Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/27/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2012. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Staatsminister des Auswärtigen, Herr Michael Georg Link. Bitte schön, Herr Staatsminister.

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Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den 30. Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung verabschiedet. Er ist Ihnen heute Morgen sofort nach der Kabinettssitzung zugegangen. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind vorrangige Handlungsfelder deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Die Bundesregierung ist dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt verpflichtet. Sie setzt sich für mehr Sicherheit und Stabilität durch weniger Waffen und höhere Transparenz und die Verhinderung von Proliferation ein. Die Erfolge im Berichtszeitraum können sich sehen lassen. Trotzdem wären wir in manchen Bereichen gerne noch wesentlich weiter gegangen. Abrüstungspolitik ist aber das Bohren dicker Bretter. Viele Entscheidungen können und wollen wir nur im Konsens mit unseren Partnern treffen. Ein wichtiges Schlüsseldatum im aktuellen Berichtszeitraum war der NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012. Durch den erfolgreichen Abschluss der Überprüfung des NATO-Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs beim NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 wurde das Profil der Allianz auch in Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen deutlich gestärkt. Jetzt gilt es, den Dialog mit Russland zu substrategischen Nuklearwaffen voranzubringen. Damit können wir künftige Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland unterstützen und weiter auf die Reduzierung der in Europa stationierten Waffen hinarbeiten. Zu einem anderen wichtigen Feld des Jahresabrüstungsberichts: konventionelle Rüstungskontrolle. Die Bundesregierung ist für Fortschritte bei der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa als ein zentrales und unverzichtbares Element kooperativer europäischer Sicherheitsarchitektur eingetreten. Eines ist klar: Mehr Sicherheit und Stabilität in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Deshalb setzt sich die Bundesregierung auch bei der Raketenabwehr konsequent für eine kooperative Lösung und den Dialog mit Russland ein. Die Proliferationsfälle Iran und Nordkorea - ein weiterer wichtiger Teil des Berichts - erfüllen uns weiterhin mit großer Sorge. Bei der laufenden Verhandlungsrunde mit Iran in Almaty - heute Nacht bzw. gestern wurde weiter verhandelt - haben die E 3 plus 3 ein Angebot unterbreitet, von dem wir uns den Einstieg in substanzielle Verhandlungen erhoffen. Um Proliferationsrisiken tatsächlich und effizient eindämmen zu können, müssen wir den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag stärken. Dies tun wir mit unseren Partnern der Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative, NPDI, vor allem mit Blick auf eine reduzierte Rolle von Nuklearwaffen. Gerade hier zählen wir auf die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung hat - um zu einem weiteren Bereich zu kommen - in Libyen und dessen Nachbarstaaten erheblich zur Sicherung und Vernichtung von Waffen beigetragen. Damit hat sie einen wichtigen Beitrag zur Konfliktprävention und Postkonfliktbewältigung in der Gesamtregion, die weiterhin sehr volatil bleibt, geleistet. Kolleginnen und Kollegen, auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien und sicheren Welt liegen noch große Herausforderungen vor uns. Die Bundesregierung zählt bei den erwähnten Themen - ich darf persönlich hinzufügen, dass ich froh bin, dass wir hier über die Fraktionsgrenzen hinweg viele dieser Themen durch die Bank teilen - weiterhin auf die Unterstützung des Bundestages. Für das Auswärtige Amt, das die Erstellung dieses Be27828 richts koordiniert hat, danke ich allen im Vorfeld beteiligten Häusern. - Herr Präsident, damit schließe ich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. - Damit ist Gelegenheit zur Nachfrage. Ich beginne mit Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Auch ich möchte mich für den Bericht bedanken und insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihn erstellt haben, Dank sagen. Der Bundestag und der entsprechende Unterausschuss, glaube ich, standen da der Bundesregierung auch zur Seite. Ich würde Ihnen gerne eine grundsätzliche Frage stellen, Herr Staatsminister. Wir alle wissen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wichtig sind, aber ich denke, dazu gehört ein weiterer Aspekt, nämlich die Frage der Rüstungsexporte. Ich würde Sie gerne fragen: Was ist denn dieser Bericht aus Ihrer Sicht wert, wenn man sich anschaut, dass die Bundesregierung umfangreichen Rüstungsexporten an den Persischen Golf zustimmt? - Der Verteidigungsminister hat ja am Wochenende noch einmal erklärt, die Rüstungslieferungen an den Persischen Golf, die solch ein großes Ausmaß angenommen haben, erfolgten wegen der Bedrohung durch den Iran. Wie kann denn die Bundesregierung hier wirklich glaubhaft versichern, dass sie nachdrücklich für Abrüstung und Rüstungskontrolle eintritt, wenn sie auf der anderen Seite mit dafür sorgt, dass so viele Waffen in solche Spannungsgebiete kommen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

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Danke. - Herr Kollege Mützenich, zum gesamten Thema der Export- bzw. Ausfuhrkontrolle, auch im Hinblick auf diesen Bereich, kann ich selbstverständlich nicht allein für mich sprechen; denn die Federführung liegt hier beim BMWi. Aber ich möchte voranstellen: Im Hinblick auf eine verantwortungsvolle Politik der Rüstungsexportkontrolle sind für uns, die Bundesregierung insgesamt, zentrale Ausgangspunkte die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ und - das ist wichtig, weil wir hier nicht allein handeln - der Gemeinsame Standpunkt des Rats der EU betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie. Anhand einer Gesamtabwägung - das ist festzuhalten - muss in jedem Fall einzeln entschieden werden. Die Region, von der Sie berichtet haben, wird sehr summarisch betrachtet, auch in der Berichterstattung. Insofern darf man schon darauf hinweisen, dass die Details von Land zu Land und von Fall zu Fall durchaus verschieden sind. Das federführende BMWi prüft derzeit in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und anderen beteiligten Ressorts, wie dem berechtigten Wunsch des Bundestages nach mehr Transparenz und zeitnäherer Unterrichtung entsprochen werden kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank. - Kollege van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Link, erst einmal möchte ich sagen: Ich finde, Sie beweisen Mut, dass Sie hier diesen Abrüstungsbericht vorstellen. Denn Sie stehen für eine Bundesregierung, in deren Regierungszeit der ganze Etat für Abrüstungspolitik derart zusammengestrichen worden ist wie eigentlich bei keiner Regierung vorher. Sie geben in diesem Jahr viel weniger für Abrüstungspolitik aus als noch vor vier Jahren. Nur eine Zahl vorweg: Wissen Sie eigentlich, dass der Betrag, den Sie für Hermesbürgschaften zur Absicherung von Rüstungsexporten bereitstellen, hundertmal höher ist als der Betrag, den Sie für die Abrüstungspolitik ausgeben? Aber gut, das nur einmal vorhergeschickt. Ich versuche gerade, eine Art Nettobilanz der Aufund Abrüstung zu erstellen. Wir wissen, wie viele Waffenexporte Sie genehmigen. Mich würde interessieren: Wie viel haben Sie konkret abgerüstet? - Sie haben gerade explizit Libyen erwähnt und gesagt, dass dort Waffen vernichtet werden. Ich selbst kenne das Beispiel aus dem Südsudan, wo es auch ein solches Abrüstungsprojekt gibt. Ich habe mit den Abrüstern dort im Südsudan gesprochen. Sie haben mir gesagt: Vernichtet haben wir keine einzige Waffe; wir haben sie umgeschichtet, weg von den Milizen und hin zur regulären Armee. - Deswegen jetzt die Frage: Wie viele Waffen wurden in Libyen konkret eingesammelt und vernichtet, das heißt abgerüstet?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Frage kommen.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Das war jetzt die konkrete Frage. Ich möchte nämlich die Zahl der abgerüsteten Waffen mit der Zahl der exportierten Waffen vergleichen. Dann können wir einmal sehen, ob Sie netto aboder aufgerüstet haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

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Herr Kollege van Aken, ich habe nicht Mut, den Bericht vorzustellen; ich habe das Glück, den Bericht vorzustellen. Denn darin ist ein ganzes Jahr Arbeit der Bundesregierung aus den verschiedenen Ressorts eingeflossen. Ich antworte sehr gerne auf Ihre Frage zum Beitrag zur Abrüstung und Rüstungskontrolle in Libyen. Ich habe es schon andeutungsweise erwähnt. Der Bericht ist in diesem Bereich aber sehr viel ausführlicher; ich empfehle Ihnen wirklich die ausführliche Lektüre. Die BunStaatsminister Michael Link desregierung verfolgt einen umfassenden Ansatz bei der Sicherung und Vernichtung von Waffen und Munition. Damit leisten wir konkret vor Ort einen ganz entscheidenden Beitrag in einem Bereich, in dem eine enorme Zahl von vagabundierenden Minen und einzelnen Waffen vorzufinden ist, bei denen, wenn wir nicht an der Vernichtung beteiligt wären, weit über das Land hinaus die Gefahr bestünde, dass sie in den illegalen Waffenhandel gelangen. So haben wir beispielsweise mit erheblichen Mitteln das libysche Zentrum für Minenräumung und Waffenkontrolle mit aufgebaut. In Zusammenarbeit mit der GIZ - auch das BMZ ist hier intensiv beteiligt - und der EU tragen wir in den nächsten Jahren - das ist eine langfristige Aufgabe - zur Verbesserung der Lagerhaltung von Waffen und Munitionen bei. Die Bundesregierung ermöglichte drei Lufttransporte - konkret: von Inspektionsteams der OVCW zu den Lagern chemischer Kampfstoffe - und lieferte in größerem Umfang Ausrüstungsgegenstände zur Sicherung dieser Kampfstoffe.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Rainer Stinner ist der Nächste.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie hatten das Thema „amerikanische Abrüstungsinitiativen“ schon kurz in einem Satz einleitend erwähnt. Amerika hat jetzt eine neue Administration. Außenminister Kerry war gestern erstmals hier in Berlin. Deshalb meine Frage an Sie und damit an die Bundesregierung: Gibt es konkrete Hinweise, dass die amerikanische Regierung mit den Russen weitere Abrüstungsinitiativen in Angriff nehmen will? Welche Möglichkeiten, welche Erfolgswahrscheinlichkeiten sehen Sie in diesem Bereich? Was kann die Bundesregierung tun, um diesen - wenn das denn stattfindet - wichtigen Schritt zu unterstützen?

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Herr Kollege Stinner, der gestrige Besuch von Außenminister Kerry war dabei in der Tat ein wichtiger Meilenstein. Die Gespräche mit der Bundesregierung haben stattgefunden, ebenfalls gestern hier in Berlin die bilateralen Gespräche von Außenminister Kerry mit seinem russischen Kollegen Lawrow. Wir werben gegenüber Moskau darum - auch Washington hat gestern in den Gesprächen sehr klare Signale ausgesendet -, dass weitere Abrüstungsschritte vorgenommen werden. Dafür brauchen wir insbesondere einen Nachfolgeprozess zu New START zwischen den USA und Russland. Das ist aus unserer Sicht unerlässlich. Wir setzen uns dafür ein, dass der Umgang mit substrategischen Nuklearwaffen, für die es bislang eben kein Abrüstungsregime gibt, in die Gespräche zur weiteren Reduzierung von Nuklearwaffen einbezogen wird. Hier sehen wir Chancen. Schließlich: Das auf dem NATO-Gipfel im Mai 2012 beschlossene Dialogangebot an Russland zu Maßnahmen für mehr Transparenz im Bereich „substrategische Nuklearwaffen“ könnte konkrete Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland künftig unterstützen und flankieren. Wir sehen hier durchaus positive Bewegung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Brugger ist die Nächste.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für den Bericht. Er ist in seiner Rhetorik sehr schön, aber es stellt sich die Frage nach der Substanz, und die ist an einigen Stellen nicht zufriedenstellend. Ich würde gerne das Stichwort „substrategische Atomwaffen“ aufgreifen. Obama hat ja in seiner Rede zur Lage der Nation weitere Schritte zur Abrüstung angekündigt. Außenminister Westerwelle hat dies unterstützt und eingefordert. Mich würde interessieren, welche Initiativen die Bundesregierung konkret plant, um gerade beim Thema „substrategische Atomwaffen“ voranzukommen, natürlich auch vor dem Hintergrund, dass im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt wurde, dass die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Allerdings beobachten wir gerade weniger ihren Abzug, sondern ihre Modernisierung; und damit steht auch ihr Verbleib an.

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Danke, Frau Kollegin. - Zu den substrategischen Nuklearwaffen: Wir setzen uns natürlich - ich habe es erwähnt - für den Abzug dieser nichtstrategischen Atomwaffen aus Deutschland ein. Das können und wollen wir aber nicht im Alleingang oder bilateral mit den USA machen. Vielmehr kann das - das haben wir immer klar gesagt, und das bringen wir auch noch einmal in dem heute vorgelegten Bericht sehr deutlich zum Ausdruck - nur im Einklang mit unseren Verbündeten in der NATO geschehen. Wir können und wollen das nicht im Alleingang machen. In der NATO besteht aber momentan - ganz deutlich gesagt - kein Konsens über einen Abzug. Für einige Partner spielen die substrategischen Nuklearwaffen noch immer eine wichtige Rolle als Rückversicherung gegenüber Russland. Dennoch sind wir beim schon mehrfach erwähnten Gipfel in Chicago einen entscheidenden Schritt weitergekommen, nämlich durch das dort beschlossene Dialogangebot zu Maßnahmen für mehr Transparenz. Genau bei diesem Waffentypus, den substrategischen Nuklearwaffen, ist die NATO jetzt in der Lage, die nächsten Abrüstungsschritte zwischen den USA und Russland tatsächlich zu flankieren. Aber wie gesagt: In diesem Bereich besteht noch kein Konsens.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nächste Fragestellerin ist Uta Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für den Bericht. Ich knüpfe zunächst einmal an die Fragen an, die schon zu den substrategischen Waffen gestellt worden sind: Wie will die Bundesregierung, der ja daran gelegen ist, diese Waffen zu entfernen, in die Diskussion über die Modernisierung der Waffen eingreifen? Wenn diese Waffen tatsächlich modernisiert werden, muss die Bundesregierung - dazu hat sie sich per Unterschrift verpflichtet - ja die Trägersysteme, also den Tornado, funktionsfähig halten. Das würde teuer. Zweite Frage: Ist der Ausschuss, der bei der NATO zum Thema Abrüstung eingerichtet wurde, jetzt arbeitsfähig? Welches Mandat hat er, und wie ist er besetzt? Meine dritte Frage lautet: Wie geht es mit der Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten, die bisher nicht stattgefunden hat, weiter? Was ist der Grund dafür, dass sie bisher nicht stattgefunden hat, und was wird unternommen, damit die Konferenz möglichst bald stattfinden kann? Ein letzter Punkt, den ich anmerken möchte: Sie waren so freundlich, den Bundestag zu loben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, die Zeit ist um.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage es nur.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Minute ist um. - Herr Staatsminister.

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Danke, Herr Präsident. - Ich möchte mit Ihrem letzten Punkt beginnen. Die Ankündigung der Arabischen Liga, die Vorbereitungssitzungen für die Abrüstungskonferenz zu boykottieren, war absolut nicht hilfreich, die Verschiebung der Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten selbstverständlich auch nicht. Wir unterstützen deshalb den finnischen Konferenzvermittler, Herrn Laajava. Wir stehen mit ihm im engstmöglichen Kontakt und suchen nach Möglichkeiten, diese Konferenz schnellstmöglich tatsächlich doch noch stattfinden zu lassen. Was die von Ihnen erwähnte Modernisierung der substrategischen Nuklearwaffen und in diesem Zusammenhang der Tornados angeht, möchte ich ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Es handelt sich hierbei nicht um eine Modernisierung, sondern es handelt sich um ein Programm zur Verlängerung der Nutzungsdauer der existierenden Systeme. Wir reden hier über Systeme und Waffen, die aus den 1960er-Jahren stammen. Es geht nicht um Modernisierung. Es geht technisch um die Verlängerung der Lebensdauer und damit der Möglichkeit, sie einzusetzen. Es geht nicht um eine Modernisierung im Sinne der Schaffung eines neuen Systems, sondern um die Verlängerung der Nutzungsdauer jener Waffenkomponenten, die technisch das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Damit soll die Sicherheit der Waffe, solange sie noch existiert, weiterhin auf dem höchstmöglichen technischen und sicherheitstechnischen Niveau gewährleistet werden. Was die Tornados angeht, sage ich Folgendes: Sie bleiben bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein einsatzfähig. Die Frage eines neuen Trägersystems stellt sich deshalb nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich empfehle, immer nur eine Frage zu stellen, damit der Herr Staatsminister die Chance hat, sie zu beantworten. Sie wissen, dass es eine strenge Eine-Minute-Regel gibt. - Der Nächste ist Christoph Schnurr.

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich würde gerne eine Frage zu einem anderen Themenkomplex stellen, zur Frage der Cybersecurity, der Cybersicherheit. Gibt es zu diesem Themenfeld Neues, Wichtiges zu berichten? Können Sie uns darlegen, welche Eckpfeiler, welche Wegmarken die Bundesregierung in diesem Bereich für die nächsten Monate anvisiert?

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Danke, Herr Kollege. - Cybersecurity ist in aller Munde. Diejenigen von Ihnen, die auf der Sicherheitskonferenz waren - das waren viele Kolleginnen und Kollegen -, wissen, dass das mittlerweile erfreulicherweise nicht mehr nur in Fachkreisen von Politik, Wirtschaft und Sicherheit ein Thema ist, sondern auch weit darüber hinaus. Alle Bürgerinnen und Bürger werden sich stärker bewusst, dass sich bis hin zu Privatpersonen alle, die sich im Cyberbereich bewegen, in einem sicherheitsrelevanten Bereich bewegen. Deshalb beteiligen wir uns ganz aktiv an den Bemühungen, im Rahmen der VN, aber auch unter Beteiligung der OSZE, durch internationale Regeln, praktische Transparenz und sicherheitsbildende Maßnahmen zu größerer internationaler Cybersicherheit beizutragen. Wir sehen, dass der eine oder andere wichtige internationale Partner eine Rolle spielt, die uns veranlasst, die nötigen kritischen Fragen zu stellen. Diese Fragen stellen wir, auch unseren großen und wichtigen Partnern weltweit. Wir beobachten insbesondere die Zunahme von Meldungen über möglicherweise staatlich geförderte Cyberangriffe gegen westliche Länder mit großer Sorge. Es trifft auch zu, dass die EU-Botschafter in Peking über dieses Thema reden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Nächste ist Katja Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, ich war mit der Antwort auf die erste Frage des Kollegen Mützenich noch nicht ganz zufrieden. Die Situation im Iran und die Nuklearfrage treiben uns alle um. Ich frage die Bundesregierung, ob sie allen Ernstes meint, die Bereitschaft des Iran zur Kooperation in der Nuklearfrage dadurch zu fördern, dass sie dem primären Konfliktpartner in der Region Kriegsschiffe, Panzer und Grenzsicherungssysteme zu Lande und zu Wasser liefert. Ich denke, in anderen Bereichen hat sich gezeigt, dass konventionelle Unterlegenheit meistens nicht gerade förderlich ist, wenn es um die atomare Abrüstung geht.

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Ich glaube, wir sollten hier wirklich die beiden Bereiche auseinanderhalten. Die aktuell laufenden Verhandlungen mit dem Iran im Rahmen von E 3 plus 3 - wenn es dazu noch Fragen gibt, kann ich darauf antworten und die Frage möglichen Lieferungen von Patrouillenbooten etc. an wichtige Sicherheitspartner im Bereich des Persischen Golfes, auf die Sie auch anspielen, sollten wir auseinanderhalten. ({0}) Dazu möchte ich an dieser Stelle auf den Rüstungsexportbericht verweisen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage stellt der Kollege Djir-Sarai.

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, wir haben vorhin über das Thema Iran gesprochen. Wir haben sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch hier im Plenum in diesem Zusammenhang häufig über das Thema Sanktionen gesprochen. Selbstverständlich müssen wir uns gelegentlich die Frage stellen, wie sich diese Sanktionen vor Ort auswirken. Mich interessiert: Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der Sanktionen ein? Sind die Sanktionen in dieser Form notwendig? Und vor allem: Wie werden sie bewertet?

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Herr Kollege, die Dauerdiskussion bezüglich Sanktionen dreht sich immer um die Frage: Treffen sie die Richtigen, oder treffen sie die Falschen? - Hier sind keine klaren Schwarz-Weiß-Antworten möglich. Wir gehen davon aus, dass die Sanktionen, die gegen den Iran verhängt wurden, wirken, insbesondere dadurch, dass sie mittlerweile ein umfassendes Ausmaß erreicht haben. Wir haben bei vielen EU-Partnern, die am Anfang von weiteren Sanktionen nicht begeistert waren, aktiv dafür geworben. Es ist ganz wesentlich das Verdienst Deutschlands, dass die Sanktionen ausgeweitet werden konnten. Wir sind der Ansicht, dass sie von Dauer und Ausmaß her jetzt tatsächlich so zu wirken anfangen, dass eine iranische Verhandlungsbereitschaft entstehen könnte. Die E-3-plus-3-Gespräche in Almaty würde ich deshalb jetzt per se weder positiv noch negativ bewerten. Wichtig ist, dass es - das läuft bereits über die Agenturen - eine Fortsetzung geben soll. Über die Agenturen laufen auch bereits Daten, wann es die nächsten Gespräche geben soll: am 18. März und am 5./6. April, zunächst in Istanbul, dann in Almaty. Das können wir bestätigen. Es gibt insofern zumindest einen Schritt in die richtige Richtung: im Gefolge der Verhandlungsangebote, die in München ausgetauscht wurden, den Verhandlungsfaden jetzt tatsächlich wieder aufzunehmen. Aber wohlgemerkt: Es ist noch zu früh, um konkret etwas Positives oder Negatives zu sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wolfgang Gehrcke, bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, wenn man seriös über den Abrüstungsbericht, der heute auf den Tisch gekommen ist und über 200 Seiten umfasst, debattieren will, sollte man überlegen - ich erlaube mir diese Anregung an die Parlamentarischen Geschäftsführer -, ob nicht eine vereinbarte Debatte der Bedeutung des Berichts angemessen wäre. ({0}) - Die machen wir sowieso? Prima! Ich möchte gerne nach der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung fragen. Die Bundesregierung wird mehr als Aufrüstungspartei statt als Abrüstungspartei wahrgenommen. Wäre die Bundesregierung zu folgenden drei Schritten bereit: erstens auf die Anschaffung bewaffneter Drohnen zu verzichten, zweitens sich an die USA mit der Bitte zu wenden, die Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, und drittens das Raketenabwehrsystem, das einen tiefen Bruch mit Russland darstellt, erneut zur Disposition zu stellen? Das wäre ein Akt der Glaubwürdigkeit. Dann könnte man gelassener über den Bericht reden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

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Kollege Gehrcke hat jetzt doch fast schon die politische Debatte - eine kleine Aktuelle Stunde - eröffnet. ({0}) Kollege Gehrcke, die Fraktionen sind natürlich frei, eine vereinbarte Debatte zu dem Bericht durchzuführen. Der Bericht ist heute Morgen im Bundeskabinett beschlossen worden. Wir stellen ihn hier kurz im Rahmen der normalen Regierungsbefragung vor. Ansonsten möchte ich nur darauf hinweisen: Er lohnt wirklich die Lektüre, gerade weil die Sprache des Berichts keine Rhetorik ist, sondern in ihm wichtige Fakten dargelegt werden, die in diesem Bereich im letzten Jahr erreicht wurden. Wo Sie das Thema der Raketenabwehr im Hinblick auf Russland ansprechen, muss ich sagen: Ja, auch über diese Frage sprechen wir intensiv mit Russland, weil wir eine kooperative Lösung für berechtigte Sicherheitsinteressen Russlands finden wollen. Es darf hier aber auch keine Vetoposition eines Spielers geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt ist Kollegin Inge Höger an der Reihe.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, einerseits loben Sie sich in Ihrem Jahresabrüstungsbericht besonders dafür, dass Sie sich für das Zustandekommen eines Waffenhandelsvertrages, ATT, eingesetzt haben. Er ist ja nun am Widerstand unter anderem der USA, Russlands, Chinas und Ägyptens gescheitert. Andererseits tut sich die Bundesregierung nicht gerade dadurch hervor, dass sie weniger Waffen exportiert. Vielmehr hat die deutsche Rüstungsindustrie laut den neuesten Zahlen gerade im letzten Jahr gute Zuwächse verzeichnet. Wie verträgt es sich miteinander, sich einerseits für einen international geltenden Waffenhandelsvertrag einzusetzen und es andererseits der eigenen Industrie zu ermöglichen, immer mehr Waffen in die Welt zu exportieren?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

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Frau Kollegin, wir unterscheiden uns in der Tat bei diesem Punkt. Sie betrachten grundsätzlich jeden Verkauf, jede Veräußerung einer Waffe unter dem Prisma, dieses generell nicht zu wollen. Genau diesen Ansatz verfolgen wir aber nicht. Es gibt sehr wohl Bereiche, zum Beispiel im Rahmen der NATO, wo wir sagen: Jawohl, es ist selbstverständlich absolut sinnvoll und auch im Interesse unserer Sicherheit, dies zu tun. Dies gilt aber auch für Verhandlungen und Vorgänge mit anderen Partnern. Der geplante Arms Trade Treaty, also der Kleinwaffenvertrag, ist kein Punkt, bei dem wir uns irgendwie loben, sondern wir weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade Deutschland massiv in Richtung eines solchen Vertrages gedrängt hat und dass wir in Reichweite - ich würde sogar sagen: in Greifweite - eines tatsächlichen ATT-Vertrages sind. Dass es letztes Jahr nicht geklappt hat, hat mit vielen Dingen zu tun, aber wir lassen uns davon nicht entmutigen. Wir wissen, dass die Chefunterhändlerin, Frau Kane, in diesen Wochen in New York dabei ist - ich habe mich selbst davon überzeugt; wir haben die Gespräche vorletzte Woche geführt -, einen neuen Anlauf zu unternehmen. Ich sehe die realistische Chance, dass wir dieses Jahr beim ATT tatsächlich einen Durchbruch erreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage geht an Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Herr Staatsminister, Sie werden mit Sicherheit verstehen, dass Teile des Deutschen Bundestages etwas irritiert gewesen sind über die Aussage des Verteidigungsministers, der Waffenlieferungen an Staaten im Persischen Golf mit der Bedrohung durch den Iran begründet hat. Dass das natürlich heute eine Rolle spielt, ist ganz offensichtlich. Ihre Antworten stellen uns nicht zufrieden. Darüber müssen wir noch einmal an anderer Stelle sprechen. Ich möchte auf einen zweiten Punkt eingehen. Der Bericht unter anderem zur Rüstungskontrolle, der uns jetzt vorliegt, beinhaltet gerade in dem Bereich, der vom Kollegen Gehrcke angesprochen worden ist, sozusagen ein Nullsummenspiel. Wäre nicht die Frage der Beschaffung von Drohnen ein interessanter Punkt im Rahmen von Abrüstung und Rüstungskontrolle? Könnte sich Deutschland hier nicht mit einem Thema befassen, bei dem es sozusagen auch sein Gesicht von Abrüstung und Rüstungskontrolle wahren könnte? Ich würde Sie gerne fragen, warum hier sozusagen eine Leerstelle im Bericht ist.

