Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich, fast könnte ich es namentlich
tun; das Plenum wird sich hoffentlich während des ers-
ten Tagesordnungspunktes etwas auffüllen.
Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung nichts zu
verkünden, sodass wir uns gleich der vereinbarten Ta-
gesordnung widmen können.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts ({0})
- Drucksache 17/11316 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts ({1})
- Drucksachen 17/11632, 17/12037 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache 17/12123 Berichterstattung:Abgeordnete Christian Freiherr von StettenPetra Hinz ({3})Dr. Birgit ReinemundDr. Barbara HöllBritta Haßelmann
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/12124 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({5})Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({6})
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein
- Drucksache 17/5713 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksache 17/12125 Berichterstattung:Abgeordnete Detlef SeifMarianne Schieder ({8})-
Marco Buschmann-
Raju Sharma-
Ingrid Hönlinger
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
Kunert, Katja Kipping, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Aufwandsentschädigungen für kommunale
Mandatsträgerinnen und Mandatsträger so-
wie Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht
auf Leistungen nach dem Zweiten und
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Katrin Kunert, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Anrechnung von Aufwandsentschädi-
gungen für bürgerschaftliches Engagement
auf Leistungen nach dem Zweiten und
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 17/7646, 17/7653, 17/11253
Buchstabe a und b -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Markus Kurth
Präsident Dr. Norbert Lammert
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Engagementbericht - Für eine Kultur
der MitverantwortungBericht der SachverständigenkommissionundStellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 17/10580 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10})SportausschussAusschuss für Kultur und Medien
Zu dem Entwurf eines Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetzes,
({11})
bei dem sich in der Tat der Eindruck aufdrängt, dass die
Entbürokratisierung mit der Bezeichnung beginnen
sollte,
({12})
liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Christian von Stetten für die CDU/
CSU-Fraktion.
({13})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das könnte heute ein wirklich guter Tag für das Ehrenamt werden. Ein guter Tag
wird es auf jeden Fall; denn - das darf ich vorwegnehmen - die Abgeordneten der Regierungskoalition werden dem Gesetzentwurf heute zustimmen. Ein wirklich
guter Tag und ein Tag mit Symbolkraft könnte es werden, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien, diesem Gesetzentwurf heute ebenfalls
zustimmen.
({0})
Um diese Zustimmung möchte ich gerne heute Morgen am Anfang dieser Debatte bei Ihnen werben. Sie haben allen Grund, dem Gesetzentwurf zuzustimmen; denn
wir haben viele Punkte von Ihnen mit in den Gesetzentwurf aufgenommen. Wir haben viele Punkte des Bundesrates mit aufgenommen, und wir haben selbstverständlich zahlreiche Gespräche und auch eine Anhörung
mit den betroffenen Verbänden und Organisationen geführt bzw. durchgeführt und auch deren Anliegen aufgenommen und eingearbeitet. Wir haben - das ist besonders wichtig - mit zahlreichen ehrenamtlich engagierten
Bürgerinnen und Bürgern in unseren Wahlkreisen über
diesen Gesetzentwurf diskutiert und auch deren Vorschläge einfließen lassen. Bei diesem Gesetzentwurf hat
also eine Art Bürgerbeteiligung stattgefunden.
({1})
Zum Abschluss haben wir sogar, sehr geehrter Herr
Präsident, den etwas umständlichen Arbeitstitel „Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz“ in „Gesetz
zur Stärkung des Ehrenamtes“ geändert. Ich glaube, darüber freuen sich alle Kolleginnen und Kollegen des
Hauses. Bei der Bürgerbeteiligung ist deutlich geworden, dass die Bürger Klarheit darüber wollen, was das
für ein Gesetz ist. Durch dieses Gesetz wird das Ehrenamt gestärkt. Deswegen soll es auch so heißen.
Da das bürgerschaftliche Engagement in großen Teilen in Vereinen, ehrenamtlichen Organisationen und Stiftungen seinen Platz hat, bekommen diese heute einen
besseren und verlässlicheren rechtlichen Rahmen für
ihre Tätigkeiten. Wir reden heute nicht nur über das Ehrenamt, sondern wir werden heute im Parlament eine
Entscheidung treffen und dadurch entbürokratisieren
und flexibilisieren. Auch wenn es nicht jedem gefällt,
werden wir dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Januar
2013 in Kraft treten lassen, damit die Betroffenen schon
in diesem Jahr und nicht erst im nächsten Jahr von den
Änderungen profitieren.
({2})
Diese Vorteile schaffen wir unter anderem durch die Erhöhung der sogenannten Übungsleiterpauschale. Wir erhöhen diese um 300 Euro von 2 100 Euro auf 2 400 Euro.
Wir erhöhen auch den Ehrenamtsfreibetrag für Vorstandsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und andere
besonders engagierte Helfer in den Vereinen um satte
44 Prozent von 500 Euro auf 720 Euro.
Wir geben den Vereinen mehr Rechtssicherheit; zahlreiche Punkte, die bisher durch Ministeriumserlasse geregelt worden sind, befinden sich nun im Gesetzblatt.
Auch neu gegründete Vereine erhalten jetzt den Anspruch auf eine rechtsverbindliche Bescheinigung, in der
festgestellt wird, ob ihre Satzung den Vorschriften der
Abgabenordnung entspricht. Bisher waren diese Bescheinigungen der Finanzämter ja nur vorläufig, und die
Vereinsverantwortlichen wussten nicht genau, ob sie
sich darauf verlassen können.
Wir ändern aber auch die Abgabenordnung und verlängern die Frist zur Mittelverwendung um ein weiteres
Jahr. Außerdem erhöhen wir die steuerfreie Umsatzgrenze für sportliche Veranstaltungen in Vereinen von
35 000 auf 45 000 Euro.
Wir bedanken uns bei Minister Dr. Schäuble, der sich
persönlich für diesen Gesetzentwurf eingesetzt hat. Herr
Staatssekretär, wir verbinden diesen Dank mit der ErChristian Freiherr von Stetten
wartung, dass die Erhöhung der Übungsleiterpauschale
durch eine Initiative des Ministeriums in Zukunft auch
den zahlreichen Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehren zugutekommt.
({3})
Das alles sind wichtige Investitionen in unsere Gesellschaft. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Vereine ist in den letzten Jahren nämlich noch einmal stark
gestiegen. Wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält, wer die Wärme, die fast schon familiäre Atmosphäre spürt, der weiß, dass Vereine in verschiedenen
Bereichen für zahlreiche Kinder zu einer Art Familienersatz geworden sind. Wir im Deutschen Bundestag begrüßen und honorieren besonders die Integrationsleistung,
die die Vereine im Hinblick auf ausländische Jugendliche erbringen. Hier leisten die Vereine einen wesentlichen Beitrag.
Man muss auch betonen, dass Übungsleiter inzwischen mehr sind als nur durchtrainierte Vorturner. Sie
kümmern sich immer mehr auch um die persönlichen
Probleme der ihnen anvertrauten Jugendlichen. Viele Jugendliche lernen im Verein zum ersten Mal die Wichtigkeit von Pünktlichkeit, Fairness und kameradschaftlichem Miteinander.
Wir haben uns entschieden, auch die Haftungsrisiken
ehrenamtlich tätiger Vorstandsmitglieder zu verringern,
um dafür zu sorgen, dass den Bürgerinnen und Bürgern
der Schritt hin zur Übernahme von mehr Verantwortung
in Vereinen leichter fällt. Natürlich wird auch weiterhin
gelten: Wer grobe Fehler macht oder wer strafrechtlich
relevantes Verhalten an den Tag legt, wird zur Verantwortung gezogen werden. Aber derjenige, der sich engagieren will, der bereit ist, ein Vorstandsamt anzunehmen,
darf in Zukunft nicht mehr das Gefühl haben, dass er für
sich persönlich oder in finanzieller Hinsicht ein unkalkulierbares Risiko eingeht. Diese Angst darf kein Grund
mehr sein, ein Vorstandsamt nicht anzunehmen. Dafür
werden wir heute sorgen. Wir begrenzen die Haftung ein
weiteres Mal.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird im Laufe
der heutigen Debatte noch öfter der Fall sein, dass wir
uns klar zum Ehrenamt bekennen und feststellen, dass
Deutschland mittlerweile zum Land der Ehrenamtlichen
geworden ist; denn Millionen von Bürgern engagieren
sich in gemeinnützigen Vereinen. Deutschland ist auf einem guten Weg, auch zum Land der Stiftungen und Stifter zu werden. Diesen Weg wollen wir gemeinsam mit
den Stifterinnen und Stiftern weitergehen. Um dies zu
erreichen, beschließen wir auch zahlreiche Verbesserungen im Rahmen des Stiftungsrechts.
Wenn wir das alles zusammenfassen, dann müssen
wir doch sagen: Das sind gute Nachrichten für das Ehrenamt und für die entsprechenden Organisationen. Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
können dazu beitragen, dass heute auch ein symbolisch
wichtiger Tag wird. Zeigen Sie der Bevölkerung durch
Ihre Zustimmung, dass wir hier im Deutschen Bundestag
trotz aller unterschiedlicher parteipolitischer Auffassungen ein gemeinsames Ziel haben: dass wir das Ehrenamt
stärken wollen, weil die Ehrenamtlichen in der Gesellschaft einen besonderen Beitrag für uns leisten. Stimmen
Sie heute gemeinsam mit uns für den vorliegenden Gesetzentwurf! Zeigen Sie, dass der gesamte Deutsche
Bundestag hinter den Ehrenamtlichen steht!
Herzlichen Dank.
({5})
Petra Hinz ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei fast jedem Tagesordnungspunkt hören wir, welch historische Stunde wir gerade erleben
dürfen. Die Schritte, die tatsächlich historisch und wichtig waren und zu Recht auf den Weg gebracht wurden,
liegen aber schon etwas länger zurück, und zwar bis zu
dem Zeitpunkt, als die Kolleginnen und Kollegen in der
14. Wahlperiode gemeinsam den Bericht der EnqueteKommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ fertiggestellt haben. Dort ist all das eingeflossen,
was für diejenigen Vereine, Verbände, Organisationen,
die ehrenamtlich gemeinnützig tätig sind, wichtig war.
Das war wirklich eine historische Stunde.
Das andere wichtige Datum, mein lieber Herr Kollege
Freiherr von Stetten, war in der letzten Wahlperiode, und
zwar das Jahr 2007. Damals hatten wir in der Großen
Koalition in dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements die richtigen Schritte und
die richtigen Maßnahmen beschlossen. Dann ist es in der
Tat nicht gerade sehr schwer, aufbauend auf einer guten
Grundlage, auf einem guten Fundament, doch zumindest
einige Erfahrungen in Form von Ergänzungen umzusetzen.
Ich möchte das, was Sie hier einbringen, nicht schmälern. Aber ich habe schon eine andere Wahrnehmung sowohl in Bezug auf die Beratung als auch auf den Umgang mit unseren Anträgen. Dass Sie den Anregungen
aus der Anhörung nun tatsächlich nicht in allen Punkten
gefolgt sind, ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie uns nun
aber suggerieren wollen, Sie seien kooperativ, und wenn
Sie jetzt auch vor der Öffentlichkeit darstellen wollen,
Sie seien offen und hätten alle Anregungen aufgenommen, dann weiß ich nicht, auf welcher Veranstaltung Sie
waren.
({0})
Aber in der letzten Finanzausschusssitzung, in der wir
über diesen Gesetzentwurf abschließend beraten haben,
in der wir neun Anträge eingebracht haben und ich noch
mit Ihnen darüber gesprochen habe, ob es Gemeinsamkeiten gibt, haben Sie ohne mit der Wimper zu zucken
jeden Antrag abgelehnt.
Petra Hinz ({1})
Hier, Herr Präsident, greife ich gerne Ihre Worte auf,
dass nämlich das sogenannte Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz gar nichts mit dem zu tun hat, was
wir seinerzeit in der letzten Wahlperiode auf den Weg
gebracht haben. Wir haben Ihnen einen Vorschlag gemacht, wie wir dieses Gesetz nennen könnten, und den
Antrag eingebracht, dieses Gesetz „Gesetz zur Stärkung
des Bürgerschaftlichen Engagements“ zu nennen. Genau
darum geht es nämlich. Dabei ging es nicht nur um eine
Überschrift. Aber selbst in dieser Frage waren Sie nicht
kompromissbereit.
Wenn Sie heute über das Ehrenamt sprechen - viele
Laien gebrauchen oft verschiedene Begriffe -, dann sagen Sie damit etwas ganz anderes aus. Sie wollen eine
ganz andere Richtung einschlagen. Ich finde, das ist für
Sie sehr beschämend. Es ist aber Ihre Sache, wie Sie das
Ihren Vereinsvertretern, Ihren Organisationen erklären.
Alle Anträge, die wir eingebracht haben, sind gemeinsam mit den Verbänden, Organisationen und Vereinen auf den Weg gebracht worden. Wir haben hier die
23 Millionen Menschen, die 600 000 Vereine, Initiativen, Organisationen und Stiftungen hinter uns, weil
diese die Anträge gemeinsam mit uns formuliert haben.
Ja, in Ihrem Gesetzentwurf geht es um die Entbürokratisierung in der Abgabenordnung. Dagegen gibt es
nichts zu sagen. Aber damit greifen Sie nur einige
Punkte heraus, sind aber vielen Anregungen, die ganz
einfach aufgrund der veränderten Situation gerade im
Sozial- und im Gesundheitsbereich wichtig sind, überhaupt nicht gefolgt.
({2})
Das ist nicht in Ordnung. Darüber sind Sie ganz eiskalt
hinweggegangen.
Ich komme nun zur Anhebung der Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro. Johannes Rau hat einmal gesagt:
Das ehrenamtliche Engagement ist die Seele der
Demokratie.
Ja, er hat recht. So weit reichen nämlich das Engagement
und die Unterstützung der Ehrenamtlichen. Johannes
Rau, Willy Brandt und in der Nachfolge Peer Steinbrück
haben sich sehr stark für diesen Bereich eingesetzt und
haben die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg gebracht.
({3})
- Bei so vielen Beifallsbekundungen kann meine Zeit
angehalten werden, da dürfen Sie auch die Hände benutzen und klatschen.
({4})
Ich habe mit Vereinen und Organisationen in meinem
Wahlkreis gesprochen. Ich möchte hier den Präsidenten
meines Vereins TUSEM Essen herausgreifen, der ganz
klar sagt: Natürlich freuen wir uns über die Anhebung
der Übungsleiterpauschale. Aber ist es tatsächlich das,
was die ehrenamtlich Tätigen, diejenigen, die gemeinnützig tätig sind, brauchen und wollen?
({5})
- Auch! Lieber Kollege, Sie rufen dazwischen: „Auch!“
Aber wir haben in der Anhörung erfahren, dass viele das
gar nicht mehr in Anspruch nehmen können: sicherlich
einige wenige in großen Vereinen, aber viele andere
nicht. Darüber müssen wir reden.
({6})
Hier stellt sich die Frage, ob wir nur die Großen fördern
oder auch die Kleinen.
({7})
- Gut. - Hierzu schreibt mir mein Präsident, Herr Ulrich
Gaißmayer: Es sind die kleinen Dinge, die Auszeichnungen, die unkomplizierten Dinge. Denn beim Ehrenamt
geht es nicht in erster Linie um die finanzielle Ausstattung, sondern um die Anerkennung.
({8})
Ich habe mit einer Kollegin aus der Ehrenamt Agentur Essen gesprochen, die genau dies auch noch einmal
beschreibt: Es kann nicht immer alles nur über Steuern
geregelt werden, sondern wir müssen das Ehrenamt im
Sinne der Enquete-Kommission nach vorne bringen. Wir
sagen: Hier haben Sie nichts auf den Weg gebracht.
({9})
Wir stimmen dem Gesetzentwurf und damit der Anhebung der Ehrenamtspauschale von jährlich 500 Euro
auf 720 Euro zu. Dennoch ist das nicht das Mittel, das
vor Ort letzten Endes gebraucht wird.
Zum Zivilrecht haben Sie auch etwas gesagt, mein
lieber Kollege. Ja, das stimmte, suggerieren Sie den Kolleginnen und Kollegen, den Vertretern in den Vereinen
und Organisationen, aber bitte nicht, dass sie jetzt komplette Rechtssicherheit im Bereich der Haftung haben.
Das Strafrecht gilt nach wie vor. Es ist ein richtiger
Schritt, kein Thema, aber Sie springen im Bereich des
Sports, wenn ich das einmal so sagen darf, ein wenig zu
kurz.
Sie halten fest an einem verengten Begriff der Gemeinnützigkeit; das gilt auch in Bezug auf den neuen Titel. Ich sage Ihnen: Sie gehen in eine andere Richtung als
wir.
Die Kolleginnen und Kollegen, die den Bericht der
Enquete-Kommission mitgestaltet haben - ich schaue
jetzt auch einmal in die Reihen der CDU -, werden sicherlich nicht alles gutheißen, was Sie hier heute auf den
Weg bringen, wobei ich sagen muss: Für mich ist es
wichtig und gut, dass wir heute einmal in der Kernzeit
Petra Hinz ({10})
über 23 Millionen Menschen und ihr ehrenamtliches Engagement debattieren,
({11})
über das, was diese Menschen für unsere Gesellschaft
leisten.
({12})
Die Begründung Ihres Gesetzentwurfes ist aber verräterisch; denn darin bringen Sie ganz klar Ihr Verständnis
von bürgerschaftlichem Engagement der ehrenamtlich
Tätigen, der Engagierten, der Vertreterinnen und Vertreter der Vereine zum Beispiel in den Bereichen Kultur
und Sport usw. in unserer Gesellschaft zum Ausdruck.
Ich zitiere jetzt wörtlich aus der Drucksache:
In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die
Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an
Bedeutung,
({13})
- bis dahin ist das wunderbar, aber es geht weiter denn die öffentliche Hand wird sich wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren
müssen.
Nein, nein, wir können unsere ehrenamtlich Engagierten, die bürgerschaftliches Engagement zeigen, nicht
missbrauchen, indem sie die Folgen Ihrer bis in die
Kommunen hinein verfehlten Haushaltspolitik tragen
sollen.
({14})
Hier werden wir nicht mitmachen; denn wir werden diejenigen, die ehrenamtliches Engagement zeigen, nicht
missbrauchen, sondern ganz im Gegenteil stärken und
honorieren. Das, was die Menschen hier leisten, ist tatsächlich ein ganz wichtiger Beitrag zum Gelingen unserer Gesellschaft.
Da uns Ihr Gesetzentwurf nicht weit genug bzw. stellenweise in eine falsche Richtung geht, haben wir einen
Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir in fünf
Punkten noch einmal sehr deutlich darauf eingehen, wohin wir im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements
letzten Endes gehen wollen.
Ich würde mich freuen - dadurch würden Sie heute in
der Tat ein Zeichen setzen -, wenn wir den Gesetzentwurf gemeinsam annehmen und beschließen würden und
Sie gleichzeitig unserem Entschließungsantrag in der
kompletten Stärke Ihrer Koalition auch zustimmen
könnten; denn dann wäre es heute in der Tat nicht nur
eine Kernzeitdebatte für das Ehrenamt, sondern tatsächlich eine gute Stunde, weil wir dann nämlich das erreichen würden, was die bürgerschaftlich engagierten Menschen in unserer Gesellschaft wirklich brauchen.
Ich möchte mich bei allen, die für uns und unsere Gesellschaft zum Gelingen des Miteinanders beitragen,
ganz herzlich bedanken, und ich kann nur dazu auffordern, genau hinzuschauen, was hier teilweise beschlossen wird. Nicht überall da, wo Ehrenamt draufsteht, wird
das Ehrenamt auch gefördert. Wir sind die tatsächlichen
Garanten dafür, dass bürgerschaftliches Engagement gefördert wird.
Vielen Dank.
({15})
Birgit Reinemund von der FDP-Fraktion ist die
nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hinz,
ich finde es schade, dass Sie einen so rundum guten Gesetzentwurf so niederreden können und gleichzeitig zustimmen werden.
({0})
Das ist für mich unverständlich.
Im Zusammenhang mit dem Ehrenamt von „eiskalt“
zu sprechen, ist eine Dreistigkeit ohnegleichen.
({1})
Das ist eine Selbstdarstellung und hat mit dem Inhalt
und der konstruktiven Diskussion im Ausschuss und den
gemeinsamen Berichterstattergesprächen überhaupt
nichts mehr zu tun.
({2})
Ja, bürgerschaftliches Engagement ist ohne Zweifel
mehr als das klassische Ehrenamt. Doch Ziel dieses Gesetzentwurfes war ganz konkret, Verbesserungen für
Ehrenamtliche in Vereinen und Stiftungen zu erreichen.
Es war nicht das Ziel, den Gemeinnützigkeitsbegriff allgemein zu erweitern, was finanziell nicht darstellbar war
und was auch Ihre Länder nicht mitgemacht hätten.
({3})
Im Bund fordern, in den Ländern blockieren, auf diese
Art können wir hier nicht zusammenarbeiten.
({4})
Deswegen ist der neue Titel „Gesetz zur Stärkung des
Ehrenamtes“ genau richtig. Genau das beinhaltet dieses
Paket. Alles andere wäre Etikettenschwindel. Wir stehen
hier für eine ehrliche Politik.
({5})
Deutschland ist das Land des Ehrenamts. Rund
23 Millionen Menschen, mehr als ein Viertel unserer
Mitbürgerinnen und Mitbürger, engagieren sich ehrenamtlich in über 600 000 Vereinen und Stiftungen.
({6})
Sie trainieren Jugendmannschaften in Sportvereinen, leiten Chöre, sie betreuen Senioren oder schwer erkrankte
Kinder, geben Nachhilfe für Lernschwache, oder sie engagieren sich politisch für unsere Demokratie.
({7})
Diese Beispiele ließen sich unendlich weiter auflisten.
Ohne solche Menschen wäre das bunte, vielfältige gesellschaftliche Leben unseres Landes schlicht nicht
denkbar. Diese Menschen organisieren sich selbstverantwortlich und übernehmen Verantwortung für ihre Mitmenschen. Sie leisten damit einen unschätzbaren Beitrag
zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft: Engagement
in bestem liberalen Sinne!
Wir zollen Ihnen, liebe Ehrenamtliche, größten Respekt, Dank und Anerkennung, und zwar nicht nur verbal.
Wir erleichtern Ihnen das Ehrenamt ganz konkret. Bürokratische Hürden abbauen, die Sorgen vor Haftungsrisiken mildern, mit flexibleren Regeln das Gemeinnützigkeitsrecht modernisieren, das wird uns mit diesem
Gesetz gelingen, damit das Ehrenamt auch in Zukunft
eine starke Säule unserer Gesellschaft bleibt.
Was tun wir konkret? Wir entlasten unsere Ehrenamtlichen steuerlich und bauen für sie vor allem überbordende Bürokratie ab, indem wir die Belegesammelei
durch die Erhöhung der Pauschalen drastisch reduzieren:
die Übungsleiterpauschale auf 2 400 Euro, die Ehrenamtspauschale auf 720 Euro. Davon profitieren all die
Menschen, die häufig im Hintergrund agieren, ohne die
aber unser Vereinsleben nicht funktioniert: Trainer und
Übungsleiter genauso wie Eltern, die ihre Kinder zu
Auftritten oder zu Auswärtsspielen fahren. Sie investieren viel Zeit, Herzblut und oft genug auch eigenes Geld.
Sie stehen für uns im Mittelpunkt. Nicht umsonst haben
wir die Ehrenamtspauschale deutlich stärker erhöht als
die Übungsleiterpauschale, und zwar um fast 50 Prozent.
Wir schaffen mehr Rechtssicherheit für Vereinsmitglieder, indem sie künftig nur noch bei grober Fahrlässigkeit und bei Vorsatz gegenüber dem Verein und gegenüber Dritten haften. Niemand soll unwissentlich und
unversehens in Haftung geraten, wo er nur in seiner Freizeit Gutes für die Gesellschaft leisten wollte.
Wir schaffen mehr Rechtssicherheit bei der Gründung
gemeinnütziger Vereine und Stiftungen, die jetzt einen
rechtsverbindlichen Bescheid darüber erhalten, ob ihre
Satzung die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt. Bisher erhielten sie nur eine unverbindliche Zusage
und liefen Gefahr, Jahre später bei der Steuerprüfung
rückwirkend doch anders beurteilt zu werden: mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen Folgen für den Verein und
für die Verantwortlichen im Vorstand.
Wir ermöglichen eine zeitlich flexiblere Verwendung
der Gelder durch verlängerte Mittelverwendungsfristen,
durch bessere Rücklagenbildung, sodass größere Anschaffungen und Investitionen in Zukunft leichter möglich sind.
Für uns Liberale und natürlich auch für unseren lieben Koalitionspartner ist Bildung der wichtigste Rohstoff und die Zukunft unseres Landes. Wir tragen dem
Rechnung, indem jetzt Stiftungen leichter Geld zweckbezogen an andere Stiftungen weitergeben können, was
besonders für die Finanzierung von Stiftungslehrstühlen
eine große Rolle spielt.
({8})
Wir verabschieden hier ein richtig gutes Maßnahmenpaket. Selten hat ein Gesetzesvorhaben so einhellige Zustimmung der Sachverständigen erhalten. Einige Vorschläge der Experten und des Bundesrates, wie
verlängerte Übergangsfristen, haben wir gerne aufgenommen. Selbst die SPD konnte im Ausschuss letztendlich zustimmen. Grüne und Linke haben sich leider enthalten, für mich unverständlich. Ich habe im Ausschuss
keinerlei konstruktive Änderungsanträge gesehen.
Zusätzliche Wünsche gibt es natürlich immer. Doch
wir sind sehr glücklich, dass wir bei diesem Gesetzesvorhaben zu einem frühen Zeitpunkt die Länder mit einbeziehen konnten und so einen engen Rahmen hatten,
sodass wir zuversichtlich sind, dass der Bundesrat zustimmen wird, statt wieder einen Rückzieher zu machen,
wie wir das in vielen anderen Fällen erlebt haben.
Fest steht: Ich habe noch nie für ein Gesetz so durchweg positive Rückmeldungen erhalten wie für dieses,
aus den unterschiedlichsten Bereichen: aus Sport, Kultur, Sozialbereich und vielen anderen. Das zeigt klar:
Unsere Verbesserungen kommen an. Sie kommen an bei
den Menschen, die unsere Gesellschaft aktiv gestalten.
Danke an alle, die dies in ihrer Freizeit unentgeltlich tun.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Barbara Höll, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bürgerschaftliches Engagement ist unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Was viele Menschen leisten, indem sie die Kinder zum
Training oder zu Turnieren fahren, was freiwillige Feuerwehren - Menschen, die Tag und Nacht in Bereitschaft
sind - im Einsatz leisten, was Selbsthilfegruppen für Erkrankte leisten - es gibt eine Vielzahl von Tätigkeiten,
die in unserer Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern freiwillig übernommen werden -, ist nicht hoch genug zu schätzen. Aber Ihr Gesetz hätte einen völligen
Umschwung in eine Richtung zur Folge, die wir nicht
gutheißen können.
({0})
Meine Kollegin Frau Hinz hat darauf schon hingewiesen. Aber man kann es in dieser Debatte nicht oft genug
wiederholen. In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs
heißt es:
In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die
Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an
Bedeutung, denn die öffentliche Hand wird sich
wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben
konzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, Anreize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen
Engagement zu stärken …
Das ist ein grundfalscher Ansatz. Ehrenamtliches Engagement als Lückenbüßer bei der Erfüllung gesellschaftlich notwendiger Aufgaben, also staatlicher Aufgaben,
zu verstehen, ist grundfalsch. Das ist nichts anderes als
das Ausnutzen der Bereitwilligkeit von Menschen.
({1})
Eine fiskalische Entlastung des Staates als Zielstellung eines Gesetzesvorhabens bedeutet natürlich auch das wird bewusst in Kauf genommen -: Der Staat wird
zurückgedrängt. Sie wollen, dass der Staat immer weniger Aufgaben erfüllt.
({2})
- So steht es im Gesetzentwurf. - Das heißt, dass Sie die
Erfüllung einer Reihe von Aufgaben, über die eigentlich
gesellschaftlich in breitem Konsens entschieden werden
müsste, durch Verlagerungen zunehmend von einem
quasi privaten Bereich abhängig machen.
({3})
Ich nenne als Beispiel die Museen. Sie haben immer
weniger Geld, um Kunstwerke zu erwerben. Daher
springen zunehmend Stifter oder Stifterinnen ein.
({4})
Das ist eigentlich etwas Gutes,
({5})
wenn die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer
weiter auseinanderginge und wenn die Kommunen nicht
immer weniger Geld zur Verfügung hätten.
({6})
Diese Entwicklung hat zur Folge, dass über den Erwerb
von Kunstwerken nicht mehr die Museumsleitung entscheidet. Welche Kunstwerke erworben werden, hängt
dann vom Geschmack des Stifters oder der Stifterin ab.
Das Mäzenatentum hat hier deutlich feudale Züge. Das
ist die Grundlage Ihres Gesetzentwurfs. In diese Richtung können wir nicht mitgehen.
({7})
Es gibt viele freiwillige Tätigkeiten im sozialen Bereich. Indem Sie hier vieles in den Bereich des Ehrenamts verlagern, selbst dort, wo Menschen einen Rechtsanspruch auf Unterstützung und Hilfe haben, mutiert
auch das zu einem Gnadenakt. Das widerspricht der
Würde des Menschen.
({8})
Wer einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat, muss nicht um
Hilfe betteln. Bürgerschaftliches Engagement darf nur
ein Plus sein. Dann funktioniert es auch. Das wäre die
richtige Richtung. Ihnen wurde das auch in der Anhörung gesagt, auch wenn Sie nun so tun, als hätten alle
Fachleute Ihren Gesetzentwurf bejubelt. Nein, ich zitiere
Olaf Zimmermann vom Bündnis für Gemeinnützigkeit/
Deutscher Kulturrat e. V.:
Man versucht wirklich, mit diesem Gesetz bürgerschaftliches Engagement zu instrumentalisieren, es
in der Zukunft quasi in bestimmte Lücken, die
durch Finanzprobleme entstehen, hineinzustoßen.
Diese Lücken quasi im Staatsauftrag zu erfüllen, ist
nicht Aufgabe des bürgerschaftlichen Engagements.
({9})
Aus diesem Grundansatz ergeben sich natürlich eine
Reihe von Problemen, die Sie eben nicht gelöst, die Sie
gar nicht angepackt haben. Gemeinnützige Tätigkeiten
sollten nicht in Konkurrenz zu regulärer Beschäftigung
stehen. Ich glaube, das ist ein richtiger und guter Ansatz,
sie sollten eben nur das Plus sein. Aber Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf keine Vorsorge getroffen, dass nicht
auf dem Weg, auf dem wir uns in vielen Bereichen schon
befinden, weitergegangen wird. Sie haben keine Maßnahmen vorgesehen, damit gemeinnützige Tätigkeiten
nicht zum weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors
missbraucht werden.
Schauen Sie sich doch die Situation an. Viele Vereine
müssen doch folgendermaßen arbeiten: Sie zahlen erst
den Menschen für bestimmte Tätigkeiten Pauschalen,
bis der Jahreshöchstbetrag erreicht ist, und dann wird die
Tätigkeit in einen Minijob umgewandelt. Viele ehrenamtlich Engagierte haben die Erfahrung gemacht, dass
sie für Tätigkeiten, die sie übernehmen, noch vor kurzem
im Rahmen einer regulären Beschäftigung bezahlt wurden.
Nehmen wir doch das Beispiel der Betreuung von
Sporthallen. Schauen Sie sich an, wie viele Kommunen
sich heute noch Hallenwarte leisten. Oftmals wird diese
Tätigkeit den Vereinen übertragen, die sie auf ehrenamtlicher Basis wahrnehmen, anstatt dass die Kommunen
einen richtigen Hallenwart einstellen, der acht Stunden
am Tag für die Betreuung der Halle verantwortlich ist.
Schauen Sie sich das Bibliothekswesen an. In vielen
kleinen Orten oder in Schulen, die über Bibliotheken
verfügen, gab es früher Bibliothekarinnen - meistens
sind es Frauen - oder Bibliothekare. Heute wird diese
Tätigkeit ehrenamtlich ausgefüllt. Es ist offenbar keine
Aufgabe, die wirklich wichtig ist. Also lassen wir das
von einem Ehrenamtlichen machen.
({10})
Daraus spricht eine Missachtung gegenüber den Menschen, die ehrenamtlich tätig sind.
Zudem geht der Gesetzentwurf an den Bedürfnissen
vieler ehrenamtlich Engagierter vorbei. Sie haben sich
eben so ein bisschen gefeiert: Toll, wir haben die Pauschalen erhöht, und das kommt nun wirklich allen zugute. - Schauen wir uns die Realität an. Wie viele Vereine sind denn überhaupt in der Lage, die Pauschalen zu
zahlen? Nach Angaben des letzten Freiwilligensurveys
waren es gerade einmal 23 Prozent der Freiwilligen, die
überhaupt bezahlt wurden. Über die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten, die etwas bekommen haben, bekamen unter 50 Euro pro Monat. Da ist also die Frage, wie
hoch die Pauschale ist, für sie völlig irrelevant. Viele Arbeitslose oder Rentnerinnen und Rentner engagieren
sich, die in der Regel sowieso keine oder ganz wenig
Steuern zahlen. Auch sie profitieren also nicht davon.
Deswegen ist die ausschließliche Konzentration auf die
steuerliche Förderung nicht richtig; denn sie wird nicht
zur Erleichterung der Situation vieler beitragen.
({11})
Wir brauchen andere Überlegungen. Wir müssen zum
Beispiel darüber nachdenken, wie ehrenamtlich Engagierte ihr Ehrenamt zeitlich mit ihrer Erwerbstätigkeit
besser vereinbaren können. Wir brauchen Überlegungen,
ob jahrelanges Engagement, beispielsweise in der freiwilligen Feuerwehr, sich nicht vielleicht auch im Erwerb
von Rentenpunkten niederschlagen könnte. Lassen Sie
uns doch mal Maßnahmen überlegen, die nicht auf die
Steuern konzentriert sind, sondern auf die wirklichen
Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind.
({12})
Sie haben mit Ihrer Politik der individuellen steuerlichen Anreize einen falschen Weg eingeschlagen. Zudem
beachten Sie eine Entwicklung in unserer Gesellschaft
überhaupt nicht: Es gibt viele ehrenamtlich Engagierte in
Vereinen, ja, es gibt aber auch viele ehrenamtlich Engagierte, die in Netzwerken und Selbsthilfegruppen tätig
sind und aus verschiedenen Gründen nicht den Vereinsstatus anstreben. Denen helfen wir mit diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht. In der Praxis sieht es doch
oftmals so aus, dass die ehrenamtlich Engagierten
Schwierigkeiten haben, weil keine Infrastruktur vorhanden ist. Es ist doch so, dass man auch für das Ehrenamt,
für das sich 10, 15 oder 30 Leute engagieren wollen, einen Anknüpfungspunkt braucht. Es ist gut, wenn wenigstens eine Person angestellt werden könnte, die die
Kasse führt, die Koordination übernimmt usw. usf. Hilfen zum Ausbau der Infrastruktur bleiben Sie auch mit
diesem Gesetzentwurf schuldig. Sie beachten das bürgerschaftliche Engagement außerhalb der Vereinsstrukturen viel zu wenig.
({13})
Was mich besonders ärgert - das muss ich deutlich sagen -, ist die Behandlung der Menschen, die sich in
Kommunalparlamenten engagieren. Menschen, die sich
dort engagieren, bekommen für ihren Aufwand eine
Aufwandspauschale.
({14})
Es geht um den Aufwand. Aber er wird über eine bestimmte Höchstgrenze hinaus mit ihren Bezügen aus
Hartz IV, also nach dem Sozialgesetzbuch, gegengerechnet. Das ist ein Unding; denn Aufwand ist Aufwand.
Dies ist für sie kein Einkommen. Hier wäre es notwendig gewesen, Klarheit zu schaffen und tatsächlich zu sagen: Das, was eine kommunale Mandatsträgerin bzw. ein
kommunaler Mandatsträger erhält, bleibt anrechnungsfrei. Das wäre eine klare Aussage.
({15})
Ich möchte Ihnen auch sagen, dass das, was Sie hinsichtlich der Stiftungsproblematik großartig verkündet
haben, sehr zwiespältig zu sehen ist; denn gemeinnützige Stiftungen - so gut sie oftmals tätig sind - sind andererseits auch ein beliebtes Steuersparmodell. Dazu zitiere ich Ihnen einfach einmal aus der Homepage der
Deutschen Gesellschaft für Stiftungsförderung, da heißt
es:
Ihr Engagement für den „guten Zweck“ kann mit
erheblichen steuerlichen Vorteilen verbunden sein
…
({16})
Wir erstellen Ihnen gerne Ihre ganz persönliche
Steuerexpertise, um Ihnen aufzuzeigen, wie viele
Steuern Sie tatsächlich mit der Gründung Ihrer gemeinnützigen Stiftung sparen können. Sie werden
überrascht sein!
Wenn wir Zahlen dazu hätten, wie sich das eigentlich
auswirkt, dann, so glaube ich, gäbe es schon ein großes
Erschrecken, auch in der Öffentlichkeit.
Die Linke hat Ihnen ihre Vorschläge vorgelegt.
({17})
Wir denken, wir brauchen einen anderen Ansatz, um soziales Engagement der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich zu befördern. Ihr Weg ist nicht richtig. Da Sie aber
mit dem Gesetzentwurf im Konkreten einige Verbesserungen vornehmen, werden wir ihn nicht ablehnen, sondern uns enthalten.
Danke.
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe mich vorhin zu Beginn der Debatte
gewundert, woher zum Teil die Schärfe in der Debatte
kommt. Ich kann es mir nur so erklären, dass Ihre Nerven wegen vieler anderer Fragen blank liegen, zum Beispiel wegen des Koalitionsausschusses und der Ergebnisse von gestern Abend.
({0})
- Ich fühle mich bestätigt.
({1})
Es kann eigentlich nicht mit dem Thema selbst zu tun
haben; denn dieses Thema hat hier im Haus eine ziemlich lange Tradition. Ich selbst bin seit der letzten Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestags. In der
vorletzten Legislaturperiode gab es eine Enquete-Kommission zum Thema bürgerschaftliches Engagement. In
dieser Enquete-Kommission ist zwischen allen Fraktionen dieses Hauses lange, sehr intensiv und sehr einvernehmlich diskutiert worden, und es sind ganz wichtige
Eckpunkte in Bezug auf die Frage der Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements zusammengetragen
worden. Das alles war sehr konsensual. Von daher: Bleiben Sie alle am besten ganz ruhig!
({2})
Ich glaube, das ist ein sehr verbindendes Thema, das
sehr viele Bürgerinnen und Bürger interessiert. Sehr
viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich davon betroffen, weil sie selbst sich für ihr Gemeinwesen engagieren.
({3})
Ich finde es aber problematisch, dass Sie, obwohl Sie
vier Jahre lang in der Enquete-Kommission darüber geredet haben - Herr Grübel, ich glaube, auch Sie waren
im Gegensatz zu mir dabei wie auch noch viele andere,
die hier sitzen -, offensichtlich vergessen haben, dass
bürgerschaftliches Engagement für die Gemeinschaft
nicht nur Ehrenamt bedeutet nach dem Motto: „Ich engagiere mich für jemanden und tue Gutes für andere“, sondern dass es auch heißt: Ich engagiere mich, weil ich
mich mit dem Gemeinwesen verbinde, identifiziere, weil
ich selbst etwas davon habe, weil ich selbst mich dadurch stärke und davon profitiere. Deshalb ist man dazu
übergegangen, in dieser Gesellschaft über bürgerschaftliches Engagement zu reden und nicht mehr den Kern,
also das Ehrenamt in der alten traditionellen Form, nach
vorne zu stellen.
Deshalb ist es keine Banalität, dass Sie den Titel jetzt
ändern und dahin zurückkehren.
({4})
Das ist ein Signal - das will ich Ihnen damit sagen - an
die vielen, die sich bürgerschaftlich engagieren, und
zwar nicht in einem Verein, sondern vielleicht nur in einer Initiative, vielleicht auch ganz ungebunden für ein
Projekt. Sie alle haben eine Idee davon, was es bedeutet,
sich in einer lebendigen Gesellschaft einzusetzen für
sich, für die Gemeinschaft oder für ein bestimmtes Ziel,
ob im Umweltschutz, im Zusammenleben, im Gesundheitsbereich, in der Hospizarbeit. Es gibt noch viele andere Beispiele dafür, wo sich Menschen engagieren.
Deshalb ist es im Kern keine Lappalie, wenn Sie das
nicht mehr „Gemeinnützigkeitsrecht“, sondern „Ehrenamt“ nennen.
Da frage ich mich schon: Warum tun Sie das, vor allem Sie von der FDP mit Ihrem libertären Ansatz und Ihrem Anspruch als sogenannte Bürgerrechtspartei? Wir
gemeinsam haben diese Debatte sowohl in der EnqueteKommission als auch in der letzten Legislaturperiode im
Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ sehr
intensiv geführt. Deshalb kann ich nicht verstehen, dass
Sie zu dieser Titeländerung kommen. Das ist nicht nur
eine Banalität; dahinter steckt auch eine inhaltliche Ausrichtung, und die bedaure ich sehr, weil wir gesellschaftlich eigentlich viel weiter sind.
({5})
- Herr Döring, davon haben Sie keine Ahnung, weil Sie
nie dabei waren.
({6})
Es gibt eine ganze Reihe von kleinen Verbesserungen.
Wir haben im Berichterstattergespräch über viele Dinge
geredet, die im Kleinen sehr wichtig und richtig sind.
({7})
- Ja, das kann ich ruhig betonen, weil wir darüber diskutiert haben, und zwar sehr ausführlich und sachlich. - Es
geht um Entbürokratisierungsmaßnahmen, zum Beispiel
für Vereine, was etwa Tätigkeitsberichte und viele Fragen angeht, die den Menschen, die sich in kleinen ge27346
meinnützigen Vereinen engagieren, ihr Engagement im
Alltag erleichtern. Das finde ich gut. Das finde ich richtig. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf
({8})
auch nicht ablehnen.
Ich finde aber, bei dem Gesetzentwurf versäumen Sie
ein paar Dinge. Deshalb kommt es bei uns am Ende nur
zu einer Enthaltung. Sie klären zum Beispiel nicht die
Rolle des Verfassungsschutzes in der Abgabenordnung.
({9})
Sie wissen, dass Sie da einen Fehler gemacht haben, den
Sie beim Jahressteuergesetz nicht korrigiert haben, was
Sie eigentlich hätten machen können. Es geht um die
Überprüfbarkeit der Gemeinnützigkeit einer Organisation. Da richten Sie sich sozusagen nach den 17 Verfassungsschutzberichten. Wir haben das total kritisch miteinander diskutiert. Sie wissen, dass das hochumstritten
ist. Da frage ich mich, warum Sie so etwas mitmachen.
Ein weiterer Punkt: die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements als eigenständiges Kriterium. Das ist
Beschlusslage. Das ist geltendes Gesetz. Seit 2007 darf
man als gemeinnützig anerkannt werden, wenn man sich
bürgerschaftlich engagiert. Das ist 2007 in einem Gesetz
der Großen Koalition so beschlossen worden.
Das Finanzministerium fand das falsch. Deshalb hat
man das Gesetz durch einen Anwendungserlass uminterpretiert. Das heißt, wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber haben etwas beschlossen, was nie angewendet
wurde, weil das Finanzministerium das falsch fand und
das per Anwendungserlass ausgehebelt hat.
({10})
- Nein, durch einen Anwendungserlass. - Ich finde, das
ist nicht in Ordnung, weil damit ignoriert worden ist,
was geltendes Gesetz ist. Deshalb hätte das hier geregelt
werden müssen. Damit zeigt man überhaupt keinen Respekt vor dem Parlament und vor einem beschlossenen
Gesetz.
