Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es nach der bewegenden Stunde vor unserer heutigen Parlamentssitzung schwerfällt, zur parlamentarischen Tagesordnung überzugehen, werden wir
genau dies jetzt tun.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 14. Kinder- und Jugendbericht - Bericht über die Lebenssituation junger
Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Dr. Kristina Schröder. Bitte, Frau
Ministerin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In familiärer Atmosphäre darf ich Ihnen darüber berichten, dass wir heute im Kabinett die Ergebnisse des
14. Kinder- und Jugendberichtes und die Stellungnahme
der Bundesregierung beraten haben. Mein herzlicher
Dank geht erst einmal an die Kommission für die Ausarbeitung des Sachverständigengutachtens. Der Bericht
samt Stellungnahme wird dem Deutschen Bundestag
und dem Bundesrat zur Beratung zugeleitet werden. Worum geht es in dem Bericht?
Erstens. Der Bericht widmet sich ausführlich dem
Verhältnis zwischen privater und öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen.
Er unterstreicht, dass Familie natürlich der erste zentrale
Ort für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
ist und bleibt und dass deswegen die Unterstützung der
Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung so wichtig ist.
Deshalb gehören hierzu Maßnahmen, die Eltern Zeit für
Verantwortung geben, etwa Elterngeld und Elternzeit,
aber auch familienbewusste Arbeitszeiten. Eltern in ihrer
Erziehungsverantwortung zu unterstützen, heißt aber
auch, dort Hilfe zu leisten, wo sie ihrer Verantwortung
allein nicht gerecht werden können.
Hier kommen wir zu einer Grundthese des Berichtes,
die besagt: In den letzten Jahren haben wir eindeutig
eine Zunahme der öffentlichen Verantwortung festzustellen, ohne - so die These des Berichts - dass deswegen die familiäre Verantwortung zurückgehen würde.
Die beiden Bereiche sind also nicht wie kommunizierende Röhren zu verstehen, sondern oft befähigt erst die
öffentliche Verantwortung die Eltern, der familiären Verantwortung nachkommen zu können. Besonders schön
kann man das an dem Beispiel der Frühen Hilfen deutlich machen, die wir im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes deutlich ausgebaut haben, durch die Eltern schon während der Schwangerschaft und im ersten
Jahr nach der Geburt durch Familienhebammen unterstützt werden. Diese Unterstützung durch Familienhebammen führt gerade dazu, dass familiäre Verantwortung
auch gelebt werden kann.
Zweiter Schwerpunkt des Berichtes ist die Bildung
als Schlüssel für faire Chancen. Öffentliche Angebote
zur frühkindlichen Bildung haben deutlich zugenommen. Der Besuch von Kitas für unter Dreijährige ist in
vielen Familien eine neue Normalität. Sie wissen, dass
der Bund hier seiner Verantwortung gerecht wird und für
diesen Bereich bis zum Jahr 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat.
In diesem Zusammenhang fand ich einen Punkt sehr
interessant, auch wenn er in erster Linie die Länder mit
ihrer Verantwortung für die Schulpolitik betrifft, nämlich die Aussage, die im Bericht zum Thema Ganztagsangebote gemacht wird. Wir alle wissen ja, dass es ein
originäres familienpolitisches Thema ist, gerade in der
Grundschulzeit gute Betreuung zu haben. Hier stellt der
Bericht fest, dass inzwischen immerhin die Hälfte aller
Schulen in irgendeiner Form Ganztagsangebote macht
und bereits ein gutes Drittel der Kinder in Deutschland
an diesen Ganztagsangeboten teilnehmen.
Ein dritter Eckpunkt des Berichtes ist die Bedeutung
der neuen Medien. Damit widmet sich erstmals ein Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung diesem
Thema. Verkürzt kann man sagen: Noch vor zehn Jahren
war eindeutig das Fernsehen das Leitmedium von Kindern und Jugendlichen. Jetzt, nach zehn Jahren, ist es
von Handys und von Smartphones eindeutig abgelöst,
und auch das Internet ist inzwischen praktisch allen Jugendlichen zugänglich. Es ist auch nicht mehr so, dass
der Zugang schichtspezifisch ist, inzwischen ist er überall verbreitet. In Bezug auf das Wie der Nutzung gibt es
allerdings immer noch schichtspezifische Unterschiede.
Aber eines stellt der Bericht fest: Für all die Befürchtungen, die mit der Entwicklung der neuen Medien einhergegangen sind - Abhängigkeit, Verrohung oder Verschuldung -, gibt es empirisch keine Anhaltspunkte.
Der Bericht macht insgesamt sehr deutlich, dass sich
das Leben von Kindern und Jugendlichen - er blickt ja
erstmals auch auf junge Erwachsene - deutlich geändert
hat. Die öffentliche Verantwortung hat deutlich zugenommen. Hier wurde auf Bedürfnisse und Wünsche von
Eltern reagiert. Entsprechend kann man sagen, dass sich
durch diese politischen Maßnahmen in den letzten Jahren die Chancen sehr vieler Kinder und Jugendlicher
verbessert haben.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich bitte zunächst,
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat die Kollegin Katja
Dörner.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. Ich würde gerne wissen, was im Kinder- und Jugendbericht zum Thema „Kinderrechte ins Grundgesetz“ ausgeführt wird. Gedenken Sie, aus den Empfehlungen - sollte
der Bericht welche enthalten - entsprechende Konsequenzen zu ziehen?
Das, worauf Sie, Frau Dörner, so nett anspielen, bestätige ich Ihnen gerne. Im Kinder- und Jugendbericht
wird sich dafür ausgesprochen, die Kinderrechte ins
Grundgesetz aufzunehmen. Er führt die uns wohl bekannten Argumente an - die ja auch gewichtig sind -,
aber es gibt eben auch gewichtige Gegenargumente, die
weiterhin die Position der Bundesregierung bestimmen.
Dieser Position liegt vor allen Dingen die Überlegung
zugrunde, dass die im Grundgesetz festgelegten Rechte
für alle Menschen gelten. Wir sollten deshalb nicht so
tun, als gäbe es eine Einschränkung für Kinder.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Marlene
Rupprecht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, im
11. Kinder- und Jugendbericht wurde erstmals die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern deutlich angesprochen. Das war ein Novum. Denn
bis zu diesem Zeitpunkt war das Aufwachsen von Kindern eine private bzw. familiäre Angelegenheit; das
heißt, das war in erster Linie Aufgabe der Familie, erst
in zweiter Linie - bei Defiziten - wurde das Aufgabe des
Staates. Im jetzt vorliegenden Bericht wird die öffentliche Verantwortung eindeutig bejaht, und zwar nicht entoder weder, und es geht auch nicht um eine Addition,
sondern eigentlich um eine Potenzierung all der Fähigkeiten, die in der Gesellschaft vorhanden sein müssen,
damit Menschen gut aufwachsen. Laut Bericht ist Voraussetzung dafür, dass eine Verschränkung stattfindet.
In diesem Zusammenhang denke ich unter anderem
an das Kinderschutzgesetz, bei dem es uns auf Bundesebene nicht einmal gelungen ist, die unterschiedlichen
Akteure, zum Beispiel aus dem Gesundheitsbereich, so
aktiv einzubinden, dass sie sagen: Ja, es ist auch ein Teil
von uns. - Wenn wir das also nicht im SGB V unterbringen können, könnten wir es aber vielleicht in einem Präventionsgesetz oder wo auch immer unterbringen.
Lassen Sie mich den Bereich der Inklusion ansprechen. Bei der Inklusion haben wir manchmal das Problem, dass sie nur für Kinder mit Behinderung gilt, obwohl sie eigentlich für alle gelten soll. Meine Frage ist:
Wie wollen Sie eine Verschränkung gewährleisten, weg
von der Versäulung, hin zu einem inklusiven Ansatz in
der Kinder- und Jugendhilfe unter Einbeziehung aller
Ressorts einschließlich der föderalen Strukturen und des
Privatsektors? Das ist ja wirklich eine Herkulesaufgabe.
Ich würde gerne wissen, welche ersten Schritte geplant
sind.
Das Thema „Kinderrechte ins Grundgesetz“ hat ja
Frau Dörner eben schon angesprochen; dem schließe ich
mich an.
Frau Ministerin, bevor Sie antworten, mache ich vorsorglich darauf aufmerksam - das gilt für Fragende wie
Antwortende bei diesem Tagesordnungspunkt -, dass
wir uns auf eine Fragezeit und eine Antwortzeit von jeweils einer Minute geeinigt haben. Es gibt Unterstützung
durch eine Anzeige. Das heißt, wenn das Licht rot leuchtet, ist diese Minute tatsächlich abgelaufen. Ich bitte das
im weiteren Verlauf der Fragestunde zu beachten. Bitte, Frau Ministerin.
({0})
Liebe Frau Kollegin Rupprecht, das, was Sie gerade
skizziert haben, ist in der Tat eine große Aufgabe. Zuerst
möchte ich auf Ihre Andeutungen zum Kinderschutzgesetz eingehen. Ich lege schon Wert darauf, dass gerade
das Kinderschutzgesetz vor Ort für die entsprechende
Zusammenarbeit sorgt. Insbesondere die Familienhebammen - das ist ja der Witz dabei - fungieren quasi als
Lotse zwischen den unterschiedlichen Hilfesystemen.
Wir müssen jetzt schauen, wie das in der Praxis läuft. Ich
glaube aber, dass wir uns darüber einig sind, dass das an
sich ein sehr guter Ansatz ist.
Die Kommission beschreibt aber in der Tat verschiedene Schnittstellenproblematiken, die es auf den unterschiedlichen Ebenen nach wie vor gibt. Insbesondere im
Bereich der Kinder- und Jugendhilfe haben wir diese
Probleme. Wenn es um behinderte Kinder geht, ist es besonders problematisch, dass es hinsichtlich der Zuständigkeiten keine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen Bereichen des SGB gibt. Ich nenne als
Beispiel die schwierige Unterscheidung zwischen seelischer und geistiger Behinderung.
Sie wissen, dass wir eine Kommission eingesetzt haben, die an der sogenannten großen Lösung arbeitet. Wir
sind uns sicherlich einig, Frau Rupprecht, dass diese
große Lösung richtig ist und wir an deren Umsetzung arbeiten müssen. Sie wissen aber auch, dass die Hauptkrux
bei dieser großen Lösung darin besteht, dass Finanzströme auf verschiedenen Ebenen neu geordnet werden
müssen. Das ist zwar schwierig, aber es ist richtig, das
zu tun.
Das Wort zur nächsten Frage hat die Kollegin Diana
Golze.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Ministerin, der neue
Kinder- und Jugendbericht kommt ja zu der Feststellung,
dass es dem Sozialstaat bislang nicht gelungen ist, herkunftsbedingte Nachteile von Kindern und Jugendlichen
aufzufangen bzw. abzubauen. Im Gegenteil: Es wird
festgestellt, dass es eher zu einer weiteren Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen gekommen ist.
Der Bericht empfiehlt, die Kinder- und Jugendhilfe zu
befähigen, solche Ungleichbehandlungen abzubauen
und herkunftsbedingte Nachteile zu verringern. Ich frage
deshalb auch vor dem Hintergrund des jüngst beschlossenen Betreuungsgeldes, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen will, um dieser Empfehlung des
Berichts nachzukommen und benachteiligte Kinder und
Jugendliche zu fördern und ihre Chancen zu verbessern.
Die Argumentation in dem Bericht ist sehr differenziert, Frau Kollegin. Man kann nicht sagen, dass der Bericht pauschal urteilt, dass es mehr Armut gibt und sich
die Chancen verschlechtert haben. Ein solches Pauschalurteil wäre nicht richtig. Vielmehr stellt der Bericht fest,
dass es, wenn man den relativen Einkommensbegriff,
der ja auch seine Tücken hat, zugrunde legt, bei Kindern
zwischen ein und zehn Jahren einen ganz leichten Rückgang der Kinderarmut gibt. Bei den Jugendlichen und
jungen Erwachsenen wird allerdings eine leichte Erhöhung festgestellt. Insofern kann man nicht sagen, dass
der Bericht pauschal sagt, dass sich die Chancen von
Kindern und Jugendlichen verschlechtert haben.
Sie haben dann das Betreuungsgeld angesprochen.
Darüber können wir uns wahrscheinlich ewig streiten.
Ich will dazu nur Folgendes sagen: Ich finde, dass das
Betreuungsgeld ein weiterer Baustein ist, der belegt,
dass der Staat entsprechend der Tendenz, die ich eingangs skizziert habe, umfassend dazu steht, dass auch er
eine Verantwortung für ganz junge Kinder hat. Gerade
weil der Staat diese Verantwortung wahrnehmen will,
wollen wir allen Eltern von ein- und zweijährigen Kindern eine Wahlmöglichkeit geben, sodass sie entweder
ein Sachangebot in Form eines Kitaplatzes in Anspruch
nehmen oder eine Unterstützung in bar entgegennehmen
können, um die Betreuung selbst zu organisieren. Gerade damit sagt der Staat indirekt: Wir fühlen uns für die
Betreuung von allen ein- und zweijährigen Kindern zuständig. Das ist etwas Neues. Das gab es in Deutschland
so noch nicht.
({0})
Der Kollege Peter Tauber hat das Wort zur nächsten
Frage.
Frau Präsidentin, Ihr wunderbarer Hinweis auf den digitalen Countdown, der sowohl für Fragen als auch Antworten gilt, führt mich zu dem Themenkomplex, zu dem
ich eine Frage stellen möchte. - Frau Ministerin, der Bericht weist auf, dass es bereichsübergreifend fachliche
Herausforderungen gibt. Zu diesen gehört laut dem Bericht auch die digitale Ungleichheit.
Jetzt haben Sie uns in Ihren Eingangsausführungen
kurz umrissen, dass die sorgenvollen Vorhersagen hinsichtlich der Digitalisierung unseres Alltags im Hinblick
auf Kinder und Jugendliche zum Teil so nicht eingetreten sind. Das ist zunächst einmal eine sehr positive und
schöne Nachricht. Vielleicht ist es auch so, dass der eine
oder andere, der mit Kindern oder Jugendlichen arbeitet,
mit der Digitalisierung noch nicht so vertraut ist und daher aus Unkenntnis so sorgenvoll argumentiert. Jedenfalls kommt der Bericht zu diesem Ergebnis.
Meine Frage lautet: Welche speziellen Herausforderungen und welchen konkreten Einfluss durch die neuen
Medien sehen Sie bezüglich des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen, und wo entstehen dadurch vielleicht Handlungsfelder für die Politik?
In der Tat war mir wichtig, dass wir im Bericht bezüglich der neuen Medien nicht immer nur die Risiken betonen - dazu neigt die Politik ja gelegentlich -, sondern
dass wir vor allen Dingen auch die Chancen in den Mittelpunkt stellen. Wenn man sich anschaut, welche Auswirkungen die Nutzung von neuen Medien auf Kinder
und Jugendliche hat, kann man erst einmal ein positives
Fazit ziehen, insbesondere hinsichtlich des Schriftver27006
ständnisses. Denn neue Medien haben dazu beigetragen,
dass Kinder und Jugendliche wieder mehr schriftlich
miteinander kommunizieren. Vor 15 Jahren gab es als
schriftliche Form der Kommunikation quasi nur den
Brief. Dass man sich untereinander Briefe schreibt, ist
auch damals relativ selten vorgekommen. Die Kommunikation via E-Mail kann von daher schriftliche Ausdrucksformen positiv trainieren, genauso auch die Kommunikation via soziale Netzwerke.
Damit kommen wir jetzt aber zu der Problematik, die
Sie angedeutet haben. In der Tat: Insbesondere bei der
Art und Weise, wie soziale Netzwerke und auch das
Internet allgemein genutzt werden, gibt es starke
schichtspezifische Unterschiede und übrigens auch
starke Unterschiede zwischen Jungs und Mädels. Beispielsweise gibt es bei der Nutzung von Computerspielen einerseits einen schichtspezifischen Zusammenhang, andererseits auch einen geschlechtsspezifischen;
denn sie werden vor allem von Jungen sehr stark genutzt. In diesem Bereich gibt es in der Tat Probleme. Da
kann dann das Internet sogar als Verstärker von sozialen
Ungleichheiten wirken. Deswegen sind wir sehr froh,
dass sich der Bericht diesem Thema widmet.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Schneider.
Frau Ministerin, ich möchte zur eigenständigen Jugendpolitik nachfragen. Das ist ja ein Thema, das uns
hier immer wieder beschäftigt und das Sie und die Bundesregierung sich auf die Fahnen geschrieben haben.
Steht in dem Bericht konkret etwas zur Entwicklung der
eigenständigen Jugendpolitik, und wenn ja, gibt es Ableitungen, die Sie daraus ziehen, und wenn nein, kann
man vielleicht unkonkret Ideen daraus ableiten, wie man
die eigenständige Jugendpolitik weiterentwickeln sollte?
Der Bericht widmet sich selbstverständlich diesem
Thema. Erst einmal: In dem Bericht steht, dass der Ansatz der Bundesregierung, den Versuch zu unternehmen,
gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren eine eigenständige Jugendpolitik zu entwickeln, richtig ist. In
dem Bericht wird auch festgestellt, dass Jugendpolitik
bisher zu oft zu problemgruppenzentriert war und genau
deswegen zu sehr abgeleitet bzw. zu wenig eigenständig
war. Daher wird der Prozess, den die Bundesregierung
mit der Allianz für die Jugend gestartet hat, als richtig
bezeichnet.
Im Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass es vor
allen Dingen darum geht, Partizipationsformen für Jugendliche zu finden. Wir arbeiten beispielsweise gerade
gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen, um solche Partizipationsmöglichkeiten zu finden und vor Ort entsprechende Handreichungen zu bieten. Wenn es um konkrete Vorhaben, zum Beispiel
Bauprojekte, vor Ort geht, dann sollten die, die davon
besonders betroffen sind, angemessen beteiligt werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Heidrun
Dittrich.
Frau Ministerin, vom 11. bis zum 13. Kinder- und Jugendbericht gibt es eine Debatte über die Fachlichkeit
und die Personalausstattung der Jugendämter. Welche
Maßnahmen konnten denn ergriffen werden, um das Personal aufzustocken? Und: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen mehr Personal und besserem Kinderschutz?
Hier gibt es ja einen Zusammenhang mit dem Volksbegehren in Niedersachsen, bei dem eine dritte Erzieherin in Kindergartengruppen gefordert wird. Wenn Gruppen mit 24 Kindern eine dritte Erziehungskraft hätten
oder wenn die Gruppen insgesamt kleiner wären, könnten die Kinder besser betreut werden. Sehen Sie einen
Zusammenhang zwischen den aktuellen Forderungen
der Betroffenen und den Maßnahmen, die in den Kinderund Jugendberichten angemahnt werden?
Frau Kollegin Dittrich, Sie haben - wenn ich das jetzt
richtig verstanden habe - zwei Themen angesprochen,
und zwar einmal das Thema Jugendämter. In der Tat ist
es in Einzelfällen natürlich eine Frage, ob die Jugendämter in den Kommunen adäquat ausgestattet sind. Allerdings ist dies in Deutschland ausgesprochen unterschiedlich. Ich würde mich vor der monokausalen Annahme
hüten, eine bessere Ausstattung führe automatisch sofort
zu einer besseren Arbeit der Jugendämter. Aufgrund dessen, was ich von der Arbeit der Jugendämter mitbekomme, kann ich nur sagen: Man geht dort einer sehr
verantwortungsvollen und auch einer sehr schwierigen
Tätigkeit nach. Wie so oft, ist es so: Wenn die Jugendämter gut funktionieren, nimmt keiner es wahr. Passieren
aber Fehler, die vielleicht auch trotz wohlüberdachter
Erwägungen passieren, dann werden sie schnell durch
die Medien gezogen. Deswegen sollten wir, glaube ich,
erst einmal Respekt vor dieser Arbeit zum Ausdruck
bringen.