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Kollege Mützenich, grundsätzlich gilt mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht - Sie blicken ja auch in diese Richtung -, dass neue Technologien, wie eben unbemannte Systeme oder Drohnen, selbstverständlich daraufhin überprüft werden, inwiefern wir mit ihnen die von uns im Rahmen des humanitären Völkerrechts eigegangenen Verpflichtungen einhalten. Bei unbemannten Systemen gilt genauso wie bei bemannten Flugzeugen das Gebot der Beachtung des Völkerrechts im Einsatz. Zu der Frage, ob man sich im Jahresabrüstungsbericht damit befassen sollte, möchte ich nur noch einmal unterstreichen: International besteht derzeit kein gemeinsames Verständnis über die aus dem Wiener Dokument oder KSE-Vertrag oder VN-Waffenregister resultierenden Verpflichtungen hinsichtlich unbemannter bewaffneter Systeme. Deutschland wird aber die sich bietenden Gelegenheiten nutzen, um hier Abhilfe zu schaffen. ({0}) Konkret wird hierzu zum Beispiel im Bereich des VNWaffenregisters in Kürze Gelegenheit sein. Die Bundesregierung wird 2013 bei der Regierungsexpertengruppe der Vereinten Nationen - 15 Staaten nehmen teil mitmachen. Damit haben wir die Möglichkeit, an der Anpassung dieses wichtigen Transparenzinstrumentariums an technologische Weiterentwicklungen und technologische Neuerungen mitzuwirken. Da wird sich insbesondere die Frage der Meldepraxis bei bewaffneten Drohnen stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage geht an Christoph Schnurr.

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, ich würde gerne wissen, wie es um das Ottawa-Übereinkommen zur Ächtung von Antipersonenminen steht, ob es hier weitere Entwicklungen gibt und wie der Stand der Dinge ist.

Not found (Gast)

Danke, Herr Kollege Schnurr. - Was das OttawaÜbereinkommen zur Ächtung von Antipersonenminen angeht, hat sich die Bundesregierung von Anfang an mit Nachdruck für sein Zustandekommen, seine Umsetzung und vor allem die Universalisierung des Übereinkommens eingesetzt; hier gibt es allerdings noch viele Lücken. Wir verfolgen unsere Ziele gerade mit unseren engsten Verbündeten weiterhin. Für weltweite Projekte der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung hat die Bundesregierung seit 1992 - das nur informandi causa - 224 Millionen Euro aufgewendet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage geht an Kollegen van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich kann ja verstehen, Herr Link, dass Sie Rüstungsexporte und Abrüstung gerne trennen wollen. Das geht nur nicht, weil jede einzelne Waffe, die Sie aus Deutschland irgendwo hinschicken, praktisch Aufrüstung bedeutet. Das muss man natürlich bei den Zahlen zur Abrüstung gegenrechnen; denn das gehört implizit zusammen. Das sehen Sie übrigens genauso; denn in Ihrem Jahresabrüstungsbericht erwähnen Sie den ATT, den Waffenhandelsvertrag, und darin geht es ja um Rüstungsexporte. Meine Frage zum ATT lautet: Ist er für Sie, für die Bundesregierung, eigentlich primär ein humanitäres Abkommen? Das heißt, ist sein Kernzweck für Sie der Schutz Unschuldiger? Wenn das so ist, was heißt das eigentlich für einen solchen Vertrag? Heißt das für Sie, für die Bundesregierung, dass der ATT darauf ausgerichtet sein muss, Korruption, den Tod von Zivilisten usw. zu verhindern? Müsste dazu nicht auch gehören, dass im ATT verboten wird, Überwachungssoftware zu liefern? Müsste darin nicht zum Beispiel auch geregelt sein, dass im Hinblick auf den Bürgerkrieg in Syrien keine Seite mit Rüstungsgütern ausgestattet wird? Also: Was heißt für Sie „humanitäres Abkommen“?

Not found (Gast)

Der Sicherheitsaspekt in diesem Bereich geht weit über humanitäre Fragen hinaus. Wir sind momentan immer noch dabei, mit den Partnern zu verhandeln, welche Bereiche insgesamt vom ATT erfasst werden sollen. Die Spezialisten sind damit vertraut, dass zum Beispiel die Einbeziehung von Munition und ihre Weitergabe bzw. ihr Weiterverkauf im Rahmen des ATT eine große Rolle spielen. Es gibt eine Fülle von Bereichen, bei denen leider noch keine Übereinstimmung herrscht, ob sie hineingehören. Wir verfolgen hier einen breiten Ansatz und denken, dass auch der Weiterverkauf von Munition davon erfasst sein sollte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die nächste Frage geht an Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, es gibt ein schönes Sprichwort: Man sollte zunächst vor der eigenen Tür kehren. Wenn ich vor der Tür Deutschlands kehre, dann finde ich da etwas so Unappetitliches wie US-Atomwaffen. Deshalb meine Frage - sie ist ganz konkret gemeint -: Wann hat das letzte Gespräch stattgefunden, bzw. wann sind Sie, der Außenminister oder die Bundeskanzlerin zum letzten Mal bei den USA und bei der NATO vorstellig geworden, um diese Waffen loszuwerden? Wurde in diesem Gespräch auch angesprochen, dass der Deutsche Bundestag in diesem Punkt fast einhellig - vielleicht sogar einhellig - der Auffassung ist, dass wir die Dinger loswerden sollten, und dass in der deutschen Bevölkerung niemand versteht, dass ein souveränes Land wie Deutschland diese Waffen nicht loswerden kann?

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Herr Kollege Ströbele, ich habe ja schon einmal gesagt: Bei diesem Punkt muss man das inhaltliche Ziel, das man erreichen will, trennen von der Frage: Wie geht man vor? Für uns ist nicht vorstellbar, so etwas einseitig und ohne Konsens unter den Verbündeten voranzutreiben. Wir haben vor dem NATO-Gipfel in Chicago, also im letzten Mai, an verschiedensten Stellen intensiv mit den USA darüber gesprochen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Chicago gelungen ist - das war sehr wichtig, und das hätten nicht alle gedacht -, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt festzuschreiben; das ist ein wichtiger Punkt, den die NATO festgehalten hat. Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Aber noch einmal: Wir gehen nicht einseitig vor. Das geht nur im Konsens. Das gebietet der Respekt unter den Verbündeten, den wir uns gegenseitig schuldig sind. Daran arbeiten wir weiter.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Jetzt hat Kollegin Uta Zapf Gelegenheit, zu fragen.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben geschildert, dass Sie konventionelle Abrüstung für einen wichtigen Bestandteil halten. Nun ist es eine Tatsache, dass die konventionelle Abrüstung zumindest in Europa - ich weiß auch nicht, an welchem anderen Ort konventionell oder nuklear abgerüstet würde - ziemlich darniederliegt, seit der KSE-Vertrag durch Russland aufgekündigt worden ist. Der Vorlauf war allerdings, dass die NATO-Staaten den AKSE-Vertrag nicht ratifiziert haben. Das hat natürlich dazu geführt, dass die Russen sagen: Ihr seid nicht interessiert; dann nehmen wir das ganze Ding zurück. Wie wollen Sie denn bewirken, dass wir neue Abkommen oder eine Restitution des Abkommens im konventionellen Bereich bekommen? Es wäre, denke ich, angesichts der allgemeinen Situation dringend notwendig, gerade in diesem Bereich neue Regelungen zu finden.

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Frau Kollegin Zapf, Neuregelungen wären in der Tat wichtig. Die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa ist und bleibt für uns unverzichtbar. Um eine weitere Erosion - die in der Tat droht - zu verhindern, arbeitet die Bundesregierung mit Nachdruck an einer umfassenden Modernisierung, die die heutigen Sicherheitsbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und auf einem System verifizierbarer Transparenz aufbaut. Das ist eine Aufgabe, die insbesondere jetzt, in diesem Jahr, noch einmal extrem wichtig ist; ansonsten - da stimme ich Ihnen zu - droht hier in der Tat eine weitere Erosion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kollegen, ich habe noch drei Frageanmeldungen zu diesem Thema vorliegen und dann noch zwei zu sonstigen Themen. Damit schließe ich dann die Regierungsbefragung. Die Nächste ist die Kollegin Agnes Brugger.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, Sie haben das Oslo- und das Ottawa-Übereinkommen und auch die Lücken in diesen Übereinkommen angesprochen. Ich würde gerne auf eine Lücke zu sprechen kommen: Streumunition und Landminen sind zwei Waffen, die barbarisch gegen die Zivilbevölkerung wirken und noch lange nach der Krise eine Gefahr für ganze Landstriche bedeuten. Diese Konventionen verbieten die Herstellung, die Lagerung, die Weitergabe dieser Waffen. Die Investition in diese Waffen ist in Deutschland nicht verboten. Es kann also durchaus sein - dafür gibt es auch Belege -, dass jemand, der eine Riester-Rente hat, damit in Unternehmen investiert, die solche Waffen herstellen. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass das eigentlich kein guter Zustand ist und so auch nicht dazu beiträgt, dass das Verbot dieser Waffen umfassend umgesetzt wird, und ob die Bundesregierung hier ihre Meinung geändert hat und jetzt auch der Auffassung ist, dass wir ein gesetzliches Verbot von Investitionen in Streumunition brauchen.

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Frau Kollegin, das ist ein, wenn ich so sagen darf, eleganter Versuch, vom Jahresabrüstungsbericht wegzukommen. Ich möchte mich hier auf die Beantwortung von Fragen beschränken, die sich konkret auf den Inhalt des Jahresabrüstungsberichts beziehen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Djir-Sarai ist der Nächste.

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister Link, Sie haben vorhin das Thema OSZE angesprochen. Mich würde Ihre Einschätzung bezüglich einer Modernisierung des Wiener Dokuments interessieren.

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Herr Kollege Djir-Sarai, das Wiener Dokument ist in der Tat eines der Kerndokumente der OSZE. Die Bundesregierung ist ohnehin zurzeit in vielen Bereichen dabei, um eine weitere Steigerung der Relevanz der OSZE zu ringen, nachdem in einigen Bereichen immer wieder gefragt wurde: Wo ist die Relevanz der OSZE? Wir sehen die Relevanz der OSZE; die OSZE ist für uns absolut unverzichtbar. Das Wiener Dokument - es ist ja mittlerweile sehr betagt - wäre in der Tat enorm wichtig, um eine neue Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa zu geben. Deshalb unterstützen wir auch die Modernisierungsvorschläge. Die Bundesregierung hat einen eigenen Vorschlag zur Modernisierung des Wiener Dokuments eingebracht, der die Transparenz auf ausgewählte militärische Ausbildungs- und Unterstützungseinheiten erweitern soll. ({0}) Damit wollen wir dem Wiener Dokument zu einer neuen Relevanz verhelfen, die den Fragen, die sich uns in den Jahren 2012, 2013, 2014 stellen, gerecht wird. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Letzte Frage zu diesem Thema: Inge Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben sich vorhin noch einmal für eine atomwaffenfreie Welt ausgesprochen, und in der letzten Woche hat zu diesem Thema im Außenministerium eine internationale Konferenz stattgefunden. Mir kommt das nur immer so vor: nette Worte, unverbindliche Worte; aber nichts folgt daraus. Wie ist es denn mit den Beschlüssen der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag und einer atom- und massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten bestellt - anstatt immer nur mit dem Finger auf den Iran zu zeigen? ({0})

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Danke. - Frau Kollegin Höger, zu dem Punkt „Atomund massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher Osten“ und zu den genauen Hintergründen habe ich ja bereits ausgeführt und insbesondere die Tatsache erwähnt, dass wir die Verschiebung der Konferenz nicht für glücklich, sondern ganz deutlich für schädlich halten. Zu dem von Ihnen angesprochenen Thema Atomwaffenteststopp-Vertrag sei hinzugefügt - das war ja Ihre andere Frage -, dass dem Vertrag, obwohl er formal noch nicht in Kraft ist, aus unserer Sicht bereits jetzt eine enorme faktische Wirkung zukommt. Wir haben das zum Beispiel beim letzten Atomtest Nordkoreas im Februar 2013 gesehen. Obwohl der Atomwaffenteststopp-Vertrag noch nicht in Kraft getreten ist, hat er in Bezug auf das Überwachungssystem faktisch bereits eine wesentliche Rolle gespielt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich hatte eine Wortmeldung übersehen. Kollegin Keul als letzte Fragestellerin, bitte.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrem Bericht erwähnt, wie wichtig es ist, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, NPT, zu stärken und zu fördern. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob die Bundesregierung sich dafür einsetzen wird, dass die Aufnahme Indiens, eines Staates, der den NPT nicht unterschrieben hat und dennoch im Besitz von Nuklearwaffen ist, in die Nuclear Suppliers Group aus diesem Grunde verhindert wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

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Danke schön, Frau Kollegin. - Zu diesem Punkt würde ich die Antwort gerne schriftlich nachreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt kommen wir noch zu zwei Fragen zu sonstigen Themen. - Kollegin Enkelmann zunächst.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister Link, ich glaube, hier sind Sie weniger gefragt als die Regierung insgesamt. Ich habe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben heute die Meldung entnommen, dass der Verfassungsschutz jährlich 20 Millionen Euro für V-Leute ausgibt. Allein an Prämien waren es 2013 2,4 Millionen Euro. Ich würde gerne wissen, ob sich die Regierung damit beschäftigt hat und ob diese Zahlen stimmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wer kann darauf antworten? - Kollege Schröder.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das hat im Kabinett heute keine Rolle gespielt. Ob die Zahlen stimmen, kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich nicht weiß, welche Zahlen zitiert wurden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nächste Frage Kollege van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Link, das ist auch eine Frage an Sie. Mich erreichte gerade die Nachricht, dass Herr Westerwelle sich in zwei Wochen mit dem de facto amtierenden paraguayischen Außenminister treffen möchte. War das Thema heute im Kabinett? Sie wissen: Das ist eine Putschregierung, die in Lateinamerika komplett isoliert ist. Paraguay ist wegen des Putsches aus Mercosur ausgeschlossen. Was beabsichtigt Herr Westerwelle damit, nun ausgerechnet diesen illegitimen Außenminister aus Paraguay zu empfangen? Der gehört zwar zu seiner Schwesterpartei, ist aber trotzdem illegitim. Ist das heute im Kabinett nicht vielleicht auch von der anderen Koalitionsfraktion kritisiert worden? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Staatsminister.

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Herr Kollege van Aken, ich weiß nicht, woher Sie diese Information konkret haben. Ich kann nur feststellen: Es handelt sich nicht um eine illegitime Regierung. Sie sagen, das Land sei in Südamerika komplett isoliert. Das ist mitnichten der Fall. Im Gegenteil: Seit einigen Wochen und Monaten gibt es hier wieder eine Normalisierung der Beziehungen der Nachbarstaaten zu Paraguay. Deshalb weise ich das ausdrücklich zurück. Darüber hinaus war das im Kabinett auch kein Thema.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/12439 Wir kommen zu den mündlichen Fragen auf der Drucksache 17/12439. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Max Stadler zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ingrid Hönlinger: Weshalb hat die Bundesregierung am 30. November 2012 per E-Mail die Vorschläge zu „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“ ({0}) an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände geschickt und diese um Stellungnahmen gebeten?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Frau Kollegin Hönlinger sehr dankbar für die Frage, die einen Vorgang betrifft, der neulich schon im Rechtsausschuss geklärt worden ist. Auf diese Weise können wir den Vorgang aber auch hier in der Öffentlichkeit noch einmal darstellen. Da die Fragen des Kollegen Montag denselben Vorgang betreffen, schlage ich vor, wenn es gestattet ist, diese im Zusammenhang gleich mit zu beantworten. Es geht nämlich darum, wie bestimmte Vorschläge zum Umwandlungsrecht zustande gekommen sind und wie damit verfahren wurde.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann rufe ich jetzt auch die Fragen 2 und 3 des Kollegen Jerzy Montag auf: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verfasser der „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“, welche das Bundesministerium der Justiz am 30. November 2012 per E-Mail an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände geschickt hat, und inwieweit unterstützt die Bundesregierung den Inhalt der Anhänge dieser E-Mail ({0})? Erwägt die Bundesregierung, die vom Bundesjustizministerium am 30. November 2012 an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände versandten „Änderungen im Umwandlungsrecht und Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012“ ({1}) in das parlamentarische Verfahren zu geben, und, wenn ja, in welcher Form?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Bekanntlich ist im parlamentarischen Verfahren die Aktienrechtsnovelle 2012 seit einiger Zeit anhängig. Die Berichterstatter der Regierungskoalition zu diesem Regierungsentwurf haben das Bundesministerium der Justiz gebeten, zu den von ihnen als Berichterstatter initiierten Vorschlägen zum Umwandlungsrecht Stellungnahmen der Bundesländer und der fachlich betroffenen Verbände einzuholen. Dieser Bitte hat das Ministerium entsprochen. Das Bundesministerium der Justiz hat in der Mail vom 30. November 2012, mit der diese Vorschläge versandt worden sind, darauf hingewiesen, dass diese Regelungsvorschläge auf Wunsch der Rechtspolitiker der Regierungskoalition vom Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins unterbreitet worden sind. Die Rechtspolitiker der Regierungskoalition prüfen derzeit im Lichte der Sachverständigenanhörung - dies war, genauer gesagt, ein erweitertes Berichterstattergespräch - vom 18. Februar 2013, ob sie diese Vorschläge in die parlamentarischen Beratungen über die ursprüngliche Aktienrechtsnovelle 2012 einbeziehen. Dies ist der Sachverhalt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Zusatzfrage erteile ich Frau Ingrid Hönlinger das Wort.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zunächst vielen Dank für die Antwort. - Mich hat Folgendes erstaunt: Die beiden Entwürfe, die über das Bundesjustizministerium versandt worden sind, sind Blankoentwürfe. Sie tragen keinen Briefkopf; das heißt, kein Abgeordneter hat sich persönlich damit identifiziert. Außerdem tragen die Papiere keine Drucksachennummer. Ich frage mich, inwiefern ein solches Vorgehen üblich ist, dass das BMJ Gesetzentwürfe, die nicht aus dem Haus stammen, an Verbände verschickt. Inwiefern ist so etwas schon in der Vergangenheit passiert, und inwiefern müssen wir in der Zukunft damit rechnen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Kollegin Hönlinger, das ist ein Vorgehen, über das immer im Einzelfall zu entscheiden ist. Eine Drucksachennummer haben die Vorschläge naturgemäß deswegen nicht getragen, weil es sich nicht um einen Gesetzentwurf gehandelt hat. Vielmehr haben aus Anlass eines ohnehin laufenden Gesetzgebungsverfahrens Kollegen aus dem Rechtsausschuss zusätzliche Vorschläge zur Debatte gestellt, die vom renommierten Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins erarbeitet worden waren. Der Deutsche Anwaltverein hatte bereits im Jahre 2007 solche Vorschläge zum Umwandlungsrecht vorgelegt. Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung hat der Kollege, der Berichterstatter der CDU/CSUFraktion ist, den Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins um eine Aktualisierung des früheren Vorschlags gebeten. Um in Erfahrung zu bringen, auf welche Resonanz ein solcher Vorschlag stößt, ob es Kritik gibt, ob es Zustimmung gibt, hat das Bundesministerium der Justiz der Bitte entsprochen, die Vorschläge zu versenden, damit man diese dann mit einer umfassenderen Meinungsbasis bewerten kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Frau Hönlinger hat noch eine weitere Nachfrage. Bitte schön.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht ja in der Aktienrechtsnovelle sowie in den Gesetzentwürfen um das Umwandlungsrecht, um Konzernausgliederung und um das Spruchverfahrensgesetz. Inwieweit wird im Bundesjustizministerium in diesen Bereichen noch an Gesetzesvorlagen gearbeitet, und inwiefern plant das Haus, externen Sachverstand hinzuzuziehen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Es ist insofern externer Sachverstand vom Rechtsausschuss beigezogen worden, als es eine kleine Sachverständigenanhörung gegeben hat, das heißt, ein erweitertes Berichterstattergespräch zu den Vorschlägen, die vom Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins stammen und die sich die Abgeordneten zu eigen gemacht haben. In dieser Anhörung gab es übrigens überwiegend eine positive Reaktion, aber durchaus auch Kritik. Einer der Punkte bestand darin, dass der Vorschlag gemacht worden ist, im Spruchverfahren die erste Instanz beim Landgericht abzuschaffen und gleich beim Oberlandesgericht einzuführen. Hierzu haben einige der Sachverständigen gesagt, dass es aber sinnvoll sei, dass das Landgericht als erste Instanz bestehen bleibe, weil dort eine umfängliche Sachverhaltsklärung vorgenommen werden könne, während dann in der nächsten Instanz das Oberlandesgericht sich auf die Rechtsfragen beschränken könne. Wie ich schon erwähnt habe, überlegen derzeit die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen, ob sie überhaupt das Thema weiterbetreiben und, wenn ja, ob sie diese Erkenntnisse aus der Sachverständigenanhörung aufgreifen. Natürlich beteiligt sich das Bundesministerium der Justiz an diesen Debatten. Gegebenenfalls würden solche Vorschläge als Änderungsanträge zur Aktienrechtsnovelle 2012 eingebracht. Darüber haben die Berichterstatter aber noch nicht entschieden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Jerzy Montag, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage, da Herr Staatssekretär Stadler auch Ihre beiden Fragen schon beantwortet hat.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich würde gerne zuallererst von Ihnen wissen wollen, wie Sie, Herr Präsident, die Anzahl meiner Nachfragen zu handhaben gedenken, nachdem der Herr Staatssekretär Stadler bei der Beantwortung einer Frage gleich zwei weitere Fragen glaubte mit beantworten zu können. Habe ich jetzt noch zwei, vier oder sechs Nachfragen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Vier Nachfragen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie wunderbar. Danke schön. So viele werden es vielleicht gar nicht. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Aber vielleicht können Sie sie in einer großen Frage zusammenfassen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär Stadler, zuallererst noch einmal zu der Versendung durch Sie und den Anlagen dazu: Ich würde gerne wissen, wie die Bundesregierung und auch Sie persönlich das bewerten. Die Berichterstatter - nennen wir Ross und Reiter - sind die Kollegen Buschmann und Dr. Harbarth. Das, was an die am Gesellschaftsrecht interessierten Verbände verschickt worden ist, wird in dem Anschreiben des Justizministeriums tituliert als ein Vorschlag des Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Nein.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Doch. So jedenfalls habe ich das verstanden. Wenn man sich allerdings diese Anlagen anschaut, dann sind es - Sie kennen den Sprachgebrauch - Non-Paper. Es sind weder Stellungnahmen des Deutschen Anwaltvereins noch eines seiner Ausschüsse. Einen Briefkopf gibt es nicht. Es ist kein Briefkopf irgendeines Rechtsanwalts oder irgendeines Vorsitzenden eines Ausschusses; es ist überhaupt kein Briefkopf, sondern lediglich ein NonPaper. Aber in den Unterzeilen der E-Mail lesen wir die Namen Brügel und Hoffmann-Becking. Das sind zwei Anwälte, wobei zumindest der Kollege Buschmann, einer der Berichterstatter, entweder in der Kanzlei des Anwalts Brügel tätig oder mit ihr verbunden ist. Das alles wird den am Gesellschaftsrecht interessierten Verbänden nicht offengelegt. Wie bewerten Sie es, dass solche Non-Paper vom Bundesjustizministerium verschickt werden, hinter denen sich möglicherweise berufliche oder persönliche Interessen gerade dieser beiden Berichterstatter verstecken?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das war jetzt schon die Redezeit für gut zwei Fragen, nur damit Sie es wissen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Montag, ich bewerte es selbstverständlich positiv, dass das Ministerium als Dienstleister Vorschläge, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages in die Debatte einführen, einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht hat, damit dazu Stellung genommen werden kann. Es ist nicht so - wenn man das Anschreiben genau liest, wird es deutlich -, dass wir gesagt haben: Das ist ein Vorschlag des Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Vielmehr haben wir wahrheitsgemäß und völlig offen bei der Versendung darauf hingewiesen, dass dieser Vorschlag vom Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins unterbreitet worden ist. Frau Kollegin Hönlinger weiß aus der Erörterung im erweiterten Berichterstattergespräch, wie der Vorschlag dort zustande gekommen ist. Wie ich schon sagte, gab es von diesem renommierten Handelsrechtsausschuss einen Vorschlag aus dem Jahr 2007. Dieser ist aktualisiert worden. Der Vorsitzende hat uns allen im Rechtsausschuss geschildert, dass mehrere Mitglieder dieses Ausschusses - wie sonst üblich - daran arbeiten, dass er die Stellungnahmen - so in etwa hat er es geschildert - sozusagen in einer Schlussredigierung zusammenfassen und dann den Abgeordneten zur Verfügung stellen kann. Ich kann darin nichts Verwerfliches sehen, ganz im Gegenteil. Wir bedienen uns doch oft des Sachverstands beispielsweise des Deutschen Anwaltvereins und werden dort gut beraten. Ich darf vielleicht als Beispiel aus dem Strafrecht - weil Sie da besonders engagiert sind - darauf verweisen, dass der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins uns gebeten hatte, für eine frühzeitigere Verteidigerbestellung in Haftsachen zu sorgen. Das ist mittlerweile Gesetz. Es ist also ein völlig alltäglicher Vorgang, dass wir uns diese Expertise in der Gesetzgebung zunutze machen. Die Vorschläge sind verschickt worden. Gestatten Sie mir noch eine kleine Anmerkung. Es kommt darauf an, welchen Inhalt die Vorschläge haben und wie sie bewertet werden. Gerade das ist durch die Versendung ermöglicht worden. Die Länder und die interessierten Kreise konnten dazu Stellung nehmen. Der Rechtsausschuss hat Kritik und Lob auch im Wege einer kleinen Sachverständigenanhörung eingeholt. Jetzt wird der Gesetzgeber daraus seine Schlüsse ziehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Montag.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Stadler, ich habe das Gefühl, dass Sie meiner Frage ausweichen Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Keineswegs.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und sie nicht vollständig und nicht gemäß dem beantworten, was ich gerne von Ihnen hören würde. Mir geht es nicht darum, dass die Bundesregierung und wir Bundestagsabgeordnete uns des Sachverstands sachverständiger Kreise bedienen. Mir geht es darum, dass in jeder Phase des Abschöpfens von Sachverstand transparent gemacht wird, wer aus welcher Quelle und mit welchem Interesse handelt. Mir ist in elf Jahren intensiver Zusammenarbeit mit dem BMJ noch nie untergekommen, dass das Bundesjustizministerium Unterlagen mit ausformulierten Gesetzesvorschlägen verschickt, aus denen sich nicht ergibt, wer sie eigentlich geschrieben hat. In dem Anschreiben schreiben Sie, auf Wunsch der Rechtspolitiker habe der Vorsitzende des Handelsrechtsausschusses des DAV einen Vorschlag gemacht. Das ergibt sich aber nicht aus den Anlagen. Nicht einmal die Namen werden bekannt gegeben. Daher frage ich Sie noch einmal: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass sich hinter dieser sich unschuldig gebenden Formulierung „Die Rechtspolitiker haben Interesse und haben den DAV gebeten“ vielleicht ein Insich-Geschäft verbirgt? Die Rechtspolitiker, die Sie meinen, sind aus den Kanzleien, von denen dann die Vorschläge gemacht werden. Das muss doch offengelegt werden.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Sehr verehrter Herr Kollege Montag, es ist nicht Sache der Bundesregierung, Einfluss darauf zu nehmen, welche Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins im Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins tätig sind. Das entscheidet alleine der Deutsche Anwaltverein. Frau Hönlinger weiß, wie gesagt, aus der Erörterung im Rechtsausschuss, dass der Vorsitzende des Anwaltvereins, Professor Hoffmann-Becking - nennen wir auch hier Ross und Reiter -, klar dargelegt hat, dass eine Mehrzahl von Persönlichkeiten in diesem Ausschuss die Vorschläge erarbeitet hat - so wie es sonst auch üblich ist -, darunter die von Ihnen Genannten, aber auch andere. Das alles ist von uns nicht nachzuprüfen. Wir haben bei der Versendung klar darauf hingewiesen, dass der Vorschlag vom Vorsitzenden des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins unterbreitet worden ist. Für mich kommt es auf den Inhalt der Vorschläge an und nicht darauf, wer sie verfasst hat. Es stand jedermann frei, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern, und das ist ja auch geschehen: Es ist im Rücklauf Kritik gekommen, aber auch Zustimmung. Beispielsweise hat sich heute in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart Eberhard Stilz, ein führender Aktienrechtler, zu den Vorschlägen geäußert, im Wesentlichen übrigens positiv. Er hat noch gewisse Änderungen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: Wir hatten ein Gesetzgebungsverfahren zu einer bestimmten Thematik. Es gab aus den Reihen des Parlaments die Idee, in diesem Zusammenhang noch weitere Themen zu behandeln. Das ist auf diese Weise in sehr sachkundiger Form zur Erörterung gekommen. Wir haben Äußerungen bekommen, und es hat eine weitere, wirklich sachkundige Erörterung im Rechtsausschuss gegeben. Man kann auf dieser Grundlage, ohne dass es um irgendwelche Interesseneinflüsse geht, gestützt durch den Vorschlag des renommierten Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, als Rechtsausschuss, als Gesetzgeber und als Justizministerium, das das Gesetzgebungsverfahren natürlich auch in diesem Punkt begleitet, die Entscheidung treffen, ob man sich die Vorschläge zu eigen macht, ob man sie sich zu einem Teil oder in veränderter Form zu eigen macht oder ob sie in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht mehr aufgegriffen werden. Das ist der schlichte Sachverhalt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Kilic werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zu den beiden Fragen der Kollegin Sonja Steffen. Ich rufe ihre Frage 6 auf: Hält die Bundesregierung eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch von Kindern und minderjährigen Schutzbefohlenen für geboten, und, wenn ja, welche Lösung favorisiert die Bundesregierung? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Präsident, ohne dass ich, glaube ich, den Datenschutz verletze, darf ich sagen: Die Fragen des Kollegen Kilic, die Sie erwähnt haben, hätten die doppelte Staatsangehörigkeit betroffen. Kollege Kilic ist heute aufgrund einer Erkrankung verhindert, teilzunehmen, sodass diese Fragen schriftlich beantwortet werden müssen. Selbstverständlich sind eine mündliche Erörterung und ein mündlicher Vortrag durch mich immer wesentlich ergiebiger. Insofern bedauere ich, dass der Kollege Kilic verhindert ist, und wünsche ihm gute Besserung. Nun zu den Fragen der Kollegin Steffen. Frau Kollegin Steffen, ich bin erfreulicherweise in der Situation, dass ich Ihnen eine ganz aktuelle Information vortragen kann. Die Frage einer Änderung der strafrechtlichen Verjährung bei sexuellem Missbrauch wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs intensiv erörtert. Innerhalb der Bundesregierung und bei den Berichterstattern der Koalition gibt es nun eine Einigung, die strafrechtliche Verjährung in diesen Fällen zukünftig bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Opfers ruhen zu lassen. Demnach würden zukünftig schwere Sexualdelikte frühestens mit Vollendung des 41. Lebensjahres verjähren. Bei Unterbrechungshandlungen, zum Beispiel der ersten Vernehmung des Beschuldigten, könnte sich diese Frist dann künftig bis zum 61. Lebensjahr des Opfers verlängern. Diese Ausdehnung der Verjährungsfrist entspricht sowohl den Vorschlägen des Runden Tisches „Sexueller Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ als auch den Vorschlägen der früheren Unabhängigen Beauftragten für Fragen zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs als auch den Vorschlägen des Bundesrates.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin Steffen.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Es ist natürlich erfreulich, dass Sie sich jetzt der Sache annehmen wollen. Ich habe allerdings noch nicht so ganz verstanden: Wenn Sie den Beginn der Verjährung auf die Vollendung des 21. Lebensjahres heraufsetzen wollen, es aber danach bei den bisherigen Verjährungsfristen bleibt, dann kommen wir ja nur bei schwersten Straftaten dazu, dass eine Verfolgung dieser Straftaten bis zur Vollendung des 41. Lebensjahres möglich ist. Das heißt im Klartext: Bei den bisherigen Abstufungen, die wir haben - 5-jährige Verjährungsfrist, 10-jährige Verjährungsfrist, 20-jährige Verjährungsfrist -, würde es dabei bleiben, dass wir im frühesten Fall nach Vollendung des 26. Lebensjahres ausschließen müssten, dass eine Verfolgung möglich ist?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Kollegin Steffen, zu Recht weisen Sie darauf hin, dass in unserem Vorschlag die bisherige Abstufung der Verjährungsfristen beibehalten wird. Die bisher geltende Rechtslage beruht darauf, dass es unterschiedlich schwere Straftaten gibt, auch im Bereich der Sexualstraftaten. Seit jeher gelten unterschiedlich lange Verjährungsfristen. Das Neue an dem Vorschlag besteht darin, dass es nicht auf den Tatzeitpunkt ankommt, sondern dass unabhängig vom Tatzeitpunkt die Verjährung immer erst dann beginnt, wenn das Opfer das 21. Lebensjahr vollendet. Wenn beispielsweise ein Kind von acht Jahren sexuell missbraucht wird, beginnt die Verjährungsfrist nicht schon zu diesem Zeitpunkt, sondern erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres. Im Ergebnis wird also im Einzelfall und auch generell eine deutliche Verlängerung der Strafverfolgungsmöglichkeit erzielt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zweite Nachfrage.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Uns stellt das Ergebnis Ihrer bisherigen Verhandlungen noch nicht so ganz zufrieden. Wir hatten uns eigentlich erhofft, dass Sie die Verjährungsfristen tatsächlich verlängern, vor allem im Hinblick darauf, dass als Ergebnis des Runden Tisches hervorgehoben wurde, dass die zivilrechtliche Verjährungsfrist, in der die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche aus solchen Verbrechen möglich ist, auf 30 Jahre ausgedehnt wird. Aus unserer Sicht besteht im Grunde genommen ein nicht verständliches Missverhältnis. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Sehr gerne, Frau Kollegin Steffen. - Es gibt eine Angleichung insofern, als bei zivilrechtlichen Ansprüchen die Verjährung auch mit dem 21. Lebensjahr beginnt. Das belassen wir so. Der Beginn der strafrechtlichen Verjährungsfrist wird jetzt genau auf diesen Zeitpunkt festgelegt. Insofern gibt es dann einen Gleichlauf. Allerdings sind die strafrechtlichen Verjährungsfristen seit jeher etwas kürzer. Es treffen hier zwei Probleme aufeinander. Auf der einen Seite wissen wir, dass Opfer von sexuellen Straftaten sich oft erst später öffnen können, in der Lage sind, ihr Wissen zu offenbaren und eine Anzeige zu erstatten. Dem wollen wir Rechnung tragen. Auf der anderen Seite gibt es Verjährungsfristen aus folgendem Grund: Je länger eine Tat zurückliegt, umso schwieriger ist die Beweislage, ist die Aufklärung der Tat. Wenn man eine zu lange Verjährungsfrist vorsieht, wächst die Gefahr, dass die Opfer am Ende enttäuscht werden, weil die von ihnen angezeigte Tat nicht mehr aufgeklärt werden kann. In Abwägung dieser Umstände haben wir uns für die Lösung entschieden, die ich Ihnen vorgetragen habe. Frau Kollegin Steffen, Sie haben noch eine weitere Frage dazu gestellt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann rufe ich jetzt die Frage 7 der Kollegin Sonja Steffen auf: Wird die Bundesregierung einen Entwurf zur Verlängerung der strafrechtlichen Verjährung vorlegen und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Dazu darf ich folgendermaßen antworten: Das Bundesministerium der Justiz unterstützt, wie in solchen Fällen üblich, die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen durch Gewährung einer entsprechenden Formulierungs27840 hilfe. Die von mir vorhin geschilderte Änderung wird nun zeitnah über einen Änderungsantrag in die laufenden Beratungen zum sogenannten StORMG, also zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, eingebracht, voraussichtlich bereits in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Dann sind jetzt die beiden Fragen des Kollegen Burkhard Lischka an der Reihe. Ich rufe zunächst die Frage 8 auf: Soll der laut netzpolitik.org vom Bundesministerium des Innern geplante Einsatz kommerzieller Produkte zur QuellenTKÜ, TKÜ: Telekommunikationsüberwachung, auch im Bereich der Strafverfolgung durch Bundesbehörden erfolgen, solange das Bundeskriminalamt - Kompetenzzentrum für Informationstechnische Überwachung - die Entwicklung einer Überwachungssoftware für die Quellen-TKÜ noch nicht abgeschlossen hat, und, wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Hierzu darf ich Ihnen die Auskunft geben: Die Strafverfolgung im Bereich des Bundes obliegt bekanntlich dem Generalbundesanwalt als Herrn des Ermittlungsverfahrens. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof führt jedoch Quellen-Telekommunikationsüberwachungen weder durch, noch veranlasst er solche Maßnahmen für repressive Zwecke. Also ein klares Nein zu Ihrer Frage!