({11})
Ich finde es falsch, dass Sie durch die Erhöhung der
Übungsleiterpauschale und die Anhebung der Ehrenamtspauschale - die Übungsleiterpauschale erhöhen Sie
von 2 100 Euro auf 2 400 Euro, die Ehrenamtspauschale
von 500 Euro auf 720 Euro - die Diskrepanz zwischen
diesen beiden Pauschalen nicht verkleinern,
({12})
was eigentlich notwendig wäre. Sie müssen stärker in
Richtung Gleichbehandlung gehen, Herr Grindel.
({13})
- Doch, weil im Ehrenamt, im bürgerschaftlichen Engagement in vielen Bereichen, in denen Menschen aktiv
sind, mittlerweile ein Bildungsauftrag damit verbunden
ist. Warum grenzen Sie das so voneinander ab?
({14})
Der Übungsleiter im Fußballverein, der eine super Arbeit macht, hoch anerkannt ist, Jungen und Mädchen im
Fußball trainiert und dadurch für diese Gesellschaft auch
viel soziale Arbeit leistet,
({15})
erhält für seine Tätigkeit 2 400 Euro Übungsleiterpauschale. Die Frauen oder Männer, die in der Hospizarbeit - ({16})
- Ich habe gesagt: Frauen oder Männer. Ich weiß gar
nicht, warum Sie so empfindlich sind.
Die Frauen oder Männer, die im Hospizbereich arbeiten,
({17})
erhalten nicht unbedingt die Übungsleiterpauschale
- das wissen Sie ganz genau -, weil ihre Gewährung davon abhängt, ob es einen Bildungsauftrag gibt oder
nicht.
({18})
- Es ist keine direkte Pflege. Darin besteht das Problem,
und es gibt ein Abgrenzungsproblem. Sie haben es doch
gerade selber angesprochen. Das finde ich falsch, weil es
am Ende zwei verschiedene Arten von Pauschalen gibt,
die sehr weit auseinanderliegen
({19})
und deshalb zu einer unterschiedlichen Bewertung des
Engagements führen.
({20})
Das ist im Kern falsch.
({21})
Ich glaube, dass Sie an dieser Stelle versäumt haben
- der gesellschaftliche Diskurs dazu ist schon viel weiter -, das Thema Transparenz anzusprechen. Meine
Fraktion hätte es gut gefunden, wenn wir dem Anspruch
und der öffentlichen Debatte, die insbesondere durch
Fehlverwendungen von Mitteln, von Spenden und einige
wenige Skandale ziemlich hochkocht, stärker entgegengekommen wären. Heute lassen sich viele Vereine
freiwillig im Rahmen der Verleihung des deutschen
Spendensiegels beurteilen. Dann können Menschen, die
Vereinen etwas spenden wollen, für ein Anliegen eintreten wollen, im Netz nachschauen, wie der Verein arbeitet, welche Satzung er sich gegeben hat, wie transparent
er agiert und mit seinen Mitteln umgeht.
Wir hatten in der Debatte angeregt, dass wir uns im
Sinne von Transparenz stärker darauf konzentrieren sollten, über die Frage eines Gemeinnützigkeitsregisters einmal nachzudenken.
({22})
Wir wollen diese Idee weiter verfolgen. Es wäre gut,
wenn gemeinnützige Vereine darlegten, welche Arbeit
sie tun und welche Spenden sie erhalten.
({23})
Diese Chance ist einfach mit dem Gesetzentwurf vertan
worden, weil Sie diese Diskussion nicht führen wollten.
Das finde ich schade. Das sind die Gründe, weshalb wir
uns an dieser Stelle enthalten werden.
({24})
Ich will mich noch einmal ganz herzlich für das Engagement so vieler Menschen, die Lust haben, sich einzumischen und einzubringen, für ihr Gemeinwesen, für unsere Gesellschaft bedanken. Ich glaube, dass wir das alle
sehr wertschätzen.
({25})
Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir freuen
uns natürlich nicht nur über einen gelungenen und übrigens mit den wesentlichen Vertretern aller ehrenamtlichen Organisationen und Hilfsorganisationen abgestimmten Gesetzentwurf, den wir heute hier beschließen
wollen, sondern wir freuen uns auch darüber, dass hier
sehr intensiv einmal über viele Menschen - 23 Millionen
in Deutschland - gesprochen wird, die sich dankenswerterweise ehrenamtlich engagieren.
Allerdings bin ich über die Tonlage, insbesondere bei
den Sozialdemokraten und bei den Linken, etwas überrascht. Dass Sie einen Gegensatz zwischen staatlicher
Arbeit, Vereinsarbeit und ehrenamtlicher Arbeit aufbauen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich
weiß nicht, wo der Dissens bei einem Schullehrer, der
Sportunterricht anbietet und gleichzeitig immer mehr
Kooperation mit den regionalen Sportvereinen sucht,
liegt. Ich weiß nicht, wo der Gegensatz ist zwischen einer Berufsfeuerwehr, die wichtig ist, und freiwilligen
Feuerwehren, die ergänzen und dann helfen, wenn die
Berufsfeuerwehr überlastet ist.
({0})
Ich weiß auch nicht, worin der Gegensatz zwischen
Hauptamt und Ehrenamt bestehen soll.
({1})
Im Übrigen ist das gelebte Praxis in fast allen Vereinen
und Hilfsorganisationen. Es gibt Hauptamtliche, und es
gibt Ehrenamtliche, die übrigens die Mehrheit in den
Vereinen darstellen. Ich weiß auch nicht, was die soziale
Frage damit zu tun haben soll. Denn für viele Rentnerinnen und Rentner, gerade für diejenigen mit kleinen
Renten, die nicht so viel Geld haben, sind Übungsleiterpauschale und Ehrenamtaufwandsentschädigung ein
Stückchen Zuverdiensts für ehrenamtliches Engagement.
({2})
Im Übrigen darf ich, weil es falsch dargestellt wurde,
auf Folgendes hinweisen: Für Hartz-IV-Bezieher gibt es
so gut wie keine Möglichkeiten, etwas hinzuzuverdienen, aufgrund des Lohnabstandsgebots und vieler anderer Aspekte. Beim Ehrenamt gilt das aber gerade nicht.
Wer ehrenamtlich tätig ist, kann auch als Hartz-IV-Bezieher Geld hinzuverdienen, wird also zusätzlich dafür
belohnt, dass er sich als Hartz-IV-Bezieher ehrenamtlich
engagiert.
({3})
Also geht auch diese Debatte in die falsche Richtung.
({4})
Frau Hinz, ich will übrigens ausdrücklich sagen, dass
ich Ihren Redebeitrag unglücklich fand.
({5})
Ich bedanke mich aber bei den Sozialdemokraten sehr,
dass sie auch in einem Wahlkampfjahr vernünftig sind
und diesem Ehrenamtspaket heute ihre Zustimmung geben. Es ist ein gutes Zeichen für die Demokratie, dass
die großen, vernünftigen Parteien CDU/CSU, FDP und
SPD in dieser Frage zusammenarbeiten.
({6})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen - ich sage das als
jemand, der selber in vielfältigen Positionen und Funktionen seit 30 Jahren ehrenamtlich tätig ist -, um mich
beim Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu bedanken, der bereit ist, in schwierigen Zeiten 110 Millionen Euro pro Jahr in das Ehrenamt zu investieren. Es ist
keine Selbstverständlichkeit, dass Kolleginnen und Kol27348
legen, die in ihren Fachgebieten viele Wünsche haben
und sich mit sinnvollen Vorschlägen nicht durchsetzen
können, bereit sind, einer Zahlung an 23 Millionen
Ehrenamtliche in Deutschland in einer Größenordnung
von 110 Millionen Euro zuzustimmen. Dafür herzlichen
Dank an den Finanzminister und an die Kollegen und
Kolleginnen aus den anderen Bereichen.
Meine Damen und Herren, zu Grünen und Linken
fällt mir nur eines ein. Erich Kästner hat gesagt:
Es gibt nichts Gutesaußer: Man tut es.
Sie können im Detail nörgeln, Sie können hier Reden
halten, die mit dem Thema nicht viel zu tun haben; am
Ende des Tages ist entscheidend, wie Sie abstimmen. Sie
führen mit Ihrem Abstimmungsverhalten heute vor, dass
Ihnen die Menschen im Ehrenamt nicht so am Herzen
liegen, dass Sie kleinteilig nörgeln, absurde Begründungen finden: Frauen, Steuerhinterziehung - was weiß ich,
was Sie uns alles vorgetragen haben, was die Vereine alles Böses tun.
({7})
Hier führt eine Verlagerung vom Staat zum Ehrenamt zu
Ihren Bedenken. Trotzdem sollten Sie heute über Ihren
Schatten springen und zustimmen; denn wenn Sie das
nicht tun, wird deutlich, worum es Ihnen geht: um die
Profilierung der Parteien, aber nicht um die Wertschätzung des Ehrenamts.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend
sehr herzlich den Ehrenamtlichen danken, insbesondere
deren Angehörigen, die aus meiner Sicht einen wirklich
unverzichtbaren Beitrag leisten: Wenn sich ein Vater am
Wochenende um anderer Leute Kinder kümmert, dann
ist das für die eigene Familie, für die eigenen Kinder ein
Verzicht - das gilt für Mütter selbstverständlich genauso -,
den viele andere in unserer Gesellschaft nicht leisten.
Meine Damen und Herren, während viele wegschauen, wenn etwas passiert, ob in U-Bahn, S-Bahn
oder im öffentlichen Raum, sind unsere Hilfsorganisationen bereit, ehrenamtlich anzupacken, mitzumachen. Damit sind sie weit über das ehrenamtliche Engagement hinaus ein Vorbild für unsere Gesellschaft. Gerade wenn
man sieht, was Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter
auf deutschen Sportplätzen und in deutschen Sporthallen
in den letzten Monaten und Jahren ertragen haben, dann
erkennt man, dass es an der Zeit ist, jenen zu danken,
ohne die Sport nicht stattfinden könnte, nämlich Zehntausenden und Hunderttausenden von Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, die bereit sind, sich jedes
Wochenende auspfeifen und vielfach beschimpfen zu
lassen.
({9})
Herr Kollege Steffel, darf die Kollegin Höll Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Nein. - Im Hinblick auf die Angehörigen der Ehrenamtlichen möchte ich als jemand, der - wie viele von Ihnen sicherlich auch - viel mit Ehrenamtlichen zu tun hat
und sich dort selbst seit langen Jahren engagiert, einmal
betonen: Es ist für viele Familien mittlerweile die Regel,
dass die Ehepartner und die Familienangehörigen Mehraufgaben übernehmen und Leistungen erbringen, weil
sich ein Familienmitglied oder die ganze Familie in ihrer
Freizeit sehr engagiert ins Ehrenamt einbringt. Ich halte
auch das für keine Selbstverständlichkeit.
Ich schaue zur Tribüne und sehe dort sehr viele junge
Gesichter, worüber ich mich sehr freue. Gerade junge
Menschen wissen, was es bedeutet, dass sich Eltern ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren, als Trainer und Übungsleiter in den Sportvereinen, übrigens
auch in den Musikschulen, als Elternvertreter, als Gemeindekirchenräte, als Kommunalpolitiker und in vielen
anderen Bereichen. Deswegen - Christian von Stetten
hat die Details dargelegt - ist heute ein guter Tag für das
Ehrenamt. Es ist in juristischer, gesetzlicher Hinsicht ein
guter Tag, aber vor allen Dingen ist es ein Tag der Anerkennung, ein Tag des Dankes. Wir als CDU/CSU-Fraktion danken allen Ehrenamtlichen und insbesondere den
Angehörigen für ihren unverzichtbaren Beitrag in unserer Gesellschaft.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Ute Kumpf für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, hier im Saal sind wir uns alle darin einig, dass
unsere Demokratie erst durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger lebt
({0})
und dass wir alle eine vitale Bürgergesellschaft wollen,
eine starke, lebendige Bürgergesellschaft, in der Menschen füreinander einstehen und die Freiheit nutzen, ihre
Meinung zu äußern und sich in Vereinen und Verbänden
zu organisieren. Sie arbeiten mit ihrem Engagement gegen die Fliehkräfte der Gesellschaft. - Ich glaube, bis
hierhin wird jeder sagen: Das stimmt.
Jetzt gehen wir weiter. Wir sind davon überzeugt,
dass eine lebendige Bürgergesellschaft staatliches Handeln kontrollieren, korrigieren, anspornen und ergänzen,
aber nicht ersetzen soll. Ich glaube, das ist der erste Unterschied; diesen sollten wir auch einmal deutlich machen.
({1})
Wir alle wissen auch: Nur wo der Sozialstaat seiner
Pflicht nachkommt, kann auch eine vitale Bürgergesellschaft entstehen. Das wissen wir durch Untersuchungen.
Sonst entsteht nichts, sonst blüht nichts. Wir wissen
auch, dass Ehrenamtlichkeit Hauptamtlichkeit braucht,
damit es wachsen kann.
In der Enquete-Kommission haben wir uns bereits auf
einen Begriff verständigt. Deshalb ist Ihre Begrifflichkeit ein bisschen altbacken und zurückgedreht. Wir haben uns von dem engen Begriff des Ehrenamtes verabschiedet und darauf verständigt, vom bürgerschaftlichen
Engagement zu reden, das freiwillig, gemeinwohlorientiert und selbstlos ist und das sowohl das klassische Ehrenamt umfasst als auch die Selbsthilfe, Freiwilligendienste und sonstige Organisationen, die sich im Laufe
der Jahre entwickelt haben.
Ich merke, es ist nur der Kollege Lothar Binding da.
Er, der Kollege Riegert und ich waren es, die in der Enquete-Kommission mitgearbeitet haben. Kollege Grübel
war damals noch nicht im Deutschen Bundestag. Allmählich geht wohl auch dieses Wissen verloren, was
sehr schade ist. Trotzdem haben wir uns im Unterausschuss auf diesen Begriff verständigt. Übrigens heißt der
Unterausschuss nicht Unterausschuss für das Ehrenamt,
sondern Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“.
Alle sagen, es ist toll, dass sich 23 Millionen Menschen engagieren. Es sind 500 000 Vereine, es sind inzwischen fast 20 000 Stiftungen, die diese Gesellschaft
ausmachen. Es geht nicht nur um den Sport, das betone
ich, weil Sie so sehr auf den Sport abheben, als wäre dieser das zentrale Element. Er macht gerade 10 Prozent
aus. Der Sport ist sicherlich wichtig, aber genauso viele
Menschen sind engagiert im sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, sie sind engagiert in der Freizeit und Geselligkeit, sie sind engagiert als Elterninitiativen im Kinder- und Jugendbereich. Also, auch darauf genau zu
schauen und nicht nur die männlich bestimmte Domäne
Sport im Blick zu haben, glaube ich, tut uns allen gut.
({2})
Wir wissen auch, dass alle Engagierten Anerkennung
wünschen - wir müssen das einfach einmal im Bericht
der Enquete-Kommission nachlesen - und dass sie eben
nicht als Ausfallbürge benutzt werden wollen.
Wir hatten in dieser Woche eine wunderbare Anhörung im Unterausschuss. Der Kollege Bernschneider war
mit dabei. Ihm verdanken wir, dass wir eine wunderbare
Initiative kennengelernt haben: „AntiRost“ aus Braunschweig. Deren Vertreter haben betont, dass sie für sich
entscheiden wollen, was sie tun. Sie wollen Unterstützung, sie wollen aber nicht missbraucht werden.
Dieses Verzwecken, das ein Stück weit in Ihrem Gesetz steckt, tut den Menschen nicht gut. Das wollen sie
nicht. Sie verweigern sich dann auch. Das sollten wir zur
Kenntnis nehmen.
({3})
Darüber hinaus finde ich, dass es kein guter Stil war.
Herr Kollege von Stetten, Sie haben bei der ersten Lesung vollmundig gesagt: Machen Sie mit, bringen Sie
sich ein, bringen Sie Änderungsanträge ein! - Keiner unserer Änderungsanträge wurde berücksichtigt.
({4})
Das ist schlechter politischer Stil; denn es war immer
Konsens im Haus, dass wir Initiativen zum Thema „bürgerschaftliches Engagement“ über die Parteigrenzen hinweg ergriffen, mitgetragen und gemeinsam entschieden
haben.
Wir werden uns heute diesem Gesetzentwurf nicht
verweigern. Wir finden, er fällt hinter die Erwartungen
der Menschen in der Bürgergesellschaft zurück. Wir haben noch viel zu tun, um die Rahmenbedingungen und
die Voraussetzungen für bürgerschaftliches Engagement
zu stärken.
({5})
Ein paar weitere Stichworte: Weil Sie so sehr auf die
Übungsleiterpauschale abheben und weil der Kollege
Grübel vorhin so gelacht hat, biete ich einen kleinen Geschichtskurs an. Es war Willy Brandt, der die steuerfreie
Übungsleiterpauschale in Höhe von 100 DM eingeführt
hat, um die Arbeit der sportlichen Übungsleiter zu würdigen und wertzuschätzen. Das hat damals zu heftigen
Debatten geführt, weil es nur um Sport ging.
({6})
Inzwischen ist diese Übungsleiterpauschale ausgebaut
worden.
({7})
Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf den Sport; auch
in anderen Bereichen gibt es Nutznießer dieser steuerfreien Pauschale. Der Witz ist aber, dass man nur dann
davon profitieren kann, wenn die Vereine überhaupt in
der Lage sind, diese Pauschale zu zahlen,
({8})
und wenn man steuerlich so veranlagt wird, dass dies
auch wirkt. Hier gibt es noch ganz viel nachzuarbeiten;
denn 80 Prozent der Menschen, die sich bürgerschaftlich
engagieren, haben von dieser Pauschale gar nichts. So
viel an dieser Stelle.
Darüber hinaus haben die Wohlfahrtsverbände in der
Anhörung kritisch angemerkt - insgesamt freuen sie sich
natürlich, auch die Sportvereine -, dass ein größerer Druck
entsteht, mehr zahlen zu müssen, um den Aufwand abzugelten. Zudem besteht die Gefahr, dass durch eine sehr
kreative Gestaltung der ehrenamtlichen Tätigkeit Minijobs mit der Übungsleiterpauschale verbunden werden
und durch diesen Missbrauch schlecht entlohnte Tätigkeiten finanziert werden. Da liegt die Krux. Wir müssen
also genau schauen, wo die Schnittstelle zwischen Ehrenamt und geringfügiger Beschäftigung verlassen wird.
Auch bei der kleinen Ehrenamtspauschale gibt es
Schwierigkeiten. Wir hätten uns gewünscht, dass die
kleine Ehrenamtspauschale, die 2007 anstelle einer Zeitspende eingeführt wurde, die damals nicht mitgetragen
wurde, ausgeweitet wird und mehr Menschen zugutekommt.
({9})
Auch hier gilt der Grundsatz, dass wir uns andere Formen überlegen müssen, wie zum Beispiel die Zeitspende. Diese Pauschale zeigt nämlich nur dann Wirkung, wenn tatsächlich Gelder fließen und eine
steuerliche Veranlagung vorliegt. Viele, die ein kleines
Einkommen haben, haben von dieser Entlastung nichts.
Deswegen sollte man hier keine Augenwischerei betreiben.
({10})
Ich finde das ehrlich. Wir sollten nichts vorgeben, was
der Sache nicht entspricht. Das ist eine Frage von sozialer Gerechtigkeit.
({11})
Der Kollege möchte eine Frage stellen.
Dann wollen wir das auch ermöglichen. - Bitte schön,
Herr Kollege von Stetten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kumpf, Sie haben gerade ausgeführt, dass sich die SPD gewünscht hat,
wir hätten die sogenannte kleine Ehrenamtspauschale,
die wir von 500 auf 720 Euro erhöhen, also um immerhin 44 Prozent, stärker ausgebaut. Ist Ihnen bekannt,
dass im Finanzausschuss des Bundesrates, der diesen
Gesetzentwurf vorab diskutiert hat, die Vertreter der
SPD-geführten Länder eine Erhöhung auf 720 Euro konsequent abgelehnt haben?
({0})
Wie bringen Sie das zusammen? Das ist doch die Wahrheit, und die sollte hier ausgesprochen werden.
Das ist mir sehr wohl bekannt. Der Finanzausschuss
des Bundesrates hat sich auch zu dem Thema Übungsleiterpauschale kritisch geäußert und die Erhöhung abgelehnt.
({0})
Er hat dies abgelehnt, weil befürchtet wird, dass mit der
großen Übungsleiterpauschale Missbrauch betrieben
wird.
({1})
Er hat sich dafür ausgesprochen, dass die Trennung zwischen ehrenamtlichem sowie freiwilligem Engagement
und geringfügiger Beschäftigung aufrechterhalten wird.
Mit der kleinen Ehrenamtspauschale - das wissen Sie
sehr wohl - wollten wir 2007 etwas Gutes tun. Der Kollege Riegert, glaube ich, hat auch darauf gedrängt, dass
die Vereine diese Pauschale einführen. Die Zeitspende
wurde damals abgelehnt, obwohl alle, die im Bereich
„bürgerschaftliches Engagement“ arbeiten, sich für die
Zeitspende ausgesprochen haben, weil dies auch den
Vereinen geholfen hätte, bei denen kein Geld an die ehrenamtlich Tätigen fließt.
({2})
Aber jetzt zurück zu Ihrer kleinen Ehrenamtspauschale. Es gab Ärger in den Vereinen, weil die Satzungen
geändert werden mussten.
({3})
- Langsam, ich will mein Argument gerade entwickeln. ({4})
Die Satzungen mussten geändert werden, damit die Vorstände ihren Aufwand bezahlt bekommen. Ich erinnere
mich ganz genau - das kennen Sie auch; ich war bei Ihnen in Ihrem Gäu -, dass viele gesagt haben: Wir können
das nicht bezahlen. Aber warum bekommt sie auf einmal
der Vereinsvorstand? Ich bekomme sie nicht, wenn ich
eine bestimmte Tätigkeit mache. - Das hat damals zu
großen Verwerfungen geführt.
({5})
Das war der Hintergrund für die Vorgänge im Finanzausschuss des Bundesrates.
Im Bundesrat wurde die Sache, nachdem wir debattiert hatten, geheilt. Er hat sich dem Finanzausschuss
nicht angeschlossen, weil sich die anderen Ausschüsse
dafür ausgesprochen haben. Was aber hier nicht vom
Bundesrat übernommen wurde, ist die Klarstellung zu
§ 52 Abgabenordnung, der unter anderem die Förderung
des bürgerschaftlichen Engagements beinhaltet. Die
Kollegin Britta Haßelmann hat schon erläutert, dass wir
dies 2007 eingeführt haben. Die Finanzämter haben das
schlichtweg missachtet; dadurch konnten Neuformen
nicht gefördert werden. Sie hatten damit keinen Zugang
zur Gemeinnützigkeit. Wir wollten das klarstellen; aber
Sie haben das rigoros abgelehnt.
Noch ein Wort zu den Stiftungen. Sie selbst haben ein
Herz für Stiftungen; das wird durch Lobpreisungen hier
auch wertgeschätzt.
({6})
Wir haben in unseren Debatten deutlich gemacht, dass
wir den Weg der Verbrauchsstiftungen nicht mitgehen
wollen. Leider konnten wir unsere Position nicht durchsetzen. Wir sehen darin ein neues Steuersparmodell, das
dem eigentlichen Stiftungsgedanken entgegensteht. Wir
haben 2007 mit dem Gesetz „Hilfen für Helfer“ einen
guten Weg eingeschlagen. Damals gab es 16 000 Stiftungen, jetzt gibt es knapp 20 000 Stiftungen. Ihren Weg
wollen wir nicht mitgehen.
Zum Schluss. Es gibt noch ganz viele Baustellen,
wenn es darum geht, das bürgerschaftliche Engagement
zu fördern. Es geht nicht nur um den Sport, der eine sehr
männlich geprägte Domäne ist; das wissen wir.
({7})
- Das können Sie nicht leugnen. Alle Untersuchungen
belegen das.
Frau Kollegin Kumpf!
Wir wissen ganz genau, dass wir uns neben der Ausstattung und dem steuerlichen Anreizsystem noch weitere Formen überlegen müssen, um Menschen für das
bürgerschaftliche Engagement, für die klassische Vereinsarbeit zu gewinnen. Wir müssen mehr tun. Wir müssen bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dafür setzen
wir uns ein. Wir haben gute Bündnispartner: die Wohlfahrtsverbände und 23 Millionen engagierte Menschen
in unserer Republik.
Danke.
({0})
Marco Buschmann ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute in der Kernzeit in zweiter und
dritter Lesung über das vorliegende Gesetzespaket, weil
wir das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engagement
nicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit konkreten Taten würdigen wollen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie dieses wichtige, fraktionsübergreifende
Anliegen für die kleine parteipolitische Münze missbrauchen. Sie suchen nach Haaren in der Suppe, und das
bei einem Paket, das objektiv so gut ist, dass kein einziger Abgeordneter in diesem Parlament mit Nein stimmen will. Warum man versucht, ein solches Anliegen
angesichts der großen gesellschaftspolitischen Relevanz
zu zerreden, das werde ich nicht verstehen und das
möchte ich auch nicht verstehen.
({0})
Ich bleibe dabei: Heute ist ein guter Tag. Es ist ein guter Tag für das Ehrenamt, weil wir unsere Wertschätzung
durch die Einführung weiterer Maßnahmen zum Ausdruck bringen. Wir werden mit vielen kleinen und großen konkreten Maßnahmen etwas für die 23 Millionen
Menschen in Deutschland tun, die sich täglich in den fast
600 000 Vereinen und in rund 19 000 Stiftungen engagieren. Mit Leidenschaft, Tatkraft und häufig mit ihrem
privaten Geld tragen sie zu einer lebendigen Bürgergesellschaft der Vielfalt bei.
Hier wird der Unterschied im Denken deutlich. Es ist
wichtig, dass Engagement unabhängig von staatlicher
Tätigkeit erfolgt, dass wir private Initiativen haben. Die
lebendige Bürgergesellschaft soll den Staat herausfordern; sie soll Initiativlücken schließen. Deshalb ist es
sehr wichtig, dass wir eben nicht dem Weltbild der Linken folgen und alles in die Obhut des Staates geben;
vielmehr müssen wir die Unabhängigkeit, die Lebendigkeit, die Vielfalt und den Pluralismus im Bereich der
Kultur, des Sports und der Medien erhalten. Alles andere
wäre die Verstaatlichung des Denkens, die Verstaatlichung der Kunst, die Verstaatlichung der Mildtätigkeit.
Eine solche Gesellschaft möchte ich nicht. Ich möchte
freie, engagierte Bürger, die ihren eigenen Weg gehen
können, gerade dann, wenn sie der Meinung sind, dass
die Mehrheit vielleicht Lücken übersieht, die zu schließen die Gesellschaft berufen ist.
({1})
Für diese tatkräftigen Menschen gestalten wir das Gemeinnützigkeitsrecht jetzt bürgerfreundlicher. Wir gestalten die Haftungsverhältnisse überschaubarer. Hier
haben wir im Rahmen der Beratungen noch Verbesserungen vorgenommen. Die Frage der Beweislast ist jetzt
bei weitem besser, transparenter und auch vorteilhafter
für die ehrenamtlich Tätigen geregelt worden. Das zeigt,
dass wir keinesfalls mit Betonkopfmentalität in die Beratungen gegangen sind. Vielmehr haben wir einen guten
Gesetzentwurf an wesentlichen Stellen noch besser gemacht.
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt erwähnen.
Dies ist nicht nur ein guter Tag für das Ehrenamt. Ich
finde, dies ist auch ein guter Tag für das Parlament, weil
die Idee zu diesem Paket nicht von der Bundesregierung
kam. Ich schaue den Kollegen Grindel an. Ich kann mich
noch gut daran erinnern, wie wir uns nach einer Sitzung
des Untersuchungsausschusses zusammengesetzt haben
- ich glaube, es war eine Sitzung des Gorleben-Untersuchungsausschusses - und gesagt haben: Mensch, lass
uns doch einmal die Ideen, die es zum Thema Ehrenamt
gibt, sammeln, um für die 23 Millionen ehrenamtlich tätigen Menschen etwas Gutes auf den Weg zu bringen. Ganz schnell waren die Kollegen von Stetten und
Riegert von der Unionsfraktion und die Kollegin
Reinemund und der Kollege Bernschneider aus meiner
Fraktion dabei. Wir haben diese Sache vorangetrieben.
Dabei haben wir den Sachverstand aus den Häusern nutzen können; herzlichen Dank dafür. Der technische
Sachverstand der Ministerien ist also voll und ganz in
den Dienst des Parlaments gestellt worden, um unsere
Initiative zu unterstützen. Ich glaube, so sollte es sein.
Deshalb ist dies auch für den Parlamentarismus ein schöner, ein guter Tag. Die Zusammenarbeit war vorbildlich.
Dafür möchte ich mich bedanken.
Meine Damen und Herren, die Sie draußen an den
Bildschirmen diese Debatte verfolgen, lassen Sie sich
nicht verunsichern. So schlecht kann dieser Gesetzentwurf nicht sein, wenn kein einziger Abgeordneter hier
mit Nein stimmt. Das ist ein gutes Gesetz, und das ist ein
guter Tag für das Ehrenamt. Dabei bleibe ich. Ich lasse
mir nichts anderes einreden. Sie sollten das auch nicht
tun.
Herzlichen Dank.
({2})
Nun erhält der Kollege Karl Holmeier das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Auch wenn es schon mehrfach gesagt wurde: Heute ist
ein besonderer Tag für das Ehrenamt in Deutschland.
Wieder einmal hält die christlich-liberale Koalition
Wort. Sie setzt Stück für Stück das um, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben - heute im Interesse aller ehrenamtlich tätigen Menschen in ganz Deutschland.
({0})
Bei diesem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des
Ehrenamtes ist der Name Programm. Wir sorgen dafür,
dass ehrenamtliches Engagement stärker als bisher gewürdigt wird. Wir sorgen dafür, dass ehrenamtliches Engagement attraktiver wird. Und wir sorgen dafür, dass
der bürokratische Aufwand für ehrenamtliches Engagement verringert wird. Ehrenamtliches Engagement ist einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Dies gilt vor
allem für den ländlichen Raum. Millionen Deutsche setzen sich jede Woche in Kirchen, in Sportvereinen, in sozialen Einrichtungen, in Hilfsorganisationen, in Parteien
oder anderen Initiativen ehrenamtlich ein. Viele Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens wären ohne ehrenamtliches Engagement nicht denkbar. Mit dem heute
zu verabschiedenden Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes ist es der christlich-liberalen Koalition gelungen, ein attraktives Gesetzespaket zu schnüren.
Dieser Gesetzentwurf hat auf alle Fragen, die ehrenamtlich tätige Bürger berühren, die passende Antwort
parat. Dementsprechend war das Echo in der öffentlichen Anhörung am 10. Dezember 2012 sehr positiv. Mit
den in den Ausschüssen beschlossenen Änderungen haben wir zudem die wichtigsten Verbesserungsvorschläge
der Sachverständigen aufgegriffen und den Einwänden,
die während der parlamentarischen Beratungen vorgebracht wurden, Rechnung getragen.
Ich möchte an dieser Stelle auf drei Punkte eingehen,
für die ich auch in meinem Wahlkreis positive Rückmeldungen sowie entsprechende Anfragen zum Inkrafttreten
der Regelung erhalten habe:
Erstens. Ein wichtiger Punkt ist die Anhebung der
steuerlichen Pauschalen. Hiermit geben wir den Vereinen die Chance, auf bürokratisch aufwendige Einzelabrechnungen zu verzichten. Zugleich schaffen wir die
Möglichkeit, ehrenamtliche Arbeit stärker zu honorieren. Zum einen erhöhen wir die Übungsleiterpauschale
von 2 100 auf 2 400 Euro. Zum anderen erhöhen wir die
Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro. Davon profitieren auch alle anderen Ehrenamtlichen, zum Beispiel
Kirchenpfleger, Feuerwehrleute, Schiedsrichter und
viele mehr.
Ein zweiter Punkt und ein großer Schritt zum Abbau
der Bürokratie ist die Anhebung der Umsatzgrenze bei
sportlichen Veranstaltungen. Gerade bei kleineren Veranstaltungen entfällt damit die Pflicht, die Ausgaben detailliert aufzuschlüsseln. Das hilft unseren Sportvereinen
sehr.
Drittens bewegt viele Ehrenamtliche auch die Frage,
inwieweit sie für Fehler und Schäden, die immer wieder
passieren können, persönlich einstehen müssen. Mit dem
Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts geben wir den Ehrenamtlichen das eindeutige Signal: Ihr haftet nur bei
Vorsatz und bei grober Fahrlässigkeit. Wir sagen außerdem: Ob Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im konkreten
Fall vorgelegen hat, muss positiv nachgewiesen werden.
Es ist also nicht mehr so, dass der Ehrenamtliche seine
Unschuld nachweisen muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich, dass
die parlamentarischen Beratungen in vielen Punkten einvernehmlich verliefen. Insofern danke ich allen für die
konstruktive Zusammenarbeit bei einem Gesetzentwurf,
der letztlich den vielen Ehrenamtlichen in unserem Land
die Arbeit erleichtern und sie vor allem stärker wertschätzen soll. Mit Blick auf die Zustimmungspflicht des
Bundesrates bei diesem Gesetz bleibt mir daher nur zu
hoffen, dass die Opposition Wort hält und im Bundesrat
tatsächlich verantwortungsvoll zustimmt.
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass dies ein
großer Tag für das Ehrenamt in Deutschland ist. Gerade
weil es so ein besonderer Tag ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen und alle in diesem Hause darauf hinweisen und darum bitten, dass wir nach Beschluss dieses
Gesetzentwurfs auf gar keinen Fall in unserem Engagement lockerlassen dürfen, sondern auch in Zukunft daran
arbeiten müssen, das Ehrenamt weiter zu stärken.
In unserem Koalitionsantrag zur Zukunft der ländlichen Räume vom November letzten Jahres ist die Steigerung der Attraktivität ehrenamtlicher Betätigung ganz
klar als Zukunftsaufgabe beschrieben. Hieran müssen
wir festhalten und auch weiterhin intensiv arbeiten, damit dies nicht der letzte große Tag für das Ehrenamt ist,
sondern in unserem Land noch viele weitere große Tage
für das Ehrenamt folgen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Siegmund Ehrmann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es eine tolle Sache, dass in unserem Land so viele Menschen ehrenamtlich engagiert sind und sich einbringen. Deshalb ist es
auch die Pflicht des Parlamentes, sich sehr intensiv mit
diesem hohen Gut der eingebrachten Zeit, des Engagements, der Umsicht und der Gaben auseinanderzusetzen.
Dies ist mehrfach geschehen. Ich erinnere an die
Enquete-Kommissionen zu diesem Thema, und zwar
nicht nur an die grundlegende Enquete-Kommission
„Bürgerschaftliches Engagement“, sondern auch an die
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“.
({0})
Dort gibt es ein großes Kapitel, das sich sehr umfassend
mit Fragen des ehrenamtlichen Engagements und der
Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements
beschäftigt.
Aufgegriffen wurden wesentliche Impulse aus diesen
Enquete-Berichten in der Initiative „Hilfen für Helfer“,
damals unter Finanzminister Peer Steinbrück. Wir haben
das Spendenrecht modernisiert und den Bereich der
Übungsleiterpauschalen und Aufwandsentschädigungen
weiterentwickelt. Wir haben das Stiftungsrecht eleganter
gestaltet. Alles das ist geschehen.
In den Segmenten des Steuerrechts, des Stiftungsrechts und des Haftungsrechts bringt dieser Gesetzentwurf Weiterentwicklungen.
({1})
Auch wenn wir einige Punkte kritisieren: Hier wird eine
Linie, die gezogen wurde, weitergeführt. Dennoch werden wesentliche Impulse insbesondere der EnqueteKommission „Bürgerschaftliches Engagement“ und
auch der Debatten im Unterausschuss nicht aufgegriffen.
Ich verweise auf etwas, das heute auch auf der Tagesordnung steht, aber in dieser Debatte noch keine Würdigung erfahren hat, nämlich den Ersten Engagementbericht. Das ist ein Fundus von Herausforderungen, denen
wir uns stellen müssen. Wenn man diesen Strang, die Ergebnisse dieses Engagementberichts bzw. der Debatte
des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“,
aufnimmt, dann werden die kritischen Einlassungen
meiner Fraktion nicht als Mäkelei zu würdigen sein, sondern als Ermahnung: Lasst uns doch diese Debatte, die
einen Fortschritt bedeutet - weg vom eng gefassten Begriff des Ehrenamtes hin zu einem weiter gefassten Begriff des bürgerschaftlichen Engagements -, führen! Genau das ist die große Herausforderung, um die es geht.
({2})
An der Stelle geht es nicht um parteipolitische Spitzen,
sondern um Respekt gegenüber den Vorarbeiten, die wir
interfraktionell in den vorherigen Legislaturperioden geleistet haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Regierungskoalition, Sie bleiben hinter Ihren Möglichkeiten, auch den intellektuellen Möglichkeiten, die
durchaus in Ihren Reihen vorhanden sind, zurück. Dies
bedaure ich sehr.
({3})
Ich will auf einen Schüsselsatz hinweisen, der sich
mit dem Grundanspruch, der dahinter steht, beschäftigt.
Sie sehen, dass die Drucksachen zu diesem Thema umfangreich sind. Die Experten, die wir eingesetzt und um
Rat gebeten hatten, haben Empfehlungen ausgesprochen. Das ist also kein unerwünschter Rat, sondern ein
erbetener Rat. Die Experten sagen: Es geht um das
„Austarieren einer neuen Verantwortungsbalance“. Es
geht um ein ausgewogenes Miteinander von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Das ist die Grundaussage.
Die Bundesregierung stimmt dem in ihrer Stellungnahme zu diesem Bericht zu. Das heißt im Ergebnis, einen Diskurs, eine Debatte zu führen und ernsthaft auf
Argumente, die von unseren Partnern aus der Zivilgesellschaft vorgetragen werden, einzugehen. Aber das ist
unterblieben. Da haben Sie sich verweigert. Daher ist
unser zweiter wesentlicher Kritikpunkt, dass Sie die Debatte verengen und einen grundlegenden Diskursauftrag
ignorieren. Das ist im Grunde genommen der Kern unserer Anmerkungen.
Nun komme ich auf die Begründung des Gesetzentwurfs und die Einlassungen der Bundesregierung in der
Stellungnahme zu sprechen. Wenn das, was dort steht,
ernst gemeint ist - es deutet darauf hin, dass es um das
Ersetzen staatlicher Aufgaben durch Ehrenamt geht -,
dann müssen wir das kritisieren.
({4})
Mit diesem Punkt müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen.
Dies war sozusagen eine Einordnung unserer Kritik.
Die Linie im Steuerrecht wird fortgeführt; da machen
wir in weiten Teilen mit. Aber den Grundanspruch, den
wir gemeinsam vereinbart haben, ignorieren Sie. Das ist
der Hauptgrund für unsere kritischen Anmerkungen. Wir
stimmen im Ergebnis zu, fordern aber eine weiter gehende Debatte ein.
Danke schön.
({5})
Markus Grübel erhält jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Engagementpolitik ist ein wichtiges und eigenständiges
Politikfeld in Deutschland geworden. Es gibt in diesem
Bereich in den letzten Jahren eine sehr gute Entwicklung. Ich erinnere an die Große Anfrage der CDU/CSUFraktion „Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere
Gesellschaft“ aus dem Jahr 1995; Klaus Riegert war damals federführend. 1999 wurde die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ eingesetzt. In der 15., 16. und 17. Wahlperiode gab bzw.
gibt es den Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“. Wenn es nach mir ginge, würden wir in der
nächsten Wahlperiode einen ordentlichen Ausschuss daraus machen.
Im Oktober 2010 gab es erstmals eine nationale Engagementstrategie und im August 2012 erstmals einen Engagementbericht der Bundesregierung. Heute geht es um
den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts.
Wir hatten bei diesem Thema in den letzten zehn Jahren eine breite wissenschaftliche Begleitung. Ich nenne
zum Beispiel die drei Freiwilligensurveys 1999, 2004
und 2009, durch die wir die Entwicklungen im Bereich
„bürgerschaftliches Engagement“ gut sehen konnten.
Stiftungen und Unternehmen nehmen sich des Themas
an. Der Generali Zukunftsfonds hat jüngst die Generali
Altersstudie veröffentlicht, in der es darum geht, wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren. Neben der Shell-Studie gibt es also eine weitere Studie, in
dem Fall eine, die sich mit den Älteren beschäftigt.
Zum Gesetzentwurf wurde heute schon viel gesagt.
Ich möchte mich daher dem Ersten Engagementbericht
2012 „Für eine Kultur der Mitverantwortung“ zuwenden. Sie haben ja sozusagen den Aufschlag dazu gegeben, Kollege Ehrmann. Im März 2009 hatten wir die
Bundesregierung aufgefordert, einen Engagementbericht
vorzulegen. Dem ist die Bundesregierung im August
2012 nachgekommen; sie hat ein sehr umfangreiches
Werk herausgegeben.
Unmittelbar danach hat in der Wissenschaft, aber
auch in der Engagementszene eine leidenschaftliche Diskussion eingesetzt. Dies ist aber auch Sinn und Zweck
eines solchen Berichts. Er ist ja nicht zur ewigen Verehrung da, sondern es soll intensiv darüber diskutiert werden. Insbesondere ist über die Neudefinition des bürgerschaftlichen Engagements diskutiert worden. Es geht um
die Feststellung, dass bürgerschaftliches Engagement zu
den Bürgerpflichten gegenüber dem Gemeinwesen gehört. Am Begriff „Bürgerpflicht“ hat sich Kritik entzündet. Nach meiner Meinung gibt es Missverständnisse im
Hinblick auf diese Begrifflichkeit. „Bürgerpflicht“ ist
von der Kommission nicht im Sinne einer rechtlichen
Verpflichtung gemeint. Gemeint ist vielmehr die moralische Pflicht, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Ich glaube, dahinter können wir alle stehen.
Das ist zum Beispiel vergleichbar mit dem Wahlrecht;
für mich ist auch das Wahlrecht eine Bürgerpflicht, aber
eine, die nicht eingeklagt werden kann. Das ist auch vergleichbar mit Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet“. So verpflichten auch Begabungen und
Fähigkeiten, nämlich dazu, sie der Gemeinschaft zur
Verfügung zu stellen. Wir kennen das ja aus der Bibel.
Da werden wir aufgefordert, unsere Talente nicht zu vergraben, sondern mit ihnen zu wuchern.
({0})
Diese Diskussion war hilfreich, weil dadurch das Anliegen und das Thema transportiert wurden.
Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement rede ich allerdings nur sehr ungern von Pflichten.
Wir wissen doch alle: Geben gibt. Wer sich engagiert,
wird reich beschenkt. Er ist zufriedener, fitter und gesünder als Menschen, die sich nicht engagieren. Bürgerschaftliches Engagement ist besser als Pillen. Darum
gehören Opa und Oma im Ruhestand nicht aufs Kreuzfahrtschiff, sondern zu ihren Enkeln, in einen Verein
oder in eine Bürgerinitiative, wenn sie fit bleiben wollen.
({1})
- Ich gönne natürlich jedem auch eine Kreuzfahrt; auch
das darf sein.
Der Erste Engagementbericht gibt einen umfangreichen Überblick über den Stand des bürgerschaftlichen
Engagements in Deutschland. Eine derart breite Darstellung hat es in Deutschland seit dem Bericht der EnqueteKommission nicht mehr gegeben. Behandelt werden
verschiedene Themen: die Probleme der örtlichen Vereine im gesellschaftlichen Wandel, bürgerschaftliches
Engagement im schulischen Bildungsmix, bessere Einbindung von bildungsfernen Schichten im Bereich des
bürgerschaftlichen Engagements, bürgerschaftliches
Engagement von und für Personen mit Zuwanderungsgeschichte und die neueren Entwicklungen im Bereich
der Freiwilligendienste.
Man kann wirklich sagen: Die Freiwilligendienste haben sich toll entwickelt. Nach der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Wegfall des Zivildienstes wurden im
Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes 35 000 Stellen
neu geschaffen. Die Zahl der Stellen im Bereich des
Freiwilligen Sozialen Jahres bzw. des Freiwilligen Ökologischen Jahres wurde um weitere 10 000 aufgestockt;
derzeit sind 50 000 Stellen besetzt. In internationalen
Freiwilligendiensten sind 5 000 junge Menschen tätig.
