Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich grüße Sie sehr herzlich und wünsche uns gemeinsam einen schönen Nachmittag. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben fristgerecht
beantragt, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung der Anträge der Bundesregierung zur Entsendung
deutscher Streitkräfte nach Mali - das sind die Drucksachen 17/12367 und 17/12368 - zu erweitern. Die Vorlagen sollen heute als letzter Punkt mit einer Debattenzeit
von einer Stunde beraten werden.
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag
liegen mir nicht vor. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP? - Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der Sozialdemokraten und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! - Das ist
die Fraktion Die Linke. Vorsichtshalber: Enthaltungen? Keine. Der Aufsetzungsantrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung
in der Altenpflege
- Drucksache 17/12327 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir
kommen daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12327 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen noch zu einer nachträglichen Ausschussüberweisung: Zwischen den Fraktionen ist vereinbart, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP auf Drucksache 17/12179, der bereits
am 31. Januar 2013 ({1}) an die Ausschüsse
überwiesen wurde, nachträglich an den Haushaltsausschuss ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Verordnung zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Kollege HansJoachim Otto. Bitte schön, Herr Parlamentarischer
Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Am 12. Dezember vergangenen Jahres ist
eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft getreten, wonach künftig jede
Preisänderung an den Tankstellen der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe gemeldet werden muss. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat zur
Umsetzung dieses Gesetzes gestern die Verordnung zur
Markttransparenzstelle für Kraftstoffe vorgelegt.
Die Markttransparenzstelle stärkt den Wettbewerb auf
den Kraftstoffmärkten in zweierlei Hinsicht:
Zum einen wird der Autofahrer auf der Basis von aktuellen, flächendeckenden und zuverlässigen Informationen über die Preise an den umliegenden Tankstellen
künftig in der Lage sein, gezielt die günstigste Tankstelle
anzusteuern. Das erhöht natürlich den Wettbewerbsdruck und hoffentlich auch die Preise.
({0})
- Nein, das erhöht nicht die Preise; das erhöht den Wettbewerbsdruck und verhindert weitere Preiserhöhungen.
Zum anderen werden es die von der Markttransparenzstelle erhobenen Daten dem Bundeskartellamt künftig leichter ermöglichen, effektiv gegen missbräuchliche
Praktiken der Mineralölkonzerne am Kraftstoffmarkt
vorzugehen, zum Beispiel gegen die sogenannte PreisKosten-Schere bei der Belieferung freier Tankstellen.
In diesem Zusammenhang muss ich allerdings darauf
hinweisen, dass die Preis-Kosten-Schere im Moment
deshalb nicht wirksam vom Bundeskartellamt bekämpft
werden kann, weil der Bundesrat bisher noch die achte
Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen blockiert. Namens der Bundesregierung kann ich
nur dazu aufrufen, hier sehr schnell zu einer Lösung zu
kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verordnung
schafft die technischen Voraussetzungen, damit das Bundeskartellamt die Markttransparenzstelle einrichten
kann. Aktuelle Preise von Kraftstoffen der Sorten Super
E5, Super E10 und Diesel sind künftig innerhalb von
fünf Minuten nach ihrer Änderung elektronisch zu melden. Die Markttransparenzstelle stellt die Daten dann
kostenlos und elektronisch Verbraucherinformationsdiensten zur Verfügung. Das können der ADAC und andere Automobilklubs sein, das können Hersteller von
Navigationsgeräten, Anbieter von Smartphone-Apps
oder Anbieter von Internetseiten sein. Diese Anbieter
können wiederum geeignete Programme und Applikationen anbieten, die den Autofahrern aktuelle und standortbezogene Auskünfte über die Kraftstoffpreise ermöglichen. Um die Betreiber ganz kleiner Tankstellen nicht
übermäßig mit Bürokratie zu belasten, kann die Markttransparenzstelle diese von der Meldepflicht befreien.
Die Verordnung bedarf nunmehr noch der Zustimmung des Bundestages. Angesichts der Bedeutung der
Markttransparenzstelle für die Verbraucherinnern und
Verbraucher geht die Bundesregierung davon aus, dass
der Bundestag sehr rasch der Verordnung zustimmen
wird. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass die neue
Markttransparenzstelle für Kraftstoffe noch vor Beginn
der Sommerferien ihre Arbeit aufnehmen kann. Ich kann
Ihnen jedenfalls versichern, dass beim Bundeskartellamt
bereits mit Hochdruck an der technischen Umsetzung
gearbeitet wird.
Herr Präsident, das war mein knapper Bericht.
Vielen Dank. Jetzt schauen wir einmal, ob die Fragestellungen auch knapp sind. - Als Erstes gebe ich Frau
Kollegin Schwarzelühr-Sutter das Wort zur Fragestellung. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich möchte an das
anknüpfen, was Sie am Ende Ihrer Rede gesagt haben.
Bis wann rechnen Sie mit der technischen Umsetzung?
Kann der Verbraucher zum Beispiel damit rechnen, dass
bis Ostern Transparenz geschaffen wird und er einen
Überblick über die Benzinpreise erhält?
Worin liegt für den Verbraucher tatsächlich der Vorteil? Sie verfügen jetzt vielleicht über aktuelle Informationen und sehen, wie flächendeckend die Preise steigen;
aber damit wird nicht vermittelt, ob eine Manipulation
vorliegt und eine Absprache der Preise stattfindet.
Frau Kollegin, Sie haben mir mehrere Fragen gestellt.
Zur ersten Frage, bis wann das technisch möglich sein
wird: Wir gehen davon aus - das habe ich schon gesagt -,
dass wir bis zum Beginn der Sommerferien alles hinbekommen werden. Es liegt allerdings in der gemeinsamen
Verantwortung von uns Abgeordneten, dass der Bundestag dieser Verordnung zustimmt. Die Markttransparenzstelle wird dann ihre Arbeit aufnehmen. Wie schnell die
jeweiligen Anbieter - also die Anbieter von Apps wie
„clever-tanken“, der ADAC, die Anbieter von Navigationsgeräten - es technisch umsetzen, liegt natürlich
nicht in der Hand der Bundesregierung; aber da Vorarbeiten geleistet wurden, sind wir zuversichtlich, dass wir
es jedenfalls noch vor den Sommerferien hinbekommen.
Ihre zweite Frage war, welchen Nutzen die Verbraucher haben. Ich glaube schon, dass der Nutzen für die
Verbraucher deutlich ansteigen wird, weil jetzt gewährleistet ist, dass alle Tankstellenbetreiber flächendeckend
innerhalb von fünf Minuten Preisänderungen anzeigen.
Das hat es bisher nicht gegeben. Bisher mussten erst die
Daten eingepflegt werden. Nun gibt es auch wesentlich
zuverlässigere Informationen. Wir gehen davon aus,
dass dadurch die Transparenz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher, also für die Autofahrer, wesentlich verbessert wird.
Zu Ihrer dritten Frage: Lassen die von SPD und Grünen regierten Bundesländer die 8. GWB-Novelle im
Bundesrat passieren, dann ist das Bundeskartellamt in
der Tat in der Lage, missbräuchliche Praktiken der Mineralölkonzerne schneller zu erkennen, weil es die Daten
schneller erhält. Daher mein Appell an Sie - Sie kommen ja aus Baden-Württemberg -: Sie können auf Ihre
Landesregierung sicherlich segensreich einwirken. Der
Landeswirtschaftsminister ist aus Ihrer Partei.
({0})
- Nein, das ist Ihre Aufgabe, nicht meine. - Er wird sicherlich wissen, dass es sehr vorteilhaft wäre, wenn die
8. GWB-Novelle bald in Kraft treten kann.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Stephan Kühn.
Herzlichen Dank. - Der Minister hat eine Benzinpreisbremse angekündigt, aber herausgekommen ist eine
Benzinpreis-App. Das ist nichts Revolutionäres; denn es
gibt - Sie haben es schon angesprochen - bereits
mehrere Apps und Portale wie „clever-tanken“ oder
TankCheck.de, die dem Verbraucher die Preise anzeigen.
Herr Staatssekretär, dazu habe ich folgende Frage. Sie
haben das Thema „flächendeckende Information für den
Verbraucher“ angesprochen. Sie haben nun eine Bagatell- und Härtefallklausel eingeführt, die vorsieht, dass
bestimmte Tankstellen von der Pflicht befreit werden,
die Preise zu nennen. Die Grenze dafür soll bei
1 000 Kubikmeter Kraftstoffabsatz pro Jahr liegen.
Experten sagen, das würde insbesondere im ländlichen
Raum dazu führen, dass für den Verbraucher weiße Flecken entstehen, weil das Netz dort bekanntlich weniger
dicht ist und die Absatzmengen bei Tankstellen im ländlichen Raum ebenfalls geringer sind. Können Sie mir
den Grund dafür nennen, dass bei genau 1 000 Kubikmetern die Grenze gezogen wurde? Wie beurteilen Sie
die Auswirkung dieser Grenze insbesondere auf den
ländlichen Raum?
Lieber Kollege Kühn, die Bundesregierung ist sich
der Tatsache bewusst, dass die elektronische Meldung
jeder Kraftstoffpreisänderung gerade für kleinste Tankstellen eine gewisse bürokratische Erschwernis darstellt.
Deswegen haben wir uns nach vielfältigen Rücksprachen und Anhörungen dafür entschieden, eine solche
Bagatellgrenze einzuführen.
Alle Informationen, über die wir bisher verfügen, insbesondere vom Verband der Freien Tankstellen, deuten
darauf hin, dass sich selbst die kleinsten Tankstellen freiwillig an der Meldung beteiligen werden, weil es von
Vorteil ist, wenn man für die Verbraucher sichtbar ist.
Wenn eine Tankstelle in einer App oder auf den entsprechenden Portalen nicht zu sehen ist, dann werden die
Autofahrerinnen und Autofahrer diese Tankstelle nicht
ansteuern.
Ich möchte Ihnen auch noch sagen, lieber Kollege: Es
ist nicht nur eine App. Es geht um eine erhöhte Transparenz für alle Marktteilnehmer. Das wird zu einem Wettbewerbsdruck führen. Deswegen sollten Sie das nicht so
geringschätzen, sondern mit uns dafür streiten, dass mit
dieser erhöhten Transparenz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher und für das Preisniveau einiges Positive
bewirkt werden wird.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin Frau Kollegin
Dagmar Enkelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
das war offenkundig die zentrale Frage, mit der sich das
Kabinett heute beschäftigt hat.
Gestern.
Oder gestern. - Das Problem ist doch nicht die Information. Der Kollege hat bereits darauf hingewiesen - sozusagen als Werbeblock -, wo man im Internet beispielsweise günstige Tankstellen finden kann. Das
Hauptproblem sind doch die Preisabsprachen zwischen
den Konzernen, wodurch zwischen den Tankstellen
kaum Preisunterschiede bestehen. Ich frage Sie: Was
wollen Sie konkret gegen die Preisabsprachen der Konzerne machen?
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, wie Sie wissen, ist
das Bundeskartellamt beauftragt, solche Preisabsprachen
zu bekämpfen. Das Bundeskartellamt ist in dieser Frage
äußerst engagiert. Es hat große Untersuchungen vorgenommen, die ergeben haben: Solche Preisabsprachen,
wie Sie sie hier behaupten, konnten nicht festgestellt
werden.
({0})
Die Maßnahmen für mehr Transparenz, die wir jetzt ergreifen, sind jedenfalls durchaus geeignet, dass das Bundeskartellamt missbräuchliche Preisabsprachen bekämpfen kann, da es ja zusätzliche Informationen und
Hinweise erhält.
Sie nehmen bitte auch zur Kenntnis, dass es auf dem
deutschen Mineralölmarkt nicht nur die großen Konzerne gibt, sondern auch andere, konzernunabhängige
Tankstellen. Wir wollen mit unserer Markttransparenzstelle dazu beitragen, dass die Tankstellen, die die günstigsten Preise anbieten - das werden in vielen Fällen
freie Tankstellen sein -, zusätzlichen Umsatz machen
und damit an Markteinfluss gewinnen. Ich meine, liebe
Frau Kollegin Enkelmann, das müsste auch im Sinne Ihrer Fraktion und in Ihrem eigenen Sinne sein.
({1})
- So wird es sein, liebe Frau Kollegin.
Nächster Fragesteller Kollege Manfred Grund.
Sie sprachen davon, dass Belastungen auf die Tankstellenpächter, die Tankstellenbetreiber zukommen werden und es Ausnahmen für kleinere Tankstellen geben
wird. In welcher Größenordnung werden denn durch die
Anschaffung von zusätzlichem Equipment und zusätzlichen Terminals im Zusammenhang mit der elektronischen Meldepflicht Kosten für die Tankstellenpächter,
die Tankstellenbetreiber entstehen? Wer trägt diese Kosten? Der Tankstellenbetreiber, der Tankstellenpächter?
Wie wird das geregelt?
Danke für die Frage. Das gibt mir Gelegenheit, darauf
hinzuweisen, dass die Meldepflicht jeweils denjenigen
trifft, der die Preissetzungshoheit hat. Bei den großen
Mineralölkonzernen ist es so, dass die Meldung immer
von der Zentrale erfolgt und nicht von der einzelnen
Tankstelle. Das heißt, das Equipment, nach dem Sie fragen, muss in der Zentrale des Mineralölunternehmens
angeschafft werden, sodass der einzelne Pächter einer
Tankstelle, der von der Zentrale einen Preis diktiert bzw.
vorgegeben bekommt, gar nichts machen muss. Das ist
- jetzt komme ich noch einmal auf die Frage des Kollegen Kühn zurück - bei den kleinen Tankstellen, die konzernunabhängig sind, anders. Diese Tankstellen müssen
das entsprechende Equipment, die entsprechenden Geräte für die elektronische Übermittlung selbst anschaffen. Für diese kleinen Tankstellen haben wir deshalb
eine Bagatellgrenze vorgesehen. Das alles macht, glaube
ich, Sinn. Für 95 Prozent aller Tankstellen wird die Regelung keine zusätzliche Kostenbelastung mit sich bringen, weil die Meldung seitens der großen Konzerne erfolgt.
Nächster Fragesteller unser Kollege Uwe Beckmeyer.
({0})
- Gut, dann natürlich die Lady. Bitte schön, Frau Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wie stellt dieser Verordnungsentwurf sicher, dass die
App-Entwickler nicht eine willkürliche Auswahl bestimmter Tankstellen vornehmen? Dieses Verfahren birgt
schließlich ein gewisses Manipulationspotenzial. Werden
in die Auswahl auch rabattierte Preise für bestimmte Verbrauchergruppen aufgenommen, oder wie wird mit diesem Sachverhalt umgegangen?
Auch für diese Frage möchte ich mich ausdrücklich
bedanken, weil mir das Gelegenheit gibt, ein weiteres
Detail dieser Verordnung zu erläutern.
Der Markttransparenzstelle werden in der Verordnung
bestimmte Kriterien genannt, denen die Informationsportale genügen müssen, um die Daten kostenlos zu erhalten.
Die Informationsportale müssen also bestimmten Zuverlässigkeitskriterien genügen. Nur dann werden sie zugelassen. Nur dann erhalten sie die Daten im Rahmen des
Informationsflusses kostenlos. Ganz klar ist natürlich,
dass eine zuverlässige, flächendeckende und zeitnahe
Zurverfügungstellung der Informationen gewährleistet
sein muss. Wer gegen seine Pflichten verstößt, unterliegt
den Bußgeldvorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Diese Bußgelder sind ganz beträchtlich, sodass wir keinen Anlass haben, daran zu
zweifeln, dass diese Meldungen den Verbraucher letztlich
zuverlässig und präzise erreichen werden.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller Kollege Oliver
Krischer.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Otto, es ist schon interessant - ich glaube, das ist ein Novum -, dass das Ergebnis einer Kabinettssitzung eine App ist und wir hier
im Hohen Hause darüber diskutieren.
Lieber Herr Krischer!
Moment, wir sind immer noch bei der Frage, und das
Recht zur Fragestellung hat der Kollege Krischer. - Bitte
schön.
Danke, Herr Präsident. - Ich möchte darauf zu sprechen kommen, dass das Thema „Kraftstoffe und Benzinpreis-App“ von der Bundesregierung sozusagen im
Nachhinein in die Aufgabenliste der Markttransparenzstelle geschoben wurde. Die Markttransparenzstelle
sollte sich eigentlich mit Fragen des Wettbewerbs auf
dem Markt der leitungsgebundenen Energieversorgung
- Strom und Gas - beschäftigen. Vor diesem Hintergrund wären meine Fragen an Sie: Wie ist der Stand
hier? Wie weit ist die Einrichtung der Markttransparenzstelle in diesen Bereichen gediehen?
Vor allen Dingen geht es mir um Folgendes: Wir diskutieren im Moment sehr intensiv die stark fallenden
Börsenpreise, nicht nur im Spotmarkt, sondern auch im
Terminmarkt. Diese Preissenkungen kommen aber überhaupt nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern
an. Was gedenkt die Bundesregierung, vielleicht auch
mithilfe der Markttransparenzstelle, hiergegen zu unternehmen?
Lieber Herr Kollege Krischer, zunächst einmal
möchte ich an dieser Stelle jedenfalls, Herr Präsident,
klarstellen: Es geht nicht nur um eine App, sondern es
geht insgesamt um erheblich mehr Transparenz für alle
Beteiligten.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass diese
Markttransparenzstelle nicht irgendwie hintendran oder,
wie Sie es formuliert haben, im Nachhinein herangeklatscht worden ist, sondern dass sie unter sehr sorgfältiger Vorbereitung von diesem Hohen Hause mit Mehrheit
beschlossen worden ist. Das sollten Sie nicht unterminieren. Das ist keine Schnapsidee des Bundeswirtschaftsministeriums, sondern das basiert auf einem Beschluss dieses Hohen Hauses.
Drittens, lieber Herr Kollege Krischer, muss ich Ihnen, da Sie von mir immer sehr präzise Antworten erwarten, auf Ihre Frage nach den Aufgaben der Markttransparenzstelle für andere Dinge als Kraftstoffe leider
sagen, dass ich Ihnen diese Antwort aktuell nicht geben
kann. Das Thema der heutigen Regierungsbefragung
- nur das wurde in der gestrigen Kabinettssitzung in diesem Zusammenhang auch tatsächlich thematisiert - ist
die Rechtsverordnung zur Markttransparenzstelle für
Kraftstoffe. Die Antwort auf die Frage, wie weit die Entwicklungen bei der Markttransparenzstelle in den anderen Bereichen gediehen sind, kann ich Ihnen, wenn Sie
mögen, gern schriftlich nachliefern. Aber den Stand der
Dinge kann ich Ihnen jetzt auswendig - Sie wollen ja
eine präzise Information haben - an dieser Stelle leider
nicht referieren. Da bitte ich um Ihr Verständnis.
({0})
Nächster Fragesteller unser Kollege Wolfgang
Tiefensee.
Herr Staatssekretär, wenn wir noch einmal auf die ursprüngliche Diskussion und den Anlass zurückblicken,
stellen wir fest, dass es wohl Ziel der Bundesregierung
und namentlich des Wirtschaftsministers war - das
wurde breit in der Presse veröffentlicht -, keine Strompreis-, sondern eine Kraftstoffpreisbremse einzuführen.
Am Ende ist nichts anderes herauskommen, als dass wir
offenkundig machen, welcher Preis an welcher Tankstelle genommen wird. So weit die Vorbemerkung.
Jetzt die Frage: Frau Enkelmann hat auf die kartellrechtlich relevanten Preisabsprachen hingewiesen. Frau
Enkelmann, leider ist es nicht so, dass man davon reden
könnte, vielmehr wurde uns von der Bundesnetzagentur
der entsprechende Mechanismus beschrieben. Die Tankstellenbetreiber orientieren sich im Laufe des Vormittags
an demjenigen, der den Preis erhöht. Sie brauchen also
nur den anderen beobachten und nachziehen. Absprachen sind insofern gar nicht nötig.
Herr Staatssekretär, mit Blick auf das Ausgangsziel,
dem Verbraucher tatsächlich etwas zu bieten, was den
Kraftstoffpreis im Rahmen hält, und mit Blick auf diesen
Mechanismus frage ich: Wenn sich herausstellt, dass tatsächlich die Preisabsprachen in der beschriebenen Weise,
nämlich in Form eines Nachziehens sämtlicher Tankstellenbetreiber bzw. Spritlieferanten bis zum höchsten Preis,
laufen, wird die Bundesregierung dann weitere Maßnahmen einleiten, um ihrem ursprünglichen Ziel gerecht zu
werden? Oder bleibt es heute bei der Erklärung, dass über
eine Markttransparenzstelle hinaus nichts möglich ist?
Lieber Herr Kollege Tiefensee, Sie erinnern sich als
Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestages,
dass wir eine sehr ausführliche und sorgfältige Diskussion darüber geführt haben, mit welchen marktwirtschaftlichen Instrumenten wir eine Preisbremse auf dem
Kraftstoffmarkt erzielen können.
Die große Mehrheit aller Experten sagte uns: Zumindest der erste Schritt liegt darin, mehr Transparenz zu
schaffen. Deswegen will ich an dieser Stelle nochmals
betonen: Die Schaffung von Transparenz durch Apps
und anderes ist eine ganz wichtige Voraussetzung, dass
nicht eintritt, was Sie eben beschrieben haben, dass man
nämlich einfach bei anderen Betreibern den Preis abschreibt. Denn dann hätte man keinen Vorteil mehr im
Markt.
Wir versprechen uns nun Folgendes: Wenn der Verbraucher die Informationen rege nutzt und seine
Schlüsse aus der Tatsache zieht, dass an einer Tankstelle
der Preis signifikant niedriger ist als an einer anderen,
dann werden diese Tankstellen nicht einfach höhere
Preise abkupfern, sondern stolz darauf sein, einen niedrigen Preis zu haben; denn dadurch werden sie auch mehr
Umsatz machen. Ob dann weitere Maßnahmen, die, Herr
Kollege Tiefensee, auch immer marktwirtschaftlich in
Ordnung und rechtlich möglich sein müssen, notwendig
und sinnvoll sein werden, wird sich zu einem späteren
Zeitpunkt herausstellen.
Der neu zu wählende Deutsche Bundestag wird evaluieren, ob diese Maßnahme erfolgreich war. Wir gehen
davon aus, dass sie erfolgreich sein wird. In der nächsten
Legislaturperiode müsste dann darüber diskutiert werden, welche weiteren Maßnahmen überhaupt in Betracht
kommen. Wir denken allerdings, dass diese Maßnahme
die effektivste ist, weil sie den Verbraucher miteinbezieht und weil sie Wettbewerbsdruck auf die einzelnen
Tankstellen ausübt. Deswegen meine ich, dass das ein
sehr sinnvoller Schritt ist, der, wie Sie wissen, internationalen Beispielen folgt.
Kollege Stephan Kühn ist der nächste Fragesteller.
Herr Staatssekretär, auch von uns ist ja begrüßt worden, dass mehr Transparenz hergestellt werden soll.
Aber wir können das marktwirtschaftliche Prinzip, dass
mit steigender Nachfrage nach Kraftstoffen - nicht national, sondern international - die Preise steigen, nicht
außer Kraft setzen. Insofern frage ich, ob Sie uns hier
darstellen können, welchen Preiseffekt in Cent Sie durch
die Markttransparenzstelle, also durch die stärkere
Transparenz insbesondere in Form von Apps, erwarten
und wie das im Verhältnis zur allgemeinen Preisentwicklung steht. National steigt die Nachfrage zwar nicht, aber
gerade in Asien, in verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern steigen die Motorisierung und damit
die Nachfrage nach Kraftstoff. Das wirkt sich natürlich
auch auf die Preise hier aus. Wie steht das im Verhältnis
zueinander, und wie können für den Verbraucher am
Ende tatsächlich geringere Preise erreicht werden?
Lieber Herr Kollege Kühn, der Sinn der Markttransparenzstelle ist natürlich in erster Linie, die von vielen
Verbraucherinnen und Verbrauchern als missbräuchlich
oder jedenfalls als sehr problematisch empfundenen heftigen Preisschwankungen zu vermeiden. Das heißt, wir
wollen auf einem gegebenen Marktniveau dafür sorgen,
dass der Verbraucher in der Lage ist, den in seinem Umfeld günstigsten Kraftstoff zu beziehen.
Natürlich ist die Markttransparenzstelle kein Instrument, das die weltweiten Marktkräfte außer Kraft setzen
kann. Wenn, wie Sie beschreiben, die Nachfrage nach
Benzin weltweit steigt und sich infolgedessen möglicherweise auch die Benzinpreise erhöhen, dann werden
Sie mit einer Markttransparenzstelle - und übrigens auch
mit anderen Maßnahmen - nicht verhindern können,
dass die Preise steigen. Es ist aber gar nicht ausgemacht,
ob dieser Effekt eintritt.
Sie erinnern sich, dass sich allein durch Fracking in
den USA eine erhebliche Verschiebung auf den internationalen Energiemärkten abzeichnet. Der Kohlepreis hat
sich allein schon durch die Ankündigung, dass Fracking
in den USA betrieben wird, erheblich verändert. Es ist
nicht auszuschließen, dass solche Veränderungen zu einer Senkung des Benzinpreises auf den weltweiten Spotmärkten führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe, dass es zu
diesem Themenbereich keine Fragestellung mehr gibt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Hans-Joachim Otto.
({0})
- Den Beifall kann man mitnehmen.
Wir kommen jetzt zu Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung. Hier hat das Wort unser Kollege Volker Beck.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich wollte die Bundesregierung zu einer etwas kostspieligeren Unternehmung
als einer App befragen. Wir haben in der sitzungsfreien
Zeit gehört bzw. Nachrichten erhalten, dass die bisherigen Berechnungen der Kosten von Stuttgart 21 wohl
weit übertroffen werden und sowohl das Fertigstellungsdatum, also der Verlauf des Projekts, als auch der Kostenrahmen des Projekts völlig offen sind. Deshalb
möchte ich die Bundesregierung nach ihren jetzigen
Überlegungen zu den Kosten befragen. Wie stark wird
die Bundeskasse durch Stuttgart 21 zusätzlich belastet
werden, oder, wenn die Bundeskasse nicht belastet werden soll, wie viel kostet es die Bahn und damit indirekt
den Eigner Bund, wenn an diesem Projekt in der jetzigen
Form festgehalten wird? Ich frage dies vor dem Hintergrund, dass die Stadt Stuttgart und das Land BadenWürttemberg erklärt haben, keinen Cent über die bisherigen Zusagen hinaus beizusteuern.
Für die Bundesregierung Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Enak Ferlemann, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich beantworte die Frage
sehr gerne. Derzeit ist uns als Eigentümer der DB AG
nur bekannt, dass die DB AG mit Mehrkosten von
1,1 Milliarden Euro rechnet und bei einer Einschätzung
der zusätzlichen Risiken einen Betrag von weiteren
1,2 Milliarden Euro evaluiert hat. Derzeit finden dazu
Besprechungen statt. Wir überprüfen die Kosten, und
wir hinterfragen. Aber es ist Sache des Aufsichtsrates,
hier für Aufklärung zu sorgen und dann gegebenenfalls
entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Zu einer Nachfrage hat sich zunächst Kollege Stephan
Kühn gemeldet.
Herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, können Sie
uns sagen, wie die Bundesregierung die Wirtschaftlichkeit dieses Projekts vor dem Hintergrund der Zahlen, die
Sie gerade genannt haben, bewertet? Es kursieren ja
auch andere Zahlen. So ist für das Gesamtprojekt von
Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro die Rede. Wie
bewerten Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieses Projekts vor dem Hintergrund der neuen Zahlen?
Bitte schön, Parlamentarischer Staatssekretär Enak
Ferlemann.
Herr Kollege, Sie haben die Frage schon selbst beantwortet. Es kursieren viele, viele Zahlen, die nicht korrekt
sind. Den Betrag von 10 Milliarden Euro kann ich mitnichten bestätigen. Es ist, wie gesagt, Aufgabe des Aufsichtsrates, hier für Aufklärung zu sorgen und entsprechende Beschlüsse zu fassen.
({0})
Es gibt eine Wortmeldung des Kollegen Volker Beck.
Sie haben gerade zwei Zahlen genannt. Wir als Bundestagsabgeordnete haben letztlich die Haushaltsverantwortung, egal ob die Mehrkosten im Bundeshaushalt als
Mindereinnahmen bei der Deutschen Bahn zu Buche
schlagen oder ob wir sie aus dem Bundeshaushalt direkt
in die DB Netz AG „hineinkübeln“. Das Geld ist fort
- und fort ist fort -, und wir müssen das verantworten.
Es geht um ein Unternehmen, dessen Eigner zu
100 Prozent der Bund ist. Der Bund ist in allen Organen,
Volker Beck ({0})
im Aufsichtsrat wie im Vorstand, vertreten bzw. hat die
Mitglieder ausgewählt und gewählt. Insofern erwarte ich
eigentlich, dass Sie uns sagen, wo für den Bund bei diesem Projekt die Grenze der finanziellen Belastbarkeit
liegt oder ob man weiter scheibchenweise vorgehen und
jedes Jahr 1 oder 2 Milliarden Euro drauflegen will, bis
man am Ende des Bauprojektes bei einer bestimmten
Endsumme angekommen ist. Ich möchte von Ihnen wissen: Wo ist nach Meinung der Bundesregierung die Belastungsgrenze im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit
des Projektes, sodass sie sagt: „Das ist haushaltspolitisch
nicht mehr zu verantworten“, oder gibt es dafür keine
Obergrenze?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, Sie gelten gemeinhin als kluger Jurist.
Insofern sollten Sie wissen, dass dies ein Projekt der
DB AG ist, das nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert
wird. Es handelt sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt derjenigen, die Stuttgart 21 umsetzen wollen. Direkt
fließt aus dem Bundeshaushalt für dieses Projekt kein
Geld, mit Ausnahme einer Festfinanzierung von
563 Millionen Euro, die wir allerdings auch dann gebraucht hätten, wenn wir den Bahnhof im Normalzustand hätten sanieren müssen. Es gibt also einen Festzuschuss, dessen Höhe sich aufgrund der Veränderung des
Projekts aber nicht verändern wird. Insofern gibt es hier
kein Risiko für den Bundeshaushalt. Ob sich die DB AG
in Anbetracht der zu ermittelnden Zahlen die Frage nach
der Wirtschaftlichkeit stellt, hat der Aufsichtsrat zu entscheiden. Diese Untersuchungen und Ermittlungen laufen zurzeit.
Jetzt folgt zunächst eine Nachfrage des Kollegen
Lenkert, dann eine des Kollegen Volker Beck.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich habe eine
Nachfrage. Im Rahmen des Volksentscheids zu Stuttgart 21 sind ja bestimmte Angaben gemacht worden,
auch solche zu den Kosten. Wie ist es juristisch zu bewerten, dass die Kosten, mit denen gerechnet wird, nicht
sehr lange Zeit danach deutlich steigen? Ist davon auszugehen, dass damals Falschangaben gemacht wurden?
Wie stehen Sie dazu?
Sehr geehrter Kollege, die Bundesregierung ist für
den Volksentscheid nicht verantwortlich.
({0})
Kollege Volker Beck.
Zunächst einmal eine Vorbemerkung, Herr Präsident,
zu meiner Verantwortlichkeit: Ich bin kein Jurist
Auch nicht ehrenhalber.
- damit mir meine Befähigung zum Wissenschaftsminister nicht irgendwann entzogen wird, weil ich mir hier
im Plenum einen akademischen Titel erschlichen hätte.
Zum anderen scheint mir das Thema Verantwortlichkeit die zentrale Frage zu sein. Der Bund ist 100-prozentiger Eigner der DB. Gleichzeitig sagen Sie uns: Was
dort an Kosten anfällt, das interessiert uns gar nicht und
geht uns nichts an; denn die DB ist ja privatwirtschaftlich organisiert.
Ich finde, so können wir mit diesem Thema, das die
Steuerzahler und die Bahnkunden betrifft, nicht umgehen. Das ist das Geld des Bundes - egal ob auf dem
Konto „DB“ steht oder ob es sich um die Kasse des Bundesfinanzministers handelt -, und wir wissen doch alle:
Am Ende des Tages zahlt der Steuerzahler drauf, wenn
der Bundesfinanzminister weniger Geld von der DB bekommt oder zusätzliches Geld in die DB investieren
muss.
Deshalb bitte ich Sie wirklich, zu sagen: Was ist die
Position der Bundesregierung als Eigner der DB? Wo ist
die finanzielle Belastungsgrenze für Stuttgart 21, bei der
Sie sagen: „Vor diesem Hintergrund ist es zum jetzigen
Zeitpunkt bei diesen Zahlen nicht mehr verantwortlich,
dieses Projekt weiterzubauen“? Ihren Ausführungen bis
jetzt entnehme ich, dass es keine Belastungsgrenze gibt,
dass Stuttgart 21 kosten darf, was es wolle, weil es sich
ja um DB-Geld handelt. Wenn Sie das nicht so sehen,
dann sagen Sie uns: Wo liegt bei dem Projekt Stuttgart 21 die Belastungsgrenze der Bundesregierung, der
Bundesrepublik Deutschland, als Eigner der DB AG?
Herr Kollege, ich bitte die vorige Mutmaßung zu entschuldigen. Ich habe Sie da für mehr gehalten, als es tatsächlich ist. Das tut mir leid.
({0})
Die Fragestellung, die Sie aufgebracht haben, richtete
sich auf die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt.
Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sind zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt nicht erkennbar. Insofern
brauchen Sie als Abgeordneter, der den Bundeshaushalt
letztlich kontrolliert und mit zu verantworten hat, keine
Sorge um den Bundesetat zu haben.
Stuttgart 21 ist ein eigenwirtschaftliches Projekt von
mehreren Projektbeteiligten. Die Projektbeteiligten müssen untereinander eine Finanzierung finden, wenn sie
Mehrbedarf feststellen. Wie hoch der Mehrbedarf im
Einzelnen ist, wird zurzeit untersucht und festgestellt.
Dann wird es Vertragsverhandlungen mit den Projektbeteiligten geben; diese Verhandlungen sind übrigens
schon aufgenommen worden. Daraus wird für die DB
AG gegebenenfalls eine Belastung entstehen - die aber
keine Rückwirkungen auf den Bundeshaushalt haben
muss und dieses Parlament insofern auch nicht betreffen
muss.
Ich habe jetzt noch die Wortmeldungen des Kollegen
Ralph Lenkert und des Kollegen Stephan Kühn, dann
noch Volker Beck, und dann können wir dieses Thema,
glaube ich, abschließen. - Ralph Lenkert.
Herr Staatssekretär, es besteht kein Zweifel, dass die
Bundesregierung für den Volksentscheid nicht zuständig
ist.
Nach meinem Kenntnisstand befindet sich die Deutsche Bahn AG aber zu 100 Prozent im Eigentum der
Bundesrepublik Deutschland, und die Aufsichtsfunktion
obliegt auch dem Verkehrsministerium. Insofern ist die
Bundesregierung in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die
Deutsche Bahn AG wahrheitsgemäße Angaben macht;
andernfalls käme sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nach.
Deswegen stelle ich Ihnen - sozusagen als Aufsichtsratsvertreter, stellvertretend für das Verkehrsministerium jetzt die Frage: Inwieweit hat es juristische Konsequenzen, dass die Kosten des Projekts Stuttgart 21 in so kurzer Zeit derart explodiert sind? Meiner Ansicht nach sind
Falschaussagen gemacht worden. Oder können Sie beweisen, dass die Kostensteigerungen, die in den letzten
Monaten entstanden sind, vorher auf keinen Fall absehbar waren?
Diese Frage beantworte ich Ihnen gerne. Das zu klären, ist eine Aufgabe des Aufsichtsrates. Die Kollegen,
die im Aufsichtsrat Sitz und Stimme haben, werden genau diese Fragen, in Ihrem Sinne, kritisch stellen.
Kollege Stephan Kühn.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Es gibt keine
Belastungsrisiken für den Bundeshaushalt, und wenn
Mehrkosten entstehen, ist das Sache der DB AG. - Nun
soll die DB AG ja Dividende an ihren Eigentümer ausschütten. In den Bundeshaushalt sollen mindestens
500 Millionen Euro fließen, jährlich wachsend; ich
glaube, das geht dann bis 700 Millionen Euro.
Meine Frage: Sehen Sie, sollte dieses Projekt zu einer
erheblichen Mehrbelastung für die DB führen, ein Risiko, dass die Dividende an den Bund als Eigentümer in
dieser Höhe nicht mehr ausgeschüttet werden kann?
Die zweite Frage ist die Frage, die ich vorhin schon
einmal gestellt habe. Sie hatten Zahlen zu den Ihnen bekannten Mehrkosten genannt: 1,1 Milliarden Euro mehr
plus ein Risiko von 1,2 Milliarden Euro - wenn ich die
Zahlen vorhin richtig verstanden habe. Deshalb noch
einmal die Frage: Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dieser Ihnen bekannten Zahlen die Wirtschaftlichkeit des Projektes?
Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Projektes
ist Aufgabe des Vorstandes der DB AG, der an den Aufsichtsrat zu berichten hat. Das wird in der Sitzung am
5. März 2013 der Fall sein. Vorher kann sich die Bundesregierung dazu auch gar nicht äußern.
Zu der Frage, ob die Dividendenfähigkeit in Gefahr
ist: Mitnichten, in keinem Fall.
Die letzte Frage vom Kollegen Volker Beck.