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Lischka.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Stadler, ist denn aus Ihrer Sicht auszuschließen, dass es zu kommerziellen Zwischenlösungen im Bereich der Strafverfolgung kommt? Die Entwicklung einer eigenen Software durch das BKA - so haben wir Presseberichten entnehmen können - wird noch einige Zeit dauern, sodass das BKA für seinen Bereich darüber nachdenkt, kommerzielle Zwischenlösungen zu realisieren. Ich habe der Presseberichterstattung auch entnehmen können, dass man da ein bestimmtes Produkt der Firma Gamma im Auge hat. Da hat inzwischen wohl auch eine Quellcodeüberprüfung stattgefunden.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Lischka, dies betrifft nicht den Bereich des von mir vertretenen Ministeriums. Jedoch wird nach meinen Informationen im Bundesministerium des Innern geprüft, ob denn der Einsatz solcher Technik überhaupt auf grundrechtskonforme Weise möglich ist, um den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu genügen. Ich darf aber noch einmal betonen, dass der Generalbundesanwalt, dessen Handeln in den Verantwortungsbereich des Bundesministeriums der Justiz fällt, solche Anträge auf Quellen-TKÜ nicht stellt und eine solche Technik somit nicht einsetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage?

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Die Antwort war ein bisschen ausweichend. Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Generalbundesanwalt solche Anträge auch nicht stellen wird, solange es nur kommerzielle Zwischenlösungen gibt?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Der Generalbundesanwalt stellt solche Anträge nicht, wenn die Durchführung einer solchen Maßnahme nicht in einer Weise gewährleistet werden kann, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspräche. Das ist die derzeitige Situation.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Lischka auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Generalbundesanwalts, nach der die Strafprozessordnung derzeit keine verfassungsgemäße Ermächtigung zum Einsatz von Quellen-TKÜ zur Strafverfolgung enthält?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Nach Ansicht des Generalbundesanwalts fehlt es für den strafprozessualen Bereich tatsächlich an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Die in fachgerichtlichen Entscheidungen als Eingriffsgrundlage herangezogene Vorschrift des § 100 a der Strafprozessordnung vermöge nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung von 2008 die Maßnahme nur zu rechtfertigen, wenn sichergestellt werden kann, dass ein weiter gehender Eingriff in die Vertraulichkeit und Integrität des geschützten Systems unterbleibt. Eine solche Begrenzung des Eingriffs auf das zulässige Maß kann jedoch nach Ansicht des Generalbundesanwalts derzeit technisch nicht hinreichend sicher gewährleistet werden. Allerdings existiert eine Reihe von Entscheidungen von Amtsgerichten und Landgerichten, in denen der § 100 a StPO sehr wohl als Rechtsgrundlage herangezogen wird. Soweit bekannt, gehen diese Gerichte mittlerweile regelmäßig davon aus, dass dies die geeignete Rechtsgrundlage ist. Allerdings müsste bei Durchführung einer so genehmigten Quellen-TKÜ wiederum die verfassungsrechtliche Vorgabe beachtet werden. Diese Fragen werden von der Bundesregierung weiterhin intern im Hinblick darauf erörtert - das haben Sie auch in der Frage angesprochen -, ob es derzeit einen Änderungsbedarf für den Gesetzgeber gibt.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wann ist denn damit zu rechnen, dass diese internen Erörterungen möglicherweise abgeschlossen werden? Ist noch in dieser Legislaturperiode damit zu rechnen, dass möglicherweise eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage geschaffen wird? Sie haben zwar recht, dass einzelne Amtsgerichte diese Probleme im Augenblick nicht haben. Aber wenn der Generalbundesanwalt hier rechtliBurkhard Lischka che Probleme sieht, dann ist das ja nicht ganz unerheblich.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Lischka, allerdings habe ich auch betont, dass selbst dann, wenn man in Einklang mit verschiedenen Amts- und Landgerichten § 100 a StPO als die geeignete Rechtsgrundlage ansieht, die Durchführung einer solchen Quellen-TKÜ immer so ausgestaltet werden muss, dass nur die reine Telekommunikation überwacht wird und kein weiter gehender Grundrechtseingriff erfolgt. Dies ist derzeit technisch gar nicht möglich. Wie Sie wissen und in Ihrer ersten Frage angesprochen haben, gibt es dazu technische Untersuchungen, die das Bundeskriminalamt im Auftrag des Bundesinnenministeriums durchführt. Dies bedingt einander. Wenn es die Technik nicht gibt, braucht man auch keine gesetzliche Änderung. Sollte die Technik entwickelt werden, dann muss man überlegen, ob auch eine Anpassung des § 100 a und b StPO erforderlich ist. Daher hängt die Beantwortung Ihrer Frage davon ab, wie rasch die technischen Untersuchungen fortschreiten. Sie dauern schon eine geraume Zeit und können offenbar nicht so schnell abgeschlossen werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Nachfrage.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch einmal nachfragen: Wenn ich Sie richtig verstehe, bedeutet das, dass Sie zunächst abwarten, ob eine verfassungskonforme technische Lösung möglich ist. Erst dann wären Sie bereit, eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Bis dahin würden Sie auch akzeptieren, wenn im Einzelfall Amtsgerichte auf Grundlage des § 100 a Strafprozessordnung - hier hat der Generalbundesanwalt ja verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht - entsprechende Entscheidungen für den Einsatz einer Software treffen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Noch einmal: Wenn solche Entscheidungen getroffen werden, bedeutet das noch nicht, dass sie auch ausgeführt werden können; denn auch die Ausführung muss den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Im Übrigen haben Sie recht, dass wir natürlich sowohl die juristische Diskussion - dazu hat der Generalbundesanwalt eine klare Auffassung geäußert - als auch die weitere technische Entwicklung im Auge haben müssen und sozusagen mit dem bei Juristen gewohnten Pendelblick entscheiden werden, wann eine Gesetzesänderung erforderlich wird oder ob sie entbehrlich ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik an den Sparpaketen, die Griechenland als Bedingung für die Gewährung von Garantien ({0}) von der Troika auferlegt wurden, nachdem diese von den Ökonomen des Internationalen Währungsfonds, IWF, Oliver Blanchard und Daniel Leigh mit der Feststellung bestätigt wurde, der IWF habe die negativen Folgen für die Volkswirtschaft nicht vorhersehen können und man habe den Anstieg der Arbeitslosigkeit und den Rückgang der Binnennachfrage unterschätzt ({1}), und ist die Bundesregierung nunmehr bereit, die Sparzwänge für Griechenland und andere EU-Länder aufzuheben und Sparauflagen zulasten der Armen und Geringverdienenden nicht mehr zuzulassen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Präsident! Lieber Kollege Ströbele, im Kern zielt Ihre Frage auf die Debatte der Multiplikatoren von fiskalpolitischen Maßnahmen und ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ab. Herr Kollege Ströbele, ich will die Frage dahin gehend beantworten, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Troika die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Konsolidierung selbstverständlich angemessen berücksichtigt. Was den wirtschaftspolitischen Kern Ihrer Frage angeht, will ich darauf verweisen, dass wir uns im Bundesfinanzministerium sehr intensiv mit der Debatte der Multiplikatoren auseinandergesetzt haben. Umgangssprachlich formuliert lautet die Frage: Kann man eine Volkswirtschaft kaputtsparen? Die von Ihnen vorgetragenen Äußerungen zweier Volkswirte des Internationalen Währungsfonds sind in der wissenschaftlichen Literatur höchst umstritten. Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission, aber auch eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern gehen insbesondere mittel- und langfristig von sehr viel positiveren Wirkungen der Konsolidierung aus. Wir haben die Debatte in unserem aktuellen Monatsbericht zusammengefasst, den ich Ihnen im Nachtrag zu unserer Fragestunde gerne übersende. Also, in Kurzform: Die Formulierungen von Blanchard und anderen erweisen sich als sehr streitig. Die Bundesregierung geht perspektivisch von langfristig und mittelfristig positiven Auswirkungen der Konsolidierungsstrategien aus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, muss ich davon ausgehen, dass die Bundesregierung und auch die Europäische Gemeinschaft unbelehrbar sind, wenn im IWF, von dem in der Vergangenheit immer die schärfsten Sparauflagen vertreten wurden, zumindest Zweifel aufgekommen sind? Ich will diese Gutachten gar nicht überbewerten. Ist die Bundesregierung nicht langsam bereit, die konkreten Zahlen aus Griechenland zur Kenntnis zu nehmen? Es wird aus Griechenland berichtet, dass die Wirtschaft dort weiter schrumpft, die Arbeitslosigkeit jedes Jahr exorbitant steigt und Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung - zu Recht - steigen. Das Wahlergebnis in Italien zeigt uns, dass solche Sparauflagen nicht nur zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen, sondern auch zu politischen Turbulenzen, die niemand wollen kann.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung teilt Ihre dargelegten wirtschafts- und allgemeinpolitischen Analysen im Wesentlichen nicht. Im Einzelnen will ich auf zwei Punkte hinweisen: Erstens. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hat sich in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren erheblich verbessert. Es findet eine Rebalancierung des griechischen Außenhandels statt. Die Lohnstückkosten sinken. Der Fortschritt, den die griechische Volkswirtschaft macht, deckt sich nicht mit Ihrer negativen Analyse. Im Gegenteil: Die griechische Volkswirtschaft hat durch die notwendigen Anpassungsmaßnahmen, durch die Reformen, die sich nicht nur auf den Fiskalbereich beziehen, sondern im Wesentlichen die Angebotsbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaft adressieren, erst wieder die Möglichkeit bekommen, in weltwirtschaftliche Bereiche reintegriert zu werden. Das gilt im Übrigen auch für die anderen Programmländer, Herr Kollege. Zweitens. Ich darf daran erinnern, dass die irische Regierung, auch ein Programmland, angekündigt hat, möglicherweise noch in diesem Jahr aus dem Programm auszuscheiden. Auch andere Staaten bemühen sich redlich, ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen. Ihrer Behauptung, dass diese Politik nicht erfolgreich sei, kann die Bundesregierung - bei allem Respekt vor Ihrer politischen Lebensleistung - nicht folgen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung, also zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts und der Arbeitslosigkeit, Ihrer Aussage von soeben eklatant widersprechen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal bin ich verwundert, dass Sie das Bruttosozialprodukt als Indikator für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wählen, wo doch gerade die Grünen fundamentale Kritik daran geäußert haben, das BSP als Indikator zu wählen. Etwas seriöser darauf geantwortet: Die Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts wurde in den Prognosen der Kommission bzw. der Troika vorausgesagt. Wir halten es für notwendig, dass die nicht wettbewerbsfähigen Teile der griechischen Volkswirtschaft schrumpfen. Jetzt findet eine Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten auf die wettbewerbsfähigen Teile der Volkswirtschaft statt. Das führt dazu, dass die Exporterfolge steigen und die Haushaltskonsolidierung zum Erfolg führt. Manchmal bedarf es einer bitteren Medizin, bevor es dem Patienten gut geht. ({0}) Wie gesagt, die Medizin war für Griechenland sehr bitter; aber der Patient befindet sich eindeutig auf dem Weg der Besserung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Ströbele: Welche in Deutschland niedergelassenen oder tätigen großen Unternehmen - wie etwa Google, Apple, Amazon, Starbucks -, die in einem der wichtigsten Börsenindizes geführt werden - der Deutschen Börse AG, zum Beispiel DAX, SDAX, MDAX, TecDAX; in EURO STOXX 50, Dow Jones, Nikkei 225, S&P 500, NASDAQ 100, FTSE 100, SMI, AEX oder in RTS -, führen nach Kenntnis der Bundesregierung auf ihre im Ausland und speziell in Deutschland erzielten Unternehmensgewinne Steuern lieber in anderen Staaten nur in Höhe von unter 20 Prozent ab - etwa in den USA, Irland, den Niederlanden, Zypern oder den karibischen Staaten -, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung kurz- und mittelfristig gegenüber diesen Unternehmen ({0}) sowie bezüglich der oben genannten Staaten mit solchen Niedrigsteuerangeboten, vor allem der EU-Staaten, die EU-Finanzhilfen erhielten, erhalten bzw. wünschen, ergreifen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich für diese Frage; denn sie gibt mir die Möglichkeit, hier die umfassenden Aktivitäten des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble im Hinblick auf eine anständige Besteuerung der multinationalen Konzerne deutlich darzulegen. Ich will Sie darauf hinweisen, dass es aufgrund der deutsch-britischen Initiative, bei diesem Thema im Rahmen der G 20 noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung zu kommen, gerade beim letzten Treffen der Finanzminister der G 20 - und dieses Thema wird von den G 20 zu adressieren sein - zu einem erheblichen Fortschritt in der Debatte gekommen ist. Uns geht es um eine faire Besteuerung und ein gemeinsames, international abgestimmtes Vorgehen gegen aggressives Verhalten multinationaler Unternehmen im Hinblick auf Steuern. Deswegen beabsichtigen wir, auf dem nächsten G-20Finanzministertreffen wichtige Schlussfolgerungen aus dem Projekt „Base Erosion and Profit Shifting“ zu ziehen, das die OECD für die G 20 durchführt und sich mit der Erosion der Steuerbasis und der Verlagerung von Profiten beschäftigt. Wir werden darüber zu diskutieren haben, wie mit unterschiedlichen Fallkonstruktionen des deutschen Steuerrechts umzugehen ist, etwa in Bezug auf ausländische Konzerne, die in Deutschland Leistungen erbringen, aber hier nicht steuerpflichtig sind, oder auf ausländische Konzerne mit Tochtergesellschaften bzw. Betriebsstätten in Deutschland. Schließlich müssen wir über Maßnahmen der Bundesregierung gegen Niedrigsteuerangebote von Staaten insbesondere in der EU diskutieren. Wolfgang Schäuble hat diese Themen auf die internationale Tagesordnung gesetzt; die Bundesregierung hat die Debatte vorangetrieben. Insofern bedanke ich mich, dass Sie mir mit Ihrer Frage die Möglichkeit geben, auf diesen Aspekt der Steuergerechtigkeit hinzuweisen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ist keine Antwort auf meine Frage. Lesen Sie doch einmal den ersten Teil meiner Frage durch. Da steht sinngemäß: Welche der aufgeführten DAX-Unternehmen versteuern nach Kenntnis der Bundesregierung ihre Gewinne, die sie auch in Deutschland erzielen, nicht in Deutschland, sondern allenfalls irgendwo im Ausland, und zwar zu einem Steuersatz von unter 20 Prozent? Ich habe jetzt von Ihnen erwartet, dass Sie die einzelnen von mir genannten Unternehmen und auch andere aufführen und sagen, auf welche dies zutrifft, und vielleicht auch gleich die Summe hinzufügen, die hier nicht versteuert wurde und in Sicherheit gebracht worden ist.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, da Sie im Zivilberuf Rechtsanwalt sind, wissen Sie aufgrund Ihrer umfassenden juristischen Expertise, dass die Bundesregierung Ihnen aufgrund des Steuergeheimnisses keine Information über eine einzelne in Deutschland ansässige Gesellschaft geben darf. Von daher verwundert es mich, dass Sie von mir hier einen Rechtsbruch vor dem Deutschen Bundestag erwarten. Ich darf Ihnen aber ausdrücklich bestätigen, dass wir die internationale Debatte über die steuerrechtlich offene Bilanzanalyse der internationalen Konzerne zum Anlass genommen haben, das Projekt BEPS auf die Tagesordnung zu setzen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Erkenntnisse der Steueranalysten - nicht die der Bundesregierung - über die erschreckend niedrige Besteuerung von in Europa erwirtschafteten Gewinnen zur Verfügung zu stellen. In der wissenschaftlichen Literatur wird beispielsweise davon ausgegangen, dass Microsoft den im Ausland erwirtschafteten Gewinn in den USA mit ungefähr 1 Prozent versteuern muss, Google mit 3 Prozent. Dies liegt deutlich unter den von uns angestrebten Unternehmensteuersätzen. Deswegen überprüfen wir im Rahmen des BEPS-Projektes die Angaben der wissenschaftlichen Literatur, um daraus die notwendigen steuerpolitischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn man seine Gewinne lediglich mit 1 Prozent versteuern muss, dann empfinden wir das als unangemessen niedrig. Deshalb werden wir uns von keinem überholen lassen, wenn es darum geht, diese unfaire und ungerechte Benachteiligung, beispielsweise der vielen anständigen, in Deutschland Steuern zahlenden Unternehmen, zu beseitigen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zweite Nachfrage, Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie wenigstens ein Unternehmen nennen und auch die Steuersätze benennen, die tatsächlich gezahlt werden, nämlich 1 Prozent. Das ist immerhin eine kleine Anfangsinformation; ich bin damit aber nicht zufrieden. Sind Sie denn wenigstens bereit, Gesamtsummen zu nennen? Wie viele Milliarden an Gewinnen werden ins Ausland transferiert und dort mit 1, 3 oder 15 Prozent versteuert? Wie viele Steuereinnahmen entgehen dem deutschen Fiskus durch diese Steuerflucht?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, ich wiederhole, dass ich Ihnen keine Primärerkenntnisse nennen kann. Ich habe nur auf die Analyse von Bilanzen durch Steuerjuristen und Steuerökonomen abgehoben, die in der wissenschaftlichen Literatur bisher vorhanden sind. Wir werden uns dieses Problems innerhalb der G 20 annehmen müssen. Sie sind nicht der Erste, dem das aufgefallen ist. Die Bundesregierung hat in dieser Hinsicht keinerlei Nachholbedarf. Vielmehr haben wir mit unseren europäischen Partnern, die am Anfang der Debatte überhaupt nicht begeistert waren - in Teilen zumindest -, hier die Dinge etwas voranzutreiben, im Rahmen der G 20 einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Wir wollen eine faire Besteuerung. Wir wollen, dass die in Deutschland erwirtschafteten Gewinne möglichst umfassend durch das deutschen Steuerrecht erfasst werden, sodass es keine Erosion der Steuerbasis und keine von den europäischen Steuerbürgern als illegitim empfundene Verschiebung von Profiten innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union geben wird. Nochmals: Wir bedanken uns für die Möglichkeit, unsere Aktivitäten darzulegen, und hoffen bei unseren internationalen Bemühungen auch auf die Unterstützung der Opposition.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Barbara Höll, die Fragen 14 und 15 des Kollegen Axel Troost und die Frage 16 der Kollegin Monika Lazar werden schriftlich beantwortet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische Staatssekretär Ralf Brauksiepe. Ich rufe zunächst die Frage 17 des Kollegen Willi Brase auf: Wie viele Jugendliche befanden sich zum Ende des sogenannten fünften Quartals in einer EQ-Plus-Maßnahme ({0}), und nach welchen Kriterien wurde ihnen eine EQ nicht zugewiesen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Herr Kollege Brase. - Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Frage kann von der Bundesregierung deshalb nicht umfassend beantwortet werden, weil hierzu nicht für alle Fallgestaltungen einer Einstiegsqualifizierungsmaßnahme, einer sogenannten EQ-PlusMaßnahme, statistische Daten vorliegen. EQ Plus ist ein Angebot der Wirtschaft im Rahmen des Ausbildungspaktes. Bei EQ Plus handelt es sich um Einstiegsqualifizierungen speziell für förderungsbedürftige Jugendliche, im Rahmen derer gezielte Unterstützungsangebote, zum Beispiel ausbildungsbegleitende Hilfen, genutzt werden. Zu den gezielten Unterstützungsangeboten zählen aber auch ergänzende berufsschulische Angebote, zum Beispiel zum Abbau schulischer Defizite - dazu zählt zum Beispiel das EQ-Plus-Konzept in Sachsen-Anhalt -, die Betreuung durch ehrenamtliche Mentoren- bzw. Patenprogramme, gegebenenfalls die Fortsetzung der Betreuung durch Berufseinstiegsbegleiter, die betriebliche Nachhilfe oder vergleichbare private Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung leistungsschwächerer Jugendlicher, zum Beispiel über Stiftungen, Verbände und Kammern. Über die zahlenmäßige Umsetzung wird in den gemeinsamen Erklärungen der Partner des Ausbildungspakts berichtet. In der gemeinsamen Erklärung vom 6. Februar 2013 ist keine auf EQ Plus bezogene Aussage getroffen worden. Von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit werden EQ-Plus-Maßnahmen nur erfasst, wenn eine Einstiegsqualifizierung mit einer ausbildungsbegleitenden Hilfe gefördert wird. Endgültige Daten zum Ende des sogenannten fünften Quartals, also zum Ende der Nachvermittlung im Februar eines Jahres, liegen erst drei Monate später vor, in diesem Fall also Ende April 2013. Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 SGB III können nur lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Teilnehmer einer Einstiegsqualifizierung mit ausbildungsbegleitenden Hilfen gefördert werden. Sofern diese Voraussetzungen im Einzelfall nicht vorliegen, ist eine Förderung in Form einer Einstiegsqualifizierung in Kombination mit einer ausbildungsbegleitenden Hilfe rechtlich nicht möglich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Brase.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich möchte doch noch einmal nachfragen: Das Bündel an Maßnahmen, das Sie hier beschrieben haben, ist bekannt. Es gibt sicherlich unterschiedliche Auffassungen dazu, welche Maßnahme den Jugendlichen tatsächlich dient oder nicht. Aber es muss doch möglich sein, herauszubekommen, wie viele Jugendliche nach dem Durchlaufen von EQ- und EQ-PlusMaßnahmen tatsächlich in eine duale Ausbildung gehen. Wenn ich mich richtig erinnere, Herr Staatssekretär, hat Ihr Haus dies in der Vergangenheit evaluiert und untersucht. Wir haben hier im Parlament darüber diskutiert und festgestellt, dass 60, 65, 67 Prozent der Jugendlichen, die eine EQ-Maßnahme absolviert haben, in eine duale Ausbildung gingen. Mich erstaunt, dass Sie dies nicht erforschen. Mich wundert, dass Sie das nicht nachhalten können. Ich will gleich eine Frage nachschieben: Worin besteht eigentlich der reale Unterschied zwischen EQ-Plus- und EQ-Maßnahmen? Ist das nicht eher wieder eine Zersplitterung? Ist es nicht eher schlecht, dass wir zusätzlich noch ein weiteres kleines Sonderprogramm haben? Reicht es nicht, dass es EQ-Maßnahmen gibt?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Brase, Sie haben ganz gezielte Fragen zu EQ Plus gestellt. In diesem Zusammenhang habe ich darauf hingewiesen, dass wir aufgrund der Datenlage nicht auf jede Detailfrage eine Antwort liefern können. Ich bestätige Ihnen allerdings sehr gerne, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Evaluation der Einstiegsqualifizierung vorgenommen hat. Der evaluierte Zeitraum umfasste die Jahre 2009 bis 2012. Ich kann Ihnen versichern und bestätigen, dass diese Evaluation insgesamt ein gutes Ergebnis an den Tag gebracht hat. Der jahresdurchschnittliche Teilnehmerbestand bei der Einstiegsqualifizierung lag im Jahr 2011 bei 16 493, und wir haben eine Eingliederungsquote von 66,3 Prozent. Das ist ein gutes Ergebnis für die Einstiegsqualifizierung insgesamt. Ich denke, dass es durchaus Sinn macht, dass es darüber hinaus für Jugendliche, die einer besonderen Förderung bedürfen, ein entsprechendes zusätzliches Angebot gibt. Dieses zusätzliche Angebot wird unter anderem mit dem Begriff „EQ Plus“ umschrieben. Der Hinweis darauf, dass wir nicht für jedes Detail statistische Angaben haben, soll in der Tat nicht den Eindruck überdecken - deshalb bin ich für die Frage dankbar; sie gibt mir Gelegenheit, das noch einmal klarzustellen -, dass dieses Instrument erfolgreich ist. Das zeigt auch unsere Evaluation.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Brase.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will doch noch einmal nachfragen, weil in der Frage auch stand, nach welchen Kriterien den betroffenen Jugendlichen EQ-Maßnahmen angeboten werden. Dafür muss es doch zumindest bei der Agentur für ArWilli Brase beit Kriterien geben. Man muss denjenigen, die diese Programme durchführen, doch ein paar Hinweise geben. Das kann ja wohl nicht im Belieben des einzelnen Berufsberaters bzw. der einzelnen Berufsberaterin liegen. Es muss doch etwas vorgegeben sein, damit man weiß: Aha, dieser Teil der Jugendlichen kann EQ-Maßnahmen absolvieren.