10 000 junge Menschen leisten freiwilligen Wehrdienst.
Insgesamt engagieren sich also 100 000 überwiegend
junge Menschen für unsere Gemeinschaft. Das ist ein
ganz tolles Zeichen für unsere Gesellschaft.
Ein Schwerpunkt des Ersten Engagementberichts ist
das Unternehmensengagement. Der Bericht enthält neue
Erkenntnisse zum Umfang, zur Motivation und zu den
Zielen des bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen, aber auch zu den Hemmnissen. Er ist sehr lesenswert.
Nun zurück zum Gesetzentwurf. Der heute vorliegende Gesetzentwurf baut auf früheren Gesetzen zur
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf; Frau
Hinz, das haben Sie zu Recht gesagt.
Ich komme zum Schluss. Sehr geehrte Damen und
Herren, ich habe den Bogen von den Anfängen des bürgerschaftlichen Engagements als eigenständigem Politikfeld bis hin zum heute vorliegenden Gesetzentwurf
geschlagen. Wir haben eine sehr gute Entwicklung zu
verzeichnen. Mein Dank richtet sich an alle, die sich ehrenamtlich und freiwillig engagieren. Dieser Gesetzentwurf ist auch eine Anerkennung der Arbeit der mehr als
23 Millionen Menschen in unserem Land, die dies tun.
Vielen Dank.
({2})
Florian Bernschneider spricht nun für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich knüpfe gerne an Markus Grübel an. Ich finde es
ebenfalls gut, dass wir heute nicht nur über das vorliegende Gesetzespaket sprechen, sondern auch die Gelegenheit haben, es im Kontext des Engagementberichts
zu beraten. Denn erst in diesem Kontext wird klar: Wir
sprechen heute nicht über ein alleinstehendes Gesetzespaket, sondern über einen Gesetzentwurf, der sich als ein
wichtiger Baustein in eine lange Tradition der Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements einreiht.
Der Engagementbericht nimmt uns praktisch mit auf
eine Zeitreise - Markus Grübel hat das zu Recht gesagt
-: von der Einsetzung der Enquete-Kommission über
viele auch fraktionsübergreifende Initiativen zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements bis hin zu diesem heute vorliegenden Gesetzespaket. Wenn man eine
solche Zeitreise unternimmt - das will ich stolz sagen -,
dann muss man feststellen, dass die christlich-liberale
Koalition auf diesem Themenfeld in den vergangenen
dreieinhalb Jahren den Turbogang eingelegt hat.
({0})
Am Ersten Engagementbericht, aber auch an der Engagementstrategie der Bundesregierung sieht man, dass
wir Engagementpolitik nicht als Stückwerk betrachten,
Frau Kollegin Kumpf, sondern in einem breiten Kontext.
Man sieht es an den Beratungen zum Bundeskinderschutzgesetz, bei dem wir sehr genau abgewogen haben,
auf der einen Seite das berechtigte Interesse, den bestmöglichen Schutz für Kinder zu bieten, auf der anderen
Seite das Wissen, dass wir ein erweitertes Führungszeugnis nur dann von Ehrenamtlichen anfragen sollen,
bei denen dies tatsächlich notwendig ist.
Wenn man sich zum Beispiel das Engagement in der
Entwicklungshilfe anguckt, dann sieht man, was wir unter dem Dach von Engagement global zusammengefasst
haben. Markus Grübel hat es zu Recht gesagt: Man sieht
es natürlich auch daran, dass wir gleich zu Beginn der
Legislaturperiode die Jugendfreiwilligendienste gestärkt
haben und danach - auch das müssen Sie uns nun einmal
lassen - als erste Koalition Kraft und Mut aufgebracht
haben, endlich auf einen staatlichen Pflichtdienst zu verzichten und stattdessen auf die Kraft der Freiwilligkeit,
auf das Engagement zu vertrauen. Mehr als 80 000 Freiwillige im FSJ, FWJ und Bundesfreiwilligendienst zeigen: Es hat sich gelohnt, auf die Freiwilligkeit der Menschen zu setzen.
({1})
Wir machen aber nicht das, was längst überfällig war,
wie die Aussetzung der Wehrpflicht und den Verzicht
auf den Zivildienst, und korrigieren nicht nur Rechtsunsicherheiten, wie heute mit diesem Paket, sondern wir
gucken auch, wie sich die Engagementpolitik in Zukunft
entwickeln muss. Wir kümmern uns zum Beispiel um innovative Sozialunternehmen, neue Fördermodelle und
setzen mit diesem Engagementbericht erstmals einen
Schwerpunkt auf das bürgerschaftliche Engagement von
Unternehmen. Ich sage Ihnen: Auch insoweit tut es gut,
endlich die Scheuklappen abzunehmen; denn nicht jedes
Unternehmen, das sich bürgerschaftlich engagiert - das
zeigt der Bericht -, tut dies aus Gründen des Marketings
oder zu Werbezwecken, sondern vor allem deshalb, weil
sich diese Unternehmen mit der Gemeinschaft vor Ort
verbunden fühlen. Das ist auch gut so. Deswegen nehmen wir diese Unternehmen auch in einem breiteren
Kontext der Engagementpolitik mit.
Ich will abschließend sagen, meine Damen und Herren, dass man natürlich an jedem der einzelnen Punkte,
die ich gerade aufgezählt habe, auch an der Gewichtung,
wie die Koalition Engagementpolitik betreibt, Kritik
üben kann. Das ist das gute Recht der Opposition. Aber
es muss immer eine Kritik sein, die am Ende auch dazu
beiträgt, dass es mit dem Engagement vorangeht.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn ich die Debatte
in Gänze sehe, dann habe ich das Gefühl, das war vor allem eine Kritik, um selber parteipolitische Geländegewinne zu erzielen. Dies wird dem Thema nicht gerecht;
denn auch das zeigt der Engagementbericht: Die 23 Millionen Menschen, die sich bürgerschaftlich engagieren,
erwarten eine Anerkennungskultur auch von uns als Vertreter der Politik. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Ihre
Redner das heute berücksichtigt haben.
Vielen Dank.
({2})
Nun spricht der Kollege Klaus Riegert für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
können uns in der Tat alle freuen; denn das Gesetz zur
Stärkung des Ehrenamts ist ein wirklich großes, pralles
Paket an Erleichterungen, um das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu würdigen und
nachhaltig zu fördern.
({0})
Die Bürgerinnen und Bürger gehen im Ehrenamt ihren eigenen Interessen nach und bereichern gleichsam
das soziale Miteinander und stärken den Zusammenhalt
in unserer Gesellschaft. Mit unserer gemeinsamen Initiative „für mich. für uns. für alle.“ - das sind engagierte
Abgeordnete, die Sparkassen und die kommunalen Spitzenverbände - haben wir das im größten deutschen Ehrenamtspreis, dem Deutschen Bürgerpreis, gut auf den
Punkt gebracht: „für mich. für uns. für alle.“ Deshalb sei
an dieser Stelle allen Engagierten ausdrücklich gedankt,
die sich mit viel Herzblut und Tatkraft Tag für Tag einsetzen und einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft und in unserer Gesellschaft leisten.
({1})
Meine Fraktion hat sich bereits seit 1994 - schon damals haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet - für die
Förderung des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen
Engagements eingesetzt. Wir werden dies auch in Zukunft tun. Wir sehen das auch in einer langen Kette von
Maßnahmen, wenn ich an die Nationale Engagementstrategie oder an den Bundesfreiwilligendienst denke,
der sich als Erfolgsmodell erwiesen hat; denn die Nachfrage ist ungebrochen groß.
Am 5. Dezember 1997, am Tag des Ehrenamts, am
Tag der Freiwilligen, haben wir zum ersten Mal eine
große Parlamentsdebatte gehabt und haben uns mit diesem Thema beschäftigt. Das ging auf eine Große Anfrage der Fraktionen von CDU/CSU und FDP an die eigene Regierung zurück. Ich darf Ihnen verraten: Die
Bundesregierung war damals nicht sehr begeistert darüber, dass wir eine Große Anfrage unserer eigenen Regierung gestellt haben. Aber dies hat dazu geführt, dass
wir uns am 5. Dezember 1997 mit diesem Thema befasst
haben. Daraus ist logischerweise eine Enquete-Kommission erwachsen, und wir zeigen mit einem Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“, dass man dieses Feld ständig weiter beackern muss.
Ich kann mich noch gut an die flammenden Reden der
Mitglieder aller Fraktionen erinnern, als wir diese
Enquete-Kommission gemeinsam eingesetzt haben. Der
kürzlich verstorbene Michael Bürsch hat als Vorsitzender dieser Enquete-Kommission beim Einsetzungsbeschluss gesagt - ich darf aus seiner Rede zitieren -:
Jedes demokratische Gemeinwesen ist auf die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen,
auch ohne staatlichen Zwang füreinander einzustehen. Um Richard Sennett zu zitieren:
„Ein Staatswesen, das Menschen keinen tiefen
Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann
seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.“
Unsere Demokratie braucht einen Kernbestand an
gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen.
Hier kann man ihm nur recht geben.
Christian Simmert von Bündnis 90/Die Grünen hat
gesagt:
Für uns Bündnisgrüne gilt: Wir wollen alle freiwilligen, am Gemeinwohl orientierten Aktivitäten unterstützen und auch gezielt mit rechtlichen Regelungen fördern. …
({2})
Weiterer Regelungsbedarf besteht aus meiner Sicht
und aus der Sicht der Kolleginnen und Kollegen …
im Steuer-, Vereins-, Sozial- und Gemeinnützigkeitsrecht.
Schön, dass Sie geklatscht haben, aber Ihre kraftvolle
Enthaltung zum Gesetzentwurf entspricht nicht ganz
dem, was Ihr Kollege damals mit eingebracht hat.
({3})
Diese Punkte lassen sich bei allen Rednern wiederfinden, und das ist genau das, was uns auch Praktiker im
Unterausschuss immer wieder berichten: Baut bürokratische Hemmnisse weiter ab, um das freiwillige gemeinwohlorientierte Engagement zu fördern. - Diesen Arbeitsauftrag haben wir angenommen, und wir können
Vollzug melden, indem wir jetzt gemeinsam ein Paket
zur Entbürokratisierung vorlegen. Dadurch signalisieren
wir allen über die Fraktionsgrenzen hinweg: Wir schätzen und fördern das gemeinwohlorientierte Engagement
in Deutschland.
({4})
Von den zahlreichen Details im Gesetzentwurf
möchte ich jetzt nur noch kurz die Ehrenamtspauschale
ansprechen, auf die auch Frau Kumpf richtigerweise hingewiesen hat. So viel darf ich aus unseren damaligen Beratungen verraten: Herr Steinbrück hatte etwas anderes
vor. Er wollte mit der Zeitspende einen kleinen Teil im
sozialen Bereich sehr gut fördern und die anderen nicht.
Wir konnten uns damals durchsetzen, eine Ehrenamtspauschale für alle zu schaffen, und haben mit 500 Euro
begonnen. Damals gab es durchaus auch auf unserer
Seite zunächst einmal nicht nur freudige Gesichter.
Wenn wir diesen Betrag jetzt um über 40 Prozent erhöhen, dann bin ich zufrieden.
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Gutes zu
tun, kann man aber ja beliebig wiederholen. Deswegen,
denke ich, gibt es für das Ehrenamt und das Engagement
in Deutschland in den kommenden Legislaturperioden
noch genügend zu tun.
Danke schön.
({0})
Man kann in der Tat in allen Debatten vieles beliebig
wiederholen, möglichst aber in der vorgegebenen Zeit.
({0})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nun hat der Kollege Grindel als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
Ende dieser Debatte möchte ich mich zunächst sehr
herzlich bei denen bedanken, die uns auf dem Weg zu
diesem Paket für das Ehrenamt mit Rat und Tat zur Seite
standen. Das waren zuallererst Frau Emser und Herr Sell
aus dem Bundesministerium der Finanzen, deren Namen
ruhig auch einmal im Protokoll des Deutschen Bundestages aufscheinen sollen.
Mein Dank gilt aber natürlich auch den beiden zuständigen Bundesministern Frau Leutheusser-Schnarrenberger
und Wolfgang Schäuble. Insbesondere der Bundesfinanzminister hat ein Herz für das Ehrenamt gezeigt
und es uns trotz einer schwierigen Haushaltslage ermöglicht,
({0})
dass wir als Politiker insgesamt mit diesem Paket für das
Ehrenamt nicht immer nur Sonntagsreden halten müssen, sondern bei den Sportvereinen, im sozialen und im
Umweltbereich und auch bei den Kirchen sagen können,
dass wir mit diesem neuen Gesetz wirklich Konkretes
für das Ehrenamt beschlossen haben, wodurch die Arbeit
konkret erleichtert wird.
({1})
Ich will auf eine Kritik eingehen, die mich in einer
Reihe von Briefen erreicht hat. Mir schrieben Bürger,
dass sie gar keine Ehrenamts- oder Übungsleiterpauschale erhalten und dass sie sie von ihrem Verein auch
gar nicht haben möchten, weil das ihrem Selbstverständnis als Ehrenamtler widerspreche oder - zugegebenermaßen - sich der Verein das sowieso nicht leisten könne.
Diese Briefe enthielten dann meistens allgemeine Hinweise in der Art, man solle doch generell einen steuerlichen Freibetrag für ehrenamtliches Engagement schaffen, den man dann von seiner Steuerschuld abziehen
könne. Wir alle wissen, dass das nicht finanzierbar ist
und dass das auch zu Missbräuchen führen kann.
Aber im Kern geht es mir um eine andere Debatte.
Natürlich ist das ehrenamtliche Engagement auch eine
Last. Dieses Engagement ist mit Aufwendungen verbunden, um deren unbürokratischen Ausgleich es uns in diesem Gesetz zum Ehrenamt gerade geht. Aber ich möchte
die Debatte gerne zu einer Botschaft nutzen: Ehrenamtliches Engagement ist auch eine große Lust. Es ist eine
unglaubliche Bereicherung für das eigene Leben. Man
erwirbt viele Kompetenzen, die man in seinem beruflichen Leben gut nutzen kann: soziale Kompetenzen,
technische Fertigkeiten, Teamfähigkeit, Führungserfahrungen und vieles mehr.
Ich beziehe es einmal auf den Bereich des Sports. Es
ist doch eine fantastische Herausforderung, dass man
zum Beispiel als Fußballtrainer einer Jugendmannschaft
das Leben junger Menschen ganz maßgeblich prägt. Wir
wissen aus sportwissenschaftlichen Untersuchungen,
dass die Frage, ob jemand im Sport bleibt oder zum
Drop-out wird, ganz maßgeblich von der Qualität und
der Akzeptanz des Trainers abhängt. Es ist doch ein
wunderbares Gefühl eines erfüllten Lebens, wenn man
am Ende eines Tages vom Sportplatz geht und sich sagen
kann, dass man im positiven Sinne ein klein wenig am
Lebensrädchen von jungen Menschen mitgedreht hat.
Unternehmen geben viel Geld für Fortbildungsseminare zur Persönlichkeitsentwicklung aus. Dem kann ich
nur entgegenhalten: Vieles, was da für teures Geld vermittelt wird, vermittelt sich jeden Tag im Verein ganz
automatisch. Deshalb gehört zu dieser Debatte die Botschaft: Der Ehrenamtliche ist nicht der Dumme, der Ehrenamtliche ist der Schlaue!
({2})
Viele im Ehrenamt möchten nicht, dass in den Sport
oder auch in andere Bereiche die Parteipolitik hineinspielt. Ich glaube, Frau Haßelmann, es wäre besser gewesen, wenn Sie dieser Versuchung in Ihrem Antrag
nicht erlegen wären. Ich finde es bedenklich, wenn Sie in
Ihrem Antrag, in dem Sie eine Anhebung der Ehrenamtspauschale bei gleichzeitiger Einfrierung der seit vielen Jahren unverändert gebliebenen Übungsleiterpauschale fordern, zumindest in Kauf nehmen, dass dadurch
in die Vereine ein Keil nach dem Motto getrieben wird:
Seht her, dem Gesetzgeber ist die Arbeit der Übungsleiter mehr wert als das, was die übrigen, im ehrenamtlichen Bereich Tätigen bekommen.
Ich finde, es muss noch einmal deutlich hervorgehoben werden: Es geht hier nicht um eine Steuerbegünstigung für einen Lohn, sondern um die steuerliche unbürokratische Behandlung von Aufwandsentschädigungen,
damit den Menschen pauschal der geleistete Aufwand
ausgeglichen wird, damit sie bei ihrem ehrenamtlichen
Engagement nicht noch Geld mitbringen müssen.
Da gibt es natürlich - ich nehme wieder einmal den
Bereich des Fußballs - einen gewaltigen Unterschied in
der Art des Aufwands. Dass man als Trainer einer Jugendmannschaft zu festgelegten Zeiten in der Woche
und am Wochenende auf dem Platz erscheint, dass man
zu Trainerfortbildungen geht, dass man sich nicht nur
um die sportliche Ausbildung der Kinder kümmert, sondern sich auch gegen Extremismus, gegen Spielmanipulationen, gegen Drogen und gegen sexualisierte Gewalt
starkmacht, dass man im Grunde genommen auch Integrationsexperte ist, weil heutzutage die E-Jugend oft eine
kleine Weltauswahl ist, dass man am Wochenende die
Kinder mit dem eigenen Auto zum Auswärtsspiel fährt
und dass man dann, wenn sich ein Spieler verletzt, den
richtigen Arzt findet: Dieser Aufwand ist höher als der
anderer Mitarbeiter im Verein, die vielleicht für die Postund Telekommunikationsleistungen einen Ausgleich
brauchen. Alle sind für den Verein wichtig: der Trainer
und der Schriftführer und der Platzwart, der den Platz
kreidet. Aber es ist ein unterschiedlicher Aufwand. Dieser muss unterschiedlich ausgeglichen werden. Deswe27358
gen sollten Sie, Frau Haßelmann, keinen Keil in die Vereine treiben. Jeder in einem Verein ist wichtig.
Herr Präsident, dieses Ehrenamtspaket ist ein ganz
starkes Stück Anerkennungskultur. Es ist ein Dankeschön an diejenigen, die bei einem Engagement nicht als
Erstes fragen: Was habe ich davon, und was bekomme
ich dafür? Dieses Gesetz ist ein in Paragrafen gegossenes Dankeschön an all diejenigen, ohne die unsere Gesellschaft ärmer wäre.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes mit dem
vorhin vorgetragenen schlanken Titel. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/12123, die genannten Gesetzentwürfe
der Fraktionen auf Drucksache 17/11316 sowie der Bundesregierung auf Drucksachen 17/11632 und 17/12037
zusammenzuführen und als Entwurf eines gemeinsamen
Gesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit großer Mehrheit bei
Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Linken angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt gegen das Gesetz? - Wer enthält sich? - Damit ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor,
also mit Zustimmung von CDU/CSU, FDP und SPD bei
Stimmenthaltung der beiden anderen Fraktionen, der Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die drei Entschließungsanträge. Zunächst rufe ich den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/12189
auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12190.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch
dieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt.
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12191. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag hat
keine Mehrheit gefunden.
Tagesordnungspunkt 35 b. Hier geht es um die Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im
Verein. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12125, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/5713 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Die dritte Beratung
entfällt damit nach unserer Geschäftsordnung.
Tagesordnungspunkt 35 c. Hier geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/11253.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7646 mit dem Titel
„Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und
Amtsträger nicht auf Leistungen nach dem Zweiten und
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7653 mit dem Titel „Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen
für bürgerschaftliches Engagement auf Leistungen nach
dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist auch diese
Beschlussempfehlung angenommen.
Schließlich wird unter Tagesordnungspunkt 35 d interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10580 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Dazu gibt es möglicherweise
breites Einvernehmen. - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Vielen Dank. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden
von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei
Deutschlands“
- Drucksache 17/12168 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({0})Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. Einwände höre ich nicht. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 14. Dezember beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf ein Verbot der NPD
zu stellen. Für uns ist klar: Jetzt müssen sich auch die
Bundesregierung und der Bundestag entscheiden, ob sie
einen solchen Antrag stellen wollen.
({0})
Der Bundesrat hat sich seine Sache nicht leicht gemacht. Die Verfassungsschutzämter haben die Verbindung der V-Leute zu den Führungsgremien der NPD abgebrochen und damit ein wichtiges Verfahrenshindernis
vor dem Bundesverfassungsgericht beseitigt. Mehr als
ein Jahr lang haben die Innenminister gesammelt, gesichtet und bewertet, was an Beweisen vorlag. Das
Ergebnis war eindeutig: Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei, sie ist antisemitisch, sie ist ausländerfeindlich, sie ist in Teilen gewaltbereit, und sie ist antidemokratisch.
({1})
Die NPD steht in der Kontinuität der nationalsozialistischen Ideologie, und sie richtet sich eindeutig gegen
die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Fazit:
Noch nie waren die Aussichten auf ein Verbot der NPD
so gut wie heute. Deshalb wollen wir, dass auch der
Deutsche Bundestag einen Verbotsantrag in Karlsruhe
stellt.
({2})
Ich möchte mich ausdrücklich stellvertretend für alle
Länderinnenminister bei Ralf Jäger bedanken, der mitgearbeitet hat und der an dieser Debatte teilnimmt. Das
ist, finde ich, ein gutes Zeichen. Ich glaube, dass wir hier
zusammen vorgehen müssen.
Rechtsgrundlage für ein Parteienverbot nach dem
Grundgesetz ist Art. 21 Abs. 2:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der
Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind
verfassungswidrig.
Dass die NPD in ihrer derzeitigen Verfassung nicht in
der Lage ist, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, liegt auf der Hand. Aber die ganze
Politik der NPD, die ganze Aktivität ihrer Mitglieder
und Anhänger ist darauf ausgerichtet, in aggressiver
Weise die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu
bekämpfen und zu beeinträchtigen.
Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören nicht nur unsere parlamentarische Demokratie, die
Gewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte,
sondern dazu gehört vor allem die Geltung der Grundund Menschenrechte. Nach dem Grundgesetz sind alle
Menschen vor dem Gesetz gleich. Die Unantastbarkeit
der Menschenwürde bestimmt auch, dass sie gleichviel
wert sind.
Aber genau das Gegenteil davon vertritt die NPD. Sie
bekämpft diesen Grundgedanken, diesen Kernbereich
unserer Verfassung. Sie teilt die Menschen in höherwertige und in minderwertige Menschen ein. Minderwertige
Menschen haben nach Auffassung der NPD kein Recht,
in Deutschland zu wohnen, zu leben und zu arbeiten. Ich
zitiere aus einer Argumentationsbroschüre der NPD vom
April 2012, herausgegeben vom Parteivorstand. Es heißt
dort:
Angehörige anderer Rassen bleiben … körperlich,
geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie
lange sie in Deutschland leben …
Das, meine Damen und Herren, ist die Sprache, das ist
die Ideologie der Nazis.
({3})
Ich muss Ihnen sagen: Wir denken in diesen Tagen
mit Schrecken daran, dass vor 80 Jahren Adolf Hitler
zum Reichskanzler ernannt worden ist und damit eine
lange Schreckensherrschaft und Gewaltherrschaft in
Deutschland und in Europa begründet wurde und der
Zweite Weltkrieg darin auch seine Ursache hat. Aber in
unserer heutigen Demokratie lassen wir es zu, dass über
die Parteienfinanzierung der NPD mithilfe von Steuergeldern die Verbreitung der nationalsozialistischen Rassenlehre immer noch ermöglicht wird. Das ist unerträglich.
({4})
Aber die NPD gibt sich nicht mit Hassparolen zufrieden. Sie setzt auch Gewalt als Mittel im politischen
Kampf ein, und sie geht aggressiv gegen Menschen vor.
Die Partei rühmt sich, gemeinsam mit neonazistischen
Kameradschaften sogenannte national befreite Zonen zu
errichten, aus denen Menschen, die die NPD als rassische Fremdkörper definiert, mit Drohungen und Gewalt
vertrieben werden. Mitarbeiter von NPD-Landtagsfraktionen organisieren Veranstaltungen neonazistischer Organisationen. Zahlreiche NPD-Funktionäre sind wegen
Gewaltstraftaten verurteilt worden.
Natürlich ist die im Grundgesetz garantierte Freiheit,
Parteien zu gründen und an der politischen Willensbildung mitzuwirken, ein hohes Gut. Aber wer diese Freiheit gebraucht, um aggressiv und kriminell gegen
Einwanderer, Flüchtlinge oder Andersdenkende vorzugehen, der hat diese Freiheit verwirkt, meine Damen und
Herren.
({5})
Die Demokratie in Deutschland mag stark genug sein,
eine verfassungsfeindliche NPD auszuhalten. Aber die
Opfer dieser Partei sind es nicht. Es muss auch darum
gehen, die Opfer der NPD vor dieser Partei zu schützen.
({6})
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Beweise ausreichen, um die NPD vom Bundesverfassungsgericht verbieten lassen zu können. Die Rechtsprechung zu den
Parteienverboten ist 60 Jahre alt. Ich bin sicher: Das Gericht wird dieses Verfahren nutzen, um zeitgemäße Verbotskriterien zu entwickeln. Ich bin im Übrigen auch absolut sicher, dass der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg zu keinem anderen Ergebnis kommt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass von der Menschenrechtskonvention ausgerechnet eine Partei geschützt
wird, die darauf ausgerichtet ist, Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hat auch klargestellt, dass sich niemand
auf diese Konvention berufen kann, der beabsichtigt, selber die Demokratie zu zerstören.
Klar ist aber auch: Parteienverbote reichen nicht aus,
um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Wir brauchen genauso dringend eine wachsame und aktive Zivilgesellschaft. Wir müssen unsere Bildungs-, Familienund Jugendpolitik darauf ausrichten, dass die Menschen
schon von klein auf gegen rechtsextremes Denken immunisiert werden.
({7})
Aber wenn wir an die Zivilgesellschaft appellieren, dann
muss auch der Deutsche Bundestag das tun, was er kann.
Wir wollen, dass der Innenausschuss das Beweismaterial
sichtet und dem Bundestag einen Vorschlag macht, eine
Empfehlung gibt. Wir wollen im Ergebnis einen Verbotsantrag stellen. Ich bin absolut sicher, dass der Bundestag in dieser Frage eine Haltung einnehmen muss.
({8})
Herr Kollege Oppermann, Sie denken auch an die
Zeit, nicht wahr?
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Seit Monaten, Herr Friedrich, hören wir von Ihnen,
aber auch von der Bundeskanzlerin keine klare Haltung.
Man kann sich für den Verbotsantrag entscheiden; dann
gehen wir zusammen. Man kann sich auch gegen den
Verbotsantrag entscheiden; aber dann muss man es auch
sagen. Ich halte Letzteres für falsch, aber ich hätte Respekt für diese Auffassung. Was aber gar nicht geht, ist,
weder für den Verbotsantrag noch gegen den Verbotsantrag zu sein und sich einfach zu drücken, weil das eine
unangenehme Entscheidung ist. Wir können nicht von
den Menschen verlangen, dass sie mit Zivilcourage gegen rechtsextreme oder rassistische Äußerungen in der
Öffentlichkeit vorgehen, aber uns selber vor der Entscheidung drücken.
({0})
Deshalb, meine Damen und Herren: Nehmen Sie eine
Haltung ein, und stehen Sie zu dieser Haltung! Das muss
das Ergebnis unserer Debatte sein.
Ich danke.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Franz Josef Jung das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mittwoch
dieser Woche haben wir in diesem Haus, wie ich finde,
in einer bewegenden Gedenkstunde der Befreiung des
Konzentrationslagers Auschwitz gedacht - das Symbol
des Grauens und des Verbrechens an der Menschheit.
Am Mittwoch jährte sich zum 80. Mal die Machtübernahme durch Adolf Hitler. Das war die dunkelste Zeit in
unserer Geschichte. Sie steht für Menschenverachtung,
Massenvernichtung, Unfreiheit, Intoleranz, ideologischen Wahnsinn, Willkür statt Rechtsstaatlichkeit.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
frage mich oft, wie angesichts dieser historischen Situation sich die NPD in dieser Art und Weise die Nazidiktatur als Vorbild nehmen kann. Ich glaube, dass derjenige,
der sich in dieser Art und Weise für die NPD engagiert,
nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung steht.
({0})
Wir haben ein freiheitliches Grundgesetz mit den
Werten Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaat und Demokratie.
Das Grundgesetz sagt uns in Art. 20 Abs. 4, dass wir gegen jeden, der diese Ordnung beseitigen will, ein Recht
auf Widerstand haben; es fordert uns auf, dass wir also
dem nachdrücklich widerstehen. Deshalb, denke ich, ist
es richtig, dass wir gemeinsam als Deutscher Bundestag
alles tun, um Antisemitismus, Rassismus und Rechtsradikalismus in Deutschland keine Chance zu geben, dass
wir all dem nachdrücklich widersprechen und all das
nachdrücklich bekämpfen.
({1})
In dieser Frage sollten sich die Demokraten einig sein.
Kollege Oppermann, wir sollten uns in dieser Frage
nicht unter einen unnötigen Zeitdruck setzen.
({2})
Auch die anderen Fraktionen sind offensichtlich der
Meinung, dass in dieser Frage Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht; denn wir haben dabei natürlich auch die
Aspekte der Entscheidung des Jahres 2003 zu beachten,
als alle Verfassungsinstitutionen, auch der Deutsche
Bundestag, einen entsprechenden Antrag gestellt hatten
und dann vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert
sind.
({3})
Deshalb sollten wir alle Voraussetzungen dafür schaffen,
dass ein solches Verfahren erfolgreich durchgeführt werden kann. Ein Misserfolg wäre das Schlimmste, was in
dieser Auseinandersetzung passieren kann.
({4})
Ich sehe es so, dass wir bezüglich Ihres Antrags heute
die Überweisung in den Innenausschuss beschließen, um
uns dort sachlich auseinanderzusetzen, und dann eine
Empfehlung aussprechen sollten.
Es kommt aber ein Punkt hinzu. Die Länder haben einen entsprechenden Antrag gestellt, und Sie wissen, dass
die Länder damit die Verfassungswidrigkeit, aber auch
die Frage bejaht haben, die 2003 eine entscheidende
Rolle gespielt hat, nämlich ob das Material - wenn ich es
salopp formulieren darf - V-Leute-befreit ist. Diese
Frage stellt sich natürlich auch für den Bund, und diese
Frage kann nur die Bundesregierung beantworten; denn
für diese Behörden ist die Bundesregierung zuständig,
nicht das Parlament.
({5})
Deshalb halte ich es für richtig, dass wir zunächst einmal
die Entscheidung der Bundesregierung abwarten, um genau diese Frage, ob das Material V-Leute-befreit ist, wie
es das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, beantwortet zu bekommen,
({6})
bevor wir zu einer Entscheidung gelangen, meine Damen und Herren.
({7})
Wir sollten - ich wiederhole das - alle Voraussetzungen
dafür schaffen, dass ein solches Verfahren erfolgreich
durchgeführt werden kann.
Kollege Oppermann, Sie haben auch die Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angesprochen. Allerdings muss man hier berücksichtigen, dass
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte formuliert hat, dass es nachvollziehbare Hinweise für eine bereits hinreichende Bedrohung der Demokratie geben
muss. Er spricht von einem erforderlichen, dringenden
gesellschaftlichen Bedürfnis.
({8})
Natürlich haben Sie, finde ich, mit dem Hinweis auf
die Europäische Menschenrechtskonvention durchaus
recht; auch diese Frage ist zu berücksichtigen. Das ist
übrigens ein Punkt, der auch in den Entscheidungen eine
Rolle spielt.
({9})
Insofern ist also mit zu berücksichtigen, dass die NPD
immerhin in, wenn ich es richtig sehe, 330 kommunalen
Parlamenten in Deutschland vertreten ist, dass sie im
Landtag von Sachsen acht Abgeordnete stellt, dass sie
im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern fünf Abgeordnete stellt und rund 6 000 Mitglieder hat. Ein besonderes Ärgernis dabei ist, dass es noch im Jahre 2010 eine
Finanzierung von 1,2 Millionen Euro gab, mit denen
letztlich verfassungswidrige Aktivitäten unterstützt wurden. Dieser Punkt sollte letztlich dazu führen, dass wir
alles tun, um in Zukunft eine solche Situation zu unterbinden.
({10})
Ich möchte zusammenfassen. Wir sollten uns im
Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus einig sein. Wir sollten alles tun, um zu einem erfolgreichen Parteiverbotsverfahren zu kommen.
Deshalb sollten wir im Ausschuss die Thematik sachlich
diskutieren, das Für und Wider abwägen, alle Argumente
heranziehen und letztlich abwarten, bis die Bundesregierung uns bescheinigt, dass auch auf der Bundesebene die
Unterlagen V-Leute-befreit sind und damit die Grundlage für ein Verfahren gegeben ist.
({11})
Dann können wir zu einer entsprechenden Empfehlung
kommen, so wie es Ihr Antrag vorsieht. Deshalb können
wir, wie ich finde, auch beschließen, Ihren Antrag an den
Innenausschuss zu überweisen. Dort sollten wir sachlich
darüber diskutieren und nach der Entscheidung der Bundesregierung eine Empfehlung aussprechen. In diesem
Sinne sollten wir verfahren. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
Besten Dank.
({12})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Ulla
Jelpke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die
SPD heute dem Bundestag rät, die Materialsammlung
des Verfassungsschutzes für ein NPD-Verbotsverfahren
zu prüfen, ist richtig. Die Linke kann diesem Antrag natürlich nicht widersprechen; sie wird zustimmen. Dennoch muss man ganz deutlich sagen, dass die SPD hier
einen billigen Profilierungsversuch zu Beginn des Wahljahres unternimmt.
({0})
Ich sage hier ganz klar: Was denken Sie, Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, was wir seit Dezember mit
dem vorliegenden Material gemacht haben? Lesen, prüfen, lesen, prüfen! Die Prüfung ist doch längst in Gang.
Ich bin froh, dass die SPD zurückgerudert ist und hier
heute keinen Verbotsantrag stellt. Das ist wirklich gut so.
Die Frage des NPD-Verbotes ist nämlich viel zu wichtig,
um ein parteipolitisches Süppchen daraus zu kochen.
({1})
Hier gilt es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Damit meine ich: Alle Fraktionen in diesem Haus müssen
sich zusammensetzen und beraten.
Doch die Gemeinsamkeit, die sich im Beschluss der
Innenminister des Bundesrates für ein neues Verbotsverfahren zeigte, bröckelt offensichtlich schon wieder. Der
Kollege Hans-Peter Uhl von der CSU hat kürzlich gesagt: Die Tatsache, dass die NPD in Niedersachsen nur
auf 0,8 Prozent der Stimmen gekommen ist, zeigt, dass
man ein Verbotsverfahren nicht brauche. Auch die Parlamentarischen Geschäftsführer von Grünen und FDP sagen, ein Verbotsverfahren würde die NPD nur aufwerten.
Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist doch der
Fall. Bereits die Ankündigung eines NPD-Verbotsverfahrens hat dazu geführt, dass die NPD in Niedersachsen
nur 0,8 Prozent der Stimmen erreicht hat.
({2})
- Lachen Sie ruhig.
Die NPD kann nur mit dem Tunnelblick westdeutscher Politiker aus dem Raumschiff des Bundestages als
sterbende Partei gesehen werden.
({3})
Ganz anders stellt sich die Situation zum Beispiel in der
mecklenburgischen Provinz oder in sächsischen Kleinstädten dar. Dort ist die NPD in Folge in zwei Landtage
hineingewählt worden. In zahlreichen Kommunen ist sie
mit zweistelligen Prozentzahlen in die Vertretungen gewählt worden.
({4})
Dort verfolgen die Neonazis gewissermaßen eine Graswurzelstrategie, indem sie sich in Elternräte oder freiwillige Feuerwehren einschleichen bzw. als Fußballtrainer
oder Fahrlehrer das Vertrauen der Jugend erschleichen.
Das darf nicht sein!
({5})
Wer die NPD für tot erklärt, verschließt die Augen vor
dieser Realität, meine Damen und Herren.
({6})
Weiterhin stellt die NPD eine ganz konkrete Gefahr
für Menschen dar, die als Migranten, als Juden, als Muslime, als Antifaschisten, als Behinderte und Obdachlose
nicht in die von der NPD angestrebte „völkische Gemeinschaft“ passen. So gehen zum Beispiel die sogenannten „national befreiten Zonen“ auf ein NPD-Konzept zurück. Das sind Angsträume in Stadtteilen und
Orten, aus denen anders denkende und anders aussehende Menschen durch Drohungen und Gewalt vertrieben werden. Schließlich trägt die NPD mit ihrer Hetze
zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das seit 1990
etwa 160 Menschen aufgrund der Untaten von rechtsextremistischen Gewalttätern das Leben gekostet hat.
Das ist das ganze Ausmaß des rechten Terrors, den die
Bundesregierung bis heute leugnet.
Über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland sagen: Die NPD soll verboten werden. Ich
denke, der Bundestag sollte sich diesem Votum verpflichtet fühlen und ein NPD-Verbot einleiten.
({7})
Doch um ein Verbotsverfahren wasserdicht zu machen,
muss das vorliegende Belastungsmaterial in der Tat weiter ergänzt werden. Insbesondere muss die zentrale Stellung der NPD innerhalb der Naziszene, ihre Verbindung
zu Gewalttätern und verbotenen Kameradschaften schärfer herausgearbeitet werden bzw. das entsprechende Material ergänzt werden. Wir meinen, hier kann noch eine
ganze Menge Material hinzugefügt werden.
Wenn wir den Nazis tatsächlich das Wasser abgraben
wollen, dürfen wir über ihre Schutzherren und Förderer
nicht schweigen. Ich meine den Sumpf im Verfassungsschutz. Denn man muss sagen: Die V-Leute haben schon
das erste Verfahren zum Scheitern gebracht. Das darf
nicht ein zweites Mal passieren.
({8})
Die logische Konsequenz für die Linke lautet deswegen:
die NPD verbieten und den Verfassungsschutz abschaffen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Jetzt hat der Kollege Hartfrid Wolff für die Fraktion
der FDP das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die
FDP besteht kein Zweifel: Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei mit menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Inhalten. Ein Parteienverbot ist aber
eindeutig eine andere Frage. Das lehrt allein schon das
juristisch bereits einmal gescheiterte Verfahren gegen
die NPD.
Aber nicht nur juristisch gilt es, das Für und Wider
abzuwägen. Wir haben vielfach die Erfahrung gemacht:
Wenn eine rechtsextreme Organisation verboten wird,
gründet sie sich unter anderem Namen neu. Die potenzielle NPD-Nachfolgepartei ist offensichtlich ohnehin
schon gegründet. Wie oft soll dann dieses Spiel von
vorne beginnen? Schafft jetzt ein Verbotsverfahren nicht
unnötige Aufmerksamkeit für eine Partei, die in ihrer
Mitgliederentwicklung und ihren Finanzen ohnehin im
Niedergang begriffen ist? Die 0,8 Prozent, die die NPD
bei der Landtagswahl in Niedersachsen erhalten hat,
zeugen davon.
Die Länder schaffen mit einem Monate andauernden
Verbotsverfahren den Eindruck besonderen Engagements. Tatsächlich aber haben die meisten Länder über
viele Jahre hinweg bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus schlicht versagt.
({0})
Mit Thüringen haben wir gestern im NSU-Untersuchungsausschuss ein wirklich auffälliges Beispiel dafür
erlebt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Der
Eindruck besonderen Engagements soll offenbar auch
durch Ihren Antrag hier im Bundestag erzeugt werden.
Dabei erscheint die Überschrift vielleicht ja noch interessant. Wer den Antrag aber liest, wird freilich eher betroffen den Kopf schütteln. Dass sich die zuständigen
Ausschüsse des Bundestages im Rahmen ihres Regierungskontrollauftrages mit den von der Bundesregierung
zugeleiteten Dokumenten befassen, ist selbstverständlich.
({1})
Und zur Feststellung, dass dem Bundestag der Bericht der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt: Herr Oppermann,
dazu brauchen wir nicht wirklich einen Parlamentsbeschluss und eine Plenardebatte.
({2})
Wenn einzelne Fraktionen mit solch dürftigen Aktionen
wie dem vorliegenden Minimalantrag versuchen, die
Rechtsextremismusbekämpfung in den anstehenden
Wahlkampf zu ziehen, ist das der Sache nicht wirklich
dienlich.
({3})
Ich würde mir wünschen, wenn wir, wie es im NSU-Untersuchungsausschuss durchaus gelingt, auch hier im
Plenum in dem Bemühen, extremistische Bestrebungen
einzudämmen, gemeinsam agieren würden.
Für die FDP hat ein wirkungsvolles Vorgehen gegen
politischen Extremismus höchste Priorität. Zur wehrhaften Demokratie gehört - das sage ich ausdrücklich - gegebenenfalls auch ein Parteiverbot. Aber man muss sich
schon die Frage stellen, ob man mit einem Verbot nicht
nur eine Hülle beseitigt, das Grundproblem aber fortbesteht. Gesinnung, Herr Oppermann, kann ich nicht verbieten. Auch wenn die rechtsextreme Szene aufgrund eines Verbots vorübergehend keinen Zugriff mehr auf die
staatliche Parteienfinanzierung erhalten sollte,
({4})
sind größere Anstrengungen der Länder auch und gerade
im Polizeibereich notwendig, um den Druck auf die
rechtsextreme Szene massiv zu erhöhen.
({5})
Die Morde der Zwickauer Terrorzelle sind die bislang
schwerwiegendste Kette von rechtsextrem motivierten
Gewaltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschland
erlebt hat - und die schwerwiegendste Krise unserer Sicherheitsorgane. Nach wie vor fehlt allerdings der Nachweis eines unmittelbaren Zusammenhangs mit der NPD.
Generalbundesanwalt Range sprach - angesichts der bisherigen Erkenntnisse ist das äußerst plausibel - davon,
dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass der
NSU quasi als verlängerter Arm der NPD angesehen
werden könne. Das in diesem Zusammenhang permanent öffentlich vorgetragene Ansinnen der SPD zum
NPD-Verbotsverfahren soll aber offenbar einen gegenteiligen Eindruck erwecken.
Doch mit einem NPD-Verbot ist in Sachen NSU
nichts gewonnen! Und: Die Diskussion über dringende
Reformen unserer Sicherheitsarchitektur darf eben nicht
durch eine symbolhafte NPD-Verbotsdebatte verdeckt
werden.
({6})
Die Neuaufstellung der Behörden ist nötig. Hier ist das
Bohren dicker Bretter gefragt - und eben keine Ablenkungsdebatte.
Meine Damen und Herren, ich glaube, inzwischen
sind wir uns hier im Hause einig: Der Untersuchungsausschuss hat dabei die Aufklärungsarbeit erheblich vorangebracht - seriös und konsequent -, und er leistet erfolgreich ein großes Arbeitspensum, gemeinsam und
über Parteigrenzen hinweg. Wöchentlich kommen neue
Fakten auf den Tisch, denen wir nachgehen müssen. Die
Konsequenz dabei darf nicht nachlassen. Deshalb halte
ich es für richtig, dass wir nach der Wahl weitermachen
und eine Empfehlung an den nächsten Deutschen Bun27364
Hartfrid Wolff ({7})
destag aussprechen, den Untersuchungsausschuss in der
kommenden Legislaturperiode - am besten getragen von
allen Fraktionen - fortzusetzen.
Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären und um
fundierte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen zu
können: zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland und international, für wirksame
Empfehlungen zur Stärkung unserer Sicherheitsarchitektur und um den Opferschutz voranbringen zu können.
({8})
Vor allem aber brauchen wir eine deutlich bessere kontinuierliche Kontrolle. Die Dienste sollten strenger an die
Leine genommen werden.
Jedenfalls sind die zutage getretenen Probleme nicht
einfach mit einem Verbot der NPD gelöst.
({9})
Genau dieser Eindruck könnte aber in der Öffentlichkeit
aufgrund der von Ihnen hervorgerufenen Debatte entstehen.
