Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/10/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Ganz besonders herzlich begrüße ich den Kollegen Leo Dautzenberg, der vor wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag gefeiert hat und dem ich im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln möchte. ({0}) Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, ist noch eine Wahl zum Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchzuführen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, den Kollegen Klaus Brähmig als Nachfolger des ehemaligen Abgeordneten JochenKonrad Fromme als ordentliches Mitglied zu wählen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, den Kollegen Dr. Wolfgang Thierse als Nachfolger des früheren Abgeordneten Steffen Reiche als stellvertretendes Mitglied zu wählen. Sind Sie damit jeweils einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Kollegen Brähmig und Thierse als Mitglied bzw. als stellvertretendes Mitglied in diesen Stiftungsrat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Was folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen bei Hartz IV? ({1}) ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({2}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({3}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 17/654 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rettungsschirm für die Kommunen vor dem Hintergrund von Haushaltslage und schwarzgelben Steuersenkungsplänen ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({6}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gewährleistung der Sicherheit im Schienenverkehr muss Priorität haben - Drucksache 17/655 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer AbRedetext Präsident Dr. Norbert Lammert geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen - Versorgung von Entwicklungsländern mit Generika sichern - Drucksache 17/448 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({8}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({9}) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung der Bundesregierung Grünbuch Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat - Drucksachen 17/504 Nr. A 15, 17/660 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({11}) Dr. Eva Högl Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag b) Beratung des Antrags der Bundesregierung Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung - Drucksache 17/600 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften - Drucksache 17/506 überwiesen: Finanzausschuss ({12}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Marieluise Beck ({13}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rückschiebungen nach Griechenland sofort aussetzen - Drucksache 17/449 überwiesen: Innenausschuss ({14}) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Darf ich auch dazu Ihr Einvernehmen feststellen? Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Schließlich darf ich Sie davon unterrichten, dass der Kollege Oskar Lafontaine auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag mit Wirkung vom 1. Februar dieses Jahres verzichtet hat ({15}) und dass an seiner Stelle Frau Yvonne Ploetz die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat, die ich mit allen guten Wünschen für die Zusammenarbeit hier im Hause herzlich begrüße. ({16}) Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 3 Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen Auf dem Weg zur Übergabe in Verantwortung: Das deutsche Afghanistan-Engagement nach der Londoner Konferenz ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({17}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({18}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 ({19}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 17/654 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({20}) Innenausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. ({21})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die verheerenden Anschläge des 11. September im Jahre 2001 waren nicht allein ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika; sie waren ein Angriff auf die Grundlagen und die freiheitlichen Werte der Völkergemeinschaft. Die internationale Gemeinschaft hat mit beispielloser Geschlossenheit auf diese Herausforderung reagiert. Auch Deutschland folgte dem Aufruf des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der die Situation in Afghanistan als Bedrohung für den Weltfrieden einstufte. Heute beteiligen sich mehr als 40 Nationen unter dem Mandat der Vereinten Nationen am Einsatz in Afghanistan. Wie die internationale Gemeinschaft hat auch Deutschland in der Frage, ob wir dort, in Afghanistan, Verantwortung übernehmen, Geschlossenheit bewiesen. Es war die Regierung von Gerhard Schröder und Joseph Fischer, die die Bundeswehr erstmals nach Afghanistan entsandte. Die Regierung von Angela Merkel und FrankWalter Steinmeier hat diesen Einsatz fortgeführt. Heute bitte ich Sie für die amtierende Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an dem NATO-geführten Einsatz in Afghanistan. Dieser Einsatz im Rahmen von ISAF dient vor allem dem Ziel, unsere eigene Sicherheit zu schützen. Afghanistan darf nie wieder Rückzugsort des Terrors werden. Wir sind aber auch dort, um unserer mitmenschlichen Verpflichtung nachzukommen. Millionen Frauen und Männer setzen ihre Hoffnungen in uns. ({0}) In den acht Jahren unseres Engagements in Afghanistan haben wir einiges erreicht. Wir haben dazu beigetragen, dass die Menschen in Afghanistan Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir haben dazu beigetragen, dass neue Schulen gebaut worden sind. Heute können in Afghanistan 7 Millionen Kinder regelmäßig unterrichtet werden, fünfmal mehr als zu Zeiten der Schreckensherrschaft der Taliban. Mit Wassertanks, Saatgut und Bewässerungsprojekten haben wir dazu beigetragen, dass über 250 000 Haushalte in Nordafghanistan die Chance haben, in der Landwirtschaft eine Lebensperspektive zu finden. Nicht zuletzt haben die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes geleistet. Das sieht auch die übergroße Mehrheit der afghanischen Bevölkerung so. Meine Damen und Herren, eine ehrliche Bestandsaufnahme ergibt aber eine gemischte Bilanz unserer bisherigen Anstrengungen. Im letzten Jahr hat sich die Sicherheitslage erneut verschlechtert. Afghanistan versorgt noch immer rund 90 Prozent des Weltmarktes mit Opium. Längst nicht alles in Afghanistan ist heute so, wie wir es uns vor acht Jahren erhofft hatten. Deshalb hat Frank-Walter Steinmeier recht, wenn er sagt, ein einfaches Weiter-so werde nicht reichen, um Afghanistan dauerhaft zu stabilisieren. Diese Bundesregierung hat deshalb von Beginn an für einen Neuanfang in Afghanistan gearbeitet. Das ist keine Kritik an denen, die vor uns Verantwortung für das deutsche Engagement getragen haben. Es ist die notwendige Konsequenz aus den Lehren der letzten Jahre. Die Londoner Konferenz ist ein Neuanfang. Fast 70 Staaten haben in London gemeinsam mit der Regierung von Präsident Karzai einen Strategiewechsel beschlossen. ({1}) Der besondere Erfolg von London liegt in der gegenseitigen Verpflichtung Afghanistans auf der einen und der internationalen Gemeinschaft auf der anderen Seite. Für London hat die afghanische Regierung erstmals ganz konkret und überprüfbar dargelegt, wie sie ihre Ziele - bessere Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Reduzierung des Drogenanbaus - erreichen will. Im Gegenzug hat sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, ihre Anstrengungen zu erhöhen, damit die Afghanen ihre selbstgesteckten Ziele auch in einem überschaubaren Zeitraum erreichen können. Dazu werden wir den Wiederaufbau Afghanistans verstärken, die Wirtschaft beleben und die innere Aussöhnung voranbringen. Wir waren uns in London außerdem einig, dass wir den Aufbau selbsttragender Sicherheitsstrukturen rascher vorantreiben müssen, um uns eine realistische Abzugsperspektive zu erarbeiten. Damit gilt auch international, was wir uns für unser deutsches Engagement vorgenommen haben: Wir wollen die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung. Ein einfaches Weiter-so ist keine Alternative. Ein einfaches Weggehen und Wegsehen ist es auch nicht. ({2}) Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, die Beschlüsse von London in die Tat umzusetzen. Den deutschen Beitrag hierfür hat die Bundeskanzlerin vor zwei Wochen vor diesem Hohen Haus vorgestellt. Afghanistan braucht die innere Aussöhnung. Das ist zunächst Aufgabe der Afghanen selbst. Die internationale Gemeinschaft unterstützt sie mit einem Reintegrationsfonds. Deutschland hat während der Konferenz in Aussicht gestellt, in diesen Fonds jährlich bis zu 10 Millionen Euro einzuzahlen. Es geht darum, diejenigen anzusprechen, deren Gefolgschaft die Macht der Taliban und der Terroristen erst ausmacht. Wir wollen die Mitläufer von dem harten terroristischen und fundamentalistischen Kern trennen. Diese Mitläufer sind junge Männer ohne Perspektive, die meist weder lesen noch schreiben können, die für ein paar Dollar bereit sind, zur Waffe zu greifen. Diesen Menschen wollen wir friedliche Alternativen des Broterwerbs in ihren Dörfern eröffnen. Das Programm ist also im Kern ein Ausbildungs- und Beschäftigungspaket. ({3}) Bei der Umsetzung dieses Programms und der Verwendung der entsprechenden Gelder werden die afghanische Regierung und die internationale Staatengemeinschaft eng zusammenwirken. Noch in diesem Frühjahr wird eine Konferenz in Kabul über das weitere Vorgehen beschließen. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau im Norden verstärken und hat sich dafür konkrete, nachprüfbare Ziele gesetzt: Wir werden die Programme zur ländlichen Entwicklung ausweiten, damit bis 2013 3 Millionen Afghaninnen und Afghanen Arbeit und Einkommen haben. Wir werden unsere Anstrengungen für die Gesundheitsversorgung erheblich ausweiten. In allen vier Provinzen, die im deutschen Verantwortungsbereich liegen, werden wir Krankenhäuser aufbauen und besser ausstatten. Wir werden die Verkehrsinfrastruktur verbessern und so die Basis für wirtschaftliches Wachstum und mehr Sicherheit legen. Zusätzliche 700 Kilometer ganzjährig nutzbare Straßen sollen ländliche Gebiete erschließen und sie mit den Städten und Märkten ihrer Distrikte verbinden. Wir werden mehr Lehrerinnen und Lehrer ausbilden und Schulen bauen, damit weitere 500 000 Kinder unterrichtet werden. Mittlerweile sind ein Drittel der Schulkinder Mädchen. ({4}) Insgesamt will die Bundesregierung die zivilen Mittel für Afghanistan verdoppeln. Ausdrücklich danke ich Bundesminister Niebel, der sich für den zivilen Aufbau besonders engagiert. ({5}) Selbsttragende Sicherheitsstrukturen sind die Voraussetzung für eine Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten. Darum tun wir in Zukunft deutlich mehr für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Zwischen Afghanen und internationaler Gemeinschaft ist eine Zielgröße von 300 000 afghanischen Sicherheitskräften vereinbart. Dies ist nötig, damit Präsident Karzai sein Ziel erreichen kann, bis zum Jahr 2014 die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan vollständig zu übernehmen. Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren jährlich rund 5 000 afghanische Polizisten aus- und fortzubilden. Dafür wollen wir die Zahl unserer Polizeitrainer auf insgesamt 260 erhöhen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Abstimmung mit den Bundesländern unser Ziel erreichen, diesen Aufwuchs schon bis Mitte des Jahres abzuschließen. Ausdrücklich danke ich Bundesminister de Maizière und den Bundesländern für diesen wichtigen Beitrag. ({6}) Deutschland wird den Schwerpunkt seines militärischen Engagements noch stärker auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte legen. Dies erreichen wir vor allem durch eine Umschichtung im bestehenden Kontingent. Obwohl wir bereits heute 4 500 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan haben, sind nur 280 mit der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte betraut. Jetzt stocken wir das Mandat lediglich um 500 weitere Soldaten auf, vergrößern aber die Ausbildungs- und Schutzkomponente auf 1 400 Männer und Frauen. ({7}) Ergänzend beantragt die Bundesregierung, eine flexible Reserve von 350 weiteren Soldaten zu schaffen. Damit wollen wir sicherstellen, auch in Sondersituationen angemessen reagieren zu können. Schon jetzt ist absehbar, dass während der Wahlen im September für eine vorübergehende Zeit mehr Kräfte Sicherungsaufgaben übernehmen müssen. Auf diese Fälle wollen wir vorbereitet sein. Das gebietet auch unsere Verantwortung gegenüber den Frauen und Männern in Uniform. Einsätze dieser Reserve werden stets zeitlich befristet sein und erst nach Befassung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses erfolgen. Diese Neumandatierung ist ein Teil des in London beschlossenen breiten politischen Ansatzes für eine Übergabe der Verantwortung. Ich danke ausdrücklich Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Neufassung des Mandates. ({8}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die Übergabe der Verantwortung in den kommenden Jahren schaffen will, der muss heute seine Anstrengungen verstärken. Wir tun heute mehr, um uns eine klare Abzugsperspektive zu erarbeiten: Anfang nächsten Jahres wollen wir in Abstimmung mit der afghanischen Regierung und unseren internationalen Partnern damit beginnen, regional die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen zu übergeben. Ende des Jahres 2011 wollen wir so weit sein, unser eigenes Bundeswehrkontingent reduzieren zu können. Im Jahr 2014 wollen wir Präsident Karzais Zielmarke erreichen, dass die Afghanen die Verantwortung für ihre Sicherheit im ganzen Land selbst übernehmen. ({9}) Das ist eine realistische Perspektive, auf die wir hinarbeiten wollen und werden. Aber es ist kein konkretes Abzugsdatum. Ein solches zu nennen, wäre eine Ermutigung der Terroristen, also ein Fehler. ({10}) Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört auch, die Realitäten in Afghanistan so zu benennen, wie sie sind. ({11}) Die Bundesregierung hat sehr sorgfältig die Frage geprüft, wie die Lage im Norden Afghanistans zu bewerten ist. Die Intensität der mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzung mit Aufständischen und deren miliBundesminister Dr. Guido Westerwelle tärischer Organisation führt uns zu der Bewertung, die Einsatzsituation von ISAF auch im Norden Afghanistans als bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren. Ob uns das politisch gefällt oder nicht, so ist die Lage. Ob wir es so nennen oder nicht, so ist die Lage. Die Lage beim Namen zu nennen, sind wir all denen schuldig, die sich vor Ort den Gefahren aussetzen. ({12}) Diese rechtliche Qualifizierung der objektiven Einsatzsituation von ISAF hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht. Sie hat keine Auswirkungen auf das Mandat, für das wir um Zustimmung bitten. Sie hat auch keine Auswirkungen auf den Einsatz unserer Polizisten. Unsere Polizisten wurden und werden ausschließlich im Norden Afghanistans und ausschließlich zu Ausbildungszwecken eingesetzt. Für ihren Einsatz ist entscheidend, dass wir ihn angesichts der tatsächlichen Sicherheitslage verantworten können. Fürsorge hat höchste Priorität. Unsere Polizisten arbeiten nur dort, wo die Bundeswehr für Sicherheit eintritt. Darauf haben wir uns auch mit den Ländern einvernehmlich verständigt. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat vor der Londoner Konferenz ein umfassendes Konzept für Afghanistan vorgelegt. Die Kernelemente unseres Konzepts finden sich in den Ergebnissen von London wieder. Wenn Sie unvoreingenommen prüfen, was wir in London erreicht haben, werden Sie vieles wiedererkennen, was auf Anregungen und kritische Fragen aus diesem Hohen Haus zurückgeht. Die enge Einbindung des Parlamentes ist mir sehr wichtig. Die Ergebnisse der Konferenz sind nicht nur ein Erfolg der Teilnehmerstaaten, sie sind gewiss nicht nur ein Erfolg der Bundesregierung; es handelt sich um einen Erfolg für alle, die in diesem Hause zur Neuausrichtung unseres Engagements beigetragen haben, aus allen Fraktionen. Es ist also auch Ihr Erfolg. Ich bitte Sie daher, dass Sie der Versuchung widerstehen, das Notwendige und Richtige zu unterlassen. Das wäre der Größe unserer Aufgabe und auch der Ernsthaftigkeit unseres Engagements nicht angemessen. Lassen Sie mich zum Abschluss den mutigen Männern und Frauen danken, die in Afghanistan sich auch von hohen Risiken nicht schrecken lassen und mit großem Einsatz tätig sind. Den zivilen Aufbauhelfern, den Polizisten aus Bund und Ländern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und den tapferen Frauen und Männern der Bundeswehr gebührt unser aller Respekt. ({13}) Ihnen und ihren Familien möchte ich von Herzen danken. Sie verdienen das Vertrauen der Bundesregierung und des ganzen Bundestages. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auslandseinsätze der Bundeswehr waren hier im Parlament nie ein Selbstläufer, erst recht nicht der in Afghanistan und erst recht nicht nach den Einsätzen am Kunduz-Fluss. Wir müssen verstehen, begreifen und ernst nehmen, dass sich die öffentliche Diskussion in Deutschland zugespitzt hat, dass die Fragen kritischer werden - „Wie soll es in Afghanistan weitergehen?“ und dass sich die Politik ihrer Verantwortung nicht entziehen darf und stattdessen diese Fragen beantworten muss. Wenn wir junge Menschen in einen schwierigen Einsatz wie den in Afghanistan schicken, dann müssen wir uns für solche Entscheidungen auch vor der deutschen Öffentlichkeit rechtfertigen. Deshalb sage ich: Was wir in den letzten acht Jahren in Afghanistan geschafft haben, ist viel, aber es ist nicht genug. Das Hauptziel mag erreicht sein - Herr Westerwelle, da haben Sie recht -: Afghanistan ist heute, jedenfalls nach meiner Bewertung, kein sicherer Hafen mehr für internationalen Terrorismus. Auch beim politischen und erst recht beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes sind wir durchaus vorangekommen. Die Erfolge, die es zu verzeichnen gilt - Sie haben sie zum Teil genannt -, sind aber alles andere als gesichert. Ganz im Gegenteil: Wenn die internationale Staatengemeinschaft sofort und kopflos aus Afghanistan herausgehen würde, dann würde dieses schwierige Land - da bin ich mir wie viele in diesem Hohen Hause sicher - in kurzer Zeit wieder im Bürgerkrieg versinken. Käme es so, dann würden wir hier nicht über das Ansehen von internationalen Organisationen der Staatengemeinschaft, seien es UNO, NATO oder andere, reden. Es geht hier nicht um Gesichtswahrung - mir jedenfalls ging es nie darum -, sondern um die Menschen in Afghanistan. Ein sofortiger und kopfloser Abzug, wie ihn manche fordern, wäre eine Katastrophe für diese Menschen. Auch das muss uns klar sein. ({0}) Ich weiß, dass viele in Deutschland am Sinn dieses Einsatzes zweifeln. ({1}) Ich habe erfahren, dass dieser Einsatz noch schwieriger ist, als wir ihn uns 2001 vorgestellt haben. Aber gerade deshalb bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht zu einfach machen dürfen. Wir haben mit der Entscheidung 2001 und den Folgeentscheidungen Verantwortung für uns selbst und vor allen Dingen für Afghanistan übernommen. Wir haben Erwartungen geschaffen, und wir haben auch Fehler gemacht. Zu den Fehlern gehört nach meiner Meinung, dass wir mit Blick auf den politischen Wiederaufbau in Afghanistan die Ziele am Anfang vielleicht zu hoch gesteckt haben. Sie kennen meinen Satz, dass wir nicht damit rechnen können, dass sich Afghanistan nach dem Muster einer Westminister-Demokratie entwickeln wird. Zu den Fehlern, die gemacht wurden, gehört aus meiner Sicht auch, dass wir uns am Anfang vielleicht nicht genügend auf Afghanistan konzentriert haben. Das gilt jedenfalls für einige, insbesondere für diejenigen, die alle Kräfte und ihre ganze Konzentration viel zu lange auf den Irak und die Suche nach politischen Lösungen im Irak konzentriert und Afghanistan immer nur als ein Sicherheitsproblem behandelt haben, das man möglicherweise mit Waffengewalt bekämpfen kann. Das war eine Unterschätzung der Probleme in Afghanistan und hat andere Verbündete, die mit einer anderen Philosophie an die Lösung dieser Probleme herangegangen sind, überfordert. Ja, es hat falsche Prioritäten gegeben. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir andere davon überzeugt haben, dass wir dem zivilen Wiederaufbau und dem Schutz der Zivilbevölkerung in Afghanistan oberste Priorität einräumen müssen. Aus dieser Bilanz - zu der auch die Erfolge gehören, über die Herr Westerwelle eben berichtet hat - müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen. Die richtigen Konsequenzen ziehen, das heißt aus meiner Sicht, dass dies kein Einsatz für die Ewigkeit sein kann. Wir sind mittlerweile acht Jahre dort. Wir müssen auf der letzten Wegstrecke - ich würde sagen: im letzten Drittel unseres Einsatzes - versuchen, den Erfolg nachhaltig zu sichern. Das heißt, realistische Ziele setzen, mehr Engagement beim zivilen Aufbau und vor allen Dingen mehr Tempo. Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht - wir reden heute nicht nur über dieses Mandat - eine klare Perspektive für die Beendigung unseres Einsatzes dort, jedenfalls des militärischen Teils. Das ist die Aufgabe der Stunde. Es ist nicht nur die Aufgabe der Regierung, sondern auch des Parlaments, dafür zu sorgen, dass das funktioniert. ({2}) Wir Sozialdemokraten haben diesen Einsatz in Regierungsverantwortung beschlossen. Wir haben ihn mit unterschiedlichen Koalitionspartnern mitgetragen. Wir haben ihn über Jahre hinweg gestaltet, und wir stehen zu dieser Verantwortung. Weil wir dazu stehen, haben wir uns in die öffentliche Debatte eingemischt, auch aus der Opposition heraus. Wir haben mit der Bevölkerung diskutiert, wir haben öffentliche Debatten geführt, wir haben Konferenzen veranstaltet, und wir haben uns mit Vorschlägen nicht zurückgehalten. Wenn ich das richtig bilanziere, dann hat sich die Bundesregierung lange zurückgehalten. Wenn ich richtig informiert bin, hat sie bis zwei Tage vor der Londoner Konferenz nichts geliefert. Das war fahrlässig. Die Bundesregierung hat - das zeigt das vorliegende Mandat - auf Vorarbeiten auch aus unserer Feder zurückgegriffen, indem sie Elemente unserer Vorschläge aufgegriffen hat. Das ist gut und richtig. ({3}) Lassen Sie mich einige unserer Forderungen nennen: Erstens. Wir haben die Regierung aufgefordert, die Anstrengung beim zivilen Aufbau erheblich zu verstärken. Wir haben eine Verdoppelung der Mittel für den zivilen Wiederaufbau gefordert. Die Bundesregierung hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht. Das ist gut. Zweitens. Wir haben verlangt, die Ausbildung und die Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte zu intensivieren. Auch hier hat sich die Bundesregierung - wenn ich das richtig gelesen habe - in die richtige Richtung bewegt. Schon in der Großen Koalition haben wir uns darauf verständigt, insbesondere die Zahl der Polizeiausbilder zu erhöhen. Herr de Maizière, Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie das in die richtige Richtung entwickeln und zügig umsetzen. Wir begrüßen auch die Erhöhung der Zahl der Ausbilder für die afghanische Armee. Es ist richtig, dafür das Kontingent der Bundeswehr in der gegebenen Größenordnung entsprechend umzustrukturieren. Mir ist bei der Lektüre des Mandates aufgefallen, dass nicht mehr die Rede davon ist, das Kontingent um 2 500 Soldaten aufzustocken, wie noch vor Weihnachten öffentlich diskutiert worden ist. In der Begründung des Mandats ist auch kein Plädoyer für zusätzliche Kampftruppen enthalten. Aber Herr Westerwelle, ich warne vor Tricks. Wenn Sie versuchen, die im Mandat angemeldete Reserve für eine dauerhafte Erhöhung des Kontingents zu nutzen, dann gefährden Sie selbst die Zustimmung zum vorliegenden Mandat. Sie haben in der Unterrichtung gesagt - auch die Bundeskanzlerin hat das ausgeführt -: Die Reserve brauchen wir für vorübergehenden Bedarf, zum Beispiel zum Kontingentwechsel, für zeitlich befristete, zusätzliche Einsätze. Zu diesen Einsätzen soll es - ich betone das - nur nach Befassung des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses kommen. Das Thema Reserve ist noch nicht durch. Unterschätzen Sie das nicht. Sie haben in den Ausschüssen noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. ({4}) Sie haben dort zu dokumentieren, dass Sie es mit dem, was ich eben referiert habe, ernst meinen. An dieser Stelle passt ein Satz zu Ihren Ausführungen in der Regierungserklärung, was die Qualifizierung unseres Einsatzes in Afghanistan angeht. Das steht nicht im Mandat, sondern war nur Teil Ihrer Regierungserklärung. Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig nicht darüber belehren, wie die Lage in Afghanistan ist. Die unterschätzt hier im Hause niemand. Wir sind aber auch der Meinung, dass wir nicht durch Eigenbewertungen zur Eskalation der Lage in Afghanistan beitragen sollten. Ob die Lage in Afghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt ist, das ist in der Tat - das bestreitet hier im Hause überhaupt niemand; ich jedenfalls nicht eine Frage von großem rechtlichen Gewicht. Aber es liegt eben nicht in der Hand der Bundesregierung, einen solchen Konflikt festzustellen. ({5}) Herr Westerwelle, wenn ich Ausführungen, die aus dem Hause Ihres Kollegen zu Guttenberg stammen, zitieren darf: Er hat auf die Frage des Kollegen Arnold geantwortet: Ob in Nordafghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt anzunehmen ist, steht nicht in der Entscheidungskompetenz der Bundesregierung. Ich nehme an, das ist nach wie vor die Auffassung der Bundesregierung. Ich nehme an, dass Sie sich bei dieser Frage nicht schon wieder korrigieren wollen. ({6}) Zurück zum Mandat. Das dritte unverzichtbare Element ist aus meiner Sicht: Wir müssen jetzt beginnen, nach und nach Teile der Nordregion in afghanische Hände zu übergeben. Teile des Nordens sind nach wie vor ruhig und stabil. Dort können und müssen aus meiner Sicht die Afghanen jetzt selbst für Sicherheit sorgen. Ich selbst habe schon vor einem halben Jahr - das wissen Sie - im Zehn-Punkte-Papier dafür plädiert, solche Regionen in afghanische Hände zu übergeben. Es hat ein bisschen gedauert, aber es ist gut, dass diese Position jetzt auch im Papier der Bundesregierung eingenommen wird. Wir brauchen viertens - jetzt kommen wir zu den wesentlichen Dingen - eine klare Perspektive für den Beginn des Rückzugs aus Afghanistan. ({7}) Präsident Obama - Sie wissen das - will seine Truppen ab 2011 reduzieren. Die SPD will den Rückzug der Bundeswehr ebenfalls 2011 beginnen lassen. Ich habe festgestellt, dass die Bundesregierung diesen Vorschlag in ihr Konzept, in den Mandatsentwurf übernommen hat. Das ist gut. Wir werden Sie beim Wort nehmen. Der nächste Mandatsentwurf der Bundesregierung wird die Übergabe der Verantwortung in den Teilregionen ebenso wie die ersten Schritte eines beginnenden Rückzugs ab 2011 definieren und beschreiben müssen. Das wird in dem nächsten Mandat konkret enthalten sein müssen. Wir gehen in der SPD einen Schritt weiter. Wir sind fünftens der Meinung: Wenn die internationale Staatengemeinschaft erstens, wie gerade in London geschehen, einen verbindlichen Zeitplan und Obergrenzen für Armee und Polizei festschreibt und die für die Ausbildung notwendigen Kräfte bereitgestellt werden, wenn zweitens die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände tatsächlich beginnt und wenn drittens Herr Karzai es sich selbst zum Ziel setzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre die Sicherheitsverantwortung in die eigene Hand zu nehmen, dann ist es in der Tat Zeit, nicht nur über den Beginn des Rückzugs zu reden, sondern auch das Ende unseres Einsatzes in Afghanistan in den Blick zu nehmen. Sie wissen, aus Sicht der SPD sollte das in dem Zeitraum zwischen 2013 und 2015 stattfinden. Entgegen manchen Behauptungen, Herr Westerwelle, ist das natürlich kein willkürlich gewählter Zeitraum. Dieser Zeitraum orientiert sich an den Zielen der internationalen Staatengemeinschaft, und er orientiert sich an den selbstgesetzten Zielen der afghanischen Führung. Sie selbst haben diese Ziele für Afghanistan gerade noch einmal bestätigt. Deshalb sage ich Ihnen: Das ist keineswegs willkürlich, sondern wir haben dieses Zeitfenster für den Abzug, diesen Korridor gewählt, weil wir das in vielerlei Hinsicht für sinnvoll und richtig halten. Wir setzen uns selbst, aber vor allen Dingen die afghanische Führung unter Druck. Wir verhindern, dass unter den NATO-Partnern, unter den in Afghanistan engagierten Staaten, ein Wettlauf um frühestmögliche Zeitpunkte für den Abzug einsetzt. Wir leisten auch einen Beitrag dazu - unterschätzen Sie das nicht -, dass die Akzeptanz für den Einsatz nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen europäischen Nachbarstaaten erhalten bleibt. Wir alle waren auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Ich habe dort mit vielen meiner ehemaligen, Ihren heutigen Kollegen, Herr Westerwelle, gesprochen. Wenn ich nicht ganz falsch liege, dann gibt es in vielen europäischen Staaten durchaus einen dankbaren Blick darauf, dass wir in Deutschland die Abzugsperspektive 2014/ 2015 in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Denn diese wird jetzt nach und nach auch in den anderen Mitgliedstaaten in Europa übernommen. ({8}) Wir haben registriert, dass Sie die Abzugsperspektive 2014 in den Blick genommen haben, allerdings nur in der Formulierung: Wir wollen die afghanische Regierung bei der Erreichung dieses Ziels unterstützen. Konkreter wollten Sie nicht werden. Aber wenn ich jetzt einmal die anfängliche - entweder echte oder gespielte Empörung darüber, dass wir einen Abzugskorridor überhaupt in die Diskussion gebracht haben, mit den jetzigen Erklärungen vergleiche, dann bin ich mir sicher, dass Sie sich auch in diesem Punkte nach und nach unseren Positionen annähern werden. Präsident Obama hat Afghanistan endlich den richtigen Stellenwert eingeräumt. Die afghanische Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Offenbar spürt man auch in Afghanistan, dass man nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte angewiesen sein kann. Ich bin mir sicher: Auch in den anderen NATO-Staaten wird die Entschlossenheit wachsen, jetzt den Perspektivenwechsel zu schaffen und die Vorbereitung für eine Beendigung unseres militärischen Einsatzes in Afghanistan zu treffen, natürlich nicht ohne Verantwortung und natürlich nicht mit dem Risiko, dass dort alles wieder zusammenbricht. Ich bin der Meinung: Wir müssen dieses Momentum für Afghanistan, für die Menschen dort, aber auch mit Blick auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan nutzen. Sie haben nicht nur unseren Dank verdient, sondern auch unsere ganze Unterstützung. Das will auch ich gerne für die SPD-Fraktion sagen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Steinmeier.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur noch einen Satz, Herr Präsident. Gerade mit Blick auf die eben angesprochenen Soldaten lautet dieser letzte Satz: Vertrauen Sie darauf, wir sehen das sehr richtig: Nicht die Soldaten haben die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes in den letzten Monaten beschädigt, sondern, wenn überhaupt, dann waren es ein Hin und Her bei der Bewertung einzelner Einsatzfragen, insbesondere des Einsatzes am Kunduz-Fluss, und die ungeklärten Hintergründe um die Entlassung von Führungspersonen im Verteidigungsministerium. Das hat Glaubwürdigkeit bei dem Einsatz gekostet, nicht das Tun der Soldaten selbst. ({0}) Vertrauen Sie darauf: Die SPD-Fraktion wird den Antrag, den Sie vorgelegt haben, gründlich und verantwortungsvoll prüfen und anschließend bewerten. