmobilen als Vermögensanlage oder Altersvorsorge verkauft. In Deutschland
wurden Hunderttausende Opfer dieser „Erwerbsmodelle“. Es besteht offensichtlich eine Lücke im Verbraucherschutz. Der Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen
Beurkundungsverfahren, über den wir heute debattieren, ist daher ein begrüßenswerter Schritt hin zu mehr
Rechtssicherheit.
Verträge über den Kauf von Immobilen müssen notariell beurkundet werden. Dieser Formzwang verfolgt
den Zweck, die Vertragspartner vor übereilten, folgenreichen Verpflichtungen zu schützen sowie eine sachgemäße Beratung zu gewährleisten. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Vorschrift konkretisiert diesen
Schutzzweck der notariellen Beurkundung: Der Notar
soll dem Verbraucher den Vertragstext über den Immobilienkauf im Regelfall zwei Wochen vor der Beurkundung zur Verfügung stellen. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher bekommen so ausreichend Zeit, sich mit
dem Kauf der Immobile auseinanderzusetzen. Wird die
„Bedenkfrist“ von zwei Wochen unterschritten, muss
der Notar in der Vertragsniederschrift die Gründe für
die Unterschreitung angeben.
Die Notarin oder der Notar ist als neutraler Funktionsträger weder verpflichtet noch berechtigt, die
Zu Protokoll gegebene Reden
wirtschaftlichen Grundlagen des Immobilienkaufs aufzuklären. Ihr oder ihm kommt vielmehr die Aufgabe zu,
die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften zu wahren
und Rechtsbelehrung zu leisten. Es ist richtig, die Notarinnen und Notare in den Verbraucherschutz mit
einzubeziehen. Es geht nicht darum, die Grenzen der
notariellen Tätigkeit zu erweitern. Es geht darum,
Verbraucherinnen und Verbraucher vor „schwarzen
Schafen“ zu schützen. Betrügerisches Verhalten Einzelner soll verhindert und angemessen berufsrechtlich
sanktioniert werden, bevor strafrechtliche Tatbestände
einschlägig sind.
Ein weiteres Problem, das den systematischen Vertrieb von Schrottimmobilen erleichtert, wird durch die
Neuregelung aber leider nicht gelöst: die Möglichkeit
der getrennten Beurkundung von Vertragsangebot und
Vertragsannahme. Zum Abschluss eines Kaufvertrags
bedarf es immer eines Angebots und einer Annahme.
Es ist zivilrechtlich zulässig, wenn ein Notar zunächst
das Angebot und mit zeitlichem Abstand die Annahme
beurkundet. Das kann den Vertragsschluss vereinfachen, da die Vertragsparteien nicht zur gleichen Zeit
vor dem Notar erscheinen müssen. Aber die getrennte
Beurkundung von Angebot und Annahme durch unterschiedliche Notare birgt Gefahren für die Beteiligten.
Der Notar, der die Annahme beurkundet, muss nur
über die rechtliche Bedeutung der Annahme belehren,
nicht aber über das Angebot. Im Zweifelsfall kann der
die Annahme beurkundende Notar die rechtliche Betreuungstätigkeit gar nicht ausüben, da er die dem Angebot zugrunde liegenden Tatsachen nicht kennt. Besondere berufsrechtliche Verfahrenspflichten, die dem
Problem entgegenwirken sollen, bestehen zwar bereits.
Im Zusammenhang mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren sollte jedoch überprüft
werden, ob die Schutzfunktion der Belehrung durch berufsrechtliche Richtlinien ausreichend gewahrt ist.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12035 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Es gibt
auch hier keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist so
beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auskunftspflicht von Bundesbehörden gegenüber
der Presse ({0})
- Drucksache 17/12484 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Kultur und Medien ({2})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12484 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/
CSU und FDP wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion der SPD wünscht Federführung
beim Ausschuss für Kultur und Medien.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der SPD abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also
Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in
den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte
des Bundes
- Drucksache 17/12356 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Die Bundesregierung legt heute einen Gesetzentwurf
vor, um die Familienpflegezeit für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auch für die Beamtinnen und Beam-
ten des Bundes zu ermöglichen. Mit der Demografie-
strategie der Bundesregierung wollen wir der Verein-
barkeit von Familie und Beruf noch besser Rechnung
tragen und eine familienfreundliche Arbeitswelt
schaffen, auch und insbesondere für die eigenen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, die Bundesbeamtinnen
und -beamten. Wenn wir über Familienfreundlichkeit
reden, geht es uns oftmals um berufstätige Eltern, um
Kitaplätze und Ganztagsschulen. Ich bin froh darüber,
dass wir den Rechtsanspruch auf einen Betreuungs-
platz verankert haben, ich befürworte Maßnahmen wie
Kitaausbau, Eltern- und Betreuungsgeld. Familien-
freundlichkeit ist aber mehr als das. In Familien leben
nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Senioren
oder andere Angehörige, die Hilfe und Unterstützung
brauchen.
1) Anlage 25
Armin Schuster ({0})
Pflegt jemand seine Angehörigen, so ist das eine
große persönliche Leistung, die wir nicht hoch genug
einschätzen können. Wir wollen das Leben und damit
auch die Pflege zu Hause, in den eigenen vier Wänden,
unterstützen und dabei die Doppelbelastung von Beruf
und Pflege reduzieren. Deshalb hat Ministerin
Schröder folgerichtig das Instrument der Familienpflegezeit eingeführt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können damit in Vereinbarung mit ihrem
Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeitraum reduzieren. Die finanziellen Einbußen werden
abgemildert, indem sie auf einen längeren Zeitraum
verteilt werden. Für Beamtinnen und Beamte wird ein
späterer Eintritt in den Ruhestand ermöglicht, um Versorgungseinbußen zu mindern.
Wir muten mit der Familienpflegezeit den Arbeitgebern und den anderen Mitarbeitern etwas zu, das dürfen wir nicht vergessen. Ein guter Mitarbeiter, eine fähige Kollegin ist nicht leicht zu ersetzen. Arbeitszeiten
und Teamstrukturen sind nicht beliebig änderbar, ohne
dass dies Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit
oder auch die Zufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen hat. Ich bitte all jene Kritiker, denen diese Regelung nicht weit genug geht, auch das zu bedenken.
Nun sollen auch Beamtinnen und Beamte der Bundesverwaltung die Möglichkeit bekommen, für die
Pflege von nahen Angehörigen Familienpflegezeit zu
beantragen. Das Verfahren zur Beantragung der Pflegezeit wird unbürokratisch sein: Die Beamtin oder der Beamte weist die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen nach, indem er eine Bescheinigung der Pflegekasse
oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegt. Stehen dem Antrag keine dienstlichen
Gründe entgegen, kann die Arbeitszeit wie gewünscht
reduziert werden. Im Gesetzentwurf wird zudem die
Möglichkeit eingeräumt, den Eintritt in den Ruhestand
um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Damit kann die
Beamtin oder der Beamte Ausfälle in den Versorgungsbezügen ausgleichen, die sich aus der Reduzierung der
Arbeitszeit für die Pflege ergeben.
Die Familienpflegezeit ist ein gutes Instrument, um
Gleichstellung voranzubringen. Wir alle wissen, dass
viele Frauen teilzeitbeschäftigt sind, die meisten Männer jedoch Vollzeit arbeiten. Die Familienpflegezeit
entfaltet die größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten,
die ihre Arbeitszeit vorübergehend um höchstens
50 Prozent reduzieren. Familienbedingte Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung wird bisher überwiegend von Beamtinnen in Anspruch genommen, die
dadurch - neben Besoldungseinbußen - auch versorgungsrechtliche Einbußen erleiden. Die Bundesregierung will an diesem Punkt Anreize schaffen, indem
diese Lücken durch einen späteren Ruhestandseintritt
kompensiert werden können. Dadurch trägt der Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Männern und
Frauen in der Bundesverwaltung bei.
Ich weiß, dass es einige Punkte in dem Gesetzentwurf gibt, die kritisch gesehen werden können. Wir
werden im parlamentarischen Verfahren darüber zu
diskutieren haben. Ziel dieses Gesetzes muss es meines
Erachtens sein, dass der öffentliche Dienst bei der
Umsetzung der Familienpflegezeit eine Vorbildwirkung ausübt. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der verschiedene Änderungen im öffentlichen Dienst nach sich zieht. Regelungen für die Familienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte sollen
gestaltet und der Ruhestandseintritt bei Beamtinnen
und Beamten flexibler geregelt werden.
Beide Maßnahmen sind angesichts des demografischen Wandels, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, mehr als erforderlich. Fraglich bleibt, ob die
konkrete Ausgestaltung, so wie sie von der Bundesregierung mit dem heute in erster Lesung zu beratenden
Gesetzentwurf vorgelegt wurde, tatsächlich Lösungen
für diese Probleme anbietet.
Insofern bin ich zufrieden, dass der Innenausschuss
des Deutschen Bundestages am gestrigen Mittwoch
beschlossen hat, zu dem Thema eine Anhörung durchzuführen. Diese kann weitergehende Fragen beantworten oder auch alternative Lösungsvorschläge hervorbringen.
Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen, dass die
Bundesregierung erkennt, dass im Bereich der privaten
Pflege von Angehörigen dringende Probleme warten,
die unbedingt angegangen werden müssen. Ein Großteil pflegebedürftiger Menschen wird von ihren Angehörigen betreut. Diese Pflege stellt ein extremes Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf dar.
Großspurig hat die Regierung angekündigt, die Situation dieser Menschen, bei denen es sich nach wie vor
meist um Frauen handelt, zu verbessern. Die Realisierung erfolgte mit dem Familienpflegezeitgesetz 2011,
welches nun auch für den öffentlichen Dienst mit dem
hier vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt werden
soll. Das Familienpflegezeitgesetz ist wie so vieles,
was die aktuelle Bundesregierung vorlegt, keine Erfolgsgeschichte.
Die Familienpflegezeit wird, wie vom Bundesfamilienministerium festgestellt, von Angestellten kaum in
Anspruch genommen. Und auch der vorliegende Entwurf geht von gerade einmal 250 Anträgen auf Familienpflegezeit durch Beamtinnen und Beamte aus. Da kann
man schon von einem reinen Nischenangebot sprechen. Und genauso stellt sich die Frage, ob das Familienpflegezeitgesetz und der damit korrespondierende Gesetzentwurf, den wir hier heute diskutieren,
die beste Lösung für die drängenden Fragen in der
Pflegepolitik sind.
Verstärkt wird die geringe Inanspruchnahme mit
großer Sicherheit noch durch die zum Teil engen Voraussetzungen, die hier im Gesetz für die Familienpflegzeit
geschaffen werden. Denn in § 92 a Abs. 1 BundesbeZu Protokoll gegebene Reden
amtengesetz wird die Pflegezeit auf die Pflege naher
Angehöriger beschränkt.
Es ist sehr wichtig, das drängende Thema der
Pflege von Angehörigen umfassender zu lösen. Wie bereits festgestellt, sind es doch meist Frauen, die sich
erst um die Kinder und später um die pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Die Folge sind entsprechende Gehaltseinbußen und ein Karriereknick. Dies
spüren auch Beamtinnen.
Ich habe bereits ausgeführt, dass es zu dem Entwurf
eine Anhörung geben wird. Ich bin sehr gespannt, wie
sie an diesem Punkt verläuft.
Freiwillige Dienstzeitverlängerungen kann ich nur
begrüßen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich die
Freiwilligkeit einer solchen Verlängerung. Alles andere finde ich nicht zielführend.
Allerdings frage ich mich schon, ob angesichts der
Arbeitsbelastung vieler Beamtinnen und Beamten eine
solche Regelung überhaupt der Realität entspricht.
Aktuell erwarten wir vom Bundesinnenminister im Innenausschuss einen von unserer Fraktion im Rahmen
der Bundespolizeireform von 2008 geforderten Evaluationsbericht zu ebendieser Reform. Wir alle wissen,
dass es bei der Bundespolizei zu viele unbesetzte Stellen gibt, dass Abordnungen und Arbeitsverdichtungen
zu einer höheren Burn-out-Quote führen. Die Reform
von 2008 hat dazu ihr Übriges getan. Ich bin gespannt,
wie sich der Minister zu diesen Fragestellungen äußern wird.
Ob flexible Ruhestandszeiten allerdings die Antworten auf diese drängenden Fragen im Personalstand
der Bundespolizei sind, wage ich zu bezweifeln, und
ebenso, ob eine Inanspruchnahme unter solchen Voraussetzungen überhaupt in Betracht kommt.
„Ein nicht nur langes, sondern sehr langes Leben
ist … kein Phänomen der ferneren Zukunft. Es ist bereits Wirklichkeit.“ Dies stellen die Demografieexperten am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, Björn Schwentker und der Direktor
des Instituts James W. Vaupel, in einem 2011 veröffentlichten Essay fest. Nach Aussage der Forschung erreichen schon heute immer mehr Senioren ein Alter von
weit über 80 Jahren. Mit zunehmend besserer Gesundheitsvorsorge ist die Tendenz steigend.
Mit dem demografischen Wandel sind zweifellos
große Chancen für eine Umstrukturierung der Gesellschaft verbunden. Anstatt mit dem Begriff „Überalterung“ verbundene Ängste in den Mittelpunkt zu stellen, sollten diese Chancen be- und ergriffen werden.
Für den öffentlichen Dienst bedeutet dies: Das Dienstrecht muss die geeigneten Rahmenbedingungen bieten,
um nicht nur neue und hochqualifizierte Fachkräfte für
den öffentlichen Dienst zu gewinnen, sondern auch die
Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten mit zunehmendem
Alter zu erhalten und zu steigern.
Denn die Menschen werden nicht nur immer älter;
sie altern auch gesünder, bleiben länger leistungsfähig
und wollen auch über derzeit starre Altersgrenzen hinweg am Arbeitsleben teilnehmen. Dieses Potenzial
sollte sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst genutzt werden. Die FDP-Bundestagsfraktion befördert deshalb einen flexibleren Übergang in den Ruhestand. Zudem muss aus Sicht der
FDP auch im öffentlichen Dienst für die nötige Flexibilität zur Vereinbarkeit von Beruf und familiären Verpflichtungen gesorgt werden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Ruhestandseintritt für
Bundesbeamte setzen wir Reformen um, die konkret
auf den demografischen Wandel im öffentlichen Dienst
reagieren. Zum einen stärken wir die Vereinbarkeit von
Beruf und häuslicher Pflege von Angehörigen. Dafür
wird das Familienpflegezeitgesetz wirkungsgleich auf
Bundesbeamte übertragen. Es gilt bereits seit Anfang
2012 für Angestellte und Tarifbeschäftigte. Künftig
können auch Bundesbeamte zur Pflege von Angehörigen für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit auf
mindestens 15 Wochenstunden reduzieren, wenn dem
dienstlich nichts entgegensteht. In dieser Zeit erhalten
sie einen Vorschuss auf ihre Besoldung, der erst danach zurückgezahlt wird. Bisher bestand für Beamte
lediglich die Möglichkeit, für den Pflegezeitraum in
Teilzeit zu arbeiten.
Die Flexibilisierung des Ruhestandseintritts ist für
die FDP-Fraktion eine unverzichtbare Reaktion auf
den demografischen Wandel. Der Gesetzentwurf sieht
hierfür Folgendes vor: Haben Beamte im Laufe ihres
Berufslebens Versorgungseinbußen wegen familienbedingter Teilzeit, Beurlaubung oder auch Familienpflegezeit erlitten, so können sie künftig für die gleiche
Dauer und bis zu maximal drei Jahren ihren Ruhestand
hinausschieben. Damit lassen sich die Nachteile wieder ausgleichen.
Über diese gute Maßnahme hinaus sollten wir in
zwei Punkten noch über Verbesserungen am Gesetzentwurf nachdenken. Bisher können Beamte auch ohne
ihre Zustimmung vom Dienstherrn dazu verpflichtet
werden, bis zu drei Jahre länger zu arbeiten. Aus unserer Sicht ist diese Regelung nicht mehr zeitgemäß und
steht den von uns gewünschten Anreizen entgegen. Beamte sollten frei entscheiden können, ob sie - aus welchen Gründen auch immer - über ihr gesetzliches Ruhestandsalter hinaus arbeiten möchten. Zudem sollte
es sich auch für diejenigen lohnen, weiterzuarbeiten,
die ihren Höchstruhegehaltsatz nach 40 Dienstjahren
bereits erreicht haben, wenn sie in Pension gehen.
Hier kann mit einem Zuschlag der nötige finanzielle
Anreiz gesetzt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass die Regierungskoalition die Herausforderung annimmt, dafür zu sorgen, dass in einer Zeit des demografischen
Wandels hin zu einer älteren Gesellschaft der öffentliche Dient funktions- und leistungsfähig bleibt. Dafür
sprechen darüber hinaus in dieser Legislaturperiode
Zu Protokoll gegebene Reden
bereits umgesetzte Dienstrechtsreformen wie das Fachkräftegewinnungsgesetz oder demnächst umzusetzende
wie die Portabilität, das heißt die Mitnahme von Versorgungsanwartschaften für freiwillig aus dem Dienst
ausscheidende Bundesbeamte.
Die bestehenden Regelungen für die Familienpflegezeit, die sich aus dem Gesetz über die Familienpflegezeit - Familienpflegezeitgesetz -, FPfZG, ergeben
und für Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes und
der gewerblichen Wirtschaft gelten, sollen auf den Beamtenbereich wirkungsgleich übertragen werden.
Völlig unverständlich ist, warum Fehler der Familienpflegezeit bei der Übertragung auf Beamte wiederholt werden. Das Familienpflegezeitgesetz hat seine
Untauglichkeit bewiesen, da im Jahr 2012 und 2013
zusammengerechnet nur 147 Anträge auf Pflegezeit
gestellt wurden. Offensichtlich geht es an den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer völlig vorbei und wird deshalb nicht angenommen. Zwar
werden bestimmte Zumutungen, die Tarifbeschäftigten
auferlegt werden, nicht übertragen, wie der Abschluss
einer privaten Ausfallversicherung und die fehlende
Möglichkeit auf Verlängerung der Familienpflegezeit,
doch entsteht mit dem Gesetz dadurch eine neue Ungleichbehandlung.
Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes sollen
Beamte des Bundes auf Antrag die Möglichkeit erhalten, mittels einer besonderen Form der Teilzeitbeschäftigung die häusliche Pflege von nahen Angehörigen für bis zu 24 Monate übernehmen zu können. Die
Arbeitszeit kann in der sogenannten Pflegephase auf
mindestens 15 Stunden in der Woche reduziert werden.
In der sogenannten Nachpflegephase, welche die
gleiche Länge der Pflegephase haben muss - also
ebenfalls maximal 24 Monate betragen darf -, muss
die oder der Beamte mit seiner Arbeitszeit Dienst leisten, die dem Umfang der genommenen Pflegephase
entspricht. Faktisch wird für den Zeitraum der Pflegephase zusätzlich zur Besoldung ein Vorschuss auf die
Dienstbezüge, der während der Nachpflegephase zurückzuzahlen ist, gewährt. Die Pflegephase muss demnach in der Nachpflegephase abgearbeitet werden.
Für Menschen, die schon in Teilzeit arbeiten oder
wenig verdienen, kommt eine weitere Reduzierung der
Arbeitszeit meist aus finanziellen Gründen häufig
nicht infrage. Es sind überwiegend Frauen, die Angehörige pflegen. Zugleich sind es zu 70 Prozent Frauen,
die in prekären Arbeitsverhältnissen oder Teilzeit arbeiten. Eine Freistellung muss Frau sich erst einmal
leisten können.
Auch im öffentlichen Dienst des Bundes sind in Vollzeit mehr Männer als Frauen beschäftigt. Es ist unter
den heutigen Bedingungen unwahrscheinlicher, dass
sich ein vollzeitbeschäftigter Mann anstatt seiner teilzeitbeschäftigten Frau für die Pflege von Angehörigen
entscheidet. Also ist auch eine Benachteiligung von
Frauen zu erwarten.
Einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit besteht
nicht. Auch kann eine Bewilligung aufgrund „dringender dienstlicher Gründe“ verweigert werden.
Mit dem geplanten Gesetz soll Beamten des Bundes
die Pflege von Angehörigen erleichtert werden. Der
Vorrang der häuslichen Pflege - wie in der ({0})
Pflegeversicherung angedacht - soll gestärkt werden
und dadurch dauerhafte Einsparungen erhalten bleiben. Pflege soll vornehmlich im privaten Lebensumfeld und von Angehörigen oder Laien geleistet werden,
anstatt Pflege und Betreuung alter oder kranker Menschen, die ohne Hilfe die Anforderungen des Alltags
nicht mehr bewältigen können, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge zu gestalten. Hierfür wäre die von Anfang an unterfinanzierte soziale Pflegeversicherung hin zu einer
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung auszubauen
und die Verteilung der Pflege- und Assistenzaufgaben
zwischen Staat und Familie zugunsten einer stärkeren
öffentlichen Verantwortung zu verschieben.
Die Linke setzt auf professionelle Pflege und begleitende Angebote zur Unterstützung, die die pflegerische
Versorgung von Angehörigen gewährleisten müssen.
Wir fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für
Erwerbstätige, die der Organisation der Pflege und
der ersten pflegerischen Versorgung dient. Darüber hinaus sind die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung anzuheben.
Der vorliegende Gesetzentwurf bringt keine grundlegende Verbesserung. Bereits heute bestehen Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung und zu arbeitsanteiliger Besoldung. Beamte können sich nach dem
jeweils für sie geltenden Beamtengesetz für maximal
15 Jahre ohne Dienstbezüge zur Pflege eines Angehörigen vom Dienst befreien lassen. Außerdem können
sie für die Pflege eines Angehörigen nach ärztlichem
Gutachten in Teilzeit bis zur Hälfte der regelmäßigen
Arbeitszeit arbeiten, § 92 BBG.
Wir haben die Familienpflegezeit rundweg abgelehnt
und lehnen auch die Übertragung auf Beamtinnen und
Beamte ab.
Schon das Zustandekommen des vorliegenden Gesetzentwurfs ist reich an Peinlichkeiten. Zwei wesentliche Punkte der Gesetzesvorlage zum flexiblen Ruhestand sind am Tag des Beteiligungsgespräches mit den
Gewerkschaften zurückgezogen worden. Eine derartige Torpedierung von Beteiligungsrechten hat es bisher nicht gegeben. Erstens wurden die 10 Prozent Zuschlag auf die Besoldung mit dem Hinausschieben der
Altersgrenze und bei Erreichen des Versorgungshöchstsatzes gestrichen. Zweitens wurde die versprochene Streichung des Aufschiebens des Ruhestandseintrittes nicht durchgeführt - und das ohne Zustimmung
der Beamten. Die Regierungskoalition verstößt damit
gegen die von ihr verkündete Demografiestrategie. Im
Kapitel „Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen
Zu Protokoll gegebene Reden
Dienstes des Bundes erhalten“ waren die nun gestrichenen Punkte die einzigen konkreten Vorhaben.
Es zeigt sich zum wiederholten Male, dass die Regierungskoalition planlos und ohne Ideen der demografischen Entwicklung im öffentlichen Dienst gegenübersteht. Ihre Prämisse, dass nur Maßnahmen
ergriffen werden, die kosten- und stellenneutral sind,
wird dazu führen, dass keines der anstehenden
Probleme gelöst wird. Wegen der viel zu engen Einstellungskorridore angesichts einer überalterten
Beamtenschaft wird es mittelfristig zu großen Schwierigkeiten kommen, die Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltung zu sichern. Die Grundthese der Demografiestrategie der Bundesregierung für den öffentlichen
Dienst ist die Notwendigkeit der Verankerung einer
„Kultur des längeren Arbeitens“. Nun ist hinlänglich
bekannt, dass im Beamtenbereich der reale Ruhestandseintritt häufig vor der Erreichung des Regelalters
stattfindet. Grund dafür sind die aus den übergroßen
Arbeitsbelastungen entstehenden physischen und psychischen Schädigungen.
Doch die Belastungen werden nicht gesenkt. Anstatt
die Arbeitsverdichtung zu bekämpfen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern und eine aktive
Gesundheitsvorsorge zu unterstützen, wird versucht,
zum längeren Arbeiten zu animieren. Doch sollte eine
Dienstzeitverlängerung nur als Ausnahme praktiziert
werden. Immerhin ist eine Verlängerung der Dienstzeit
zur Einarbeitung neuer Beamter nachvollziehbar.
Dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig länger arbeiten sollen, anstatt jüngere Beschäftigte einzustellen, erklärt sich nur aus haushälterischen Gründen und widerspricht einer nachhaltigen
Personalpolitik. Die Linke fordert hingegen eine breite
Ausbildungs- und Einstellungsoffensive.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird weder die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf befördert noch
ein Beitrag zur Entschärfung der Pflegeproblematik
geliefert, noch die Attraktivität des öffentlichen Dienstes erhöht, noch werden die demografischen Probleme
des öffentlichen Dienstes angegangen.
Die Gesellschaft altert, und die Zahl der Pflegefälle
nimmt weiter zu. Zugleich gibt es aber immer weniger
Menschen, die bereit sind, in der Kranken- oder Altenpflege zu arbeiten. Das ist aber nur die eine Seite. Die
Frage der Pflege durch Angehörige und in der Familie
dagegen beschäftigt uns dagegen bereits seit Jahrzehnten. Es wäre falsch, diese Frage - aus der Sicht
vieler auch die des Pflegenotstandes - einseitig mit
dem demografischen Wandel in Verbindung zu bringen. Denn sie berührt viel tiefer gehend auch den Wandel und die Ausdifferenzierung des Modells Familie im
Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen.
Die einseitige Einordnung ausschließlich beim demografischen Wandel nährt den Verdacht, die
schwarz-gelbe Koalition wolle die eigene Unfähigkeit,
die Veränderungen in unserer Gesellschaft wahrzunehmen und auf sie zu reagieren, verdecken; Karlsruhe
und Adoptionsurteil lassen grüßen. Wir sollten die
Pflege aber auch nicht, wie es Schwarz-Gelb jetzt vormacht, allein unter dem Gesichtspunkt eines leistungsfähigen öffentlichen Dienstes oder gar der Fachkräftedebatte betrachten. Denn damit würde schlicht
verkannt, dass es die Ermöglichung der Pflege von
nahestehenden Personen und die Würde der Pflegebedürftigen selbst sind, die uns dazu verpflichten, die
Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf möglichst allen
Ebenen voranzutreiben.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei
der Pflege um ein zentrales Thema auch der Sozialund Gesundheitspolitik handelt. Es ist deshalb gut und
richtig, dass hierzu in der kommenden Sitzungswoche
eine dann hoffentlich erhellende Sachverständigenanhörung stattfinden wird. Dass wir in dieser Anhörung
gleich drei hochkomplexe und völlig unterschiedliche
Themen in einem Aufwasch aufgreifen werden, ist erkennbar unseriös und an der Grenze zu einer bloß symbolischen Beratung dieses Hauses. Diese Planung
geht klar auf das Konto der schwarz-gelben Koalition,
die offensichtlich meint, kurz vor ihrem absehbaren
Ende mit wenigen ganz schmalspurigen Initiativen in
Richtung Beamtenschaft punkten zu können.
Was aber bekommen die Bundesbeamten wirklich?
Im Falle des uns heute vorgelegten Gesetzes gilt - ich
zitiere den Entwurf: „Damit wird das Familienpflegezeitgesetz, das für die Privatwirtschaft und für Tarifbeschäftigte seit dem 1. Januar 2012 in Kraft ist, im Beamtenbereich wirkungsgleich nachvollzogen.“ Nur
nachvollzogen, sollte man ergänzen. Das stimmt nachdenklich, nicht nur wegen der Eigenheiten des Dienstverhältnisses. Vielmehr handelt es sich um ein übernommenes Konzept aus dem Hause der Familienministerin.
Soweit ich mich erinnern kann, haben wir zu
Kristina Schröders Familienpflegezeitgesetz nicht nur
eine turbulente Debatte erlebt, bei der die Opposition
einhellig Kritik übte, sondern wir haben auch eine
Sachverständigenanhörung erlebt, bei der die Kritik
insbesondere der in der Praxis erfahrenen Sozialverbände nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ.