({10})
Meine Damen und Herren, die FDP wird weiter auf
lückenloser Aufklärung bestehen.
({11})
Und die FDP wird sich weiterhin kompromisslos gegen
extremistische Ideologien in unserer Gesellschaft einsetzen.
({12})
Mit einem schlichten Verbot einer Partei, so wie Sie
es vorschlagen, ist dem nicht gedient.
({13})
Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Wolfgang Wieland.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gerade zwei Tage her, dass wir in diesem Hause des
80. Jahrestages der Machtergreifung der Nationalsozialisten gedacht haben. Wenn man über Erkenntnisse zur
Verfassungswidrigkeit der NPD redet, ist es an dieser
Stelle sinnvoll, auch einen Blick zurückzuwerfen. Dies
will ich tun. Joseph Goebbels schrieb am 30. April 1928
in der NSDAP-Zeitung Der Angriff das Folgende:
Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen … Wenn die Demokratie so dumm
ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache…
Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand
von heute zu revolutionieren.
Am 30. Januar 1933 war es dann so weit.
In den Materialien des Bundesrates zur NPD klingt es
wie folgt - original der gleiche Gedanke -:
Der nationale Widerstand hat einen parlamentarischen Arm und einen außerparlamentarischen Arm.
Die Partei verfügt über wirkungsvolle Sprachrohre
in den Parlamenten und kann vom Staat erhebliche
finanzielle Ressourcen durch Mandate und Wahlkampfkostenrückerstattung schöpfen. Die „Freien“
hingegen verfügen über eine außerordentlich aktivistische Szene, deren idealistische Arbeitskraft unbezahlbar ist… Beide Lager sind Teil des nationalen Widerstandes und ergeben zusammen eine für
die Etablierten gefährliche Symbiose.
Das sagen Sie selber: Ihre Gefährlichkeit rührt aus dem
Zusammenwachsen mit der freien Szene, aus der Gewalttätigkeit, aus dem arbeitsteiligen Vorgehen. Das geht
bis in den NSU hinein.
Es reicht nicht, zu sagen: Herr Range hat doch gesagt,
sie waren nicht der verlängerte Arm. Da gab es keinen
Beschluss. - Das hat niemand erwartet, aber die drei haben NPD-Materialien verteilt, Plakate geklebt. Sie waren
auf den Veranstaltungen der NPD. Seit gestern wissen
wir, dass neben Frau Zschäpe ein aktueller NPD-Funktionär und ein früherer Jungfunktionär auf der Anklagebank sitzen werden. Das muss man auch sehen, wenn
man über die Gefährlichkeit dieser Bewegung redet.
({0})
Eine isolierte Betrachtung der NPD ist einfach falsch.
Ich kann zwar sagen, wie es der Kollege Jung getan hat:
Die Mitgliederzahl sinkt. Die Wahlergebnisse sinken.
Die Finanzkraft sinkt. - Das alles ist unbestritten. Es
hilft uns nicht in den „national befreiten Gebieten“, in
den Dominanzgebieten, in denen sie völkisch siedeln, in
denen sie richtig Terror ausüben, in den Dörfern und
Kleinstädten. Dort nutzen uns diese Statistiken nichts.
Vielmehr ist richtig, was der Kollege Oppermann sagt:
Auch die Blutspur, die wir seit Jahren durch Überfälle
auf Homosexuelle, auf sogenannte Asoziale, auf anders
Aussehende, auf Migranten haben, ist ihnen zuzurechnen. Es ist die gleiche Ideologie. Es ist die Ideologie des
sogenannten Volkstodes. Sie propagieren nämlich, dass
das deutsche Volk gefährdet sei und dass es durch alle,
die fremd sind, aussterbe. Das ist ein Aufruf zur Notwehr. So ist es bei den Dreien aus Zwickau auch angekommen. Es ist letztlich das gleiche ideologische Gebräu, das Anders Breivik in Norwegen dazu brachte,
zum Massenmörder zu werden. Das muss man zusammensehen. Es ist die gleiche braune Soße, gegen die man
vorgehen muss.
({1})
Dass die NPD gar keinen Hehl daraus macht, dass sie
das Dritte Reich verherrlicht, wird an folgenden Zitaten
deutlich: Zitat Udo Voigt:
BRD heißt das System - morgen soll es untergehen!
Zitat Holger Apfel:
Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozialen, demokratischen und nationalen Volksstaat
schaffen und stellt dieses Ideal der etablierten „Demokratie-Karikatur“ namens BRD entgegen.
Das alles ist dokumentiert. Daher ist es für meine Fraktion gar keine Frage: Diese Partei ist verfassungsfeindlich.
({2})
Es stellt sich jedoch eine Frage: Was folgt daraus? Ich
als jemand, der wirklich leidenschaftlich für ein Verbot
ist, sage ehrlich: Es gibt auch respektable Argumente dagegen. Das erkenne ich an. Ich warne davor, diese Frage
zu parteitaktischem Geplänkel zu benutzen. Ich warne
wirklich davor.
({3})
Wir sind durch das Vorgehen des Bundesrates verpflichtet, uns eine Meinung zu bilden. Enthalten geht da
nicht.
({4})
Wenn wir nichts tun, ist es auch eine Haltung. Diese
würde bedeuten, wir lassen die Länder in Karlsruhe alleine. Wir müssen uns entscheiden. Mir ist es relativ
egal, ob vor der Bundestagswahl oder nach der Bundestagswahl. Ich will einen verantwortungsbewussten Umgang damit. Ich empfehle jedem von uns die Lektüre
dieser Materialsammlung. Nach Austausch der Argumente muss am Ende eine Entscheidung stehen, und
zwar bitte schön der Verantwortung unserer Geschichte
und der Bedeutung dieser Frage entsprechend.
({5})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. HansPeter Uhl.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich zunächst mit einer, wie ich
meine, erfreulichen Gemeinsamkeit beginnen. Ich kenne
niemanden in diesem Hohen Hause - von links bis
rechts; das gilt für die Liberalen wie für alle Flügel -, der
auch nur andeutungsweise eine Sympathie für rechtsextremes Gedankengut hegt. Diese Feststellung zu treffen, erscheint mir gerade angesichts des in dieser Woche
begangenen Gedenktages „80 Jahre Machtergreifung“
wichtig. Diese Feststellung sollte uns stolz machen auf
die gefestigte deutsche Nachkriegsdemokratie. Es gibt
keine Rechtsextremen in diesem Hohen Haus.
({0})
Das heißt, unsere Politik der gesellschaftlichen Ächtung,
die vonseiten des Bundes, aber auch der Länder und
Kommunen betrieben wird und die wir unterstützen, hat
nachhaltig gewirkt. Die Ächtung dieses Gedankengutes
ist erfolgreich gewesen.
Vom Kollegen Wolff wurde schon darauf hingewiesen: Wir haben bei der Niedersachsenwahl wieder einmal einen gemeinsamen Erfolg erzielt. Mit den erreichten 0,8 Prozent bekommt die NPD in Niedersachsen
keinen einzigen Cent Parteienfinanzierung, von einem
Mandat gar nicht zu reden. Wir sollten die Gefahr also so
beschreiben, wie sie tatsächlich ist.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Wieland,
dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir dieses
Thema nicht parteitaktisch oder politisch instrumentalisieren sollten, indem wir dem einen oder anderen den
Mut im Kampf gegen den Rechtsextremismus absprechen oder vielleicht sogar eine klammheimliche Sympathie unterstellen, wenn er nicht energisch genug für das
NPD-Verbot eintritt. Das muss man immer wieder betonen.
Es handelt sich um hochrangige Juristen, die vor einem Verbotsverfahren warnen. Das darf man nicht einfach so wegwischen. Wir haben ein intensives Gespräch
mit dem früheren Verfassungsrichter Papier und dem
früheren Berichterstatter Jentsch geführt; Sie kennen
vielleicht das Interview des Verfassungsrichters Grimm;
Sie kennen die Stellungnahme des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - um nur einige zu nennen. Es ist die Auffassung hochrangiger Verfassungsjuristen, die uns nachdenklich stimmt. Da ist es
auch kein Wunder, dass das quer durch die Parteien geht.
Ich habe heute Morgen im Frühstücksfernsehen Kollegen Ströbele von den Grünen gehört, der nachdrücklich
davor warnte.
({1})
Das gibt es auch in anderen Parteien, nicht nur bei den
Grünen.
Das Parteienverbot ist ein ganz außergewöhnliches
Rechtsinstitut, eine Ultima Ratio, das für alteingesessene
Demokratien wie die in England oder in den USA undenkbar ist. Man hält in diesen beiden Ländern ein Parteienverbot in weiten Teilen für geradezu undemokratisch, weil man sich sagt: So etwas tut man nicht.
Parteien werden dem Wähler präsentiert, und nur der
Wähler entscheidet. Der Staat hat nichts zu entscheiden.
Das heißt, es ist ja auch ein Stück Bevormundung des
Wählers, wenn der Staat eine Partei aus dem Parteienspektrum heraustilgt.
({2})
Ich habe großes Verständnis dafür, dass man 1949 bei
Abfassung des Grundgesetzes und bei Gründung der
Bundesrepublik Deutschland angesichts der in diesem
Deutschland von 1949 herrschenden Situation mit Recht
dieses Institut eingeführt hat. Wer konnte denn ahnen,
dass sich Deutschland als demokratischer Staat so stabil
entwickelt, dass Rechtsextreme und Linksextreme in
diesem Land keine Chance haben? Wer konnte das denn
ahnen? Deswegen war es richtig, das ins Grundgesetz hineinzuschreiben. Das unterscheidet uns ja von England
oder von den USA.
({3})
Aber wir sollten auch die Situation von heute betrachten.
Noch ein Hinweis, Frau Jelpke: Sie irren sich, wenn
Sie meinen, das allein die Ankündigung eines Parteienverbotes schon etwas bewirken würde. Obacht, Frau
Jelpke! Bei der dem Parteiverbotsverfahren vorausgegangenen Bundestagswahl hat die NPD 0,4 Prozent erreicht, wie bei all den Wahlen zuvor: Immer stand eine
Null vor dem Komma. Und nach dem gescheiterten Parteiverbotsverfahren hatte sie 1,6 Prozent.
({4})
Also: Von 0,4 Prozent auf 1,6 Prozent nach dem Scheitern des Parteiverbotsverfahrens.
({5})
Diese Rechtsfrage ist kompliziert. Wenn wir jetzt vor
Gericht gehen - der Bundesrat wird das ja tun; er hat das
schon entschieden; jetzt geht es nur um die Frage, ob
Bundesregierung und Bundestag ihm folgen -, wissen
wir nicht, wohin wir kommen. Wie man so schön sagt:
Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.
Ich möchte aber auf einen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts aufmerksam machen. Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten NPD-Verbotsverfahren ganz
klar zum Ausdruck gebracht: Sollte das Gericht in einem
Parteiverbotsverfahren gegen die NPD in eine Sachentscheidung eintreten, dann würden die Voraussetzungen
der Europäischen Menschenrechtskonvention natürlich
bereits bei der Entscheidung von Karlsruhe in die Bewertung einfließen.
({6})
Das würde geschehen, auch wenn im Grundgesetz von
Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der Maßnahmen nicht die Rede ist. Wie gesagt: Bereits in Karlsruhe!
({7})
Das heißt, den Showdown zwischen den beiden höchsten Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Bundesverfassungsgericht, wird es
wahrscheinlich gar nicht geben, weil bereits die Verfassungsrichter in Karlsruhe die genannten Kriterien zur
Anwendung bringen werden.
Ist ein Parteiverbotsverfahren das richtige Instrument,
um ein politisches Signal zu setzen? Ich verstehe Ministerpräsidenten, egal welcher Couleur, egal welchen Landes:
({8})
In Festreden und bei Veranstaltungen aller Art werden
politische Signale ausgesandt. Das gehört zum politischen Geschäft. Aber was ist der Mechanismus beim
Parteiverbotsverfahren? Wir Parteipolitiker - Bundestag,
Bundesrat, Bundesregierung - können ein politisches Signal nur beantragen, aussenden muss es das höchste
deutsche Gericht, und zwar mit Zweidrittelmehrheit.
Lassen sich diese acht Richter von uns instrumentalisieren, ein politisches Signal auszusenden?
({9})
Lassen sie sich von uns unter Druck setzen? Wenn wir
nur alle gemeinsam kommen, dann werden die im
Gleichschritt mitmarschieren?
({10})
Glauben Sie das wirklich? Ich glaube nicht daran.
({11})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Mit dem Parteiverbotsverfahren gehen wir einen riskanten Weg. Es
kann sein, dass wir in jedem Fall verlieren. Wenn das
Gericht in dem Parteiverbotsverfahren in der Weise entscheidet, dass die Partei verboten wird, wird es unverzüglich eine Nachfolgeorganisation geben. Dann haben
wir es mit dem gleichen Gedankengut, das wir alle miteinander ablehnen, erneut zu tun, nur in neuem Kleid.
({12})
Wenn die Partei nicht verboten wird, ja dann kommt der
Super-GAU. Dann gehen die NPD-Funktionäre erhobenen Hauptes aus dem Gerichtssaal in Karlsruhe - etwas,
was keiner von uns will. Also bitte, denken Sie darüber
nach, ob das klug ist! Bedenken Sie den möglichen Ausgang des Verfahrens!
({13})
Das Wort hat jetzt der Innenminister des Landes
Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger.
({0})
Ralf Jäger, Minister ({1}):
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag berät heute über ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Ich
glaube, im Sinne der meisten Bürger in diesem Land
sprechen zu dürfen, wenn ich sage: Das wurde aber auch
Zeit.
({2})
Im Bundesrat beschäftigen wir uns seit Jahren mit der
Möglichkeit eines Verbotsverfahrens. Wir haben in den
Ländern umfangreiche Materialien zusammengetragen.
Wir haben viel Mühe und viel Zeit investiert, um diese
menschenverachtende Partei davon abzuhalten, ihre verfassungsfeindlichen Parolen zu verbreiten. Das haben
wir in den Ländern nicht getan, bloß weil wir die Gelegenheit dazu haben, sondern weil wir, wie ich glaube, als
Vertreter des Volkes, als gewählte Vertreter, die Pflicht
haben, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die
Werte unserer Verfassung zu schützen:
({3})
die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit
und die Freiheit der Person.
Wir leben in einem demokratischen Staat. Ich glaube,
Demokratie ist nicht einfach nur ein Begriff oder ein
Wort in unserer Verfassung oder irgendeine Staatsform.
Demokratie in Deutschland ist eine Errungenschaft. Sie
ist eine Errungenschaft, auf die wir stolz sein können.
Sie ist errungen worden von vielen Frauen und Männern
in diesem Land, die für diese Werte im Laufe der deutschen Geschichte ihr eigenes Leben oder das Leben ihrer
Familie riskiert haben. Sie haben gekämpft für diese Demokratie und für diese gerade von mir zitierten Werte
unserer Verfassung. Diese Menschen haben das Fundament unserer Gesellschaft geschaffen.
Deshalb hat es mich stolz gemacht, meine Damen und
Herren, dass am 14. Dezember des letzten Jahres der
Bundesrat über alle Parteigrenzen hinweg beschlossen
hat, diese Werte nicht herzugeben, sondern sie aktiv zu
verteidigen.
({4})
Ich glaube, das ist nicht nur Zeichen und Ausdruck einer
wehrhaften Demokratie. Das ist vor allem auch ein Zeichen an diejenigen, die Opfer sind, deren Menschenwürde in diesem Land mit Füßen getreten wurde oder
noch wird. Ich glaube, der Rechtsstaat, die Parteien und
die Parlamente dürfen nicht der Schuster sein, der im
Zuge der Parteienfinanzierung die Springerstiefel immer
wieder neu besohlt.
({5})
Ich glaube, dass wir im Bundesrat ein wichtiges Zeichen gesetzt haben über alle Parteigrenzen hinweg. Aber
es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Damit meine ich
die aktuelle Haltung der Bundesregierung. Es darf nicht
sein, dass diese Debatte in den nächsten Wochen weiterhin durch Untätigkeit und Zaudern geprägt wird. Das
wäre ein verheerendes Signal im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Meine Damen und Herren, es kann mit guten Argumenten für ein Verbot gestritten werden. Es kann auch
mit guten Argumenten gegen ein Verbot gestritten werden. Aber man muss wenigstens darum streiten. Beharren und Zaudern - das ist nicht das Zeichen der Zeit.
({6})
Ich bitte, den Blick über dieses Parlament oder den
Bundesrat hinauszurichten - wir diskutieren dieses Parteienverbot natürlich auch unter einem parteitaktischen
Kalkül -: Wie nehmen es die Menschen draußen wahr,
wenn die drei Verfassungsorgane dieser Republik darüber streiten, wie man gegen eine Partei vorgeht, die
seit 60 Jahren existiert, in zwei Landesparlamenten vertreten ist und objektiv menschenverachtend, ausländerfeindlich und verfassungsfeindlich ist? Welches Bild geben wir als Demokraten ab, wenn wir darüber streiten,
während die Feinde der Demokratie versuchen, in die
Mitte dieser Gesellschaft vorzudringen? Dieses Bild dürfen wir nicht abgeben.
({7})
Ich glaube, dass die Vertreter der Verfassungsorgane,
die für ein solches Verbot eintreten, mit Recht sagen
können: Wir wollen nach demokratischen Werten leben
und unsere Kinder dazu erziehen: zu Nächstenliebe, Toleranz, Mitmenschlichkeit. Es wäre ein Armutszeugnis
für dieses Land, wenn wir uns in einem solchen Verbotsverfahren wegduckten, weil es bequemer wäre, und
wenn es sich dabei auch nur um ein Verfassungsorgan
handeln würde. Ich glaube vielmehr, es wäre ein wichtiges Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dass wir als Demokraten in dieser Frage eine klare
Haltung einnehmen.
({8})
„Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegt
vom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeutschen“, „Europa ist das Land der weißen Rasse und soll
es auch bleiben“: Das sind nur zwei Zitate aus der Materialsammlung, die wir als Innenminister der Länder und
Minister des Bundes in den letzten Monaten sehr sorgfältig zusammengetragen haben.
Wir haben darauf geachtet, dass diese Materialien
quellenfrei sind. Sie stammen aus öffentlich zugänglichen Materialien. Wir als Länder werden dies testieren.
Wir haben auch in die Bundesbehörden und in den Bundesinnenminister als Person großes Vertrauen, dass
dieses Material quellenfrei ist - offensichtlich mehr
Minister Ralf Jäger ({9})
Vertrauen, Herr Dr. Jung, als seine eigene Bundestagsfraktion.
({10})
Diese gerade von mir erwähnten Zitate stammen aus frei
zugänglichem Material. Ich glaube, in einem Rechtsstaat
darf man solche Äußerungen nicht tolerieren.
Viele stellen sich im Zusammenhang mit dem NPDVerbotsverfahren die Frage: Ist die Demokratie in
Deutschland eigentlich nicht stark genug, um sich mit
Rechten und Nazis mit guten Argumenten auseinanderzusetzen? - Ja, selbstverständlich, und nicht nur auseinanderzusetzen: Ich glaube, dass wir sehr gute Argumente
haben, um uns auf intellektueller Ebene mit braunem
Gedankengut auseinanderzusetzen und natürlich auch
durchzusetzen. Aber ich stelle auch die Frage: Wie helfen diese Argumente unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die in Dessau oder Schwerin auf
offener Straße diskriminiert, schikaniert oder geschlagen
werden? Wie helfen diese Argumente diesen Menschen?
Gute Argumente zu haben und intellektuell über den
Dingen zu stehen, ist das eine; das hilft aber nur in seltenen Fällen gegen Baseballschläger, Schlagring und
Springerstiefel. Wir müssen diejenigen, die den geistigen Nährboden für ein solches Verhalten liefern, davon
abhalten, dies zu tun.
({11})
Mindestens genauso wichtig ist: Mit dem Verbot zerschlagen wir die bestehenden Strukturen. Wir entziehen
der einzigen rechtsextremistischen Partei in Deutschland, die bundesweit aktionsfähig ist, ihre Basis. Aber
das darf nur ein Baustein im Kampf gegen Rechtsextremismus sein,
({12})
und es muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Jeder muss, so gut er kann, seinen Beitrag für diese Demokratie leisten, indem er Demokratie lebt und für sie einsteht.
Das haben wir im Bundesrat mit beeindruckender Geschlossenheit getan. Wir sind dieser Verantwortung
nachgekommen. Dies erwarten wir auch von der Bundesregierung und dem Bundestag. Wir erwarten, dass
Sie dieses Verfahren aktiv unterstützen - nicht, damit es
erfolgreich wird, sondern weil uns das die Demokratie
wert sein sollte.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Stefan Ruppert.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man muss bei dem vorliegenden Thema
drei Ebenen unterscheiden. Zunächst ist da die Gemeinsamkeit aller Demokraten bei der Bewertung der NPD;
ich glaube, da sind wir uns in diesem Haus alle einig.
({0})
Dann kommt die juristische Ebene. Dabei geht es um
die Frage: Wie hält man es sozusagen im Handwerklichen mit einem Verbotsverfahren? Wir sind uns wahrscheinlich ebenfalls einig, dass bei der letzten Entscheidung sehr hohe Hürden für ein solches Verfahren
aufgestellt worden sind. Wir sind vielleicht unterschiedlicher Meinung bei der Frage, wie schwer es ist, diese
Hürden zu nehmen. Aber wir sollten uns darin einig sein,
dass wir keine Politik betreiben wollen, die den Antrag
des Bundesrats in irgendeiner Weise behindert. Vielmehr
sollten wir schauen, wie man verhindern kann, dass ein
Verfahren, wie es der Bundesrat beantragt hat, in handwerklicher Hinsicht beschädigt wird.
Die dritte Ebene bezieht sich auf die politische Auseinandersetzung um die Frage: Wählt man einen eher
etatistisch-repressiven Ansatz - so möchte ich es einmal
nennen - oder einen liberalen Ansatz - dies wäre aus
meiner Sicht sinnvoll -, wenn es darum geht: Auf welche Weise wehrt sich die Demokratie gegen ihre Feinde?
Ich will zur politischen Bewertung der NPD, also zur
ersten Ebene, nur noch ganz kurz etwas ausführen, da
hier schon vieles gesagt worden ist. Natürlich ist die
NPD eine zutiefst widerliche, verfassungswidrige Partei.
Ich habe mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Rahmen des damaligen Verbotsverfahrens drei Jahre
meines Lebens mit dieser Partei beschäftigen müssen.
Als ich nach Karlsruhe kam, hatte ich die Vorstellung
von einer Partei, die rechtsradikal ist, sozusagen ein etwas härterer Flügel der Republikaner. Nachdem ich damals die Akten und Unterlagen gesehen habe, war mir
klar: Es handelt sich im Kern um eine in der Nachfolge
nationalsozialistischer Ideen stehende Partei, die darauf
aus ist - das sagt sie auch selbst -, das System Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zu beschädigen. Ich
glaube, man kann in der Materialsammlung auf viele
Punkte verweisen, in denen dies deutlich wird. Insofern
sind wir uns in dieser Beziehung einig. Ich glaube, da
sollten wir uns auch nicht auseinanderdividieren lassen.
({1})
Jetzt komme ich kurz zur zweiten Ebene, der juristischen Ebene. Ich glaube in der Tat, dass das Bundesverfassungsgericht damals sehr hohe Hürden aufgestellt hat.
Übrigens haben gerade Ihnen nahestehende Richter damals die Auffassung vertreten, dass man das Verfahren
nicht in der Sache prüfen sollte, sondern dass man einen
formalen Abschluss finden muss. Die Initiativen meines
damaligen Vorgesetzten, weiterhin in der Sache genauer
zu schauen, waren nicht mehrheitsfähig, haben nicht das
notwendige Quorum erreicht.
Ich will zum Hauptpunkt kommen, nämlich zur politischen Auseinandersetzung. Da, finde ich, haben sich
Herr Jäger und Herr Oppermann ein wenig widersprochen. Sie fordern von uns eine Stellungnahme nach dem
Motto: „Seid ihr dafür, oder seid ihr dagegen?“, sind
aber in der gleichen Sekunde ungeheuer stolz auf ihre
parteipolitische Geschlossenheit in dieser Frage und insinuieren, wir müssten, wenn es darum geht, wie mit der
NPD umzugehen ist, auf jeden Fall zum gleichen Ergebnis kommen wie sie.
Da sind mir die Grünen wesentlich sympathischer;
ich habe eben Herrn Wieland zugehört - ich vertrete
nicht seine Auffassung -, und ich weiß, dass nachher
Herr Beck noch etwas zu diesem Thema sagen wird. Bei
den Grünen verspüre ich, offen gesagt, mehr von einem
Ringen - das ich auch in der CDU/CSU und in der FDP
verspüre -, die Diskussion wirklich politisch und in der
Sache zu führen und sich die Frage zu stellen: Ist ein
Parteienverbot, eine institutionelle Schwächung des
Rechtsextremismus, mehr als nur eine symbolische
Handlung, und adressieren wir dieses Problem damit in
der Sache richtig? Da bin ich sehr, sehr, sehr skeptisch.
({2})
Warum? Ein Vorteil eines NPD-Verbots besteht in der
Tat darin, die staatliche Parteienfinanzierung zu kappen.
Aber zu glauben - wie Sie es vortragen -, dass Vorfälle,
wenn in Städten im Osten wie im Westen Ausländer auf
der Straße von Menschen mit rechtsradikalem Hintergrund angegriffen werden, durch ein NPD-Verbotsverfahren auch nur ansatzweise verhindert werden könnten,
ist doch irgendwo ein bisschen naiv.
({3})
Das ist eine Aufgabe von uns allen.
Vor einigen Monaten haben wir hier über den Antisemitismusbericht diskutiert. Es wäre doch ein Leichtes,
die richtigen Schritte einzuleiten, wenn man den Antisemitismus und ausländerfeindliche Parolen allein in diesem Milieu verorten könnte. Leider sitzt das Problem
aber viel tiefer. Wir alle wissen, dass gewisse Haltungen
in der gesamten Bevölkerung vorzufinden sind. Deswegen lautet mein Plädoyer, es nicht mit dem etatistisch-repressiven Ansatz zu versuchen, sondern den liberalen
Ansatz zu wählen und zu sagen: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe - eine Aufgabe der Zivilgesellschaft, also von uns allen, auch von Vereinen und im
Rahmen von Demonstrationen -, sich dem entgegenzustellen.
({4})
Mit einem Verbot erweckt man zwar den Eindruck, als
würde das Problem dadurch gelöst. In der Sache, was die
Überzeugungen der Menschen angeht, wird dadurch
aber kein einziges Problem gelöst.
({5})
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich will das an
einem Bild deutlich machen: Wenn wir den Schmerz,
den uns diese Partei regelmäßig zufügt, dauerhaft spüren, werden wir uns anders verhalten, als wenn wir den
Eindruck haben, wir hätten dieses Problem durch ein
Verbotsverfahren einer Teillösung zugeführt. Wir müssen uns vor Augen halten - Herr Uhl hat gesagt, dass das
für alle alten Demokratien, die sehr gefestigt sind, gilt -,
dass wir unsere Demokratie nur verteidigen können,
wenn wir sie jeden Tag miteinander und in Gemeinsamkeit neu erringen. Das gelingt aber nicht durch symbolische Verbote. Das ist der Kerngedanke. Aus diesem
Grund bin ich strikt gegen ein NPD-Verbotsverfahren.
({6})
- Auch in meiner Fraktion gibt es Leute, die das anders
sehen. Wie gesagt, Sie feiern Ihre Geschlossenheit. Ich
finde aber, das ist bei dieser Frage keine Errungenschaft.
Vielmehr lohnt es sich, unterschiedlicher Meinung zu
sein und sich mit anderen Auffassungen auseinanderzusetzen.
({7})
Sie werfen uns, der CSU und der CDU vor, dass sich
der eine so und der andere so äußert; das könnten Sie übrigens auch den Grünen vorwerfen. Das empfinde ich
aber nicht als Vorwurf. Vielmehr bringt das ein ernsthaftes Ringen um eine Lösung zum Ausdruck. Der eine gewichtet die einen Argumente etwas höher, und der andere gewichtet die anderen Argumente etwas höher. Ich
glaube, wir tun gut daran, diese Debatte nicht zu beschleunigen. Wir müssen sie sachgerecht und intensiv
führen und dann zu einem Ergebnis kommen. Ich werbe
dafür, eher die zivilgesellschaftlichen Ansätze im Kampf
gegen die NPD und den Rechtsradikalismus zu stärken,
statt auf ein Verbotsverfahren zu setzen.
Vielen Dank.
({8})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Petra Pau.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
NPD ist eine faschistoide Partei. Mitglieder der NPD tre27370
ten Menschen und ihre Rechte im Wortsinne mit Füßen.
Hass und Hetze prägen das politische Auftreten der
NPD. Die Grundsätze des Grundgesetzes sind ihr zuwider. Dafür lässt sich die NPD vom Staat aushalten, und
der Staat tut es gesetzesgemäß auch auf vielfältige
Weise. Ich als Linke finde das unerträglich.
({0})
Ich weiß, und wir haben es hier heute gehört: Es gibt
in allen Bundestagsparteien Bedenken, ob Parteiverbote
grundsätzlich geboten und obendrein ein adäquates Mittel gegen das gesellschaftliche Problem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind. Das verstehe
ich und sage: Sie sind auf keinen Fall ein hinreichendes
Mittel. Das sollten wir bei alledem nicht vergessen.
({1})
Ich möchte wiederholen, was ich in ähnlichen Debatten hier schon angemahnt habe. Der Kampf gegen
Rechtsextremismus verträgt kein parteipolitisches Hickhack. Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil
die NSDAP so stark war, sondern weil ihre Gegnerinnen
und Gegner zerstritten waren. Auch diese historische
Lehre sollten wir beherzigen.
({2})
Die Linke erwägt ernsthaft ein Verbot der NPD, und
das nicht erst seit jetzt. Meine Kollegin Ulla Jelpke und
ich haben 2001 bis 2003 das damalige NPD-Verbotsverfahren begleitet. Es ist gescheitert, und die NPD feierte
das als Sieg. Das war schlecht. Noch schlechter wäre es
allerdings, die Fehler von damals zu wiederholen. 2003
wurde das Verfahren eingestellt, weil die Verfassungsrichter nicht mehr unterscheiden konnten, welche Beweise gegen die NPD originär von der NPD und welche
von V-Leuten des Staates stammten. Seitdem mahnen
wir: Wer an der V-Leute-Praxis festhält, garantiert der
NPD das Parteienprivileg.
({3})
Diese V-Leute-Kumpanei muss endlich beendet werden.
({4})
Damit bin ich bei Punkt eins meiner Skepsis. Die Innenminister der Länder haben über 1 000 Seiten Belastungsmaterial gegen die NPD zusammentragen lassen.
Aber - auch das gehört zur Wahrheit - die Mehrheit dieser Innenminister ist nicht bereit gewesen, mit ihrer Unterschrift zu testieren, dass dieses Material entgiftet ist,
also frei von V-Leute-Einflüssen. Sie trauen offenbar ihren eigenen Behörden nicht. Ich füge aktuell hinzu:
Nach dem, was wir in jeder NSU-Untersuchungsausschusssitzung hören, ist Skepsis auch gegenüber eigenen
Behörden angesagt.
Punkt zwei meiner Skepsis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Hürden für ein Parteienverbot mindestens so hoch wie das deutsche Grundgesetz gesetzt, wenn nicht noch höher.
Ich war als Linke immer eine politische Gegnerin von
Ex-Kanzler Helmut Kohl. Aber sein Zitat „Entscheidend
ist, was hinten rauskommt“ ist so weltfremd nicht.
({5})
Kurzum: Weil die Linke ein Verbot der NPD ernst
nimmt, sind wir gegen fragwürdige Schnellschlüsse. Wir
fordern einen radikalen Bruch mit der V-Leute-Praxis
des Staates, und wir warnen davor, das angestrebte NPDVerbot als Scheinlösung gegen die eigentlichen Herausforderungen des Rechtsextremismus zu missbrauchen.
Der Kern des Problems liegt ohnehin tiefer. Das haben Professor Heitmeyer und sein Team uns allen ins
Stammbuch geschrieben, jüngst auch Wissenschaftler im
Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihr sehr ähnliches
Fazit lautet: Die aktuelle Politik, bei der Reiche immer
reicher und Arme immer hoffnungsloser werden, spielt
Nazis in die Hände.
Lassen Sie mich noch eine allerletzte Bemerkung machen. Immer wieder werden Bürgerinnen und Bürger,
die gegen Nazis demonstrieren, kriminalisiert. Wir erleben das aktuell in Sachsen, aber nicht nur dort.
Es war ergreifend, Inge Deutschkron am Mittwoch
hier im Deutschen Bundestag zuzuhören. Zugleich bleibt
es mir aber unbegreiflich, dass ihre mahnende Botschaft
gleichzeitig sabotiert wird. Nazis ist zu wehren - rechtzeitig, gemeinsam und tatsächlich.
Danke.
({6})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege
Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangs
will ich meine grundsätzliche Haltung zum NPD-Verbot
darstellen, bevor ich zu den Problemen komme.
Ich denke, ein NPD-Verbot könnte zu einer vorübergehenden strukturellen Schwächung der rechtsextremistischen Szene führen. Deshalb bin ich dafür, einen
Verbotsantrag zu stellen, wenn man ihn rechtlich für aussichtsreich hält. Daher ist für mich die Frage, ob man einen NPD-Verbotsantrag guten Gewissens unterstützt,
zuallererst eine rechtliche und keine politische Frage.
Ich war beim ersten NPD-Verbotsverfahren dabei; ich
saß im Gerichtssaal. Dieses Verbotsverfahren wurde geführt, weil es einen Wettbewerb von zwei Innenministern dieser Republik um den Sheriffstern gab: zwischen
Herrn Beckstein und Otto Schily.
({0})
Volker Beck ({1})
Die Stümperei bei der Vorbereitung dieses Verbotsantrags habe ich damals nicht für möglich gehalten.
Ich habe nicht alle Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zur V-Mann-Problematik
geteilt. Ich finde, hier kann man aus guten Gründen der
geheimdienstlichen Praxis sagen: Man muss schon zwischen V-Leuten, verdeckten Ermittlern und Agents Provocateurs unterscheiden. - Man kann aber nicht davon
absehen, dass dieses Urteil jetzt geltendes Recht ist. Deshalb ist das auch die erste Hürde.
Nach den Auskünften, die ich von der Bundesregierung zu dem vorliegenden Material bekommen habe, bin
ich mir, ehrlich gesagt, noch nicht einmal sicher, ob wir
diese erste Hürde zweifelsfrei nehmen würden. Das kann
hier im Hohen Hause zumindest niemand beurteilen,
sondern das können nur die Damen und Herren auf den
Regierungsbänken, weil wir keine Kenntnisse darüber
haben, was in der V-Mann-Praxis wirklich los ist.
Die Bundesregierung sagte mir, dass aus dem ursprünglichen Bericht, der als geheim eingestuft wurde,
viele Seiten entfernt worden sind. Dies führte zu dem
Bericht, der uns jetzt in der Geheimschutzstelle vorliegt
und mit „VS-NfD“ gestempelt wurde. Ich würde schon
gerne genauer wissen: Von wann sind welche Quellen
herausgenommen worden? Warum waren sie zu diesem
Zeitpunkt eingeschaltet? Wenn man sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anschaut: Dürfen
wir überhaupt Beweise über eine Zeit sammeln, in der
sich in der Organisation noch eingeschaltete V-Leute befanden?
Der zweite Punkt ist materiell-rechtlicher Natur. Nehmen wir die formalen Hürden, müssen wir uns fragen:
Gilt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
beim Verbot der Sozialistischen Reichspartei und der
KPD heute noch? Wenn das so wäre, hätte ich weniger
Sorge, dass man die Voraussetzungen für ein Verbot
auch bei der NPD nachweisen kann.
Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
hat in ständiger Rechtsprechung verlangt, es müsse ein
„pressing social need“ für ein Verbot geben, weil das Instrument des Parteienverbots in der europäischen
Rechtsgemeinschaft eigentlich ein Fremdkörper ist. Es
darf nur ausnahmsweise angewandt werden, nämlich
dann, wenn andernfalls die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit eines Landes tatsächlich akut gefährdet wären.
Das Bundesverfassungsgericht wird sich diese Fragen
sicher schon selber stellen - das sagen auch viele Verfassungsrechtler -, weil es nicht riskieren will, dass ein Urteil aus Karlsruhe in Straßburg am Ende aufgehoben
wird.
Über all das habe ich in dem Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, der 141 Seiten umfasst, nur relativ
wenig gefunden. Hierin setzt man sich eigentümlicherweise mit der Rechtsprechung zum Vereinsverbot auseinander, weil man weiß, dass die Rechtsprechung zum
Parteienverbot viel strenger ist.
Bei Batasuna hat man gesagt: Verbieten, weil sie ein
parlamentarischer Arm einer Terrororganisation ist. Bei
der Refah Partisi hat man das kurz vor deren Wahlerfolg
und einer möglichen verfassungsändernden Mehrheit gesagt, da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit akut gefährdet waren. Das ist die ständige Rechtsprechung des
EGMR in sieben Fällen zum Parteienverbot.
Deshalb meine ich: Prüfaufgabe für den Innenausschuss ist - das wollen Sie ja prüfen -: Mit welchen Beweisen kann man diese Hürden nehmen? - Dass man
diese Hürden herunterredet, nützt uns vielleicht, um hier
eine Mehrheit für einen Antrag zu erreichen. In Karlsruhe nützt uns das aber überhaupt nichts. Deshalb bin ich
hier in großer Sorge.
({2})
Wir sollten im Innenausschuss auch die Frage erörtern, ob vielleicht die NPD mit einer Insolvenz nicht unserem Parteienverbotsantrag zuvorkommt. Der Partei
geht es finanziell bitterschlecht, weil ihr die Leute davonlaufen, weil sie den Bundestag betrogen hat und weil
sie Geld zurückzahlen muss und keine solide Finanzgrundlage hat. Daher ist die Frage, ob das Verbotsverfahren hier nicht wie eine künstliche Blutzufuhr für diese
marode Organisation wirken würde.
Aber Verbotsverfahren hin oder her: Die eigentliche
Gefahr des Rechtsextremismus können wir damit nicht
beseitigen. Die Demonstrationen in Dresden sind nicht
von der NPD organisiert, sondern von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland. Ich war vor drei Wochen in
Magdeburg. Dort war ein einziger NPD-Funktionär an
der Vorbereitung des Aufmarsches beteiligt,
({3})
ansonsten waren das alles Mitglieder der Freien Kameradschaften.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat eine Karte zu diesem realen Problem gemacht, mit dem wir es jenseits der
NPD zu tun haben. Jeder rote Kreis auf dieser Karte
steht für eine Freie Kameradschaft von Rechtsextremisten in Deutschland. Diese Kameradschaften sind auch
dann noch da, wenn die NPD verboten ist. Deshalb
meine ich - da habe ich keinen Dissens zu Ihnen als Person, Herr Ruppert, aber zu Ihrer Koalition -: Wir müssen
uns intensiver um die Bekämpfung des Rechtsextremismus kümmern, egal wie wir uns in der Frage eines NPDVerbotsverfahrens entscheiden.
({4})
Das heißt für mich: Weg mit der Extremismusklausel,
mit der den demokratischen Initiativen ein Knüppel zwischen die Beine geworfen wird!
({5})
Volker Beck ({6})
Weg mit dem Zwang zur hälftigen Kofinanzierung bei
den Bundesprogrammen! Wir brauchen eine Verstetigung des Programms für Demokratie, dessen Finanzierung dieses Jahr ausläuft. Kommen Sie endlich von der
Projektförderung weg! Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht innerhalb von drei Jahren mit einem Projekt zu erledigen. Das ist eine demokratische
Daueraufgabe.
({7})
Die Frage, wie wir damit umgehen, ist der Lackmustest
dafür, ob wir den Rechtsextremismus ernsthaft bekämpfen. Die Frage des NPD-Verbots bleibt eine juristische.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer vor zwölf Jahren hier im Bundestag war, der wird
sich noch erinnern können: Die Debatte, die wir heute
führen, haben wir vor zwölf Jahren genau so geführt.
Auch damals waren wir alle hin und her gerissen.
Es gibt gute Argumente für ein Verbotsverfahren. Es
gibt auch beachtliche rechtliche, aber auch politische Argumente und Bedenken gegen ein Verbotsverfahren. Es
gibt Linke, die für ein Verbot sind, und Konservative, die
dagegen sind. Es gibt Konservative, die dafür sind, und
Linke, die dagegen sind. Man kann die Haltung schwer
an Partei- oder Fraktionsgrenzen festmachen; das liegt in
der Natur der Sache. Jeder hier meint, die eigene Meinung sei die einzig richtige. Ich gebe zu: Das ist eine Berufskrankheit von Politikern, von der auch ich gelegentlich heimgesucht werde.
({0})
Aber vielleicht ist es gut, den Streit auf das zu konzentrieren, bei dem wir tatsächlich unterschiedlicher
Auffassung sind; denn in der Bewertung der NPD sind
wir uns doch alle einig. Ich könnte all das, was der Kollege Oppermann zum Wesen und zum Charakter der
NPD gesagt hat, vorbehaltlos unterschreiben. Daran gibt
es doch keinen Zweifel. Ich könnte das, was mein Innenminister, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen,
gesagt hat, ebenso unterschreiben. Auch daran gibt es
keinen Zweifel.
Aber es gibt auch keinen Zweifel an dem, was wir
2000/2001 erlebt haben. Am 2. August 2000 verkündete
Regierungssprecher Heye: Die rot-grüne Bundesregierung sieht keine Chance für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren. - Danach gab es eine Große Koalition.
An der waren unter anderem Jürgen Trittin, Gerhard
Schröder und Edmund Stoiber beteiligt. Sie wollten unbedingt ein Verbotsverfahren. Alle Bedenken dagegen
wurden beiseitegewischt. Am Ende hat derselbe Regierungssprecher erklärt, man sei voller Zuversicht, dass ein
NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe erfolgreich endet.
Die Argumentation war übrigens die gleiche wie bei Ihnen, Herr Oppermann: Es gebe überhaupt keinen Zweifel.
Das Ergebnis ist bekannt. Während des Verfahrens
war die NPD handzahm. Nach dem Verfahren ist sie
dreister als je zuvor aufgetreten und hatte am Ende über
7 000 Mitglieder. Seitdem befindet sich die Partei im
Sinkflug.
Es gibt gute Argumente für ein Verbot: erstens das
Zerschlagen einer organisatorischen Basis, zweitens den
Entzug der staatlichen Unterstützung. Natürlich stört es
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass sie in Form
der Wahlkampfkostenerstattung - die Hürde liegt bei
1 Prozent bzw. 0,5 Prozent Stimmenanteil - mit ihren
hart erarbeiteten Steuergroschen eine verfassungsfeindliche Partei jedenfalls teilweise mitfinanzieren müssen.
Ein Verbotsantrag ist natürlich auch ein Signal des
Staates, dass er es mit der wehrhaften Demokratie wirklich ernst meint. Aber senden wir damit nicht gleichzeitig ungewollt das Signal aus, dass wir es uns nicht zutrauen, die NPD politisch und zivilgesellschaftlich so zu
bekämpfen, dass sie in unserem Land überhaupt keine
Chance hat? Darauf muss der Schwerpunkt liegen.
Ein Verbotsantrag ist eine klassische Aufgabe der Exekutive. Das ist auch der Grund dafür, warum es bei den
ersten Parteiverboten überhaupt keinen Antrag des Parlaments gab. Es war immer die Bundesregierung, die als
Antragsteller aufgetreten ist. Nur die Regierungen des
Bundes und der Länder verfügen über die Informationen, die man haben muss, um beantworten zu können,
ob ein Verbotsantrag hinreichend Aussicht auf Erfolg hat
oder nicht. Woher wollen denn die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag wissen, welches Material
quellenfrei ist? Woher wollen wir wissen, welches Material von V-Leuten stammt und welches nicht? Die Zahl
der V-Mann-Führer im Bundestag ist sicherlich überschaubar. Wir können das doch gar nicht wissen. Wir
müssen uns auf das verlassen, was uns die Behörden zuliefern. Sogar viele der zuständigen Landesinnenminister sagen: Ich testiere das gar nicht. Ich selber unterschreibe das nicht, weil ich es auch nicht weiß. - Denn
auch die Innenminister sind keine V-Leute-Führer. Sie
lassen es ihre Abteilungsleiter oder die Präsidenten ihrer
Ämter unterschreiben. Herr Jäger, dafür habe ich sogar
Verständnis. Vielleicht würde ich es genauso machen.