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche Engagement in Afghanistan bedeutet eine tiefe Zäsur in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Der Einsatz bedeutet ein völliges Umdenken unseres außenpolitischen Handelns. Er ist gefährlich und teuer. Er ist unpopulär und daher anfällig für Populisten. Aber er ist ohne verantwortbare Alternative. ({0}) Wir engagieren uns in Afghanistan natürlich auch, um die Menschen dort vor einem Rückfall in Bürgerkrieg, Schreckensherrschaft oder eine beispiellose Diskriminierung der Frauen zu bewahren. Aber wir sind - nach dem 11. September 2001, nach den Anschlägen von London, Madrid und Bali und mit einem ausdrücklichen UN-Mandat - auch in Afghanistan engagiert, um Leib und Leben unserer eigenen Bürger zu schützen. Wie groß die Gefahr des Terrorismus auch bei uns im eigenen Land ist, zeigt der aktuelle Prozess gegen die Sauerland-Gruppe. Es geht konkret darum, auch bei uns, in unseren Hauptbahnhöfen Massaker mit sterbenden Menschen, mit sterbenden Frauen und Kindern zu verhindern. Wir haben uns den Einsatzort Afghanistan nicht ausgesucht; aber wir müssen auch dort, wo die Bedrohung entsteht, agieren, um unsere Bürger hier zu schützen. Es geht auch um die Verhinderung eines Flächenbrandes von Radikalismus und Terrorismus in einer explosiven Region. Deswegen sind unsere Soldaten, unsere Entwicklungsexperten und unsere Polizisten in Afghanistan. Deswegen benötigen sie den Rückhalt des Parlaments, der Politik und der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, derentwegen sie sich in Gefahr begeben. Sie brauchen auch die Rückendeckung der deutschen Justiz. Das, was Sie, Herr Außenminister, dazu gesagt haben, ist extrem hilfreich. Deutschland hat seit 2001 an führender Stelle Verantwortung übernommen. In Afghanistan ist tatsächlich vieles besser geworden. Präsident Karzai hatte recht, als er auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, dass Afghanistan heute ein völlig anderes Gesicht hat als 2001. Damals gab es außer Armut und Chaos nichts mehr. Es gab keinen Staat. Es gab keine Schulen, schon gar nicht für Mädchen. Es gab keine Gesundheitsversorgung, fast keine Infrastruktur und natürlich auch keine freie Meinungsäußerung. Heute gibt es in Afghanistan demokratisch gewählte Institutionen und eine gute demokratische Verfassung. Heute gehen dort 12 Millionen Kinder zur Schule. Es gibt 15 000 Studenten. 80 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu medizinischer Basisversorgung. Es wurden 14 000 Kilometer Straße gebaut. Das Pro-KopfEinkommen hat sich verdreifacht. Es gibt immerhin 80 Radio- und Fernsehstationen, viele davon privat. Wir können sagen, dass Deutschland und der deutsche Steuerzahler daran maßgeblich mitgewirkt haben. Der Bundeswehr ist es gelungen, auch durch einen behutsamen und freundschaftlichen Umgang mit der Bevölkerung, den Norden zu einer relativ stabilen Region zu machen. Für diese Erfolge haben auch deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer ihr Leben verloren. Sie haben es verdient, dass wir diese Erfolge nicht geringschätzen. Keiner von uns verschließt jedoch die Augen vor den Fehlern dieses internationalen Einsatzes, auch nicht vor den eigenen Fehlern und den daraus resultierenden Gefahren, vor den kriegsähnlichen Zuständen in manchen Landesteilen, vor den zivilen Opfern und der damit einhergehenden Vergiftung der Atmosphäre, vor der gewachsenen Korruption, vor der mangelnden Koordination der Aufbauhilfe und der militärischen Strategien der Verbündeten, vor der eigenen Halbherzigkeit oder der Naivität, mit der wir vielfach die gewaltigen kulturellen Unterschiede und widersprüchlichen Interessen übersehen haben. Die Afghanistan-Konferenz in London hat die Weichen für eine notwendige Neuorientierung des internationalen Engagements gestellt. Herr Steinmeier, dabei spielen fast immer die Punkte, die die Union und auch der ganze Bundestag international wiederholt angemahnt haben, eine Rolle: die massive Verstärkung des zivilen Aufbauengagements, vor allem mit Blick auf die ländliche Bevölkerung und die Jugend, die bessere Koordination und Schwerpunktsetzung und die Stärkung der Eigenverantwortung der Afghanen durch einen gemeinsamen Koordinierungsrat und auf Grundlage einer natioDr. Christian Ruck nalen afghanischen Entwicklungsstrategie, das Drängen nach stärkerer Bekämpfung der Korruption mit unabhängigen Antikorruptionsbehörden, mit mehr Transparenz in Finanzfragen und mit einer besseren Kontrolle der Mittelvergabe durch die Geberländer und schließlich die massive Verbesserung und Verstärkung der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Meine Damen und Herren, der langfristige Erfolg in Afghanistan hängt entscheidend vom Erfolg des Konzepts der vernetzten Sicherheit ab. Im Prinzip ist dieser Gedanke im Rahmen des Einsatzes auf dem Balkan, auch im Kosovo, entstanden, wo wir übrigens mit 25-mal mehr Aufwand pro Kopf der Bevölkerung schon zehn Jahre lang engagiert sind. In Afghanistan ist die vernetzte Sicherheit überlebenswichtig für alle. Wir haben gesehen: Wo rund um die Uhr ausreichend Sicherheitskräfte vorhanden sind und alternative Produkte angebaut werden, kommen der Drogenanbau und mit ihm all die staatszersetzenden Auswirkungen zum Erliegen. ({1}) Eine Reintegration der Teilzeit-Taliban kann nur gelingen, wenn es für die im Prinzip Friedenswilligen ein Mindestmaß an ökonomischen Perspektiven gibt. Umgekehrt ist es eine Illusion, zu glauben, dass die Bereitschaft zur Abgabe von Waffen und zur Reintegration wächst, wenn wir in unseren militärischen und polizeilichen Anstrengungen nachlassen. Herr Steinmeier, ich bin nicht Ihrer Meinung, dass man ein konkretes Abzugsdatum verbindlich hier öffentlich nennen soll. Ich halte es da mit Außenminister Westerwelle: dass wir den Zeitpunkt, zu dem wir abgezogen sein werden, in der Öffentlichkeit niemals sagen dürfen, ja gar nicht sagen können. ({2}) Vernetzte Sicherheit ist nicht gegeben, wenn 85 Prozent der mühsam ausgebildeten Polizisten Analphabeten sind. Vernetzte Sicherheit haben wir auch nicht, wenn Entwicklungshelfer mancher Organisationen Kontakt mit Bundeswehrsoldaten oder anderen Sicherheitskräften ablehnen. Ein Gegeneinander ist das Gegenteil von vernetzter Sicherheit. Oder wie es

Jürgen Hardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11004050

Alle Organisationen der Entwicklungshilfe sollen die afghanische Regierung unterstützen und nicht gegen sie arbeiten. - Ich glaube, das kann man verlangen. Es gibt noch viel zu tun bei der vernetzten Sicherheit, auch im eigenen Land. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in der neuen, christlich-liberalen Regierung auch hier weiter vorankommen. Dies ist das Gebot der Stunde. Die Konferenz in London hat einen wichtigen Gedanken von uns aufgegriffen, nämlich die Berücksichtigung der regionalen Interdependenz, in der sich die Afghanistan-Mission befindet. Es geht vor allem um die Rolle Pakistans und um die komplizierte Beziehung Afghanistans zu seinen Nachbarn China und Indien. Auch in Pakistan sind politische und rechtsstaatliche Reformen sowie die Eröffnung ökonomischer Perspektiven für die einfache Bevölkerung zu lange versäumt worden. Dies ist eine Lehre, die wir als Deutsche und Europäer aus unseren Bemühungen um Afghanistan und bei der Bekämpfung des Terrorismus ziehen müssen: Wir müssen uns, auch wenn es schmerzlich ist, rechtzeitiger und entschlossener mit dem Ansatz der vernetzten Sicherheit um die international immer zahlreicher werdenden weißen Flecken von Anarchie, Rechtlosigkeit und Staatszerfall kümmern. Wir müssen das nationale und das internationale Instrumentarium für eine raschere, vor allem zivile Vorsorge gegen Staatszerfall schärfen. Dies ist vital im deutschen Interesse. Wir Deutsche haben uns nach dem Krieg einen guten Ruf als ehrlicher Makler erworben. Diese Stellung sollten wir stärker nützen. Wir haben auch in Afghanistan trotz aller Schwierigkeiten einen guten Ruf. Diesen guten Ruf wollen wir behalten. Wir sind als Freunde gekommen. Wir müssen so lange engagiert bleiben, bis wir auch als Freunde wieder gehen können. Das ist es, was mit Übergabe in Verantwortung gemeint ist. Wir stimmen der Verlängerung des Mandates zu. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war letzte Woche in Afghanistan. Ich muss sagen, diese Reise hat mich erschüttert. Wir haben mit afghanischen Politikern und Wissenschaftlern geredet, mit deutschen Aufbauhelfern, mit vielen Soldaten. Wir haben auch Opfer und Hinterbliebene von Opfern des Bombenangriffs von Kunduz getroffen. Eine Frau, die mehrere Angehörige verloren hatte, hat etwas gesagt, was mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: Wären wir nicht arm, hätten wir kein Benzin gebraucht. - Weil sie so arm sind, sind ihre Kinder und Enkelkinder losgezogen, um Benzin zu holen. Das erklärt vielleicht, was sich viele von uns gefragt haben: Warum waren nachts um 2 Uhr auf einer Sandbank mitten im Kunduz-Fluss so viele Zivilisten, die dann getötet worden sind? 26 Schüler mussten sterben, der jüngste von ihnen war gerade einmal zehn Jahre alt. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung den Hinterbliebenen Soforthilfe - Essen, Decken, Heizmaterial - gegeben hat. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir hier im Bundestag - über alle Parteigrenzen hinweg, jenseits der Frage, wer zum Krieg wie steht - der Opfer von Kunduz gedenken könnten. ({0}) Eine Botschaft, die uns die Hinterbliebenen mit auf den Weg gegeben haben, lautet, dass es ihnen sehr viel bedeuten würde, wenn es hier in Deutschland eine Gedenkveranstaltung geben würde. In Afghanistan habe ich gemerkt, dass die Diskussion dort eine völlig andere ist als hier im Raumschiff Berlin. Ein Beispiel ist die Frage der Versöhnung und der Wiedereingliederung. Sie, Herr Westerwelle, reden ausschließlich über die Frage der Wiedereingliederung der Taliban. Das ist im Prinzip richtig. Aber wo bleibt die Versöhnung? Wo bleiben die Verhandlungen? In Afghanistan ist es genau umgekehrt: Dort redet man ausschließlich über die laufenden Verhandlungen mit den Taliban; das ist auch gut so. Herr Westerwelle, wenn Sie diesen Krieg beenden wollen - ich glaube, Sie wollen ihn beenden -, dann tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, um diese Verhandlungen zu unterstützen, damit es endlich zu einem Frieden in Afghanistan kommt. ({1}) Ein zweites Beispiel, wo Ihr Wunschdenken und die Realität in Afghanistan völlig auseinandergehen, ist der zivile Wiederaufbau. Sie haben im Prinzip zwei Optionen. Die eine Option ist der reine zivile Wiederaufbau, die klassische Entwicklungshilfe. Ich habe in Kabul mit einem deutschen Entwicklungshelfer gesprochen. Er hat eine interessante Geschichte erzählt. Vor einigen Jahren ist er gebeten worden, in einer schwer umkämpften Provinz im Süden Afghanistans ein Aufbauprojekt durchzuführen. Von allen Seiten ist er gewarnt worden, dort hinzugehen, sie würden sonst „sofort vom Acker geschossen“. Der Aufbauhelfer ist den mühsamen Weg gegangen. Er hat sich mit afghanischen Experten auf den Weg gemacht und analysiert: Wer schießt in dieser Provinz auf wen? Wer hat in dieser Provinz, im Distrikt, im Dorf das Sagen? Mit diesem Wissen konnten sie mit den richtigen Leuten reden und mit ihnen das Projekt anfangen. Weil alle Seiten dabei waren und die Bedürfnisse von allen Seiten berücksichtigt worden sind, ist am Ende niemand vom Acker geschossen worden. Eine Bedingung für diesen Erfolg war auch, dass kein Militär mit auf den Acker gegangen ist. Das ist der zivile Aufbau. ({2}) Das andere Modell ist Ihre zivil-militärische Zusammenarbeit. Ich konnte in Kunduz mit eigenen Augen sehen, wie sie funktioniert. Da fährt eine Panzerkolonne mit mehreren Dutzend schwer bewaffneten Soldaten los, um einen oder zwei Aufbauhelfer ins nächste Dorf zu bringen. Sie fahren in die Provinz, werden beschossen, und dann gibt es Feuergefechte. Wenn die Taliban geflohen sind, dann kann man vielleicht mit den Dorfältesten sprechen. So befrieden Sie doch keinen einzigen Distrikt. So schaffen Sie keinen Frieden in der Fläche. ({3}) Hören Sie endlich auf, den zivilen Aufbau mit den militärischen Einsätzen zu verknüpfen. Gehen Sie endlich den intelligenten und mutigen Weg des rein zivilen Aufbaus. Lassen Sie das Militär außen vor! ({4}) Wir kommen damit zur entscheidenden Frage. Sie haben hier eben gesagt: Die zusätzlichen 850 Soldaten seien Teil einer Aufbau- und Schutztruppe. Das hört sich harmlos an, ist aber eine infame Täuschung. Sie wollen Kampftruppen in Form von 850 Soldaten dorthin schicken. ({5}) Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese „Schutztruppen“ aussehen: Das sind bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Das ist überhaupt kein Vorwurf an die Soldaten; denn sie werden natürlich beschossen und müssen kämpfen, wenn sie nach draußen gehen. Aber das sind keine Schutztruppen. Herr Westerwelle, hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeit in Deutschland über den Krieg in Afghanistan zu täuschen. Solange Sie uns hier täuschen, wird es weder in Afghanistan noch hier in Deutschland Frieden geben. ({6}) Ich sage den Abgeordneten der SPD ganz bewusst: Lassen Sie sich von der Rhetorik des Herrn Westerwelle nicht täuschen. Stimmen Sie keinem Mandat zu, mit dem 850 zusätzliche Soldaten in den Krieg geschickt werden. ({7}) Dieser Meinung ist im Übrigen auch der stellvertretende Vizepräsident des afghanischen Parlamentes, Amanullah Paiman. Er hat uns die Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wir wollen Frieden, und mehr Soldaten helfen dabei nicht. Je mehr Soldaten, desto mehr Probleme. Ich stimme Herrn Paiman zu. Deshalb wird die Linke heute Ihrem Antrag nicht zustimmen. ({8}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Wir wollen Frieden überall in der Welt. Mehr Waffen helfen dabei nicht, mehr Soldaten auch nicht. Ich danke Ihnen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Hellmut Königshaus ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Bundesaußenminister sehr herzlich dafür danken, ({0}) dass er die Situation in Afghanistan ohne Illusion und ohne Beschönigung klar beschrieben und die rechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, klargestellt hat. Nebenbei bemerkt, Herr Steinmeier, Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass es eine unterschiedliche Position gibt. Herr Dr. Westerwelle hat für die gesamte Bundesregierung gesprochen. ({1}) Das war früher vielleicht anders; aber heute ist das so, wie man weiß. Ich bin froh, dass die Soldaten nun eine wesentlich größere Klarheit haben. Natürlich weiß man nie, was Gerichte, Staatsanwaltschaften usw. daraus machen. Aber was die Bundesregierung tun kann, ist, eine eigene Bewertung abzugeben. Das hat sie getan; dafür gebührt ihr Dank. ({2}) Die Ergebnisse der Konferenz in London markieren einen Paradigmenwechsel in der Afghanistan-Politik, einen Paradigmenwechsel, der nicht nur unsere nationale Politik betrifft, sondern auch die unserer Partner. Denn noch deutlicher, als das bisher der Fall war, steht nun der Aufbau im Mittelpunkt des Engagements. Viel klarer, als das bisher der Fall war, orientiert er sich dabei auch an den traditionellen Wertvorstellungen und gewachsenen Strukturen der Afghanen selbst. Das war bisher nicht so. Deshalb ist die FDP-Fraktion der Bundesregierung wirklich sehr dankbar, dass sie auf diese Neuausrichtung geduldig, aber auch mit der notwendigen Überzeugungskraft hingewirkt hat. Denn es war ja ein doppelter Kraftakt, nicht nur in der deutschen Politik die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen, sondern zugleich die Afghanen selbst und unsere Partner darin einzubinden. Der Bundesaußenminister hat diese Neuausrichtung hier überzeugend dargestellt. Wir können jetzt mit Genugtuung feststellen, dass es endlich eine nicht nur formal abgestimmte, sondern auch inhaltlich von allen beteiligten Ressorts getragene Afghanistan-Politik gibt. ({3}) Das war bisher nicht die Regel, im Gegenteil. Die Ergebnisse waren dann in vielen Teilen entsprechend. Ich teile aber - das will ich hier sagen - nicht die Auffassung, nichts sei in Afghanistan gut geworden. Wer sich die Mühe macht, sich dort einmal umzusehen, sieht sehr wohl Fortschritte. Es sind nicht genug; das ist wahr. Sie sind leider nicht so groß, wie sie sein könnten. Gerade in den ruhigen Anfangsjahren, als die Afghanen voller Dank für die wiedergewonnenen Freiheiten waren und den Deutschen größte Sympathien entgegengebracht haben, hat die damalige Bundesregierung den Aufbau vernachlässigt. Bis vor kurzem haben wir einen großen Teil des Aufwandes nur für die militärische Sicherung ausgegeben und nicht für den Aufbau selbst. Die Menschen dort haben deshalb keine wirklich spürbaren Fortschritte und kaum Verbesserungen ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation gemerkt. Das hat die ursprünglich freundliche Grundstimmung gegenüber den Deutschen eingetrübt und den rückwärts gewandten Kräften Zulauf verschafft. So konnten die Feinde des Aufbaus auch im deutschen Verantwortungsbereich wieder Fuß fassen und den Aufbau erschweren. Das wird jetzt anders, und das ist auch gut so. ({4}) Man muss es leider immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir sind in Afghanistan militärisch engagiert, um den Aufbau zu sichern, und nicht umgekehrt. Das gilt insbesondere für den Schutz der Bevölkerung. ({5}) - Ich habe sehr gut zugehört. - Dieser Aufbau dient der Stabilisierung der Region. Dies liegt in unserem eigenen Interesse. ({6}) Der Koalitionsvertrag von FDP und CDU/CSU hat vorgezeichnet, was nun endlich umgesetzt werden kann. Wir werden die Mittel für den Aufbau glatt verdoppeln, Herr van Aken, und die Projekte besser am Bedarf der Menschen dort orientieren, damit die Armut behoben wird. Wir werden mehr in die Infrastruktur investieren; der Außenminister hat die Details genannt. Wir werden ein funktionierendes Bankwesen in der Fläche aufbauen und Mikrokredite ermöglichen - und das auch auf dem Land und nicht nur in den Städten. Wir werden natürlich die Projekte zur Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und zur Sicherung von Frauenrechten fortführen. ({7}) Wir werden aber eben noch mehr auch in die Grund- und Berufsausbildung investieren und die künftigen Schulprojekte noch mehr in die lokalen und regionalen Strukturen einbinden, wie das übrigens Rupert Neudeck mit seinen Grünhelmen vorbildlich vorgemacht hat. Der zivile Aufbau ist übrigens auch der Schlüssel für die nachhaltige Beendigung der Drogenwirtschaft, durch die der Terror in Afghanistan mitfinanziert wird, die ländliche Entwicklung blockiert wird und deren grausame Folgen auch wir hier bei uns in Deutschland spüren. Also: Wir sehen in dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung eine klare Perspektive; es ist ein überzeugendes Konzept. Eines werden wir in diesem Zusammenhang allerdings sicherlich nicht tun können, Herr Steinmeier: Wir können keine festen Termine nennen. Wir können natürlich Ziele beschreiben und eine bestimmte Vorstellung davon entwickeln, wann wir sie erreicht haben wollen. Wenn wir sie dann aber noch nicht erreicht haben, können wir nicht sagen: Jetzt ist aber der Termin des Abzugs erreicht. Vielmehr müssen wir das von den tatsächlichen Ereignissen abhängig machen. ({8}) Wir tun alles dafür, dass wir das so schnell wie möglich erreichen. Es ist klar: Wir knüpfen unser Engagement auch an Bedingungen - gerade auch gegenüber den afghani1904 schen Partnern. Auch sie müssen ihre Schularbeiten machen, und Herr Karzai muss all seine Zusagen hinsichtlich Good Governance, der Menschenrechte, der Bekämpfung der Korruption usw. endlich auch tatsächlich umsetzen. Auch das werden wir überprüfen. Herr Steinmeier, völlig zu Recht fordern Sie ein, dass wir uns vor dem nächsten Mandat auch darüber Rechenschaft ablegen. Natürlich ist es aber auch erforderlich - das ist der Grund, warum wir hier noch einmal auch über ein Militärmandat entscheiden müssen -, diese Aufbauanstrengungen vor jenen zu schützen, die diesen Fortschritt stören oder sogar zerstören wollen. Hier hilft eben kein Beten und auch kein Lamentieren, Herr van Aken. ({9}) Deshalb bin ich bei aller grundsätzlichen Sympathie schon froh darüber, dass nicht Frau Käßmann und auch nicht Sie, sondern diese Bundesregierung und unsere Minister Westerwelle und Niebel die Afghanistan-Politik gestalten. ({10}) Die wissen nämlich, dass Sicherheit zwar keine hinreichende, aber ganz gewiss eine notwendige Bedingung für nachhaltige Entwicklung ist. Auch hier zeigt die Bundesregierung Augenmaß. Wir können mit Genugtuung feststellen, dass den überzogenen Erwartungen mancher Partner mit großer Überzeugungskraft entgegengewirkt werden konnte. Das, Herr Bundesaußenminister, ist ein großer Erfolg, der vor allem Ihrer stillen Diplomatie zu verdanken ist. Auch dafür gebührt Ihnen unsere Anerkennung. ({11}) Durch das neue Mandat und die neue internationale Ausrichtung werden auch hohe Anforderungen gestellt, bei der Herstellung der Sicherheit, beim Polizeiaufbau und beim Aufbau eines funktionierenden Justizsystems. Hier haben wir eine ganz besondere Verantwortung, der wir bisher nicht in dem Umfang nachgekommen sind, wie es erforderlich gewesen wäre. Deshalb kommen wir, wenn wir den Aufbau voranbringen wollen, heute nicht umhin, vorübergehend mehr Soldaten dorthin zu schicken. Dadurch wird es uns ermöglicht, mehr Ausbildung zu gewährleisten und einen größeren Schutz der Bevölkerung sicherzustellen. Weil das oft gesagt wurde: Das hat nichts mit Besetzung oder Besatzung zu tun, wie manche glauben machen wollen. In dem Mandatsantrag der Bundesregierung werden die Rechtsgrundlagen des Einsatzes genannt. Das zeigt, dass es um die Unterstützung der Afghanen und der Regierung Afghanistans und nicht um ihre Bevormundung oder gar Unterwerfung geht. Solche Vorwürfe sind nichts als bösartiges Gerede. Deshalb geht man hier fehl, wenn man frühere Vorgänge betrachtet und historische Parallelen zieht. Meine Damen und Herren, wir werden dort also ein überzeugendes Konzept umsetzen. Wir werden das Mandat, das hier dafür erbeten wurde, auch erteilen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in Zukunft die Fortschritte erreichen werden, die wir uns alle wünschen. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben viel Mühe darauf verwandt, die Strategie der Regierung für Afghanistan vorzustellen. Sie haben mich nicht überzeugt. Lassen Sie mich aber erst herausstellen, wo wir übereinstimmen. Sie handeln richtig, wenn Sie die zivilen Anstrengungen verstärken. Es ist gut, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit massiv erhöht werden sollen. Diese Erhöhung kommt spät. Lassen Sie uns hoffen, dass sie nicht zu spät kommt. Jetzt müssen Ihren Ankündigungen auch Taten folgen. Wir erwarten, dass diese Mittel neu in den vorliegenden Haushaltsentwurf eingestellt werden. Das ist der Lackmustest für die Wahrhaftigkeit Ihrer Erklärungen. ({0}) Herr Außenminister, richtig ist auch die Verständigung auf eine konkrete Abzugsperspektive. Ende 2011 soll mit dem Abzug begonnen werden, und in fünf Jahren soll die afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans übernehmen. Dabei vermissen wir allerdings präzise Zwischenziele für die Umsetzung dieses Plans. Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass es bei einem solch komplizierten Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt, nichts bringt, sich auf ein ganz bestimmtes Enddatum festzulegen. Damit haben Sie recht. Eine Planung muss aber mehr sein als eine schlichte Ankündigung, und da bleiben Ihre Vorstellungen leider nebulös. ({1}) Was den militärischen Einsatz betrifft, kann ich nur sagen, dass Sie die Dinge beschönigen. Sie sagen uns einen Teil der Wahrheit. Aber sagen Sie uns auch die ganze Wahrheit? Sie behaupten, es gebe jetzt eine Hinwendung zu einer defensiven Strategie. Sie argumentieren, es gehe sozusagen allein um die verstärkte Ausbildung der afghanischen Truppen. Dieses Argument haben wir übrigens auch bei der letzten Truppenaufstockung gehört, mit dem Ergebnis, dass bisher nur 280 Soldaten für die Ausbildung eingesetzt werden. Für die überfällige Intensivierung der Ausbildungsaufgaben gibt es also noch große Spielräume im bestehenden Kontingent. Sie haben daher nicht überzeugend begründet, warum Sie das Kontingent erneut erhöhen wollen. Ziehen Sie doch erst einmal die militärisch unnötigen Tornados ab! ({2}) Äußerungen von Herrn zu Guttenberg und hoher Bundeswehroffiziere lassen aber auch noch anderes vermuten: Gemeinsam mit der afghanischen Armee und unterstützt von amerikanischen Soldaten soll die Aufstandsbekämpfung in den nächsten Monaten intensiviert werden. Im deutschen Verantwortungsbereich werden nun bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich eingesetzt. Hinzu kommen noch bis zu 5 000 amerikanische Soldaten. Damit verdoppelt sich die Anzahl der internationalen Truppen im Norden. Der Einsatz der USTruppen wird die militärische Lage prägen. Dabei geht es vor allem um offensive Einsätze. Das ist Counter-Insurgency-Ausbildung in der Praxis. Dies ist alles andere als defensiv; machen wir uns oder - besser - machen Sie uns doch nichts vor! ({3}) Durch Ihren Umgang mit den Vorfällen in Kunduz haben Sie bei meiner Fraktion in den vergangenen Monaten viel Vertrauen in die Transparenz der militärischen Planungen verspielt. ({4}) Kunduz steht hier für ein Vertuschen und Verschweigen. Sie haben bis heute keinen ehrlichen Versuch unternommen, die Hintergründe wirklich aufzuklären. Jetzt kommen Sie wieder nur mit der halben Wahrheit. So können Sie kein Vertrauen zurückgewinnen. ({5}) Schwammig argumentieren Sie auch bei den politischen Zielen. Herr Karzai hat offen erklärt, er will mit allen bewaffneten Gegnern im Land, die Afghanen sind, auf höchster politischer Ebene verhandeln. In London wurde beschlossen, dies mit dem Aussteigerfonds für Taliban zu begleiten. Das Wort „Reintegration“ ist dafür ein Euphemismus. Worum geht es in Afghanistan? Geht es um einen militärischen Sieg über die Taliban? Geht es noch um unverzichtbare Menschen- und Frauenrechte oder nur noch um Stabilität um fast jeden Preis? Geht es also darum, die Taliban, und zwar jeder Couleur, im Rahmen einer politischen Lösung an der Regierung zu beteiligen? Geht es jetzt um den militärischen Versuch, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bomben? Schenken Sie der Öffentlichkeit reinen Wein über die Ziele der Bundesregierung ein! ({6}) Lassen Sie mich für meine Fraktion sagen: Wir stehen zu einem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan, und wir unterstützen ISAF als Stabilisierungseinsatz im Rahmen der Vereinten Nationen. Das gilt auch weiterhin. ({7}) Das sollen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan auch wissen. Aber das bedeutet nicht, dass wir in sich widersprüchlichen Konzepten und Mandatsformulierungen der Bundesregierung automatisch zustimmen. Ihre heutige Regierungserklärung hat für mich und viele andere in meiner Fraktion nicht dazu beigetragen, die Zweifel an Ihrem neuen Konzept nach London zu beseitigen. Auf dieser Grundlage kann und will ich meiner Fraktion nicht empfehlen, die Verantwortung für Ihr neues Konzept mit zu übernehmen. Danke. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Philipp Mißfelder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme Ihnen, Herr Schmidt, ausdrücklich zu, wenn es um die Beschreibung der Abläufe geht. Sie haben es richtig beschrieben: Es gibt keinen Automatismus, dass das Parlament, wenn die Regierung etwas vorschlägt, zustimmt. Gerade bei diesem Mandat wird sehr deutlich, dass das Parlament sehr stark beteiligt worden ist. Herr Steinmeier hat vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sehr viele Vorschläge, über die in den letzten Wochen - auch in Gesprächen mit der Opposition - diskutiert worden ist, Eingang in die Überlegungen und die Strategie für das Mandat und das weitere Vorgehen in Afghanistan gefunden haben. Ich komme für meine Fraktion allerdings - das wird Sie wenig überraschen - zu einer anderen Empfehlung als Sie. Ich empfehle meiner Fraktion ausdrücklich, dem Mandat aufgrund der Einbindung des Parlaments und der Darstellung des Bundesaußenministers am heutigen Tag zuzustimmen. ({0}) Herr Bundesaußenminister, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, nicht nur für die Beratungen in den vergangenen Wochen. Das ist auch durch die Redebeiträge der anderen Fraktionen größtenteils deutlich geworden. Bei Herrn van Aken war das nicht so sehr der Fall. Aber wir beraten gemeinsam über solch wichtige Fragen. Daran ist auch die Linkspartei beteiligt. Sie stimmt zwar anders ab als wir. Aber bei den Gesprächen ist sie immer dabei, und das ist auch gut so. Wir bieten weiterhin an, an solchen Gesprächen teilzunehmen; denn es handelt sich um eine gemeinsame Verantwortung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Zumindest was das Zustandekommen des Mandates angeht, ist es wichtig, dass wir weiterhin im Gespräch bleiben. Die Einordnung als bewaffneter Konflikt gibt Hoffnung, dass wir bei der Rechtssicherheit große Fortschritte machen. Das ist noch nicht abgeschlossen. Es stehen noch gerichtliche Entscheidungen aus. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass hier Klarheit geschaffen worden ist und mit großer Verlässlichkeit Aussagen getroffen worden sind. Schon vor der Afghanistan-Konferenz in London sind - darüber haben wir hier im Deutschen Bundestag intensiv beraten - wichtige Signale ausgegangen. Die Ergebnisse von London können sich tatsächlich sehen lassen; denn gerade das, worüber wir hier im Deutschen Bundestag beraten haben, hat Eingang in das gefunden, was die Zukunft Afghanistans in den nächsten Jahren mitbestimmen wird. Die Übernahme der Verantwortung durch die Afghanen selber ist das richtige Konzept. Gerade das, was Präsident Karzai bei seinen Besuchen in München und im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages deutlich gemacht hat, ist der richtige Weg. Wir müssen uns in der Polizeiausbildung mehr engagieren. Es ist nicht vordringliche Aufgabe der Deutschen, in Afghanistan offensiv tätig zu sein. Das hat der Bundesaußenminister hier sehr deutlich gesagt. Unser Hauptengagement richtet sich auf die Ausbildung. Das ist der richtige Weg; denn nur so kann die Übernahme der Verantwortung in den nächsten Jahren stattfinden. Deshalb werden wir unser Engagement in diesem Bereich massiv ausweiten. Ich danke vor allem denjenigen, die sich dort besonders engagieren, den Soldatinnen und Soldaten, aber vor allem auch den Polizisten, die in den nächsten Jahren einen sehr großen Beitrag leisten werden. Ihnen gilt der Dank des ganzen Hauses. Herzlichen Dank! ({1}) Innerhalb des Mandats finden Umschichtungen statt. Das ist der größte Beitrag dazu, in Zukunft eine höhere Ausbildungsleistung zu erbringen. Weil sich einiges im Norden Afghanistans verändert hat, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, der Lage angemessen, weitere Truppen dorthin zu entsenden. Alles andere hielte ich für unverantwortlich; denn die Soldatinnen und Soldaten in eine Situation zu bringen, in der ihr eigener Schutz nicht gewährleistet werden könnte, wäre falsch. Wenn man dort verantwortungsbewusst Politik machen und die Zukunft Afghanistans mitgestalten will, ist es notwendig, dass man das militärische Engagement in diesem Bereich adäquat erhöht. Deshalb hat die Bundesregierung den Vorschlag gemacht, die Mandatsobergrenze zu erhöhen. Gerade weil die Situation in Afghanistan sich in diesem Jahr verändern wird, und zwar durch die Wahlen, die im Herbst stattfinden werden, muss man sicherheitspolitisch und militärisch adäquat reagieren. Das ist verantwortungsbewusste Außenpolitik, und deshalb wollen wir der Verschiebung der Mandatsobergrenze zustimmen. Von großer Bedeutung ist - das ist ein Kern des Konzepts von London - das Reintegrationsmodell. Das Ziel ist nicht, wahllos mit jedem Taliban oder Fundamentalisten zu verhandeln oder sie in die Regierung zu bomben, wie hier vorhin gesagt worden ist. Vielmehr geht es darum, zu prüfen, wer von den Taliban theoretisch für eine Stabilisierung Afghanistans in der Zukunft gewinnbar ist. In der Debatte in der vergangenen Sitzungswoche und auch heute ist deutlich geworden, dass es sehr wohl Unterschiede gibt zwischen denjenigen, die aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus dort mitlaufen, das Geld der Taliban annehmen und sich auf diese Weise über Wasser halten, und denjenigen, die sich aus religiösen, fundamentalistischen Gründen möglicherweise auf einem unumkehrbaren Weg befinden. Mit Letzteren werden wir in den nächsten Jahren natürlich keine Erfolge erzielen. Richtig ist, dass wir den Dialog, der in Afghanistan stattfindet, von der Regierung einfordern und ihr überlassen. Wir haben klare Wegmarken gesetzt, was wir von der afghanischen Regierung in dem Zusammenhang erwarten. Daran haben die Grünen in den vergangenen Wochen entscheidend mitgewirkt. Wir wollen das, was wir bisher an Erfolgen erreicht haben, nicht leichtfertig aufgeben, beispielsweise in Verhandlungen mit Mullah Omar. Die Rechte der Frauen dürfen nicht hinter den Status zurückfallen, den wir gemeinsam erreicht haben und den die Bundeswehr in Afghanistan verteidigt. Das ist nicht unser Ziel. Deshalb muss man genau hinschauen, wer mit wem verhandelt und welche Gespräche mit welchem Ziel geführt werden. Das heißt nicht, dass wir eine Dialogbereitschaft grundsätzlich ablehnen. Das wäre falsch. Aber es heißt, dass es rote Linien gibt, hinter die wir nicht zurückgehen dürfen. Auf diesem Weg sollten wir die afghanische Regierung massiv ermutigen. Das haben wir im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz und bei den Gesprächen in Berlin getan. Das ist auch die Linie der nächsten Jahre in Afghanistan; denn die erreichten Erfolge dürfen nicht dadurch zerstört werden, dass um jeden Preis eine Stabilisierung erreicht werden soll. ({2}) Ich vertraue Herrn Karzai an dieser Stelle sehr wohl, und zwar aufgrund seiner persönlichen Familiengeschichte. Sein Vater hat frühzeitig versucht, mit Mullah Omar und seinen Leuten Gespräche zu führen. Er hat konkrete Angebote gemacht. Die Antwort dieser Fundamentalisten war ein Mordanschlag auf seinen Vater, der leider erfolgreich war. Aus diesem Grund glaube ich, dass bei Herrn Karzai - das konnten wir auch in den persönlichen Gesprächen mit ihm feststellen - eine sehr große Ernsthaftigkeit bezüglich der zukünftigen Dialoge vorhanden ist. Deshalb bin ich da ganz optimistisch. ({3}) - Herr Präsident, ich glaube, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist in der Tat so. Da Sie offenkundig ein Interesse an der Zulassung dieser Frage haben, erteile ich hiermit dem Kollegen Ströbele das Wort zu einer Zwischenfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie sprechen hier über die Verhandlungen und die damit verbundenen Probleme und benennen zu Recht richtige Punkte. Aber wir befinden uns heute nicht in einer entwicklungspolitischen Debatte, sondern wir sprechen darüber, ob der Deutsche Bundestag zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schickt, 850 bzw. 500 und 350, je nachdem, wie man das rechnet. Darüber hinaus soll zusätzliches Kriegsgerät nach Afghanistan geschickt werden. Wie erklären Sie und wie erklärt die Bundesregierung - dazu hat Herr Westerwelle kein Wort gesagt -, wie auf der einen Seite Aufbau, Ausbildung und Verhandlungen stehen sollen, wenn auf der anderen Seite eine erhebliche Intensivierung der Kriegsführung stattfindet? Darüber sprechen Sie nicht. Halten Sie es nicht ebenso wie ich für kontraproduktiv, wenn auf der einen Seite Verhandlungen angeboten werden, auf der anderen Seite dieselben Leute, mit denen verhandelt werden soll, möglicherweise von Zielfahndungskommandos der Bundeswehr, vor allen Dingen aber der US-Amerikaner, die jetzt 5 000 zusätzliche Soldaten in den Norden schicken, gejagt werden? Wie sollen Verhandlungen mit denen stattfinden, die gleichzeitig auf der Abschussliste mindestens der Amerikaner, möglicherweise auch der Bundeswehr stehen? Ist das nicht ein Widerspruch, und macht das eine das andere nicht unmöglich? Das heißt, die Art der Kriegsführung muss auf den Tisch. Die Bundesregierung muss hier sagen, in welcher Weise die Bundeswehr dort eingesetzt wird. Gehört zu dem Einsatz der Bundeswehr auch, gerade nach den Ereignissen in Kunduz am 4. September, weiterhin Menschen zu vernichten, und zwar gezielt zu vernichten, wie Oberst Klein es damals verlangt hat? Wie lösen Sie diesen Widerspruch?