Diese Debatte um Schröders Familienpflegezeitgesetz
wiederum ist nur im Licht der Auseinandersetzung um
die Reform der Pflegeversicherung selbst zu sehen.
Auch hier erlebten wir eine Bundesregierung, deren
Reformansatz an Mickrigkeit nicht zu überbieten war
und die zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen
ließ, wie wenig ihr Begriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität bedeuten. Wenn die Rede von der Forderung
nach dem Gesamtkonzept also jemals Sinn gemacht
hat, dann beim Thema Pflege. Davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf jedoch wahrlich nichts zu erkennen.
Ein weiterer Haken, der in unsere ansonsten leider
gerne kleinteilig geführten Beamtenrechtsdebatten hiZu Protokoll gegebene Reden
neinreicht, ist die im Gesetzentwurf beschworene Formel von der Kultur des längeren Arbeitens. Hier wird
vom Bundesinnenminister gleich ein noch größeres
Rad gedreht, nämlich die Debatte um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wir teilen im Grundsatz
den skeptischen Blick des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass es besser wäre, versorgungsbedingte biografische Lücken von vornherein zu verhindern, anstatt sie erst entstehen zu lassen und den Betroffenen
anschließend die Verantwortung für die Lückenschließung durch verlängerte Lebensarbeitszeit aufzubürden.
Wer, wie die Bundesregierung, wirkungsgleich das
Konzept für die Tarifbeschäftigten des Bundes auf die
Bundesbeamten überträgt, mag sich „wirkungsgleich“
auch die Kritik daran anziehen. Man hat sich für ein
Konzept entschieden, bei dem, neben dem bestehenden
reformbedürftigen Pflegesystem, keine weiteren Elemente gesellschaftlicher Solidarität geschaffen werden
sollen, sprich: Das Risiko Pflege tragen die Angehörigen, aus der Perspektive des Dienstverhältnisses gesehen, ausschließlich selbst. Der Entwurf rühmt sich ja
- insofern konsequent, aber zynisch - seiner weitgehenden Kostenneutralität. Es wird sich zeigen, ob
diese Entscheidung den Verhältnissen eines sich ausweitenden Pflegenotstandes tatsächlich Rechnung trägt.
Besonders fragwürdig bleibt, dass kein Rechtsanspruch geschaffen wird. Stattdessen wird ein so weiter
Ermessensspielraum für die mögliche Ablehnung
durch die Dienstherren geschaffen, dass die Nachfrage
zur Bittstellung verkommt. Fragwürdig erscheint auch,
dass trotz der Vielfalt der zu bedenkenden Konstellationen eine Familienpflegezeit ausschließlich für betroffene nahe Angehörige gewährt wird. Das riecht mal
wieder nach Festschreibung überholter Familienvorstellungen und schneidet unnötig die Bereitschaft zu
verantwortlichem Handeln ab.
Entgegen der Zielsetzung der Flexibilisierung wird
mit der Fixierung auf die Höchstdauer der Gewährung
von längstens 24 Monaten die Realität ganzer Krankheitsbilder und typischer Pflegefälle negiert, die sich
tatsächlich oft über viele Jahre hinziehen.
Keine Anstrengungen unternimmt der Entwurf, sich
mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass nach wie
vor ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen.
Das ist gleichstellungspolitisch nicht akzeptabel.
Nicht dargelegt wird, wie diese Neuregelung mit anderen bestehenden Regelungen zum Thema Pflege zusammengreift. Vorstellungen zum Beispiel von einem
effektiveren und alle Beteiligten schonenderen Pflegemix scheinen daher von vornherein in keinerlei Weise
mitbedacht.
Ich bin gespannt, was uns die Sachverständigen zu
der zu erwartenden Nachfrage nach diesem Gesetz sagen werden. „Wirkungsgleich“ zu Kristina Schröders
Gesetzesinitiative wird womöglich deutlich werden,
dass wir es hier mit einer so eng geführten Familienpflegezeit zu tun haben, dass die schwarz-gelbe Koalition sich hier - auf jeden Fall aber verglichen mit der
zu stemmenden Aufgabe Pflege und Pflegenotstand auf dem Feld der symbolischen Gesetzgebung betätigt,
um Aktivitäten vorzugaukeln, in der Sache aber kaum
einen Schritt vorwärts gemacht wird.
„Mit dem Gesetzentwurf sollen erste konkrete
Schritte unternommen werden.“ So heißt es in dem uns
vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung
gleich auf Seite eins. Wer uns so spät in der Legislaturperiode ein solches Trippelschrittchen vorlegt, wer
also so spät anfängt, seine Hausaufgaben zu machen,
von dem können wir mit Gewissheit keine weiteren
ernsthaften Schritte mehr erwarten. Das ist auch gut
so; denn im September wird diese schwarz-gelbe Chaoskoalition abgewählt werden. Dann darf sie den selbst
geschaffenen Stillstand nicht mehr verwalten, und
dann wird sie auch in diesem Bereich keinen weiteren
überwiegend durch Unterlassen bewirkten Schaden
mehr für unser Land anrichten können.
Auf Ihrer heutigen Tagesordnung steht der Gesetzentwurf meines Hauses zur Familienpflegezeit und
zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für die Beamtinnen und Beamten des Bundes.
Lassen Sie mich den Gesetzentwurf in einen größeren Zusammenhang stellen: Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahren unsere Republik
tiefgreifend verändern. Wir werden immer älter - und
immer weniger Jüngere wachsen heran. Dies wird
auch nicht spurlos an der Beschäftigtenstruktur des öffentlichen Dienstes vorbeigehen. Darauf müssen wir
bereits heute reagieren und die entsprechenden Weichen für einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst
stellen. Dies wird dem öffentlichen Dienst nur dann
gelingen, wenn er seine Verantwortung für ein flexibles, familienorientiertes und gesundes Arbeiten mit
Blick auf die Zukunft wahrnimmt und als Arbeitgeber
attraktiv bleibt. In diesem Sinne unternehmen wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf erste konkrete
Schritte zur Umsetzung der Demografiestrategie der
Bundesregierung für den Bereich des öffentlichen
Dienstes des Bundes.
Gestatten Sie mir, Ihnen die wesentlichen Eckpunkte
dieses Gesetzentwurfs vorzustellen: Mit dem Gesetzentwurf ermöglichen wir den Beamtinnen und Beamten des Bundes, zur Pflege ihrer nahen Angehörigen
Familienpflegezeit in Anspruch zu nehmen. Hierzu
wollen wir die bereits bestehenden Regelungen für die
Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes und die
Beschäftigten der gewerblichen Wirtschaft, die bereits
seit dem 1. Januar 2012 diese Möglichkeit nutzen können, wirkungsgleich auf den Beamtenbereich übertragen. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die
Sorge für die Familie, insbesondere die Pflege von
Älteren, zukünftig mehr Zeit in Anspruch nehmen wird,
müssen Berufsleben und Sorge für die Familie flexibler
gehandhabt werden. Wir unterstützen mit dieser RegeZu Protokoll gegebene Reden
lung unsere pflegenden Beschäftigten und versuchen,
die Pflege mit dem Beruf besser in Einklang zu bringen.
Wie soll die Familienpflegezeit konkret aussehen?
Die für die Beamtinnen und Beamten neue Familienpflegezeit wird in das Bundesbeamtengesetz als
eine besondere Form der Teilzeitbeschäftigung in die
Systematik der bereits bestehenden Tatbestände der
Teilzeitbeschäftigung eingeführt. Sie gliedert sich in
zwei Phasen, die Pflege- und die Nachpflegephase mit
unterschiedlichem Umfang der Arbeitszeiten. Beamtinnen und Beamte mit Anspruch auf Besoldung haben
die Möglichkeit, auf Antrag für die Dauer von längstens 48 Monaten Teilzeitbeschäftigung als Familienpflegezeit zur Pflege von pflegebedürftigen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu nehmen. Dabei
werden sie in der Pflegephase finanziell gefördert. In
der anschließenden Nachpflegephase wird diese Förderung wieder zurückgeführt. Die hierzu notwendigen
besoldungsrechtlichen Aspekte werden im Bundesbesoldungsgesetz sowie einer sich hierauf stützenden
Verordnung geregelt werden.
Uns ist dabei bewusst: Die Familienpflegezeit ist
ein Angebot, das neben bereits bestehende Möglichkeiten wie Teilzeit- und/oder mobiles Arbeiten oder Freistellungen, wie zum Beispiel Sabbatjahr, tritt und sich
im Bewusstsein von Beschäftigten und Dienststellen
erst etablieren muss. In den Medien ist im Dezember
letzten Jahres kritisiert worden, dass in der privaten
Wirtschaft Familienpflegezeit bislang noch wenig genutzt wird. Das ist bedauerlich, sollte uns aber nicht
davon abhalten, „Zeitsouveränität“ für Beschäftigte
auch im öffentlichen Dienst flexibel und zukunftsfest zu
gestalten.
Ein zweiter Aspekt des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Einführung eines neuen Anspruchs auf
Dienstzeitverlängerung. Damit möchten wir die Rechte
derjenigen Beamtinnen und Beamten stärken, die Einbußen bei der Versorgung aufgrund familienbedingter
Teilzeit- oder Beurlaubungszeiten oder aufgrund der in
diesem Gesetz neu eingeführten Familienpflegezeit mit
längerer Lebensarbeitszeit kompensieren wollen. Dieser Anspruch ist auf höchstens drei Jahre begrenzt und
besteht auch höchstens für die Dauer der familienbedingten Teilzeitbeschäftigung, Beurlaubung oder
Familienpflegezeit beim Bund. Hierbei werden selbstverständlich auch familienbedingte Abwesenheitszeiten in einem Beamtenverhältnis zu einem anderen
Dienstherrn wie zum Beispiel zum Land berücksichtigt.
Wir reden hier - das ist immer noch die Realität hauptsächlich über Frauen, die ihre berufliche
Karriere für die Kindererziehung oder zur Pflege von
Angehörigen ganz oder teilweise unterbrochen haben.
Wir setzen hier auf die Anreize durch die längere Besoldung und das Schließen der Versorgungslücken.
Die Herausforderungen des demografischen Wandels werden perspektivisch noch eine Vielzahl verschiedener Handlungsinstrumente erfordern. Mit dem
Gesetzentwurf haben wir im Bund hierzu einen ersten
Schritt unternommen. Wir sind uns bewusst, dass diesem Schritt noch viele weitere folgen müssen. Daran
arbeiten wir mit Hochdruck.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12356 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({0}), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für
die Bundeswehr
- Drucksache 17/12437 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Es steht
momentan weder eine Beschaffung von unbewaffneten
noch von bewaffneten Drohnen an. Die Diskussion darum, wie wir sie jetzt führen, ist noch gar nicht relevant. Die SPD hätte das Thema zugunsten ihres Wahlkampfes am liebsten sogar ganz ausgeklammert. Nicht
zuletzt deshalb halte ich es auch für gut und wichtig,
dass wir nun heute darüber debattieren. Gerade für
die Linke besteht jedoch offensichtlich großer Erklärungsbedarf. Dies erklärt auch, warum sie die Realität
komplett verkennt und von Killerwaffen spricht, die zukünftig von den Soldaten vom Sofa aus mal eben gezündet werden. Ich zitiere Frau Höger: „Zwischendurch wird vielleicht ein Computerspiel gespielt oder
das Baby gewickelt.“ Das ist eine Unverschämtheit
unseren Soldaten gegenüber. Lassen Sie uns doch besonders bei diesem sensiblen Thema sachlich und ehrlich bleiben.
Die Vorteile des Einsatzes von bewaffneten Drohnen
überwiegen die Argumente der Zweifler und Zukunftsverweigerer. Derzeit haben wir unbewaffnete Drohnen
im Einsatz, die der Aufklärung bei den Einsätzen unserer Soldaten dienen. Sie können drohende Gefahren
frühzeitig erkennen und schützen somit die Truppe im
Einsatz.
Skizzieren wir nun dieses Szenario ein wenig weiter:
Bei einem Einsatz gerät eine Einheit in einen Hinterhalt von Terroristen. Sie sind eingekesselt und können
nicht mehr entfliehen. Eine Flucht ließe sich nur unter
großer Gefahr bewerkstelligen. Durch die eingesetzte
unbewaffnete Drohne können mehrere terroristische
Gruppen in der Umgebung aufgeklärt werden. Daraufhin wird bemannte und bewaffnete Luftunterstützung
angefordert. Dadurch wird erstens ein weiterer Soldat
der Gefahr eines Abschusses ausgesetzt. Zweitens vergehen viele wichtige Minuten zwischen dem Start und
der Ankunft des Kampfflugzeugs im Einsatzgebiet. Minuten, die über Leben und Tod entscheiden können.
Dieses Szenario verdeutlicht den Sinn und Zweck
der Anschaffung bewaffneter Drohnen. Sie dienen der
Sicherheit unserer Soldaten am Boden und in der Luft.
Eine Drohne hat viel längere Stehzeiten, als ein Kampfflugzeug jemals haben kann. Somit können auch langfristige Einsätze durchgängig mit bewaffneter Luftunterstützung abgesichert werden. Durch die optimale
Kombination aus Aufklärung und Waffenwirkung erhöhen wir den Schutz unserer Soldaten signifikant.
Die Kritik, dass durch den Einsatz von bewaffneten
Drohnen eine zu große emotionale Distanz des Soldaten zum Kampfgeschehen entsteht, halte ich nicht nur
für falsch, sondern für überaus zynisch und verantwortungslos. Für falsch halte ich sie, weil auch der Pilot
eines Flugzeuges dem Menschen nicht in die Augen
sieht, bevor er die Rakete abschießt. Bei nahezu jeder
indirekten Waffe, nicht nur bei einer Drohne, ist ein
Monitor zwischengeschaltet. Der Marinesoldat, der
einen Torpedo abschießt, der Schütze, der eine Interkontinentalrakete oder eine Patriot-Rakete abfeuert alle schauen auf einen Monitor. Von daher hat jede indirekte moderne Waffe eine technische Überbrückungsmöglichkeit für denjenigen, der sie auslöst.
Den Vorwurf der emotionalen Distanz nur auf den
Einsatz von Drohnen zu beziehen, ist somit sehr eingeschränkt und kurzsichtig. Was den Vorwurf aber gänzlich absurd macht, ist die Tatsache, dass auch bei herkömmlichen Flugzeugen der Pilot ohnehin nicht über
den Abschuss einer Rakete entscheidet, sondern der
befehlshabende Einsatzführer am Boden. Der Pilot liefert lediglich die Waffenwirkung, die meist von den Bodentruppen angefordert wird. In Afghanistan muss sogar jeder Schießbefehl vom Hauptquartier freigegeben
werden. So unterscheiden sich unbemannte bewaffnete
Luftfahrzeuge in ihrer Wirkung nicht von bemannten.
Das soll nun aber nicht heißen, dass die Zurechenbarkeit des Abschusses nicht möglich ist. Auch diesen Vorwurf habe ich einige Male gehört, und ich halte ihn für
abstrus. Am Schluss der Befehlskette entscheidet ein
Mensch, eine Rakete abzuschießen, und nicht ein Roboter oder eine Maschine. Es ist nur eben nicht der Pilot.
Bis hierhin kann ich die haltlose Kritik der Linken
an der Anschaffung bewaffneter Drohnen noch mit Unwissenheit und mangelndem Interesse an der Materie
erklären. Was mich bei dieser Diskussion jedoch so
wütend macht, ist der unverhohlene Zynismus und die
Verantwortungslosigkeit gegenüber unseren Soldaten,
die bei den Argumenten mitschwingen.
Ich möchte Ihnen deshalb die Frage stellen: Wieso
sollten wir unsere Soldaten unnötig in Lebensgefahr
bringen? Weil es nicht fair ist, dass sie dank unserer
technischen Möglichkeiten ein kleineres Risiko eingehen als ihre terroristischen Gegner? Wollen wir unseren Soldaten vorwerfen, sie würden leichtfertig töten,
wenn sie sich nicht direkt im Kampfgeschehen befinden? Sollen wir in Zukunft auf die Panzerung von
Fahrzeugen verzichten, weil sie das Risiko für unsere
Soldaten zu klein hält?
Die Einsätze belasten unsere Soldaten enorm. Es ist
doch nicht nachteilig, wenn sie weniger in direkte
Kampfhandlungen verwickelt werden. Außerdem kann
man eine derart essenzielle Entscheidung wie den Abschuss einer Rakete besser und ausgewogener treffen,
wenn man sich nicht direkt in der Kampfhandlung befindet. Angst ist nämlich nie ein guter Ratgeber. Wir
dürfen außerdem auch nicht vergessen, dass es sich
bei unseren Gegnern um Terroristen handelt, deren
Hemmschwelle ohnehin ungemein niedriger ist als die
unserer Soldaten.
Zuletzt möchte ich noch auf den Vorwurf eingehen,
mit Drohnen werde gezielt getötet. Ja was denn sonst?
In welcher Welt leben sie, meine Damen und Herren
von den Linken? Wollen Sie mit großflächigen Bombardements in Afghanistan die Zivilbevölkerung auslöschen, nur damit Sie danach behaupten können, unsere
Soldaten würden nicht gezielt töten? Wer nicht will,
dass wir Unbeteiligte gefährden, der muss Waffensysteme entwickeln und einsetzen, die nicht flächig, sondern gezielt wirken. Natürlich verlangen wir von unseren
Soldaten, dass sie unter Beachtung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit agieren.
Damit sind wir auch schon bei dem weiteren Kritikpunkt, bewaffnete Drohnen seien völkerrechtlich problematisch. Drohnen unterscheiden sich zunächst
rechtlich in keiner Weise von anderen fliegenden Plattformen. Ob Sie eine Rakete am Boden oder von einer
Drohne aus abfeuern, unterliegt den gleichen Regeln.
Natürlich ist es so, das zeigt auch die Realität, dass jedes Waffensystem auch völkerrechtswidrig eingesetzt
werden kann, auch eine Drohne. Sie sollten jedoch
nicht von der Einsatzart und der Einsatzmethode anderer Staaten auf das Einsatzmittel selbst schließen. Es
ist ausschlaggebend, für welchen Zweck und mit welcher Legitimierung wir eine Drohne nutzen. Grundlage für jeden deutschen Einsatz sind die Einsatzregeln und letztlich unser Grundgesetz. Und daran
halten wir uns.
Ich denke, meine Darlegung der Argumente für die
Anschaffung bewaffneter Drohnen haben Sie teilweise
und in anderer Form auch schon von unserem Minister
gehört. Ich kann mich da nur wiederholen: Die Zukunft der Fliegerei wird in den nächsten 50 Jahren
auch von der unbemannten Luftfahrt geprägt sein. Der
Krieg der Zukunft wird vermehrt durch bewaffnete
Drohnen geführt werden. Wir können es uns nicht leisten, als Anlehnungsmacht im europäischen Gefüge auf
die Drohnentechnologie zu verzichten. Deshalb ist es
mir ein Anliegen, dass wir unsere deutschen und europäischen Kompetenzen für die zukunftsweisende ForZu Protokoll gegebene Reden
schung und Entwicklung in diesem Bereich nutzen. Es
liegt an uns, ob wir uns fortschrittspessimistisch und
technologiefeindlich gegen alles Neue verwehren oder
ob wir neue Technologien als Chance für unsere Zukunft und für die Sicherheit unseres Landes begreifen.
Den unbemannten Flugzeugen - zivil und militärisch - gehört die Zukunft: Sie sind verhältnismäßig
preiswert, brauchen weder fliegendes Personal noch
teuren Eigenschutz. Die Vorteile von Drohnen sind unbestritten, gerade im Bereich der Aufklärung haben sie
einen besonders großen Nutzen. Auf der ILA in Berlin
konnten Besucher unlängst Drohnen verschiedenster
Größe und Bauart gleich in zweistelliger Zahl betrachten. Wer hier vonseiten der Industrie nicht mithält, ist
aus dem Rennen.
Das heißt aber nicht, dass die Politik deshalb unter
Zugzwang steht. Das Vorhaben der Bundesregierung,
jetzt bewaffnete Drohnen zu beschaffen, macht politisch überhaupt keinen Sinn. Die Bundeswehr hat weder eine Fähigkeitslücke noch verfügt die Luftwaffe
über ein Konzept, in welchen Szenarien Drohnen
notwendig sind und wie sie eingesetzt werden sollen.
Es gibt derzeit in Europa nicht einmal Regularien, wie
Drohnen in den Luftraum integriert werden können.
Deshalb gilt gerade hier der Satz: Eile mit Weile.
Bevor über solche Systeme entschieden wird, brauchen wir eine gesellschaftspolitische Debatte darüber,
ob, wann und wie wir bewaffnete Drohnen einsetzen
wollen. Hier stehen völkerrechtliche und ethische Fragen im Vordergrund. Die illegalen Drohnenangriffe
der USA in Jemen und Pakistan verdeutlichen, wie notwendig es ist, solche Einsätze einzugrenzen, ob im Völkerrecht oder durch Instrumente der Rüstungskontrolle.
Bewaffnete Drohnen sind eben keine unbemannten
Flugzeuge, sie sind mehr. Sie sind der Einstieg in eine
vollautomatisierte Kriegsführung. Wir müssen uns
doch fragen, ob Parlamente und Regierungen ohne
das Risiko, die eigenen Soldaten zu gefährden, nicht
schneller über Auslandseinsätze entscheiden. Werden
militärische Befehlshaber nicht rascher einen tödlichen Einsatz anordnen nach dem Motto „kill before
capture“, verändert sich nicht auch die Kriegsführung
der Militärs?
Die Gefahr, dass am Ende dieser technologischen
Entwicklung automatisierte Systeme stehen, die vom
Schreibtisch aus auf bestimmte Merkmale hin programmiert und eingesetzt werden, sehe ich mit großer
Besorgnis. Zu dieser Debatte gehört deshalb eine klare
völkerrechtliche Ächtung von vollautomatisierten
Systemen. Wenn die Bundesregierung glaubt, sich
diese Fragen nicht stellen zu müssen, ermuntert sie uns
Sozialdemokraten, hier ganz genau draufzuschauen.
Sollte sich am Ende dieser Debatte erweisen, dass
bewaffnete oder waffenfähige Drohnen einen wichtigen und angemessenen Beitrag zu einer umfassenden
Sicherheits- und Verteidigungspolitik darstellen, kann
immer noch eine gezielte Entwicklungskooperation
zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland eingeleitet werden. Ein Kauf von der Stange auf
dem amerikanischen Markt würde den Weg für eine
mögliche europäische Lösung erschweren, wenn nicht
gar verbauen. So lange kann die Bundeswehr ohne
Schwierigkeiten die bislang geleasten Aufklärungssysteme Heron weiterverwenden. Weil Frankreich über
die gleichen Systeme verfügt, ist eine europäische
Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich
bei der Entwicklung von Drohnen auch später immer
noch möglich. Das würde auch industriepolitisch Sinn
machen. Was die Fraktion Die Linke allerdings zu diesem Thema beiträgt, ist fern aller Wirklichkeit. Wenn
ich den Kopf in den Sand stecke, lösen sich Probleme
nicht von selbst.
Es ist nicht ganz drei Wochen her, da haben Sie,
liebe Kollegen von der Linken, das Thema Ausrüstung
der Bundeswehr mit bewaffneten sogenannten Drohnen in einer aktuellen Stunde im Bundestag diskutieren
lassen. Alle Fraktionen haben die Möglichkeit genutzt,
ihre jeweiligen Positionen auszutauschen. Mehrfach
wurde betont, dass die Debatte über den Einsatz von
bewaffneten unbemannten Luftfahrzeugen noch am
Anfang steht. Ich bin daher sehr verwundert, dass Sie
mit Ihrem Antrag die Debatte bereits beenden wollen,
bevor wir sie überhaupt richtig angefangen hat. Unsere Position als FDP ist klar: Wir wollen und werden
uns der Debatte nicht verschließen, weil wir davon
überzeugt sind, dass sie im Sinne unserer Parlamentsarmee genau hier im Bundestag geführt werden muss.
Wir sind aber auch der Meinung, dass die Debatte
über die Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die
Bundeswehr auch auf der richtigen Grundlage geführt
werden sollte. Diese Grundlage kann nur in einer
klaren sicherheitspolitischen Begründung des Verteidigungsministeriums zur Beschaffung und Nutzung solcher Systeme bestehen.
Fakt ist, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Linken: Unbemannte Systeme stellen einen wesentlichen Technologiesprung in der Luftfahrt
dar. Dabei ist es unwesentlich, ob es sich um eine
kleine Drohne oder ein unbemanntes Luftfahrzeug von
der Größe eines A319 handelt. Unabhängig von einem
militärischen Einsatz sind unbemannte Luftfahrzeuge
in der Lage, eine langandauernde und großräumige
Überwachung sicherzustellen und dabei sehr detaillierte Informationen zu liefern. Bereits heute werden
unbemannte Systeme bei großen Menschenansammlungen in Deutschland genutzt, um tragische Ereignisse wie etwa bei der Loveparade in Duisburg vermeiden zu helfen. Auch bei der Meereserkundung und
speziell der Verschmutzungskontrolle der Meere werden unbemannte Systeme bereits genutzt. Die Technologie bietet eben gerade durch den Verzicht auf lebenserhaltende Systeme im Flugzeug kostengünstige
Zu Protokoll gegebene Reden
Chancen. Die Bedienung sowie die zeitnahe Auswertung der Daten vom Bodenpersonal ist besser zu gestalten, als dies vom fliegenden Personal zu leisten ist.
Aus diesen Erkenntnissen heraus bietet sich eine
militärische Nutzung an. Im Einsatz werden die unterschiedlichen Ausführungen von unbemannten Luftfahrzeugen bereits genutzt. Ob Aladin oder Heron 1: Alle
Systeme haben ihre Leistungsfähigkeit und ihren
Mehrwert für die Bundeswehr bewiesen. Und es stellt
sich natürlich die Frage, ob nicht dort, wo heute bemannte Flugzeuge, wie zum Beispiel bei der Unterstützung aus der Luft, künftig unbemannte Systeme zum
Einsatz kommen können.
Ihren Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, vom Drohneneinsatz der US-Streitkräfte
als auch des US-Geheimdienstes auf den Einsatz der
Bundeswehr mit solchen Systemen zu schließen, kann
ich allerdings nicht nachvollziehen. Sie schreiben zum
Beispiel in Ihrem Antrag, dass unbemannte Luftfahrzeuge konzipiert seien, um über neutralem Gebiet eingesetzt zu werden. Alleine die Tatsache, dass diese Systeme im Einsatz sind, bedeutet doch nicht, dass sie sich
in einem rechtsfreien Raum bewegen. Sie unterliegen
den Rules of Engagement.
Auch führen Sie das Thema „gezielte Tötungen“ ins
Feld. Auch hier wird offenbar angenommen, dass sich
die Bundeswehr ebenso wie die US-Streitkräfte verhalten würde, wenn sie in den Besitz solcher Systeme
käme. Ich frage mich, woher Sie diese Gewissheit nehmen. Bereits heute können präzise Schläge durch die
Bundeswehr ausgeführt werden. Dies geschieht immer
auf der Basis unseres Grundgesetzes und deshalb sind
Einsätze wie Sie sie unterstellen, auch heute durch den
Bundestag nicht mandatierbar. Ich frage mich daher:
Warum fehlt Ihnen das Vertrauen in das Parlament?
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Thema
unbemannte Luftfahrzeuge uns in Zukunft noch stärker
als bisher beschäftigen wird. Gerade auch mit Blick
auf die enormen zivilen Nutzungsmöglichkeiten sollten
wir nicht den Fehler machen, uns hier Denkverbote zu
verordnen.
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz unbewaffneter Drohnen in Afghanistan sind darüber hinaus
überaus positiv. Sie bieten unseren Soldatinnen und
Soldaten letzten Endes ein deutliches Plus an Sicherheit. Gerade bei der militärischen Nutzung muss aber
klar sein, was wir mit bewaffneten Systemen im Einsatz
machen wollen. Hier muss eine klare sicherheitspolitische Begründung stehen, die letztendlich auch mit dem
humanitären Völkerrecht im Einklang stehen muss.
Um es gleich vorwegzunehmen: Drohnen sind nicht
per se Teufelszeug. Das behauptet hier auch keiner.