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Brase, wie Sie sicherlich wissen, haben wir bei unserer Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente sehr wohl Wert darauf gelegt, dass Entscheidungen dezentral, also bei den Experten vor Ort, getroffen werden können. Die Abwägung, welches das geeignete Instrument ist, kann, denke ich, nur vor Ort stattfinden. Fest steht: Wir haben ein, wie ich finde, wirklich vorbildliches Bündel an Maßnahmen, um junge Menschen da abzuholen, wo sie sind, um sie durch die Schule und auch noch durch einen Teil ihrer Ausbildung zu begleiten. Es gibt umfangreiche Maßnahmen zur finanziellen Förderung, und über diese finanzielle Förderung hinaus gibt es eine umfangreiche Betreuung. Im Ausbildungspakt ist auch das Instrument der Einstiegsqualifizierung verabredet worden. Dass wir in Europa spitze sind bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, kommt nicht von ungefähr. Die Einstiegsqualifizierung ist als betriebliches Langzeitpraktikum für marktbenachteiligte, noch nicht ausbildungsreife, sozial benachteiligte oder lernbeeinträchtigte Ausbildungssuchende gedacht. So ist sie konzipiert. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss vor Ort geprüft werden. Wo der zuständige Entscheider im Hinblick auf die geeignete Maßnahme zu einer anderen Entscheidung kommt, wird er - davon gehe ich aus - davon ausgehen, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen bzw. ein anderes Instrument aus unserer umfangreichen Instrumentenpalette besser geeignet ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Brase auf: Wie viele Jugendliche wurden nach erfolgreich absolvierter EQ- bzw. EQ-Plus-Maßnahme 2012 in eine duale Ausbildung übernommen, und wie viele von ihnen waren Jugendliche mit Migrationshintergrund - bitte um eine Differenzierung nach Geschlecht?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ich antworte Ihnen darauf wie folgt, Herr Kollege Brase: Im Rahmen der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit wird standardmäßig ermittelt, ob sich ein Teilnehmer zum Zeitpunkt sechs Monate nach Maßnahmenaustritt in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung befindet. Im Rahmen dieser Ermittlung ist auch feststellbar, ob es sich bei der Beschäftigung um eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung handelt. Einmündungen in eine schulische Berufsausbildung sind darin nicht enthalten. Eine Auswertung nach dem Merkmal Migrationshintergrund ist derzeit noch nicht möglich. Für die Zahl der Austritte aus EQ und ausbildungsbegleitenden Hilfen mit dem Ziel des erfolgreichen Verlaufs einer EQ von Februar 2011 bis Januar 2012 lauten die entsprechenden Ergebnisse, differenziert nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit, wie folgt: Was die Austritte aus einer Einstiegsqualifizierung betrifft, so sind bei 30 158 Austritten 15 504 Teilnehmende sechs Monate nach Austritt in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung. Differenziert nach dem Geschlecht, mündete die Maßnahme bei 8 804 Männern und 6 700 Frauen in eine solche Ausbildung. Von 3 953 Ausländern mündete die Maßnahme bei 1 033 Männern und 866 Frauen in eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung. Was Austritte aus EQ Plus in Kombination mit ausbildungsbegleitenden Hilfen betrifft, so sind von 895 Teilnehmenden an einer EQ-Plus-Maßnahme, kombiniert mit ausbildungsbegleitenden Hilfen, 531 Teilnehmende sechs Monate nach Austritt in einer sozialversicherungspflichtigen Ausbildung. Differenziert nach Geschlecht, mündete die Maßnahme bei 383 Männern und 148 Frauen in eine solche Ausbildung. Von 180 Ausländern mündete die Maßnahme bei 75 Männern und 29 Frauen in eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Herr Kollege.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Nachfrage: Wann können wir erfahren, wie viele Jugendliche mit Migrationshintergrund direkt diesen Weg gegangen sind bzw. in Ausbildung gekommen sind? Sie erwähnten eingangs, dass Sie das im Moment nicht sagen könnten. Mich würde interessieren, wann Sie damit rechnen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Brase, die Antwort muss ich Ihnen nachreichen. Das Merkmal Migrationshintergrund ist in der Tat ein anderes als das Merkmal Ausländer, das einfacher zu erfassen ist. Meine Information ist nur, dass wir das hier, wie an anderen Stellen auch, noch nicht haben. Ich reiche Ihnen das gerne nach. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen damit zu den beiden Fragen des Kollegen Markus Kurth, zunächst zu Frage 19: In welcher Höhe erhofft sich die Bundesregierung Einnahmen bei einer möglichen Rückerstattungsforderung an die Bundesländer bezüglich der nicht verausgabten Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket für das Jahr 2012 ({0}), und wie viele der rund 2,5 Millionen anspruchsberechtigten Kinder haben schätzungsweise im Jahr 2012 keine ihnen zustehenden Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Kurth, ich antworte Ihnen wie folgt: Es geht in der aktuellen Diskussion nicht darum, dass sich der Bund Einnahmen erhofft. Der Bund hat ebenso wie Länder und Kommunen ein Interesse daran, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket möglichst breit in Anspruch genommen werden. Der Bund hatte sich deshalb 2011 im Vermittlungsverfahren auf Wunsch der Länderseite bereit erklärt, für den Fall, dass die Kommunen im Jahr 2012 mehr für Bildungs- und Teilhabeleistungen ausgegeben haben, als es der Höhe des finanziellen Ausgleichs seitens des Bundes über seinen überhöhten Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende entspricht, diese Differenz im Jahr 2013 auszugleichen. Für den Bund ist es selbstverständlich, dieser Zusage nachzukommen. Im Gegenzug erwartet der Bund aber auch, dass Mittel, die nicht für Bildungs- und Teilhabeleistungen verausgabt wurden, gegenüber dem Bund ausgeglichen und nicht für andere Zwecke eingesetzt und damit zweckentfremdet werden. Der Bund sorgt seit 2011 über eine zunächst um 5,4 Prozentpunkte erhöhte Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung für einen umfassenden finanziellen Ausgleich für Bildungs- und Teilhabeleistungen der Kommunen. Diese erhöhte Bundesbeteiligung wird künftig regelmäßig mit den tatsächlichen Ausgaben für das Bildungspaket abgeglichen und entsprechend angepasst. Das ist die sogenannte Revision. Im Jahr 2013 wird diese im Gesetz verankerte Revisionsklausel erstmals angewandt. Sie sieht vor, dass nach Vorlage der Leistungsdaten für das Jahr 2012 die erhöhte Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung für das laufende Jahr 2013 auf der Grundlage dieser Leistungsdaten angepasst und fortgeschrieben wird und ergänzend dazu auch ein Ausgleich für 2012 erfolgt. Maßgabe im Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch war, dass die Mittel gemäß der erhöhten Beteiligungsquote des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung ab 2012 ausschließlich für das Bildungs- und Teilhabepaket einzusetzen sind. Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hat im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mehr als 2 000 anspruchsberechtigte Familien zum Bildungs- und Teilhabepaket befragt. Danach hatten bis Anfang 2012 bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende 54 Prozent der Berechtigten Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bereits beantragt oder genutzt. Bei Beziehern von Kinderzuschlag und Wohngeld lag die Quote bei 78 Prozent. Diese Befragung wird gegenwärtig wiederholt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Herr Kollege Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie davon sprechen, dass Sie sichergehen wollen, dass die Gelder nicht zweckentfremdet werden, frage ich: Wie würde denn im Falle der Rückerstattung die Bundesregierung sicherstellen, dass möglicherweise zurückerstattete Mittel bei den leistungsberechtigten Kindern und Jugendlichen ankommen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Kurth, ich kann den in Ihrer Frage aufgeworfenen Zusammenhang nicht nachvollziehen. Ich will noch einmal sagen, dass wir das Bildungs- und Teilhabepaket gemeinsam auf den Weg gebracht haben, nachdem höchstrichterlich festgestellt worden ist, dass verschiedene Regelungen im Bereich des Sozialgesetzbuches II, die seit dem Jahr 2005 galten - dies war mit den damaligen Mehrheiten seinerzeit in Kraft gesetzt worden -, eben nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprachen. Die Bundesregierung hat ein hohes Interesse daran, dass diese zusätzlich geschaffenen Möglichkeiten in Anspruch genommen werden. Deswegen habe ich gleich zu Anfang meiner Antwort darauf hingewiesen, dass es nicht das Ziel der Bundesregierung ist, Geld zurückzubekommen. Es ist jedoch nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, auch gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber und den Beschlüssen, die er gefasst hat, darauf zu achten, dass die vom Haushaltsgesetzgeber bereitgestellten Mittel in der Tat für die Zwecke genutzt werden, für die sie bereitgestellt worden sind. Wenn das nicht der Fall ist, ist es ganz selbstverständlich, dass die Mittel in den Bundeshaushalt zurückfließen. Genauso müssen an anderer Stelle Mittel überplanmäßig bereitgestellt werden, wenn es die entsprechende gesetzliche Grundlage dafür gibt. Etwas Selbstverständlicheres gibt es eigentlich in diesem Bereich nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn das so ist, Herr Brauksiepe, dann hätten Sie ja eigentlich schon für das Jahr 2011 entsprechende Maßnahmen bezüglich der Mittel für das Bildungs- und Teilhabepaket treffen müssen. Sehen Sie das nicht auch so?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Nein, Herr Kollege, das sehe ich nicht so, weil wir uns an getroffene Verabredungen halten. Das, was ich Ihnen hier für das Jahr 2012 geschildert habe, ist das, was im Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - dazu habe ich Ihnen gerade vorgetragen - zwischen allen Beteiligten verabredet worden ist, das heißt insbesondere zwischen den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat mit tatkräftiger Mithilfe des Verfassungsorgans Bundesregierung. Das gilt für uns.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Markus Kurth auf: Auf welcher Rechtsgrundlage erhebt die Bundesregierung mögliche Rückerstattungsforderungen an die Bundesländer, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls gewillt, auf ebendieser Grundlage die Rückerstattung nicht verausgabter Mittel gerichtlich einzuklagen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ich antworte Ihnen wie folgt, Herr Kollege: § 46 Abs. 7 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den nach § 46 Abs. 6 Satz 2 SGB II an die Ausgaben für die Bildungs- und Teilhabeleistungen angelehnten Teil der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 46 Abs. 5 SGB II durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen. Nach der Rechtsauffassung des Bundes ergibt sich aus der Regelung des § 46 Abs. 7 Satz 3 SGB II, dass die Differenz zwischen dem erstmals für das abgelaufene Jahr 2012 ermittelten Anteil der Gesamtausgaben für Bildungs- und Teilhabeleistungen an den Gesamtausgaben für Unterkunft und Heizung einerseits und dem vorläufig angenommenen Anteil in Höhe von 5,4 Prozent andererseits im laufenden Jahr, also im Jahr 2013, in voller Höhe, also für 2012 und die ersten Monate 2013, zeitnah auszugleichen ist. Die Regelungen zur Revision der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 46 Abs. 7 SGB II wurden im Vermittlungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, wie von mir schon in der Antwort auf Ihre erste Frage erwähnt, einvernehmlich mit den Ländern vereinbart. Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass auch die aktuellen Meinungsverschiedenheiten gemeinsam mit den Ländern einvernehmlich ausgeräumt werden können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kurth, bitte.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe mir gedacht, dass Sie auf den § 46 Abs. 7 SGB II eingehen, in dem die Revisionsklausel beschrieben ist. Da heißt es ja: Das Bundesministerium wird ermächtigt, den Wert des Anteils des Bildungs- und Teilhabepakets an den Kosten der Unterkunft - jetzt aufpassen! - erstmalig im Jahr 2013 … für das Folgejahr festzulegen und für das laufende Jahr rückwirkend anzupassen. - Dieser Wert wird also im Jahr 2013 neu festgelegt und für das laufende Jahr - dann steht da dieses merkwürdige Wort „rückwirkend“ - angepasst. Das laufende Jahr ist ja 2013, sodass sich der Rechtsanspruch nicht auf 2012 erstreckte. Stimmen Sie mir zu, dass dies mindestens missverständlich, möglicherweise aber sogar ein Beispiel für eine handwerklich eher schlecht gemachte Gesetzesformulierung ist, die diese Diskussion überhaupt erst in Gang gesetzt hat?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Nein, Herr Kollege, von dem Vorwurf, ein Gesetz schlecht gemacht zu haben, möchte ich Bundestag und Bundesrat freisprechen. Es ist vielmehr so, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 46 Abs. 8 SGB II bis zum 31. März dieses Jahres eine Mitteilung der Länder in Bezug auf die tatsächliche Mittelinanspruchnahme erwartet. Ich darf den entsprechenden Satz aus § 46 Abs. 8 SGB II zitieren. Es heißt dort: Die Gesamtausgaben für die Leistungen nach § 28 sowie nach § 6 b des Bundeskindergeldgesetzes sind durch die Länder bis zum 31. März des Folgejahres zu ermitteln und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales mitzuteilen. Das Folgejahr ist in diesem Zusammenhang das Jahr 2013; es geht also um das Jahr 2012. In der von Ihnen angesprochenen Vorschrift des § 46 Abs. 7 SGB II heißt es, dass diese Beteiligung erstmalig im Jahr 2013 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für das Folgejahr festzulegen ist. Das ist genau der Zustand, der in diesem Jahr eintreten wird. Die Quote von 5,4 Prozent haben wir ja gesetzlich geregelt. Diese müssen wir nicht in diesem Jahr erstmalig durch Rechtsverordnung regeln, sondern in diesem Jahr ist durch Rechtsverordnung die bisher festgelegte und vereinbarte Quote von 5,4 Prozent den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen; das ist der Sachverhalt. Deswegen ist das Wort „rückwirkend“ nicht etwa überraschend - oder wie auch immer Sie sich ausgedrückt haben -, sondern in dem einschlägigen § 46 Abs. 7 Satz 3 SGB II heißt es: Für die rückwirkende Anpassung wird die Differenz zwischen dem Wert nach Satz 2 und dem für das abgeschlossene Vorjahr festgelegten Wert nach Absatz 6 Satz 1 im laufenden Jahr zeitnah ausgeglichen. Nach § 46 Abs. 6 Satz 3 SGB II sind das 5,4 Prozentpunkte. Das heißt, nach der Gesetzeslage sind die 5,4 Prozentpunkte der Maßstab dafür, ob ein Rückforderungsanspruch besteht, und in diesem Jahr ist erstmalig für die Zukunft aufgrund der gemachten Erfahrungen per Rechtsverordnung ein neuer Satz festzulegen. - Wenn man sich das einmal in Ruhe durchliest, stellt man fest: Bundestag und Bundesrat sind, unter Mitwirkung der Bundesregierung, zu einem klugen Kompromiss gekommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Haben Sie noch eine weitere Nachfrage?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage von eher grundsätzlicher Natur: Ist es nicht so, dass diese ganzen Diskussionen - die die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne mit Sicherheit nicht nachvollzogen haben dürften; wahrscheinlich auch mancher hier im Plenum nicht - eine grundlegende Fehlkonstruktion zeigen: dass nämlich bei der Föderalismusreform der Fehler gemacht wurde, dem Bund zu verbieten, den Kommunen direkt Aufgaben zu übertragen und mit diesen direkt abzurechnen, sodass in diesem Falle der Umweg über die Erstattung der Kosten der Unterkunft gegangen werden musste? Wäre es aus der Sicht der Bundesregierung nicht an der Zeit, diese Bestimmungen mit der Unterstützung des gesamten Deutschen Bundestages zu korrigieren?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Kurth, die von Ihnen angesprochenen Bestimmungen sind mit breiter Mehrheit zustande gekommen, und es steht mir überhaupt nicht an, diese Bestimmungen zu kritisieren. Ich will deutlich machen: Das, was vereinbart worden ist, ist in der Sache klar und kann auch - bei gutem Willen aller Beteiligten, den ich unterstelle - sehr wohl umgesetzt und vernünftig administriert werden; wir erleben das ja bei der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung seit vielen Jahren. Es ist doch auch völlig normal, dass, wo es um finanzielle Fragen geht, unterschiedliche Interessen miteinander abzugleichen sind. Das war in dem damaligen Vermittlungsverfahren ein wichtiges Thema - mit einem von allen Seiten damals als befriedigend und akzeptabel angesehenen Ergebnis. Wir haben damals einen guten Kompromiss gefunden; jetzt brauchen wir das nur umzusetzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Wir kommen zu Frage 21 der Abgeordneten Lösekrug-Möller: Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung zum Schutz von Hinweisgebern vor dem Hintergrund der Geschehnisse im Pferdefleischskandal? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Hinweisgeber, die Missstände melden - hierzu gehören natürlich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Fleischindustrie -, sind bereits nach geltendem Recht geschützt. Der Schutz ergibt sich aus den allgemeinen arbeits- und verfassungsrechtlichen Vorschriften und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts sowie aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Deshalb sieht die Bundesregierung keinen Anlass, vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse - der falschen Deklaration von Produkten als Rindfleischprodukte - den Schutz von Hinweisgebern zu modifizieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Frau Kollegin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie keinen Anlass sehen, die Rechte von Hinweisgebern zu verbessern, habe ich die Nachfrage: Liegen Ihnen denn Erkenntnisse vor, dass es im Zusammenhang mit diesem wirklich unglaublichen Skandal Hinweise aus der Arbeitnehmerschaft gegeben hat, durch die für Sie Rückschlüsse möglich sind, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich leite den Schluss, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, aus dem vorhandenen materiellen Recht ab, das ich Ihnen hier in der gebotenen Kürze skizziert habe. Darüber hinaus wird Ihnen bekannt sein, dass sich der federführende Ausschuss, der Ausschuss für Arbeit und Soziales, mit diesem Thema intensiv beschäftigt hat und entsprechende Anträge, die dort gestellt worden sind, die Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales nicht überzeugen konnten und deshalb abgelehnt worden sind. Das hat die Bundesregierung respektvoll zur Kenntnis genommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, der Bundesregierung ist ja erlaubt, weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Deshalb stelle ich zunächst fest, dass Sie nicht die Erkenntnis haben, dass es aus den Reihen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hinweise gab, die zur Aufdeckung dieses Skandals führten. Habe ich es richtig verstanden, dass die Bundesregierung auch angesichts des umfassenden Skandals, der Anlass für meine Frage war, keinerlei Anlass sieht, zu handeln und die Frage des Whistleblowings einer erneuten Prüfung zu unterziehen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Sie haben richtig verstanden, dass nach Ansicht der Bundesregierung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Missstände melden, nach geltendem Recht bereits geschützt sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen damit zur Frage 22 der Kollegin Lösekrug-Möller: Sind nach Ansicht der Bundesregierung die in den Anträgen der Fraktionen Die Linke ({0}), SPD und Bündnis 90/Die Grünen ({1}) formulierten Lösungsvorschläge geeignet, den Interessen der Betroffenen, die eine Zahlung ihrer Gettorenten ab 1997 und nicht erst ab dem Jahr 2005 fordern, gerecht zu werden?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich antworte Ihnen darauf wie folgt: Die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke sind darauf gerichtet, die rückwirkende Zahlung von sogenannten Gettorenten ab dem 1. Juli 1997 zu ermöglichen. Dabei geht es um Rentenanträge, die ursprünglich bestandskräftig abgelehnt und nachträglich auf Grundlage einer neuen Rechtsprechung doch noch bewilligt wurden. Nach dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen soll alternativ über die in der Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen liegende Anerkennungsrichtlinie der Betrag ausgezahlt werden, der sich bei einer rückwirkenden Rentenzahlung ab dem 1. Juli 1997 ergeben hätte. Im Dezember 2012 hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages dazu eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Welche Schlussfolgerungen aus der Anhörung zu ziehen sind, wird derzeit zwischen der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen abgestimmt. Die Gespräche sind nicht abgeschlossen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Nachfrage dazu. - Wir wissen, dass wir über einen Personenkreis, über Betroffene sprechen, die hochbetagt sind. Insofern ist die Frage, welche Zeit sich eine Regierung und ein Parlament nehmen, Lösungen tatsächlich herbeizuführen, absolut relevant. Angesichts des absehbaren Endes dieser Legislaturperiode frage ich Sie, ob wir im Parlament davon ausgehen können, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen belastbaren Vorschlag entwickeln wird und wir ihn als Parlament auch zu einem Abschluss bringen können. Ich nehme an, das ist die Erwartung vieler Betroffener.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, zunächst kann ich Ihnen dazu sagen, dass ein entsprechender Vorschlag dann vorgelegt wird, wenn die von mir angesprochenen Gespräche zu einem Ergebnis gekommen sind. Ich möchte diese Frage, für die ich dankbar bin, zum Anlass nehmen, einmal mit Missverständnissen aufzuräumen, die möglicherweise bestehen können, nämlich dergestalt, es würde in diesem Bereich überhaupt nichts passieren. Der Personenkreis, um den es hier geht und der anerkanntermaßen dieses schwere Schicksal hat, in einem Getto gearbeitet zu haben, erhält, sofern dies festgestellt worden ist, Leistungen. Nachdem das entsprechende Gesetz aus dem Jahr 2002 zunächst in rund 90 Prozent der Fälle zu einer Ablehnung geführt hat, hat die Bundesregierung im Jahr 2007 beschlossen, dass es eine pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 2 000 Euro für die Betroffenen geben soll. In rund 47 000 Fällen ist diese Zahlung inzwischen auch bewilligt worden. Nachdem es dann im Jahre 2009 in dieser Angelegenheit eine andere Rechtsprechung gegeben hat und seitdem viele zusätzliche Fälle positiv beschieden worden sind, haben auch die Menschen, denen nach dem Gesetz aus dem Jahr 2002 eine entsprechende Leistung bewilligt worden ist, zusätzlich auch den Anspruch auf diese pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 2 000 Euro, die früher nur für die Menschen vorgesehen war, bei denen eine entsprechende Rentenleistung abgelehnt worden ist. Das heißt, es wird eine Rentenleistung gezahlt. Es geht nicht darum, ob ein hochbetagter Mensch eine Rente bekommen soll oder nicht, sondern die Menschen, die anerkanntermaßen freiwillig gegen Entgelt in einem Getto gearbeitet haben, bekommen eine Rente, und es geht hier nur um die Frage, ob möglicherweise eine mathematisch neutrale Umstellung erfolgen soll. Die Behauptung, hier würden hochbetagte Menschen trotz anerkannten Schicksals, in einem Getto freiwillig gegen Entgelt gearbeitet zu haben, keine Rente bekommen, ist unzutreffend.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich fühle mich gründlich missverstanden. Möglicherweise geht das vielen Betroffenen ähnlich. Mitnichten habe ich behauptet, sie bekämen überhaupt keine Anerkennung; sie bekämen nichts. Das habe ich mit keinem Satz behauptet; das ist auch nicht Gegenstand meiner schriftlich eingereichten Frage, die unserem Dialog jetzt zugrunde liegt. Es geht aber doch zweifelsfrei darum, dass Regierung und Parlament einvernehmlich - zurzeit noch über alle Fraktionen hinweg; ich hoffe, dass das so bleibt - nach Lösungen suchen und dass wir die von Ihnen präzise beschriebene offene Frage beantworten. Da genügt es mir nicht, dass Sie sagen, Sie würden abwarten, bis die Gespräche zu einem Ergebnis geführt haben. Ich erwarte, dass Sie einen Zeithorizont benennen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich habe meine Ausführungen nicht in Beantwortung Ihrer schriftlich eingereichten Frage gemacht, sondern in Beantwortung der von Ihnen gestellten mündlichen Nachfrage. In der Sache bleibt es bei dem, was ich dazu ausgeführt habe. Es handelt sich um eine sehr komplizierte Materie. Es sind bereits zu vielen Zeitpunkten Beschlüsse gefasst worden, hier Zahlungen zu leisten. Das Bundeskabinett hatte noch im Jahre 2010 beschlossen, dass jeder, der einmal freiwillig in einem Getto gearbeitet hat, auch Anspruch auf eine einmalige pauschale Entschädigungs27850 leistung hat. Darüber hinaus gibt es die bekannten rentenrechtlichen Ansprüche.