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die letzte Frage ist die einzige Frage, auf die ich nicht mit Nein antworten werde. Sie haben mir drei, vier Fragen gestellt. Auf alle Fragen kann ich nur mit Nein antworten. Ich teile Ihre Haltung nicht; das wird Sie aber auch nicht überraschen. Ich möchte Ihnen deutlich sagen, warum sich die Bundesregierung zu dem entschlossen hat, was wir hier unterbreiten und was die Fraktion der CDU/CSU unterstützt. Wir unterstreichen mit der Erhöhung der Obergrenze und mit der Entsendung von mehr Soldaten im Rahmen dieses Mandats die Ernsthaftigkeit unseres Engagements. In der Debatte ist sehr deutlich herausgekommen, dass es sich bei der Anhebung der Obergrenze nicht nur um eine militärische Maßnahme handelt - das haben Sie uns gerade vorgeworfen -, sondern dass diese in einen größeren Rahmen von entwicklungspolitischen, zivilen und polizeilichen Maßnahmen eingebettet wird. Das ist unsere Strategie, und deshalb tragen wir das intensiv vor. Wir unterstreichen mit der Entsendung von mehr Soldaten die Ernsthaftigkeit unseres Engagements. ({0}) Ich glaube, dass wir damit gerade die Arbeit der Entwicklungshelfer unterstützen. Über die Arbeit der Entwicklungshelfer ist einiges zu sagen. Es gibt Stimmen in den Organisationen, die davor warnen, mit dem Militär gemeinsam aufzutreten. Aber ich glaube, dass nach wie vor die Voraussetzung für den zivilen Aufbau militärische Präsenz ist. Das ist schade, aber es ist leider so. Das soll nicht auf Dauer so bleiben. Ich übernehme nicht die Verantwortung dafür, dass Entwicklungshelfer mit ihrem Leben für ihre mutige Arbeit bezahlen müssten, wenn wir hier falsche Entscheidungen treffen und, wie es in Ihrem Sinne wäre, aus Afghanistan abziehen würden. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die dankbare Aufgabe, in den nächsten gut sechs Minuten Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf den Polizeieinsatz in Afghanistan zu lenken. Das ist mir natürlich eine Herzenssache. Sie können im Kürschner nachlesen, warum. Wir haben das deutsche Engagement beim Polizeiaufbau in Afghanistan seit dem Jahr 2008 - da hat auch das Parlament eine Rolle gespielt - deutlich intensiviert. In unserem bilateralen Projekt setzen wir aktuell 118 deutsche Polizeibeamte in Kabul, Masar-i-Scharif, Kunduz und Faizabad ein, innerhalb der EUPOL-Mission sind es 41 deutsche Experten. Das sind summa summarum 160 Polizisten und zivile Experten, handverlesen und gut vorbereitet; das möchte ich an der Stelle betonen. Aber die Diskussion über die Anzahl der Stiefelspitzen wäre angesichts des polizeilichen Auftrags in Afghanistan nur von begrenztem Wert. Der eigentliche erfolgskritische Faktor unserer Mission ist das Konzept. Genau da sind wir mit unserem bilateralen Projekt richtig aufgestellt. Das Konzept besteht aus drei Säulen. Damit gewährleisten wir bis zum Jahr 2012 erstens die Ausbildung von circa 15 000 neuen Polizeikräften der ANP. Das bedeutet, dass Deutschland für die Ausbildung der Hälfte der neu rekrutierten Polizisten und Grenzpolizisten verantwortlich ist. Armin Schuster ({0}) Zweitens - das ist für mich der Schwerpunkt -: die Evaluierung, das Training und die begleitende Betreuung der ANP-Polizisten aus 40 Distrikten in sechs Provinzen im Norden Afghanistans. In diesem Programm begleiten wir die afghanischen Kursteilnehmer nach ihrem Training mit polizeilichen Mentoring-Teams aktiv in der Praxis vor Ort. Was heißt das? Wir werden nicht hoheitlich tätig, aber wir coachen. Wir sind dabei, wenn diese Polizisten draußen arbeiten. Das Gesamtprogramm erstreckt sich übrigens über elf Monate, und wir werden bis 2012 in Zusammenarbeit mit deutschen Feldjägern 50 solcher Teams eingesetzt haben. Die dritte Säule unseres Konzepts besteht darin, mit der Ausbildung von 500 afghanischen Trainern eine aktive Hilfe zur Übernahme der Ausbildung in afghanischer Eigenverantwortung zu leisten. Die ausgebildeten afghanischen Trainer setzen wir heute schon sukzessive in deutschen Ausbildungsstätten zum Training der eigenen Kollegen ein. Ich möchte ganz klar betonen: Das deutsche Konzept hat sich bereits vor London dadurch vom bisherigen amerikanischen Ansatz unterschieden, dass wir die polizeiliche Praxis vor Ort begleiten, und zwar nicht nur auf der Ebene des Distriktpolizeichefs, sondern auf allen nachgelagerten Ebenen bis hin zur untersten Verwaltungsebene der Polizei. Ich halte das - es ist ja vor London passiert - für eine beachtliche Leistung. Der Strategiewechsel ist in diesem Sinne vollzogen worden. Man könnte auch sagen: Wir haben vorgedacht. Mit diesem dreistufigen Konzept haben wir unsere hohe Akzeptanz und Resonanz bei den Ausbildungsteilnehmern und bei den Polizeikräften vor Ort noch verbessert. Viel wichtiger ist: Von der afghanischen Bevölkerung werden wir äußerst positiv wahrgenommen, weil wir vor Ort, zusammen mit den Afghanen, erlebbar sind. ({1}) Die ebenenübergreifende Nachhaltigkeit, von der ich sprach, vermissen wir übrigens in der EUPOL-Mission. Deshalb fordern wir dringend eine Weiterentwicklung des Mandats. Die Projektmittel müssen aufgestockt werden, und die Sicherheitsvorschriften, die die eingesetzten Berater betreffen, müssen so angepasst werden, dass diese mit ihrer Ausbildung auch in der Fläche wirksam werden können. Sollte uns diese Anpassung nicht gelingen, empfehle ich, die Zahl der deutschen Experten in der EUPOL-Mission auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen in das wesentlich gewinnbringendere eigene bilaterale Projekt zu investieren. Wie sieht die Ausweitung des deutschen Engagements nach den Ergebnissen der Londoner Konferenz aus? Wir werden erstens das Personal bis Mitte 2010 auf 200 Polizisten im bilateralen Projekt und gegebenenfalls bis auf 60 Experten in der EUPOL-Mission aufstocken. Das ist eine Verdreifachung des Potenzials von 2008. Wir werden zweitens die Ausbildungszentren in Kabul und Kunduz, die Grenzpolizeifakultät in Kabul sowie die Außenstelle der Polizeiakademie in Masar-i-Scharif bis 2010 fertigstellen und drittens bis 2011 die Hauptquartiere der Polizei in Faizabad und der Verkehrs- und Bereitschaftspolizei in Kabul sowie eine Grenzpolizeidienststelle am Flughafen Kabul errichtet haben. Meine Damen und Herren, auch wenn wir durch regelmäßige Lageanalysen dafür sorgen, dass unsere Polizeikräfte nur in gesichertem Umfeld eingesetzt werden: Afghanistan ist nicht Heidi-Land. Deshalb bin ich der Bundesregierung - insbesondere Herrn Außenminister Westerwelle - für die Klarstellung heute Morgen und für die Beschlüsse, die in Meseberg im November 2009 gefasst wurden, dankbar. Das erklärte Ziel, die Kompetenz und Ausstattung der Bundespolizei für internationale zivilpolizeiliche Einsätze auszubauen, trägt den beschriebenen robusten Herausforderungen in vielen Einsatzgebieten wie in Afghanistan oder auch im Kosovo in konsequenter Weise Rechnung. Die Bundespolizei, künftig verstärkt durch internationale Einsatzeinheiten, im Ausland zivilpolizeilich einzusetzen, sie dafür gezielt vorzubereiten und auszustatten, ist ein wichtiges Signal an die Bundespolizei selbst, aber auch an unsere Bündnispartner. Bei Einsätzen in Afghanistan bildet die innere Sicherheit einen zentralen Baustein der Zukunftsstrategie dieses so betroffenen Landes. Die deutsche Polizei hat in vielen internationalen Einsätzen für Qualität und Umfang ihrer Aufbauhilfe hohe Anerkennung von den Partnern erfahren. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir jetzt beginnen, diese Kompetenz auch organisatorisch deutlicher zu institutionalisieren und zu professionalisieren. Wir stehen damit zu unserer Verantwortung für den Polizeiaufbau in Afghanistan, aber auch zu unserer Bündnispflicht bei kommenden internationalen Einsätzen, für die wir unseren deutschen Beitrag leisten wollen. Den in Afghanistan eingesetzten deutschen Polizisten möchte ich abschließend an dieser Stelle in aller gebührenden Form Lob und Anerkennung für ihren Dienst aussprechen. ({2}) Wir haben das gemeinsame Ziel, ein erfolgversprechendes Konzept und die Kraft, im Norden Afghanistans der polizeilichen Sicherheit ein afghanisches Gesicht zu geben. Deshalb stimme ich dem Mandat zu. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Zwischenrufe wie „Schön!“ und „Jetzt kommt wieder das Friedenszeug!“ durchaus genießen. Ich finde meine Reden auch schön. Dass wir immer über den Frieden reden, halte ich für höchst vernünftig. ({0}) Hin und wieder habe ich die Anwandlung, in der Debatte fair zu sein. Das ist also nicht immer der Fall, aber bei dieser Debatte ist es mir wichtig gewesen. Deswegen habe ich auch den letzten Redner der Koalitionsfraktionen abgewartet. Ich habe die ganze Zeit gedacht, ja gehofft, dass zwei Punkte genannt werden - ich habe sie schon beim Herrn Außenminister erwartet -: Erstens. Warum bringt keiner hier die Kraft auf, dafür zu sprechen, dass dieses Haus sich bei den Anverwandten der in Kunduz Umgekommenen für den Befehl eines deutschen Obersten, den wir jetzt gar nicht rechtlich beurteilen, entschuldigt und dafür Verantwortung übernimmt? ({1}) Ein solches Signal wäre in dieser Debatte notwendig gewesen. Herr Schuster, ich bin mir sicher: Sie haben es nicht vorgehabt. Aber Sie hätten die Chance gehabt, ein solches Signal abzugeben. Zweitens. Es ist doch notwendig, dass man sich Folgendes klarmacht - vom Außenminister bis zu jedem Einzelnen, der sich an dieser Debatte beteiligt -: Es langt offensichtlich nicht, zu glauben, dass man einzelne Taliban herauskaufen kann. Ich möchte jetzt nicht zynisch sein und mich nach dem Preis für Taliban erkundigen. In dieser Debatte hätte ein Zeichen der Ermutigung nach Afghanistan gehen sollen, nämlich mit den realen Feinden, also zwischen den Kriegsparteien, über Versöhnung zu verhandeln. Frieden muss man mit seinen Feinden schließen; mit seinen Freunden braucht man es nicht zu tun. Beides ist ausgeblieben. Lediglich unsere Fraktion hat es immer wieder betont. Ich bitte Sie wirklich: Gehen Sie noch einmal in sich! Wäre es nicht ein Zeichen des Deutschen Bundestages - das war das, was ich noch einmal deutlich machen wollte -, wenn wir uns bei den Anverwandten der Umgekommenen in Afghanistan hier offiziell auch für unser Land entschuldigen würden? ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/654 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Banken sollen für die Krise zahlen - Drucksache 17/471 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland hat 480 Milliarden Euro in Form von Kapitalhilfen und Bürgschaften zur Rettung der deutschen Banken bereitgestellt. 480 Milliarden Euro sind, damit wir uns richtig verstehen, 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland. Nun stellt sich die Frage: Wie lange wird uns diese Verschuldung belasten, Jahre oder Jahrzehnte, und wer muss das Ganze überhaupt zurückzahlen? Die Bundeskanzlerin hat sich bei der Haushaltsdebatte relativ klar geäußert und gesagt: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Darunter verstehen viele immer nur die, die Einkommensteuer zahlen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Steuern zahlen, zumindest die Mehrwertsteuer. Darüber gibt es ja keine Diskussion. ({0}) Das aber heißt, dass Hartz-IV-Empfänger, Lidl-Verkäuferinnen, Kfz-Schlosser etc. all diese Schulden der Banken zurückzahlen müssen. Dazu kann ich nur sagen: Unser Einverständnis bekommen Sie dafür niemals. ({1}) Nun ist es auch interessant, sich anzusehen, ob die Banken ihr Verhalten verändert haben. Die Banken jedoch machen wieder Geschäfte mit Steueroasen und spekulieren in der ganzen Welt, als ob es die Krise überhaupt nicht gegeben hätte, weil Sie nicht die Kraft haben, eine einzige wirksame Regulierungsmaßnahme, die wir dringend benötigen würden, zu beschließen. ({2}) Als weiterer Umstand kommt hinzu, dass Herr Ackermann gerade sehr fröhlich allen mitgeteilt hat, dass die Deutsche Bank einen Profit in Höhe von 5 Milliarden Euro nach Steuern gemacht hat, den sie jetzt wunderbar an ihre Großaktionäre etc. auszahlen kann. Dann sagt er auch noch ganz stolz: Wir haben gar kein Geld vom Staat bekommen. - Diese Aussage möchte ich gerne widerlegen, und zwar dadurch, indem ich darauf hinweise, dass es zum einen direkte und zum anderen indirekte Einnahmen über den Staat gibt. Schauen wir uns einmal den ersten Bereich an. Der Staat musste sich ja neu verschulden, um das ganze Geld zur Verfügung stellen zu können. Woher nimmt er das Geld? Er nimmt Darlehen bei den Banken auf, unter anderem bei der Deutschen Bank. Diese verlangt dafür natürlich hohe Zinsen und verdient daran. Im Klartext bedeutet das Folgendes: Um die Banken zu retten, nimmt der Staat Kredite bei den Banken auf, und dafür verlangen die Banken das Geld - das ist ihr Verdienst -, das der Staat von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern der Bundesrepublik Deutschland einnimmt. Sagen Sie einmal: Kommt Ihnen das nicht auch ein bisschen merkwürdig vor, was hier organisiert wird? ({3}) Zum anderen profitierte die Deutsche Bank aber auch noch von der Rettung der HRE. Neben Bürgschaften sind dafür auch direkt 12 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden. Wieso profitierte die Deutsche Bank davon? Weil sie bei der HRE Geld geparkt hatte. Wenn die HRE in Insolvenz gegangen wäre, wäre die Deutsche Bank ihr Geld losgewesen. ({4}) Futsch wäre es gewesen. Nun kommt der Staat und rettet netterweise die HRE; die Deutsche Bank bekommt ihr Geld von der HRE wieder und macht nun einen riesigen Profit. Aber Sie kommen nicht einmal auf die Idee, zu sagen, dass die Banken dafür zusätzlich eine Steuer oder Gebühr an die Bundesrepublik Deutschland bezahlen müssen, damit nicht die anderen Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland belastet werden. So etwas ist von Ihnen leider nicht zu erwarten. ({5}) Die Deutsche Bank hat übrigens auch in den USA ein Riesengeschäft gemacht. Aus dem Rettungspaket der USA hat die Deutsche Bank 9,1 Milliarden Euro kassiert. Sie können uns zwar vieles vorwerfen, zum Beispiel, dass wir sozialistische Geplänkel veranstalten; aber Sie können es uns doch nun wirklich nicht als eine linksextreme Auffassung vorhalten, dass wir jetzt vorschlagen, dem Weg zu folgen, den die USA eingeschlagen haben. ({6}) Obama hat das Ganze erkannt und schlägt einen anderen Weg ein als die Bundesrepublik Deutschland. Er will jeden Cent eintreiben, den die Banken der amerikanischen Bevölkerung schulden, und zwar egal, ob sie direkt oder indirekt Gelder erhalten haben. Deshalb muss zum Beispiel die Deutsche Bank in den USA künftig jährlich 500 Millionen Dollar zusätzlich bezahlen. Das verlangt Obama. Nichts dergleichen verlangt unsere Regierung von der Deutschen Bank, und von den anderen Banken erst recht nicht. ({7}) Man darf auch nicht vergessen: Die Banken spekulieren nicht mit ihrem Geld, sondern mit dem Geld ihrer Anleger und gehen damit immer fahrlässiger um. Das müssen wir unbedingt korrigieren. Obama will insgesamt 117 Milliarden Dollar zurückverlangen. ({8}) - Setzen Sie sich doch mit Herrn Obama auseinander! ({9}) Sie bekommen ihn vielleicht leichter als ich ans Telefon. Sie kündigen nicht einmal irgendetwas an; Obama ist aber schon dabei, etwas umzusetzen. ({10}) Sie haben einen solchen Respekt vor der Deutschen Bank. Ich habe mir das in Davos angesehen. ({11}) - Hören Sie einmal zu! - Ich habe mir das in Davos angesehen. Frau Merkel war zwar dort, aber man hat von ihr überhaupt nichts gehört. Der Einzige, der dort sozusagen eine Regierungserklärung abgegeben hat, war Herr Ackermann. Das ist das Problem Ihrer Koalition. ({12}) - Fantastisch haben wir das gemacht. Wir haben die ganze Pleitebank letztlich an den Sparkassen- und Giroverband verkauft. Das war sehr sinnvoll. Sie hätten sie wahrscheinlich an eine Bank in den USA verkauft, die jetzt pleite wäre. Das ist der Unterschied zwischen uns. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Moment, Herr Kollege Gysi. - Ich möchte nur darauf hinweisen, dass der Kollege Gysi noch gut eine Minute Redezeit hat. Danach folgen Redner von allen anderen Fraktionen. Vielleicht können wir uns auf diese Abfolge verständigen. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Präsident. Ich kann die Zurufe verstehen. Es gibt Schwierigkeiten, wenn ich nur sieben Minuten rede. Das ist nachvollziehbar. Im Übrigen haben sich die G-7-Finanzminister getroffen. Sie finden die Idee von Obama gut und wollen sie auch umsetzen. Allerdings gibt es schon die ersten Gegenstimmen, die sagen: Wenn wir das machen, dann brauchen wir keine Finanztransaktionssteuer bzw. Börsenumsatzsteuer, wie wir sagen, oder Tobin-Steuer, wie Attac sagt. Aber das ist völlig daneben. Wir brauchen beides; denn die Tobin-Steuer soll Spekulationen begrenzen und endlich zu Steuergerechtigkeit führen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Ich sage Ihnen: Es ist gesellschaftszerstörerisch, wenn das Bundesverfassungsgericht Ihnen allen sagt, dass Sie die Menschenwürde der Ärmsten in unserer Gesellschaft verletzt und das Sozialstaatsprinzip gebeugt haben, ({0}) und der Ackermann am gleichen Tag stolz darauf verweist, dass er 5 Milliarden Euro verteilt, und das, nachdem wir solche Geschenke an die Banken gemacht hatten. ({1}) Stellen Sie endlich Steuergerechtigkeit her! Obama hat gesagt: Wenn diese Leute einen Kampf wollen, können sie ihn haben. - Es ist bedauerlich, dass wir keinen in der Regierung haben, der den Mut hat, den Kampf mit den Banken aufzunehmen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Gysi, ich habe wenig Verständnis dafür, wie Sie hier in klassenkämpferischer Manier ({0}) ein ernstzunehmendes Thema begleiten. ({1}) Anscheinend lesen Sie wenig in der Wirtschaftspresse und in der sonstigen Presse. Ansonsten hätten Sie längst zur Kenntnis nehmen können, dass auch wir, die CDU/ CSU-Fraktion, gemeinsam mit dem Finanzminister der Auffassung sind, dass wir - das haben wir in den entsprechenden Debattenbeiträgen schon mehrfach betont selbstverständlich dafür sind, auch den Banken- und den Finanzsektor ({2}) - hören Sie doch einmal zu! - sowohl an den Kosten angemessen zu beteiligen als auch mittels Instrumenten, vielleicht in Form einer Abgabe, prophylaktisch für die Zukunft vorzusorgen. ({3}) Es ist uns nicht damit gedient, dass die Opposition in fast jeder Sitzungswoche einen isolierten Antrag zu diesem Thema präsentiert, ohne dass erkennbar ist, wie die Gesamtsystematik aussieht. Nur mit einem in sich stimmigen Konzept, das national, europäisch und auch weltweit abgestimmt ist, kommen wir weiter. ({4}) Wir erleben hier aber teilweise Anträge, die sich selbst widersprechen. ({5}) Wenn Sie Ihren Antrag einmal genau lesen, dann erkennen Sie, dass die Begründung in Ihrem Antrag - die Ursache dafür könnte die Verwendung eines Textbausteins sein - zur Finanztransaktionssteuer passt. Über dieses Thema hatten wir schon in der letzten Sitzungswoche debattiert. Die Begründung passt aber nicht zu Ihrem Vorschlag einer Abgabe. Legen Sie mir einmal dar, was Sie unter dem Begriff „konsolidierte Aktiva“ verstehen, wenn Sie als Bemessungsgrundlage für diese Abgabe die Verbindlichkeiten zugrunde legen. Was wollen Sie? Sie wollen im Grunde genommen eine Größenordnung festlegen, angesichts derer man sich fragen muss: Wen wollen Sie an dieser Finanzierung beteiligen? Die Wortschöpfungen in Ihrem Antrag erinnern an DDRVerbalität, wo - aus einem antichristlichen Ansatz heraus - Engel als Jahresendzeitfiguren bezeichnet wurden. ({6}) In Ihrem Antrag steht das Wort „Finanzkrisen-Verantwortungsgebühr“. Das ist eine sehr kreative Wortschöpfung für etwas, von dem Sie selbst nicht wissen, was Sie damit wollen. ({7}) Ich möchte für meine Fraktion drei Punkte ansprechen, die wir schon oft betont haben: Als Schlussfolgerung aus der Krise wollen wir eine härtere Regulierung und die Banken an den Kosten beteiligen. Außerdem darf der Staat, und damit der Steuerzahler, künftig nicht mehr erpressbar sein, wenn es darum geht, Hilfe für Banken zu gewährleisten, die „too big to fail“ bzw. zu vernetzt sind, um in die Insolvenz zu gehen. - Diese drei wichtigen Grundlagen sind als Gesamtpaket zu sehen und können nicht isoliert betrachtet werden. Herr Kollege Gysi, in diesem Punkt sind wir nicht weit auseinander. Aber es macht keinen Sinn, wenn Sie sich in klassenkämpferischer Manier eine Großbank herausnehmen und sie zur Zielscheibe machen, um Ihre Ansätze zu begründen. Das müsste schon breiter angelegt sein. Ich stimme Ihnen zu - das ist auch bei uns Konsens -, dass weltweit, vor allem im angelsächsischen und im europäischen Bereich, Teile von Banken und Bankmanager immer noch nicht verstanden haben, worum es ging bzw. was sie verursacht haben. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir selbst in der Vergangenheit oft Finanzmarktprodukte, deren Namen man oft kaum aussprechen konnte, undifferenziert und leichtfertig übernommen haben. Daraus müssen nun die Konsequenzen gezogen werden. Eine Konsequenz ist eine härtere Regulierung. Dafür brauchen wir ein Aufsichtssystem, das effizienter ist, als es zurzeit der Fall ist. Außerdem muss eine Koordinierung auf europäischer Ebene erfolgen. Wir müssen also darauf achten, was auf europäischer Ebene an Aufsichtsstrukturen beschlossen wird, und dann überlegen, was wir auf nationaler Ebene dazu beitragen wollen. Dazu haben wir Vorschläge unterbreitet. Wir wollen die BaFin in ihrer derzeitigen Struktur an die Bundesbank andocken, gleichzeitig aber die Unabhängigkeit der Bundesbank in ihrem geldpolitischen Engagement nicht beeinflussen. Das lässt sich durch Organisationsstrukturen gewährleisten. Damit hätten wir eine dreigliedrige Aufsicht aus einer Hand und damit eine Aufsicht, die effektiver ist als das, was wir jetzt haben. Was die Beteiligung der Banken angeht, so müssen wir neben der Aufsicht Strukturen schaffen, die es ermöglichen, dass auch Banken in die Insolvenz gehen können. ({8}) Dafür brauchen wir ein Insolvenzrecht für Finanzinstitute. Dies muss über das Insolvenzrecht der gewerblichen und industriellen Wirtschaft hinausgehen, weil wir im Banken- und Finanzsektor Zahlungsströme sicherstellen müssen; das ist hier der Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft. Beide Häuser, sowohl das Justiz- als auch das Finanzministerium, arbeiten daran, uns im Frühjahr erste Entwürfe vorzulegen, damit wir den Prozess Mitte des Jahres zum Abschluss bringen können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dautzenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Dautzenberg, es ist schön, dass Sie verkünden, dass Sie auch für Deregulierungsmaßnahmen sind.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, für Regulierungsmaßnahmen, nicht Deregulierungsmaßnahmen.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann eben Regulierungsmaßnahmen. Das wäre auch schon mal gut.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ein Unterschied. Sie haben Deregulierung gesagt.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Finanzmarktkrise hält schon eineinhalb Jahre an. Können Sie mir erläutern, welche Regulierungsmaßnahmen in den letzten Jahren tatsächlich vorgenommen worden sind? Können Sie auch erläutern, weshalb weiterhin Deregulierungsmaßnahmen praktiziert werden? Leerverkäufe sind beispielsweise wieder legalisiert worden.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme an, Sie wollten „Regulierungsmaßnahmen“ sagen. Wir wollen genau das Gegenteil von Deregulierung. Wir wollen eine härtere Regulierung. Sie können sich daran erinnern, dass wir als erste stabilisierende Maßnahme in diesem Bereich noch zur Zeit der Großen Koalition das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und das -beschleunigungsgesetz vorgelegt haben. Das waren erste Maßnahmen. Die werden fortentwickelt. Man muss den Bereich zunächst einmal konsolidieren, ehe es zu Neustrukturierungen kommen kann. Dafür ist das eine wesentliche Grundlage. ({0}) Wir werden noch im Frühjahr die Kapitaladäquanzrichtlinie, die von der europäischen Ebene ausgeht, umsetzen. In Basel wird auch über eine Verschärfung der Kriterien bezüglich des Eigenkapitals geredet. Das werden wir demnächst ebenfalls umsetzen müssen. Wir müssen hier aufpassen, dass neben der angelsächsischen Kultur auch unsere nationalen und europäischen Interessen einfließen, damit unsere Banken keinen Schaden erleiden, wenn nur noch bestimmte Formen von Eigenkapital und Kernkapital anerkannt werden. ({1}) Viele Dinge sind also schon auf dem Weg. Sie wissen auch, dass ein Gesetzentwurf in der Mache ist, der Vergütungssysteme regeln soll. Sie sollen nachhaltig angelegt werden. All das sind Punkte, die wir bereits auf den Weg gebracht haben bzw. die wir auf den Weg bringen werden, um unser Ziel zu erreichen. ({2}) Wir können froh sein - das müssen wir zugestehen und unterstützen es, dass Herr Obama einen Vorschlag gemacht hat, und zwar einen für die USA vielleicht zielführenden. Das bietet uns die Möglichkeit - das Zeitfenster ist offen -, zu internationalen Abstimmungen zu kommen. Nur, nicht alle Punkte, die vorgeschlagen werden, passen zu unserem europäischen Bankensystem, zu unserer Bankenstruktur. Wollen Sie in Deutschland zurück zu einem Trennbankensystem? ({3}) Es kann nicht sein, dass Sie sich nur die Rosinen herauspicken. Sie müssen das, was wir durchführen wollen, immer in der Gesamtschau betrachten. Von daher ist das, was wir wollen, schlüssiger. Neben dem Insolvenzrecht - Abwicklung und Neustrukturierung von Finanzinstituten - brauchen wir begleitend eine bestimmte Fondslösung, die die Sicherstellung von Zahlungsströmen gewährleistet. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass das der gravierende Unterschied zur gewerblichen Wirtschaft ist. In diesem Zusammenhang könnte unser SoFFin eine zusätzliche Aufgabe erfüllen, und zwar in Kombination mit einer Aufsicht, die durchaus auch auf Geschäftsmodelle Einfluss nehmen kann. Sie sollte eingreifen können, ehe es zum Crash kommt, wodurch wiederum Rettungsaktionen erforderlich würden. Wir stellen uns vor, dass die Abgabe der gesamten Finanzwirtschaft in diesen Fonds fließt, damit wir zukünftig Potenzial für die Abfederung von Restrukturierungsmaßnahmen und Abwicklungsmaßnahmen haben. Sie müssen alle Maßnahmen immer im Gesamtpaket sehen. Damit müssen wir in diesem Jahr auf nationaler Ebene rüberkommen, damit wir auch auf europäischer und internationaler Ebene unseren Beitrag leisten können. Wir sollten selbstbewusst genug sein, gerade im Verhältnis zum angelsächsischen Raum, unser Potenzial und unsere Lösungskompetenz, die auf europäischer Ebene angeboten werden kann, in die Waagschale zu werfen, damit wir, was zusätzliche Regulierung anbelangt, auch international zu vernünftigen Abschlüssen und Vereinbarungen kommen, zum anderen aber auch, um die Finanzarchitektur in der Welt insgesamt zu stabilisieren. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Sieling hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren in der Tat schon fast wöchentlich in diesem Hause über Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte und zur Bekämpfung der Auswirkungen, mit denen wir uns herumzuschlagen haben. Ich teile die Auffassung - Herr Dautzenberg, Sie haben das angesprochen -, dass es ein Problem ist, wenn man von Woche zu Woche andere Einzelaspekte beredet. Man muss aber einmal über die Ursache reden. Die Ursache der Tatsache, dass dieses Parlament immer nur Einzelfragen bereden kann, liegt darin, dass die Bundesregierung kein Konzept vorlegt, dass es keine Handlungsvorschläge gibt. ({0}) - Herr Schäffler, Sie werden ja nach mir reden. Dann werden Sie in der Sache wahrscheinlich allem widersprechen, was Herr Dautzenberg gerade vorgetragen hat. ({1}) Denn Sie sind ein Vertreter der Hands-off-Politik: nur nichts anfassen, nur nichts machen, sondern die Märkte laufen lassen. Herr Dautzenberg, Sie haben heute erstmalig - das muss man sagen - einige Eckpunkte und eine Reihe von Aspekten angesprochen. Beim letzten Mal ging es ein bisschen kursorisch los bei Ihnen. Ich bin sehr froh, dass Sie sich nach vorn bewegen und Aspekte ansprechen. Wir haben das auch dringend nötig. Deutschland kann nicht abwarten. In den USA und überall passiert etwas, und hier wird nur geredet. Das geht nicht. Von daher ist das ein richtiger Schritt, Herr Kollege. ({2}) Ich muss allerdings sagen, dass ich nicht zufrieden bin über ein Zitat des Bundesfinanzministers, das ich Anfang dieses Monats gelesen habe. Ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Präsidenten: Er verwende - so Herr Schäuble deshalb nicht zu viel Engagement auf die Debatte, ob eine Finanztransaktionssteuer, Sonderabgabe oder Fondslösung besser sei. „Wichtiger ist, dass wir international einen gemeinsamen Weg finden“ … Das beruhigt mich nicht. Denn was heißt das? Dass die Bundesregierung sich keine Gedanken macht, keinen Vorschlag entwickelt, keinen Plan hat und auf internationale Konferenzen laufen will. Das reicht nicht. Legen Sie etwas vor! Darum geht es ja. ({3}) Jetzt bin ich aber etwas verwundert. Herr Dautzenberg, vielleicht sind Sie selber auch enttäuscht über das, was das Kabinett gestern zu dem wichtigen Thema Bankenboni beschlossen hat. Das war ja nur - ich will es einmal so nennen - ein Handlungsversuch; denn das, was dort zur Einschränkung der Vergütung im Finanzbereich vorgelegt und beschlossen worden ist, ist ein zahnloser Tiger. Es ist nicht mehr gemacht worden als das, was in der Großen Koalition auf unseren Vorschlag hin schon durchgesetzt worden ist, auf die untere Managementebene von Banken auszuweiten. Aber den wesentlichen Punkt sind Sie gestern mit dem Beschluss der Bundesregierung nicht angegangen: Die steuerliche Abzugsfähigkeit für Vorstandsvergütungen und Abfindungen muss deutlich verändert werden. ({4}) Als Tiger gestartet, und als Bettvorleger gelandet - mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich will es gerne aufnehmen: Wir brauchen ein Handlungspaket. Ich will aber deutlich an den Anfang stellen - Kollege Gysi hat dies hier angesprochen -: Wir brau1914 chen nicht nur nachsorgende Vorschläge, wie zum Beispiel Regelungen zum Insolvenzrecht oder ein meines Erachtens ausgesprochen zweifelhaftes Organisationsgehuber, ({5}) indem man die BaFin jetzt der Bundesbank angliedern will, was zu einer Reihe von verfassungsrechtlichen Problemen führen wird. Das reicht nicht. ({6}) Ich halte für wichtig, dass wir uns in Deutschland dazu bekennen, dass wir eine Finanztransaktionssteuer international einführen wollen. So etwas brauchen wir. Das steht nicht im Widerspruch zu den Themen, über die wir hier diskutieren. ({7}) Ich will alle diese Punkte benennen, damit klar wird, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zwar einzelne Themen ansprechen und nach vorne bringen, dass wir aber ein Gesamtkonzept haben: Die Finanzmarktaufsicht muss angegangen werden. Der Eigenhandel der Banken muss eingeschränkt und verboten werden. Eigenkapitalvorschriften für Banken müssen verschärft werden. Steuerhinterziehung in Steueroasen muss wirkungsvoll bekämpft werden. Wir brauchen aber entsprechende Gesetze, damit wir nicht solche Debatten führen müssen wie zurzeit. Das muss auch in diesem Zusammenhang geschehen. ({8}) Heute haben wir einen Antrag der Fraktion Die Linke vorliegen. Es ist völlig richtig, dass vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Monate bezüglich der Rekordboni auch angesprochen worden ist, welche Gewinne die Deutsche Bank wieder macht und wie Herr Ackermann damit umgeht, mit welcher Überheblichkeit und Unverschämtheit darauf reagiert wird. Das verlangt politische Reaktionen. Darum ist es richtig, dass wir uns hier in diesem Hause dem Vorschlag aus den USA zuwenden, ({9}) darüber reden und ihn weiterdenken. Ich frage mich aber angesichts der Debatten, die ich bereits erlebt habe - ich bin ja noch nicht so lange im Bundestag -, was die Fraktion Die Linke eigentlich will. Im Dezember 2009 lag im Rahmen der Debatte über die Kreditklemme ein Antrag von Ihnen vor, in dem Sie vorgeschlagen haben, die Banken zu verstaatlichen. ({10}) Das sprechen Sie heute nicht mehr an. Heute wollen Sie eine Abgabe von ihnen. Wie darf ich das verstehen? Sie verstaatlichen die Banken, und dann nehmen Sie ihnen doch die Steuer ab? Wissen Sie, was Sie wollen, oder hat sich jetzt der Realoflügel durchgesetzt? ({11}) Klären Sie erst einmal diese Punkte, bevor Sie hier Anträge vorlegen! Ich finde, das ist ein Widerspruch in Ihrer Politik, den Sie in Ihren Anträgen sogar verschriftlichen. Wir müssen darüber hinaus natürlich zur Kenntnis nehmen, dass es einen Unterschied zwischen dem Bankensystem in den USA und dem in Deutschland gibt. Auch dieser Unterschied wird meiner Meinung nach zu wenig berücksichtigt. ({12}) Wir sind für das Dreisäulenmodell. Wir sind dafür, dass das Bankensystem in Deutschland so bleibt, wie es ist. ({13}) Ich frage Sie: Was soll die in Ihrem Antrag formulierte Grenze von 30 Milliarden Euro? Wie begründen Sie die? Woher kommt die? Als ich mich informiert habe, wurde mir deutlich gemacht, dass in Deutschland - das kann man nachlesen - auch zwei Sparkassen unter die von Ihnen geforderte 30-Milliarden-Euro-Grenze fallen. Wollen wir, dass die Sparkassen und vielleicht auch andere Akteure, die ein Stabilitätsfaktor sind, hier einbezogen werden? Wollen wir, dass auch die Finanzkonzerne, die über den SoFFin Unterstützung bekommen, zu einer solchen Abgabe herangezogen werden? Das alles sind Fragen, die Sie in Ihrem Antrag nicht beantworten. Als letzte Bemerkung will ich zu diesem Punkt sagen, dass aus unserer Sicht der Vorschlag, über den in Schweden diskutiert wird, sehr bedenkenswert ist. Dort wird darüber nachgedacht, ganz in diesem Sinne eine Abgabe einzuführen. ({14}) Die dadurch erzielten Einnahmen sollen allerdings nicht in den staatlichen Haushalt, sondern in einen besonderen Fonds fließen. ({15}) - Wie ich sehe, stimmt mir Herr Dautzenberg zu. ({16}) Das muss man allerdings deshalb tun, weil das schöne Krisengipfelchen, das die Kanzlerin vor einigen Monaten im Kanzleramt durchgeführt hat, nicht ausgereicht hat. Herr Ackermann hat warme Worte abgeliefert, aber er liefert kein Geld ab. Darum braucht man einen solDr. Carsten Sieling chen Vorschlag. Wie gesagt, vielleicht ist der schwedische Weg sinnvoll. Ich empfehle für meine Fraktion, dass wir über diese Themen weiterhin diskutieren und sie ordentlich beraten sollten. Die Richtung Ihres Antrags ist sicherlich in Ordnung; das hat selbst Herr Dautzenberg gesagt. Aber wir müssen noch darüber reden, welche genaue Ausprägung eine entsprechende Regelung haben sollte. Das, was die Fraktion Die Linke uns hier vorgelegt hat, ist so nicht zustimmungsfähig. ({17}) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Frank Schäffler das Wort. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man über dieses Thema spricht, ist es entscheidend, dass man erst einmal eine vernünftige Analyse durchführt. Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann muss ich feststellen, dass Sie schon an der Analyse scheitern. Denn in Ihrer Analyse sprechen Sie nur von den privaten Banken, die nach Ihrem Duktus Verursacher der Krise sind. Tatsächlich vergessen Sie einen ganz entscheidenden Teil des deutschen Bankensystems, der ebenfalls zur Schieflage beigetragen hat, ({0}) nämlich den öffentlichen Bankensektor. ({1}) Ich will Ihnen ins Stammbuch schreiben: Allein in den letzten Jahren sind Steuergelder in Höhe von 37 Milliarden Euro für die öffentlichen Landesbanken in Deutschland ausgegeben worden. ({2}) 198 Milliarden Euro sind für Garantien für die öffentlichen Landesbanken in Deutschland ausgegeben worden. An dieser Stelle kann man lange über Schuldzuweisungen sprechen. ({3}) Aber die Sozialdemokraten in diesem Hause sind für die Schieflage der Landesbanken in Deutschland ganz entscheidend mitverantwortlich. Denn seit dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung hat Ihr ehemaliger Finanzminister in Brüssel die Übergangsregelungen verhandelt, die dazu geführt haben, dass sich die Landesbanken in Deutschland mit rund 300 Milliarden Euro zusätzlich verschulden konnten, und das mit staatlicher Garantie. Das fällt uns in Deutschland heute auf die Füße. ({4}) Entscheidend ist auch, dass wir im Bereich der Regulierung unsere Lehren ziehen und auch Maßnahmen ergreifen. ({5}) Sie behaupten, wir würden hier nichts machen. Aber wir diskutieren hier im Parlament fast täglich über Maßnahmen, mit denen wir regulierend eingreifen. Ich will das Beispiel der Eigenkapitalanforderungen im Bereich der Verbriefungsmärkte nennen; hier werden wir etwas tun. Wir werden auch bei den Ratingagenturen stärkere Regulierungen vornehmen; ({6}) auch hierzu liegt schon ein Kabinettsentwurf vor. Wir werden - Herr Dautzenberg hat darauf hingewiesen - im Bereich des Insolvenzrechts etwas tun. Auch das ist wichtig im Bankenbereich. Wir werden im Bankenbereich auch etwas tun im Hinblick auf die Haftung, damit Verantwortung und Haftung am Ende wieder zusammenfallen. Das ist einer der wesentlichen Bausteine der sozialen Marktwirtschaft. Das werden wir in Deutschland umsetzen. ({7}) Klar ist: Wir brauchen eine Fortentwicklung des SoFFin und der Einlagensicherung. Es geht darum, wie wir auch die Banken und die Institute, die kein Einlagengeschäft haben, an der Finanzierung der Krise beteiligen können. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Instituten, insbesondere die Landesbanken, die überhaupt kein Einlagengeschäft haben. Sie tragen zur Bewältigung der Krise derzeit nichts bei. Deshalb müssen wir - auch das ist eine Lehre aus dieser Krise, und da liegen wir gar nicht so weit auseinander - den SoFFin weiterentwickeln. Der SoFFin muss die Basis für die Finanzierung dessen sein, was bislang der Steuerzahler ausgelegt hat. Das geht aber nicht mit einem Schnellschuss. Da müssen Sie uns mehr Zeit geben als 100 Tage; denn das ist ein sehr komplexes Thema. Wir müssen auch international die richtigen Verabredungen treffen. Insofern haben wir im Bereich der Regulierung sehr viel gemacht und sehr viel auf den Weg gebracht. Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, etwas, was uns dieser Tage leider um die Ohren fliegt. Das ist das, was wir mit billigem Geld auf dieser Welt angerichtet haben. Das Beispiel Griechenland zeigt doch, wohin die Verschuldungspolitik letztendlich führt: Sie führt am Ende dazu, dass auch auf staatlicher Ebene Bail-outs zumindest in den Bereich des Möglichen rücken. Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage: Wie kommen wir wieder zu stabilem Geld, wie können wir Sparen und Geldproduktion wieder in Einklang bringen? Die Voraussetzung dafür ist, dass wir zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung kommen. Einem Alkoholiker hilft man auch nicht dadurch, dass man ihm eine neue Flasche Schnaps hinstellt. Als Antwort auf die Krise, die wir derzeit erleben, muss es strukturelle Änderungen geben, auch in der Haushaltspolitik beispielsweise von Griechenland. Alles andere lassen die europäischen Verträge aus meiner Sicht nicht zu. Deshalb müssen wir in diesem Haus auch über eine Fortentwicklung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes diskutieren. Wer hat denn den Stabilitäts- und Wachstumspakt 2005 aufgeweicht? Das war Hans Eichel. Aus einer haushaltspolitischen Situation heraus, die national geprägt war, hat er den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweicht. Das führt am Ende dazu, dass die Stabilität des Euro aufgeweicht wird. Dafür tragen die Sozialdemokraten die Verantwortung. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ergibt wenig Sinn und ist eher ein Ablenkungsmanöver, wenn immer alle Maßnahmen zu einer Debatte zusammengefügt werden; dann kann man nämlich schön vom einen zum anderen gehen. Natürlich setzen Sie in Bezug auf die Ratingagenturen ein bisschen, was von der europäischen Ebene kommt, um. Die Frage ist aber: Was bedeutet der Satz des Finanzministers, der Finanzsektor soll für diese Krise zahlen? Steht etwas dahinter, oder steht wieder einmal nichts dahinter? ({0}) Vor der Bundestagswahl wurde plötzlich der Eindruck erweckt, auch die Union sei für eine Finanzumsatzsteuer. Sie haben dies nie wirklich betrieben; aber das war schön, um im Wahlkampf die Empörung der Bevölkerung, dass nichts passiert, abzufedern. Jetzt erklärt der Bundesfinanzminister, diese Steuer sei tot. Ich befürchte, dass es Ihrer Sonderabgabe für die Banken nach der NRW-Wahl genauso ergeht. Jetzt versucht man, der Empörung entgegenzukommen; nach der Wahl wird aber nichts passieren. Legen Sie einmal ein Konzept auf den Tisch! ({1}) - Ich freue mich, wenn ich das erleben sollte; denn es ist richtig. ({2}) Was Sie bisher gesagt haben, passt aber nicht zusammen. Sie sagen: Wenn Maßnahmen ergriffen werden, müssen sie international vergleichbar sein. Wenn Sie das, was Obama angekündigt hat, auf Deutschland umlegen, bedeutet das jährlich nicht mehr als etwa 1 Milliarde Euro an Einnahmen. Dann sagen Sie: Damit sollen die Lasten der alten Krise gezahlt werden. Sie wollen damit auch den Fonds auffüllen, mit dem zukünftig Banken gerettet werden sollen. Wie das rein rechnerisch zusammenpassen soll, müssen Sie erst einmal erklären. Sie fordern zwar hier, dass die Belastungen der Krise von den Banken gezahlt werden sollen, aber das passt de facto nicht zu dem, was Sie sonst sagen. ({3}) Es gibt aber einen noch viel wichtigeren Punkt. Die Grundlage dafür, dass der Finanzsektor wirklich an den Kosten dieser Krise beteiligt wird, ist doch, dass erst einmal die Kosten dieser Krise offengelegt werden und dass so in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann, wer profitiert hat und wem Vorteile entstanden sind. Das heißt, wir müssen erst einmal transparent machen, was in dieser Krise wirklich passiert ist. Die Kernforderung an dieser Stelle ist: Legen Sie endlich offen, wer von den Rettungsmaßnahmen profitiert hat! Es ist ein Unding, dass der deutsche Steuerzahler und die deutsche Steuerzahlerin bis heute nicht wissen, was bei der Bankenrettung genau passiert. ({4}) Das ist die Kernaufgabe. Dazu möchte ich von Ihnen gerne etwas sehen. Von jedem Hartz-IV-Empfänger werden die 20 Euro Kindergeld, die zu viel gezahlt worden sind, zurückgefordert. Da ist man ganz rigoros. Was aber tut der deutsche Staat, wenn es um Milliarden geht? Alles bleibt hinter verschlossenen Türen. Nur über eine Veröffentlichung in den Medien wissen wir, wer von der Rettung der HRE profitiert hat. Ich fordere Sie auf, das zu machen, was teilweise in den USA im Zusammenhang mit der AIG passiert ist und was andere Staaten gemacht haben: Legen Sie endlich die Konditionen der Bankenrettung offen, damit wir wissen, wie die Kosten dieser Krise sind und wer von ihr profitiert hat! Dadurch können wir ermessen, ob Ihre geplante Abgabe so gestaltet ist, dass die Kosten der Krise wirklich von den Verursachern und Profiteuren getragen werden. ({5}) Wichtig ist auch, dass wir jetzt nicht die verschiedenen Maßnahmen gegeneinander ausspielen. Sie haben eine Abgabe in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro jährlich angedeutet. ({6}) - Rechnen Sie doch einmal um, was eine mit den USA vergleichbare Abgabe bei uns bringen würde, Herr Dautzenberg! ({7}) Dort sind es 120 Milliarden Dollar. Wenn Sie das auf die Größe des Finanzsektors umrechnen - Sie argumentieren ja, das müsse im Wettbewerb vergleichbar sein -, dann kommen Sie wegen des kleineren Finanzsektors in Deutschland auf eine sehr bescheidene Größenordnung von - das ist meine Schätzung - 1 Milliarde Euro. Sie können gerne eine andere Zahl vorlegen, anstatt nur Luftblasen zu produzieren. ({8}) Nennen Sie doch einmal eine zielgerichtete Maßnahme, mit der die Lasten dieser Krise getragen und verursachergerecht zugeordnet werden können! Sie können die Idee einer Finanzumsatzsteuer, die wir brauchen, um viele andere globale Aufgaben, zum Beispiel in der Entwicklungshilfe, zu finanzieren, nicht einfach beiseiteschieben. Sie versuchen, hier etwas zu vermengen, was nicht zusammengehört und was von den Größenordnungen überhaupt nicht zusammenpasst. Es bleibt bei der Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, die von der Bevölkerung übrigens in weiten Teilen unterstützt wird: Wir brauchen eine Besteuerung von Finanzumsätzen. Es ist niemandem vermittelbar, dass für jedes Brötchen und für jeden Schrank eine Umsatzsteuer zu zahlen ist, aber für Derivate nicht. ({9}) Jetzt kommt natürlich das altbekannte Argument der FDP, was durch Wiederholung leider nicht richtiger wird, dass durch solche Maßnahmen der Kleinanleger belastet würde. Nun müssen Sie einmal erklären, wie diese Abgabe auf die Kreditvergabe umgelegt wird und wie da die Belastungen sind. Ich bin sehr gespannt, ob Sie uns hierzu etwas vorlegen. Darüber hinaus sollten Sie uns die Studie, die Sie letztes Mal zitiert haben, einmal zur Kenntnis geben. Zumindest meine Recherchen haben ergeben, dass es diese Studie gar nicht gibt. ({10}) Tatsache ist, dass Sie mit dem Verweis auf die Belastungen des Kleinanlegers erreichen wollen, dass die wirklich großen Profiteure dieser Krise nicht zahlen sollen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für die Unionsfraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzmarkt ist in der Globalisierung außer Kontrolle geraten. Die Bankenbranche steht vor großen Herausforderungen; sie muss sich auf veränderte Situationen einstellen. Die Frage dabei ist, welche Vorstöße in die richtige Richtung gehen und langfristig Nutzen stiften und ob nicht mancher Ansatz, der hier vorgetragen wird, eher politischer Agitation dient. Wir wollen dem Wirtschaftsstandort und den Arbeitsplätzen dienen; das ist zunächst unsere Aufgabenstellung. ({0}) Die Hetzreden von Herrn Gysi ({1}) gegen die Finanzindustrie und Ihr Klassenkampf, den Sie hier veranstalten, dienen nicht den Arbeitsplätzen in Deutschland. Das ist vielmehr ein Anschlag auf die Arbeitsplätze in Deutschland. Das Verteufeln von Gewinnen entspricht nicht der sozialen Marktwirtschaft. ({2}) Wir müssen uns auf dem Boden, auf den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft bewegen und auf nichts anderem. ({3}) Wir brauchen natürlich, ganzheitlich betrachtet, einige Maßnahmen, aber nicht unbedingt Maßnahmen, die die Regulierung überziehen, sondern die eine bessere Regulierung bewirken. Wir müssen jetzt folgenden Dreisatz auf den Weg bringen: eine verbesserte Aufsicht, eine verbesserte Regulierung und natürlich - das gehört dazu - eine Kostenbeteiligung der Banken. ({4}) Das ist notwendig. Wir müssen ganz klar sagen: Es geht nicht, dass im Finanzsektor Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert und Risiken und Haftung immer weiter entkoppelt werden. Das passt in unserer Marktwirtschaft nicht zusammen. ({5}) Deswegen werden wir in diesem Dreiklang handeln. Der Bundesfinanzminister hat auf der G-7-Tagung in Kanada deutlich gemacht, wohin es gehen kann. Aber es ist festzustellen: Die USA machen bei der Einführung der Tobin-Steuer nicht mit. Damit ist die Tobin-Steuer tot; ({6}) das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Da bringt es nichts, Herrn Obama sozusagen zu umarmen. Das ist für ihn mit Blick auf seine ernsthaften Vorschläge eher eine Beleidigung. Die Bankenabgabe, die er vorschlägt, ist eine Maßnahme, die in die richtige Richtung führt und die wir als Europäer mit ihm umsetzen wollen. ({7}) Dabei geht es natürlich auch darum, wie hoch die sich daraus ergebende Belastung ist und ob das zu Wettbewerbsverzerrungen und zu Problemen am Wirtschaftsstandort und im Hinblick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen führen kann. Herr Dr. Schick, Sie sind zwar auf der richtigen Linie, aber Sie rechnen falsch. Die von Ihnen genannte 1 Milliarde Euro jährlich wäre ja wunderbar, Herr Dr. Schick, ({8}) aber das Ergebnis der Berechnungen, die auf der Grundlage des Obama-Vorschlages durchgeführt wurden, liegt nicht unter 9 Milliarden Euro. Sie sollten einmal sehen, welche Größenordnung in Deutschland im Bankengeschäft aufgebracht werden muss. Das bedeutet natürlich, dass man eine ganzheitliche Analyse dahin gehend vornimmt, ob das verkraftbar und zielführend ist und ob das unseren Unternehmen und der Sicherung der Arbeitsplätze schadet oder nützt. ({9}) Neben diesem Dreiklang - Aufsicht, Regulierung, Kostenbeteiligung - geht es um die Wirtschaftsethik der sozialen Marktwirtschaft. Das Bankgeschäft muss für unsere Gesellschaft insgesamt wieder verständlicher und akzeptabel werden. Es benötigt eine neue Vertrauensbasis in der sozialen Marktwirtschaft. Das geht nicht mit Hetztiraden, sondern nur mit ganz konkreten, soliden, verantwortungsbewussten Vorschlägen und Maßnahmen und insbesondere mit einer Erklärung zur Erhaltung unseres Dreisäulenmodells. Ich wende mich ganz massiv dagegen, dass hier undifferenziert irgendetwas reguliert und das Dreisäulenmodell letzten Endes beschädigt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. ({0}) Die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen können nichts dafür, dass die Finanzmärkte außer Kontrolle geraten sind. Deswegen können wir sie jetzt nicht dafür in Haftung nehmen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. - Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin, dass ich nicht gleich gehört habe.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, würden Sie noch einmal genau präzisieren, wie Sie auf die 9 Milliarden Euro kommen, und können Sie sagen, dass die Bankenabgabe, die Ihre Regierung vorschlagen wird, in Deutschland ein Aufkommen von mindestens 9 Milliarden Euro pro Jahr haben sollte, und wie hoch beziffern Sie derzeit die Kosten der Krise? Ich frage das, damit man sehen kann, ob dieses Aufkommen bezogen auf die Kosten der Krise einen relevanten Anteil hat. Oder messen Sie das vielleicht an den Vorteilen, die die Banken und Versicherungen durch die Rettungsmaßnahmen gehabt haben? ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Schick, ich bitte um Verständnis dafür, dass wir ({0}) in einer solchen Situation natürlich interne Gespräche führen und im Ausschuss Aufklärung betreiben und Informationen zur Verfügung stellen. Wir werden diese internen Überlegungen und Berechnungen mit Ihnen, der Sie sehr fachkundig sind, im Detail besprechen. ({1}) Ich kann eine solche Berechnung in meiner Rede jetzt sicherlich nicht darstellen. ({2}) Ich werde dies mit Ihnen aber fachlich erörtern, und ich gehe davon aus, dass auch Sie daran interessiert sind, dass wir hier Maß und Mitte treffen. So habe ich Sie bei Ihrer Facharbeit im Ausschuss immer kennengelernt: Sie wollen Maß und Mitte finden, insbesondere auch im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Kreditwirtschaft. Ich gehe davon aus, dass wir hier dann auch zu Lösungen kommen. Wichtig ist zunächst einmal, dass wir die Kostenübernahme durch die Banken als Grundsatz und europa- und weltweit als durchsetzungsfähige Grundlage anerkennen. Meiner Meinung nach müssen wir sehen: Alle anderen Dinge, die hier sonst immer wieder durch Anträge eingebracht werden, sind nur Ausdruck von nationalem Geplänkel. Das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen eine internationale Lösung. Diese internationale Lösung funktioniert nur mit einer Bankenabgabe. ({3}) Meine Damen und Herren, ich möchte das noch einmal sagen: Klar ist, dass eine Bank einen gewissen Preis zahlen muss, wenn der Staat ihre Risiken übernimmt. Alles andere wäre dem Staat nicht zuzumuten und außerdem natürlich auch eine Wettbewerbsverzerrung. Deswegen halte ich es für wichtig, dass wir jetzt Vorbereitungen für die hochrangige internationale Konferenz im Mai in Berlin treffen, zu der der Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang Schäuble, eingeladen hat. Hier werden wir natürlich auch ganz konkret Entscheidungen der G 20 vorbereiten müssen. Der G-20-Gipfel ist die richtige Veranstaltung dafür, Lösungen auf den Weg zu bringen, durch die der Globalisierung Rechnung getragen wird, um die Kreditwirtschaft und die Finanzindustrie letzten Endes für die Zukunft solide aufzustellen und ein klares Zukunftskonzept für sie zu erhalten. Wir müssen immer wieder verdeutlichen, dass das Bankgeschäft im Kern letzten Endes eine der Wirtschaft dienende Funktion hat. Der Staat rettet die Banken nicht um ihrer selbst willen, sondern mit Blick auf diese für die Gesellschaft und ihren Wohlstand wichtige Aufgabe. Das muss das Maß aller Dinge sein. Ich darf verdeutlichen, dass wir auch bisher schon die richtigen Maßnahmen getroffen haben. ({4}) Ich denke dabei an die Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht, an das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und an das Bilanzierungsmodernisierungsgesetz. Die Maßnahmenkataloge müssen jetzt weiterentwickelt werden, aber es ist nicht so, dass wir noch nicht gehandelt haben. Wir haben bereits Maßnahmen getroffen, die insgesamt weiterentwickelt werden müssen. Dies wird in den nächsten Wochen geschehen. Dabei ist, glaube ich, wichtig: Nationale Lösungen greifen zu kurz; internationale Abstimmung ist erforderlich. Deutsche Alleingänge wird es mit uns nicht geben, weil dies zu Wettbewerbsverzerrung und Umgehungstatbeständen durch Verlagerung ins Ausland führt. Wir wollen, dass der Finanzplatz Deutschland erhalten wird, weil wir diese dienende Funktion für unseren Wirtschaftsstandort und unsere Arbeitsplätze auch in der Zukunft benötigen. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzmarktjongleure haben uns die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit beschert. Wir müssen uns noch einmal vor Augen führen, dass im Spätsommer 2008 das internationale Finanzsystem kurz vor dem Zusammenbruch stand. Ursache der Krise war die Marktgläubigkeit der meisten Wirtschaftswissenschaftler und die Gier vieler Manager in dieser Branche. Geld sollte mit Geld verdient werden, und zwar mit Wetten. 1980 betrug das weltweite Bruttoinlandsprodukt 10,1 Billionen Dollar, die globalen Finanzanlagen 12 Billionen Dollar. 2007 betrug das globale BIP 55 Billionen Dollar, die Finanzanlagen 197 Billionen Dollar. Daraus geht eines ganz klar hervor: Wir können es diesen Wissenschaftlern und Managern nicht überlassen, diese Krise zu bewältigen. ({0}) Unsere Aufgabe ist es jetzt, vom Pumpkapitalismus zur nachhaltigen Marktwirtschaft zu kommen. Es muss alles getan werden, um zu verhindern, dass solch eine Katastrophe noch einmal passiert. ({1}) Dabei ist es ganz entscheidend, dass die Lasten der Krise fair verteilt werden. Das heißt, wir müssen in besonderem Maße die Verursacher dieser Krise zur Kasse bitten, und wir müssen Leitplanken für die Finanzmärkte einziehen. Denn es ist ein Skandal, dass zwar der Bau jeder Kleingartenlaube in Deutschland festen Bestimmungen unterliegt und klar geregelt ist, die Finanzmärkte aber unreguliert funktionieren sollen. ({2}) Inzwischen ist das Finanzmarktsystem stabilisiert, aber nicht reformiert. Wir müssen fragen, warum das so ist. Frankreichs Präsident Sarkozy hat gerade in Davos gelobt, die Perversion des Finanzkapitalismus auszurotten. Ich habe jetzt erfahren, dass die Bundeskanzlerin auch dort war. Nun gut, gehört haben wir von ihr nichts. ({3}) - Ja, so ist es. Das ist eben typisch für diese Bundesregierung. Was macht diese Bundesregierung? Diese Frage stellt man sich ja. ({4}) Sie redet. Sie findet Vorschläge bedenkenswert. Sie äußert Sympathie für dieses und jenes. Charmante Idee, hörte man. Immer gibt es auch jemanden aus der Regierung, der genau die gegenteilige Meinung äußert. Nichts ist geschehen. ({5}) - Ich will noch einmal deutlich sagen: Ohne unseren Finanzminister hätten wir ein riesiges Problem. Sie leben doch heute noch von dem, was Peer Steinbrück damals in die Wege geleitet hat. ({6}) Im Koalitionsvertrag finden sich die üblichen Widersprüche. Unter der Überschrift „Der Weg aus der Krise“ folgen dann Maßnahmen von der steuerlichen Klientelbeglückung von Hoteliers bis zu einer EscapeKlausel, mit der die Unternehmen beglückt werden. Nach der Kreativwirtschaft auf Seite 53 des Koalitionsvertrages kommen einige allgemeine Aussagen zu den Finanzmärkten. Das war es dann. Genau so ist auch die Politik dieser Bundesregierung: Reden ja, Handeln nein. Man versteckt sich hinter den anderen G-20-Ländern; man läuft hinter ihnen her. Wir Sozialdemokraten haben konkrete Vorschläge gemacht. Ergebnis war: Diese Vorschläge wurden abgelehnt. Es wurde im Übrigen bei der Debatte hier deutlich, dass die Koalitionspartner sehr unterschiedliche Vorstellungen haben, was zu tun und was zu lassen ist. Es überwiegt die Strategie, Handeln an internationale Gremien zu delegieren. ({7}) Es gibt genügend Vorschläge, was zu tun wäre. Es sind einige genannt worden, zum Beispiel der Vorschlag, den Risikopuffer durch eine größere Eigenkapitalunterlegung der Banken zu vergrößern und damit die Verantwortung der Kapitaleigner zu stärken. Aber Sie dürfen nicht nur allgemeine, sondern müssen auch konkrete Vorschläge machen. Sie müssen die Zahl der Eigengeschäfte der Banken reduzieren, klare gesetzliche Beschränkungen bei Boni und Gehaltszahlungen vornehmen und dürfen nicht nur allgemeine Regelungen erlassen. Über Rettungsfonds haben wir bereits diskutiert. Leider muss man feststellen, dass bei diesen Fragen der Regulierung der Finanzmärkte und den notwendigen Maßnahmen zur Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise die Liste der Themen, bei denen die Bundesregierung Chaos und Vielstimmigkeit verbreitet, um einen weiteren Punkt ergänzt wird. Da verkündet der CSU-Generalsekretär, man sei für eine Spekulationssteuer. Die Bundesjustizministerin von der FDP plädiert für verschärfte Haftungsregelungen für Manager und Banker im Zivilrecht, will aber von der CSU-Forderung nach Einführung einer Spekulationssteuer nichts wissen. CSU-Chef Seehofer spricht sich für eine internationale Transaktionsteuer aus. Die Bundeskanzlerin sagt, das sei eine charmante Idee. ({8}) Finanzminister Schäuble sagt: Die Tobin-Steuer ist tot. Der bayerische Finanzminister Fahrenschon sagt, eine solche Bankenabgabe sei prinzipiell auch in Deutschland vorstellbar. Die Justizministerin will von diesem Vorschlag nichts wissen. Der Kollege Schäffler will von alldem nichts wissen; das haben wir inzwischen mehrfach erlebt. Dann kommt der Finanzminister und verkündet, er wolle nun eine Sonderabgabe für Banken installieren. Sehr schön! Dann hören wir hier vom Kollegen Dautzenberg, dass es doch konkrete Überlegungen zumindest in der CDU-Fraktion gebe. ({9}) Von der Bundesregierung ist nur dieser vielstimmige Chor, dieses Chaos zu vernehmen. Wir müssen bereits nach 100 Tagen dieser Wunschkoalition leider einen Grad an Lähmung und Stillstand konstatieren, wie er in 16 Jahren schwarz-gelber Kohl-Ära festzustellen war, ({10}) und all das in der größten Krise der Nachkriegszeit. Diese Regierung hat kein Konzept. Diese Regierung hat keine Strategie. Man wünscht sich, dass diese Bundesregierung nicht nur auf bereits fahrende Züge nach Bedarf aufspringt, sondern selbst den internationalen Diskussionsprozess mitgestaltet. Hierzu ist leider kein Ansatz erkennbar. Obamas Stabschef, Rahm Emanuel, hat einmal gesagt: „Regel Nummer eins: Verschwende nie eine Krise; sie gibt uns Gelegenheit, große Dinge zu tun.“ Ich muss feststellen: Diese Bundesregierung ist dabei, die Krise zu verschwenden. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Björn Sänger für die FDPFraktion. ({0})

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Banken sollen für die Krise zahlen. Wer würde das nicht unterschreiben? Ich denke, in diesem Haus dürfte das jeder tun. Der Antrag der Linken ist vom Prinzip her richtig. Er geht in die richtige Richtung. Umso wichtiger ist, dass man mit Sorgfalt an dieses Thema herangeht und nicht schon nach 100 Tagen ein komplett ausgereiftes Konzept erwartet. Ich weiß nicht, ob diese murmeltiertagähnlichen, ständigen Wiederholungen des immer Gleichen im Wochenrhythmus der Plenarsitzungen hilfreich sind. Der vorliegende anderthalb DIN-A4-Seiten umfassende, relativ schnell heruntergeschriebene Antrag sollte - der Kollege Dautzenberg hat schon darauf hingewiesen - eigentlich, wenn man ehrlich ist, nur dem Ziel dienen, dem Kollegen Gysi einen Auftritt zu verschaffen. ({0}) Er sei Ihnen gegönnt. Der Antrag orientiert sich aber nicht an der Sache und ist schlussendlich nicht sinnvoll. ({1}) Bei der Frage nach dem Verursacher der Krise kann man darüber nachdenken, ob das die Banken in DeutschBjörn Sänger land waren oder ob der Verursacher nicht vielmehr im Ausland zu suchen ist. Die Diskussion führt uns an dieser Stelle nicht weiter; die Argumente sind ausgetauscht. Das Problem ist auch: Was sind überhaupt die Kosten der Krise? Auch da sind Sie sehr vage. Das kann man zum heutigen Zeitpunkt auch noch nicht feststellen, weil ein großer Teil in Form von Bürgschaften hinterlegt ist, bei denen wir noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt zum Einsatz kommen. Wir hoffen natürlich, dass das nicht der Fall sein wird. Sie listen etwa 400 Milliarden Euro auf. Ob das die Summe ist, die am Ende gezahlt werden muss, ist fraglich. Man könnte natürlich auch noch darüber nachdenken - auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen -, ob man nicht vielleicht die 5 Prozent Rückgang des Bruttoinlandsprodukts als Kosten der Krise ansieht, wobei ich sagen würde, dass das möglicherweise etwas zu weit geht. Ihre Antwort ist eine Art Banken-Bashing. Auch das führt uns an dieser Stelle nicht weiter.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Sänger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, während unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss zur Hypo Real Estate war es auch die Position der FDP, dass wir eine größere Transparenz in Bezug auf die Art der Bankenrettung, auf die Konditionen und darauf, wer von dem Ganzen profitiert, brauchen. Sie haben gerade gesagt, wir könnten die Kosten der Krise noch nicht richtig einschätzen. Ist es die Position Ihrer Fraktion, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben, die Konditionen der Bankenrettung zu erfahren und durch eine Auflistung nachvollziehen zu können, wer von den einzelnen Maßnahmen in welcher Höhe profitiert, oder ist das nicht die Position Ihrer Fraktion?