Aber machen wir uns nichts vor: Wenn ein falsches
Zeugnis abgegeben wird, haben Sie als Minister den Ärger und nicht der Abteilungsleiter oder der Präsident.
Wie gesagt, das ist eine klassische Aufgabe der Exekutive.
Weil wir uns vor zwölf Jahren unsicher waren, sind
wir mit drei Antragstellern in Karlsruhe angetreten. Wir
haben geglaubt: Wenn es schon ein gewisses prozessuales Risiko gibt, dann wollen wir wenigstens mit möglichst vielen Antragstellern antreten. Möglicherweise
wird das Karlsruhe beeindrucken. - Das Ergebnis ist bekannt.
Zu den Risiken: Dass die NPD verfassungsfeindlich
ist, ist sonnenklar. Um das zu erkennen, muss ich
keine 1 000 Seiten lesen und auch nicht auf Zeugnisse
von V-Leuten zurückgreifen. Es gibt genügend Zitate
aus der Führungsebene der NPD selber, in denen ganz
klar bekannt wird, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung abgelehnt wird. Aber das alleine genügt für ein Verbot nicht. Wir müssen aggressiv-kämpferisches Verhalten nachweisen. Dafür genügen nicht
Entgleisungen, Exzesse, Straftaten oder Gewalttaten einzelner Mitglieder. In jedem einzelnen Fall muss der Staat
nachweisen, dass die Straftat oder die Gewalttat der Partei als Organisation zugerechnet werden kann. Der Staat
muss beweisen, dass die NPD die Grenze vom Bekennen
zum Bekämpfen überschreitet, dass sie nicht nur ein Bekenntnis gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ablegt, sondern unseren Staat auch aktiv bekämpft.
Das heißt, das Bundesverfassungsgericht wird in eine
Beweisaufnahme eintreten müssen. Das Verfahren wird
sich mit Sicherheit über anderthalb Jahre hinziehen. Jeden Tag wird die NPD in den Medien sein. Jeden Vormittag werden sich ihre Führungsmitglieder als Biedermänner vor Gericht gerieren. Jeden Nachmittag werden
sie bestreiten, dass sie irgendetwas mit Gewalt oder Exzessen einzelner Mitglieder zu tun haben. Es kommt übrigens auch prozessual nicht darauf an, wie es vor zehn
oder zwölf Jahren in der NPD zuging, sondern darauf,
wie es sich heute verhält. Daher muss neben der rechtlichen Würdigung - insofern hat Volker Beck recht - gefragt werden: Ist es wirklich politisch klug und im
wahrsten Sinne des Wortes notwendig?
Zum Abschalten der V-Leute: Frau Pau, ich bin nicht
der Auffassung, dass wir generell auf V-Leute verzichten
können. Wir haben, Hans-Peter, neun oder zehn rechtsradikale Organisationen in den letzten Jahren verboten,
übrigens erfolgreich und gerichtsfest. In vielen Fällen
haben Erkenntnisse von V-Leuten dazu geführt, dass wir
ausreichende Beweise hatten, um die Organisation verbieten zu lassen. Wir sagen, dass wir zur Beobachtung
der NPD dringend auf den Einsatz von V-Leuten angewiesen sind, haben die V-Leute aber schon seit neun Monaten abgeschaltet, sodass wir bei einem anderthalb oder
zwei Jahre dauernden Verfahren insgesamt rund zweieinhalb Jahre auf den Einsatz von V-Leuten verzichten
müssten. Es ist problematisch, wenn wir einerseits sagen, dass wir auf den Einsatz von V-Leuten dringend angewiesen sind, und andererseits auf ihren Einsatz offenbar zwei oder zweieinhalb Jahre problemlos verzichten
können.
Herr Jäger, ich habe für Ihre Haltung durchaus Verständnis. Es gibt gute Argumente dafür. Aber selbst
wenn Sie Erfolg haben: Die Baseballschläger sind immer noch da, die Springerstiefel sind immer noch da. Sie
können eine Partei verbieten, eine Organisationsform,
aber nicht den Rechtsextremismus und die Gewaltbereitschaft in den Köpfen der Mitglieder.
({1})
„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ durch einen Antrag
oder ein Verbot wäre ein klassischer Kurzschluss. Vor
zwölf Jahren habe ich aus Begeisterung zugestimmt,
weil ich von der Richtigkeit überzeugt war; heute sehe
ich das sehr skeptisch. Letztendlich muss sich jede einzelne Kollegin und jeder einzelne Kollege nach bestem
Wissen und Gewissen entscheiden, ob sie oder er für einen Verbotsantrag ist oder dagegen. Der Antrag wird
kommen. Die Länder werden ihn auf jeden Fall stellen.
Die Bundesregierung muss in eigener Verantwortung
entscheiden.
Scheitern dürfen wir in Karlsruhe auf keinen Fall. Das
wäre ein gigantischer Propagandaerfolg für die NPD und
eine riesige Blamage für den Staat. Deswegen dürfen wir
den Antrag nur stellen, wenn wir uns hundertprozentig
sicher sind.
({2})
Jetzt hat der Kollege Michael Hartmann von der SPDFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei allen Vorrednern für die
wirklich sehr abwägende und differenzierte Debatte bedanken. Besonders der Beitrag von Wolfgang Bosbach,
der mit seiner großen und langen parlamentarischen Erfahrung noch einmal dargelegt hat, womit wir zu ringen
haben, war eindrucksvoll.
Dennoch will ich feststellen: Manches ist vonseiten
der Koalition nicht richtig ausgeführt worden. Erstens.
Wenn, lieber Wolfgang Bosbach, immer dieses Testat
eingefordert wird, dann stelle ich fest: Das gibt es. Denn
die Innenminister haben auf ihrer Konferenz klar und
deutlich gesagt: Hiermit bescheinigen wir gemeinsam,
dass dieses Material nicht kontaminiert ist. - Also, bitte
nicht diese Propaganda weiter verbreiten!
({0})
Zweitens. Natürlich ist es so, wie Wolfgang Bosbach
ausgeführt hat. Wir müssen uns in dieser Frage in vielen
Punkten auf das verlassen, was die Apparate, die Sicherheitsbehörden und die Ministerien uns sagen. Wohl
wahr. Aber dafür haben wir eine parlamentarische Demokratie und eine parlamentarische Kontrolle. In fast allen Fragen, über die wir hier zu beraten und zu entscheiden haben, müssen wir Regierungswissen heranziehen,
das wir dann aber als frei gewählte Abgeordnete zu bewerten haben. Genau das ist unsere Aufgabe, nicht alleine eine rechtliche Bewertung.
({1})
Das Bemerkenswerte ist - ebenfalls eindrucksvoll
von dem heutigen Vorsitzenden des Innenausschusses
dargestellt -, dass damals, zu rot-grüner Zeit - der Ver27374
Michael Hartmann ({2})
botsantrag wurde von allen Fraktionen getragen außer
der FDP -, einmal die Aussage und einmal jene Aussage
getroffen wurde, die Positionen innerhalb der Regierung
unterschiedlich waren. Heute sind wir in der Situation,
dass der Bundesinnenminister selbst einmal diese und
einmal jene Position vorträgt. Sie können mit einem
Blick in die einschlägigen Medienerzeugnisse feststellen, dass es soundso viele Zitate für ein NPD-Verbotsverfahren vom Bundesinnenminister gibt und soundso
viele Zitate dagegen. Er ist immer ein bisschen bedenklich und abwägend. Die heutige Debatte spricht Bände.
Die Bundesregierung ergreift noch nicht einmal das
Wort, um uns zu sagen, wo sie steht und welche Position
sie hat. Das geht nicht, meine Damen und Herren.
({3})
Deshalb ist es gut, dass wir als SPD diesen Antrag
eingebracht haben, und zwar alleine deshalb, weil dadurch in die gesamte Diskussion Bewegung kommt. Wie
lange haben sich die Bundesländer und die Innenministerkonferenz mit dem Abwägen von Pro und Kontra eines NPD-Verbotsverfahrens befasst? Und nichts ist auf
unserer Ebene geschehen. Nun liegt etwas vor. Der Bundesinnenminister, der ständiger Gast der Innenministerkonferenz ist, hat immer, auch hinter den Kulissen, mit
seinen guten Fachleuten qualifiziert das mit beraten, was
jetzt vorgelegt worden ist. Wieso kann die Bundesregierung vor diesem Hintergrund bis zum heutigen Tag nicht
hü oder hott sagen? Das ist unverständlich, nicht nachvollziehbar und wird übrigens mit Häme von denen
wahrgenommen, die wir hier gemeinsam bekämpfen
wollen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf,
einmal schnell zu sagen und nicht mit dem Instrument
der langen Bank zu arbeiten: Wo stehen Sie? Sind Sie
dafür? Sind Sie dagegen? Beides ist respektabel, aber
diese Haltungslosigkeit ist es nicht, Herr Innenminister.
({4})
Ohne Frage ist in unserer Abwägung nicht nur zu bedenken: Wie stehen wir in Karlsruhe da? Wie wird dies
in der Diskussion und in der Debatte nach außen wahrgenommen? Nein, es gibt noch einen ganz anderen
Punkt: Wir haben diese schreckliche, gemeine, perfide
NSU-Mordserie. Wir haben jetzt einen Untersuchungsausschuss, der hervorragend arbeitet. Wir haben übrigens auch eine Bund-Länder-Kommission zu diesem
Thema, die hervorragend arbeitet. Aber unter dem Eindruck der Ereignisse hat der Deutsche Bundestag, das
deutsche Parlament, dieses Hohe Haus, etwas Besonderes hervorgebracht, nämlich eine gemeinsame Entschließung, getragen von allen Fraktionen des Hauses. Darin
heißt es sehr deutlich - ich erinnere an unseren gemeinsamen Beschluss -:
Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindliche Parteien haben in unserem demokratischen
Deutschland keinen Platz. Deshalb fordert der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, zu
prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen
Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben.
Dies wurde am 22. November 2011 beschlossen. Wir
fordern die Umsetzung des damaligen Beschlusses, nicht
mehr und nicht weniger.
({5})
Damit sind wir alle am Portepee, an der eigenen Ehre gefasst.
Wir sind nicht naiv. Natürlich wissen wir um die Risiken. Dazu sage ich sehr deutlich: Es wäre doch schrecklich, wenn Parteiverbote in unserer Welt leicht möglich
wären. Nein, hohe Hürden müssen aufgebaut sein - in
Karlsruhe und auch beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass
diese Hürden überwindbar sind, und zwar zum einen
deshalb, weil das Verbotsverfahren jetzt besser und
gründlicher vorbereitet ist als damals, und zum anderen,
weil - es wird ja immer dieser Popanz des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte angeführt - wir sehr
genau wissen, dass dort über Parteien in der Türkei und
über einen Terroristenableger in Spanien geurteilt
wurde. Es wurde aber nie über eine deutsche Partei geurteilt, die, anknüpfend an das Gedankengut der Nationalsozialisten, aggressiv, kämpferisch, ausländerfeindlich
und demokratiefeindlich agiert. Bitte, verwechseln Sie
deshalb nicht jene Urteile mit dem, was jetzt zu entscheiden ist.
({6})
Herr Kollege Hartmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?
Aber immer.
Bitte schön, Herr Kurth.
Herr Hartmann, ich wollte mich eigentlich nicht melden.
Jetzt ist es passiert.
Aber Ihren Einlassungen muss widersprochen werden. Die SPD tut so, als hätte sie in dieser Frage eine
klare Auffassung, und greift die Bundesregierung in erheblichem Maße an.
Sie sind in Thüringen in der Landesregierung. Ich lese
heute in der Thüringer Allgemeinen die Überschrift: „Initiative gegen rechte Gewalt: Wer gegen wen in der SPD?“ Unterüberschrift: „Wirtschaftsminister Machnig gab Fördermittel an einen Verein, hinter dem die eigene Parteijugend steht.“ In dem Artikel steht, dass der Wirtschaftsminister 384 000 Euro übergeben hat und dass er dazu
nicht die eigentlich dafür zuständige SPD-Ministerin für
Patrick Kurth ({0})
Gesundheit und Familie oder den Kultusminister, ebenfalls SPD, eingeladen hat. Aus der SPD heiße es dazu:
Hier
- also in diesem Verein, der unterstützt wird werden junge Genossen mit Jobs versorgt. … Da
kann man dann Gefolgschaft einfordern, wenn im
kommenden Jahr über die Spitzenkandidatur für die
Thüringer Landtagswahl 2014 entschieden wird.
({1})
Glauben Sie, dass Sie mit einem solchen Kasperletheater wie in Thüringen tatsächlich einen Beitrag gegen
Rechtsextremismus in diesem Land leisten, Herr
Hartmann?
Herzlichen Dank für Ihr Statement. Ich möchte jetzt
in der Debatte fortfahren.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass ein Verbotsantrag nicht risikofrei ist. Aber wie riskant ist es eigentlich, die NPD unbeschadet weiter agieren zu lassen?
Wir sagen sehr deutlich, dass die NPD ein Teil einer insgesamt widerlichen Gesamtbewegung ist. Wir wollen,
dass mit den Mitteln des Rechtsstaats, mit den Mitteln
der wehrhaften Demokratie der legale Arm dieser insgesamt widerlichen Gesamtbewegung lahmgelegt wird.
Damit ist nicht das rechte Denken weg. Damit sind die
Gesinnungen nicht verschwunden. Aber eines ist klar:
Dann ist es nicht mehr möglich, dass diese Schurken,
mit dem Parteienprivileg versehen, Bustouren durch
Deutschland machen oder in Landtagsfraktionen als sogenannte wissenschaftliche Mitarbeiter die Bindeglieder
zu den Kameradschaften herstellen. Auch darum geht es
bei der gesamten Debatte, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
({1})
Wenn die NPD verboten wird, dann ist klar, dass damit die Werte unserer Demokratie hochgehalten werden.
Wir wollen die NPD verbieten, um null Toleranz gegen
jene Denke auszusprechen, die bis weit in die Mitte der
Gesellschaft verbreitet ist. Da jetzt mehrfach gefragt
wurde, warum die SPD bei dieser Sache so notorisch ist,
will ich Ihnen das gern erklären.
Wir haben der sogenannten Machtergreifung gedacht.
Wir müssen auch des sogenannten Ermächtigungsgesetzes gedenken. Damals hat nach dem Brand des Reichstages der Fraktionsvorsitzende der SPD, Otto Wels, in einer mutigen Rede die Aussage getroffen, dass man
wehrlos, aber nicht ehrlos ist, dass man in der Lage ist,
diese Kämpfe zu überstehen. Meine Partei hat im Widerstand gegen die Nazis einen hohen Blutzoll gezahlt. Deshalb werden wir überall zu jeder Zeit mit allen Mitteln
gegen diese braune Brut kämpfen, meine Damen und
Herren.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Patrick Sensburg
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Kollege Hartmann, Sie haben am
Anfang Ihrer Rede die Einmütigkeit und die gute Debatte gelobt, und dann waren es gerade Sie, der polarisiert hat zwischen Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung.
({0})
Das war nicht nötig. Aber den Inhalt Ihrer Rede habe ich
gut nachvollzogen, und er war nach meiner Meinung
grundsätzlich richtig.
Mir selber fällt es aber nicht so leicht wie Ihnen, mich
zu entscheiden, ohne die Debatte bis zum Ende zu verfolgen und ohne Kenntnis der Inhalte und der Informationen der Landesinnenminister und des Bundesinnenministers.
Ich persönlich habe große Sympathie für den Antrag
auf ein Verbot der NPD. Das hat verschiedene Gründe.
Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass ein
Staat ein klares Zeichen setzen muss bei dieser unsäglichen, untolerierbaren Ideologie, die aus den Zitaten unter anderem vom Kollegen Oppermann, aber auch vom
Kollegen Wieland deutlich geworden ist. Ein Staat, der
die Möglichkeit hat, die uns Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz
gibt, muss an einem Punkt, wo das Maß überschritten ist,
diese Möglichkeit auch nutzen. Dafür haben wir sie im
Grundgesetz. Diese Möglichkeit können wir auch nutzen.
Ich glaube, dass es nicht nur ein Zeichen für einen
starken Staat ist, für eine gefestigte Demokratie; ich
glaube auch, dass es international ein Zeichen ist, dass
wir mit so einem Gedankengut entschlossen umgehen
können, wie gesagt, wenn eine Schwelle überschritten
ist.
Dass es kaum erklärbar ist, sowohl den Bürgerinnen
und Bürgern unseres Landes als auch den Menschen außerhalb der Bundesrepublik, dass wir einer Partei mit so
einem Gedankengut auch noch mit staatlicher Parteienfinanzierung entgegenkommen, versteht sich, glaube
ich, unter uns von selber. Ich habe daher größte Sympathie für ein Verbot dieser Partei, die aus meiner Sicht unsäglich für unser Land ist.
({1})
Ich habe im Umkehrschluss nach dem Verfahren, das
2001 begonnen hat und 2003 zu einem nicht günstigen
Abschluss gekommen ist, aber auch Sorgen, nämlich
dass wir, so wie es der Kollege Uhl sagte, der NPD ein
Forum liefern, dass wir, so wie es der Kollege Bosbach
sagte, in der Diskussion medial, im Fernsehen, im Radio,
aber auch in den Printmedien, die NPD immer wieder erleben werden, hören werden, und das in einer Zeit, in der
bundesweit - Frau Jelpke, ich gebe Ihnen ausnahmsweise recht; das habe ich hier noch nie gemacht; das
wird hoffentlich auch nicht mehr vorkommen; aber an
dem Punkt haben Sie recht; in manchen Regionen ist es
anders - die NPD derzeit zum Glück nicht in den Medien ist. Sie ist nicht präsent. Sie liegt unter 1 Prozent.
Ich würde mir wünschen, dass sie noch weiter heruntergeht, auf 0 Prozent. Ich sehe eine große Gefahr in diesem
Verfahren, nämlich dass die NPD für die Menschen wieder präsent wird.
Dass die NPD so aus der demokratischen Diskussion
herausgefallen ist, ist übrigens nicht allein das Verdienst
der Parteien und unser Verdienst, sondern es ist nach
meiner Meinung das Verdienst der Bürgerinnen und Bürger,
({2})
die viele friedliche Demonstrationen - ohne Gewalt! veranstaltet und gezeigt haben: Für so eine Partei besteht
in unserem Staat keine Grundlage. - Deswegen müssen
wir ihnen danken.
({3})
Weiterhin halte ich es für unglücklich, dass wir parallel zum Untersuchungsausschuss NSU über dieses Verbotsverfahren diskutieren. Das ist kein guter Zeitpunkt,
außer man meint, NPD verbieten, Verfassungsschutz abschaffen seien eine Parallelität, die Sinn mache. Ich sehe
das nicht. Gerade ein Verbot dieser Partei würde doch erfordern, dass wir das, was dann vielleicht in den Untergrund rutschen würde, auch weiterhin mithilfe der Verfassungsschutzämter überwachen und überprüfen. Von
daher: Diese Parallelität jetzt zu erzeugen, ist möglicherweise nicht günstig.
Zum Zweiten. Dieses Verfahren vor einer Bundestagswahl zu führen, was auch wieder dazu führen kann,
dass die NPD mit medialem Rückenwind Stimmen einfängt, macht mir ebenfalls große Sorgen. Angesichts
dessen, dass ein Antrag möglicherweise auch an rechtlichen Fragestellungen zu scheitern droht, muss man überlegen: Ist das jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, ein
Verbotsverfahren einzuleiten?
Wir befinden uns zum Glück noch in einer Phase der
Vorbereitung der Verbotsanträge. Ich kann nur raten, hier
eine sehr intensive Prüfung der Voraussetzungen anzustellen. Voraussetzung auf der Ebene der Zulässigkeit ist
nämlich die Durchführung eines Vorverfahrens, in dem
die Antragsgegner die Chance erhalten, sich zu den einzelnen Punkten zu äußern. Das wird die NPD doch intensiv nutzen: sich zu äußern, wie es eben gesagt worden
ist, sich als saubere Partei darzustellen. Dann werden sie
die Leute nach vorne schicken, die nicht das Gedankengut repräsentieren, sondern als Saubermänner dastehen.
Dann wird die Frage aufkommen, ob kein rechtsstaatliches Verfahrensverbot existiert, so wie es auch 2003
vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden ist. In
diesem Zusammenhang macht mir Sorge, dass die Messlatte zu hoch gelegt wird und ob es ausreicht, mit dem
Material, das die Minister gesammelt haben, diese Hürde
zu nehmen.
Der Kollege Beck hat gesagt - ich möchte es noch
einmal betonen -: Wir sollten ganz intensiv darauf achten, dass wir verdeckte Ermittler und V-Personen nicht
durcheinanderwerfen. Ich würde mir wünschen, dass wir
hier in der Terminologie ganz klar und deutlich sind.
Denn es geht nicht um verdeckte Ermittler, sondern es
geht um V-Personen, um Mitglieder, die regelmäßig Informationen geben, und nicht um Personen, die auch nur
irgendwie beim Verfassungsschutz beschäftigt sind.
Dass Informationen gewonnen werden, ist richtig. Von
daher hoffe ich, dass dies auch vom Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren, das der Bundesrat auf jeden
Fall anstrengt, berücksichtigt wird und dass dort nicht
ein falscher Zungenschlag hineinkommt. Das könnte unser Verfahren gefährden.
Bei der Begründetheit kommt es, wie der Kollege
Bosbach ausgeführt hat, darauf an, dass die freiheitlichdemokratische Grundordnung durch verfassungswidriges Verhalten gefährdet wird; es darf nicht nur eine Störung oder etwas, was wir als unerträglich erachten, vorliegen, sondern es muss durch aggressiv-kämpferisches
Vorgehen gegen diese Ordnung angekämpft werden. Das
müssen wir in den Einzelfällen ganz klar beweisen.
Dass eine Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass die
NPD verboten wird, ist richtig. Es ist gut. Es reicht aber
- Herr Jäger, Sie hatten es angesprochen - fachlich nicht
aus. Ich hoffe, dass wir über diesen gefühlten Wunsch
hinaus fachliche Expertise haben, um den Verbotsantrag
weiter unterfüttern zu können.
Wir haben eine große Chance, wenn wir eine sorgfältige Prüfung vornehmen, die NPD aus dem Parteienspektrum herauszubekommen. Aber bevor wir die
Kenntnisse, Daten und Informationen nicht hinreichend
geprüft haben und solange wir eine unklare Aktenlage
haben, sollten wir den Gang vor das Verfassungsgericht
nicht anstreben. Erst nach sorgfältiger Prüfung und bei
klarer Aktenlage ist es möglich, einen Verbotsantrag zu
stellen. Sehr geehrter Herr Innenminister Jäger, Sie tragen hier eine hohe Verantwortung für ein Verfahren, das
Sie anstrengen und das wir nicht verlieren dürfen.
Ich frage auch die Kollegen Oppermann und
Hartmann: Wie können Sie als Abgeordnete so sicher
sein, dass uns dieses Verfahren gelingen wird? Haben
Sie Informationen, die den anderen Abgeordneten nicht
zugänglich sind? Ich hoffe nur, dass die Informationen
tragfähig sind; denn auch Sie tragen, wenn Sie so argumentieren, eine hohe Verantwortung, dass uns das gelingt.
Wenn uns - das ist mein letzter Satz, Herr Präsident dieses Verfahren nicht gelingt, dann adeln wir diese
schreckliche Partei durch einen Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts. Das wäre das Schlimmste, was uns
passieren könnte. Wir müssen uns dezidiert informieren,
und dann muss jeder Abgeordnete überlegen, wie er mit
seiner Entscheidung umgeht. Wichtig ist, dass es uns gelingt, in der politischen Auseinandersetzung zu erreichen, dass die NPD keine politische Option in unserem
Land ist.
Danke schön.
({4})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Helmut Brandt von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Jäger, zunächst ein paar Bemerkungen zu Ihrer Rede. Ich
habe es als anmaßend empfunden, dass Sie Ihre Ausführungen mit dem Hinweis begonnen haben, dass es
höchste Zeit ist, dass sich das Hohe Haus mit der NPD
beschäftigt.
({0})
Wir haben uns hier in den letzten Jahren regelmäßig und
kontinuierlich mit Fragen der Bekämpfung des Rechtsextremismus beschäftigt. Ich erinnere an die Ausführungen von Michael Hartmann, der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass wir hier erst vor kurzer Zeit eine
entsprechende gemeinsame Erklärung beschlossen haben.
({1})
Ich muss auch Ihren Vorwurf zurückweisen, dass sich
die Bundesregierung und auch dieses Hohe Haus bei der
Prüfung, ob wir dem Antrag des Bundesrates folgen,
zauderhaft verhalten. Zauderhaftes Verhalten ist hier
nicht zu erkennen, vielmehr das Bemühen - darum wird
in der Debatte insgesamt gerungen -, zu prüfen und festzustellen, ob die vom Bundesrat beschlossene Anrufung
des Bundesverfassungsgerichtes tatsächlich trägt.
Ein Drittes ist mir bei Ihren Ausführungen aufgefallen. Sie haben zugegeben, dass bei all dem, was Sie hier
initiieren, ein parteipolitisches Kalkül im Raume steht.
Ich muss sagen: Genau das Gegenteil davon ist in dieser
Frage anzustreben.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzter
Redner hat man natürlich das Problem, dass die wesentlichen Argumente - wie könnte es anders sein! - bereits
vorgetragen worden sind.
({3})
- Lieber Michael, auch du hattest mit deinen Äußerungen größtenteils recht. In den nächsten Wochen und Monaten wird es um die Frage gehen, ob die daraus gezogenen Schlussfolgerungen richtig sind. - Es ist für uns alle
völlig unerträglich, dass gerade in unserem Land Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder
sonstiger, anderer Merkmale diffamiert werden. Es ist
unerträglich, dass die NPD als Partei über Privilegien
verfügt und diese in einer Art und Weise nutzt, die im
Grunde genommen von uns allen als ein Makel für dieses Land wahrgenommen wird. Insofern hat der Kollege
Sensburg recht, dass die Frage, wie wir mit dieser Sache
umgehen, durchaus eine internationale Komponente hat.
Natürlich ist es richtig, dass die Aufdeckung der
Mordserie der Zwickauer Terrorzelle, des sogenannten
Nationalsozialistischen Untergrunds, erneut die Diskussion über die Frage befördert hat: Ist diese Partei, die
NPD, zu verbieten oder nicht? Insofern habe ich hohen
Respekt davor, dass der Bundesrat mit 15 von 16 Ländern einen solchen Verbotsantrag beschlossen hat. Aber
das sagt überhaupt nichts darüber aus, wie die Erfolgsaussichten zu bewerten sind. In Karlsruhe zählt am Ende
nicht der entschlossene politische Wille, sondern ausschließlich das verfassungsmäßige juristische Argument.
Wir alle wissen - dies war zum Glück in allen Reden
hier die einheitliche Meinung -, dass man nicht darüber
diskutieren muss, ob die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Natürlich ist sie das. Ich will hier nur ein
Zitat von Holger Apfel, dem NPD-Parteichef, bringen,
der über das demokratische System gesagt hat: „Das
System hat keine Fehler, das System ist der Fehler.“ Das
drückt im Grunde genommen genau das aus, was diese
Menschen im Kopf haben.
Trotz alledem stehe ich wie viele Juristen, darunter
auch einige ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, und viele Politiker, und zwar fraktionsübergreifend, einem erneuten Gang nach Karlsruhe äußerst skeptisch gegenüber. Ich will deutlich machen, worin die
Probleme liegen. Wenn der Nachweis der Verfassungswidrigkeit und der Nachweis, dass die Partei als Ganzes
auf die gewaltsame Aufhebung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist, gelingt, dann
könnte das Bundesverfassungsgericht die NPD verbieten; das Verbot müsste aber der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, die vom Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte gefordert wird. Selbst bei einem
Verbot, selbst wenn die Entscheidung für die Antragsteller positiv ausfallen sollte, könnte diese Partei, die NPD,
das Verfahren perpetuieren - es ist eben schon dargestellt worden, dass wir allein vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem Verfahren mit einer Dauer von
einem oder eineinhalb Jahren rechnen müssen -, indem
sie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
anruft. Angesichts dieser langen Dauer muss ich Ihnen
ganz ehrlich sagen: Es ekelt mich schon heute an, wenn
ich mir vorstelle, dass diese Leute in den Medien jeden
Tag eine Stellung einnehmen, die sie weiß Gott nicht
verdient haben. Zu Recht ist auch darauf hingewiesen
worden, dass die NPD in Deutschland eigentlich gar
keine Rolle mehr spielt: Nordrhein-Westfalen, Herr
Jäger, 0,5 Prozent, Niedersachsen 0,8 Prozent,
({4})
Mitgliederzahl abnehmend. Damit ist nach meiner Auffassung auch die Frage erlaubt: Kann eine solche Partei,
die bei Wahlen im Wesentlichen keine Erfolge erzielt
- auf die örtlichen Gegebenheiten will ich nicht näher
eingehen; das ist natürlich zu sehen -, eine Gefahr für
unser demokratisches Gemeinwesen sein? Das ist doch
die essenzielle Frage, um die es tatsächlich geht.
Im Übrigen hat sich die Szene auch schon gewandelt.
Nicht Parteien wie die NPD, sondern straff organisierte
Kameradschaften wie die im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen verbotene Kameradschaft Aachener
Land und lockere, aktionsorientierte Zusammenschlüsse
von häufig gewaltbereiten Neonazis gewinnen zunehmend an Einfluss. Das macht die Gefahr durch den
Rechtsextremismus doch eigentlich aus. Allein die
Gründung der Partei Die Rechte, meine Damen und Herren von den Linken, zeigt doch, dass man sich offensichtlich in dieser Szene auf den Fall vorbereitet, dass
die NPD verboten werden sollte.
({5})
Eine Auseinandersetzung mit dem rechten Gedankengut - das ist zu Recht von fast allen Rednern gesagt worden - bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Dieser Aufgabe
müssen wir uns alle stellen.
Vor dem Hintergrund der heutigen Ausführungen, der
sehr unsicheren Erfolgschancen eines Verbotsverfahrens
und der Gefahr, dass die NPD die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für sich nutzen wird, plädiere jedenfalls ich für einen ausschließlich
sachlichen Umgang mit der Frage nach einem Verbot.
Wir sollten und dürfen uns nicht allein von dem Wunsch
leiten lassen, diesen NPD-Verbotsantrag zu stellen. Wir
sollten diese Frage im Innenausschuss nach Vorlage der
Stellungnahme der Bundesregierung diskutieren und
dann zu einem Vorschlag kommen.
Besten Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12168 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 über den Beitritt
der Republik Kroatien zur Europäischen Union
- Drucksache 17/11872 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})-
Auswärtiger Ausschuss -
Innenausschuss -
Rechtsausschuss -
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip
Juratovic, Dietmar Nietan, Axel Schäfer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
EU-Beitritt der Republik Kroatien zum Erfolg
führen
- Drucksache 17/12182 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2})Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Staatsminister Michael Link.
({3})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ende
2011 haben die Vertreter der Mitgliedstaaten der EU sowie der Republik Kroatien den Vertrag über den Beitritt
Kroatiens zur EU unterzeichnet. Wenn alle Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben werden, wird damit zum
zweiten Mal ein Staat des ehemaligen Jugoslawiens Mitglied der Europäischen Union. Das ist eine einmalige Erfolgsgeschichte. Noch vor 22 Jahren und einige Jahre
danach erlebte Europa einen blutigen Bürgerkrieg, Vertreibungen, ethnische Säuberungen, massive Menschenrechtsverletzungen - Bilder, die zuvor niemand mehr in
Europa für möglich gehalten hätte.
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie mir. Ich kann
mich gut daran erinnern, als im April, Mai, Juni 1991 die
großen Bürgerkriegsauseinandersetzungen in Kroatien
begannen. Die Zerstörungen in Vukovar habe ich noch
vor Augen; wir haben das damals im Fernsehen verfolgt.
Das waren Dinge, die uns nicht losgelassen haben und
die man sich heute auf dem europäischen Kontinent
glücklicherweise nicht mehr vorstellen kann. Deshalb ist
es wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Ganze gerade einmal 22 Jahre her ist. In anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens ist der Zeitraum noch viel kürzer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, große und einschneidende Umbrüche in Südosteuropa sind seither gefolgt. Eine erhebliche wirtschaftliche, politische und
soziale Destabilisierung forderte die jungen Nachfolgestaaten Jugoslawiens heraus. Gleichzeitig war klar, dass
die Europäische Union mit einer Beitrittsperspektive die
Stabilität dieser jungen Staaten unterstützen müsste und
ihnen eine Perspektive geben sollte. Als man zum ersten
Mal über eine Beitrittsperspektive sprach, war dies allerdings sehr umstritten. Hans-Dietrich Genscher und
Helmut Kohl haben das damals früh erkannt und entsprechend entschlossen gehandelt. Auch daran sei heute
deutlichst erinnert.
Die Europäische Union erkannte ihre Verantwortung
und ihr strategisches Gesamtinteresse, in dieser Region
Sicherheit, Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und langfristig durch eine Beitrittsperspektive zu festigen. Die Perspektive des EU-Beitritts
- lassen Sie mich das deutlich sagen - wirkte und wirkt
noch immer als Katalysator für Reformen in den Ländern Südosteuropas.
Viele Staaten dieser Region mögen noch weit von einer Mitgliedschaft entfernt sein. Viele haben noch nicht
einmal den offiziellen Kandidatenstatus oder sind noch
nicht im Verhandlungsprozess. Gerade deshalb wissen
wir, dass der kroatische Beitritt eine wichtige, unersetzliche Signalwirkung für die Gesamtregion, für die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Albanien, hat.
Deutschland hat deshalb die Annäherung der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien inklusive Albanien an die Europäische Union von Anfang an unterstützt und gefördert. Ich möchte deutlich sagen: Die
Bundesregierung steht zu dem Versprechen von Thessaloniki im Jahr 2003, dass diese Staaten ein integraler Bestandteil des vereinten Europa werden, wenn sie ihrer
politischen Verantwortung gerecht werden und die dazu
notwendigen Reformen beschließen und umsetzen.
Ich möchte hier auch daran erinnern, dass das Nobelpreiskomitee bei seiner Begründung für die Verleihung
des Friedensnobelpreises an die EU die Aufnahme Kroatiens und die Rolle der EU-Erweiterungspolitik für die
Versöhnung in der Westbalkanregion und die Stabilisierung dieser Region ausdrücklich hervorgehoben hat.
Kolleginnen und Kollegen, bis zur Unterzeichnung
des Beitrittsvertrages hat Kroatien einen langen, schwierigen Weg zurückgelegt. 2003 stellte Kroatien den
Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Der Europäische Rat beschloss dann im Oktober 2005 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Diese wurden nach einem strengen
Kriteriensystem durchgeführt; die hinreichende Erfüllung der Bedingungen musste vor Verhandlungsabschluss vorliegen. Hierauf hat die Bundesregierung allergrößten Wert gelegt.
Ich möchte hier deutlich sagen, dass es einen Wechsel
dabei gab, in welcher Art und Weise die Verhandlungen
geführt wurden. Wir haben unsere Lektionen gelernt, gerade auch auf Druck und Anregung des Bundestages.
Wir haben die Lektionen aus früheren Verhandlungen
gelernt, bei denen man punktuell einigen Dingen bzw.
schwierigen Fragen vielleicht zu schnell aus dem Weg
gegangen war oder Wunschdenken erlegen ist, indem
man zu früh gewisse Dinge abgeschlossen hat.
Jetzt ist es andersherum. Seit einigen Jahren ist es so,
dass wir einen Wechsel in der Verhandlungslinie haben.
Jetzt ist es so - das machen wir mit Montenegro zum
ersten Mal -, dass wir die Verhandlungen ganz gezielt
mit den schwierigen Kapiteln, bei denen es um Fragen
der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung
geht, beginnen. Sie kommen zuerst auf den Tisch. Es ist
völlig unmissverständlich, dass nur derjenige, der die
Kriterien erfüllt, der den Acquis nicht nur ins eigene
Rechtssystem integriert, sondern ihn auch tatsächlich
lebt und praktiziert, am Ende Mitglied der Europäischen
Union werden kann. Wer also Interesse an einer Fortsetzung der Erweiterungspolitik hat - punktuell; große
Wellen sind hier nicht gemeint -, der muss deutlich machen: Es kann keine Aufnahmen mit Rabatt geben. Mitgliedschaft kennt keine Rabatte.
Die Verhandlungen mit Kroatien sind am 30. Juni
2011 erfolgreich mit dem Schließen aller Verhandlungskapitel beendet worden. Zugleich wurde in der Beitrittsakte ein intensives Vorbeitrittsmonitoring vereinbart, das
die weiteren Reformanstrengungen und deren Umsetzung durch die kroatische Regierung und durch das
kroatische Parlament, den Sabor, bis zum Beitritt genau
begleitet und überprüft. Die EU-Kommission hat zuletzt
im Herbst 2012 einen Bericht dazu vorgelegt. Kroatien
werden darin deutliche Fortschritte bescheinigt. Im Gegensatz zu den im Frühjahr 2012 noch 49 angemahnten
konkreten Maßnahmen verbleiben im Herbst 2012 nur
noch zehn, die bis zum Frühjahr 2013 umzusetzen sind.
Von diesen zehn wiederum sind nach Angaben der kroatischen Regierung inzwischen acht erledigt bzw. werden
dem kroatischen Parlament in den kommenden Wochen
zur Verabschiedung vorgelegt.
Ich möchte an dieser Stelle deshalb Kroatien und die
kroatische Regierung ausdrücklich dazu aufrufen, den
letzten bilateralen Stolperstein im Verhältnis zu Slowenien vor dem Beitritt zügig und schnellstmöglich zu beseitigen.
Für Ende März dieses Jahres ist der Frühjahrsbericht
angekündigt. Das ist wichtig; denn wir wollen die gesamte Ratifizierung - unter Aufnahme der klaren Reaktionen aus dem Bundestag - ganz bewusst erst dann zu
einem Ende bringen, wenn der letzte Fortschrittsbericht
vorgelegt worden ist. Wir sind sicher, dass die EU-Kommission Kroatien kein Gefälligkeitsgutachten ausstellen
wird. Wir sind aber zuversichtlich, dass ihr Urteil positiv
ausfallen wird.
Inzwischen ist auch der Entwurf eines Gesetzes zur
Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes, also das
Begleitgesetz, erarbeitet worden. Es ist am 16. Januar
auf den Weg gebracht worden. Hier geht es in erster Linie um die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Beitrittsvertrag sieht hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs abgestufte Übergangsbestimmungen für die Herstellung der
Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Deutschland macht von
einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf
zwei Jahre für Gering- bis Nichtqualifizierte Gebrauch.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Bis zum jetzigen Datum haben Kroatien sowie 22 EU-Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert. Wie Deutschland haben die
Niederlande und Dänemark ebenfalls das Ratifikationsverfahren eingeleitet, warten aber vor der parlamentarischen Beschlussfassung, wie erwähnt, den letzten Monitoringbericht der Kommission ab.
Die Bundesregierung legt heute dem Hohen Hause
den Beitrittsvertrag Kroatiens zur abschließenden Beratung vor. Wir sind zuversichtlich, dass Kroatien bis zum
1. Juli 2013 alle erforderlichen Kriterien erfüllen wird
und dann 28. Mitglied der Europäischen Union werden
kann.
Wir freuen uns auf Kroatien. Wir freuen uns auf den
Beitrag, den Kroatien erbringen kann, um gemeinsam
dafür zu sorgen, dass wir wieder einen deutlichen Schritt
weiterkommen auf dem langen Weg der Wiedervereinigung unseres Kontinents.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute beginnt die entscheidende Phase der
guten deutsch-kroatischen Zusammenarbeit auf dem
Weg Kroatiens in die Europäische Union und in die demokratische Wertegemeinschaft.
Ich bin besonders glücklich, heute hier vor Ihnen als
deutscher Bundestagsabgeordneter kroatischer Abstammung - im Herzen deutscher Verfassungspatriot und im
Geiste Europäer - reden zu dürfen.
({0})
Denn heute erlebe ich zum Teil auch meinen persönlichen Triumph.
Als ich vor 30 Jahren als junger Gastarbeiter in die
SPD eingetreten bin, verfolgte ich zwei Ziele. Ich wollte
mich auch als Gastarbeiter an der politischen Willensbildung in der Gesellschaft, in der ich lebe, beteiligen. Aber
mein Traum war auch, meinen Beitrag dazu zu leisten,
dass eines Tages auch das damalige Jugoslawien zur demokratischen Wertegemeinschaft dazugehört.
Leider wurde mein Traum nicht einmal zehn Jahre
später zum Alptraum. Während sich die Länder des Warschauer Paktes nach dem Prinzip „Selbstbestimmung der
Völker“ in Demokratien umwandelten, marschierten die
Völker Jugoslawiens in den Nationalismus. Die Folge
waren die schlimmsten Kriege der Jahrtausendwende. Es
kam zu ethnischen Verfolgungen, zu Flüchtlingsströmen,
es gab mehr tote Kinder als Soldaten.
Demokratische Werte und humanistische Gedanken
wurden auch nach den Kriegen ignoriert, während gewisse politische Eliten und Nationalisten unter dem
Deckmantel der nationalen Befreiung Korruption,
Machtwillkür und Despotismus freie Fahrt ließen.
2003 kam dann die erlösende Wende, die Thessaloniki-Erklärung. Die Staats- und Regierungschefs der EU
beschlossen, den Westbalkan in die Europäische Union
zu integrieren, und zwar nach dem Regatta-Prinzip: Einzelnen Ländern, die die Voraussetzungen zum Beitritt erfüllen, steht die Tür offen. Endlich sahen auch die jungen Menschen, die voller Neid nach Europa schauten,
eine Perspektive für ihre Zukunft, und Kroatien nutzte
seine Chance sehr erfolgreich.
Den alten Strukturen, die auf dem Nationalismus
gründeten, wurde der Nährboden entzogen. Eine neue
Generation nahm ihr Schicksal auf dem Fundament der
demokratischen Werte selbst in die Hand. Eine zentrale
Rolle spielte dabei die Umsetzung der Verhandlungskapitel 23 und 24, die sich mit Justiz und Menschenrechten
befassen. Der damals allmächtig erscheinende Ministerpräsident Ivo Sanader musste aufgrund von Korruptionsvorwürfen zurücktreten, übrigens auch auf Druck seiner
eigenen Partei. Mittlerweile sitzt er im Gefängnis.
Auch gesellschaftliche Veränderungen wurden durch
die Beitrittsverhandlungen möglich. Wer hätte denn vor
zehn Jahren gedacht, dass Kroatien einen Präsidenten
bekommt, der sich als Agnostiker bezeichnet, oder einen
Ministerpräsidenten, der bekennender Atheist ist? Und
das in Kroatien, wo der christliche Glaube so stark verankert ist wie in kaum einem anderen Land. Durch die
Beitrittsverhandlungen hat sich Kroatien zu einer modernen, demokratischen Gesellschaft entwickelt, in der Argumente und nicht mehr Ideologien das politische Geschehen bestimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige unter uns
machen sich Sorgen über die weitere Entwicklung der
Europäischen Union. Ich verstehe diese Sorgen. Doch
wir dürfen nicht zu dem Fazit kommen: entweder eine
EU-Vertiefung oder eine EU-Erweiterung. Wir brauchen
sowohl eine Vertiefung als auch eine Erweiterung.
({1})
Die Probleme, die die EU mit sich selbst hat, dürfen
nicht ignoriert werden, aber sie dürfen auch nicht auf
Kosten der kroatischen Demokraten behoben werden,
auch nicht auf Kosten der demokratischen Bestrebungen
in anderen Ländern des Westbalkans.