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt die Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wenn Sie schon nicht die Frage beantworten wollen oder können, wann es eine Lösung gibt, frage ich Sie: Ist der Bundesregierung bekannt bzw. hat sie darüber gesprochen, dass es sich hier um hochbetagte NS-Opfer handelt, die möglicherweise nicht mehr erleben, dass sie zu ihrem Recht kommen? Das Gerichtsurteil, das Sie angesprochen haben, hat ja genau das zur Folge. Deswegen diskutieren wir heute darüber.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, der Bundesregierung ist der Sachverhalt bekannt. Die Bundesregierung ist aber nicht diejenige, die entscheidet, was Recht ist und wer - um Ihre Worte aufzugreifen - zu seinem Recht kommt. Ich möchte noch einmal an die bisherige Entwicklung erinnern. Im Jahr 2002 ist von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto verabschiedet worden. Dies hat die Grundlage für Anträge auf entsprechende Rentenleistungen geschaffen. Diese Anträge sind dann aus verschiedenen Gründen von den zuständigen Stellen in rund 90 Prozent der Fälle abgelehnt worden. Daraufhin hat die Bundesregierung im Jahr 2007 in Kenntnis dieser hohen Ablehnungsquote eine pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 2 000 Euro beschlossen. Nach der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung wurden dann von der Deutschen Rentenversicherung alle bis dahin bestandskräftig abgelehnten Fälle wieder aufgerollt. Fast alle sind heute beschieden. Nach dieser neuen Rechtsprechung hat es zusätzliche Bewilligungen gegeben, aufgrund derer eine Rente nach Rentenrecht gezahlt wird. Das ist die Rechtslage.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller ist der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Rechtsfrage ist eine praktische Frage. Wir waren uns als historischer Gesetzgeber darüber einig - RotGrün hatte diesen Punkt damals ausgehandelt, und Ihre Fraktionen haben uns darin dankenswerterweise unterstützt -, dass Menschen, die im Getto gearbeitet haben, dafür einen Rentenanspruch bekommen. Diesen sollten sie nach Wunsch des historischen Gesetzgebers - so steht es im Gesetz - ab 1997 haben. Dann wurde durch irrige Rechtsansichten mehrerer Sozialgerichte einem Teil dieses Personenkreises der Rentenanspruch zunächst verwehrt. Später wurde dieser Rentenanspruch wieder zugestanden, aber merkwürdigerweise nicht mit dem Anspruch „rückwirkend zum Jahr 1997“. Anstatt das Gettorentengesetz als Lex specialis zu nehmen, bezog man sich auf den allgemeinen gesetzgeberischen Grundsatz - aber gut, das ist die Unabhängigkeit der Justiz -, die Rückwirkung auf vier Jahre zu begrenzen. Das ist nicht der Wille des Gesetzgebers; die Justiz hat so entschieden. Wenn das in einem Staat, in dem es Gewaltenteilung gibt, so ist, dann muss der Gesetzgeber, wenn er bei seinem Willen bleiben will, diesen Punkt korrigieren. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können eine pauschale Zahlung einführen, oder wir können es anderweitig, über einen Fonds oder welche Konstruktion auch immer, korrigieren. Wir können es den Betroffenen auch freistellen, sich zwischen den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zu entscheiden, was ich für präferierungswürdig halte. Ich bin bereit, jeden Weg mitzugehen, der zum Ergebnis führt, dass die Menschen den Anspruch, den wir ihnen als Gesetzgeber gegeben haben, tatsächlich realisieren können. Wir haben doch keine Zeit mehr. Wollen wir jetzt wirklich noch einmal anderthalb Jahre darüber reden, dass immer nur die Erben der Rentenbezugsberechtigten die Rente bekommen? Ich möchte, dass die Menschen, die damals in den Gettos unter der deutschen Gewaltherrschaft gelitten haben, etwas von diesem Geld haben. Es sind ohnehin geringe Beträge, die ausbezahlt werden. Deshalb bitte ich Sie inständig: Sagen Sie uns, wann Sie einen Vorschlag vorlegen, der aufzeigt, über welchen Lösungsweg man zu einem Ergebnis kommen kann. Wir haben eine Anhörung durchgeführt. Alle Sachverständigen - unabhängig davon, für welchen Weg sie sich ausgesprochen haben - haben gesagt, dass man da etwas machen muss. Es gab also das einmütige Ergebnis, dass man handeln muss. Deshalb frage ich Sie: Wann entscheidet die Bundesregierung, in welcher Form sie handeln wird? Oder wollen Sie nicht handeln?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Beck, ich kann nur wiederholen, dass die entsprechenden Gespräche noch laufen. Ich muss Sie aber in Ihrer Einschätzung korrigieren, es habe in der Anhörung Einvernehmen geherrscht. Die Mehrheit der Sachverständigen hat Handlungsbedarf gesehen, die Minderheit nicht. Unter der Mehrheit, die Handlungsbedarf gesehen hat, hat wiederum eine Mehrheit tendenziell eher für eine entschädigungsrechtliche Lösung plädiert, wie es sie im Jahr 2007 schon einmal gegeben hat. Andere Sachverständige haben eher für eine rentenrechtliche Lösung plädiert. Wenn man sich im Bereich des Rentenrechts bewegt, Herr Kollege Beck, dann kann einen eigentlich auch die Rechtslage nicht so überraschen, wie Sie es gerade dargestellt haben. Denn die rückwirkende Regelung über einen Vierjahreszeitraum ist nun einmal bestehendes Rentenrecht. ({0}) Wenn man - worauf ich mich jetzt gar nicht festlege eine rentenrechtliche Lösung will, dann kann man eigentlich nicht überrascht sein, wenn das Rentenrecht auch angewandt wird, was in diesem Fall die auf vier Jahre begrenzte rückwirkende Zahlung bedeutet. Dabei ist der finanziell entscheidende Punkt - auch das will ich deutlich sagen -, dass rentenmathematisch völlig korrekt auch Zuschläge gewährt werden. Das heißt, wenn man zu einer Regelung käme, die sozusagen über einen Vierjahreszeitraum hinaus eine rückwirkende Zahlung vorsähe, dann müssten die laufenden Rentenzahlungen entsprechend gekürzt werden. Es wird ab 2005 rückwirkend gezahlt. Der einschlägige davorliegende Zeitraum, über den wir reden, beträgt 7,5 Jahre. Pro Jahr wird ein Zuschlag von 6 Prozent gewährt. Das ergibt die rentenmathematisch korrekte Summe. Bei diesem Zeitraum von 7,5 Jahren geht es also um einen Zuschlag von 45 Prozent, der jetzt gewährt wird. Dieser käme nicht zur Anwendung, wenn man sozusagen rückwirkend ab dem Jahr 1997 die Renten zahlen würde. Das heißt, im Durchschnitt handelt es sich bei dieser Rentenberechnung mit den entsprechenden zugrunde gelegten Zuschlägen und Abschlägen um eine mathematisch neutrale Lösung. Ich habe großes Verständnis dafür, wenn man aus grundsätzlichen, übergeordneten Gründen argumentiert, dass wir für Menschen, die zumindest mit einem Rest an Freiwilligkeit und gegen Entgelt gearbeitet haben, keine entschädigungsrechtliche, sondern eine rentenrechtliche Lösung wollen. Ich habe große Sympathie und großes Verständnis dafür. Aber wenn man sich im Rentenrecht bewegen will, muss man das auch konsequent tun, das heißt mit der Vierjahresfrist, zu der ich noch einmal sage: Sie benachteiligt finanziell niemanden. Der Zeitraum, für den nicht rückwirkend angepasst werden kann, wird finanziell durch einen entsprechend höheren Zuschlagsfaktor ausgeglichen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass es für Renten, die erst nach dem Bundessozialgerichtsurteil bewilligt worden sind, Zuschläge gibt. Können Sie präzisieren, in welchem Umfang hier Zuschläge auf die Rente erfolgt sind, und gleichzeitig darlegen, dass hier auch eine pauschale Entschädigungszahlung erfolgt ist?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ich sage gern noch einmal deutlich: Das Ziel des Gesetzgebers ist es damals auf breiter Basis gewesen, über das entsprechende Gesetz zur Zahlbarmachung dieser Renten eine rentenrechtliche Lösung für Menschen zu finden, die entsprechende Arbeit außerhalb des damaligen deutschen Staatsgebiets geleistet haben und heute außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes leben. Hier gab es Probleme, derentwegen dieses Gesetz erarbeitet wurde. Unter Würdigung des Umstands, dass in der Praxis diese neue gesetzliche Rechtsgrundlage in rund 90 Prozent der Fälle nicht dazu geführt hat, dass eine Rente anerkannt worden ist, hat die Bundesregierung über eine entsprechende Verordnung, zu der sie gesetzlich ermächtigt ist, dann die Grundlage dafür geschaffen, dass in den Fällen der Ablehnung eine Pauschale in Höhe von 2 000 Euro gezahlt werden konnte. Nach der geänderten Rechtsprechung vom 3. Juni 2009 hat sich dann die Rentenversicherung alle bestandskräftig abgelehnten Fälle - es waren 50 000 - vorgenommen. In rund der Hälfte der Fälle ist dann eine Bewilligung erfolgt, in der anderen Hälfte nicht, und zwar aus verschiedenen Gründen. Aber auch in den Fällen, in denen eine Bewilligung nach dem Gesetz nicht erfolgt ist, besteht gleichwohl für jeden, der freiwillig in einem Getto gearbeitet hat, ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe der erwähnten 2 000 Euro. Dieser Anspruch ist also ursprünglich als Ersatz geschaffen worden und gilt jetzt zusätzlich für alle, die einmal freiwillig in einem Getto gearbeitet haben, auch dann, wenn ihnen im Nachhinein eine Rente nach dem hier einschlägigen Gesetz gewährt worden ist. Im Jahr 2010 hat das Bundeskabinett diese Verordnung entsprechend geändert, um die Zahlung von 2 000 Euro in allen Fällen, in denen Arbeit in einem Getto mit einem Minimum an Freiwilligkeit - so schwer es fällt, dieses Wort hier zu verwenden; aber es gehört nun einmal in den rechtlichen Zusammenhang - geleistet worden ist, zu gewährleisten. Das heißt, es sind Zahlungen in mehreren Schritten geleistet worden. Es geht nicht um die Frage, ob wir die Menschen mit ihrem Schicksal finanziell allein lassen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller ist Peter Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es ist - wie schon ausgeführt Wille des Deutschen Bundestages, dass die Menschen, die von der Nazidiktatur in Gettos gezwungen wurden, aus der Deutschen Rentenversicherung eine Rente erhalten können. Sie haben dargelegt, wie die unterschiedlichen Gruppen, was den Bewilligungszeitraum angeht, behandelt werden. Meine Frage lautet: Wenn man denjenigen, der mit seinem ersten Antrag Erfolg gehabt hat und rückwirkend ab dem Jahr 1997 eine sogenannte Gettorente aus der Deutschen Rentenversicherung monatlich erhält, mit demjenigen, der leider das Pech hatte, dass sein erster Antrag abgelehnt wurde, der dann aber bei der Überprüfung seines Antrags - Gott sei Dank - später Erfolg hatte, aber nur für vier Jahre rückwirkend - allerdings mit einem höheren Zahlbetrag - eine Gettorente erhalten hat, vergleicht: Kann man sagen, dass sich die Leistungen aus der Rentenversicherung bei einer durchschnittli27852 Peter Weiß ({0}) chen Fallgestaltung - die Schicksale sind sicherlich individuell - im Gesamtbetrag nicht unterscheiden, also unabhängig davon sind, ob jemand die Rente ab 1997 erhält oder ob jemand die Rente rückwirkend für vier Jahre bekommt? Oder gibt es da einen großen finanziellen Unterschied?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Nein. Man kann genau sagen, dass es diesen Unterschied nicht gibt, weil wir an dieser Stelle mit rentenmathematisch korrekten Zuschlägen arbeiten. Das heißt, derjenige, der rückwirkend eine Leistung ab 1997 bekommt, bekommt eine geringere durchschnittliche monatliche Rente; derjenige, bei dem diese Rückwirkung nicht so weit erfolgt ist, erhält dafür eine höhere durchschnittliche monatliche Rente, weil in diesem Fall mit höheren Zuschlägen für jahrelang nicht in Anspruch genommene Leistungen gearbeitet wird. Natürlich ist die Frage, wie viel der Einzelne an seinem Lebensabend bekommen hat, individuell unterschiedlich zu beantworten. Das ist nun aber kein Spezifikum des ZRBG, sondern es ist typisch für das gesamte Rentenrecht. Wir haben rund 21 Millionen Bezieher einer gesetzlichen Rente. Wir haben zurzeit - bekanntermaßen ein Rekord - rund 29 Millionen Menschen, die als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in dieses System einzahlen. Die Zu- und Abschläge, die es in diesem System gibt, sind an den Durchschnitten orientiert; anders kann es auch nicht sein. Das sind genau die Durchschnitte, die auch in diesem Fall zugrunde gelegt werden. Also: Natürlich kommt es immer auf die Lebenserwartung des Einzelnen an. Dabei geht es auch um die Fragen, ob jemand alleinstehend ist, ob es jemand ist, der eine Witwen- oder Witwerrente in Anspruch nehmen kann, und wie alt die jeweilige Person ist. Das sind individuell sehr unterschiedliche Fallgestaltungen. In der Tat ist es im Durchschnitt genau so, wie Sie es gesagt haben. Ich habe aber großes Verständnis dafür, dass sich die gefühlte Gerechtigkeit von der Rentenmathematik unterscheiden kann. Rentenmathematisch werden die unterschiedlichen Fälle in einer Weise gewürdigt, die bewirkt, dass es hier im Durchschnitt in der Tat zu einem Ausgleich kommt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller ist unser Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn Sie es jetzt schon ein paarmal wiederholt haben, Herr Staatssekretär: Es ist schlicht falsch; es ist rentenmathematisch nicht neutral. Die Mathematik lässt sich da nicht austricksen, auch wenn Sie das vielleicht gern so sehen möchten. Diese Berechnungsweise ist rentenmathematisch neutral für die Menschen, die 1997 65 Jahre alt waren, also für die, die 1932 geboren worden sind. Die meisten, die in einem Getto gearbeitet haben, sind früher geboren, das heißt, sie haben eine kürzere Restlebenserwartung. Für diese Gruppe ist das Ganze rentenmathematisch also nicht neutral. Sie bekommen, über die gesamte Laufzeit betrachtet, im Durchschnitt weniger Geld. Sie können das nachrechnen. Gegebenenfalls kann ich Ihnen das noch einmal erklären. Es hat in der Tat etwas mit der Lebenserwartung zu tun. Jemand, der 65 ist, hat eine andere Restlebenserwartung als jemand, der schon 70 oder 80 ist. Daraus ergeben sich die Unterschiede. Das haben alle Experten in der Sitzung gesagt. Auch der von Ihnen heute im Ausschuss genannte Sachverständige Plagemann hat nicht bestritten, dass dem so ist, sondern er hat Skepsis hinsichtlich der beiden Wege geäußert. Es gab eigentlich niemanden, der bestritten hat, dass es Handlungsbedarf gibt. Sehe ich es richtig, dass Sie nach Ihrer Logik da keinen Handlungsbedarf sehen, oder wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, unabhängig von dem, was Sie öffentlich zu diesem Thema verlautbaren oder auch hier fragen, bleibt es bei dem, was ich Ihnen auch im Ausschuss heute Morgen gesagt habe: Die Bundesregierung prüft respektvoll jede Meinung, die von Sachverständigen in der Anhörung geäußert worden ist - die, die Ihnen passen, und die, die Ihnen nicht passen -, alle gleichermaßen mit dem gleichen Respekt. Diese Haltung würde ich mir im Übrigen von allen an dieser Debatte Beteiligten wünschen, wenn ich mir hier irgendetwas wünschen darf. Man kann unterschiedliche Meinungen haben, wie man dem schrecklichen Schicksal dieser Menschen, die in einem Getto gelebt haben, am besten gerecht werden kann. Dass wir uns mit „Unverschämtheit!“ und Ähnlichem gegenseitig bedenken, wie das leider auch von Ihnen heute Morgen im Ausschuss der Fall war, worauf der amtierende Vorsitzende dankenswerterweise angemessen reagiert hat, sollte, finde ich, nicht vorkommen. Ich lasse mir jetzt hier von Ihnen auch nichts anderes in den Mund legen als das, was ich für die Bundesregierung bisher gesagt habe: Die Bundesregierung prüft respektvoll sämtliche in der Anhörung geäußerten Vorschläge und Stellungnahmen, die im Detail sehr unterschiedlich waren.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Nachfrage, unser Kollege Anton Schaaf.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, manchmal ist es auch so: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. - Aber das nur am Rande. Würden Sie mir recht geben, dass der Gesetzgeber 2002 in Bezug auf die Gettorenten und die Zahlbarmachung dieser Renten den Willen hatte, dass für alle, die einen Antrag gestellt und eine Rente bewilligt bekomAnton Schaaf men haben, die Rente rückwirkend ab 1997 gezahlt wird? - Das war der Wille des Gesetzgebers, der Wille von vier Fraktionen dieses Hauses. Dieser Wille hat sich bei einigen Fraktionen dieses Hauses offensichtlich nicht geändert. Anschließend gab es übrigens wegen der Schlampigkeit des Gesetzgebers, wofür wir natürlich die Verantwortung tragen, eine sehr unterschiedliche Bewilligungspraxis bei den Gettorenten. Beispielsweise gab es heftige Streitereien darüber, was überhaupt ein Getto war. Dann kam es 2009 zu einem Urteil des Bundessozialgerichts. Dieses Urteil besagt, dass der Personenkreis, der geklagt hat, Anspruch auf die Rente hat, allerdings nach Rentenrecht rückwirkend nur vier Jahre. Aber der Wille des Gesetzgebers war, dass die Menschen, die einen Bewilligungsbescheid bekommen haben, die Rente rückwirkend ab 1997 bekommen. Das war der Wille von vier Fraktionen in diesem Haus. Können Sie bestätigen, dass das der Wille der Fraktionen in diesem Hause war und dass dieser Wille, auch wenn es schwierig ist - das gebe ich durchaus zu -, eigentlich umgesetzt werden muss für diejenigen, die 2009 vor Gerichten recht bekommen haben?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Schaaf, nach meiner Erinnerung war der Wille des Gesetzgebers im Jahr 2002 so, wie Sie ihn beschrieben haben. Ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, dass es im Jahr 2002 eine Verabredung gab, von der im Sozialrecht allgemein geltenden Rückwirkungsregelung - die Begrenzung der Rückwirkung auf vier Jahre steht im SGB X - in diesem Fall abzuweichen; sonst hätte man es ja regeln können. Im Übrigen entspricht meine Erinnerung dem, was Sie in der Fragestellung dargelegt haben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 23 des Kollegen Anton Schaaf auf: Teilt die Bundesregierung die in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 10. Dezember 2012 vom Einzelsachverständigen Dr. JanRobert von Renesse vertretene Auffassung, dass der Verwaltungsaufwand für eine rentenrechtliche Lösung zur rückwirkenden Zahlbarmachung von Gettorenten ab 1997 wegen der bereits bei der Deutschen Rentenversicherung erprobten einschlägigen Verfahren eher gering wäre und zeitlich nur wenige Wochen umfassen würde? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Schaaf, Ihre Frage bezieht sich offenbar auf die Fälle, in denen das deutsch-israelische Sozialversicherungsabkommen Anwendung findet. - Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. April 2011 gilt in Anwendung dieses Abkommens der in Israel gestellte Rentenantrag auch als Antrag auf eine sogenannte Gettorente in der Bundesrepublik Deutschland. In den Fällen, in denen vor diesem Urteil des Bundessozialgerichts eine Gettorente zu einem späteren als dem frühestmöglichen Rentenbeginn, nämlich dem 1. Juli 1997, festgestellt worden ist, weil der israelische Antrag nicht als deutscher Rentenantrag angesehen wurde, wird der Rentenbeginn gemäß dem BSG-Urteil auf Antrag der Berechtigten überprüft. In diesen Fällen wurde den Berechtigten ein Wahlrecht eingeräumt, ob es bei dem bisher bewilligten späteren Rentenbeginn mit einer aufgrund von Rentenzuschlägen höheren Rente bleiben soll oder ob sie einen früheren Rentenbeginn mit einer dann niedrigeren Rente und einer Nachzahlung wünschen. Nach Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung dauerte das Verfahren in der Regel drei bis vier Monate. Ob die Dauer des Verfahrens vergleichbar wäre und welcher Verwaltungsaufwand entstünde, wenn ein entsprechendes Verfahren durch die Rentenversicherungsträger in den Fällen der nachträglich bewilligten Gettorenten für die in verschiedenen Ländern - weltweit - lebenden Berechtigten angewandt würde, kann sachgerecht nur vom zuständigen Rentenversicherungsträger beurteilt werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Anton Schaaf.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Um ehrlich zu sein: Ich konnte meine Frage in der Antwort nicht erkennen. Aber es kann ja sein, dass das die Antwort auf eine andere Frage war. Ich hatte die Frage gestellt: Teilt die Bundesregierung die in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages im Dezember vom Einzelsachverständigen Jan-Robert von Renesse vertretene Auffassung? Sie haben ja heute Morgen im Ausschuss gesagt, dass die Bundesregierung mit den Koalitionsfraktionen noch in Gesprächen darüber ist, ob und wie - so haben Sie gesagt - man eine solche Zahlung auf den Weg bringen könnte. Nach den Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, und nach dem, was der Kollege Peter Weiß eben gesagt hat - das war ja alles sehr rechtfertigend, was den Istzustand angeht -, frage ich Sie, ob Sie tatsächlich noch bereit sind, eine Lösung herbeizuführen, oder ob wir jetzt ein taktisches Manöver erleben, mit dem versucht wird, die Bundestagswahl hinter sich zu bringen, ohne vorher einen konkreten Lösungsvorschlag gemacht zu haben. Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum man den Istzustand so vehement rechtfertigt, obwohl niemand infrage gestellt hat, dass Renten gezahlt werden. Sie brauchen das also nicht zu betonen. Aber die entscheidende Frage ist doch: Können wir zeitnah - natürlich auch vor dem Hintergrund des Alters der Betroffenen - eine Lösung erreichen, und ist die Bundesregierung gewillt, zeitnah einen Lösungsvorschlag auf den Tisch zu legen? - Da hilft es nicht, dass Sie sagen, Sie seien in Gesprächen. Denn es gibt Lösungsvorschläge. Wenn man diese ablehnt, kann man auch bessere Lösungsvorschläge machen. Aber Ihrerseits gibt es zurzeit überhaupt keinen Lösungsansatz, der in irgendeiner Form diskutiert wird, zumindest ist keiner öffentlich bekannt geworden.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Schaaf, ich sage das jetzt für die Öffentlichkeit; denn ich bin sicher, dass Sie wissen, worüber ich rede. Es gibt eine Pressemeldung von heute, 11.01 Uhr, in der auch der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. Sie beginnt mit dem Satz: Die Renten stehen ihnen gesetzlich zu - doch sie werden rund 20 000 ehemaligen jüdischen Ghettoarbeitern der NS-Zeit nicht ausgezahlt. ({0}) So beginnt ein Artikel, in dem der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. Deswegen habe ich nicht aus Daffke, sondern aus gegebenem Anlass darauf hingewiesen, dass Menschen hier eine Rentenzahlung nicht verweigert wird, ({1}) sondern dass aufgrund der gesetzlichen Grundlagen, die wir seinerzeit gemeinsam geschaffen haben, Renten gezahlt werden. Aus gegebenem Anlass wiederhole ich auch das, was ich heute Morgen im Ausschuss gesagt habe. Ich habe nicht über das Ob oder das Wie gesprochen, sondern ich habe darüber gesprochen, dass es in der Sachverständigenanhörung im letzten Jahr unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben hat, wie in dieser Frage verfahren werden soll, und dass die Bundesregierung mit dem gebotenen Respekt sämtliche dort gemachten Äußerungen von Sachverständigen in ihre Erwägungen und auch in die Gespräche, die sie führt, miteinbezieht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bevor ich dem Kollegen Anton Schaaf das Wort zu einer weiteren Nachfrage gebe, weise ich darauf hin, dass wir pünktlich um 15.35 Uhr mit unserer Aktuellen Stunde beginnen wollen. - Bitte, Kollege Anton Schaaf, Ihre zweite Nachfrage.