Da sagt man immer, aus der Befragung der Bundesregierung lerne man nichts. Offensichtlich ist das wirtschaftliche Ergebnis der DB AG für die Dividende völlig
ohne Belang. Das ist interessant. Es ist eine Erkenntnis,
die ich als Fachfremder mitnehme, und ich bin dankbar
für diese neuen Einsichten in wirtschaftliche Zusammenhänge.
Ich möchte trotzdem noch einmal - zum dritten Mal die gleiche Frage stellen; ich weiß, ich bin da ein bisschen unoriginell. Aber unabhängig davon, wie Sie die
Auswirkungen auf den Bundeshaushalt einschätzen, will
ich wissen: Was ist die Position der Bundesregierung gegenüber dem Parlament und in den Gremien der DB AG
im Hinblick darauf, wo die Grenze für die Finanzierung
von Stuttgart 21 erreicht ist, bei der Sie sagen, das Festhalten an diesem Projekt sei bei dieser Finanzdimension
nicht mehr zu vertreten? Ich frage Sie als Eigner der DB
AG, auch vor dem Hintergrund, dass in deren Aufsichtsrat auch die Position der Bundesregierung vertreten
wird.
Können Sie die Frage beim dritten Versuch bitte endlich einmal mit einer Zahl beantworten?
Sehr geehrter Herr Kollege, sooft Sie auch fragen: Ich
kann Ihnen keine andere Auskunft geben, als es die
Rechtslage hergibt. Es ist Aufgabe des Vorstandes, diese
Zahlen zu ermitteln und vorzulegen. Der Aufsichtsrat
hat die Aufgabe, das zu kontrollieren und dann gegebenenfalls Entscheidungen zu fällen. Es ist nicht eine direkte Aufgabe des Eigentümers, dies zu tun. Insofern
kann ich Ihre Frage nur so beantworten, wie ich es schon
zweimal getan habe.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage vorsichtshalber, ob es noch weitere Fragen an die Bundesregierung gibt, bevor wir zur Fragestunde kommen. - Da dies
nicht der Fall ist, beende ich die Befragung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
- Drucksache 17/12342 Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/12342
in der üblichen Reihenfolge auf.
Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Eckart von Klaeden zur Verfügung.
Frage 1 kommt von unserer Kollegin Frau Andrea
Wicklein:
Wie und bis wann plant die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für den Bürokratieabbau angestrebte Reduzierung des messbaren Erfüllungsaufwands um 25 Prozent zu erreichen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Wicklein, beim Erfüllungsaufwand ist
danach zu unterscheiden, ob es sich um Bürokratiekosten aus Informationspflichten oder um sonstigen Erfüllungsaufwand handelt.
Was Erstere betrifft, so hat die Bundesregierung die
Informationspflichten der Wirtschaft bis Ende 2011 um
mehr als 22 Prozent reduziert. Im Dezember 2011 haben
wir darüber hinaus weitere Maßnahmen beschlossen, um
das Ziel zu erreichen. Davon sind im letzten Jahr wesentliche Maßnahmen umgesetzt worden. Ich erinnere
nur an das E-Government-Gesetz oder die Abschaffung
der Praxisgebühr.
Zur nachhaltigen Sicherung dieser Abbauerfolge hat
die Bundesregierung im letzten Jahr den Bürokratiekostenindex eingeführt. Der Aufwuchs im letzten Jahr war
stabil. Wir sind dem Ziel nachgekommen, ihn dauerhaft
niedrig zu halten. Es hat lediglich einen Aufwuchs um
einen viertel Prozentpunkt gegeben.
Was den sonstigen Erfüllungsaufwand angeht, so haben wir verschiedene Lebens- und Rechtsbereiche untersucht, wie dies auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist.
Dabei ist bei einigen herausgekommen, dass die Senkung des Erfüllungsaufwandes vor allem Änderungen
im materiellen Recht erfordern würde, was ausdrücklich
nicht Gegenstand des Programms ist. In anderen Fällen
haben wir erhebliche Reduzierungsmöglichkeiten identifiziert. Diese ergeben sich insbesondere durch das Projekt „Verkürzung der steuerlichen Aufbewahrungs- und
Prüffristen“, und zwar in einem Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Das ist auch Bestandteil des Jahressteuergesetzes 2013 gewesen, das im Bundesrat bedauerlicherweise abgelehnt wurde.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Wicklein.
Gibt es definierte Projekte, die die Bundesregierung
noch bis zum Ende der Legislaturperiode plant, um ihr
Ziel eines Bürokratieabbaus um 25 Prozent zu erreichen?
Ja, Frau Kollegin, es gibt hier noch eine Reihe von
Projekten. Wir sind mittlerweile im untergesetzlichen
Bereich angekommen. Dazu gehört unter anderem die
Neufassung der sogenannten GoBIT - das sind die
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beim ITEinsatz -, wodurch die Möglichkeiten, die gesetzlich bereits geschaffen worden sind - die elektronische Rechnungslegung usw.; Sie kennen die Umstände -, für die
Unternehmen verfahrenssicher realisiert werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Aktivitäten der Bundesregierung hinsichtlich des Bürokratieaufwuchses durch EU-Verordnungen und -Richtlinien.
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung
in der Richtung getroffen, den bewährten Normenkontrollrat, den wir hier in Deutschland gemeinsam installiert haben, auch auf der europäischen Ebene durchzusetzen?
Dazu haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen
ergriffen. Insbesondere im Europäischen Rat setzen wir
uns ja immer wieder dafür ein, dass auf europäischer
Ebene ein Gremium vergleichbar dem Nationalen
Normenkontrollrat geschaffen wird. Dafür haben wir im
Rat bisher bedauerlicherweise keine Mehrheit bekommen, und auch die Kommission ist nicht bereit, ein entsprechendes Gremium zu schaffen, weil sie die Sorge
hat, dass durch ein solches Gremium ihre Initiativfunktion eingeschränkt werden könnte.
Gleichwohl ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass
das Mandat der Stoiber-Gruppe nicht nur verlängert,
sondern auch ausgedehnt wird, und das Europäische
Parlament hat entsprechende Initiativen zur Überwachung der Bürokratiekosten eingeleitet. Meine persönliche Idealvorstellung ist ein gemeinsames Gremium
von Rat, Kommission und Parlament auf europäischer
Ebene, das die Bürokratiekosten nicht nur beobachtet,
sondern in Bezug auf die Senkung auch initiativ werden
kann.
Wir haben in der Bundesregierung darüber hinaus ein
Programm beschlossen, mit dem wir im Rahmen unserer
Entscheidungsprozesse, bevor es also überhaupt zu
Richtlinien oder Verordnungen kommt, unsere Ministerien gut darauf vorbereiten können, auch in den Beratungen in Brüssel dafür zu sorgen, dass auf die Bürokratiekosten geachtet wird und dass die Kommission
veranlasst wird, bei der Darlegung ihrer Vorschläge auch
die Bürokratiekosten und den Erfüllungsaufwand für die
einzelnen Branchen und Länder auszuweisen.
Darüber hinaus will ich stichwortartig nur die Sonderregelung, die wir für kleinere und mittlere Unternehmen
angeregt und durchgesetzt haben, und den Mittelstandsmonitor nennen, der beim Bundeswirtschaftsministerium geführt wird und kleine und mittlere Unternehmen,
aber auch die Wirtschaft in Deutschland insgesamt frühzeitig über Regelungsvorhaben auf europäischer Ebene
informiert, wodurch wir uns auch einen Rückfluss für
unsere Aktivitäten in Brüssel versprechen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto ist erneut
gefordert.
Die Frage 2 kommt vom Kollegen Ralph Lenkert:
Warum wird die Konzessionsrichtlinie der Europäischen
Union, EU, im Trilogverfahren behandelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Kollege Lenkert, zu Ihrer, aber vor allen
Dingen zur Information der Zuhörerinnen und Zuhörer
will ich ganz kurz darstellen, wie das Verfahren generell
läuft:
Die Konzessionsrichtlinie wird im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 294 AEUV - das ist
die Bezeichnung nach dem Lissabon-Vertrag - behandelt.
Dieses Gesetzgebungsverfahren stellt den Regelfall dar
und erfordert neben der Verabschiedung des Regelungsentwurfs durch den Rat die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Es sind drei Lesungen vorgesehen. Lieber Herr Kollege, bitte leihen Sie mir Ihr geschätztes
Ohr, während ich Ihnen antworte.
({0})
Um die Verständigung zwischen den Institutionen zu
beschleunigen und auf diese Weise eine rasche, am
aktuellen Handlungsbedarf orientierte Gesetzgebung zu
ermöglichen, haben sich bereits seit dem Vertrag von
Maastricht sogenannte Triloge etabliert. Diese Triloge
sind informelle Gespräche zwischen dem Rat, dem Europäischen Parlament und der Kommission. Sie dienen
in der Regel dazu, sich über einen Standpunkt des Europäischen Parlaments zu verständigen, dem der Rat bereits in der ersten Lesung zugestimmt hat. Eine Vielzahl
von Rechtsakten kann damit bereits in erster Lesung verabschiedet werden.
Ich will Ihnen eine Zahl geben: Im ersten Halbjahr
2012 wurden damals unter der dänischen Ratspräsidentschaft 40 von 46 Rechtssetzungsvorschlägen in der ersten Lesung durch das Trilogverfahren abgeschlossen.
Die Einsetzung von Trilogen ist allerdings nicht auf die
erste Lesung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt,
sondern kann auch später noch im Rahmen der zweiten
Lesung sowie vor dem Vermittlungsverfahren oder der
dritten Lesung vereinbart werden.
Am 10. Dezember 2012 hat sich der EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat - auch mit der Zustimmung
Deutschlands; danach werden Sie vielleicht noch fragen auf ein Verhandlungsmandat für den anstehenden Trilog
zum gesamten Legislativpaket zur Modernisierung des
Vergaberechtes mit dem Europäischen Parlament und
der Kommission geeinigt. Der Binnenmarktausschuss
des Europäischen Parlamentes allerdings hat bisher noch
kein Mandat für den Trilog erteilt. Deswegen sage ich
Ihnen abschließend: Es ist also zum jetzigen Zeitpunkt
noch gar nicht definitiv entschieden, ob das Trilogverfahren bei dieser Konzessionsrichtlinie überhaupt Anwendung findet.
Da der Kollege Ralph Lenkert genau zugehört hat,
seine erste Nachfrage.
Herr Kollege Staatssekretär, ich habe Ihre Ausführungen mit meinen Notizen verglichen. Ich werfe Ihnen,
wenn Sie vom Zettel ablesen, auch nicht vor, dass Sie
mich nicht ansehen. Das nur als ganz kleine Richtigstellung.
Nachdem Sie dem Trilogverfahren zugestimmt haben, ergibt sich für mich die Frage: Wieso versucht man,
im Eilverfahren - das ist nämlich ein Trilogverfahren ein so wichtiges Verfahren durchzupeitschen, bei dem es
um nicht mehr und nicht weniger als um die mögliche
Privatisierung der Wasserversorgung geht? Wasser ist
ein öffentliches Gut. Ich habe den Eindruck, dass die
Bundesregierung mit dem Trilogverfahren an dieser
Stelle versucht, das Ganze außerhalb der Öffentlichkeit
schnell durchzuschieben, um im Prinzip Widersprüche
auch aus den eigenen Reihen zu verhindern.
Ich stelle deswegen die Frage an Sie: Haben Sie dem
vorliegenden Entwurf zur Konzessionsrichtlinie in
seiner jetzigen Fassung zugestimmt, und welches Ministerium war da federführend?
Lieber Herr Kollege, Sie nehmen jetzt praktisch Ihre
eigene zweite Frage vorweg. Um der Geschäftsordnung
Genüge zu tun, bleibe ich bei Ihrer ersten Frage.
Ich kann Ihre Einschätzung nicht teilen, dass das
Trilogverfahren ein Durchpeitschen im Eilverfahren sei.
Ich habe Ihnen ganz bewusst geschildert, dass unter der
dänischen Ratspräsidentschaft - die Dänen stehen nicht
im Ruf, alles durchzupeitschen oder undemokratisch zu
sein - im ersten Halbjahr 2012 40 von 46 Rechtssetzungsvorschlägen im sogenannten Trilogverfahren entschieden wurden. Warum? Weil man dieses Verfahren
bei aller Transparenz relativ schnell und zügig gestalten
kann.
Deswegen kann ich den Vorwurf überhaupt nicht verstehen, dass hier ein Ausnahmefall geschaffen würde
und die Öffentlichkeit oder das Parlament oder der Rat
in irgendeiner Weise nicht angemessen beteiligt würden.
Im Gegenteil: Das Trilogverfahren ist der Normalfall.
Wenn sich alle drei Beteiligten, Kommission, Parlament
und Rat, darauf verständigen, dann wird so verfahren.
Die Bundesregierung ist der Meinung, dass dieses
Verfahren - wir kommen zum Inhalt der Konzessionsrichtlinie bei Ihrer zweiten Frage - in der Tat geeignet
ist, in diesem Regelverfahren behandelt zu werden.
Jetzt kommt die zweite Nachfrage. Bitte schön.
Noch in der ersten Frage.
Ja, Ihre erste Frage; bei mir ist es die zweite.
Herr Staatssekretär, da das, wie Sie selbst ausführen,
trotz allem ein beschleunigtes Verfahren ist: Wie wollen
Sie sicherstellen, dass in diesem beschleunigten Verfahren die Meinung sowohl der verschiedenen Ministerien
als auch des Bundestages, der ja im Prinzip sozusagen
Ihr Weisungsgeber ist, ausreichend berücksichtigt werden kann?
Herr Kollege, das ist genauso wie in den dreistufigen
Verfahren. Es ist nicht so, dass durch das Trilogverfahren irgendeine Stufe komplett ausgeschaltet wird, sondern die Bundesregierung hat über den Wettbewerbsfähigkeitsrat immer Möglichkeiten, einzuwirken. Das
Europäische Parlament muss beteiligt werden. Ich habe
Ihnen bereits geschildet, dass der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments zurzeit noch mit sich ringt, ob er diesem Verfahren zustimmt.
Deswegen: Ich meine, es ist kein Nachteil, dass ein
Punkt, der über lange Zeit sehr sorgfältig diskutiert worden ist, dann auch in einem demokratischen Verfahren
zur Abstimmung kommt. Ich sehe keinen Vorteil darin,
Herr Lenkert, dass man jetzt ein unter Umständen jahrelanges Diskussionsverfahren beginnt. Die Dinge liegen
auf dem Tisch.
Ich werde gleich auch zu Ihrer zweiten Frage, die das
Inhaltliche betrifft, Stellung nehmen. Ich denke, die
Frage ist sehr übersichtlich. Dabei werden wir beide
mutmaßlich unterschiedlicher Auffassung sein; aber die
Frage ist entscheidungsreif.
Vielen Dank. - Noch zu der Frage? - Bitte schön,
Herr Hunko.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage, die sich
auch auf das Verfahren bezieht. Am 12. und 13. April
tagt in Dublin ein informeller EU-Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen. Meine Frage ist, ob dort auch über
die Konzessionsrichtlinie gesprochen wird und ob Sie
auf eine Änderung der Richtlinie oder auch auf eine
Änderung des Zeitplans drängen, die es ermöglichen
würde, dass sich der Bundestag damit befassen und seine
Meinung einbringen kann.
Lieber Herr Kollege Hunko, nehmen Sie es mir nicht
übel, aber ich weiß nicht, ob sich der EU-Ministerrat für
Wirtschaft und Finanzen, der Ecofin-Rat, in Dublin
damit beschäftigen kann. Ich gehöre diesem Rat nicht
an. Die Entscheidung über das Verfahren liegt jetzt in
Händen des Binnenmarktausschusses des Europäischen
Parlaments. Wenn der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments grünes Licht gibt, gilt: Alle anderen
Beteiligten haben diesem ordnungsgemäßen Verfahren
zugestimmt, und die Beteiligung des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments allzumal ist wie
immer gewährleistet. Es ist keineswegs so, dass das Trilogverfahren ein Geheimverfahren hinter geschlossenen
Türen wäre; es ist vielmehr ein Verfahren, das im Regelfall angewendet wird und das alle demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten garantiert.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 3 auf, die
gleichzeitig die zweite Frage des Kollegen Ralph
Lenkert ist:
Werden die Vertreter der Bundesregierung in Rat und
Kommission der EU dem vorliegenden Entwurf der Konzessionsrichtlinie zustimmen, der eine Privatisierung der kommunalen Wasserwirtschaft in Deutschland ermöglicht?
Diese Frage des Kollegen Lenkert kann ich bejahen.
Die Bundesregierung hat im EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat am 10. Dezember 2012 dem Verhandlungsmandat für
den anstehenden Trilog zum Entwurf der Konzessionsrichtlinie mit dem Europäischen Parlament und der
Kommission zugestimmt und damit auch grünes Licht
für den Entwurf der Konzessionsrichtlinie gegeben.
Aus gegebenem Anlass - weil es auch eine große Diskussion in der europäischen Öffentlichkeit gibt - will ich
darauf hinweisen, dass sich aus dem Richtlinienentwurf
kein Zwang zur Privatisierung, auch nicht im Bereich
der Wasserwirtschaft, ergibt.
({0})
Das ist absolut klar und unzweifelhaft: Es gibt keinen
Zwang zur Privatisierung der Wasserwirtschaft, auch
wenn das in der Öffentlichkeit seit langer Zeit immer
wieder anders behauptet wird.
Schon heute können Kommunen darüber entscheiden,
ob sie die Wasserversorgung selbst erbringen oder sich
dafür eines privaten Unternehmens bedienen wollen.
Diese Wahlfreiheit der Kommunen, von der viele Kommunen Gebrauch gemacht haben, bleibt nach dem Entwurf der Konzessionsrichtlinie auch künftig gewahrt.
Wenn aber, Herr Kollege Lenkert, eine Kommune sich
dazu entscheidet, die Wasserversorgung an einen Privaten zu vergeben, dann muss die Kommune dies transparent und diskriminierungsfrei tun.
Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Lenkert,
dass Sie irgendetwas dagegen haben, dass dann, wenn
die Wasserversorgung an einen Privaten vergeben wird,
das transparent und diskriminierungsfrei zu erfolgen hat.
Nur dies ist in der Konzessionsrichtlinie - auch in Nachzeichnung einer ohnedies seit vielen Jahren bestehenden
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - enthalten und nichts davon, dass hier ein irgendwie gearteter Zwang zur Privatisierung ausgeübt wird. Das ist definitiv nicht der Fall.
Herr Kollege Lenkert, Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in dem Fall, dass man die Konzessionsrichtlinie für sich allein betrachtet, könnte ich
Ihnen fast zustimmen. Aber es gibt bei uns eine Schuldenbremse und viele Kommunen, die unter der Finanzaufsicht der Länder stehen.
In diesem Zusammenhang besteht folgende Situation:
Wenn eine Kommune in ihr Wassernetz investieren
muss, um es zu modernisieren, und wenn die Finanzaufsicht die dafür notwendigen Kredite nicht genehmigt,
dann ist die Kommune durch die Finanzaufsicht gezwungen, dieses Wassernetz öffentlich auszuschreiben.
Damit erzeugen Sie doch indirekt einen Zwang zur Privatisierung von Maßnahmen in Bereichen der Daseinsvorsorge. Diesen Zwang üben Sie indirekt aus.
Da es aus meiner Sicht gerade im kommunalen Bereich unabhängig von der Parteimitgliedschaft Konsens
ist, dass die Wasserversorgung in der Hoheit der öffentlichen Hand bleiben soll, frage ich Sie noch einmal: Werden Sie eine Veränderung der Konzessionsrichtlinie anstreben?
Lieber Herr Kollege, die Logik Ihrer Frage erschließt
sich mir nicht.
({0})
Wenn sich manche Kommunen aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage, wie Sie sagen, veranlasst sehen,
über eine Privatisierung ihrer Wasserversorgung nachzudenken, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit der
Konzessionsrichtlinie zu tun. Schon bisher, ohne diese
Konzessionsrichtlinie, waren die Kommunen in der
Lage oder, wie Sie sagen, manchmal sogar gezwungen,
ihre Wasserversorgung an Private zu vergeben.
Ich meine sogar, umgekehrt wird ein Schuh daraus,
Herr Kollege Lenkert. Wir sorgen mit der Konzessionsrichtlinie und den nachfolgenden Gesetzen, die dann in
Deutschland dazu getroffen werden, dafür, dass eine
Kommune die Wasserversorgung nicht unter der Hand
an irgendeinen Spezi vergeben kann, sondern das muss
in einem transparenten, diskriminierungsfreien Verfahren ablaufen. Das heißt im Klartext: Es ist doch eher ein
Hemmnis für eine Kommune, die Wasserversorgung an
einen Privaten zu vergeben, da sie gezwungen ist, sie in
einem sauberen Verfahren zu vergeben.
Alles, was innerhalb von öffentlicher Verwaltung geschieht - dies betrifft auch die Zusammenarbeit von
Wasserversorgungsverbänden und -genossenschaften unterliegt nicht der Konzessionsrichtlinie, muss nicht in
dem dort festgelegten Verfahren vergeben werden, sondern kann in freiem Verfahren erfolgen. Nur dann, wenn
ein Privater eingeschaltet wird, muss ein sauberes Verfahren her. Ich kann mir wirklich nicht erklären - auch
aus Ihrer Sicht nicht, Herr Kollege -, warum Sie gegen
den Entwurf dieser Vorschrift inhaltliche Einwände erheben.
Kollege Ralph Lenkert, Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, viele Kommunen haben Stadtwerke, die im Querverbund arbeiten.
Ja.
Genau an dieser Stelle setzt Ihre Konzessionsrichtlinie an. Wenn es nämlich in den Stadtwerken auch noch
private Beteiligungen gibt, dann ist nach dieser Konzessionsrichtlinie eine Vergabe innerhalb der Stadtwerke im
Prinzip ausgeschlossen, dann muss europaweit ausgeschrieben werden. Damit zwingen Sie de facto die Kommunen, die Hoheit aufzugeben. Dies sollte auch Ihnen
bekannt sein. Ich behaupte hier, dies ist der eigentliche
Grund, weshalb das Wirtschaftsministerium dieser Konzessionsrichtlinie zugestimmt hat.
Jetzt bitte ich Sie, mir meine Aussage zu widerlegen.
Das will ich gerne tun. - Lieber Herr Kollege, ganz
einfach: Das, was in der Konzessionsrichtlinie steht, ist
ohnedies gängige, anerkannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
({0})
- Moment. - Der Europäische Gerichtshof ist seit vielen
Jahren der Meinung, dass, wie bei der Vergabe von anderen Leistungen, insbesondere beim Einkauf von Waren
und Ähnlichem, ein sauberes Verfahren bei bestimmten
Grenzen festgelegt werden muss. Der Europäische Gerichtshof war der Meinung, dass das auch für Dienstleistungskonzessionen gilt. Diese Rechtsprechung besteht.
Warum gibt es diese Richtlinie? Um einige rechtliche
Zweifelsfragen im Detail zu beseitigen und um für
Rechtsklarheit für alle zu sorgen. Lieber Herr Kollege,
es ist nicht so - insbesondere in der Wasserversorgung
nicht -, dass sich durch diese Richtlinie irgendetwas an
der rechtlichen Lage ändern würde; das ist nicht der Fall.
Vielmehr wird die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes gesetzlich verankert.
Deswegen muss ich Ihnen offen sagen: Die große
Aufregung, die inzwischen in der Öffentlichkeit über
den Entwurf der Konzessionsrichtlinie herrscht, kann
ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen.
Wir kommen jetzt zu weiteren Nachfragen zu dieser
Frage. Zunächst Kollegin Dagmar Enkelmann.
Herr Staatssekretär, Sie reden von Transparenz und
sauberen Verfahren. Wir reden aber über die Privatisierung eines öffentlichen Guts. Erfahrungen, was die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge betrifft, haben wir in den letzten Jahren zuhauf gemacht. Deswegen
lautet meine Frage: Hat die Bundesregierung die Folgen
einer möglichen Privatisierung - einschließlich die der
Wasserversorgung - tatsächlich geprüft, um schon jetzt
sagen zu können, dass sie dieser Konzessionsrichtlinie
zustimmt, und wie stehen Sie zu der Europäischen Bürgerinitiative und den mehr als einer Million Menschen
- ich hoffe, dass es noch mehr werden -, die sich gegen
eine Privatisierung der Wasserversorgung aussprechen?
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, schon bevor dieser
Richtlinienentwurf auch nur erörtert wurde, seit Jahrzehnten, gibt es in Deutschland private Wasserversorger,
die Leistungen mit höchster Qualität und ohne jegliche
Bedenken erbringen. Es ist nicht so, dass Leistungen nur
dann gut sind, wenn sie von kommunaler bzw. staatlicher Hand erbracht werden. Es gibt viele private Anbieter - auch bei den Wasserversorgern -, die Produkte mit
hervorragender Qualität anbieten, ohne dass das jemals
- auch von Ihnen nicht - gerügt worden wäre. Allein
weil die privaten Unternehmen der Wasserversorgung
keinen Anlass zu Bedenken geben, sehen wir überhaupt
keinen Grund, die Privatisierung der Wasserversorgung
zu verbieten, was Sie offensichtlich wollen.
({0})
- Lieber Herr Kollege, lassen Sie mich meine Antwort
noch zu Ende ausführen.
Wie stehe ich, wie steht die Bundesregierung zu dieser Europäischen Bürgerinitiative? Wir sind der Auffassung, dass diese Bürgerinitiative Behauptungen aufstellt,
die so nicht der Wahrheit entsprechen. Wir sind der Auffassung, dass der Vorwurf, dass hier eine Privatisierung
der Wasserversorgung erzwungen werde, falsch ist. Ich
habe schon versucht, das dem Kollegen Lenkert klarzumachen; ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist. Auf jeden Fall werden wir den Bürgerinnen und Bürgern, die
diese Bürgerinitiative unterstützen, sagen, dass es nicht
berechtigt ist, solche Gefahren heraufzubeschwören, wie
es diese Bürgerinitiative tut.
Ich möchte Ihnen, liebe Frau Kollegin Enkelmann,
nahelegen: Lesen Sie den Konzessionsrichtlinienentwurf, und Sie werden feststellen, dass das, was die Bürgerinitiative behauptet, in dieser Konzessionsrichtlinie
mitnichten enthalten ist.
({1})
Kollege Oliver Krischer stellt die nächste Nachfrage.
Herr Staatssekretär Otto, ich interpretiere Ihre Aussagen so, dass all diejenigen, die sich dazu kritisch äußern
- die Bürgerinitiative, viele Verbände und kommunale
Spitzenverbände -, das Ganze nicht richtig verstanden
haben.
({0})
Nein, das habe ich so nicht gesagt.
Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer.
Ich werde gleich eine entsprechende Frage stellen.
Dann können Sie mir das noch einmal erläutern.
Ich habe eine Debatte im Wirtschaftsausschuss verfolgt, in der sich vier von fünf Fraktionen - das waren
nicht nur Oppositionsfraktionen - kritisch bzw. teilweise
sehr kritisch zu diesem Richtlinienentwurf geäußert haben. Sie stellen das jetzt so dar, als ob es nach der Richtlinie keinen Zwang zur Ausschreibung gäbe. Das mag
für kommunale Unternehmen zutreffen, die allein die
Wasserversorgung betreiben. Das ist in Deutschland aber
eher der Ausnahmefall; zumindest gibt es sehr viele
kommunale Stadtwerke, die die Wasserversorgung im
Verbund mit Energieversorgung und anderen Dienstleistungen in privatwirtschaftlicher Rechtsform, etwa der
GmbH, betreiben. Das ist das, was die Bürgerinnen und
Bürger kennen.
Deshalb meine Frage an Sie: Muss die Kommune
nach dem vorliegenden Richtlinienentwurf nie ausschreiben, wenn solche Unternehmen dort tätig sind, und
würden Sie als Bundesregierung das dann auch weiterhin in Brüssel so unterstützen?
Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen,
klarzustellen, dass ich mitnichten gesagt habe, dass alle,
die den Aufruf der Bürgerinitiative unterschrieben haben, keine Ahnung haben. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass in dem Aufruf, den ich natürlich gelesen habe,
Behauptungen enthalten sind, die der Wirklichkeit nicht
entsprechen. Das ist der Punkt, und an dem halte ich
auch fest.
Herr Kollege Krischer, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es ist definitiv so: Wenn bei einem Unternehmen, das die Wasserversorgung betreiben will, außer der
öffentlichen Hand ein Privater beteiligt ist - das kann
auch in einer privatwirtschaftlichen Rechtsform sein,
etwa GmbH oder AG - und die Beteiligung des Privaten
nicht größer ist als 20 Prozent, dann ist die Leistung
nicht auszuschreiben.
Die Fälle, die Sie genannt haben, bestätige ich. Es ist
so, dass viele Stadtwerke nicht nur die Wasserversorgung, sondern auch die Energieversorgung, die Abfallentsorgung usw. betreiben. Wenn die private Beteiligung
nicht über 20 Prozent liegt, ist das nach wie vor, wie bisher, nicht ausschreibungspflichtig. Die Stadtwerke können sich mit einem benachbarten Stadtwerk und auch
mit einer GmbH, die in einer benachbarten Kommune in
kommunaler Hand ist, zusammentun.
In dem Moment, wo eine Kommune sagt: „Wir nehmen einen privaten Investor herein, der mehr als 20 Prozent der Anteile des Unternehmens hat“, besteht doch
die Frage: Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, dass
die Vergabe dann transparent und diskriminierungsfrei
erfolgen soll? Wollen Sie es wirklich zulassen, dass unter Umständen irgendein Amigo - ein grüner, schwarzer,
blauer oder was auch immer - den Auftrag bekommt und
möglicherweise bestimmte Vorteile erlangt? Das wollen
Sie sicher nicht. Sie werden doch mit mir gemeinsam dafür kämpfen, dass die Vergabe an einen Privaten diskriminierungsfrei erfolgt. Darüber sind wir uns, Grüne und
Bundesregierung, doch völlig einig, hoffe ich.
Ich bitte, jetzt immer auch auf die Zeit zu achten, da
wir noch viele weitere Fragen haben. - Als Nächster unser Kollege Wolfgang Tiefensee. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, im Kern geht es bei dieser Konzessionsrichtlinie um folgende Frage: Welche Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge werden jetzt neuerdings in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie
einbezogen und demzufolge einer neuen Form von Wettbewerb unterworfen?
Es ist nicht so, wie Sie suggerieren, dass es keine Regeln gäbe. Auch momentan müssen diese Leistungen
nach strikten Regeln ausgeschrieben werden. Das sind
die allgemeinen Regeln, Verfahrensweisen der Europäischen Union; das ist in einem Vertrag mit allgemeinen
Grundsätzen geregelt.
Jetzt ist die Frage: Nimmt man diese Leistungen der
öffentlichen Daseinsvorsorge in den Anwendungsbereich der Richtlinie hinein und stellt sie in einen besonderen Wettbewerb? Da frage ich Sie nun: Wieso ist es
möglich, Rettungsdienste und kommunale Kreditbeschaffung mehr oder minder mit einem Federstrich aus
dem Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie herauszunehmen, die Wasserversorgung aber nicht, obwohl
doch Letztere wesentlich mehr zur Daseinsvorsorge beiträgt? Oder würden Sie im Umkehrschluss behaupten,
dass beim Rettungswesen die Amigos, egal ob schwarz,
braun oder grün, Zugriff haben dürfen?
Herr Kollege Tiefensee, um das noch einmal klarzustellen: Es ist nicht so, dass wir, wie Sie eben formuliert
haben, die Wasserversorgung durch die Konzessionsrichtlinie einem zusätzlichen Wettbewerb aussetzen. Es ist
vielmehr so, dass wir die Vergabe der Wasserversorgung
einem sauberen und transparenten Verfahren unterwerfen
wollen, wie das der Regelfall bei allen Dienstleistungskonzessionen ist, die von einer Kommune vergeben werden.
Sie sprechen die Ausnahmen beispielsweise für die
Rettungsdienste an. Ich habe diese Ausnahme nicht eingeführt; ich persönlich bin der Meinung, dass man
durchaus bei allem sauber und transparent verfahren
könnte.
Bei der Wasserversorgung hat man möglicherweise
deshalb keine Ausnahme vorgesehen, weil die wirtschaftlichen Volumina, die bei der Wasserversorgung anfallen, natürlich einen ungleich größeren Umfang haben
als diejenigen bei einem Rettungsdienst - so wichtig ein
Rettungsdienst auch ist, auch der Rettungsdienst dient
der Daseinsvorsorge und ist eine sehr wichtige Einrichtung.
({0})
Aber wir reden natürlich bei der Wasserversorgung über
Werte, über wirtschaftliche Volumina, die um einen Faktor X wesentlich größer sind. Das wird mutmaßlich die
Überlegung sein.
Herr Kollege Tiefensee, ein Angebot: Wenn Sie der
Meinung sind, dass zukünftig für alle Dienstleistungskonzessionen Ausschreibungspflicht gelten soll, können
Sie jedenfalls mit mir darüber reden.
({1})
Nächster Fragesteller: unser Kollege Dr. Diether
Dehm.
Herr Kollege und Herr Staatssekretär, Sie sind mir
auch persönlich gut bekannt als gebildeter Mensch, der
Verständnis dafür hat, dass so viele Kulturschaffende, Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Jetzt nicht so viel Lob, das macht mir nur Probleme.
- die Sie kennen, beispielsweise der Kabarettist
Pelzig, die Initiative gegen die Wasserprivatisierung unterstützen. Ich will den Streit einmal beiseitelassen,
Deshalb wollten Sie fragen.
- da Sie ja prinzipiell der Meinung sind, dass die Privaten das alles so gut können, wir hingegen immer meinen, dass zivilisierte, öffentlich kontrollierte Regeln
auch für die Bürger zu einem höheren Maß an Transparenz und zu nachvollziehbarer Qualitätskontrolle führen.
Ich will Sie fragen - das ist eine ganz persönliche
Frage, weil ich weiß, dass Sie nicht nur mit der Kultur
viel zu tun, sondern auch einen guten Geschmack haben -,
ob Sie denn seit der Übernahme der Wasserversorgung
in London durch ein privates Unternehmen einmal in
London waren. Thames Water, eine frühere Tochter von
RWE, hat dort die Wasserversorgung übernommen. Jetzt
wird das Themsewasser zu Trinkwasser recycelt. Ich
frage Sie, ob Sie nach dieser Übernahme durch ein privates Unternehmen, eine ehemalige Tochter von RWE,
einmal in London waren und dort freiwillig aus dem
Wasserhahn getrunken haben.
Lieber Kollege Dr. Dehm, eine persönliche Frage,
eine persönliche Antwort: Ich war in den letzten anderthalb Jahren nicht in London, und ich würde ohnedies
- das kann ich Ihnen sagen - in keinem Fall aus dem
Wasserhahn trinken, egal ob das Wasser von RWE oder
von einem kommunalen Wasserversorger ist.
({0})
- Nein, auch nicht hier im Bundestag. Es gibt hier wunderbare Angebote. Ich will doch, dass die Kantine Umsatz macht. Ein paar Cent sind bei einem Staatssekretär
noch übrig, um sich ein Mineralwasser zu kaufen.
Nächste Nachfrage - wir sind immer noch bei der
Frage 3 -: Kollege Andrej Hunko. Bitte schön, Herr
Hunko.
Herr Kollege, Sie hatten eben in der Antwort auf Kollegen Lenkert der Europäischen Bürgerinitiative „right
to water“ unterstellt, dass sie die Konzessionsrichtlinie
falsch interpretiert und sozusagen als Schreckensszenario eine Privatisierung an die Wand malt.
Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass die
Konzessionsrichtlinie gar nicht direkter Gegenstand dieser Europäischen Bürgerinitiative ist - dazu würde ich
Sie auch gern fragen -; vielmehr geht es darum, dass die
Kommission einen neuen Vorschlag macht - ich zitiere -,
der „das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung entsprechend der Resolution der Vereinten
Nationen durchsetzt und eine funktionierende Wasserund Abwasserwirtschaft als existenzsichernde öffentliche Dienstleistung für alle Menschen fördert“.
Das ist der Vorschlag, zu dem jetzt Unterschriften gesammelt werden. Er bezieht sich aber nicht direkt auf die
Konzessionsrichtlinie und ist übrigens schon älter als die
ganze Debatte um diese Richtlinie. Vielleicht dazu noch
einmal die Frage: Könnten Sie dieses Anliegen unterstützen?
Lieber Herr Kollege Hunko, Sie haben die Frage 6 gestellt, die sich genau auf diesen Sachverhalt bezieht. Ich
würde vorschlagen, dass ich an dieser Stelle darauf eingehe.
Nein, das machen wir nicht. Wir gehen nach der ursprünglichen Reihenfolge vor, weil ansonsten diejenigen
benachteiligt sind, die Fragen zu den Fragen 4 und 5 haben.
Also gut, Herr Präsident, dann mache ich das sehr
gerne so.
Lieber Herr Kollege Hunko, es ist in der Tat so, dass
die UNO-Vollversammlung den Zugang zu sauberem
Wasser als ein elementares Menschenrecht bezeichnet
hat. Dieser Auffassung schließt sich die Bundesregierung selbstverständlich an. Wir sind allerdings der Auffassung, dass der Zugang zu sauberem Wasser mitnichten nur durch öffentliche, staatliche Institutionen
gewährleistet werden kann. Kollege Tiefensee hat vorhin
beispielsweise die Rettungsdienste angesprochen; ich
nenne ein anderes Beispiel: die Krankenhäuser. Es gibt
ein elementares Menschenrecht auf Gesundheit. Aber
deswegen betreiben wir nicht jeden Rettungsdienst und
auch nicht jedes Krankenhaus in staatlicher Regie. Niemand zweifelt daran, dass der Zugang zu sauberem Wasser ein elementares Menschenrecht ist.