Und natürlich ist in erster Linie der Mensch bzw. die
Regierung verantwortlich, die den Einsatz von bewaffneten Drohnen befiehlt.
Aber tun wir doch auch nicht so, als ob Technologie
und insbesondere Waffentechnologie immer nur neutral ist. Unsere Auffassung ist, dass bewaffnete Drohnen als neue Waffentechnologie in ähnlicher Weise wie
Atomwaffen, Landminen oder Streumunition nur nachteilige Konsequenzen haben werden. Zudem ändert
sich der Blick der politischen und militärischen
Führung auf den Waffeneinsatz. Drohnen schaffen
neue, vermeintlich attraktive Optionen für den Einsatz
von Gewalt und senken damit die Hemmschwelle. Die
Bundesregierung sollte deswegen auf die Beschaffung
solcher Waffensysteme verzichten.
Nach einem Jahrzehnt Kampfdrohnen im Einsatz
- vor allem der US-Drohnen in Afghanistan, Pakistan
oder Jemen - sieht man doch ganz klar, wohin die
Reise geht: Kampfdrohnen braucht man nicht zur Landesverteidigung, auch nicht zur Grenzsicherung. Nein,
bewaffnete Drohnen machen vor allem Sinn für offensive klandestine Operationen in Drittstaaten, das heißt
also in der Regel unter Verletzung der Souveränität
des Staates. Wichtiger noch: Bewaffnete Drohnen verleiten die Streitkräfte zu einer Form von Menschenjagd, die immense zivile Opfer in Kauf nimmt und sich
oft genug außerhalb des Rechts abspielt.
Akkurate Zahlen sind leider nicht bekannt - die
Geheimhaltung macht einen Strich durch die Rechnung. Außerdem machen es sich USA und NATO
leicht, indem sie pauschal jede männliche Person im
kampffähigen Alter den Terroristen oder Aufständischen zurechnen.
Die pakistanische Regierung geht davon aus, dass
in den vergangenen vier Jahren 22 al-Qaida-Kommandeure und 800 Zivilisten durch Drohnenangriffe in ihrem Land getötet wurden. Das Bureau of Investigative
Journalism kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen
2 500 und 3 300 Menschen in Pakistan seit 2004 durch
Drohnen getötet worden sind, davon zwischen 470 und
880 Zivilisten, inklusive 176 Kinder. Hinzu kommen
noch mehr als tausend Verletzte.
Jetzt kann man zynisch mit den Schultern zucken
und sagen: So ist das eben im Krieg und bei der
Bekämpfung des Terrorismus. Damit liegt man aber
falsch: Zum einen herrscht weder in Pakistan, Jemen
oder Somalia völkerrechtlich gesehen Krieg. Zum
anderen gilt Terrorismus hoffentlich auch noch bei den
anderen Fraktionen hier im Bundestag als krimineller
Akt, der vor Gericht zu ahnden ist und nicht per ferngesteuerter Rakete.
Das Problem liegt doch auf der Hand: „Gelegenheit macht Diebe“ gilt eben auch für die Militärs. Im
Kern dominiert bei den USA, aber auch den anderen
NATO-Staaten die Einstellung „Wir tun es, weil wir es
können“. Aus militärischer Sicht scheint sich eine
Automatisierung der Kriegsführung zu rechnen: Die
Waffensysteme kosten weniger, man kann Personal
einsparen, und es ist sicherer für die eigene Armee.
Das ist eine Milchmädchenrechnung - und das wissen Sie. Diese geht nur auf, solange die Asymmetrie
Zu Protokoll gegebene Reden
Paul Schäfer ({0})
bestehen bleibt. Hier die USA, die NATO und ihre
Verbündeten, die alles können und dürfen, dort die
Aufständischen und anderen Streitkräfte, die mit ein
paar Raketenwerfern und Gewehren zurückschießen.
Es wird ein böses Erwachen geben, wenn andere Staaten anfangen, bewaffnete Drohnen nach dem gleichen
Muster einzusetzen wie die USA und die NATO-Staaten.
Andere Staaten sind schon dabei, aufzurüsten und
mehr in Drohnentechnologie zu investieren. Das führt
zu einer gefährlichen Aufrüstungsspirale vor der
Haustür. Das mag gut für die Rüstungsindustrie sein;
es ist aber schlecht für die Menschen. Und dabei sollte
nicht vergessen werden, dass Drohnen auch Massenvernichtungswaffen transportieren können.
Auf sämtliche dieser Risiken hat im Übrigen auch
der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung
des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2011 hingewiesen. Leider haben wohl weder die Regierungsfraktionen noch das BMVg den Bericht gelesen. Das sollte
nachgeholt werden.
Bewaffnete Drohnen stehen für eine unheilvolle Automatisierung der Kriegsführung. Verteidigungsminister de Maiziére kann noch so oft betonen, dass immer
ein Mensch die Entscheidungen treffen wird: Allein die
steigende Informationsflut und die Leistungsfähigkeit
der Computer wird zur Verselbstständigung der Drohnen führen. Im Englischen bereits so griffig als „man
in the loop“, „man on the loop“, „man out of the loop“
bezeichnet. Am Ende steht der Waffeneinsatz aufgrund
einer automatischen Computerauswertung von Bewegungsprofilen. Klingt bekannt, klingt nach moderner
Variante der Selbstschussanlage an der Mauer. Für
mich klingt das erschreckend. Ungeachtet dessen hat
Verteidigungsminister de Maiziére klargestellt, dass
die Bundeswehr jetzt auch hier mitspielen will.
Deutsche Firmen stehen schon in den Startlöchern.
Rheinmetall, Diehl und EADS haben entsprechende
Vereinbarungen mit ausländischen Drohnenherstellern getroffen. Mit Hunderten von Millionen Euro soll
mitgerüstet werden, egal ob man für die Sicherheit
Deutschlands diese Drohnen braucht oder nicht. Denn
auch dem Verteidigungsminister sind außer Sicherung
von Geiselbefreiungen oder Patrouillen in besetzen
Gebieten keine sinnvollen Szenarien eingefallen.
Unsere Position als Linke ist klar: Statt mitzurüsten,
ist es an der Zeit, über Rüstungskontrolle, Abrüstung
und vertrauensbildende Maßnahmen nachzudenken.
Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, jetzt
ein klares Zeichen zu setzen und auf die Beschaffung
von Kampfdrohnen zu verzichten.
Bislang nutzt die Bundeswehr Drohnen ausschließlich zu Aufklärungszwecken. Der Verteidigungsminister hat jedoch angekündigt, bald über die Beschaffung
waffenfähiger Drohnen entscheiden zu wollen. Dabei
zeichnet sich klar ab, in welche Richtung diese Entscheidung gehen soll. Wiederholt hat Minister de
Maizière erklärt, dass er bewaffnete Drohnen für
ethisch neutral hält und ihr Einsatz nur Vorteile
bringe. Über die Risiken, die mit diesem neuen Waffensystem verbunden sind, verliert er kein Wort, ebenso
wenig wie über die Möglichkeiten und den Bedarf an
internationalen Regeln, obwohl diese dringend geboten wären. Ein lapidarer Verweis auf bestehendes Völkerrecht entschuldigt diese Ignoranz keinesfalls.
Vor der Beschaffung eines neuen bewaffneten Systems muss genau geprüft werden, ob dieses wirklich
erforderlich ist und welche Folgen sein Besitz und
möglicher Einsatz nach sich ziehen. Die gegenwärtige
Praxis zeigt: Der zunehmende Einsatz ferngesteuerter
Waffensysteme hat schwerwiegende Auswirkungen auf
die Kriegsführung, fordert zahlreiche zivile Opfer und
führt zu einer Entgrenzung der Kriege.
Die USA verüben mithilfe bewaffneter Drohnen
„gezielte Tötungen“ außerhalb von bewaffneten Konflikten, die - und das muss man doch auch mal klipp
und klar sagen - völkerrechtswidrig sind! Gleichzeitig
fördert der zunehmende Einsatz von Kampfdrohnen
die Eskalation bewaffneter Konflikte und treibt die Rekrutierung neuer Kämpfer in terroristischen Netzwerken voran.
Die von den USA durchgeführten Drohneneinsätze
in Pakistan, in Somalia und im Jemen machen deutlich, wie schnell die Hemmschwelle zur Anwendung
bewaffneter militärischer Gewalt bei den politischen
Entscheidungsträgern sinkt, wenn die eigenen Streitkräfte dabei kein Risiko eingehen müssen. Vor dem
11. September 2001 erklärte die damalige US-Administration die von Israel durchgeführten gezielten Tötungen mit bewaffneten Drohnen noch für illegitim.
Heute steigt die Zahl der völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe unter US-Präsident Obama rasant an.
Deutschland sollte sich für eine Beendigung dieser
gezielten Tötungen einsetzen. Wo Völkerrecht gebrochen wird, erwarte ich klare Worte und nicht Stillschweigen von dieser Bundesregierung!
Diese höchst bedenkliche und gefährliche Entwicklung in den USA muss uns zum Nachdenken über die
grundsätzliche Frage bewegen, welchen Einfluss die
Verfügbarkeit bestimmter Waffensysteme und Fähigkeiten auch auf die politischen Entscheidungen über
den Einsatz militärischer Mittel haben kann. Denn bewaffnete Drohnen werden de facto eben nicht wie gewöhnliche Waffensysteme eingesetzt, sondern immer
wieder wird bei ihrem Einsatz gegen geltendes Völkerrecht verstoßen. Diese Realität kann man nicht ausblenden!
Dem völkerrechtswidrigen Einsatz von bewaffneten
Drohnen muss endlich entgegengewirkt werden. Die
klaffenden Lücken in der Rüstungskontrolle müssen
geschlossen werden. Anstatt sich in eine riskante Spirale des Wettrüstens zu begeben und schwammige Lippenbekenntnisse zur Rüstungskontrollpolitik zu machen,
Zu Protokoll gegebene Reden
erwarte ich von der Bundesregierung klare Initiativen
auf internationaler Ebene.
So müssen wir auch verbindliche Regeln finden, die
die Gefahr einer Proliferation unbemannter waffenfähiger Systeme an Staaten oder substaatliche Akteure
eindämmen. Und wir müssen dem Problem begegnen,
dass die technische Entwicklung zu immer komplexeren Systemen führt, bei denen mehr und mehr Entscheidungsprozesse auf Basis von Programmierungen
ablaufen, in die der Mensch nicht mehr involviert ist.
Stimmen aus den USA zeigen, dass die Entwicklung
dort genau in diese Richtung gehen soll. Aber damit
wird es zunehmend schwieriger, Verantwortlichkeiten
beim Verstoß gegen geltendes humanitäres Völkerrecht
zuzurechnen und schließlich auch zu ahnden. Hier tun
sich also völlig neue Risiken auf, wie mühsam errungene Regeln zur Einhegung der Kriegsführung ausgehebelt werden können. Das kann und darf in niemandes Interesse sein.
Deshalb setzten wir uns dafür ein, auf Ebene der
Vereinten Nationen Regeln und Restriktionen für den
Einsatz von bewaffneten unbemannten Systemen zu
setzen, um die Aufrüstung einzudämmen und einer Zunahme bewaffneter Gewalt vorzubeugen. Der Einsatz
bewaffneter unbemannter Systeme muss international
so reguliert werden, dass das Gebot des Schutzes der
Bevölkerung, das Unterscheidungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsgebot in vollem Umfang erfüllt sind das gilt ganz besonders für weitere technologische
Entwicklungen.
Diese schwarz-gelbe Bundesregierung hat nur unkritisch den eigenen Beschaffungswunsch im Blick und
verschließt ihre Augen vor den gravierenden Verletzungen von wichtigen völkerrechtlichen Normen, die
nur durch die neue Technologie von unbemannten bewaffneten Systemen in diesem Ausmaß möglich geworden sind. Das finde ich unerträglich!
Meine Damen und Herren von der Koalition, eine
solche Politik, die vor allem von einer Logik des Wettrüstens getrieben ist und die gravierenden negativen
Folgen des Einsatzes bewaffneter Drohnen ausblendet, tragen wir Grüne nicht mit.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12437 an den Verteidigungsausschuss
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Filmförderungsgesetzes
- Drucksache 17/12370 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Rechtsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Das zukünftige Filmförderungsgesetz ist ein Fortschritt für das Filmland Deutschland, darüber sind
sich die Beteiligten wie Betroffenen einig. Es stärkt das
Kino, es gibt dem Kinderfilm wieder eine Perspektive,
es verbessert grundlegend die Teilhabe behinderter
Menschen, es konzentriert die Förderschwerpunkte
wie die Absatzstrategie und es sorgt für die Aufnahme
der Digitalisierung des Filmerbes in das Aufgabenspektrum der FFA.
Der Verwaltungsrat der FFA, gewissermaßen „das
Filmparlament“ der Bundesrepublik, hat die Novellierung für gut befunden, weil damit den Filmschaffenden
wie dem Kino eine Perspektive gegeben wird. Begrüßt
wird von diesem Gremium auch die Aufstockung des
Deutschen Filmförderfonds, DFFF, von 60 auf 70 Millionen Euro. Ein Erfolg von Kulturstaatsminister
Bernd Neumann. Seine Absicht den DFFF zu verstetigen, ihm keine zeitliche Befristung mehr zu geben,
wird von uns nachdrücklich unterstützt.
Dieser Fonds ist ein Erfolgsmodell für den Produktionsstandort Deutschland geworden. Von 2007 bis
Ende 2012 wurden 642 „Zelluloid-Initiativen“ mit fast
360 Millionen Euro gefördert; davon etwa zwei Drittel
nationale Vorhaben und ein gutes Drittel internationale. Diese Gelder haben Gesamtinvestitionen von
knapp 3 Milliarden Euro ausgelöst. Ein eingezahlter
Euro hat sich versechsfacht. Das sind Leistungen für
die Sicherung von circa 50 000 Arbeitsplätzen, eine
gute Botschaft für alle Filmbeschäftigten.
Erfolge bei der diesjährigen, gerade beendeten
Oscar-Verleihung in Los Angeles hatte unsere Filmgemeinde dagegen nicht. Dafür aber unser Nachbarland Österreich, gleich zweimal, mit Haneke und
Christoph Waltz. Wir gratulieren herzlich.
Vielleicht sollten wir doch ab und zu mehr über den
Tellerrand sehen: denn unsere Nachbarn, ob im Süden
oder Norden mit Dänemark, abgesehen von Frankreich und Polen, warten regelmäßig bei Filmfestivals
mit aufsehenerregenden Produktionen von hoher Qualität auf.
Uns sollte auch beunruhigen, dass der Marktanteil
deutscher Filme im vergangen Jahr von rund 22 auf
18 Prozent gegenüber 2011 gesunken ist. Im Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre sind wir bis auf wenige Ausreißer über diesen Anteil nie hinausgekommen. Das ist in Frankreich anders. Dort macht die
nationale Filmproduktion mindestens 40 Prozent aus.
Das wäre auch für die Bundesrepublik anzustreben.
Wir haben großartige Schauspielerinnen und
Schauspieler und eine hohe Kompetenz bei allen Filmschaffenden, von den Drehbuchautoren bis hin zu den
Produzenten. Wenn wir deren Arbeitsplätze sichern
und ausbauen wollen und auch unsere Werte, die wir
vertreten, und unsere Filmkultur in die erste Reihe
Wolfgang Börnsen ({0})
befördern wollen, sind offensichtlich auch bei uns Zielvorgaben notwendig. Allein auf den Markt zu setzen,
reicht nicht aus. Hollywoods Macht reicht weiter.
Es wäre durchaus angemessen, wenn sich die Filmszene selbst, von der Filmakademie über das „Filmparlament“ bis hin zu den Produzenten, mit der Frage
einer Quote für den deutschen Film befassen würde.
Dazu sollte auch der Tatbestand Anlass geben, dass es
von den insgesamt 19 Filmen im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale nur einen deutschen Film gegeben
hat. In den Vorjahren war das Resultat nicht wesentlich besser.
Die Berlinale entwickelt sich immer mehr zu einem
Bürgerfest für den Film. 400 000 Besuche und
404 Filme aus 70 Ländern beweisen, dass das Kino als
Kulturereignis angenommen wird. Für das Filmland
Deutschland ist das Berlinale-Filmfest eine Visitenkarte ersten Ranges. Dass erstmals in vielen Städten
der Bundesrepublik zeitgleich ein Berlinale-Film
vorgeführt wurde, macht das Filmvergnügen zu einem
Republikereignis. Dieses gilt es weiter auszubauen.
4 000 Journalisten haben weltweit von diesem Festival
berichtet. Was Dieter Kosslick mit seinem Team auf die
Beine gestellt hat, wird mit Respekt und Lob von den
Filmemachern anerkannt, und auch von uns, der
Union.
Trotz allen Lobs bleibt das Hauptstadt-FebruarEvent bei Schnee, Frost und Schietwetter ein Wagnisfestival. Kurz vor der Oscar-Verleihung, gleichfalls im
Februar, kommt selten eine wirkliche Filmsensation an
die Spree. Viele Produktionen haben bereits wegen des
vorgezogenen Starts in anderen Ländern ihre Unschuld verloren. Die gebrauchte Ware nimmt zu, damit
auch das Risiko, den Status als ein A-Festival zu verlieren. Es muss ernsthaft eine Verlegung der Berlinale
in einen geeigneteren Monat erwogen werden. Dabei
geht es nur vordergründig um das Berlinale-Wetter,
sondern um die Zukunft dieses Filmfestivals.
Das Kino wird immer stärker zu einem kulturellen
Freizeiterlebnis für Millionen unserer Mitbürgerinnen
und Mitbürger. Im Durchschnitt besucht jeder Bewohner unseres Landes viermal im Jahr einen „Filmtempel“. Den größten Anteil hat dabei die Altersgruppe
von 20 bis 29 Jahren. Kein Kulturbereich schafft
derzeit jährlich durchschnittlich 130 Millionen Besucher - nicht einmal die Fußballbundesliga oder die
Museen. Die Kinobranche selbst hat gut davon.
Erstmals, das gilt für 2012, übersteigt ihr Umsatz
1 Milliarde Euro. Die Betreiber der Kinos wissen sehr
wohl die Politik, ob auf Bundes- oder Landesebene,
auf ihrer Seite - noch.
Ob die reduzierte Mehrwertsteuer, die Unterstützung bei der Digitalisierung, allein vom Bund mit
20 Millionen Euro, oder auch die staatliche Förderung
des Filmerbes: alle drei Maßnahmen sind Beispiele
einer umsichtigen direkten wie auch indirekten Kulturkinoförderung.
Umso unverständlicher ist es, dass seit Jahren einige große Kinounternehmen, die ihren Hauptsitz im
Ausland haben, gegen diese Förderer zu Felde ziehen,
Jahr für Jahr die Gerichte auf allen Ebenen mit Klagen konfrontieren, um sich ihrer Abgaben an die FFA
zu entziehen. Fachkritiker sehen darin den Versuch,
aus Profitgier die mittelständische Kinostruktur in der
Bundesrepublik zu zerstören. Damit schadet man unserem Kinoland. Gleichzeitig stellt man damit das
Selbsthilfeprinzip der FFA infrage, und schließlich
gräbt man der Filmförderung das Wasser ab.
Es ist hoch anzuerkennen, dass die anderen Einzahler in den FFA-Fördertopf, die Videoprogrammanbieter, das öffentlich-rechtliche wie das private Fernsehen an ihrer grundsätzlichen Einstellung, den Film in
unserem Land zu stabilisieren, sich durch die Kinofreibeuter nicht irritieren lassen.
In der Debatte um das neue FFA darf das Thema
Raubkopien nicht unerwähnt bleiben. Eine Geißel für
alle Filmschaffenden, für alle Kreativen! Die Internetpiraterie ist unverändert eines der Hauptprobleme der
Filmwirtschaft. Der Film in Deutschland erleidet
durch Piraterie bittere Einnahmeverluste in Höhe von
mindestens 100 Millionen Euro jährlich, weil
„schwarz“ kopiert wird mit hoher krimineller Energie.
Vor allem Special-Interest-Filme bzw. Filme mittlerer
Größe sind davon betroffen. Auf jeden zahlenden
Kinobesucher kommt nach Erkenntnissen der SPIO
mittlerweile ein illegaler Download.
Die Kreativen werden dadurch besonders geschädigt. Diese Einschätzung von Manuela Stehr, der
Vorsitzenden des Verbandes, teilen wir. Wir von der
Union anerkennen das Engagement der SPIO für ein
modernes Urheberrecht, das die Leistung der Kreativen würdigt. Wir erwarten, dass der 3. Korb zur Urheberrechtsreform endlich umgesetzt wird. Die Initiativen dazu vonseiten des Staatsministers Neumann wie
vom Parlamentarischen Staatsekretär Hans Joachim
Otto finden unsere volle Unterstützung.
Wer auch von der Filmförderung gut hat, neben anderen Institutionen, ist auch das Flaggschiff der Filmgeschichte unseres Landes, die Deutsche Kinemathek.
Sie konnte jetzt ihren 50. Geburtstag feiern. Seit 1963
kümmert sie sich um die Archivierung und Vermittlung
der deutschen Filmgeschichte. Sie trägt in hervorragender Weise unter Leitung von Rainer Rother und seinen Mitarbeitern zum Erhalt unseres kulturellen Erbes
bei. Die Deutsche Kinemathek ist Filmmuseum, Archiv, Verleih und vieles mehr. 2006 eröffnete die Kinemathek die Ständige Ausstellung zum Fernsehen. Seit
1977 erstellt sie die Retrospektive-Reihen der
Berlinale. Der Bundestag fördert die Stiftung Deutsche
Kinemathek mit 8,7 Millionen Euro.
Weitere Mittel fließen in den Erhalt und die Digitalisierung des filmischen Erbes. Dieser Aufgabe widmet
sich der Kinematheksverbund, in dem die Deutsche
Kinemathek zusammen mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv und dem Deutschen Filminstitut Frankfurt herZu Protokoll gegebene Reden
Wolfgang Börnsen ({1})
vorragende Arbeit leistet. Auch die FFA beteiligt sich
an der Sicherung des Filmerbes. Ihre Kernkompetenz
ist jedoch die jährliche Filmförderung mit mehr als
100 Millionen Euro. Ihr Präsidium wie der Verwaltungsrat entscheiden über die Umsetzung der Filmabgabe.
Wir halten eine flexiblere Handhabung der Sperrfristen ebenso für notwendig wie die Berücksichtigung
der Kreativen im Präsidium sowie eine Stärkung des
Vorstandes. Es muss in Zukunft sichergestellt werden,
dass das Präsidium, demokratisch vom Filmparlament
gestützt, bei Konfliktfragen die abschließende Entscheidung haben muss.
Wer will, dass der Film in Deutschland als Kulturwie auch als Wirtschaftsgut eine gute Perspektive bekommen soll, der wird aufgefordert, dem neuen FFG
zuzustimmen.
An den deutschen Kinokassen klingelte es 2012 wie
nie zuvor. Leider trug der deutsche Film anders als
2011 weniger dazu bei. Dass aber auch das Filmgeschäft zyklischen Einflüssen unterliegt, beweist der
Start ins Jahr 2013, der sehr verheißungsvoll stimmt:
Den „Schlussmacher“ wollten in sieben Wochen fast
zweieinhalb Millionen Zuschauer sehen. Mit Til
Schweigers „Kokowääh II“ steht aktuell ein deutscher
Film auf Platz 1 der Kinocharts.
Die internationalen Festivalerfolge deutscher
Filme in den vergangenen Jahren, das gestiegene ausländische Interesse an deutschen Filmen und Serien,
vor allem aber das wachsende Engagement von deutschen Produzenten und Schauspielern in internationalen Koproduktionen zeugen grundsätzlich von einem
selbstbewussten und erfolgreichen Filmstandort
Deutschland. Diese Erfolge sind unmittelbare Folge
des über Jahrzehnte fortentwickelten nationalen Förderungsrahmens, der in Europa seinesgleichen sucht.
Er ist gerade in jüngeren Jahren Folge der zusätzlichen gezielten Förderung durch die christlich-liberale
Bundesregierung.
Die Deutsche Filmförderung ist eine langfristige,
kontinuierliche Unterstützung, die sich von zyklischen
Betrachtungen kurzfristig nicht beeinflussen oder beirren lässt. Dafür sorgen die verschiedenen Säulen, die
sie tragen. Neben dem Deutschen Filmförderfonds und
der beachtlichen Länderförderung ist die Filmförderanstalt, eine Organisation der Filmwirtschaft, das
Kernelement, weil der wirtschaftliche Garant der
Filmförderung. Dank der in wirtschaftlicher wie in
technischer Hinsicht fortschreitenden Dynamik der
Branche muss jedoch regelmäßig hier und dort nachjustiert werden.
Wir diskutieren daher heute den Entwurf eines
7. Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes,
der Rechtsgrundlage für die Einrichtung der FFA. Das
FFG nimmt alle beteiligten Branchenbereiche, die das
Produkt „Film“ verwerten, in die Pflicht, einen angemessenen Beitrag zur Erhaltung und Förderung des
deutschen Films zu leisten. Die FFA finanziert sich autark mittels einer Filmabgabe durch die beteiligten
Verwerter. Das sind die Kinos, Unternehmen der Videowirtschaft einschließlich Onlineanbieter, Fernsehveranstalter und Vermarkter von Pay-TV-Programmen. Diese Abgabe ist nach dem geltenden FFG bis
zum 31. Dezember 2013 befristet. Mit dem vorliegenden Entwurf wollen wir deren Erhebung fortführen, um
hierdurch die Finanzierung der FFA weiterhin zu sichern.
Gerne hätten wir die aktuelle Novelle bereits für
eine grundsätzliche Überarbeitung des gesamten Abgabensystems genutzt, um hier für noch mehr Gerechtigkeit zu sorgen. So war beispielsweise eine Heranziehung auch der Telekommunikationsanbieter, der
sogenannten Access Provider, die Filminhalte durchleiten, angedacht, mit den gegenwärtigen Vorgaben
der Europäischen Kommission jedoch nicht vereinbar.
Auch vor dem Hintergrund der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abgabensystem sind tief greifende Änderungen mit einem unkalkulierbaren und daher zu vermeidenden Risiko
verbunden. Sowohl diese juristisch unsichere Entwicklung, aber auch die zu erwartenden dynamischen wirtschaftlichen und technischen Marktentwicklungen lassen es sinnvoll erscheinen, das ab 2014 geltende FFG
zunächst auf nur zweieinhalb Jahre statt bisher fünf zu
befristen. Auf diese Weise können wir kurzfristige Ereignisse schneller und sachgerechter aufbereiten und
das System gegebenenfalls flexibler anpassen.
Die Dynamik der Marktentwicklung hängt zweifelsohne auch mit der fortschreitenden Digitalisierung im
Filmbereich zusammen. Standen in den vergangenen
Jahren insbesondere die Kinos im Fokus unserer Digitalisierungsoffensive, so nehmen wir mit der heutigen
Novelle nun auch die Digitalisierung des Filmerbes
explizit in den Aufgabenkatalog der FFA auf. Bei der
Weiterentwicklung der technischen-digitalen Abspielmöglichkeiten dürfen wir nicht vergessen, die Klassiker des deutschen Films so zu formatieren, dass diese
auch in Zukunft noch wirtschaftlich ausgewertet und
öffentlich zugänglich gemacht werden können. Hier
besteht seitens des Publikums weiterhin ein großer Bedarf. Damit nehmen wir aber auch die Filmbranche in
die Verantwortung, einen substanziellen Beitrag dazu
zu leisten, damit das Filmerbe nicht nur in den auf digitales Abspiel umgerüsteten Kinos, sondern auch auf
den weiteren Verwertungsstufen, insbesondere Video
und Fernsehen, weiterhin gezeigt werden kann.
Mit der Novelle des FFG wird ferner die Teilhabe
behinderter Menschen an geförderten Filmen verbessert. Künftig - und dafür hatten wir bereits in einem
entsprechenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP geworben - muss von allen FFA-geförderten
Filmen auch eine barrierefreie Fassung mit Audiodeskription für sehbehinderte Menschen und Untertiteln für hörgeschädigte Menschen hergestellt werden.