Der zweite Themenkomplex, den Sie angesprochen
haben, war die Frage: Wie sieht es mit Erziehern in Kitas
aus? In der Tat gibt es auf die Frage, wie die Relation
von Kindern und Erziehern sein sollte, die eindeutige
Antwort, dass möglichst kleine Relationen besser für die
kindliche Entwicklung sind. Deswegen arbeiten wir ja
auch daran, mehr Personal für die Kitas zu finden. Aber
Sie wissen auch, dass dies eindeutig eine Aufgabe der
Länder und Kommunen ist. Ich habe in der Diskussion
über den Ausbau der Kinderbetreuung sehr deutlich gemacht, dass ich es nicht für vertretbar halte, um den Ausbau zu schaffen, an pädagogischen Standards zu drehen;
und dazu gehört ganz entscheidend die Relation von
Kindern und Erziehern.
Der Kollege Sönke Rix hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau
Ministerin, für den Bericht. Dem Vernehmen nach wird
als Schlussfolgerung im Bericht eine eigenständige Jugendpolitik gefordert und auch gesagt, es wäre schön,
wenn da genauso viel Kraft hineingesteckt werden
könnte wie in die Kinderpolitik, weil - so ist in dem Bericht dem Vernehmen nach gesagt worden - man da an
vielen Stellen etwas erreicht hat. Sie haben davon gesprochen, dass die „Allianz für Jugend“ angestoßen worden ist. Nun ist die Legislaturperiode nicht mehr so lang.
Meine Frage ist: Gibt es ein oder zwei konkrete inhaltliche Fragestellungen in der Jugendpolitik als Schlussfolgerungen aus dem Bericht, die Sie aufgreifen könnten,
um daraus noch etwas zu machen?
Wenn Sie nach konkreten jugendpolitischen Schlussfolgerungen fragen, so möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass ich eine bereits genannt habe. Das ist das
Thema „Partizipation von Jugendlichen“. Ich halte dies
für ein sehr entscheidendes Thema, zum einen, um unsere Umwelt so zu gestalten, wie es den Bedürfnissen
entspricht, zum anderen, weil dies auch etwas mit Demokratielernen zu tun hat.
Das Zweite ist: Der Bericht widmet sich auch ausführlich der Frage, wie die Programme im Zuge der Initiative JUGEND STÄRKEN, die wir entwickelt haben,
wirken und funktionieren. Er kommt zu dem Schluss,
dass es richtig ist, dass wir so zielgenau gerade da ansetzen, wo beispielsweise Schulabschlüsse versäumt worden sind oder wo besondere Hemmnisse bei der Integration in den Arbeitsmarkt bestehen. Deshalb ist für mich
die Schlussfolgerung, hier mit den Programmen im Zuge
der Initiative JUGEND STÄRKEN - auch in Ergänzung
zu den Programmen des BMAS - einen eigenen Schwerpunkt zu setzen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ewa Klamt.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, wir alle wissen, dass
Eltern ab dem 1. August 2013 einen Rechtsanspruch auf
einen Krippenplatz haben. Wie schätzt die Kommission
den Stand zum Ausbau der Tagesbetreuung für unter
Dreijährige ein?
Die Kommission stellt erst einmal fest, was alles auf
den einzelnen Ebenen passiert ist. Die Kommission sagt
auch, der Rechtsanspruch kann erfüllt werden, wenn sich
alle Ebenen an ihre Zusagen halten. Genau hier ist die
große Herausforderung, über die wir ja heute Morgen
schon im Familienausschuss gesprochen haben. Der
Bund hat seine Zusagen eindeutig auf Heller und Cent
erfüllt. Ich habe auch noch nie gehört, dass dies bestritten wurde. Wir haben ja jetzt noch einmal 580 Millionen Euro draufgelegt, um die zusätzlich benötigten
30 000 Krippenplätze zu finanzieren.
Die Aufgabe der Länder ist zum einen, das Geld des
Bundes weiterzuleiten, also dafür zu sorgen, dass es dort
ankommt, wo es gebraucht wird; das gilt insbesondere
für die Mittel für die Betriebskosten. Zum Zweiten ist es
die Aufgabe der Länder, eigenes Geld dazuzugeben.
Drittens und vor allen Dingen ist es die Aufgabe der
Länder, für Personal zu sorgen. Sie wissen ja alle: Die
Frage des Personals ist vor Ort oft schwieriger zu beantworten als die Frage der Finanzen.
Für Personal zu sorgen, ist eindeutig Aufgabe der
Länder und Kommunen. Nur ein Hinweis, wie man dieses Problem zumindest schnell angehen könnte: 60 Prozent der Erzieher in Kitas arbeiten Teilzeit. Mit Sicherheit gibt es darunter einen großen Teil, der sagt: Wir
würden gerne mehr arbeiten. - Auf diese Weise könnten
sehr schnell zusätzliche Fachkräfte rekrutiert werden.
Nichtsdestotrotz muss auch die Ausbildung neuer Fachkräfte mit Volldampf betrieben werden. Seit 2007 war
eigentlich klar, dass wir hier einen entsprechenden
Nachholbedarf haben.
Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz.
Frau Ministerin, gerade der Kinder- und Jugendbericht lebt ja davon, dass viel über ihn diskutiert wird, um
Sensibilität zu schaffen. Zu einer guten Diskussionskultur gehört auch, dass alle, die über ein Thema diskutieren, den gleichen Wissensstand haben. Wann haben Sie
vor, diesen Bericht uns, dem Parlament und der Öffentlichkeit zukommen zu lassen, damit nicht Sie allein die
Wissensherrschaft darüber haben?
Umgehend. Wir haben ihn heute Morgen im Kabinett
verabschiedet. Auch Sie wissen: Es ist schwierig, einen
Bericht, bevor man ihn im Kabinett verabschiedet hat, an
das Parlament weiterzuleiten. Das ist so nicht üblich.
({0})
Deswegen: Sie können ihn umgehend erhalten.
({1})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Katja
Dörner.
Vielen Dank. - Ich würde gerne wissen, welche Rolle
im Bericht Beschwerde- und Beteiligungsmöglichkeiten
für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen spielen,
insbesondere vor dem Hintergrund der Empfehlungen
der runden Tische. Ganz konkret würde ich gerne etwas
zum Thema Ombudschaft hören.
Es war in der Tat eines der bedeutenden Ergebnisse
des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“, dass
wir festgelegt haben - wir haben uns dazu ja auch eigene
Richtlinien gegeben -, dass es in Einrichtungen, in denen ein besonderes Verhältnis der Nähe zwischen Kindern und Erziehern gegeben ist, in denen zum Beispiel
übernachtet wird oder in denen Freizeiten unternommen
werden - es geht hier also wirklich um das ganze Spektrum vom Sportverein bis hin zu den institutionellen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe -, Möglichkeiten geben muss, sich an externe und interne
Ansprechpartner zu wenden. Der Bericht widmet sich
auch diesen Ergebnissen des Runden Tisches „Sexueller
Kindesmissbrauch“.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man eine allgemeingültige Antwort auf die Frage geben kann, ob der Ansprechpartner besser immer ein externer oder besser immer ein interner sein sollte. Ich glaube, dass die Antwort
auf diese Frage insbesondere von der Form der Institution abhängig ist. Ich glaube aber auch, dass eines klar
sein muss: In jeder Einrichtung, in jedem Sportverein, in
jeder Schule, auch in Krankenhäusern muss klar geregelt
sein, wie man sich im Falle von Hinweisen auf sexuellen
Missbrauch zu verhalten hat. So wie in jeder Schule klar
ist, wie man sich verhält, wenn es brennt, muss auch in
einem solchen Fall klar sein, an wen man sich wendet.
Ob dafür ein externer Ansprechpartner in der Kommune,
ein Ombudsmann/eine Ombudsfrau, oder jemand in der
Einrichtung besser geeignet ist, muss, glaube ich, ganz
konkret vor Ort entschieden werden.
Das Wort hat der Kollege Peter Tauber.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Da ich den Bericht
noch nicht vorliegen habe, auch wenn die Kollegin von
den Grünen das mutmaßt, habe ich eine Frage, die ich
nicht stellen müsste, wenn ich ihn schon gelesen hätte.
Ihr Zwischenruf, Frau Kollegin, zeigt übrigens, was für
ein Verständnis von Regierungshandeln Sie haben und
wie Sie das Verhältnis zwischen der Regierung und den
die Regierung tragenden Fraktionen beurteilen.
({0})
Das lässt tief blicken, wie Sie das handhaben würden;
das ist sehr interessant, aber gar nicht meine Frage.
Meine Frage kann die Ministerin vielleicht mit einem
kurzen Ja oder Nein beantworten. Sie haben schon sehr
ausführlich darüber gesprochen, dass die Bundesregierung mit großem Selbstbewusstsein vorträgt, dass der
Bund seine Verpflichtungen im Bereich des Krippenausbaus erfüllt hat. Kommen die Sachverständigen in dem
Bericht zu einem ähnlichen Ergebnis, oder weicht das
von Ihrer Einschätzung ab?
Es bestreitet eigentlich niemand, dass die Bundesregierung die Zusagen, die sie 2007 gegeben hat, auf Heller
und Cent einhält. 2007 ist ein Bedarf von 750 000 Plätzen prognostiziert worden. Diese Zahl musste auf
780 000 Plätze korrigiert werden. Deswegen legt der
Bund noch einmal 580 Millionen Euro und Betriebskosten oben drauf. Das entspricht genau dem, was wir 2007
zugesagt haben.
Nichtsdestotrotz ist das - darauf wird in dem Bericht
verwiesen - eine riesige Kraftanstrengung. Auch deswegen lehnen wir uns nicht zurück, sondern haben beim
Thema Tagesmütter und Tagesväter, beim Thema Betriebskitas, beim Thema zusätzliche zinsgünstige Kredite
für die Kommunen über das, was wir zugesagt hatten, hinaus an Angeboten noch einmal deutlich nachgelegt.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dittrich.
Sehr geehrte Frau Ministerin! Vor nicht ganz einer
Stunde ging die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, des Faschismus in Deutschland zu Ende.
Frau Inge Deutschkron, eine Überlebende, hat gesagt,
sie hat daraus gelernt, nach dem Motto „Wehr dich!“ zu
leben.
Wir als Linke sind für eine wehrhafte Demokratie. Was
haben Sie für Konsequenzen gezogen aus dem Skandal
des Nationalsozialistischen Untergrundes? Könnte eine
Konsequenz daraus sein, Projekte gegen Rechtsextremismus dauerhaft zu finanzieren und Antifaschisten nicht zu
kriminalisieren? Tim Herudek sind im Zusammenhang
mit der antifaschistischen Demonstration „Dresden Nazifrei“ 2011, durch die wir die Nazis daran gehindert haben, in Dresden zu marschieren - ich selbst war auch bei
dieser Demonstration dabei -, 22 Monate Haft angedroht
worden.
Projekte gegen Rechtsextremismus dauerhaft finanzieren und Antifaschisten nicht kriminalisieren, wäre das
nicht der richtige Weg, den Ausstieg aus dem Rechtsextremismus in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern und auch zu sagen: „Man wehrt sich“?
({0})
Frau Kollegin, diese Bundesregierung gibt so viele
Mittel im Kampf gegen Extremismus aus wie keine Bundesregierung zuvor: 29 Millionen Euro, davon 24 MilBundesministerin Dr. Kristina Schröder
lionen Euro für den Kampf gegen Rechtsextremismus
und - diese Programme habe ich neu geschaffen - 5 Millionen Euro für den Kampf gegen Linksextremismus und
Islamismus. Diese Bundesregierung ist nämlich der Auffassung, dass es keinen „guten“ Extremismus gibt, sondern dass alle Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekämpft werden müssen.
({0})
Dennoch bestreitet kein vernünftiger Mensch, dass die besondere Herausforderung in der Bekämpfung des Rechtsextremismus liegt. Deswegen ist vollkommen klar, dass
die Mittel, die wir in dieser Legislaturperiode bereitgestellt haben, erneut unverändert bereitgestellt werden
sollen, damit diese Programme fortgesetzt werden - wie
sie in den vergangenen Jahren immer fortgesetzt wurden.
Insofern ist sämtliche - teilweise bewusste - Verunsicherung von jungen Leuten, die sich für unsere Demokratie
einsetzen, verantwortungslos. Hier wird aus parteipolitischem Kalkül versucht, die jungen Leute, die ihr Engagement einbringen, zu verunsichern.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Rupprecht.
Steht in dem Kinder- und Jugendbericht auch etwas
über die Weiterentwicklung der Qualität im Bereich Kinder- und Jugendhilfe? Wie wollen Sie die Qualität weiterentwickeln?
In diesem Bericht wird wahrscheinlich vieles Tolles
stehen. Am Ende der Periode müssen wir aber fragen:
Wie schaffen wir es, all das auch in die Breite zu bringen? Planen Sie eine Konferenz, oder sollen aus diesem
Bericht Anträge für das Parlament abgeleitet werden,
damit die Mittel auch wirklich da ankommen, wo sie
gebraucht werden?
Frau Kollegin, der Bericht widmet sich der Frage der
Qualität sehr ausführlich. Er macht deutlich, wie wichtig
Qualität in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Kinderbetreuung, aber auch bei den Hilfen zur Erziehung ist.
Wie Sie aber wissen, ist dieser Bereich vor allen Dingen eine kommunale Aufgabe und eine Landesaufgabe.
Wenn - das tun wir ja - in der Familienpolitik darüber diskutiert wird, wie der Bund die Länder und die Kommunen
dabei unterstützen kann - wenn man es überhaupt
macht; das ist ja eine spannende Frage -, muss, denke
ich, eines klar sein: Das geht nur, wenn der Bund in diesem Bereich auch zusätzliche Kompetenzen erhält. Es
kann sicherlich nicht so funktionieren, dass, wie das
beim Kitaausbau gerade gemacht wird, der Bund die
Mittel zur Verfügung stellt - via Umsatzsteuerpunkte -,
aber nicht einmal weiß, ob das Geld bei den Kommunen
vor Ort ankommt. Ich glaube, wir sind uns hier auch einig, dass das ein etwas prekäres Konstrukt ist.
Zu der Frage, wie wir über diesen Kinder- und
Jugendbericht diskutieren: Er wird jetzt sofort an den
Bundestag weitergeleitet. Ich gehe davon aus, dass wir
im Bundestag eine große Debatte dazu führen werden,
und ich gehe auch davon aus, dass wir auf öffentlichen
Konferenzen mit den Wissenschaftlern, die sich dazu bereit erklärt haben, breit über diese Thesen diskutieren
werden.
Der Kollege Florian Bernschneider stellt die nächste
Frage.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Die eigenständige
Jugendpolitik ist jetzt mehrfach angesprochen worden.
Den Weg des Bundes haben Sie skizziert; aber ich
glaube, wir alle wissen, dass es notwendig ist, dass nicht
nur der Bund hier Initiativen ergreift, sondern auch die
Bundesländer.
Können Sie vielleicht Ihren Eindruck schildern, welche Bundesländer schon damit angefangen haben, sich
auf den Weg einer eigenständigen Jugendpolitik zu
machen, oder wie sie den Bund unterstützen?
Die Bundesländer sind in unseren Prozess zur Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik eingebunden. Sie tun das in den meisten Fällen auch mit viel
Engagement.
Ich erlebe immer wieder in der Jugendpolitik, dass
man oft schnell abgleitet und es dann quasi um konkrete
Felder geht, zum Beispiel um die Jugendfreiwilligendienste, die - darin sind wir uns einig - natürlich ein
wichtiger Bestandteil der Jugendpolitik sind; aber ich
denke, wir sollten uns erst einmal darauf konzentrieren,
eine übergreifende Leitidee zu entwickeln - das ist ja
auch die Aufgabe der eigenständigen Jugendpolitik -,
um daraus dann die anderen Maßnahmen abzuleiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir die Zeit für die Regierungsbefragung schon ausgeschöpft haben. Da es offensichtlich ein großes Interesse an diesem Thema gibt, lasse ich
die drei weiteren mir angezeigten Wortmeldungen noch
zu; wir kürzen dann die folgende Fragestunde um die
entsprechende Zeit.
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix.
Vielen Dank. - Ich habe eine Nachfrage zu dem, was
Frau Dittrich gefragt hat. Es geht um die Programme gegen Rechtsextremismus. Sie können sich das vielleicht
denken. Wenn es doch gar kein Problem ist, dass im
Anschluss finanziert wird: Warum beschließen wir hier
dann nicht einen entsprechenden Antrag, und warum
bewilligt der Haushaltsausschuss das nicht?
({0})
Herr Kollege Rix, es ging im Haushaltsausschuss
doch nur um die Verpflichtungsermächtigungen. Ich
glaube, Ihnen ist bewusst, dass Verpflichtungsermächtigungen haushaltsrechtlich immer auch eine gewisse
heikle Sache sind, weil der Bund dadurch ja eine Bindung eingeht,
({0})
wofür der Haushaltsausschuss eigentlich gar nicht
zuständig ist. Dennoch waren wir bereit, Verpflichtungsermächtigungen in deutlich höherem Maße einzustellen.
Die Haushälter der Opposition waren hier aber leider
nicht bereit, diesen gemeinsamen Weg mitzutragen.
Vollkommen klar ist: Die Mittel werden in meinem
Haushaltsentwurf, den ich Ihnen auch bald vorlegen werde
- insofern können Sie das dann direkt nachprüfen -, wieder genau so auftauchen. Die Befürchtung, dass es hier
über den Jahreswechsel irgendwelche Brüche geben
könnte, halten wir für vollkommen unbegründet. Es ist
im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung möglich,
diese Mittel so auszugestalten, wie sie ausgestaltet werden müssen, um dann mit dem neuen Haushalt wieder
auf gesicherter Basis agieren zu können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Golze.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich möchte noch einmal ganz kurz auf das bereits angesprochene Thema
Qualitätssicherung zurückkommen. Schon im 11. Kinder- und Jugendbericht und auch in diesem wird sehr
viel Wert darauf gelegt, dass es zu einer gemeinsamen
und fairen Verständigung zwischen Bund, Ländern und
Kommunen darauf kommt, nach welchen qualitativen
Standards Kinder- und Jugendhilfe erfolgen soll.
Mir ist die Antwort „Wir werden dazu Konferenzen
durchführen und uns mit den Wissenschaftlern verständigen“ etwas zu wenig. Ist denn geplant, sich mit den
Ländern und den Kommunen gemeinsam an einen Tisch
zu setzen, gemeinsame Qualitätsstandards zu vereinbaren und dann auch darüber zu sprechen, wie diese finanziell unterlegt werden?
Frau Golze, Sie wissen ja, wie das läuft. Sobald es
eine gemeinsame Vereinbarung über Qualitätsstandards
gibt, wird erwartet, dass der Bund dafür die volle Finanzierung übernimmt. Dazu habe ich gesagt: Darüber kann
man in einzelnen Bereichen reden; aber dann stellt sich
schon die Frage, wie es mit den damit verbundenen
Kompetenzen aussieht.
Insofern: Ja, natürlich müssen wir uns diesem Thema
widmen. Aber wir können den Ländern und den Kommunen nicht einfach Kompetenzen abnehmen, deren
Verteilung zum Beispiel im Rahmen der Festlegungen
der Föderalismuskommission, die von uns allen oder zumindest - ich weiß nicht, ob auch Ihre Fraktion zugestimmt hat - von einer sehr breiten Mehrheit dieses Hauses getragen wurden, noch einmal eindeutig bestätigt
wurde.