Das Nobelpreiskomitee hat das erkannt. Der Friedensnobelpreis ging an die Europäische Union, verbunden mit der Aufforderung, den Frieden in Europa durch
eine Beitrittsperspektive für den Westbalkan zu sichern.
Der Beitritt Kroatiens ist ein klares Signal an die Staaten, die noch auf dem Weg in die EU sind. Er wird vor
allem den jungen Menschen Hoffnung geben. Das kroatische Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, weiterhin auf die
europäische Perspektive zu setzen. Kroatien hat innerhalb von zehn Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht und ist nun zum Vorbild und Maßstab für andere
Staaten geworden.
Kroatien wird nicht nur ein wertvoller Partner innerhalb der EU sein, sondern es wird auch eine zentrale
Rolle für die Entwicklung auf dem Westbalkan einnehJosip Juratovic
men. Kein EU-Mitglied kennt die sechs Kleinstaaten auf
dem Balkan, die noch nicht in der EU sind, so gut wie
Kroatien. Diese sechs Staaten bringen große Akzeptanz
und Wohlwollen für eine Vermittlerrolle Kroatiens auf.
Doch alleine wird Kroatien Frieden und Stabilität auf
dem Westbalkan nicht garantieren können. Mit der Erklärung von Thessaloniki hat die EU gezeigt, dass sie
verstanden hat, dass nur mit einer europäischen Integration des Westbalkans Frieden und Stabilität gewährleistet werden können. Die EU hat damit recht behalten.
Deshalb darf der Beitritt Kroatiens nicht das Ende der
EU-Erweiterung sein, sondern er ist der erste Schritt in
Richtung Integration des gesamten Westbalkans in die
EU. Es ist wichtig, dass für alle weiteren Kandidaten das
Beitrittsdatum offen bleibt; denn entscheidend ist, ob ein
Land beitrittsreif ist. Aussagen, dass es in den nächsten
zehn Jahren keinen weiteren Beitritt geben wird, sind
zwar angesichts der derzeitigen Lage nachvollziehbar;
aber wenn ein Land enorme Anstrengungen aufbringt
und bereits früher alle Bedingungen erfüllt, dann dürfen
wir ihm den EU-Beitritt nicht verwehren. Der Balkan
braucht die EU und vor allem Deutschland als verlässlichen Partner. Dazu gehört, dass wir objektive Kriterien
für einen EU-Beitritt haben, die wir nicht aufweichen
dürfen. Die Erfüllung dieser Kriterien dürfen wir aber
auch nicht durch weitere Hürden erschweren.
Bei den Verhandlungen mit Kroatien haben sich die
Kapitel 23 und 24 als besonders wichtig erwiesen, weil
dadurch die Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit und
für die Stärkung der individuellen Rechte geschaffen
werden. Deswegen ist es konsequent, dass die EU-Kommission diese künftig an den Beginn der Verhandlungen
setzen will.
In unserem SPD-Antrag gehen wir einen Schritt weiter: Wir wollen, dass die Kapitel 23 und 24 bereits vor
der Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen in einer
Art Vorverhandlung behandelt werden. Damit stärken
wir die demokratischen Kräfte in den einzelnen Ländern.
Ich bitte Sie deswegen, nicht nur den Beitritt Kroatiens,
sondern auch unseren Antrag wohlwollend zu begleiten.
Kolleginnen und Kollegen, wir Demokraten werden
außerhalb der EU häufig als Schwächlinge betrachtet
und auch so behandelt. Doch wie man in Kroatien sagt:
Die stillen Gewässer bringen die Berge zum Einstürzen.
Der EU-Beitritt Kroatiens ist ein weiterer Sieg der demokratischen Werte wie Recht und Freiheit durch den
Zusammenhalt auf dem Weg zum Frieden in Europa.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich im
Herbst 1998 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, war das Friedensabkommen von Dayton
nicht ganz drei Jahre alt, und uns trennten noch einige
Jahre von der eben erwähnten Thessaloniki-Agenda von
2003. In dieser Zeitspanne zwischen 1998 und 2003 war
ich vermutlich nicht der Einzige, der von dem Zeitraum,
in dem sich eine Integration des Westbalkans in Richtung Europa und die Mitgliedschaft in der Europäischen
Union vollziehen konnte, keine richtige Vorstellung
hatte.
Deswegen ist es in der Rückschau durchaus erstaunlich - das sage ich heute auch speziell mit Blick auf die
Republik Kroatien -, was sich seit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen getan hat. Da ist eine ganze Menge
gearbeitet worden. Ja, Herr Staatsminister, es ist richtig:
Wir haben unsere Lektion gelernt. Nicht nur die Bundesregierung, auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben die Lektion gelernt, aus Fehlern, die in der
Vergangenheit in Beitrittsverhandlungen gemacht worden sind, Lehren zu ziehen. Auch die Europäische Kommission hat diese Lektion gelernt.
Josip Juratovic hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
die Systematik der einzelnen Paragrafen in den Beitrittsverhandlungen umgestellt wurde. Es zeigt sich in den
jetzt zu Ende gehenden Verhandlungen mit Kroatien,
dass die Umkehr in Bezug auf die Reihenfolge der Paragrafen und Abschnitte, die in den Beitrittsverhandlungen
aufgerufen worden sind, richtig war und dass diese
Agenda auch für die Zukunft richtig ist.
({0})
Ich will auch ausdrücklich anerkennen, weil Michael
Link richtigerweise darauf verwiesen hat, dass das, was
seinerzeit nicht ganz unumstritten war, nämlich dass
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Kohl mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens als eine der Ersten international
„vorgeprescht“ sind, heute weitgehend unstrittig ist und
dass diesen beiden für eine damals visionäre Entscheidung nicht nur im Interesse von Kroatien durchaus zu
danken ist.
Herr Kollege Juratovic, nach dem, was Sie gesagt haben, kann ich durchaus nachvollziehen, dass das Ganze
vor dem Hintergrund Ihrer Biografie nicht nur in dieser
Debatte, sondern auch in den Gesprächen im Ausschuss,
die wir noch vor uns haben, einen bewegenden Moment
darstellt und dass sich die Integration nicht nur Kroatiens, sondern auch des Westbalkans in die Europäische
Union im Deutschen Bundestag auch in Ihrer Person ein
Stück weit widerspiegelt. Das zeigt, dass die Perspektive
heute weitgehend politisch unstrittig ist.
Wenn man den Monitoringbericht der Kommission
vom Oktober zur Hand nimmt und versucht, die zehn
Punkte durchzudeklinieren, die die Kommission seinerzeit als diejenigen benannt hat, an denen noch etwas zu
arbeiten ist, dann kommt man auf acht Punkte - Michael
Link hat darauf hingewiesen -, die weitgehend abgearbeitet sind. Zwei Punkte sind noch offen.
Wir im Deutschen Bundestag, aber auch die Kolleginnen und Kollegen des kroatischen Hohen Hauses stehen
jetzt gemeinsam vor dieser Aufgabe. Ich will anerkennen, dass der Botschafter und die Angehörigen der kroatischen Botschaft sich konstruktiv in diese Debatte einbringen und dass wir an der Abarbeitung der zwei noch
ausstehenden Probleme konstruktiv arbeiten. Ich nenne
erstens die Werftenproblematik, die auf einem guten
Weg zu sein scheint, soweit ich das beurteilen kann, und
zweitens die Frage der Justiz. Da sind noch ein paar
Dinge zu regeln. Die Durchführung regelmäßiger Gerichtskontrollen, Sofortmaßnahmen wie die Abordnung
von Richtern und die Übertragung von Rechtssachen auf
weniger überlastete Gerichte - all das ist umgesetzt. Jetzt
im laufenden Monat Februar und im März 2013 stehen
die Änderung der Zivilprozessordnung und das neue Gerichtsgesetz zur zweiten Lesung und zur Schlussabstimmung im kroatischen Parlament an. Wenn das geschafft
ist, dann sind wir tatsächlich an dem Punkt, an dem wir
Vollzug melden können.
Ich habe trotzdem eine gewisse Sympathie für den
Vorschlag, auch nach dem erfolgten Beitritt Kroatiens
zur Europäischen Union einen Blick darauf zu werfen,
dass die Reformbestrebungen weitergehen, um auszuschließen - Stichwort: wir haben unsere Lektion gelernt -,
dass man sich nach erfolgtem Beitritt möglicherweise
wieder in eine andere Richtung bewegt. Dies konnten
wir leider an anderer Stelle feststellen; nicht in Kroatien,
aber anderswo. Hier sollten wir aus der Vergangenheit
lernen.
({1})
Ich will eine Bemerkung mit einem durchaus etwas
kritischen Unterton machen. Wir haben im Deutschen
Bundestag weder die Gerichtsurteile des Internationalen
Gerichtshofs noch die unserer nationalen Gerichte zu
kommentieren. Ich will aber einem Eindruck entgegenwirken, der vielleicht auch durch den einen oder anderen
Kommentar in der kroatischen Presse entstanden sein
könnte. Ich formuliere bewusst vorsichtig. Das Urteil
von Den Haag haben wir nicht zu kommentieren; wir
nehmen es zur Kenntnis. Aber ich lege Wert auf die
Feststellung, dass die Aufarbeitung der Kriegsverbrechervergangenheit mit dem Urteil von Den Haag nicht
beendet ist, sondern dass dieser Prozess selbstverständlich weitergehen muss.
Ich will mit einer positiven Botschaft enden. Ich will
den Kroatinnen und Kroaten auf dem Weg zur Europäischen Union im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich alles Gute und viel Erfolg wünschen
sowie die Zusicherung geben, dass wir diesen Prozess
weiterhin konstruktiv begleiten werden. Ich will dankend anerkennen, dass die Kroaten in der Schlussphase,
bevor der Beitritt zum 1. Juli 2013 erfolgt, ein gutes Signal in die Region gesandt haben, indem sie sich mit denen, die noch nicht so weit sind - ich nenne Montenegro
und Serbien -, in einem konstruktiven Dialog befinden,
beispielsweise hinsichtlich der Übersetzung und der anschließenden Umsetzung des Acquis communautaire.
Das ist ein schönes Signal, nicht nur von einem Beitrittskandidaten an diejenigen, die noch nicht Beitrittskandidat sind, sondern auch ein schönes Signal für die
Endphase dieser Verhandlungen bis zum vollzogenen
Beitritt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Kroatien hat einen langen Weg bis zum Beitritt zur Europäischen Union zurückgelegt, einen längeren als alle
anderen Beitrittskandidaten bisher. Am 1. Juli dieses
Jahres ist es höchstwahrscheinlich endlich so weit: Wir
werden 28. Es wird 28 Mitglieder der Europäischen
Union geben. Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens
gerne zu; denn entgegen allen Gerüchten sind wir eine
proeuropäische Partei.
({0})
- Ich wusste, dass Sie diese Äußerung freut, und ich will
dies deshalb kurz ausführen. Ob man für oder gegen
Europa ist, entscheidet sich nicht an der Frage, ob man
dem brutalen und zugleich wirkungslosen Sparregime
von Angela Merkel für den Süden Europas zustimmt.
({1})
Die Regierungen der Länder, die sich um einen Beitritt zur EU bemühen, sehen dies als Chance, und es
wäre antieuropäisch, ihnen gegen ihren Willen die Tür
vor der Nase zuzuschlagen. Nun nach Slowenien einem
zweiten Staat, der aus Jugoslawien hervorging, den Beitritt zur EU zu ermöglichen und weiteren eine solche
Perspektive zu offerieren, ist vernünftig. Herr Staatsminister Link hat ja darauf Bezug genommen. Damit
würde unter dem Dach der Europäischen Union wieder
ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger der
Staaten, die aus Jugoslawien hervorgingen, möglich und
damit in gewisser Weise auch ein Ende des zum Teil blutigen Gegeneinanders der 90er-Jahre symbolisiert.
Inzwischen herrscht zwischen den einstigen Kriegsgegnern Kroatien und Serbien - auch Serbien ist Beitrittskandidat der EU - wieder politisches Tauwetter. Das ist
eine gute Nachricht.
({2})
Kroatiens Beitrittsperspektive sollte nicht, wie in den
vergangenen Monaten hier und da geschehen, infrage
gestellt werden. Wenn die Beitrittsreife bezweifelt wird,
wenn immer wieder gesagt wird - Herr Link, auch Sie
haben das eben gesagt -, dass es keinen politischen Rabatt geben würde, wenn Kroatien zum neuen Griechenland erklärt wird, obwohl es gar nicht Mitglied der EuroZone wird, und wenn auf die Auseinandersetzung über
Zypern hingewiesen wird, klingt das, ehrlich gesagt, wie
das Gegenteil einer Einladung.
({3})
Allerdings gibt es auch in Kroatien - das soll hier
nicht verschwiegen werden - Sorgen und Bedenken, die
wir ernst nehmen sollten. Das Land will nicht nur Markt
und Arbeitskräftereservoir der Europäischen Union sein,
sondern es will vom Beitritt natürlich auch profitieren.
Die Arbeitslosigkeit in Kroatien ist hoch. Von 4,5 Millionen Menschen sind 370 000 Menschen arbeitslos. Seit
Beginn des Jahres kam es zu einem Anstieg um rund
12 000 Personen. Herr Dörflinger, ich bin der Überzeugung, der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisierung der Werften schadet hier besonders.
({4})
Kollege Juratovic, Sie haben auf die demokratische
Wertegemeinschaft und auf die Agnostiker und Atheisten in der Regierung Bezug genommen. Ich finde, dass
die Rolle der katholischen Kirche, die den geplanten Sexualkundeunterricht an Kroatiens Schulen torpediert,
Fragen aufwirft. Ich finde auch, dass es kritikwürdig ist,
dass Lesben und Schwule nur unter Polizeischutz für
ihre Rechte demonstrieren können.
({5})
Aber all das sind Punkte, über die wir gemeinsam als
Mitglieder der Europäischen Union miteinander diskutieren werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Moment
über die Europäische Union spricht, kann allerdings
nicht so tun - das wäre auch in dieser Debatte falsch -,
als sei derzeit „business as usual“. Die Akzeptanz der
Union ist bei ihren Bürgerinnen und Bürgern leider so
gering wie nie; daran ändert auch der Friedensnobelpreis
nichts. Auf der einen Seite haben viele Menschen in
Deutschland wegen der Propaganda der rechten Seite
dieses Hauses das Gefühl, dass ihr hart erarbeitetes Geld
in Portugal, in Spanien und in Griechenland in ein Fass
ohne Boden geworfen wird.
({6})
Auf der anderen Seite sind in diesen Ländern viele Tausende Bürger verständlicherweise empört. Sie demonstrieren auf den Straßen gegen einen Sozialkahlschlag
durch Politiker, die sie nicht gewählt haben und auch
nicht wählen können. Ich muss an dieser Stelle sagen:
Die Politik der Regierungen der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union in den letzten Jahren war falsch.
Das allerdings sollte jetzt nicht Kroatien ausbaden müssen.
({7})
Die Arbeit an einer demokratischeren, sozialeren Europäischen Union steht weiter auf der Tagesordnung. Wir
freuen uns, hierfür neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter
auf dem Westbalkan gewinnen zu können. Also: Kroatien,
herzlich willkommen in der Europäischen Union!
({8})
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schwierig, in vier Minuten ein Land wie Kroatien zu
würdigen, da man sich diesem Land, wie Herr Juratovic,
wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte verschreiben kann.
Ich möchte dennoch ein paar Sätze dazu sagen, allerdings ohne all das zu wiederholen, was von meinen Vorrednern zu Recht angesprochen wurde.
Ich glaube, unser Bild von Kroatien ist oftmals sehr
stark geprägt von den schönen Stränden, der schönen
Landschaft und der tollen Kultur. Ich glaube aber - ohne
das in Abrede stellen zu wollen -, wir müssen uns auch
vor Augen halten, dass Kroatien eine sehr alte Demokratie
hat, darauf zu Recht stolz ist und wir ein ganz besonderes
Land in die Europäische Union aufnehmen werden.
Hier im Bundestag haben wir uns diesem Land fraktionsübergreifend sehr intensiv gewidmet: als einzelne
Abgeordnete, als Delegation und als Ausschuss. Ich
glaube, das zeigt, dass die neuen Rechte des Deutschen
Bundestages im Rahmen des Erweiterungsverfahrens für
beide Seiten gut sind: für uns, weil wir wissen, warum
wir vor die deutsche Bevölkerung treten und sagen können: „Es ist richtig, dass Kroatien der Europäischen
Union beitreten wird“, und für Kroatien, weil man dort
merkt, dass wir uns für das Land interessieren und eine
konstruktive Debatte über eine gemeinsame Zukunft in
der EU führen wollen.
({0})
Meiner Meinung nach ist der Beitritt Kroatiens ein
Beitritt des Verstandes. Manchmal handelt man ja in
wild entflammter Liebe, und manchmal hat man Glück.
Dieser Beitritt ist aus meiner Sicht, wie gesagt, ein Beitritt des Verstandes. Das Land hat sich gewandelt. Das
Verfahren, das in Kroatien angewendet wurde, hat zu anderen Ergebnissen als bei allen anderen Beitritten zuvor
geführt. Im Justizwesen, bei der Bekämpfung der Korruption und in allen anderen Bereichen hat sich viel getan. Kroatien hat geliefert. Wir wissen, was wir tun und
worüber wir abstimmen. Es ist ein verdienter Erfolg,
dass wir jetzt an diesem Punkt der Debatte angekommen
sind.
Eines ist besonders wichtig und sollte hervorgehoben
werden: Wie Josip Juratovic erwähnt hat, war bei den
Reformbemühungen auch über politische Wechsel hinaus Kontinuität festzustellen. Das zeigt die Reife der
kroatischen Politik.
Diese Erweiterung muss der Maßstab für die weiteren
Verhandlungsrunden sein, und es müssen Lehren aus ihr
gezogen werden. Für uns Grüne gehört dazu, dass die
Kopenhagener Kriterien einzuhalten sind. Wir wollen
durch die Erweiterungsprozesse erreichen, dass eine
politische und gesellschaftliche Transformation der Kandidatenstaaten stattfindet. Deswegen engagieren wir uns
für diese Länder. Deswegen engagieren wir uns aber
auch für die Erweiterung. Sie ist nicht einfach Mittel
zum Zweck oder Selbstzweck.
({1})
Darüber hinaus müssen wir uns dessen bewusst sein,
dass in Kroatien viel zu tun bleibt, so wie wir auch hier
in Deutschland immer viel zu tun haben, um Änderungen für unser Land vorzunehmen. Wir kennen die Themen. Sie reichen vom Justizwesen über die weitere Bekämpfung der Korruption bis hin zu der Erkenntnis, dass
Umwelt und Naturschutz und die Bekämpfung von Korruption ganz eng miteinander verwoben sind. Hieran
müssen wir arbeiten, wenn wir gerade dieses schöne
Land bewahren und genießen wollen.
Ich glaube, ganz entscheidend wird sein, ob in Kroatien auch nach dem Beitritt die zivilgesellschaftlichen
Kräfte, die unglaublich viel dazu beigetragen haben, den
Transformationsprozess des Landes zu ermöglichen,
eine solche politische Funktion innehaben werden, die es
ihnen auch weiterhin erlaubt, in den innenpolitischen
Debatten auf Missstände hinweisen zu können, auch
wenn Brüssel dem Land dann nicht mehr auf die Finger
schaut.
Wir als Deutscher Bundestag werden engagiert bleiben. Ich kann für meine Fraktion ganz ausdrücklich sagen: Die Thessaloniki-Agenda bleibt für die ganze Region Ziel unseres Handelns. Wir werden sie nicht infrage
stellen. Dabei ist auch wichtig zu sagen, dass das für die
Region in ihren jetzt existenten Grenzen gilt und für
keine anderen Optionen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir freuen uns darauf,
dass Kroatien in die EU kommt. Dieser Beitritt ist verdient und hart erarbeitet. Die Ratifikation ist aber auch
eine Aufforderung an die Europäische Union, an
Deutschland und an Kroatien, nach dem Beitritt nicht
nachzulassen bei der Umsetzung der Reformen. Es geht
darum, den Transformationsprozess weiter voranzutreiben, die Zusammenarbeit mit Kroatien, aber auch in der
Region zu stärken und zu unterstützen.
Ich bin mir sicher, dass wir diesen Beitritt zu einem
Erfolg machen werden, der nicht nur heute gilt, sondern
der auch in den nächsten Jahren seine Früchte abwerfen
wird. Dafür werden wir gemeinsam mit den kroatischen
Partnern in den nun anstehenden Beratungen und auch
danach arbeiten.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
„Wir müssen etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa schaffen.“ Mit diesen Worten hat der englische Premierminister Churchill am 19. September 1946 seine Vision von der Zukunft Europas beschrieben.
Während sich heute einige in Großbritannien nicht
mehr an diese Worte dieses großen Staatsmannes zu erinnern scheinen, erinnern sich manch andere Europäer
umso besser. Während in Großbritannien heute offen
über einen Austritt aus der Europäischen Union diskutiert wird, treten ihr andere bei oder klopfen zumindest
mit Nachdruck an die Tür zur Europäischen Union.
Nach der Rede des britischen Premierministers Cameron
in der vergangenen Woche freue ich mich deshalb ganz
besonders, dass der Deutsche Bundestag heute das Vertragsgesetz zum Beitritt Kroatiens in die Europäische
Union einbringen kann. Anstelle einer Austrittsdiskussion führen wir hier eine Diskussion über die Erweiterung der Europäischen Union, und dies ist sehr erfreulich.
Deutschland setzt damit ein klares Zeichen für die
Stabilität, für die Attraktivität und für die Chancen dieser Wertegemeinschaft. Wir setzen ein Zeichen für Frieden, wir setzen ein Zeichen für Wohlstand und die
gemeinsamen Werte, die uns Europäer miteinander verbinden.
Der Beitritt zur Europäischen Union bedeutet allerdings nicht nur eine große Chance, sondern ist natürlich
auch mit zusätzlichen Pflichten verbunden. Das gilt in
ganz besonderem Maße auch für die Beitrittskandidaten.
Wir wissen selbst, wie schwierig der Weg zu grundlegenden Reformen ist. Aber in einer Gemeinschaft mit
künftig 28 Mitgliedstaaten muss es in den wesentlichen
Bereichen eine gemeinsame Basis geben, auf der man
sich begegnet.
Die Freiheiten, die souveränen Staaten innerhalb der
Europäischen Union weltweit einzigartig gewährt werden, erfordern schlichtweg einheitliche Regeln, an die
sich alle Beteiligten halten müssen. Das kann manchmal
auch hart sein. Und so hat der vorletzte Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom Oktober vergangenen Jahres den Kroaten sicherlich wehgetan. Die
Kommission hat erhebliche Mängel in den Bereichen
Wettbewerbspolitik, Justiz und Grundrechte sowie Freiheit, Sicherheit und Recht aufgelistet. Damit war klar,
dass Kroatien nicht beitreten kann, wenn nicht innerhalb
kürzester Zeit erhebliche Reformanstrengungen unternommen werden.
Das schmerzt, aber solche Wahrheiten müssen ausgesprochen werden. Es ist später niemandem geholfen,
wenn man beim Aufbau der gemeinsamen Basis NachKarl Holmeier
sicht zeigt. Wohin das führen kann, zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel Griechenlands und den Folgen der
Euro-Einführung.
Die klaren Worte haben Wirkung gezeigt. Wie es sich
derzeit darstellt, hat Kroatien den Großteil der zehn von
der Kommission benannten prioritären Maßnahmen umgesetzt oder wird dies in Kürze tun. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir das Vertragsgesetz wie geplant Mitte
Mai im Deutschen Bundestag beschließen können und
Kroatien dann pünktlich zum 1. Juli 2013 der Europäischen Union beitreten kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst
bin ein überzeugter Europäer und habe daher in meiner
Heimatgemeinde Weiding als deren Bürgermeister eine
Europaallee errichtet, sozusagen einen Wanderweg
durch Europa.
({0})
In dieser Allee ist für jedes Land der Europäischen
Union ein landestypischer Baum gepflanzt. Ich freue
mich, dort im Juli dieses Jahres gemeinsam mit einem
Vertreter aus Kroatien den Baum für Kroatien pflanzen
zu dürfen. Damit sind es dann 28.
Ich wünsche Kroatien auf seinem weiteren Weg in die
Europäische Union alles Gute.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11872 und 17/12182 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul
Schäfer ({1}), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Kein Zugang von Kindern und Jugendlichen
zu Kriegswaffen bei Bundeswehr-Veranstaltungen
- Drucksachen 17/8609, 17/9597 Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen HardtKarin Evers-MeyerChristoph SchnurrPaul Schäfer ({2})-
Agnes Brugger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({3}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze,
Paul Schäfer ({4}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Militärische Verwendung von Minderjährigen beenden - Ehemalige Kindersoldatinnen
und Kindersoldaten unterstützen
- Drucksachen 17/8491, 17/9916 Berichterstattung:Abgeordnete Ute GranoldChristoph SträsserPascal KoberKatrin WernerTom Koenigs
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Hardt für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute hier die Beschlussempfehlungen zu
zwei Anträgen der Fraktion Die Linke. Ich möchte mich
als Mitglied des Verteidigungsausschusses auf den Antrag zum Thema „Zugang zu Kriegswaffen“ konzentrieren. Der Kollege Heinrich wird schwerpunktmäßig auf
den anderen Antrag eingehen.
Zu beiden Anträgen ist aber, wie ich finde, vorab Folgendes festzustellen:
({0})
Die Fraktion Die Linke versucht immer wieder, das
Thema Bundeswehr in unserer Gesellschaft und in unserer öffentlichen Debatte zu ächten. Sie will durch solche
Anträge den Abstand, die Distanz unserer Bürgerinnen
und Bürger zur Bundeswehr weiter erhöhen. Das steht
im diametralen Gegensatz zu dem, was wir, die übrigen
Parteien des Deutschen Bundestages, immer wieder bekunden, dass nämlich die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr in die Mitte unserer Gesellschaft gehören
und für ihre Arbeit unsere volle Anerkennung verdienen.
Deswegen ist es auch folgerichtig, dass wir diese beiden
Anträge ablehnen.
Nach Art. 87 a unseres Grundgesetzes stellt der Bund
zur Verteidigung Streitkräfte auf. Damit hat der Staat die
Pflicht und die Gesellschaft ein Recht darauf, dass die
Bundeswehr sich auch selbst bekannt macht, ihren Auftrag erläutert und die Mittel, die sie zur Verfügung hat,
um den Auftrag zu erfüllen, darstellt. Zum mündigen
Staatsbürger und auch zur Erziehung der jungen Menschen gehört, dass sie wissen, was die Bundeswehr tut,
mit welchen Mitteln sie dies tut und warum sie dies tut.
Bei der Diskussion über die Jugendoffiziere in den
Schulen erkenne ich eine bedenkliche Tendenz. Auch
rot-grüne Landesregierungen versuchen immer wieder
- zwar nicht offen, aber durch die konkrete Ausgestaltung der Regelungen -, der Arbeit der Jugendoffiziere
eher Steine in den Weg zu legen, als es ihnen einfacher
zu machen, Beiträge zur Sicherheitspolitik zu leisten.
({1})
Ich bin der Meinung, dass sich auch die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr an dem Ziel bzw. Auftrag orientieren sollte, dass die Bundeswehr in die Mitte unserer
Gesellschaft rückt.
Wir haben für die Öffentlichkeitsarbeit klare Regeln.
Hier haben unter 18-Jährige keinen Zugang zu Handwaffen und Munition; das ist so auch im Waffengesetz geregelt. Aber ich sehe keinen Grund, warum nicht auch
Jugendliche bei öffentlichen Veranstaltungen der Bundeswehr die Waffensysteme, über die die Bundeswehr
verfügt, die militärtypischen Geräte, nicht die handelstypischen, besichtigen dürfen.
Ich persönlich finde es richtig, dass Jugendliche den
Arbeitsplatz des Vaters oder der Mutter kennenlernen,
dass sie bei der Marine zum Beispiel das Schiff besichtigen, auf dem der Vater als Oberbootsmann Dienst tut.
Ich sehe keinen Grund, weshalb wir dies für die Zukunft
verbieten sollten. Wenn die Sicherheit gewährleistet ist,
muss dies möglich sein.
Ich komme somit zu einem Punkt im zweiten Antrag.
Darin geht es um sogenannte Kindersoldaten. Zunächst
einmal möchte ich hier feststellen: Wer zwischen der Tätigkeit junger Menschen in der Bundeswehr und dem
schrecklichen Schicksal von Kindersoldaten einen Zusammenhang herzustellen versucht, der versündigt sich
an der Bundeswehr, an ihrem Sinn und Zweck und auch
an den Grundsätzen in unserem Land.
({2})
Es ist absolut unzulässig, die Tatsache, dass es einige
Wenige noch nicht 18-jährige junge Menschen im berufsfähigen Alter gibt, die ihren Dienst in der Bundeswehr beginnen, in irgendeinen Zusammenhang mit Kindersoldatentum zu bringen. Im Übrigen gelten strenge
Regeln: Diese jungen Menschen sind freiwillig dort. Sie
sind mit Einwilligung der Eltern in der Bundeswehr. Sie
sind darüber aufgeklärt und informiert, was sie als Soldaten tun müssen.
({3})
Unter 18 Jahren werden sie mit Ausnahme der Tätigkeiten, die im Rahmen der Ausbildung erforderlich sind,
keinen Dienst an der Waffe verrichten. Hier gibt es ein
klares und strenges Regime, das richtig ist und das auch
konsequent zur Anwendung kommt.
Insofern gibt es zum einen rein formale Gründe, diese
beiden Anträge der Linken abzulehnen, weil sie eben
nicht sachgerecht sind. Zum anderen gibt es an dieser
Stelle die Möglichkeit, noch einmal ganz klar zu bekunden: Wenn wir wollen, dass die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr in der Gesellschaft
besser anerkannt wird, dann müssen wir sie in die Mitte
unserer Gesellschaft holen. Dazu gehört es, dass es zwischen Gesellschaft und Bundeswehr eine dauerhafte und
feste Verbindung gibt, die zum Beispiel durch die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr zum Ausdruck gebracht wird.
In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern gab es den sogenannten Red Hand Day. Da haben viele von uns ihre Hand mit roter Farbe bemalt und
damit ein Signal zum Schutz von Kindern gesetzt. Uns
allen ist das Schicksal von Kindern, die gezwungen werden, in Kriegen und bewaffneten Konflikten zu kämpfen, nicht egal; das wollten wir damit sagen. Die vielen
Handabdrücke auf Papier, die im Paul-Löbe-Haus aufgehängt wurden, stimmen mich einerseits sehr hoffnungsvoll: Wir fordern ein klares Nein zum Einsatz von Kindersoldaten und machen das deutlich.
({0})
Andererseits gibt es trotz unseres Einsatzes, egal ob
wir nur symbolisch unsere Hand mit Farbe auf ein Blatt
Papier drücken oder Anträge schreiben oder dazu Reden
halten, immer noch Kindersoldatinnen und Kindersoldaten auf der Welt. Laut UN-Sicherheitsrat missbrauchen
über 60 bewaffnete Gruppen oder Regierungstruppen in
15 Ländern Kinder als Soldaten. UNICEF schätzt die
Gesamtzahl auf 250 000 Kinder. Ich befürchte, dass es
eher mehr als weniger werden. Je länger Konflikte anhalten und je mehr Verluste eine Armee zu verzeichnen
hat, desto stärker wird auf Kinder zurückgegriffen, um
die Verluste auszugleichen. Auch die Nazis haben Kinder als letzte Reserve eingesetzt. Die Bilder hat sicherlich jeder von uns im Kopf.
Kindersoldaten sind nicht ausschließlich Jungen, etwa
ein Drittel davon sind Mädchen. Sie werden an der
Waffe, aber auch als Arbeiterinnen, Köchinnen, Minensucherinnen eingesetzt und zur Prostitution gezwungen.
Kinder in Konfliktgebieten wissen, wie schrecklich das
Leben von Kindersoldaten ist. Die Kinderhilfsorganisation „World Vision“ hat berichtet, dass viele kongolesische Kinder aus ihrer Heimat und von ihren Familien
fliehen, um nicht von Soldaten oder Milizen zwangsrekrutiert zu werden.
Kindersoldaten sind schwer traumatisiert. Unsere
politische Aufgabe ist es deshalb, nicht nur ehemaligen
Kindersoldaten in ihrer Heimat durch psychologisch betreute Reintegrationsprogramme zu helfen. Nein, wir
müssen auch dafür sorgen, dass Kinder erst gar nicht zu
Angelika Graf ({1})
Soldaten werden. Darauf geht Ihr Antrag leider nicht ein.
Armut, Arbeitslosigkeit und Zukunftslosigkeit sind die
treibenden Faktoren, die Kinder dazu bringen, den Versprechungen von Soldaten und Milizen zu glauben und
ihrem Druck nachzugeben.
({2})
Die Kony-Kampagne sorgte letztes Jahr für viel Aufregung. Mindestens 591 Kinder sollen Milizen dieses
Rebellenführers zwischen 2009 und 2012 entführt haben. Darüber gibt es einen Film. Weinende Kinder erzählen darin ihre Geschichte. Es sind Geschichten ihrer
körperlichen und seelischen Wunden. Auf YouTube und
anderen sozialen Netzwerken hat das ein großes Echo
ausgelöst, und Kony wurde zur Hassfigur, zu Recht,
denke ich. Man muss Menschen, die so etwas machen
und initiieren, brandmarken. Kony ist aber nur einer von
vielen Verbrechern. Die Verurteilung des kongolesischen
Milizenführers Thomas Lubanga durch den Internationalen Strafgerichtshof war ein weiteres wichtiges Signal
im Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Doch
in vielen Ländern leben die Täter weiterhin straffrei,
zum Beispiel in Kolumbien oder Myanmar.
Als die Bundesregierung den Vorsitz der UN-Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ innehatte,
hätte sie bis Ende letzten Jahres eigentlich eine hervorragende Möglichkeit gehabt, eine Vorreiterrolle zu übernehmen und Druck auf die genannten Regierungen auszuüben. Doch bisher sehe ich leider keine sichtbaren
Ergebnisse oder öffentlich wahrnehmbaren Initiativen
als Ausdruck eines ernstgemeinten Engagements. Deshalb unterstütze ich Teile der Forderungen des vorliegenden Antrags der Linken.
Auch die Kritik an der asylverfahrensrechtlichen Praxis sehe ich ähnlich wie die Kolleginnen und Kollegen
von der Linksfraktion.
({3})
Die SPD fordert seit langem, die Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht zu verbessern. Das haben wir in unserem Entwurf eines Gesetzes
zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht deutlich gemacht.
Allerdings finde ich es sehr problematisch, den Schutz
von Kindersoldaten, also von kleinen Kindern, die gezwungen werden, Soldat zu sein, mit der Frage nach dem
Einsatz von Minderjährigen in der Bundeswehr in einen
Topf zu werfen. Wir als SPD fordern zur Klarstellung
- weil wir das Problem ebenfalls sehen - allerdings
grundsätzlich auch die Straight-Eighteen-Regelung, damit wir eine entsprechende Debatte erst gar nicht führen
müssen. Ich halte es trotzdem für problematisch, das
miteinander zu vergleichen.
({4})
Noch ein kurzes Wort zum zweiten Antrag in dieser
Debatte. Ich denke, wir alle sind uns einig: Kinder
Kriegsszenarien mit echten Waffen oder Attrappen spielen zu lassen, geht einfach nicht.
({5})
Ich erinnere mich an den Tag der offenen Tür in meinem
Nachbarwahlkreis in Bad Reichenhall im Jahr 2011; der
Fall ist bundesweit durch die Medien gegangen. Da
konnten Kinder mithilfe von Zielerfassungssystemen an
Handwaffen die Entfernung zu kleinen Holzhäusern und
Fahrzeugen messen. An die Häuser war der Name
„Klein-Mitrovica“ gepinselt. Zur Erinnerung: Mitrovica
ist eine Stadt im Kosovo, die nicht nur im Zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt hat - und zwar keine rühmliche
aus deutscher Sicht -, sondern wo es 1999 unter den Augen von KFOR ein Pogrom nationalistischer Albaner an
circa 8 000 Roma gab. Es ist unerträglich, dass dieser
Name dort auf die Häuser gemalt wurde.
({6})
Allerdings habe ich gehört, dass die Bundeswehr intern
sehr viele Gespräche über diesen Vorfall geführt und
auch Konsequenzen daraus gezogen hat. Das finde ich
richtig.
Im Februar zuvor waren - das ist das Thema Ihres
Antrags - die Richtlinien für die Durchführung der Informationsarbeit der Bundeswehr dahin gehend geändert
worden, dass auch Minderjährige ab 14 Jahre in Panzern
und militärischen Fahrzeugen wie zum Beispiel Fregatten mitfahren dürfen.
Ein Motiv dieser Veränderung war zweifellos die
Werbung; das andere Motiv war der Wunsch von Familien und Jugendlichen, die diese Großgeräte faszinierend
finden, sich diese einmal anzuschauen. Darüber kann
man nun geteilter Meinung sein, aber man sollte meines
Erachtens die Arbeit der Bundeswehr nicht vor den Jugendlichen ausklammern. Das wird nicht funktionieren.
Ich wünsche mir Eltern, die ihren Kindern vermitteln,
dass Waffen kein Spielzeug sind.
({7})
Genauso erwarte ich von der Bundeswehr, dass sie vermittelt, dass Waffen kein Spielzeug sind.
In den USA steckt die Waffenindustrie Millionen in
Werbung, zum Beispiel in das Magazin Junior Shooters,
es werden kostenlose Ballerspiele für die iPads bereitgestellt, und es werden Waffen an Pfadfindergruppen weitergegeben. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran
denke.
Trotzdem schießen Sie mit Ihrem Antrag über das
Ziel hinaus. Tage der offenen Tür bei der Bundeswehr
dienen dem auch von mir gewünschten Abbau von Grenzen und Ressentiments zwischen der Bevölkerung und
unseren Soldaten. Ein offener Umgang ist gerade nach
dem Wegfall der Wehrpflicht umso wichtiger. Es ist meines Erachtens auch in Ordnung, dass sich Jugendliche
über die Bundeswehr und den Beruf des Soldaten informieren können. Das muss anders ablaufen als damals in
Angelika Graf ({8})
Bad Reichenhall, auf jeden Fall. Aber dass ein Jugendlicher in einer Fregatte mitfahren kann, halte ich nicht für
so gefährlich, dass man es verbieten sollte.
({9})
Darum sind wir, was diesen Antrag betrifft, der Ansicht, dass er den Intentionen der SPD nicht entspricht.
({10})
Der Kollege Pascal Kober hat nun für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung engagiert sich mit großem Nachdruck gegen den Einsatz von Kindersoldatinnen und
Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Es gibt zahlreiche Projekte, die der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel,
weltweit hierzu durchführt. Ziel dieser Projekte ist die
Reintegration von ehemaligen Kindersoldatinnen und
Kindersoldaten in die Gesellschaft. Das ist eine große
Herausforderung, für die die Bundesregierung und die
Regierungskoalition ein Finanzvolumen in mehrstelliger
Millionenhöhe zur Verfügung gestellt haben.
So haben die Regierungskoalition und die Bundesregierung allein für das ostafrikanische Burundi 13,5 Millionen Euro zur Wiedereingliederung ehemaliger Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in die Gesellschaft
bewilligt. Zudem stellt Deutschland dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, 1 Million Euro
für Gewaltopfer paramilitärischer Kampfeinheiten in
Afrika zur Verfügung. UNICEF führt Projekte zum
Schutz und zur Reintegration von Kindersoldatinnen und
Kindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo,
im Südsudan, in Uganda und in der Zentralafrikanischen
Republik durch.
Deutschland beteiligt sich ferner am Fonds der Vereinten Nationen für Friedenskonsolidierung. Die Bundesregierung unterstützt hierbei die Vereinten Nationen
bei der Entwicklung von Trainingsmodulen für afrikanische Peacekeeper. Insgesamt hat der Friedenskonsolidierungsfonds ein Finanzvolumen von 200 Millionen Euro.
Auch beteiligt sich Deutschland am Aufbau einer Kinder- und Familienschutzstation bei der UN-Mission
UNAMID in Darfur, Sudan.
Ich habe hier nur einige Projekte aufgezählt, an denen
sich Deutschland beteiligt, aber Sie sehen: Die christlich-liberale Regierung setzt sich aktiv und erfolgreich
für die Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern als
Kindersoldatinnen und Kindersoldaten ein.
({0})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
etwas anderes behaupten, dann ist diese Behauptung
schlicht unwahr und falsch.
({1})
Neben den finanziellen Anstrengungen der Bundesregierung gibt es überdies natürlich erhebliche diplomatische Bemühungen, mit denen Deutschland den Einsatz
von Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten erfolgreich und nachhaltig angeht.
Ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass der
Kampf gegen den Missbrauch von Kindern als Kindersoldaten eine große Herausforderung ist. Ich möchte hinzufügen: Diese Herausforderung wird umso größer, je
mehr mit dem tragischen Schicksal dieser Kinder politisch gespielt wird.
({2})
In dem Zusammenhang möchte ich den Antrag der
Linken kritisieren. Meinem Eindruck nach relativiert er
das Schicksal der Kindersoldatinnen und Kindersoldaten, indem er versucht, ihre tragische Situation mit der
Situation der unter 18-Jährigen bei der Bundeswehr in
Verbindung zu bringen. Dies wird der Sache in keiner
Weise gerecht und ist nicht geeignet, die Situation der
Kindersoldatinnen und Kindersoldaten zu verbessern.
Im Gegenteil: Es droht, die Situation zu verharmlosen.
({3})
Die Situation bei der deutschen Bundeswehr ist in
keinerlei Weise mit der Situation der Kindersoldatinnen
und Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten vergleichbar. Die Bundeswehr ist als Arbeitgeber von Jugendlichen, die noch nicht 18 Jahre alt sind, an überaus
strenge Regeln gebunden. Wie da der Zusammenhang zu
Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten wie etwa in
Burundi, in der Demokratischen Republik Kongo, im
Südsudan, in Uganda oder in der Zentralafrikanischen
Republik gesehen werden kann, verschließt sich mir.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch etwas zu
dem zweiten Antrag der Linken sagen, der dezidiert die
Bundeswehr betrifft. Sie fordern, dass Jugendliche bei
Informationsveranstaltungen der Bundeswehr keinen
Zugang zu Handfeuerwaffen haben sollen. Dabei vermitteln Sie in Ihrem Antrag den Eindruck, dass diese Jugendlichen gar keine Erziehungsberechtigten hätten, in
deren Begleitung sie sich befinden. Dabei wissen Sie genauso gut wie ich, dass es die Entscheidung der Eltern
ist, ob die Minderjährigen bei Informationsveranstaltungen der Bundeswehr Zugang zu Waffensystemen haben
oder nicht. Wenn die Eltern dem zustimmen, dann erfolgt dies selbstverständlich nach strengen Regeln und
Bestimmungen.
Außerdem ist es wichtig, dass die Bundeswehr offen
und verantwortlich zeigt, auf welche Mittel sie zurückgreifen kann und muss, um ihren wichtigen Auftrag zu
erfüllen. Die Bundeswehr trägt eine große Verantwortung in Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern der
Bundesrepublik Deutschland in der Welt.
Wir können natürlich bedauern, dass zur Durchsetzung und Sicherung von Frieden mitunter auch der EinPascal Kober
satz von Waffen notwendig ist; dies müssen wir bedauern. Aber das vollkommen zu negieren, indem man
Jugendlichen die Existenz von Waffen und Waffensystemen sozusagen verheimlicht, heißt, die jungen Menschen nicht ernst zu nehmen und ihnen in unserem Land
die Wirklichkeit vorzuenthalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke, ich glaube, wir sollten gemeinsam im Kampf gegen den Einsatz von Kindersoldatinnen und Kindersoldaten auf der Welt voranschreiten. Aber die Situation der
Bundeswehr mit der Situation der Kinder in bewaffneten
Konflikten miteinander in Verbindung zu bringen, ist der
Sache wirklich nicht angemessen und führt am Ende zu
keiner guten Politik.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Kollegin Graf hat zu Recht auf den Red Hand Day am
12. Februar aufmerksam gemacht. An diesem Tag soll
international auf das schreckliche Schicksal von Zehntausenden Kindern aufmerksam gemacht werden, die als
Soldatinnen und Soldaten missbraucht werden. Sie hat
auch auf Folgendes hingewiesen: Viele von uns haben
sich gestern wieder mit der roten Hand ablichten lassen
und ihre Solidarität mit diesen Kindern, denen man die
Kindheit raubt, ausgedrückt. Das ist gut so.