Trotz Sensibilisierung der relevanten Akteure der
Zu Protokoll gegebene Reden
Filmbranche, der Videowirtschaft und der Rundfunkanstalten für eine Notwendigkeit der barrierefreien
Ausstattung von Filmen ist die aktuelle Zahl der entsprechend ausgestatteten Filme übersichtlich. Die bestehenden Fördermöglichkeiten, unter anderem seit
der letzten Novelle des FFG, wurden fast überhaupt
nicht genutzt. Angesichts des Anteils der mit einer Behinderung lebenden Menschen in Deutschland von
über zehn Prozent ist dies ein unhaltbarer Zustand. Mit
dem neuen Entwurf wird jeder Produzent, der öffentliche Förderung erhält, verpflichtet, barrierefreie Fassungen seines Films zu erstellen. Die Einführung dieses gesetzlichen Zwangs begrüßen wir ausdrücklich.
Ebenso stärkt die FFG-Novelle den Bereich des
deutschen Kinderfilms. Schon heute können Kinderfilme im Rahmen der allgemeinen Förderung durch die
FFA unterstützt werden. Aber auch hier ist die tatsächliche Inanspruchnahme von Förderungen wenig ausgeprägt. Um künftig ein größeres Augenmerk auf
Kinderfilmprojekte, die sich der Gegenwart und Lebenswirklichkeit von Kindern in besonderem Maße
widmen, zu richten, sollen im Rahmen der Projektfilmförderung in angemessenem Umfang auch Kinderfilme, die auf originären Stoffen beruhen, gefördert
werden. Angesichts der großen Qualität des deutschen
Kinderfilms hatten wir die Forderung nach einer
grundsätzlichen Stärkung des Kinderfilms bereits in einem Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und
FDP formuliert. Die Verfilmungen bekannter Kinderbücher und Märchen sind auch heute noch an den
Kinokassen erfolgreich und im Fernsehen zu sehen.
Allerdings werden Filme mit zeitgenössischen Stoffen
immer seltener. Die FFA hat in den vergangenen drei
Jahren 31 Kinderfilme gefördert. Von diesen hatten jedoch nur vier einen originären Stoff zum Thema. Das
FFG schafft an dieser Stelle wichtige neue Anreize.
Ich freue mich auf das parlamentarische Verfahren.
Das Kinojahr in Deutschland hat ausgezeichnet
begonnen. Gerade was den deutschen Film betrifft,
können wir sehr zufrieden sein. Es gibt schon zwei
Besuchermillionäre und zahlreiche andere deutsche
Produktionen mit beeindruckenden Zahlen. Die
Palette reicht von gut gemachter Unterhaltung bis zu
anspruchsvollem Arthouse-Film. Das ist echte Kinovielfalt.
Aber nicht nur der ökonomisch orientierte Blick auf
den Kinomarkt stimmt zuversichtlich. Auch auf internationalem Parkett hält der Erfolg des deutschen
Films an. Bei der Oscar-Verleihung am vergangenen
Sonntag hat er wieder einen glänzenden Auftritt hingelegt. Die deutsch-österreichisch-französische Koproduktion „Liebe“ von Regisseur Michael Haneke unter
Beteiligung der deutschen X-Filme von Stefan Arndt
hat den Oscar für den besten nicht englischsprachigen
Film bekommen. Auch von dieser Stelle meinen herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg!
Diese beeindruckende Zwischenbilanz für den deutschen Film ist aber nicht vom Himmel gefallen. Sie ist
natürlich zuallererst der Kreativität, dem Ideenreichtum und auch dem unternehmerischen Mut in der
Filmbranche zu verdanken. Aber möglich wurde das
letztlich erst durch unser Filmförderungssystem in
Deutschland. Das steht mit den Standortförderungen
der Länder, dem Deutschen Filmförderungsfonds,
DFFF, der BKM-Förderung und der Filmförderungsanstalt, FFA, auf mehreren Beinen. Unbestritten ist,
dass die FFA-Förderung dabei ein unverzichtbarer
Pfeiler in diesem System ist.
Es ist kein Geheimnis, dass die Filmförderung in
den vergangenen Jahren in unruhige Gewässer geraten ist. Immer noch ist das sichere Ufer nicht erreicht;
denn wir warten auf das ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kinoklage. Davon hängt
nichts weniger als die Zukunft der FFA ab. Egal wie
der Richterspruch ausfällt, dann wird ein Neuanfang
nötig sein; denn unübersehbar hat die Solidarität in
der Branche durch die jahrelangen Klagen und Vorbehalte gelitten. Viel Unzufriedenheit hat sich aufgestaut.
Wenn Karlsruhe gesprochen hat, werden wir das
FFG auf neue Füße stellen müssen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir mit der siebten FFG-Novelle
diese Phase der Ungewissheit überbrücken und schon
ein paar Pflöcke für die Zeit nach dem Urteil einschlagen. Unter dieser Maßgabe kann der Vorschlag der
Bundesregierung, den wir heute beraten, nicht zufriedenstellen. Da wäre mehr möglich gewesen.
Uneingeschränkt zu begrüßen ist es, dass künftig
auch Video-on-Demand-Anbieter, die ihren Sitz im
Ausland haben, zur Abgabe herangezogen werden
sollen. Das ist dringend erforderlich, um die Marktverzerrungen zuungunsten der deutschen Anbieter
endlich zu korrigieren. Ich kann nur hoffen, dass die
Vereinbarkeit mit der EU-Richtlinie über audiovisuelle
Mediendienste nicht in Zweifel gezogen wird. Dann ist
die angedeutete Klagebereitschaft der betroffenen Unternehmen gegenstandslos. Denn wir wollen doch dem
Prinzip, auf dem das FFG beruht, weiterhin Geltung
verschaffen, wonach sich jeder an den Abgaben beteiligen muss, der am deutschen Film verdient.
Genau aus diesem Grund bleibt die Novelle in einem entscheidenden Punkt hinter dem Erforderlichen
zurück. Denn die rasanten technologischen Veränderungen der vergangenen Jahre haben dazu geführt,
dass sich neue Anbieter auf den Kommunikationsmärkten etabliert haben, national wie international.
Dabei profitieren die großen Plattformen, die Internetund Kabelzugangsanbieter direkt oder indirekt davon,
dass sie deutsche Kinofilme durch ihre Netze leiten und
damit Umsatz machen. Deshalb lautet die Forderung
meiner Fraktion: Auch diese neuen Akteure müssen
mit einer Abgabe für die Filmförderung in Deutschland herangezogen werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Frankreich ist da bereits deutlich weiter als wir und
hat entsprechende Abgaben vorgesehen. Auch Portugal hat solche Pläne. Mir ist nicht entgangen, dass
Brüssel die Notifizierung für Frankreich seit über einem Jahr hinauszögert, weil die Wettbewerbskommission ihre schützende Hand über die Access-Provider
hält. Dagegen hat die EFAD, die Vereinigung der europäischen Filmförderungseinrichtungen, darunter auch
die FFA, geschlossen Protest bei der Kommission eingelegt.
Selbst wenn Brüssel noch kein grünes Licht gibt,
halte ich es für erforderlich, dass man mit den Zugangsanbietern Gespräche aufnimmt, die zumindest
einen freiwilligen Beitrag an die FFA zum Ziel haben.
So haben wir es doch auch mit den Sendern gehalten.
Inzwischen sind sie in die gesetzliche Abgabe einbezogen. Mit der letzten, der sogenannten kleinen FFGNovelle, haben wir das beschlossen.
In einem weiteren Punkt nutzt der vorliegende Gesetzentwurf nicht die Gelegenheit zu einer Verbesserung, die mir und meiner Fraktion besonders wichtig
ist: Immer wieder kommt es bei den Dreharbeiten zu
Verstößen gegen soziale und tarifliche Standards. Vorgeschriebene Ruhezeiten werden nicht eingehalten,
Überstunden bleiben unbezahlt, und immer wieder
werden den Filmschaffenden Dumpinglöhne zugemutet. Wenn das da passiert, wo öffentlich gefördert wird,
dann ist es unsere politische Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass das abgestellt wird. Um es ganz klar zu
sagen: Bei öffentlich geförderten Produktionen müssen
die sozialen Standards eingehalten werden.
Schon bei der letzten großen FFG-Novelle habe ich
mich für eine entsprechende Regelung eingesetzt. Da
waren wir in der Großen Koalition, und herausgekommen ist ein Kompromiss, der in der Praxis nicht funktioniert hat, wie wir heute wissen. Die Verstöße gab es
nicht nur bei Low-Budget-, Nachwuchs- oder Kurzfilmproduktionen, wie immer wieder angenommen
wird. Deshalb müssen wir bei der laufenden Novelle
nachlegen. Beim FFG ist das allerdings gar nicht so
einfach. Hier werden auch deutsche Koproduktionen
mit internationaler Beteiligung gefördert. Das EURecht - genauer gesagt: die Entsenderichtlinie und die
zu erwartende neue Kinomitteilung - verbietet, dass
nationale Standards auch für ausländische Produzenten verbindlich gemacht werden. Ich bin in Gesprächen, einen Weg zu finden, bei dem zwar keine Sanktionen greifen, der aber doch für eine große Transparenz
sorgen könnte und damit den Druck auf das Einhalten
von Standards deutlich erhöht. Wir werden einen entsprechenden Änderungsantrag einbringen.
Änderungen halten wir auch im Bereich des Filmerbes für erforderlich. Das FFG ist ein zentrales Instrument, um auch die Branche stärker für den Erhalt
unseres Filmbestandes zu motivieren. Der Gesetzentwurf sieht auch eine Beteiligung der Branche an der
Digitalisierung des alten Filmerbes vor; das ist gut,
reicht aber nicht aus. Denn ungelöst bleibt weiter die
Frage der Langzeitsicherung der geförderten und zu
hinterlegenden Gegenwartsproduktionen. Das muss
gemeinsam mit der Branche geleistet werden. Deshalb
muss die Sicherung geförderter Filme in den Förderrichtlinien von Anfang an mitgedacht werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang: Die nachhaltige Bewahrung der geförderten
Filme setzt voraus, dass nicht nur, wie bisher, eine archivfähige Kopie hinterlegt wird, sondern gesichert
werden muss auch das digitale Master, das alle Daten
der Produktion ohne Abstriche umfasst; natürlich erst
nach einer gewissen Auswertungsfrist.
Eine eher technische Änderung am Gesetzentwurf
halten wir für geboten, was die vorgesehene Laufzeit
der Novelle betrifft. Nach jetzigem Stand soll das Gesetz statt der üblichen fünf Jahre nur zweieinhalb
Jahre gelten; das hängt mit dem ausstehenden Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zusammen. Das ist für
die Antragsteller aus der Branche abrechnungstechnisch äußerst ungünstig, weil hier mit Jahresabschlüssen operiert wird. Die Beantragung von Fördermitteln
würde also unnötig kompliziert gemacht. Wir empfehlen also dringend, die Laufzeit auf zwei oder drei Jahre
festzulegen.
Auch mit der Kinoförderung werden wir uns im
Zusammenhang mit der Novelle noch einmal beschäftigen müssen. Hintergrund ist das aktuelle Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin, das erfreulicherweise
unsere Digitalisierungsförderung für die Kriterienkinos bestätigt hat. Allerdings hat es zugleich die
Kinoförderung nach § 56 FFG auch für die digitale
Zweitausstattung geöffnet. Das werden wir uns noch
einmal genau anschauen und gegebenenfalls bei der
Novellierung mit berücksichtigen.
Wir sehen: In der Novelle steckt noch ein ganzes
Stück Arbeit. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält
viele sinnvolle Ansätze. Da sind vor allem zu nennen:
die Verpflichtung der geförderten Produzenten und
Verleiher, barrierefreie Fassungen der geförderten
Produktionen bereitzustellen, also Filme mit Untertitelungen für hörgeschädigte und mit Audiodeskription
für sehbehinderte Mitmenschen zu versehen.
Ausdrücklich zu begrüßen ist die verbesserte Förderung von Kinderfilmen, die auf originären Stoffen beruhen. In anderen Punkten muss allerdings noch nachgelegt werden; ich habe das oben ausgeführt.
Wir werden unseren Beitrag dazu leisten und hoffen,
am Ende im Interesse der Filmförderung in Deutschland wieder zu einer einvernehmlichen Novellierung
unseres Filmförderungsgesetzes zu kommen.
Die 63. Berlinale war wieder einmal ein überwältigender Erfolg für das Publikumsfestival. Die langen
Schlangen vor den Kinokassen belegten erneut, dass
die Internationalen Filmfestspiele Berlin nach wie vor
das Publikum begeistern. Mit etwa 300 000 verkauften
Eintrittskarten wurde eine neue Rekordmarke aufgestellt; ganz Berlin war zehn Tage regelrecht im
Zu Protokoll gegebene Reden
Kinorausch. Das Drama „Child’s Pose“ von Calin
Peter Netzer erhielt zu Recht den Goldenen Bären für
den besten Film. Auch der deutsche Film war wieder
zahlreich und mit herausragenden Produktionen auf
dem Festival vertreten.
Wir können insgesamt auf ein erfolgreiches Kinojahr 2012 zurückblicken. Die Kinos haben mit über
1 Milliarde Euro Umsatz die höchsten Einnahmen ihrer Geschichte erzielt; so die Zahlen der Filmförderungsanstalt, FFA, die kurz vor der Berlinale veröffentlicht wurden. Nach Aussagen der FFA hat die von
Bund und Ländern getragene Digitalisierungsförderung der Kriterienkinos zu diesem Erfolg beigetragen.
Aktuell hat die FFA 1 000 Anträge auf Digitalisierungsförderung mit einem Gesamtvolumen von 10 Millionen Euro bewilligt.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf
eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes hat das Ziel, die Leistungsfähigkeit und
die Strukturen der deutschen Filmwirtschaft weiter zu
verbessern und das Gesetz den neuesten technischen
und wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Wir
werden die Erhebung der Filmabgabe zunächst einmal
auf zweieinhalb Jahre befristen und nicht wie bei vorhergehenden Verlängerungen auf fünf Jahre. Damit
tragen wir den sich durch den technischen Wandel abzeichnenden hochdynamischen Marktveränderungen
Rechnung. Eine zeitnahe Evaluation in eineinhalb
Jahren wird nötig werden und, sofern die Überprüfung
dies ergeben sollte, gegebenenfalls eine Anpassung
des Abgabensystems bei der nächsten Novelle notwendig machen.
Ein ganz wichtiger Punkt im vorliegenden Gesetzentwurf ist für die Koalition, aber auch fraktionsübergreifend die bessere Teilhabe behinderter Menschen
an den geförderten Filmen. Circa 1,2 Millionen blinde
und sehbehinderte Menschen sowie weitere Millionen
gehörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen in
Deutschland können das Filmerlebnis nur eingeschränkt erleben, da das Angebot von barrierefreien
Filmen in Deutschland bisher leider sehr gering ist.
Aus Art. 30 der UN-Behindertenrechtskonvention
ergibt sich, dass Kunst und Kultur sich ohne Abstriche
auch für Menschen mit Behinderungen erschließen
lassen müssen. Das schließt den Film mit ein. So ist es
nur folgerichtig, dass in den Katalog der zwingenden
Fördervoraussetzungen durch § 15 Abs. 1 Ziffer 7 die
Anfertigung einer barrierefreien Fassung - Audiodeskription und mit deutschen Untertiteln - aufgenommen wurde. Positiv ist auch zu bewerten, dass Kinomodernisierungsmaßnahmen, die der Herstellung von
Barrierefreiheit dienen, zukünftig als Zuschüsse und
nicht als Darlehen vergeben werden.
Zu begrüßen ist auch, dass der fraktionsübergreifende Wunsch nach der neuen Aufgabenfestschreibung
der FFA hinsichtlich des Filmerbes im Gesetzentwurf
festgeschrieben ist. Es ist gut, dass Maßnahmen zur
Digitalisierung und zur Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes als neue Kernaufgabe der FFA in den
Katalog aufgenommen wurden, und zwar in § 2 Abs. 1
Ziffer 3. Bereits im Jahr 2012 förderte die FFA die
Digitalisierung des Filmerbes mit 1 Million Euro im
Jahr.
Auch die neuen Regelungen zum Kinderfilm in § 32
Abs. 1 FFG passen gut zu den Forderungen der Koalitionsfraktionen, wonach im Rahmen der Projektfilmförderung auch Kinderfilmprojekte, die auf Originalstoffen beruhen, in angemessenem Umfang gefördert
werden sollten.
Des Weiteren erachten wir eine Flexibilisierung der
Sperrfristen für die Video-on-Demand-Auswertung,
die mit den Sperrfristen für die Verwertung auf DVD
gleichgesetzt wurde, als äußerst positiv. Wichtig ist
aber, dass an der Exklusivität der Kinoauswertung
festgehalten wurde und beide Produkte erst sechs
Monate nach der Erstaufführung im Kino herausgebracht werden dürfen.
Im Ausschuss zu diskutieren ist gegebenenfalls noch
über die angebrachten Kritikpunkte bei einigen
Gremienänderungen. Zudem sollte, entsprechend dem
Antrag der Koalition mit dem Titel „Originäre Kinderfilme aus Deutschland stärker fördern“ auf Drucksache 17/12381, eine Verlängerung des Zeitraums zur
Erreichung von 25 000 Zuschauern von zwei auf drei
Jahre in der Referenzfilmförderung in § 23 Abs. 1 FFG
geprüft werden.
Wir freuen uns auf die gemeinsame Beratung im
Ausschuss und nehmen die Kritikpunkte der Kollegen
aus den anderen Fraktionen zur Kenntnis. Lassen Sie
uns all dies in einer Anhörung erörtern.
Der Entwurf des Siebten Gesetzes zur Änderung des
Filmförderungsgesetzes, FFG, wirft einige Fragen auf,
die für die Fraktion Die Linke ungeklärt sind. Es
handelt sich dabei durchweg um Punkte, die von der
Koalition entweder gar nicht mehr oder in merkwürdig
geringschätzender Weise berücksichtigt werden. Filmförderung heißt ja nicht in erster Linie Marktförderung, sondern ohne Wenn und Aber Kulturförderung,
die nun einmal als gesamtgesellschaftliche Maßgabe
auch gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen muss. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzentwurf nicht hinreichend durchdacht oder offensichtlich
bewusst fahrlässig konzipiert. Konkret geht es uns
dabei um Folgendes:
In den Aufgaben der Filmförderungsanstalt, FFA,
findet sich unter § 2 Abs. 1, 2, 5 und 6 - Förderung,
Strukturverbesserung, gesamtwirtschaftliche Belange
sowie internationale Zusammenarbeit und Kooperation mit Rundfunkanstalten - keine angemessene
Berücksichtigung der Beschäftigungssituation von
Kreativschaffenden in der Filmbranche. Hier besteht
die Linke, im Übrigen im Einklang mit der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und weiteren Interessenverbänden der Beschäftigten, auf zusätzlichen
Zu Protokoll gegebene Reden
Vereinbarungen im Rahmen des FFG, um eine signifikante Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Befragung zur Novellierung des FFG nach dem Kabinettsbeschluss führte der BKM, Staatsminister Neumann,
hier im Plenum am 7. November 2012 mir gegenüber
aus, dass meine Fraktion dahin gehend auf das falsche
Gesetz abzielen würde. Das sehen wir definitiv anders.
Das FFG als Steuerungsinstrument zur Förderung der
Filmkultur in Deutschland kann nicht von denjenigen
absehen, die überhaupt erst mit ihren Ideen, Fähigkeiten und professionellen Fertigkeiten das Produkt
Film erzeugen, das dann der Verwertung zugeführt
wird, um für Produzenten und Filmverleiher Gewinne
abzuwerfen.
Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit über die
schlechte Bezahlung der Kreativen im Film- und Fernsehbereich debattiert. Auch, dass etwas Nachhaltiges
für sie getan werden muss, ist eigentlich Konsens.
Wenn dann aber, wie jetzt, die konkrete legislative
Umsetzung ansteht, bleiben die Beschäftigten wieder
auf der Strecke. Das ist für die Linke untragbar und bedarf einer sofortigen Neujustierung im FFG.
Das Gleiche gilt für den Wegfall der Förderung der
filmberuflichen Weiterbildung, die in früheren Fassungen des FFG unter § 59 immerhin als strukturelle
Einzelregelung erkennbar war. Im Gesetzentwurf der
Bundesregierung wird lapidar die Aufhebung des Paragrafen verfügt. Der BKM begründete die Streichung
bereits am 29. Juni 2012 nach der Vorstellung des
Referentenentwurfes damit, „dass die Förderung der
Weiterbildung mit Blick auf die Kernaufgaben der FFA
vergleichsweise wenig Wirkung zeigt, insbesondere
wegen der starken Zersplitterung der für diesen Förderzweck zur Verfügung stehenden Mittel“, vergleiche
Begründung BKM-Referentenentwurf FFG 2014,
29. Juni 2012, Seite 24. Diese Begründung ist schwer
einzusehen. Die Kernaufgaben der FFA bestehen doch
nach § 2 FFG unter anderem in der Förderung des
deutschen Films als Kulturgut und in der
Unterstützung der gesamtwirtschaftlichen Belange des
Films, wobei unter die gesamtwirtschaftlichen Belange eben auch im Normalfall die Verpflichtung zum
Angebot filmberuflicher Weiterbildungsmaßnahmen
gefasst werden muss. Wir von der Linken sind jedenfalls davon überzeugt, dass die Weiterbildung Bestandteil der Filmförderung sein sollte, und halten daher die
ersatzlose Streichung von § 59 für ein völlig falsches
Signal.
Das FFG ist darüber hinaus in Bezug auf die
Digitalisierung des Filmerbes deutlich zu stärken und
viel präziser auszurichten. Eine bloße Aufnahme dieses Titels in den Aufgabenkatalog der FFA wird nicht
genügen. Ebenso hat der Koalitionsantrag zum Thema
„Originäre Kinderfilme“ aufgezeigt, dass in den
§§ 15, 23 und 53 FFG auf diesem Spezialfeld Nachbesserungen durchzuführen sind. Ich habe an anderer
Stelle in Reden zu beiden Themen für meine Fraktion
das Nötige gesagt und weise hier erneut auf unsere
plausiblen Finanzierungsvorschläge hin.
Letzten Endes wartet der Gesetzentwurf noch mit einer erstaunlichen Regelung auf: Der § 75 Abs. 1 legt
das Auslaufen der jetzigen Novellierung des FFG auf
den 30. Juni 2016 fest. Das bedeutet eine Verkürzung
der Gültigkeitsdauer um die Hälfte von fünf auf zweieinhalb Jahre. Zusätzlich dazu soll spätestens bis zum
30. Juni 2015 ein Evaluierungsbericht zur Entwicklung des Abgabeaufkommens erarbeitet und veröffentlicht werden. Zur Begründung führt die Bundesregierung an, dass die Halbierung der Befristung sich
abzeichnenden Marktveränderungen geschuldet ist,
die vor allem durch den technischen Wandel bedingt
sind und die gegebenenfalls eine Anpassung des Abgabesystems erforderlich machen. Auch die Folgen der
neuen Rundfunkgebühr könnten danach Änderungen
an den Abgabemaßstäben hervorrufen.
Ich finde, dass diese Begründungszusammenhänge
nicht überzeugend sind. Wenn man die beschriebenen
möglichen Effekte bereits ahnt oder sogar voraussieht,
dann hätte sich ihre Berücksichtigung doch im Gesetzentwurf selbst niederschlagen können. Evaluierungen
sind ja gut und schön, sofern sie mit einer bestimmten
Zielvorgabe ausgestattet werden. Hier jedoch wird
höchst vage auf einen technischen Wandel zurückgegriffen, der sich sowieso abspielt und der für mich
eher als Ausrede erscheint, damit allein die Verwertungsmodalitäten in einem kürzeren Zeitabschnitt verfeinert werden können.
Verräterisch wirkt der Hinweis auf die Folgen der
Haushaltsabgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Offensichtlich ist sich die Koalition bewusst,
dass die Rundfunkgebühr in ihrer derzeitigen Form
unter Umständen keine positiven Rückkopplungen auf
die Filmwirtschaft haben wird. Die Verkürzung des
Geltungszeitraums ist aber unseres Erachtens auch
ganz allgemein problematisch, weil Planungsunsicherheiten entstehen und der Novellierungsprozess unverhältnismäßig die verknappte Geltungsdauer überlagert.
Ohne substanzielle Änderungen ist daher der vorgelegte Entwurf des FFG für die Linke nicht zustimmungswürdig.
Die Filmförderung des Bundes ist ein unverzichtbares Element in der deutschen Filmförderlandschaft.
Bei allem Reformbedarf im Detail steht diese Filmförderung für uns Grüne nicht zur Disposition. Und ich
möchte sehr betonen, dass wir hier in engem Schulterschluss mit den anderen Fraktionen des Hauses stehen - und auch mit den Ländern. Wir werden die Filmförderung des Bundes nicht kaputtmachen lassen, auch
von einer Klagewelle nicht, die von großen Kinoketten
losgetreten wurde. Dazu ist dieses Förderinstrument
zu wichtig: als Faktor in einem Wirtschaftsbereich, der
von besonderen Herausforderungen und Risiken geZu Protokoll gegebene Reden
Claudia Roth ({0})
prägt ist und eine große Bedeutung für die kulturelle
Identitätsbildung und die ästhetische Kommunikation
hat.
Wir sind für eine starke Filmförderung des Bundes
und für eine Novellierung des FFG, die die Stellschrauben in Richtung Qualität und Nachhaltigkeit
dreht. Und das heißt vor allem die Weiterentwicklung
der eigenen Handschrift - für eine Unterscheidbarkeit
des deutschen und europäischen Kinos in der internationalen Film- und Kinowelt.
Deswegen stellen wir Qualitätsfragen nach vorne.
Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch wollen wir
hochwertige Produkte, Filme, die anspruchsvollen
Maßstäben genügen. Hier liegt die Zukunft und nicht
in einer Nivellierung des Angebots. Hohe künstlerische und kulturelle Maßstäbe sind eine entscheidende
Grundlage für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des deutschen und europäischen Films.
Deswegen halten wir die Absenkung der möglichen
Referenzpunkte für Filme, die mit Auszeichnungen versehen wurden, für problematisch. Denn hiermit werden
„Exzellenz“-Kriterien abgesenkt, was auch mit Blick
auf den zuletzt schweren Stand deutscher Filme bei
großen internationalen Filmfestivals falsche Anreize
schafft.
Problematisch ist auch, dass die von uns Grünen zusammen mit vielen Kreativen im Filmbereich geforderte Beteiligung der Kreativen an der Referenzfilmförderung nicht berücksichtigt wird. Eine solche
Einbeziehung wäre wichtig, gerade um erfolgreiche
Drehbuchautoren und Regisseure langfristig an den
Kinofilm zu binden und ihre Abwanderung in Bereiche,
die kontinuierlichere Verdienstmöglichkeiten bieten,
zu verhindern.
Ein Problem sehen wir auch in der Sperrfristverkürzung für die Fernsehauswertung von geförderten
Filmen von zwölf auf sechs Monate. Damit wird die
Anzahl von sogenannten Amphibienproduktionen noch
vergrößert. Mittel aus dem Bereich der Filmförderung
werden noch stärker in den Bereich von Fernsehproduktionen abfließen.
Der Wegfall der Förderungshilfen für die Fortentwicklung von Drehbüchern und auch von Fördermaßnahmen zur Weiterbildung sowie für Forschung, Rationalisierung und Innovation sollte noch einmal
überdacht werden, auch wenn die Nachfrage nach den
entsprechenden Förderungen teilweise nicht ausreichend war. Angesichts der Qualitätsanforderungen
und der großen Umbrüche im Filmbereich werden gerade diese Bereiche immer wichtiger.
Wir sollten darüber nachdenken, wie diese Mittel
sinnvoll für die vorgesehenen Zwecke eingesetzt werden können. Bei der Drehbuchförderung sollten die
Kreativen die Möglichkeit erhalten, ihre Projekte
selbstständig bei der FFA einzureichen. Auch interne
Veränderungen in der FFA sind sinnvoll, etwa verstärkte Kompetenzen der Unterkommission „Drehbuch“ bei der Drehbuchfortentwicklung.