Die letzte Frage stellt der Kollege Pols.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wir
alle wissen, dass Sprache das A und O ist, um in einer
Gesellschaft anzukommen und in einer Gesellschaft sein
Leben zu führen. Nun gibt es das Programm „Frühe
Chancen“, etwa zur Förderung von Schwerpunktkitas.
Haben Sie eine Erhebung darüber, wie dieses Programm
von den einzelnen Kommunen bzw. Kitas angenommen
wird? Gibt es genug Kräfte, die Sie dort einsetzen können? Können Sie uns dazu Zahlen geben?
Angenommen wird dieses Programm ganz hervorragend, was man schon daran sieht, dass die Zahl der Bewerbungen von Kitas deutlich höher war als die Zahl
derer, die wir dann tatsächlich unterstützen konnten.
Dennoch sind 4 000 Kitas eine ganze Menge. Das bedeutet, dass zum Beispiel in einem Stadtteil wie Neukölln 19 Kitas mit einer Halbtagskraft unterstützt werden. Das geht deutlich über das, was der Bund bisher an
Modellprojekten initiiert hat, hinaus. Wir bieten substanziell vor Ort eine Möglichkeit zur besseren Unterstützung von Kindern.
Wir sind dabei, das Programm zu evaluieren. Die
Evaluation ist aber noch nicht abgeschlossen. Aber bei
dem, was sich bisher schon zeigt, wenn man sich das
Einzugsgebiet und die Sozialstruktur der Kitas anschaut,
kann man, glaube ich, schon sagen: Die Kräfte sind
vernünftig eingesetzt.
Wir haben zwei Schwerpunkte gewählt: erstens Kitas
mit einem besonders hohen Anteil von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund und zweitens Kitas
mit einem besonders hohen Anteil von Kindern aus bildungsfernen Schichten. Das haben wir über die SGB-IIQuote operationalisiert. Das ist natürlich ein Hilfsindikator; aber ich glaube, dieser Indikator ist hier schon ganz
vernünftig. Angesichts der Breitenwirkung des Programms sehen wir, dass diese zwei Schwerpunkte treffsicher gewählt sind.
Danke, Frau Ministerin. - Ich beende die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/12162 Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache
17/12162 in der üblichen Reihenfolge auf.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung.
Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
sowie die Fragen 3 und 4 des Kollegen Gustav Herzog
sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 5 der Kollegin Cornelia
Behm:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur
sogenannten Wannsee-Route, und welche Auswirkungen hat
diese Entscheidung aus Sicht der Bundesregierung auf die anderen bereits festgelegten An- und Abflugverfahren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Behm, die Antwort
der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet: Vorbehaltlich
einer Prüfung der schriftlichen Begründung gibt das Urteil aus Sicht der Bundesregierung vorerst keinen Anlass
zu Konsequenzen. Auswirkungen auf die anderen bereits
festgelegten An- und Abflugverfahren sind zum jetzigen
Zeitpunkt ebenfalls nicht erkennbar.
Gegenstand des Gerichtsverfahrens war eine Teilstrecke des Systems der An- und Abflugverfahren für den
künftigen Flughafen Berlin Brandenburg International,
die sogenannte Wannsee-Route. Bei der Festlegung
dieser Route ist nach Auffassung des Gerichts das Risiko
eines Flugunfalls und eines terroristischen Anschlags auf
den Luftverkehr mit Blick auf das Gelände, auf dem sich
der Forschungsreaktor BER II befindet, nicht hinreichend in den Blick genommen worden.
Das Gericht hat sich in seiner mündlichen Urteilsbegründung nicht zu der Frage geäußert, welche Risiken
nach seiner Auffassung bestünden und wie diese einzuschätzen seien. Auch zu den Lärmauswirkungen des
Flugverfahrens hat sich das Gericht ausdrücklich nicht
geäußert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Seit Jahr und Tag stelle ich, Herr
Staatssekretär, hier im Deutschen Bundestag Fragen
nach Planung, Bau und Betrieb des Hauptstadtflughafens. Sie und Ihre Kollegen haben es immer fein verstanden, auf die Verantwortlichkeit der Planungsbehörde in
Brandenburg zu verweisen und haben jede Verantwortung des Bundes immer weit von sich gewiesen. Jetzt ist
der Bund aber nun einmal gefragt. In dem Zusammenhang, den wir gerade erörtert haben, frage ich Sie, ob
denn das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung Revision beim Bundesverwaltungsgericht einlegen wird und
wie der zuständige Minister, Herr Ramsauer, in diese
Entscheidung eingebunden werden wird.
Frau Kollegin, ich möchte Ihrem Eindruck und dem
Vorwurf ausdrücklich widersprechen, dass wir dem Land
Brandenburg in irgendeiner Art und Weise Verantwortung zuschieben würden, die das Land Brandenburg
nicht hat.
Es gibt eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten.
Das Land Brandenburg ist im Planfeststellungsverfahren
die Planfeststellungsbehörde für den Bau des Flughafens. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist
zuständig für den Erlass der Durchführungsverordnung,
nach der die Flugrouten am neuen Flughafen Berlin geflogen werden sollen. Wenn diese Verordnung durch das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem
Urteil für rechtswidrig erklärt wird, dann wird im Lichte
der Urteilsbegründung, die uns noch nicht vorliegt, zu
entscheiden sein, ob wir den Weg nach Leipzig zum
Bundesverwaltungsgericht gehen. Ich muss Sie hier um
Geduld bitten. Wir warten auf die schriftliche Urteilsbegründung. Wenn uns diese vorliegt, werden wir sie sehr
gründlich analysieren und dann darüber entscheiden, ob
eine Revision sinnvoll ist oder nicht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Ich bin weit davon entfernt, das Land Brandenburg
zulasten des Bundes von der Verantwortung zu entbinden. Insofern, denke ich, ist das Nachbohren in Richtung
Bund durchaus gerechtfertigt.
Ich möchte gerne Folgendes wissen: Gab es - vieles
spricht dafür - aus Ihrer Sicht im Vorfeld der Festlegung
auf die Flugroute über dem Forschungsreaktor in Wannsee Hinweise darauf, dass die Flugroute vor Gericht keinen Bestand haben würde? Es waren ja auch andere
Bundeseinrichtungen mit der Bewertung befasst und haben Stellungnahmen abgegeben. Wenn ja: Wie wurde in
Ihrem Hause damit umgegangen?
Das Verfahren der Flugroutenplanung ist Ihnen ja gut
bekannt. Die Planung an sich wird durch die Deutsche
Flugsicherung vorgenommen. Die Deutsche Flugsicherung legt ihren Vorschlag für Flugrouten dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung vor. Dieses erlässt dann
eine Verordnung, auf deren Grundlage diese Flugrouten
geflogen werden können.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ist eine
unabhängige Behörde. Es ist nicht so, dass wir in irgendeiner Art und Weise politisch Einfluss darauf nehmen,
wie Flugrouten geplant werden, sondern dies unterliegt
ausschließlich der Zuständigkeit der Fachplaner bei der
Deutschen Flugsicherung und beim Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung. Es gibt keinen politischen Einfluss
auf die Planung von Flugrouten.
Wie Sie wissen, kann eine solche Verordnung nur im
Benehmen mit dem Umweltbundesamt erlassen werden.
Ich nehme an, das meinten Sie mit der Bemerkung, auch
andere Bundesbehörden seien beteiligt. Das Umweltbundesamt hat dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung zu keinem Zeitpunkt signalisiert, dass aus seiner
Sicht mögliche Gefahren von dem Atomreaktor ausgingen und es deshalb in eine Abwägung zur Festlegung
dieser Flugrouten einbezogen werden müsse. Dazu haben wir keine Anhaltspunkte gehabt. Die Deutsche Flugsicherung geht auch davon aus, dass ihr Vorschlag bezüglich der Flugrouten korrekt abgewogen worden ist.
Aber wir werden sehen, was die schriftliche Urteilsbegründung uns dazu an Hausaufgaben aufgibt. Wir werden das sehr gründlich prüfen und dann darüber entscheiden, ob Revision eingelegt wird oder nicht.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ott das
Wort.
Herr Kollege Mücke, vielen Dank.
Der geplante Flughafen Berlin Brandenburg International droht ja nun zu einem der größten Planungsdesaster der Bundesrepublik zu werden, vielleicht neben
Kalkar. Die anscheinend unüberlegte Planung der Flugrouten, bei der man einen Atomreaktor übersehen hat,
der mitten in dieser Flugroute liegt und dessen radioaktives Material beim Absturz eines Flugzeuges freigelegt
werden würde, verstärkt diesen Eindruck noch ein wenig. Hat der Minister nach dieser Zurückweisung durch
das Gericht jetzt auch die Planung der Flugrouten zur
Chefsache gemacht?
Nein, das ist nicht seine Aufgabe. Es ist die Aufgabe
des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung, eine solche
Bewertung vorzunehmen. Ich habe vorhin schon gesagt,
dass wir keinerlei politischen Einfluss darauf nehmen,
wie Flugrouten festgelegt werden. Das fällt in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesaufsichtsamts für
Flugsicherung. Deshalb bleibt es, wie es im Übrigen
schon bei der Planung selbst der Fall war, dabei, dass wir
vonseiten des Ministeriums keinen politischen Druck
ausüben oder irgendwelche politischen Entscheidungen
treffen; das ist ausschließlich Aufgabe der Fachplaner
und des Bundesaufsichtsamts.
Wir sind damit schon am Ende dieses Geschäftsbereichs. Die Fragen 6 und 7 des Kollegen Uwe
Beckmeyer und die Frage 8 der Kollegin Waltraud Wolff
werden schriftlich beantwortet. Herzlichen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche
steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 9 der Kollegin Veronika Bellmann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 10 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Ist das zusätzliche Nachwärmeabfuhr- und Einspeisesystem, ZUNA, im Atomkraftwerk Gundremmingen unter den
für Auslegungsstörfälle geltenden Analyserandbedingungen
({0}) zur Beherrschung von
Auslegungsstörfällen erforderlich, und, falls ja, bei welchen?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das zusätzliche Nachwärmeabfuhr- und Einspeisesystem, kurz ZUNA, ist nach
probabilistischen Analysen zur Verbesserung der Beherrschung von transienten Störungen und Störfällen bei
gleichzeitigem Ausfall der drei Nachkühlketten vorgesehen. Das ZUNA ist zur Beherrschung von Auslegungsstörfällen, also den Ereignissen der sogenannten Sicherheitsebene 3, nicht erforderlich.
Mit dem neuen Regelwerk, den „Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke“, wurden im Übrigen die äußeren Einwirkungen, zu denen unter anderem Erdbeben
zählen, aus der Hierarchie der Sicherheitsebenen herausgelöst. Sie werden nicht mehr direkt der Sicherheitsebene 3 und damit den Auslegungsstörfällen zugeordnet.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wenn Sie mir antworten, es sei nicht erforderlich,
dann ist meine erste Nachfrage: Warum wurde das
installiert? Sie haben zwar den Zweck erklärt, aber wofür genau wird das gebraucht?
Der Hintergrund ist: Wenn eine Nachrüstung erfolgt,
geht man im Allgemeinen zu Recht davon aus, dass die
bisher vorhandenen Systeme qualitativ oder quantitativ
Defizite aufweisen. Das ist der Normalfall, wenn nachgerüstet wird. Die Nachrüstung stammt aus den 90erJahren. Insofern ist für mich noch die Frage offen, wozu
man das gebraucht hat. Wenn es für diese Sicherheitsfragen nicht notwendig ist, frage ich mich, wofür man es
sonst gebraucht hat. Denn wir alle wissen, dass Betreiber
nicht investieren, wenn es nicht irgendeine Notwendigkeit dafür gibt.
Ich hatte gesagt, dass es drei Nachkühlketten gibt. Es
ist so, dass zwei der drei Nachkühlketten des Sicherheitssystems gegen das sogenannte Bemessungserdbeben ausgelegt sind. Mit dem ZUNA steht ein weiteres
gegen das Bemessungserdbeben ausgelegtes System zur
Nachwärmeabfuhr zur Verfügung.
Für das Schutzkonzept bezüglich Erdbeben ist gefordert, dass alle Sicherheitseinrichtungen so auszulegen
sind und sich auch dauerhaft in einem solchen Zustand
befinden müssen, dass ihre sicherheitstechnischen Aufgaben auch bei Erdbeben zu erfüllen sind. Eine der drei
Nachkühlketten in Gundremmingen erfüllt diese Anforderung nicht. Allerdings verfügt Gundremmingen - im
Gegensatz zu den anderen deutschen Kernkraftwerken
mit vier Redundanzen zu jeweils 50 Prozent Leistung über drei Redundanzen mit jeweils 100 Prozent Leistung. Das macht es in diesem Fall auch möglich, dieses
Kraftwerk so weiterzuführen.
Gut, das erklärt einiges. - Dann habe ich noch eine
Frage. Sie sind in Ihrer Antwort schon auf die Technik
eingegangen. Falls Sie die Frage, die ich jetzt stelle,
nicht beantworten können, wäre ich auch mit einer
schriftlichen Beantwortung einverstanden. Welche
wesentlichen technischen Unterschiede bestehen hinsichtlich Funktionsumfang und Qualitätsanforderungen
zwischen den eigentlichen Notkühlsystemen und der
Nachrüstung ZUNA?
Ich mache folgenden Vorschlag: Ich könnte Ihre
Frage jetzt beantworten. Aber das würde definitiv länger
als eine Minute dauern. Ich werde Ihnen daher das, was
mir jetzt hier vorliegt, inklusive der technischen Details
schriftlich zukommen lassen. Das ist vielleicht angemessen und dann auch besser nachzuvollziehen.
({0})
Wenn Sie einverstanden sind, dann ist das so verabredet.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Wie schätzt die Bundesregierung die Umsetzung des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, insbesondere bezüglich der Zulassung bzw. des Verbotes von gewerblichen
Sammlungen, ein?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Bollmann, meine Antwort ist zweigeteilt, zum einen zur Rechtslage und zum anderen zu der
derzeitigen Vollzugssituation.
Zunächst zur Rechtslage. Das Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz ist mit Wirkung vom 31. Mai 2012 außer Kraft getreten. Es gilt das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht nun in § 18
keine Zulassung von gewerblichen Sammlungen, sondern lediglich ein Anzeigeverfahren vor. Im Rahmen
dieses Verfahrens können die zuständigen Länderbehörden auf Basis der Anzeige des Sammlers und der beigefügten Unterlagen prüfen, ob die angezeigte Sammlung
den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Nach § 17
Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 muss zunächst generell sichergestellt sein, dass die gesammelten Abfälle einer
hochwertigen und ordnungsgemäßen sowie schadlosen
Verwertung zugeführt werden. Soweit es sich um gewerbliche Sammlungen handelt, ist nach § 17 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zusätzlich
zu prüfen, ob überwiegende öffentliche Interessen der
Sammlung entgegenstehen. Zu diesen öffentlichen Interessen gehört insbesondere die sogenannte Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger.
Über diese Voraussetzung hat die Behörde auf Basis einer Stellungnahme des betreffenden öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu entscheiden, die im Anzeigeverfahren nach § 18 einzuholen ist.
Wie sieht der derzeitige Vollzug aus? Die Bundesregierung steht hinsichtlich der Umsetzung der Regelungen zur gewerblichen und gemeinnützigen Sammlung in
einem engen Informationsaustausch mit den Ländern,
den Kommunen und auch mit der privaten Entsorgungswirtschaft. Es liegen noch nicht für alle Länder Zahlen
vor. Zudem sind die eingehenden Daten der Länder laufend zu aktualisieren. Der gegenwärtige Trend zeigt jedoch, dass einem hohen Aufkommen an Anzeigen nur
sehr wenige Anordnungen gegenüberstehen. In BadenWürttemberg wurden etwa 1 000 gemeinnützige und gewerbliche Sammlungen angezeigt. Bislang sind jedoch
nur 50 Anordnungen erlassen worden, die teilweise auf
die Vervollständigung der Anzeigenunterlagen abzielen.
Eine Vielzahl der Anzeigen befindet sich noch in behördlicher Prüfung. Wir meinen jedoch, dass die Sammlung hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Unternehmen,
die ihre Sammlung erst nach Inkrafttreten des Gesetzes
etabliert haben, dürfen die Tätigkeit gemäß § 18 Abs. 1
ohne weitere Bestätigung der Behörde drei Monate nach
Abgabe der Anzeige aufnehmen. Sogenannte Altsammler unterliegen dieser Wartefrist von vornherein nicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung der
Auffassung, dass gewerbliche Sammlungen in großer
Anzahl zu Unrecht verboten werden?
Wir haben darüber noch kein konkretes Bild. Wir hören von Beschwerden. Allerdings sind diese uns gegenüber noch nicht dokumentiert. Deshalb wollen wir gemäß der Protokollnotiz, in der sich die Bundesregierung
gegenüber dem Bundesrat verpflichtet, binnen eines Jahres eine Evaluierung durchzuführen, bis März Daten
sammeln, diese intensiv auswerten und dann Schlüsse
ziehen. Insofern können wir, was Sie gerade vorbringen
respektive was wir nur vom Hörensagen kennen, nicht
bestätigen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung der
Meinung, dass durch die Anwendung der §§ 17 und 18
des Kreislaufwirtschaftsgesetzes eine Gefährdung der
Versorgung von Recyclingbetrieben mit Abfallmaterial
entsteht?
Nein, dieser Auffassung sind wir nicht. Noch einmal:
Wir prüfen laufend eingehende Daten und können nach
einem Jahr sicher in den Evaluierungsprozess gehen.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Gerd Bollmann
auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es für die
Umsetzung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes im
Bereich der Zulassung von gewerblichen und gemeinnützigen
Sammlungen einer bundeseinheitlichen Durchführungsverordnung bedarf, und, wenn ja, wann kommt diese?
Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung hat sich
im Nachgang - ich komme auf das zurück, was ich gerade gesagt habe - gegenüber dem Bundesrat in einer
Protokollerklärung zu Folgendem verpflichtet - ich zitiere -:
Die getroffenen Regelungen zur gewerblichen
Sammlung bezwecken die EU-rechtlich gebotene
Stärkung des Wettbewerbs und eine Verbesserung
der Qualität und Quantität des Recyclings. Die
Bundesregierung wird binnen eines Jahres nach Inkrafttreten dieser Regelung prüfen, ob diese Zielstellung erreicht worden ist. Ist dies nicht der Fall,
werden unverzüglich die gesetzlichen Maßnahmen
zur Zielerreichung eingeleitet.
Um ein möglichst genaues Bild für eine sorgfältige
Prüfung zu bekommen, sind wir mit den zuständigen
Ländern und den beteiligten Kreisen in einem regen
Austausch. Bis zum 1. März gilt es uns mitzuteilen, welche Beobachtungen gemacht worden sind. Es wurden
zum einen die Neuregelung der gewerblichen Sammlung
und die damit intendierten Ziele, also die Stärkung des
Wettbewerbs und die Verbesserung der Qualität und der
Quantität des Recyclings, abgefragt. Zum anderen geht
es darum, ob bei der Anwendung der neuen Regeln Probleme erkannt worden sind.
Über den Gegenstand der Protokollerklärung hinaus
ist auch nach einer Einschätzung der Situation bei den
gemeinnützigen Sammlungen gefragt worden. Erst nach
der Auswertung der bis zum 1. März erbetenen Stellungnahmen kann entschieden werden, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Regelungen anzupassen oder zu ändern sind.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich habe nur noch eine Zusatzfrage. Sind auch Sie der
Meinung, dass es wahrscheinlich bundeseinheitlicher
Durchführungsbestimmungen bedarf?