Aber ich bin Ihnen jedenfalls in einem Punkt sehr
dankbar: Diese Bürgerinitiative, die in der Öffentlichkeit
immer so dargestellt wird, als wende sie sich gegen die
Konzessionsrichtlinie, strebt in Wahrheit eine Verände27426
rung des rechtlichen Status an. Ich stelle klar: Durch die
Konzessionsrichtlinie erfolgt keine Veränderung des derzeitigen Status; es erfolgt nur eine Klarstellung des bestehenden rechtlichen Zustandes. Wer also eine Veränderung des rechtlichen Zustandes möchte, das sind
diejenigen, die diese Bürgerinitiative unterstützen. Dieser Auffassung kann man ja sein; Sie sind es mutmaßlich. Nur, wir von der Bundesregierung sind nicht der
Auffassung, dass das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser nur vom Staat und durch öffentliche Stellen gewährleistet werden kann. Vielmehr sind wir der
Meinung, dass es viele gute, hoch leistungsfähige, zuverlässige private Wasserversorger in Deutschland und
auch in anderen Ländern gibt.
Wir kommen nun zur Frage 4 des Kollegen Oliver
Krischer:
Wann wird das eigentlich für „Ende Dezember 2012“
({0}) angekündigte
Kurzgutachten bei der Prognos AG zur Ermittlung der Datenund Informationsgrundlagen zur Entwicklung eines Konzepts
für die nationale Umsetzung von Art. 7 der EU-Energieeffizienzrichtlinie veröffentlicht, und zu welchen ({1})Ergebnissen ist das Gutachten bisher gekommen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Kollege Krischer, Sie fragen danach,
wann ein von Ihnen genau bezeichnetes Gutachten der
Prognos AG veröffentlicht werde. Da wir uns ja so gut
verstehen, kann ich Ihnen die erfreuliche Nachricht geben, dass der Endbericht der Prognos AG zum Kurzgutachten „Endenergieeinsparungsziel gem. Art. 7 EED und
Abschätzung der durch politische Maßnahmen erreichbaren Energieeinsparungen“ - das ist der etwas sperrige
Titel des Gutachtens - zwischenzeitlich auf den Internetseiten des BMWi veröffentlicht worden ist und von Ihnen und von jedem und jeder anderen abgerufen werde
kann. Wir freuen uns darüber, wenn davon rege Gebrauch gemacht wird.
Und trotzdem möchte der Kollege Oliver Krischer
nachfragen. - Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Da sieht man, wie
erfolgreich eine Frage sein kann: Sie haben das Gutachten gestern pünktlich zur Beantwortung der Frage veröffentlicht. Noch einmal herzlichen Dank dafür, dass das
so prompt geklappt hat.
So bin ich.
Das ist aber auch nicht irgendein Gutachten, sondern
das ist das Gutachten, das die Grundlage dafür sein soll
- so steht es jedenfalls in einer Beantwortung einer älteren Anfrage der grünen Bundestagsfraktion -, wie die
Energieeffizienzrichtlinie in Deutschland umgesetzt
werden soll. Deshalb gehe ich davon aus, dass Sie sich
mit diesem Gutachten intensiver beschäftigt haben.
Mich würde natürlich interessieren, welche Konsequenzen Sie jetzt daraus ziehen. Ganz konkret gefragt: Welche der genannten oder nicht genannten Maßnahmen
wird die Bundesregierung denn nun ergreifen, um das
von der EU vorgegebene Energieeffizienzziel zu erreichen?
Lieber Herr Kollege Krischer, Sie trauen mir ja viel
zu, wenn Sie meinen, dass ich ein Gutachten allein deswegen ins Netz stelle, weil Sie mich hier fragen. Ich
kann Sie beruhigen: Diese Einflussmöglichkeiten habe
ich nicht. Die Prognos AG hat uns das Gutachten ein
bisschen verspätet geliefert, man schaut es sich auch
noch an, und dann ist es gestern ins Netz gestellt worden. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass ich Ihnen
jetzt Vollzug melden kann.
Sie werden es sicherlich aber nicht als unziemlich betrachten, dass wir zu einem Gutachten von diesem Umfang und von dieser politischen Bedeutung, worauf Sie
zu Recht hingewiesen haben, das wir erst vor wenigen
Tagen erhalten haben, noch keine Auswertung fertiggestellt haben, sodass wir Ihnen auch noch keine abschließende Antworten auf all diese Fragen geben können.
Ich kann allerdings schon eine erste, vorläufige zusammenfassende Stellungnahme abgeben: Die Bundesregierung fühlt sich durch dieses Gutachten sehr darin
bestätigt, da es zu dem Ergebnis kommt, dass wir dann,
wenn man all die Instrumente zusammenrechnet, die wir
in Deutschland zur Steigerung der Energieeffizienz haben, das von Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie geforderte Einsparziel erreichen. Deswegen fühlen wir uns
durch dieses Gutachten - das ist eine vorläufige und zusammenfassende Bewertung - durchaus bestätigt.
Ich gehe davon aus, lieber Herr Kollege Krischer,
dass wir in den zuständigen Ausschüssen über dieses
Gutachten und über die einzelnen Maßnahmen - das ist
völlig legitim und richtig - noch ausgiebig diskutieren
werden.
Ihre weitere Nachfrage, Herr Kollege Krischer.
Herzlichen Dank. - Herr Otto, ich teile Ihre Einschätzung, dass dieses Gutachten - das sagen auch viele
Fachleute, die es geschafft haben, dieses seit gestern veröffentlichte Gutachten zu bewerten - zu dem Ergebnis
kommt, man müsse über die bisherigen Maßnahmen hinaus fast gar nichts mehr tun, um das Effizienzziel zu erreichen. Das erstaunt alle, die sich mit dem Thema EnerOliver Krischer
gieeffizienz auseinandersetzen. Wenn man sich das
Gutachten anschaut, sieht man, dass zum Beispiel die
Lkw-Maut oder der Ausbau der erneuerbaren Energien,
den ich ausdrücklich unterstütze, der aber zunächst einmal nichts mit Energieeffizienz zu tun hat, sondern nur
eine andere Form der Energieerzeugung ist, und eine
ganze Reihe weiterer Maßnahmen, wie zum Beispiel
Netzentgelte, in Anrechnung gebracht werden, um bestimmte Vorgaben der EU rechnerisch zu erfüllen.
Meine Frage ist: Sehen Sie das auch so? Finden Sie,
dass zum Beispiel der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Lkw-Maut usw. ein Teil der Umsetzung der
EU-Effizienzrichtlinie sind?
Lieber Herr Kollege Krischer, ich wiederhole: Eine
Diskussion darüber wird noch sorgfältig in den Ausschüssen geführt werden müssen. Da die Befragung allein dieses Ressorts schon relativ viel Zeit in Anspruch
genommen hat, möchte ich mit Blick auf den Herrn Präsidenten keine lange Antwort geben.
Klar ist - das ist das Einzige, was ich dazu sagen will -,
dass Maßnahmen, die zur Erhöhung der Energieeffizienz
maßgeblich beitragen, egal zu welchem Zeitpunkt sie
begonnen wurden, selbstverständlich in zulässiger Weise
im Rahmen des Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie berücksichtigt werden können. Welche es dann sind, darüber werden wir noch im Einzelnen diskutieren.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 5 des Fragestellers Oliver Krischer auf:
Wie sieht der weitere Zeitplan für gesetzliche Regelungen
bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas ({0})
vor dem Hintergrund aus, dass „noch in dieser Wahlperiode“
klare gesetzliche Regeln vonseiten der Bundesregierung geschaffen werden sollen ({1}), und
welche angeforderten konkreten Regelungsvorschläge ({2}) haben die Bundesministerien bisher
eingebracht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Meine Antwort: Eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen hat sich Ende Januar darauf verständigt, dass
die zuständigen Ressorts - es sind vier - der Arbeitsgruppe Regelungsvorschläge zum Fracking bis zur Sitzungswoche vom 18. bis zum 22. Februar, also bis zum
Ende dieser Woche, vorlegen. Derzeit erarbeiten - genau
in diesem Moment; das weiß ich - das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Regelungsvorschläge zur Änderung des
Wasserhaushaltsgesetzes - das wird vom BMU gemacht bzw. zur Änderung der UVP-Verordnung Bergbau - das
wird vom Bundeswirtschaftsministerium gemacht - aufgrund der konkreten Vorstellungen und Anregungen der
Fraktionen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Dies ist ein sehr engagierter Zeitplan. In der nächsten
Woche haben wir wieder eine Sitzungswoche. Dann
werden Sie mit Sicherheit wissen, wie diese Vorschläge
aussehen. Bis zum Ende dieser Woche muss ich Sie leider um Geduld bitten.
Und trotzdem hat der Kollege Oliver Krischer eine
Nachfrage.
Ich habe es befürchtet.
Wenn Sie bei diesem Thema immer so schnell arbeiten würden, wäre es schön. Wir hören seit zweieinhalb
Jahren immer wieder, es soll Gesetzesinitiativen bzw.
Gesetzesänderungen geben. Das haben wir schon von
verschiedenen Ministern gehört, die heute nicht mehr im
Amt sind, und am Ende ist nie etwas passiert. Deshalb
gestatten Sie mir eine Nachfrage. Ich erlebe jetzt den
Kollegen Altmaier, der sich zu diesem Thema sehr intensiv äußert und sogar ein generelles Fracking-Verbot in
die Debatte bringt, was ich mit den Koalitionsfraktionen
bisher gar nicht so sehr in Verbindung gebracht habe,
sondern eher mit anderen Teilen dieses Hauses.
Es wird unter anderem auch immer gesagt, Fracking
in Trinkwasserschutzgebieten solle verboten werden;
dies solle ein Teil der neuen Regelung sein. Nach meiner
Kenntnis gibt es in Deutschland drei Trinkwasserschutzzonen: I, II und III. In den Zonen I und II ist Fracking
nach gängiger Regelung ohnehin nicht zugelassen. Es
bliebe noch die Trinkwasserschutzzone III. Hier ist dies
in der Regel auch nicht zulässig oder nur unter bestimmten Einschränkungen. Mich würde einfach interessieren:
Was planen Sie im Hinblick auf Trinkwasserschutzgebiete im Detail?
Lieber Herr Kollege Krischer, ich habe das Gefühl,
dass Sie bei meiner Antwort auf die erste Frage nicht
aufmerksam zugehört haben. Ich habe Ihnen gesagt:
Über die Details können wir frühestens in der nächsten
Woche reden. - Ich möchte Ihnen auch sagen, dass Herr
Bundesumweltminister Altmaier keineswegs einem allgemeinen Verbot von Fracking das Wort geredet hat; er
hat nur gesagt: Wenn wir so hohe Anforderungen stellen,
wie wir es momentan vorhaben, dann wird es sehr
schwer werden, in Deutschland Fracking zu betreiben. Das will ich so wiedergeben, obwohl ich nicht für Herrn
Altmaier verantwortlich bin; das sind andere Kollegen.
({0})
Aber ich denke, dass man hier nicht stehen lassen kann,
dass Herr Altmaier jemals von einem Verbot von Fracking in Deutschland gesprochen hat.
({1})
- Er hatte ja nach London gefragt und nicht nach
Deutschland.
Jetzt ist der Kollege Oliver Krischer dran. Jeder kann
sich noch melden; ich nehme das gerne auf. - Bitte
schön, Kollege Oliver Krischer.
Herr Staatssekretär Otto, da muss ich Ihnen leider widersprechen. Herr Altmaier hat laut einer Reuters-Meldung vom 17. Februar wörtlich gesagt:
Wir sollten vor einem generellen Fracking-Verbot
nicht zurückschrecken …
({0})
Es gibt mehrere entsprechende Aussagen. Das heißt,
auch bei Herrn Altmaier spielt das offensichtlich eine
Rolle. Nun erleben wir es bei dem Herrn öfter, dass viel
angekündigt wird und nachher wenig dabei herumkommt; da kenne ich noch andere Beispiele.
Meine Frage ist: Wie steht die Bundesregierung denn
grundsätzlich zu der Thematik? Kann ich davon ausgehen, dass die Regelungen, an denen Sie jetzt arbeiten,
dazu führen sollen, dass Fracking in Deutschland grundsätzlich möglich ist, oder kann ich davon ausgehen, dass
am Ende tatsächlich eher eine Einschränkung vorgenommen wird - wie auch immer man sie vornimmt; man
muss nicht von einem generellen Verbot sprechen -, die
so weit geht, dass kein Fracking stattfindet? Sie müssten
da schon eine Grundtendenz nennen können.
Lieber Herr Kollege Krischer, Sie fragen nicht nach
den Details; generell kann ich Ihnen sagen, dass es nach
dem Meinungsstand der Arbeitsgruppen, die aktuell tagen, darauf hinausläuft, eine sehr eingeschränkte, verantwortungsbewusste Nutzung von Fracking unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.
Nachdem Sie es schon der Presse entnommen haben,
kann ich bestätigen, dass wir darüber nachdenken, bei
allen Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchführen zu lassen, und wir in der Tat prüfen, wie es
sich mit Wasserschutzgebieten verhält; Sie haben es
eben schon angesprochen. Das sind die beiden zentralen
Punkte: Umweltverträglichkeitsprüfung und Verträglichkeit des Frackings mit Wasserschutzgebieten.
Ich kann Ihnen - das hatte ich Ihnen schon gesagt auch beim besten Willen wirklich nicht mehr als das sagen, weil es sich im Moment noch in der Abstimmung
befindet. Aber ich glaube, ich kann Ihnen ankündigen,
dass wir in der kommenden Sitzungswoche, die auch die
kommende Kalenderwoche ist, sprechfähig sein werden.
Zusatzfrage unserer Kollegin Frau Dorothea Steiner.
Herr Staatssekretär Otto, Ihre Formulierung - Sie
streben eine „sehr eingeschränkte, verantwortungsbewusste Nutzung“ an - bringt mich zu der Frage: Wie
kann denn bei den Kenntnissen, die wir über Auswirkungen des Frackens und über seine Einwirkung auf den Boden haben, eine eingeschränkte, aber verantwortungsvolle Nutzung möglich sein? Glauben Sie, dass Sie eine
solche Form der Nutzung über eine UVP erreichen können? UVP können auch das Ergebnis haben, dass man
überhaupt nichts vornehmen darf. Was heißt hier „verantwortungsbewusst“? Das ist eine Grundsatzfrage und
keine Detailfrage; es sollte sicherlich möglich sein, darauf eine Antwort zu geben.
Liebe Frau Kollegin Steiner, Ihnen ist sicherlich bekannt, dass in Deutschland bereits jetzt, in diesem Moment, und schon seit Jahrzehnten Fracking betrieben
wird. Es ist also nicht so, dass wir jetzt die Möglichkeit
eröffnen müssten. Im Gegenteil: Wir wissen um die Gefahren und handeln im Hinblick auf den Schutz des
Trinkwassers und der Umwelt verantwortungsbewusst.
Wir überlegen uns zusätzliche Regeln hinsichtlich der
Frage, unter welchen Bedingungen Fracking stattfinden
oder eben nicht stattfinden darf. Es ist nicht so, dass wir
das liberalisieren. Im Gegenteil ist es so, dass wir zusätzliche Regelungen schaffen.
({0})
Nein, Frau Steiner. Der Kollege Ralph Lenkert hat
sich jetzt gemeldet. - Bitte.
Herr Staatssekretär, zunächst möchte ich klar sagen:
Die Linke ist gegen jede Form von Fracking in konventionellen Erdgaslagerstätten.
Ich möchte Ihnen folgende Frage stellen. Sie sprachen
vorhin an, dass das Wirtschaftsministerium plant, das
Bergrecht zu verändern. Im aktuellen Bergrecht ist die
Möglichkeit vorgesehen, dass per Verordnung ein Fonds
eingerichtet wird, der im Falle der Nichtzahlungsfähigkeit des betroffenen Bergbauunternehmens bei größeren
Umweltschäden einspringt. Planen Sie im Zusammenhang mit Ihren Überlegungen zum Fracking, endlich einen solchen Fonds einzurichten, damit die Möglichkeit
besteht, im Schadensfall die Betroffenen zu entschädigen, falls das Bergbauunternehmen nicht zahlen kann?
Lieber Herr Kollege, ich habe eben schon dem Kollegen Krischer sehr deutlich gesagt, dass es unverantwortlich wäre, Wasserstandsmeldungen über laufende
Abstimmungsgespräche zu übermitteln. Das betrifft Fracking. Ihre Frage zielt allerdings weit darüber hinaus.
Ich darf Sie bitten, für die nächste Sitzungswoche eine
entsprechende Frage vorzubereiten, dann werden wir Ihnen darauf auch eine Antwort geben. Einfach so, aus der
Hüfte geschossen, zu sagen, was wir in den nächsten
zehn Jahren vielleicht alles machen, das scheint mir
nicht seriös zu sein. Ich möchte Sie anregen: Stellen Sie
Ihre Frage in mündlicher oder schriftlicher Form, dann
bekommen Sie auch eine seriöse Antwort.
({0})
Frau Kollegin Steiner, bitte.
Herr Staatssekretär Otto, Sie haben sich zwar gerade
etwas unverbindlich und beliebig ausgedrückt, dennoch
stelle ich fest, dass Sie zwei Bedingungen genannt haben, die gegeben sein müssen, um Fracking einzuschränken bzw. zu verhindern. Im Umkehrschluss heißt das
aber: Alles andere ist erlaubt. Das heißt, Sie wollen Fracking im großen Maßstab zulassen bzw. alles beim derzeitigen Umfang belassen. Aber so viel zugelassenes
Fracking, wie Sie das gerade unterstellt haben, gibt es
nicht. Es gibt vielerorts Moratorien. Wir wissen, welche
Folgen verantwortungsloses Handeln hat und fragen uns
daher: Was wird sich ändern, wenn Sie Fracking doch
weiterhin zulassen wollen?
Liebe Frau Kollegin, ich überlasse das Ihrem Urteil.
Ich schließe mich dem nicht an, dass ich Ihnen unverbindlich und unkonkret geantwortet habe. Vielmehr
möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich Ihnen sogar erste Antworten und Einschätzungen auf Fragen gebe, die im Moment eigentlich überhaupt noch
nicht zu beantworten sind. Ich hätte mich zurückziehen
können und sagen: Die Kollegen tagen im Moment, also
gibt es überhaupt keine Antwort.
Ich meine, dass ich sehr viel konkreter bin, wenn ich
Ihnen sage: Wir arbeiten konkret an der Umweltverträglichkeitsprüfung und an der Frage, inwieweit Wasserschutzzonen zu beachten sind. Liebe Frau Kollegin,
schon allein deswegen, weil ich den Kollegen Altmaier
sehr schätze, wäre ich doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich Ihnen hier definitiv sagen würde: Es
gibt kein Moratorium, es gibt kein Verbot und Ähnliches. Ich kann Ihnen nur sagen, wie der momentane
Stand der Dinge ist.
Die Fraktionen haben sich in anderer Weise geäußert.
Aber warten wir doch alle einmal ab, wie sich die Fachleute, die im Moment darüber beraten, entscheiden werden. Ob ein Moratorium oder ein Verbot herauskommt
oder ob es eher, wie Sie es eben beschrieben haben, auf
strengere Voraussetzungen hinausläuft, das weiß ich
nicht. Ich lege aber Wert darauf, festzuhalten: Wir stellen
auf jeden Fall zusätzliche Anforderungen an die Durchführung von Fracking in Deutschland. Von Ihnen wird
manchmal der Eindruck erweckt, als ob wir jetzt alles liberalisieren oder freigeben. Wir wissen, dass Fracking
eine sehr problematische, nur mit großem Verantwortungsbewusstsein zu betreibende Abbaumethode ist, und
dementsprechend werden wir uns auch verhalten.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fahren mit unserer Liste fort.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Inwiefern hat sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür eingesetzt, die Privatisierung der Trinkwasserversorgung
zu verbieten, und sieht sie die in den Richtlinienvorschlägen
der EU-Kommission zur öffentlichen Auftragsvergabe
({0}) vorgesehene Möglichkeit zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung in Widerspruch zur Resolution 64/292 der UNO-Vollversammlung vom 28. Juli 2010, die den Zugang zu sauberem
Trinkwasser zu einem Menschenrecht erklärt hat ({1})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Präsident, ich hatte vorhin schon auf eine
ähnliche Frage des Kollegen Hunko geantwortet: Die
Bundesregierung setzt sich auf EU-Ebene, namentlich
bei der Konzessionsrichtlinie, dafür ein, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht gestärkt wird. Das heißt,
wir legen es in die Hand der einzelnen Kommune, ob sie
die Wasserversorgung in eigener Hand, durch Eigenbetriebe, in Form einer GmbH oder Ähnliches betreibt,
oder ob sie sich dafür, ganz oder teilweise, privater Unternehmen bedient. Jede Maßnahme, die es verbietet, die
Trinkwasserversorgung in private Hände zu legen, wäre
eine unter Umständen sogar verfassungsrechtlich fragwürdige Einschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Das, lieber Herr Kollege Hunko, mögen Sie
bitte auch bedenken.
Ihre Frage dazu, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Zugang zu sauberem Wasser als ein
elementares Menschenrecht bezeichnet hat, habe ich
auch schon beantwortet. Ich möchte das hier aber noch
einmal klarstellen: Wir teilen als Bundesregierung ohne
Wenn und Aber diesen Beschluss; aber wir sind der Meinung, dass wir jedenfalls in Deutschland - so weit können wir das als Bundesregierung beurteilen - einen Zugang zu sauberem Wasser auch dort gewährleisten
können, wo private Anbieter entweder zusammen mit einem öffentlichen Anbieter oder allein die Wasserversorgung betreiben. Hier liegt also keine Gefährdung vor.
({0})
- Frau Kollegin Enkelmann, ich lege Wert darauf, dass
auch nach dem Beschluss der Vereinten Nationen es den
einzelnen Vertragsstaaten ausdrücklich überlassen
bleibt, wie sie eine funktionierende Wasserinfrastruktur
schaffen und wie sie die Versorgung mit sauberem
Trinkwasser in der Zukunft vorschreiben. Es ist also
nicht so, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen uns dazu zwingt oder auch nur an uns appelliert,
dass wir die Wasserversorgung in staatliche bzw. kommunale Hand nehmen. Das ist nicht der Fall.
({1})
Herr Kollege Hunko, Sie haben eine Nachfrage.
Herr Kollege Otto, ich würde gerne noch einmal auf
den ersten Teil meiner Frage eingehen. Wir haben darüber eben schon relativ ausführlich diskutiert, aber ich
habe doch noch eine Nachfrage dazu. Sie sagten, dass
Sie die Wasserversorgung in die Hand der Kommunen
- kommunale Selbstverwaltung - legen, dass die Kommunen völlig frei seien in der Entscheidung, ob sie die
Wasserversorgung in öffentlicher Hand behalten oder in
private Hände geben wollen, wofür dann jedoch eine
europaweite Ausschreibung zwingend vorgeschrieben
sei. Mit Blick auf die Schuldenbremse, auf den Fiskalpakt, der die Handlungsfähigkeit der Kommunen in den
nächsten Jahren weiter einschränken wird, möchte ich
nachfragen: Für wie realistisch halten Sie es angesichts
der Finanzsituation der Kommunen - ich komme aus
NRW, dort sind sehr viele Kommunen in Finanznot -,
dass die Kommunen tatsächlich eine freie Entscheidung
treffen können? Ist nicht doch ein ökonomischer Druck,
eine Druckkulisse aufgebaut worden, die letztendlich zur
Privatisierung führt?
Lieber Kollege Hunko, ich bin außerordentlich überrascht, dass ausgerechnet aus Ihrer Fraktion diese Frage
kommt; denn ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, dass die Linksfraktion in Hamburg und anderen
Städten die Rekommunalisierung von Stromversorgungsnetzen forderte.
({0})
Das heißt, dass es den Kommunen auch in Zeiten der
Schuldenbremse und angesichts ihrer finanziellen Probleme möglich ist - auch Hamburg ist eine Kommune -,
das Rad zurückzudrehen, also nicht stärker der privaten
Seite zuzuneigen, sondern für Hunderte von Millionen
Euro ein Netz zurückzukaufen.
({1})
Das beweist doch, dass es keinen zwangsläufigen Mechanismus gibt, dass eine Kommune gezwungen wird,
die Wasserversorgung zu privatisieren. Es ist im Gegenteil sogar so: Die kommunale Wasserversorgung wird in
den allermeisten Fällen von den Kommunen so betrieben, dass dabei ein gewisser Gewinn herausspringt.
Wenn eine Kommune die kommunale Wasserversorgung
gut organisiert betreibt, besteht also überhaupt kein
Grund, sie zu veräußern. Wenn sie das erfolgreich betreiben, dann sollen sie das auch weiter betreiben.
Klare Feststellung: Die Bundesregierung zwingt
keine Kommune, irgendetwas zu privatisieren. Wir sagen nur: Wenn sie privatisieren, dann müssen sie ein faires, transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren
anwenden.
Wollen Sie die Möglichkeit der zweiten Nachfrage
nutzen? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Otto, ich will das,
was Sie gesagt haben, jetzt nicht kommentieren. Bei der
Frage, was als vorwärts- und was als rückwärtsgerichtet
angesehen wird, haben wir einfach gegensätzliche Auffassungen. Wir betrachten öffentliches Eigentum gerade
im Bereich der Daseinsvorsorge als etwas, was nach
vorne gerichtet ist. Darauf will ich jetzt aber nicht näher
eingehen.
Ich will noch einmal auf die von Ihnen erwähnte
UNO-Resolution eingehen und dazu eine Nachfrage
stellen. Ich sage an dieser Stelle, dass ich froh bin, dass
Deutschland das mit unterstützt hat. Darin heißt es:
Die Generalversammlung …
- der UNO erkennt das Recht auf einwandfreies und sauberes
Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschenrecht an …
Später heißt es weiter: Sie fordert die Staaten und internationalen Organisationen auf, insbesondere für die Entwicklungsländer Sorge zu tragen,
die Anstrengungen zur Bereitstellung von einwandfreiem, sauberem, zugänglichem und erschwinglichem Trinkwasser und zur Sanitärversorgung für
alle zu verstärken.
Es gibt Erfahrungen mit privaten Anbietern hier in
Berlin, in London - das ist eben erwähnt worden - und
in vielen anderen Städten. Nach der Privatisierung sind
die Preise schnell gestiegen, wodurch die Erschwinglichkeit des Trinkwassers reduziert wurde.
Meine Frage lautet: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass
diese UNO-Resolution, der Sie zugestimmt haben, durch
das, was Sie als „vorwärts“ bezeichnen, verletzt wird?
Nein, Herr Kollege Hunko. Die Bundesregierung verfügt über keinerlei Erkenntnisse, dass eine Wasserversorgung durch private Unternehmen generell teurer oder
schlechter als durch kommunale Unternehmen ist. Das
entspricht auch der Stellungnahme des Verbandes kommunaler Unternehmen.
Man kann auch nach den Erfahrungen, die wir in
Deutschland machen, nicht generell sagen: Eine Dienstleistung, die von der öffentlichen Hand erbracht wird, ist
automatisch besser und billiger als eine Dienstleistung,
die von privater Hand erbracht wird.
({0})
Deswegen sehe ich überhaupt keinen Widerspruch zu
dieser von der Vollversammlung der Vereinten Nationen
beschlossenen Resolution zum Grundrecht auf freien
Zugang zu Trinkwasser. Das wird bei uns gewährleistet.
Das Wasser ist in Deutschland generell sehr erschwinglich, und die Preise sind in den letzten Jahren
auch nicht signifikant angestiegen. Das ist in anderen
Bereichen der Daseinsvorsorge völlig anders. Daher besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die deutschen
Bürgerinnen und Bürger einen Zugang zu sauberem
Wasser zu erschwinglichen Preisen haben. Das ist gewährleistet.
Jetzt komme ich zu weiteren Nachfragen zu diesem
Themenbereich: zunächst vom Kollegen Ralph Lenkert,
dann von der Kollegin Dagmar Enkelmann.
Herr Staatssekretär, die UN-Resolution betrachtet den
ungehinderten Zugang zu Trinkwasser als Menschenrecht - so ebenfalls die Sicht der EU und auch unsere
Sicht.
({0})
Mich bewegt eine Frage. Sie haben vorhin bei der
Antwort auf eine andere Frage geäußert, dass Sie selbst
nie Wasser aus der Leitung trinken. Das Ministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erklärt regelmäßig, dass Trinkwasser aus der Leitung eines
der besten und am besten überprüften Lebensmittel in
unserem Land ist.
Schön.
In Großbritannien und in anderen Ländern ist es mit
einem gewissen Risiko verbunden, Leitungswasser zu
trinken.
({0})
Das war nicht immer so. Vor der Privatisierung waren die
Zustände dort anders. Das heißt: Es gibt durchaus Beispiele auf dieser Welt und auch innerhalb der EU, die
nachweisen, dass die Trinkwasserqualität deutlich schlechter geworden ist, nachdem eine Privatisierung stattgefunden hat.
Ich frage die Bundesregierung deshalb, wieso sie die
Erfahrung aus anderen Ländern einfach ausblendet.
Lieber Herr Kollege, die Bundesregierung wertet die
Erfahrungen aus Deutschland aus. In Deutschland haben
wir in großem Umfang auch private und gemischte - öffentlich-rechtliche und private - Anbieter. Wir haben ein
hervorragendes Niveau.
({0})
Ich könnte ja Leitungswasser trinken; ich werde mir
aufgrund Ihres Ratschlags überlegen, ob ich nicht doch
Leitungswasser trinke, damit die Linken zufrieden sind.
({1})
Aber Spaß beiseite: Wir haben in Deutschland - das
ist unstreitig - ein hervorragendes Niveau der Wasserversorgung. Wir haben das erreicht, indem die Kommunen darüber entscheiden, wie sie das organisieren.
({2})
Es gibt überhaupt keine Veranlassung, das kommunale
Selbstverwaltungsrecht einzuschränken, die Kommunen
zu zwingen, ihre Wasserversorgung in die eigene Hand
zu nehmen, obwohl sie vielleicht seit Jahrzehnten mit einem privaten Versorger gut zusammenarbeiten.
Sie müssen sich auch unter Demokratiegesichtspunkten einmal die Frage stellen: Ist das denn so demokratisch, wenn man hier in Berlin beschließt, dass alle Kommunen das so und so zu machen haben - egal, wie das
vor Ort geregelt ist? Haben Sie doch Vertrauen zu Ihren
Kommunalpolitikern. Sie sollen entscheiden, wie sie es
am besten machen. Die Bundesregierung sieht keine
Veranlassung dazu, hier einzugreifen.
Ein Letztes. Die Bundesregierung hat keine Informationen darüber, dass die Übertragung der Wasserversorgung auf einen privaten Versorger zu einem Qualitätsabfall und zu einem Preisanstieg führt. Diese Erkenntnisse
gibt es nicht; jedenfalls haben wir diese Erkenntnisse
nicht. Wie es in London ist, kann ich hier nicht abschließend beurteilen; aber es gibt sicherlich auch Fälle in anderen europäischen Ländern.
({3})
- Braunschweig. Jetzt ruft hier jeder etwas dazwischen.
Ich könnte jetzt genauso gut Hinterbasewinkel rufen.
({4})
- Liebe Kollegen, ganz ruhig.
So, Sie kommen jetzt bitte zum Ende der Beantwortung dieser Frage, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat keine gesicherten oder sonstigen Informationen darüber, dass die Privatisierung der
Wasserversorgung zwangsläufig dazu führt, dass das
Wasser schlechter und der Preis höher wird.
Jetzt hat Frau Kollegin Dagmar Enkelmann noch eine
Nachfrage zu diesem Themenkomplex. Dann geht es
weiter.
Herr Staatssekretär, da Sie FDP-Mitglied sind, erklärt
sich natürlich für jeden die Wettbewerbshörigkeit, die
Sie hier durchschimmern lassen. Aber Sie sind Mitglied
der Bundesregierung und antworten hier als Mitglied der
Bundesregierung. Vorhin war meine Frage, ob die Bundesregierung die Folgen einer möglichen Privatisierung
der Wasserversorgung geprüft hat, die Folgen für die
Bürgerinnen und Bürger und insbesondere die Frage der
Bezahlbarkeit des öffentlichen Guts Wasser.
Ich stelle die Frage noch einmal. Wir reden hier nicht
nur über Qualität, sondern auch darüber, dass das öffentliche Gut Wasser auch künftig für alle bezahlbar sein
soll. Ist dies von der Bundesregierung ausreichend geprüft worden, und kann sie vor diesem Hintergrund
möglicherweise verstehen, weshalb es Rekommunalisierungen von zum Beispiel Stromnetzen gibt, damit das
öffentliche Gut Strom bzw. Energie künftig für alle bezahlbar ist?
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, damit wir uns richtig verstehen: Ich bin auf jeden Fall nicht mehr wettbewerbshörig, als Sie staatshörig sind.
({0})
Zu Ihrer Frage will ich klarstellen: Die Bundesregierung hat keine über den allgemeinen Anlass hinausgehende Veranlassung, über die Folgen der Privatisierung
von Trinkwasserversorgung nachzudenken. Denn nach
unserer Überzeugung wird durch die Konzessionsrichtlinie kein Zwang zur Privatisierung ausgeübt. Im Gegenteil: Dadurch werden klare und harte Regeln geschaffen.
Wenn man an einen Privaten überträgt, muss man ein
Vergabeverfahren durchlaufen.
({1})
Bitte denken Sie daran: Das Vergabeverfahren ist eine
gewisse Schranke. Es ist sehr viel einfacher, die Versorgung auf einen anderen öffentlich-rechtlichen Träger zu
übertragen; da brauche ich kein Vergabeverfahren zu
starten. Wenn wir in der innerdeutschen Umsetzung dieser Richtlinie, wenn sie denn kommt, dafür sorgen, dass
ein hartes Vergabeverfahren stattfinden muss, dann ist
das doch eher eine Schranke als eine Öffnung für Privatisierung.
Seien Sie doch offen, Frau Enkelmann, so wie Kollege Hunko. Ihnen geht es nicht um die Konzessionsrichtlinie, sondern allein darum, dass Sie den Kommunen verbieten wollen, die Wasserversorgung zukünftig
von privaten Trägern betreiben zu lassen. Das ist Ihr Anliegen. Kollege Hunko hat das sehr offen gesagt. Ich
finde, Sie sollten jetzt nicht auf die Konzessionsrichtlinie verweisen. Die Konzessionsrichtlinie ändert nichts
daran. Sie basiert auf geltendem Recht.
Es ist doch nicht so, dass dort in Deutschland, wo die
Wasserversorgung durch private Betreiber erfolgt, der
Notstand ausgebrochen ist und die Preise wesentlich höher sind. Das ist nicht der Fall. Ich will mich auch gegenüber der Kritik an den seriösen und erfolgreichen
Wasserversorgungsunternehmen in Deutschland verwahren, die zum Teil in privater Hand sind. Sie stellen es
hier so dar, als ob dort Kloake aus dem Wasserhahn
komme. Das ist doch nicht der Fall.
({2})
- Doch, Sie haben gesagt, welche Folgen es hat, wenn
die Wasserversorgung privatisiert wird. - Wir haben in
Deutschland eine zum Teil privatisierte Wasserversorgung, und das hat zu einem hohen Niveau und zu hoher
Qualität geführt.
Ich bitte, die Zeit einzuhalten.
Ich bin fertig.
({0})
Jetzt Kollege Wolfgang Tiefensee mit noch einer
Nachfrage zu diesem Fragenkomplex.
Das ist ein spannendes Thema. Deshalb, Herr Staatssekretär, gestatte ich mir noch einen Hinweis. Ich bemühe mich, dies nicht unbedingt in eine Frage zu kleiden.
Meiner Ansicht nach, Herr Otto, sind Sie auf dem falschen Dampfer, und zwar aus folgendem Grund: Mein
Thema ist nicht so sehr, ob wir privatisieren oder nicht
- denn es gibt in Deutschland eine privatisierte bzw. teilprivatisierte Wasserversorgung -,
({0})
sondern das Thema ist, dass durch die Konzessionsrichtlinie ein bewährtes Verfahren verändert wird. Der Wettbewerb, der bisher subsidiär in den Kommunen stattfand
und bei dem natürlich alle in Deutschland geltenden
Ausschreibungsregelungen beachtet werden mussten,
wird jetzt in einen europäischen Kontext gestellt, in den
Kontext eines Wettbewerbsrechts, das weit über die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge hinausgeht.
Ich weiß aus meinen früheren Funktionen - Stichwort: Vergabe von Transportleistungen an Busunternehmen -, dass wir in Deutschland ein völlig anderes System der Daseinsvorsorge haben. Mir leuchtet nicht ein,
warum wir ein bewährtes System ungefragt und ohne
Not aufgeben, nur weil es zufälligerweise in die Konzessionsrichtlinie aufgenommen worden ist. Deshalb meine
Frage - um meine Ausführungen in eine Frage zu kleiden, Herr Präsident -: Sehen Sie nicht vielmehr die Notwendigkeit, das bestehende Verfahren und damit die
subsidiäre Zuordnung dieser Aufgabe an die Kommunen
so zu erhalten, wie es sich in der Vergangenheit bewährt
hat?