Die Frage aber bleibt: Was tun wir hierzulande ganz
konkret, um Kinder und heranwachsende Jugendliche so
weit es geht vor Krieg zu schützen und von militärischer
Gewalt, von Gewaltinstrumenten fernzuhalten? Die letzten beiden Jahre haben leider gezeigt, dass der Elan dann
spürbar nachlässt, wenn es um die Gesamtheit der Forderungen geht, die die Träger dieser Kampagne aufstellen. Ich rede von dem Deutschen Bündnis Kindersoldaten. Niemand hat sich darauf bezogen. Es ist doch gar
nicht Die Linke, die hier entsprechende Positionen entwickelt, sondern die deutschen Kinderschutzorganisationen stellen diese Forderungen auf.
({0})
Dabei ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, vor der
eigenen Haustüre zu kehren. Das hat gar nichts damit zu
tun, dass man eine Situation in Uganda mit einer hier,
also Kindersoldaten mit der Bundeswehr, vergleicht. Das
ist doch völlig absurd. Es geht um die Frage der Glaubwürdigkeit.
Wir reden über die angemessene Versorgung und Betreuung derjenigen, die hochgradig traumatisiert sind
und die zu uns gefunden haben. Wir reden davon, dass
die bedrohten Kinder, die zu uns gekommen sind, ein
Bleiberecht haben müssen und dass man deren Schicksal
als Kindersoldatinnen und Kindersoldaten in Deutschland als Asylgrund anerkennen muss.
({1})
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, dem unter anderen Terre des Hommes,
UNICEF und die Kindernothilfe angehören, um nur drei
Beispiele zu nennen, drängt uns seit langem, dass auch
in Deutschland etwas getan werden muss, um Kinder
und Jugendliche unter 18 Jahren von Krieg und kriegerischer Gewalt fernzuhalten.
Genau darum geht es in den zwei Anträgen, die wir
Ihnen heute zur Abstimmung vorlegen. Es geht um Anliegen, die wir eigentlich ziemlich selbstverständlich finden:
Erstens. Kriegswaffen gehören nicht in die Hände von
Kindern und heranwachsenden Jugendlichen.
({2})
Aber diese ganz jungen Leute gehören auch nicht in Panzer, Kampfflugzeuge oder an Raketenwerfer. Die Bundeswehr sieht das anders: Sie setzt auf die Faszination
der Waffentechnik, um genau die ganz jungen Leute anzusprechen. Die Bundesregierung hat im Februar 2011
extra entsprechende Richtlinien gelockert, um den Zugang dieser Menschengruppe zu den Waffenplattformen
zu erleichtern.
Nun ist im Ausschuss, liebe Kolleginnen und Kollegen, gesagt worden, die Aushändigung von Handwaffen
bleibe doch weiterhin verboten. Aber bitte: Wo bleibt da
die Logik? Pistolen sollen die Kinder und Jugendlichen
nicht in die Hand bekommen; sie sollen sich aber ansonsten hautnah mit Großwaffensystemen wie Panzern,
Flugzeugen, Fregatten beschäftigen. Das ist doch nicht
nachvollziehbar.
({3})
Wir, die Linke, wollen jedenfalls keine Heranwachsenden auf Leopard-Kanonenrohren herumturnen sehen.
Auch der Hinweis, dies geschehe im Beisein von Erwachsenen, beruhigt nicht. Auch das scheint unlogisch
zu sein. Kinder unter 16 Jahren zum Beispiel können
nicht in Kinofilme gehen, die erst ab 16 freigegeben
sind, auch nicht in Begleitung von Erwachsenen. Aber
auf Rüstungsmessen soll es okay sein, wenn das Kind in
das Eurofighter-Cockpit klettert, weil ein Erziehungsberechtigter dabei ist. Nein, das ist nicht in Ordnung. Das
wollen wir abstellen.
({4})
Dort findet doch keine Auseinandersetzung über das
Soldatenhandwerk statt. Nun wird gesagt: Wir können
das nicht fernhalten; man muss diskutieren. - Natürlich
muss man diskutieren. Ich bin sehr energisch dafür. Aber
bei diesen Rüstungsmessen oder diesen Shows findet
keine Auseinandersetzung statt.
Paul Schäfer ({5})
Ein zweiter Punkt, eine zweite Selbstverständlichkeit.
Lassen Sie uns endlich dafür sorgen, dass Jugendliche erst
mit 18 in die Streitkräfte eingezogen werden können ganz im Einklang mit der UN-Kinderschutzkonvention
und den dazugehörigen Protokollen.
({6})
Das haben Sie unterschlagen. International sagt man
„Straight 18“ dazu. Das - so sagen die Kinderschutzorganisationen - sei erstrebenswert.
Diese fast 1 000 Leute unter 18, die die Bundeswehr
rekrutiert hat, ergeben auch gar keinen militärischen
Sinn für die Bundeswehr. Die Bundeswehr könnte problemlos auf sie verzichten. Das sollte die Bundesregierung regeln.
Letzter Satz: Meine Damen und Herren, zeigen Sie
dem militärischen Missbrauch von Kindern für Krieg
und Gewalt nicht nur die Rote Hand, sondern auch die
rote Karte! Stimmen Sie unseren Anträgen zu!
Danke.
({7})
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die Bundesregierung fragt, was eigentlich der wirkliche Erfolg der zweijährigen Präsenz
im Sicherheitsrat war, dann heißt es oft: Wir haben es erreicht, in der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete
Konflikte“ die Ächtung von Angriffen auf Schulen und
Krankenhäuser durchzusetzen. Die werden dann auf die
List of Shame gesetzt.
Das zeigt, wie wichtig die Bundesregierung den
Schutz von Kindern nimmt. Diesen Schutz nehmen wir
alle sehr ernst. Den nimmt die ganze Welt sehr ernst. Die
Kinderrechtskonvention ist von 193 Staaten, also allen
Staaten unterschrieben worden. Sie ist, glaube ich, die
einzige Konvention, die von allen unterschrieben worden ist. Das Zusatzprotokoll betreffend die Beteiligung
von Kindern an bewaffneten Konflikten von 2004 ist immerhin von 150 Staaten anerkannt worden. Das heißt, es
gibt einen breiten Konsens: Kein Missbrauch von Kindern als Soldaten.
({0})
Jetzt kann man darüber streiten: Was sind Kindersoldaten? Auf der UNICEF-Konferenz in Paris ist ein Dokument unterschrieben worden. Nach einer inzwischen
einvernehmlichen Sprachregelung der Vereinten Nationen - Agreed Language - sind Kinder, die mit Streitkräften oder bewaffneten Gruppen assoziiert sind:
alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften
oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt
werden oder wurden, egal in welcher Funktion oder
Rolle, darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche,
Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu sexuellen Zwecken benutzt wurden. Ausdrücklich
sind es nicht nur Kinder, die aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben.
Das ist sehr weitgehend und auch sehr allgemein.
Es gibt in dieser Definition aber einen sehr deutlichen
Fixpunkt, und der ist nicht allgemein: 18 Jahre. Wir wissen von verschiedenen Jugendschutzregelungen: 18 ist
nicht 17,5, ist auch nicht der Tag vor dem 18. Geburtstag.
Bei dem Punkt - da kommen wir nicht drum herum schummelt die Bundeswehr,
({1})
und da schummelt auch die Asylbürokratie.
Das Zusatzprotokoll verbietet den Einsatz von Kindern unter 18. Dann gibt es - auf Druck Deutschlands
übrigens - eine Ausnahme. Es wurde hineingeschrieben:
Staatliche Armeen dürfen Freiwillige ab 16 rekrutieren. - Das macht sich die Bundeswehr zu eigen. Das ist
aber völlig gegen den Geist der UN-Kinderrechtskonvention. Deshalb sagt die große Mehrheit der 150 Länder, die das Zusatzprotokoll unterschrieben haben: Das
machen wir nicht. Sie erklären das auch. Diese Länder
haben natürlich auch Schwierigkeiten mit der Rekrutierung. Das sind Länder wie Spanien, Portugal, Dänemark,
Finnland, Schweden, Norwegen, Schweiz, Belgien,
Tschechien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Lettland
und Litauen. Nur 26 Länder haben dieses Protokoll nicht
unterschrieben. Dazu zählt auch Deutschland.
Die Bundeswehr wirbt gezielt und systematisch. Das
sind Double Standards. Das macht uns unglaubwürdig.
Gerade bei einem Thema, das so wichtig genommen
wird, blickt man auf uns. Das macht uns trotz dieser Resolutionen gegenüber den Schurkenstaaten unglaubwürdig. Deshalb sagen wir sehr deutlich: „straight 18“ im
Asylverfahren und bei der Bundeswehr.
({2})
Das Kindeswohl muss das vorrangige Prinzip sein.
Ich weiß gar nicht, wen wir schützen: Schützen wir damit die Bundeswehr? Schützen wir die Asylbürokratie?
„Straight 18“ heißt Kinderschutz für alle Kinder, und
Kinder sind alle unter 18. Schluss!
({3})
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es bleibt mir, die Debatte, in der wir an vielen
Stellen doch große Einigkeit haben, ein wenig zusam-
menzufassen. Wie mein Kollege Hardt vorhin angekün-
digt hat, möchte ich in erster Linie auf den zweiten An-
trag der Linken eingehen. Ich will zum einen kurz die
Problematik anreißen, die tatsächlich - das haben wir,
denke ich, alle geäußert - zum Himmel stinkt.
Zweitens will ich auf den Hauptgrund für unsere
Ablehnung eingehen, nämlich dass wir vieles davon
a) nicht verstehen und b) schon als erfüllt ansehen.
Das Dritte wären Gedanken zu einigen Ihrer Punkte
in dem Antrag.
Das Problem selber: die Kindersoldaten. Im Juni letzten Jahres gab es drüben in einem unserer Gebäude eine
Ausstellung. World Vision hatte sie organisiert.
Wolfgang Niedecken hat unter anderem folgende Verse
gesungen - ich möchte zitieren -:
Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu,Für eine sichere Nacht.Nach Gulu, nach Gulu, nach Gulu,Nur für eine sichere Nacht. …
Durchgeknallte KillerhordenGeilen sich auf an Gewalt,Vergewaltigen, brennen, mordenUnd entführen Nacht für Nacht Kinder,die’s nicht bis Gulu schaffen,Um zu schlafen, von Soldaten bewacht.
Weltweit werden - Sie hatten die Zahl vorhin genannt,
Frau Graf; UNICEF hat das so beziffert - 250 000 Kinder
in mehr als 20 Ländern in Konfliktgebieten als Krieger,
als Spione, Nachrichtenübermittler, Köche, Sexsklaven
missbraucht. Zwangsrekrutierung und Entführung: Grausam! Bereits Neunjährige werden zum Töten gezwungen.
Viele sterben angesichts der unmenschlichen Bedingungen, unter denen sie leben müssen. Viele Überlebende
bleiben oft lebenslang traumatisiert und behindert. Sie
werden ihrer Kindheit beraubt. Schwerwiegende Verletzungen von Menschenrechten finden statt. Diese Kinder
brauchen unseren Schutz.
({0})
Was kann man tun? Das ist die Frage, die sowohl bei
Ihnen als auch bei uns in dieser Debatte auftauchte. Zum
einen kann man das tun, was viele von Ihnen und von
uns, parteiübergreifend organisiert von der Kinderkommission des Bundestages, gestern gemacht haben. Wir
haben unseren Handabdruck gezeigt - Sie haben gesagt:
Rote Karte geben -, um auszudrücken, wie wir das finden, was da passiert, dass wir uns einsetzen wollen, unsere Hand dafür hergeben, Erklärungen in der Öffentlichkeit abgeben. Auch deshalb ist die Debatte heute
richtig. Informieren, ausstellen, diese Organisationen
- UNICEF, World Vision -, die ich gerade genannt habe,
unterstützen: Dafür ist es gut.
Was kann man tun? Das fragen wir auch die Bundesregierung; das fragen Sie die Bundesregierung. Verschiedene Kollegen haben schon gesagt, was da passiert
ist. Ist das genug? Da sind wir unterschiedlicher Meinung.
Weltweite Bekämpfung der Rekrutierung von Kindern als Soldaten: Wir haben - Herr Koenigs hat es gerade noch einmal genannt - das Zusatzprotokoll der Kinderrechtskonvention ratifiziert. Wir hatten den Vorsitz
der Arbeitsgruppe des Sicherheitsrates zum Thema
„Kinder und bewaffnete Konflikte“ inne. Unter Federführung von Außenminister Westerwelle wurde auch im
UN-Sicherheitsrat auf Verbesserungen hingewirkt. Auch
dank dieses deutschen Engagements sind Millionen von
Kindern in Konflikten besser geschützt, möglicherweise
noch nicht genügend. Die Ächtung des Einsatzes von
Kindersoldaten hat allerdings einen Unterschied gemacht; das ist auch die Außenwahrnehmung.
Zur Wiedereingliederung von Kindersoldaten: Das
BMZ hat entschieden, dass Kindersoldaten jetzt eine eigenständige Zielgruppe von Entwicklungsprojekten bilden. Entsprechende entwicklungspolitische Maßnahmen
werden speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnitten.
Hier geht es um die Förderung der Reintegration etwa
durch Schul- und Berufsausbildung. Das BMZ arbeitet
an der Stelle mit entwicklungspolitischen Organisationen sowie kirchlichen Trägern und zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen.
Die Öffentlichkeit bestätigt unsere Wahrnehmung,
nicht nur - das wurde vorhin genannt -, was die Ächtung
des Kindersoldateneinsatzes angeht. Im Bericht der VNSonderberichterstatterin zum Thema „Kinder und bewaffnete Konflikte“ wurde das deutsche Engagement im
Hinblick auf ein Einlenken der Lord’s Resistance Army
anerkannt. In diesem Zusammenhang fiel vorhin der
Name Joseph Kony, über den ein Internetvideo veröffentlicht wurde, das sich viele Millionen angesehen haben.
Es gibt einige Punkte, die ich inhaltlich im Einzelnen
ansprechen will; Herr Schäfer, auch Sie haben sie genannt. Da ist einerseits die Sache mit dem Asyl: die Anerkennung einer drohenden oder bereits erfolgten Rekrutierung als Kindersoldat als spezifischer Asylgrund. Die
Identifizierung von Kindersoldaten ist sehr schwierig.
Sie ist Aufgabe der Jugendämter, die ein Clearingverfahren durchführen. Da finden viele Gespräche statt. Direkt
danach folgt nicht automatisch ein Asylverfahren. Oft
gibt es keine Aussage der betroffenen Kinder. Dafür gibt
es verschiedene Gründe - ich bin in meinem ersten Beruf Sozialpädagoge und habe viel mit problembelasteten,
traumatisierten Menschen zu tun gehabt -: Scham wegen
begangener Taten, Furcht vor Strafverfolgung, Unfähigkeit zur Aussage eben wegen des Traumas, möglicherweise auch falsche Informationen der Personen aus ihrem Umfeld. Wenn es zu einer Täuschung kommt, muss
dies nicht automatisch zu einer Disqualifikation im Hinblick auf einen Aufenthalt in Deutschland führen. Es
kann möglicherweise trotzdem ein Abschiebeverbot geben. Die Problematik ist auch in den einzelnen Fällen zu
groß, um einfach nur zu sagen: Asyl abgelehnt!
Zur Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. Die
Bundesregierung ist der Auffassung, dass ehemalige
Kindersoldaten besonders schutzwürdige Personen sind.
Auf das Mindestalter für einen Einsatz beim Militär will
ich jetzt nicht mehr explizit eingehen; darauf sind die
Kollegen ausreichend eingegangen.
Was die Rüstungspolitik angeht - das ist der erste Antrag -: Wenn ich sage, dass wir in Deutschland in unserer Rüstungsexportpolitik bestimmte Grundsätze berücksichtigen, dann weiß ich auch, dass sich Theorie und
Praxis manchmal unterscheiden und wir in dem einen
oder anderen Jahr dagegen verstoßen haben; dagegen
müssen wir uns wehren.
Ich komme zum Schluss. Am 12. Februar 2002 trat
das UN-Fakultativprotokoll in Kraft. Die zwangsweise
Rekrutierung und der Einsatz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren bei Feindseligkeiten werden seitdem geächtet. Das Protokoll wurde inzwischen von
mehr als 120 Regierungen anerkannt. Seitdem gilt der
12. Februar, den wir gestern, am Aktionstag der Aktion
Rote Hand, in Erinnerung gerufen haben, als Internationaler Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Ich
wünsche mir, dass wir diese Aktion nicht nur hier mit
den roten Händen unterstützen, sondern sie auch in den
Wahlkreisen promoten, das Wissen weitergeben und ein
Bewusstsein für die Problematik schaffen; das ist das
eine, das wir tun können. Das Zweite, das wir tun können, ist, sich hier tatsächlich damit zu befassen. Insofern
danke ich für das Einbringen des Antrags. Was sonst
kann man tun? Man kann spenden; man kann politisch
handeln, und an der Stelle sind wir noch lange nicht am
Ende.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kein Zugang
von Kindern und Jugendlichen zu Kriegswaffen bei
Bundeswehr-Veranstaltungen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9597,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/8609 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 36 b. Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Militärische
Verwendung von Minderjährigen beenden - Ehemalige
Kindersoldatinnen und Kindersoldaten unterstützen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/9916, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/8491 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-
Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen ({1}), Johannes Selle, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt MüllerSönksen, Reiner Deutschmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze
für die Nachwelt bewahren und im digitalen
Zeitalter zugänglich machen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika
Krüger-Leißner, Siegmund Ehrmann, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Ein nationales Digitalisierungsprogramm
für unser Filmerbe
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Senger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Finanzierung zur Bewahrung des deutschen
Filmerbes endlich sicherstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia
Roth ({2}), Tabea Rößner,
Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umfassende Initiative zur Digitalisierung
des Filmerbes starten
- Drucksachen 17/11006, 17/10098, 17/11007,
17/8353, 17/11933 Berichterstattung:Abgeordnete Johannes SelleAngelika Krüger-LeißnerDr. Claudia WintersteinKathrin Senger-SchäferClaudia Roth ({3})
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundesarchivgesetzes
- Drucksache 17/12012 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien ({4})InnenausschussRechtsausschuss
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr
Staatsminister Bernd Neumann.
({5})
Frau Präsidenten! Meine Damen und Herren! Die
heutige Debatte zum Erhalt des Filmerbes findet an sich
zu einem optimalen Zeitpunkt statt: kurz vor Beginn des
größten Publikumsfilmfestivals der Welt, der Berlinale.
Der rote Teppich liegt bereit, und neben all den Stars und
Weltpremieren wird sich die diesjährige Berlinale mit
der Retrospektive „The Weimar Touch“ auch einem
wichtigen Aspekt der Geschichte des Films widmen. Im
Zentrum stehen die Einflüsse des Weimarer Kinos auf
das internationale Filmschaffen nach 1933 in den Filmen
deutschsprachiger Emigranten.
Diese Retrospektive ist Ergebnis einer Kooperation
zwischen der Deutschen Kinemathek und dem Museum
of Modern Art in New York und damit ein eindrucksvoller Beleg für den Reichtum unseres Filmerbes und die
Notwendigkeit, es zu erhalten.
({0})
Meine Damen und Herren, Kinofilme sind nicht nur
Wirtschafts-, sondern zugleich Kulturgüter. Der Kinofilm berührt emotional unmittelbarer als jede andere
Kunstform. Er trägt ganz wesentlich zum Verständnis
unserer Kultur und Gesellschaft bei. Filme dokumentieren auf einzigartige Weise die historische Entwicklung
unseres Landes. Schon aus diesem Grund liegt es im öffentlichen Interesse, das deutsche Filmschaffen möglichst lückenlos zu erfassen und dauerhaft zu erhalten.
Filme sind jedoch darüber hinaus ein fragiles, vergängliches Kulturgut. Wer einmal eine vom Zerfall bedrohte Filmrolle in den Händen gehalten hat, weiß, wovon ich rede. Darüber hinaus fehlt es für die gute, alte
Filmrolle aufgrund der Digitalisierung der Kinos zunehmend an Abspielmöglichkeiten.
Damit unser Filmerbe auch weiterhin öffentlich präsentiert werden kann, besteht auf mehreren Ebenen
Handlungsbedarf. Die Bundesregierung wird diesem
schrittweise gerecht. Man möchte immer noch mehr und
immer noch schneller; aber ich darf bezogen auf Kontakte mit meinen europäischen Kollegen sagen: Wir liegen mit dem, was wir tun, im europäischen Bereich an
der Spitze.
({1})
- Frau Kollegin Krüger-Leißner, Sie lächeln. Vielleicht sollte ich Sie einmal zu den EU-Ministerratskonferenzen mitnehmen. Denn diese Kontakte werden Sie in
dieser Form nicht haben.
({2})
Meine Damen und Herren, was wir heute mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes vorhaben, betrifft
nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart und die
Zukunft unseres gesamten Filmerbes. Vorgesehen ist mit
dieser Novellierung die Pflicht für Hersteller oder Mithersteller deutscher Kinofilme, diese Filme in eine Datenbank beim Bundesarchiv einzutragen. Durch diese
Pflichtregistrierung wird eine verbindliche und lückenlose Dokumentation der deutschen Filmproduktionen an
einer zentralen Stelle sichergestellt.
Auf dieser Basis können dann auch die Kosten für
eine mögliche generelle Pflichthinterlegung - wir wissen
jetzt nicht die Dimensionen - ermittelt werden, die es
auf Betreiben des BKM bereits seit 2004 für alle Kinofilme gibt, die öffentlich gefördert werden. Das sind
etwa 80 bis 90 Prozent aller jährlich produzierten deutschen Filme. Das heißt, für diese haben wir ohnehin eine
Pflicht zur Hinterlegung einer Kopie.
({3})
Neben der Einführung einer Pflichtregistrierung haben wir bereits weitere Maßnahmen zur Sicherung des
klassischen Filmerbes getroffen. Mit dem klassischen
Filmerbe meine ich die ersten Filme, die zu Beginn der
20er-Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden sind - einen bedeutenden Film wie Metropolis haben wir mit öffentlichen Mitteln restauriert -, bis hin zu Filmen der
80er- und 90er-Jahre. Bereits im Jahr 2012 wurde für die
Restaurierung und Digitalisierung dieses klassischen
Filmerbes durch mein Haus fast eine halbe Million Euro
zur Verfügung gestellt; für 2013 steht dafür 1 Million
Euro zusätzlich bereit.
({4})
Diese Mittel fließen unter anderem an die DEFA-Stiftung, das Deutsche Filminstitut in Frankfurt, die
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die Stiftung
Deutsche Kinemathek. Letztere erarbeitet federführend
einen Bestandskatalog, in dem dann alle alten Filmklassiker registriert werden. Die Förderung durch mein Haus
ermöglichte zudem, dass das Deutsche Filminstitut in
Wiesbaden schon seit 2009 über ein online ausgerichtetes Filmportal verfügt. Deutschland ist damit der erste
EU-Mitgliedstaat, der über eine frei zugängliche und
vollständige Filmografie verfügt.
({5})
Der Regierungsentwurf für die Novelle zum Filmförderungsgesetz, der heute auf der Tagesordnung des Bundesrates steht und den wir noch zu beraten haben, sieht
zudem vor, die Digitalisierung des Filmerbes ausdrücklich in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstalt
aufzunehmen.
Abschließend begrüße ich es sehr, dass alle Fraktionen Anträge zur Stärkung unseres Filmerbes, mit unter27394
schiedlichen Maßnahmen, gestellt haben. Die Sicherung
unseres Filmerbes ist nicht nur in die Vergangenheit gerichtet, sondern eine Investition in die Zukunft, sodass
wir auch nachfolgenden Generationen die Entwicklung
unseres Landes am Beispiel guter klassischer Filme präsentieren können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Vor fast fünf Jahren haben wir einen interfraktionellen Antrag zur Sicherung unseres Filmerbes
vorgelegt. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran; alle
Fraktionen waren dabei. Darin haben wir die Einführung
einer Pflichtabgabe auch für nicht geförderte Filme festgeschrieben. Es hat fünf Jahre gedauert, bis wir heute
über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten
können, der sich damit befasst. Aber wer gedacht hat,
dass uns nun ein Vorschlag für die Pflichthinterlegung
vorgelegt wird, der irrt; denn mit diesem Gesetzentwurf
soll lediglich die Pflichtregistrierung eingeführt werden.
Keine Frage, als Vorstufe für die Hinterlegung macht
eine Registrierung durchaus Sinn. Aber es ist doch ein
ziemlich mageres Ergebnis, wenn man dafür ganze fünf
Jahre braucht.
({0})
Vor fünf Jahren haben wir übrigens auch gefordert,
dass die baldige Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens zum Schutze des audiovisuellen Erbes in
Angriff genommen wird. Auch dies ist nicht in Angriff
genommen worden.
Aber nicht nur bei der Ratifizierung hängt Deutschland der internationalen Entwicklung hinterher. So anerkannt und engagiert der Kulturbeauftragte bekanntlich in
Sachen Film ist: Bei der Aufgabe der Sicherung und Verbreitung unseres reichhaltigen Filmerbes, so muss ich
feststellen, sind die Hausaufgaben nicht gemacht. Dabei
ist das doch eine herausragende kulturpolitische Aufgabe. Filme sind fester Bestandteil unseres kulturellen
Erbes. Sie sind Teil unseres nationalen kulturellen Gedächtnisses, und sie sind Ausdruck des kulturellen
Reichtums und der kulturellen Vielfalt. Es ist unsere
Aufgabe, diesen Reichtum zu erhalten und den Menschen auch zugänglich zu machen.
({1})
Auf EU-Ebene ist dies längst erkannt. Inzwischen liegt
den Mitgliedsländern der dritte Bericht der Kommission
zur Lage des Filmerbes vor. Deutschland schneidet dabei
nicht gut ab.
Die Zeit drängt. Viele alte Filme sind bereits verloren,
weil die Trägermaterialien verfallen. Auch die fortschreitende Digitalisierung zwingt zum Handeln; denn
die analogen Filme werden die Menschen kaum noch erreichen, weil die meisten Kinos in absehbarer Zeit nur
noch digital vorführen. Auch die Fernsehsender bevorzugen inzwischen digitales Material. Wir dürfen die
große Chance nicht verpassen, die sich durch das Internet bietet. Gerade über diesen Weg könnten die alten
Filmschätze interessierte Menschen erreichen. Aus all
diesen Gründen müssen wir die Digitalisierung der
Filme endlich systematisch anpacken.
Das Handeln der Bundesregierung wird dieser großen
Herausforderung aber nicht gerecht;
({2})
denn der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes bezieht sich nur auf das
Erfassen der Gegenwartsproduktionen. Das reicht nicht
aus.
({3})
Sicherlich, in die Digitalisierung des alten Filmbestandes
ist hier und da Geld geflossen - Staatsminister Neumann
hat das aufgeführt, und das finde ich auch gut -; aber angesichts der immensen Aufgabe sind das nur Tropfen auf
den heißen Stein. Die EU-Kommission hat es in einer
Pressemitteilung, übrigens vom 20. Dezember letzten
Jahres, auf den Punkt gebracht:
Eine Million Stunden europäische Filme in Dosen
und Schränken weggeschlossen …
Sie sind damit für die Menschen unerreichbar.
Nur 1,5 Prozent des europäischen Filmerbes wurden bisher digitalisiert.
Umso erfreulicher finde ich das Engagement der
Filmbranche im Rahmen der Filmförderungsanstalt.
Hier ist ein Digitalisierungsprogramm aufgelegt worden.
Für dieses Jahr steht dem FFA-Haushalt dafür 1 Million
Euro zur Verfügung. Aber es ist schon klar, dass das der
gewaltigen Nachfrage nicht gerecht werden kann. Es
sind wirklich gut gemeinte Ansätze; aber das reicht eben
nicht aus. Die Fraktion der Grünen sieht das genauso.
Deshalb haben wir im Ausschuss eine gemeinsame Erklärung eingebracht, in der wir die notwendigen Maßnahmen benennen. Ich will sie noch einmal kurz zusammenfassen.
Erstens. Wir brauchen eine umfassende Digitalisierungsoffensive. Ziel soll es sein, die Filme nachhaltig
und langfristig zu sichern und der breiten Öffentlichkeit
zugänglich zu machen: über das Kino, über die Kinematheken und auch über das Internet.
Zweitens. Ganz wichtig ist es, mit allen beteiligten
Akteuren, den Kinematheken und den Archiven, mit den
Filmerbe-Stiftungen, mit den Filmfördereinrichtungen,
mit den Fernsehsendern, Produzenten und Verwertungsgesellschaften, koordinierte Lösungsvorschläge für ein
nationales Digitalisierungsprogramm zu erarbeiten.
Auch die Bundesländer sind hier mit einzubeziehen;
schließlich verfügen sie über Landesfilmarchive.
Drittens. Es ist mir besonders wichtig, dass das Filmerbe auch für den Bereich der Filmbildung nutzbar gemacht wird. Hier und in der Wissenschaft muss sichergestellt werden, dass die Nutzung unentgeltlich ist.
({4})
Auch in der Filmförderung sollte die Langzeitsicherung von Anfang an mitgedacht werden. Wir können
nicht öffentlich Filme fördern, ohne für deren langfristigen Erhalt zu sorgen. Deshalb wollen wir in der anstehenden Novelle zum Filmförderungsgesetz festschreiben, dass die Kosten für die Langzeitsicherung der
geförderten Filme von vornherein in die Förderung eingepreist werden. Das kann doch nur im Interesse der
Produzenten sein.
Wichtig ist auch, dass nicht nur eine archivfähige Kopie der geförderten Filme hinterlegt wird, sondern möglichst das Ausgangsmaterial, also das digitale Master.
Ich befinde mich in Gesprächen mit der Branche, und
ich bin zuversichtlich, dass wir eine einvernehmliche
Lösung finden.
Lassen Sie mich noch einen weiteren, bisher ungelösten Punkt ansprechen: die sogenannten verwaisten Filmwerke. Diese Filme können bisher nicht erschlossen und
auch nicht genutzt werden, weil der Urheber nicht bekannt ist. Hier brauchen wir eine praktikable und kostengünstige Regelung.
Eines sollte allen klar sein: Zum Nulltarif ist die Sicherung und Nutzung unseres Filmerbes nicht zu haben.
Finanziell kann uns dieses große Projekt nur gelingen,
wenn wir mit allen Beteiligten ein Programm auflegen
und eine Zeitschiene für die Umsetzung abstecken. So
haben wir das bei der Kinodigitalisierung gemacht. Hier
haben am Ende alle mitgezogen, weil alle ein vitales Interesse am Erhalt unserer Kinolandschaft haben, der
Bund, die Filmförderungsanstalt, die Filmbranche und
die Bundesländer. Ähnlich sieht die Interessenlage beim
Filmerbe aus, wobei hier noch die Sender hinzukommen.
Auch von ihnen, gerade von den öffentlich-rechtlichen
mit ihrem Kulturauftrag, erwarte ich einen Beitrag.
Dieses gemeinsame Interesse müssen wir für eine gemeinsame Initiative nutzen. Darum fordere ich zum
Schluss meiner Rede Herrn Kulturstaatsminister
Neumann auf, die Initiative für ein Filmerbeprogramm
nach dem Vorbild des Erfolgsmodells der Kinodigitalisierung zu ergreifen. Ich verspreche Ihnen: Wir unterstützen Sie dabei.
Danke.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Pünktlich zur Berlinale erreicht uns die frohe
Botschaft, dass die Murnau-Stiftung den deutschen
Filmklassiker Glückskinder aus dem Jahr 1936 restauriert. Lilian Harvey und Willy Fritsch, das Traumpaar
des deutschen Films der 30er-Jahre, spielen in dem Film
die Hauptrollen.
({0})
Nun wird die Komödie in bestmöglicher Ton- und
Bildqualität für Kino, Fernsehen und Internet digital verfügbar sein.
({1})
Statt in Vergessenheit zu geraten, werden diesen Klassiker des deutschen Films viele Menschen neu erleben
können. Es war auch ein großes Ereignis und ein wirklich toller Erfolg, als im Jahr 2010 der Stummfilmklassiker Metropolis von Fritz Lang zur Berlinale in der restaurierten Version welturaufgeführt wurde. Die
überwältigende Resonanz zeigte, welch hohe Bedeutung
ein nationales Filmerbe hat.
({2})
Der Gelehrte Wilhelm von Humboldt sagte einmal:
„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“
Wer also für die Zukunft bereit sein will, muss auch aus
der Vergangenheit lernen. Filme als Kulturgut können
uns dabei helfen, die Vergangenheit zu verstehen.
({3})
Filme sind immer auch ein lebendiger Spiegel der jeweiligen Zeit. Sie reflektieren die Wünsche und Ideen einer
ganzen Generation. Diese Kulturschätze müssen wir für
die nachfolgenden Generationen bewahren. Deshalb
setzt sich die Koalition mit dem vorliegenden Antrag für
das nationale Filmerbe ein.
Bereits heute besteht für die öffentlich geförderten
Filme eine Hinterlegungspflicht. Auf diese Weise werden circa 80 Prozent der in Deutschland produzierten
Filme in den Archiven hinterlegt.
({4})
Unklar ist jedoch häufig, wo die Filmkopien vorliegen
und in welchem Zustand sie sich befinden. Zahlreiche
Filmwerke gelten als für immer verloren. Einige Filmepochen weisen sogar recht große Bestandslücken auf.
Um das Filmerbe vollständig zu erhalten, müssen wir
also zunächst die Anzahl der zu archivierenden Film27396
werke kennen. Seit 2009 ist mit dem Filmportal eine
Filmografie online verfügbar. Das Filmportal gibt einen
Überblick über die deutschen Filmproduktionen der letzten 110 Jahre.
({5})
Es wird vom Deutschen Filminstitut mit Unterstützung
der Bundesregierung gepflegt und fortgeführt.
Mit der vorliegenden Novellierung des Bundesarchivgesetzes verankern wir nun die Pflichtregistrierung. Damit erreichen wir erstmals eine verlässliche und umfangreiche Datengrundlage, da in Zukunft die jährlichen
Filmproduktionen in Deutschland erfasst werden.
({6})
Unter Federführung des Kinematheksverbundes soll darauf aufbauend ein Bestandskatalog geschaffen werden.
In ihm soll festgehalten werden, an welchem Ort in
Deutschland die Filmkopien archiviert werden und in
welchem Zustand sie sich befinden. Hierfür stellt der
Bund 200 000 Euro zur Verfügung. Mithilfe der Daten
werden wir in Zukunft weitere Bestandslücken im Filmerbe verhindern.
Doch was nützt uns ein Filmerbe, das in den Archiven
verstaubt? Filme werden doch eigentlich erst durch ihre
Projektion auf die Leinwand mit Leben erfüllt. Wir wollen, dass Filme von den Menschen erlebt werden können. Die fortschreitende Technik im digitalen Zeitalter
hilft uns dabei. Heute werden fast ausschließlich digitale
Kopien von Filmen erstellt. Dadurch wird ein vielfältiges Filmerlebnis geschaffen. So ist es heute möglich, mit
den unterschiedlichen Medien wie Kino, DVD und
Onlinestreams viele Menschen zu erreichen.
Der Zugang zu den Filmschätzen wird aber immer
schwieriger, da viele Filmklassiker nur als analoge Kopie vorhanden sind. Die fortschreitende Digitalisierung
bewirkt, dass immer weniger analoge Abspielgeräte vorhanden sind. Eine Restaurierung und Digitalisierung der
Filmklassiker ist meist teuer und aufwendig; das wissen
wir. Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Bundesregierung einen Teil der Fördermittel der Digitalisierungsoffensive für eine Digitalisierung des deutschen
Filmerbes bereithält.
({7})
Wir wollen verhindern, dass das Filmerbe in Vergessenheit gerät. Unser Anspruch ist es, dass kommende
Generationen Filme von heute auch morgen noch sehen
können. Hiermit stärken wir das Filmerbe. Hiermit bewahren wir die Kulturschätze für die Nachwelt. Frau
Krüger-Leißner, Sie werden sehen: Wir sind hiermit auf
einem sehr guten Weg, den wir auch ganz stringent weitergehen werden. Damit werden wir dieses Filmerbe für
alle zugänglich machen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Filme sind ein wichtiger Bestandteil unseres kulturellen Erbes. Darin sind wir uns wohl alle einig. Im Osten sind Generationen mit dem Singenden,
klingenden Bäumchen aufgewachsen, und auch Nackt
unter Wölfen war prägend. Im Westen möchte ich an
Filme wie Angst essen Seele auf erinnern. Filme wie
diese müssen dringend für die nächsten Generationen erhalten bleiben.
({0})
Zu den Fakten. Unseren Antrag „Finanzierung zur
Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstellen“ haben wir erneut vorgelegt, weil sich die anderen
Fraktionen dieses Hohen Hauses seit 2008 offenkundig
keinen Begriff von der Reichweite der Digitalisierung
des Filmerbes machen. Unsere Zahlen ergeben sich damals wie heute aus den Vorlagen der Stiftung Deutsche
Kinemathek, der DEFA-Stiftung und der Murnau-Stiftung. Auch der Verband der deutschen Filmkritik hat uns
versichert, dass unser Finanzierungsvorhaben realistisch
ist und wenigstens das Minimum dessen darstellt, was
geleistet werden müsste. Das bedeutet: Die Fraktion Die
Linke lag schon 2008 richtig, und sie liegt auch heute
wieder richtig.
({1})
Wir gehen also wie die Stiftungen von einem Gesamtvolumen von 90 Millionen Euro für die Laufzeit von
fünf Jahren aus. Die Finanzierung teilt sich in 30 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln - 6 Millionen Euro pro
Jahr -, 30 Millionen Euro aus Abgaben der Film- und
Filmwerbewirtschaft und 30 Millionen Euro aus der Kinoabgabe von 5 Cent pro verkaufter Kinokarte auf. Wir
legen Ihnen dar, wie eine vernünftige Finanzierung zur
Sicherung des deutschen Filmerbes aussieht, und schlagen Ihnen vor allem eine langfristige und nachhaltige Investition in Kultur und Wissen vor. Alle würden ihren
Beitrag leisten: der Staat, die Wirtschaft und auch die
Bürgerinnen und Bürger.
An dieser Stelle kommt von Ihnen, meine Damen und
Herren aus den Regierungs- und Konsensparteien, gewöhnlich in solchen Fällen der Einwand, dass sich unsere Vorstellungen nicht finanzieren lassen. Das ist ein
gravierender Irrtum.
({2})
Kassieren Sie doch einige Prestigeprojekte des Bundes!
Stecken Sie die frei werdenden Mittel in die Sicherung
des Filmerbes! Streichen Sie doch die Aufwendungen
für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses! Die
590 Millionen Euro wären beim Film mit Sicherheit
sinnvoller angelegt.
({3})
Stoppen Sie zudem die Verschwendung von Steuergeldern bei Frau Steinbachs einseitig ausgerichteter Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung! Die 2,5 Millionen
Euro für 2013 könnten zum Beispiel - hören Sie einmal
zu - sehr gut als Anschubfinanzierung für die Digitalisierung von Filmen zur NS-Vergangenheit aus Ost und
West verwendet werden. Der Allgemeinheit wäre damit
weit besser geholfen als mit diesem geschichtspolitischen Abenteurertum.
({4})
Die Anträge der anderen Fraktionen beschränken sich
heute - wie bereits im Jahr 2008 - auf allgemeine
Apelle. Damit wiederholt sich in dieser Debatte leider
das unwürdige Schauspiel mit einem so wichtigen Teil
unseres kulturellen Erbes. Vier Jahre wurden regelrecht
vertrödelt, um Maßnahmen zur Sicherung des nationalen
Filmerbes einzuleiten. Niemand von Ihnen hat sich
ernsthaft mit dem Finanzierungsvorschlag der Linken
auseinandergesetzt.
Noch eines: Wenn sich der Staatsminister und die Koalition nun rühmen, dass die Digitalisierung des Filmerbes in den Aufgabenkatalog der Filmförderungsanstalt
aufgenommen worden ist, so kann ich dazu nur sagen,
dass dies von Anfang an eine Idee der Linken war. Uns
freut diese freundliche Übernahme sehr, nur sollten Sie
dies auch wahrheitsgemäß erwähnen.
({5})
Die nunmehr auf den Weg gebrachte Pflichtregistrierung deutscher Filme im Bundesarchivgesetz begrüßen
wir. Zum Schluss sage ich im Interesse des deutschen
Films: Warten wir nicht wieder weitere vier Jahre, bis
sich bei der Digitalisierung endlich etwas bewegt.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl der Film als Medium erst wenig mehr als 100 Jahre
alt ist, gehört das Filmerbe bereits heute zu den wichtigsten Bestandteilen unseres gesamten kulturell-historischen Erbes. Filme und filmische Dokumente eröffnen
besondere Zugänge zur Zeitgeschichte und Kultur. Sie
tun dies in einer ungeheuren Breite in unserer Gesellschaft, für praktisch alle Menschen und unterschiedlichste Milieus.
Der Bundestag beschäftigt sich deswegen zu Recht
seit Jahren mit dem Filmerbe und dessen Erhalt. Wir
Grünen haben dies maßgeblich mit angeregt.
({0})
Meine Fraktion und ich haben uns sehr gefreut, dass es
auf unsere Initiative hin am Ende der letzten Legislaturperiode gelungen ist, hierzu einen interfraktionellen Antrag zu verabschieden. Gerade vor dem Hintergrund
dieser interfraktionellen Einigkeit ist es umso unerfreulicher, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bis zum
heutigen Tag noch immer viel zu zögerlich agiert und
zahlreiche Forderungen aus dem damaligen Antrag nach
wie vor offen sind.
({1})
Herr Kollege Börnsen, Sie sprechen ja in diesem Zusammenhang gern von einer Herkulesaufgabe. Ich gebe
Ihnen da absolut recht. Aber gerade die Bewältigung von
Herkulesaufgaben erfordert eben auch ein Gesamtkonzept, weitreichende Konsequenzen, umfassendes Engagement und vor allem Mut. An all dem mangelt es dieser
Bundesregierung. Mit der Erstellung eines Katalogs und
der Einstellung von einigen wenigen Hunderttausend
Euro ist es eben nicht getan. Die Zeit drängt. Daher ist es
gut, dass wir hier heute erneut darüber diskutieren und
uns den nach wie vor ungeklärten Fragen, die kürzlich
nochmals in unserer Anhörung aufgeworfen wurden, zuwenden.
Doch es geht nicht nur um die komplexen Fragen der
physischen Erhaltung und angemessenen Aufbewahrung
des Filmerbes, sondern insgesamt auch um seine bessere
Zugänglichkeit und Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung, zum Beispiel durch einen möglichst barrierefreien Zugang. Untertitelungen und Audiodeskriptionen
für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen sind
heute essenziell.
({2})
Auch hier bedarf es einer konsequenten Umsetzung. Vor
diesem Hintergrund finden wir es schade, dass die Regierungskoalition bei diesem Punkt gleich abgewiegelt
hat.
Die Digitalisierung des Filmerbes ergibt sich auch aus
der Digitalisierung der Abspieltechnik, die wir ja gemeinsam unterstützen. Auch das haben hier mehrere
Kolleginnen und Kollegen angesprochen. Wichtig ist,
dass die neue Technik für das Filmerbe, das bisher nur
analog vorliegt, nicht zu einem Nadelöhr wird. Wir müssen die Zugänge verbreitern; wir dürfen sie nicht verengen.
Die grüne Bundestagsfraktion hat vor gut einem Jahr
nochmals eine umfassende Initiative eingefordert. Inzwischen liegen Anträge von allen Fraktionen vor. Geschehen ist aber viel zu wenig. Dass es eine Reihe von
technischen und rechtlichen Problemen gibt, wissen wir.