Nein. Das lässt sich an dieser Stelle so nicht sagen.
Uns sind Verstöße im Rahmen des Ländervollzugs nicht
bekannt. Es bestehen Klagemöglichkeiten und die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Im Übrigen liegen
drei Gerichtsurteile vor.
Wir haben auch keine Anhaltspunkte dafür - das bezieht sich jetzt auf eine Anfrage der Linken -, dass die
berufliche Existenz von Kleinstsammlern gefährdet sein
könnte. Bevor wir nicht eine umfassende Lagebeschreibung haben, ist es zu früh, zu Änderungen einzelner Paragrafen oder ergänzenden Regelungen Aussagen zu
treffen.
Sie verzichten auf die zweite Nachfrage.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Ulrich
Kelber:
Was konkret plant die Bundesregierung im Klub der Energiewendestaaten, und welche Staaten wurden bisher auf eine
Mitgliedschaft angesprochen bzw. aufgenommen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Kelber, die erneuerbaren Energien haben in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum
verzeichnet, begleitet von großem technologischen Fortschritt und verbunden mit zum Teil drastischen Senkungen der Stromgestehungskosten bei Neuanlagen, zum
Beispiel bei der Photovoltaik. Deutschland war und ist
eines der Vorreiterländer bei dieser Entwicklung. Gegenwärtig diskutieren immer mehr Staaten, ob auch sie
selbst eine Neuausrichtung ihrer Energiepolitik hin zu
mehr erneuerbaren Energien forcieren wollen.
Das ist ein idealer Zeitpunkt für Deutschland, mit
weiteren Vorreiterstaaten einen politischen Schulterschluss zu suchen, um neuen Schwung in den weltweiten
Ausbau der erneuerbaren Energien zu bringen und diesen ganz oben auf die internationale politische Agenda
zu setzen.
Die informellen Konsultationen mit verschiedenen
Staaten und die intensiven Debatten zur Gestaltung der
zukünftigen Energieversorgung dauern an. Eine endgültige Entscheidung, mit welchen Vorreiterstaaten in dieser
Initiative zusammengearbeitet werden soll, steht noch
aus.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Da Sie auf
beide Fragen, nämlich was konkret gemacht wird und
wen Sie bis heute angesprochen haben, noch nicht geantwortet haben, bitte ich Sie, mir die Antworten schriftlich
nachzuliefern. Ich möchte meine Nachfrage zu einem
anderen Thema stellen.
Wird die Bundesregierung in dem Klub der Energiewendestaaten weiter für eine Einspeisevergütung für erneuerbare Energien werben, die Sie gerade, auch wenn
Sie früher zweimal dagegen gestimmt haben, gelobt haben, oder wird sie nach den Vorschlägen von Peter
Altmaier davon abweichen?
Die Bundesregierung steht zu einer Einspeisevergütung. In den internationalen Gesprächen werben wir
auch für dieses Instrument.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Atomtechnologie. Wird die Bundesregierung im Klub der
Energiewendestaaten dafür werben, auch die Atomenergie relativ schnell durch erneuerbare Energien zu ersetzen, und wie verträgt sich das mit dem einstimmig geäußerten Wunsch des Parlamentarischen Beirates für
nachhaltige Entwicklung, dass die Bundesregierung aufhört, mit Steuergeldern den Export von Atomtechnologie
in Drittstaaten aus Deutschland zu subventionieren?
Der größte Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Kelber, war
Ausdruck Ihrer persönlichen Meinung. Ich nehme hier
Stellung zu dem, was die Bundesregierung macht.
({0})
Der Bundesumweltminister wirbt auf internationaler
Ebene für die Etablierung, den Ausbau und die Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien. Erneuerbare Energien, darunter versteht er Sonne, Wind, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie. Das ist das Feld, um das wir
uns kümmern, und ist das, was er maßgeblich vorantreibt.
Im Übrigen ist es auch kein Geheimnis, dass er sich
am Rande der jüngsten IRENA-Tagung unter anderem
mit Vertretern aus China, Frankreich, UK, aber auch Marokko oder Tonga getroffen hat.
Eine weitere Nachfrage zur Frage 13 stellt der Kollege Ott.
Danke. - Frau Staatssekretärin, ich würde mich gerne
der Bitte des Kollegen Kelber anschließen und würde
gerne, wenn es möglich wäre, eine schriftliche Antwort
auf die Frage erhalten: Welche Staaten sind denn angefragt worden? Vielleicht können Sie dies doch noch hier
beantworten. Man hat gehört, dass sich Vertreter von
acht Staaten tatsächlich zum Abendessen mit dem
Minister trafen. Vorher hieß es, zehn sollten angesprochen werden.
Einerseits würde ich gerne wissen, welche Staaten das
waren. Andererseits würde mich jetzt hier interessieren:
Was waren denn die Kriterien dafür, welche Staaten angefragt worden sind oder nicht? Gibt es überhaupt Kriterien, um in einen solchen Klub der Energiewendestaaten
hineinzukommen, oder wird das auf Zuruf gemacht?
Dem Minister geht es vor allem um einen politischen
Schulterschluss. Wir haben eine existierende und gut
funktionierende Agentur für die weltweite Förderung
und Unterstützung der erneuerbaren Energien, die
IRENA. Sie ist ja maßgeblich auf deutsche Initiative hin
entstanden und hat sich, wie wir finden, hervorragend
entwickelt.
Hier geht es um ein zusätzliches politisches Momentum. Wie es so üblich ist, werden befreundete und auch
unterstützende Staaten gefragt und angesprochen. Ziel
ist es, auch solche Staaten wie China mit ins Boot zu holen, die sich zwar nicht in ein Klimaschutzabkommen
einbinden lassen mögen, auf der anderen Seite aber ganz
klar ihre Unterstützung für Erneuerbare-Energien-Ziele,
auch im neuen Fünfjahrplan, dokumentiert haben. Hier
ein politisches Momentum zu nutzen, ist Ziel der Initiative des Ministers.
Zu den Staaten - ich habe eben schon einige erwähnt -: In der Tat waren beim Abendessen acht Staatsvertreter dabei. Ich finde jetzt die komplette Liste nicht.
Auf jeden Fall waren Frankreich, Großbritannien, Marokko, Tonga, Südafrika dabei. Die fehlenden drei Namen liefere ich Ihnen nach.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben die eigentliche
Frage des Kollegen Kelber nicht beantwortet. Er hat Sie
mit der Beschlussfassung des Parlamentarischen Beirats
für nachhaltige Entwicklung konfrontiert, der sich über
alle Fraktionsgrenzen hinweg dafür ausgesprochen hat,
Hermesbürgschaften künftig nicht mehr für den Bau von
Atomanlagen im Ausland bereitzustellen. Das wäre
nämlich ein offenkundiger Widerspruch beispielsweise
zu dem, was ein Klub der Energiewendestaaten tut. Insofern meine Frage, verbunden mit meiner Bitte, diese zu
beantworten - auch Herr Kelber hat diese Frage eben gestellt -: Wie steht die Bundesregierung zu diesem Beschluss des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige
Entwicklung?
Die Bundesregierung hat ihre Haltung klar bekräftigt,
dass sie die Einschätzung des Parlamentarischen Beirates an dieser Stelle nicht teilt. Ich sehe allerdings keinen
Widerspruch, einen Klub der Energiewendestaaten zu
unterstützen und damit einen Klub von Staaten, die die
erneuerbaren Energien fördern, zu initiieren. An dieser
Stelle hat der Minister eine ganz klare Auffassung geäußert und ist auf internationaler Ebene initiativ.
Ich bitte darum, mir die weiteren Nachfragewünsche
so rechtzeitig zu signalisieren, dass ich nicht schon die
nächste schriftlich eingereichte Frage aufrufe.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin KottingUhl.
Entschuldigung, Frau Präsidentin. - Ich war jetzt
doch etwas konsterniert über die Feststellung, die Bundesregierung habe ihre Haltung klar bekräftigt. Denn wir
haben heute Vormittag im Umweltausschuss von der
Bundesregierung gehört, dass Stellungnahmen dazu
noch nicht abgegeben worden seien, dass das Zitat von
Bundeswirtschaftsminister Rösler, das man bei Spiegel
Online finden konnte und das das bestätigt, was Sie jetzt
sagen, nicht freigegeben gewesen sei und dass auch der
Parlamentarische Beirat noch keine Stellungnahme der
Bundesregierung bekommen habe. Insofern würde mich
jetzt interessieren: Wo ist diese Stellungnahme bisher
bekräftigt worden?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, mir ist keine Änderung
der bisherigen Praxis der Bundesregierung bekannt. Ich
kann an dieser Stelle keine andere Praxis verkünden, obwohl dies Herr Kollege Miersch vermutlich gerne gehört
hätte.
Auch der Kollege Frank Schwabe hat noch eine
Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage zu
demselben Thema. Wir alle waren heute Morgen im
Ausschuss anwesend; deswegen kommen jetzt die spontanen Nachfragen. Da hat Ihre Kollegin Staatssekretärin
deutlich gemacht, es gebe noch keine abgestimmte Haltung. Das, was in den Medien zu lesen gewesen sei, sei
unabgestimmt gewesen und man ringe noch um eine
Haltung. Sie sagen jetzt: Es gibt eine klare Haltung. Das ist ein offensichtlicher Widerspruch. Deswegen
frage ich Sie noch einmal: Gibt es eine Haltung der Bundesregierung zu der Frage, ob wir Hermesbürgschaften
für Brasilien, aber auch für andere Länder im Bereich
der Atomtechnologie bereitstellen?
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Auffassung, dass eine Haltung abgestimmt werden soll, und der
generellen Aussage, dass mir nicht bekannt ist, dass eine
solche verändert werden soll. Wenn Sie jetzt einen Widerspruch konstruieren wollen, dann können Sie dies
tun; aber ich sehe ihn nicht.
Damit kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Ulrich
Kelber:
Was genau soll der Unterschied zwischen dem Klub der
Energiewendestaaten und IRENA sein, und welche ersten
Schritte des Klubs sind geplant?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
In Abu Dhabi, Herr Kollege Kelber, hat Minister
Altmaier im Rahmen seiner Teilnahme an der jährlichen
Versammlung von IRENA informelle Konsultationen
mit verschiedenen Vorreiterstaaten geführt und die Idee
eines solchen Klubs diskutiert. Nun sind weitere Konsultationen mit möglichen teilnehmenden Staaten geplant.
Im Anschluss daran wird über die nächsten Schritte beraten.
Die Frage der Zusammensetzung und der Treffen der
neuen Initiative wird derzeit noch konsultiert. Eine endgültige Entscheidung von Minister Altmaier zum Konzept, insbesondere mit welchen Vorreiterstaaten bei dieser Initiative zusammengearbeitet wird, steht noch aus.
Ich bitte daher um Verständnis, dass das Konzept dem
Parlament erst nach der Entscheidung von Minister
Altmaier vorgelegt werden kann. Der Zeitpunkt, zu dem
er diese Entscheidung fällen kann, hängt stark vom Verlauf der informellen Konsultationen ab und kann momentan nicht genau festgelegt werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass der Bundesminister die Gründung einer neuen internationalen Organisation vorgeschlagen hat, ohne ein Konzept dafür zu
haben, was diese internationale Organisation eigentlich
tun soll. Das mag jeder selbst bewerten.
Das war eine Veranstaltung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien. Diese ist auf Betreiben
meines leider 2010 verstorbenen Kollegen Hermann
Scheer, also auf deutsche Initiative hin, gegründet worden - sie ist heute äußerst erfolgreich und hat weit über
100 Mitgliedstaaten - mit der Aufgabe, die Energiewende durch den Ausbau erneuerbarer Energien und Ablöseszenarien mittels erneuerbarer Energien voranzutreiben. Wenn das Ministerium jetzt einen Klub der
Energiewendestaaten starten will, im Rahmen dessen bei
einem solchen Ausbau und bei entsprechenden Ablösestrategien ein enger Schulterschluss passieren soll,
müssten Sie doch in der Lage sein, uns hier und heute einen einzigen, einen klitzekleinen Unterschied zwischen
der Aufgabenstellung des Klubs der Energiewendestaaten und der Aufgabenstellung der von Deutschland ins
Leben gerufenen Internationalen Agentur für erneuerbare Energien, deren Mitglieder ja die Staaten sind, zu
nennen.
Herr Kollege Kelber, das liegt daran, dass Sie mir
offenbar nicht zuhören. Es handelt sich nicht um eine
eigenständige Organisation, sondern um einen politischen Zusammenschluss von interessierten Staaten,
nicht um eine formelle Organisation mit Sitz, Struktur,
Sekretariat und dergleichen.
Dafür gibt es die IRENA. Sie wird von uns unterstützt. Wir haben deutlich gemacht, wie sehr wir die Arbeit der IRENA schätzen. Wie Sie wissen, läuft das
IRENA Innovations- und Technologiezentrum in Bonn
sehr gut. Wir haben nichts daran zu kritisieren. Ganz im
Gegenteil: Wir freuen uns darüber, dass dies so gut gelingt. Aber auch Sie, Herr Kollege Kelber, werden,
glaube ich, den Unterschied kennen zwischen einer Institution und einem politischen Zusammenschluss, einem politischen Momentum, bei dem es darum geht, auf
politischer Ebene noch mehr Rückenwind für den Ausbau erneuerbarer Energien zu bekommen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Frage ist sehr leicht zu beantworten.
({0})
Gibt es außer der Pressemitteilung darüber, dass der
Minister einen Klub der Energiewendestaaten einrichten
will, irgendein weiteres Dokument des Ministeriums
zum Klub der Energiewendestaaten?
Es gibt informelle Konsultationen, und informelle
Konsultationen haben es an sich, dass man sich informell austauscht.
Der Kollege Ott stellt die nächste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie wissen vielleicht, dass ich ein großer Fan dieser
Klubidee bin.
Es ist schön, dass Sie das feststellen. Da haben wir ja
schon mal einen in der Opposition.
Ich würde sogar sagen, dass ich wahrscheinlich der
Erste war, der diese Idee in diesem Hause vertreten hat.
({0})
Oh, jetzt begeben Sie sich aufs Glatteis, Herr Kollege.
Der Hintergrund meiner Idee ist, dass das bisherige
Vorgehen im Rahmen des Klimaregimes nicht erfolgversprechend ist, weil einzelne Staaten, vor allem große wie
die USA, China und Indien, den Prozess sozusagen ins
Unendliche blockieren können, und dass es deshalb gut
sein kann, die Vorreiter in einem Klub zu versammeln. So weit, so gut.
Aber deshalb noch einmal die Frage, die der Kollege
Kelber gerade mit größter Intensität zu stellen versucht
hat:
({0})
Was ist denn der Sinn und Zweck dieses Energiewendeklubs? Was ist der Mehrwert, und wie soll dieser Klub
einen Schub für die internationalen Klimaverhandlungen
erzeugen?
Es sollen neue politische Akzente gesetzt werden.
Herr Kollege, Sie haben angesprochen und sehr richtig
eingeschätzt, dass die Klimaverhandlungen auf internationaler Ebene sehr zäh geworden sind. Die Überlegung
ist: Neben der bestehenden Struktur IRENA, in der anerkennenswerterweise mittlerweile auch die USA Mitglied
sind - IRENA ist eine der wenigen internationalen Organisationen, denen die USA in den letzten Jahren überhaupt beigetreten sind -, braucht es ein zusätzliches politisches Momentum. Die IRENA leistet hervorragende
Arbeit, wenn es darum geht, Informationen zu sammeln,
Programme zu bündeln, Technologieausbreitung zu unterstützen. Dennoch braucht es in Staaten auch immer einen politischen Hebel und eine politische Willensbildung darüber, ein Stück voranzugehen. Die Idee, über
ein Bekenntnis zu erneuerbaren Energien im Klimaschutzbereich voranzukommen, ist sicherlich mit Anlass
für die Gründung dieses Klubs.
Aber noch einmal: Auch auf informellem Wege wollen wir herausfinden, was andere Staaten bewegt, wie
ihre Strategien sind. Darüber der Öffentlichkeit schon alles zu berichten, wäre vielleicht nicht ganz fair. Insofern
bleibe ich bei meiner Aussage, dass die Konsultationen
informell sind, aber auch weiter nach vorn gebracht werden.
Der Kollege Schwabe stellt eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist ja unsere Aufgabe, zu hinterfragen, was die Regierung tut. Das, was Sie uns vorstellen, sind informelle Gespräche. Informelle Gespräche kann man natürlich mit jedem andauernd immer
wieder führen. Die Frage ist doch bloß: Muss man das
dann in der Öffentlichkeit groß als „Klub der Energiewendestaaten“ ankündigen? Wenn man nachfragt, bekommt man nämlich zur Antwort: Es gibt kein Konzept,
nicht einmal ein einfaches Papier, auf dem man sehen
könnte, wie das Ganze vonstattengeht.
Also frage ich Sie: Möchten Sie vielleicht dem Eindruck entgegentreten, dass dieser Begriff „Klub der
Energiewendestaaten“ am Ende ein aufgeblasener Ballon, ein großes Wortspiel ist, das aber nicht hinterlegt ist,
weil Herr Altmaier so versucht hat, sein 10-Punkte-Programm, das er im letzten Sommer vorgestellt hat, aufzublasen?
Das 10-Punkte-Programm von Minister Altmaier enthält für die internationale Ebene in der Tat auch die Idee
eines Klubs der Energiewendestaaten. Noch einmal: Es
geht nicht darum, Strukturen zu duplizieren, sondern darum, ein politisches Momentum zu kreieren. Auf internationaler Ebene, auch bei Klimaschutzverhandlungen,
werden verschiedene informelle Runden gegründet, um
ein bestimmtes politisches Momentum zu erzeugen. Ich
finde, gerade für Sie, der Sie sich auch in diesem Metier
bewegen, dürften solche Runden, auch solche Impulsrunden, überhaupt nichts Unbekanntes sein. Insofern
verstehe ich nicht, dass Sie, im Gegensatz zu Herrn Kollegen Ott, offenbar nicht hinter dieser Idee stehen.
({0})
Die Umsetzung einer solchen Idee braucht Zeit. Wir
werden die internationalen Treffen und Zwischentreffen
nutzen, um weiter für diese Idee zu werben und zu konsultieren.
Wir kommen zur Frage 15 des Kollegen Dr. Hermann
Ott:
Welche Schritte plant die Bundesregierung nach der versuchten Gründung des seit dem Sommer 2012 geplanten
Klubs der Energiewendestaaten am Rande der IRENA-Jahrestagung in Abu Dhabi, um die geplante Allianz ins Leben zu
rufen, und wann ist mit der Vorlage eines Konzeptes zu rechnen, das dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages für Mitte Januar
2013 versprochen wurde?
Wir haben gerade gelernt, dass der Kollege Ott Fan
dieser Idee ist. - Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Ott, in Abu Dhabi hat Minister Altmaier
im Rahmen seiner Teilnahme an der jährlichen Versammlung von IRENA informelle Konsultationen mit
verschiedenen Vorreiterstaaten geführt und die Idee eines solchen Klubs diskutiert. Nun sind zunächst weitere
Konsultationen mit möglichen teilnehmenden Staaten
- das hatten wir schon - geplant. Im Anschluss daran
werden die nächsten Schritte beraten.