Wir begrüßen, dass die Novelle Maßnahmen zur
Förderung der Digitalisierung und der Zugänglichmachung des Filmerbes beinhaltet. Auch das ist überfällig. Mit dem Antrag „Umfassende Initiative zur
Digitalisierung des Filmerbes starten“, Bundestagsdrucksache 17/8353, hat die grüne Fraktion ja eindringlich auf die Bedeutung des Themas hingewiesen.
Während der Beratungen des Kultur- und Medienausschusses des Bundestags zum Thema im Dezember 2012,
Bundestagsdrucksache 17/11933, zeigte sich, dass die
Vorstellungen der Bundesregierung hier immer noch
viel zu vage und unkonkret sind.
Wir brauchen eine breite Digitalisierungsinitiative,
die alle Gruppen und Akteure in die Verantwortung
einbezieht - „Runder Tisch“ -, so wie das etwa in den
Niederlanden mit Erfolg geschehen ist. Die FFA muss
hierzu einen Beitrag leisten. Nötig sind schlüssige
Konzepte und ausreichende Finanzmittel, damit wir
rasch vorankommen und nicht weiter hinter Nachbarländer zurückfallen.
Wir begrüßen, dass nun auch eine Vertreterin bzw.
ein Vertreter der Kreativen Mitglied im Präsidium der
FFA sein soll. Auch das ist eine alte Forderung von uns
Grünen. Diese positive Entwicklung wird allerdings
durch die Streichung eines Sitzes der Kreativen in der
Vergabekommission wieder konterkariert, wobei die
AG „Kurzfilm“ ganz aus der Vergabekommission herausfallen soll. Das kritisieren wir.
Auch die Übernahme des Vorsitzes der Vergabekommission durch den FFA-Vorstand erscheint uns
fragwürdig, weil in dieser Kommission doch eher die
filmpraktischen Kompetenzen im Mittelpunkt stehen
sollen. Bei der Besetzung des Verwaltungsrates fordern wir eine Berücksichtigung aller Fraktionen des
Bundestages, was über grundständige Mandate oder
zumindest sprechberechtigte Stellvertreterinnen und
Stellvertreter erreicht werden kann.
Wir begrüßen schließlich, dass Audiodeskriptionen
für Menschen mit Sehbehinderungen und Untertitelungen für Menschen mit Hörschäden nun verpflichtend
werden. Das ist ein großer Erfolg auch für unsere
grüne Initiative zum barrierefreien Film, Bundestagsdrucksache 17/8355, und die Initiative der filmpolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen,
die in einem gemeinsamen Brief auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Ebenso begrüßen wir die
Verbesserungen bei der Herstellung von Barrierefreiheit von Kinos im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen. Die Ausnahmeregelungen zu den nun vorgesehenen Regelungen dürfen allerdings zu keiner
Aufweichung bei den angestrebten Verbesserungen
führen.
Ein Problembereich der Filmförderung sind die
„originären“ Kinderfilme, also Filme, die sich auf unsere Lebenswirklichkeit beziehen und dabei nicht nur
Kinoadaptionen von bekannten Kinderbüchern oder
Märchenstoffen sind. Nur 4 der über 30 FFA-geförderten Kinderfilme in den letzten drei Jahren waren in
dieser Weise „originär“. Ein Antrag der Koalition hat
Zu Protokoll gegebene Reden
Claudia Roth ({1})
gerade auf diesen Missstand hingewiesen, Bundestagsdrucksache 17/12381. Die dort vorgeschlagenen
Problemlösungen sind jedoch sehr inkonsequent.
In der FFG-Novelle könnte für den Kinderfilm einiges getan werden, wenn zum Beispiel auf die in § 23
beabsichtigte Verschlechterung bei den Aufstockungsmöglichkeiten für Referenzpunkte verzichtet wird.
Denn diese Absenkung dürfte sich gerade für originäre
Kinderfilme negativ auswirken.
Besonders wichtig ist es, beim § 15 FFG, den allgemeinen Förderungsvoraussetzungen, anzusetzen. In
der FFG-Novelle der Regierung taucht hier jedoch
keine Verbesserung für den Kinderfilm auf. Eine bloße
Klarstellung in § 32, wonach auch „Kinderfilmprojekte, die auf Originalstoffen beruhen“, angemessen im Rahmen der Projektfilmförderung berücksichtigt werden sollen, ist viel zu unbestimmt.
Was uns in der FFG-Novelle ganz fehlt, sind Ansätze zur Ökologisierung der Filmproduktion, „Green
Film“. Eine klimafreundlichere Filmproduktion mit
deutlich abgesenkten CO2-Emmissionen ist möglich.
In verschiedenen Staaten haben sich Initiativen zu diesem Thema gebildet; Firmen bieten ihre Dienstleistungen an. Auch Landesfilmförderanstalten sind hier
schon aktiv, zum Beispiel die FFHSH in Hamburg und
Schleswig-Holstein. Die geplante Novelle des FFG
versäumt es, Anreize zu schaffen, um die nötige Ökologisierung der Filmproduktion voranzutreiben.
Insgesamt sehen wir einige gute Ansätze in der
FFG-Novelle, aber auch eine Reihe von Problemen.
Ich fände es gut, wenn wir in den parlamentarischen
Beratungen gemeinsame Lösungen erarbeiten könnten. Wir Grünen sind jedenfalls bereit, starke gemeinsame Signale für die Filmförderung des Bundes auszusenden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch
dazu gibt es offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Daniela Wagner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Energetische Quartierssanierung sozialgerecht
voranbringen
- Drucksache 17/11205 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.
Energetische Gebäudesanierung, hier auch Quartierssanierung genannt, ist uns allen ein großes Anliegen. Es ist aber scheinbar nicht groß genug, als dass
sich die Länder im Vermittlungsausschuss mit uns hätten
einigen wollen. Dass wir immer noch kein Gesetz zur
Förderung der energetischen Gebäudesanierung haben,
liegt nicht am Bund, sondern eindeutig an den SPDregierten Ländern, die sich querstellen.
Doch das ändert leider nichts an den Tatsachen. Der
Energieverbrauch in unseren Städten ist hoch. Das Einsparpotenzial in unseren Häusern und Wohnungen ist
hoch; der Sanierungsbedarf und die Kosten sind es
ebenfalls. Sie fordern von der Bundesregierung, eine
sozial gerechte energetische Quartierssanierung als
neuen Förderschwerpunkt mit soliden Finanzmitteln für
die Kommunen, eine verstetigte Städtebauförderung unter stärkerer Berücksichtigung des Klimaschutzes und
stärkere Nutzung von EU-Fördermitteln für diesen Bereich. Das sind gute Ideen. Die hatten auch wir. Deshalb
machen wir ja all das auch schon.
Fangen wir doch einmal bei einer grundlegenden Sache an: Wie soll man einen Hauseigentümer oder Vermieter, seien es Private oder Kommunen, dazu bewegen,
in die energieeffiziente Sanierung ihrer Gebäude zu investieren, also Ausgaben zu tätigen, wenn sie diese nicht
beispielsweise über die Miete wieder „reinholen“ können? Da kann man nicht nur an den guten Willen, die
gute Tat für die Umwelt und die Energiewende appellieren. Dazu gehört mehr, und das machen wir auch.
Eine steuerliche Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen, zusätzlich zu den Programmen der
KfW-Bankengruppe, hätte insbesondere für selbst
nutzende Eigentümer und für private Vermieter ein entscheidender Anreiz sein können, die energetische Sanierung ihrer Gebäude in Angriff zu nehmen. Aber der
Bund konnte, wie eingangs schon gesagt, hier nicht auf
die Mitwirkung der Länder zählen. Eine warmmietenneutrale Sanierung wird also schwierig.
Insgesamt kommt es nicht nur darauf an, dass hier
und da ein Eigentümer ein Haus energetisch saniert.
Deshalb stehen wir auch städteplanerisch vor großen
Herausforderungen. Es sind die Städte und Kommunen
gefragt, entsprechende Schritte einzuleiten bzw. erfolgreich begonnene fortzuführen. Es geht dabei auch nicht
nur um Bestandsimmobilien, sondern auch um die künftige soziale Wohnraumförderung. Erst in dieser Woche
hat Minister Ramsauer angekündigt, dass, wenn es nach
ihm ginge, die Bundesmittel auch 2014 wieder bei
518 Millionen Euro festgelegt werden sollten, unter der
Bedingung, dass die Länder diese Mittel zweckgebunden
einsetzen. Unsere jetzt schon vorhandenen zahlreichen
Fördermittel dienen ganz klar dazu, genau diese Anreize
zu setzen und dabei die Belastungen der Eigentümer,
Nutzer und Mieter möglichst gering zu halten.
Wir unterstützen die Kommunen dabei, die Quartierssanierung auf eine solide finanzielle und organisatorische Basis zu stellen. Dazu hat das Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ihnen zahlreiche
Arbeitshilfen gegeben, zum Beispiel den „Handlungsleitfaden zur Energetischen Stadterneuerung“, der bereits seit 2011 für die Kommunen eine gute Informationsbasis für Energieeinsparmaßnahmen auf allen
Gebieten darstellt und erfolgreich angewandt wird. Es
ist außerdem bekannt, dass im Rahmen des Forschungsprojekts „Anforderungen an energieeffiziente und klimaneutrale Quartiere“ des Experimentellen Wohnungsund Städtebaus die Erkenntnisse aus diesem Leitfaden
für die Quartiersebene stetig verfolgt, ausgewertet und
verfeinert werden.
Zu den jetzt schon sehr effizienten und erfolgreichen
Fördermaßnahmen, die vom Bund aufgesetzt wurden,
zählen zum Beispiel das bewährte CO2-Gebäudesanierungsprogramm, die Vor-Ort-Energieberatung, das
Marktanreizprogramm sowie das KfW-Programm
„Energetische Stadtsanierung“. Es ist nämlich nicht nur
wichtig, das Haus von außen zu dämmen, was momentan
als einfachste Methode des Energieeinsparens angesehen wird. Es gibt ja noch viel mehr.
Die Vor-Ort-Energieberatung, gefördert durch das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, zielt auf
die Energieberatung für Wohnimmobilien ab. Dem
Immobilieneigentümer werden energetische Schwachstellen seines Objektes aufgezeigt, und es werden entsprechend passgenaue effiziente Modernisierungsmaßnahmen konzipiert, deren Wirtschaftlichkeit mittels
einer Nutzen-Kosten-Analyse geprüft werden. Der Beratungsbericht der Vor-Ort-Energieberatung wird von der
KfW-Bank als Nachweis für die Beantragung eines KfWKredits „Energieeffizient sanieren“ akzeptiert, und so
führt dann eines zum anderen.
Viele der Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag aufzählen, sind also von uns schon in bestehendes Recht
umgesetzt worden bzw. sind Teil des Energiekonzepts der
Bundesregierung. Wir stehen ja nicht still. Es werden
immer wieder bestehende Programme überprüft und
verbessert, neue Programme ersonnen und neue Wege
ermittelt, wie der Bund gemeinsam mit den Ländern
oder diese unterstützend die Bezahlbarkeit von Energie
und die Bezahlbarkeit von Wohnraum sichern kann.
Wir alle können nicht leugnen: Wird energetisch saniert, so profitiert der Vermieter, weil seine Immobilie an
Wert gewinnt. Gleichzeitig profitiert auch der Mieter:
von sinkenden Nebenkosten und von einer Verbesserung
der allgemeinen Wohnqualität. Aus diesem Grund hat
der Mieter energetische Modernisierungsmaßnahmen
auch zu dulden, sofern diese keine unbillige, nicht zu
rechtfertigende Härte für ihn oder einen Angehörigen
seines Haushalts darstellen. Es kann auch nicht immer
sein, dass es sich überhaupt nicht auf die Mietkosten
auswirkt; aber das muss sozialverträglich sein. Da
stimme ich Ihnen zu.
Wir schützen Mieter weiterhin vor unberechtigten
Mieterhöhungen. Dies geschieht dadurch, dass nach
§ 559 Abs. 4 BGB-E eine Mieterhöhung ausgeschlossen
wird, soweit sie auch unter Berücksichtigung der voraussichtlichen künftigen Betriebskosten für den Mieter
eine nicht gerechtfertigte Härte darstellt. Benötigt ein
Mieter dennoch Unterstützung bei der Mietzahlung, so
besteht wie bisher die Möglichkeit, Wohngeld zu beantragen. Diese staatliche Hilfe sowie die Übernahme der
Kosten der Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung
federt im Rahmen der Höchstbeträge bei Menschen mit
geringem Einkommen zum Beispiel Mieterhöhungen ab,
die nach Modernisierungen entstehen können und die finanzielle Belastbarkeit des Mieters übersteigen.
Bund, Länder und Kommunen wenden erhebliche
Haushaltsmittel dafür auf, dass sich einkommensschwache Haushalte angemessenes Wohnen zu tragbaren Bedingungen leisten können. Da ist der Bund im Jahr mit
17 Milliarden Euro in der Pflicht, die soziale Wohnraumförderung der Länder mit 1 Milliarde Euro. Eines
dürfen wir bei dieser Diskussion auch nicht vergessen:
die Pflichten der Länder. Mit der Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform I sind
Zuständigkeiten im Wohnungswesen, etwa die für die soziale Wohnraumförderung, vom Bund auf die Länder
übertragen worden. Dies geschah aus dem einfachen
Grund, dass angesichts zunehmend differenzierterer
Wohnungsmärkte vor Ort am besten über die sachgerechten Maßnahmen entschieden werden kann.
Der Bund hat daher weder die Möglichkeit, auf die
Stärkung der öffentlichen Wohnungswirtschaft durch die
Länder einzuwirken, noch kann er diese zum Erlass von
Wohnraumschutzgesetzen veranlassen. Wir können lediglich Hilfestellungen geben, die zum Teil gerne angenommen werden. Die Einflussmöglichkeit des Bundes ist
auch beim Einsatz der sogenannten EFRE-Mittel für
Zwecke der Energieeffizienz im Wohnungsbestand begrenzt. Inwieweit also diese Mittel zulasten von Strukturförderungsmaßnahmen umverteilt werden, liegt allein bei den Ländern.
Ich meine, die Ansätze der Bundesregierung und der
Regierungskoalition sind überzeugend, vielseitig und erfolgreich. In diesem Sinne wollen wir fortfahren.
Die christlich-liberale Koalition hat Klimaschutz,
Energiewende und Effizienzsteigerung zu zentralen
Punkten der politischen Agenda gemacht. Dabei
haben wir stets die wirtschaftlichen und die sozialen
Aspekte einfließen lassen. Deshalb haben wir das
Programm „Energetische Stadtsanierung - energieeffiziente kommunale Versorgung“ gestartet. Es ist
verbunden mit dem Programm „IKK - Energetische
Stadtsanierung - Quartiersversorgung“. Wir eröffnen
damit die Möglichkeit, gezielt ganze Gebiete energetisch zu sanieren. Nicht das Einzelgebäude steht dabei
im Fokus, sondern ein ganzes Quartier.
Die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen fordern
einen Energiesparfonds von 3 Milliarden Euro jährlich. Das klingt natürlich gut. Die Kollegen scheinen
allerdings vergessen zu haben, dass es bei den Haushaltsverhandlungen großer Anstrengungen bedurfte,
um die Mittel, die wir bereits bereitstellen, auch
Zu Protokoll gegebene Reden
Volkmar Vogel ({0})
weiterhin bereitzustellen. Ich frische aber gerne die
Erinnerung weiter auf: Wir haben die energetische
Sanierung fortgeschrieben. 1,5 Milliarden Euro stehen
jährlich aus dem Energie- und Klimafonds für 2013
und 2014 für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfügung. Hieraus wird auch das bereits erwähnte Programm gespeist.
Dieselben Grünen, die jetzt mehr Mittel fordern,
waren es doch, die Sonderabschreibungen für die
energetische Sanierung im Vermittlungsausschuss verhindert haben. Das wäre ein guter Anreiz für Selbstnutzer und kleine Vermieter gewesen. Stattdessen
mussten wir unter größten Mühen über acht Jahre die
bestehenden Programme zur CO2-Gebäudesanierung
um 300 Millionen Euro jährlich aufstocken.
In ihrem Antrag wollen die Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen energetische Sanierungen mit sozialen Aspekten verbinden. Das leisten diese Programme bereits.
Mit den erwähnten Programmen bezuschusst die
KfW-Bankengruppe die quartiersbezogene Wärmeversorgung sowie Investitionen in energieeffiziente Wasserver- und Abwasserentsorgung. Damit ermöglichen
wir ein technologieoffenes Vorgehen. Wir legen nicht
bestimmte Formen der Effizienzsteigerung oder der
Wärmeversorgung fest. Vielmehr soll mit den Akteuren
vor Ort abgestimmt werden, was gemacht wird und
sinnvoll ist. Somit eröffnen wir die Chance, stärker auf
standortspezifische Gegebenheiten und Bedürfnisse
der Anwohner einzugehen, als dies starre Vorgaben
leisten können.
Dies ist die Aufgabe des Sanierungsmanagers. Dieser wird durch das erstgenannte Programm ebenso wie
der Erstellungsprozess des Sanierungskonzepts finanziert. Der Sanierungsmanager soll vor Ort in den
Quartieren die unterschiedlichen Akteure zusammenführen. Dabei entwerfen sie gemeinsam das Sanierungskonzept. Er führt hierfür Wohnungsunternehmen,
private Vermieter und Selbstnutzer zusammen. Die Herangehensweise, mit der wir nicht nur einzelne Gebäude betrachten, sondern ganze Quartiere, eröffnet
neue Möglichkeiten und entspricht ganzheitlichen
Grundsätzen.
So sind beispielsweise Anlagen zur Nutzung von
Erdwärme zur gebäudeübergreifenden Wärmeversorgung integrierbar. Solche Zusammenschlüsse und aufeinander abgestimmte Sanierungen führen zu einem
besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Die soziale Komponente vergessen wir nicht. Wohnwirtschaftliche Konzepte finden nämlich ebenso ihre
Berücksichtigung in den jeweiligen Sanierungsplänen.
Denn bei ihrer Erstellung sollen bereits vorhandene
Quartierskonzepte oder Milieuschutzgebiete nach
§ 172 Baugesetzbuch Berücksichtigung finden. Dadurch sind die spezifischen Probleme einkommensschwacher Gebiete bereits beachtet und finden somit
Eingang in das Sanierungskonzept. Wir wollen durch
die energetische Sanierung keine Verdrängungseffekte
erzeugen. Ganz im Gegenteil, wir tun etwas für das soziale Gleichgewicht.
Denn energetische Sanierung bedeutet die Erhöhung der Energieeffizienz. Die Erhöhung der Energieeffizienz ist gleichzeitig gut für den Geldbeutel, denn
die Nebenkosten sinken. Diese sind mittlerweile oftmals in Größenordnungen einer zweiten Miete angewachsen. Soziale Aspekte sind für uns zentral. Dies
äußert sich am eindrucksvollsten im Wirtschaftlichkeitsgebot. Aber das ist den Grünen offenbar nicht so
wichtig. Energetische Sanierung geht nur dann sozial
gerecht zu, wenn wir sie unter dem Aspekt der
Wirtschaftlichkeit betrachten. Eine nicht darstellbare
Wirtschaftlichkeit ist für Vermieter und Mieter gleichermaßen schlecht. Gezielte Anreize zu eigenverantwortlichem Handeln stehen für uns über unwirtschaftlicher Zwangsbeglückung.
In dem vorliegenden Antrag mahnen die Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen eine Verzahnung von
energetischer Quartierssanierung mit anderen Bereichen wie altersgerechtem Umbauen an. Auch dies
praktizieren wir bereits. Das von mir eben skizzierte
Programm ist nämlich mit anderen Förderungen koppelbar. Die KfW bietet auch in diesem Bereich entsprechende Programme.
Der Sanierungsmanager führt die unterschiedlichen Faktoren zusammen und bringt sie in das Sanierungskonzept ein. Auch an Barrierefreiheit und Denkmalschutz denken wir. Diese müssen bei der Erstellung
des Konzeptes einfließen.
Sie sehen also, dass die christlich-liberale Koalition
das Sinnvolle aus dem Forderungskatalog bereits umsetzt. Die vorhandenen Mittel sollen planvoll, gezielt
und effizient eingesetzt werden. Dies machen wir. Die
sozialen Aspekte werden berücksichtigt. Dies machen
wir. Andere Programme und Aufgabenstellungen einer
vielfältigen Gesellschaft sollen einfließen. Dies machen wir.
Der Antrag ist daher überflüssig, und deshalb lehnen wir ihn ab.
Die energetische Sanierung von Gebäuden ist ein
wichtiger Baustein zur Erreichung der europäischen
und nationalen Energieeffizienzziele. Wir als SPDBundestagsfraktion haben bereits frühzeitig festgestellt und thematisiert, dass neben der Sanierung einzelner Gebäude und Gebäudekomplexe dem ganzheitlichen
Ansatz im Quartiersbezug stärker als bei früheren Maßnahmen und Programmen das Augenmerk gelten muss.
Im Eckpunktepapier zur energetischen Gebäudesanierung der SPD-Bundestagsfraktion haben wir uns bereits vor zwei Jahren mit den sozialen Aspekten der
Maßnahmen intensiver beschäftigt. Erst jetzt - kurz
vor der Wahl - entdeckt die Fraktion Bündnis 90/ Die
Grünen die sozialen Aspekte von energetischen Sanierungen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Bereits in anderen Plenardebatten habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass sich die energetische
Sanierung in der heutigen Form nicht rechnet - weder
für den Mieter und die Mieterinnen noch für den Vermieter oder die Vermieterinnen. Mit der Mietrechtsnovelle hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die
Sanierungslasten noch einmal eindeutig in Richtung
der Mietrinnen und Mieter geschoben. Bei ohnehin bereits regional sehr hohen Mietbelastungen führt dies
zur finanziellen Überforderung nicht nur von Geringverdienern, sondern auch Familien mit mittleren Einkommen können sich qualitativ gute Wohnungen nicht
mehr leisten. Die durchschnittlichen Bruttolöhne sind
seit 2000 faktisch gesunken. Für die Wohngesamtkosten
werden heute zwischen 30 und 50 Prozent vom Haushaltseinkommen aufgezehrt.
Dabei sind lebenswerte und sozial ausgeglichene
Städte die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt
unserer Gesellschaft. Bezahlbare und gute Wohnungen
sind ein grundlegendes Bedürfnis. Städte sind mehr als
Stein und Beton. Lebenswerte Stadtquartiere zeichnen
sich durch nachbarschaftliches Miteinander, durch soziale Infrastruktur, durch angenehmes Wohnumfeld,
Angebote von Bildung, Kultur, Sicherheit und Integration aus. In der jetzigen Politik steht dies nicht im
Mittelpunkt. Unter der jetzigen Bundesregierung verkümmerte die Stadtentwicklungspolitik; Städtebauförderung besteht nur noch aus Investitionen und musste
den ressortübergreifenden und sozialen Weg verlassen.
Energetische Sanierung wird zum rein investiven Maßnahmenpaket. Dabei gilt es einerseits den steigenden
Energiepreisen entgegenzuwirken, aber andererseits
den Wohnanforderungen unserer heutigen Zeit gerecht
zu werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher
beschlossen, die Städtebauförderung zu stärken und
verlässlich zu finanzieren. Das Programm „Soziale
Stadt“ wird zusammen mit den Ländern und Kommunen zum Leitprogramm ausgestaltet. Die positive Wirkung durch die ressortübergreifende Zusammenarbeit
auf allen Ebenen machen den Erfolg der Programme
der sozialen Stadt aus. Die energetische Stadtsanierung muss aus unserer Sicht in die Städtebauförderung
integriert werden und finanziell verstärkt werden. Es
gilt neben dem energetischen Ansatz auch demografische Aspekte, regional extrem unterschiedliche Wohnungsmärkte, Barrierefreiheit sowie soziale Stadt- und
Quartiersentwicklung unter einen Schirm zu bringen.
Unsere Städte und Gemeinden leben durch und mit den
Menschen und werden nicht alleinig durch Dämmdicken bestimmt. Wir als SPD haben fest beschlossen,
die Kommunen zu stärken, sie nicht im Stich zu lassen.
Dies bedeutet auch, sie bei den unterschiedlichen
Wegen und Stadtentwicklungskonzepten mit den geeignetsten Maßnahmen zu unterstützen und unter anderem auch die Kommunen in Haushaltsnotlage in die
Lage zu versetzen, an den Bund-Länder-Programmen
der Städtebauförderung mithilfe eines Eigenanteilfonds teilzuhaben.
Quartierssanierung wird niemals nur energetisch
stattfinden. Die energetische Quartierssanierung bleibt
trotzdem ein grundlegender Baustein für bezahlbaren
Wohnraum. Hier gilt es dezentrale Strukturen für Energiegewinnung, -speicherung und -nutzung zu schaffen.
Ich möchte hier ausdrücklich auch noch auf die heute
Morgen in der Plenardebatte diskutierten Anträge
„Bezahlbare Mieten in Deutschland“ und „Bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt“ verweisen.
Jeder muss im Quartier motiviert werden, im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zur Energieeinsparung beizutragen - wirtschaftlich sinnvoll und
sozial gerecht.
Mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen scheint
nun ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der quartiersbezogenen Betrachtung von Stadtentwicklungsprozessen auch in der Opposition Nachhall zu finden. Die
christlich-liberale Koalition, insbesondere das liberale
Konzept zur energetisch-dynamischen Stadtentwicklung, verfolgt den breiten Ansatz der Quartiersbetrachtung seit längerem. Denn eine der größten
Herausforderungen für den Klimaschutz und die Umsetzung der Energiewende liegen im Gebäudebestand.
Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen wir eine Politik der Energieeffizienzsteigerung im Gebäudebestand voranbringen und nicht
nur auf das einzelne Gebäude, sondern auch auf quartiersbezogene Lösungen, beispielsweise bei der Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien, setzen.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt daher die Novellierung des BauGB und die enthaltene Ergänzung
einer klimagerechten Stadtentwicklung und somit den
energieeffizienten und klimaneutralen Quartiersumbau.
Hier finden sich wichtige und inhaltlich abgestimmte
Schritte, der Quartiersentwicklung einen gesicherten
rechtlichen Rahmen zu geben. Wir schaffen damit einen
funktionierenden Bau- und Wohnungsmarkt, der sich
in einem stabilen und verlässlichen gesetzlichen Rahmen entwickelt.
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt hier aber auf Anreize und nicht auf Zwang, auf unternehmerische Initiative, nicht auf Staatswirtschaft. Es ist erstaunlich,
dass SPD und Grünen nicht mehr einfällt, als wieder
und wieder mehr Steuergeld in die Hand zu nehmen,
um vermeintlich neue Subventionsprogramme oder
Förderprojekte staatlich zu alimentieren. Die Höhe
der neuerlichen Forderungen in den hier diskutierten
Anträgen beläuft sich locker auf 430 Millionen Euro.
Der Energiesparfonds, den Sie fordern, soll allein mit
1,8 Milliarden Euro jährlich ausgestattet sein. Für
den, der fordert, liegt es dankbarerweise in der Natur
der Sache, über die Quellen, aus denen die Mittel fließen sollen, nichts oder wenig sagen zu müssen. Nichtsdestotrotz sollten Forderungen einen Anspruch erfüllen: Sie sollten realistisch sein. Aber das sind die
beantragten Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen
nicht. Aber auch seitens der SPD hört man keinen Widerspruch. Das deutet darauf hin, dass man sich gesamtwirtschaftlich schon längst mit einem Programm
Zu Protokoll gegebene Reden
Petra Müller ({0})
abgefunden zu haben scheint, das im Schuldenmachen
seine einzige Kraftquelle sieht.