Lieber Herr Kollege Tiefensee, allein deshalb, weil
Sie jetzt in die erste Reihe Ihrer Fraktion aufgerückt
sind, sind Sie noch nicht automatisch auf dem richtigen
und bin ich nicht automatisch auf dem falschen Dampfer.
Darf ich Sie darauf hinweisen - da kenne ich mich
aus; ich habe als Anwalt in diesem Bereich gearbeitet -,
dass der Europäische Gerichtshof die Vergabe von
Dienstleistungskonzessionen bereits seit vielen, vielen
Jahren, seit mehr als zehn Jahren, sowieso per Richterrecht dem Zwang zu einem transparenten, diskriminierungsfreien Verfahren unterwirft?
Ich selbst war als Anwalt an einer entsprechenden
Entscheidung beteiligt; ich weiß, wovon ich rede. Beim
Europäischen Gerichtshof hat es eine Fülle von Verfahren gegeben. Der Wunsch der Kommission ist, hier
Rechtsklarheit herbeizuführen. Es ist nicht der Wunsch
der Kommission, irgendetwas zu verändern und eine
neue Wettbewerbssituation zu schaffen, sondern ihr
Wunsch ist, für die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes seit über zehn Jahren bestehende
Situation einen Ordnungsrahmen vorzugeben, damit jeder weiß, woran er ist. Deswegen, lieber Herr Kollege
Tiefensee, sage ich Ihnen - auch wenn ich Maritimer
Koordinator bin -: Lassen Sie das mit dem Dampfer!
Ich möchte alle Kollegen, die gutwillig sind - das unterstelle ich allen -, herzlich einladen: Lesen Sie die
Konzessionsrichtlinie und schauen Sie sich an, wie die
bisherige Rechtslage war! Dann werden Sie feststellen,
dass durch die Konzessionsrichtlinie praktisch nichts geändert wird, dass aber - umgekehrt - einige, die diese
Bürgerinitiative unterstützen, den derzeitigen Zustand
offensichtlich verändern und das kommunale Selbstverwaltungsrecht einschränken wollen. Ob Sie das wollen,
lieber Herr Kollege Tiefensee, mögen Sie selber entscheiden. Dazu, auf welchem Dampfer sich wer von uns
befindet, komme ich bei späterer Gelegenheit.
({0})
Jetzt kommen wir zur Frage 7 unserer Kollegin Rita
Schwarzelühr-Sutter:
Wie möchte das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie die Aussagen aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP umsetzen, wonach 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen gebracht werden soll
und Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität wird,
angesichts des aktuellen Bestandes von rund 69 000 Hybridund 7 500 reinen Elektroautos bei 43 Millionen Pkw?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin,
das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
arbeitet gemeinsam mit den anderen zuständigen Ressorts - dem Verkehrsministerium, dem Umweltministerium und dem BMBF, also dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung - mit großer Intensität an der
Umsetzung des „Regierungsprogramms Elektromobilität“. Gemäß der Nationalen Plattform Elektromobilität
befindet sich Deutschland derzeit in einer Marktvorbereitungsphase. Die deutschen Automobilhersteller werden in der Marktvorbereitungsphase in der Lage sein,
über 15 neue elektrifizierte Fahrzeugmodelle für den
Verkauf anzubieten; diese Fahrzeuge - die ersten sind ja
schon auf dem Markt - werden schrittweise angeboten.
Der sich anschließende Markthochlauf ist bis zum Jahre
2017 avisiert, und mit Elektromobilität als Massenmarkt
ist dann bis 2020 zu rechnen.
Die Bundesregierung liegt bei der Umsetzung des Regierungsprogramms im Zeitplan. Die Bundesregierung
setzt die Rahmenbedingungen - nur das ist unsere Aufgabe - so, dass die Elektromobilität eine Chance hat,
sich im globalen Wettbewerb zu entwickeln. Die Entwicklung muss aber - da sind wir uns hoffentlich einig vom Markt getragen werden. Um dies zu erleichtern,
wurde die Kraftfahrzeugsteuer zum 1. Januar 2013, also
zum Anfang dieses Jahres, reformiert. Die Änderung der
Besteuerung von Dienstwagen befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren; sie war Teil des Jahressteuergesetzes 2013. Sie erinnern sich, dass die rot-grün regierten
Länder dieses Gesetz gestoppt haben.
Im Mittelpunkt des Regierungsprogramms steht die
Forschungsförderung. Die zuständigen Ressorts fördern
Elektromobilität im Rahmen des weltweit einzigartigen
Programms „Schaufenster Elektromobilität“. Zudem finanziert das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie im Rahmen seiner Ressortforschung mit
großer Intensität und großen Volumina eine Vielzahl von
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet
der Elektromobilität.
Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass der
Standort Deutschland mit der Umsetzung des Maßnahmenbündels einen entscheidenden Schritt dabei vorankommt, Deutschland bis zum Jahr 2020 nicht nur zu einem Leitmarkt, sondern auch zu einem Leitanbieter für
Elektromobilität werden zu lassen.
Die Kollegin hat eine Nachfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, im vergangenen
Jahr waren in Deutschland gerade einmal knapp 70 000
Elektrofahrzeuge zugelassen, und die Zahl der Neuzulassungen hat die Zahl 3 000 nicht erreicht. Da ist es
schon sehr ambitioniert, zu sagen: Wir sind im Zeitplan.
Neue Maßnahmen sind nicht erkennbar. Inwieweit
versuchen Sie - auch durch Anreize für Verbraucher -,
die Elektromobilität zu fördern? Auf europäischer Ebene
wird überlegt, der Automobilindustrie mit Super Credits
entgegenzukommen. Wo ist der Zusammenhang mit dem
Verbraucher, und wie soll in Zukunft mehr Elektromobilität vorangebracht werden?
Liebe Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, ich habe
gesagt, dass die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen
im Zeitplan ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Markt
zu manipulieren oder in den Markt einzugreifen. Meine
Aussage zum Zeitplan ist also zu trennen von der Frage,
wie viele Elektroautos momentan auf den Straßen sind.
Ich bitte, das gedanklich zu trennen.
Neben den Forschungsvorhaben, dem „Schaufenster
Elektromobilität“, den Fördermaßnahmen setzen wir
- ich habe das schon gesagt - auch Anreize. Wir haben
bereits gehandelt: Seit dem 1. Januar 2013 entfällt die
Kraftfahrzeugsteuer für Elektrofahrzeuge für einen
langen Zeitraum. Wenn die von Ihnen geführten Länderregierungen dazu beitrügen, dass das Jahressteuergesetz
2013 doch noch käme, wären wir im Hinblick auf die
Dienstwagen auch ein Stück weiter; dann würde ein weiterer Anreiz gesetzt.
Wir sind aber skeptisch, ob es sinnvoll wäre, nachdem
wir eine Abwrackprämie in Milliardenhöhe gezahlt haben, jetzt auch noch eine Anschaffungsprämie zu zahlen.
Das wäre sozial bedenklich. Einige Menschen in
Deutschland sind nämlich überhaupt nicht in der Lage,
sich ein Auto anzuschaffen. Sie müssten dann aber dazu
beitragen, dass sich andere Leute ein schickes Elektroauto kaufen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine solche
Anschaffungsprämie unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, aber natürlich auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten zurzeit nicht angedacht wird.
Die Kollegin hat eine zweite Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Stichwort „soziale
Gerechtigkeit“ angesprochen. Ich habe überhaupt nicht
an Anreize in Form einer Kaufprämie gedacht.
Doch, doch! Das habe ich Ihren Ausführungen so entnommen.
Es gibt ja auch andere Anreize. Zum Beispiel weiß
man, dass das Elektroauto in Mobilitätskonzepte eingebettet sein muss.
Ja!
Was hat die Bundesregierung da in ihrem Instrumentenkasten, und was davon hat sie auf den Weg gebracht
bzw. gedenkt sie noch auf den Weg zu bringen? Sie
sagen einerseits: Unser Ziel sind 1 Million Elektroautos
bis 2020. - Abgesehen von etwas Forschungsförderung
geben Sie aber keine weiteren Anreize. Daher möchte
ich doch noch einmal in Richtung Mobilitätskonzepte
inklusive E-Mobilität fragen.
Liebe Frau Kollegin, was die Zahlen angeht, bitte ich,
dass Sie sich vor Augen halten, dass wir uns in der
Marktvorbereitungsphase befinden. Natürlich haben wir
die 1 Million Elektroautos noch nicht erreicht; diese
Zahl ist ja bis 2020 terminiert.
Zum Zweiten möchte ich sagen: Natürlich denken wir
auch über Anreize nichtmonetärer Art nach. Zum Beispiel gibt es in vielen Parkhäusern schon Extraparkplätze
und Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Zum Beispiel
fördern viele Kommunen Carsharing-Projekte, und viele
Kommunen haben ihre Fahrzeugflotte teilweise auf
Elektrofahrzeuge umgestellt.
Wir werden auch, liebe Frau Kollegin SchwarzelührSutter, darüber sprechen können, ob wir eines Tages
- auch das sind Modelle, über die man diskutiert - durch
Änderungen der Straßenverkehrsordnung möglicherweise gewisse Anreize für Elektrofahrzeuge schaffen.
Dies alles sind legitime Überlegungen, über die wir,
wenn wir in die Marktsituation hineinkommen - wir sind
jetzt noch in der Marktvorbereitungsphase -, miteinander diskutieren können. Da sind wir nicht vernagelt. Wir
diskutieren in der Tat ganz praktische Modelle - beim
Parken, mit Linien, durch Änderungen in der Straßenverkehrsordnung -, um dort Anreize zu setzen. Das ist
legitim, aber in der jetzigen Phase noch nicht angesagt.
Damit sind wir bei Frage 8 des Kollegen Tiefensee:
Wie stimmt die Aussage im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und FDP, die KfW Bankengruppe mit ihren Kernaufgaben als Mittelstandsbank zu stärken, mit der angestrebten Gewinnausschüttung überein, wie sie auch im Jahreswirtschaftsbericht thematisiert wird?
Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Kollege Tiefensee, wie Sie wissen - und
was Sie hoffentlich auch unterstützen werden -, ist die
Förderung des Mittelstandes eine gesetzlich definierte
Kernaufgabe der KfW. Eine sachgemäße Gewinnausschüttung bei Aufrechterhaltung einer ausreichenden
Kapitalausstattung schränkt die Fördermöglichkeit der
KfW nicht ein, denn der Gewinn ist das, was nach
Abzug der für die Förderung notwendigen Mittel übrigbleibt. Daher weist auch der Jahreswirtschaftsbericht
explizit darauf hin, dass die Unterstützung der Mittelstandsfinanzierung durch eine Gewinnausschüttung keinerlei Einschränkungen erfahren darf.
Die KfW ist nach ersten vorläufigen Ergebnissen im
Jahre 2012 die bestverdienende Bank Deutschlands. Sie
wird voraussichtlich über 2 Milliarden Euro Nettogewinn erzielen. Sie verfügt bereits derzeit über eine sehr
komfortable Ausstattung mit Eigenkapital. Vor diesem
Hintergrund erscheint das grundsätzliche Anliegen der
Anteilseigner der Bank, an den Gewinnen auch einmal
zu partizipieren, durchaus nachvollziehbar.
Die KfW hat als drittgrößte Bank Deutschlands inzwischen eine Größe und ein Geschäftsvolumen erreicht, die ein weiteres steiles Wachstum nicht als prioritär, sondern ordnungspolitisch möglicherweise sogar als
diskussionswürdig erscheinen lassen. Vor diesem Hintergrund ist auch eine dieses Wachstum begleitende
Ausweitung des Eigenkapitals durch weitere Gewinnthesaurierung nicht mehr zwingend geboten.
Herr Tiefensee, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Lieber Herr Staatssekretär, wenn ich richtig informiert bin, wird am 20. März 2013 die finanzielle Vorausschau 2014 im Kabinett beschlossen. In dieser Vorausschau taucht der Betrag der Gewinnausschüttung mit
4 Milliarden Euro auf.
Wir wissen, dass zur Ausschüttung durch die KfW
eine Änderung des KfW-Gesetzes nötig ist, da im jetzigen KfW-Gesetz ein Ausschüttungsverbot verankert ist.
Nun lese ich ausweislich der Presse vom 15. Februar
2013 beispielsweise in der FAZ, dass sich die Bundesregierung doch von diesem Vorschlag wegbewegt.
Meine Frage ist: Hält die Bundesregierung an der
Ausschüttung durch die KfW in Höhe des genannten Volumens fest, oder, wenn sie das nicht tut, geht sie damit
auf eine der zentralen Forderungen der Opposition in der
Haushaltsdebatte 2013, die im November erfolgt ist
- ähnlich sehen das die Banker der KfW -, ein: die KfW
nicht mit einer Ausschüttung zu belasten?
Lieber Herr Kollege Tiefensee, diese Presseberichte
habe ich ebenfalls gelesen, und ich muss Ihnen sagen,
ich halte es für eine sehr intelligente Alternativlösung,
wenn die KfW durch einen verstärkten Einsatz dazu beiträgt, dass sich der Bund aus der einen oder anderen Fördermaßnahme, bei der zusätzlich direkte Fördermittel zu
vergeben wären, zurückziehen kann und damit indirekt
die KfW in diese Rolle kommt.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies - jedenfalls für das Haushaltsjahr 2013/2014 - eine sehr nachdenkenswerte Alternative ist, die dann hoffentlich auch
auf Ihre Unterstützung stößt. Uns allen ist bekannt - und
ich bestätige das -, dass eine Teilausschüttung der Gewinne der KfW selbstverständlich einer Änderung des
KfW-Gesetzes bedürfte. Ich persönlich gehe nicht mehr
davon aus, dass dies noch in dieser Legislaturperiode
passieren wird.
Herr Tiefensee, Sie haben noch eine Nachfrage.
Vielen Dank. - Lieber Herr Staatssekretär, ich stelle
fest, dass die angestrebte Teilausschüttung damit mindestens für 2013/2014 obsolet ist und gegebenenfalls
durch zwei Instrumente ersetzt wird, wenn ich das richtig gelesen habe. Das erste Instrument haben Sie angesprochen: Der Bund verzichtet auf die Überweisung
bestimmter Beträge an die KfW. Als zweites Instrument
ist daran gedacht, innerhalb der KfW eine Art Fonds zu
bilden und den Ministerien einen Zugriff auf diesen
Fonds zu erlauben.
Meine Fragen richten sich auf diesen Fonds:
Erstens. Wie weit sind diese Überlegungen gediehen,
wenn sie bestehen?
Zweitens. Wenn wiederum ein Betrag in Rede steht:
Inwieweit werden Sie das Parlament einbeziehen, wenn
es darum geht, diesen Fonds und den Zugriff durch die
Bundesregierung auszugestalten?
Lieber Herr Kollege Tiefensee, es gibt in diesen Wochen Gespräche zwischen der Bundesregierung und der
Führung der KfW über die Vorschläge, die unterbreitet
worden sind. Ich kann deshalb Ihre Annahme, von der
Sie eben gesprochen haben, dass nämlich eine Gewinnthesaurierung zwangsläufig für alle Zeiten obsolet geworden ist, nicht bestätigen, sondern wir reden mit der
KfW. Ich habe Ihnen gesagt: Realistischerweise wird es
- Sie wissen, welche Folgen das hat - in dieser Legislaturperiode zu keiner Änderung des KfW-Gesetzes mehr
kommen. Ich glaube, diese Annahme ist sehr realistisch.
Ob dann in den Folgejahren an eine teilweise Gewinnausschüttung zu denken ist oder ob man hier die
Vorschläge der KfW berücksichtigt, ist im Moment noch
Gegenstand von Gesprächen. Es wäre wirklich nicht verantwortbar, wenn man jetzt über den Fonds, den Sie genannt haben, und darüber spekulieren würde, wie der
Zugriff der Parlamentarier dann im Einzelnen zu erfolgen hat.
Eines ist klar: Wenn es sich um Bundesmittel handelt,
die im Bundeshaushalt irgendeine Verwendung finden,
dann werden die Abgeordneten dieses Hohen Hauses
hier mitzureden haben. Es gibt in der Bundesregierung
keine schwarzen Kassen. Es gibt das Haushaltsrecht, das
hier zu erfüllen ist. Das ist aber keine Aussage im Detail,
weil die Gespräche noch laufen.
Ob es überhaupt einen solchen Fonds geben wird, ist
im Moment noch gar nicht klar. Ich glaube aber, die
Sorge, dass dem Bundeshaushalt hier irgendwie unter
dem Tisch irgendwelche Mittel zufließen, kann ich Ihnen komplett nehmen, egal wer die nächste Bundesregierung bilden wird. Das wird keine Bundesregierung in
Deutschland tun; denn hier gilt das Haushaltsrecht.
Damit sind wir bei Frage 9 ebenfalls des Kollegen
Tiefensee:
Wie passt die aktuelle Kürzung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mit der Aussage im Koalitionsvertrag zusammen,
die Förderung auf dem Niveau von 2008 zu belassen?
Herr Kollege Tiefensee, Sie haben den Koalitionsvertrag nicht präzise wiedergegeben, mutmaßlich noch
nicht einmal gelesen. Deswegen will ich Ihnen vorlesen,
was wir dort geschrieben haben - ich zitiere -:
Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur … wird auf hohem Niveau und mit bundesweit einheitlichen Maßstäben
fortgeführt.
Genau das tun wir. Es ist nirgendwo gesagt worden,
dass das tabu ist und dort kein Cent gespart werden darf,
sondern wir haben in unserem Haushalt 2013 mit der
mittelfristigen Finanzplanung klare Prioritäten gesetzt:
Wir konsolidieren strukturell - dazu zwingt uns ja auch
die Schuldenbremse - und stärken das Wachstum, indem
wir uns auf Zukunftsinvestitionen konzentrieren.
In diesem Zusammenhang muss dann eben auch die
GRW - das ist die Abkürzung für diese Gemeinschaftsaufgabe - einen gewissen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Daher wurden die Mittel im Zeitraum
bis 2013 gegenüber 2008 minimal reduziert. Mit einem
Mittelansatz von jetzt immerhin noch 582,794 Millionen
Euro kann aber die GRW auch 2013 eine Förderung auf
hohem Niveau - das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart - gewährleisten.
Die GRW wird mit dieser Mittelausstattung auch zukünftig das zentrale Instrument der Regionalpolitik bleiben. Wir denken, dass wir mit den gut 582 Millionen
Euro, die durch Ländermittel und kommunale Mittel in
vielen Fällen noch aufgestockt werden, ein sehr wirkungsvolles Instrument zur Förderung der Regionen haben.
Herr Tiefensee, eine Nachfrage.
Ich bekenne, dass ich den Koalitionsvertrag nicht auswendig kenne.
Das ist schlecht, Herr Tiefensee. Das sollten Sie.
Ich befürchte nur, lieber Herr Staatssekretär, dass
nicht einmal die Regierung ihn kennt, geschweige denn
umsetzt. Aus diesem Grunde richtet sich die Kritik eher
an Sie selbst.
Jetzt zum Sachverhalt. Ich habe nach der Höhe der
Mittel aus dem Jahre 2008 in Relation zu der Höhe in
2012/2013 gefragt. Sie wissen aber, dass erstens dieser
Titel natürlich in den Jahren dazwischen wesentlich höher war und über 600 Millionen Euro betrug und dass
zweitens die GRW durch die sogenannte Investitionszulage ergänzt wurde, wodurch mindestens ein Betrag von
etwa 600 bis 700 Millionen Euro hinzukam. Manche
sprechen von 1 Milliarde Euro, die hier ausgegeben worden ist, um strukturschwache Gebiete zu unterstützen.
Jetzt meine Frage. Stimmen Sie mit mir überein, dass
der Befund richtig ist, dass es in Deutschland nach wie
vor Diskrepanzen in der wirtschaftlichen Entwicklung
der Regionen gibt, und dass es darum geht, einen Ausgleich zu schaffen, und zwar unter Berücksichtigung der
Einsparungen im Haushalt und dem Einhalten der Schuldenbremse? Wir brauchen sicherlich Incentives.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die GRW ein
zentrales Instrument ist und es angesichts der Kürzung
europäischer Mittel, wie wir jetzt wissen, und angesichts
des Auslaufens der Investitionszulage eigentlich dringend geboten wäre, diese Gelder auf hohem Niveau, und
zwar auf dem Niveau des Vorjahres oder sogar auf höherem Niveau, fortzuführen, um eine selbsttragende Wirtschaft zu generieren?
Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich klar mit Ja beantworten. Die Bundesregierung ist nach wie vor der Meinung, dass die GRW ein wirksames Instrument ist, um
regionale Unterschiede auszugleichen. In diesem Zusammenhang will ich aber klarstellen: Es gibt regionale
Unterschiede nicht nur zwischen West und Ost, sondern
auch zwischen Nord und Süd und in unterschiedlichen
Regionen. Inzwischen gibt es Gott sei Dank auch in den
neuen Bundesländern eine zum Teil hervorragende und
beispielhafte Infrastruktur, während unter Umständen einige westliche Länder Strukturschwächen aufweisen. Ich
glaube, das ist zwischen uns unstreitig.
Natürlich ist es so, lieber Herr Kollege Tiefensee,
dass wir, wenn wir ein Füllhorn voller Gelder hätten,
gerne zusätzliche Mittel in die GRW einstellen würden.
Wir sind in der Tat der Auffassung, dass die GRW-Mittel
viel Gutes bewirkt haben. Aber wir wissen alle, dass wir
in einer Zeit leben, in der wir den Haushalt dringend
strukturell konsolidieren müssen. Dazu gehört eben
auch: Sie können den Haushalt nicht strukturell konsolidieren, ohne die großen Flaggschiffe - es handelt sich
schließlich um 582 Millionen Euro für 2013 und
569 Millionen Euro für 2014; das sind Riesenbeträge anzugreifen. Ohne gewisse Beiträge werden Sie den
Haushalt nicht strukturell konsolidieren können.
Ich glaube aber trotzdem, Herr Kollege Tiefensee,
dass wir mit diesen weit über 500 Millionen Euro, die
wir hier zur Verfügung stellen, mit der Zusatzfinanzierung durch die Länder und durch die Kommunen, weiterhin sehr substanzielle und sehr wirkungsvolle Beiträge leisten können, um die regionalen Unterschiede
auszugleichen. Wir werden uns - das wissen Sie, darüber haben wir vor kurzem im Wirtschaftsausschuss
diskutiert - auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass
die Flexibilität der europäischen Fördermittel größer
sein wird, als in einem ersten Vorschlag der Europäischen Kommission vorgegeben.
Wir sind uns im Ziel einig: Es gibt regionale Strukturschwächen, zu deren Überwindung Anreize mit staatlichen Mitteln gegeben werden müssen. Darin gibt es zwischen uns überhaupt keinen Dissens. Aber ich denke,
dass wir uns mit der Höhe dieser Mittel 23 Jahre nach
der deutschen Wiedervereinigung durchaus sehen lassen
und Gutes bewirken können: auch in dem Zeitraum bis
2016.
Sie haben noch eine Nachfrage, Herr Tiefensee. Bitte.
Vielen Dank. - Uns ist bewusst, dass die Mittel der
GRW nicht nur im Osten eingesetzt werden; es geht dabei um strukturschwache Gebiete. Eine kurze Frage:
Sind Sie im Rückblick auf die Entscheidungen der
schwarz-gelben Koalition aus dem Jahr 2010 nicht mit
mir einer Meinung, dass die Aufstockung der GRW-Mittel und damit die Förderung strukturschwacher Gebiete
eine höhere Priorität hätte besitzen müssen als die Unterstützung von Hotels und dass die 1,2 Milliarden Euro dafür besser angelegt gewesen wären?
Ehrlich gesagt, Herr Kollege Tiefensee, finde ich, das
ist eine billige Frage.
({0})
Ich finde, sie ist Ihrem intellektuellen Niveau nicht angemessen.
Die Förderung der Hotels, die im Jahr 2009 beschlossen worden ist und die ich jetzt hier gar nicht mehr zu
verteidigen habe, war ja keine Alternative zu den GRWMitteln. Sie war vielmehr die Reaktion darauf, dass in
den allermeisten europäischen Ländern die Mehrwertsteuer für Hotelbetriebe und zum Teil sogar für Gaststättenbetriebe auf niedrigerem Niveau lag als in Deutschland. Wir haben nur faire Wettbewerbsbedingungen für
die deutsche Hotellerie herbeigeführt. Es war aber nicht
so wie bei kommunizierenden Röhren; wir haben nicht
gesagt: Wir geben etwas an die Hoteliers, und deswegen
streichen wir bei den GRW-Mitteln.
({1})
Lieber Herr Kollege Tiefensee - ich weiß gar nicht,
ob ich Sie nach dieser Frage noch als „lieb“ anreden
sollte -,
({2})
ich kann Ihnen sagen: Ausgerechnet in dem Jahr, in dem
wir die Steuerermäßigung für die Hoteliers eingeführt
haben - das war im Haushaltsjahr 2010 -, hatten wir mit
der Investitionszulage die höchsten Beiträge zur GRW
zu verzeichnen, sodass sich die Logik Ihrer Frage mir
nicht erschließt. Wenn Sie uns einreden wollen, dass das
Geld für die GRW an die Hotels geflossen ist, dann kann
ich Ihnen die Zahl für 2010 nennen: 624 Millionen Euro
GRW-Mittel plus 597 Millionen Euro Investitionszulage. Das ist der historisch höchste Stand, justament in
dem Jahr, in dem wir die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe dem europäischen Niveau angepasst haben.
({3})
Ganz ehrlich: Ich schätze Sie viel zu sehr, als dass ich
diese Frage für sinnvoll halte.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Ingo Egloff, die
Frage 12 des Kollegen Rolf Hempelmann, die Frage 13
des Kollegen Klaus Barthel, die Frage 14 der Kollegin
Viola von Cramon-Taubadel und die Frage 15 der Kollegin Katja Keul werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Die Frage 16 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und
die Fragen 17 und 18 des Kollegen Rolf Mützenich werden schriftlich beantwortet. Der Kollege Gloser, der die
Frage 19 gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die
Frage 20 des Kollegen Niema Movassat wird schriftlich
beantwortet. Der Kollege Schwanholz, der die Frage 21
gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 22 und 23
der Abgeordneten Lisa Paus werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Bergner bereit. Der Abgeordnete Siegmund Ehrmann, der die Fragen 24 und 25
gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zur Frage 26 des Kollegen Martin
Dörmann:
Welche Maßnahmen oder Initiativen wird der Beauftragte
der Bundesregierung für Kultur und Medien - vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Bundesregierung offensichtlich zu der Rechtsauffassung gelangt ist, dass Bundesbehör27438
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
den weder auf der Grundlage der Landespressegesetze noch
aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes zur Erteilung von
Auskünften verpflichtet werden können; entsprechend der
Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht - ergreifen, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ({0}) Rechnung zu tragen, denen zufolge das Institut der freien Presse
den Staat verpflichtet, in seiner Rechtsordnung dem Postulat
der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und Auskunftspflichten
der öffentlichen Behörden als prinzipielle Folgerungen aus
Art. 5 Abs. 1 GG zu schaffen, und inwieweit war der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien an der Abstimmung dieser offensichtlich neuen Rechtsauffassung beteiligt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich würde gerne die Fragen 26 und
27 des Kollegen Dörmann gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 27 auf:
Wann sind der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien und die Bundesregierung zu der Rechtsauffassung gelangt, dass Journalisten rechtliche Ansprüche auf Auskunft nur nach dem Informationsfreiheitsgesetz vom 1. Januar
2006 zustehen ({0}), und
wann will die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ({1}) zu erfüllen, wonach Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden als prinzipielle Folgerungen aus Art. 5
Abs. 1 GG gesetzlich zu schaffen sind?
Herr Kollege Dörmann, ich antworte wie folgt: Die
Frage, ob Bundesbehörden auf Grundlage der Landespressegesetze zur Erteilung von Auskünften verpflichtet
werden können, wird in Rechtsprechung und Literatur
unterschiedlich bewertet. Das Bundesverwaltungsgericht wird in einem Verfahren zur presserechtlichen Auskunftspflicht, das heute mündlich verhandelt wird, eine
Entscheidung treffen. Um ehrlich zu sein: Ich erwartete
die Entscheidung vor meiner Beantwortung der Frage.
Das Urteil muss jetzt in Leipzig fast zeitgleich ergehen.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in
dieser Frage bleibt also auch jetzt noch abzuwarten.
Unabhängig von einer Verpflichtung nach Landespresserecht ist nicht zu erwarten, dass sich die Praxis
von Bundesbehörden zu Presseanfragen ändert. Denn
auch bisher werden Presseanfragen von Bundesbehörden
beantwortet, wenn das Pressegesetz eines Landes - wie
es zum Beispiel in Bremen der Fall ist - nur Landesbehörden verpflichtet.
Die Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht, der gemäß § 35
Verwaltungsgerichtsordnung eine eigenständige Behörde ist - eigenständig beim Bundesinnenminister -,
die aus gesamtstaatlicher Perspektive das Bundesinteresse im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
vermittelt, zielt dementsprechend nicht darauf ab, die
Pressefreiheit einzuschränken, wie teilweise in den Medien berichtet wurde. Die Stellungnahme behandelt im
Wesentlichen nur die Rechtsfrage zur Abgrenzung der
Kompetenzen zwischen Land und Bund.
Auf der Grundlage von Art. 5 des Grundgesetzes sind
in gewissem Umfang auch Auskunftspflichten der Behörden gegenüber der Presse anerkannt - dazu gibt es
eine einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -, die allerdings nur im Sinne einer allgemeinen Unterrichtungspflicht zu verstehen sind, über deren Umfang und Modalitäten die staatlichen Stellen
eigenverantwortlich bestimmen können - auch hier
weise ich auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hin -, und nicht als durchsetzbarer
Auskunftsanspruch im konkreten Einzelfall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überlässt das Grundgesetz es dem Gesetzgeber
von Bund und Ländern, in Abwägung des betroffenen
privaten und öffentlichen Interesses zu regeln, ob und
unter welchen Voraussetzungen derartige Ansprüche
entstehen. Auch hier gilt der Hinweis auf das entsprechende Bundesverwaltungsgerichtsurteil.
Weder die Pressefreiheit noch die Informationsfreiheit geben einen Anspruch auf Eröffnung einer Informationsquelle. Hier verweise ich auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Rundfunkfreiheit.
Herr Dörmann, haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Bergner, wenn ich das richtig verstehe,
haben Sie sich gerade nicht von der Rechtsauffassung
des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht distanziert. Jetzt hoffen jedenfalls meine
Fraktion und ich, dass das Bundesverwaltungsgericht
eine pressefreundliche Interpretation der Rechtslage vornimmt, die von dem abweicht, was der Vertreter des
Bundes dort vorgetragen hat.
Aber wenn ich das richtig verstehe, sagen Sie - etwas
vereinfacht ausgedrückt -: Na ja, an der Praxis wird sich
nicht viel ändern, man wird dann mehr oder weniger
freiwillig das befolgen, was in den Landespressegesetzen steht. Aber der Rechtsstreit geht ja gerade darum,
dass sich hier eben in einem Fall nicht daran gehalten,
sondern gesagt wird, dass mache alles zu viel Aufwand.
In der juristischen Begründung der Verweigerung der
Auskünfte an die Presse wird vom Vertreter des Bundesinteresses die juristische Argumentation, die Sie nur angedeutet haben, dargelegt.
Im Umkehrschluss: Mal unterstellt, das Bundesverwaltungsgericht würde diese Rechtsauffassung teilen,
die der Vertreter des Bundesinteresses vorgetragen hat,
sehen Sie dann nicht, um Rechtssicherheit zu schaffen,
die Notwendigkeit, entsprechende Bundesregelungen
herbeizuführen, die nicht nur sozusagen eine freiwillige
Erfüllung der in den Landespressegesetzen enthaltenen
Bestimmungen von den Bundesbehörden sicherstellt,
sondern eben auch eine Rechtssicherheit für die Journalistinnen und Journalisten, die aufgrund der Pressefreiheit besondere Informationsbedürfnisse haben? Sehen
Sie da nicht einen Handlungsbedarf, sollte das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsauffassung teilen?
Herr Kollege Dörmann, zunächst einmal: Ich habe darauf hingewiesen, dass wir ein offenes Gerichtsverfahren
haben und dass wir auch aus Respekt vor dem Bundesverwaltungsgericht gehalten sind, das Urteil abzuwarten,
ehe wir uns abschließend positionieren.
Ich habe zum Zweiten gesagt, dass nach bisheriger
Praxis, die von den unmittelbaren Auskunftsrechten
nach Art. 5 des Grundgesetzes gespeist wird, im pflichtgemäßen Ermessen durch die Bundesbehörden den Journalistenanfragen Auskunft gegeben wird.
Die Frage, ob es, wenn durch das Bundesverwaltungsgericht eine entsprechende ausschließliche Gültigkeit für Landesbehörden festgestellt wird, hierzu noch
einer Bundesgesetzgebung bedürfe - so habe ich Ihre
Frage verstanden -, ist eine Frage, die sich gewissermaßen erst im Lichte eines entsprechenden Urteils diskutieren lässt; denn nach der Kompetenzverteilung zwischen
Bund und Ländern liegt die Gesetzgebungskompetenz in
diesen Fragen bei den Ländern. Das heißt, wir kommen
rechtlich gesehen in eine Situation, die sehr sorgfältig
abgewogen werden muss.
Ich sage noch einmal: Aus unserer Sicht besteht überhaupt kein Anlass, von einer Einschränkung der Pressefreiheit zu sprechen. Der in Rede stehende Streitfall
- ich kenne ihn im Einzelnen nicht; ich weiß nicht, um
welches Auskunftsrecht es sich hier handelt - hat dazu
geführt, dass Rechtsklarheit bezüglich der Verbindlichkeit der Landespressegesetze für die Auskunftspflicht
von Bundesbehörden besteht. Aber völlig unabhängig
davon haben sich die Bundesbehörden und die Bundesregierung immer in der Pflicht gesehen, im pflichtgemäßen Ermessen Auskunft auf Presseanfragen zu geben.
Sie haben eine zweite Nachfrage, bitte schön.
Herr Kollege Bergner, Sie haben nicht wirklich zur
Klarheit beigetragen, um das offen zu sagen; denn es
gibt nur zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Die eine
ist: Die Landespressegesetze binden auch die Bundesbehörden. Ich hoffe, dass das Bundesverwaltungsgericht
entsprechend entscheidet.
Das wissen wir beide zur Stunde nicht.
Nein, das wissen wir nicht. Das ist schade. Wir lassen
uns fortlaufend elektronisch informieren und wissen daher, dass das Gericht gerade berät. Jeden Augenblick
kann eine Entscheidung verkündet werden.
Wenn es so sein sollte, dass Landespressegesetze
auch Bundesbehörden binden, dann ergibt sich daraus
der Anspruch der Presse bzw. von Journalisten, Informationen von Bundesbehörden abzurufen. Sollte das nicht
so sein, dann wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass
sich das aus Art. 5 des Grundgesetzes ergeben könnte,
aus dem Grundrecht der Freiheit der Presse. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass daraus auch
Auskunftspflichten des Staates und damit der staatlichen
Behörden resultieren. Der Bundesvertreter vertritt aber
die Rechtsauffassung, dass aus Art. 5 kein unmittelbares
Auskunftsrecht resultiert, sondern dass es dazu einer
spezialgesetzlichen Regelung bedarf.
Meine Frage ist eindeutig: Wenn die Landespressegesetze die Bundesbehörden nicht verpflichten, Auskunft
zu geben - und zwar nicht nur im Rahmen eines Ermessensspielraums, den die Bundesbehörden selber definieren -, dann muss darüber nachgedacht werden, ob nicht
der Bundesgesetzgeber gefordert ist, sodass die staatlichen Behörden nicht allein aufgrund von Ermessensentscheidungen Auskünfte erteilen, sondern anhand ganz
klarer Grundsätze. Wie Sie wissen, sehen die Landespressegesetze nicht unbeschränkte Auskunftspflichten
vor. Vielmehr wird dort eine Abwägung nach bestimmten Kriterien vorgenommen. Zum Beispiel kann Geheimhaltung ein Grund sein, warum eine Information
nicht gegeben wird. Eine entsprechende Regelung wäre
sinnvoll, um in jedem Fall Rechtssicherheit zu schaffen.
Da wir beide auf das Urteil warten, ist es bedauerlich,
dass Sie - wenn ich Sie richtig verstanden habe - den
dahinterliegenden Sachverhalt nicht so genau kennen.
Ich kenne den Sachverhalt, der zu dieser rechtlichen
Konfliktlage geführt hat, im Einzelnen nicht. Ich habe
nur zu vertreten, weshalb wir in Respekt vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten
wollen.
Herr Kollege, ich klassifiziere aus Sicht der Bundesregierung Ihre Frage, ob es für die Anwendung des
Art. 5 des Grundgesetzes in Bezug auf Presseauskünfte
einer spezialgesetzlichen Regelung auf Bundesebene bedürfe, als durchaus interessant. Nur, haben Sie Verständnis dafür, dass ich es für seriöser halte, wenn wir das Urteil und die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts
abwarten und analysieren, bevor wir der Frage nachgehen, ob Gesetzgebungsbedarf besteht. Dies gilt umso
mehr, als wir der Auffassung sind, dass die Bundesregierung und die Bundesbehörden den Auskunftsersuchen
der Presse auf der Rechtsgrundlage des Art. 5 und der
entsprechenden verfassungsgerichtlichen Auslegung
nachgekommen sind. Ich weise jedenfalls das Ansinnen
zurück, der Bundesregierung im Rahmen dieses durch27440
aus interessanten Kompetenzrechtsstreits vorzuwerfen,
sie respektiere die Pressefreiheit nicht hinreichend.