Die Zusammensetzung und die Treffen der neuen Initiative werden derzeit noch konsultiert. Eine endgültige
Entscheidung von Minister Altmaier - das doppelt sich
mit der Antwort auf die Frage des Kollegen Kelber zum Konzept und dazu, mit welchen Vorreiterstaaten in
dieser Initiative zusammengearbeitet wird, steht noch
aus. Ich bitte daher um Ihr Verständnis, dass das Konzept
dem Parlament erst nach der Entscheidung von Minister
Altmaier vorgelegt werden kann. Wie gesagt, der Zeitpunkt hängt vom weiteren Verlauf der Konsultationen
ab.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Wie gut, dass der Kollege Kelber und ich an dieser
Idee genauso brennend interessiert sind.
Ich möchte noch einmal klarstellen, dass es nicht dieser Energiewendeklub ist, der mich begeistert, sondern
die Idee, dass es außerhalb des Klimaregimes Vorreiterallianzen geben muss, um die Klimapolitik voranzubringen, damit wir die geringe Zeit, die uns noch bleibt, um
die Wende überhaupt herbeizuführen, nutzen.
Meine Nachfrage: Sie vertrösten uns wieder, indem
Sie sagen, es müssten noch Entscheidungen getroffen
werden. Es drängt sich doch ein wenig der Eindruck auf,
dass eine große Wahlkampfblase ins Leben gerufen worden ist: Bis zum Herbst soll gar nicht viel passieren, das
Ganze kann aber immer sozusagen wie eine Monstranz
vor sich her getragen werden, nach dem Motto: Wir
wollten es ja.
Ich frage Sie noch einmal - Herr Kollege Schwabe
hat es schon angesprochen -: Wollen Sie dem nicht mit
etwas mehr Substanz entgegentreten?
Das Etablieren von internationalen Gesprächsrunden
und internationalen Foren beansprucht erstens Zeit.
Zweitens ist Klimaschutz völlig unabhängig und interessiert sich nicht für Wahlen. Andere Länder - seien es
Entwicklungs-, Schwellen- oder Industrieländer - gucken nicht nach Deutschland und fragen nach Wahlen.
Sie schauen danach, welche Dinge wir bereit sind, in den
internationalen Prozess einzubringen.
Auch IRENA wurde zu einem Zeitpunkt aufgebaut, in
dem man über Wahlkampf hätte sprechen können. Sie
entwickelte sich von einer Idee hin zu Strukturen. Auch
IRENA ist nicht über Nacht gekommen. Insofern bitte
ich Sie um Geduld für das laufende Verfahren. Ich
meine, es lohnt sich jede Initiative, die uns bei dem Vorhaben voranbringt, zu mehr internationalem Klimaschutz und mehr Zusammenarbeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu kommen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Damit können wir die nächste Frage dazu auch fallen
lassen; denn wir haben das Thema erschöpfend behandelt.
Wenn es nun nicht der Klub der Energiewendestaaten
ist, der das Ganze reißen soll, so frage ich: Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung in Bezug
auf die Klimapolitik für das nächste halbe Jahr?
Ich muss präzise nachfragen: auf internationaler oder
auf nationaler Ebene?
Zur europäischen Ebene, zum Emissionshandel, kommen wir gleich. Jetzt meine ich die internationale Ebene.
Wir sind dabei, das Programm, das in diesem Jahr ansteht, abzuarbeiten. Wir haben uns auf einen Fahrplan
geeinigt. Bis zur Konferenz in Polen müssen wir ein Arbeitsprogramm vorlegen. Hier gilt es, viele Gespräche zu
führen. Diese werden wir weiter fortsetzen. Der Klub der
Energiewendestaaten wäre ein weiterer Beitrag. Im Übrigen sind wir, wenn es darum geht, erneuerbare Energien voranzubringen und uns auf europäischer Ebene zu
etablieren, auf einem guten Weg.
Der Kollege Krischer hat noch eine Nachfrage zur
Frage 15 bzw. zur Beantwortung derselben.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für Ihre Antwort, die mich zu der Frage veranlasst: Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung im Zuge der
nationalen Energiepolitik? Was steht diesbezüglich noch
auf der Agenda? Womit können wir jenseits des hier inzwischen fast humoristisch behandelten Energiewendeklubs auf internationaler Ebene rechnen?
Herr Kollege Krischer, wir haben eine Reihe von Vorhaben. Wir haben unsere Ziele auf nationaler und europäischer Ebene weiterhin zu erfüllen. Der Minister hat
jetzt den Vorschlag einer Novelle zum ErneuerbarenEnergien-Gesetz unterbreitet; die Ministerpräsidenten
haben sich dazu mit der Bundeskanzlerin verabredet.
Wir werden den Netzausbau weiter beschleunigen. Wir
werden für mehr Bürgerakzeptanz sorgen. Verschiedene
Foren arbeiten daran und liefern Ergebnisse.
Ich finde allerdings, dass dieses Thema den Rahmen
der heutigen Fragestunde sprengt. Das gilt im Übrigen
auch für die Frage zuvor; denn der Inhalt dieser Frage
war nicht Gegenstand der schriftlich eingereichten
Frage. Insofern müsste ich sie gar nicht beantworten.
({0})
Gleichwohl hat der Kollege Kelber noch eine weitere
Nachfrage.
Der Ton macht die Musik. - Da Sie die Frage aber
nun beantwortet haben, habe ich dazu natürlich eine
Nachfrage. Sie haben gerade das Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten und den Vorschlag des Ministers zu einer Reform des ErneuerbarenEnergien-Gesetzes erwähnt. Heißt das, dass die Vorschläge des Ministers bis Ende März in der bisher vorliegenden Prosaform bleiben? Oder dürfen wir erwarten,
dass es echte, konkrete Gesetzesarbeit inklusive interner
Abstimmung in der Regierung geben wird?
Der Minister hat dazu heute im Ausschuss das Notwendige erklärt.
({0})
- Und ich kann antworten, wie ich es für richtig halte.
({1})
- Das war jetzt Ihre Einschätzung, Herr Kollege.
Herr Kelber, diese Auseinandersetzung wird an einem
anderen Ort zu klären sein.
({0})
Wir sind jetzt nicht im Dialog. Jetzt habe überwiegend
ich das Wort, das ich dem Kollegen Miersch zu einer
Nachfrage gebe.
Frau Staatssekretärin, wenn ich mich recht erinnere,
waren Sie heute nicht im Ausschuss. Ich war zwar im
Ausschuss, habe dort aber keine Antwort des Ministers
auf die Frage, die Herr Kelber Ihnen eben gestellt hat,
gehört. Ich frage Sie deswegen konkret: Können wir davon ausgehen, dass die allgemeinen prosaischen Ausführungen des Ministers, wie sie uns im Augenblick vorliegen, bis März in Gesetzesform gebracht werden?
Der Minister hat erstens keine Prosa geliefert, sondern eine sehr realistische Zustandsbeschreibung im
Hinblick auf die erneuerbaren Energien und der damit
verbundenen Chancen und Risiken. - Punkt eins.
Punkt zwei. Seine Vorschläge sind nicht nur ein Anstoß zur Diskussion, sondern sie sind auch als Einladung
zum Mittun zu verstehen. Da aber sowohl aus dem parlamentarischen Raum, insbesondere von der Opposition,
als auch vor allem aus vielen Bundesländern diverse Angriffe kommen, was alles zu tun sei, bin ich gespannt,
wie man mit diesen Vorschlägen umgehen wird.
Selbstverständlich ist es Regierungshandeln, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen. Trotzdem muss erst einmal
ein Diskussionsanstoß erfolgen. Wenn die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin zusammenkommen, werden wir wiederum sehen, wie ernst es die Ministerpräsidenten mit ihren Zusagen meinen, die Energiewende
tatsächlich voranbringen zu wollen, statt weiterhin in ihrer Blockadehaltung zu verbleiben.
({0})
Die Erörterung der Frage 15 wird jetzt durch eine
Nachfrage der Kollegin Flachsbarth fortgesetzt.
Frau Kollegin Staatssekretärin, auch ich durfte heute
Morgen im Ausschuss den Ausführungen des Herrn
Minister folgen. Können Sie aufgrund Ihres internen
Wissens, aufgrund des Wissens Ihres Hauses möglicherweise bestätigen - wie ich es verstanden habe -,
({0})
dass dieser Vorschlag des Ministers nun in Zusammenarbeit mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages zu
einem Eckpunktepapier weiterentwickelt werden soll,
um dann auf der Umweltministerkonferenz Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Im Februar.
- Mitte Februar und Anfang März im Kreise der Ministerpräsidenten so weit fortentwickelt zu werden, dass
sich daraus ein Gesetzgebungsverfahren entwickelt?
Habe ich das richtig verstanden?
({0})
Herr Kollege Kelber und Herr Kollege Miersch, interessant ist doch, dass die Aussage von Frau Flachsbarth
zeigt, dass Sie sich in gewisse Widersprüche verwickelt
haben.
({0})
Ich bestätige gerne die Aussage von Frau Kollegin
Flachsbarth.
Kollegin Dött, habe ich das richtig verstanden? Hat
sich Ihr Anliegen erledigt?
({0})
Dann stellt der Kollege Schwabe als Letzter zu dieser
Frage eine Nachfrage.
Das, was Frau Flachsbarth ausgeführt hat, ist ja alles
ganz nett. Die Frage ist damit aber trotzdem nicht beantwortet. Der Eindruck ist, dass das bei dem Minister an
vielen Stellen so ist. Wir haben gerade lange über den
Klub der Energiewendestaaten debattiert, über einen
Begriff, den er in die Welt gesetzt hat, der aber scheinbar
überhaupt nicht unterfüttert ist. Hier ist es scheinbar
ebenso. Er macht wolkige Ankündigungen in der Öffentlichkeit. Wir haben heute - wie soll ich das formulieren? eine Ideenskizze für das, was groß in der Zeitung stand,
bekommen; aber es gibt eben nichts Konkretes und vor
allem nichts, was in der Bundesregierung abgestimmt
wurde. Deswegen noch einmal die Frage: Wird es zu
dem Treffen mit den Ministerpräsidenten, mit den Vertretern der Bundesländer, einen abgestimmten Vorschlag
in Form eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung geben, ja oder nein?
({0})
Herr Kollege Schwabe, der Minister geht in die Konsultationen. Ich frage mich, was die Vorlage eines Gesetzentwurfs bewirken soll, wenn nicht nur die Opposition, sondern vor allem auch der Bundesrat von Anfang
an die Hand dagegen erhebt. Die Energiewende ist zu
wichtig, als dass jeder Vorschlag im Klein-Klein zerredet werden kann. Ich höre ständig: nationale Anstrengungen! Ich höre ständig: Schulterschluss! Ich bin gespannt, ob und an welcher Stelle nun unter anderem die
Bundesländer das Angebot des Ministers zum Schulterschluss annehmen wollen.
({0})
Man könnte einen Vorschlag vorlegen, aber es wurde ja
bereits angedroht, dass die SPD ihre Gestaltungsmehrheit im Bundesrat nicht zum Wohle des Landes, sondern
zur Blockade einsetzen möchte. Ich bin gespannt, ob das
auch für den Bereich der Energiepolitik gilt. Das, was
die Umweltminister gesagt haben, stimmt mich noch
hoffnungsvoll.
({1})
Ob das am Ende durch den Bundesrat trägt, wage ich
aber zu bezweifeln. Ich würde mich aber sehr freuen,
wenn wir nicht erst im März positiv überrascht werden
könnten. Auf jeden Fall haben heute schon Ministerpräsidenten angekündigt, in jedem Fall gegen alles zu sein.
Das stimmt in Bezug auf einen solchen Konsultationsprozess nicht gerade hoffnungsvoll.
Die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Hermann Ott soll
schriftlich beantwortet werden.
({0})
- Nein? - Wie bitte?
({1})
- Okay.
Dann rufe ich die Frage 17 des Abgeordneten Frank
Schwabe auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, damit der EU-Emissionshandel deutlich mehr Anreize
für den Klimaschutz in Deutschland setzt?
Herr Kollege Schwabe, ich beantworte die Frage 17
und die Frage 18 zusammen.
Dann rufe ich auch die Frage 18 des Abgeordneten
Schwabe auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard
bei ihren Vorstellungen zur Reform des Emissionshandels zu
unterstützen?
Die Bundesregierung hat bisher keine einheitliche
Haltung zu einer notwendigen Stärkung des europäischen Emissionshandels und prüft derzeit noch die von
der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge.
Herr Schwabe, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie eine Mitverantwortung der Bundesregierung dafür erkennen, dass wir mittlerweile einen Verfall des Preises im Bereich des Emissionshandels feststellen müssen?
Ich sehe eine solche Mitverantwortung nicht, nein.
Gut.
Sie haben eine zweite Nachfrage?
Ja. Ich habe höchstwahrscheinlich noch mehr, weil
ich ja zwei Fragen gestellt habe, oder?
Sie haben die Möglichkeit, insgesamt vier Nachfragen zu stellen. Zwei haben Sie jetzt gleich verbraucht.
Gut. - Frau Staatssekretärin, können Sie vor dem
Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Emissionshandel, insbesondere der Preisentwicklung, in etwa ab27022
schätzen, welche Programme der Bundesregierung im
Bereich der Energiewende in diesem Haushaltsjahr und
eventuell auch in zukünftigen Haushaltsjahren nicht
finanziert werden können?
Wir wissen, dass der Preisverfall zu einer schwierigeren Situation beim EKF führt. Ich kann Ihnen dazu jetzt
allerdings keine Auskunft geben, weil die Fortführung
notwendiger Programme auch Verhandlungen innerhalb
der Bundesregierung erfordert. Sagen kann ich, dass wir
beispielsweise bei der Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien, unseren diesbezüglichen Forschungsprogrammen sowie der internationalen Klimaschutzinitiative unsere Aktivitäten auf dem bestehenden Niveau
aufrechterhalten wollen.
Herr Schwabe.
Eine letzte Nachfrage. Sie haben ja gesagt, dass es
keine abgestimmte Haltung zum Emissionshandelssystem gibt, dass Sie dies allerdings nicht für ein Problem halten. Das sehe ich natürlich komplett anders.
Deutschland ist hauptverantwortlich dafür, dass gerade
dieser Preisverfall stattfindet. Können Sie jetzt den weiteren Zeitplan darstellen? Wie wird die Bundesregierung
eine abgestimmte Haltung entwickeln? Bis wann wird
das geschehen? Wie sind die entsprechenden Vorgaben
auf europäischer Ebene?
Herr Kollege Schwabe, wir sind mit dem Wirtschaftsministerium in engem Kontakt, um eine abgestimmte
Haltung zu finden. Ich kann Ihnen jetzt gerne die Zeitpläne des Rates und des EPs referieren, ich kann Ihnen
dies aber auch schriftlich zukommen lassen. Die politische Einigung muss unabhängig von Zeitplänen erfolgen. Wir müssen hier als Deutschland eine abgestimmte
Haltung entwickeln. Wir arbeiten mit den Kollegen vom
BMWi daran.
Eine Nachfrage des Kollegen Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, der Emissionshandel ist ja so etwas wie der Flughafen BER auf der Instrumentenebene. Er geht allmählich komplett verloren. Der Preis für ein CO2-Zertifikat
beträgt mittlerweile 3,50 Euro. Er sollte eigentlich einmal 30 Euro pro Tonne CO2 betragen. Wir wissen, dass
die Bundesregierung natürlich mitverantwortlich ist,
weil sie bestimmte Maßnahmen, zum Beispiel eine Erhöhung des europäischen Klimaziels auf 30 Prozent,
nicht wirklich mittragen kann. Das liegt nicht an Ihrem
Haus, sondern am Wirtschaftsministerium; das ist klar.
Nichtsdestotrotz ist die Bundesregierung dafür verantwortlich und in Haftung.
Die Frage jetzt lautet: Plant man, bestimmte Mengen
von Zertifikaten beiseitezupacken, damit sie eben nicht
in den Markt kommen, um so den Preis wieder etwas zu
erhöhen? Dazu gibt es verschiedene Vorstellungen. Das
nennt sich - ganz technisch gesprochen - Set-aside oder
Backloading. Ist die Bundesregierung zumindest in diesem Bereich zu einem Ergebnis gekommen, damit auf
europäischer Ebene Maßnahmen möglich werden, um
den Zertifikatepreis zumindest wieder in die Nähe von
10 Euro zu bringen?
Wir diskutieren innerhalb der Bundesregierung sowohl über den Weg als auch über mögliche Mengen. Wir
diskutieren, ob man dies dauerhaft oder befristet tun
sollte. Wir schauen auch, welche Auswirkungen das auf
die deutsche Wirtschaft haben könnte. Hier gibt es bestimmte Befürchtungen. Wir hören aus Teilen der deutschen Wirtschaft aber auch, dass man sich ein deutliches
Signal wünscht. Die Wirtschaft möchte stärker in Klimaschutztechnologien investieren, beklagt aber, dass es zu
wenige Anreize gibt.
Wir teilen die Auffassung, dass sich Investitionen in
emissionsarme Technologien ohne Anreiz aus dem Kohlenstoffmarkt, ohne Anreiz durch einen wirklich attraktiven CO2-Preis auf Dauer nicht rechnen. Übrigens überdenken auch andere Staaten glücklicherweise langsam
ihre Position. Auch Staaten, die eine überwiegend kohlebasierte Wirtschaft haben, sehen, dass sie, wenn sie aus
dem europäischen Markt keine Zertifikate und damit
keine Erlöse bekommen, ihre eigenen Pläne zur Veränderung ihrer Wirtschaft nicht realisieren können. Auch
hier sammeln wir Partner für Allianzen.
Ich möchte noch einmal sagen: Die Einschätzung, es
läge an Deutschland, stimmt nicht; denn auch andere
europäische Staaten zeigen sich gegenüber einem Setaside oder Backloading oder anderen Maßnahmen sehr
zurückhaltend. Wir brauchen hier eine vernünftige Positionierung. Auch im EP und in der Kommission ist man
noch nicht so weit. Das Trilogverfahren droht kompliziert zu werden. Das entbindet uns aber nicht von der
Verantwortung, rasch eine gemeinsame Position zu
finden.
Frau Kofler.
Frau Staatssekretärin, Sie haben auf die Frage des
Kollegen Schwabe zum Zerfall der Zertifikatepreise und
zu den Auswirkungen auf den Haushalt, konkret den
Haushalt 2013, geantwortet: Man ist in Verhandlungen.
Wie man auf Bayrisch sagt: Nix gnaus woas ma ned.
Nichts Konkretes ist bekannt. Jetzt läuft der Haushalt
aber. Der EKF ist mit ungefähr 3 Milliarden Euro betitelt, die Einnahmen stammen ausschließlich aus dem
CO2-Zertifikatehandel. Sie wissen, wo der Preis für ein
CO2-Zertifikat liegt: weit unter 4 Euro. Von Ihnen ist gesagt worden: Im Durchschnitt müsste im Jahr 2013 ein
Preis von 10 Euro erzielt werden, um diese Ausgaben
auch mit Einnahmen zu unterfüttern. Auf eine schriftliche Anfrage meinerseits haben Sie mir einmal mitgeteilt,
das sei kein Problem; dazu gebe es Liquiditätsdarlehen
aus dem Haushalt.
Ich würde gerne von Ihnen ganz konkret wissen, wie
Sie die wegbrechenden Einnahmen beim EKF kompensieren wollen; denn das ist ja nichts, was man auf die
lange Bank schieben kann. Da geht es um ganz konkrete
Programme wie zum Beispiel Marktanreizprogramme
und andere Dinge, die in diesem Haushalt finanziert
werden und für die die Mittel über die KfW und andere
Institute ausgereicht werden sollen. Die Programme laufen ja. Das kann man nicht auf die lange Bank schieben.