Mit der FDP-Bundestagsfraktion wird eine so verantwortungslose Politik nicht zu machen sein. Wir
werden weder den Bundeshaushalt noch die Haushaltskonsolidierung aus dem Blick verlieren, auch
nicht angesichts noch so wünschenswerter Ziele. Wir
dürfen aber auch nicht die Hausbesitzer und Kommunen überfordern, sondern müssen sie bei der Quartierssanierung unterstützen. Inhaltliche Forderungen,
die der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aufstellt,
sind durchaus zu unterstützen. Jedes Quartier muss individuell betrachtet werden, da es in unterschiedlichen
Bauphasen entstanden ist und somit unterschiedliche
Gebäudestrukturen aufweist. Insoweit sind quartiersbezogene Konzepte erforderlich, die die unterschiedlichen Anforderungen eines energieeffizienten Quartiers
miteinander verbinden. Auch hat der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bereits auf die Bedeutung der Energieberatung für Verbraucher hingewiesen. Dies sollte in der Stadtentwicklungspolitik
verstärkt auch in den Bereichen Bauen, Sanieren und
Wohnen in den Fokus genommen werden. Die Änderungen im Mietrecht sollten ebenfalls auf die klimaneutrale Quartierssanierung erweitert werden.
Die FDP-Bundestagsfraktion ist zur inhaltlichen
und sachbezogenen Zusammenarbeit bereit. Forderungen aber, die ungeachtet der Haushaltslage aufgestellt
werden, müssen als vorgezogene Wahlkampfmanöver
zurückgewiesen werden. Wer Systeme nicht in ihren
Wirkungszusammenhängen sehen kann oder sehen will,
hat in Regierungsverantwortung nichts zu suchen. Daher wird die christlich-liberale Koalition ihre erfolgreiche Politik fortsetzen und weiterentwickeln.
Der jetzt vorgelegte Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll offenbar die Vielzahl der Anträge zur Energiewende, zur energetischen Sanierung
weiter komplettieren und untersetzen. Er steht im
Kontext zu dem vor kurzem vorgelegten Antrag „Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen“. Diesem Antrag haben wir als Fraktion bereits
zugestimmt, weil wir die energiepolitischen Zielsetzungen für richtig halten. Da der neue Antrag im Wesentlichen die gleichen Ziele wieder aufgreift, werden wir
uns hier nicht anders verhalten.
Es ist richtig, dass die Energiewende im Gebäudebereich beschleunigt werden muss. Allerdings sei die
Frage erlaubt, ob die geforderten finanziellen Mittel
ausreichen, um mit der energetischen Sanierung im
Gebäudebereich den erforderlichen Beitrag zu den international verpflichtenden Klimaschutzzielen zu leisten.
Die Antragsteller verzichten leider darauf, darzulegen, was mit den eingeforderten Mitteln von 3 Milliarden Euro jährlich in einem neu zu schaffenden Klimafonds erreicht werden soll und welchen darüber
hinausgehenden Beitrag die Akteure, die auch nicht
näher bezeichnet werden, leisten sollen.
„Sozial gerecht“ heißt für uns nämlich nicht nur,
dass mit den Kosten der Energiewende verbundene soziale Härten abgemildert werden, sondern auch, dass
die sozialen Belange aller betroffenen Menschen von
vornherein Bestandteil des Sanierungskonzepts sein
müssen. Deswegen sind uns solche Formulierungen
wie „ohne wesentliche Erhöhung der Warmmiete“
oder „Ziel ist, wo immer möglich, die warmmietenneutrale Sanierung“ nicht verbindlich genug. Was bedeutet „wesentlich“? Was passiert dort, wo nicht „warmmietenneutral“ saniert werden kann?
Der Erhalt des Gebietscharakters und der Schutz
gewachsener sozialer Strukturen dürfen kein zufälliges
Nebenprodukt der energetischen Quartierssanierung
sein, auf das man gegebenenfalls auch verzichten
kann. Wenn die Antragsteller dafür keine konzeptionelle und finanzierbare Lösung bereithalten, kann die
energetische Quartierssanierung nicht sozial gerecht
gelingen.
Wenn „sozial gerecht“ ernst gemeint sein soll und
nicht nur als Feigenblatt, dann darf die Sozialverträglichkeit keinesfalls den energiepolitischen Zielen geopfert werden. Sie muss genauso konsequent in einem
Quartierssanierungskonzept verankert sein. Sie muss
als Zielsetzung den gleichen Stellenwert haben wie die
energetische Sanierung. Wenn es daran nur den geringsten Zweifel gibt, verliert die energetische Sanierung an Akzeptanz und ist nicht durchsetzbar. Deshalb
ist der Anspruch im Antrag richtig, dass das Programm zur Quartierssanierung von einer umfassenden
Bürgerbeteiligung begleitet werden soll. Das muss
aber mehr sein als die bisher übliche formale Akteneinsichtnahme im Planverfahren, wo sie Anregungen
und Bedenken im Verfahren äußern können.
In die Erarbeitung eines Quartierssanierungskonzepts müssen von Beginn an alle handelnden Akteure
und die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner
einbezogen werden. Zu leisten wäre das nach meinem
Dafürhalten am ehesten durch eine kommunale Koordinierungsstelle oder einen Quartiersmanager. Die Finanzierung einer solchen Stelle oder einer solchen
Funktion sollte aus dem Energiesparfonds, nicht zulasten der Kommunen, erfolgen.
Aufgabe dieser Einrichtung wäre zum Beispiel vor
Beginn einer Sanierungsmaßnahme die Definition eines Sanierungsquartiers, die Bestandsaufnahme und
energetische Bewertung der Gebäude sowie die Aufnahme der Eigentümer- und Bewohnerstruktur. Daraus abgeleitet könnten dann im Weiteren Finanzierungspläne, Bauablaufpläne, Sozialpläne usw. erstellt
werden.
Es ist also nichts gewonnen, wenn der Bund einerseits anspruchsvolle Energiespargesetze erlässt und
andererseits unzureichende Fördermittel bereitstellt.
Das wäre der erste Anspruch an die Politik: Ziele und
Mittel in Übereinstimmung zu bringen. Das müssen
Zu Protokoll gegebene Reden
und können nicht allein Bundesmittel sein. Aber wenn
man, wie in diesem Antrag, einen konkreten finanziellen Betrag einfordert, muss konsequenterweise auch
weitergerechnet werden: Was müssen die Länder beisteuern, was die Kommunen, was muss aus der Immobilienwirtschaft selbst beigetragen werden? Was können die betroffenen Bürger leisten und wirtschaftlich
tragen? Welche Auswirkungen werden die Sanierungskosten auf die Mietenentwicklung haben? Es ist wichtig, das von vornherein zu bedenken und nicht nach
dem Motto zu verfahren: Erst mal schießen und dann
gucken, was der Ball macht.
Ebenso wie energetische Quartierssanierung sozial
gerecht stattfinden muss, muss auch klar sein, dass
eine Sanierungsmaßnahme effektiv, kostensicher und
mit dem geplanten Ergebnis zu Ende gebracht werden
kann und nicht auf halbem Wege verebbt. In dieser
Hinsicht schwächelt der Antrag noch etwas; aber da
die Zielrichtung stimmt, wollen wir gern dazu beitragen, ihn zum Leben zu erwecken.
Mit der Förderung der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau, KfW, wurden 2011 etwa 200 000 Wohnungen ener-
getisch saniert und der CO2-Ausstoß um 540 000 Ton-
nen reduziert. Die Zahlen belegen die Breitenwirkung
und den Erfolg des Programms. Aber wir sind zu lang-
sam. Bei diesem Tempo dauert es 100 Jahre, bis wir
unsere Wohnungen zukunftsfähig umgebaut haben. Die
Sanierungsquote ist noch deutlich zu niedrig, um die
Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen. Eine Verdopp-
lung ist notwendig.
Es wird jedoch auch deutlich, dass der isolierte Ein-
zelansatz der finanziellen Förderung auf einzelne Ge-
bäude nicht ausreicht; denn die Widerstände sind sehr
vielfältig. Denkmalschützer üben harsche Kritik an der
Dämmung historischer Fassaden. Besonders Gebäude,
die erhaltenswert sind, jedoch nicht unter Denkmal-
schutz stehen, sind gefährdet. Steigende Mieten nach
der Sanierung führen zu Kritik durch Mieterinnen und
Mieter sowie Verbände und teilweise sogar zu einer
Verdrängung der Bewohnerinnen und Bewohner. Das
hat nun auch die Regierung erkannt. Sie will steigende
Mieten als Vorwand nutzen, um die Energiewende zu
bremsen.
Dabei gibt es Konzepte, mit denen Sanierung und
Mieterschutz zielgenau betrieben werden können. Die
finanziellen Mittel müssen da eingesetzt werden, wo
sie gebraucht werden. Werden bei der energetischen
Sanierung nur einzelne Gebäude betrachtet, werden
im schlechtesten Fall Gebäude saniert, für die in weni-
gen Jahren schon kein Bedarf mehr auf dem Woh-
nungsmarkt besteht.
Hier setzt die energetische Quartiers- bzw. Stadtteil-
sanierung an. Die Mittel werden da eingesetzt, wo sie
wirklich gebraucht werden. Durch begleitende Pla-
nungen können Maßnahmen sozialverträglich umge-
setzt werden. Löst man sich von dem jetzigen Ansatz
der Energiewende in den Städten - „Mein Haus, mein
Auto“ etc. - und denkt an das Viertel, das Quartier, die
Kleinstadt als Ganzes, ergeben sich weitere Vorteile:
Der Mitteleinsatz im Quartierszusammenhang ist
effektiver. Innovative Konzepte entstehen, wenn Maß-
nahmen auf Stadtteilebene geplant werden und alle
Akteure wie Bürgerinnen und Bürger, Hausbesitzerin-
nen und Hausbesitzer, Wohnungsbaugesellschaften,
Energieversorger, Vereine und Fachämter mit dabei
sind. Maßnahmen wie Nahwärmenetze, Wärmerückge-
winnung im Abwassersystem, die Erzeugung erneuer-
barer Energien und dezentrale Wärmespeicher können
die Gebäudedämmung sinnvoll ergänzen. Durch ge-
zielte Beratungsangebote erfahren die Bürgerinnen
und Bürger, welche Maßnahmen für sie die besten
sind. Es findet eine Bündelung von Wissen statt, die bei
der Einzelsanierung nicht zu leisten wäre. Maßnah-
men, die für einen einzelnen Hausbesitzer nicht renta-
bel sind, rechnen sich für mehrere Häuser; so ergeben
sich auch im Sanierungsprozess Synergien. Auch die
Baukultur profitiert. Aus einem Mix von energetischen
Sanierungen, effektiven und effizienten Gebäudetech-
niken und dem Einsatz von erneuerbaren Energien ent-
stehen Gesamtenergiebilanzen eines Viertels.
Profitieren sollen von diesem Ansatz besonders ein-
kommensschwache Mieterinnen und Mieter oder in-
vestitionsschwache Eigentümerinnen und Eigentümer.
Wir wollen für entsprechende Gebiete aus dem grünen
Energiesparfonds 1,8 Milliarden Euro bereitstellen.
Wir fördern Quartiersenergiekonzepte sowie entspre-
chende Investitionen in Wohngebäude, öffentliche Ge-
bäude und Leitungen wie zum Beispiel Nahwärme-
netze, mit dem Ziel, Warmmietensteigerungen nach
einer Sanierung zu vermeiden. Dabei setzen wir auf
die Qualitätsstandards der Städtebauförderung: starke
Bürgerbeteiligung, vernetztes strategisches Handeln,
Sozialpläne und eine starke Rolle der Kommunen.
Eine solche ganzheitliche kommunale Betrachtung
des Wohnungs- und Gebäudebestandes in Bezug auf
den Klimaschutz ist bislang eher die Ausnahme. Beste-
hende Ansätze wie das von der Koalition ins Leben ge-
rufene Programm zur energetischen Stadtsanierung
sind in ihrer Ausgestaltung unzulänglich. Die geför-
derten Investitionen müssen nicht auf kommunalen
Konzepten zur energieeffizienten Stadtsanierung ba-
sieren. Bürgerbeteiligung ist freiwillig. Die Förderung
erfolgt nach dem Gießkannenprinzip. Sozialpläne sind
Fehlanzeige. Es profitieren sogar fossile Energien. Die
Finanzierungsbasis des Energie- und Klimafonds bricht
weg. Wegen des geringen Preises für CO2-Zertifikate
herrscht ein Förderstopp.
Die Energiewende und eine sozialgerechte Stadtent-
wicklungspolitik dürfen nicht länger gegeneinander
ausgespielt werden. Sie müssen zusammengedacht
werden. Ich hoffe, unser Antrag und die anschließen-
den Beratungen im Ausschuss tragen dazu bei.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11205 an die in der Tagesordnung aufge-
Vizepräsidentin Petra Pau
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen sichern - Korruptives Verhalten effektiv
bekämpfen
- Drucksache 17/12451 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel
Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen unter Strafe stellen
- Drucksache 17/12213 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Rechtsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir
die Reden zu Protokoll.
Wir beschäftigen uns heute zum wiederholten Mal
mit dem Thema „Korruption im Gesundheitswesen“.
Gleichwohl darf ich Ihnen die Ausgangssituation
nochmals in Erinnerung rufen. Im Jahr 2012 erregten
mehrere Fälle von Fehlverhalten negatives öffentliches Interesse: Bei Organtransplantationen wurden
Patientenakten verfälscht, um Wartezeiten zu beeinflussen, eine Studie des GKV-Spitzenverbandes zu
Fangprämien wurde veröffentlicht, Ärzte nahmen Geld
eines bekannten Generikaherstellers für das Verschreiben dieser Präparate an, und zahlreiche Gutachten
lassen vermuten, dass in Krankenhäusern medizinisch
nicht indizierte Operationen vorgenommen werden,
um Umsatzquoten zu erfüllen.
Besonders das unerwartete BGH-Urteil vom 22. Juni
2012, welches definierte, dass freiberufliche Ärzte
keine Amtsträger oder Beauftragten der Krankenkassen sind, hat einige in der Gesundheitspolitik zu übereifrigen Forderungen verführt. Sowohl die Opposition
im Bundestag als auch Politiker einiger Bundesländer
haben im Skandalklima voreilig die Schaffung eines
gesonderten Straftatbestandes für freiberufliche Ärzte
im Strafgesetzbuch gefordert.
Eines haben bei diesen Vorfällen die Opposition, die
Regierungskoalition, die Ärzte- und Zahnärzteschaft
und sonstige Leistungserbringer, Krankenkassen und
die Patienten gemeinsam: Sie ärgern sich zu Recht
massiv über diese Vorfälle von Fehlverhalten. Bei der
Bewertung und den Schlussfolgerungen kommen die
Beteiligten zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb
wir heute über den Antrag der Fraktionen von SPD
und Linken diskutieren.
Als Conclusio aus dem BGH-Urteil und den Vorfällen sofort ein Sondergesetz für Ärzte zu schaffen, ist allerdings nicht zwangsläufig der richtige Weg. So
würde die Berufsgruppe der freiberuflichen Ärzte, die
sich überwiegend korrekt verhält, zu Unrecht kriminalisiert. Auch ordnungspolitisch halte ich dies für problematisch.
Natürlich muss Fehlverhalten konsequent verfolgt
und geahndet werden. Wie ich bereits in mehreren Reden deutlich gemacht habe, bedeutet der BGH-Beschluss nicht, das dies nicht möglich war oder in der
Zukunft sein wird. Zunächst betrifft der Beschluss ausschließlich den strafrechtlichen Bereich, nicht den berufsrechtlichen, nicht den wettbewerbsrechtlichen,
nicht den Bereich des Heilmittelwerbegesetzes oder
den sozialrechtlichen Bereich.
Nach wie vor macht sich der Arzt, der dem Patienten einen Gesundheitsschaden zufügt, der Körperverletzung strafbar. Nach wie vor ist ein Verhalten des
Arztes, das zu einem Vermögensschaden etwa der
Krankenkasse führt, als Untreue nach § 266 StGB
strafbar. Der BGH-Beschluss hat daran nichts geändert. Bedeutung entfaltet der BGH-Beschluss nur dort,
wo weder ein Gesundheitsschaden noch ein Vermögensschaden eintreten.
Der BGH-Beschluss bedeutet ebenfalls nicht, dass
rechtsfreie Räume entstehen und etwa ein Pharmahersteller einem Kassenarzt für die Verschreibung seiner
Produkte Vorteile gewähren darf. Vielmehr ist die Faktenlage auch und gerade durch die BGH-Entscheidung
gleich geblieben: Fehlverhalten kann bestraft werden
und wird bestraft.
So bestimmt etwa die ärztliche Berufsordnung in
§ 31 Abs. 1, dass es Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet ist, Patientenzuweisungen oder Verordnungen
durchzuführen und Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu
lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.
Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschrift
der Berufsordnungen obliegt den Landesärztekammern. Bei Verstößen als Folge berufsunwürdigen Verhaltens kommen Maßnahmen wie Geldbußen bis
50 000 Euro oder Entzug der Approbation in Betracht.
Sozialrechtlich sind die kassenärztlichen Vereinigungen durch § 81 a SGB V verpflichtet, Stellen zur
Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen
einzurichten. Sie haben dabei mit den Krankenkassen
und ihren Verbänden zusammenzuarbeiten. Diese Stellen informieren die Staatsanwaltschaft, wenn es einen
Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen gibt.
Weiter gibt es die Regelung im Arzneimittelgesetz,
die in § 67 Abs. 6 die Anzeige jeder Anwendungsbeobachtung vorschreibt. Sozialrechtliche Sanktionen ergeben sich aus § 128 SGB V.
Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern und
Kassen können auf sinnvolle berufs- und sozialrechtliche Regelungen zurückgreifen. Die aktuellen Entwicklungen und der BGH-Beschluss geben jedoch Anlass,
die bisherigen berufs- und sozialrechtlichen Regelungen, auf die die Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärztekammern und Kassen zurückgreifen können, zu überarbeiten. Das Bundesministerium für Gesundheit prüft
und erarbeitet derzeit Vorschläge. Auch bei der konsequenten Umsetzung der bereits existierenden berufsund sozialrechtlichen Regeln will und wird die Regierungskoalition unterstützen.
Ich darf nun auf die vorgelegten Anträge eingehen:
Zunächst zum Antrag der SPD. Die Kollegen der
Opposition haben bereits mit einem Antrag vom November 2012 als Konsequenz aus dem BGH-Urteil unter anderem die Schaffung eines Sonderstraftatbestandes gefordert. Der nun vorliegende Antrag beinhaltet
keine neue Erkenntnis oder setzt sich mit diskussionswürdigen Vorschlägen für die Änderung im Berufsrecht auseinander. Der SPD-Antrag wiederholt nur
stoisch die Forderung an die Bundesregierung, einen
Gesetzentwurf zur Schaffung eines Straftatbestandes
im StGB vorzulegen. Dass dies jedoch vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit zumindest nicht unproblematisch und
diskussionswürdig ist, lassen die Kollegen außer Acht.
Die SPD ist scheinbar nicht gewillt, die Vorschläge des
Gesundheitsministeriums abzuwarten. Dieser Eindruck
verstärkt sich noch, beachtet man, dass zwischen dem
ersten und dem heute vorliegenden Antrag gerade einmal gut drei Monate und ein Jahreswechsel liegen.
Auch wenn der Antrag keine konkreten neuen Forderungen enthält, so finden sich doch im Feststellungsteil erwähnenswerte Punkte. Zunächst dokumentiert die SPD ganz richtig, dass es aktuell einen
intensiven Dialog zwischen Bundesregierung, Regierungskoalition, den Ärztekammern, Kassenärztlichen
Vereinigungen und Krankenkassen gibt. Die Ergebnisse dieser Auswertung und Aufarbeitung sollte man
abwarten.
Die SPD formuliert weiter: „Es ist notwendig, in
unserer rechtlichen Werteordnung klar zum Ausdruck
zu bringen, dass Bestechung und Bestechlichkeit hinter dem Rücken von Patientinnen und Patienten und
zulasten des Gesundheitssystems kein Kavaliersdelikt
ist …“. Damit wird suggeriert, das Gegenteil sei gelebter Normalfall im deutschen Gesundheitssystem.
Diesem Gedanken muss ich an dieser Stelle vehement
widersprechen. Das wird der Realität des Arbeitsalltags der Mehrheit von Ärzten, Zahnärzten und Pflegeund Sprechstundenpersonal schlicht nicht gerecht. Da
nützt auch ein Folgesatz, es werde „kein Spezialgesetz
gegen Ärzte, wohl aber eine spezielle Regelung, die für
alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen gilt“,
angestrebt, nichts. Im Gegenteil, das offensichtliche
Spezialgesetz, das Sie wünschen, soll noch ausgeweitet
werden. Damit würden dann ein Sondergesetz und ein
Generalverdacht auf eine noch größere Personengruppe ausgedehnt. Der Angestellte in der Apotheke,
im Sanitätsfachgeschäft, der Pflasterhersteller und die
Nachtschwester werden sich fragen, weshalb ihre Berufsgruppe ein Sondergesetz benötigt.
Der Antrag der Fraktion Die Linke erkennt hingegen wenigstens im Titel schon die Problematik. Er lautet „Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung sichern - Korruptives Verhalten effektiv bekämpfen“. Es
ist richtig, dass die Bundesregierung nur wenig Datenmaterial von den Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen hat. Die Forderung, die
Berichtspflichten in §§ 81a und 197 a SGB V zu konkretisieren, ist sinnvoll. Hilfreich wäre selbstverständlich ein genauer Vorschlag im Hinblick auf die Form
der Konkretisierung gewesen.
Darüber hinaus fordert die Linke dann ebenfalls die
Schaffung eines Sonderstraftatbestandes im StGB.
Dieser jedoch solle dann ebenfalls für alle Ärzte, alle
selbstständigen und angestellten Ärzte gelten. Auch
die Linke holt also zum Generalverdacht gegen alle im
Gesundheitswesen Tätigen aus. Ebenso wolle man
über den § 130 OWiG die Haftung der Unternehmen
für Fehlverhalten der Mitarbeiter absichern. Spätestens durch die unpräzise Formulierung, was ein angenommener Vorteil überhaupt sei, ist diese Forderung,
juristisch betrachtet, jedoch nur ein zahnloser Tiger.
Mehr noch: Die Auslegung im Wortsinn des Punktes
1 a würde bedeuten, dass ein Arzt gar keine Vergütung
mehr annehmen darf.
Wie wird nun weiter vorgegangen? Die Bundesregierung prüft derzeit, welche sinnvollen Möglichkeiten
für den Gesetzgeber bestehen, die aktuellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich halte es für absolut
richtig, das ärztliche Berufsrecht zu stärken und den
Kammern mehr Möglichkeiten zu geben, Fehlverhalten zu verfolgen. Einzelne Harmonisierungen im Berufsrecht der Bundesländer sind nach meiner Auffassung ebenfalls eine sinnvolle Möglichkeit. Die bereits
bestehenden weitreichenden Vorgaben wie berufsgerichtliche Maßnahmen und Verfahren, Befugnisse im
berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren, Verjährungsvorschriften oder Rügerechte der Kammern sind derzeit innerhalb der Länder sehr unterschiedlich.
Die Forderung der KBV nach einer öffentlich zugänglichen Datenbank beim BfArM zu Anwendungsbeobachtungen muss genauer geprüft werden. Allerdings
erhält die KBV schon heute umfangreiche Daten zu
den Anwendungsbeobachtungen.
Den von der Ärztekammer vorgebrachten Vorschlag, die Befugnisse bei den Ermittlungen der
Staatsanwaltschaften zu erweitern, ist ordnungspolitisch verfehlt und in der Umsetzung abwegig. Es ist
nicht Aufgabe der Ärztekammern, staatsanwaltliche
oder polizeiliche Ermittlungen durchzuführen. Die
Ärztekammern, denen die Ausübung der Berufsaufsicht obliegt, beklagen, dass mitunter viel Zeit vergeht, bis Sachverhalte hinreichend vorliegen oder die
Staatsanwaltschaft ermittelt, um berufsrechtlich vorZu Protokoll gegebene Reden
zugehen. Hier sollten allerdings Mechanismen zur Verbesserung geschaffen werden. Wechselseitige Informationspflichten können hier ausgebaut werden. Die
Kammern und KVen sind wie die Krankenkassen aufgefordert, in der Organisation der Selbstverwaltung
Regeln und Mechanismen zu entwickeln, die Fehlverhalten erkennen und im Ergebnis unterbinden können.
Diesen Anspruch haben sowohl die Ärzte selbst als
auch Patienten und GKV-Beitragszahler.
Innerhalb des gesetzlichen Rahmens kann die Politik hier unterstützen. Man darf die Schaffung eines
Sonderstraftatbestandes allenfalls als Ultima Ratio in
Betracht ziehen, wenn sich alle anderen Möglichkeiten, die eindeutig noch nicht ausgeschöpft wurden, als
wirkungslos gezeigt haben. Voraussetzung hierfür
wäre allerdings die hinreichende Begründung eines
tatsächlichen und rechtlichen Bedürfnisses, bestimmte
Handlungen der Strafbarkeit zu unterstellen. Diese
sehe ich derzeit noch nicht.
Zusammenfassend darf ich festhalten, dass beide
hier vorliegenden Anträge daran kranken, nachvollziehbare, umsetzbare und verfassungsrechtlicher Prüfung standhaltende Vorschläge zu liefern. Als Gesundheitspolitiker der Union setze ich mich mit meinen
Kollegen für den Erhalt und die Weiterentwicklung der
freiberuflichen Selbstverwaltung ein. Mit ihren Rechten und auch Pflichten ist die eigenverantwortliche
freiberufliche Selbstverwaltung ein wichtiges Merkmal
der sozialen Marktwirtschaft. Mit der christlich-liberalen Koalition im Deutschen Bundestag möchte ich
rein staatlich organisierte Systeme weiterhin verhindern. Aus der Geschichte haben wir lernen können,
dass der Staat berufsständische Mechanismen noch
nie besser regulieren konnte.
Es ist unumstritten, dass sich die überwiegende
Mehrheit der Ärzte in Deutschland korrekt verhält.
Der niedergelassene Arzt ist aus gutem Grund Freiberufler; denn er muss unabhängig sein. Aus dieser Unabhängigkeit generiert sich das Vertrauen, das die Patienten in Deutschland ihrem Arzt täglich entgegenbringen. Nicht nur die Patienten sind darauf angewiesen, sondern auch die Ärzteschaft ist darauf angewiesen, dass die Basis dieses Vertrauens nicht durch ein
Spezialgesetz gegen Ärzte zerstört wird. Wir werden
deshalb die Anträge von SPD und Linken ablehnen.
Korruption im Gesundheitswesen beschäftigt seit
langem nicht nur die Fachleute, sondern auch die Gesellschaft insgesamt - bis hin zum Boulevard. Die
Gründe sind ganz einfach: Das Gesundheitssystem ist
ein hochkomplexes, ausdifferenziertes und vor allen
Dingen auch intransparentes System. So rechnen bekanntlich bspw. Ärzte mit der Kassenärztlichen Vereinigung ab und kein Patient sieht im Regelfall eine Abrechnung.
Dass in einem solchen System, in dem bei Fehlverhalten keine erheblichen Sanktionen drohen, dem
Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist, versteht sich von
selbst. Zumindest ist die Hemmschwelle, rechtswidrig
Geld zu kassieren, relativ gering. Die weiteren Gründe
sind auch ganz einfacher Natur:
Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist klein. Und weder standes- bzw. berufsrechtliche Sanktionen drohen
in der Praxis noch greift das Strafrecht. Im Übrigen:
Ein Kassenarzt löst durch sein Tun vom Rezept bis zur
Krankenhauseinweisung im Schnitt locker rund fünfmal so hohe Kosten aus, wie er an Honorar bekommt.
Die Liste der Abhängigen ist lang: vom orthopädischen Schuhmachermeister über den Augenoptiker bis
zum Sanitätshaus oder dem Hörgeräteakustiker. Dass
hier Geld fließt, ist bekannt und bestreitet zumindest
hinter verschlossenen Türen niemand mehr. Und all
das geschieht oft genug ohne jedes Unrechtsbewusstsein.
Zuweisungen gegen Entgelt konnte auch die
Bussmann-Studie der Uni Halle-Wittenberg vom
24. Oktober 2012 nochmals ausdrücklich belegen. Aus
all diesen Gründen hat die SPD Bundestagsfraktion
schon im Jahr 2010 den Antrag „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ eingebracht. In
unserem Antrag haben wir bereits damals unter anderem einen speziellen Korruptionstatbestand gefordert.
Wir haben vorgebracht, dass durch Korruption und
Abrechnungsbetrug jedes Jahr Milliardenverluste bei
der Versichertengemeinschaft, also letztlich der Solidargemeinschaft, eintreten.