Ich weise jetzt darauf hin, dass wir in etwa fünf Minuten mit der Aktuellen Stunde beginnen. - Möchten Sie
von Ihrem Recht Gebrauch machen, Herr Dörmann,
auch zu Ihrer zweiten Frage noch Nachfragen zu stellen?
Das soll Ihnen dann gern gewährt sein.
({0})
- Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Bergner, ich versuche es jetzt einmal andersherum: Teilen Sie meine Auffassung, dass das von Ihnen aus Art. 5
des Grundgesetzes hergeleitete besondere Recht der
freien Presse auf Auskünfte auch von Behörden nicht allein erfüllt werden kann und sollte, indem man auf die
Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes verweist?
Der Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz ist genau die Rechtsauffassung, die der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vorgetragen
hat. Da gelten aber Einschränkungen, sowohl was den
Anwendungsbereich angeht als auch was Fristen angeht
- das können bis zu drei Monate sein -; im Einzelnen ist
das relativ kompliziert. Sie wissen ganz genau, dass die
Presse auf möglichst schnelle Information angewiesen
ist. Teilen Sie also meine Auffassung, dass nicht allein
mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz die aus
Art. 5 des Grundgesetzes hergeleiteten Rechte der Presse
sichergestellt werden können?
Herr Kollege Dörmann, ich bin vermutlich wie Sie
der Auffassung, dass das Informationsfreiheitsgesetz
- ich sage es jetzt einmal so - ein Jedermannsrecht
schafft, das im konkreten Fall natürlich auch von Journalisten genutzt werden kann. Mir ist bekannt, dass es von
Journalisten genutzt wird, dass es von ihnen allerdings
nicht in ihrer beruflichen Rolle wahrgenommen wird,
sondern so wie von jedem anderen Bürger auch, der Erkenntnisse über die Arbeit einer Verwaltung oder einer
Behörde erlangen will.
Insofern - das will ich Ihnen auch zugestehen - sind
die Regeln des Informationsfreiheitsgesetzes gewissermaßen an die Voraussetzungen eines Jedermannsrechts
angepasst. Demgegenüber dienen Auskünfte, die man
explizit der Presse gegenüber erteilt, im Grunde der Realisierung der Pressefreiheit. Ich glaube, dass diese Unterscheidung bei den bisherigen Presseauskünften durch
die Bundesregierung, durch die Behörden des Bundes jeweils beachtet wurde.
Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen?
Ja. Ich glaube, dann sind die zwei Minuten, die wir in
der Fragestunde jetzt noch haben, sinnvoll genutzt.
Noch einmal andersherum: Herr Kollege Bergner,
teilt die Bundesregierung die von dem Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vorgetragene Rechtsauffassung bzw. ist diese Rechtsauffassung
mit den einzelnen beteiligten Ministerien abgestimmt?
Gibt es da eine einheitliche Meinung der Bundesregierung? Ist es eine Meinung, die insbesondere das Bundesinnenministerium teilt? Ist der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien einbezogen worden?
Also: Ist die Rechtsauffassung, die der Vertreter des
Bundesinteresses dort zum Ausdruck gebracht hat, die
einheitliche Rechtsauffassung der Bundesregierung?
Herr Kollege, Sie wissen, dass in § 35 der Verwaltungsgerichtsordnung der Vertreter des Bundesinteresses
- so ist es dargestellt - eine eigenständige Größe ist, die
nicht an Weisungen irgendeines Ressorts gebunden ist.
Dieser Vertreter bezieht dort in Würdigung des Sachverhalts die entsprechenden Rechtspositionen.
Insofern können Sie davon ausgehen, dass der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht seine Position nicht gewissermaßen auf Weisung
oder in spezifischer Interessenwahrnehmung irgendeines
der Ressorts zum Ausdruck gebracht hat, sondern dass
es ihm um die Rechtssituation, um die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Presserecht, ging
und dass dies der Kern der Einlassung des Vertreters des
Bundesinteresses war.
Damit beende ich die Fragestunde.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zum Missbrauch von Leiharbeit im Lichte der Berichte
über Vorfälle bei Amazon
Als erste Rednerin rufe ich die Kollegin Anette
Kramme für die SPD-Fraktion auf.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe mir vorhin noch einmal diesen Beitrag der ARD angeschaut; Ausgeliefert heißt er. Es ist
tatsächlich ein Ausgeliefertsein von Leiharbeitnehmern,
die für die Firma Amazon tätig waren.
Da sind unglaubliche Vorgänge passiert. Bei der Anwerbung sind die Menschen davon ausgegangen, dass
sie einen anderen Vertragspartner haben, als es dann tatsächlich der Fall war: Statt Amazon war es eine Leiharbeitsfirma. Die Löhne haben sich als niedriger als erwarAnette Kramme
tet herausgestellt: Statt 9,68 Euro immerhin 12 Prozent
weniger, 8,52 Euro. Tagelang wurde bei einzelnen Leiharbeitnehmern der Arbeitsantritt hinausgezögert, um entsprechend dem Arbeitsanfall bei Amazon agieren zu
können. Überhaupt war ganz viel Warten bei den Leiharbeitnehmern angesagt: Warten auf den Bus, der sie zur
Firma gebracht hat bzw. wieder zurück zur Unterkunft;
Warten, wenn keine Arbeit da war. Die Unterkünfte waren überfüllt, teilweise wohl auch in einem verheerenden
Zustand.
Es gibt einen Aspekt, der dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat: eine Sicherheitsfirma, deren Mitarbeiter
paramilitärisch aufgetreten sind und die möglicherweise
der rechten Szene zuzuordnen ist. Ich denke, es hat sehr
einschüchternd auf diese Menschen gewirkt, wenn einerseits Taschen kontrolliert worden sind, aber andererseits
wohl auch die Unterkunftsräume. Wir haben den Verdacht, dass Sozialversicherungsabgaben auf die Kosten
der Unterkunft, auf die Kosten für Logis nicht abgeführt
worden sind, die wohl durch die Leiharbeitsfirma übernommen worden sind.
Meines Erachtens kann man das Ganze mit folgendem Begriff zusammenfassen: Da hat Menschenschinderei stattgefunden. Es ist eine barbarische Ausbeutung,
die wir bei der Firma Amazon zu beobachten haben.
Aber der Skandal bei Amazon bezieht sich nicht nur
auf die Leiharbeitnehmer. Beispielsweise war es am
Standort Koblenz in der Weihnachtszeit so, dass von
3 300 Beschäftigten tatsächlich nur 200 über eine Festanstellung verfügten. Am Standort Augsburg ist es so,
dass auch nur knapp 20 Prozent der bei Amazon tätigen
Menschen unbefristete Arbeitsverträge haben.
So stellt sich natürlich folgende Frage: Was macht
Politik? Die Politik droht mit dem Entzug der Verleiherlaubnis für eine einzelne Leiharbeitsfirma. Ich sage:
Damit ist Politik oder, um es konkret an Namen festzumachen, die Bundesministerin von der Leyen nicht besser als ihre Kollegin Aigner. Man kündigt lautstark wirkungslose Maßnahmen an, ohne tatsächlich zum
Handeln bereit zu sein.
({0})
Bundesministerin von der Leyen hechelt von Schlecker
zu Amazon. Es gibt keinerlei Bereitschaft, anzuerkennen, dass hinter all den Praktiken dieser Firmen Methoden
und Prinzipien stehen, die den gesamten Arbeitsmarkt in
Deutschland insbesondere im Niedriglohnsektor immer
wieder beeinträchtigen.
Hier stellt sich die Frage an die Regierungskoalition,
was mit dem Vorhaben Mindestlohn ist. Wenn ich mir
die Vorschläge von der Leyens anschaue, stelle ich fest,
dass sie auch nicht sonderlich schön sind. Zu sagen, dass
ein Mindestlohn immer dann keine Anwendung findet,
wenn ein Tarifvertrag existiert oder auf einen solchen
Bezug genommen wird, ist nichts anderes als Heuchelei.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Hunderte von
Tarifverträgen, die Löhne von unter 6,50 Euro pro
Stunde vorsehen.
Was ist mit Ihren Vorhaben zur Leiharbeit? Es gab
großartige Ankündigungen der Ministerin. Und was
macht man?
({1})
Man schließt eine winzige Regelungslücke. Man nimmt
dem sogenannten Drehtüreffekt die Wirkung; aber man
ist nicht einmal bereit, die europäische Leiharbeitsrichtlinie europarechtskonform umzusetzen, geschweige
denn, konsequent Equal Pay und Equal Treatment einzuführen.
({2})
Was machen Sie gegen Befristungen in dieser Republik, Herr Fuchtel? Wir wissen, dass je nach Konjunkturlage 40 bis 50 Prozent aller Neueinstellungen befristet
sind. Auch hiergegen kein Vorgehen, auch wenn es so
einfach wäre, zumindest die sachgrundlose Befristung
zu streichen. Was ist mit der Ausstattung von Kontrollbehörden? Man kann es mit einem Satz zusammenfassen: Diese Bundesregierung ist nicht bereit, Recht und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu realisieren.
Herzlichen Dank.
({3})
Jetzt hat der erfreulicherweise eingetroffene Kollege
Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir alle waren, denke ich,
überrascht und geschockt, als wir diese Berichterstattung
über die Situation von Beschäftigten, die für die Firma
Amazon arbeiten, im Fernsehen gesehen haben. Ich bin
der Bundesarbeitsministerin außerordentlich dankbar,
dass sie sofort die Bundesagentur für Arbeit und den
deutschen Zoll in Bewegung gesetzt hat, um sich genau
anzusehen, was sich dort abspielt.
({0})
Ich will der Mär entgegentreten, Frau von der Leyen
habe nichts getan. Das Gegenteil ist richtig. Ohne diese
Informationen und ohne die Aufklärungsarbeit, die sofort begonnen hat, wären wir nicht so weit.
({1})
Ergebnisse liegen mit Ausnahme eines Ergebnisses
bis zur Stunde noch nicht vor: dass bei der Zeitarbeitsfirma, die für die Firma Amazon gearbeitet hat, offensichtlich - so hat die Bundesagentur für Arbeit gerade
mitgeteilt - Unregelmäßigkeiten festgestellt worden
sind.
({2})
Ich kann zur Stunde nicht bewerten, in welcher Form, in
welchem Umfang und in welchem Stil Unregelmäßigkeiten geschehen sind. Dies Ergebnis aber zeigt vor allen
Dingen eines, Frau Kramme, meine Damen und Herren:
Die Kontrolle funktioniert.
({3}) [SPD]: Wollen
Sie damit sagen, alles ist bestens? - Anette
Kramme [SPD]: Wie viele Kontrollen machen
Sie denn bundesweit? Wie stark haben Sie die
Aufgaben ausgeweitet? - Hans-Joachim
Fuchtel [CDU/CSU], an die SPD gewandt:
Anders als bei euch!)
Ich bin dankbar, dass die Instrumentarien greifen. Ich
will es Ihnen auch sehr deutlich sagen: Die Kontrolle
funktioniert auch deswegen
({4})
- daher rate ich, die Situation bei der Firma Amazon
nicht dafür auszunutzen, jetzt eine Generaldebatte zu
führen -, weil die Mittel der Bundesagentur für Arbeit
aufgestockt wurden und es in diesem Bereich mehr Mitarbeiter gibt. Von 2009 bis heute haben wir wesentlich
mehr Kontrollen durchgeführt als im Zeitraum von 2005
bis 2009.
({5})
Auch dies ist ein Verdienst der Bundesarbeitsministerin.
({6})
Allerdings will ich auch deutlich sagen, dass wir die
Prüfergebnisse des Zolls abzuwarten haben. Der Zoll besucht einen Betrieb, sammelt Daten und wertet diese anschließend in seinen Diensträumen aus. Sobald diese
Auswertungen vorliegen, werden wir ebenso entsprechend informiert werden.
({7})
Es gibt einen Mindestlohn in der Zeitarbeit. Seit 2010
hat diese Koalition im Deutschen Bundestag die Zeitarbeitsbranche reguliert. Dies fing damit an, dass der
Kollege Heinz Kolb und ich gemeinsam aufgrund des
Schlecker-Vorgangs die Drehtürklausel durchgesetzt haben.
Wir haben durchgesetzt, dass es einen Mindestlohn in
der Zeitarbeit gibt.
({8})
Wir haben durchgesetzt, dass sich die Arbeitgeberseite
in diesem Bereich neu strukturiert hat. Ich will akzeptieren, dass durch die berechtigte Klage gegen eine Gewerkschaft Klarheit entstanden ist, was ein Tarifpartner
und was kein Tarifpartner ist. Ich wünsche, dass alle Unternehmen, die noch zur Überprüfung anstehen, diese
Prüfung ordentlich bestehen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sagen, was mich bei diesem Thema umtreibt. Das sind
nicht die Fragen, die im Augenblick brandaktuell diskutiert werden. Mich treibt um, dass Kunden - so meinen
das ja einige - durch ihr Verhalten Firmen in Deutschland, wie die Firma Amazon, an ihre ethische Verantwortung erinnern sollten.
({9})
Wenn ein Unternehmen durch Kunden darauf aufmerksam gemacht werden muss, was unternehmerisch verantwortliches Handeln ist, dann stimmt etwas in diesem
Unternehmen nicht.
({10})
Unternehmen, die sich diesen ethischen Herausforderungen nicht stellen, werden sich am Markt auf Dauer nicht
durchsetzen. Es gibt viele Beispiele. Wer glaubt, er
könnte in Goldgräberstimmung oder nach Wildwestmanier ohne Rücksicht auf ein Menschenbild, ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen und ohne Rücksicht auf
Gesetze operieren, wird feststellen, dass er scheitert.
Zeitarbeit ist im wesentlichen Maße reguliert. Ich wehre
mich dagegen, dass durch diesen Vorgang bei Amazon
per se alle Zeitarbeitsfirmen vorgeführt werden. Am
Dienstag hat mir der Chef der IG Metall, Berthold
Huber, in einem Gespräch ausdrücklich bestätigt, dass
die IG Metall mit den beiden großen Zeitarbeitsverbänden bei den Verhandlungen über die Tarife ausgesprochen gute Erfahrungen gesammelt hat. Dort geht man
gut und fair miteinander um. Deswegen rate ich dazu,
die Situation bei Amazon nicht zum Anlass zu nehmen,
alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Ich rate in aller Klarheit dazu, darauf aufmerksam zu machen, was
unternehmerische Ethik, unternehmerische Verantwortung ist, und kriminelles Fehlverhalten mit dem Ziel von
Gewinnmaximierung anzuprangern bzw. abzustellen.
Dafür haben wir die Kontrollen. Ich bin froh, dass das
Kontrollsystem in Deutschland funktioniert.
Herzlichen Dank.
({11})
Jetzt hat Jutta Krellmann das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Für mich ist Amazon ein Beispiel dafür, dass es
nicht funktioniert. Ich habe eine völlig andere Position
dazu.
Im Dezember letzten Jahres haben sich zahlreiche
Spanierinnen und Spanier darüber gefreut, dass sie einen
Arbeitsplatz in Deutschland bekommen können. Sie haben ihn in Bad Hersfeld in Hessen gefunden. Zwei Tage
bevor es losgehen sollte - die Koffer sind schon gepackt -,
bekommen sie die Information: Ach nee, es ist doch
nicht die Firma Amazon. Es ist die Leiharbeitsfirma
Trenkwalder. Frau Kramme hat gesagt, dass der Lohn
der Leiharbeiter, der von der Leiharbeitsfirma gezahlt
wurde, entsprechend gering war. Er entsprach zwar den
Tarifen der Leiharbeit, aber nicht dem Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Und es war auch nicht
das, was man den spanischen Kolleginnen und Kollegen
ursprünglich versprochen hat. Die Koffer sind gepackt,
die Erwartungen sind groß. Und jetzt? Trotzdem fahren,
obwohl es kein Arbeitsplatz bei Amazon ist? In Hessen
angekommen, werden sie in einer Ferienanlage kaserniert und bewacht durch eine Sicherheitsfirma mit dem
Namen H.E.S.S.
Trenkwalder selbst - das muss man sich auf der
Zunge zergehen lassen - ist seit Anfang an bei dem
Leiharbeitsboom dabei. Sie war eine der ersten Leiharbeitsfirmen, die die mittlerweile für rechtswidrig erklärten Tarife mit den christlichen Gewerkschaften abgeschlossen hat. Der ehemalige Arbeitgeberpräsident
Dieter Hundt war zwischen 2007 und 2009 Aufsichtsratsvorsitzender dieser Leiharbeitsfirma. Ich finde, dass
hier unglaubliche Seilschaften zutage kommen. Die
wirtschaftlich schwierige Situation der spanischen
Beschäftigten wurde gnadenlos ausgenutzt. Der Fall
Amazon wirft ein Licht auf die schäbige Ausbeutung,
die in Deutschland durch Leiharbeit mittlerweile möglich geworden ist.
Ähnlich wie bei Schlecker und plötzlich, wie aus dem
Dornröschenschlaf erwacht, kündigt die Ministerin an,
im Fall Amazon zu handeln. Frau Ministerin von der
Leyen ist hier; vielleicht kann sie etwas dazu sagen, wie
der Stand ist; wir haben gerade von Herrn Schiewerling
etwas dazu gehört.
Sie wollen der Leiharbeitsfirma die Lizenz entziehen.
Aber Amazon kommt ohne Konsequenzen davon; die
sind unschuldig. Dabei hat Amazon nachweislich von
den schikanierenden Kontrollen durch die Sicherheitsfirma H.E.S.S. gewusst. Amazon hat das Lohndumping
der Leiharbeitsfirma billigend in Kauf genommen.
Amazon hat Konsequenzen verdient; aber da ist bisher
Fehlanzeige. Firmen wie Amazon nutzen nur die gesetzlichen Möglichkeiten, die ihnen die Politik gegeben hat.
Dass sie damit oftmals am Rande der Legalität arbeiten,
wird bewusst in Kauf genommen.
({0})
Wirkungsvolle Kontrollen scheitern am mangelnden
Personal und an unzureichenden Vorgaben.
Wenn wir die Kontrollen bei Leiharbeitsfirmen mit
den Kontrollen bei Hartz-IV-Empfängern vergleichen,
dann wird klar: Irgendwie wird hier mit unterschiedlichem Maß gemessen.
({1})
Eine Leiharbeitsfirma kann sich in Deutschland nahezu
alles erlauben und muss kaum Kontrollen und Sanktionen befürchten. Ein Hartz-IV-Empfänger oder eine
Hartz-IV-Empfängerin muss dagegen strikte Vorgaben
einhalten, und jeder Verstoß wird gnadenlos bestraft.
Das ist Realität am deutschen Arbeitsmarkt. Wenn wir
den Missbrauch in der Leiharbeit wirklich beenden wollen, dann müssen wir die Leiharbeit abschaffen.
({2})
Die Deregulierung am deutschen Arbeitsmarkt jährt
sich am 14. März dieses Jahres. Die Agenda 2010 hat
zur massiven Ausweitung prekärer Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Werkverträge,
Scheinselbstständigkeit usw. geführt. Aktuell können
1,4 Millionen Menschen von ihrem Lohn nicht leben
und müssen zusätzlich aufstocken; oftmals sind es
Leiharbeitsbeschäftigte. Unternehmen wie Amazon gehen dabei nur durch die Türe, die ihnen von Rot-Grün
geöffnet worden ist.
Die Missstände abzuschaffen, bedeutet, die unsozialen Hartz-IV-Gesetze abzuschaffen.
({3})
Nur die Linke steht für eine konsequente Reform des Arbeitsmarktes zum Schutz der Beschäftigten. Die Linke
will das Verbot der Leiharbeit, eine strikte Regulierung
von Werkverträgen und eine konsequente Rücknahme
der Hartz-Gesetze,
({4})
nicht nur von Hartz IV, sondern insbesondere auch von
Hartz I.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will zunächst sagen, dass ich durchaus dankbar dafür
bin, dass wir heute Gelegenheit haben, hier im Deutschen Bundestag über den Beitrag vom 13. Februar zu
debattieren, und will vorab feststellen, dass ich die Vorgänge und Entwicklungen, über die berichtet wird, nicht
nur mit großer Aufmerksamkeit, sondern auch mit einer
gewissen Sorge verfolge. Ich möchte die Gelegenheit
nutzen, das Ganze vielleicht etwas differenzierter darzustellen.
Frau Kollegin Krellmann hat hier - wenn auch in erzählerischer Form ({0})
die Vorwürfe vorgetragen, die erhoben werden: Arbeitsverträge seien kurzfristig zuungunsten der Mitarbeiter
verändert worden. Die Anstellungen erfolgten, anders
als erwartet, nicht bei Amazon, sondern bei der Zeitar27444
beitsfirma T. Sie haben den Namen genannt, Trenkwalder;
dann kann ich es auch sagen. Die Unterbringung der angeworbenen Mitarbeiter sei in unzumutbaren Sammelunterkünften erfolgt. Es habe einen unorganisierten
Transport zur Arbeitsstätte und zurück in überladenen
Bussen gegeben; bei transportbedingten Ausfallzeiten
habe es keine Entlohnung gegeben. Vor allen Dingen sei
eine Überwachung und möglicherweise eine Nötigung
durch Mitarbeiter der Sicherheitsfirma erfolgt, die da
zum Einsatz kam. Es gibt Vorwürfe, dass die Angestellten der Sicherheitsfirma aus dem rechtsradikalen Milieu
kämen. Zudem gebe es mögliche Meldeversäumnisse im
Zusammenhang mit geldwerten Vorteilen bei Kost und
Logis gegenüber den Sozialversicherungen. - Das sind
die Vorwürfe, die erhoben werden.
Bevor wir es abschichten, möchte ich zunächst einmal
feststellen, dass sich die Vorwürfe - auch wenn das
Thema der heutigen Aktuellen Stunde dies nicht hergibt zunächst nicht gegen Amazon richten. Ich will so viel
sagen: Amazon muss sich sicherlich fragen lassen, ob
man bei der Auswahl des Zeitarbeitsunternehmens die
nötige Sorgfalt hat walten lassen. Das kann man beurteilen, wenn die Berichte von der BA und von der FKS, der
Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die ergänzend tätig geworden ist, vorliegen. Die Vorwürfe, die im Übrigen erhoben werden, richten sich aber zunächst an die Adresse
der Zeitarbeitsfirma und lassen sich in drei Komplexe
unterteilen. Was den arbeitsrechtlichen Teil anbetrifft:
Die Arbeitskräfte wurden unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen angeworben. Das wird man prüfen müssen,
auch die finanziellen Konditionen. Was den sozialversicherungsrechtlichen Teil betrifft, ist zu klären, ob Kost
und Logis möglicherweise nicht als geldwerter Vorteil
aufgeführt und abgerechnet wurden. Besonders gravierend ist aus meiner Sicht der strafrechtliche Sachverhalt.
Hier geht es darum, zu prüfen, ob die Zeitarbeiter tatsächlich durch Mitarbeiter der Sicherheitsfirma genötigt
worden sind. Dem müsste gegebenenfalls durch die örtlichen Strafverfolgungsbehörden nachgegangen werden.
Falls sich herausstellen sollte, dass die Anschuldigungen
zutreffen, müssen die Vorgänge strafrechtlich geahndet
werden. - Das alles muss man sich sachlich vor Augen
führen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass mit den Prüfungen durch die Bundesagentur zeitnah begonnen worden ist. Soweit ich gehört habe, sind die Prüfungen abgeschlossen. Erste Ergebnisse liegen vor.
({1})
- Da wissen Sie weniger als ich, Frau Kollegin Künast.
({2})
- Es liegen durchaus Ergebnisse vor, die im gesetzlich
bestehenden Verfahren ausgewertet werden müssen. Im
Extremfall könnte dem Zeitarbeitsunternehmen die Lizenz entzogen werden. Es könnte aber auch sein, dass
dieses Zeitarbeitsunternehmen künftig bestimmte Auflagen erfüllen muss. All das bewegt sich in einem geordneten Rahmen, innerhalb dessen die ausführende Behörde die bestehenden Gesetze und ergänzenden
Verordnungen bzw. Richtlinien und Weisungen anwenden kann.
Sie wollten dieses Thema heute skandalisieren und zu
einem Generalangriff auf die Zeitarbeit nutzen. Doch
dazu taugen diese Vorgänge nicht. Da bin ich ausdrücklich bei meinem Kollegen Karl Schiewerling.
({3})
Ich unterstütze ausdrücklich, was er gesagt hat - ich will
es von meiner Seite wiederholen -: Wir werden, wie damals bei Schlecker, sofort reagieren, wenn es Hinweise
gibt, dass es hier flächendeckenden Missbrauch gegeben
hat; aber das ist nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse
nicht zu erwarten. Ich rate dazu, die Erwartungen etwas
tiefer zu hängen. Ich weiß, die Opposition ist derzeit dabei, alles zu verteufeln, was diese Regierung macht: von
der Zeitarbeit bis zum Mindestlohn. Aber dieser Schuss
geht nach hinten los.
({4})
Politischer Handlungsbedarf - das will ich hier festhalten - besteht nach jetzigem Erkenntnisstand nicht.
Mit den bestehenden Gesetzen sind wir durchaus in der
Lage, angemessen und, wenn nötig, auch mit harten
Maßnahmen auf die erhobenen Vorwürfe zu antworten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Beate MüllerGemmeke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Skandal „Amazon“ zeigt wieder
einmal deutlich: In Deutschland läuft etwas gewaltig
schief.
({0})
Die Arbeitswelt wird immer rauer und ungerechter, das
Gefühl für Anstand geht verloren. Empörung reicht hier
nicht aus; wir brauchen endlich wieder soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt.
({1})
Die Arbeitsbedingungen bei Amazon können nur als
menschenunwürdig bezeichnet werden. Die Leiharbeitskräfte wurden schamlos ausgebeutet. Sie mussten zu
lange arbeiten und haben zu wenig Geld verdient. Sie
waren schlecht untergebracht und falsch informiert. Besonders skandalös ist, dass die Beschäftigten auf Schritt
und Tritt bespitzelt wurden, auch in ihrem Privatbereich
nach der Arbeit. Dieser Vorfall führt zu großer Aufregung, zu Unverständnis und Wut bei den Menschen, und
das zu Recht. Ich hoffe, dass entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
({2})
Wenn Amazon Menschen offensichtlich wie Waren
behandelt, dann erfordert das politische Reaktionen. Das
weiß auch Frau von der Leyen, die jetzt wieder hektisch
Aufklärung fordert und Konsequenzen androht. Ankündigungen reichen aber nicht. Notwendig sind lückenlose
und umfassende Prüfungen, und zwar erstens bei der
Leiharbeitsfirma.
({3})
Hier muss die Bundesagentur für Arbeit penibel überprüfen, ob korrekt, in voller Höhe und durchgängig, bezahlt wurde.
({4})
Wenn die aktuell bestätigten Verstöße relevant sind
- und das ist das Entscheidende -, darf Frau von der
Leyen die Karte „Lizenzentzug“ nicht nur ankündigen,
sondern muss sie auch spielen.
({5})
Zweitens muss konsequent geprüft werden, ob gegen die
Sicherheitsfirma wegen Nötigung ermittelt werden kann.
({6})
Drittens - das ist mir ganz besonders wichtig - muss
Amazon selbst bezüglich Arbeitsbedingungen, Datenschutz und Steuertricks auf den Prüfstand.
({7})
Es reicht nicht aus, wenn der Konzern hektisch seiner Sicherheits- und seiner Leiharbeitsfirma kündigt. So einfach kann sich Amazon nicht seiner unternehmerischen
Verantwortung entziehen.
({8})
Verantwortung ist ein gutes Stichwort, um auf die
politische Verantwortung hinzuweisen: Heute geht es
nicht nur um diesen Skandal. „Arbeit muss sich wieder
lohnen!“ - das ist das Motto von Schwarz-Gelb. Inzwischen arbeiten aber fast 25 Prozent der Beschäftigten unter prekären Arbeitsbedingungen.
({9})
Niedrige Löhne, Minijobs, Befristungen, Leiharbeit,
Werkverträge, Scheinselbstständigkeit - das ist die Realität. Amazon nutzt diese Fehlentwicklungen auf dem
Arbeitsmarkt und hat sein Geschäftsmodell perfektioniert. Aber auch viele andere Beschäftigte leiden unter
schlechten Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen und
Unsicherheit. Sie sind ungeschützt aufgrund von Tarifflucht und fehlenden Betriebsräten. Sie, die Regierungsfraktionen, ignorieren diese Fehlentwicklungen und zeigen keinerlei Empathie für die Verliererinnen und
Verlierer auf unserem Arbeitsmarkt. Das ist nicht akzeptabel.
({10})
Als Reaktion auf diesen Skandal brauchen wir keine
schönen Worte und inhaltslosen Ankündigungen. Notwendig sind Anerkennung und Wertschätzung von Arbeit. Die unsäglichen Arbeitsbedingungen bei Amazon
sind nicht allein durch die Leiharbeit entstanden - Herr
Kolb, da haben Sie recht -, aber natürlich müssen die
Lücken bei der Leiharbeit geschlossen werden. Wir
Grüne fordern schon lange vehement Equal Pay, Mitbestimmungsrechte und vor allem effektive Kontrollen, die
in dem vorliegenden Fall nicht funktioniert haben. Das
allein reicht aber nicht. Die Lohndrückerei geht mit
zweifelhaften Werkvertragskonstruktionen weiter. Auch
hier brauchen wir klare Regelungen. Vor allem aber
muss der Trend zu immer mehr Befristungen gestoppt
werden. Amazon ist auch hierfür ein extremes Beispiel;
denn im neuen Lager in Koblenz sind von den 3 300 Beschäftigten gerade einmal 200 unbefristet angestellt.
3 100 sind befristet angestellt. Auch das ist ein Skandal.
({11})
Die Fakten sind schon lange bekannt. Diese Regierung kümmert sich aber nicht um die Sorgen der Beschäftigten. Sie unternimmt nichts gegen die Tarifflucht.
Sie bringt keinen Mindestlohn zustande. Stattdessen
streitet sie über eine Mogelpackung. Sie verweigert jegliche Regulierung auf dem Arbeitsmarkt. Die Hinweise
auf soziale Verwerfungen hingegen streicht sie aus ihrem
eigenen Armuts- und Reichtumsbericht. Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein.
({12})
Wir brauchen soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe es schon gesagt: Der Wert von Arbeit
muss endlich wieder im Mittelpunkt stehen. Es geht um
die Würde des Menschen, auch in der Arbeitswelt. Wenn
hier nicht schnell ein Umdenken stattfindet, wird es bald
wieder einen neuen Fall wie Schlecker oder Amazon geben. Deswegen empfehle ich der Bundesregierung, sich
die Krokodilstränen wegen Amazon zu sparen und mit
der Arbeit zu beginnen - in der Zeit, die ihr noch bleibt.
Vielen Dank.
({13})
Jetzt hat Gitta Connemann das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weltweit hat der Bericht Ausgeliefert! der ARD für Entsetzen
gesorgt. Das sind, wie ich finde, gespenstische Bilder.
Eines liegt auf der Hand: Die Vorwürfe müssen überprüft werden. Wenn diese Vorwürfe nur zu einem Teil
stimmen, dann sind wir alle Augenzeugen eines Skandals. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion sage ich an dieser Stelle: Das ist ein Verhalten, das abstoßend ist, das
menschenunwürdig ist und gegen das wir uns mit aller
Kraft stemmen und wehren werden.
({0})
Alle Fakten müssen jetzt so schnell wie möglich auf
den Tisch. Deshalb bin ich Ihnen, liebe Frau Ministerin
Dr. von der Leyen, sehr dankbar; denn nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben Sie tatsächlich sofort gehandelt.
({1})
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie sagten, das sei Aktionismus. Für mich ist das kein Aktionismus. Ich erhoffe, erwarte und erbitte mir von einer Ministerin, dass
sie ihre Aufgaben erledigt. Das hat diese Ministerin in
bester Weise gemacht, weil ihr an der Hilfe für Menschen gelegen ist - offensichtlich anders als Ihnen;
({2})
denn ich stelle in dieser Debatte fest, dass Sie ein Gefecht gegen die Zeitarbeit austragen. Die Frage ist aber:
Liegt das Problem tatsächlich bei der Zeitarbeit? Schon
jetzt steht nach den Prüfungen fest,
({3})
dass das System von Amazon komplex ist. Es geht eben
nicht nur um Zeitarbeit. Da gab es Transportunternehmen, Sicherheitsdienste und Beherbergungsbetriebe. Davon sind die Zeitarbeitsunternehmen zu unterscheiden,
deren Mitarbeiter Auftragsspitzen abdeckten. Die Ministerin hat strenge Konsequenzen angekündigt. Sollte die
Sonderprüfung ergeben, dass Regelungen nicht eingehalten worden sind, werden diese Firmen mit dem Verlust ihrer Lizenz rechnen müssen.
Das ist übrigens kein Sonderfall; denn es ist dieser
Ministerin zu verdanken, dass die Anzahl der Prüfungen
nach Vorfällen im AÜG in den letzten drei Jahren um
93 Prozent erhöht worden ist.
({4})
Das ist übrigens anders als zur Zeit des Arbeitsministers
Olaf Scholz. Auch darauf möchte hinweisen.
({5})
Das zeigt nicht nur, dass der Kollege Schiewerling recht
hat, dass die Kontrolle stimmt, sondern auch, dass das
Gesetz funktioniert.
({6})
Zeitarbeit ist nicht das eigentliche Problem; das wissen Sie übrigens auch, liebe Frau Kollegin Kramme. Ich
darf aus einem Antrag der SPD zitieren, den wir morgen
debattieren werden. Darin steht sehr deutlich:
Die Leiharbeit ist für Unternehmen unattraktiver
geworden, seitdem eine Reihe von zwingenden
Vorgaben … ins deutsche Recht übernommen werden musste. Für die Leiharbeit existiert mittlerweile
ein Mindestlohn.
Genau so ist es - aber nur dank des Einsatzes der christlich-liberalen Koalition. Sie sind daran jahrelang gescheitert.
({7})
Lassen Sie Ihren heiligen Zorn gegen eine Branche,
die der Turbo am Arbeitsmarkt gewesen ist und die immer für die Schwächsten am Arbeitsmarkt eine Brücke
in Beschäftigung gewesen ist! Damit begegnen Sie an
dieser Stelle übrigens auch nicht dem Problem; denn die
Hauptfrage in einer solchen Debatte müsste doch sein:
Welche Verantwortung trägt ein Unternehmen wie Amazon?
({8})
Die Verantwortlichen dort waschen ihre Hände in Unschuld. Schuld sind immer die anderen, sagt Amazon,
nach dem Motto: Mein Name ist Hase; ich weiß von
nichts.
({9})
Aber ist es damit getan, zu sagen, die Sicherheit der Mitarbeiter werde sehr ernst genommen, während Arbeitnehmer von einem Sicherheitsdienst schikaniert werden,
und zu erklären, man sei um das Wohlergehen der Mitarbeiter besorgt, während diese in einer Ferienanlage zusammengepfercht wurden? Unsere Antwort lautet: Nein,
das reicht nicht. Es gehört zur Verantwortung eines Konzerns, nicht nur über Sozialstandards zu reden, sondern
auch für ihre Einhaltung zu sorgen, und zwar an jeder
Stelle der Kette.
({10})
Zwar ist inzwischen der Sicherheitsdienst geschasst
worden, ebenso wie das Unternehmen, das für die Unterbringung zuständig war. Aber die Frage lautet: Wäre das
auch ohne öffentlichen Druck passiert?
({11})
Ich persönlich befürchte, dass das nicht der Fall gewesen
wäre. Vielmehr entsteht der Eindruck, als ob Arbeitsund Lebensbedingungen sowie Fragen der Ethik für einen Konzern wie Amazon erst dann eine Rolle spielen,
wenn sich die Kunden abwenden. Das hat für mich persönlich sowie für unsere Fraktion mit sozialer Unternehmensverantwortung nichts mehr zu tun.
({12})
Grundsätzlich nicht vorzuwerfen ist einem Unternehmen wie Amazon, dass es Zeitarbeitnehmer beschäftigt.
Dass das Geschäftsmodell von Versandhändlern ohne
diese in einer Hochsaison wie Weihnachten nicht funktioniert, muss jedem bekannt sein.
({13})
Es handelt sich um eine saisonale Spitze und damit um
eine klassische Situation für Zeitarbeit. Nur so kann übrigens Auslieferung 24 Stunden am Tag klappen. Die
Kunden wollten das bislang auch so. Etwa jedes fünfte
Buch in Deutschland wird inzwischen über Amazon verkauft. Der Buchhandel vor Ort liegt übrigens an vielen
Stellen am Boden; denn es ist so einfach: ein paar
Klicks, und dann kommen die Pakete ins Haus. Aber ich
sage auch: Jeder Klick bewirkt etwas. Vielleicht wäre es
für uns alle besser, beim nächsten Geschenkeeinkauf
doch mal wieder um die Ecke zu gehen.
Ich bin davon überzeugt, dass erst dann, wenn viele
Verbraucher bewusst kaufen, die Amazons, aber auch
die Zalandos der Welt merken, dass sie nicht alles machen können, um ihren Profit zu steigern - und das wäre
gut.