Frau Kollegin Kofler, wir schieben nichts auf die
lange Bank; vielmehr sprechen wir, da wir bereits seit einiger Zeit mit einem dramatischen Preisverfall konfrontiert sind, nicht nur mit dem Finanzministerium, sondern
auch mit anderen Ressorts darüber, wie wir mit dem
EKF umgehen. Ich kann Ihnen aber zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen, welches Programm es wo und wie
trifft. Wir versuchen, mit einem möglichst breiten Angebot zum Fördern von Erneuerbaren, Energieeffizienz
und von entsprechenden Investitionen unsere Förderzusagen trotz schwieriger Lage beim EKF einhalten zu
können. Ich kann Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nichts Neues sagen.
Herr Krischer.
Frau Staatssekretärin, ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Regierung des Energiewendelandes
Deutschland in der wichtigen Frage des Emissionshandels keine Position hat und damit auch in Brüssel keinen
Beitrag zur Lösung des Problems liefern kann. Das ist
schlimm. Aber das muss ich so zur Kenntnis nehmen.
Es gibt in Brüssel in Bezug auf die Erneuerbaren noch
eine weitere Debatte, und zwar über ein Ziel 2030. Ich
habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass zum
Beispiel der BDEW, der ja nicht grünen- oder umweltverbandverdächtig ist, die Einführung eines solchen
Ziels für die Erneuerbaren auf europäischer Ebene unterstützt. Die Bundeskanzlerin hat sich in der Vergangenheit sehr für das Ziel 2020 starkgemacht. Meine Frage an
Sie ist: Wird die Bundesregierung bezüglich der Erneuerbaren ein Ziel 2030 auf europäischer Ebene unterstützen, ja oder nein?
Herr Kollege Krischer, zunächst haben wir in
Deutschland ja Langfristziele bis zum Jahr 2050. Wir
können jetzt schon sagen, dass wir auch Zwischenziele,
wie das Ziel 2020, im Bereich der erneuerbaren Energien deutlich übererfüllen, dass wir also deutlich mehr
schaffen, als noch unter optimistischen Schätzungen angenommen worden ist.
Die Diskussion über ein Ziel nach 2020 hin zu 2030
geht durchaus mit Überlegungen konform, CO2-Reduktionsziele über 2020 hinaus deutlicher zu formulieren.
Auch hierzu gibt es Signale aus der Energiewirtschaft.
Es gibt hierzu keine Haltung. Wir sprechen allerdings,
wenn wir in Brüssel unterwegs sind, auch immer über einen solchen Kontext. Aber eine abgestimmte Haltung
gibt es dazu nicht.
Jetzt kommen wir zu Frage 19 der Kollegin Kofler:
Warum führt die Bundesregierung kein Klimaschutzgesetz
ein, wenn die Erkenntnis in der Bundesregierung besteht, dass
„zusätzliches Handeln“ notwendig ist, um das Klimaschutzziel von minus 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zu erreichen
({0})?
Frau Kollegin Kofler, die Bundesregierung steht zu
ihren anspruchsvollen Klimaschutzzielen und arbeitet
mit großem Nachdruck an deren Umsetzung. Leitbild
der deutschen Energiepolitik ist eine sichere, bezahlbare
und umweltverträgliche Energieversorgung. Das Ziel,
die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, ist ein Baustein für den
grundlegenden Umbau der deutschen Energieversorgung
in Richtung erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Die Bundesregierung stimmt derzeit den sogenannten
Projektionsbericht ab. Dieser enthält eine Schätzung
darüber, inwieweit das Ziel einer Minderung der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um 40 Prozent auf Basis der bisher beschlossenen Maßnahmen erreicht werden kann. Auf dieser Grundlage wird die
Bundesregierung gegebenenfalls mögliche zusätzliche
Klimaschutzmaßnahmen prüfen. Darüber hinaus hat die
Bundesregierung derzeit nicht die Absicht, ein Klimaschutzgesetz vorzulegen.
Frau Kofler, Sie haben eine Nachfrage.
Ich habe schon gedacht, meine erste Nachfrage müsse
nicht gewertet werden; denn die Frage war ja, warum es
kein Klimaschutzgesetz gibt. Aber es kam ja dann doch
noch etwas dazu.
Ich möchte noch einmal auf die Pressemitteilung von
Bundesminister Altmaier vom 15. Januar 2013 Bezug
nehmen, der ja auch sehr unkonkret bleibt, indem er
sagt: „Die weitere Entwicklung ist … kein Selbstläufer.“
Um minus 40 Prozent zu erreichen, ist zusätzliches Handeln erforderlich. „Hierzu müssen alle Sektoren einen
fairen Beitrag leisten.“
Habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass das wieder einmal ins Blaue gesprochen war und sehr, sehr
wolkig ist? Oder gibt es hierzu konkretere Pläne der
Bundesregierung? Um welche Sektoren geht es? Welche
konkreten Handlungsmaßnahmen schweben Ihnen vor,
um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen, wenn Sie gleichzeitig sagen: Wir brauchen kein Klimaschutzgesetz?
Frau Kollegin, zunächst einmal: Die aktuellen Zahlen
für Deutschland, die Inventardaten für 2011, liegen vor,
und wir haben sie nach Brüssel geschickt. Es ist deutlich
geworden, dass wir, was den Zeitraum zwischen 2008
und 2012 betrifft, deutlich über dem liegen, was wir uns
vorgenommen haben; 21 Prozent waren unser Ziel, und
wir haben bereits 27 Prozent erreicht.
Gleichwohl bleibt die Aussage des Ministers, dass in
Zukunft weitere Maßnahmen erforderlich sind, richtig.
Diese Maßnahmen bestimmt aber nicht das Bundesumweltministerium allein. Vielmehr müssen auch andere
Sektoren Beiträge leisten. Wir befinden uns derzeit in
der Abstimmung mit den anderen Häusern, um über weitere Maßnahmen zu beraten.
Am Beispiel des Bereichs Flugverkehr, der ja heftig
umkämpft ist - das haben Sie alle verfolgt -, sieht man,
dass die Dinge nicht ganz so einfach sind. Wir wissen,
dass alle einen Beitrag leisten müssen, und werden weiterhin an der Erreichung des 40-Prozent-Ziels arbeiten.
Aber noch einmal: Ob Emissionshandel, Effizienz oder
Verkehr - die Palette ist groß. Wir werden prüfen, wo
welche Maßnahmen erforderlich sind, und die Ergebnisse in dem Bericht, der erstellt wird, zusammenfassen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage, Frau Kofler?
Ja. - Vielleicht versuche ich es noch einmal mit meiner ersten Nachfrage. Der Minister hat in der Presse
Dinge angekündigt und ganz konkret gesagt - da hat er
ja recht -: Es ist dringend zusätzliches Handeln erforderlich. - Vor diesem Hintergrund wäre es schön, wenn Sie
mir ein, zwei konkrete Beispiele nennen könnten, auf
welche Sektoren als besonders wünschenswert sich das
Bundesumweltministerium bezieht. Mit welchen Fragen
gehen Sie in die Verhandlungen mit den anderen Ministerien? Dass es eine Abstimmung geben muss, habe ich
schon verstanden. Aber mit welchen konkreten Anliegen
geht das Bundesumweltministerium in solche Verhandlungen?
Das Wünschenswerteste wäre gewesen, wir hätten im
Bundesrat eine Einigung im Hinblick auf die energetische Gebäudesanierung hinbekommen. Denn im Gebäudesektor ist am meisten zu holen, und dort sind am leichtesten Effizienzgewinne zu erzielen. Da haben Sie sich
aber verweigert, und wir haben kein Ergebnis erzielt.
Daher muss der Bund selber Geld in die Hand nehmen.
Das tut er auch. Wir finden nämlich, dass das Erreichen
der Effizienzziele im Gebäudebereich wichtig ist. Sie
haben sich allerdings verweigert. Auch Sie hätten einen
Beitrag dazu leisten können, dass wir die Effizienzziele
schneller erreichen. - Sie schütteln den Kopf; aber es ist
so.
({0})
Herr Schwabe, bitte.
Frau Staatssekretärin, Tatsache ist nun einmal, dass
Sie die Bundesregierung stellen. Sie können dieses Mandat ja abgeben; aber Sie sind doch aufgefordert, zu handeln. Am 22. September dieses Jahres - so ist zu lesen findet die nächste Bundestagswahl statt. Aber Sie wissen
jetzt noch nicht, was Sie eigentlich machen wollen, um
das 40-Prozent-Ziel zu erreichen. Wie stellen Sie sich
das eigentlich vor? Wann entwickeln Sie eine Idee?
Wann gehen Sie damit in die Ressortabstimmung? Wollen Sie uns ernsthaft erzählen, dass von Ihnen bis zum
Ende dieser Legislaturperiode noch irgendetwas vorgelegt werden wird?
Ich möchte gerne wissen, ob Sie das 40-Prozent-Ziel
überhaupt für erreichbar halten. Der Emissionshandel
und andere Maßnahmen funktionieren ja gewissermaßen
wie kommunizierende Röhren. Daher die Frage: Ist ein
Ziel von 40 Prozent überhaupt erreichbar, wenn man
nicht auf europäischer Ebene ein 30-Prozent-Ziel formuliert, damit beim Emissionshandel entsprechende Anforderungen gelten?
Wir werben, auch auf europäischer Ebene, für ein anspruchsvolleres Ziel, Herr Kollege Schwabe. Darüber
habe ich im Ausschuss und auch hier oft berichtet.
({0})
Ich habe deutlich gemacht, dass wir beim Emissionshandel, bei der Energieeffizienz und in anderen Sektoren
zusätzliche Maßnahmen ergreifen sollten. Ich habe auch
deutlich gemacht, dass im Gebäudebereich die meisten
Effizienzgewinne möglich wären. Ich wiederhole:
40 Prozent sind ambitioniert, aber sicherlich machbar.
Herr Kelber.
Halten wir noch einmal kurz die Fakten fest: Erstens.
Ein auch aus Regierungsberatern bestehendes Gremium
hat festgestellt, dass wir zwar aktuell gute Werte beim
Klimaschutz haben, aber das selbst gesteckte Ziel für
2020 mit den bisher beschlossenen Maßnahmen nicht erreichen werden.
Zweitens. Seit diesem Bericht gab es bei einigen dieser Maßnahmen sogar Verschlechterungen: beim Emissionshandel und bei der Einbeziehung des Luftverkehrs,
die jetzt ausgesetzt ist. Jetzt schlägt der Umweltminister
vor, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu deckeln.
Deswegen habe ich eine ganz einfache Frage - ich
frage nicht danach, welche Maßnahmen Sie ergreifen -:
Wird die Bundesregierung dem Parlament noch in dieser
Legislaturperiode Maßnahmen zur Schließung dieser
Klimaschutzlücke vorschlagen und zur Abstimmung
stellen, oder wird sie es unterlassen?
Herr Kollege Kelber, Ihre Reihe von Behauptungen,
die Sie in eine Frage zu packen belieben, müsste man
jetzt einzeln widerlegen. Das kann ich an dieser Stelle
wirklich lassen.
({0})
Der Minister hat einen Vorschlag zu einem kostengünstigeren Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht;
aber er steht hinter dem Ziel, konsequent auf erneuerbare
Energien zu setzen.
Es ist so, dass wir bis zum Jahr 2022 die Kernenergie
ersetzen müssen, möglichst durch erneuerbare Energien
und nicht durch Energie aus fossilen Quellen. Die Gewinnung von Energie aus fossilen Quellen - es sind
Kohlekraftwerke zugeschaltet worden - erleichtert das
Einhalten von Klimaschutzzielen nicht gerade. Deswegen muss der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter
forciert werden; aber er muss kostengünstig gestaltet
werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist natürlich
ein ganz wesentliches Instrument einmal für mehr Klimaschutz, aber auch für die Reduktion der CO2-Emissionen.
Ich möchte Ihnen noch einmal ans Herz legen, nicht
von Deckelung zu sprechen, sondern von einem wirtschaftsorientierten und verbraucherverträglichen Ausbau.
({1})
Herr Ott, bitte.
Ich schließe an die Frage des Kollegen Kelber an wenn der Kollege Kelber mich lässt.
({0})
- Ja, man darf sich aufregen.
Frau Staatssekretärin, wir haben die Bestätigung
durch Fachleute, dass mit den bestehenden Maßnahmen
das Klimaschutzziel - die Senkung der CO2-Emissionen
um 40 Prozent bis 2020 - nicht zu erreichen ist. Gleichzeitig hat Minister Altmaier eine Deckelung des Ausbaus der erneuerbaren Energien angekündigt. Ihr Ausbau
hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir unsere
Emissionen überhaupt so weit haben senken können.
Insoweit noch einmal die Frage im Anschluss an den
Kollegen Kelber: Wenn es nicht die erneuerbaren Energien sind, die die Senkung der Emissionen um 40 Prozent ermöglichen sollen, welche können es dann sein,
auf welchen Gebieten? Gibt es innerhalb Ihres Hauses
Vorstellungen dazu, oder wollen Sie die Entwicklung
einfach laufen lassen?
Erstens. Die erneuerbaren Energien haben einen Beitrag dazu geleistet, unsere Klimaschutzziele zu erreichen, und werden das auch in Zukunft tun; ich habe eben
nichts anderes gesagt und möchte da von Ihnen wirklich
nicht missverstanden werden.
Zweitens. Was sind weitere Instrumente? Unter anderem das Marktanreizprogramm, das ausfinanziert ist,
oder auch die Initiative „Kommunaler Klimaschutz“, bei
der es darum geht, die Kommunen zu ertüchtigen, energieeffizienter zu werden, sei es hinsichtlich der Mobilität, sei es hinsichtlich der Beleuchtung, sei es hinsichtlich der Ausgestaltung kommunaler Gebäude. Diese
Regierung hat die Mittelstandsinitiative auf den Weg gebracht und sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet,
um mittelständischen Unternehmen durch Beratung und
Zuschüsse dabei behilflich zu sein, energieeffizienter zu
werden. Wir haben im Bereich Rohstoffsicherung erstmals eine Rohstoffstrategie vorgelegt. Wir haben eine
Stromsparinitiative auf den Weg gebracht, die sich an
private Verbraucher richtet. Das Maßnahmenpaket ist
breit.
Die permanenten Versuche der Opposition, der Regierung Nichthandeln zu unterstellen, lassen sich durch dieses wahre Kompendium von Maßnahmen sehr leicht widerlegen.
Gesagt werden muss aber auch: Das Ziel einer Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 ist
ambitioniert und gestaltet sich momentan kompliziert,
weil Kohlekraftwerke am Netz sind. Es wird auch darauf
ankommen, dass die Kohlekraftwerksbetreiber neu investieren. Das ist momentan - das muss man auch erwähnen - aufgrund der angespannten Marktsituation
kompliziert. Deshalb müssen und werden die erneuerbaren Energien auch in Zukunft diejenigen sein, die am klimafreundlichsten Energie liefern können - aber zu
marktfähigen Preisen.
Damit sind wir bei Frage 20 der Kollegin Bärbel
Kofler:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung beispielsweise
des Umweltbundesamtes über die Existenz von klima- und
umweltschädlichen Subventionen, und, wenn ja, welche Maßnahmen will sie ergreifen, um diese abzubauen?
Frau Kollegin Kofler, die Subventionspolitik der
Bundesregierung orientiert sich, wie im 23. Subventionsbericht, Seite 9, ausgeführt, an wachstums-, verteilungs-, wettbewerbs- und umweltpolitischen Wirkungen.
Die Bundesregierung setzt in diesem Rahmen auch in
Zukunft ihre bisherige Politik fort, den Abbau umweltschädlicher Subventionen national und international
fortzuführen.
Der angesprochene Bericht des Umweltbundesamtes
legt den Fokus auf Umweltaspekte. Aspekte dieses Berichtes wurden beispielsweise bei der Erstellung des
23. Subventionsberichtes der Bundesregierung diskutiert
und werden auch bei der Erstellung des 24. Subventionsberichtes berücksichtigt werden.
Frau Kofler, Sie haben eine Nachfrage.
Ich gebe einfach die Hoffnung nicht auf, dass man
auch einmal eine konkrete Antwort bekommt.
Ich frage noch einmal nach: Welche Maßnahmen erachtet das Bundesumweltministerium denn für sinnvoll,
und für welche Maßnahmen wird es sich auch bei Kabinettsabstimmungen - mit dem Finanzminister und anderen - einsetzen, wenn es um den Abbau von klima- und
umweltschädlichen Subventionen geht? Was erachten
Sie als Bundesumweltministerium konkret für sinnvoll?
Wofür werden Sie kämpfen? Das UBA spricht ja von einer erklecklichen Summe in Höhe von 48 Milliarden
Euro, und wir reden ja zu Recht immer über Kosten,
über Steuerzahler usw.
Konkret: Welche Maßnahmen aus diesem ganzen
Bündel an Maßnahmen, die das UBA vorschlägt, wollen
Sie angehen?
Frau Kollegin, wenn Sie sich einmal den Bericht anschauen, dann finden Sie dort eine ganze Menge an Finanzbeihilfen des Bundes, unter anderem zur Nutzung
erneuerbarer Energien, zur Förderung von Investitionen
mit Demonstrationscharakter zur Verminderung von
Umweltbelastungen und auch - das zählt auch darunter Zuschüsse für den Absatz der Steinkohle, wobei wir hier
ja einen Ausstieg beschlossen haben. Erwähnt werden
weiterhin unter anderem der Spitzenausgleich und auch
Maßnahmen nach dem Energiesteuergesetz.
Wir werben dafür, dass zum Beispiel die Aufwendungen für erneuerbare Energien, die als Subventionen gelten, auf jeden Fall erhalten bleiben. Als Subvention wird
in dem Bericht nämlich unter anderem unsere Förderung
der Erforschung der erneuerbaren Energien erwähnt. Wir
finden, dass das eine sinnvolle Subvention ist.
Insofern möchte ich jetzt keine Negativliste aufmachen, sondern das erwähnen, was für uns positiv im Bericht steht und für dessen Erhalt wir uns weiter einsetzen
werden.
Frau Kofler, Sie haben keine weitere Nachfrage. Herr Schwabe, bitte.
Frau Staatssekretärin, es ist schön, dass Sie noch einmal aufgezählt haben, wofür Sie sich alles einsetzen, damit es bleibt. Die Frage lautete aber genau andersherum.
Das Umweltbundesamt sieht Möglichkeiten, Subventionen, die klima- und umweltschädlich sind, in einem
ziemlichen Umfang abzubauen; die Kollegin Kofler hat
das erwähnt.
Die Frage ist: Gibt es in diesem Katalog, den Sie ja
vielleicht kennen, irgendeine Maßnahme, zu der Sie sagen: Mensch, das stimmt, hier könnte man etwas machen, das ist wirklich unsinnig; hier könnten wir Geld
einsparen und etwas Gutes für Klima und Umwelt tun? Hat das Bundesumweltministerium hier irgendeine Idee?
Ich kann Ihnen vielleicht einmal mit einer Idee helfen: Es geht um die Dienstwagenbesteuerung. Die Anschaffung von großen Autos wird auch noch in vielfältiger Art und Weise steuerlich gefördert. Halten Sie das
für vernünftig, oder glauben Sie, dass man dort durchaus
zu Änderungen kommen könnte?
Herr Kollege Schwabe, nicht jeden Bericht und jeden
Einzelpunkt des Berichts des Umweltbundesamtes müssen und werden wir in der Öffentlichkeit kommentieren.
Das ist eine wichtige Handreichung und eine wichtige
Information. Wir werden uns aber nicht alles zu eigen
machen.
Ich werde jetzt weder sagen, was wir uns nicht zu eigen machen, noch, was wir uns besonders zu eigen machen. Ich habe Ihnen gesagt, dass im Subventionsbericht
Punkte auftauchen, die als Subvention bezeichnet werden, während wir sie als Förderung der erneuerbaren
Energien ansehen und aufrechterhalten wollen. Eine einzelne Kommentierung der Vorschläge, die es hier gibt,
werde ich an dieser Stelle nicht abgeben.