Ich habe persönlich 2010 betont, dass eine Regelungslücke im StGB besteht und deshalb Schmiergeldzahlungen nicht strafrechtlich sanktioniert werden
können. Zudem folgen weder aus dem Berufsrecht der
Ärzte noch aus den Spezialnormen des SGB V tatsächliche Sanktionen; in der Praxis gibt es im Vergleich zu
den prognostizierten Schäden nur wenig Verfahren. Im
Übrigen werden so gut wie nie Approbationen durch
die zuständigen Landesbehörden entzogen. Nachdem
uns auch hier neuere Daten vorliegen, wissen wir:
Auch hier hatten wir recht.
Zwar hat die Mehrheit im Bundestag unseren Antrag mit den Stimmen der Regierungskoalition sowohl
in der 1. als auch in der 2./3. Lesung vor allem mit der
Begründung abgelehnt, dass korruptives Verhalten
insbesondere bei Ärzten nur ganz selten auftrete und
insofern der Antrag diesen Berufsstand unter Generalverdacht stelle und damit Ärzte pauschal diffamiere.
Das Gegenteil aber ist richtig. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass korrupte Ärzte gerade die
ehrlich abrechnenden Ärzte schädigen, da es eine Gesamtvergütung gibt.
Wir wollen und wir müssen die ehrlich abrechnenden Ärzte vor den schwarzen Schafen schützen. Wer
dagegen untätig bleibt, riskiert den guten Ruf der Ärzteschaft. Wir brauchen eine Abschreckung, eine Generalprävention gegenüber denjenigen, die ganz bewusst
das System ausnutzen.
Ferner wurde auch insbesondere vonseiten der
Rechtspolitiker der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
Zu Protokoll gegebene Reden
vorgetragen, ein spezieller Korruptionstatbestand sei
entbehrlich, da ein Vorlagebeschluss beim Großen
Strafsenat des BGH in Karlsruhe vorläge und dort sicherlich eine Strafwürdigkeit bejaht werden würde.
Doch in 2012 kam es dann, wie wir es vorausgesagt
und in unserem Antrag bereits zwei Jahre vorher formuliert hatten.
Der BGH hat im Frühjahr 2012 nicht nur bestätigt,
dass es eine Regelungslücke im Strafgesetzbuch gibt. Er
hat sogar Bezug genommen auf unseren Antrag von
2010 und wie folgt in der Presseerklärung ({0})
formuliert: „… darüber zu befinden, ob Korruption im
Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung
entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers.“ Hieraus kann man eindeutig
erkennen, dass auch aus Sicht des BGH gesetzlicher
Handlungsbedarf besteht.
Eins darf allerdings nicht vergessen werden: Dass
die Ärzte bzw. die Pharmavertreter nicht bestraft werden konnten, hatte allein rechtsdogmatische Gründe.
Die in Rede stehenden Vorschriften der §§ 299, 331 ff.
StGB sind in erster Linie Wettbewerbsvorschriften.
Bei Schmiergeldzahlungen an Ärzte zum Beispiel im
Bereich der Onkologie, also in der Krebsbehandlung,
wo es um Leben und Tod geht, muss aber der Patientenschutz an erster Stelle stehen. Auch hier kann ein
freiberuflicher Arzt bisher nicht bestraft werden, wenn
er Schmiergeldzahlungen annimmt. Er kann nicht einmal dann bestraft werden, wenn er aus diesem Grund
Medikamente verschreibt, die schlechter wirken und
im Vergleich zu Konkurrenzprodukten auch noch teurer sind.
Patientensicherheit ist ein hohes Gut. Hier geht es
gerade auch um das Vertrauensverhältnis behandelnder Arzt - Patient. Der Patient muss immer sicher sein,
dass allein medizinische und nicht monetäre Gründe
für eine Behandlung, Therapie oder Verordnungsentscheidung des Arztes maßgebend sind.
Insofern muss auch ein Spezialstraftatbestand für
das Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch diesen
Schutz gewährleisten. Wir brauchen eine Norm, die
nicht nur den Wettbewerb, sondern insbesondere auch
den Patienten schützt.
Was passiert aber dagegen jetzt? Über Tausend Verfahren wegen Bestechlichkeit gegen niedergelassene
Vertragsärzte und wegen Bestechung gegen Mitarbeiter von Unternehmen der Gesundheitsbranche werden
aufgrund der höchstrichterlichen Entscheidung aus
Karlsruhe nunmehr eingestellt. Da kann man nur sagen: Na, bravo! Den Handlungsbedarf hat ja selbst
unser Gesundheitsminister erkannt, als er Anfang diesen Jahres darauf hingewiesen hat, dass gesetzgeberische Maßnahmen drohen könnten.
Aus all diesen Gründen haben wir unseren Antrag
von 2010 noch einmal erneuert und präzisiert. Mit Erstaunen haben wir zur Kenntnis genommen, dass nun
auch die Fraktion der Linken einen Antrag vorgelegt
hat. Dieser deckt sich aber inhaltlich weitgehend mit
unseren beiden Anträgen.
Dass Deckungsgleichheit der beiden Anträge besteht, lässt sich schon daran erkennen, dass der Antrag
der Linken nach dem Spiegelstrich „Korruptives Verhalten effektiv bekämpfen“ heißt. Unser erster Antrag
hieß: „Korruptives Verhalten wirksam bekämpfen“.
Das hätte zu Guttenberg nicht besser abschreiben können. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
ihr hättet einfach nur mit uns stimmen sollen.
Uns Sozialdemokraten ist wichtig: Wir wollen nicht
pauschal alle Ärzte oder andere Berufsgruppen und
schon gar nicht die Pharmaindustrie verunglimpfen.
Wir wollen alle im Gesundheitssystem ehrlich Abrechnenden vor den schwarzen Schafen des Systems schützen. Und wir wollen Rechtsklarheit. Insofern sollte
man dem Original und nicht der Kopie zustimmen.
Wir alle im Deutschen Bundestag sind uns einig,
dass wir uns entschieden gegen jedes korruptive Verhalten im Gesundheitswesen stellen und wirksame
Sanktionsmechanismen brauchen. Wir sollten uns aber
auch alle einig sein, dass ein Generalverdacht gegenüber allen Ärzten nicht gerechtfertigt ist. Von den gut
450 000 Ärzten in Deutschland arbeitet die ganz große
Mehrheit im besten hippokratischen Sinne.
Das von Ihnen angesprochene BGH-Urteil hat klargestellt, dass neben den bereits bestehenden Regelungen im SGB V und im Berufsrecht nicht auch noch ein
Verstoß gegen das Strafgesetzbuch vorliegt, wenn ein
Arzt Zahlungen von Dritten erhält. Das liegt darin begründet, dass niedergelassene Ärzte eben keine Amtsträger und Beauftragte von Krankenkassen, sondern
unabhängige und nur ihren Patienten verpflichtete
Dienstleister sind. Wer daraus den schnellen Schluss
zieht, man müsse nur einen passenden Strafrechtsparagrafen formulieren, läuft ebenso schnell Gefahr,
die Freiberuflichkeit der Ärzte und die Therapiefreiheit zu gefährden. Das gilt es auf jeden Fall zu vermeiden.
Dieses BGH-Urteil hat natürlich auch eine breite
Diskussion darüber angestoßen, welche Maßnahmen
erforderlich sind. Die Standesvertretung der Ärzte hat
die Debatte aufgenommen und unterstützt die Forderungen nach besserer Durchsetzbarkeit der vorhandenen Regelungen wie auch ihre Weiterentwicklung. Die
KBV setzt sich beispielsweise für eine stärkere Sensibilisierung der niedergelassenen Ärzte ein, um nicht ausreichendes Problembewusstsein zu schärfen.
Die von Pharmaunternehmen bzw. -verbänden angekündigten Maßnahmen und Selbstverpflichtungen
wie zum Beispiel Transparenzkodizes sind positiv zu
werten.
Der Bundesminister für Gesundheit hat die Prüfung
eingeleitet, welche Rechtsänderungen sinnvoll sind,
um besser gegen Verfehlungen vorgehen zu können
Zu Protokoll gegebene Reden
bzw. sie zu verhindern. In einem ersten Schritt haben
wir im Krebsregistergesetz dafür gesorgt, dass der
wichtige Datenfluss zwischen Ärztekammern und
kassenärztlichen Vereinigungen möglich wird.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Sachlage und
die zu bedenkenden Rechtsfragen durchaus kompliziert sind. So gilt es auch zu klären, wie mit den anderen freien Berufen zu verfahren wäre. Deshalb werden
wir Schnellschüsse vermeiden und lehnen Ihre Anträge
ab.
Im letzten Jahr hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Korruption von niedergelassenen Ärzten
nach derzeitigem Recht nicht bestraft werden kann.
Das halte ich für ein fatales Zeichen: Viele Pharmareferenten verstehen dieses Urteil als Freibrief, den
Ärzten Geld und Sachwerte zukommen zu lassen, um
sie damit zur Verschreibung besonders neuer und
teurer Produkte zu motivieren.
Die vorhandenen Regelungen im Berufs- und Sozialrecht gegen Bestechlichkeit von Ärzten gleichen
zahnlosen Tigern. Deswegen meint Die Linke: Es führt
kein Weg an neuen und wirksamen Regelungen vorbei.
Warum ist das so wichtig? Zum einen, weil Korruption im Gesundheitswesen erheblichen finanziellen
Schaden anrichtet. Laut einer Studie aus dem letzten
Jahr gehen in Europa 3 bis 10 Prozent der Gesundheitsbudgets für Korruption, Betrug und Falschabrechnung drauf. In Deutschland wären das pro Jahr
allein bei den gesetzlichen Kassen 5 bis 18 Milliarden
Euro - Geld, das wir lieber für Prävention oder für
bessere Bezahlung von Pflegekräften einsetzen würden.
Aber es geht um mehr. Ein Drittel aller neu zugelassenen Medikamente sind Scheininnovationen. Sie sind
teurer, aber auch weniger erprobt und daher möglicherweise für die Patientinnen und Patienten unsicherer als bewährte Mittel. Wenn Ärztinnen und Ärzte von
der Industrie dafür bezahlt werden, vor allem solche
Mittel zu verschreiben, kann es sein, dass Patientinnen
und Patienten die optimale Therapie vorenthalten
wird. Die möglichen gesundheitlichen Folgen von
Korruption im Gesundheitswesen halten wir für Grund
genug, energisch und wirkungsvoll dagegen vorzugehen.
Außerdem ist es schlicht ungerecht, wenn ein angestellter Klinikarzt für dasselbe Vergehen vor den Kadi
zitiert werden kann, bei dem seine niedergelassene
Kollegin vollkommen straffrei davonkommt.
Darum fordert die Linke, korruptes Verhalten in
Praxen und Kliniken konsequent unter Strafe zu stellen. Weniger schwere Fälle sollen mit einer Geldbuße
geahndet werden. Da der juristische Straftatbestand
„Bestechung“ oft schwer nachzuweisen ist, fordern
wir, dass auch die Annahme und die Gewährung von
Vorteilen belangt werden. Dann muss die Staatsanwaltschaft nicht im Einzelfall nachweisen, dass die
Verschreibung eines Medikaments einer bestimmten
Firma ursächlich auf den Umschlag mit Geld zurückzuführen ist, den ein Vertreter dieses Unternehmens in
der Arztpraxis freundlicherweise liegengelassen hat.
Insbesondere wollen wir aber nicht nur die Zuwendungsempfänger, also die Ärztinnen und Ärzte, belangen, sondern vor allem diejenigen, die aktiv bestechen
und Vorteile gewähren. Neben den Beauftragten der
Pharma- und Medizinprodukteindustrie sollen auch
die Unternehmen selbst und deren Management in
Haftung genommen werden können.
Es geht uns übrigens an dieser Stelle, das möchte
ich in Richtung der Ärzteschaft sagen, nicht um Stimmungsmache und Vorverurteilungen. Jeder Arzt und
jede Ärztin, die ihren Beruf gewissenhaft im Sinne der
Patientinnen und Patienten ausübt, muss doch ein Interesse daran haben, dass Korruption unterbunden
wird. Leider glauben noch viel zu viele Medizinerinnen
und Mediziner daran, dass die Annahme von Geschenken und Vergünstigungen ihre therapeutische Unabhängigkeit nicht beeinflusst - darin ähneln sie vielleicht Politikerinnen und Politikern.
Weil die Bundesregierung trotz gelegentlicher Ankündigungen bisher untätig geblieben ist, drängen wir
mit unserem Antrag zum Handeln; denn wir wollen
noch in dieser Legislaturperiode Fortschritte sehen.
Der SPD ist dazu leider nichts anderes eingefallen
als die sehr allgemeine Forderung, „Korruption im
Gesundheitswesen generell unter Strafe stellen.“ Wie
das konkret aussehen soll, bleibt bei Ihnen im Nebel.
Der Kollege Lauterbach hat nun in der Presse kritisiert, die Linke wolle die SPD immer überbieten. Ich
gebe zu: Es fällt uns schwer, die Substanzlosigkeit Ihres Antrags nicht zu überbieten. Das ist ja, als wollte
man bei eBay ein Einstiegsgebot von einem Euro mit
99 Cent kontern. Im Nachhinein erklärte Lauterbach
dann noch, dass bei der SPD privat praktizierende
Ärzte nicht gemeint seien, weil dies juristisch angeblich nicht möglich sei. Diese Behauptung ist natürlich
Humbug, und auch Ihr Antrag gibt das nicht her.
Die Linke will erreichen, dass alle Ärztinnen und
Ärzte genau das verschreiben, was den Patientinnen
und Patienten wirklich hilft, dass sie Therapieentscheidungen unabhängig nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und im Sinne des Patientenwohls
treffen, statt von gut geschulten Pharmavertretern manipuliert und im Sinne der Industrie geschmiert zu
werden.
Ich finde, dass unser Antrag da gute Ansatzpunkte
bietet, und freue mich auf die weitere Beratung im Ausschuss.
Die Fraktionen von SPD und den Linken legen
heute jeweils Anträge zur Bekämpfung von Korruption
im Gesundheitswesen vor. Auch meine Fraktion wird
in Kürze dazu einen Antrag einbringen. Diese Anträge
Zu Protokoll gegebene Reden
sind notwendig, weil diese Regierungskoalition seit einem halben Jahr untätig geblieben ist.
Kern des politischen Streits ist seit Verkündung des
BGH-Urteils im Juni letzten Jahres die Frage, ob der
Gesetzgeber eine gesetzliche Strafnorm schafft, die
Korruption und Vorteilsnahme von niedergelassenen
Ärzten und anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen auch strafrechtlich ahndet. Denn der BGH
hat mit seinem Urteil abschließend dargelegt, dass
sich Kassenärzte anders als ihre angestellten Kollegen
nicht strafbar machen, wenn sie als Gegenleistung für
die Verordnung von Arzneimitteln von einem Pharmaunternehmen Vorteile wie Geldzuwendungen oder
Geschenke annehmen. Dabei hat das höchste Gericht
ausdrücklich darauf verwiesen, dass es Sache des Gesetzgebers sei, entsprechende Straftatbestände zu schaffen, die eine strafrechtliche Ahndung ermöglichen.
Minister Bahr hatte anlässlich der Debatten im letzten Jahr angekündigt, zu prüfen, ob und welche Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung im Lichte dieses
Urteils zu ergreifen sind. Diese Prüfung ist mehr als
ein halbes Jahr nach Verkündung des Urteils, wie es
scheint, noch immer nicht abgeschlossen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der politische Wille zum Handeln nicht vorhanden ist.
Wir erinnern uns an die Diskussion im Dezember:
Die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition sahen
keinen rechtlichen Handlungsbedarf und warfen der
Opposition dagegen einseitige Diffamierung der Ärzteschaft vor. Mit Erstaunen konnten wir dann nur wenige
Wochen später nach der Jahreswende einen Sinneswandel innerhalb der CDU registrieren, als der gesundheitspolitische Sprecher Jens Spahn öffentlich
strengere Regelungen gegen Korruption einforderte.
Wir begrüßen diese späte Einsicht; denn es ist Aufgabe
des Gesetzgebers, durch geeignete Normen sicherzustellen, dass es bei einer Behandlung ausschließlich
um das Wohl des Patienten und nicht um materielle
Vorteile des Behandlers geht. Aber wir fordern, diesen
Ankündigungen vonseiten der CDU noch in dieser
Wahlperiode auch konkrete gesetzliche Regelungen
durch die noch amtierende Regierungskoalition folgen
zu lassen. Denn es wäre ein schweres Versäumnis der
Politik, nicht klar und entschlossen Maßnahmen zu ergreifen, die das sensible und für die Heilbehandlung so
grundlegende Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder
sonstigen medizinischen Leistungserbringern und dem
Patienten schützen.
Wir wissen, dass es Handlungsbedarf gibt. Der
Bundesgerichtshof hat den Gesetzgeber aufgefordert,
die Strafrechtslücke zu schließen. Die Anträge vonseiten der SPD und der Linken enthalten beide eine entsprechende Forderung, der wir uns anschließen. Des
Weiteren werden wir Vorschläge zur stringenteren
Handhabung der berufsrechtlichen Regelungen und zu
mehr Transparenz über Zuwendungen aller Art zwischen Leistungserbringern, Herstellern und Hilfsmittelerbringern vorlegen. Wir hoffen, dass die Schaffung
einer datenschutzrechtlichen Grundlage zur Übermittlung von approbationsrechtlich oder berufsrechtlich
relevanten Daten zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesärztekammern im Krebsregistergesetz nicht das Einzige bleibt, was diese Koalition zum Schutz der Patienten, der korrekt handelnden
Ärzte und sonstigen Leistungserbringer und der Versichertengelder zuwege bringt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12451 und 17/12213 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gunkel, Heinz-Joachim Barchmann, Gabriele
Fograscher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Übermittlung von Fluggastdaten nur nach
europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG zum Richtlinienvorschlag
KOM({1}) 32 endg.
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland,
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten - Richtlinienvorschlag über die Verwendung von Fluggastdatensätzen
KOM({2}) 32 endg.; Ratsdok. 6007/11
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 EUZBBG
- Drucksachen 17/6293, 17/5490, 17/12473 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Gisela Piltz
Dr. Konstantin von Notz
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.
Ich habe volles Vertrauen in die Bundesregierung,
und ich habe volles Vertrauen, dass sich Deutschland
unter Federführung des Bundesinnenministers auf
EU-Ebene erfolgreich für eine Fluggastdaten-RichtliClemens Binninger
nie einsetzt, die praktikabel ist, die unserer Sicherheit
dient und die gleichzeitig angemessene Datenschutzstandards gewährleistet.
Die Auswertung von Fluggastdaten ist nämlich unverzichtbar. Terrorismus und organisierte Kriminalität
machen nicht an Landesgrenzen halt, sondern sind immer stärker international vernetzt. Wenn wir Sicherheit unter diesen sich verändernden Voraussetzungen
gewährleisten wollen, müssen wir unseren Behörden
auch Instrumente an die Hand geben, um angemessen
Gefahren abwehren und Straftaten verfolgen zu können.
Fluggastdaten geben hier Auskunft über Reiserouten von Tatverdächtigen und Terrorverdächtigen. Das
sind Erkenntnisse, die von enormer Bedeutung sind
und die in dieser Form nicht anders in Erfahrung gebracht werden können. Die Erkenntnisse aus diesen
Daten tragen auch entscheidend dazu bei, Kriminelle
oder Terroristen zu identifizieren. Immer mehr Staaten
- darunter auch viele unserer Partner - nutzen Fluggastdaten zur Verfolgung und Abwehr von Terrorismus
und schweren Straftaten wie etwa Menschenhandel
oder Drogenschmuggel. Heute schon profitieren Sicherheitsbehörden in Europa von entsprechenden
Rückmeldungen. Die EU-Staaten und unsere Partnerländer können auf Erfolge bei der Aufdeckung und Bekämpfung terroristischer und krimineller Netzwerke
verweisen, für die Fluggastdaten von großer Bedeutung waren. Deshalb ist die Verwendung von Fluggastdaten unverzichtbar. Und deshalb diskutieren wir über
die Fluggastdaten-Richtlinie der EU auch im Deutschen Bundestag.
Es freut mich, dass SPD und Grüne das genauso sehen und die Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten in ihren Anträgen nicht grundsätzlich ablehnen. Alles andere wäre auch unglaubwürdig,
schließlich waren es SPD und Grüne, die die Fluggastdatennutzung in Deutschland eingeführt haben. 2004
hat die damalige rot-grüne Bundesregierung dem ersten PNR-Abkommen mit den USA zugestimmt, das als
eine der Grundlagen für den Richtlinienentwurf, den
wir heute debattieren, gelten darf. Es handelte sich dabei allerdings um ein Abkommen, das in keiner Weise
den Datenschutzanforderungen genügt hat, die SPD
und Grüne heute in ihren Anträgen fordern. Insofern
dokumentieren die vorliegenden Anträge auch einen
gewissen Lernprozess, was man auch einmal positiv
festhalten darf.
Alle Verbesserungen im Bereich des Datenschutzes,
die es auf diesem Feld seither gab - also im Abkommen mit den USA 2007, im neuen Abkommen mit den
USA, das im letzten Jahr vom Europäischen Parlament
verabschiedet wurde, in den Abkommen mit weiteren
Staaten -, wurden von Bundesinnenministern der
CDU/CSU auf europäischer Ebene verhandelt. Das
gilt auch für den Richtlinienentwurf, über den wir
heute sprechen. Deshalb braucht diese Bundesregierung keine formale Aufforderung von SPD und Grünen
und auch keinen Parlamentsvorbehalt für die Verhandlungen. Daher werden wir die beiden Anträge ablehnen.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung
für Sicherheit und Grundrechtsschutz auch ohne solche Hinweise sehr wohl bewusst. So hat sie sich im
Zuge der Beratungen neben vielen anderen datenschutzrechtlichen Verbesserungen insbesondere dafür
eingesetzt, die erhobenen PNR-Daten so weit wie möglich nur in anonymisierter oder pseudonymisierter
Form vorzuhalten und auszuwerten, die Speicherfristen deutlich zu reduzieren und für die sogenannte reaktive Nutzung hohe Eingriffsschwellen vorzusehen.
Im Europäischen Parlament liegen noch etliche Änderungsanträge zur PNR-Richtlinie auf dem Tisch, die
debattiert werden müssen und die sich teilweise mit
dem decken, was die beiden Anträge fordern. Ich
möchte dabei nur auf drei zentrale Punkte eingehen.
Mir stellt sich die Frage, ob die Speicherdauer
- 30 Tage offen, dann pseudonymisiert für fünf Jahre notwendig oder zu lange ist. Hier muss sehr genau
überlegt und begründet werden, ob es wirklich fünf
Jahre sein sollen. Aus meiner Sicht könnten es auch
weniger sein. Ehrlicherweise ist aber auch festzuhalten: Diese Daten werden nicht gespeichert, weil der
Staat es will. Diese Daten sind alle schon heute bei den
Fluggesellschaften vorhanden und werden dort auch
heute schon mehrere Jahre gespeichert. Es geht also in
erster Linie um die Frage, ob wir unter bestimmten Voraussetzungen den Sicherheitsbehörden diese Daten
zur Verfügung stellen, um Anschläge zu verhindern,
schwere Straftaten aufzuklären oder Verdächtige zu
identifizieren.
Eine weitere Frage: Sollen nur Flüge von außerhalb in die EU erfasst werden oder auch Flüge innerhalb der EU? Letzteres lehnen SPD und Grüne ab.
Diese Argumentation ist unlogisch, denn wir müssen
uns darüber klar sein, dass die Gefährlichkeit etwa
von Terrorverdächtigen nicht geringer wird, weil sie
von Barcelona nach Berlin fliegen statt von Beirut
nach Berlin. Die Beantwortung dieser Frage muss sich
meiner Einschätzung nach deshalb an der Gefährlichkeit der Personen orientieren. Aus gutem Grund hat
das Vereinigte Königreich - unterstützt von einer ganzen Reihe EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien, Italien, Tschechien, Irland, Niederlande, Estland
oder Dänemark und Zypern - eine Einbeziehung innereuropäischer Flüge gefordert.
Für mich ganz persönlich stellt sich auch eine dritte
Frage, bei der ich auch Bedenken, die in den beiden
Anträgen angesprochen werden, ein Stück weit aufgreifen möchte. Das oberste Ziel ist, zu verhindern,
dass ein Terrorverdächtiger ein Flugzeug besteigt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Auch um schwere
Straftaten aufzuklären, ist die Verwendung der Daten
absolut berechtigt. Deshalb ist es eine wesentliche
Zielrichtung bei der Nutzung von Fluggastdaten, Kriterien zu erkennen, mit denen Verdächtige identifiziert
werden können, was am Ende einer Art RasterfahnZu Protokoll gegebene Reden
dung gleichkommt. Hier hat uns das Bundesverfassungsgericht ganz klar aufgegeben: Die Rasterfahndung ist zulässig, sie muss aber an eine konkrete
Gefahr geknüpft sein. Das heißt, eine pauschale Ermächtigung, diese Daten quasi jede Woche auf irgendwelche Auffälligkeiten hin zu durchleuchten, ist rechtlich nach unserem Verständnis schwer abzubilden.
Deshalb ist es notwendig, dass ein Bezug zu einer konkreten Gefahr, dem begründeten Verdacht auf Terrorismus oder schwere Straftaten besteht.
Diese und andere Fragen müssen noch auf europäischer Ebene gemeinsam geklärt werden. Wir müssen
dabei auch akzeptieren, dass unsere Partner in Europa
dabei teilweise unterschiedlicher Ansicht sind. An den
Grundzielen der PNR-Richtlinie gibt es aber nichts
mehr zu rütteln. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass
mit dieser PNR-Richtlinie eine echte Chance verbunden ist, weil damit ein einheitlicher Rahmen geschaffen werden kann, in dem einheitliche Standards definiert werden. Es gab und gibt zurzeit zwischen
einzelnen Staaten einen Wildwuchs bilateraler Abkommen. Es war in der Vergangenheit und teilweise bis
heute völlig unklar, wer wie viele Daten aus welchen
EU-Staaten bekommt, wie lange sie gespeichert werden, wie sie genutzt werden und ob sie an Dritte weitergegeben werden. Insofern ist die Richtlinie, durch
die Einheitlichkeit hergestellt wird, sehr zu begrüßen.
Und ich bin sicher, dass wir am Ende auch zu einem
guten Ergebnis kommen werden.
Einmal mehr, aber bestimmt nicht zum letzten Mal
diskutieren wir die Problematik der Fluggastdaten.
Auch der Innenausschuss des Europäischen Parlaments wollte im vergangenen Dezember kurz vor der
Weihnachtspause den Vorschlag der Europäischen
Kommission für die Fluggastdaten-Richtlinie debattieren. Die Debatte wurde nun auf unbestimmte Zeit verschoben, da diese Richtlinie im Parlament höchst umstritten ist. Es bleibt also zu hoffen, dass die Parlamentarier mehr datenschutzrechtlichen Weitblick besitzen als die Regierungsvertreterinnen und -vertreter,
die auf dem Rat der Justiz- und Innenminister im April
2012 die Richtlinie billigten.
Auch wenn die Bundesregierung in dieser Frage
ähnlich zerstritten ist wie bei der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, können wir davon ausgehen,
dass die Speicherung von Fluggastdaten innerhalb Europas kommen wird. Pauschale Ablehnung nutzt an
dieser Stelle nicht viel. Vielmehr ist es geboten, die datenschutzrechtlichen Belange so zu stärken, dass die
Speicherung mit geringstmöglichen Eingriffen erfolgt.
Die SPD fordert deshalb die Bundesregierung auf,
unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes einige
Punkte in den Beratungen zu dem Richtlinienentwurf
dringend nachzuverhandeln. In dem heute hier von der
SPD-Fraktion eingebrachten Antrag werden diese
Punkte konkret aufgeführt.
Ich möchte noch einmal betonen, dass für mich
Maßstab für Art und Umfang der erhobenen Daten die
API-Daten sind. § 31 a Bundespolizeigesetz beschreibt
völlig ausreichend, wann welche Daten erhoben werden und vor allem, wie lange sie gespeichert werden.