Björn Sänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004141, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich denke schon, dass es sinnvoll ist, am Ende des Tages einen Strich zu ziehen, ({0}) um zu sehen, welche Mittel wohin geflossen sind. Das Problem ist nur: Das sehe ich in dem Antrag, um den es hier geht, schlichtweg nicht. Da werden nur vage Summen genannt. Wir wissen ja auch zum heutigen Zeitpunkt - ich kann mich da nur wiederholen - noch gar nicht, welche Mittel schlussendlich zum Einsatz kommen. Am Ende des Tages müssen wir - da gebe ich Ihnen recht - einen Strich ziehen und schauen, welche Steuermittel wohin geflossen sind. ({1}) Der nächste Punkt, der hier seitens der Linken und interessanterweise auch von der Sozialdemokratischen Partei angesprochen wurde, waren die Gewinne. Diese wurden gegeißelt. ({2}) Aber Gewinne sind gerade im Bankenbereich in einer sozialen Marktwirtschaft notwendig, wenn es darum geht, das Eigenkapital zu stärken. Ich kann die Bankenbranche an dieser Stelle nur sehr herzlich auffordern, diese Gewinne tatsächlich dem Eigenkapital zuzuführen; denn sonst geraten wir möglicherweise in eine Kreditklemme. ({3}) Wer Gewinne in einer sozialen Marktwirtschaft in dieser Art und Weise geißelt, hat ein gestörtes Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft. ({4}) Ich finde es außerordentlich interessant, dass die Sozialdemokratische Partei in diesen Chor einstimmt. ({5}) Die Lösung der Probleme soll eine Abgabe sein. Ich sage Ihnen: Diese Abgabe ist sicherlich nicht linksextrem, Herr Kollege Gysi, aber sie ist an dieser Stelle komplett untauglich, weil sie die Risiken der unterschiedlichen Institute nicht in vernünftiger Art und Weise berücksichtigt. Wir brauchen ein Mehr an Regulierung und eine verbesserte Aufsicht. Wir müssen uns die Ratingagenturen ansehen und dahin kommen, eine Art Versicherungssystem - so nenne ich es einmal - für die Branche einzuführen, das passgenau arbeitet und die Branche angemessen an den Kosten dieser Krise beteiligt. ({6}) Zusammenfassend will ich sagen: Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, ist nichts anderes als unausgegorener Populismus; dieser kann keine Zustimmung finden. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die Unionsfraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, um auf einen Aspekt hinzuweisen, der in der bisherigen Diskussion meines Erachtens viel zu kurz gekommen ist. Ihr Antrag auf Einführung einer Sonderabgabe für Banken ist dafür ein guter Aufhänger. Denn diese Sonderabgabe ist von mehreren Seiten mit unterschiedlichen Zielsetzungen vorgeschlagen worden: zur Finanzierung der Kosten der Krise, zur Finanzierung einer Einlagensicherung, zur Lenkung von erwünschtem und unerwünschtem Verhalten. Jeder Vorschlag ist isoliert gesehen erwägenswert. Aber die Zielsetzungen widersprechen sich zum Teil und lassen andere wichtige Felder offen, zum Beispiel die Frage nach Regulierung der Derivatemärkte, nach der Rolle der Ratingagenturen oder nach der Organisation der Finanzaufsicht. ({0}) Damit wird auch das Problem der gegenwärtigen Diskussion deutlich. Viele Ideen - oder besser: viele Instrumente - machen leider noch kein Orchester. Ich möchte deswegen dafür werben, dass wir uns in Zukunft mehr darauf konzentrieren, aus den vielen Einzelvorschlägen ein geschlossenes System zu entwickeln, und weniger darauf, immer neue Ideen ins Spiel zu bringen. ({1}) Ich glaube, wir haben hinsichtlich der Grundstruktur dieses Systems, das wir uns wünschen, bereits einen sehr großen gemeinsamen Nenner. Erstens. Wir wollen einen Mechanismus zur Früherkennung von Systemrisiken. Es soll uns nie wieder passieren, dass wir Risiken wie die des amerikanischen Immobilienmarkts nicht richtig einschätzen und nicht richtig gewichten. Ich denke, wir sind uns einig, dass die europäische Systemaufsicht dafür ein guter Anfang ist ich betone: Anfang. Zweitens. Wir wollen verhindern, dass einzelne Finanzinstitute Risiken eingehen, die das gesamte System gefährden können. Wir sind uns einig, dass wir dafür mehr Transparenz schaffen müssen. ({2}) Wir müssen wissen und verstehen, was in den Büchern der einzelnen Banken steht. Die Vorschläge zur Regulierung des Derivatemarktes, aber auch zur Standardisierung der Verbriefung sind gut und richtig dafür. ({3}) Wir sind uns auch einig, dass wir eine engere Verbindung zwischen Haftung und Risiko herstellen wollen. Viele Vorschläge im Hinblick auf eine bessere Eigenkapitalausstattung gehen in diese Richtung. Wir diskutieren darüber, ob wir durch Lenkungssteuern risikoadäquates Verhalten von Finanzinstituten beeinflussen können. ({4}) Ein Vorschlag dazu ist die Transaktionsteuer, die gegenwärtig auf G-20-Ebene geprüft wird. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brinkhaus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe in diesem Zusammenhang eine kurze Frage; denn Sie reflektieren verschiedene Maßnahmen, die man ergreifen könnte. Wie bewerten Sie es, dass seit ungefähr einer Woche wieder Leerverkäufe in Deutschland zugelassen sind und dass damit die Zockerei im Kasino deutlichen Auftrieb bekommen hat? Es ist quasi ein weiterer Salon eröffnet worden. Das müsste doch komplett konträr zu Ihren Vorstellungen liegen.

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Frage. Wir werden die Leerverkäufe natürlich prüfen und bei diesem System berücksichtigen. Ich glaube allerdings, dass es der Diskussion nicht zuträglich ist, Herr Kollege, wenn wir mit Begriffen wie Kasinokapitalismus oder ähnlichen Begriffen argumentieren. Ich sage Ihnen, wie die Reaktion eines Zwölfjährigen aus meinem Wahlkreis auf die letzte Debatte war, die wir hier in diesem Haus geführt haben. Er hat sich gefragt: Warum machen die das überhaupt? Es geht doch nur darum, den anderen Parteien eins auszuwischen und sich gegenseitig zu beschimpfen. An Lösungen ist keiner interessiert. - Das macht mich traurig, und das wird eigentlich dem, was in diesem Hause geschieht, nicht gerecht. ({0}) Wir wissen, dass die internen Anreizsysteme von Fi- nanzinstituten nicht immer risikogerecht ausgelegt sind, und deswegen besteht Konsens über weiteren Rege- lungsbedarf hinsichtlich der Vergütungsstrukturen. Wir wissen aber auch, dass selbst die besten Kontroll- und Regulierungsmechanismen Krisen nicht verhindern können. Deswegen ist es wichtig, dass wir, drittens, Mechanismen zum Krisenmanagement und zur Krisen- finanzierung erarbeiten. Wir sind uns darüber einig, dass in diesem Zusammenhang besonders das Insolvenz- und Abwicklungsrecht für Banken wichtig ist. Wir wollen leistungsfähige Fonds aufbauen, die zumindest einen Teil der potenziellen Krisenkosten abdecken. Es spricht viel dafür, dies durch eine Sonderabgabe für Banken zu organisieren. Insofern besteht a) hinsichtlich vieler Einzelmaßnah- men fraktionsübergreifend durchaus Einigkeit - es sollte doch einmal betont werden, dass die Differenzen in der Sache im Grunde genommen gar nicht so groß sind -, und können wir b) feststellen, dass an der Umsetzung von vielen Maßnahmen bereits gearbeitet wird. Allein auf EU-Ebene wird momentan an 20 Maßnahmenpaketen gearbeitet, die wir im Rahmen unserer täglichen Arbeit im Finanzausschuss vorgelegt bekommen. Darum ist jetzt die Zeit, die einzelnen Maßnahmen nicht isoliert stehen zu lassen, sondern aufeinander abzustimmen und miteinander zu verknüpfen. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Wenn im Rahmen der Risikofrüherkennung auf Systemebene festgestellt wird, dass die Rohstoffmärkte spekulativ überhitzt sind, dann muss sichergestellt werden, dass dies auf der Ebene der systemrelevanten Banken zu Verhaltensänderungen führt, zum Beispiel durch verschärfte Eigenkapitalunterlegungen bei Rohstoffgeschäften. Dazu brauchen wir Automatismen. Wie wichtig diese Automatismen sind, sehen wir momentan am Beispiel von Griechenland. Das Problem ist erkannt. Eigentlich müsste jetzt eine vordefinierte Reaktion erfolgen. Die EU hat keine Reaktion vordefiniert, und deswegen müssen wir nun mühsam überlegen, was zu tun ist. Ich fasse zusammen: Wir kennen die wesentlichen Elemente eines neuen Systems, nämlich erstens die frühzeitige Überwachung von Systemrisiken, zweitens einen stringenten Regulierungsrahmen für einzelne Finanzinstitute und drittens standardisierte Verfahren zum Krisenmanagement. Wir wollen darüber hinaus die Banken an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligen. Ich glaube, es ist auch Konsens in diesem Haus, die Banken an den Kosten des Krisenmanagements zu beteiligen; von der FDP bis zu den Linken. Über viele Einzelmaßnahmen lässt sich fraktionsübergreifend ein Konsens erzielen. Vielleicht sollten wir damit anfangen. Jetzt aber geht es um eine Aufgabe, die ich auch durch die Vorschläge der Opposition nicht gelöst gefunden habe. Jetzt geht es darum, aus den vielen Einzelmaßnahmen ein abgestimmtes vernetztes Gesamtsystem zu modellieren. Dazu ist die von der Bundesregierung einberufene Finanzkonferenz eine gute Gelegenheit. Herr Staatssekretär Koschyk, ich habe es beim letzten Mal schon gesagt: Wir hegen diesbezüglich sehr hohe Erwartungen an den nächsten G-20-Gipfel in Kanada. Wir hegen deshalb sehr hohe Erwartungen, weil die Wirkung aller Mechanismen umso höher ist, je mehr Staaten mitmachen. ({1}) Ich sage auch ganz ausdrücklich: Wenn uns auf der G-20-Ebene keine Einigung gelingt, dann müssen wir versuchen, einen europäisch-amerikanischen Weg zu finden. Wenn auch das scheitert, dann müssen wir eine europäische Lösung organisieren. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann müssen wir über isolierte nationale Maßnahmen nachdenken. ({2}) Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich es aber nicht für zielführend, isoliert nationale Maßnahmen zu organisieren. ({3}) Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zum Schluss noch die Wiederholung einer Bemerkung aus der letzten Debatte vor zwei Wochen. Sie ist sozusagen mein Mantra in dieser Diskussion. Wir als Politik stoßen mit allen Aufsichts- und Regulierungsmaßnahmen an Grenzen, wenn sie nicht mit einer neuen Kultur der Verantwortung in den Banken einhergehen. ({4}) Das ist die gleiche Feststellung, wie ich sie vor zwei Wochen gemacht habe. Diese ist noch viel zu wenig ersichtlich. Es wäre vielleicht ein erstes gutes Signal, wenn von Bankenseite ein ernsthafter Vorschlag dahin gehend kommen würde, wie man sich an den Kosten der Finanzkrise beteiligen will. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/471 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf: 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umstellung der Finanzierung von Neu- und Ausbauprojekten in Bundesschienenwege - Drucksache 17/543 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eisenbahnsicherheit verbessern - Drucksache 17/544 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Vizepräsidentin Petra Pau ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gewährleistung der Sicherheit im Schienenverkehr muss Priorität haben - Drucksache 17/655 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen - Versorgung von Entwicklungsländern mit Generika sichern - Drucksache 17/448 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die folgenden Tagesordnungspunkte verlangen uns erfahrungsgemäß eine gewisse Konzentration ab. Ich bitte also diejenigen, die nicht daran teilhaben können, den anderen zu ermöglichen, jetzt dem Aufruf der Tagesordnungspunkte und den Abstimmungen zu folgen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 l sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 9 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) zu der Verordnung der Bundesregierung Siebenundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 17/42, 17/85 Nr. 2.1, 17/489 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/489, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/42 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 9 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 20 zu Petitionen - Drucksache 17/553 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 20 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 9 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 21 zu Petitionen - Drucksache 17/554 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 21 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 9 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 22 zu Petitionen - Drucksache 17/555 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 22 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 9 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 23 zu Petitionen - Drucksache 17/556 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 23 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDPFraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 9 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 24 zu Petitionen - Drucksache 17/557 Vizepräsidentin Petra Pau Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 24 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDPFraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 9 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 25 zu Petitionen - Drucksache 17/558 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 25 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDPFraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 9 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 26 zu Petitionen - Drucksache 17/559 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 26 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 9 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 27 zu Petitionen - Drucksache 17/560 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 27 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 9 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 28 zu Petitionen - Drucksache 17/561 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 28 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 9 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 29 zu Petitionen - Drucksache 17/562 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 29 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 9 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 30 zu Petitionen - Drucksache 17/563 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Grünbuch Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat - Drucksachen 17/504 Nr. A 15, 17/660 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({17}) Dr. Eva Högl Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 5 b: Beratung des Antrags der Bundesregierung Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung - Drucksache 17/600 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rettungsschirm für die Kommunen vor dem Hintergrund von Haushaltslage und schwarzgelben Steuersenkungsplänen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({18})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage der Kommunen ist dramatisch. Dramatischer könnte sie nicht sein. Letztes Jahr fehlten 4,5 Milliarden Euro in den Kassen von Städten und Gemeinden. In diesem Jahr werden es bereits 12 Milliarden Euro sein. Ich habe mich am vergangenen Freitag mit 140 Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten getroffen. Das Fazit unserer Gespräche war relativ eindeutig: Wenn das so weitergeht und keine Abhilfe kommt, dann werden die Pfeiler, die die Qualität des Zusammenlebens von 82 Millionen Menschen in Deutschland ausmachen, in den Städten und Gemeinden zusammenstürzen. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Wuppertal, eine Gemeinde im Bergischen Land, bereitet gerade ein Haushaltssicherungskonzept vor, um das Schlimmste abzuwenden. Darin steht, dass fünf städtische Schwimmbäder geschlossen werden sollen, dass das Schauspielhaus geschlossen werden soll, Zuschüsse für Sozial- und Jugendarbeit gekürzt werden sollen, höhere Beiträge für Kitas und Ganztagsschulen erhoben werden sollen. Sie wissen es genau, meine Damen und Herren - Wuppertal ist da kein Einzelfall -, in manchen Städten und Gemeinden gehen im Augenblick buchstäblich die Lichter aus. Die Laternen bleiben dunkel, weil das Geld für die Stromrechnungen ganz offenbar fehlt. Natürlich ist daran auch die Wirtschafts- und Finanzkrise schuld, was denn sonst. ({0}) Die Steuereinnahmen sind letztes Jahr um 10 Prozent zurückgegangen, die Gewerbesteuer um 18 Prozent. Ich darf aber daran erinnern: Wir haben geholfen, damit frühzeitig gegengesteuert werden konnte, unter anderem auch mit dem Konjunkturpaket, in dem viele Vorschlägen von uns aufgenommen wurden, die dazu beitrugen, dass die Fähigkeit der Kommunen zu Investitionen erhalten blieb. ({1}) Das lindert, hilft aber nicht gegen alle Folgen dieser Krise, vor allen Dingen, wenn die Arbeitslosigkeit weiter steigt. Daraus ergäbe sich nämlich zwangsläufig, dass die Sozialausgaben der Kommunen weiter stiegen. Die größte Bedrohung aber, meine Damen und Herren - das muss auch an einem solchen Tag gesagt werden -, für die kommunalen Finanzen sitzt auf der rechten Seite dieses Hauses, nämlich die schwarz-gelbe Bundesregierung. ({2}) Das, was Sie Wachstumsbeschleunigungsgesetz nennen - klientelpolitisches Gesellenstück sagen wir -, wird die Kommunen jedes Jahr allein 1,6 Milliarden Euro kosten. Wenn man das, was Sie für das laufende Jahr angekündigt haben, noch hinzunimmt, dann kommt man zu dem Schluss, dass das nur ein böser Vorgeschmack ist. Frau Merkel und Herr Westerwelle bemühen sich ja jedes Wochenende auf Krisengipfeln, noch einmal die Segnungen der bürgerlichen Koalition der Mitte hervorzuheben. ({3}) - Sie sagen dazu: „Sehr gut!“ Ich entgegne Ihnen: Wer eine bürgerliche Politik der Mitte machen will, der muss auch Verantwortung für die 82 Millionen Menschen in den Städten und Gemeinden tragen. ({4}) Wer das will, der darf keine Politik machen, bei der am Ende alle, vom Kleinkind bis zum Rentner, die Kosten dafür tragen, dass Sie für ein paar Leute, von denen Sie glauben, dass sie Sie gewählt haben, einige Kunststücke vollbringen. ({5}) Wenn Sie glauben, dass das eine bürgerliche Regierung ausmacht, dann kann ich Ihnen nur entgegenhalten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger das anders vorgestellt haben. ({6}) Wir brauchen in dieser Situation, die wirklich ernst ist, um jetzt zu unserem Vorschlag zu kommen, einen Rettungsschirm für die Kommunen. Deshalb fordern wir, dass die Einnahmeausfälle, die den Städten und Gemeinden durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz entstehen, ausgeglichen werden. Es ist doch ein Unding, dass Sie auf der einen Seite sagen: „Die Hotels können endlich wieder investieren“ - da wird dann also renoviert, und bei den Mövenpick-Hotels entsteht der eine oder andere neue Swimmingpool -, aber auf der anderen Seite städtische Schwimmbäder geschlossen werden. Das kann doch keine sinnvolle Politik sein. ({7}) Wenn wir uns darin einig sind, dass wir die Krise noch nicht überwunden haben und dass die Arbeitslosigkeit und damit die Kosten auf kommunaler Ebene weiter steigen, dann können wir das nicht einfach laufen lassen, sondern müssen etwas dagegen tun. Wir sagen zweitens: Es ist richtig, den Städten und Gemeinden zwei Jahre lang bei den Kosten der Unterkunft zu helfen und bundesseitig drei Prozentpunkte mehr zu übernehmen. ({8}) Drittens sagen wir Ihnen: Sie müssen auf die angekündigte schwarz-gelbe Einkommensteuerreform verzichten. Warum? Weil das noch einmal 4 Milliarden Euro Miese in den kommunalen Kassen bedeuten würde. Das kann und will sich keiner leisten. ({9}) - Krakeelen Sie nicht herum! Unsere schlichte Aufforderung - das wird in Deutschland gehört werden, auch von Ihren Bürgermeistern lautet: Treiben Sie mit Ihrer Politik die Städte und Gemeinden nicht weiter in den Ruin! ({10}) Lassen Sie die Finger weg von dem alten Traum, den vor allen Dingen Sie von der FDP hatten, nämlich der Beseitigung der kommunalen Gewerbesteuer. ({11}) Sonst wird am Ende die kommunale Selbstverwaltung nicht einmal mehr für Sonntagsreden taugen. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann für die Unionsfraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass der Titel dieser Aktuellen Stunde verändert worden ist. Das gibt mir Gelegenheit, die Steuervorstellungen der CDU/CSU-Fraktion in dieser Koalition darzustellen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Steinmeier, haben wir nicht vergessen, dass wir auch schon vor dem September in der Regierungsverantwortung waren. Wir sind sogar stolz darauf. ({0}) Weil wir in der Regierungsverantwortung standen, hatten wir Gelegenheit, das Jahr 2010 zu einem Jahr der großen steuerlichen Erleichterungen, der Steuersenkungen schlechthin zu machen. Ich will einen kurzen Überblick geben, weil so etwas ja schnell wieder vergessen wird. Im Jahre 2010 werden wir die Bürgerinnen und Bürger über das Bürgerentlastungsgesetz um 10 Milliarden Euro bei der Einkommensteuer entlasten. ({1}) Als Teil des Konjunkturpakets haben wir über die Tarifverschiebung und über den Grundfreibetrag Bürgerinnen und Bürger um 4 Milliarden Euro in 2010 entlastet. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das Sie leider immer auf Hotelbegünstigungen reduzieren, hat Familien um weitere 4,6 Milliarden Euro entlastet. ({2}) Um insgesamt 18 Milliarden Euro entlasten wir also im Jahr 2010 die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Familien, die auch in Kommunen leben, Herr Steinmeier. Dieses Geld geben wir den Bürgern zurück. So viel zu den Steuerplänen. Wir sind mittendrin im Steuersenkungsprogramm. ({3}) Das sollte nicht vergessen werden. Wir werden damit fortfahren. Interessanterweise war es mit Ihnen von der SPD als Koalitionspartner nicht möglich, den Facharbeiter und die Krankenschwester im Hinblick auf die kalte Progression zu entlasten. ({4}) Wir haben eine Entlastung in einem kleinen Bereich und bei der Unternehmensteuer hinbekommen. Aber der Facharbeiter und der kleine Handwerker, die ganz wesentlich diese Gesellschaft mit ihren Steuern mittragen, sind nicht entlastet worden. ({5}) Das werden wir in dieser Legislaturperiode nachholen. ({6}) Wir werden die kalte Progression vermindern und den Mittelstandsbauch abflachen. ({7}) - Finanzierung ist ein gutes Stichwort. Eine Sache - das will ich anerkennend sagen - haben wir gut hinbekommen: Wir haben in der letzten Legislaturperiode die Schuldenbremse gemeinsam in der Verfassung verankert. Ich will nicht verhehlen, dass aufgrund der Zustimmungssituation im Zusammenhang mit der Schuldenbremse die CDU/CSU in dieser neuen Koalition in einer ganz besonderen Verantwortung steht und dafür sorgen muss, dass diese Schuldenbremse greift und die damit verbundenen Maßnahmen eingehalten werden. ({8}) Ich bin froh, dass der Finanzminister und der Staatssekretär Koschyk bei den Haushaltsberatungen auf die Feststellung Wert gelegt haben, dass wir bis 2016 die künftige Generation mit den Schulden nicht allein lassen dürfen, sondern schon jetzt beginnen müssen, den Haushalt zu konsolidieren. ({9}) Nun zum Rettungsschirm für die Kommunen. Bei all diesen Leistungen haben wir sehr wohl die Kommunen im Auge gehabt. ({10}) - Aufgrund dieses ständigen Dazwischenredens kann ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Wenn Sie ein bisschen leiser sind, dann können mich alle hören. Danke schön. ({11}) Wir haben bei diesen Maßnahmen die Kommunen natürlich nicht vergessen. Auch da wundere ich mich, dass Sie nicht stolz darauf hinweisen, dass Sie teilweise daran beteiligt waren. Wir haben im Rahmen des Konjunkturpaketes den Kommunen 10 Milliarden Euro für Investitionen vor Ort zur Verfügung gestellt. Wir haben für die Kinderbetreuung und das Ganztagsschulprogramm 8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. ({12}) Wir haben die Einnahmesituation der Kommunen verbessert, ({13}) indem wir bei der Gewerbesteuer Hinzurechnungen vorgenommen haben, ({14}) die die Kommunen von Konjunkturschwankungen weniger abhängig machen. ({15}) Wir werden das auch weiterhin tun. ({16}) Finanzminister Schäuble hat angekündigt, eine Kommission einzurichten, um die finanzielle Situation der Kommunen genau zu betrachten. Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Situation nicht nur für den Bund, sondern auch für die Kommunen erträglich bleibt. In dieser Kommission können wir alle beweisen, wie wichtig uns die kommunalen Verbände sind. Ich sage aber auch: Wenn man die Verschuldungssituation insgesamt betrachtet, stellt man fest, dass die Kommunen nur ein Problem sind. ({17}) Tatsächlich ist der Bund bei weitem höher verschuldet. Es gilt, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einen Ausgleich zu finden. Wir werden das tun. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir damit erfolgreich auf der Seite der Kommunen stehen. ({18}) Die Kommunen können sich auf uns verlassen. Danke. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Tillmann, das war schon ein starkes Stück. ({0}) - Ja, manche verstehen nicht mal Ironie, aber das wundert mich nicht. ({1}) Elf Jahre Werbung um Schwarz-Gelb, sozusagen Verlobung, dann hundert Tage Probezeit, und Sie, Frau Tillmann, schmücken sich hier mit Federn aus rot-grüner Regierungszeit. Das ist zu wenig. ({2}) Diese Zeit ist abgelaufen. Sie müssen endlich Konzepte vorlegen, Frau Tillmann. ({3}) In der Diskussion über das Thema Tagesbetreuungsausbau haben Sie noch behauptet, wir würden die deutschen Mütter aus dem Haus treiben. Sie haben nicht gemerkt, dass die Frauen in Deutschland - gerade die geringer Ausgebildeten - endlich Arbeitsplätze brauchen, um nicht in die Armut abzurutschen, und dass Familien in Deutschland auf beide Einkommen angewiesen sind. Dagegen haben Sie angekämpft. Beim Thema Schule war das genauso. Sie waren gegen alle Vorschläge. Nun sprechen Sie sich nach elf Jahren Verlobung und hundert Tagen Probezeit dafür aus. Wir wollen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen genau wissen - nicht irgendwann nach einer Steuerschätzung, die Herr Solms und andere sowieso für obsolet halten -, wohin die Reise gehen soll. Wen wollen Sie in diesem Land unterstützen und absichern? ({4}) Ich würde mir noch mehr klare Worte von der CDU/ CSU über ihr Verhältnis zur FDP wünschen. Die ist aufgrund ihres freien Falls in den Umfragewerten am Wochenende zu einem Krisentreffen zusammengekommen. Am Ende des Treffens wurde gesagt: Ja, wir haben Fehler gemacht, und die wollen wir jetzt noch schneller machen. ({5}) Das ist ein putziger Ansatz. Aber ich finde es gut - ich sage ausnahmsweise etwas Nettes zu Ihnen -, dass Sie nun vor der NRW-Wahl Ihre Pläne vorlegen wollen. ({6}) Das führt immerhin zu mehr Transparenz, auch wenn wir inhaltlich nicht damit übereinstimmen werden, wenn ich allein an die ewige Mövenpickerei denke oder daran, dass Sie per Kopfpauschale die Sekretärin mit demselben Beitrag zur Kasse bitten wollen wie ihren Chef usw. ({7}) - Guten Morgen, schön, dass Sie hier sind und nicht in Schleswig-Holstein vom Winde verweht. ({8}) Sie tun so, als hätten wir so viel Geld im ohnehin verschuldeten Bundeshaushalt übrig, dass wir die Kopfpauschale sozial ausgleichen könnten. ({9}) Frau Merkel, der Bundesfinanzminister und andere haben es nicht einmal nötig, bei dieser Aktuellen Stunde zu erscheinen. Das spricht Bände. ({10}) Ich will nicht nach hundert Tagen erfahren, dass Frau Tillmann schon wieder eine Kommission einrichtet, um zu betrachten, wie es den Kommunen in Zukunft geht. Da gibt es nichts mehr zu betrachten! Wir wissen es schon! Wir befinden uns in einer Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir haben mit steigenden Arbeitslosenzahlen und horrender Staatsverschuldung zu kämpfen, wir haben Kommunen, die pleite sind. Die Kommunen sind der Ort, an dem der Alltag der Menschen gestaltet wird. ({11}) Hillary Clinton hat einmal geschrieben: It takes a village to raise a child. Man braucht wirklich eine ganze Gemeinschaft, ein Dorf, einen Ort, um ein Kind großzuziehen. Die Kinder in diesem Land sind darauf angewiesen, dass sie ein funktionierendes soziales Umfeld haben, dass sie mit sechs, sieben Jahren allein den Weg zur Grundschule gehen können, was nicht möglich ist, wenn lauter Grundschulen geschlossen werden. Sie sind darauf angewiesen, dass es Jugendsport gibt, Kinderbetreuung am Nachmittag, Jugendarbeit, Kultur, ob Fußballklub, Ballett- oder Musikschule. Darauf sind sie angewiesen. Deshalb brauchen wir Kommunen, die Geld haben, und nicht eine Kommission, die prüft, ob wir die Realität schon wahrnehmen. ({12}) Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins Aufgabenheft geschrieben: Es geht um soziale Gerechtigkeit. Es geht nicht nur um die angeblich besserverdienenden Leistungsträger. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik ins Aufgabenheft geschrieben: Die Regelsätze bei Hartz IV sind neu zu berechnen. Wir alle wissen: Das wird mehr Geld kosten, weil die Sicherung des physischen und psychischen Existenzminimums, die Bildung der Kinder und die kulturelle Teilhabe Geld kosten. Ich sage Ihnen: Es geht nicht nur um die 1,8 Millionen Hartz IV beziehenden Kinder. An dieser Stelle geht es um alle Kinder. Das Bundesverfassungsgericht lässt Ihnen Zeit bis zum 31. Dezember. Ich sage Ihnen: Ich will es vor dem 9. Mai wissen, vor den NRW-Wahlen, damit man dann eine Antwort auf Ihre Regierungstätigkeit bringen kann. ({13}) Wer soll diese Lasten auf seinen Schultern tragen? Es geht um ein Entweder-oder. Entweder Kopfpauschale mit Steuergeld ausgleichen und Steuersenkungen für Reiche oder auf der anderen Seite Existenzsicherung und Bildungsinfrastruktur. Das ist die Frage. Das fragen sich Eltern in Magdeburg, die 20 Euro mehr Kindergeld haben, aber 30 Euro mehr Kita-Gebühren zahlen müssen. ({14}) Das fragen sich Eltern in Essen, der Kulturhauptstadt, wo jetzt Grundschulen geschlossen werden. Das fragen sich in Duisburg die Familien, die für Geschwister im Kindergarten jetzt plötzlich den vollen Satz zahlen müs1930 sen. Das fragen sich Menschen, die sehen, dass bei der Polizei gespart wird. ({15}) Meine Damen und Herren, Sie können es nicht. Elf Jahre Verlobung, hundert Tage Probezeit: Sie haben nicht für Gerechtigkeit gesorgt. Deshalb wird es dazu am 9. Mai Entscheidungen geben. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Künast, Sie haben sich im Tag geirrt: Weiberfasching ist morgen. ({0}) An Weiberfasching werden die Rathäuser von den Frauen gestürmt. Da hätten Sie sich betätigen können, aber Sie haben ja noch Zeit. Sie können das morgen noch tun. ({1}) Ich habe selten erlebt, dass man in fünf Minuten einen Querschnitt der ganzen Innenpolitik liefert, ohne einen einzigen konkreten Vorschlag zu machen. ({2}) Wenn Sie sich hier über Hartz IV beschweren, frage ich mich, ob Sie vergessen haben, dass Sie Hartz IV mit aus der Taufe gehoben haben. Das ist doch Ihre Verantwortung. ({3}) Die SPD hat elf Jahre lang den Finanzminister gestellt und beklagt jetzt die desolate Situation der Gemeinden. ({4}) Und wir, die wir seit hundert Tagen im Amt sind, sind natürlich die Schuldigen. Wir sind daran schuld. Das glaubt Ihnen keiner. ({5}) Hinzu kommt, dass gerade die FDP seit Jahrzehnten anmahnt, dass die Finanzierung der Gemeinden auf eine neue Grundlage gestellt werden muss. ({6}) Warum? Herr Steinmeier hat es ja gesagt: Das Hauptproblem der Gemeinden ist die Gewerbesteuer. Sie ist um 18 Prozent eingebrochen, in manchen Gemeinden um 60 Prozent. Manche haben diese Einnahmen sogar total verloren. ({7}) Das hängt natürlich mit der Wirtschaftsentwicklung und dem fehlenden Wachstum zusammen. Das wird aber immer wieder vorkommen. Wenn Sie die Gemeindefinanzen in erster Linie an die Gewerbesteuer binden, dann werden Sie diese zyklischen Entwicklungen immer wieder erleben. ({8}) Deswegen wollen wir untersuchen - übrigens mit Beteiligung der Länder -, ob wir nicht ein stabiles Finanzsystem für die Gemeinden entwickeln können. Die FDP hat konkrete Vorschläge gemacht, die Gewerbesteuer durch die Umsatzsteuer und einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ersetzen. ({9}) Aber auch die Stiftung Marktwirtschaft, Herr Poß, hat Vorschläge gemacht. ({10}) Ihr früherer Finanzminister aus Rheinland-Pfalz, Kollege Deubel, der sehr sachverständig ist, hat daran mitgewirkt. ({11}) Auch das sind vernünftige Vorschläge. Denn in der gesamten Wissenschaft ist klar, dass die Gewerbesteuer gerade für die Gemeinden keine stabile Finanzierungsgrundlage ist und dass hier korrigiert werden muss. ({12}) Das hat sogar Ihr Finanzminister Hans Eichel gewusst. Er hat schon einmal einen Anlauf gemacht, um das zu ändern, ist aber dann mit den Ländern nicht zu Rande gekommen. ({13}) Wir wollen einmal ehrlich bleiben und sagen: Die Erkenntnis ist in allen Fraktionen und Parteien vorhanden, ({14}) nur haben Sie bisher nicht den Mut und die Durchsetzungskraft gehabt, dies zu realisieren. ({15}) Nun wird unterstellt, wegen der Steuerentlastungen, die sich die Koalition vorgenommen hat, würden die Gemeinden noch mehr in die Bredouille geraten. Das ist doch purer Unsinn. ({16}) Worum geht es denn eigentlich? Das will ich der SPD als Arbeitnehmerpartei zeigen. ({17}) Es geht um eine Ungerechtigkeit im deutschen Steuertarif, bei dem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch den sogenannten Mittelstandsbauch ({18}) - ja, ich weiß das - überproportional belastet werden. ({19}) Was wollen wir in dieser Legislaturperiode machen? Wir wollen lediglich diese Ungerechtigkeit mithilfe von Steuerentlastungen so weit als möglich beseitigen. Das ist das Ziel dieser Koalition. ({20}) Es geht um Steuergerechtigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die kleinen Selbstständigen, die von dieser Ungerechtigkeit betroffen sind. Die wollen wir beseitigen. ({21}) Das hätten Sie in Ihrer Regierungszeit tun müssen. Dass Sie selbst es für notwendig erachten, hat sich ja bei den Konjunkturpaketen gezeigt. ({22}) Da hatten Sie nämlich schon eine Maßnahme zur Milderung dieser Ungerechtigkeit vorgesehen. Damit geben Sie zu erkennen, dass Sie das Problem erkannt haben. ({23}) Um nichts anderes geht es. Ansonsten wollen wir das Steuersystem vereinfachen. ({24}) Wir wollen die Steuerverwaltung, die Steuerveranlagung vereinfachen. Wir wollen ein einfaches, gerechtes und niedrig belastendes Steuerrecht schaffen. ({25}) Das wird auch ein Beitrag für eine stabile Finanzierung der Gemeinden sein. Von dieser Politik lassen wir uns auch durch Ihre Interventionen und Ihre Schreierei nicht abbringen. ({26}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({27})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katrin Kunert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sagen Sie, Herr Solms, war das eben das Diagramm der Einnahmen Ihrer Partei durch Spenden? Das wäre zumindest einmal sehr interessant. ({0}) Als kommunale Mandatsträgerin muss ich Ihnen sagen, dass man den Eindruck hat, dass Sie überhaupt nicht wissen, worüber Sie reden. ({1}) Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, warum die Wahlbeteiligung gerade bei Kommunalwahlen sinkt? Die Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass aufgrund der Finanznot der Kommunen kaum noch Aufgaben erledigt werden können. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({2}) Kommunen brauchen keinen Schutzschirm; Kommunen brauchen mehr. Kommunen brauchen gefüllte Kassen, das heißt, sie brauchen eine solide Finanzausstattung, damit sie Kindertagesstätten, Sportstätten, das Theater, die Bibliothek und alles andere ordentlich ausstatten und unterhalten können. Kommunen brauchen auch endlich ein verbindliches Mitwirkungsrecht im Deutschen Bundestag, damit hier keine Entscheidung mehr getroffen wird, die zulasten der Kommunen und somit zulasten der Bürgerinnen und Bürger geht. Da können Sie sich ordentlich aufregen. ({3}) - Schreien Sie doch nicht so. ({4}) Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt, und man könnte den Eindruck haben, dass alle vier Fraktionen bisher eine sehr kommunalfreundliche Politik gemacht haben. Aber dem ist mitnichten so. Herr Steinmeier, ich habe mich gefragt, wo Sie bis September 2009 in diesem Haus waren. ({5}) Sie nehmen hier zwar eine ordentliche Situationsbeschreibung vor, nennen aber weder die Ursachen noch machen Sie konkrete Vorschläge. ({6}) Sie scheinen völlig vergessen zu haben, Herr Poß, ({7}) dass Sie, als Sie in der Regierung waren, unter Rot-Grün und Rot-Schwarz, ständig Steuersenkungen vorgenommen haben, die bis zum heutigen Tage anhalten. Durch diese Umverteilung von unten nach oben machen Sie den Staat arm. ({8}) An dieser Stelle möchte ich zwei Beispiele nennen. Die Steuerreform, die 1999 unter Rot-Grün verabschiedet wurde, brachte den Kommunen Einbrüche bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Allein im Zeitraum von November 2008 bis Sommer 2009 sind in diesem Hause zehn Gesetzentwürfe verabschiedet worden, die für die Kommunen bis zum Jahre 2013 Mindereinnahmen in Höhe von bis zu 19 Milliarden Euro zur Folge haben werden. Wenn wir hier über Wahrheiten reden, dann bitte über volle Wahrheiten. ({9}) Zur Wahrheit gehört auch, dass der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz in der letzten Kabinettssitzung der Großen Koalition den Bundesanteil an den Unterkunftskosten gesenkt hat. ({10}) Vor diesem Hintergrund müssen Sie wirklich einmal erklären, wo Sie bisher eine kommunalfreundliche Politik betrieben haben. ({11}) Liest man Ihren Koalitionsvertrag und schaut man sich die Vorhaben der FDP an, muss man feststellen: Für die Kommunen wird es sehr dunkel. Sie stellen die Gewerbesteuer infrage ({12}) - ja, Sie wollen sie abschaffen; das ist noch viel schlimmer -, Sie wollen die öffentlich-privaten Partnerschaften weiterführen, Private sollen von der Umsatzsteuer befreit sein, und Sie wollen Rekommunalisierungen erschweren. Ich frage mich: Wo ist Ihr kommunaler Sachverstand? Frau Piltz hat in einer früheren Debatte einmal gesagt: Städte sind das Fundament des Staates. - Diese Aussage haben Sie aber überhaupt nicht verinnerlicht. ({13}) Weniger Einnahmen stehen steigenden Sozialkosten gegenüber. Die Kosten der Unterkunft habe ich bereits genannt. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Grundsicherung im Alter und die Höhe der Eingliederungsleistungen stetig steigen. Aber der Bund beteiligt sich an diesen Kosten nicht angemessen. Ein Beispiel ist der Kommunal-Kombi. Dieses Bundesprogramm wurde von den Kommunen schlecht angenommen. Fragt man die Bundesregierung nach den Ursachen, erhält man folgende Antwort: Aus Sicht der Bundesregierung liegt ein maßgeblicher Grund für die geringe Inanspruchnahme des Programms in der mangelnden Bereitschaft vieler Bundesländer und Kommunen, eigene Kofinanzierungsmittel bereitzustellen. Wissen Sie, entweder hat der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe keine Ahnung von den Kommunalfinanzen, oder er ist einfach nur arrogant. ({14}) Ich finde, das ist überhaupt nicht hinnehmbar. ({15}) Sie haben keine Kenntnis, warum das Bundesprogramm Kommunal-Kombi nicht in Anspruch genommen wurde. Es lag nicht an der mangelnden Bereitschaft, sondern am fehlenden Geld. ({16}) In Ihren andauernden Steuerentlastungsdebatten haben Sie nur die Gutbetuchten im Fokus. Die Folgen für die Städte, Gemeinden und Landkreise sind geringere Einnahmen. Es steht schlicht und einfach ihre Handlungsfähigkeit auf dem Spiel. Selbst Herr Rüttgers hat inzwischen erkannt, dass Ihre Logik Unsinn ist und dass immer mehr Steuerentlastungen zu immer mehr Ausfällen im Staatssäckel führen. Natürlich muss man seine Aussagen vor dem Hintergrund sehen, dass er seine Mehrheit in NRW behalten möchte. Zumindest hat er aber die falsche Logik erkannt; das muss man zur Kenntnis nehmen. ({17}) Wenn Sie in der schwarz-gelben Koalition Lobbypolitik machen - Lobbypolitik liegt Ihnen ja sehr am Herzen -, rate ich Ihnen: Vertreten Sie doch auch einmal die Lobby der Kommunalpolitik. ({18}) Die Linke fordert - diese Forderung werden wir natürlich auch mit Anträgen untersetzen - ein verbindliches Mitwirkungsrecht für die Kommunen, die Einsetzung eines Kommunalausschusses und eine verbindliche und solide Finanzausstattung der Kommunen, zum Beispiel eine Investitionspauschale. Würde man in Deutschland die Vermögensteuer einführen und ihre Höhe auf der Grundlage des Durchschnitts der OECD-Staaten festlegen, würde dies 25 Milliarden Euro einbringen. Erzählen Sie also nicht immer, wir hätten zu wenig Geld. Außerdem fordern wir, dass die Aufgaben, die vor der Föderalismusreform vom Bund auf die Kommunen übertragen wurden, weiterfinanziert werden. Wenn die Städte und Gemeinden das Fundament dieser Gesellschaft sind, dann müssen wir es jetzt festigen und dürfen es nicht immer spröder werden lassen. Schönen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Für die Unionsfraktion hat der schon am Redepult befindliche Kollege Dr. Hans Michelbach das Wort. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Krise hat die Kommunalhaushalte zweifellos ins Defizit getrieben. Die Sicherung der Kommunalfinanzen ist der CDU/CSU-Fraktion ein wichtiges Anliegen; denn die Kommunen haben im Bereich der Investitionen für das Gemeinwohl eine wichtige Funktion. ({0}) Die Fragen, die wir uns sachlich stellen sollten, sind: Wie überwinden wir diese Krise? Wie überwinden wir das Finanzierungsdefizit, auch das unserer Kommunen? ({1}) Hierbei muss man natürlich eine klare ökonomische Konzeption verfolgen. ({2}) Zunächst einmal haben wir das Konjunkturpaket II mit 10 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Ich gehe davon aus, dass auch die von Ihnen regierten Kommunen die Möglichkeiten, durch energetische Sanierung von Schulen und Kindergärten die Betriebskosten zu senken, genutzt haben. ({3}) Das sind hervorragende Investitionen, die den Kommunen dienen und genutzt werden. Letzten Endes haben diese Investitionen zu erheblichen Auftragszuwächsen bei den Handwerkern geführt und zur Sicherung von Arbeitsplätzen beigetragen. Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass unsere Konzeption zum einen dadurch, dass unsere Haushaltspolitik antizyklisch ist, zum anderen dadurch, dass wir ganz klar Wachstumspolitik betreiben, die Wirkungskraft entfalten wird, die wir brauchen, um diese Krise zu bewältigen. ({4}) Das passt zusammen. Wachstum ist in dieser Situation das einzige Ziel, das man anstreben kann. Die ökonomische Grundwahrheit heißt nun einmal: ohne Wachstum keine Belebung der Nachfrage, ohne Wachstum keine neuen Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Mehrung der Kaufkraft, ohne Wachstum keine neuen Investitionen. Deshalb müssen wir deutlich machen: An Steuerentlastungen - Wachstumsanreizen - führt kein Weg vorbei. Mit der Erhöhung des Kindergeldes, mit der Verbesserung der Familienförderung haben wir genau das getan: für die Mehrung der Kaufkraft gesorgt, die notwendig ist. Mit den Korrekturen bei der Besteuerung der Unternehmen haben wir die Finanzierung der Unternehmen verbessert und damit dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu sichern. Das waren die Ziele des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Diese Maßnahmen haben zielführend zur Krisenbewältigung beigetragen und werden auch in Zukunft dazu beitragen. ({5}) Wenn sich Herr Steinmeier hier in einem Niveau darstellt, das ich ihm nicht hätte unterstellen können, und vom Hotelpopanz spricht, ({6}) will ich ihm einmal sagen, was die Hotels bei den Kommunen zuletzt an Einnahmeausfällen hervorgerufen haben. Über die Umsatzsteuerbeteiligung betrug der Verlust insgesamt 19 Millionen Euro. In meiner Heimatstadt ist auf den Kämmerer ein Einnahmeverlust von 20 000 Euro zugekommen. Das bekommt er nun durch die Gewerbesteuer der Hoteliers mehrfach wieder herein. ({7}) Was Sie hier aufführen, ist also ein absoluter Popanz. ({8}) Es muss jetzt darum gehen, unsere klare Konzeption für Wachstumsbeschleunigung und Wachstumsanreize fortzuführen. Dazu ist es sicherlich notwendig, dass wir Steuerentlastungen vornehmen. Der Steuerzahler leidet einfach unter der kalten Progression, die dazu führt, dass ihm immer mehr abgenommen wird, je mehr er leistet. Das ist leistungsfeindlich. So etwas können wir uns gerade in der Krise nicht leisten, meine Damen und Herren. ({9}) Wir dürfen die Menschen nicht überfordern. Wir müssen den Betrieben Freiraum geben. Dadurch wird letzten Endes die konjunkturelle Basis wieder gestärkt, sodass Bund, Länder und Kommunen - sie sitzen finanziell im gleichen Boot - aus dieser Krise wieder herauskommen und das Finanzierungsdefizit beenden können. Die linke Seite dieses Hauses geht immer davon aus, dass das Geld automatisch dem Staat gehört. Zunächst, meine Damen und Herren, gehört es dem Bürger! ({10}) Davon müssen wir ausgehen, das ist der richtige Ansatz, um Leistungsanreize zu schaffen und dadurch die Leistung zu erzeugen, die wir brauchen, um aus dieser Krise herauszukommen. ({11}) Die Krise müssen wir bewältigen; das muss die Zielführung sein. Die Polemik dieser Stunde hilft dabei nicht. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd Scheelen das Wort. ({0})

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Michelbach, was Sie hier zugunsten der Kommunen gesagt haben, waren aus meiner Sicht reine Lippenbekenntnisse. ({0}) Was Sie tun, hat mit dem, was Sie sagen, nichts zu tun. Die 20 000 Euro, auf die Sie das heruntergerechnet haben, sind möglicherweise die 20 000 Euro, die in Ihrer Heimatgemeinde dem Arbeitslosenzentrum oder der Jugendbegegnungsstätte fehlen und dazu führen, dass solche Einrichtungen der dramatischen Finanzsituation zum Opfer fallen. ({1}) Insofern geht es nicht nur um die Hotels - darauf komme ich noch zurück -, sondern um das gesamte Paket, das Sie zulasten der Kommunen mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz geschnürt haben. Die darin enthaltenen Maßnahmen belasten die Kommunen direkt mit 1,6 Milliarden Euro. Die Kommunen rechnen natürlich zu Recht damit, dass die Länder die Ausfälle, die sie durch die Maßnahmen dieses Paketes haben, teilweise an die Kommunen weiterreichen. Das heißt, wir reden hier nicht über 1,6 Milliarden Euro, sondern wahrscheinlich über 2,1 bis 2,2 Milliarden Euro. ({2}) Frau Tillmann, Sie haben hier zwar ein Bekenntnis zur Gewerbesteuer abgegeben und all das hervorgehoben, was wir in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen haben. Das, was wir gemacht haben, war größtenteils richtig und wichtig. Auch unter Rot-Grün haben wir Dinge gemacht, die Sie später in der Großen Koalition für sich vereinnahmt haben. Aber jetzt sind Sie dabei, all das zurückzudrehen. Das ist der Skandal. ({3}) Das Johannesevangelium beginnt mit dem Satz: „Im Anfang war das Wort.“ In Ihrem Evangelium, dem Koalitionsvertrag mit 132 Seiten, fehlt der erste Satz. Der erste Satz muss lauten: Im Anfang war der Wortbruch, und zwar der Wortbruch gegenüber den Kommunen. ({4}) - Sie waren nicht dabei, reden Sie nicht immer dazwischen. Es geht darum, dass die Kanzlerin im Mai letzten Jahres vor dem Deutschen Städtetag in Bochum am 13. Mai - einige von Ihnen waren vielleicht dabei und wissen das noch - gesagt hat: Die Gewerbesteuer bleibt unangetastet. Was machen Sie jetzt? Sie machen all das rückgängig, was wir zugunsten der Kommunen beschlossen haben. Sie schaffen die Gewerbesteuer ab. Herr Solms hat das hier ausdrücklich gesagt. Sie sollten sich in der Koalition einmal einigen, was Sie wollen und ob das gilt, was im Koalitionsvertrag steht. ({5}) Im Koalitionsvertrag jedenfalls steht nicht, dass sich die Regierungskommission mit der Lage der Kommunen beschäftigen soll, sondern die Kommission hat den Auftrag - Frau Kollegin Tillmann, Sie haben versucht, das zu verschleiern -, insbesondere die Abschaffung der Gewerbesteuer zu prüfen. Das ist der eigentliche Skandal. Dagegen werden wir entschiedenen Widerstand leisten. ({6}) - Ersatz der Gewerbesteuer heißt die Abschaffung der Gewerbesteuer, Herr Kollege. Sie wissen doch genau, welche Modelle es gibt. All das ist schon hundertmal überprüft worden. Es gab unter Hans Eichel eine Kommission, an der alle beteiligt waren. Sie hat alle Modelle, die auf dem Tisch lagen, überprüft und ist zu der Überzeugung gekommen: Das einzig Sinnvolle ist, die Gewerbesteuer zu festigen. Das ist der Auftrag, den wir unter Rot-Grün angegangen sind und in der Großen Koalition fortgesetzt haben. ({7}) Lassen Sie die Finger von der Gewerbesteuer. Sie ist zwar noch immer konjunkturreagibel, aber nicht mehr so stark wie früher. Die Schlussfolgerung, die Herr Solms zieht, lautet: Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind schon durch die Krise eingebrochen. Dann macht es nichts, wenn wir den Kommunen durch gesetzgeberische Maßnahmen weitere 2, 3 oder 4 Milliarden Euro an Belastungen aufbürden. Das ist ein Skandal. So funktioniert Politik nicht. ({8}) Wir hatten gestern eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf, der mit einem sehr verwaltungstechnischen Titel daherkommt. Dieser lautet: „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“. Darin enthalten sind weitere Maßnahmen, durch die die Kommunen wiederum mit 1,8 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden. ({9}) Diese Maßnahmen führen die Kommunen endgültig in die Krise. Der Kollege Koschyk wird auf seinen Beitrag in der Bayernzeitung eingehen und behaupten, es gäbe bei der Müllentsorgung keine Probleme. Wir sind sehr gespannt, ob nicht demnächst die Müllgebühren steigen; denn die Maßnahmen, die Sie in Ihrem Koalitionsvertrag niedergelegt haben, bedeuten, dass auch die Kommunen demnächst mehrwertsteuerpflichtig werden, wenn sie Abfallentsorgung betreiben. ({10}) Der Gesetzentwurf, den wir gestern in der Anhörung beraten haben, ist von den Experten regelrecht zerrissen worden. ({11}) Mit diesem Gesetzentwurf soll genau das rückgängig gemacht werden, Frau Kollegin Tillmann, was wir gemeinsam beschlossen haben, um die Gemeindefinanzen zu stabilisieren. Sie destabilisieren die Einnahmesituation der Kommunen. Sie sind auf dem falschen Weg. Ich kann Ihnen nur raten: Kehren Sie um! Das, was Sie machen, bedeutet: Sie nehmen den Kommunen die Luft zum Atmen. Sie verschärfen die Krise. Eine Überschrift in Ihrer Koalitionsvereinbarung lautet zwar: „Der Weg aus der Krise“. Aber dort muss eigentlich stehen: Wie verschärfen wir die Krise? Im Anschluss folgen die Maßnahmen, die zur Verschärfung beitragen. ({12}) Sie befinden sich auf einem Irrweg. Kehren Sie um! Reuigen Sündern wird ab und zu auch vergeben. Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Birgit Reinemund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von der SPD, dass gerade Sie das Wort „Wortbruch“ in den Mund nehmen, ist schon dreist und mutig. ({0}) Ich erinnere Sie nur an die Mehrwertsteuererhöhung und an das Wort „Merkel-Steuer“ im Wahlkampf. - So viel zum Gedächtnisschwund der SPD. Lassen Sie mich auf die Lage der Kommunen eingehen. Die Lage vor Ort ist ernst. Das ist mir als Stadträtin in Mannheim, mitten in den kommunalen Haushaltsberatungen, schmerzlich bewusst. ({1}) Doch die aktuelle Finanzlage kann noch nichts mit den Entlastungen zu tun haben, die im Januar 2010 in Kraft getreten sind. Die katastrophale Haushaltslage der Kommunen ist zum einen krisenbedingt. Zum anderen treten jetzt die strukturellen Defizite der Gemeindefinanzierung besonders deutlich hervor. ({2}) Diese Strukturprobleme waren auch Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen, schon lange bewusst, spätestens seit den Steuereinbrüchen in der Krise 2002. ({3}) Da waren Sie an der Regierung. ({4}) Doch welche Konsequenzen haben Sie gezogen? Keine. Im Gegenteil: Ob Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger oder der Krippenausbau im Rahmen des Tagesbetreuungsausbaugesetzes, in den vergangenen Jahren haben Sie den Gemeinden immer mehr Aufgaben übertragen, ohne gleichzeitig für einen Kostenausgleich zu sorgen. ({5}) Der Anteil der Gewerbesteuer an den Gemeindesteuern betrug 2009 in Deutschland 48 Prozent brutto und 41 Prozent netto, das heißt nach Abführung der Gewerbesteuerumlage an Land und Bund. Damit ist der Gewerbesteueranteil für viele Kommunen immer noch ein wesentlicher finanzieller Grundstock. Leider ist dieser Grundstock auf keinem soliden Fundament gebaut, sondern auf einem sehr schwammigen Boden. So schwankte das Gewerbesteueraufkommen im Zeitraum von 1999 bis 2008 zwischen 27 Milliarden und 41 Milliarden Euro - mit einem Einbruch auf 23,5 Milliarden Euro im Jahr 2002. Planungssicherheit sieht anders aus. ({6}) 2009 erlebten wir einen Konjunktureinbruch von 5 Prozent. Der Deutsche Städtetag schätzt gleichzeitig den Rückgang des Aufkommens aus der Gewerbesteuer 2009 auf circa 18,3 Prozent brutto, wobei die einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich betroffen sind - teilweise mit einem Einbruch von über 40 Prozent. Diese Zahlen belegen eindeutig die extreme Konjunkturabhängigkeit gerade der Gewerbesteuer. ({7}) Wir brauchen eine Alternative, eine stabilere und verlässlichere Finanzierungsgrundlage für die Kommunen. ({8}) Ich darf daran erinnern, dass gerade die FDP seit Jahren fordert, die Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ersetzen, ({9}) mit einem eigenen Hebesatzrecht für die Kommunen. ({10}) - Ich freue mich sehr über Ihre Freude. Aber diese Debatte werden wir in den nächsten Monaten eindeutig führen. ({11}) Ein Mix aus Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteueranteilen ist einfacher, transparenter und deutlich weniger konjunkturabhängig. Zum Beispiel sind die Einnahmen aus der Umsatzsteuer im Gegensatz zu den Einnahmen aus allen anderen Steuerarten im Krisenjahr 2009 sogar leicht gestiegen. Hätten Sie früher auf die FDP gehört, sähe es heute bei den Gemeindefinanzen anders aus. ({12}) Voraussetzung für Steuereinnahmen sind wirtschaftlicher Erfolg, Arbeitsplätze und Wachstum. Jede verhinderte Insolvenz, jeder erhaltene Arbeitsplatz kommt direkt auch den Kommunen zugute. Das vergessen unsere Kritiker sehr oft. Prognosen sind keine statischen Zahlen, sondern Hochrechnungen. Wirtschaft ist ein dynamischer Prozess. Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele hat vor der Wahl das damalige SPD-geführte Finanzministerium gefragt, um wie viel die Steuereinnahmen bei einem Wirtschaftswachstum von 1 Prozent steigen. Die Antwort lautete, dass dies den Finanzierungssaldo der öffentlichen Hand um 0,5 Prozent verbessert. Ein halbes Prozent entspricht etwa 5,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, 3,5 Milliarden Euro höhere Sozialbeiträge sowie weniger Sozialausgaben, summa summarum circa 12 bis 13 Milliarden Euro. Das ist der Weg zur Konsolidierung. ({13}) Durch den von der SPD geforderten Rettungsschirm würde den Kommunen mittel- und langfristig keine Planungssicherheit gegeben, ({14}) weil Flickschusterei niemandem hilft. Wir wollen eine nachhaltige Gemeindefinanzreform und eine Strukturreform, durch die Fehlentwicklungen beseitigt werden. Das Konnexitätsprinzip muss wieder zur Geltung kommen, damit wieder gilt: Wer bestellt, bezahlt. Das haben Sie ausgehebelt. ({15}) Das werden wir auf den Weg bringen. Die Vorbereitungen dazu sind bereits in vollem Gange. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, diese Aktuelle Stunde hat etwas gebracht, und zwar in jeder Hinsicht. ({0}) Wir wissen nämlich erstens, dass kein Ende des schwarz-gelben Chaos in Sicht ist. Das wurde durch die unterschiedlichen Redebeiträge von Union und FDP ganz eindeutig gezeigt. ({1}) Das Zweite ist wirklich fast ein Geschenk - das sage ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen aus NRW -: Reden Sie weiter so offen darüber, was Sie vorhaben. Die CDU sagt: „Wir bleiben bei Steuersenkungen“ - hört, hört -, und das, obwohl Jürgen Rüttgers überall in Nordrhein-Westfalen verkündet, dass es mit Ihnen im Bundesrat keine Zustimmung für weitere Steuersenkungen zulasten der Kommunen geben wird. ({2}) Ich finde das interessant. Herr Oettinger schließt sich dem an. Mein Fazit für heute ist also: Erstens. Die CDU bereitet weitere Steuersenkungen vor, die zulasten der Kommunen gehen. ({3}) Das sollten alle Bürgerinnen und Bürger wissen. ({4}) Zweitens. Die FDP schafft die Gewerbesteuer ab. Auch diese Nachricht ist in den Städten in NRW sowie in allen anderen Städten und Gemeinden hoffentlich gut positioniert. ({5}) Es ist nicht so, dass man die Abschaffung der Gewerbesteuer einfach nur so beschließt und die Unternehmen dann sagen: Ja, toll. - Frau Reinemund hat uns gerade den Gefallen getan, zu sagen, wie man versucht, das Ganze irgendwie ein bisschen zu kompensieren. Wissen Sie, wer bei dem Modell der FDP am Ende die Zeche zahlt? Aufgrund der höheren Umsatzsteuerpunkte zahlen die Bürgerinnen und Bürger nach diesem Modell die Rechnung. ({6}) Sie werden das Ganze nicht kompensieren. Das finde ich interessant. Ich finde es gut, dass Sie das so offen sagen. ({7}) Sie sind also für weitere Steuersenkungen und die Abschaffung der Gewerbesteuer. Ich sage Ihnen: Ich freue mich auf diese Auseinandersetzung; denn Sie zeigen damit, dass Sie keinerlei Ahnung davon haben, wie es den Städten und Gemeinden geht und wie die Situation vor Ort wirklich ist. ({8}) Jetzt kommen wir einmal zum vielbeschworenen Wachstum. Herr Michelbach und andere Wirtschaftspolitiker beschreien das ja so gerne. ({9}) Wissen Sie, wie die Steuerbeschlüsse in den letzten Jahren auf die Kommunen gewirkt haben? Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen: Die Konjunkturpakete I und II, die Sie hier gerade abfeiern - 10 Milliarden Euro für die Kommunen für zwei Jahre -, haben für die Kommunen Mindereinnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bedeutet, durch das Bürgerentlastungsgesetz haben die Kommunen Mindereinnahmen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro, und durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben die Kommunen Mindereinnahmen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Falls Sie nicht so schnell mitgerechnet haben, nenne ich Ihnen die Summe insgesamt: Durch Ihre Steuerbeschlüsse haben die Kommunen zusätzliche Mindereinnahmen in Höhe von 5,8 Milliarden Euro. ({10}) Der Nächste steht schon im Raum. Sie lassen den Rüttgers in Spiegel Online so etwas erklären, während Sie hier gleichzeitig mit Ihrer Funktionsverlagerung durch einen kleinen Umdruck für ein Minus von 650 Millionen Euro bei den Kommunen sorgen. ({11}) Ich finde, darüber muss man mit den Leuten vor Ort reden, weil Sie den Bürgerinnen und Bürgern dadurch die Mittel für die Daseinsvorsorge im Gemeinwesen entziehen. Das heißt an diesem Punkt: höhere Beiträge für Kitas, Schließung von Theatern, die Frage, ob man sich noch ein Schwimmbad leisten kann oder nicht. Deshalb kommt hoffentlich der Zeitpunkt, an dem Sie nicht nur auf Neujahrs- oder Frühlingsempfänge vor Ort in Ihrem Wahlkreis gehen, sondern für die Politik, die Sie hier machen, von Ihren Kommunalos vor Ort genagelt werden. ({12}) Vom Wachstumsmotor Kommunen kann doch keine Rede sein. Reden Sie sich doch nicht schwindelig durch die Theorie „Wir senken die Steuern, und dann kommt das Wachstum schon vom Himmel heruntergefallen“. Sie haben dramatische Beschlüsse gefasst, die gravierende negative Auswirkungen auf die Kommunen haben. Das sagt Ihnen nicht nur die Grüne Haßelmann, sondern das sagen mittlerweile auch Petra Roth vom Deutschen Städtetag und jeder kommunale Spitzenverband. ({13}) Was die verrückten Ankündigungen gerade vonseiten der FDP angeht, kann ich nicht verstehen, dass Sie mit diesem Credo weitermachen. Sie sind doch im freien Fall. Besinnen Sie sich doch einmal ein bisschen! Sie liegen heute bei 8 Prozent. ({14}) Sie haben doch gar keine Zustimmung mehr. ({15}) Sie haben doch ein Riesenproblem. In NRW liegen Sie bei 6 Prozent. Sie machen aber einfach weiter mit dem Credo von Steuersenkungen. ({16}) Sie wissen doch, was das für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden bedeutet. Ich finde, die Situation nach 106 Tagen macht mehr als deutlich, dass Sie nicht regieren können. Sie haben sich nicht aufs Regieren vorbereitet, und Sie verstehen sich nicht darauf, innezuhalten und zu sagen, wo es langgeht. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, ein kleiner Hinweis: Ich denke, es ist gut für das Haus und diejenigen, die zuhören und sich ein Bild machen, wenn eine Debatte lebhaft und mit Leidenschaft geführt wird. Für die Aktuelle Stunde haben wir uns selbst die Regel gegeben, dass es weder Zwischenfragen noch Kurzinterventionen oder Reaktionen auf eventuelle persönliche Angriffe geben soll. Ich bitte alle, ob sie sich per Zwischenruf an der Debatte beteiligen oder am Rednerpult stehen, auf Bezichtigungen wie Arroganz oder Falschmünzerei zu verzichten. ({0}) - Ich denke, „Sie Falschmünzerin“ ist nichts, was wir uns gegenseitig vorwerfen müssten. Wir können die Debatte auch anders führen. Ich bitte für die kommenden Redebeiträge wie auch für die weitere Teilhabe an der Debatte darum, dass wir uns auf die Argumentation und die Auseinandersetzung in der Sache beschränken. Dazu hat jetzt der Kollege Peter Götz für die Unionsfraktion das Wort. ({1})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für den Hinweis, wieder zur Sachlichkeit zurückzukehren. ({0}) - Frau Haßelmann, man hat das Gefühl, viele in der Opposition haben noch nicht verschmerzt, dass die Wählerinnen und Wähler den Regierungsauftrag jemand anderem erteilt haben. Es ist unstrittig: Die weltweite Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise trifft alle politischen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen. Länder wie Griechenland sind pleite. Das zeigt: Die internationale Krise ist noch lange nicht überwunden. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Richtig ist auch, dass die Gewerbesteuereinnahmen in den Kommunen von 34,3 Milliarden Euro in 2008 auf 28,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gesunken sind. Das sind 17,4 Prozent weniger. Damit bewegen wir uns bei den Gewerbesteuereinnahmen allerdings immer noch auf einem höheren Niveau als 2005. Von den Vorjahren will ich gar nicht reden. ({1}) 2007 und 2008 waren gute Jahre für die Kommunen. Es waren die besten seit Bestehen der Bundesrepublik. ({2}) Die meisten Kommunen haben diese Zeit genutzt, um zu investieren, Schulden abzubauen und Rücklagen zu bilden. ({3}) In Zeiten rot-grüner Regierungsverantwortung war daran nicht zu denken. ({4}) Damals lag der kommunale Saldo jahrelang im Minus. Der Investitionsstau wurde immer größer. Die kommunale Verschuldung stieg. Das war das Ergebnis einer katastrophalen rot-grünen Politik für die Kommunen. ({5}) Nur zur Erinnerung: 2003 betrug der Negativsaldo der kommunalen Haushalte 8,4 Milliarden Euro. Der Saldo lag also im Minus. Darunter, Herr Steinmeier, haben Wuppertal und viele andere große Städte in Nordrhein-Westfalen bis heute zu leiden. Das war Ihre Politik. Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({6}) Wir wollen nicht daran denken, was es für die Städte und Gemeinden bedeutet hätte, wenn in Zeiten von RotGrün die internationale Finanzmarktkrise gekommen wäre, Herr Poß. Nicht auszuhalten wäre das gewesen! ({7}) Noch kurz vor Torschluss im Oktober haben Sie im Kabinett Schröder beschlossen, den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft rückwirkend auf null zu senken. Auf null! ({8}) Ich erinnere Sie an Ihre Erhöhung der Gewerbesteuerumlage. Frau Künast und Herr Steinmeier, Sie saßen damals im Kabinett einer rot-grünen Regierung und tragen dafür die Verantwortung. ({9}) Wenn das alles, was Sie damals gemacht haben, kommunalfreundlich gewesen sein soll, dann weiß ich nicht mehr. ({10}) Wenn Sie immer wieder die Korrekturen an der Gewerbesteuer im Wachstumsbeschleunigungsgesetz quasi als Kronzeuge für das Schließen von sechs Schwimmbädern in Wuppertal anführen, dann ist das unredlich. ({11}) Erstens. Das Gesetz ist gerade sechs Wochen in Kraft. Zweitens. Es führt laut Deutschem Städtetag in diesem Jahr bei der Gewerbesteuer zu Mindereinnahmen in Höhe von 0,3 Prozent. Lesen Sie die Presseerklärung der jüngsten Konferenz des Deutschen Städtetags! Oder halten Sie sogar die Erhöhung des Kindergeldes und die verfassungsgemäße Ausgestaltung in vielen Bereichen für falsch? ({12}) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Die meisten Unternehmen in Deutschland haben aufgrund des restriktiven Verhaltens der Banken ein Liquiditätsproblem. Das Kürzen von Gewerbesteuervorauszahlungen stellt für viele Firmen zugegebenermaßen eine sehr kostengünstige Liquiditätshilfe dar. Das Geld fehlt nun in den Kassen der Kommunen. ({13}) Aber eine anziehende Konjunktur führt schnell wieder zu Gewerbesteuernachzahlungen und verbessert damit die Einnahmesituation vor Ort. Wir haben auf kommunaler Ebene strukturelle Probleme. Deshalb wollen wir die Gemeindefinanzen neu ordnen. Unser Ziel ist, die kommunale Zusammenarbeit zu erleichtern, aber auch vor allem die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Wir müssen den Mut haben - das wurde bereits gesagt; dazu lade ich alle ein -, unvoreingenommen und ohne Tabus an eine Reform der Gemeindefinanzen heranzugehen. ({14}) Dazu gehören nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben. Vor allem müssen wir die Aufgaben in unsere Betrachtungen einbeziehen. Zum Konjunkturpaket ist schon viel gesagt worden. Investitionen in die energetische Sanierung von Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten tragen zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur bei. Sie sichern wertvolle Arbeitsplätze im Handwerk. Vor allen Dingen spart eine energetisch sanierte Schule in Zukunft in erheblichem Maß Betriebskosten. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg ({15}) Die staatlichen Investitionen führen nicht zu Belastungen, sondern entlasten in wenigen Jahren die kommunalen Haushalte. ({16}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn Sie sich unsere Koalitionsvereinbarung genau anschauen, werden Sie feststellen, dass dort auf vielen Politikfeldern Weichen für die Stärkung der kommunalen Ebene gestellt sind, um gemeinsam gestärkt aus der Krise herauszukommen. Das geht nicht mit Jammern, sondern nur mit Anpacken. Deshalb sollten wir es anpacken. Vielen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal frage ich mich - gerade angesichts der letzten 106 Tage -, in welchem Raumschiff Sie unterwegs sind. Zumindest sind Sie nicht in den Kommunen vor Ort; denn diese sind gerade dabei, ihre Haushalte aufzustellen. ({0}) Herr Götz, wenn Sie mir jetzt zuhören, werden Sie verstehen, warum das, was Sie in den letzten Tagen und Wochen beschlossen haben, für die Kommunen sehr wohl wichtig ist. Die Kommunen achten sehr genau darauf, was Sie mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht haben; denn die Kommunen sind diejenigen, die nun die Haushalte aufstellen und den Genehmigungsbehörden darlegen müssen, wie sie mittelfristig aus der Verschuldung herauskommen wollen. Aber Sie sagen - quasi wie auf einer rosafarbenen Wolke schwebend -: Wer will, der kann auch. - Die Kommunen können nicht mehr. ({1}) Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens dem Handelsblatt, das dargelegt hat: Kommunen lehnen Steuersenkungen ab. … Viele Bürgermeister sehen sich durch Regierungspläne zu Gebührenerhöhungen und Leistungskürzungen gezwungen. ({2}) Sie sind die Partei für die Kommunen? In der Frankfurter Rundschau ist zu lesen: „Wieder trifft es die Kommunen“. Städten und Gemeinden brechen die Einnahmen weg; die Infrastruktur ist infrage gestellt. Sie reden von Familienpolitik, und gleichzeitig beschließen Sie im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes Kürzungen in der Größenordnung von 1,6 Milliarden Euro. ({3}) Der Sachverständigenrat hat Ihnen in seinem Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ins Stammbuch geschrieben, der Koalitionsvertrag sei „vage und in jeder Hinsicht enttäuschend“. Weiter schreibt er, dass Handlungsziele und Handlungsvorschläge absolut fehlen und dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle nichts mit Haushaltskonsolidierung zu tun hat. Ich frage mich in diesem Zusammenhang: Kennen Sie sich eigentlich mit dem föderalen Staat aus? Wo bleiben denn die Länder bei der ganzen Angelegenheit? Was machen Sie, wenn Sie mit den Ländern zusammensitzen? Appellieren Sie dann an sie, dass sie ihren Verpflichtungen nachkommen? ({4}) Was heißt das zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen? Rüttgers redet von „unseren Kommunen“. Mit Blick auf seine Kommunen und seine Stadtsäckel kann man nur feststellen: Er hat den Kommunen in den vergangenen Jahren 3 Milliarden Euro weggenommen. ({5}) Seine Kommunen? In Sonntagsreden sagt er, dass wir die kommunale Selbstverwaltung unterstützen sollen. Aber sein Handeln spricht eine andere Sprache. ({6}) - Herr Dautzenberg, dazwischenrufen nützt nichts; das hören die Leute am Fernseher nicht. Zuhören kommt immer vor dem Verstehen. ({7}) Sie haben gerade einige Beschlüsse aus der Zeit der Koalition mit den Grünen angesprochen. Ich will Ihnen einmal sagen, was die Krise für meine Stadt, die Stadt Essen, bedeutet: Alleine die Zinsen, die für die Kassenkredite aufzuwenden sind, belaufen sich für die Stadt Essen auf 1,47 Millionen Euro. Das sind doch keine Peanuts! Die Stadt ist gar nicht mehr handlungsfähig. ({8}) Wenn Sie hier über Familienpolitik oder Bildungspolitik sprechen, dann ist das alles nur Makulatur, weil Sie in einem Raumschiff unterwegs sind und letzten EnPetra Hinz ({9}) des nicht die Familien unterstützen. Allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bedeutet für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen 400 Millionen Euro Mindereinnahmen. Wissen Sie, was diese damit machen könnten? Tatsächliche Familienpolitik! Damit könnte die Stadt Essen allen Kindern, die eine Kita besuchen wollen, die Möglichkeit geben, das gebührenfrei zu tun. Ihre Steuergeschenke gehen in eine andere Richtung: Sie erfolgen auf Pump und gehen auf Kosten der Kommunen und auf Kosten der Menschen in den Kommunen. ({10}) All das, was wir hier beschließen, betrifft letzten Endes auch die Kommunen. Der 4. Dezember 2009 war deren schwärzester Tag. ({11}) An einem einzigen Sitzungstag, an einem Freitag, haben Sie hier zuerst das Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschlossen. Dann lassen Sie sich dafür abfeiern, dass Sie Klientelpolitik betreiben. Zwei Tagesordnungspunkte später ging es um die Kosten für die Unterkunft. Allein für meine Stadt, die Stadt Essen, bedeutet der Beschluss bezüglich der Beteiligung des Bundes weitere Kosten in Höhe von 4 Millionen Euro. ({12}) Da reden Sie davon, dass man sparen könne? Die Kommunen sind handlungsunfähig; sie können nicht mehr. Wir müssen über Entschuldung reden. Es gibt zwei Bundesländer in unserer Republik, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die anpacken, die etwas für ihre Kommunen tun. Sie versuchen im Rahmen einer Entschuldung, den Kommunen tatsächlich zu helfen. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Reden ist das eine, Handeln das andere. Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann glauben Sie Ihren Sachverständigen in den Anhörungen. Im Finanzausschuss gab es zwei Anhörungen, und beide waren eine Pleite für Sie. ({14}) Zweimal haben Ihre eigenen Sachverständigen Ihnen deutlich gemacht, dass Sie die Kommunen schröpfen. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über die Lage der Kommunen in Deutschland diskutieren; denn wir, die wir in der Bundespolitik Verantwortung tragen, tragen oft auch Verantwortung in den Kommunen: als Stadträte, als Kreisräte, als Gemeinderäte. Wir wissen, dass die Kommunen die Wiege unserer Demokratie sind, dass das, was Bürger an Daseinsvorsorge von der Gemeinschaft erwarten, in erster Linie in den Kommunen gestaltet wird. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die kommunale Finanzausstattung in Zukunft verbessern. In der heutigen Debatte ist schon deutlich geworden, dass die finanzielle Lage der Kommunen zum einen auf die schwerste Krise, die unser Land nach dem Kriege durchmachen musste, zurückzuführen ist. Zum anderen ist sie darauf zurückzuführen, dass unsere Kommunen strukturelle Haushaltsprobleme haben, die durch die Veränderung ihrer Einnahmesituation, aber auch ihrer Ausgabenbelastung gelöst werden müssen. ({0}) Beiden Herausforderungen stellt sich diese Bundesregierung. Ich bin Frau Kollegin Tillmann sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, welche Impulse die Volkswirtschaft unseres Landes durch Wachstums- und Entlastungsmaßnahmen der Vorgängerregierung, aber auch der jetzigen Regierung - denken Sie allein an das Jahr 2010 erhalten hat. Ich bedaure wirklich sehr, dass sich die SPD so schnell von den Maßnahmen verabschiedet, die sie selber mit auf den Weg gebracht hat. ({1}) Wenn man das Bürgerentlastungsgesetz, die Konjunkturpakete I und II, das Familienleistungsgesetz und die Maßnahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes zusammennimmt, ({2}) dann beträgt der Wachstumsimpuls in Deutschland, der allein im Jahr 2010 haushaltswirksam wird, 30 Milliarden Euro. ({3}) Das sollte man nicht kleinreden. Wir wissen doch: Wir haben 2005, als Angela Merkel die Regierungsverantwortung übernommen hat, die kommunalfeindliche Politik von sieben Jahren Rot-Grün beendet. ({4}) Es ist hier deutlich gesagt worden, dass Sie noch im letzten Jahr der Regierungsverantwortung von Gerhard Schröder die Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Unterkunft auf null gesenkt haben. ({5}) Wir haben die Beteiligung des Bundes, als wir in Regierungsverantwortung gekommen sind, wieder erhöht. ({6}) - Gegenüber Ihrem letzten Ansatz von 2005 haben wir sie erhöht. Sie wollten sie auf null senken. Eines haben wir in den letzten Jahren gespürt - daran sollte sich vor allem die SPD erinnern -: Die Maßnahmen, die wir gemeinsam in der Großen Koalition 2005 eingeleitet haben, haben bis zum Hereinbrechen der Krise im Jahr 2008/2009 zu Wachstumsimpulsen geführt. Peter Götz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen in den Jahren 2006, 2007 und 2008 bis in das Jahr 2009 hinein zu einer einmaligen Finanzsituation der Kommunen geführt haben. ({7}) Es ist richtig, dass mit den Maßnahmen der Vorgängerregierung und den Maßnahmen, die die christlichliberale Regierung im Anschluss ergriffen hat, eine Rückkehr zum Wachstum in Deutschland erfolgt. Dies wird zu einer verbesserten Einnahmesituation der Kommunen führen. ({8}) Wachstumsimpulse sind richtig und wichtig. Wir werden uns mit großer Entschiedenheit aber auch den strukturellen Problemen in den kommunalen Haushalten stellen. ({9}) Noch im Februar wird das Kabinett den Beschluss fassen, dass eine Kommission eingesetzt wird, der Vertreter der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände angehören. ({10}) Das haben Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung versäumt. Sie haben sich nie grundsätzlich um stabile Kommunalfinanzen gekümmert. ({11}) Liebe Kollegen von der SPD, wir gehen ergebnisoffen und ohne Tabuisierung an die Themen heran. Ich kenne eine Reihe von Kommunalpolitikern, auch aus den Reihen der SPD, die sich längst vom Dogma des Festhaltens an der Gewerbesteuer verabschiedet haben. ({12}) Über die Ersetzung der Gewerbesteuer müssen wir mit den kommunalen Spitzenverbänden ohne Tabu sprechen. Eines ist klar: Auch innerhalb des Deutschen Städtetages gibt es längst eine andere Sicht. Ich glaube schon, dass die Großstädte nach wie vor ohne Wenn und Aber an der Gewerbesteuer festhalten wollen. In kleineren und mittleren Städten ist eine Debatte darüber entbrannt, ob die Kommunen durch ein Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden mit anderen, stetigen, nicht so konjunkturabhängigen Steuereinnahmen ausgestattet werden können. ({13}) Ich will auch etwas zur Struktur der Ausgaben sagen. Ich bin Mitglied eines Kreistags. Dort ist man sich über alle Fraktionen hinweg einig, dass die Bundespolitik manchmal Standards setzt, deren Umsetzung für die Kommunen hohe Kosten bedeutet. ({14}) Ich bin sehr gespannt darauf, wie Sie sich in dieser Kommission zu den Vorschlägen Ihrer eigenen Kommunalpolitiker stellen, ebendiese Standards zu verändern. ({15}) Selbstverständlich müssen wir in dieser krisenhaften Situation der Kommunalfinanzen auch die Länder an ihre Pflicht erinnern. Ich bin dem Kollegen Brauksiepe sehr dankbar dafür, dass er mir auf der Regierungsbank gerade gesagt hat, dass es in Nordrhein-Westfalen noch nie eine so hohe Zuweisung an die Kommunen gegeben hat wie in den letzten Jahren: ({16}) Im Jahr 2009 waren es 8 Milliarden Euro; 2010 werden es 7,6 Milliarden Euro sein. Davon konnten die Kommunen in Nordrhein-Westfalen nur träumen, als Sie dort Regierungsverantwortung getragen haben. ({17}) Angesichts dessen rate ich Ihnen: Hören Sie mit diesen Fastnachtsmätzchen auf. Arbeiten Sie über Ihre Landesminister in der Regierungskommission, die wir einsetzen, mit. Hören Sie auf, die Dinge zu tabuisieren. Stehlen Sie sich nicht aus Ihrer Mitverantwortung für die Unwucht bei den Kommunalfinanzen; schließlich waren Sie viele Jahre in Regierungsverantwortung. Durch das, was diese Regierung auf den Weg gebracht hat, werden Wachstumsimpulse gesetzt. Mehr Wachstum wird den Kommunen mehr Einnahmen bescheren. Wir wollen die Grundfrage der kommunalen Finanzierung auf der Einnahme- und auf der Ausgabenseite endlich einmal grundsätzlich angehen, und wir wollen nicht so ein Flickwerk produzieren, wie Sie es getan haben, als Sie in der Regierungsverantwortung gewesen sind. Herzlichen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Michael Groschek. ({0})

Michael Groschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004044, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt doch noch Sternstunden im Parlament. Ich behaupte das, obwohl so gut wie nichts gesagt wurde. Das, was gesagt wurde, war allerdings bezeichnend. Wenn der Staatssekretär aus dem Wahlkreis Bayreuth Bayreuther Festspiele nach dem Motto „Tarnen, Tricksen, Täuschen“ aufführt und sich bei den Themen „Gewerbesteuer“ und „Konjunkturpaket“ mit fremden Federn schmückt, dann ist das das eine. ({0}) Wenn er aber Herrn Brauksiepe zitiert und sagt, den Städten in NRW sei es noch nie so gut gegangen, dann kann man nur lachen. Fragen Sie einmal Ihre schwarzen Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister! Fragen Sie Ihre schwarzen Landräte! Diese Personen demonstrieren nicht mit Rüttgers, sondern gegen Rüttgers. Sie sehnen den 9. Mai herbei, wenn in Nordrhein-Westfalen gewählt wird. ({1}) Wenn Herr Solms hier erzählt, die FDP, die „Mövenpick-Partei“, stehe nach wie vor fest zur Steuergerechtigkeit, dann kann man nur den Kopf schütteln; schließlich bekennt er im gleichen Atemzug wie alle anderen Mitglieder dieser Partei: Ja, wir stehen zur Abschaffung der Gewerbesteuer. ({2}) Was heißt das denn im Hinblick auf Steuergerechtigkeit? Sie schonen die einen und belasten die anderen. Die kleinen Leute sollen die Abschaffung der Gewerbesteuer zahlen. Das ist keine Steuergerechtigkeit, das ist Klientelpolitik. Dafür kriegen Sie die Klatsche. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. ({3}) Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Thema; dazu haben Sie wenig gesagt. Mich würde interessieren, wie die Union dazu steht, dass sowohl die Regierung als auch die „Mövenpick-Partei“ die fauchende Katze aus dem Sack gelassen haben, als sie klipp und klar gesagt haben: Unser Kampfauftrag ist klar; die Gewerbesteuer muss abgeschafft werden. Ist das auch Ihre Denkart? Bekennen Sie sich doch gleich hier. Ein Abgeordneter Ihrer Fraktion wird noch zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen. Nutzen Sie die Chance und schenken Sie den Menschen reinen Wein ein! Das haben sie nämlich verdient. ({4}) Die Bertelsmann-Stiftung - sie ist kein Institut der sozialen Demokratie - hat eindeutig gesagt: Die Finanzentwicklung in strukturschwachen Städten ist dramatisch. Gerade denjenigen Kommunen, die mit den Auswirkungen des demografischen Wandels und der Strukturschwäche der Wirtschaft sowie mit sozialen Lasten zu kämpfen haben, steht das Wasser schon höher als bis Unterkante Oberlippe. Wie reagieren Sie darauf? Sie wollen weiter belasten statt entlasten. Wir sagen Ihnen: Die Städte brauchen keine Belastungsperspektive und keine Bevormundung, sondern eine klare Soforthilfe, einen Rettungsschirm. Noch einmal zum Mitdenken: Wir wollen, dass die Städte und Gemeinden für die 1,6 Milliarden Euro entschädigt werden, die Sie ihnen durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz geraubt haben. Wir wollen eine Überbrückungshilfe bei KdU. Wir wollen letztendlich, dass Sie hier hinsichtlich der Finanzierungssicherheit der Gemeinden klar bekennen: Es wird keine weiteren Steuersenkungen auf Pump geben. ({5}) Damit bin ich bei einem Punkt, der mich von der Naivität her erschreckt hat. Wer hier sagt - es ist noch nicht einmal jemand aus der Union -: „Der Dr. Rüttgers ist wach geworden und benennt Probleme“, den lade ich herzlich nach Nordrhein-Westfalen ein; da wird er die Realität kennenlernen. Jetzt zu Dr. Rüttgers selbst. Er ist mit der Philosophie angetreten: Privat vor Staat, Freiheit vor Gleichheit. Was hat er gemacht? Mit einem Sofortprogramm hat er die Mittel für die Arbeitslosenberatungszentren zusammengekürzt, er hat die Frauenberatungsläden quasi abgeschafft, er hat die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst beschnitten, und er hat den Landesjugendplan geplündert. Das hat er bis zu einer Belastungshöhe von 3,1 Milliarden Euro fortgesetzt. Das ist die Fünfjahreswirklichkeit dieser Regierung in Düsseldorf. Jetzt, fünf vor zwölf, sagt er auf einmal: Mit mir, Jürgen Rüttgers, wird es im Bundesrat keine Zustimmung zu weiteren Steuersenkungen geben, von denen die Kommunen negativ betroffen sind. ({6}) Das ist nicht Einsicht in die Notwendigkeit, sondern nur der Panik angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse geschuldet, und Panik ist ein falscher Ratgeber. ({7}) Wir erwarten von verantwortlicher Politik, sich eben nicht durch miserable Umfrageergebnisse treiben zu lassen und panikartig zu reagieren. Es geht um die Übernahme von politischer Verantwortung. Sie beweisen nur eines, nämlich dass Sie kommunalpolitisch verantwortungslos sind. Wir erwarten von Ihnen, meine Damen und Herren der Union, dass Sie hier klipp und klar bekennen - auch Ihren eigenen Leuten gegenüber -, ob Sie für oder gegen die Gewerbesteuer sind. Ich freue mich auf ein Wiedersehen im Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Manfred Kolbe hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Schluss der Aktuellen Stunde ein paar Punkte zusammenfassen: ({0}) Erstens. Wir als CDU/CSU-Fraktion sind die kommunal, also vor Ort, verankerte Fraktion. ({1}) Sie brauchen sich doch nur das Ergebnis der letzten Bundestagswahl anzuschauen. Unsere Fraktion umfasst 239 Abgeordnete. Davon sind 218 direkt gewählt. ({2}) Man wird in Deutschland nicht direkt gewählt, wenn man keinen Kontakt zur kommunalen Basis hat. ({3}) Wenn man nicht die Interessen der Kommunen vertritt, dann gewinnt man keine Wahlkreise. Weil wir das tun, haben wir so viele Wahlkreise gewonnen. In Sachsen haben wir alle 16 Bundestagswahlkreise gewonnen. Wir haben alle zehn Landratsämter gewonnen. Wir stellen die Oberbürgermeisterin in Dresden. Das wäre doch nicht der Fall, wenn wir eine kommunalfeindliche Politik betreiben würden. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. ({4}) Nun zu den Grünen. Frau Künast sehe ich gar nicht mehr. Sie muss sich offenbar von Ihrem eigenen Redebeitrag erholen. ({5}) Sie, Frau Haßelmann, haben sich hier aufgeplustert. Ihre Partei ist kommunal überhaupt nicht verankert. ({6}) Ich kann die Anzahl der kommunalen Vertreter Ihrer Partei in meinem Wahlkreis an einer Hand aufzählen. Das ist fast bedauerlich. ({7}) Schauen wir uns doch einmal die kommunale Leistungsbilanz seit 2005 an. ({8}) Das Jahr 2005 ist geradezu eine Zäsur für die kommunalen Finanzen. ({9}) Im Jahr 2005 - das nur zur Erinnerung - wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. ({10}) Die Steuereinnahmen der Gemeinden sind seitdem vier Jahre lang kontinuierlich gestiegen. Der Finanzierungssaldo der Kommunen war letztmals 2005 negativ. Die Kommunen hatten 2006, 2007 und 2008, einen positiven Finanzierungssaldo erwirtschaftet. ({11}) Die kommunalen Investitionen betrugen im Jahr 2005 nur18,6 Milliarden Euro und hatten somit einen Tiefststand erreicht. Sie sind seitdem kontinuierlich gestiegen, nämlich auf 19,1 Milliarden Euro in 2006, 20 Milliarden Euro in 2007, 21,5 Milliarden Euro in 2008 und 22,5 Milliarden Euro im letzten Jahr. Das sind die Zahlen. Sie sagen mehr aus als manches hysterische Wort hier in diesem Saal. ({12}) Dann kam die internationale Finanzkrise. Sie ist den Kommunen nicht von der Bundesregierung aufgezwungen worden und hat uns alle getroffen. Da haben wir alle Fehler gemacht, der Bund, die Länder und auch manche Kommune. Ich denke zum Beispiel an die Cross-BorderGeschäfte der Stadt Leipzig, die für die Kommunalen Wasserwerke ein finanzielles Risiko in Höhe von 290 Millionen Euro mit sich brachten. Da wir alle Fehler gemacht haben, sind wir alle gefordert. Die Kommunen haben jetzt in der Tat ein Finanzierungsdefizit: ({13}) Letztes Jahr lag es bei 4,5 Milliarden Euro; dieses Jahr droht eines in Höhe von bis zu 12,0 Milliarden Euro. Ich sage ganz klar für meine Fraktion - das hat der Staatssekretär schon ausgeführt -: Wir alle sind gefordert. Wir müssen darüber nachdenken, und wir müssen auch handeln. ({14}) Wenn man ehrlich ist, dann kommt man zu dem Schluss - das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen -, dass die Hauptursache für den augenblicklichen Rückgang der kommunalen Einnahmen die starke Konjunkturabhängigkeit der Gewerbesteuereinnahmen ist. ({15}) Angesichts dessen sollte man nicht immer gleich mit dem Totschlagargument kommen: Ihr wollt die Gewerbesteuer abschaffen. Das will doch keiner. ({16}) Wir wollen die kommunalen Einnahmen verstetigen und weniger konjunkturanfällig gestalten. ({17}) Diese Bundesregierung unter Angela Merkel hat übrigens sofort gehandelt - Sie von der SPD, Frau Kressl und andere könnten da ruhig klatschen, waren noch dabei: Wir haben ein erstes Konjunkturpaket aufgelegt; wir haben ein zweites Konjunkturpaket aufgelegt; wir haben die Straßenbaumittel des Bundes um 4 Milliarden Euro erhöht. ({18}) Als Ausblick auf diese Legislaturperiode sei gesagt: Wir werden auch in dieser Legislaturperiode handeln. Das können Sie in der Koalitionsvereinbarung nachlesen. Da steht, dass wir die kommunale Selbstverwaltung stärken, ({19}) die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen überprüfen und ({20}) die Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung verbessern wollen, ({21}) damit die Kommunen nicht immer die Suppe auslöffeln müssen, wenn Bund und Länder etwas zulasten Dritter beschlossen haben. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der einmal angegangen werden muss. Das werden wir in dieser Legislaturperiode tun. ({22}) - Danke schön. Die CDU/CSU-Fraktion steht zu den Kommunen und wird auch zugunsten der Kommunen handeln. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parteispenden begrenzen - Drucksache 17/547 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten - Drucksache 17/651 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Wir wollen hierzu verabredungsgemäß eine halbe Stunde debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Als Erstem gebe ich das Wort dem Kollegen Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute hier über die Reform des Parteiengesetzes, weil die Mövenpick-Spende des Barons von Finck an die FDP im Zusammenhang mit der auch von Herrn Pinkwart kritisierten Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie den Eindruck erweckt hat, man könne politische Entscheidungen in Deutschland durch Spenden beeinflussen. Friedrich Nowottny schreibt im Berliner Kurier etwas zugespitzt: Alles ist gesetzlich geregelt. Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht beraten und entschieden. Trotzdem: Um Parteispenden weht der üble Geruch von Korruption. Der Spiegel schreibt: Die „Mövenpick“-Spende ist so legal wie anrüchig. Meine Damen und Herren, die FDP erweckt den Eindruck, es sei legal verbucht, legal vermeldet, und deshalb sei auch alles in Ordnung. ({0}) Darin zeigt sich, dass Sie, meine Damen und Herren von der FDP, die Grundlagen des jetzigen Parteiengesetzes nicht verstanden haben. Es geht um Transparenz zur Ermöglichung von Kritik. Deshalb kann einem eine Spende bei Umfragen und Wahlen unter Umständen teuer zu stehen kommen, wie man aktuell sieht. Volker Beck ({1}) Im eher konservativen Grundgesetzkommentar von Maunz/Dürig wird die Logik des Parteiengesetzes dargelegt. Klein schreibt darin: Die Pflicht zur Offenlegung der finanziellen Verhältnisse dient dem Zweck, einerseits die Bürger, andererseits aber auch die um deren Stimme konkurrierenden Wettbewerber über die Ressourcen zu informieren, über welche die Parteien verfügen, aber auch darüber, woher sie kommen, weil es sich dabei um einen wesentlichen Indikator der von ihnen verfolgten Ziele handeln kann. ... Weiterhin formuliert das auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 3 des Grundgesetzes ergangene Parteiengesetz Veröffentlichungspflichten, denen wiederum der Gedanke zugrunde liegt, der Öffentlichkeit und jedem Bürger die Beurteilungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, deren sie für die sinnvolle Ausübung ihrer Kontrollfunktionen bedürfen. Dass Sie jetzt argumentieren: „Was legal ist, ist auch in Ordnung“, zeigt, dass die Grundlagen unseres Parteiengesetzes so nicht mehr von allen geteilt werden. Ich fand die Mövenpick-Spende im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht in Ordnung. Das sieht die Mehrheit der Bevölkerung auch so. ({2}) Wenn Sie diese Grundlagen nicht mehr akzeptieren, dann brauchen wir ganz offensichtlich eine Reform des Parteiengesetzes, die mehr Transparenz schafft und die die Möglichkeiten der Spenden so begrenzt, dass die Schwächsten im Parteiensystem durch Spenden in ihrer politischen Entscheidungspraxis, in ihrer Regierungstätigkeit nicht beeinflusst werden können. Deshalb schlagen wir vor, auf Grundlage des GRECO-Berichts, des Berichts der Staatengruppe gegen Korruption im Europarat, eine jährliche Obergrenze von Spenden durch natürliche und juristische Personen in Höhe von 100 000 Euro einzuführen. Das ist eine angemessene Summe. Das ist moderat; dies gestehe ich Ihnen zu. Man könnte da auch radikaler sein. Aber wir wollen Ihnen ein ehrliches Angebot zur Reform des Parteiengesetzes machen, damit wir hier einen Schritt weiterkommen. ({3}) Wir wollen sicherstellen, dass in Zukunft noch transparenter gehandelt wird. Es ist gut, dass der Bundestagspräsident jetzt sagt, er werde immer unverzüglich und nicht nur einmal im Monat veröffentlichen. Wir wollen außerdem die Transparenzgrenze von 50 000 Euro auf 25 000 Euro herabsetzen, damit noch klarer wird, ob es unmittelbare Zusammenhänge von Spenden und politischen Entscheidungen gibt. 25 000 Euro mögen auf der Bundesebene keine große Summe sein. Aber wenn eine Spende in dieser Höhe bei einem Ortsverband oder bei einem Kreisverband im Rahmen eines Kommunalwahlkampfs eingeht, dann sollte dies den Wählerinnen und Wählern bekannt sein, damit sie ihre Entscheidung für die Stimmabgabe auf Grundlage dieser Information treffen können. Wir wollen auch, dass zukünftig die Wahlkampfkosten zeitnah offengelegt werden müssen und dass Aktiengesellschaften und Unternehmen, die Geschäftsberichte schreiben müssen, darin aufführen müssen, wie viel Geld sie an welche Parteien gespendet haben. ({4}) Darauf haben die Eigentümer, die Aktionäre, einen Anspruch; denn es kann durchaus eine Divergenz geben, über die demokratisch diskutiert werden sollte. Wir wollen auf Grundlage des GRECO-Berichts eine Anhörung im Innenausschuss zur Unabhängigkeit bei der Kontrolle, zu Spenden an MdBs, zur Finanzierung von Wählervereinigungen durchführen. Der zentrale Punkt sind die Transparenz und die Begrenzung von Spenden. Die Reform des Parteienrechtes ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder vom Bundesverfassungsgericht oder von der Empörung aufgrund von Parteispendenskandalen - ich nenne nur die Flick-Affäre und die Kohl-Spende - angestoßen worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie uns die aktuellen Vorgänge für eine Reform nutzen! Das dient dem Ansehen der Parteien als eines Trägers der politischen Willensbildung, und es dient der Legitimität der parlamentarischen Demokratie. Lassen Sie uns den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass in Deutschland politische Willensbildung nicht käuflich ist! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ingo Wellenreuther hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Korruptionsbekämpfung ist grundsätzlich eine wichtige Sache, und Transparenz bei politischen Entscheidungen ist für eine Demokratie unverzichtbar. Was Korruptionsbekämpfung angeht, liegen wir in Deutschland richtig und befinden wir uns auf einem guten Weg. Nach der aktuell veröffentlichten Korruptionsliste von Transparency International belegt Deutschland unter 180 Staaten weltweit einen der vordersten Plätze. Ich begrüße, dass wir bereits 1999 der beim Europarat eingesetzten Staatengruppe zur Korruptionsbekämpfung, GRECO genannt, beigetreten sind. Die Anträge der Grünen und der Linken, die uns heute jedoch vorliegen, zielen darauf ab, das Parteiengesetz zu ändern. Das Ärgerliche daran ist, dass sie sich eines Etikettenschwindels bedienen, indem sie diese Anträge durch Verweis auf den GRECO-Bericht des Europarates in einen Zusammenhang mit Korruptionsbekämpfung stellen bzw. eine unzulässige Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Spenden unterstellen. Ich sage es ganz offen: Ich halte es für unverantwortlich, dass Sie damit das eminent wichtige Thema der Korruptionsbekämpfung in geradezu populistischer Weise missbrauchen, ({0}) nur des parteipolitischen Vorteils wegen. In Wahrheit geht es Ihnen überhaupt nicht um die Empfehlung des Europarates. Nein, der GRECO-Bericht muss als Feigenblatt herhalten, um aus Kalkül heraus den politischen Gegner und die Spender zu kriminalisieren und in Verruf zu bringen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Wellenreuther, Herr Kollege Beck hat eine Zwischenfrage.