Frau Behm.
Es ist in Ordnung, dass Sie die Vorschläge nicht kommentieren wollen, aber vielleicht haben Sie eigene Vorstellungen. Die Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit stark dafür eingesetzt, dass aus Gründen des
Klimaschutzes zunehmend ökologische Bau- und
Dämmstoffe verwendet werden. Es hat für ökologische
Dämmstoffe ein Marktanreizprogramm gegeben. In dieses Programm sind erhebliche Mittel geflossen. Aber
aufgrund der Subventionierung konventioneller fossiler
Dämmstoffe sind die ökologischen Dämmstoffe noch
immer nicht wettbewerbsfähig und können aufgrund der
Preisdifferenz nicht in dem Maße zur Anwendung kommen, wie es wünschenswert wäre.
Ich frage Sie für die Bundesregierung, welche Vorstellung Sie haben, um die Wettbewerbsfähigkeit durch
den Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen,
sprich Energiesubventionen, zum Beispiel für die Erzeugung von Steinwolle- oder Styropor-Dämmstoffen, herbeizuführen.
Frau Kollegin Behm, Ihre Frage bezieht sich, denke
ich, auf das Forschungs- oder auf das Bauressort. Ich
kann dazu momentan nichts sagen, weil mir nicht bekannt ist, dass wir uns im BMU um Bau- und Dämmstoffe kümmern. Die Antwort auf Ihre Frage müsste ich
Ihnen nachreichen.
Noch einmal: Sowohl der Subventionsbericht als
auch der Bericht des Umweltbundesamtes halten viele
bedenkenswerte Hinweise bereit.
({0})
Trotzdem wird es nicht über alle Punkte eine Einigung
geben.
Zu den Dämmstoffen muss ich Ihnen die Informationen aus dem betreffenden Haus nachliefern.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 21
des Kollegen René Röspel wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung. Die
Frage 22 des Kollegen Niema Movassat wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zu Frage 23 des Abgeordneten
Dr. Sascha Raabe:
Aufgrund welcher Kriterien und wessen Empfehlungen
bzw. welcher öffentlichen Ausschreibung erfolgte die Entscheidung der Leitung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zugunsten der
Stiftung Partnerschaft mit Afrika e. V. für die Umsetzung der
BMZ-Afrika-Initiative, und aus welchen Personen und Institutionen setzt sich die Initiative zusammen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Raabe,
Ihre mehrteilige Frage beantworte ich Ihnen wie folgt:
Für die Afrika-Initiative des BMZ hat der Verein gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung,
bpb, Ende 2010 ein Konzept entwickelt, um neues zivilgesellschaftliches Engagement zu generieren. Hierfür
haben Verein und bpb einen Zuwendungsantrag gestellt.
Im September 2011 nahm die Leitung des BMZ das
Konzept an.
Wir haben mitgeteilt: Da der Antrag gemeinsam von
der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Verein als den Autoren mit der Bitte um Zuwendung eingereicht wurde, kommt hier nicht das Vergaberecht zur Anwendung, sondern das Zuwendungsrecht.
Herr Raabe, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
In der Tat gab es bei Ausschreibungen des Ministeriums bei anderen Personalentscheidungen Auseinandersetzungen, was das Thema Vetternwirtschaft angeht. Darum ging es mir nicht in der Frage, Frau Staatssekretärin.
Auch wenn es ein Zuwendungsverfahren ist: Wie sind
Sie ausgerechnet auf diesen Verein gekommen, der bis
dahin in der Szene relativ unbekannt gewesen ist? Es ist
doch sehr fraglich, ob er über die notwendigen Strukturen verfügt. Sie hatten gesagt, dass das ein Konzept gewesen sei, das mit der Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt wurde.
Wie bewerten Sie den Umstand, Frau Staatssekretärin, dass die KfW und die GIZ, denen man dieses Konzept angetragen hatte, gesagt haben, dass die Nachhaltigkeit des Vorhabens sehr begrenzt sei? Das Gesamturteil
dazu lautete:
Insgesamt wird empfohlen, von einer Förderung
dieses Vorschlags mit den Mitteln der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit abzusehen.
Herr Kollege Raabe, ich will zunächst einmal ausdrücklich Ihre eben gemachte Aussage von mir weisen,
bei Personalentscheidungen sei Vetternwirtschaft im
Spiel. Wir kennen dieses Thema leider, auch die Debatte
hierzu im Plenum. Aber ich will diesen Vorwurf ausdrücklich zurückweisen und sagen: Wir haben Personal
nach Recht und Gesetz und vor allen Dingen nach Befähigung ausgewählt. Das dürfte überhaupt keine Frage
sein.
Jetzt zu dem Verein. Ich teile Ihre Einschätzung überhaupt nicht. Es ist ein junger Verein; das ist richtig. Dieser junge Verein - ich muss Ihnen einmal kurz die Historie erläutern - setzt sich zusammen aus einer Initiative,
die auf dem Stipendiatenprogrmm Go Africa … Go Germany … beruht. Der Verein wurde im Jahre 2009 auf
Anraten des damaligen Staatssekretärs im BMZ, Herrn
Stather, zur Durchführung des deutsch-afrikanischen Stipendiatenprogramms gegründet. Das war die Grundlage.
Das ist also ein Verein, der über hervorragende Erfahrungen verfügt und lange tätig war. Ich möchte Sie daran
erinnern, dass dieser Stipendiatenaustausch auch Teil der
Partnership with Africa war unter der Schirmherrschaft
von Altbundespräsident Köhler, der auch jetzt immer
noch in internationalen Gremien für Afrika aktiv ist.
Der Verein Go Africa … Go Germany … hat am
8. Dezember 2009 seine Anmeldung beim Amtsgericht
Potsdam eingereicht. Am 22. September 2010 erfolgte
die Eintragung im Vereinsregister beim Amtsgericht
Potsdam. Am 5. Mai gab es bei der Durchführung des
deutsch-afrikanischen Stipendiatenprogramms einen
Kooperationsvertrag mit der Bundeszentrale für politische Bildung. 2011 war dieses Teil der Zukunftsinitiative des Afrika-Konzepts, das das Kabinett verabschiedet hat.
Dann hat sich der Verein entschieden, eine Namensänderung vorzunehmen. Er hieß dann nicht mehr Go
Africa … Go Germany …, sondern Stiftung Partnerschaft mit Afrika e. V. Die Zielsetzung, um die es dem
Verein ging, wurde mit diesem Namen klarer. Klarer
wurde auch die Anlehnung an die Initiative des von mir
eben erwähnten Altbundespräsidenten Köhler.
Herr Raabe hat das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich möchte niemandem, der
sich für Afrika engagiert, seinen guten Willen absprechen, bestimmt auch nicht den Initiatoren dieser Initiative. Weil man hier von 8 Millionen Euro Steuergeldern
spricht, die aufgebracht werden müssen und die natürlich vor Ort in Afrika eingesetzt werden könnten, muss
man sich natürlich auch fragen, ob der Aufwand den Ertrag rechtfertigt und welches die Zielsetzung des Ganzen
ist. Es gab im Jahre 2011 schon einmal den Versuch vonseiten des Ministers, mit Steuergeldern in Millionenhöhe
eine Mittelstandsoffensive zu starten. Dazu hieß es in
einem Schreiben an die Durchführungsorganisation:
Hauptsache, der politische Ertrag für Niebel und Rösler
ist hoch; das rechtfertigt bereits alle Mittel.
Wenn Sie das Konzept, das den Menschen in Afrika
hilft, ernst meinen, dann frage ich Sie, wie Sie zu der
Aussage von Experten des Auswärtigen Amtes stehen,
die laut einer Spiegel-Meldung sagen, dass sie vor Ort
überhaupt nicht eingebunden worden seien.
Wir praktizieren genau das, was wir ansonsten in
Sachen „Guter Regierungsführung“ bei anderen
kritisieren.
So schimpft ein hochrangiger Diplomat. Da scheint es
doch eher auf die Werbewirksamkeit kurz vor dem
Wahlkampf in Deutschland anzukommen als darauf, tatsächlich den Menschen in Afrika zu helfen, wenn ich das
Zitat der Botschafter ernst nehme.
Ich hoffe, Herr Kollege Raabe, ich kann Sie davon
überzeugen, meinen Aussagen Glauben zu schenken und
nicht einem Zeitungsartikel. Insofern möchte ich Ihnen
zunächst Folgendes sagen:
Sie sprachen eben mit Selbstverständlichkeit von einem Mitteleinsatz in Höhe von 8 Millionen Euro. Diese
Zuwendung von 8 Millionen Euro entbehrt jeder Grundlage; dies ist nicht der Fall. Der Verein hat das Geld auch
nicht bekommen. Wir haben den Artikel natürlich auch
gelesen und haben uns überlegt, wie man zu einer solchen Äußerung kommt. Wir können uns dies nur dadurch erklären, dass es sich um eine Verwechslung handelt. Aber noch einmal: Dieser von mir eben genannte
hochgeschätzte Verein hat keine 8 Millionen Euro bekommen.
Jetzt zu dem gesamten Ansatz. Für die wirtschaftliche
Zusammenarbeit und die Entwicklungszusammenarbeit
gilt: Das Verständnis für Menschen in Entwicklungsländern auch mit Rückwirkung aus Deutschland muss man
in aller Breite schaffen, also in die Mitte der Gesellschaft
holen. Das ist unser Ansatz. Mit einer solchen AfrikaInitiative, übrigens auf drei Jahre angelegt, die sich zurzeit in einer Pilotphase befindet, die bis Ende März läuft
- dann werden wir mehr darüber sagen können -, wird
ein Graswurzelansatz verfolgt, mit dem Partnerschaftlichkeit zwischen Afrika und Deutschland gepflegt werden soll. Das ist das Neue daran, nämlich über Schulen,
Hochschulen und Vereine einen deutsch-afrikanischen
Peer-to-Peer-Ansatz zu verfolgen.
Das klare Ziel ist nicht, viel Geld auszugeben, sondern mit so wenig Geld wie möglich die größtmögliche
Wirkung zu erzeugen. Die Verständigung Afrikas mit
Deutschland und der Zivilgesellschaft in Deutschland ist
das Ansinnen.
Frau Hänsel hat eine Nachfrage.
Danke schön. - Ich würde gerne nachhaken, Frau
Staatssekretärin: Wie hoch ist der Etat für die Afrika-Initiative? Denn Sie haben gesagt, die Zahlen stimmten
nicht.
Ich möchte auch wissen, welche Partner in den Ländern Afrikas konkret in die Entwicklung der Afrika-Initiative eingebunden waren. Welche Graswurzelinitiativen aus welchen Ländern haben Sie im Vorfeld der
Planung des Afrika-Tages konkret beteiligt?
Zunächst zu dem Finanzvolumen der gesamten Initiative: Dabei geht es um einen Ansatz von etwa 1,6 Millionen Euro. Der Verein bekommt 1,1 Millionen Euro, von
denen auch Personal bezahlt wird.
Zu der Frage, wie viele Länder wir einbinden: Wir
sind in der Pilotphase, beim Aufbau dieses Projektes, das
übrigens bei uns im Haus aufgebaut und uns als Leitung
2011 vorgelegt wurde. Es ist ein sehr innovativer Ansatz,
bei dem wir mit so wenig Geld wie möglich entsprechende Strukturen aufbauen. Natürlich - das ist gar
keine Frage - muss auch eine Rechnungslegung stattfinden. Wir haben Partnerländer in Afrika, die bei dieser
Initiative mitmachen.
Ich habe eben schon die Schulen angesprochen. Es
gibt etliche, die schon mitmachen. Wir haben in den wenigen Monaten, seit die Pilotphase läuft, schon etwa
1 400 Menschen erreicht. An verschiedenen Symposien
und Veranstaltungen haben 700 Personen teilgenommen.
Ich finde, das kann sich sehen lassen.
Noch einmal: Die Konzeption läuft. Selbstverständlich bilden wir Partnerschaften und binden afrikanische
Länder mit ein, die sich dieser Initiative anschließen
möchten. Genau darauf zielt das Vorhaben auch: Wir
wollen keine deutsche Initiative, sondern eine deutschafrikanische.
({0})
Jetzt hat Frau Roth das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich glaube, es gibt niemanden
im Saal, der eine Afrika-Initiative nicht unterstützen
würde, die zum Ausdruck bringt, dass man die Verständigung zwischen Afrika und Europa - nicht nur
Deutschland - für gut hält. Die spannende Frage ist: In
welcher Weise, mit welchen Mitteln und welcher Wirkung geschieht das? Die Wirksamkeit ist schließlich immer das große Thema des Ministeriums.
Richtig.
Insofern haben wir das Recht, genauer nachzufragen.
Wenn Sie sagen, die 8 Millionen Euro seien nicht
richtig, es seien nur 1,1 Millionen Euro, dann ist die
Frage, ob das jährlich, über die drei Jahre oder für das
gesamte Projekt gilt. Oder sind es 1,6 Millionen Euro für
die Organisationen in Afrika? Wir hätten es gerne ein
bisschen genauer, auch hinsichtlich der Wirksamkeitsüberprüfung. Denn wenn man keine Ziele setzt, hat man
am Ende auch keine Wirksamkeit nachzuweisen.
Die Frage ist also: Was wollen Sie in Afrika und auch
in Deutschland erreichen? Dabei bringt auch die Bundeszentrale für politische Bildung finanzielle Beiträge
ein. Die Frage ist also vor allen Dingen auch: Was bringt
sie an Beiträgen ein, um von Synergieeffekten reden zu
können? Wir hätten doch gerne ein bisschen mehr gewusst. Ich kann Kollegin Hänsel gut verstehen und
möchte an ihre Fragen anknüpfen: Welche Länder in
Afrika haben Sie als Schwerpunkt ausgewählt? Welche
Organisationen in Deutschland außer dieser Durchführungsorganisation sind mit angesprochen?
Frau Roth, ich muss mich korrigieren, glaube ich. Ich
habe eben etwas durcheinandergebracht. Bitte streichen
Sie die 1,6 Millionen Euro aus Ihrem Gedächtnis. Es hat
einen Zuwendungsbescheid an die Stiftung mit einem
Volumen von 1,148 Millionen Euro gegeben - es ist
noch mehr, aber auf die anderen Stellen möchte ich jetzt
nicht näher eingehen -, und zwar für den Zeitraum von
September 2012 bis März 2013. Das ist genau die Pilotphase, in der wir uns jetzt befinden. Alle weiteren
Schritte und alle weiteren Finanzaufwendungen werden
erst danach feststehen. Wir sind jetzt in der Aufbauphase. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich die Zahlen
durcheinandergebracht habe.
Noch einmal zu der Afrika-Initiative. Ich finde es sehr
gut, dass Sie selber bestätigt haben, wie wertvoll ein solcher Austausch und auch eine solche Initiative sind. Wir
haben oft im AwZ über die Förderung des Austausches
von Stipendiaten debattiert, um Kulturen zueinanderzubringen und Grundlagen für gegenseitiges Verständnis
zu legen. Ursprünglich lief der Stipendiatenaustausch
über das BMI. Aber das BMI wollte nicht mehr fördern
und hat auf uns, das BMZ, verwiesen, weil dieser
Austausch in besonderer Weise entwicklungsrelevant ist.
Wir finden das hervorragend und möchten ihn gerne integrieren. Wie ich Ihnen eben sagte, ist das Teil dieser
Initiative bzw. dieses Vereins. Darauf wird sehr viel Wert
gelegt. Die Grundlagen dieses Austauschs sind schon
2007 vom damaligen Staatssekretär gelegt worden. Ich
finde, es handelt sich um eine hervorragende Initiative,
die es wert ist, weiterhin gefördert zu werden.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Raabe auf:
Welche Konsequenzen zieht der Bundesminister Dirk
Niebel aus dem offenbar negativen Ergebnis des Gutachtens
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
der Firma PricewaterhouseCoopers, das der Stiftung Partnerschaft mit Afrika e. V. eine ordnungsgemäße finanzielle
Abwicklung des 8-Millionen-Euro-Zuschusses für die Umsetzung der BMZ-Afrika-Initiative abspricht?
Herr Kollege Raabe, die Studie sieht Nachholbedarf
bei der kaufmännischen Ausstattung der Stiftung. Der
Grund des angesprochenen Nachholbedarfs war, dass es
sich bei der Stiftung um eine Ausgründung aus der
Bundeszentrale für politische Bildung handelt, mit dem
Ziel, das gemeinsame Stipendiatenprogramm der Bundeszentrale und des BMZ von zwei Partnern zu finanzieren. Dabei wurde im Rahmen eines Kooperationsvertrags der wirtschaftliche Teil in der Bundeszentrale
abgewickelt. Für das neue Programm musste dieser
kaufmännische Teil neu eingestellt werden, was in das
Gutachten noch nicht eingegangen ist. Die Bewertung in
dem von Ihnen genannten Gutachten stammt nicht aus
dem BMZ, sondern von außen. Es handelt sich nicht um
8 Millionen Euro. Inzwischen ist der Verein der Forderung nachgekommen und hat die Strukturen - Buchhaltungssystem, Controllingsystem und Organisationsstrukturen - nachgewiesen. Es gibt seit gestern Abend eine
zweite Studie, in der das genau dargelegt wird.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, Sie betonen immer wieder, dass
es sich nicht um 8 Millionen Euro handelt. Nun hatten
Sie sich auf Nachfrage meiner Kollegin Roth korrigiert
und eingeräumt, dass bis März 2013 1,148 Millionen
Euro nur für die Pilotphase aufgewendet werden.
Können Sie denn ausschließen, dass man über die geplanten drei Jahre, in denen die Aktionen stattfinden,
nicht doch in die Nähe von 8 Millionen Euro kommt?
Denn das tragen Sie immer als Gegenargument vor.
Setzen Sie das einmal in Relation zu dem Effekt, den
die deutsche Millenniumskampagne hatte, für die wir
nur einige Hunderttausend Euro Zuschuss pro Jahr gebraucht hatten und die eine super erfolgreiche Kampagne war, in der gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und
den Kommunen Verständnis für Afrika und die Millenniumsentwicklungsziele geweckt worden ist. Damals
hatten Sie gesagt - ich erinnere mich noch gut an den
Antrag, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, den wir
gestellt hatten -, das Geld werde gestrichen, weil die
Mittel in Höhe von einigen Hunderttausend Euro nicht
verfügbar seien.
Es passt nicht zusammen, wenn auf der einen Seite
ein paar Hunderttausend Euro, die nötig wären, um
Bewusstsein zu schaffen, abgelehnt werden, auf der anderen Seite aber auf einmal die Millionen sprudeln. Das
müssen Sie mir erklären.
Noch einmal: Da sprudeln keine Millionen. Ich wehre
mich dagegen, dass hier die Zahl von 8 Millionen Euro
in den Raum gestellt wird, die in einem Magazin zu
lesen war, die aber jeder Grundlage entbehrt und offenbar auf einer Verwechslung basiert. Es gibt jetzt im Haus
keine verlässliche Schätzung. Mir ist wichtig, das zu
betonen. Der eben von mir genannte Betrag für die
Pilotphase beläuft sich auf 1,1 Millionen Euro. Das ist
richtig.
Wir haben eine breite Palette von zivilen Akteuren,
von Kommunen und Ländern, die eigene Projekte haben,
welche in der Regel sehr wertvoll sind. Man muss immer
den Einzelfall betrachten. Eines aber dürfen Sie ganz sicher annehmen: Wir achten sehr genau auf den effizienten und effektiven Mitteleinsatz. Das sind wir uns selber
schuldig. Sie wissen selber, dass eine Konsolidierung
des gesamten Bundeshaushalts erfolgen muss. Kein Ressort erlaubt es sich, hier über die Stränge zu schlagen,
wir schon gar nicht.