Es handelt sich dabei um zehn Datensätze, wie persönliche Angaben, aber auch Abflugsort und -zeit sowie Details über die Reisedokumente. Gespeichert
werden diese Daten 24 Stunden, außer sie werden für
Grenzkontrollen oder zur Strafverfolgung wegen illegaler Einreise benötigt.
Diese Daten können ohne Weiteres auch für die Terrorismusbekämpfung oder Fälle schwerer Kriminalität
anwendbar gemacht werden.
Die Europäische Kommission hat nicht ausreichend
begründet, warum dieser Datenbestand ungenügend
sein soll. Zwar erlaubten es die API-Daten der KOM
zufolge nicht, „,unbekannte‘ Verdächtige so zu identifizieren wie dies mit einer Auswertung von PNR-Daten
möglich ist“ - KOM({0}) 32 endg., S. 5. Diese Aussage wird jedoch nicht näher belegt.
Ich dagegen denke nicht, dass der Verwendung der
API-Daten ein plausibler Grund entgegensteht. So ist
auch der Bundesrat in seinem Beschluss zum Richtlinienvorschlag vom 18. März 2011 zu dieser Schlussfolgerung gekommen.
Die Speicherfrist ist zu lang und sollte aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit verändert werden. Sie beträgt
grundsätzlich 30 Tage und soll dann noch einmal mit
Verschlüsselung um fünf Jahre verlängert werden. Tatsächlich kann aber auf diese Daten unter bestimmten
Voraussetzungen im Klartext zugegriffen werden.
Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der auf
europäischer Ebene erfolgten Evaluierung haben ergeben, dass eine Speicherfrist von sechs Monaten zur
Strafverfolgung nicht erforderlich ist. Circa 70 Prozent
der Abfragen von Daten erfolgen in den ersten drei
Monaten; der Anteil steigt auf 85 Prozent, wenn die
Daten maximal sechs Monate alt sind. Dieses Ergebnis
deckt sich mit den Erfahrungen auf nationaler Ebene.
In den USA, wo die Speicherung der PNR-Daten
nun schon seit einigen Jahren erfolgt, gab es genau einen Fall, in dem die Überprüfung sämtlicher Passagiere zu einem Gerichtsverfahren führte. Wenn man
das an den Millionen Daten misst, die seitdem abgespeichert wurden und weiterhin werden, muss man die
Sinnhaftigkeit dieses Verfahrens stark bezweifeln.
Da in der Richtlinie bisher nicht eindeutig erkennbar ist, wie die Übermittlung der Daten erfolgt, stellt
unser Antrag klar, dass die Beantwortung individueller
Anfragen der zuständigen Sicherheitsbehörden anhand des sogenannten Push-Systems zu erfolgen hat.
Bei diesem hat die anfragende Behörde keinen direkten Zugriff auf die Daten. Vielmehr werden ihr diese
auf Anfrage von der speichernden Behörde übermittelt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ich habe einige Punkte, die der SPD-Bundestagsfraktion wichtig sind, herausgegriffen. Die Fluggastdaten werden kommen. Fraglich ist, wie sie gestaltet
werden. Eine grundsätzliche Ablehnung, so wie im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschrieben, teilen wir nicht. Dieser Antrag ist abzulehnen.
Für den Antrag der SPD-Fraktion bitte ich um Zustimmung.
In meiner Rede zur ersten Lesung zum Antrag der
SPD-Fraktion habe ich versprochen, dass die FDPFraktion hier im Bundestag wie schon bisher auch
künftig gemeinsam mit der Bundesregierung und der
liberalen Fraktion im Europaparlament die Entwicklungen in Sachen Fluggastdaten kritisch und genau
betrachten wird und zugleich die Bundesregierung darin unterstützen wird, im Falle einer Mehrheit in Europa sich mit aller Kraft für ein hohes Niveau an Datenschutz und Rechtsschutz einzusetzen und so
wenigstens das, was nach dem rot-grünen Sündenfall
in Sachen PNR noch zu retten ist, auch tatsächlich im
Sinne unseres Rechtsstaates zu retten.
Denn das muss an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont werden: Wer hat’s erfunden? Die Antwort ist ganz klar und eindeutig: Rot-Grün. Denn zu
Zeiten der rot-grünen Bundesregierung wurde erstmals ein PNR-Abkommen, damals zwischen EU und
USA, beschlossen. Damit war der Damm gebrochen und heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen und
müssen uns mit dem Vorschlag der Kommission, auch
innereuropäisch auf Vorrat die Daten von Flugpassagieren zu sammeln und zu speichern, auseinandersetzen.
Deshalb ist es schon erstaunlich, dass ausgerechnet
SPD und Grüne heute so tun, als seien sie besonders
kritisch. Sie sind es nicht. Sie haben den Grundstein
gelegt für diese verfehlte Politik der EU.
Die Bundesregierung hat sich bei der - allerdings
noch nicht abschließenden - Abstimmung im Rat für
Justiz und Inneres der Stimme enthalten, zum einen,
weil es generelle Zweifel an der Verhältnismäßigkeit
gibt, zum anderen, weil die Gesamtspeicherdauer von
fünf Jahren zu lang erscheint. Eine Mehrheit für Fluggastdatenspeicherung gab es unter den Mitgliedstaaten dennoch. Leider, muss man sagen. Besonders
bedauerlich ist, dass sich die Mitgliedstaaten mehrheitlich sogar für ein Weniger an Datenschutz aussprechen als die Kommission. Statt wie von der Kommission vorgeschlagen für 30 Tage, sollen die
Passagierdaten nun für ganze zwei Jahre im Klartext
und ohne Anonymisierung oder Pseudonymisierung
gespeichert werden. Neu ist zudem, dass die Mitgliedstaaten entscheiden können sollen, ob oder ob sie nicht
Daten für innereuropäische Flüge erheben. Der Vorschlag der Kommission hatte innereuropäische Flüge
außen vor gelassen. Beide Mehrheitsvorschläge widersprechen diametral dem Ziel der schwarz-gelben
Koalition, im Falle, dass es überhaupt eine EU-Fluggastdatenspeicherung gibt, wenigstens ein hohes Datenschutzniveau zu verankern. Für die FDP-Fraktion
sage ich an dieser Stelle ganz klar: Für Deutschland
lehnen wir eine Speicherung von Daten auch innereuropäischer Flüge strikt ab.
Wann der Rat endgültig entscheiden wird, ist nicht
absehbar. Auch ist nicht absehbar, wie es im Europaparlament weitergeht. Der Ausschuss für bürgerliche
Freiheiten hat noch nicht entschieden und auch noch
keinen abschließenden Zeitplan vorgelegt. Die deutschen Liberalen im Europaparlament - allen voran
der deutsche Vizepräsident Alexander Alvaro, dem ich
an dieser Stelle nach einem schweren Autounfall die
besten Genesungswünsche übermitteln möchte, ebenso
wie den anderen, die bei dem schrecklichen Unfall verletzt wurden - haben sich kritisch zu den Vorschlägen
geäußert. Wie auch die Liberalen im Bundestag sehen
sie das anlasslose Sammeln von Fluggastdaten als
höchst problematisch an.
Ich will auch gar nicht verhehlen, dass wir in vielen
Punkten die Kritik in den hier zu beratenden Anträgen
durchaus teilen. Wenn es nach der FDP-Fraktion
ginge, würden wir auf diese neuerliche Vorratsdatenspeicherung insgesamt gut und gerne verzichten. Wir
müssen nur leider anerkennen, dass die Mehrheiten in
der EU anders sind. Daran ändert leider auch die
Stimme der Bundesregierung im Rat nichts. Damit
müssen wir umgehen. Und es muss uns mindestens ein
Anliegen sein, dann das zu retten, was zu retten ist und
eine verfehlte Maßnahme mit hohen Datenschutzstandards zu flankieren. Im aktuellen Vorschlag gibt es da
noch viel zu tun. Die Speicherfristen sind zu lang. Die
Weiterleitung an Drittstaaten muss deutlich restriktiver geregelt werden. Die Einbeziehung innereuropäischer Flüge und erst recht die Schaffung eines Präzedenzfalls für andere Verkehrsmittel muss unter allen
Umständen verhindert werden. Die FDP-Fraktion ist
deshalb froh, dass die Bundesregierung im Rat auf ein
hohes Datenschutzniveau dringt.
Aber zugleich muss ich doch feststellen, dass der
Antrag, den die SPD hier vorlegt, an Heuchelei kaum
zu überbieten ist. Die SPD, die sich für die Vorratsdatenspeicherung einsetzt, hat auch kein grundsätzliches
Problem mit der Fluggastdatenspeicherung auf Vorrat, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht,
als es das Gesetz der damaligen SPD-Justizministerin
Zypries für nichtig erklärte, ausführte, dass „die Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht
als Schritt hin zu einer Gesetzgebung verstanden werden“ darf, „die auf eine möglichst flächendeckende
vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung
oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielte“.
Wenn die SPD fordert, sich an dem Urteil zu orientieren, dann sollte sie auch konsequent sein.
Im Mai 2004 haben die Grünen gegen einen Antrag
der FDP-Fraktion gestimmt, in dem wir rechtstaatliche Garantien und Datenschutz bei dem Abkommen zu
Fluggastdaten, das damals von der rot-grünen Regierung in Brüssel abgenickt worden war, gefordert haZu Protokoll gegebene Reden
ben. Heute erinnern sich die Grünen daran nicht mehr
und wollen uns hier Nachhilfe in Bürgerrechten erteilen. Das haben wir nicht nötig. Unsere Bundesjustizministerin hat in Brüssel nicht zugestimmt und wird
dies auch nicht tun.
Wir haben - auch das haben Sie ohnehin alle
geahnt - in Sachen Fluggastdatenspeicherung unterschiedliche Haltungen zwischen FDP und Union. Das
kommt ja durchaus vor, dass auch Wunschkoalitionspartner nicht immer ein und derselben Meinung sind;
man sieht ja beispielsweise auch, dass die SPD Fluggastdatenspeicherungen nicht grundsätzlich ablehnt,
die Grünen aber genau das in ihrem Antrag fordern.
Aber in der schwarz-gelben Koalition halten sich alle
Koalitionspartner an den Koalitionsvertrag. Und dort
heißt es, dass wir im Falle eines EU-Vorschlags für ein
hohes Datenschutz- und Rechtschutzniveau eintreten
werden. Das ist - vor dem Hintergrund der nicht zu
leugnenden Realität in der EU - immerhin richtig.
Und da sind wir auch auf dem richtigen Weg, wenn die
Bundesregierung im Rat ihre Zustimmung verweigert
zu Vorschlägen, die diesem Anspruch nicht gerecht
werden. Mit unserer Justizministerin erreichen wir da
sicherlich mehr, als Rot-Grün es in vergleichbaren
Fällen in der Vergangenheit getan hat.
Um zum anfänglichen Versprechen zurückzukommen: Wir haben das eingehalten. Und deshalb kann
die Koalition den Anträgen von SPD und Grünen nicht
zustimmen. Viele Kolleginnen und Kollegen der FDPFraktion haben jedoch, wie auch ich, eine persönliche
Erklärung abgegeben, in der wir deutlich machen,
dass unsere Haltung zu Fluggastdatenspeicherung unverändert ablehnend ist.
Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten soll die anlass- und verdachtsunabhängige Erfassung der Daten aus den
Buchungssystemen der Fluggesellschaften an eine
deutsche Zentralstelle der Sicherheitsbehörden ermöglichen, die dort fünf Jahre gespeichert werden. Vorrangiges Ziel soll dabei die Identifizierung in terroristische
Straftaten oder schwere Kriminalität verwickelter, bisher aber unerkannter Verdächtiger sein.
Das in der Richtlinie gewählte Verfahren führt - wie
die 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des
Bundes und der Länder zu Recht und nachdrücklich
festgestellt hat - zu einem systematischen Zusammenspiel von Vorratsdatenspeicherung und Rasterfahndung.
Die Datenübermittlung, wie auch die Länge der
Speicherfristen, verstoßen gegen die EU-Grundrechtecharta und das in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsmäßig garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das ist nicht hinnehmbar
und zumindest für meine Fraktion auch schon im Ansatz nicht diskussionsfähig. Denn: Die Richtlinie verstößt insbesondere gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010, 1BvR 256/08, zur
Vorratsdatenspeicherung. Das erklärt nämlich Speicherfristen von maximal sechs Monaten nur unter bestimmten Bedingungen für zulässig und fordert zudem
kategorisch, dass die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene für die Wahrung der verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer Bürgerinnen und Bürger einzusetzen hat.
Ein konkreter Nachweis über die Effektivität und die
Notwendigkeit einer Fluggastdatenvorratsspeicherung bei der Vorsorge und Bekämpfung von Terrorismus wurde bisher nicht erbracht; eine konkrete Evaluierung der existierenden Abkommen mit den USA,
Kanada und Australien liegt nicht vor. Eine Evaluierung der Änderungen im Bundespolizeigesetz, wie sie
im Dritten Gesetz zur Änderung des Bundespolizeigesetzes, BGBl. Teil I 2007 Nr. 70, 31.Dezember 2007,
zur Einführung einer kleinen PNR-Regelung vorgenommen wurden, liegt ebenfalls nicht vor. Eine Ausweitung im Sinne der Richtlinie kann also auch nicht
mit möglichen Defiziten dieser Regelungen begründet
werden.
In der Antwort auf meine Schriftliche Frage im
März 2011, Arbeits-Nr. 3/243, wurde bereits eine viel
zu passive Rolle der Bundesregierung in der Diskussion zur Ausweitung der PNR-Regelungen auf innereuropäische Flüge oder gar auf Bahn- und Schiffsverkehr deutlich, die unverzüglich korrigiert werden
muss.
Den Bedenken, die der Bundesrat für die Länder in
seiner Pressemitteilung vom 18. März 2011 zu dem
Richtlinienvorschlag geäußert hat und mit denen er
eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Vorschlags einleuchtend begründete, kann nur sinnvoll
stattgegeben werden, wenn die Bundesregierung dem
Richtlinienvorschlag auf keinen Fall zustimmt. Es
müsste hier und heute also darum gehen, dass der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert,
erstens dem Vorschlag auf Ratsdok.-Nr. 6007/11 vom
4. Februar 2011 auf keinen Fall zuzustimmen und das
Inkrafttreten zu verhindern und zweitens jeglichen
Überlegungen auf europäischer Ebene nach einer
Ausweitung von PNR-Verfahren auf innereuropäische
Flüge und auf den Bahn- und Schiffsverkehr aktiv entgegenzutreten.
Was bieten uns in dieser Hinsicht die vorgelegten
Anträge von SPD und Grünen? Der Antrag der Grünen fordert die Bundesregierung unter anderem auf,
die in der Richtlinie der EU-Kommission zur Fluggastdatenerfassung angelegte Vorratsdatenspeicherung abzulehnen, einen staatlichen Datenpool nicht zuzulassen und die Speicherfristen von anfallenden Daten
drastisch zu kürzen.
Geltend gemacht werden dazu eine Reihe verfassungsmäßiger Bedenken, darunter Verstöße gegen das
von mir schon erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Vorratsdatenspeicherung sowie
gravierende Lücken im zugrunde gelegten Rahmenbeschluss 2008/977/JI bei den Datenschutzvorschriften.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dieser Analyse des Antrags ist wenig hinzuzufügen,
und auch der Antragstitels lässt eigentlich hoffen:
„Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten“. Wäre
dies also tatsächlich im Forderungsteil umgesetzt,
könnte man dem ja ohne Wenn und Aber zustimmen.
Der Sieben-Punkte-Forderungskatalog des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird dem Titel
leider nicht mehr gerecht. Im Gegenteil: Der grüne
Antrag ist eine Demonstration des schrittweisen Rückzugs mit vollen Backen. Sehen wir uns Punkt 6 an:
Falls ein Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung
nicht durchsetzbar ist, soll deren Ausdehnung auf innereuropäische Flüge abgelehnt werden. Oder Punkt 7:
Falls ein Verzicht einer Vorratsdatenspeicherung bei
Flügen nicht durchsetzbar ist, sollen jedenfalls die
Passagierdaten, die bei Nutzung anderer Verkehrsmittel anfallen, verschont werden.
Hier wird zwar der zu Recht geringe Glaube in den
Verhandlungswillen der Bundesregierung deutlich,
trotzdem klingt es doch sehr nach der Bestellung der
Henkersmahlzeit: Nun auch jeweils schon die nächste
Verhandlungslinie vorzuschlagen, ist im Rahmen einer
solchen Stellungnahme nicht besonders sinnvoll.
Nun zum Antrag der SPD: Wie die Grünen wendet
sich auch die SPD mit ihrer Stellungnahme gegen den
Richtlinienvorschlag, da die Richtlinie eine klassische
Vorratsdatenspeicherung fordere. Da die dafür vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen strengeren
Vorgaben nicht berücksichtigt sind, fordert die SPD
eine datenschutzrechtliche Nachbesserung. Daneben
wird zu Recht auch der Umfang der zu speichernden
und zu übermittelnden Daten kritisiert. Des Weiteren
werden Speicherfristen, rasterfahndungsähnliche Abgleichverfahren und die drohende Einführung eines
solchen Verfahrens für innereuropäische Flüge und
andere Verkehrsmittel kritisiert.
So sinnvoll einzelne Forderungen der SPD in ihrem
Katalog sind, so problematisch ist ihre Grundannahme, die uns hier wieder einmal begegnet, nämlich
dass es eine datenschutz- und grundrechtskonforme
Vorratsdatenspeicherung überhaupt geben kann. Und
dieser naiven Vorstellung schließt sich die nicht belegte Annahme an, dass die Passagierdatenspeicherung tatsächlich ein wirkungsvolles Mittel im Kampf
gegen den Terrorismus oder andere schwere Kriminalität sei.
Wenn alle hier im SPD-Antrag vorgelegten Verbesserungsvorschläge in der Richtlinie aufgenommen
werden würden, würde sich überhaupt nichts daran
ändern, dass jeder und jede, der und die in ein Flugzeug steigt, einem Generalverdacht ausgesetzt und datenschutzrechtlich diskriminiert wird. Sie ändern rein
gar nichts an der Tatsache, dass hier eine anlasslose
Vorratsdatenspeicherung stattfindet, deren Nutzen
sachlich nicht nachgewiesen ist.
Wir werden weder einer Vorratsdatenspeicherung
light zustimmen, noch der sicherlich nett gemeinten
Verhandlungsstrategie der Grünen für die Bundesregierung, die aber wenigstens verstanden zu haben
scheinen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Problem ist. Den Antrag der SPD-Fraktion lehnen wir ab.
Die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten, ihre
Verwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Kri-
minalitätsbekämpfung in ganz Europa und ihre Weiter-
leitung in die USA und Australien haben uns hier
schon mehrfach beschäftigt. Heute diskutieren wir zum
zweiten Mal über den grünen Antrag zum EU-Richtli-
nienentwurf zur Vorratsdatenspeicherung von Flug-
gastdaten.
Mit diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung
schlicht auf, ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht nach-
zukommen, bei den Verhandlungen in Brüssel eine ver-
fassungskonforme Position zu vertreten. Die einzig
verfassungskonforme Position zu diesem Richtlinien-
entwurf ist seine Ablehnung, da der Richtlinienentwurf
den EU-Grundrechten widerspricht und weil er auch
nicht verfassungskonform umsetzbar ist. Denn es sind
keine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienent-
wurf falsch liegen; es ist das Gesamtkonzept des Vor-
habens, das völlig konträr zu deutschen und europäi-
schen Grundrechten liegt.
Noch nicht einmal die Erforderlichkeit der Flug-
gastdatenspeicherung für die Verhütung und Bekämp-
fung des Terrorismus und der schweren Kriminalität
ist nachgewiesen, geschweige denn, dass die enorm
hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts
an Vorratsdatenspeicherungen und präventive Raste-
rung von Daten auch nur annähernd erfüllt wären. Sie
finden eine eingehende rechtliche Argumentation zur
EU-Grundrechtswidrigkeit und zur Verfassungswid-
rigkeit dieses Richtlinienentwurfs in unserem Antrag.
Wir haben diese übrigens auch gegenüber Vertretern
der Bundesregierung in den Ausschüssen des Bundes-
tages mehrfach vorgetragen.
Ich spare mir die Mühe, diese Argumente hier alle
noch einmal vorzutragen; denn sie sind ja, auch bei
CDU/CSU und FDP, durchaus bekannt. Wir haben es
schon seit zwei Jahren schwarz auf weiß, dass ein Teil
der Bundesregierung beim Richtlinienentwurf eben-
falls massive verfassungsrechtliche Bedenken hat.
Ich spare mir auch die Mühe der weiteren verfas-
sungsrechtlichen Argumentation, weil ich zu dem Schluss
gekommen bin, dass diese schwarz-gelbe Merkel-Re-
gierung gar kein Interesse daran hat, den Schutz der
Grund- und Bürgerrechte des Grundgesetzes als Maß-
stab der EU-Politik durchzusetzen. Die Argumente
müssten ja sonst langsam zu allen durchgedrungen
sein. Nicht nur der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz, sondern auch die europäischen Datenschutzbe-
auftragten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der
juristische Dienst des Rates der EU - ja, genau des Or-
ganes der EU, in dem die Regierungen der Mitglied-
staaten vertreten sind - halten den Richtlinienentwurf
für grundrechtswidrig. Auch der Bundesrat ist, im We-
Zu Protokoll gegebene Reden
sentlichen wegen datenschutzrechtlicher Bedenken,
dagegen.
Dennoch: Schwarz-Gelb mit Merkel an der Spitze
setzt offenbar lieber auf den Grundrechteabbau durch
die europäische Hintertür. Man glaubt es kaum: Da
wird in Brüssel eine Richtlinie verhandelt, die allem
widerspricht, was das Bundesverfassungsgericht uns
zum Datenschutz aufgegeben hat. Und was macht die
schwarz-gelbe Merkel-Regierung im Wissen um diese
verfassungsrechtlichen Probleme? Wie immer: Sie sitzt
aus, sie schweigt, sie enthält sich - das haben wir dank
einer Kleinen Anfrage der Linken nun öffentlich und
schriftlich - in der entscheidenden Frage der Stimme.
Es geht hier nicht um ein Detail oder eine kleine Be-
sonderheit des deutschen Datenschutzrechts, die es zu
schützen gilt. Es geht um den elementaren, in der Men-
schenwürde begründeten Schutz der Bürgerinnen und
Bürger vor Rundumüberwachung. Es geht um eine an-
lasslose Überwachung und Rasterung von Daten, die
höchst anfällig ist für unzulässig diskriminierende
Praktiken der Sicherheitsbehörden. Berührt sind hier
die Grundfesten unseres Verfassungsstaates. Das Bun-
desverfassungsgericht hat zu Recht deutlich gemacht,
dass weitere Vorratsdatenspeicherungen gegen das
zentrale Gebot des Grundgesetzes verstoßen - ich zi-
tiere -: „Die Freiheitswahrnehmung der Bürger darf
nicht total erfasst und registriert“ werden. Da das Ge-
richt die unsichere Haltung der Bundesregierung in
derartigen Fragen kennt, hat es versucht, ihr die Fol-
gen ganz deutlich zu machen: Für die Wahrung dieses
Grundsatzes hat sich - Zitat - „die Bundesrepublik in
europäischen und internationalen Zusammenhängen
einzusetzen“. Die Stimmenthaltung in Brüssel ist also
nicht nur politisch ein verheerendes Signal, sondern
sie ist auch verfassungswidrig.
Leider müssen wir auch bei der laufenden Diskus-
sion über die Harmonisierung des EU-Datenschutzes
berücksichtigen, dass die Bundesregierung sich nicht
für den Datenschutz einsetzt und die Schaffung starker
Datenschutzstandards eher blockiert, als sie zu beför-
dern. Es gibt also in Wirklichkeit auch keine Abstufung
des Handelns dieser Bundesregierung in Sachen Da-
tenschutz der Wirtschaft und Datenschutz der öffentli-
chen Verwaltung. In beiden Fällen versucht sie, zu-
gunsten der Bürgerinnen und Bürger bestehende
rechtliche Bindungen aufzuweichen. Dabei geht es ihr
wechselweise um die öffentliche Sicherheit oder die In-
teressen der Unternehmen. Das Allgemeinwohl oder
die Grundrechte werden stets nachrangig eingestuft.
Dass die Bundesregierung die Verhandlungen über
die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten so gesche-
hen lässt, erzeugt ein politisches Klima, das es der EU-
Kommission ermöglicht, schon vor Verabschiedung
der Fluggastdatenrichtlinie eine Ausschreibung in
Höhe von 50 Millionen Euro zu veröffentlichen, um die
Schaffung der staatlichen Fluggastpools, die die Richt-
linie vorschreibt, zu fördern. In diesem politischen
Klima hat die International Air Transport Association,
die IATA, nun auch ein Konzept für eine New Distribu-
tion Capability, NDC, entwickelt. Hinter diesem Pro-
jekt verbirgt sich eine private Vorratsspeicherung von
Fluggastdaten, die dazu dienen soll, maßgeschnei-
derte Preisangebote je nach Geldbeutel des Kunden zu
machen. Die Pläne der IATA widersprechen dem gel-
tenden europäischen Datenschutzrecht. Aber wen stört
das, wenn die Mitgliedstaaten im Rat seelenruhig über
grundrechtswidrige Richtlinien beraten?
Die Enthaltung der Bundesregierung bei der Flug-
gastdatenrichtlinie zeigt ihre Handlungsunfähigkeit
und ihre mangelnde Sensibilität für Grund- und Bür-
gerrechte. Sie zeigt aber vor allem auch eine erschre-
ckende europapolitische Blindheit. Müsste das Bun-
desverfassungsgericht über ein Gesetz zur Umsetzung
der Fluggastdatenrichtlinie entscheiden, könnte das
massive Folgen für den rechtlichen Zusammenhalt in
der Europäischen Union haben. Denn das Bundesver-
fassungsgericht stünde dann vor der Wahl, entweder
erstmals das Europarecht direkt anzugreifen, weil es
keinen angemessenen Grundrechtsschutz gewährleis-
tet, oder aber sich in Widerspruch zu seiner eigenen
jüngsten Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung
und zur präventiven Rasterfahndung zu setzen. Erspa-
ren Sie sich und uns diese Niederlage für die Grund-
rechte des Grundgesetzes und die europäische Harmo-
nisierung!
Für die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus
und der schweren Kriminalität brauchen wir sie nicht,
diese Speicherung von 19 Datenkategorien von mehr
als 1 Milliarde Flugpassagieren in der EU in einem
staatlichen Datenpool. Wir brauchen auch nicht den
Zugriff unzähliger Sicherheitsbehörden aus allen
27 EU-Staaten auf deutsche Datenpools, schon gar
nicht, solange es für diese keine adäquaten EU-Daten-
schutzstandards gibt. Wir brauchen ihn nicht, diesen
präventiven Abgleich mit anderen Datenbeständen.
Und wir wollen sie nicht, diese zusätzliche anlasslose
Überwachung zulasten des Datenschutzes und um den
Preis der Diskriminierung.
Noch ist die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von
Fluggastdaten nicht verabschiedet. Deswegen heute
noch einmal mein Appell an die schwarz-gelbe
Merkel-Regierung: Tragen Sie die Maßstäbe des
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung
aus dem Grundgesetz nach Europa, statt den politi-
schen Grundrechteabbau durch die europäische Hin-
tertür zu betreiben! Positionieren Sie sich klar gegen
diesen Richtlinienentwurf, und setzen Sie Ihre Ver-
handlungsmacht ein. Hinter Ihnen steht nicht nur das
Bundesverfassungsgericht, sondern hinter Ihnen ste-
hen auch die Verfassungsgerichte anderer EU-Mit-
gliedstaaten, zum Beispiel von Österreich und Rumä-
nien.
Mir liegt eine Vielzahl von Erklärungen zur Ab-
stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1) Wir
1) Anlage 17
Vizepräsidentin Petra Pau
nehmen all diese zu Protokoll und kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/12473. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6293.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion
angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5490. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich danke Ihnen für die gute Zusammenarbeit bei unserem Ritt durch nahezu alle Politikbereiche am Ende
unserer Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. März 2013, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.