({14})
Jetzt hat Michael Roth das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit 1998 darf ich den nordhessischen Wahlkreis WerraMeißner - Hersfeld-Rotenburg hier im Bundestag vertreten, eine Region, die seit 1989 aus der Randlage in die
Mitte Deutschlands und Europas gerückt ist.
({0})
Die Region Bad Hersfeld ist eine der bedeutenden Mobilitäts- und Logistikdrehscheiben in Deutschland und Europa. Tausende von neuen Arbeitsplätzen sind in den
vergangenen Jahren in unserer Region geschaffen worden,
({1})
bei Logistikern, Distributionszentren, Buchgrossisten und
eben auch Internetkaufhäusern wie Amazon.
Amazon ist mit rund 4 000 Beschäftigten der größte
Arbeitgeber. Das ist kein Zufall. Das ist auch nicht vom
Himmel gefallen. Das ist vor allem das Ergebnis guter
kommunalpolitischer Entscheidungen;
({2})
die Kommunen haben sehr viel Geld in die Hand genommen und Engagement gezeigt. Es ist das Verdienst unserer zentralen Lage und einer guten Infrastruktur im Bereich Verkehr, es ist vor allem aber auch das Verdienst
ganz tüchtiger, engagierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu keinem großen Lohn eine hervorragende Arbeit leisten und damit dazu beigetragen haben,
dass aus einer Region in einer Randlage eine boomende
Region geworden ist.
({3})
Wir profitieren von der Logistikbranche. Wir haben
eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit. Die Standortkommunen haben hohe Steuereinnahmen. Neue Qualifizierungsangebote haben sich entwickelt, beispielsweise ein
duales Studium in der Logistikwirtschaft. Aber wo Licht
ist, ist eben auch Schatten. Im Falle von Amazon ist sehr
viel Schatten. Dort gibt es eine hohe Zahl von befristeten
Arbeitsverträgen; circa 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Amazon sind nur befristet beschäftigt. Wir haben eine hohe Zahl von Menschen, die
darauf angewiesen sind, zum Landkreis zu gehen, um
ihre niedrigen Löhne aufzustocken, und leider - das erlebe ich immer wieder in meinen Sprechstunden, in denen nicht wenige Beschäftigte von Amazon und anderen
Logistikunternehmen um Rat suchen - ist die Motivation
relativ gering, weil die Jobs oft ein schlechtes Image haben.
Daran ist Amazon maßgeblich selbst schuld, da das
Unternehmen eine beispiellose Geheimniskrämerei betrieben hat. Transparente Unternehmensführung, Dialog
mit der Öffentlichkeit sowie Dialog und Austausch mit
den Medien sehen anders aus. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von CDU/CSU und FDP, das hat nichts mit
Kontrollen zu tun. Wir wurden nicht durch Kontrollen,
sondern durch die Medien auf diesen Skandal aufmerksam gemacht.
({4})
Es ist meiner Fraktion im Oktober vergangenen Jahres
erstmals gelungen, einen hohen Verantwortlichen von
Amazon zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung
über die Arbeitsbedingungen zu bewegen. Ich erinnere an
GLS. Auch dieses Unternehmen hat seinen Hauptsitz in
meinem Wahlkreis, in Neuenstein. Günter Wallraff hat
Michael Roth ({5})
dort im vergangenen Jahr eine Reportage über die Arbeitsbedingungen gemacht. Bis heute verweigert dieses
Unternehmen ein Gespräch mit einem Bundestagsabgeordneten, weil man die Öffentlichkeit und offensichtlich
auch die Kritik scheut. Insofern kann ich nur hoffen, dass
die Reaktionen für diese Unternehmen ein heilsamer
Schock sind. Jetzt muss aufgeklärt werden, jetzt müssen
Missbräuche abgestellt werden; denn es gibt Gründe dafür, dass diese Branche über ein so schlechtes Image verfügt.
Ich kann mich den Vorrednerinnen und Vorrednern in
dieser Hinsicht nur anschließen. Wir brauchen eine Wiederbelebung der Kultur der sozialen Verantwortung. Unternehmen, die rein profitorientiert an den Interessen der
Beschäftigten vorbeiarbeiten, können nicht im Sinne der
sozialen Marktwirtschaft sein. Insofern ist diese Debatte,
die wir heute führen, gut; aber konkrete Taten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sind besser. Die
Politik ist es den Beschäftigten, aber auch den verantwortungsbewussten Unternehmen und der Kommunalpolitik schuldig, endlich tätig zu werden. Wir als Gesetzgeber sind für den Rahmen unternehmerischen Handelns
verantwortlich. Es liegt in unserer Hand, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Glauben an die soziale Marktwirtschaft wiedererlangen. Wenn uns das
nicht gelingt, dann geht in unserem Land mehr kaputt als
die Reputation eines großen Internetkaufhauses.
({6})
Meine Fraktion redet nicht nur und stellt nicht nur den
Antrag, hier und heute diese Aktuelle Stunde durchzuführen, sondern wir streiten - und das schon seit
Jahren - für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Wir wollen den Niedriglohnsektor austrocknen.
({7})
Wir kämpfen für einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn. Wir müssen die Leiharbeit begrenzen. Wir
müssen die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ausbauen. Diese Regierung hat außer
wohlmeinenden Worten nichts zustande gebracht.
({8})
Voraussetzung für einen Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit ist die Abwahl von Schwarz-Gelb.
({9})
Ich hoffe, dass das den Wählerinnen und Wählern klar
ist.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Johannes Vogel hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, wir alle sind uns einig - das ist heute auch
aus den Wortbeiträgen hervorgegangen -, dass die Zustände, die in der Fernsehsendung kritisiert wurden,
wenn die Vorwürfe zutreffen, inakzeptabel sind. Aber,
lieber Kollege Roth: Sie von der Opposition, gerade Sie
von der SPD-Fraktion, versuchen, daraus Ihr politisches
Süppchen zu kochen und dieser Koalition einen Vorwurf
zu machen.
({0})
Man muss sich einmal die Frage stellen: Welche Vorwürfe wurden in der Sendung erhoben? Ich denke, wir
alle haben die Sendung gesehen. Ich würde die Vorwürfe
folgendermaßen zusammenfassen: Amazon hat den Mitarbeitern, wenn das alles zutrifft, falsche Versprechungen gemacht.
({1})
Amazon hat eine skandalöse Sicherheitsfirma engagiert.
Amazon hat ein fragwürdiges Transportunternehmen engagiert. Es wurden nicht nur Arbeitnehmerrechte, also
Rechte des Arbeitnehmers gegenüber dem Unternehmen, sondern auch ganz grundlegende Menschenrechte
missachtet, zum Beispiel durch den Sicherheitsdienst die
Unverletzlichkeit der Wohnung. Ich will eines ganz klar
sagen - das gilt für meine Fraktion, aber, wie ich weiß,
auch für die gesamte Koalition -: Das ist vollkommen
inakzeptabel.
({2})
Das ist inakzeptabel, weil Grundrechte und Arbeitnehmerrechte missachtet werden. Das ist aber auch deshalb
inakzeptabel, weil es hier insbesondere um Arbeitnehmer geht, die aus dem Ausland angeworben wurden; das
unterminiert also auch den Ruf Deutschlands als Einwanderungsland.
Politisch könnten Sie dieser Koalition einen Vorwurf
machen, wenn nicht gehandelt worden wäre. Das ist aber
nicht zutreffend. Ich will festhalten: Hier ist nicht der
rechtliche Rahmen das Problem, sondern hier wurde,
wenn die Vorwürfe zutreffen, gegen Gesetze verstoßen.
({3})
Die Aufgabe besteht natürlich darin, Kontrolle auszuüben, gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen und zu
handeln.
Johannes Vogel ({4})
({5})
Da kann ich wirklich nur sagen: Das hat die Regierung
getan.
({6})
Am Donnerstag letzter Woche wurden die Vorwürfe
publik; es wurde medial über sie diskutiert. Am Montag
darauf, also am übernächsten Werktag, fand eine Prüfung statt, waren BA und Zoll im Haus.
({7})
Wiederum zwei Tage später, am übernächsten Werktag,
nämlich heute, ist die Prüfung abgeschlossen. Nun wird
ausgewertet. Eine mögliche Strafe für das Zeitarbeitsunternehmen kann, wie die Kollegen schon gesagt haben,
bis hin zum Lizenzentzug gehen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, bei aller Liebe: Politisches Nichthandeln sieht anders aus. Das können Sie uns schlicht
nicht vorwerfen.
({8})
Diesen Vorwurf können Sie uns auch nicht generell
machen. Es wurde schon darauf hingewiesen: Unter dieser Arbeits- und Sozialministerin finden im Bereich der
Zeitarbeit doppelt so viele Kontrollen statt wie noch unter Sozial- und Arbeitsminister Scholz von der SPD.
({9})
Auch hier gilt für diese Koalition: Politisches Nichthandeln, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sieht
anders aus. Dieser Pfeil fliegt auf Sie zurück.
Ich finde bemerkenswert, was Sie hier versuchen. Sie
versuchen nämlich, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Sie
sagen nicht: „Hier hat es möglicherweise skandalöse
Rechtsverstöße eines Unternehmens gegeben“, sondern
Sie sagen: „Bei der Zeitarbeit stimmt es insgesamt nicht.“ Man sollte sich, glaube ich, einmal vergegenwärtigen,
was die Zeitarbeit in Deutschland leistet. Sie sorgt nicht
nur für Flexibilität, sondern bietet Menschen auch Einstiegschancen. Zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer kommen aus der Arbeitslosigkeit. 40 Prozent von ihnen haben gar keine berufliche Qualifikation. Das ist ein Wert,
den man nicht wegwerfen sollte.
({10})
Bedenken Sie auch, was diese Koalition gemacht hat.
Wir haben den Mindestlohn in der Zeitarbeit eingeführt.
({11})
Wir haben dafür gesorgt, dass die Tarifpartner jetzt eine
schrittweise Angleichung an Equal Pay vornehmen.
Diese Koalition hat dem Missbrauch schon durch die sogenannte Anti-Schlecker-Klausel einen Riegel vorgeschoben. Man kann also festhalten: Diese Koalition hat
die Zeitarbeit so reguliert, dass Missbrauch gesetzlich
verhindert wird, aber ihre Vorteile für die Menschen erhalten werden. Wenn einzelne schwarze Schafe immer
noch gegen Gesetze verstoßen, dann ist es richtig, dass
die Behörden reagieren. Das tun sie, wie ich eben ausgeführt habe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Ich will zum Abschluss noch etwas sagen. Liebe Frau
Kollegin Müller-Gemmeke und liebe Frau Kollegin
Kramme, Sie haben auch in einer anderen Hinsicht versucht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, und damit das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sie nehmen diesen
Fall als Beleg dafür, dass am Arbeitsmarkt alles schlecht
sei. Ich habe in der Debatte zwei Begründungen gehört:
Erstens: Es sei alles schlecht, und wir bräuchten den
gesetzlichen Mindestlohn, den Sie fordern. Es ist wirklich bemerkenswert, dass Sie diesen Fall als Beleg für
die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns nehmen.
({13})
Denn zum einen gibt es in der Zeitarbeit einen tariflichen
Mindestlohn, den diese Koalition ermöglicht hat,
({14})
und zum anderen liegt der Lohn, der den Zeitarbeitnehmern im konkreten Fall gezahlt wurde, über dem, was
Sie als gesetzlichen Mindestlohn fordern. Worauf wollen
Sie also hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen? Doch
ganz sicher nicht auf die angebliche Notwendigkeit eines
gesetzlichen Mindestlohns, die Sie immer wieder behaupten.
({15})
Zweitens kritisieren Sie die Befristung. Liebe Frau
Kollegin Müller-Gemmeke, Sie sind uns schuldig geblieben, zu erklären, was die Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern im konkreten Fall mit Befristung zu tun haben soll. Wenn es um Befristung geht, sollten wir, glaube
ich, nicht die Unwahrheit erzählen. Sie wissen so gut wie
wir, dass Befristung in Deutschland nicht zunimmt; das
sagt uns das Statistische Bundesamt. Außerdem hat die
große Mehrheit der Menschen, die in Deutschland befristet eingestellt werden, fünf Jahre danach einen unbefristeten Vertrag, die Hälfte beim selben Arbeitgeber.
Befristung als Beleg für eine Verrohung am Arbeitsmarkt zu klassifizieren und nicht als das, was sie in
Wahrheit ist, nämlich eine Einstiegschance für die Menschen, ist unredlich.
Johannes Vogel ({16})
In diesem Sinne: Wir alle sind geschockt über das,
was dort vorgefallen ist. Gut, dass jetzt kontrolliert wird.
Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Als Beleg
für die angebliche Untätigkeit dieser Koalition am Arbeitsmarkt eignen sich diese Vorfälle bei aller Liebe
nicht.
Vielen Dank.
({17})
Jetzt hat Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Was wäre eigentlich gewesen, wenn diese Reportage nicht ausgestrahlt worden
wäre? Wäre die Wahnsinnskontrolle, auf die Sie so stolz
sind, dann wahrscheinlich schon vor Weihnachten in
Gang gesetzt worden? Wären dann die Hunderte und
Tausende, die da gelitten haben, erkannt worden, und die
Bundesregierung hätte diesem Missbrauch abgeholfen?
Wäre das wirklich so gewesen?
({0})
Kann man stolz sein auf eine Kontrolle, die offenkundig
gar nicht stattgefunden hat? Denn es hat sie nicht gegeben im Weihnachtsgeschäft bei Amazon.
({1})
„Vorsicht, wenn man sich so selbst lobt!“, würde ich da
sagen.
Ich denke, wir müssen den Medien dankbar sein. Die
Bundesregierung müsste entsprechende Schreiben schon
in Serie ausgefertigt haben; denn es bedarf offenkundig
des medialen Drucks, bevor Kontrolle in Gang gesetzt
wird. Das ist doch die Wirklichkeit, über die wir hier reden müssen.
({2})
Ich finde, was wir bisher gehört haben, war kein Ruhmesblatt für die Regierung.
({3})
Ich würde sagen, es ist wieder so weit. Die Ministerin
für Arbeit und Soziales schleckert durch das Land; denn
es ist ganz so, wie wir es bei Schlecker erlebt haben: Zuerst sehen wir größtmögliche Empörung - zu Recht -,
weil Missstände da sind. Als nächster Akt werden die
Vorfälle als Einzelfall deklariert; dann ist der Gesetzgeber aus dem Schneider, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die vielen zugutekommen. Dann folgt eine kleine
Lösung, und wenn die mediale Aufmerksamkeit sich
wieder anderen Themen zuwendet, sinkt das Engagement. - So erleben wir unsere Regierung,
({4})
und damit sind wir als Sozialdemokraten absolut nicht
einverstanden.
({5})
Es gibt einen ganz großen blinden Fleck. Sie meinen
immer, das sei kein strukturelles Problem. Ich sage Ihnen aber: Das ist ein strukturelles Problem.
({6})
Wer diese Vorfälle auf einen bedauerlichen Einzelfall reduziert, kann in der Lösung schon nicht mehr überzeugen. Wir kennen verbale Kraftmeierei seitens der Bundesregierung hinlänglich.
Ich zitiere, was Thomas Öchsner dieser Tage in der
Süddeutschen Zeitung geschrieben hat:
Das Vermieten von Arbeitnehmern ist mittlerweile
zu einem Symbol für Exzesse im Land des Jobwunders geworden.
Er titelt seinen Kommentar „Ausbeutung als Teil des Geschäftserfolgs“, und leider, leider hat er recht,
({7})
weil er die Dimension des Problems erkannt hat. Im Übrigen haben wir auch hier - denn, Herr Kolb, wir haben
einen Antrag zur Leiharbeit vorgelegt, und dem konnten
Sie sich ja nicht anschließen - rechtzeitig auf die Lücken
hingewiesen, die bestehen. Sie leugnen das und empören
sich dann, wenn so etwas wie bei Amazon stattfindet.
Ich sage Ihnen: Die vielen Kontrollen, auf die Sie stolz
sind, reichen nicht aus. Setzen Sie das doch bitte einmal
ins Verhältnis zur wachsenden Zahl der Leiharbeit, dann
ist auch die Erhöhung der Kontrollen überhaupt kein
Ruhmesblatt mehr.
Ich möchte Ihnen allerdings auch eine andere Seite
nicht vorenthalten, denn es gibt eine andere Seite des
Skandals. Das sind die Rolle und die Verantwortung der
Kunden und Verbraucher. Wenn wir in einer Aktuellen
Stunde darüber reden, dann muss auch diese Seite beleuchtet werden, und ich nehme kein Jota von meiner
Kritik an der Bundesregierung zurück; verstehen Sie
mich da nicht falsch.
Aber wenn wir uns die Rolle der Verbraucherinnen
und Verbraucher anschauen, dann frage ich mich: Die
Kabinettsmitglieder haben bestimmt keinen AmazonAccount? Ich glaube, niemand aus Ihrer Fraktion hat jemals den Onlineshop genutzt, um schnell an ein Produkt
zu kommen! Denn das ist das Problem: Wir leben inzwischen in einer Gesellschaft, in der wir glauben, wir müssen jedes Produkt innerhalb von 24 Stunden haben. Wir
wollen es haben, ohne Lieferkosten zu bezahlen. Wir
wollen es zu einem niedrigen Preis haben, und dann
glauben wir noch, wir müssten nicht dahinterschauen,
wie die Arbeits- und Lohnbedingungen der Beschäftigten sind, die diesen ganzen Service leisten. Ich finde, so
viel Selbstkritik muss sein, wenn man glaubwürdige
Politik machen will.
({8})
Ich möchte Ihnen noch ein Letztes mit auf den Weg
geben; die paar Sekunden Redezeit reichen noch aus.
Nach der Reportage in der ARD, der Berichterstattung in
den Medien und unserer Debatte kann niemand mehr sagen: „Das habe ich aber nicht gewusst.“ Wir können uns
dazu verhalten. Ich erwarte von einer Bundesregierung,
die die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinneninteressen im Blick hat, mehr als eine Einzelfallprüfung, und
schon gar nicht erwarte ich, dass eine verspätete Kontrolle Anlass zu Selbstlob ist. Das stinkt.
({9})
Herr Kollege Dr. Matthias Zimmer hat das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Darüber,
dass das ein Skandal ist, sind wir uns, denke ich, alle einig. Was da aufgedeckt worden ist, hat mit Respekt und
Würde der Arbeit überhaupt nichts zu tun.
Nun hat Amazon relativ schnell reagiert und die Zusammenarbeit mit den Firmen, die für die Unterbringung
und den Transport zuständig waren, ebenso gekündigt
wie der Sicherheitsfirma. Die Bundesagentur hat
Amazon aufgefordert, die Vorwürfe zu klären. Ich habe
eben noch einmal auf die Webpage von Amazon geschaut. Die Presseerklärung, die dort zu lesen war, fand
ich, ehrlich gesagt, ein wenig dünn. Da ist in der Tat von
unternehmerischer Verantwortung für gute Arbeit relativ
wenig zu spüren.
({0})
Tatsächlich hat aber die Ministerin die Prüfung der
Zeitarbeitsfirma veranlasst, und die Bundesagentur hat
soeben gemeldet, sie habe Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgestellt und werde in einem Verwaltungsverfahren über Konsequenzen entscheiden. Dies kann bis zum Verlust der Lizenz gehen.
Und - ich denke, für Amazon beinahe noch dramatischer die Kunden haben reagiert, haben ihrer Wut in Internetforen Luft gemacht oder schlicht ihre Konten bei
Amazon löschen lassen; ein veritabler Ansehensverlust
für die Firma. War es das wert?
Nun könnte man sagen, ein Missbrauch ist aufgedeckt
worden, Politik und Öffentlichkeit haben schnell reagiert, eine juristische Bewertung steht noch aus. Aber
das ist nicht der Hintergrund dieser Aktuellen Stunde.
Hintergrund ist der Versuch, über die Vorgänge bei
Amazon die Zeitarbeit generell in ein schlechtes Licht zu
rücken.
({1})
Anders kann ich mir die Erregungs- und Empörungsspitzen, die hier aufgetreten sind, auch nicht vorstellen. Es
geht Ihnen gar nicht um die Hilfe für die Menschen,
meine Damen und Herren von der Opposition, es geht
Ihnen darum, die Bundesregierung und die Zeitarbeit zu
diskreditieren, und das ist falsch.
({2})
Ich verstehe, dass manche Firmen zur Abfederung
von Auftragsspitzen Zeitarbeitnehmer beschäftigen. Das
ist auch bei Amazon der Fall. An den beiden Standorten
in Bad Hersfeld - der Kollege Roth hat es erwähnt - sind
insgesamt 2 800 Mitarbeiter dauerhaft beschäftigt, doch
es gibt Auftragsspitzen, die nur mit vorübergehend tätigen Mitarbeitern abgearbeitet werden können. Das betrifft vor allen Dingen das Weihnachtsgeschäft.
Hierfür hat Amazon in den vergangenen Jahren auch
mithilfe der Bundesagentur Arbeitnehmer aus dem Ausland angeworben, ohne dass es zu Problemen kam. Im
letzten Jahr ist eine Zeitarbeitsfirma zwischengeschaltet
worden. Über die Praktiken dieser Firma, des Sicherheitsdienstes und der Firma, die für die Unterbringung
und den Transport zuständig war, sprechen wir heute im
Wesentlichen, aber nicht über die Arbeitsbedingungen
bei Amazon generell.
Ich will an dieser Stelle auch sagen: Für die Region
um Bad Hersfeld war die Ansiedlung von Amazon ein
Glücksfall, eben weil hier auch in hoher Zahl dauerhafte
Arbeitsstellen geschaffen worden sind. Das muss man
bei aller Aufregung auch einmal hervorheben dürfen.
({3})
- 2 800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, verehrte
Frau Künast, finde ich schon eine ganz beachtliche Leistung.
Gerade für das Segment „ungelernte Arbeitskräfte“
ist Amazon ein guter Arbeitgeber. Immer wieder werden
befristete Stellen in unbefristete umgewandelt. Die Regionalagentur der Bundesagentur ist mit Amazon in Gesprächen darüber, wie der Bedarf an Arbeitskräften
künftig gedeckt werden kann.
Worüber ich mich aber immer wieder ärgere, ist, dass
das sinnvolle Instrument der Zeitarbeit durch wenige
schwarze Schafe diskreditiert wird. In Deutschland sind
zurzeit etwa 800 000 Menschen in der Zeitarbeit tätig.
Davon sind zwei Drittel zuvor nicht beschäftigt gewesen. Für sie ist die Zeitarbeit also der Weg in den Arbeitsmarkt und vielleicht auch in eine dauerhafte Beschäftigung.
({4})
Die Zeitarbeit unterliegt dem Arbeitsrecht und den
gesetzlichen Schutzansprüchen. Wir haben in dieser Legislaturperiode einmal eine missbräuchliche Nutzung
von Zeitarbeit verboten, Stichwort Schlecker; der Kollege Kolb hat darauf hingewiesen. Wir haben mittlerweile einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche, und
auch hinsichtlich der Entlohnungsangleichung hat es
deutliche Fortschritte gegeben.
Wir haben also deutliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Zeitarbeit erreicht. Der Gesetzgeber alleine kann es aber nicht richten, auch nicht die
Kontrollinstanzen bei der Bundesagentur für Arbeit und
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Ich denke, dass dieser Fall eines deutlich macht, dass
nämlich ein solcher Missbrauch auch zu einem PR-Problem der Firma wird, die mit Fremdfirmen zusammenarbeitet. Ich hoffe sehr, dass andere Firmen hieraus lernen, dass sie mit für das verantwortlich sind, was die von
ihnen beauftragten Dritten tun, und dass sie schon im eigenen Interesse darauf pochen, dass sich solche Vorkommnisse wie bei Amazon nicht mehr wiederholen.
Einen guten Ruf kann man nicht kaufen, aber man
kann ihn schnell verlieren. Damit mag sich dann nach einem alten Sprichwort zwar ungeniert leben, aber nicht
mehr erfolgreich wirtschaften lassen.
Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Jetzt hat Klaus Barthel das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
muss mich schon sehr wundern. Hier wird uns von einem angeblichen Einzelfall berichtet. Im Unterschied
dazu stellen wir in der Realität doch fest: Amazon ist
fast überall.
({0})
Schauen wir uns den Versandhandel an. Das ist eine der
typischen neuen Dienstleistungsbranchen, in der viele
Arbeitsplätze entstehen; das ist ein neuer Boom. In diesen neuen Dienstleistungsbranchen gibt es bisher aber
eben kaum gewerkschaftliche Traditionen und Organisationen.
({1})
Wer sich damit beschäftigt, der weiß: Bei Amazon
wird seit Jahren darum gekämpft, dass es in Betrieben
mit vierstelliger Beschäftigtenzahl einen Betriebsrat
gibt, dass dort ein Tarifvertrag angewandt wird und dass
dort einfach normales Recht umgesetzt wird. Kein
Mensch hat sich bis jetzt dafür interessiert. Das ist nicht
nur bei Amazon so, sondern in vielen Teilen dieser
neuen Dienstleistungsbranche.
({2})
Wir haben es in diesem Bereich mit einer Umwälzung
zu tun, die zum Beispiel auch dazu führt, dass im Einzelhandel insgesamt inzwischen ein nahezu tarifloser Zustand herrscht und dass es im Moment gar keinen Weg
mehr zu geben scheint, dort wieder zu einem Tarifvertrag zu kommen.
Reden wir einmal von Amazon, weil hier immer behauptet wird, wir brauchen die ganzen flexiblen Beschäftigungsformen für kleinere und mittlere Unternehmen. Amazon ist eben nicht der Tante-Emma-Laden um
die Ecke, der sich mal durch Leiharbeiter oder Minijobber aushelfen lassen muss, sondern Amazon ist ein globaler, riesiger Konzern mit erheblicher Marktmacht,
8 000 Beschäftigten in Deutschland und einer Gewinnmarge von 20 Prozent, der jetzt sogar das Bundeskartellamt am Hals hat. Da fragt man sich schon: Haben die das
wirklich nötig?
({3})
Es gibt also keinen ökonomischen Grund für die
Schweinereien, die da passieren. Es gibt keinen ökonomischen Grund dafür, dass zwei Drittel der Beschäftigten bei Amazon - damit kommen wir hier langsam zur
Rechtslage - befristet beschäftigt sind, dass sie 10 bis
20 Prozent unter dem Tarifvertrag bezahlt werden, dass
in vielen Betrieben kein Betriebsrat vorhanden ist und
dass dort die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nicht
nur wie Sklaven behandelt werden, sondern auch noch
schlechter als die Festangestellten bezahlt werden.
Da sind Sie dann alle überrascht. Das ist doch kein
Einzelfall. Das ist die Spitze des Eisbergs der Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die Spitze dessen,
dass inzwischen 50 Prozent aller neuen Arbeitsverhältnisse befristet sind. Das ist die Spitze dessen, dass sich
der Anteil der Leiharbeit in den letzten zehn Jahren mehr
als verdoppelt hat, dass die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im Durchschnitt 40 Prozent weniger Lohn
bekommen als die Festangestellten, dass es einen Niedriglohnsektor von 23 Prozent gibt und dass es einen
Missbrauch der Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der
Europäischen Union in großem Stil gibt. Da reden Sie
hier von kriminellen Einzelfällen! Das ist inzwischen die
Realität auf einem großen Teil des deutschen Arbeitsmarkts.
({4})
Dann haben wir die Debatte, die ich gerne weiterführen möchte, aber aus Zeitgründen abkürzen muss, ob
man jetzt die Schuld wirklich bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern suchen kann. Da will ich einmal den
Gedanken von Frau Lösekrug-Möller fortführen. Ich
glaube, in einem sozialen Rechtsstaat, in einer sozialen
Marktwirtschaft muss sich der Verbraucher darauf verlassen können, dass Rind Rind ist und dass Pferd Pferd
ist. Der Verbraucher muss auch nicht fragen, ob es bei
dem Kauf eines Buches, das er sich zuschicken lässt,
nach Recht und Gesetz zugeht. Vielmehr hat ein sozialer
Rechtsstaat dafür zu sorgen, dass sich der Verbraucher
darauf verlassen kann.
({5})
Hier wurden auch höhere Preise und die „Geiz ist
geil“-Mentalität angesprochen. Höhere Preise garantieren doch keine guten Arbeitsbedingungen. Auch das ist
Realität. Das haben wir bei Adidas gesehen. Das haben
wir bei Apple in China gesehen. Das haben wir im Luxushotel „Bayerischer Hof“ in München gesehen und wo
auch immer wir hinschauen: Teuer, teuer, teuer, aber
auch schlechte Arbeitsbedingungen.
Frau von der Leyen - erst einmal großen Respekt dafür, dass Sie sich diese Debatte hier anhören -,
({6})
wir müssen doch hier feststellen, dass seit Monaten kein
Tag mehr vergeht, wo nicht Schwarz-Gelb irgendwelche
sozialen Gewissensfragen stellt. Aber Sie haben eben
den Missbrauch bei der Leiharbeit nicht gestoppt,
({7})
sondern Sie können ihn nur dann stoppen, wenn Sie
rechtlich etwas verändern: Equal Pay vom ersten Tag an,
damit auch die 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die weniger als drei Monate im Entleihbetrieb beschäftigt sind, etwas davon haben,
({8})
Begrenzung der Einsatzdauer bei Leiharbeit, Kündigungsschutz und vor allen Dingen - das ist hier bei
Amazon besonders wichtig -:
({9})
Sorgen Sie dafür, dass Betriebsräte - Frau Präsidentin,
sorgen Sie bitte einmal für Ruhe, man kann ja hier nicht
reden ({10})
im Entleihbetrieb für die Arbeitsbedingungen im Betrieb, wo die Leiharbeiter arbeiten, zuständig sind.
Es ist auch so, dass Ihre Redezeit zu Ende ist, Herr
Kollege.
Solange Sie das nicht tun, wird man auch solche Praktiken wie bei Amazon kaum aufdecken können. Deswegen müssen Sie auch bei der Mitbestimmung in der Betriebsverfassung etwas ändern. Wir müssen auch dabei
etwas ändern, dass die Bundesagentur für Arbeit im
Grunde auch noch Beihilfe zu solchen Praktiken liefert.
Das heißt: Hören Sie auf, so zu tun, als würden Sie etwas tun, sondern tun Sie etwas: Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, Einführung von Mindestlöhnen,
Regulierung der Leiharbeit.
Herr Kollege.
Dann können wir hier weiterkommen. Dann können
Sie hier weiter „Skandal, Skandal“ schreien.
({0})
Aber bevor Sie nicht die rechtlichen Grundlagen auf
dem Arbeitsmarkt verändern, brauchen wir uns hier
nicht weiter zu echauffieren.
({1})
Jetzt hat Paul Lehrieder das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe
Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke, man kann es Ihnen nicht recht machen. Hätte unsere Arbeitsministerin
auch nur drei, vier Tage zugewartet, um dann eine Prüfung durch die Bundesagentur für Arbeit anzuregen, hätten Sie gesagt: Sie schläft; sie ist eine Ministerin der
ruhigen Hand. - Jetzt hat sie unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern am ersten Werktag nach Bekanntwerden
der Vorkommnisse direkt die Bundesagentur eingeschaltet, um die Prüfung vorzunehmen, und Sie schwadronieren irgendetwas von einer hektischen Arbeitsministerin.
({0})
Ich bin froh, dass wir diese dynamische Arbeitsministerin haben, die unverzüglich die Prüfung eingeleitet hat,
um die Missstände aufzuklären.
({1})
Auch die liebe Frau Kollegin Krellmann: Sie haben
eben in Ihrem Sammelsurium von Forderungen natürlich
wieder dargetan, dass in den letzten Jahren ausschließlich im prekären Bereich Arbeitsverhältnisse entstanden
sein sollen. Das wird auch durch Wiederholung nicht
wahrer. Wir haben dank der christlich-liberalen Koalition eine Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent. Vor drei
Jahren waren es 8,3 Prozent. Wir haben aber derzeit
nicht nur 342 000 Arbeitslose weniger in Deutschland zu
verzeichnen, sondern wir haben auch 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
mehr. Davon sind nur 350 000 geringfügig Beschäftigte.
Auch das gehört zur Wahrheit.
({2})
- Ich habe gesagt: 350 000 geringfügige Beschäftigte. Wir haben dreimal so viel Vollzeitbeschäftigte wie geringfügig Beschäftigte. Liebe Frau Kollegin Krellmann,
darauf muss noch einmal hingewiesen werden, wenn Sie
am Mikrofon abermals eine Legendenbildung betreiben.
Meine Damen und Herren, der Internetversandhändler Amazon - es wurde bereits mehrmals darauf hingewiesen - ist der größte Onlinehändler der Welt. Allein in
Deutschland hat Amazon im vergangenen Jahr in seinen
sieben Logistikzentren 6,5 Milliarden Euro umgesetzt.
In diesem Lichte wiegen die in der aktuellen Berichterstattung geschilderten Vorwürfe über die Lebens- und
Arbeitsbedingungen der eingesetzten Zeitarbeiter in der
deutschen Niederlassung von Amazon schwer. Ausländische Zeitarbeiter sollen in überbelegten Ferienwohnungen untergebracht und schlechter bezahlt worden
sein als versprochen. Die fälligen Sozialbeiträge für die
Beschäftigten sollen nicht korrekt abgeführt worden
sein. Des Weiteren sollen sie von Sicherheitsunternehmen auf Schritt und Tritt kontrolliert und schikaniert
worden sein. Herr Kollege Vogel hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass dies ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 des
Grundgesetzes ist. Wir alle haben die Berichte über die
spanisch sprechende Dame gesehen, die gesagt hat: Sie
waren bei uns in der Dusche und im Schlafzimmer; wir
wurden überall überwacht. - So kann es natürlich nicht
gehen.
Sollten sich die Vorwürfe im vorliegenden Fall erhärten und hierzulande Leiharbeiter unter Verstoß gegen das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und unter menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt worden sein, müssen ganz ohne Frage Konsequenzen gezogen werden.
Dass es uns um die Menschen geht, zeigen die jetzt
durchgeführten Prüfungen. Wir wollen diese Auswüchse
und Missbräuche des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, welche - auch darauf muss hingewiesen werden seinerzeit unter Rot-Grün erleichtert worden sind, unterbinden. Uns geht es um die Menschen. Uns geht es nicht
darum, lieber Herr Kollege Roth, nach dem Motto
„Schwarz-Gelb muss weg“ eine Regierung wegzubekommen, wie Sie im letzten Satz Ihrer Rede ausgeführt
haben.
({3})
Uns geht es vielmehr darum, den Menschen zu helfen.
Das ist es, was uns von Ihnen unterscheidet.
({4})
Hierzu bedarf es jedoch zunächst einer genauen Untersuchung, um Klarheit über die Arbeitsbedingungen
von Saisonkräften bei Amazon zu erhalten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales lässt derzeit durch
die Bundesagentur die Arbeit der betroffenen Zeitarbeitsfirma, die mit der deutschen Niederlassung des Internetversandhändlers Amazon zusammenarbeitet, auf
mögliche Verstöße gegen die rechtmäßige Durchführung
des AÜG überprüfen. Erste Ergebnisse werden in Kürze
erwartet.
({5})
- Ja, sie sind heute herausgekommen. Mittlerweile wehrt
sich das Unternehmen schon gegen die Begründetheit
der teilweise festgestellten Vorwürfe. - Gegenstand der
Prüfung ist unter anderem, ob die derzeit gültige Lohnuntergrenze von 7,50 Euro bzw. 8,19 Euro pro Stunde
vorliegend eingehalten wurde oder ob es beispielsweise
für Kost und Logis unzulässige Lohnabzüge gab.
Wenn die Opposition hier reflexartig abermals die
Forderung nach einem einheitlichen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro erhebt:
({6})
Wir sind schon viel weiter als ihr. Kommen Sie doch zu
uns! Wir haben mit der FDP zusammen in der Leiharbeit
einen Mindestlohn eingeführt.
({7})
Wir haben im Übrigen im Sommer mit den Gewerkschaften auch eine Verbesserung beim Equal Pay auf den
Weg gebracht. Wir haben erst gestern mit IG-MetallChef Berthold Huber ein Gespräch darüber geführt, wie
die zeitlich befristete sukzessive Angleichung der Löhne
bei Leiharbeitsfirmen in Stammunternehmen wirkt. Er
hat gesagt, das funktioniere hervorragend. Die Gewerkschaften, denen wir mehr zutrauen als die Linken oder
die SPD, haben einen guten Weg vorgegeben, wie wir
Equal Pay sukzessive erreichen können und die Ausbeutung von Leiharbeitern in Stammunternehmen verhindert werden kann.
Meine Damen und Herren, sollte sich der Verdacht
bestätigen und für Amazon tätige Zeitarbeitsunternehmen gegen das Gesetz verstoßen haben, so stehen ausreichend gesetzliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die betroffenen Zeitarbeitsfirmen, denen ein
Missbrauch nachgewiesen werden kann und die beispielsweise nicht nachweisen können, dass der Mindestlohn gezahlt oder die Sozialbeiträge ordnungsgemäß abgeführt worden sind, haben mit erlaubnisrechtlichen
Konsequenzen zu rechnen. Auch dabei bin ich unserer
Arbeitsministerin sehr dankbar, die deutlich mit dem
Entzug der Erlaubnis für die Zeitarbeitsunternehmen gewunken hat und das auch konsequent umsetzen wird.