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Beck hat genug gesprochen. Ehrlicher wäre es gewesen, wenn Sie gleich gesagt hätten, worum es Ihnen wirklich geht. Sie wollen den politischen Gegner treffen, Sie wollen die politischen Parteien mit wesentlich größeren Spendenaufkommen diskreditieren, und Sie wollen die Spender verunsichern. Dieses Ansinnen ist nur allzu durchsichtig, und deshalb ist Ihr Vorhaben in hohem Maße unehrlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, der Kollege Montag würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. Wir können uns später austauschen. - Wie gesagt: Es wäre ehrlicher gewesen, wenn Sie gleich gesagt hätten, worum es Ihnen geht. Ich halte es für unerträglich, dass Sie in der Öffentlichkeit bewusst den Eindruck erwecken, man könne in unserem Land Entscheidungen kaufen. ({0}) Für unerträglich halte ich auch, dass Sie so tun, als ob eine Beschränkung der Parteispenden auf eine bestimmte Höhe bzw. ein Verbot von Parteispenden durch juristische Personen dazu beitragen könnte, Korruption zu bekämpfen. Was die Parteispenden anbelangt, ist das entscheidende Kriterium die Transparenz. ({1}) - Sie müssen zuhören, dann begreifen Sie es vielleicht, Herr Poß. - Das Parteiengesetz in der Fassung vom Juni 2002 hat sich insofern bewährt. Sie wissen genau, dass gemäß § 25 des Parteiengesetzes Spenden über 10 000 Euro im Rechenschaftsbericht angegeben werden müssen. Spenden über 50 000 Euro müssen dem Bundestagspräsidenten direkt angezeigt werden. Das Ganze wird in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Das sind vernünftige Regelungen voller Transparenz, die sich - auch nach Auskunft der Bundestagsverwaltung im Laufe der Jahre hervorragend bewährt haben. Darüber hinaus begrüße ich, dass der Bundestagspräsident angekündigt hat - Herr Kollege Beck, Sie haben es angesprochen -, dass er Spenden zeitnah im Internet veröffentlichen wird. Damit wird dem Transparenzgebot in ganz besonderer Weise Rechnung getragen. ({2}) Bei der Frage, wie sich Parteien als Verfassungsorgane im weiteren Sinne, das heißt als Faktoren des Verfassungslebens und damit des politischen Wettbewerbes, finanzieren, darf man die Stichworte „Chancengleichheit“, „Staatsunabhängigkeit“ und „Meinungsfreiheit“ nicht außer Acht lassen. Wir haben uns in Deutschland ganz bewusst gegen eine rein staatliche Alimentierung der Parteien entschieden und die gesellschaftliche Verankerung als Wesenselement politischer Parteien definiert. Die Parteienfinanzierung hat - das wissen Sie - drei Säulen: ({3}) Neben den Mitgliedsbeiträgen und den staatlichen Zuwendungen erhalten sie Spenden natürlicher und juristischer Personen. ({4}) Spenden zu leisten, ist eine private Entscheidung der Bürger in unserem Land, die dies gegenüber sich, ihrer Familie, ihrem Vorstand, ihrem Aufsichtsrat, ihren Aktionären und der Öffentlichkeit zu rechtfertigen haben, aber sicherlich nicht gegenüber dem politischen Gegner. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Spendenrechts entspricht der grundgesetzlich verankerten Parteienfreiheit. Dies drückt sich im Recht aus, dass natürliche oder juristische Personen den Parteien als legitime Formen der Teilhabe an der politischen Willensbildung Spenden zukommen lassen. Berechtigterweise darf es den Spendern darauf ankommen, die politischen Ziele der entsprechenden Parteien zu unterstützen. Genau das ist nach dem Grundgesetz, dem Parteiengesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so vorgesehen. Das Verfassungsgericht sieht Parteispenden ausdrücklich als eine Form zulässiger Interessenwahrnehmung und politischer Teilhabe an. Bei der vorigen Debatte wurde angesprochen, dass Spenden auch ein Indikator für den Erfolg einer Partei sind. ({5}) Oft spiegelt sich darin die Verankerung der Mandatsträger in den Wahlkreisen wider. Damit haben speziell die Grünen und die Linken Probleme. Genau das ist es, was Sie stört und worauf Ihre Anträge abzielen. Durch die beantragte Begrenzung der Spendenhöhe oder gar durch das von den Linken beantragte Verbot von Unternehmensspenden verspricht man sich Vorteile im politischen Wettbewerb. Wie heuchlerisch Ihre Argumentation ist, zeigt sich schon daran, dass beispielsweise Sie von den Grünen sich in den letzten Jahren sehr gerne durch Großspenden aus der Solar- und Windenergiebranche haben unterstützen lassen. ({6}) Wenn Sie mögen, kann ich die einzelnen Beträge nennen. Um in Ihrem Gedankengebäude zu bleiben, müssten Sie Ihre eigene Integrität wegen Ihres Einsatzes für die Förderung regenerativer Energien infrage stellen. ({7}) Die politischen Ziele Ihrer Spender deckten sich schließlich mit denen Ihrer Partei. ({8}) Sie sehen daran, wie scheinheilig Ihre Argumentation ist. ({9}) - Ja, genau, aber im Unterschied zu Ihnen mit Verstand, Herr Poß. Ihnen von der Linken müsste eigentlich die Schamesröte ins Gesicht steigen, da das Verwaltungsgericht in Berlin vor einigen Wochen, im Januar 2010, festgestellt hat, dass die Partei Die Linke gegen das Transparenzgebot des Parteiengesetzes verstoßen hat, weil sie eine Spende in Höhe von 146 000 Euro, die im Zusammenhang mit dem Landtagswahlkampf Rheinland-Pfalz im Jahre 2006 geflossen ist, nicht im Rechenschaftsbericht angegeben hat. Es fällt uns schwer, Ihre Anträge ernst zu nehmen. Deswegen lehnen wir sie ab. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gabriele Fograscher hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Anlass für diesen Tagesordnungspunkt - das kann und will ich Ihnen gar nicht ersparen - sind die Entscheidung der Regierungskoalition, den Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen zu senken, und die großzügige Spende der Hotelkette Mövenpick, von Herrn von Finck, die FDP und CSU erhalten haben. Problematisch ist dabei nicht die Spende an sich. Alle Parteien sind auf Spenden angewiesen. Was die öffentliche Diskussion ausgelöst hat, ist die zeitliche Nähe der Spende zu dieser isolierten, einseitigen steuerlichen Entlastung für Hotelübernachtungen. ({0}) Einfach, niedrig und gerecht soll das Steuersystem werden. Das wiederholen Sie gebetsmühlenartig. Aber Sie tun das Gegenteil. Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen schafft mehr Aufwand bei der Abrechnung, fügt dem Dschungel der Ausnahmetatbestände eine weitere Schlingpflanze hinzu, und die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen werden dadurch niedriger. Das mag sich für die CSU und die FDP ja finanziell gelohnt haben, ob sich das aber auch politisch gelohnt hat, bezweifeln inzwischen nicht nur Herr Pinkwart von der FDP und Herr Rüttgers von der CDU. ({1}) Mit Die Gefahr des bösen Scheins ist ein Beitrag des FDP-Politikers Burkhard Hirsch in der Süddeutschen Zeitung vom 1. Februar 2010 überschrieben. ({2}) Er führt aus - ich zitiere -: Der Gesetzgeber hat den bösen Schein von Spenden geahnt. Im Parteiengesetz verbietet er die Annahme von „Spenden, die der Partei erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden“. Diese gutgemeinte Bestimmung hat keine praktische Bedeutung erlangt. In dem Artikel macht Burkhard Hirsch Vorschläge, die wir von der SPD zwar nicht alle teilen, das Ziel jedoch, die Gefahr des bösen Scheins von Parteispenden zu bannen, teilen wir ausdrücklich. ({3}) Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Kontrolle und mehr Transparenz. Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, nachzuvollziehen, von wem und in welcher Höhe politische Parteien finanzielle oder auch materielle Zuwendungen erhalten. ({4}) Deshalb halten wir Änderungen im Parteiengesetz für notwendig. Wir sind für die Einführung einer jährlichen Spendenobergrenze in Höhe von 100 000 Euro. Wir unterstützen die Forderung, dass Spenden ab einer Höhe von 25 000 Euro statt bisher 50 000 Euro unverzüglich dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden müssen. Wir begrüßen, dass diese Spenden in Zukunft unverzüglich veröffentlicht werden. ({5}) Ein Spendenverbot für juristische Personen, das die Linke vorschlägt, und eine Spendenobergrenze von jährlich 25 000 Euro halten wir für nicht sinnvoll. Spenden würden gestückelt und von natürlichen Personen, zum Beispiel Führungskräften des Unternehmens, getätigt. Interessant für die Öffentlichkeit ist nicht, ob eine Person X an eine Partei Y spendet, sondern ob Unternehmensinteressen mit dieser Spende verbunden sind. ({6}) Allerdings halten wir das Verbot von Verbandsspenden für notwendig. ({7}) Die Berliner Zeitung vom 9. Februar 2010 greift die Spendenpraxis des Verbands der Bayerischen Metallund Elektroindustrie auf. Dieser Verband gehört zu den größten Parteispendern der Republik. Seit 2002 gingen mehr als 3,5 Millionen Euro an CSU und FDP. ({8}) Die Zuwendungen an andere Parteien fielen entschieden geringer aus. ({9}) In dem Artikel in der Berliner Zeitung „Das teure Schweigen der Bayerischen Metallindustrie“ ist zu lesen, dass nicht einmal alle Mitglieder des VBM von dieser Spendenpraxis wissen. ({10}) Audi-Unternehmenssprecher Jürgen de Graeve wird in diesem Artikel wie folgt zitiert: Wir sind im VBM, damit der Verband Tarifpolitik für uns macht, nicht damit er an Parteien spendet. Zur Erhöhung der öffentlichen Kontrolle gehört für uns auch, dass Kapitalgesellschaften verpflichtet werden, ihre Spenden an Parteien in ihren Geschäftsberichten öffentlich auszuweisen. Es muss im Interesse aller demokratischen Parteien sein, den Verdacht von Einflussnahme oder, schlimmer noch, von Käuflichkeit auszuräumen. Deshalb war es guter Brauch - es ist immer gelungen -, Regelungen zur Parteienfinanzierung fraktionsübergreifend zu vereinbaren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich fordere Sie auf, über die Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz offen mit uns zu diskutieren und mit uns gemeinsam zu Neuregelungen zu kommen. Danke sehr. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Stefan Ruppert hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Finanzierung von Parteien in Deutschland ist eng verbunden mit einem demokratischen Verständnis, das in diesem Lande geprägt wird. ({0}) Mit den vorliegenden Anträgen verlassen Grüne und Linke die gute Tradition, dass wir uns über die Frage, wie wir uns als Parteien finanzieren und wie wir Demokratie gestalten, im Konsens der Demokraten unterhalten. Sie gehen auf Kosten eines kleinen parteipolitischen Vorteils einseitig vor. Das ist eine sehr kleine parteipolitische Münze, die Sie hier ausspielen. ({1}) Ein genauerer Blick auf die deutsche Parteienfinanzierung lohnt sich. ({2}) - Ich bin relativ neu in diesem Haus, Herr Poß, aber ich bin auf kommunaler Ebene von Ihrer Partei ein höheres Niveau gewohnt, als Sie es hier darstellen. ({3}) Das Infame an Ihrer Kampagne ist doch, so zu tun, als seien die Vorgänge der Vergangenheit intransparent gewesen. Keinesfalls waren sie das. ({4}) Alles wurde rechtzeitig veröffentlicht. Die Spenden sind ordnungsgemäß verbucht und eingegangen. Auch unser Parteiensystem ist keinesfalls so intransparent, wie Sie es darstellen. 1 000 Euro dürfen Sie in bar nicht annehmen, 10 000 Euro müssen im Rechenschaftsbericht verzeichnet werden und 50 000 Euro müssen dem Bundestagspräsidenten gemeldet und veröffentlicht werden. All das ist geschehen. Was wollen nun Ihre Anträge? Die Grünen wollen eine Höchstgrenze für Spenden von juristischen Personen festlegen. Die Linken wollen Spenden von juristischen Personen gleich ganz verbieten, ({5}) weil sie keine bekommen haben, nicht aber die von natürlichen Personen. Diese Unterscheidung wird nicht begründet. Wir müssen uns fragen, welche demokratische Kultur wir in diesem Land eigentlich fördern wollen. ({6}) - Genau, ich stelle diese Frage. - Wollen wir ein stärker auf Personen ausgerichtetes System wie etwa in den USA, wo der Einzelne dafür sorgen muss, dass er seinen Wahlkampf finanziert? Dies kann er, wenn er zu den reichsten 1 bis 2 Prozent Menschen seines Landes gehört oder wenn er die medialen Möglichkeiten hat, sich selbst zu inszenieren, weil er die Medien, die das tun können, besitzt, wie es in manchen Ländern der Fall ist. ({7}) Wir wollen Parteien, die Politik organisieren, die demokratische Auswahl ermöglichen, ein Forum für den politischen Diskurs liefern. Dazu brauchen sie Geld. Dieses Geld - das sage ich ausdrücklich - soll nicht allein vom Staat kommen, sondern es soll aus der Mitte der Gesellschaft stammen. ({8}) Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt: Die Selbstfinanzierung von Parteien hat Vorrang vor der Staatsfinanzierung. ({9}) Außerdem hat es festgestellt, dass Spenden von juristischen Personen erwünscht seien. Was wäre das für eine Demokratie, meine Damen und Herren von der Linken, von der SPD und von den Grünen, in der Parteien zu bloßen Staatsagenturen verkümmerten? ({10}) - Sie können sich gleich in Ihrer Rede dazu äußern. Im Antrag der Linken wird dieses Modell im Ergebnis propagiert. ({11}) Im Gegenzug kritisieren Sie aber die Parteienfinanzierung der NPD nach den selbst aufgestellten Kriterien. Als Liberaler, der politischen Extremismus, übrigens auch den auf Ihrer Seite, bekämpft, hoffe ich, dass ich als Parteipolitiker nie von der staatlichen Parteienfinanzierung, die Sie politisch wollen, abhängig sein werde. ({12}) - Herr Poß, Sie können gerne noch lauter schreien oder hier reden. Aber das ändert nichts. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Parteien in Deutschland unterschiedlich finanzieren. Sie von den Linken beispielsweise profitieren vom SED-Vermögen. ({13}) Wo wir Miete für eine Kreisgeschäftsstelle zahlen, war bei Ihnen der Weg vom volkseigenen Vermögen in Ihre Parteikasse nicht weit. ({14}) Andere profitieren von massiver gewerkschaftlicher Unterstützung. ({15}) - Ich kenne das aus meinem Wahlkampf, Herr Poß. ({16}) Mein Gegenkandidat war von einer Gewerkschaft wochenlang freigestellt. ({17}) Das ist eine Möglichkeit, die ich nicht hatte. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Poß würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich führe meinen nächsten Satz zu Ende, dann gerne. ({0}) Bei der letzten Bundestagswahl hat zum Glück der Satz gegolten: Geld allein schießt keine Tore. - Das gilt auch für das Geld, über das Sie aufgrund Ihrer Medienbeteiligungen verfügen und das deutlich mehr ist als unsere Parteispenden. ({1}) Jetzt können Sie gerne Ihre Zwischenfrage stellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Poß, bitte schön.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege, können Sie einen Fall nennen, einen aktuellen oder einen aus den letzten Jahrzehnten, in dem es eine Gewerkschaftsspende für die Sozialdemokratie gab?

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie den Satz, den ich gesagt habe, gehört. Mein Gegenkandidat im Wahlkampf profitierte davon, dass er für diesen Wahlkampf wochenlang von einer Gewerkschaft freigestellt war, während ich am Max-Planck-Institut Grundlagenforschung betreiben musste. ({0}) Diese Freistellung hat ihm sehr wohl einen Wettbewerbsvorteil verschafft. ({1}) Es geht nämlich nicht nur um direkte Finanzierung. ({2}) Die Grünen bekommen viele Spenden von Wind- und Solarenergieunternehmen. Es ist bemerkenswert, dass Sie die Kappungsgrenze genau oberhalb der Zahl festlegen wollen, die Sie regelmäßig als Spenden bekommen. ({3}) Das hat natürlich ein Geschmäckle. Vor diesem Hintergrund bekommt das Wort „Einspeisevergütung“ einen völlig neuen Bedeutungsgehalt. ({4}) Die FDP hat den kleinsten Parteiapparat. Auf die Unterstützung großer Institutionen hoffen wir vergeblich. ({5}) - Herr Poß, was Sie vielleicht besonders ärgert, ist, dass 10 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder uns sogar gewählt haben. ({6}) Sie können das vielleicht nicht verstehen, aber es ist so. ({7}) - Wir sind da gelassener als Sie und warten ab, was die Zukunft bringt. Wir wollen die Demokratie in Deutschland im Konsens mit Ihnen weiterentwickeln. Wir wollen nicht kleine parteipolitische Münze quasi eine halbe Stunde vor Karneval, sondern wir wollen, dass alle Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, ({8}) auch Unternehmer, die jeden Tag hart arbeiten müssen und keine Zeit haben, sich politisch zu engagieren, ({9}) in diesem Parlament repräsentiert sind und nicht nur Gewerkschaftssekretäre und Linke. Wir wollen, wie gesagt, dass hier alle Menschen aus der Mitte der Gesellschaft repräsentiert sind. ({10}) Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie zur ernsthaften Debatte zurück! Wir können in Ruhe über dieses Thema diskutieren. Die vorliegenden Anträge lehnen wir ab. Danke. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin Halina Wawzyniak. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe selten eine Debatte verfolgt, die von so wenig Problembewusstsein geprägt war. ({0}) Wenn Sie die SED-Millionen suchen, ({1}) rate ich Ihnen: Fragen Sie einmal beim Nachfolger der Treuhandanstalt und bei der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Parteienvermögens nach. ({2}) Sie können allerdings auch einen Stift zur Hand nehmen und mitschreiben, was ich Ihnen jetzt sage. Sie können nämlich auch unter http://www.die-linke.de/partei/ge schichte/und dort unter Punkt acht nachlesen, dass wir seit dem 1. September 1991 auf dieses Geld verzichtet haben. Aber dafür muss man natürlich lesen können. ({3}) Die FDP schreibt: Spenden sind ein wichtiger und sehr persönlicher Beitrag des einzelnen Bürgers für die Politik seiner Wahl und Ausdruck persönlicher Willensbekundung. Wenn die FDP auch noch zu der Erkenntnis kommen könnte, dass dies auch für Bürgerinnen gilt, könnte ich dem sogar zustimmen. ({4}) Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Damit nicht Wirtschaftsverbände und Unternehmen die Politik bestimmen, fordern wir ein Verbot von Parteispenden juristischer Personen. Auch Spenden von Bürgerinnen und Bürgern sollen begrenzt werden, weil andernfalls diejenigen, die viel Geld haben, Politik kaufen, während diejenigen, die Transferleistungen empfangen, nur alle vier Jahre ihre Stimme abgeben dürfen. Das ist uns zu wenig. ({5}) Bleiben wir bei dem Zitat der FDP. Wenn eine Spende Ausdruck persönlicher Willensbekundung ist, wie müssen wir uns das dann bei der Spende eines Unternehmens vorstellen? ({6}) Welche höchstpersönliche Willensbekundung soll hier zum Ausdruck kommen? Wird zur Entscheidungsfindung, welche Partei in welcher Höhe mit einer Spende bedacht wird, eine Mitarbeiterversammlung einberufen? Ist der Betriebsrat beteiligt? Findet gar eine Urabstimmung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt? Welches Quorum ist notwendig, um die Entscheidung herbeizuführen? Und wie sieht es aus, wenn die Geschäftsführung andere Präferenzen als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat? Wir alle wissen doch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen bei solchen Entscheidungen außen vor bleiben. Insofern sind Spenden von Unternehmen gerade nicht Ausdruck einer höchstpersönlichen Entscheidung. Wir sagen: Mit Spenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden soll Politik im Interesse der juristischen Personen erkauft werden. Juristische Personen, also Unternehmen, sind rechenschaftspflichtig, eine Aktiengesellschaft vor allen Dingen gegenüber den Aktionären. Die Aktionäre müssten eigentlich sauer sein, wenn der Vorstand mit Genehmigung des Aufsichtsrates enorme Summen an Parteien verschenkt. Diese Spenden sind allerdings Geschenke, für die Gegenleistungen erwartet werden. Worin soll diese Gegenleistung bestehen, wenn nicht in Politik, die dem Unternehmen genehm ist? Ich glaube nicht, dass ich bei Ihnen auf offene Ohren stoße; aber vielleicht können die Grünen einmal darüber nachdenken, ob sie sich unserem Antrag anschließen im Sinne der Demokratie. Die FDP hat nicht nur jüngst von Spenden profitiert. Eine Richterin am Verwaltungsgericht Berlin kam neulich zu dem Schluss, dass die FDP infolge der Möllemann-Affäre eigentlich eine Strafe von 11 Millionen Euro hätte zahlen müssen. Das hat sie nicht, weil der Bundestagspräsident als Vertreter der Bundestagsverwaltung - sagen wir einmal - großzügig war. ({7}) Allianz, Deutsche Vermögensberatung, Deutsche Bank und Arbeitgeberverbände wie Südwestmetall und der Verband der Chemischen Industrie spendieren Union und FDP seit Jahren Unmengen von Geld. Unternehmen entsenden Mitarbeiter in Ministerien. Deutschland ist damit eine Wirtschaftsdemokratie. Die Politik sollte aber demokratisch sein: getragen von dem Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. ({8}) Die Wahl ist eine höchstpersönliche Willensbekundung. Da nur die Bürgerinnen und Bürger wählen können, nicht aber Unternehmen und Wirtschaftsverbände, ist es nur konsequent, dass sich die FDP rasant dem erHalina Wawzyniak mäßigten politischen Mehrwertstimmensatz von 7 Prozent nähert. Vielleicht lernen Sie dann, dass Geld und Spenden allein nicht glücklich machen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Mayer erhält das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir erleben heute wiederholt den vollkommen plumpen und durchsichtigen Versuch der Opposition, sich parteipolitisch zu profilieren. ({0}) Es wird versucht, aus einem Vorgang politischen Profit zu schlagen, indem man ihn skandalisiert. Dafür fehlt jegliche Grundlage; denn eines ist klar - das ist intensiv geprüft worden -: Alle Spenden, die die Opposition zum Gegenstand ihrer Anträge gemacht hat, sind vollkommen rechtmäßig gewesen, ordentlich verbucht und entsprechend den geltenden Regelungen des Parteiengesetzes öffentlich gemacht worden. ({1}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich bitte Sie, insoweit nur etwas weiter zu denken. Ich habe die große Befürchtung, dass durch die Diskussion, die Sie vom Zaun gebrochen haben, ({2}) die gesamte politische Klasse in Deutschland diskreditiert wird. Sie schädigen damit, dass Sie wie ein Agent Provocateur fungieren, uns alle. ({3}) Sie versuchen dadurch, dass Sie den Vorgang skandalisieren - dies entbehrt, wie gesagt, jeglicher Grundlage -, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zu suggerieren, die gesamte politische Klasse in Deutschland sei käuflich. Das ist - Gott sei Dank - nicht der Fall. ({4}) Meine liebe Frau Kollegin Fograscher, bei den Vorschlägen, die Sie für die SPD-Fraktion gemacht haben, hat mir ein konkreter Vorschlag gefehlt. Sie haben in keiner Weise eine Aussage dahin gehend getroffen, wie Sie die wirtschaftliche Betätigung von Parteien einschränken wollen, wie Sie die Beteiligung von Parteien an Mediengesellschaften begrenzen wollen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. ({5}) Es gibt einen überfraktionellen Kompromiss zur Novellierung des Parteiengesetzes aus dem Jahr 2002, der weiterhin Bestand hat. Er hat meines Erachtens die Spendenpraxis in Deutschland sehr wegweisend und sehr zukunftsgerichtet neu gestaltet. Der wesentliche Punkt der Novellierung aus dem Jahr 2002 war, dass die Spenden von juristischen Personen, von Kapitalgesellschaften nicht mehr als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Frau Hendricks möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist völlig richtig, dass Spenden von Unternehmen nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden können. Aber gerade der Vorschlag der SPD-Fraktion, der darauf abzielt, dass Unternehmensverbände oder andere Verbände zukünftig nicht mehr spendenberechtigt sein sollen, beinhaltet zum einen den Aspekt der Transparenz, weil man bei Spenden eines Verbandes gar nicht so recht weiß, wer dahintersteckt. Er beinhaltet zum anderen auch den Aspekt der steuerlichen Gleichbehandlung, denn einen Mitgliedsbeitrag in einem Unternehmensverband kann man selbstverständlich als Betriebsausgabe geltend machen. Auf diese Weise werden Unternehmensspenden auf einmal doch wieder steuerlich begünstigt. Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? ({0}) - Ja, genau dazu komme ich jetzt. Wollen Sie bitte im Übrigen zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom März des Jahres 2008 die Beteiligungen der SPD an Medienunternehmen wie übrigens die Beteiligungen von Parteien an Unternehmen für in Ordnung und für völlig unproblematisch gehalten hat? ({1}) - Das ist ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2008. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Ich empfehle es Ihnen zur Lektüre. ({2}) Wollen Sie im Übrigen bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir bei unseren Beteiligungen mit einer Ausnahme immer Minderheitengesellschafter sind? ({3}) - Eine Ausnahme: Bei einem Verlag sind wir mehrheitsbeteiligt, bei allen anderen sind wir minderheitsbeteiligt. ({4}) Wollen Sie darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass Sie immer dann, wenn Sie versuchen, unsere ordentliche Geschäftstätigkeit zu diskreditieren, zugleich mittelbar die Mehrheitsgesellschafter aus dem mittelständischen Bereich treffen? ({5})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine liebe Frau Kollegin, ich nehme zur Kenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht dezidiert darauf hingewiesen hat, dass die Eigenfinanzierung der Parteien zu einem gewissen Teil sogar ein erhebliches Wesensmerkmal unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist und dass die Novellierung des Parteiengesetzes aus dem Jahr 2002, die ich erwähnt habe, meines Erachtens - diese Entscheidung ist interfraktionell gefällt worden wirklich sehr austariert und ausgewogen ist. Dadurch wurde das Finanzierungssystem der Parteien auf ein sehr verlässliches Fundament gestellt. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich die wirtschaftliche Betätigung der SPD in keiner Weise diskreditiert habe. Ich habe nur darauf aufmerksam gemacht, dass es mich verwundert, dass Frau Fograscher sehr weitreichende Vorschläge zur Novellierung des Parteiengesetzes gemacht hat, aber diesen einen Punkt, aus welchen Gründen auch immer, vergessen oder übersehen hat. ({0}) Ich sage dazu ganz offen, meine liebe Frau Kollegin: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Genauso verwundert es mich auch, dass die Grünen einen Antrag gestellt haben, in dem für Spenden eine Höchstgrenze von 100 000 Euro vorgesehen ist. Die Grünen haben in den letzten Jahren durchaus namhafte Großspenden bekommen, aber zufälligerweise keine Einzelspende über 100 000 Euro. ({1}) Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich möchte nur darauf hinweisen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass zum Beispiel Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Ulrich Kelber über drei Jahre hinweg Einzelspenden von Solarworld in Höhe von jeweils 25 000 Euro erhalten hat. Um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken, gehe ich aber nicht so weit, auch nur im Entferntesten anzunehmen, dass der Kollege Kelber deshalb eine bestimmte Position im Bereich des EEG oder der Energiepolitik vertritt. ({2}) Diesen Punkt habe ich vorher ausgeführt. Ihre Anträge sind deshalb so kurzsichtig, weil sie uns alle diskreditieren. Sie bringen uns alle in den Ruf der Käuflichkeit, sei es durch die Solarbranche, sei es durch die Automobilbranche, sei es durch die Hotelbranche. ({3}) Das ist die große Gefahr, die in diesen Anträgen und auch in dieser Debatte steckt. Es ist doch vollkommen klar: Spenden, auch Spenden von Unternehmen, sind in einer Demokratie, die nun einmal zur Grundlage hat, dass Parteien zur politischen Willensbildung beitragen, überhaupt nichts Anrüchiges und Verwerfliches. ({4}) In § 25 Abs. 2 des Parteiengesetzes steht ganz genau, unter welchen Parametern Spenden unzulässig sind. Dies sind insgesamt acht Ziffern. In Ziffer 7 wird dezidiert aufgeführt, dass Spenden unzulässig sind, wenn sie erkennbar als Gegenleistung oder in Erwartung für einen politischen oder wirtschaftlichen Vorteil gewährt werden. ({5}) Genau das, was Sie anprangern, steht schon im Gesetz. Deswegen bedarf es der von Ihnen angestoßenen Änderungen überhaupt nicht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben auf den GRECO-Bericht abgehoben. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass im GRECO-Bericht nicht die Empfehlung ausgesprochen wird, dass wir in Deutschland Höchstgrenzen für Spenden festlegen sollen. Ganz im Gegenteil: Der GRECO-Bericht hat sogar zum Inhalt, dass Großspenden wesentlich weniger anfällig dafür sind, dass damit die politische Willensbildung beeinflusst wird, als dies bei zahllosen Kleinspenden der Fall wäre. Im GRECO-Bericht wird schwerpunktmäßig dazu aufgefordert, dass kein zeitlicher Verzug zwischen der Gewährung und der Veröffentlichung der Spende eintritt. Im Parteiengesetz existiert zwar schon jetzt die Regelung, dass Einzelspenden über 50 000 Euro zeitnah veröffentlicht werden müssen. Ich bin dem Bundestagspräsidenten aber sehr dankbar dafür, dass er in seiner Weisung vom 27. Januar 2010 unmissverständlich und Stephan Mayer ({6}) eindeutig festgelegt hat, dass zeitnah sofort bedeutet. Insoweit kann man sagen: Der Bundestagspräsident hat sofort nach diesen Vorgängen gehandelt und präzisiert, was ohnehin schon jetzt gültiges Recht im Parteiengesetz ist. Ich möchte auf Ihren Vorschlag eingehen, dass eine Höchstgrenze festgelegt wird. Sie von den Grünen fordern eine Grenze von 100 000 Euro. Meine lieben Kollegen von der Linkspartei, ({7}) Sie fordern 25 000 Euro. Man macht sich falsche Vorstellungen davon, welche Auswirkung es hat, wenn man Höchstgrenzen festlegt. Hier besteht Aufklärungsbedarf. Ich finde es interessant, dass die Linkspartei explizit auf das Beispiel USA verweist; das an sich halte ich schon für einen bemerkenswerten Vorgang. Ich bitte, den Blick wirklich einmal in die USA zu richten. Wie wird dies denn dort gehandhabt? Es ist richtig, dass es in den USA Höchstgrenzen für Parteispenden gibt. Nur, wie wird in der Praxis vorgegangen? Es werden zahlreiche, teilweise Hunderte von Mitarbeitern aufgefordert, Kleinspenden zu leisten. Eine Festlegung von Höchstgrenzen kann sehr leicht durch die Stückelung von Spenden umgangen werden, ist also kein probates und geeignetes Mittel, um den Umstand, den Sie zu suggerieren versuchen, nämlich dass Großspenden dazu anhalten, politische Entscheidungen zu beeinflussen, auszuräumen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der GRECO-Bericht ist insoweit bemerkenswert, als in ihm klargemacht wird: Transparenz ist wichtig. Dem verschließen wir uns von der Unionsfraktion in keiner Weise. Wie gesagt, schon heute gibt es meines Erachtens ein sehr verlässliches und sehr strapazierfähiges Parteiengesetz, das genau festlegt, unter welchen Regelungen bzw. Kautelen Parteispenden veröffentlicht werden müssen. Daran gilt es festzuhalten. Deswegen kann man den Anträgen der Oppositionsfraktionen aus guten Gründen und mit guten Argumenten die Ablehnung erteilen. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/547 und 17/651 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist so beschlossen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Februar 2010, 13 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den restlichen Tag. Die Sitzung ist geschlossen.