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Sie haben heute Morgen darauf hingewiesen, dass Sie aus Respekt vor den Sachverständigen selbstverständlich alle Anregungen und Vorschläge, die es in der Anhörung gegeben hat, in angemessener Weise berücksichtigen. Das ist aber nicht die Frage. Ich unterstelle einer Bundesregierung generell, dass sie das tut. Daher bräuchte man diesen Hinweis nicht. Wir als Fragestellende in diesem Parlament benötigen zudem den Hinweis nicht, dass natürlich Renten gezahlt werden, dass die Betroffenen sozusagen nicht mittellos dastehen, was die Rentenzahlungen angeht. Das wissen wir; da brauchen wir keine Belehrung. Vielmehr geht es hier um die Frage, ob man für einen Personenkreis, der in der Sache den gleichen Schaden erlitten hat, aber rentenrechtlich unterschiedlich behandelt wird, nicht etwas machen muss. Ich möchte von Ihnen hier klipp und klar wissen - ich frage das noch einmal, weil sich mir das in Ihrer Antwort nicht erschlossen hat -, ob die Bundesregierung plant, zu diesem Sachverhalt zeitnah einen Lösungsvorschlag vorzulegen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Kollege Schaaf, ich sage es noch einmal deutlich: In der von mir aus gegebenem Anlass angesprochenen Meldung wird der Kollege Strengmann-Kuhn mit den Worten zitiert: Die Bundesregierung muss endlich handeln und ihr zynisches Spiel auf Zeit aufgeben. Ich weise die Unterstellung, dass die Bundesregierung ein zynisches Spiel betreibt, mit aller Entschiedenheit zurück. Sie ist abwegig. Deswegen sage ich Ihnen noch einmal: Es ist in der Vergangenheit gehandelt worden. Es hat in der Vergangenheit Gesetzgebung gegeben. Es hat Urteile gegeben. Es ist ein deutlich günstigeres Urteil im Jahre 2009 ergangen, aufgrund dessen die Deutsche Rentenversicherung tätig geworden ist. Aufgrund dieses Urteils ist die Bundesregierung im Jahr 2010 tätig geworden, indem sie den Kreis der Begünstigten, die eine Entschädigungspauschale in Höhe von 2 000 Euro erhalten, auf alle Verfolgten ausgeweitet hat, die freiwillig in einem Getto gearbeitet haben. Das heißt, es hat umfangreiche Aktivitäten gegeben. Ich wiederhole: Wir werden Gespräche darüber führen, welche Konsequenzen angesichts der unterschiedlichen Vorschläge, die wir in der Anhörung erhalten haben, zu ziehen sind. Diese sind noch nicht abgeschlossen. Wir streben selbstverständlich an, das Ergebnis, wenn wir es gefunden haben, politisch unverzüglich umzusetzen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Danke. - Die nächste Nachfrage hat unser Kollege Peter Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf eine Presseveröffentlichung aufmerksam gemacht, in der der Kollege Strengmann-Kuhn zitiert wird. In dieser wurde der Verdacht geäußert, es würden Antragsberechtigte keine Gettorente erhalten. Auch in einigen Briefen und Publikationen wird diese Vermutung immer wieder geäußert. Darf ich Sie fragen: Ist es richtig, dass nach der neuen, sogenannten Gängigmachung der Zahlbarkeit von Gettorenten alle Berechtigten diese durch die Deutsche Rentenversicherung genehmigt und ausbezahlt bekommen? Der einzige Unterschied ist, dass es Fälle gibt, denen diese Rente rückwirkend ab 1997 genehmigt wurde, und es gibt Fälle, die sie vier Jahre rückwirkend mit einem höheren Zahlbetrag bekommen haben.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Das ist richtig, Herr Kollege Weiß. Alle Anträge, die vor dem 3. Juni 2009 gestellt worden sind, sind inzwischen auch beschieden. Aufgrund dessen hat es über die 7 000 Bewilligungen hinaus, die es schon vorher unter der ungünstigeren Anwendung des Gesetzes gegeben hat, 25 000 weitere Bewilligungen gegeben. Seit dem 3. Juni 2009, seit der geänderten BSG-Rechtsprechung, sind 16 000 weitere Bewilligungen hinzugekommen. Natürlich ist noch nicht jeder Antrag, der im laufenden Verfahren ist, beschieden worden; es kommen jeden Monat neue Anträge hinzu. Es gibt aber aus der Zeit vor dem Urteil vom 3. Juni 2009 keine mir noch bekannten offenen Vorgänge. Das heißt, die deutlich günstigere Rechtsprechung, die seit dem 3. Juni 2009 gilt, ist in die Praxis dementsprechend umgesetzt worden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller ist unser Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, dass im Rahmen einer Diskussion über eine rentenrechtliche Lösung alle Renten auf das Jahr 1997 zurückgerechnet werden müssten. Dies würde möglicherweise für viele bedeuten, dass sie bei ihrer Rente Einbußen hinnehmen müssten. Kann man einen Umfang nennen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ihre Frage unterstellt, dass gesetzgeberisch ein Wahlrecht eingeführt und in jedem Fall in Anspruch genommen würde. Nach dem ZRBG haben wir heute bei der Gettorente Zahlungen in Höhe von etwa 200 Euro im Monat. Wir reden über eine Nachzahlung in Höhe von etwa 7 000 Euro für diesen Zeitraum. Eine gekürzte Rente würde etwa 130 Euro betragen. Das sind die Größenordnungen. Was für den Einzelnen individuell günstiger ist, hängt unter anderem von seinem Lebensalter ab, aber auch von der Frage, ob es absehbar Hinterbliebene geben wird, die dann diese Rente in Anspruch nehmen können, und über welchen Zeitraum sie gegebenenfalls diese Rente in Anspruch nehmen können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind punktgenau in der Zeit. Unsere Fragestunde ist beendet. Mit den offenen Fragen wird gemäß unserer Geschäftsordnung verfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe als Konsequenz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat in unserer Aktuellen Stunde unsere Kollegin Frau Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 74 Prozent der Deutschen fänden es gut, wenn die Lebenspartnerschaften von gleichgeschlechtlichen Paaren vollkommen der traditionellen Ehe gleichgestellt würden; 23 Prozent sind dagegen, und 3 Prozent wissen es noch nicht genau. Die Mitglieder der Fraktion der CDU/ CSU gehören entweder zu den 23 Prozent oder den 3 Prozent - macht zusammen 26 Prozent. Das ist es, was Sie aufzubieten haben, wenn es um dieses wirklich wichtige Thema geht. ({0}) Eine Gleichstellung der Homoehe wollen dabei die Anhänger aller im Bundestag vertretenen Parteien, natürlich am meisten die der Grünen. Aber auch rund zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU sind dafür, zu einer solchen Gleichstellung zu kommen. Ich finde, darauf könnten Sie wenigstens einmal schauen, wenn Ihnen schon alles andere egal ist. ({1}) Ich habe aufgehört, mitzuzählen, wie oft diese Bundesregierung eigentlich schon ihre Meinung geändert hat. Das Schlimme an den ständigen Windungen, im aktuellen Fall beim Adoptionsrecht, ist aber: Die Regierung Merkel handelt nicht überlegt, aus einem politischen Willen heraus oder weil es um die Situation der Menschen geht, sondern sie handelt aus keinem anderen Grund als dem, dass es Druck von außen gibt. Es kann doch nicht sein, dass die Koalition politische Entscheidungen in die Gerichte outsourct und sich selber wegduckt. ({2}) Muss denn tatsächlich das Bundesverfassungsgericht dieser Regierung beibringen, was Diskriminierung ist? ({3}) Noch im Dezember 2012 hat die Bundeskanzlerin gesagt: Ich bin nicht dafür, dass die Privilegierung der Ehe auf die homosexuellen Partnerschaften ausgeweitet wird. ({4}) Das kann ich nicht verstehen. Was tun Sie denn, wenn Mann und Mann oder Frau und Frau zusammenleben und sich lieben? Sie behindern diese Liebe. Sie sabotieren die Bereitschaft - das ist eigentlich konservativ, meine Damen und Herren -, füreinander Verantwortung zu übernehmen und Werte zu leben. ({5}) Das Argument der Union, insbesondere von Herrn Kauder, der dieser Debatte nicht beiwohnt, ist immer die angebliche Gefährdung des Kindeswohls. Was für eine Anmaßung! Haben Sie eigentlich mal Kinder, die bei schwulen oder lesbischen Paaren leben, gefragt, wie das so ist? Das Süddeutsche Zeitung Magazin hat das vor einigen Wochen in einem langen Gespräch getan. Ein Mädchen sagte da: Kinder nehmen das alles total normal auf. Wenn, dann waren es immer die Eltern, die damit ein Problem hatten. Ein Junge sagte: Wir haben keine Angst vor Emotionen. Wir sind in Familien aufgewachsen, in denen sich Menschen Gedanken über ihre Gefühle machen mussten. Ich sage Ihnen: Ich jedenfalls hatte beim Lesen solcher Sätze nicht das Gefühl, dass es gegen das Kindeswohl wäre - ganz im Gegenteil. ({6}) Wenn es Ihnen um die Kinder geht, dann sorgen Sie endlich für die Gleichstellung! Jetzt blinken Sie in Richtung Adoptionsrecht, weil Ihnen das Verfassungsgericht die Aufgabe gegeben hat, hier nachzubessern. Was ist die Wahrheit? Man muss nur die Zeitung aufschlagen: Herr Dobrindt warnt vor „Schnellschüssen bei der Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaft mit der Ehe“. ({7}) Herr Bosbach fordert eine „sehr grundsätzliche Diskussion“. Frau Hasselfeldt sieht „keinen Grund für eine Kehrtwende bei diesem Thema“. Was Norbert Geis sagt, zitiere ich hier, ehrlich gesagt, lieber nicht. ({8}) Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, ausloten, diskutieren? Sie können sich das sparen. ({9}) Wir nehmen Ihnen gern die Arbeit ab. Was zu tun ist? Es ist ganz einfach: Öffnen Sie endlich die Ehe für homosexuelle Paare! ({10}) Beenden Sie die unglaubliche Ungerechtigkeit, die Sie bisher fortgeschrieben haben, die Ungerechtigkeit, wenn es um Liebe und Zusammenleben geht. Herr Dobrindt sagt: Für uns gilt der Grundsatz, dass Ehe und Familie auch künftig besonders privilegiert, gefördert und geschützt sind. Da kann ich nur mit Ihrem Kollegen Jens Spahn antworten, der am Wochenende twitterte: Welchen Schaden nimmt die Ehe? Wer bekommt ein Kind weniger, weil Schwule heiraten? Recht hat Herr Spahn. Genau so ist es. Die Ehe nimmt keinen Schaden. Im Gegenteil: Sie wird von noch mehr Menschen gelebt als bisher. ({11}) Die Diskriminierung muss aufhören. Sie muss aufhören beim Adoptionsrecht und beim Steuerrecht. Die Diskriminierung muss aufhören beim Kindergeld und bei den Kinderfreibeträgen und, und, und. Sie müssen nicht weiter prüfen. Sie müssen einfach umsetzen. Wir haben im Rechtsausschuss einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dem können Sie einfach zustimmen, dann ist das erledigt. Zum Schluss. Frau Steinbach hat getwittert: Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor Verfassungsrichtern? ({12}) Ich frage: Wer schützt uns eigentlich vor dem Demokratie-, Ironie- und Rechtsstaatsverständnis von Frau Steinbach? Wir wollen endlich die Gleichstellung! Gleiche Liebe verdient gleiche Rechte. Sorgen Sie dafür, dass die Ehe geöffnet wird! Sorgen Sie endlich dafür, dass Sie bei der Mehrheit der Deutschen, was die Gleichstellung angeht, ankommen. Sie könnten dabei sein! Ducken Sie sich nicht weg! Folgen Sie dem Verfassungsgericht! Machen Sie nicht weiterhin eine Politik aus dem vergangenen Jahrhundert! ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Als Nächster hat das Wort für die Fraktion von CDU/ CSU Kollege Dr. Günter Krings. Bitte schön, Kollege Günter Krings. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war schon ein bemerkenswerter Auftakt. Frau Kollegin, Sie haben uns vorgeworfen, dass wir Politik an die Gerichte outsourcen wollten, und Sie beginnen Ihre Rede, indem Sie Politik an die Demoskopen outsourcen, indem Sie Demoskopen zitieren und das offenbar für maßgeblich halten. ({0}) Das ist nicht unser Politikverständnis. ({1}) Sie müssen sich langsam überlegen, was Sie eigentlich wollen. Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe, und Sie sprechen von der Öffnung der Ehe. Das sind zwei verschiedene Dinge. Sie sind sich offenbar selbst nicht im Klaren darüber, was Sie eigentlich wollen. Ich weiß auch nicht genau, was die Intention der von Ihnen geforderten Aktuellen Stunde ist. Eine sachliche Debatte ist es offensichtlich nicht, sondern eher eine polemisierende Debatte. Das wird der Sache aber nicht gerecht. Es ist auffällig, dass kaum ein anderes politisches Thema so sehr dadurch gekennzeichnet ist, dass keine vernünftige, sachliche Debatte zustande kommt. Dabei gibt es durchaus berechtigte Fragen, zum Beispiel, ob es neben der durchaus vorhandenen Vergleichbarkeit von Ehe und Lebenspartnerschaften bei vielen Werten, etwa im Füreinandereinstehen, im Einzelfall aber nicht doch Anknüpfungspunkte für Differenzierung gibt. Darüber darf man Ihres Erachtens offenbar nicht einmal mehr nachdenken oder gar reden. ({2}) Diejenigen, die das tun, werden in beispielloser Weise attackiert, was oft in einem Automatismus gipfelt. Herr Beck hat sich zu diesem Thema gemeldet. Er ist ein Meister darin, den Vorwurf der Homophobie zu erheben, dem auch ich mich schon bei einer betont sachlichen Auseinandersetzung ausgesetzt sah. Herr Kollege, das tut der Debatte nicht gut. Das tut im Übrigen auch Ihrem Anliegen nicht gut. ({3}) Wir erleben oft, auch durch Zwischenrufe, das Gegenteil einer demokratischen Diskussionskultur. Ich fordere daher mehr Respekt für alle Meinungen in der Debatte ein. ({4}) Dieser Respekt gehört gerade auch in die Debatte über das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Partnern. ({5}) Es ist selbstverständlich, dass wir eine zügige Umsetzung der Vorgaben des Verfassungsgerichts von letzter Woche zur Sukzessivadoption vornehmen wollen. Vollkommen richtig hat das Verfassungsgericht entschieden: Wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, dann dient es dem Kindeswohl, wenn das Kind zu beiden Partnern eine rechtlich verfestigte Verbindung erhält. ({6}) Die Frage der Volladoption ist aber etwas schwieriger zu entscheiden. Hier würde der Staat von außen und aus eigener Entscheidung heraus ein Kind nicht einem Mann und einer Frau anvertrauen, sondern zwei Männern bzw. zwei Frauen. ({7}) Der Maßstab dafür, ob das richtig ist - hoffentlich sind wir uns darüber noch einig -, kann nicht der Adoptionswille der Erwachsenen sein, sondern immer nur das Kindeswohl. ({8}) Ich habe, um das gleich klarzustellen, nicht die Sorge, dass Homosexuelle weniger gute Eltern wären. Ich denke, dass ein Kind dort ebenso gut aufgehoben, geliebt und versorgt werden kann. Ich halte es aber für besser - aus dem Blickwinkel des Kindes betrachtet -, wenn ein Kind nicht zwei Männer oder zwei Frauen, sondern einen Vater und eine Mutter als Eltern hat. ({9}) Zu Recht wird im Scheidungsverfahren immer wieder die Bedeutung von Vater und Mutter für ein Kind betont. In Kindergärten und Grundschulen suchen wir auch deshalb händeringend nach männlichen Erziehern und Lehrern, um den Kindern beiderlei Rollenbilder vorzuführen, um die Kinder damit zu konfrontieren. ({10}) - Jetzt hören Sie doch erst einmal zu. Ich folgere daraus nicht zwingend ein Votum gegen die Fremdadoption in Lebenspartnerschaften; aber ich bin der Überzeugung, dass wir uns diese Entscheidung nicht zu leicht machen dürfen. ({11}) Deshalb bin ich an einer Stelle über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts enttäuscht. Es geht um die Stelle, an der das Gericht sagt: Die Förderung eines Kindes in Ehe und Lebenspartnerschaft ist absolut gleichzusetzen. ({12}) Ich will da gar nicht widersprechen, aber das ist ein einziger dürrer Satz in der Entscheidung, ohne jegliche Begründung. Ich glaube, es trägt der Sache einfach nicht Rechnung, wenn man das mit einem Halbsatz oder einem knappen Satz abtut, ohne es zu begründen. ({13}) Soweit ersichtlich gibt es nur eine einzige Studie, in der weniger als 100 Kinder dazu befragt worden sind. Ich glaube nicht, dass ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung ein Äquivalent für eine solche Studie ist. ({14}) - Da Sie das Stichwort „Anhörung“ gerade nennen: Auch in der letzten Anhörung des Rechtsausschusses im Jahre 2011 haben Sachverständige gesagt, man brauche weitere Studien. Sie haben eine bessere Datengrundlage gefordert und angemahnt. Ich halte das für richtig. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück. Ich will kurz etwas zur Haltung von Grünen und SPD zum Thema Gleichstellung sagen. Der Kollege Beck, der sich so lautstark meldet, ist besonders prädestiniert für einen Zickzackkurs. Er hat noch 2001 in einer juristischen Fachzeitschrift - das ist bemerkenswert - geschrieben - ich zitiere wörtlich -: Denn das Lebenspartnerschaftsgesetz sieht wesentliche Unterschiede zur Ehe vor und wahrt damit auch die nach Auffassung der Kritiker notwendige Differenz zum Institut der Ehe. ({15}) Diese Unterschiede sind im Übrigen auch nicht marginal. Er zitiert die Unterschiede. Als Erstes nennt er übrigens das Ehegattensplitting als besonders positives Beispiel für einen Unterschied. ({16}) Es gibt hier offenbar ein besonders trickreiches Vorgehen der Opposition: Zunächst sagt man: „Das ist etwas ganz anderes“, um ein paar Jahre später die Begründung auszutauschen. Sie mögen das für besonders schlau und trickreich halten. Ich halte das für das Gegenteil von wahrhaftiger Politik. Ich halte das für ein Vorgehen, das wesentlich zum Politikverdruss in der Bevölkerung beiträgt. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen: Politiker tun alles, sie bleiben nur nicht bei einer ehrlichen, klaren Position. Genau das haben Sie bei dieser Frage getan, und das ist meines Erachtens skandalös. ({17}) Im gleichen Atemzug könnte man die Position der SPD zum Ehegattensplitting nennen: Einerseits fordert sie die Erweiterung, auf der anderen Seite fordert sie die Abschaffung. Wenn man ein Beispiel für schizophrene Politik sucht, dann findet man es in Ihrer Haltung zum Thema Ehegattensplittung. Vielen Dank. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der SPD unser Kollege Thomas Oppermann. - Bitte schön, Kollege Thomas Oppermann. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Eingetragene Lebenspartnerschaften gehören zehn Jahre nach ihrer Einführung zum Alltag in Deutschland. 75 Prozent der Deutschen wollen, dass Lebenspartnerschaften ohne Diskriminierungen gleichgestellt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht will das. In fünf Entscheidungen hat es diskriminierende Vorschriften für Lebenspartnerschaften festgestellt und verfassungskonforme Regelungen angemahnt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, bringt das auf den Punkt. Er fasst diese Rechtsprechung zusammen. „Die Würfel sind gefallen“, sagt er. Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zu eingetragenen Lebenspartnerschaften ist rechtlich nicht mehr zu halten. Der Mann hat recht. ({0}) Die Zeit ist reif für eine umfassende Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe. ({1}) Obwohl das schon im Januar in der Luft lag, haben bei der namentlichen Abstimmung über das Jahressteuergesetz die Abgeordneten der FDP und 219 Abgeordnete von CDU und CSU gegen die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften gestimmt. Nur wenige Wochen vorher, im Dezember auf dem CDU-Parteitag, hat sich Frau Merkel dafür feiern lassen, dass es ihr als CDU-Vorsitzender gelungen war, zwei Drittel der Delegierten auf dem Parteitag für ihre Position zu gewinnen. Die Position lautete: Auf keinen Fall eine steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften! - Frau Merkel kann auch konservativ, wurde in den Reihen der CDU anerkennend gesagt. Und jetzt? Jetzt schlägt Ihnen das Bundesverfassungsgericht Ihr konservatives Weltbild um die Ohren. ({2}) Nichts gegen Konservative - wenn damit eine wertgebundene Haltung verbunden ist. Aber bei Ihnen ist in dieser Frage keine wertgebundene Haltung zu erkennen. Sie wollen Ehe und Familie schützen. Sie wollen die Ehe schützen und fördern. Das bedeutet für Sie automatisch und gleichzeitig die Diskriminierung der Lebenspartnerschaft. ({3}) Das ist Ihre Haltung, und die ist verfassungswidrig. ({4}) Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Sie die Ehe fördern wollen. Aber wenn Sie das in Zukunft im Einklang mit dem Grundgesetz tun wollen, dann müssen Sie sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Ehe nur geschützt werden kann, wenn gleichzeitig andere Formen des Zusammenlebens diskriminiert und zweitklassig gestellt werden. Ich finde, Sie sollten sich einmal ein Beispiel an David Cameron nehmen. ({5}) Das ist ein gestandener Konservativer. Er eignet sich für mich überhaupt nicht als Vorbild, wenn es um Europafragen geht. Auch sind die Tories ganz stramm gegen Frauenquoten. Ich teile seine Auffassungen also nicht. ({6}) Aber er lässt sich nicht von Gerichten abnötigen, Lebenspartnerschaften Schritt für Schritt gleichzustellen. Vielmehr hat er sich an die Spitze der Bewegung in Großbritannien gesetzt. Ich war zufällig in London im Unterhaus, als dort Anfang Februar die Entscheidung fiel. David Cameron ist mutig vorangeschritten. Er hat sich nicht einmal davon abschrecken lassen, dass mehr als die Hälfte seiner Tory-Abgeordneten gar nicht mit ihm gestimmt haben. Das ist mutig, meine Damen und Herren. Frau Merkel hingegen schickt jetzt - nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes - Frau Klöckner, Herrn Grosse-Brömer und Herrn Kauder vor, um die Stimmung für eine 180-Grad-Wende auszuloten. Das nenne ich feige, meine Damen und Herren. Ich finde, die Bundeskanzlerin sollte sich einmal ein Beispiel an David Cameron nehmen. ({7}) Aber da ist am Ende auf jeden Fall noch Horst Seehofer. Auf den kann man sich verlassen. Der gibt die Parole aus: Die CSU bleibt bei ihrer Linie, „wie auch immer die Richter entscheiden“. Diesem Mann fehlt ganz offensichtlich nicht nur der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, ({8}) er hat auch ein gestörtes Verhältnis zur Verfassung. ({9}) Aber bei Horst Seehofer - er trägt jetzt ja den Spitznamen „Horst Drehhofer“ - kann man natürlich nicht ausschließen, dass er die Kurve noch kriegt. Ich finde es jedenfalls gut, dass im Bundesrat am Freitag ein Gesetzentwurf zur Abstimmung steht, mit dem die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften beschlossen werden soll. Da haben Sie die Möglichkeit, einmal zu schauen, wie viele CDU-regierte Länder da mitmachen. Es ist an der Zeit, dass wir Lebenspartnerschaften umfassend gleichstellen: im Sozialrecht, im Familienrecht, im Steuerrecht. „Gleiche Rechte für alle“ heißt die Parole in Deutschland. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Stephan Thomae. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte. ({0}) Menschen, die Verantwortung füreinander und für Dritte übernehmen, verdienen unser aller Respekt und gesellschaftliche Anerkennung. ({1}) Der Staat sollte es unterstützen und nicht behindern, wenn Menschen füreinander und für Dritte Verantwortung übernehmen wollen. ({2}) Wenn diese Menschen das gleiche Geschlecht haben, dann fragen wir Liberale: Wo liegt eigentlich das Problem? Schadet das irgendjemandem? Wenn sich in solchen Fällen zwei Menschen um ein Kind kümmern, wo liegt dann für das Kind der rechtliche Nachteil, wenn durch Adoption ein rechtliches Verwandtschaftsverhältnis begründet wird? Nun mag es ja sein, dass sich gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als unvereinbar mit einem bestimmten Familienbild erweisen, aber es geht bei dieser Frage nicht um Familienbilder, sondern es geht bei der Adoption von Kindern jedes Mal, in jedem Einzelfall um das Kindeswohl. ({3}) Nun mag wiederum jemand der Auffassung sein, dass das Aufwachsen in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft für ein Kind schädlich oder nachteilig sein könnte. Nur, meiner Wahrnehmung entspricht das nicht. Abgesehen davon lässt es sich auch gar nicht verhindern. Denn wenn nun jemand in eine Lebenspartnerschaft ein Kind einbringt, dann wächst dieses Kind ganz einfach faktisch in einer solchen Lebenspartnerschaft auf. Wo ist in einem solchen Fall der rechtliche Nachteil, wenn durch Sukzessivadoption der andere Partner in dieser Gemeinschaft eine rechtliche Verpflichtung, etwa eine Unterhaltsverpflichtung, für dieses Kind übernimmt? Siehe da: Es gibt Kinder, denen schadet das gar nicht. ({4}) Wenn die Sukzessivadoption nun aber den Kindern nicht schadet, dann ist die Frage, warum nicht Jugendämter bei jeder Einzelfallprüfung, die bei Adoptionen angebracht ist und vorgenommen werden muss, mit prüfen, ob in bestimmten Fällen ein zur Adoption stehendes Kind auch in einer Lebenspartnerschaft voll adoptiert werden kann. ({5}) Deshalb kann ich für meine Fraktion und meine Partei erklären: Die FDP hat mit einer Sukzessivadoption kein Problem, und sie hat auch mit einer Volladoption kein Problem. Sie hat nicht nur kein Problem damit, nein, wir würden sie sogar begrüßen. ({6}) Wir finden aber momentan in unserer Regierungskoalition dafür noch keine breite Mehrheit, ({7}) registrieren jedoch erfreut, dass auch in der Union seismische Bewegungen stattfinden. Wir wollen uns Zeit nehmen, um diese Bewegungen zu beobachten. Alle, die noch zögern, möchte ich ermutigen: Für die Kindeswohlprüfung sorgt das Adoptionsrecht ausreichend. Wenn die Kindeswohlprüfung im Einzelfall ergibt, dass ein Kind bei zwei Partnern gleichen Geschlechts am besten aufgehoben ist, dann sollte das Gesetz solche Lösungen erlauben und nicht verbieten. Wir machen die Gesellschaft durch solch eine Lösung nicht weniger christlich, aber wir können ihr mehr Menschlichkeit verleihen. ({8}) Wenn wir schon dabei sind: Im Sommer ist ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu erwarten. Diesmal geht es um die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften und Ehen. Ich will dem nicht vorgreifen, aber die letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften gingen immer in die gleiche Richtung. Sie gingen immer in die Richtung: mehr Gleichstellung. So spricht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass es auch im Sommer dieses Jahres so sein wird. Ich denke, dass der Gesetzgeber die Umsetzung der Fingerzeige aus Karlsruhe nicht böswillig weiter auf die lange Bank schieben sollte. Denn die Menschen dürfen zu Recht erwarten, dass der Gesetzgeber ohne schuldhaftes Zögern handelt. Warum werden Eheleute nach dem Einkommensteuergesetz bessergestellt? Weil Eheleute füreinander in Wechselfällen des Lebens finanzielle Verantwortung übernehmen und damit auch die Sozialkassen entlasten. Das honoriert der Staat, indem er Ehen im Steuerrecht besserstellt. ({9}) Für Lebenspartner gilt nichts anderes. Auch Lebenspartner gleichen Geschlechts übernehmen in den Wechselfällen des Lebens, wenn sie es vermögen, füreinander finanzielle Verantwortung, ({10}) entlasten damit ebenfalls die Sozialkassen und haben deswegen ebenfalls Anspruch auf steuerrechtliche Gleichstellung. ({11}) Damit komme ich zum Fazit, Herr Präsident, und erkläre für meine Fraktion, dass wir eine Gleichstellung lieber gestern als heute gehabt hätten. Wir wären auch morgen noch damit einverstanden, aber meinen, dass wir damit nicht bis übermorgen warten sollten; ({12}) denn das wird den Menschen im Lande immer schwerer zu erklären. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Thomae, es gab da mal 2009 einen Koalitionsvertrag, der von zwei Partnern unterschrieben wurde. ({0}) - Drei: CDU, CSU und FDP. - Da steht drin, dass Sie sich für die steuerliche Gleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe einsetzen wollen. ({1}) Davon war bisher noch überhaupt nichts zu spüren. ({2}) Seit 2009 gibt es dazu fünf Urteile des Bundesverfassungsgerichts. In allen fünf Urteilen wurde festgestellt, dass eine Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht durch Art. 6 des Grundgesetzes gedeckt ist. Es ist dadurch nicht gedeckt, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft schlechtergestellt wird, weil Ehe und Familie der Gesellschaft besonders viel wert sind. Das ist die Realität. ({3}) Herr Papier sagt, die Würfel sind gefallen - schon vor über zehn Jahren. Herr Voßkuhle wundert sich, warum diese Diskussion jetzt auf einmal losgeht, da doch klar sei, dass das Bundesverfassungsgericht noch vor der Sommerpause entscheiden wird. Jetzt wird Herr Kauder ganz mutig und sagt: Natürlich setzen wir das Urteil zur Sukzessivadoption um. Es war in der Zeitung zu lesen, dass es bei der Union gestern eine heftige Fraktionssitzung gab. Herr Schäuble hat sich positiv zur Gleichstellung geäußert. Frau Reiche sah das Abendland bedroht. Das war pure Entrüstung. Man sagte, dass die Ehe bedroht ist und die bürgerliche Ehe dadurch unterhöhlt werden soll. Was Sie machen, ist pure Ideologie; das gilt für alles, was Sie hier gesagt haben, etwa zum Thema Kindeswohl. Das haben doch Sie in den letzten Jahren sträflich missachtet. Sie haben doch bisher verhindert, dass für adoptierte Kinder eines Partners oder einer Partnerin innerhalb einer eingetragenen Lebenspartnerschaft Rechtssicherheit geschaffen wird. Herr Krings, ich muss mich schon sehr wundern, dass Sie den Unterschied zwischen dem Kampf um die eingetragene Lebenspartnerschaft und dem Kampf um die Öffnung der Ehe bis heute nicht verstanden haben. ({4}) Ich muss wirklich sagen: Da habe ich sehr gestutzt. Ich dachte, da sind auch Sie ein bisschen weiter. ({5}) Es war ja vor etwas mehr als zehn Jahren nicht möglich - in keiner Weise -, die Ehe zu öffnen, ({6}) weil Ihnen der Begriff heilig ist; nun gut. Es gab dann viele Verhandlungen. Man hat es geschafft, die eingetragene Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut zu installieren. Natürlich ist es jetzt das Einfachste und Beste, für die Öffnung der Ehe zu streiten. Auch wenn öffentlich vor allem über das Adoptionsrecht und das Ehegattensplitting diskutiert wird, gibt es darüber hinaus eine Vielzahl anderer Regelungen, bei denen eingetragene Lebenspartnerschaften heute noch benachteiligt werden. Sie haben sich entschieden, immer nur Widerstand zu leisten. Erst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung getroffen hat, geben Sie wieder ein Stückchen preis. Es interessiert Sie eben nicht, dass sich die gesellschaftliche Realität verändert hat. Deshalb ist es das Beste, die Ehe zu öffnen, ja. Wir Linken haben das bereits im Juni 2010 als erste Fraktion hier im Bundestag beantragt. Ich bin sehr, sehr froh, dass das inzwischen auch die SPD-Fraktion und die Grünen so sehen. Es gibt ja selbst in Ihren Reihen, bei den Schwulen und Lesben in der Union, sehr, sehr große Unterstützung für diesen Ansatz. Vielleicht hören Sie auch einmal auf die Menschen, die selber betroffen sind; ({7}) das wäre für Ihre Politik nicht ganz uncharmant. ({8}) Ich muss Ihnen sagen: Dass wir heute hier diskutieren, ist nicht nur ein Zeichen Ihrer Feigheit und Ihrer Unzuverlässigkeit im Hinblick auf das, was Sie in Koalitionsverträgen vereinbaren, sondern auch ein Zeichen Ihrer Demokratiefeindlichkeit. Ich glaube, Sie haben kein richtiges Verständnis von Ihrem Tun als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Es steht nirgends geschrieben, dass wir immer erst dann etwas machen dürfen - nein, dann müssen wir es machen -, wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir als Legislative sind gewählt, um Gesetze zu machen, aber nicht, um nur zu warten, bis wir zu etwas gezwungen werden. Überlegen Sie doch mal, was Sie der Öffentlichkeit damit demonstrieren! ({9}) Ich sage Ihnen auch: Das, was Sie machen, ist homophob. Sie befördern damit homophobe Tendenzen in unserer Gesellschaft, die - das wissen wir - immer noch da sind, ({10}) wenn Sie unterschwellig immer weiter versuchen, Schwulen bzw. Lesben, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, per se abzusprechen, dass sie vielleicht genauso gute Eltern sind. ({11}) Wahrscheinlich sind sie sogar bessere; denn Schwule müssen sich sehr genau überlegen, ob sie ein Kind adoptieren - ein Kind kann bei ihnen nicht einfach so passieren. ({12}) Ich möchte abschließend sagen: Ich bin froh, dass die Diskussion, die wir jetzt führen, gleichzeitig die Diskussion über das Ehegattensplitting eröffnet. ({13}) Ich sage ganz klar: Natürlich muss das Ehegattensplitting sowohl bei Ehen als auch bei eingetragenen Lebenspartnerschaften Anwendung finden. Mittelfristig muss das Ehegattensplitting jedoch abgeschafft werden. ({14}) Das Ehegattensplitting hat nicht mehr die Zielstellung, die es einmal hatte: Bei der Einführung des Ehegattensplittings ging es um die Förderung von Kindern. ({15}) Nicht einmal die Ehen sind Ihnen gleich viel wert: Viele Verheiratete in Deutschland, ob mit oder ohne Kinder, haben von Ihrem Ehegattensplitting überhaupt nichts, weil sie nämlich so wenig verdienen, dass sie gar keine Steuern zahlen können. ({16}) Also lassen Sie das Thema Familienförderung beim Ehegattensplitting weg, und werden Sie auch da modern: Individualbesteuerung für alle! Genauso müssen wir endlich aus dem Status eines Entwicklungslandes herauskommen bezüglich der Behandlung von Schwulen und Lesben, so sie miteinander leben wollen und das auch rechtlich demonstrieren wollen. Danke. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU Kollege Norbert Geis. ({0}) Bitte, Kollege Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie hätten mich ruhig zitieren können; aber ich muss wissen, um welches Zitat es sich handelt, damit ich mich auch entsprechend wehren kann. Aber so, diese Andeutung, das halte ich nicht für sehr korrekt. ({0}) Ich gebe Ihnen recht: Die Lebensform der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften hat sich nicht in dem Maße durchgesetzt, wie sich das manche vielleicht erwartet haben. ({1}) Denn immer noch 17,3 Millionen Ehen stehen etwa 23 000 eingetragene Lebenspartnerschaften gegenüber; das bewegt sich im Promillebereich. Das gleiche Bild ergibt sich bei Kindern, die in solchen Lebensgemeinschaften leben: 9,3 Prozent der Kinder leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Zu den nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden auch die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gezählt; von der Statistik her spielt das allerdings eine ganz geringe Rolle. ({2}) Von dieser Seite her ist es in der Tat schon ein wenig fragwürdig, weshalb wir dann eine solche Diskussion haben. ({3}) Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Es geht Ihnen darum, ein Institut neben die Ehe zu setzen und damit die Privilegierung der Ehe zu untergraben. Sie wollen die Privilegierung der Ehe abschaffen. ({4}) Um nichts anderes geht es Ihnen; das kann man aus jeder Wortmeldung von Ihnen erkennen. Anders kann ich das nicht wahrnehmen. Denselben Versuch gab es in der Gemeinsamen Verfassungskommission, die von 1992 bis 1994 tagte. Damals kam der Antrag, man möge Art. 6 Grundgesetz für andere Lebensgemeinschaften öffnen. ({5}) Dieser Antrag ist damals an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit gescheitert. Seitdem versucht man, die Verfassung auf dem Wege über einfachgesetzliche Regelungen doch noch zu ändern. ({6}) Das ist, wogegen wir uns wehren. Wer die Verfassung ändern will, der muss den normalen Weg gehen, nämlich über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und über eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. ({7}) Das darf aber nicht auf dem Wege eines Gesetzes, das - wie das Lebenspartnerschaftsgesetz - unterhalb der Verfassung rangiert, erfolgen. ({8}) Genau das versuchen Sie aber. Sie bekommen dafür - ich will Ihnen das zugestehen - den Segen des Bundesverfassungsgerichts. ({9}) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz vom 17. Juli 2002 aber ganz klar erklärt - das sei Ihnen auch gesagt -, dass es dem Gesetzgeber nicht erlaubt ist, ein Institut neben die Ehe zu stellen, das der Ehe gleich ist, das austauschbar ist. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich - wörtlich - geschrieben: Es handelt sich bei der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft um ein Aliud, nicht vergleichbar mit der Ehe. Genau diese Position hat das Verfassungsgericht in fünf Urteilen - sie sind schon zitiert worden; ({10}) es geht um die Schenkung, um das Erbrecht, um die betriebliche Altersversorgung, um das Beamtenrecht und schließlich um das sukzessive Adoptionsrecht - geräumt. ({11}) - Sie müssen uns gestatten, dass wir damit nicht einverstanden sind. Wir sind der Meinung, dass das Verfassungsgericht mit diesen fünf Urteilen auf einem Irrweg ist, ({12}) und das sagen wir auch laut. ({13}) Wir sagen das laut: Wir halten fest daran, dass die Ehe privilegiert ist. Da kann das Verfassungsgericht nicht kommen und den Versuch unternehmen - Sie auch nicht -, mithilfe der Rechtsprechung die Verfassung zu ändern. Sie wollen die Verfassung ändern. ({14}) - Da können Sie noch so laut rufen; das ist der Sachverhalt. ({15}) - Sie können ruhig laut reden; ich werde es noch lauter sagen: Gegen diesen Sachverhalt wehren wir uns. Wir sind der Auffassung, dass wir an der Privilegierung der Ehe festhalten müssen. Zum Ehegattensplitting. Ich frage mich: Was machen Sie eigentlich mit dem Ehegattensplitting, wenn es auch andere Einstandsgemeinschaften gibt, wie zum Beispiel dann, wenn die Tochter bei der Mutter wohnt oder wenn zwei Geschwister zusammenwohnen, die ein Leben lang füreinander einstehen? Ich möchte einmal wissen, was das Verfassungsgericht dazu sagt. Sie müssen gleichbehandelt werden. ({16}) - Ja, gut, aber dann müssen Sie eine ganze Menge gleichbehandeln. ({17}) Zur Volladoption. Bei der Volladoption geht es Ihnen doch nicht um das Kind, sondern um nichts anderes als um einen weiteren Schritt zur Gleichstellung des Instituts der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit dem der Ehe. Das Kind ist nicht gefragt. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Für das Kind ist es nach wie vor am besten, wenn es mit Vater und Mutter aufwächst und nicht mit „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“. Das ist nun einmal von der Natur so gegeben. ({18}) Im Übrigen: Seien Sie zufrieden, und hören Sie sich das einmal an: In Belgien gibt es diese Regelung schon. Und es gibt fast keine Adoptionen in dieser Hinsicht, weil die Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigeben, natürlich wollen, dass das Kind in einer vernünftigen Gemeinschaft lebt, nämlich bei Vater und Mutter und nicht bei „Papa, Papa“ oder „Mama, Mama“. Danke schön. ({19})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Frau Christel Humme für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Frau Kollegin Christel Humme. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lieber Herr Geis, es nützt nichts. ({0}) Sie können sich noch so aufregen: Das Verfassungsgerichtsurteil hat eindeutig bestätigt: Die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist verfassungsrechtlich geboten. ({1}) Die hektischen und widersprüchlichen Pressemitteilungen auf der Seite der Union zeigen mir natürlich ganz deutlich bzw. lassen mich ahnen, wie sehr Ihr konservatives Weltbild erschüttert ist - auch Ihres, Herr Geis. Ich kann das verstehen. Aber die Rechtslage ist doch eindeutig: Juristisch gibt es keinen Unterschied zwischen Ehe und einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. ({2}) Beide sind auf Dauer angelegt und gründen auf der für den Partner übernommenen Verantwortung. Kinder wachsen in diesen Beziehungen so gut auf, dass von einer Gefährdung des Kindeswohls, wie es konservative Gegner - auch Sie, Herr Geis - behaupten, nicht die Rede sein kann. Schauen Sie in ein Gutachten des Bundesjustizministeriums von 2009. Darin wird Ihnen das eindeutig belegt. Ich sage Ihnen: Für eine Diskriminierung von eingetragenen Lebenspartnerschaften, wie Sie das tun, Herr Geis, gibt es keinerlei rationale Argumente. ({3}) Darum sage ich Ihnen: Die Position der SPD ist eindeutig. Wir fordern die Öffnung der Ehe, das heißt, wir wollen eine völlige rechtliche Gleichstellung der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft. Wir freuen uns natürlich, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael GrosseBrömer, ankündigt, seine Fraktion wolle in Kürze einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Homoehe vorlegen. Das finden wir gut. Aber hat er das mit der Kanzlerin abgesprochen? Die hat sich doch unmittelbar - das haben wir heute schon gehört - vor dem CDU-Parteitag vor gut zwei Monaten eindeutig gegen die Gleichstellung positioniert. Mich würde es nicht wundern, wenn sie wieder nach dem System Merkel verfährt: Was kümmert mich das Geschwätz von gestern? ({4}) Und was ist jetzt? Sie bittet um zehn Tage Bedenkzeit. Wofür? Worüber wollen Sie denn diskutieren? Es gibt doch nur eine einzige Entscheidung, die Sie treffen müssen: Wollen Sie Lesben und Schwule weiterhin verfassungswidrig diskriminieren, oder sind Sie bereit, sie als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anzuerkennen? Nur diese Entscheidung müssen Sie treffen. ({5}) Die gesellschaftliche Debatte dagegen ist viel weiter als Sie. Wir haben gerade schon gehört: 74 Prozent der Deutschen fänden es gut, wenn es eine Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe gäbe. Und man staune: 64 Prozent der Unionswähler, Ihrer Wähler also, finden eine völlige Gleichstellung der Homoehe gerecht. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, darum ist es richtig, dass im Bundesrat am kommenden Freitag ein Gesetz zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht vorgelegt wird. Hier gibt es endlich die Chance für Sie, nicht nur Getriebene des Bundesverfassungsgerichts zu sein, sondern endlich zuzustimmen. Denn Mitte des Jahres erwarten wir ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einkommensteuerrecht. Wie das ausgehen wird, können wir uns heute schon vorstellen und ist zu prognostizieren. Auch hier wird es für CDU und CSU eine Niederlage geben. Sie wissen das, Sie wissen das sehr genau. Denn nicht umsonst rechnet das Finanzministerium bereits für diesen Fall die Zahlen aus. Gleichzeitig mit der Debatte über die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften beginnt in der Union, auch von Ihnen geführt, Herr Geis, eine, wie ich meine, sehr scheinheilige Debatte über das Ehegattensplitting. Was haben Ehegattensplitting oder Familiensplitting mit der heutigen Auseinandersetzung zu tun? Nichts. Gleichstellung ist Gleichstellung, Punktum! ({6}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Herr Geis hat von dem Schutz der Ehe gesprochen; Art. 6 Grundgesetz wird ja immer gerne zitiert. Ich rate Ihnen: Schauen Sie doch mal in eine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts von 1957 hinein. Darin stand schon: Der Schutz der Ehe erfordert nicht, dass nur einer der Ehepartner wirtschaftlich tätig ist. - Das fanden Sie damals unter Adenauer schon viel zu progressiv. Ich denke, an dieser Stelle sind Sie über die Diskussion der 50er-Jahre einfach noch nicht hinausgekommen. ({7}) Ich glaube, es ist richtig, über das Ehegattensplitting zu diskutieren - klar, keine Frage -: Ist es noch zeitgemäß? Ist es sozial gerecht? Ist es sozial gerecht, wenn nur der einen Steuervorteil von 15 000 Euro bekommt, der 250 000 Euro im Jahr verdient, während die anderen, die unteren Einkommen, leer ausgehen oder nur einen geringen Steuervorteil haben? Ist das gerecht? Das müssen wir uns natürlich fragen. Wir müssen uns auch fragen, ob der Staat in Beziehungen hineinregieren darf. Das Gleiche gilt allerdings auch für das Familiensplitting. Frau Ministerin Schröder, die hier sitzt, hat mal gesagt: Das geht überhaupt nicht mit dem Familiensplitting; das würde 10 Milliarden Euro zusätzlich kosten und die hohen Einkommen noch zusätzlich fördern. - Ist das sozial gerecht? Ich glaube, diese Frage sollten wir uns auch stellen, aber eben nicht heute. Heute geht es um ein eindeutiges Thema, heute geht es um die Gleichstellung von Ehe und eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ich wünsche mir von Ihnen einen Gesetzentwurf. Und dafür brauchen Sie eigentlich keine zehn Tage Bedenkzeit mehr. Danke schön. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Michael Kauch. Bitte schön, Kollege Michael Kauch. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Geis, Sie haben über Rechtsinstitute gesprochen. Es geht nicht um Rechtsinstitute oder um Ideologie, sondern es geht um Menschen, um Menschen, die Gefühle haben, um Menschen, die Lebensentwürfe leben, und zwar ihre eigenen. Die Frage ist, ob der Staat fair mit ihnen umgeht, ihnen alle Pflichten aufzuladen, aber ihnen nicht die gleichen Rechte zu geben. Das ist die Frage, um die es geht. Um diese Menschen in unserem Land geht es und nicht um die Frage von Ideologie, von Rechtsinstitut, von Ehe oder Lebenspartnerschaft. Wir müssen das am einzelnen Menschen diskutieren. Dann kommen wir vielleicht auch zu einem sachlichen Ergebnis. ({0}) Der Schutz der Ehe ist nicht betroffen, wenn man Lebenspartnerschaften gleichstellt. Menschen entscheiden sich nicht, ob sie schwul oder lesbisch sind; sie sind es. Deshalb werden sie auch nicht die Ehe eingehen, wenn man ihnen kein angemessenes alternatives Rechtsinstitut anbietet. Auch bisexuelle Männer und Frauen werden nicht nach Steuervorteilen entscheiden, wen sie heiraten wollen. Deshalb müssen wir die Frage anders stellen, nämlich: Was begründet die Privilegierung von Ehegatten oder Lebenspartnerschaften im Steuerrecht? Dazu hat das Bundesverfassungsgericht schon in seiner Entscheidung von 2010 zur Erbschaftsteuer gesagt: Wenn die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einhergeht, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, ist das nicht gerechtfertigt durch die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe. Deshalb müssen wir uns daran orientieren, was eigentlich der Grund für das Ehegattensplitting ist. Das ist eine unterschiedliche steuerliche Leistungsfähigkeit. Denn durch die Unterhaltsverpflichtung, die ich gegenüber dem Lebenspartner oder dem Ehegatten habe, vermindere ich meine steuerliche Leistungsfähigkeit, und dadurch, dass der andere Unterhaltsrechte bekommt, erhöht er seine. In einem progressiven Steuersystem macht das einen Unterschied. Das ist die Rechtfertigung, und zwar gilt das sowohl für die Ehe als auch für die Lebenspartnerschaft, meine Damen und Herren. ({1}) Wenn wir uns die Frage des Adoptionsrechts anschauen, dann geht es entscheidend um das Kindeswohl. Es geht ausdrücklich nicht allein um die Frage, dass sich Menschen selbst verwirklichen wollen, sondern es geht um die Frage: Was ist das Kindeswohl? Ich sage Ihnen: Es ist im Kindesinteresse, dass es in einer behüteten Umgebung aufwächst statt in staatlicher Obhut. Das ist die Frage, über die wir streiten. ({2}) Wenn das Bundesverfassungsgericht die Sukzessivadoption aus Kindesinteresse zulässt, dann macht es doch keinen logischen Sinn, zu sagen: Dann muss erst der eine Lebenspartner das Kind einzeln adoptieren, zwei Jahre warten, und dann gibt es eine Sukzessivadoption. Auch hier ist es im Kindesinteresse, dass von Anfang an beide Verantwortung für das Kind übernehmen und Unterhaltspflichten haben und dass im Fall des Todes desjenigen, der das Kind alleine adoptiert, der andere dann tatsächlich das Sorgerecht bekommt und das Kind in seiner stabilen Umgebung bleibt. Das dient Kindeswohl. ({3}) Im Übrigen wird die Diskussion um die Regenbogenfamilien immer wieder verkürzt geführt. Die meisten Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sind nicht dort hineinadoptiert worden. Denn auch Schwule und Lesben können Kinder kriegen, und das tun sie, nicht mit ihrem Partner, aber vielleicht mit jemand anderem, oder sie haben ein Kind aus einer früheren Beziehung. Diesen Menschen gegenüber finde ich es völlig unangemessen, wie darüber gesprochen wird, dass Kinder Vater und Mutter haben sollen. Ja, die Kinder haben Vater und Mutter; sie sind nur nicht miteinander verheiratet. Das ist der Unterschied. Aber das ist doch keine Frage des Kindeswohls, sondern das ist die Frage einer bestimmten Ideologie, die hier verbreitet wird, meine Damen und Herren. ({4}) Ich möchte aber auch ein paar Dinge zu Frau GöringEckardt sagen. Sie haben sich hier hingestellt und für die volle Gleichstellung plädiert. Sie sind Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. In Sachsen wurde vorgeschlagen, dass die Lebenspartner endlich ins Pfarrhaus einziehen dürfen. Die Synode hat sich bisher dagegengestellt. Ich bin der Auffassung, dass Sie als Präses der Synode in der Verantwortung sind, dass endlich in Sachsen und sonst wo in der Republik die Lebenspartner ins Pfarrhaus können und dass die Kirche Lebenspartner genauso bezahlt wie Verheiratete. Das ist Ihre Verantwortung in Ihrem Aufgabenbereich. ({5}) Sie sollten nicht nur hier als Oppositionspolitikerin schön daherreden, sondern da die Verantwortung übernehmen, wo Sie in der Verantwortung sind. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Obwohl ich nicht Mitglied der evangelischen Kirche bin und dort auch keine Verantwortung trage, muss ich Sie leider darüber informieren, dass selbst in der Landeskirche in Sachsen die Uhren schon einen Schritt weiter sind. Dort wurde kürzlich ein Missionar seines Dienstes enthoben, weil er sich dagegen gewehrt hat, dass die sächsische Landeskirche akzeptiert, dass schwule und lesbische Paare in den Pfarrhäusern leben und dass das Pfarrerdienstrecht das auch entsprechend vorsieht. Die evangelische Kirche ist viel weiter als Ihr Koalitionspartner. ({0}) Und das ist auch gut so. Ich wünsche mir, dass die katholische Kirche bald nachzieht. Das sage ich, obwohl wir hier Politik machen. Diese richtet sich nach dem Grundgesetz und nicht nach den individuellen religiösen Überzeugungen der hier im Haus an den Entscheidungen Beteiligten. Die verfassungsrechtliche Lage ist glasklar. Das hat uns Herr Voßkuhle mit auf den Weg gegeben, und das hat Herr Papier noch deutlicher ausgesprochen. Herr Papier hat gesagt: Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur eingetragenen Lebenspartnerschaft ist rechtlich nicht mehr zu halten. ({1}) Weiter hat er gesagt: Der Gesetzgeber hat nach geltendem Verfassungsrecht bei der Gleichstellung keine Wahl mehr. Herr Voßkuhle hat das etwas vornehmer ausgedrückt, aber uns das Gleiche gesagt, als er sein Unverständnis darüber geäußert hat, dass der fünfte Schlag auf den Hinterkopf des Gesetzgebers dazu geführt hat, dass in der Union eine Debatte begonnen hat, ob man sich endlich mal an die Verfassung halten möchte. ({2}) Ich wundere mich, dass Sie Debatten darüber führen, ob Sie das machen oder nicht machen. Bei der Sukzessivadoption müssen Sie gar nichts mehr tun. Diese ist mit dem Urteil vom letzten Dienstag ab sofort erlaubt. ({3}) Dazu haben Sie keine Alternative. Bis 2014 müssen Sie das Adoptionsrecht für Lebenspartner in Ordnung bringen. Ich rate Ihnen, das noch in dieser Wahlperiode zu machen. Das Bundesverfassungsgericht sagt in der Randnummer 104 des Urteils glasklar und völlig unmissverständlich: Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht; ({4}) insbesondere sind beide Partnerschaften gleichermaßen auf Dauer angelegt und rechtlich verfestigt … Die Debatte, die die CSU noch führt, ob man das machen soll oder nicht, können Sie sich glatt sparen. Sie müssen es machen, und zwar spätestens bis zu dem Datum, das das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Sie können auch bis zum 30. Juni 2014 warten oder es jetzt einfach tun. Zur Einkommensteuer. Es gibt schon ein Urteil zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. Ich lese Ihnen - mit der Ersetzenfunktion bei Word können Sie sich schon einmal darauf vorbereiten, wie das Urteil im Sommer lauten wird - nur den Urteilstenor vor. Damals, am 21. Juli 2010, hieß es: Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Ersetze „Erbschaftsteuer“ und „Schenkungsteuer“ durch „Einkommensteuer“, und wir haben das Urteil vom kommenden Sommer. ({5}) Deshalb: Es ist doch gar keine politische Frage mehr. Es geht nur noch um den Zeitpunkt, wann Sie das machen. Herr Krings, Sie haben uns vorhin angegriffen und gesagt, wir hätten eine perfide Strategie gehabt. ({6}) In der Tat haben Margot von Renesse und ich uns damals beim Lebenspartnerschaftsgesetz verschworen. Ich wollte immer die Öffnung der Ehe. Die Lebenspartnerschaft war für mich in rechtspolitischer Hinsicht immer nur eine Art Übergangstechnologie hin zur vollständigen Gleichberechtigung. Meine Partei hat schon 1990 im Wahlprogramm die Öffnung der Ehe beschlossen. Mittlerweile sind auch die Sozialdemokraten dafür. Der Bundesrat wird wahrscheinlich noch in diesem Monat eine entsprechende Initiative beschließen. Aber wir wollten immer - so kompromisslerisch und realpolitisch, wie die Grünen nun einmal sind Volker Beck ({7}) ({8}) hart am Inhalt um jedes Stück Fortschritt kämpfen. Damals haben wir gesagt: Okay, es geht nicht mit der Ehe, machen wir das mit der Lebenspartnerschaft. - Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin - die heutige fehlt komischerweise ({9}) hatte große Bedenken, ob das Verfassungsgericht das mitmachen würde. Darauf haben wir gesagt: Dann schreiben wir in das erste Gesetz an ein paar Stellen andere Begriffe hinein, zum Beispiel beim Güterstand, bei der Art, wie die Partnerschaft zustande kommt und wie das getrennt wird. Das war zwar immer mit den gleichen Rechtsfolgen verbunden, aber die Begriffe waren unterschiedlich, damit wir so tun konnten, als ob es einen Abstand gibt. ({10}) - Doch, Herr Krings, das war schon ehrlich; denn wir haben dem Gericht gesagt: Wir brauchen das nicht. - Aber wir haben es gemacht, nach dem Motto: Wenn ihr der irrigen Ansicht der klagenden unionsregierten Freistaaten - Bayern, Sachsen, Thüringen - seid, die damals vor das Bundesverfassungsgericht gerannt sind, dann müsst ihr das Gesetz unverändert lassen. - Wir sind eigentlich der Auffassung: Man darf die Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichstellen, weil es ein anderer Adressatenkreis ist. Übrigens beinhaltet der Begriff „Aliud“ in diesem Urteil nichts anderes. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden, Herr Geis. ({11}) Insofern können wir diese Partnerschaftsformen gleichstellen. Ich habe das Bundesverfassungsgericht damals in der Verhandlung aufgefordert, zu sagen - es hat es erst 2009 umgesetzt -: Das, was wir nicht gleichgestellt haben, ist verfassungswidrig. Verfassungswidrig ist nicht, dass RotGrün das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet hat. - Das Bundesverfassungsgericht ist unserer Weisheit gefolgt. Wir haben damals alle Pflichten übertragen und haben gesagt: Wenn wir gegen den Bundesrat, der damals schwarz-gelb dominiert war, die infrage stehenden Rechte nicht vollständig durchsetzen, werden wir die Betroffenen dabei unterstützen, vor dem Bundesverfassungsgericht ihre Rechte einzuklagen: bei der Beamtenversorgung, beim Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, bei der Grunderwerbsteuer, beim Familienzuschlag und bei der Hinterbliebenenversorgung. Überall ist uns das Bundesverfassungsgericht gefolgt, letzte Woche auch beim Adoptionsrecht. In der Tat, unsere Strategie war schlau, aber sie war ehrlich und transparent, und wir haben uns durchgesetzt. Vor allen Dingen haben wir damit den gesellschaftlichen Wandel beim Respekt vor den Schwulen und Lesben in dieser Gesellschaft organisiert, und das ist weit bedeutender als die Rechtsfolgen für die Betroffenen. Auch deshalb sagen wir: Wir wollen keine Homoehe. Wir wollen die Ehe für alle Paare, die sich dafür entscheiden - wir wollen, dass die Differenzierung mit einem Sonderinstitut aufgehoben wird -; denn das drückt Respekt aus, das ist dem gesellschaftlichen Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz geschuldet. Das werden wir in der nächsten Wahlperiode zusammen mit den Sozialdemokraten durchsetzen, wenn Sie dazu in dieser Legislaturperiode wieder nicht in der Lage sind. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Olav Gutting. Bitte schön, Kollege Olav Gutting. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ist seit über einem Jahrzehnt gesellschaftliche Realität in unserem Land. Im Erbschaftsteuerrecht, bei der Rente und bei der Grunderwerbsteuer gibt es bereits die Gleichstellung. Jetzt geht es um die Frage der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung. ({0}) Es geht mir ausdrücklich nicht darum, die Volladoption von Kindern zu ermöglichen. Es geht auch nicht um eine absolute Gleichstellung ({1}) der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Es ist nicht das Gleiche. Die Lebenspartnerschaft ist und bleibt etwas anderes als die Ehe. Das sagt auch das Bundesverfassungsgericht. ({2}) Dennoch gibt es Parallelen. Wir in der Union glauben an den Wert der menschlichen Bindung. Wir glauben an den Wert der menschlichen Verpflichtung. Wir glauben daran, dass unsere Gesellschaft stärker ist, wenn wir uns gegenseitig binden, wenn wir uns unterstützen. Wir erwarten auch von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern, dass sie füreinander einstehen. ({3}) Wer diesen Pflichten nachkommt, wer füreinander einsteht, der sollte meines Erachtens auch als gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ein Anrecht darauf haben, steuerlich nicht schlechter behandelt zu werden als Mann und Frau in einer vergleichbaren Situation. ({4}) Was ich bei dieser Debatte allerdings nicht ganz verstehe: Die Opposition setzt sich zwar vehement und massiv für die Ausdehnung des Ehegattensplittings ein, gleichzeitig fordert sie aber die Abschaffung des Ehegattensplittings. ({5}) Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht die Frage ersparen: Was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie es abschaffen, oder wollen Sie es ausdehnen? ({6}) Ich kann Ihnen sagen: Sie können das Ehegattensplitting nicht einfach abschaffen; denn es ist nach unserer Verfassung zwingend geboten, um steuerliche Neutralität herzustellen. Eine ersatzlose Streichung des Ehegattensplittings, ({7}) wie Sie es ja fordern, hätte zur Folge, dass zahlreiche Familien, gerade solche mit mittlerem Einkommen, eine enorme zusätzliche Steuerbelastung hätten. ({8}) Diejenigen, die diese Steuerbelastung tragen müssten, sind die normalen Familien in Deutschland, auch wenn beide Partner arbeiten. ({9}) Deswegen sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Lassen Sie die Finger vom Ehegattensplitting! ({10}) Wichtig erscheint mir in dieser Debatte noch, dass wir festhalten, dass das Ehegattensplitting zunächst überhaupt nichts mit Familienförderung zu tun hat. Ich halte es für falsch, in dieser Debatte Ehe und Familie in einen Topf zu werfen und sie automatisch gleichzusetzen. Wir haben zur Familienförderung viele Maßnahmen, zielgenaue Maßnahmen, die meisten übrigens von Unionsregierungen beschlossen. Ich will hier nur das Elterngeld, die massive Erhöhung des Kindergelds, die wir in dieser Koalition beschlossen haben, den Kinderfreibetrag, die beitragsfreie Familienmitversicherung, das BAföG, das Betreuungsgeld, den massiven Ausbau der Kindertagesbetreuung, das Mutterschaftsgeld, den Unterhaltsvorschuss und den Kinderzuschlag nennen. Alles das sind Maßnahmen, die Familien stärken und schützen. Wir könnten diese Liste beliebig fortführen. Es ist immer die Politik der CDU/CSU und dieser Koalition gewesen, Familien zu fördern. Wir stehen für Familienförderung. Wir schützen und wir fördern die Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft. ({11}) Weil wir die Familienpartei sind und bleiben, ({12}) sind wir noch lange nicht homophob. ({13}) Ich finde es schlimm, wenn hier immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass man, wenn man für Familie ist, automatisch gegen Schwule und Lesben wäre ({14}) und homophob wäre. Das ist einfach nicht richtig, meine Damen und Herren. ({15}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Beim Ehegattensplitting geht es vor allem um den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit. ({16}) Die entsprechende Anwendung auf homosexuelle Paare, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, die füreinander einstehen müssen, halte ich deswegen für ein Gebot der Steuergerechtigkeit. Ja, wir sind in unserer Fraktion, in der CDU/CSUFraktion, nicht alle einer Meinung. Wir diskutieren dieses Thema. Ich glaube aber, wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, Kollege Beck, dass wir uns in der Union die notwendige Zeit lassen, um diese Debatte ausführlich zu führen. Vielen Dank. ({17})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der SPD unser Kollege Johannes Kahrs. Bitte schön, Kollege Johannes Kahrs. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Gutting hat eben davon gesprochen, dass er sich eine Gleichstellung im steuerlichen Bereich vorstellen kann. Das, finde ich, ist hoch ehrenwert. Man möge die Diskussion aber einfach einmal andersherum führen! Ich bin 1998 in den Deutschen Bundestag gekommen. Ich lebe jetzt seit ungefähr 20 Jahren mit meinem Freund zusammen. Seitdem ich im Deutschen Bundestag bin, führen wir hier immer eine Diskussion über die Frage: Wie findet Gleichberechtigung statt? In welchem Maß kann das gehen? Da bringt sich die FDP ein. Da bringen sich die Grünen ein. Die CDU/CSU habe ich immer nur in einer Art und Weise erlebt, nämlich als Bremser. Man kann die rechtliche Lage diskutieren - das ist alles gemacht worden; die Kollegin Humme hat das ja einmal durchdekliniert -; aber man muss sich einfach einmal überlegen, was diese Diskussion, zum Beispiel auch die Äußerungen des Kollegen Geis heute und in der Vergangenheit, bei Menschen in der Schule oder im Studium anrichtet, die auf dem Weg sind, sich zu finden. Es ist ja nicht so, dass irgendwo steht, dass man schwul ist, oder dass man sich dafür entscheidet, sondern das ist ein Weg, der für den Einzelnen sehr schwierig ist. Ob schwul oder lesbisch, es ist ein Weg über Jahre, teilweise Jahrzehnte. Dabei muss man erst einmal mit sich selber klarkommen, dann mit der eigenen Familie und mit seinem Umfeld. Das ist ein langer Weg, und er ist nicht immer einfach. Das liegt auch an der Gesellschaft. Das liegt daran, dass nicht alle das gut finden. Das liegt auch an dem Klima, das es in manchen Regionen an manchen Ecken gibt. Deswegen ist es für diejenigen schwierig, eine Diskussion zu erleben, bei der sie das Gefühl haben, dass sie nicht gleichberechtigt behandelt werden. Es ist eben für einen selber schon schwierig, diesen Weg zu gehen, weil man natürlich in seiner Umgebung, auch in der eigenen Familie, andere Beispiele erlebt. Ich glaube, Politik muss Hilfe und Unterstützung geben, damit jeder seinen Lebensweg gehen kann, wie er eben ist. Ich glaube, dass man es ihm nicht noch schwerer machen sollte. Herr Geis, Ihre Rede macht es für junge Menschen schwierig, offen dafür zu stehen, wie sie sind. Das führt eben auch zu Problemen. Natürlich kann man sagen: Jawohl, wir in der CDU brauchen Zeit. - Aber, ehrlich gesagt, das höre ich seit 1998. Mit großer Verwunderung habe ich im Wahlkampf in Niedersachsen erlebt, dass Frau Merkel für mich wahrnehmbar das erste Mal in Bierzelten diese Frage offen zum Wahlkampfthema gemacht und gesagt hat, dass sie gegen die Gleichstellung von Schwulen und Lesben ist. Das war in einem Wahlkampf, also dort, wo man auch einmal ein bisschen draufhaut. Das hatte ich von ihr so noch nicht gehört. Ich hatte Herrn Geis und die eine oder andere Stimme aus der CDU/CSU gehört. Ich habe die Abstimmung wahrgenommen. Aber das hatte ich von Frau Merkel so noch nicht vernommen. Ehrlich gesagt, wundert es mich dann überhaupt nicht, dass die CDU auf ihrem Parteitag solch einen Beschluss fällt und sagt: Wir wollen keine steuerliche Gleichstellung. Die Urteile des Verfassungsgerichts waren alle bekannt. Es gibt ja nicht nur dieses letzte Urteil. Auch alle anderen Urteile waren bekannt; sie sind hier diskutiert worden. Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen, man müsse darüber neu diskutieren und alle Argumente abwägen, ist ehrenwert und redlich. Aber zwölf Jahre sind Zeit genug. Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen in dieser Zeit ihren Lebensweg gegangen sind, dann muss man sagen, dass die Politik hier nicht in jeder Phase geholfen hat. Ich glaube, wenn man in einer christlichen Partei ist, dann muss man auch daran denken, wie es den Menschen geht. Man kann das Thema verfassungsrechtlich gerne rauf und runter diskutieren; aber das Verfassungsgericht hatte in seinen letzten Urteilen - das hat Volker Beck hier sehr eingängig durchdekliniert - eine sehr durchgängige Beschlusslage. Aufgrund dieser durchgängigen Beschlusslage wissen wir alle, wie entsprechende Urteile in der nächsten Zeit ausgehen werden. Wenn man das weiß und nichts tut, sondern sich in jeder Frage vom Verfassungsgericht schieben, tragen und helfen lässt, dann stellt sich die Frage, warum irgendjemand die CDU wählt. Wir sind doch in die Politik gegangen, um Politik und Gesellschaft zu gestalten, um zu sagen, wie dieses Land aussehen soll. Wenn man als Volkspartei, als Regierungspartei hier steht und sich nicht bewegt, nicht gestaltet, sondern sich vom Verfassungsgericht über jedes kleine Stöckchen tragen lässt, dann ist das erbärmlich. ({0}) Die Freie und Hansestadt Hamburg hat jetzt beschlossen, im Bundesrat den Antrag zur Öffnung der Ehe zu stellen. Ich bin Olaf Scholz und Jana Schiedek, unserer Justizsenatorin, dankbar dafür, dass sie die Initiative ergriffen haben. Ich glaube, dass es eine Mehrheit dafür geben wird. Dann werden Sie sich hier wieder mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Meine Bitte ist: Bewegen Sie sich! Wenn eines verlässlich ist, dann ist es doch die Wankelmütigkeit, die Sprunghaftigkeit der Bundeskanzlerin. Vielleicht ist es diesmal für Menschen und für etwas Gutes. Ich hoffe darauf. Vielen Dank. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl Schiewerling. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin einigermaßen überrascht, dass diese Diskussion, die für uns in der Union - keine Frage - eine schwierige Diskussion ist, genutzt wird, um daraus wahlkampftechnische oder strategische Vorteile zu ziehen. ({0}) Nehmen Sie uns doch ab, dass es keine Boshaftigkeit ist, wenn wir, ausgehend von unserem Verständnis von Staat und Gesellschaft, in dessen Kern Ehe und Familie stehen, sagen: Wir schützen diesen Kern unserer Gesellschaft! ({1}) Ich sage Ihnen sehr deutlich: Diese Diskussion ist deswegen so emotional - nicht nur hier im Bundestag, sondern auch bei uns in der Fraktion -, weil es nicht nur um gesetzestechnische Vorgänge geht oder im Falle des Steuerrechts um steuertechnische Vorgänge, sondern weil es aus unserer Sicht um grundsätzliche Fragen der zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft geht. ({2}) Herr Kollege Beck und Herr Kollege Kahrs, ich bestätige Ihnen ausdrücklich, dass es natürlich zuerst und zuvorderst um Menschen und deren Zusammenleben geht. Es kommt aber auch darauf an, wie wir den Kern dieses Zusammenlebens gestalten. Wir alle, die hier sitzen, verdanken unser Leben Vater und Mutter. Ich gehe davon aus, dass wir alle aus einer Familie kommen, in der wir geborgen aufgewachsen sind, indem wir die Nähe von Vater und Mutter erlebt haben. Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich Entwicklungen in unserer Gesellschaft auftun, bei denen dieses selbstverständliche Zusammenleben von Vater und Mutter mit ihren Kindern offensichtlich nicht die Realität ist, was wir respektieren und anerkennen. Ich sage sehr deutlich: Für mich ist der Kern des Zusammenlebens der Schutz von Ehe und Familie; er ist nicht von geschlechtlichen Fragen abhängig. Aber ich respektiere - weil es bei der Ehe um die Frage geht, diesem Zusammenleben einen gesetzlichen Rahmen zu geben, der für das Leben in der Familie Verlässlichkeit schafft -, dass es eingetragene Lebenspartnerschaften gibt; denn wenn sich zwei Menschen zusammentun, für sich planen und organisieren, dann brauchen sie diesen Rechtsrahmen, um Verlässlichkeit für das Zusammenleben zu haben. Ich sage an dieser Stelle aber sehr deutlich: Das Urteil des Verfassungsgerichts ändert nach meinem Verständnis die Grundlagen des Art. 6 unserer Verfassung - Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung -, indem es daneben gleichberechtigt die Eingetragene Lebenspartnerschaft und deren Zusammenleben mit Kindern stellt. Das ist eine Veränderung innerhalb unserer Verfassung. Das habe ich als Politiker und Demokrat zur Kenntnis zu nehmen. Ich muss dieses Urteil nicht lieben. Ich liebe es auch nicht; im Tiefsten meines Herzens halte ich es für falsch. Ich habe es aber zu akzeptieren und auch zur Grundlage für politische Entscheidungen zu nehmen. Für mich geht es in der Urteilsbegründung um einen Passus zu der Frage der Adoption. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seiner Begründung ausdrücklich, dass man davon ausgeht, dass gleichgeschlechtliche Paare bei der Adoption von Kindern einer sorgsamen Prüfung unterzogen werden. Das ist richtig. Das gilt ja auch für alle anderen Paare. ({3}) Was mich aber umtreibt - das sage ich nicht nur mit Blick auf gleichgeschlechtliche Paare, sondern auch mit Blick auf Ehen und andere -, ist die Frage, ob bei einer Adoption im Ausland ernsthaft und gründlich geprüft wird, wie mit Kindern umgegangen wird und wie viel Käuflichkeit dabei ist. ({4}) - Herr Kollege Beck, ich habe gerade gesagt: Dies gilt für alle. - Was mich umtreibt, ist die Rolle des Kindes, ist die Rolle des Kindeswohls. Die Frage des Kindeswohls steht für mich bei den zukünftigen Entwicklungen im Mittelpunkt. Wenn es darum geht, sich ein Kind anzuschaffen, obwohl die Voraussetzungen nicht stimmen, ({5}) dann werden Kinder offensichtlich angeschafft, um der eigenen Selbstverwirklichung der Menschen zu dienen. Kinder sind dann nicht mehr selbstverständlicher Bestandteil im Leben von Menschen. Für mich ist die Kernfrage: Werden wir Politik mit den Augen der Kinder gestalten, die ein Recht auf ihr Leben haben, und zwar nicht nur als Kind, sondern auch als Jugendlicher, als Heranwachsender und als Erwachsener? Bei allen Untersuchungen, die uns vorliegen, wird lediglich geprüft, ob sich Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren wohlfühlen. Wir haben keine Untersuchung dazu, wie sich die Lebenssituation der Heranwachsenden, der Jugendlichen darstellt, die die Auseinandersetzung mit Vater und Mutter suchen. Wir haben überhaupt keine Untersuchung dazu, welche Auswirkungen dies hat, wenn sie erwachsen werden. Mich treibt das Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm um: Eine junge Frau, die erwartete, dass man ihr endlich sagt, wer ihr Vater ist, hat recht bekommen; ihre Mutter hat sich künstlich befruchten lassen, weil sie auf anderem Wege kein Kind bekommen konnte oder wollte. Sie will endlich wissen, welche Herkunft, welchen Vater sie hat. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nehmen wir mit Blick auf diese Kinder, die bald Jugendliche und Erwachsene werden, zukünftige politiKarl Schiewerling sche Entscheidungen ernst! Ich sage Ihnen im vollen Ernst - das sage ich Ihnen als Christlich-Sozialer und als Konservativer -: Kein Mensch in unserer Welt hat ein Anrecht auf ein Kind.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber alle Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der SPD unsere Kollegin Ingrid ArndtBrauer. Bitte schön, Frau Kollegin Arndt-Brauer. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich lebe recht konservativ: Ich bin seit 28 Jahren verheiratet, habe ehelich vier Kinder bekommen und bin seit meiner Eheschließung gefördert worden. Ich gehöre also zu den Privilegierten. Wenn man mir zusagt, dass ich nichts von meiner Förderung verliere, habe ich überhaupt nichts dagegen, dass auch andere gefördert werden. Warum auch? Warum sollten wir die Ehe, so wie ich sie führe, nicht in dem Sinne öffnen, dass wir sagen: „Andere, die ähnliche Lebensentwürfe mit Kindern oder mit Partnern, für die sie sich einsetzen, haben, sollten ebenfalls gefördert werden“? - Da nimmt man mir nichts weg; man gibt anderen etwas dazu. Das finde ich sehr positiv. Ich denke, alle drei Oppositionsfraktionen sehen das ähnlich. ({0}) Ich finde es etwas befremdlich, dass die FDP sagt: Eigentlich sehen wir das auch so - es müsste zu einer Gleichstellung kommen, alle müssten die Möglichkeit einer Adoption erhalten -; aber wir sind noch nicht so weit, dass wir das regeln können. - Ich befürchte: Wenn Sie es jetzt nicht regeln und Ihren Koalitionspartner dabei mitnehmen, haben Sie in der nächsten Legislaturperiode keine Chance mehr, es zu tun, und werden am weiteren Vorgehen nicht mehr beteiligt sein. ({1}) Das ist bedauerlich; aber das kann man dann nicht ändern. Bei der CDU/CSU finde ich es noch schwieriger. Da weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, ob das, was der Kollege Geis hier gesagt hat, wirklich die Meinung der CDU/ CSU ist, ob es im tiefsten Inneren die Meinung der Mehrheit der Wähler ist, oder ob es schon ein bisschen an der Zeit vorbeigeht. Natürlich verändern sich Gesellschaften und Werte; man muss diesen Wandel auch als Politiker akzeptieren und sich ihm ein Stück weit anpassen. Nur bin ich mir nicht sicher, inwieweit die CDU/ CSU in dem Prozess, den hier einige andere Kollegen angedeutet haben, schon mitgenommen worden ist. Natürlich haben Sie ein Werte- und Menschenbild; Sie wollen alle Menschen gleich behandeln. Aber wenn es darauf ankommt, dann wollen Sie einen Unterschied machen, dann sagen Sie immer noch: Die Ehe ist privilegiert, alles andere nicht. - Es ist schwierig, das gegenüber der Gesellschaft durchzuhalten. Ich erinnere an Themen, bei denen Sie auch einmal etwas anderes postuliert haben, bei denen sich aber die Situation im Verfahren des politischen Prozesses so entwickelt hat, dass Sie komplett umgesteuert haben. Ich nenne stichwortartig, was Sie einmal hochgehalten haben: Die Wehrpflicht war Ihnen einmal wichtig; Sie haben sie komplett aufgegeben bzw. ausgesetzt. Energiepolitik: Atomausstieg, was haben Sie für Verrenkungen gemacht! Ihre Politik haben Sie aufgegeben. In der Bildungspolitik haben Sie mal eben die Hauptschule aufgegeben. In der Familienpolitik sind Sie jetzt auch so weit, dass Sie die Zahl der Kitaplätze ausbauen wollen, dass Sie sagen: Nein, wir wollen nicht nur die Betreuung zu Hause; hier müssen wir uns ändern. - Bei der Rente gibt es Umschwünge. Beim Mindestlohn sind Sie plötzlich dabei; das freut mich. - Sie haben schon so viele Dinge aufgegeben, dass Ihre Wählerschaft Schwierigkeiten hat, Ihnen zu folgen. Sie müssen sich einmal entscheiden: Was haben Sie eigentlich für ein Leitbild? Laufen Sie den Demoskopen hinterher, nach dem Motto: „Ich muss mal sehen, wie sich die Umfragen in den nächsten Tagen entwickeln; danach richte ich meine Politik aus“? ({2}) Schauen Sie, was eigentlich die Werte der CDU sind, und stehen Sie zu ihnen? Oder erfinden Sie eine neue CDU? - Sie machen es dem Wähler an dieser Stelle nicht ganz leicht. Das Ergebnis lässt sich an den letzten Landtagswahlen ablesen, die Sie alle mehr oder weniger verloren haben. Daran können Sie deutlich erkennen, dass der Wähler bei Ihnen nicht mehr weiß: Wo ist eigentlich die Linie? Was ist CDU-Politik? Dieses Thema verlangt eine sehr ernsthafte Debatte; viele Kollegen haben das eingefordert. Es eignet sich überhaupt nicht zum Klamauk. Ein paar Bemerkungen, die hier gefallen sind, fand ich ziemlich daneben. Deswegen möchte ich festhalten: Es gibt Lebensentwürfe, wo sich Menschen für andere Menschen einsetzen, in welcher Form auch immer: indem sie als Mütter oder Väter Menschen pflegen oder vielleicht als Kinder die Eltern. Es gibt ähnliche Lebensentwürfe; nur sind es da nicht Mutter und Vater, sondern vielleicht zwei Mütter oder zwei Väter. Können wir nicht einfach sagen: „Wir müssen die Leistung, die im Rahmen dieser Lebensentwürfe erbracht wird, in irgendeiner Form fördern“? Das ist doch eine sinnvolle Sache; denn unsere Gesellschaft braucht solche Lebensentwürfe. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sagt: Das Ideal ist Mutter, Vater, Kind. - Aber dieses Ideal gibt es nicht immer. Seitdem Sie an der Regierung sind, gibt es eigentlich überhaupt keine Ideale mehr. ({3}) Wir mussten so viele Kompromisse schließen, und die Gesellschaft musste so viel akzeptieren. Ich denke, Sie sollten Ihre Haltung überdenken, über Ihren Schatten springen und die zehn Tage nutzen, um mit Ihren Wählern zu sprechen. Ich garantiere Ihnen: In zehn Tagen haben Sie den Sprung gemacht und tragen die Gleichstellung mit. Nutzen Sie die zehn Tage, um den gesellschaftlichen Wandel aktiv zu begleiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. Wir sind am Ende unserer Aktuellen Stunde und gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 28. Februar 2013, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.