Meine Damen und Herren, wenn Frau Kollegin
Lösekrug-Möller eine flächendeckende Überwachung
aller Unternehmen fordert, die sich im Bereich der Zeitarbeit betätigen, bin ich ein bisschen skeptisch. Wir
kommen wieder sehr schnell in einen sehr reglementierten Überwachungsstaat. Wir sind froh und dankbar, dass
bei Anhaltspunkten die Kontrolle funktioniert hat. Wir
werden uns allerdings Gedanken darüber machen müssen, warum sich im Fall von Amazon beispielsweise die
aus Spanien, aus Polen kommenden
Herr Kollege.
- sofort, Frau Kollegin ({0})
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht eher getraut
haben, diese Vorgänge publik zu machen, warum hier
überhaupt erst ein Fernsehteam darauf hinweisen
musste. Wir werden uns weiter Gedanken darüber machen müssen, wie wir es erreichen können, dass sich mit
unseren Sozialgesetzen vielleicht noch nicht so bewanderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Missständen entsprechend an uns wenden können.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr herzlich für
Ihr freundliches Räuspern hinter mir und für die Geduld
mit mir. Sie können davon ausgehen, dass wir als christlich-liberale Koalition das Problem einem ordnungsgemäßen, vernünftigen Ende zuführen werden.
Danke schön.
({1})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe auf die Zusatzpunkte 2 a und b:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der EU-geführten
militärischen Ausbildungsmission EUTM Mali
auf Grundlage des Ersuchens der Regierung
von Mali sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP
des Rates der Europäischen Union ({0}) vom
17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in
Verbindung mit den Resolutionen 2071 ({1})
und 2085 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksache 17/12367 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Internationalen
Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung ({4}) auf Grundlage der
Resolution 2085 ({5}) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen
- Drucksache 17/12368 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu ist verabredet, eine Stunde lang zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann
haben wir das so beschlossen.
Als Erstem gebe ich das Wort dem Bundesminister
der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.
({7})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das weitere Vorgehen in Mali, und das - wenn ich mir den Hinweis erlauben darf - auch zu einer guten Tageszeit.
Zunächst: Es war richtig und wichtig, dass Frankreich
zügig gegen den Vormarsch der islamistischen Kämpfer
in den Süden Malis vorgegangen ist. Für die schnelle
Entschlusskraft Frankreichs habe ich persönlich großen
Respekt. Frankreich hat zwei Soldaten verloren, erst gestern den zweiten. Unser Beileid gilt den Angehörigen
und Frankreich. Es war auch richtig, dass wir, wir Deutschen, schnell auf der Ebene unterhalb der Einsatzschwelle mit Transportkapazität denjenigen geholfen haben, die überhaupt keine Transportkapazität hatten,
nämlich den afrikanischen Staaten.
Aber auf dem Weg zur nachhaltigen Beilegung des
Konflikts in Mali war die militärische Intervention erst
der Beginn eines Weges, eines militärischen, eines politischen, eines ökonomischen, vielleicht auch eines religiösen Weges. Mein Kollege Westerwelle wird zu den
politischen Aspekten natürlich gleich noch vortragen.
Mali selbst muss seinen Bürgerinnen und Bürgern Frieden und Stabilität gewährleisten können. Aber bis malische Streitkräfte und Sicherheitskräfte diese Stabilisierungsaufgabe allein erfüllen können, brauchen sie
Ausbildung und Hilfe.
Mit der europäischen Ausbildungsmission wollen wir
unsere afrikanischen Partner so stärken, dass es künftig
nicht mehr zu einem Machtvakuum kommen kann und
sie selbst in der Lage sind, solche Krisen möglichst eigenständig zu meistern. Dabei gilt es, den malischen
Streitkräften - ehrlich gesagt - ziemlich grundlegende
Fähigkeiten zu vermitteln und zunächst einmal vier malische Gefechtsverbände auszubilden und ihnen das beizubringen, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte können müssen.
Die europäische Ausbildungsmission wird ihre Arbeit
zunächst in Bamako und am Ausbildungsort Koulikoro
aufnehmen. Neben insbesondere der Pionierausbildung
stellen wir die sanitätsdienstliche Versorgung sicher und
unterstützen auch im Bereich der Sanitätsausbildung. Es
werden auch einige Offiziere im Hauptquartier sein. Es
kommt ein Unterstützungselement hinzu, dessen Größenordnung wir noch nicht genau kennen, weil es erst
nach Abschluss der näheren Erkundungen festgelegt
werden kann. Insgesamt bitten wir um die Zustimmung
zu einer Höchstgrenze von bis zu 180 deutschen Soldatinnen und Soldaten bei EUTM.
Die Dauer des Einsatzes wird zunächst auf ein Jahr
befristet sein. Ich sage ausdrücklich „zunächst“, denn die
Erfahrung zeigt, der Aufbau von nachhaltig friedenserhaltenden Strukturen, gerade auch der Aufbau von Sicherheitsstrukturen ist hochkomplex und dauert meist
länger, als man sich das vorher in seinen Planungen
überlegt und zurechtgelegt hat. Wir brauchen wohl Geduld und Ausdauer.
Meine Damen und Herren, der Sicherheitsrat hat mit
der Resolution 2085 die internationale Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung, AFISMA,
mandatiert. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert,
das zu unterstützen. Ziel von AFISMA ist es, die malische Übergangsregierung bei der Wiederherstellung ihrer Autorität sowie beim Schutz der Bevölkerung zu unterstützen. Wir wollen mit dem zweiten Mandat, das wir
Ihnen heute vorlegen, die deutschen Unterstützungsleistungen zusammenfassen. Alle deutschen Unterstützungsleistungen für AFISMA und damit auch für Frankreich erfolgen auf der Grundlage der Resolution 2085
des Sicherheitsrates. Bestehende Einsatzbeschränkungen
werden aufgehoben.
Die Bundeswehr leistet logistische Unterstützung
durch Lufttransport und Luftbetankung. Die bisher unterhalb der Einsatzschwelle eingesetzten Lufttransportfähigkeiten werden in das Mandat einbezogen. Transportunterstützung erfolgt durch die ECOWAS- und
Anrainerstaaten nach Mali und innerhalb Malis. Die Personalobergrenze für diese Mission liegt bei 150 Soldatinnen und Soldaten. Damit kommen wir auch der Bitte
Frankreichs nach, Luftbetankung für französische Flugzeuge bereitzustellen, die AFISMA unterstützen. So
können die französischen Flugzeuge bei ihren Unterstützungsflügen für AFISMA in der Luft betankt werden.
Die Zertifizierung ist seit einigen Tagen abgeschlossen.
Die Entscheidung der Bundesregierung, um deren Zustimmung wir Sie in den Beratungen auch in der nächsten Woche bitten, ist gut überlegt. Sie ist eindeutig. Sie
ist international abgestimmt, und sie ist verantwortbar.
Ich füge hinzu: Wenn wir Soldaten in einen Einsatz schicken, dann ist das eine ernste Angelegenheit. EUTM ist
ein Ausbildungseinsatz. AFISMA ist ein logistischer
Unterstützungseinsatz, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Jeder Einsatz kann für unsere Soldaten vor Ort gefährlich werden. Asymmetrischen Bedrohungen müssen
wir begegnen und uns gegen sie wappnen. Ich will darüber keinerlei Illusionen verbreiten.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ich erlaube Ihnen gerne, Herr Ströbele, eine Zwischenfrage zu stellen. Das vermeidet eine Kurzintervention.
Herr Ströbele, bitte schön.
Danke, Herr Minister, dass Sie Ihren Redefluss etwas
unterbrochen haben. - Sie sagen, dieser Einsatz ist gut
überlegt. Nun hat Deutschland bis vor ungefähr einem
Jahr dieselbe Armee in Mali ausgebildet. Diese Ausbildung wurde dann beendet, weil diese Armee die Regierung weggeputscht hat. Nun sagen Sie ein Jahr später,
dass wir diese Armee, die geputscht hat und die wir nicht
mehr ausbilden wollten, weil sie geputscht hat, unterstützen wollen, obwohl damals nicht nur die Ausbildung zurückgeführt wurde, sondern auch die sonstige Unterstützung der Regierung in Mali beendet bzw. reduziert
wurde. Können Sie mir erklären, warum eine Armee, deren Angehörige zwischenzeitlich zu Tausenden zu den
Islamisten übergelaufen sind und sich noch vor ein paar
Tagen in einem Armeestützpunkt nahe Bamako gegenseitig beschossen haben, ausgebildet und ihr beigebracht
werden soll, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte
- so habe ich mir Ihre Aussage notiert - leisten können?
Warum ist dieser Armee nicht zuvor beigebracht worden, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte leisten können? Wieso gehen Sie nun davon aus, dass diese Truppe
durch die Ausbildung der Bundeswehr besser wird? Das
will mir nicht in den Kopf. Verlassen Sie sich allein darauf, dass die dortigen Streitkräfte sagen: „Wir wollen
jetzt immer lieb sein“?
Nein, Herr Abgeordneter Ströbele, Sie haben die Erklärung eigentlich selbst gegeben: Die malischen Streitkräfte sind in keinem guten Zustand. Wir waren mit vier,
fünf, sechs Soldaten dabei und haben Pioniere ausgebildet. Ehrlich bzw. etwas arrogant gesagt: Die, die wir ausgebildet haben - wir haben zu ihnen noch ein bisschen
Kontakt -, gehören sicherlich zu den Besseren der malischen Streitkräfte,
({0})
aber es waren eben nur wenige.
Herr Ströbele, ob es überhaupt die Armee ist, die ausgebildet wird, oder ob es malische Staatsbürger sind, die
wir erst zu Soldaten machen und zu einer Streitkraft zusammenführen, das wird man vor Ort sehen. Der Zustand ist so, dass dieses Land endlich demokratisch und
rechtsstaatlich geführte Streitkräfte braucht. Solche hat
es bisher nicht, und diese kann das Land nicht aus eigener Kraft schaffen - aus den Gründen, die Sie geschildert haben: Die Soldaten haben sich untereinander beschossen. Der Hauptmann Sanogo weiß nicht, wem
seine Loyalität gehört. Die Regierung ist zu schwach,
um die Streitkräfte zu führen.
Deswegen ist es richtig, dass die Europäische Union
mit rund 200 Ausbildern konsequent, konsolidiert und
rechtsstaatlich die malischen Streitkräfte nun einer Entwicklung zuführt, die das verhindert, was zu dem geführt
hat, was es jetzt gibt. Das ist genau der Auftrag.
({1})
Meine Damen und Herren, zu einer offenen und ehrlichen Debatte um Mali gehört auch die Erkenntnis, dass
wir dort - ich sagte es zu Beginn - sicher erst am Anfang
eines langen Weges stehen. Streitkräfte können und müssen jetzt einen unverzichtbaren Beitrag leisten, aber es
bleibt nur ein Beitrag. Und ich ergänze: Auf die längerfristige Entwicklung in Mali werden wir Europäer wohl
eher nur einen begrenzten Einfluss haben. Den Einfluss,
den wir haben, sollten wir aber nutzen, um die Menschen
in Mali nach besten Kräften beim Wiederaufbau ihres eigenen Staates zu unterstützen.
Unsere Soldaten brauchen unsere Unterstützung. Unsere guten Wünsche begleiten sie auf ihrem Weg. Ich
bitte Sie alle um breite Zustimmung zu den beiden Mandaten - so wie es sich ja abzeichnet - auf dem Weg zu einem besseren Mali.
Vielen Dank.
({2})
Rainer Arnold hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist in der Tat ein gemeinsames europäisches Interesse, dass im nördlichen Afrika die Stabilität nicht
weiter zerbricht. Staatszerfall mit Rückzugsräumen für
internationale Terroristen, für Gotteskrieger, die dort
Ausbildung betreiben, betrifft uns im Augenblick mittelbar - mit Flüchtlingsströmen, mit schwerster Kriminalität, mit Entführungen in dieser Region -, würde uns aber
sehr bald auch sehr direkt betreffen, weil die Agenda der
sogenannten Gotteskrieger im Sahel eine globale ist. Sie
bekämpfen unsere offenen demokratischen Gesellschaften, unsere Art, zu leben. Dies ist kein Problem für
Frankreich alleine; es ist in der Tat ein gemeinsames europäisches Problem.
Richtig ist aber schon: Die französischen Partner haben aufgrund ihrer Geschichte, ihrer manchmal auch besonderen Interessenlage in dieser Region besondere Verantwortung. Sie haben aber auch besondere Expertise
und Erfahrung sowie besondere militärische Fähigkeiten. Deshalb war es richtig und gut - das muss man hier
ausdrücklich sagen -, dass die französischen Partner entschlossen reagiert und eben nicht zugewartet haben, bis
das ganze Land Mali in die Hände derer fällt, die mit ihren Waffen die Menschen am brutalsten unterdrücken.
Richtig ist auch: Würde Europa, würde Deutschland
Frankreich allzu sehr alleinlassen, würde damit auch
eine wichtige Idee, nämlich die Idee einer vertieften europäischen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die dringend notwendig ist, massiv beschädigt.
({0})
An dieser Stelle, wo es um die Entwicklung hin zu einer
vertieften europäischen Sicherheitspolitik geht, würde
ich mir durchaus ein bisschen größere Ambitionen der
Bundesregierung wünschen. Ich sage: Für uns Sozialdemokraten ist dieses Argument auch ein Argument dafür,
dass wir am Ende diese Mandate mit möglichst breiter
Mehrheit verabschieden.
({1})
Wir wollen bei der Debatte nicht nur zurückschauen.
Ich habe auch nicht diesen Oppositionsreflex, dass man
immer dagegen sein muss, wenn die Regierung etwas
vorschlägt. In der Sicherheitspolitik sehen wir eine gemeinsame Verantwortung. Aber wir müssen schon an
etwas erinnern, vor allen Dingen den Herrn Außenminister: Der Start dieser Debatte war bei der Bundesregierung äußerst - äußerst! - holprig. Was Sie ursprünglich mit den beiden Fliegern geplant hatten, war in
keiner Weise ausreichend. Wir haben Ihnen vorausgesagt, dass die zwei Transall nicht reichen werden, weil es
den deutschen Interessen und der deutschen Verantwortung nicht gerecht wird.
Die Bundesrepublik hat bei den Vereinten Nationen
beiden Resolutionen zugestimmt, und nun muss man
auch konsequent sein.
({2})
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Deutschland
Frankreich ein bisschen unterstützt, aber es im Grunde
genommen den Franzosen überlässt, ambitioniert dafür
sorgen, dass es am Ende gelingt und erfolgreich wird.
Ich wünsche mir schon, dass sichtbar wird: Wir haben
ein gemeinsames Interesse, eine gemeinsame Aufgabe,
dass Mali wieder zurück auf den stabilen Weg geführt
wird, auf dem das Land übrigens in den letzten 15 Jahren
vor dem Hintergrund der Fragilität in dieser Region
durchaus war.
Der Minister der Verteidigung hat dieses Mandat
heute vorgestellt; dazu brauche ich gar nicht mehr viel
zu sagen. Ich bin durchaus der Auffassung, dass der Umfang und auch die Definition des Auftrages, dass die
Ausweitung, auch Sanitätssoldaten dorthin zu schicken,
richtig sind und dass es auch notwendig ist, die bisherigen Kapazitäten im Lufttransport endlich in ein korrektes Mandat, das vom Deutschen Bundestag abgesegnet
wird, zu bringen. Das haben wir Ihnen zu Beginn auch
gesagt. Wenn Sie es jetzt nachgelagert heilen, ist dies sicherlich richtig.
({3})
Für die Debatte um Mali gilt für uns alle aber auch,
ganz bewusst die Lehren aus Afghanistan zu ziehen.
Die erste ist, nicht zuzuwarten, bis ein Land in die
Hände von fundamentalistischen Islamisten fällt, die uns
dann bedrohen, indem sie Rückzugsräume für Terroristen zur Verfügung stellen.
Die zweite Lehre ist, nicht zu glauben, dass man einfach von außen mit 130 000 Soldaten kommen und ein
Land stabilisieren kann. Es ist ganz klar: Es war in Afghanistan und es ist jetzt von vornherein in Mali der
richtige Weg, örtliche Sicherheitskräfte zu qualifizieren
und sie, wo es sein muss, auch auszustatten sowie regionale Sicherheitsarchitekturen in jeder Hinsicht zu stärken.
Die dritte Lehre ist: Wir haben in Afghanistan deutlich gemerkt, dass Militär zwar Zeitfenster offenhalten
kann, damit andere Akteure - Diplomaten, Zivilgesellschaft, Teilhaber an wirtschaftlichen Beziehungen - die
Prozesse voranbringen können; aber Militär kann letztlich die Probleme nicht lösen. Deshalb sind die politischen Prozesse vom ersten Tag an entscheidend.
Der deutsche Außenminister hat zu Beginn der MaliDebatte im Grunde genommen dreimal am Tag gesagt:
Es bedarf politischer Prozesse. - Das ist nicht falsch. Sie
haben ja nachher Gelegenheit zu reden, Herr Minister.
Wir wünschten uns schon, dass Sie dann auch einmal ein
bisschen liefern und erklären, was die Deutschen tun, um
diese politischen Prozesse in Mali voranzubringen. Was
ist mit der Roadmap, die beschlossen worden ist? Ist es
richtig, bereits im Juni Wahlen abzuhalten, oder muss
man sich nicht die Zeit nehmen, damit die Registrierung
zur Wahl möglich wird und die Seriosität und die demokratischen Prinzipien der Wahl von den Menschen eingesehen und akzeptiert werden können? Wie gehen wir
mit der komplizierten Situation um, dass die MNLA, die
Tuareg-Aufständischen jetzt wieder in die Prozesse eingebunden werden, wir aber doch gleichzeitig hören, dass
sie im Land in der Breite eben keine Akzeptanz in der
Gesellschaft haben? Ich weiß, es gibt keine einfachen
Antworten. Aber dazu müssten Sie sich schon einmal
äußern.
Wir würden auch gern einmal hören, was die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit tut bzw. wie sie sich verstärkt engagiert, um den Malis und den Nachbarstaaten
zu helfen, mit den unglaublichen Flüchtlingsströmen
umzugehen. Natürlich erwarten wir auch, dass Sie sich
zu der UN-Mission - es wäre ja richtig, wenn sie im
März beschlossen würde - entsprechend äußern.
Viele haben gesagt - die Linken tun es auch heute
wieder -: Verhandeln ist das Maß der Dinge. - Natürlich
ist Verhandeln immer besser, als Militär einzusetzen.
({4})
- Das ist eine Binsenweisheit, Herr Kollege. - Aber ich
frage mich schon: Wann merken die Linken - vielleicht
irgendwann doch -, dass Verhandeln zwar besser ist,
dass man aber Partner auf der anderen Seite braucht, mit
denen man noch verhandeln kann, die überhaupt noch
die Freiheit haben, zu verhandeln? Hätte Frankreich, wie
Sie forderten, in Mali zugeschaut und nicht verhindert,
dass das ganze Land unter die Fittiche von fundamentalistischen Gotteskriegern gerät, dann hätten Sie auch niemanden zum Verhandeln gehabt.
({5})
Es ist doch klar: Mit manchen Tuareg-Gruppen und über
deren durchaus akzeptable Interessen kann und muss
man in Mali reden. Aber glauben Sie wirklich, dass Sie
mit islamistischen Fundamentalisten, die nichts anderes
vorhaben, als die Region zu destabilisieren und unsere
Art zu leben zu bekämpfen,
({6})
über irgendetwas verhandeln können? Will Gregor Gysi
jetzt auch einmal nach Mali fahren, um diese Probleme
zu lösen?
({7})
Nein, ich wünsche mir, dass die Linken der Wirklichkeit
ein bisschen mehr ins Auge schauen.
Herr Kollege!
Wir in den anderen Fraktionen sehen die gemeinsame
Verantwortung. Meine Fraktion wird nächste Woche darüber beraten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es am
Ende eine breite Akzeptanz für die Wahrnehmung dieser
Aufgabe geben wird.
Herr Kollege!
Ich komme zum Ende. - Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass wir die Bundesregierung kritisch, aber konstruktiv ermuntern, den politischen Prozess in Mali aktiver zu gestalten.
Herzlichen Dank.
({0})
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Kollege Arnold, zunächst eine
Bemerkung vorab: Dass Sie angekündigt haben, dass Sie
die Mandate, die die Bundesregierung in Person des Verteidigungsministers eben hier eingebracht hat, mutmaßlich unterstützen werden, begrüße ich natürlich. Ich verstehe auch, dass Sie das eine oder andere Wort nach
innen an Ihre eigene Partei richten müssen und Fragen
aufwerfen, die keine deutsche Bundesregierung beantworten kann. Wären wir als Bundesregierung in der
Lage, Ihnen ein Patentrezept mit entsprechenden Fahrplänen vorzulegen,
({0})
wie die Stabilität und der Frieden in der gesamten Sahelregion wiederhergestellt werden könnten, würden wir
keinen Augenblick zögern.
Wir wollen auch nicht so tun, als sei dies eine Angelegenheit, die allein von Europa aus beeinflusst oder gestaltet werden könnte. Letzten Endes geht es auch bei
diesem Mandat darum, dass wir Europäer erkennen müssen, dass das hier, wie es auch die Vereinten Nationen
beschlossen haben, zuallererst in afrikanischer Verantwortung liegt. Wir sind betroffen; aber es ist in afrikanischer Verantwortung. Deswegen trainieren und bilden
wir die Afrikaner so aus, dass sie ihren eigenen Beitrag
zur Stabilisierung im Norden Malis wahrnehmen können. Aber wir können nicht alles leisten, und wir dürfen
gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern auch nicht
die Illusion erwecken, als sei der Deutsche Bundestag in
der Lage, allein die Mali-Krise zu lösen.
({1})
Das sind wir nicht. Wir leisten einen Beitrag, und alles
andere ist für das eigene heimische Parteipublikum, aber
dieser Debatte nicht angemessen.
Drei Ursachen haben uns in diese Lage gebracht.
Wenn ich „uns“ sage, dann unterstütze ich ausdrücklich
auch das, was Sie, Herr Kollege Arnold, und auch der
Verteidigungsminister Thomas de Maizière gesagt haben.
Erstens. Wir als Europäer sind betroffen, weil der
Norden Malis eine Staatsgrenze vom Mittelmeer entfernt
ist. Wir können nicht zusehen, wie im Norden Malis ein
sicherer Hafen für den Terrorismus gebaut wird, der
dann wiederum auch für uns eine Bedrohung in unserem
eigenen Land in Mitteleuropa bedeutete. Dies ist der eigentliche Grund für das Mandat, und das müssen wir
auch unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen. Wir helfen also nicht nur altruistisch Menschen vor Ort - das
tun wir auch -, sondern in einer zusammenwachsenden
Welt geht es auch darum - vor allen Dingen das müssen
wir unseren eigenen Bürgerinnen und Bürgern sagen -,
unsere Freiheit, unsere offene Gesellschaft und die Art,
wie wir in Europa leben, zu verteidigen.
({2})
Dies beschreibt die Aufgabe, die jetzt im Norden Malis
wahrgenommen wird.
Die Schwierigkeiten sind kurzfristig durch den Putsch
im März letzten Jahres entstanden. Dies hat dazu geführt, dass eine massive Auseinandersetzung stattgefunden hat, in der die ohnehin sehr schwachen staatsorganisatorischen Kräfte noch einmal geschwächt worden sind.
({3})
Es hat - darauf haben Sie, Herr Kollege Ströbele, auch
keine Antwort - innerhalb der malischen Armee also erhebliche Kämpfe und Auseinandersetzungen gegeben.
({4})
- Ich komme darauf. - Dies einfach zu sagen und dann
nichts zu tun, ist die falsche Schlussfolgerung.
({5})
- Herr Kollege Ströbele, wirklich! Nur weil man einen
Panorama-Bericht gesehen hat, hat man sich mit diesem
Thema noch nicht richtig befasst. Das muss ich Ihnen
wirklich einmal sagen. Das, was Sie hier einbringen, ist
sehr oberflächlich.
({6})
Zweitens. Das, was in Libyen stattgefunden hat, hat
enormes Potenzial an Kraft und Gewalt und leider auch
an Waffen und an Geld in Umlauf gesetzt.
({7})
Dies hat zusammen mit dem Putsch, der im März stattfand, den Konflikt natürlich noch einmal zugespitzt.
Jetzt kommen wir zu dem, worüber ich hier eigentlich
sprechen möchte, nachdem der Verteidigungsminister
das Mandat, wie ich finde, richtigerweise umfassend begründet und eingebracht hat: Die eigentliche Ursache,
die Hauptursache, auf die wir uns im politischen Prozess
konzentrieren müssen, liegt darin, dass die Benachteiligung des Nordens als eine gesamtstaatliche Aufgabe angegangen werden muss. Das heißt, die Situation Malis
nördlich des Nigerbogens zeigt nicht erst neuerdings,
sondern mindestens seit dem Tuareg-Aufstand in den
90er-Jahren, dass die Bevölkerung dort berechtigterweise das Gefühl hat, dass sie unterprivilegiert ist, dass
sie vom Kernland Mali nicht ausreichend berücksichtigt
wird und dass sie an der besseren wirtschaftlichen Entwicklung im Kernland Malis nicht teilhat. Das hängt
auch sehr stark mit den Grenzen, die gezogen worden
sind, zusammen. Wir wissen natürlich alle, was dies mit
der europäischen Geschichte zu tun hat. Das wollen wir
nicht verschweigen. Die Menschen, die dort leben, haben nicht die soziale und die wirtschaftliche Teilhabe.
Ich war dort und habe Gespräche geführt. Ich habe
auch mit den Repräsentanten der Tuareg gesprochen. Sie
sagten: Verwechseln Sie nicht diejenigen, die jetzt
kämpfen, mit uns und unseren berechtigten Interessen.
Wir haben mit diesen Terroristen nichts zu tun. Es sind
in weiten Teilen Terroristen aus dem Ausland, die in das
Land hineingebracht worden sind
({8})
und die uns jetzt quälen und unterdrücken. - Das ist die
eigentliche Ursache. Darauf konzentriert sich auch der
politische Prozess.
Herr Kollege Arnold, natürlich ist die Frage bezüglich
der Roadmap, die Sie aufwerfen, berechtigt. Die Road27460
map ist übrigens mit europäischer und deutscher Unterstützung verabschiedet worden. Wir haben über die
Roadmap gesprochen. Wir haben mit den Betroffenen
verhandelt. Diese Roadmap sieht vor, dass man zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehrt. Das beantwortet
übrigens auch Ihre Frage, Herr Kollege Ströbele. Nur die
Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung wird auch
staatliche Ordnungskraft wiederherstellen und dafür sorgen, dass ein Primat der Politik in der Lage sein wird,
zum Beispiel Streitkräfte einzusetzen und nach innen
wie nach außen zu kontrollieren. So ist es.
Es ist richtig, die Frage zu stellen: Sind Wahlen im
Sommer möglich? Nach den Gesprächen, die ich mit
François Hollande und vor allem mit dem Außenminister Laurent Fabius am Montag geführt habe, ist mein
Eindruck, dass die Franzosen und die afrikanischen Partner die Herausforderung, ob ein solcher Wahlprozess
zum avisierten Zeitpunkt möglich ist, sehr genau sehen.
Was ist aber die Alternative? Die Wahlen abzusagen und
in eine Jahreszeit zu verschieben, in der man über
Monate nicht mehr wählen kann? Das funktioniert nicht.
Deswegen wäre es falsch, wenn wir die Roadmap, die
gerade in Mali beschlossen worden ist, von Europa aus
infrage stellen würden, weil wir Zweifel haben. Das
Wichtigste ist, dass der politische Prozess in Gang gekommen ist. Dazu zählt die Roadmap. Die Bundesregierung unterstützt diesen politischen Prozess und auch
diese Roadmap und stellt sie nicht infrage. Es ist nämlich wirklich der Hoffnungsschimmer in einer ohnehin
sehr schweren Lage, meine sehr geehrten Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Wir werden natürlich bei der Umsetzung der Roadmap helfen. Das haben wir angeboten. Das ist nichts
Neues. Das haben auch die Regierungen vor uns getan.
In den 90er-Jahren hat Deutschland eine wichtige Rolle
gespielt, zum Beispiel beim politischen Vermittlungsprozess. Diese werden wir wieder einnehmen. Die europäische Entwicklungszusammenarbeit hat den Kontakt
mit Mali wieder aufgenommen. Das heißt, dort, wo die
Roadmap sichtbar ist, also der politische Prozess begonnen hat, den wir bei früheren Debatten im Deutschen
Bundestag zu diesem Thema verlangt haben, sind wir
umgekehrt bereit, die Entwicklungszusammenarbeit
wieder aufzunehmen und zu forcieren. Das ist auch für
die Menschen wichtig, weil im Norden oftmals schon
wenig eine ganze Menge ist, um soziale, politische und
wirtschaftliche Partizipation voranzubringen.
Auf die beiden Mandate muss ich nicht mehr eingehen, weil sie umfassend begründet worden sind. Im
Zusammenhang mit dem politischen Prozess muss man
sich schon mit etwas Hintergrund und Tiefgang mit diesen Themen befassen. Ich möchte Ihnen nur mitteilen,
verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass derzeit in New
York bei den Vereinten Nationen diskutiert und erörtert
wird, ob das zweite Mandat, also nicht das europäische
Ausbildungsmandat, das von europäischer Ebene auf
15 Monate angelegt worden ist - wir legen es auf
12 Monate an, weil das die Regelung zwischen Bundestag und Bundesregierung ist -, sondern das unmittelbare
logistische Unterstützungsmandat - so nenne ich es einmal -, in eine Blauhelmmission überführt werden kann.
Ich kündige das hier nicht an - das habe ich den Obleuten in unserem Gespräch am Dienstag auch gesagt -,
will Sie aber nicht im Unklaren darüber lassen.
Herr Gehrcke, Sie wissen das: Ich habe da nie etwas im
Unklaren gelassen. Wir beraten derzeit darüber, ob es ein
solches Blauhelmmandat der Vereinten Nationen geben
wird. Das wäre aber frühestens ab Mai möglich, und bis
dahin können wir weder die Afrikaner noch die Franzosen im Stich lassen.
Deswegen ist es richtig, dass wir so handeln, wie vorgesehen, und die Afrikaner befähigen. Ich glaube, es ist
auch für die Franzosen die beste Form der Unterstützung, jetzt die Afrikaner zu befähigen, ihrer eigenen Verantwortung in Mali nachzukommen. Das tun wir im
Rahmen eines sehr gut überlegten politischen Prozesses.
Hier stellen sich viele Fragen, die weder die deutsche
Regierung noch, wie ich glaube, irgendeine Regierung
der Welt derzeit beantworten kann. Dennoch ist es richtig, dass wir so handeln. Es versteht sich von selbst, dass
wir jederzeit bereit sind, mit dem Bundestag zu reden
- vielleicht auch über ein neues Mandat -, wenn sich
Dinge, zum Beispiel in New York, verändern. Sie sehen:
Es handelt sich eben nicht um eine Politik, die sich ausschließlich auf das Mandat konzentriert. Vielmehr ist
und bleibt der politische Prozess im Vordergrund unserer
Bemühungen. Er birgt die einzige Möglichkeit, langfristig für einen Ausgleich und für eine Stabilisierung in
Mali zu sorgen.
Damit wir uns hier nicht missverstehen, sage ich Ihnen nur eines: Es verhält sich genau so, wie es der Bundesverteidigungsminister gesagt hat. Das Mandat ist
ernst. Auch die Lage in Mali ist ernst. Ich fürchte, wir
werden in den nächsten Monaten und Jahren über islamistischen Terror und über den Aufbau neuer Terrorzellen, und zwar an Stellen, die wir heute gar nicht auf dem
Radarschirm haben, reden müssen. Dennoch ist es richtig und auch geboten, dass wir jetzt so handeln, damit
wir unseren Beitrag dazu leisten, dass vor unserer Haustür keine Bedrohung für uns, unsere eigene Sicherheit
und unsere offene Gesellschaft entsteht. Diese Menschen
werden nicht von uns angegriffen, sondern sie wollen
unsere offene Art zu leben bekämpfen. Da müssen wir
eine wehrhafte Demokratie sein, nach innen wie nach
außen.
Danke schön.
({10})
Wolfgang Gehrcke hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann vieles von dem teilen, was hier von der Analyse
her gesagt worden ist - darauf werde ich zurückkommen -, aber komme zu anderen Schlussfolgerungen. Die
Linke wird den beiden Anträgen, die bedeuten, dass bis
zu 330 Bundeswehrsoldaten - das ist die Obergrenze in den Einsatz in Mali geschickt werden, nicht zustimmen; wir werden sie ablehnen. Für uns bleibt es dabei:
Es werden in der Politik falsche Schwerpunkte gesetzt.
Dazu möchte ich ein bisschen argumentieren.
Erstens. Der Außenminister war hier gefordert, zur
Politik zu reden. Es ist eine interessante Arbeitsteilung,
Herr Westerwelle, die Sie hier akzeptieren: Der Verteidigungsminister ist für das Militär zuständig; dazu äußern
Sie sich nicht. Und während der Verteidigungsminister
wenig zur Politik sagt, äußern Sie sich dazu. Ich hätte
mehr erwartet.
Meine Fraktion möchte, dass die Bundesregierung andere Schwerpunkte setzt. Ich möchte, dass die Bundesregierung hier deutlicher macht, welche diplomatischen
Initiativen tatsächlich unternommen werden. Ich
möchte, dass es mehr gibt als nur eine Reise des Außenministers. Dazu, wie es zu einer Aussöhnung und zu
einer Verbesserung der Situation in Mali kommen soll,
haben Sie überhaupt nichts gesagt.
({0})
Wer sich etwas mit der Situation in Mali beschäftigt
hat und mehr als eine Panorama-Sendung gesehen hat
- Sie haben sie offensichtlich auch gesehen -, konnte
seit langem mitbekommen, dass sich in Mali etwas zusammenbraut; und es gab keine politische Reaktion darauf. Ich stelle mir angesichts dessen selbst die Frage
und möchte sie auch Ihnen stellen: Brauchen wir nicht
eine ganz andere Friedens- und Konfliktforschung, um
solch einer Entwicklung längerfristig vorzubeugen oder
sie zu bekämpfen? Ist das nicht eine Frage, die hier erörtert werden muss? Brauchen wir nicht eine andere Entwicklungsarbeit, die zu einer gerechteren Verteilung des
Reichtums auch in solchen Ländern beitragen kann? Das
muss zumindest thematisiert werden.
({1})
Auch nachdem ich hier die Reden der beiden Minister
gehört habe, habe ich den Eindruck, dass leider auch für
die Bundesregierung gilt: Soldaten vor Diplomaten. Für
uns gilt umgekehrt: Diplomaten vor Soldaten. Das erachten wir für politisch notwendig.
({2})
Meine zweite Überlegung. Ich möchte ja, dass in Mali
geholfen wird. Ich habe von der Bundesregierung erwartet, dass sie etwas mehr zu dem sagt, was sie den Vereinten Nationen vorschlägt. Ich will nur einige Fakten nennen: Mali leidet darunter, dass es wie die ganze SaharaRegion über einen großen Reichtum an Ressourcen, über
Naturreichtümer verfügt. Da wird der Reichtum - Uran,
Gold, Phosphate, Bauxit - zum Fluch. Man muss sich
dann vor Augen führen, dass in Mali 500 000 Hektar
Land an internationale Konzerne zum Anbau von Erdnüssen und nachwachsenden Rohstoffen verkauft worden sind. Der Verkauf weiterer 400 000 Hektar steht
jetzt an. Auch diese ökonomischen Probleme führen
dazu, dass es zu solchen politischen Auseinandersetzungen kommt. Die alte Kolonialmacht Frankreich - das
sage ich ganz offen - ist für diese Zustände mitverantwortlich. Sie ist daher nicht geeignet, diese zu beheben.
({3})
In dieser Situation müssen die Vereinten Nationen eine
Rolle einnehmen; und das muss auch von der Bundesregierung gefordert werden.
Drittens gibt es natürlich auch eine innenpolitische
Auseinandersetzung; das verhehle ich überhaupt nicht.
Ich bin dagegen, dass immer mehr Soldaten in Auslandseinsätze geschickt werden. Herr Westerwelle, ich stehe
wieder vor dem Problem, dass ich Sie verteidigen muss.
Das tut mir furchtbar leid, das wird auch Ihnen unangenehm sein. Ich habe im Spiegel gelesen, dass der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, im Gespräch mit
einem US-Vertreter bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat:
„Der pazifistische Westerwelle“, der sich bei internationalen Konflikten gern heraushalte …
Das hat Cem Özdemir gesagt, das ist nicht dementiert
worden. Wenn Sie Pazifist wären, dann würde ich gerne
sagen: Willkommen im Klub!
({4})
Da könnten wir uns gut treffen.
({5})
Aber ich glaube es ja nicht. Ich fand es nur ganz interessant, dass Özdemir dazu gesagt hat: Ein grüner Außenminister hätte sich bei der militärischen Hilfe nicht so
bescheiden gegeben.
Ich glaube, es gibt hier eine gewisse Umkehrung. Es
war richtig, dass sich die Bundesregierung in der
Libyen-Frage enthalten hat. Das werde ich immer wieder verteidigen, auch wenn ich gerne ein Nein gehört
hätte. Ich möchte nicht, dass die Situation in Mali unter
außerordentlich lautem Geschrei dazu missbraucht wird,
noch mehr Militär zu schicken. Das ist die innenpolitische Auseinandersetzung. Wenn Sie also zum Pazifismus überlaufen: Herzlich willkommen! Dann können
wir uns freundlich verständigen.