Wir als Gesetzgeber müssen aber helfen, diese zu überwinden. Deswegen wollen wir uns mit allen Betroffenen
an einen Tisch setzen, mit Vertretern von Archiven und
Filmerbe-Stiftungen, mit Produzenten, sonstigen Rechteinhabern, Verwertungsgesellschaften, Wissenschaft und
Bildung, und die offenen Fragen im Dialog klären; in
den Niederlanden beispielsweise ist das sehr gut gelungen.
({3})
Klar ist doch: Wir brauchen intelligente Lösungen,
auch was die freie Nutzung der digitalisierten Filme für
die Filmbildung und die Wissenschaft angeht. In diesem
Zusammenhang sei noch einmal erwähnt, dass Ihr Versagen als Bundesregierung, Ihre Hasenfüßigkeit bei der
Umsetzung des sogenannten dritten Korbes
({4})
- nehmen Sie es einfach hin; es ist so -, uns allen noch
auf die Füße fallen wird. Denn der Reformdruck wird
immer größer, auch im Hinblick auf die urheberrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Filmerbe, gerade auch - die Kollegin hat es angesprochen - bei verwaisten Werke.
({5})
Als netzpolitischer Sprecher meiner Fraktion ist es
mir ein ganz besonderes Anliegen, dass wir auch das Internet als heute elementares Verbreitungsmedium in unsere Überlegungen einbeziehen. Hier liegen ungeheure
Chancen für ein Filmerbe, das sonst bestenfalls in dunklen Archivräumen vor sich hin schlummert.
Für meine Fraktion sage ich aber auch klar: Wir wollen im Dialog faire Lösungen herbeiführen, bei denen
alle zu ihrem Recht kommen und alle mit einbezogen
werden. Vor uns liegt eine große Aufgabe, und wir haben
keine Zeit zu verlieren. Die Gemeinsamkeiten, die wir
haben, sollten nicht bloß zu weiteren Absichtserklärungen führen, sondern endlich zu einem zügigen und entschlossenen Handeln.
Ich danke Ihnen ganz herzlich.
({6})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Johannes Selle für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Seit ungefähr 1890 werden
Menschen von bewegten Bildern in den Bann gezogen.
In der Fiktion kann durch immer mehr Spezialeffekte
aus der Realität ausgebrochen werden. Zugleich kann
die Realität verstörend authentisch und erschütternd
wahrgenommen werden. Für Deutschland fällt die Geschichte des Films ziemlich genau mit der Entwicklung
des Nationalstaates zusammen. Zudem ist Deutschland
ein wichtiges Filmland geworden. Für uns ist das Filmerbe des letzten Jahrhunderts von besonderer Bedeutung.
({0})
Wir können viel vom Zeitgeist erfahren, wir können viel
für die Aufklärung verwenden, und wir können auch das
Entstehen der Filmkunst verfolgen. Der Film ist ein
Massenmedium geworden, nicht nur deshalb, weil damit
nahezu jeder Mensch erreicht wird, sondern auch, weil
inzwischen massenhaft Filmmaterial vorliegt.
Das Filmportal des Deutschen Filminstituts umfasst
ungefähr 80 000 Filme; im Antrag der Linken ist sogar
mit 251 000 Filmen und mehr als 118 000 Videos kalkuliert worden. Jährlich kommen circa 200 Filmproduktionen hinzu. Das Erbe wächst. An den ungenauen Zahlenangaben kann man erkennen, dass wir uns diesem
wertvollen Erbe dringend zuwenden müssen, nicht nur,
um einen Überblick zu bekommen, sondern auch, um die
Filme vor dem Verfall zu retten und den Zugang zu ihnen zu erhalten; mit fortschreitender Technik ist dies nur
digital zu bewerkstelligen. Bei der Beschäftigung mit
diesem Erbe wird auch die Komplexität des Themas
deutlich. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit
plausiblen Vorschlägen auf, sich diesem Erbe zuzuwenden.
Seit 2004 gibt es in den Ländern eine Pflichthinterlegung im Hinblick auf geförderte Filme. Aber es gibt
keine Einheitlichkeit der Standards und keine Einheitlichkeit der Information sowie der Formate. Die Filme
liegen an unterschiedlichen Orten, und niemand hat eine
Übersicht, wo sie liegen. Wir haben jetzt über die Änderung des Bundesarchivgesetzes zu diskutieren. Ich hoffe,
dass wir noch in diesem Monat die Pflichtregistrierung
für alle Kinofilme beschließen können.
Nach der Registrierung werden wir uns mit der Hinterlegung beschäftigen müssen. Aber wir müssen eine
verlässliche Grundlage durch die Registrierung haben,
auf der wir das kalkulieren können. Da die Rechteinhaber der Filme Nutznießer sind, muss man sie natürlich
einbeziehen und in vielen Fällen auch erst einmal ausfindig machen.
Die vollständige Übersicht über Anzahl, Qualität, Ort
und Format ist Voraussetzung für ein Konzept zur Digitalisierung. Zu diesem Konzept der Digitalisierung gehört auch, dass wir uns Prioritäten setzen. Wir können
nicht alle Filme auf einmal digitalisieren. Es wird auch
nicht alles, was jemals auf Film gebannt worden ist, zu
digitalisieren sein, und es ist auch nicht alles bewahrenswert. Außerdem müssen wir feststellen, welche Filme
vorher restauriert werden müssen.
Wir hatten eine Anhörung zu diesem Thema. In dieser
Anhörung wurde deutlich, dass auch die Langzeitarchivierung noch kein endgültiges Format hat. Im Gegenteil:
Es waren Stimmen zu hören, die dem analogen Filmmaterial noch die am längsten überschaubare Zeitdauer zubilligten. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Langzeitarchivierungsformat und dem Format des öffentlichen
Zugangs, den wir heute automatisch über das Internet annehmen.
Nach erfolgreicher Abarbeitung unseres Antrages haben wir einen vollständigen Überblick über alle Werke,
kennen unsere finanziellen Möglichkeiten und die Erfordernisse, kennen den Umfang der zusätzlichen Informationen, die wir jedem Film beifügen wollen, haben Standards gefunden für ganz Deutschland, haben vielleicht
eine Reihenfolge der Dringlichkeiten und haben auch die
Erfahrungen anderer Länder studiert. Möglicherweise
sind wir dann auch schlauer, was die Langzeitarchivierung betrifft. Das wäre viel, aber das ist auch notwendig.
Zum Filmerbe liegen vier Anträge aller Fraktionen
mit der gleichen Sorge - das gebe ich zu - um die Bewahrung dieses kostbaren Gutes vor. Stimmen Sie unserem wohlabgewogenen, unpolemischen und differenzierten Antrag zu!
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 17/11933. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/11006 mit dem Titel „Das Filmerbe
stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren
und im digitalen Zeitalter zugänglich machen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10098 mit dem Ti-
tel „Ein nationales Digitalisierungsprogramm für unser
Filmerbe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11007 mit dem Titel „Finan-
zierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich
sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/8353 mit dem Titel „Umfassende Initiative zur
Digitalisierung des Filmerbes starten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 39 b. Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12012
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? -
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({0}), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes - Begrenzung von Parteispenden und
Transparenz beim Sponsoring für Parteien
({1})
- Drucksache 17/11877 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({2})-
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Raju
Sharma, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Demokratie stärken, Lobbyismus verhindern
und Parteienfinanzierung transparenter gestalten
- Drucksache 17/9063 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({3})Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Volker Beck
hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Wir reden heute
über ein Transparenzgesetz für die Parteienfinanzierung.
Über die Transparenz bei Nebenbeschäftigungen von
Abgeordneten haben wir hier im Bundestag viel geredet.
Das Transparenzgesetz ist deshalb sehr wichtig, weil das
Parteiengesetz eigentlich das gleiche Problem berührt:
Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass erkennbar ist, ob es wirtschaftliche
Einflüsse auf die Willensbildung der Parteien gibt. Deshalb meinen wir, dass die Transparenzregeln insgesamt
verbessert werden müssen.
Wir wollen die Spendentätigkeit auf natürliche Personen und 100 000 Euro pro Jahr an eine Partei begrenzen.
({0})
Damit wird verhindert, dass große Unternehmensspenden indirekt auf die Willensbildung einer Partei Einfluss
Volker Beck ({1})
nehmen - ohne jede Unrechtsverabredung -, sodass die
Parteien tatsächlich nur im Sinne ihres Wahlprogrammes
und nicht im Sinne ihrer größten Spender politisch tätig
sind.
Ich denke, diese Wahlperiode hat mit den MövenpickSpenden bei der FDP,
({2})
mit der Gauselmann-Affäre und mit dem Skandal um
„Rent a MP“ bei Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass wir hier wirklich einen Bedarf haben, die Parteienfinanzierung auf noch klarere und transparentere
Füße zu stellen.
({3})
Wir wollen das Sponsoring nicht verbieten, aber das
Sponsoring transparent machen. Unsere Partei tut das
auch schon. Jeder kann auf unserer Webseite nachschauen, wie viel zum Beispiel die Leute, die einen
Stand auf unserem Parteitag haben, dafür bezahlt haben.
({4})
Wir stellen die Verträge einfach ins Netz. Das ist eine
faire Regelung, und es muss auch klar sein, dass es sich,
wenn die Preise unüblich sind, um eine verdeckte
Spende auf dem Wege des Sponsorings handelt. Nur
mehr Transparenz führt dazu, dass sich alle wirklich an
die Regeln halten.
Ich habe ja die Gauselmann-Affäre angesprochen.
({5})
- Das werde ich Ihnen gleich vorlesen, Herr Kollege
Kurth. Ich habe das Schreiben des Bundestagspräsidenten nämlich dabei.
({6})
Die Gauselmann-Affäre hat sehr schön gezeigt, dass
der Präsident gegenwärtig gar nicht prüfen kann, wenn
über Unternehmen indirekt an Parteien gespendet wird.
Das ändern wir mit unserem Gesetzentwurf.
In dem Schreiben des Präsidenten an mich zu dem
Thema „Firma altmann-druck GmbH“ heißt es:
Kapitalgesellschaften, auch wenn sie sich ganz oder
teilweise im Eigentum von Parteien befinden, unterliegen grundsätzlich nicht dem Transparenzgebot
des Parteiengesetzes.
Das finden wir verkehrt, weil das Tür und Tor für verschleierte Zuwendungen an Parteien öffnet.
({7})
Der Präsident hat Ihnen hier auch keinen Freispruch
erteilt, er hat lediglich gesagt: „Alle der Behörde gegenüber offengelegten wertbeeinflussenden Faktoren“ stützen nicht den Vorwurf, dass es hier etwas gab, was gegen
das Parteiengesetz verstößt. - Aber der Präsident hat gegenwärtig kein Prüfrecht, um solchen Machenschaften
nachzugehen.
Auch in der Frage hinsichtlich des Anteils der FDP an
der Universum GmbH sagt der Präsident: Das, was ich
der Presse entnommen habe, deutet nicht unmittelbar darauf hin, dass es sich hier um einen rechtlichen Verstoß
handelt. - Das ist doch nicht zufriedenstellend. Wir
brauchen klare Regeln. Wir brauchen eine klare Prüfkompetenz des Bundestagspräsidenten, damit er allen
Vorwürfen nachgehen kann. Ich wünsche mir auch, dass
bei Verfahren, die zugunsten einer Partei, der man Vorwürfe gemacht hat und die geprüft worden ist, ausgehen,
hinterher klargestellt wird: Was war der wesentliche
Sachverhalt? Aus welchen Gründen kommt die Prüfbehörde, nämlich die Bundestagsverwaltung, dazu, zu sagen: „Es war am Ende doch alles in Ordnung“?
Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Das zeigt: Wir
müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger
darauf vertrauen können, dass zwischen allen Parteien
hier im Hause ein fairer Wettbewerb existiert und dass
sich niemand Parteien oder Politik kaufen kann. Das ist
der Sinn von Transparenz. Deshalb lade ich Sie alle ein,
mit uns gemeinsam im Ausschuss darüber zu diskutieren.
Warten wir doch nicht auf den nächsten Parteienfinanzierungsskandal. Wir haben aus der Geschichte gelernt - von der Flick-Affäre bis sonst wo hin -: Immer
wieder war das Hohe Haus nur bereit, mehr Transparenz
einzuführen, wenn es einen Skandal gab und das Ganze
nicht mehr zu halten war. Lassen Sie uns doch den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Wir bringen diese Angelegenheit in Ordnung, bevor es den nächsten Skandal gibt. Ich glaube, die Parteiendemokratie und die parlamentarische Demokratie brauchen Transparenz, um ihre Legitimität nicht zu beschädigen. Dem dient unser Vorschlag.
({8})
Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Unbestreitbar: Transparenz bei Parteispenden ist ein wichtiges Thema und die unverzügliche Offenlegung von Parteispenden über 50 000 Euro
für unsere politischen Entscheidungsprozesse besonders
relevant. Transparenz, ob jetzt beim Thema Lobbyarbeit,
Parteispenden, Sponsoring oder auch bei unserer Arbeit
im Hause, ist ein Wesensmerkmal dieser Demokratie.
Das Parteiengesetz in der Fassung vom 28. Juni 2002
hat sich in diesem Sinne im Lauf der Jahre bewährt. Die
gemäß § 25 Parteiengesetz geforderten Offenlegungen
bei Spenden ab 10 000 bzw. 50 000 Euro sind vernünftige und praktikable Regelungen. Das hat immerhin auch
die Kommission des Ältestenrates des Deutschen BunArmin Schuster ({0})
destages 2011 so bewertet. Eine weitergehende Begrenzung der Parteispenden, wie im Antrag der Linken gefordert, halte ich daher nicht für erforderlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken,
Sie irren, wenn Sie glauben, mit Ihrem Antrag würden
Sie - ich zitiere - „Demokratie stärken“. Mit Formulierungen wie - ich zitiere wieder - „Käuflichkeit“ von
Politik und Lobbyismus zeichnen Sie nicht nur ein rufschädigendes Zerrbild unserer parlamentarischen Arbeit.
Sie haben auch die grundlegende Bedeutung von Lobbyismus für eine repräsentative Demokratie aus meiner
Sicht nicht verstanden.
({1})
Ein gesetzliches Spenden- und Sponsoringverbot gegenüber Unternehmern ist für mich sogar schlicht verfassungswidrig.
Erlauben Sie mir, das näher zu erläutern. Das Gemeinwohl, also das Wohl aller Bürgerinnen und Bürger,
orientiert sich in diesem Land immer an der Frage der
politischen Gerechtigkeit. Konsens, egal welcher Partei
man zugehören mag, besteht wohl darin, dass Vollbeschäftigung und Chancengleichheit ein Teil dieses Gemeinwohls sind. Für Beschäftigung bedarf es Arbeitsmöglichkeiten. Ein Teil Deutschlands unternahm den
Versuch, den Staat als zentralistischen Arbeitgeber einzusetzen und Privatwirtschaft abzulehnen. Unser heutiges System sieht aber eine soziale und demokratische
Marktwirtschaft vor, zu der Privatpersonen genauso wie
Unternehmen gehören. Deshalb dürfen nach unserem
demokratischen Verständnis sowohl natürliche als auch
juristische Personen spenden.
Wir haben uns in Deutschland bewusst gegen eine
rein staatliche Alimentierung der Parteien entschieden
und die gesellschaftliche Verankerung als Wesenselement politischer Parteien definiert. Nach unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung haben alle
Akteure des Staats - egal ob natürliche oder juristische
Personen -, einen Anspruch darauf, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Spendenrechts entspricht
der Parteienfreiheit nach Art. 21 des Grundgesetzes.
({2})
Wer kann es also einem Unternehmen verübeln, dass es
nicht die Linkspartei bei deren erhoffter Wiederbelebung
der sozialistischen Planwirtschaft unterstützt, sondern
eher CDU, CSU, FDP, Grüne oder SPD bei unserer Arbeit für Wohlstand, Chancengleichheit und Meinungsfreiheit in einer sozialen Marktwirtschaft? Spenden zu
leisten, gehört zur privaten Entscheidungsfreiheit von
Bürgern wie Unternehmen. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht. Parteispenden hat es ausdrücklich
als eine Form zulässiger Interessenwahrnehmung und
politischer Teilhabe bestätigt.
Unsere Parteienfinanzierung beruht auf drei Säulen:
den Beiträgen der Mitglieder, den staatlichen Zuwendungen - abhängig vom Wahlergebnis - und den Spenden. Die Spenden machen nur etwa 15 Prozent aus. Nur
weil Sie, meine Damen und Herren von der Linken,
kaum nennenswerte Parteispenden juristischer Personen
erhalten, muss nicht gleich das Parteiengesetz geändert
werden. Vielmehr liegt es doch wohl am Inhalt Ihres
Parteiprogramms, das eben von bestimmten Gruppen in
unserer Gesellschaft als nicht unterstützenswert angesehen wird. Spenden sind eben auch nur ein Indikator für
den gesellschaftlichen Zuspruch einer Partei.
Im Antrag der Linken wird ebenso der Bericht der
beim Europarat eingesetzten Staatengruppe zur Korruptionsbekämpfung, GRECO, aus dem Jahr 2009 erwähnt.
Deutschland ist hier bereits seit 1999 Mitglied. Entgegen
der Absicht der Linken empfiehlt der GRECO-Bericht
2009 nicht, dass wir in Deutschland Höchstgrenzen für
Spenden festlegen sollten. Ganz im Gegenteil: Der
GRECO-Bericht hat sogar zum Inhalt, dass Großspenden wesentlich weniger anfällig dafür sind, die politische Willensbildung negativ zu beeinflussen, als dies bei
zahllosen Kleinspenden der Fall sein könnte. Im
GRECO-Bericht wird insbesondere dazu aufgefordert,
dass kein zeitlicher Verzug zwischen der Gewährung
und der Veröffentlichung der Spende eintritt. Genau eine
solche Regelung existiert in unserem Parteiengesetz. Danach müssen Einzelspenden zeitnah veröffentlicht werden. Der Bundestagspräsident hat dies in seiner Weisung
aus dem Januar 2010 unmissverständlich und eindeutig
festgelegt: „Zeitnah“ bedeutet sofort. - Die GRECOEmpfehlung wurde also präzise umgesetzt. So stellte im
Mai 2011 die Kommission des Ältestenrats für die
Rechtsstellung der Abgeordneten im Deutschen Bundestag fest, dass die Empfehlungen der GRECO aus dem
Jahr 2009 durch die bei uns bestehende Regelung ausreichend erfüllt werden und in allen Fällen kein weiterer
Regelungsbedarf besteht.
({3})
- Sie können ja einen Kommentar zum Ältestenrat abgeben, Herr Wieland. Ich würde Ihnen dafür sogar kurz
Zeit einräumen.
Mit Ihrer geforderten Höchstgrenze von 25 000 Euro
bzw. Offenlegung bereits ab 25 000 Euro, sehr geehrte
Damen und Herren der Linken und Grünen, machen Sie
sich falsche Vorstellungen davon, welche positiven Wirkungen die Festlegung von faktischen Höchstgrenzen
bzw. die Herabsetzung der Höchstgrenzen für Offenlegungen haben könnten. Hier besteht Erklärungsbedarf.
Bemerkenswert finde ich es insbesondere, dass die
Linkspartei die USA als Beispiel auswählt. Wie wird es
denn dort gehandhabt? Es ist richtig, dass es in den USA
Höchstgrenzen für Parteispenden gibt. Aber genau deshalb wird es dort zur Praxis, dass zahlreiche, teilweise
Hunderte Mitarbeiter in Unternehmen aufgefordert werden, Kleinspenden zu leisten. Eine Festlegung von
Höchstgrenzen kann so sehr leicht durch Stückelung umgangen werden. Das ist also kein geeignetes Mittel, Ihre
Unterstellung auszuräumen, Großspenden würden dazu
anhalten, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Meine Damen und Herren, der Versuch, Großspenden
an Parteien zu skandalisieren, ist durchsichtig. Immerhin
gehören dem Bundestag Parteien an - ich nenne ein Bei27402
Armin Schuster ({4})
spiel -, bei denen 98 Prozent der Spenden im Wahljahr
2009 genau unter der 50 000-Euro-Marke lagen. Dadurch mussten diese erst 18 Monate später im Rechenschaftsbericht der Parteien veröffentlicht werden. Großspenden über 50 000 Euro gab es in diesem Jahr nur
eine. Notleidend war die Partei aber nicht.
({5})
- Sie waren das also. - Insgesamt sehe ich diesen Punkt
nicht als problematisch an, Herr Wieland, ganz im Gegenteil.
({6})
Wenn ganze Branchen versuchen, eine Partei, die ihre
Interessen am besten abbildet, gezielt zu unterstützen,
({7})
dann ist das ein absolut legitimer Ausdruck politischer
Willensbildung und Beteiligung.
({8})
Eventuell wollen diese natürlichen oder juristischen
Personen einfach nicht als Spender mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit sofort offengelegt werden. Daran erkenne ich auch keinen pauschalen Verdacht hinsichtlich
möglicher Korruption, auch nicht bei dem Beispiel mit
den 98 Prozent Spenden unter 50 000 Euro. Die geplante
Herabsetzung dieser Grenze würde gar nichts ändern,
außer dass sich die Stückelung verändern würde. Dann
würden die 98 Prozent unterhalb von 25 000 Euro rangieren. Es wird auch weiterhin Spender geben, die völlig
unverdächtig sind, die nicht offengelegt werden wollen
und die sich regelkonform verhalten.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Parteiensponsoring sagen. Herr Beck hat gesagt, dass die Grünen Sponsoring in ihrem Antrag „als Zuwendungen von
Geld oder geldwerten Vorteilen zur Förderung einer Partei, mit denen der Zuwendende als Gegenleistung eine
Förderung eigener Ziele der Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit erlangen will“, definieren. Einverstanden.
Dies unterscheidet die Partei aber rechtlich nicht von anderen gemeinnützigen Vereinen in der Bundesrepublik.
Es gibt bei diesen eingetragenen Vereinigungen genau
wie bei Parteien die völlig legitime Unterscheidung von
Spende, also ohne direkte und angemessene Gegenleistung, und Sponsoring. Nach § 24 Parteiengesetz muss
aber eine Unterstützung mit Gegenleistung im Rechenschaftsbericht der Parteien ausgewiesen werden. Anderenfalls ist sie nach den üblichen Regeln als Spende auszuweisen.
({9})
Solange aber dem Sponsoring eine reale und angemessene Gegenleistung gegenübersteht, handelt es sich
um ein einfaches wirtschaftliches Geschäft. Wer als Unterstützer einer Partei also beispielsweise Geld für die
Anmietung eines Saales einer Partei zahlt, wird dadurch
nicht automatisch zum Spender, außer die Leistung, beispielsweise Werbung, und die Aufwendungen stünden
nicht mehr im adäquaten Verhältnis.
({10})
Dann wäre es eine verdeckte Spende. Bis dahin ist aber
aus unserer Sicht alles geregelt.
Kollege Schuster, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Beck?
Nein, nicht bei diesem Thema.
({0})
- Jetzt sollten Sie zuhören, ich mache gerade Angebote,
und die mache ich nicht oft.
({1})
Nicht ganz eindeutig wird es allerdings beim Ankauf
teurer Werbegelegenheiten bei einer Partei, zum Beispiel
bei der Werbung auf einem Parteitag. Handelt es sich um
eine angemessene Gegenleistung, oder ist es eine überzogene Förderung? In dieser Frage sind wir durchaus
diskussionsbereit. So könnte es eventuell gerechtfertigt
sein, reguläres Großsponsoring, ähnlich wie auch Großspenden, anderen Offenlegungserfordernissen zu unterwerfen.
({2})
Hier könnten wir uns durchaus Regelungen vorstellen.
({3})
- Zuhören hilft manchmal, nicht?
Nach unendlich vielen Debatten zu diesem Themenfeld wiederhole ich mich abschließend gerne für meinen
Kollegen Wellenreuther: Schon heute gibt es in Deutschland ein sehr verlässliches und sehr strapazierfähiges
Parteiengesetz, das genau festlegt, unter welchen Regelungen Parteispenden veröffentlicht werden müssen. Sie
sind ein absolut legitimer und verfassungsgemäßer Ausdruck politischer Willensbildung. Im aktuellen Transparency International Ranking rangieren wir auf Platz 13
von 178.
({4})
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, die Tendenz
ist steigend. Wir lehnen daher die Anträge der Grünen
und der Linksfraktion ab.
({5})
Ich danke Ihnen.
Armin Schuster ({6})
({7})
Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mövenpick-Spende, die Affäre um „Rent a
Rüttgers“ sowie Gauselmann wurden schon erwähnt. Ich
will hinzufügen, dass wir damals im Mai 2010 eine Anhörung im Innenausschuss beantragt hatten, die mit Ihrer
Mehrheit abgelehnt und auf einen Termin nach der
Landtagswahl in NRW verschoben wurde, um die Diskussion über Transparenz in der Parteienfinanzierung
aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Genützt hat es Ihnen trotzdem nichts.
({0})
Im Innenausschuss diskutieren wir regelmäßig über
Parteienfinanzierung. Anlass dazu ist der periodische
Bericht von GRECO, der zum Europarat gehörenden
Staatengruppe gegen Korruption. Bei der letzten Debatte
zum Evaluierungsbericht von GRECO im Juni 2011 hatten wir als SPD die ablehnende Haltung der Rechtsstellungskommission zu den Empfehlungen kritisiert. Wir
haben Vorschläge gemacht, um mehr Transparenz in die
deutsche Parteienfinanzierung zu bringen. Die Mehrheit
aus CDU/CSU und FDP im Innenausschuss hat die Umsetzung der Empfehlungen von GRECO abgelehnt, weil
sie diese als nicht bindend ansieht. Es ist peinlich, welche Bedeutung die Koalitionsfraktionen Empfehlungen
einer Staatengruppe, die aus 48 europäischen Staaten
und den USA besteht, beimessen.
Für meine Fraktion möchte ich festhalten, dass wir
Änderungen des Parteiengesetzes, die zu mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung führen, unterstützen.
Sie müssen aber handhabbar und kontrollierbar sein und
dürfen die Arbeit der ehrenamtlichen Kassiererinnen und
Kassierer nicht unnötig belasten.
Wir halten es für richtig - so haben wir es auch in der
Vergangenheit gehandhabt -, dass Änderungen im Parteiengesetz auf Basis einer breiten Mehrheit in diesem
Hause verabschiedet werden. Nur so finden die unterschiedlichen Situationen der einzelnen Parteien ausreichend Berücksichtigung.
Ich möchte kurz auf einige Forderungen eingehen, die
in den Vorlagen, die wir heute diskutieren, genannt werden:
Spendenverbot von juristischen Personen. Dies wollen wir nicht weiterverfolgen, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1992, aber auch die Kommission
des Bundespräsidenten zur Parteienfinanzierung 2001
Spenden von natürlichen und juristischen Personen als
zulässig angesehen haben. Entscheidend ist, dass Transparenz hergestellt wird. Selbstverständlich verfolgen
Mitglieder und Spender mit ihren Zuwendungen bestimmte politische oder auch abstrakte persönliche Ziele.
Problematisch wird eine Spende aber erst dann, wenn sie
in einem direkten Zusammenhang mit einem konkreten
Vorteil steht. Ich erinnere noch einmal an die Mövenpick-Spende.
Transparenz bedeutet, dass nachvollziehbar ist, welche Gruppen, Verbände oder Privatpersonen die Parteien
unterstützen und gegebenenfalls auf sie Einfluss nehmen
wollen. Allerdings ist die Transparenz bei Spenden von
Unternehmensverbänden nicht gewährleistet. Hier erfolgen die Zuwendungen von Unternehmen indirekt über
die Verbände, ohne dass die betroffenen Unternehmen
oder Unternehmer namentlich genannt werden. Für uns
sollen Spenden von juristischen Personen weiterhin zulässig sein. Eine Begrenzung der Höhe nach, etwa
100 000 Euro, scheint mir aber sinnvoll. Spenden von
Unternehmensverbänden sollten jedoch ausgeschlossen
werden.
Eine Absenkung der Veröffentlichungsgrenze von
Spenden von 50 000 Euro auf 25 000 Euro haben wir als
SPD-Bundestagsfraktion schon lange gefordert. Die Absenkung der Grenze für die Veröffentlichung der Spender im Rechenschaftsbericht mit Namen und Adresse
von 10 000 auf 5 000 Euro könnte durchaus ein Beitrag
zu mehr Transparenz sein. Damit würden zwei Empfehlungen von GRECO erfüllt werden.
Sponsoring. Die Vermietung von Werbeflächen und
andere Formen des Sponsorings von Parteiveranstaltungen sind zulässige Formen der Parteienfinanzierung. Das
Grundgesetz fordert von den Parteien, dass sie eigene
Einnahmen erzielen, und verbietet eine staatliche Vollfinanzierung. Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung des Sponsors und Gegenleistung der Partei, handeln die Vertragsparteien missbräuchlich. Dann
wird durch eine Sponsoringvereinbarung eine Spende
verschleiert. Der überschießende Teil ist schon heute
nach dem Parteiengesetz als Spende zu behandeln.
Wir halten es daher für sinnvoll, die Einnahmen aus
Sponsoring gesondert auszuweisen. Momentan werden
diese Einnahmen unter „Einnahmen aus Veranstaltungen, Vertrieb von Druckschriften und Veröffentlichungen und sonstiger mit Einnahmen verbundener Tätigkeit“ subsumiert. Zur Erhöhung der Transparenz sollte
für Einnahmen aus Sponsoring ein gesonderter Einnahmeposten geschaffen werden, und der Begriff des Sponsorings sollte im Parteiengesetz definiert werden. Die
Veröffentlichungspflichten sollten analog den Vorschriften für Spenden geregelt werden.
Wenn wir schon über Transparenz reden: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen,
beenden Sie endlich Ihre Blockade bei der Strafbarkeit
von Abgeordnetenbestechung!
({1})
Es kann nicht sein, dass wir die einzige Demokratie in
der Welt sind, in der Abgeordnetenbestechung straffrei
ist.
({2})
- Den bekommen Sie demnächst.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/
Die Grünen, Sie haben richtige und wichtige Punkte für
mehr Transparenz in Ihrem Gesetzentwurf. Manche gehen uns aber zu weit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Änderungen im Parteiengesetz gehören in die Hand
des Parlaments und nicht in die der Regierung.
Für konstruktive Gespräche stehen wir bereit.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die
FDP-Fraktion.
({0})
Ich höre Ihnen bei Ihren Reden auch immer gerne zu.
Ich hoffe, das gilt auch umgekehrt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Parteien haben in der Tat eine wichtige
Funktion in der repräsentativen Demokratie. Wir stellen
es in manchen Diskussionen hier im Raum so dar, als
seien sie eine Art Übel, dem man sozusagen etwas genauer auf die Finger schauen muss.
Ich habe mich gewundert, dass die Kolleginnen und
Kollegen von der Linken das amerikanische System gelobt haben. Wenn Sie sich aber einmal genauer anschauen, wozu dieses System führt, dann stellen Sie fest,
dass ein repräsentativer Querschnitt, wie wir ihn im
deutschen Parlament noch zu weiten Teilen haben, in
den USA nicht in ähnlichem Maße vorhanden ist. Die
reichsten 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung haben durch
dieses Finanzierungssystem dort Zugang zu den Parlamenten; in Deutschland leisten Parteien auch noch eine
wichtige Mobilisierung durch alle Bevölkerungsschichten hindurch.
Deswegen sollten wir hier nicht nur auf die Parteienfinanzierung draufhauen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese auch einfach festgeschrieben.
({1})
Ihre Vorstellung einer vor allem staats- und mitgliederfinanzierten Partei ist eben nicht die Vorstellung des
Grundgesetzes, sondern die Vorstellung des Grundgesetzes ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
diejenige, dass durchaus auch Wirtschaft und Privatleute, also natürliche Personen, sich als Spender an der
Parteienfinanzierung beteiligen, und das ist ausgesprochen gut so.
({2})
Ich würde gern irgendwann einmal - das habe ich
meinen Kollegen schon gesagt - eine Nadel für die 20.
Rede zu diesem Thema bekommen. Die Debatte läuft
nämlich immer nach einem ähnlichen Schema ab. Sie
versuchen, eine öffentliche Erregung, die irgendwo entstanden ist, auszunutzen, um einseitig parteipolitisches
Kapital daraus zu schlagen, und legen uns dann Vorschläge vor, die exakt an den parteipolitischen Bedürfnissen Ihrer eigenen Parteifinanzierung orientiert sind.
({3})
Schaut man sich einmal den Rechenschaftsbericht
etwa der Grünen an, dann stellt man fest: Es ist kein Zufall, dass Sie auf diese Grenzen gekommen sind. Viele
Ihrer Spender leisten nämlich Beträge, deren Höhe sich
in einem bestimmten Korridor bewegt. Deswegen haben
Sie genau diese Lösung gefunden und nicht eine andere.
Sie haben auch kein Interesse daran, das gemeinsam mit
uns zu regeln,
({4})
sondern haben einfach versucht, uns wieder einen Vorwurf zu machen.
({5})
Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Beck?
Gern. - Aber Sie können gern bei uns spenden, Herr
Beck.
({0})
Keine anzüglichen Angebote zu dieser Stunde! - Ich
wollte Sie eigentlich nur fragen, ob Sie Ihren Vorwurf an
uns aufrechterhalten wollen angesichts der Tatsache,
dass wir nicht nur Höchstgrenzen für die Spenden vorschlagen, sondern zum Beispiel auch Unternehmensspenden - das ist bei uns durchaus Praxis, und das bleibt
Praxis, solange das im Wettbewerb der Parteien erlaubt
ist - untersagen wollen, also Spenden von juristischen
Personen, weil wir der Auffassung sind: Wer nicht wählen kann, der braucht über Spenden auch keinen Einfluss
auf Parteien zu nehmen,
({0})
der kann sich anderweitig gemeinnützig betätigen, wenn
er Geld übrig hat. Es gibt ja viele vernünftige Zwecke.
Wir haben heute über Rechtsextremismus gesprochen.
Bei der Amadeu-Antonio-Stiftung oder dergleichen leistet man auch etwas für die politische Kultur.
Würden Sie vor diesem Hintergrund zugestehen, dass
wir uns nicht an der Spendenpraxis bei uns orientiert haben, sondern an Prinzipien, die wir für eine demokratische Parteienfinanzierung für richtig und vertretenswert
halten? Würden Sie Ihren Vorwurf vielleicht einfach zurücknehmen?
({1})
Ich kann Ihnen da leider nicht entgegenkommen, so
gern ich das zu dieser späten Stunde der parlamentarischen Beratungen in dieser Woche auch tun würde.
Sie verlagern es dann gegebenenfalls in den Sponsoring-Teil. Ich habe mir einmal angeschaut, welche Firmen bei Ihnen im Sponsoring-Bereich tätig geworden
sind. Wir finden einen deutlichen Schwerpunkt im Alternative-Energien-Bereich. Keiner von uns würde so weit
gehen, Ihnen da vorzuwerfen, dass Ihr Engagement in
diesem Bereich allein auf dem Sponsoring Ihrer Parteitage beruht.
({0})
Aber Ihre Motivationslage wird sicherlich nicht dadurch
schwächer, dass Sie vorrangig von solchen Unternehmen
gesponsert werden.
Übrigens haben Sie aus meiner Sicht in Ihren Antrag
einen handwerklichen Fehler eingebaut, weil Sie den
Begriff „Sponsoring“, wie er derzeit definiert ist, missverstanden haben. Auch jetzt ist es schon so
({1})
- Herr Schuster hat es Ihnen ja schon gesagt -: Wenn die
Leistungen in einem groben Missverhältnis zu dem gezahlten Preis stehen, dann ist das schon heute eine unrechtmäßige Parteispende. Dazu hätte es Ihres Antrages
erst gar nicht bedurft.
({2})
Ich finde es gut, dass die Kollegin Fograscher gesagt
hat, dass man das gemeinsam löst. Sie ist daran interessiert, weil sie die Situation der Schatzmeisterin der Sozialdemokraten kennt. Diese ist immer wieder darum bemüht, dafür zu sorgen, dass insbesondere die
Unternehmensbeteiligungen der SPD
({3})
- die Kreuzfahrtschiffe, aber auch die Medienbeteiligungen -, aus denen sie erhebliche Gewinne, aber auch sicherlich nicht nur Nachteile im medialen Auseinandersetzungskampf zieht, nicht in den Rechenschaftsbericht
kommen, sondern die großen Unternehmen, die die SPD
etwa im Medienbereich besitzt, fein säuberlich und sorgsam ausgeklammert werden.
Hören wir also auf, uns gegenseitig genau die Dinge
im Rechenschaftsbericht vorzuwerfen, die vielleicht ein
Charakteristikum der eigenen Parteienfinanzierung sind!
Hören wir auch auf, die repräsentative Demokratie insgesamt dadurch zu beschädigen! Ich glaube, wir haben
ein hohes Maß an Transparenz. Ich bin durchaus bereit
- habe auch an entsprechenden Runden schon teilgenommen -, im ein oder anderen Fall, wie Herr Schuster
auch, für noch mehr Transparenz zu sorgen. Hören wir
auf, uns gegenseitig solche Vorwürfe zu machen, wie sie
in Ihren Anträgen zu lesen sind.
Ich habe mir einmal einige Worte der Rede des Kollegen Beck aufgeschrieben. Er fordert vom Bundestagspräsidenten, dass er uns einen Freispruch erteilt.
({4})
Das ist die typische Rhetorik einer gewissen Kampfesauseinandersetzung. Freisprüche gibt es nur dort, wo
es Anklagen gibt. Wir sind in keinem dieser Verfahren
auch nur angeklagt.
({5})
Insofern bitte ich darum, damit aufzuhören, hier zu insinuieren, es sei hier irgendetwas Rechtswidriges oder
nicht Verfassungsgemäßes im Gange.
({6})
Da ist immer die Rede von Freispruch oder Affäre. Alles
wird gleich ungeheuer hochgespielt. Ich glaube, dass
dies dem Ansehen von uns allen nicht guttut.
Ich wünsche Ihnen allen einen guten Nachhauseweg.
Lassen Sie uns beim nächsten Treffen
({7})
etwas sachgerechter, ordentlicher und besser diskutieren,
Herr Wieland. Auch sonst sind wir uns ja ab und zu einig.
Danke.
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Raju
Sharma das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns
liegt jetzt gerade der zweite Umsetzungsbericht der Staatengruppe GRECO vor; das haben wir gehört. Der
zweite Umsetzungsbericht ist - wenig überraschend für die Bundesrepublik wieder einmal peinlich. Bei den
Themen Parteiensponsoring, Unternehmensspenden,
Spendenobergrenzen hat sich nichts bewegt. Da steht die
Koalition immer noch auf der Bremse.
Das ist auch nicht neu. Schon nach dem ersten Umsetzungsbericht hatte Bundestagspräsident Lammert die
Fraktionen und damit das Parlament gebeten, sich der
Sache anzunehmen. Mein Fraktionsvorsitzender Gregor
Gysi hat alle Fraktionsvorsitzenden zu einer gemeinsamen Initiative eingeladen. Passiert ist nichts. Nun haben
die Grünen einen Antrag vorgelegt. Sie wollen Unternehmensspenden an Parteien verbieten. Ich sage: Herzlich willkommen im Klub. Sehr gut!
({0})
Noch besser wäre es aber, wenn Sie das, was Sie fordern,
jetzt schon umsetzen würden: Nehmen Sie einfach keine
Unternehmensspenden mehr an!
({1})
Ähnlich die SPD: Deren Schatzmeisterin Barbara
Hendricks hat kürzlich zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Unternehmensspenden bei der Gesamtfinanzierung der SPD nur einen Bruchteil ausmachen.
({2})
Da sage ich: Das ist richtig; das kann man nachlesen.
Aber umso leichter sollte es der SPD doch fallen, auf
diese Unternehmensspenden zu verzichten und das Geld
einfach nicht mehr anzunehmen. Das ist möglich. Das
geht alles freiwillig und sofort. Die Linke macht es vor:
Wir nehmen keine Unternehmensspenden an, und wir
lassen auch unsere Parteitage nicht sponsern. Dafür
braucht man im Übrigen auch gar kein Gesetz.
({3})
Man kann das also machen, wenn man einfach nur den
guten Willen hat.
({4})
Nur, der gute Wille ist eben nicht überall da. Weil der
gute Wille eben nicht überall vorhanden ist, brauchen
wir vielleicht doch ein Verbot von Unternehmensspenden.
Der Unterschied zwischen Privatspenden und Unternehmensspenden ist doch folgender: Bei Privatspenden
stehen häufig selbstlose Motive im Vordergrund; bei Unternehmen ist das völlig anders. In der Wirtschaft gilt
immer das Prinzip - das darf ich den Kollegen von der
FDP noch einmal sagen -: keine Leistung ohne Gegenleistung. Das ist das Normalste von der Welt, und das
kann man den Unternehmen auch gar nicht vorwerfen.
Aber man kann es der FDP und den Parteien insgesamt
vorwerfen, wenn sie Gelder annehmen, die der politischen Landschaftspflege dienen. Dann wird gefragt:
Welche Landschaften blühen da eigentlich hinterher? Das kann man nicht wollen.
({5})
Ich sage einmal: Wenn Mövenpick der FDP einen dicken Spendenscheck überreicht und kurz darauf die
Mehrwertsteuer für Hoteliers gesenkt wird, dann ist
doch klar - die Vermutung liegt doch nahe -, dass die
Menschen den Eindruck haben: Hier wird Politik gekauft, hier werden Entscheidungen gekauft. Das ist doch
das Problem.
({6})
Dass dieser Eindruck entsteht, wollen wir nun vermeiden. Deswegen wäre es das Konsequenteste, wenn wir
alle zusammen uns dafür aussprächen. Liebe Kollegen
von der FDP, stimmen Sie doch den Anträgen in Ihrem
eigenen Interesse zu, am besten dem der Linken, notfalls
auch dem der Grünen, der geht ja auch in die richtige
Richtung!
({7})
Beim Sponsoring ist es im Grunde ähnlich; wir sind
uns außerhalb der Koalition einig, dass wir da eine Regelung brauchen. Denn es ist doch klar: Wenn die Bahn
den Parteitag der Grünen sponsert und der Versicherungskonzern das Sommerfest der FDP und die Pharmalobby den Parteitag der CDU, dann handelt es sich im
Grunde um eine Spende, die jedoch nicht im Rechenschaftsbericht auftaucht.
(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak ({8}) - Jan Korte ({9}): Ja, das
stimmt!
Das wiederum ist ein Problem mangelnder Transparenz.
Die Grünen fordern, über das Verhältnis von Leistung
und Gegenleistung nachzudenken. Wenn Parteien große
Summen erhalten und dafür nur kleine Werbetafeln aufRaju Sharma
stellen, dann wird das alles sehr fragwürdig. Ich mag darüber gar nicht nachdenken. Konsequenter wäre es,
wenn wir sagen würden: Wir verbieten auch das Parteiensponsoring. Stimmen Sie doch unserem Antrag in dem
Punkt zu.
({10})
Noch ein Wort in eigener Sache. Ja, die Linke will
Unternehmensspenden verbieten; das ist richtig. Aber
das heißt nicht, dass wir kein Geld wollen. Nur setzen
wir nicht auf Unternehmen; wir setzen auf die Spenden
unserer Mitglieder und Sympathisanten.
({11})
Statt um 5 Großspenden über 150 000 Euro werben wir
um 150 000 Spenden à 5 Euro; da kann jeder mitmachen. Unser Spendenkonto ist Tag und Nacht geöffnet,
aber unsere Politik ist nicht käuflich.
Als Bundesschatzmeister meiner Partei darf ich Ihnen
jetzt ein allerletztes Angebot machen: Lassen Sie uns
doch hier und heute die Vereinbarung treffen, dass wir
alle ab heute bis zur Bundestagswahl keine Unternehmensspenden annehmen und unsere Parteitage nicht
mehr sponsern lassen. Wir sind dabei. - Sind Sie es
auch?
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11877 und 17/9063 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Februar 2013, 13 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Unternehmungen bis dahin.
Die Sitzung ist geschlossen.