({6})
Sie müssen aber noch eine weitere Frage beantworten. In den Mali-Mandaten ist der Einsatz von TransallMaschinen vorgesehen. Sie haben jetzt beantragt, den
Einsatz der Transall zu mandatieren. Sie hatten mich hier
früher einmal aufgefordert: Wenn ich der Auffassung
sei, dass der Einsatz der Transall rechtswidrig gewesen
sei, dann sollte ich klagen. Wäre es nicht anständig
gewesen, wenn Sie jetzt gesagt hätten: „Sie haben recht
gehabt, es war rechtswidrig, wir haben das jetzt korrigiert!“?
({7})
Ich habe mit Vergnügen gesehen, dass Sie es korrigiert
haben und jetzt ein Mandat beantragen; denn das Verfassungsgericht und andere sagen: Der Parlamentsvorbehalt
soll pro Parlament und nicht kontra Parlament ausgelegt
werden.
Ich will Ihnen ein letztes Problem vortragen. In der
Schilderung fängt alles so harmlos an. Ich habe überall
gelesen, dass Sie sagen: Es handelt sich nicht um einen
Kampfeinsatz. Ich sage Ihnen: Wer Soldaten einer gespaltenen Armee für einen Einsatz ausbildet, ist Teil des
Kampfes. Erzählen Sie der Bevölkerung doch keinen
Unsinn.
({8})
Wer Flugzeuge zur Verfügung stellt, um militärische Güter und Soldaten zu transportieren, ist Teil des Kampfes
in Mali. Das ist ein Kampfeinsatz, und das sollten Sie
der Bevölkerung ehrlichkeitshalber auch sagen.
({9})
Ich nehme sehr ernst, was Sie zum Terrorismus und
zu den islamistischen Banditen gesagt haben. Sie müssen mir aber die Frage beantworten, warum Sie in Syrien
genau jene islamistischen Banditen mitfinanzieren und
unterstützen, die in Mali bekämpft werden. Das ist wieder diese Doppelbödigkeit. Dahinter ist keine Botschaft
zu erkennen.
({10})
Sie müssen mir auch beantworten, wieso man mit SaudiArabien, mit Katar und anderen Staaten weiterhin so gut
zusammenarbeitet, wo doch jeder weiß, dass Gelder aus
Saudi-Arabien, Katar und anderen Staaten in diese
Gruppen fließen. Wenn man hier keinen Strich zieht und
sagt: „Terrorismus muss politisch bekämpft werden“,
dann werden wir diese Probleme immer wieder haben.
Ich möchte gern, dass der Kampf gegen den Terrorismus ein Kampf gegen den Hunger ist. Das wäre ein sinnvoller Kampf.
({11})
Ich möchte gerne, dass der Kampf gegen den Terrorismus ein Kampf für soziale Gerechtigkeit ist. Ich möchte
gerne, dass man, wenn man gegen Terrorismus kämpft,
zugleich für kulturelle Vielfalt kämpft. Auch das hat eine
erhebliche Bedeutung.
Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnen
werden. Den Krieg gegen den Terrorismus, den Sie seit
Jahren führen - vieles erinnert mich an Afghanistan -,
werden Sie nicht gewinnen. Deswegen ist die politische
Richtung, die Sie eingeschlagen haben, falsch. Das
wollte ich Ihnen vortragen. Das hat meine Fraktion überzeugt. Deswegen werden wir dagegen stimmen. Ich
glaube nicht, dass ich Sie überzeugt habe, aber man soll
die Hoffnung ja nicht aufgeben.
Danke sehr.
({12})
Omid Nouripour hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über zwei Mandate für Einsätze der Bundeswehr in Mali: Zum einen geht es um eine Ausbildungsmission und zum anderen um die Unterstützung
von ECOWAS und der französischen Streitkräfte in
Mali.
Beide Mandate, beide Einsätze haben im Grunde ein
und denselben Hintergrund: die Schwäche des malischen
Staates. Es gab den sogenannten Operettenputsch der
Hauptmänner, der es ermöglicht hat, dass die Rebellen
im Norden des Landes die Unabhängigkeit ausrufen
konnten. Es herrscht eine explosive Gemengelage in
dem Land, die wir wirklich lange ignoriert haben. Wir
haben sehr lange - viel zu lange - erklärt, Mali sei eine
lupenreine Demokratie. Wir haben dabei die Versorgungsprobleme, die Drogenrouten, die Probleme im Bereich der Staatlichkeit und die Folgen des Libyen-Krieges ignoriert. Das war ein riesengroßer Fehler, für den
wir jetzt einen militärischen Preis zahlen müssen.
({0})
Wir wissen alle, wie viele Waffen aus Libyen in den
Norden Malis gekommen sind.
Es gibt noch etwas. Herr Außenminister, ehrlich gesagt, platzt mir fast der Kragen, wenn Sie sagen, dass
immer wieder neue islamistische Zellen entstehen würden, über die man sich unterhalten müsse. Ich bin absolut einverstanden, wenn Sie sagen, dass es sehr viele
Dschihadisten gibt, mit denen man keine Gespräche führen kann, weil sie keine Verhandlungen wollen. Wenn
wir heute aber darüber diskutieren, Bundeswehrangehörige in eine Gefahrenzone zu schicken - sie können dort
tatsächlich in eine Gefechtssituation, in eine Gefahrensituation geraten und von Dschihadisten beschossen werden; ich selbst habe in Bamako mit Augenzeugen gesprochen, die mir berichtet haben, wie die Versorgung
dieser Dschihadisten von Katar aus funktioniert -, dann
müssen Sie nebenbei auch erklären, warum Sie Katar
400 Panzer geben. Das geht auf keine Kuhhaut. Das hat
mit Sicherheitspolitik überhaupt nichts mehr zu tun.
({1})
Auf die militärische Frage kann es eigentlich nur eine
zivile Antwort geben. Was die Franzosen gemacht haben, war eine Notoperation, die ein Zeitfenster eröffnet
hat. Die Chance, die dieses Zeitfenster bietet, muss aber
mit zivilen und politischen Mitteln genutzt werden.
Ja, Mali braucht eine funktionierende Armee, eine,
die die territoriale Integrität des Landes herstellen kann.
Wir reden aber über eine Armee, die gespalten ist, die
zerrüttet ist, die verunsichert ist. Deshalb sind die Fragen
berechtigt: Welche Soldaten wollen wir ausbilden? Was
wollen wir ihnen vermitteln? Was sind wir bereit dafür
einzusetzen? Wie soll das vorangehen, und wann verlassen wir das Land wieder? Das sind völlig berechtigte
Fragen. In diesem Zusammenhang reicht der Hinweis,
dass es dazu eine Panorama-Sendung gegeben hat, einfach nicht aus, Herr Außenminister.
({2})
Die Armee kann nur funktionieren, wenn sie demokratisch und rechtsstaatlich verankert ist und es einen funktionierenden Staat gibt. Ja, die Armee muss die territoriale Einheit gewährleisten können; aber es muss auch
eine Armee sein, vor der die Bürger Malis, egal welche
Hautfarbe sie haben, keine Angst haben müssen.
Derzeit gibt es Berichte über beängstigende Tendenzen. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt Beobachter ins
Land kommen, die valide Berichte darüber abgeben. Wir
erleben, dass es im Süden des Landes eine Radikalisierung gegenüber den Tuaregs gibt. Immer wieder kam es
zu Situationen, in denen Selbstjustiz geübt wurde. Das
kann nicht sein. Davor müssen wir gefeit sein.
Das gilt natürlich auch für den Einsatz im Norden.
Diesen Einsatz hat Herr Brüderle, wenn ich das richtig
gelesen habe, mit ironischem Unterton „weltbewegend“
genannt. Es ist gut und richtig, dass wir jetzt darüber diskutieren, dass der Einsatz von ECOWAS und die Operation Serval in eine Mission der UN-Blauhelme überführt
werden. Das ist alles andere als falsch.
Im Übrigen: Lieber Wolfgang Gehrcke, ich habe dich
gerade so verstanden, dass deine Fraktion zustimmen
würde, wenn das kommt. Ich bin sehr gespannt.
({3})
Noch einmal: Die politischen Instrumente sind von
zentraler Bedeutung. Wir spielen eine militärische Nebenrolle. Aber die Bundesrepublik hat einen hervorragenden Ruf in Mali. Deshalb sind wir nahezu verpflichtet, im Zivilen eine Hauptrolle zu spielen.
Es gibt so vieles, was man tun kann. In der Übergangsregierung gibt es Minister, die früher mit der GIZ
zusammengearbeitet haben. Dabei ist es relativ offensichtlich: Gerade die Bundesrepublik Deutschland, die
bei der Geberkonferenz den Vorsitz hatte, muss darauf
drängen, dass die Zahlungsfähigkeit des Landes wieder
hergestellt wird. Gerade die Bundesrepublik Deutschland mit langer Erfahrung bei der Dezentralisierung
muss mit dem Projekt Mali-Nord, das von dieser Bundesregierung eingestellt worden ist, dafür sorgen, dass
die Entwicklungszusammenarbeit wieder anläuft.
({4})
Gerade die Bundesrepublik muss jetzt die Netzwerke
nutzen, damit es zu einer Aussöhnung kommen kann. Es
wird nicht gelingen, ein Gelände - so groß wie Frankreich und Spanien mit seiner besonderen Topografie militärisch zu erobern und zu halten. Das ist komplett illusionistisch. Deshalb muss man alles für eine Aussöhnung tun. Dazu kann die Bundesrepublik einiges beitragen.
Wir müssen natürlich ferner helfen, dass das Land mit
der Situation der Flüchtlinge klarkommt. Das ist eine
zentrale Stabilisierungsmaßnahme - abgesehen davon,
dass es selbstverständlich notwendig ist, dort jetzt humanitär zu helfen.
Die Regierung in Mali hat ein Legitimitätsproblem.
Das ist nicht schönzureden. Wir haben es zwar nicht mit
einer Putschistenarmee zu tun; aber es ist gut, dass es
eine Roadmap für Wahlen gibt. Ob die Zeiträume realistisch sind und eingehalten werden können, ist fragwürdig. Ich finde, dass es besser und wichtiger ist, eine Wahl
gut zu organisieren, als eine Scheinwahl durchzuführen,
damit es den Europäern gefällt. Auch dabei stellt sich
natürlich die Frage, wie man helfen kann.
Alles, was noch erreicht werden kann, ist nur dann
nachhaltig, wenn wir eine politische Stabilität im Land
erreichen. Dafür können wir sehr viel tun. Aber all das
kann nicht militärisch erreicht werden; das funktioniert
nur mit politischen und zivilen Mitteln.
({5})
Jetzt hat Philipp Mißfelder das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Aus den Bemerkungen meines Vorredners bin ich nicht ganz schlau geworden. Herr
Nouripour, ich frage mich, ob Sie für Ihre Fraktion eine
Zustimmung zum Mandat signalisiert haben oder nicht.
({0})
Gerade nach den letzten Worten, die Sie gesagt haben,
würde ich Ihnen empfehlen, zuzustimmen. Denn das haben uns auch beide Minister deutlich gemacht. Insofern
weise ich das, was Herr Gehrcke gesagt hat, zurück.
Ich wiederhole mich: Auch im Vergleich zu dem, was
in der Aktuellen Stunde von unserer Fraktion und der
Koalition geschlossen vertreten worden ist, stelle ich
fest, dass von uns niemand jemals gesagt hat, dass wir
der Meinung seien, man könne den Konflikt in Mali oder
irgendeinen anderen Konflikt auf der Welt mit militärischen Maßnahmen lösen. Das hat nie jemand gesagt.
({1})
Vielmehr verfolgen wir bei allem, was wir tun, einen
ganzheitlichen und umfangreichen Ansatz der vernetzten
Sicherheit. Das wird gerade an diesem Mandat sehr
deutlich. Es gab auch Stimmen aus der Fraktion der Grü27464
nen, die anfangs viel schneller einen Militäreinsatz erwogen haben, als es die Koalition getan hat, die von Anfang an Zurückhaltung geübt hat.
Vor dem Hintergrund möchte ich deutlich machen,
dass wir neben den militärischen Maßnahmen alles tun,
was diplomatisch und entwicklungspolitisch notwendig
ist, um Mali zu stabilisieren und den Menschen vor Ort
zu helfen.
Bei den radikalpazifistischen Bemerkungen von
Herrn Gehrcke fehlt mir der traditionelle Anknüpfungspunkt der Linkspartei. Denn Ihre Haltung in den Debatten um die Mandate steht im Gegensatz zu dem, was die
Linkspartei jahrzehntelang vertreten hat, als sie noch anders hieß.
Zu dem, was Sie gesagt haben, möchte ich Folgendes
klarstellen: Eine solche Mandatierung fällt uns in keinem Fall leicht. Der Bundesminister der Verteidigung
hat es ja zu Beginn dieser Sitzungswoche sehr deutlich
gesagt: Kein Mandat ist einfach, kein Mandat ist ungefährlich. Auch wenn es sich hier um eine Ausbildungsmission handelt, auch wenn es sich um logistische Unterstützung, auch wenn es sich um Sanitäter handelt: Die
Soldaten sind immer Gefahren ausgesetzt.
Deshalb fällt es uns ja auch nicht leicht, diese Mandatierung vorzunehmen. Aber, Herr Gehrcke, wir erhoffen
uns davon - gerade auch vom französischen Eingreifen -, dass man Zeit gewinnt, um in Mali überhaupt wieder politikfähig zu werden. Deshalb schließen wir militärische Maßnahmen nicht aus.
({2})
Das ist der Unterschied. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass
Sie nicht dieselben Ziele haben wie wir, nämlich den
Menschen in Mali zu helfen - alles andere wäre grotesk -; aber ich finde, dass Sie mit Ihrer Radikalablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr falsch
liegen.
({3})
Sie unterstellen uns ja allzu häufig - Stichwort „Verschwörungstheorien“ -, dass irgendwelche anderen Beweggründe dahinterstecken. Es ist in diesem Falle wirklich so, dass wir sehr genau abwägen und uns fragen, was
dieses militärische Eingreifen letztendlich bewirken soll.
Deshalb hat hier auch niemand Hurra gerufen, als es um
ein weiteres Mandat ging. Wir haben vielmehr gesagt:
Wir beteiligen uns an keinem Abenteuer; wir unterstützen
aber natürlich diejenigen innerhalb unseres Bündnisses,
die bereit sind, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Das
sind die Staaten von ECOWAS und natürlich auch unsere
französischen Freunde, die allesamt ein hohes Risiko eingehen. Ich glaube, sie sind sich dessen auch bewusst.
Die zentrale Aufgabe, die wir haben, geht weit über
dieses Mandat hinaus. Daran beteiligen sich auch das
Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Unsere
Soldaten sind auch dafür bekannt, dass sie in diese Richtung denken und mit ihrer Präsenz überall auf der Welt
in diese Richtung wirken. Wenn wir irgendwo militärisch tätig werden, sei es in einem geringeren Umfang
oder in einem größeren Umfang, verfolgen wir immer
eine politische Zielrichtung. Die politische Zielrichtung
geht weit über das Mandat hinaus. Sie geht auch weit
über eine kurzfristige Befriedung der Situation hinaus.
Wir befürchten, dass aus Befreiern irgendwann Besatzer werden, wenn wir uns politisch nicht mindestens genauso sehr bemühen, wie sich jetzt die Franzosen militärisch bemühen. Das nehmen wir sehr ernst. Vor diesem
Hintergrund tun wir alles, was in unserer Kraft steht, um
dieses Mandat politisch auszugestalten. Ich glaube, dass
Deutschland an vorderster Stelle gefordert ist, in Europa
dafür zu werben, dies auch nach der Zeit, in der der Militäreinsatz im Fokus der Öffentlichkeit steht, konsequent
zu verfolgen.
Wie oft haben wir hier in Debatten, in denen es um
Afrika ging, bemängelt, dass sich die Öffentlichkeit sehr
wenig dafür interessiert? Das darf uns bei Mali nicht
passieren. In der Tagesschau und in den Regionalzeitungen, überall wird jetzt unseren Bürgern erklärt, wo Mali
überhaupt liegt und welches Konfliktpotenzial es dort
gibt. Aber wenn der Militäreinsatz vorläufig erfolgreich
beendet sein wird, wird Mali aus den Schlagzeilen wieder verschwinden. Dann geht unsere politische Arbeit
unvermindert weiter.
({4})
Deshalb möchte ich an dieser Stelle für die Koalition
noch einmal deutlich machen: Wir verfolgen bei diesem
Mandat einen politischen Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit, und wir wollen unseren Beitrag für eine
politisch stabile Zukunft Malis leisten. Das ist weit mehr
als der militärische Beitrag bzw. die militärische Komponente.
Herzlichen Dank.
({5})
Jetzt hat Christoph Strässer das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist ja anscheinend eine Stunde, in der Bekenntnisse
abgegeben werden. Ich sage zu Beginn: Ich bin - der
Kollege Gehrcke weiß das, weil wir uns schon seit 30,
40 Jahren kennen - kein Pazifist.
({0})
Ich bitte in der Diskussion um Respekt und darum, dass
diejenigen, die den Pazifismus als Überzeugung vor sich
hertragen, den anderen nicht vorwerfen, sie seien
Kriegstreiber.
({1})
Ich finde, es gehört in der Diskussion dazu, dass all diejenigen, die sich zu einer anderen Äußerung bekennen,
sich auch darüber Gedanken machen, was richtig und
was falsch ist. Aus dieser Überzeugung heraus sind einige Überlegungen sehr richtig.
Ich habe heute in der Neuen Zürcher Zeitung, die ich
ab und zu lese, eine interessante Überschrift gefunden.
In dem Artikel geht es um die Mandate, über die wir
heute reden. Die Überschrift lautet: „Kooperatives Abseitsstehen“. Ich finde, das ist eine sehr charmante Bezeichnung für das, über das wir hier im Zusammenhang
mit den Mandaten zu diskutieren und zu entscheiden haben. Aber ich glaube, das betrifft nicht nur die Mandate.
Ich stimme dem Kollegen Mißfelder an dieser Stelle ausdrücklich zu. Das kooperative Abseitsstehen sollte sich
auch auf unser politisches Verhältnis zu dem afrikanischen Nachbarkontinent beziehen. Ich habe mir, als ich
mich auf meine Rede vorbereitet habe, das „wunderbare“ Afrika-Konzept der Bundesregierung angeschaut,
in dem viel Gutes steht und in dem viele schöne und
bunte Bilder zu sehen sind. Ich erkenne aber nicht, dass
es dazu geführt hat, dass Afrika einen politisch-konzeptionellen Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung
- ich füge selbstkritisch hinzu: und des Deutschen Bundestages - darstellt. Darüber müssen wir nachdenken,
und darüber müssen wir reden. Ich denke, das muss die
Konsequenz einer solchen Diskussion, wie wir sie heute
führen, sein.
Man muss sich die Frage stellen, welche Alternativen
es gibt. Was Sie gesagt haben, ist überwiegend richtig
- auch Kollege Nouripour hat darauf hingewiesen -:
Viele, viele Jahre haben wir nur zugeschaut. Es war die
„Chronik einer angekündigten Auseinandersetzung“,
schon seit den 90er-Jahren, gerade in Nordmali. Die
Tuareg waren ja ein Nomadenvolk und kein kriegerisches Volk. Allerdings sind sie marginalisiert worden
und haben nach Lebensperspektiven gesucht. Das haben
wir offensichtlich nicht ernst genug genommen. Nun
sind die Islamisten auf dem Vormarsch. Die Islamisten
würde ich übrigens nicht mit den Tuareg gleichsetzen.
Auch da muss man, finde ich, sehr vorsichtig sein und
sehr genau hinschauen, was sich im Norden Malis tut.
Nachdem wir zehn Jahre lang nicht genau genug hingesehen haben, nun den Schluss zu ziehen, auch heute zu
schweigen und nichts zu tun, halte ich für falsch und ein
Stück weit zynisch. Wir müssen die Entwicklungen in
Mali stoppen.
Ich glaube nicht - ich sage das jetzt etwas überspitzt -,
dass man Gruppen wie Ansar Dine und Mujao in der jetzigen Situation mit einer weißen Fahne und einer Mediation stoppen könnte. Deshalb finde ich es richtig, dass
sich die Bundesrepublik, die internationale Gemeinschaft und die EU entschlossen haben, diesem Konflikt
mit den Mitteln zu begegnen, die aus meiner Sicht im
Moment als einzige helfen. Das sollte die Grundlage der
Diskussion über diese Mandate sein. Ich finde es richtig,
den Mandaten zuzustimmen.
({2})
Niemand weiß - auch das ist ein Teil der Wahrheit -,
wie die militärische Auseinandersetzung ausgeht. Die
Erfolge der Franzosen sind offenbar nur von kurzer
Dauer und nicht so stabil, dass man sagen könnte: Die
militärische Auseinandersetzung ist beendet. - Die derzeitige Situation gibt uns die Chance, diese Diskussion
auf andere Beine zu stellen. Dabei geht es um Fragen der
humanitären Entwicklung, der Entwicklungszusammenarbeit und des Aufbaus von Strukturen. Herr Kollege
Ströbele, meiner Meinung nach gibt es keinen anderen
Akteur als die Malier selbst, der in der Lage wäre, langfristig für geeignete Strukturen, die Sicherheit gewährleisten, zu sorgen.
({3})
Ich würde mich freuen, wenn Sie mir sagen könnten, wer
außer der malischen Armee in diesem Land für Stabilität
sorgen soll.
({4})
Ich bin sehr gespannt, auch zu erfahren, ob wir dann
wieder über eine Intervention mit anderen Mitteln als denen, die jetzt zur Diskussion stehen, reden würden.
Ich finde es richtig - ich sage das ganz deutlich -, zu
sagen: Am Ende einer solchen Entwicklung muss eine
malische Ownership stehen. Alles andere wäre fatal. Es
darf und wird mit unserer Unterstützung keine dauerhafte Besatzung dieses Landes geben. Wir müssen allerdings dafür sorgen - das ist nicht nur eine Aufgabe des
Militärs und der Polizei; es müssen auch rechtsstaatliche
Strukturen geschaffen werden, die im Norden des Landes komplett fehlen -, dass Unterstützung geleistet und
beim Aufbau geholfen wird, sodass sich eine Intervention mit militärischen Mitteln auf mittlere Sicht erübrigt.
Meine persönliche Überzeugung ist: Ohne das, was
jetzt beschlossen worden ist - der Beitrag der Bundesregierung ist ja gering genug -, wäre eine auch nur ansatzweise humane Entwicklung im Norden Malis nicht
mehr möglich gewesen. Deshalb finde ich es völlig richtig, dass wir uns dort engagieren und das tun, was in den
Mandaten steht. Zumindest in der Begründung heißt es
ja - das macht mich ein bisschen hoffnungsfroh -, dass
es in der Sahelregion einen politischen Prozess geben
muss und wir dafür sorgen müssen bzw. einen Beitrag
dazu leisten können und müssen, dass sich die humanitäre Situation verbessert.
Wir haben heute noch gar nicht oder nur ansatzweise
über das Thema Flüchtlinge gesprochen. Über eine Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit möchte
ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Aber wir wissen
- diese Botschaft richtet sich an die Bundesregierung -,
dass es Flüchtlingsbewegungen gibt. Das World Food
Programme geht davon aus, dass die Hungersnot in der
Region zunehmen wird. Der UNHCR rechnet im Moment mit 400 000 Flüchtlingen. Die finanziellen Mittel,
die erforderlich sind, um die größte Not zu lindern, sind
noch nicht einmal zur Hälfte vorhanden.
Ich denke, wir müssten viel mehr darüber nachdenken, wie wir zivile Strukturen aufbauen können. Wir
haben heute im AwZ über die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes diskutiert. Die Mittel für den Zivilen Friedensdienst konnten seit Jahren keinen Aufwuchs mehr
verzeichnen. Ich finde, an diesen Stellen müssen wir einfach besser werden. Wir brauchen diese zivilen Organisationen, und wir brauchen den Dialog mit der malischen Zivilgesellschaft. Da gibt es Strukturen, da gibt es
Ansprechpartner. Da dürfen wir in den nächsten Jahren
nicht wegschauen, wenn wir nicht wieder in eine solche
Situation kommen wollen wie heute.
Herzlichen Dank.
({5})
Florian Hahn hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns noch einmal ganz kurz zurückblicken: 2012 haben islamistische Gruppen den nördlichen
Teil Malis - 50 Prozent des gesamten Landes - unter
ihre Kontrolle gebracht, eine Region zweimal so groß
wie die Bundesrepublik Deutschland. Sie haben die
Scharia eingeführt, sie haben Angst und Schrecken verbreitet. Die Menschen haben sich nicht mehr getraut,
ihre Häuser zu verlassen. Felder wurden nicht mehr bestellt. 350 000 Menschen sind geflüchtet. Ausbildungslager für militante Islamisten sind entstanden - eine Gefahr für die gesamte Sahelzone, eine Gefahr vor den
Toren Europas.
Darüber waren wir im Parlament alle gut informiert.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem BND danken, der offensichtlich eine neue, transparentere Kultur
der Informationspolitik gegenüber dem Parlament lebt
und pflegt. Das kann so weitergehen.
({0})
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ereignisse
hat Bundeskanzlerin Merkel sehr früh, im Oktober 2012,
signalisiert, dass Deutschland bereit ist, bei einer koordinierten europäischen Mission zur Stabilisierung Malis
Unterstützung zu leisten.
Anfang dieses Jahres starteten die Dschihadisten einen Vormarsch Richtung Süden. Malische Streitkräfte
- soweit überhaupt existent - waren nicht in der Lage,
sich dem entgegenzustellen. Damit stand die Tür nach
Bamako - einer Stadt, in der unter anderem 6 000 Franzosen leben - sperrangelweit offen. Das war für Frankreich der Moment, zu intervenieren. Deutschland hat bereits wenige Tage später begonnen, logistisch und
finanziell Hilfe zu leisten. Man kann mit Fug und Recht
sagen: Ohne Frankreich gäbe es Mali heute nicht mehr.
Inzwischen konnte Frankreich zusammen mit malischen
und anderen afrikanischen Kräften die Städte im Norden
befreien und die Islamisten verdrängen.
Jetzt gilt es, das Land langfristig zu stabilisieren und
zu verhindern, dass vor den Toren Europas ein Rückzugsort für den internationalen Terrorismus entsteht, der
die Stabilität einer ganzen Region Afrikas gefährdet.
Hierzu wollen wir heute zwei Mandate verabschieden
und auf den Weg bringen. Zum einen wollen wir die logistische Unterstützung in Form von Transportleistungen und Luftbetankungen deutlich verstärken. Damit
lassen sich zurückgewonnene Sicherheit und Stabilität in
Nordmali halten und ausbauen. Zum anderen wollen wir
einen sehr großen Beitrag bei der Ausbildung der malischen Streitkräfte leisten, damit diese in Zukunft die
Verantwortung für die Sicherheit in Mali voll übernehmen können. Inklusive der bereits stationierten Einheiten werden maximal 330 deutsche Soldaten entsendet
werden. Damit gehört Deutschland nach dem Haupttruppensteller Frankreich zu den größten Truppenstellern.
Dauerhafter innerer Frieden wird nur mit Geduld und
Nachhaltigkeit hergestellt werden können. Klar ist, dass
die beste Phase des militärischen Einsatzes vorbei ist.
Erste Selbstmordanschläge wie in Gao vor wenigen Tagen zeigen uns, dass die Aufständischen auf asymmetrische Strategie umstellen. Deswegen müssen wir nachhaltige und menschenwürdige Strukturen aufbauen. Die
Roadmap, die als ein Ziel freie Wahlen beinhaltet, muss
weiter verfolgt werden. Ethnische Rahmenbedingungen
müssen viel stärker als bisher berücksichtigt werden.
Der Norden kann nicht zentral, vom Süden her, gesteuert
werden - hier sind föderale Ansätze vonnöten.
Es ist gut, dass dieser Einsatz von Anfang an kein rein
europäischer war, sondern in enger Absprache und unter
Beteiligung und Führung der Afrikaner stattfindet. Allerdings müssen wir auch feststellen und erkennen, dass
es ohne uns nicht geht. Dazu müssen wir uns beispielsweise nur Finanzierung, Ausrüstung, Vertragstreue und
Führungsfähigkeit der ECOWAS genauer ansehen.
Lassen Sie mich noch kurz auf die deutsche Luftwaffe
zu sprechen kommen, die diesen Einsatz in der Hauptsache stemmen wird. Beim Thema Luftbetankung konnten
anfängliche Zertifizierungsprobleme schnell gelöst werden. Hier zeigt sich, wie wichtig die Luftbetankungsfähigkeit für Europa ist. Die Luftwaffe konnte schnell und
unproblematisch Lufttransportkapazitäten bereitstellen.
Damit unterstreicht sie Flexibilität und Handlungsfähigkeit. Die Ressourcen der Luftwaffe sind aber endlich.
Uns muss klar sein, dass wir nun zehn Transall-Maschinen in Afghanistan und Mali im Einsatz haben - übrigens ist die Transall vor 50 Jahren zum ersten Testflug
aufgebrochen -, und wir wissen, dass wir nicht mehr
Maschinen mit entsprechender Einsatzausrüstung zur
Verfügung haben.
Die Bundeswehr ist weiterhin am Horn von Afrika, in
Afghanistan und im Kosovo mit vielen Soldaten und
Soldatinnen im Einsatz. In der Türkei sind zwei PatriotSysteme zum Schutz unseres Bündnispartners installiert
worden. Damit zeigt Deutschland deutlich, dass es seiner
Verantwortung als Bündnispartner und als wohlhabende
Nation gerecht wird.
Abschließend wünsche ich unseren Soldatinnen und
Soldaten hier und in den Einsätzen alles Gute und Gottes
Segen.
({1})
Jetzt hat noch Hartwig Fischer das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ernstes Thema;
aber es gibt eben auch Politikerinnen und Politiker, die
sich mit diesem Thema nicht ausreichend befassen, es
jedoch zur Selbstdarstellung nutzen. Twitter heute, am
20. Februar, um 17.37 Uhr: Christian Ströbele - der für
die Grünen hier schon nicht mehr reden darf -: Minister
will Armee in Mali beibringen, was rechtsstaatlich geführte Kräfte leisten. Das klappt doch nicht. ({0})
Herr Ströbele, das haben Sie richtig getwittert, natürlich;
aber dann muss die Öffentlichkeit auch wissen, dass zum
Beispiel bei unseren Bundeswehrsoldaten, die im Kofi
Annan International Peacekeeping Training Centre unterrichten, das Thema Humanitäres Völkerrecht - früher
Kriegsvölkerrecht - zu den Lehrplänen gehört und die
Soldaten in den Beratergruppen in Afrika über diese
Grundfragen diskutieren. Dort wird über innere Führung
gesprochen. Es wird nicht nur militärisch ausgebildet,
sondern es wird so diskutiert, wie bei uns in einer demokratischen Armee und in einem demokratischen Parlament über legitimierte Einsätze gesprochen wird. Wenn
Sie eine solche Twitter-Meldung absetzen oder sagen,
dass Soldaten Mörder sind und Ähnliches, dann haben
Sie eine Diskussion zu verantworten, die wir in diesem
Fall nicht gebrauchen können.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünschte mir,
es würden viel mehr Kollegen in Delegationen nach
Afrika fahren und sich informieren. Ich bin mehrfach in
Mali gewesen. Das letzte Mal war ich im Oktober 2012
mit einer Gruppe des AwZ in Mali, darunter auch der
Kollege Binding und der Kollege Movassat. Damals
konnte man die Entwicklungen schon absehen. Die ethnischen Konflikte im Norden Malis gibt es seit Jahrzehnten; aber sie sind dann durch ausländische Gruppen oder
Tuareg und andere, die nach Libyen gegangen sind, mit
Waffen wieder ins Land hineingetragen worden.
Wenn man hier von einem Putsch spricht - den jeder
von uns verurteilt -, dann muss man auch einmal über
die Ursachen dieses Putsches sprechen. Die Armee war,
verheerend ausgebildet, in den Norden geschickt worden, mit einem einzigen Bataillon, und dieses ist von den
einströmenden Kräften aus Libyen abgeschlachtet worden. Das war der Hauptgrund, warum es dann plötzlich
einen Putsch gab, nämlich weil man gesagt hat: Unsere
Soldatinnen und Soldaten sind vernachlässigt worden. Auch das gehört zu der Geschichte, ohne dass man den
Putsch in irgendeiner Form heroisieren würde.
({2})
- Nein, Herr Ströbele, Sie müssen erst einmal Redezeit
von Ihrer Fraktion bekommen. Sie können ja nachher
eine Kurzintervention machen.
({3})
Ich sage heute ganz bewusst nichts mehr zu den Militäreinsätzen; dazu ist alles gesagt worden. Ich spreche
über die Situation in Mali, weil diese Debatte übertragen
wird und die Menschen draußen mehr darüber erfahren
sollen.
Ich nenne nur einmal die Region Timbuktu. Sie hat
408 000 Quadratkilometer. Damit ist sie weit größer als
die Bundesrepublik Deutschland. In dieser Region muss
Sicherheit hergestellt werden. Das haben die Franzosen
in einem Teilbereich geschafft. Ein Teil der terroristischen Kräfte ist ausgewandert, hat sich vertreiben lassen
und beginnt nun, sein Unwesen in Niger und Burkina
Faso zu treiben. Deshalb sollten wir in der Phase danach
auch mit diesen Staaten in ständigem Gespräch und Dialog bleiben, um zu erfahren, wie wir sie unterstützen
können. Das Ganze ist im Augenblick nicht nur ein Problem des Nordens Malis.
Wir müssen gemeinsam das tun, was der Verteidigungsminister und der Außenminister deutlich gemacht
haben, nämlich vor allen Dingen in den Kommunen des
Nordens in den nächsten Monaten für Stabilität sorgen.
Daneben müssen wir gemeinsam mit unserem Entwicklungsminister überzeugende Konzepte anbieten, der
- das ist vorhin nicht deutlich geworden - die Entwicklungshilfe nicht komplett eingestellt hat, sondern der den
verschiedenen Organisationen gemeinsam mit dem Außenministerium zunächst für den Bereich der humanitären Hilfe Mittel zur Verfügung gestellt hat. Man kann
immer sagen: Das ist nicht ausreichend. - Ich glaube
auch, dass das nicht ausreichend ist; das ist bei keinem
Konflikt ausreichend. Aber wir haben sehr viel getan,
und das wird auch von den Organisationen gewürdigt,
die uns aus Gao, Kidal, Mopti und anderen Regionen berichten, wo ja auch Minenfelder beseitigt werden müssen.
Das heißt, hier beginnen wir nicht nur mit der humanitären Hilfe, sondern wir arbeiten auch an der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben dort in der Vergangenheit intelligente Bewässerungssysteme und Ähnliches
bereitgestellt. Das müssen wir auch in Zukunft tun.
Ich will noch einmal zur Ausbildung des Militärs
kommen. Eigentlich haben in der Vergangenheit alle
Bundesregierungen gesagt: Es ist nicht in erster Linie
unsere Aufgabe, dass wir unser Militär in die afrikanischen Länder schicken, sondern unsere Daueraufgabe ist
die Ertüchtigung der Armeen in den betroffenen Ländern
Hartwig Fischer ({4})
auch nach unseren Grundsätzen. Das tun wir in Teilbereichen.
({5})
- Herr Ströbele, ich warte darauf, dass Sie im Verteidigungsausschuss einen Antrag stellen, die Mittel dafür zu
erhöhen, damit wir in Afrika stärker in die Ausbildung
einsteigen können.
({6})
Ich hatte bisher den Eindruck, dass Sie in diesen Bereichen eher kürzen wollen.
({7})
Wir brauchen in den nächsten Wochen und Monaten
noch mehr Diplomatie und Dialog. Deshalb finde ich es
gut, dass man die Supportgruppe gemeinsam gegründet
hat.
Herr Außenminister, ich habe eine große Bitte an Sie,
der Sie ja federführend die Gespräche für die nachfolgenden Schritte führen - auch international. Ich bin mit
Ihnen der Auffassung, dass es eine große Hoffnung ist,
dass Traoré auf der Konferenz in Addis Abeba eine
Roadmap vorgelegt und dort auch angekündigt hat, im
Juli Wahlen durchzuführen. Ich sage uns allen aber:
Diese Wahlen müssen dann auch im Norden Malis sauber durchgeführt werden können. Ich habe die Sorge,
dass das nicht sichergestellt wird. Wenn das sichergestellt wird, dann ist das, glaube ich, eine Riesenchance.
Wenn es uns aber gemeinsam nicht gelingt, dass die Registrierung und alles Weitere umgesetzt wird, dann
schaffen wir ein neues Konfliktfeld, weil sich der Norden Malis schon immer vernachlässigt fühlt.
Sechs Minuten Redezeit sind immer viel zu wenig,
vor allen Dingen, da ich am Anfang noch auf Herrn
Ströbele eingehen musste. Ich könnte noch viel dazu sagen.
Ich wünsche mir auch, dass es uns in einem langfristigen Aufbauprozess gelingt, Mali als Land insgesamt
wieder zu einen. Wir in unserer Delegation haben mit
vielen Tuareg gesprochen, auch mit solchen, die im Parlament waren. Sie sind gemäßigt, und es sind einzig die
Fundamentalisten, die die Situation ausgenutzt haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/12367 und 17/12368 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Februar 2013,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.