Die Projekte sind so angelegt, dass sie die Bildung
voranbringen, und zwar in den afrikanischen Partnerländern und in Deutschland. Es geht darum, voneinander
zu lernen und mehr übereinander zu wissen. Ich glaube,
es handelt sich um eine hervorragende Initiative. Ein Stipendiatenaustausch prägt junge Menschen für ihr Leben.
Ich muss nicht länger ausführen, warum das eine gute
Grundlage für ein künftiges Wirken im Beruf, aber auch
im Privatbereich ist.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Herr Raabe? Bitte.
Frau Staatssekretärin, dass es sich hier nicht um
Peanuts handelt, sieht man daran, dass dieses Gutachten
von einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
erstellt worden ist. Es enthält nun einmal negative Bewertungen. Ich erinnere mich, dass in vergleichbaren
Fällen - es geht nicht um die gute Absicht - der Minister
gehandelt hat. Ich erinnere an den Global Fund. Wenn in
irgendeinem Prüfungsbericht negative Bewertungen waren, hat er erst einmal sofort die Auszahlung der Mittel
gestoppt. Im jetzigen Fall verwundert es schon, dass Sie
so lapidar von Kleinigkeiten sprechen. Wir wollen
diesen Bericht haben. Ich hoffe, dass Sie uns zusagen
können, uns den Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorzulegen. Dann werden wir sicherlich entsprechende Nachfragen haben.
Ansonsten drängt sich der Eindruck auf, dass für den
ersten deutschen Entwicklungstag, der in 16 Städten, unter anderem in Heidelberg, also im Wahlkreis des Ministers, geplant ist, viel Geld - kurz vor der Bundestagswahl - ausgegeben werden soll. Wir stellen schon die
Frage, ob das den Menschen in Afrika hilft oder ob das
nicht jetzt kurz vor der Bundestagswahl Wahlwerbung
ist. Um Afrika zu helfen, unterstützen wir gerne alle
Maßnahmen, aber wir unterstützen nicht, dass ausgerechnet einige Monate vor der Bundestagswahl mit
einem Millionenaufwand der Minister ins rechte Licht
gerückt werden soll.
Ich kann mich daran erinnern, Herr Kollege Raabe,
dass bei einer Frage vorhin auch danach gefragt wurde,
was so kurz vor der Wahl aufgetischt werde. Es kann
doch nicht sein, dass wir als BMZ oder als Bundesregierung gar nichts mehr machen und die Hände in den
Schoß legen, nur weil im September die Bundestagswahl
ist. Wir haben natürlich unsere Aufgaben zu erfüllen.
Das ist völlig klar. Den Wahlrhythmus lassen Sie bitte
außen vor.
Wir haben verschiedentlich bewiesen, dass es dem
BMZ um effiziente Strukturen geht, um gute Regierungsführung, die wir auch selber gezeigt haben, indem
wir die größte Strukturreform auf den Weg gebracht haben, die es je im BMZ gegeben hat. Ich möchte Sie nur
bitten, wirklich wertzuschätzen, was wir an dieser Stelle
geleistet haben.
Zu den beiden Studien. Die erste Studie, in Auftrag
gegeben von der GIZ, und die zweite, von der ich eben
gesprochen habe - in Auftrag gegeben vom BMZ -,
kosten 5 000 Euro. In der ersten Studie ist nicht berücksichtigt worden, dass sich der Verein gerade neu strukturiert hat und dass das, was im ersten Gutachten gefordert
wurde, nämlich der Aufbau von Finanzstrukturen, Organisationsstrukturen, Kontrollsystemen - ich habe das
eben genannt -, selbstverständlich vorgesehen war; nur
war es noch nicht auf dem Weg. Das ging in der Kürze
der Zeit nicht. Das Ganze steht jetzt. Es gibt jetzt ordnungsgemäße Strukturen, so wie es ohnehin vorgesehen
war, und das steht auch so in der zweiten Studie.
Ich hätte Ihnen diese Studien gerne bereits zugeleitet,
gar keine Frage; ich habe noch gestern Abend an das
renommierte Institut geschrieben und darum gebeten,
dass wir das weiterreichen dürfen, weil in einem Passus
dieses Gutachtens steht, dass wir, bevor wir es weitergeben, ausdrücklich um Erlaubnis bitten müssen. Die
Bitte ist bereits auf dem Weg. Sie bekommen die Unterlagen so schnell wie irgend möglich nach Genehmigung.
Frau Hänsel, bitte.
Frau Staatssekretärin, bei den enormen Geldern, die
Sie da einsetzen, drängt sich dieser Verdacht natürlich
schon auf; das möchte ich noch einmal sagen. Allein für
die Pilotphase sind es über 1 Million Euro. Aufgrund
von Etatkürzungen haben wir derzeit das Problem, dass
kleine Initiativen zu wenig Geld haben. Bei mir in Tübingen haben wir ein Jahr lang ein ASA-Austauschprogramm geplant. Da ging es um 4 000 Euro Flugkosten.
Weil entsprechende Mittel gestrichen wurden und eine
Gruppe aus Kolumbien jetzt nicht kommen kann, fällt
das Austauschprojekt flach - wegen 4 000 Euro! Sie geben in einer Pilotphase 1 Million Euro für eine sehr
zweifelhafte und sehr einseitige Kampagne aus. Dabei
drängt sich vielen der Verdacht auf: Es wird kein Entwicklungshilfetag, sondern eher ein „Niebel-Tag“ bundesweit organisiert, unter anderem in Herrn Niebels
Wahlkreis. Deshalb meine Nachfrage: Wo sehen Sie eigentlich den Wert der entwicklungspolitischen Bildung
in dieser Kampagne?
Seit Jahren kämpfen wir darum, dass die Mittel für
entwicklungspolitische Bildung erhöht werden. Bei der
letzten Etatberatung gab es darüber noch einmal Auseinandersetzungen. Seit Jahren kämpfen die Organisationen dafür, dass die Arbeit, die sie machen, ausgebaut
werden kann, Stichwort „Promotoren-Programm usw.“.
Dafür gibt es kein Geld. Aber für Ihre Initiative haben
Sie Millionen Euro.
Frau Kollegin Hänsel, ich bin ganz sicher, dass jeder
von uns noch jede Menge andere Projekte wüsste, die finanziert werden sollten. Zu den 4 000 Euro, die Sie eben
ansprachen: Da muss man genau hinschauen, was das
für ein Projekt ist. Egal ob es um 4 000 Euro oder um
eine höhere Summe geht: Man muss immer genau hinschauen, ob etwas sinnvoll ist oder nicht. Dies ist eine
hervorragende Projektinitiative zusammen mit der Stiftung Partnerschaft mit Afrika.
Ich versuche es noch einmal herauszuarbeiten: Es
geht darum, Verständnis für Entwicklungszusammenhänge zu schaffen, die Zivilgesellschaft plus Privatwirtschaft an Bord zu holen und das Thema „Entwicklungszusammenarbeit“ in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Sie alle zusammen und die staatlichen Gelder bilden das
Fundament für eine effiziente Entwicklungszusammenarbeit; denn der Staat kann nicht alles finanzieren. Das
geht eben nicht.
120 Milliarden US-Dollar an staatlichen Entwicklungsgeldern kommen im Jahr weltweit zusammen. Die
privaten Initiativen, einschließlich wirtschaftlicher
Initiativen, betragen mehr als das Zehnfache weltweit.
Da sieht man schon das enorme Potenzial. Das können
wir gar nicht mit Steuergeldern finanzieren. Also: Es
geht um eine Initiative, die effizient ist, die sich in der
Pilotphase befindet, an der es bereits viele Beteiligte
gibt. Schauen Sie sich an, was an Initiativen auf dem
Tisch liegt, wenn die Pilotphase beendet ist.
Noch einmal - ich meine, das ist immer ein Reflex -:
Stattfinden wird kein „Niebel-Tag“. Sie greifen sich die
Stadt Heidelberg heraus; die Zeit wird wohl nicht reichen, um nachher noch darauf einzugehen. Es sind
16 deutsche Städte eingebunden, die auch einen Entwicklungsbezug haben. Heidelberg - von dort kam der
Vorschlag, Heidelberg zu wählen - ist seit 20 Jahren jedes Jahr bei der Afrika-Entwicklungsinitiative dabei.
Wir haben eine lange Tradition der Kooperation mit
Afrika und viele andere Städte in Deutschland auch. Sie
bauschen das hier auf und sprechen von einer Niebel27032
Kampagne. Dieses Projekt mag Ihnen nicht gefallen;
aber das ist Ihr Problem.
Wir gehen mit diesem Entwicklungstag durch ganz
Deutschland - der Zentralpunkt ist Berlin -, nehmen
Kommunen, die Zivilgesellschaft, alle Akteure mit und
bauen ihnen eine Bühne. Sie können auf dieser Bühne
agieren, ihre Projekte präsentieren und Menschen für
Entwicklungszusammenarbeit gewinnen, damit wir mit
vielen Akteuren, in Afrika und in Deutschland, eine
wirklich effiziente Arbeit machen können.
Neu ist nicht nur, in Deutschland dafür zu werben,
sondern auch Partnerschaften, und zwar auch auf der zivilen Ebene, mit afrikanischen Schulen, mit Kindern direkt in Form von Patenschaften, zu gründen. Das ist eine
hervorragende Initiative, die helfen soll, mit dem geringstmöglichen finanziellen Aufwand weiterhin eine
qualitativ hochwertige Entwicklungspolitik betreiben zu
können.
Frau Roth.
Frau Kollegin Kopp, vielen Dank für die Zusage, dass
wir den Bericht über die finanzielle Lage dieses Vereins
bekommen. Ich finde, das ist wichtig. Dann bekommt
man nämlich Licht ins Dunkel, und zwar nicht nur im
Rahmen dieser parlamentarischen Nachfrage.
Ich habe noch weitere Fragen dazu: Ist es vielleicht
möglich, den Bericht über den Abschluss der ersten Studie, der Pilotphase, zumindest dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorzulegen? Könnten Sie vielleicht schon heute sagen, wie das
Verhältnis bei den Finanzen zwischen afrikanischen
Staaten mit afrikanischen Projektteilnehmern und
Deutschland ist? Wenn richtig ist, dass das 1,6 oder 1,4 Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
1,1 Millionen Euro in der Pilotphase.
- bzw. 1,1 Millionen Euro sind, dann wäre es wichtig,
zu wissen, was hier in Deutschland für diese Kooperation und Kommunikation ausgegeben wird, aber auch,
was in Afrika passiert. Wo kommt das Geld an? Wenn
Sie das heute sagen könnten, wäre es schön. Wenn nicht,
dann bekommen wir dies sicherlich nachgereicht.
Darüber hinaus hätten wir gerne noch eine Erklärung
zur Abschlussstudie; denn sie ist für die Beurteilung des
Projekts ziemlich wichtig.
Wir müssen unterscheiden: Ich habe gerade von zwei
Studien gesprochen und gesagt, dass ich die Genehmigung einholen werde, das weiterzureichen. Das geht
dann sehr schnell. Diese bekommen Sie selbstverständlich nach Genehmigung.
Das Zweite ist: Die Pilotphase für die Stiftung Partnerschaft mit Afrika wird im März bzw. April zu Ende
sein. Bis dahin wissen wir auch, welche Partner konkret
an Bord sind, mit welchem Aufwand, und wie sich die
gesamte Konzeption darstellt. Im Moment sind wir in
der Erprobungsphase; deswegen heißt es ja Pilotphase.
Selbstverständlich werden wir dann gerne im AwZ im
Detail darüber berichten, und zwar in inhaltlicher, finanzieller und struktureller Hinsicht - eigentlich, Frau Kollegin Roth, wie Sie es von uns gewohnt sind.
Damit sind wir bei der Frage 25 der Kollegin Roth:
Mit welchem finanziellen Umfang findet die Qualifizierung von Mitarbeitern in Textilfabriken in Bangladesch durch
die Firma Lidl mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit GmbH, GIZ, statt, und wie
sind dabei die Kosten zwischen der Firma Lidl und der GIZ
aufgeteilt?
Vielen Dank. - Frau Kollegin Roth, Sie sprechen ein
sehr wichtiges Thema an. Wir haben in letzter Zeit
schreckliche Dinge über Textilfabriken in Bangladesch
und Pakistan gelesen. Deshalb ist es wichtig, dort genau
hinzuschauen und für eine Verbesserung der Verhältnisse
vor Ort zu sorgen.
Der Bereich International Services der Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit wurde gegründet, um
Leistungen auch anderen Auftraggebern außer der Bundesregierung anbieten zu können. Alle Aufträge von
GIZ IS sind zu 100 Prozent durch die Auftraggeber
finanziert - dies finde ich sehr wichtig -, zum Beispiel in
Bangladesch durch die Lidl Stiftung & Co. KG.
Derzeit implementiert International Services zwei
Vorhaben für Lidl im bangladeschischen Textilsektor im
Umfang von 4,1 Millionen Euro. Ziele der Vorhaben
sind die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Textilarbeiterinnen; darum handelt es sich ja
meist. Es finden folgende Aktivitäten statt: Fortbildung,
Coaching von Repräsentanten der teilnehmenden Fabriken, Implementierung von Sozial- und Umweltstandards, Kampagnen zur Bewusstseinsbildung im Bereich
„Arbeitssicherheit und Gesundheit“ für die gesamte Belegschaft, Bereitstellung eines mobilen Gesundheitsdienstes, um Basisgesundheitsdienstleistungen während
der Arbeitszeit anzubieten, und Bonuszahlungen an die
Belegschaften ausgewählter Fabriken für die geleistete
Qualität. Ich füge hinzu: Es gibt auch Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Wie gründet man Gewerkschaften, also Arbeitnehmervertretungen, in diesen Betrieben?“.
Ich will kurz darauf hinweisen, dass gleich die Aktuelle Stunde beginnt, gebe aber Frau Roth noch die Gelegenheit zu einer Nachfrage.
Es ist schon einmal beruhigend, zu hören, dass die
Firma Lidl den Auftrag bezahlt und nicht wir das aus
Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit bezahlen
müssen; das finde ich ganz prima.
Die Frage ist: Gibt es noch andere Unternehmen - das
habe ich in meiner zweiten Frage dazu angesprochen -,
die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen? Es ist
ja nicht nur Lidl, Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Genau.
- sondern es ist ein großes Set von deutschen Unternehmen, die dort arbeiten lassen oder dort bestellen. Das
ist die eine Frage, die Sie gleich noch beantworten werden.
Wenn Unternehmen die Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, dann ist das gut so. Die andere Frage
aber ist: Wäre es nicht sehr viel effizienter, wenn wir von
unserer Seite aus die von Europa vorgeschlagene CSRStrategie verbindlich einführen würden? Dann hätten wir
sowohl auf der Ebene der Beratung - meiner Meinung
nach kann die GIZ IS das ganz prima - einen Push als
auch aufgrund der rechtlichen Lage in Europa mit der
Verbindlichkeit der CSR-Strategie. Wie schätzen Sie das
ein? Wird die Bundesregierung die CSR-Strategie unterstützen?
Die CSR-Strategie haben wir als BMZ schon seit längerer Zeit in unserem Portfolio, übrigens nicht nur in
diesem Bereich, sondern auch in anderen Bereichen,
etwa im Rohstoffbereich, wie Sie aus der Ausschussarbeit wissen. Auf der europäischen oder gar auf der internationalen Ebene einen Konsens herzustellen - Sie sagten ja, das solle verbindlich gemacht werden -, wird,
glaube ich - ich sage es einmal vorsichtig -, nicht
schnell machbar sein. Im Moment sehe ich dafür keine
Mehrheit.
Es stellt sich also die Frage: Was sollen wir machen?
Gar nichts machen und die Dinge weiter laufen lassen,
ist nicht unser Vorgehen; wir setzen auf die Freiwilligkeit. Wenn ein Unternehmen daran teilhaben möchte und
wenn wir es beraten sollen, dann machen wir das sehr
gerne. Frau Kollegin Roth, viele Unternehmen gehen bei
einer ausgelagerten Produktion ein Reputationsrisiko ein
- das ist ja auch der Hebel bei den CSR-Standards -:
Wenn es bei der Produktion in einem anderen Land eine
Katastrophe gibt, fallen sie negativ auf. Insofern ist es
von mehreren Aspekten her absolut richtig und wichtig,
die Unternehmen darin zu beraten, was sie besser machen können. Immerhin: Bis jetzt ist es gelungen, insgesamt 2 000 Unternehmen in verschiedenen Ländern
- Schwerpunkt: Bangladesch und Pakistan - in dieser
Richtung zu beraten.
Sie fragten nach weiteren Unternehmen. Die GIZ IS
ist noch von weiteren Textilunternehmen beauftragt. Ich
nannte eben schon die Lidl Stiftung. Des Weiteren ist zu
nennen die C&A Stiftung - ich könnte Ihnen auch die Volumina angeben -; Tesco und Walmart sind in Prüfung also international bekannte Unternehmen. Sie bezahlen
für die Beratung. Es gibt auch eine spezielle Beratung
- das ist ganz neu - zum Thema Brandschutz/Prävention.
Wie gesagt, es sind über 2 000 Unternehmen, die davon schon profitieren, und es sind die Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen, die davon profitieren. Ich glaube,
wenn man Produktwege nachvollziehen kann, ist das
insgesamt eine Win-win-Situation: gute Reputation für
die Unternehmen sowie gute und bessere Standards für
die Menschen vor Ort; die Verhältnisse sind häufig ja
zum Teil katastrophal.
Sie haben noch eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin Kopp, ich
glaube, das alles ist gut und richtig; aber Ihre Antwort
zur CSR-Strategie der Europäischen Union gefällt mir
gar nicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das die Vorschläge der Europäischen Union
nicht unterstützt und sie somit blockiert. Ich halte das für
schwierig. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union besteht ein Einverständnis darüber, eine
solche Strategie für alle europäischen Unternehmen einer bestimmten Größe verbindlich zu machen; nicht alle
kleinen und mittleren Unternehmen sind dabei an Bord.
Wir müssen zeigen, dass es um Menschenrechtsverletzungen geht. Diese zu verfolgen und dort mehr Verbindlichkeit herzustellen, ist aus meiner Sicht eine europäische Verpflichtung. Ich verstehe überhaupt nicht, dass
die Bundesregierung an dieser Stelle politisch blockiert
und es dadurch zu keinen verbindlichen Regelungen
kommt. Alles andere ist richtig; aber das ist unangemessen. Es ist Zeit, dass die europäischen Unternehmen, die
dort arbeiten lassen oder arbeiten, an europäischen und
internationalen Standards gemessen werden, wie zum
Beispiel dem Verbot von Kinderarbeit.
Frau Kollegin Roth, ich unterstreiche ausdrücklich,
dass Grundlage der Arbeit der Bundesregierung, und
zwar ressortübergreifend, unser Menschenrechtskonzept
ist. Das nehmen wir ernst. Es ist nicht so, dass wir auf
europäischer oder internationaler Ebene etwas blockieren. Ich habe die Rohstoff-Transparenzinitiative genannt, die EITI. Es gibt unterschiedliche Meinungen,
und diese werden ausgetauscht. Ich sage Ihnen: Es wird
in Kürze auf dem internationalen Parkett Konferenzen
geben, bei denen dieses Thema wieder auf der Tagesordnung steht. Es ist im Gespräch, aber im Moment nicht
konsensfähig.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Aktuelle Situation in Mali
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege
Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Mali und in der Region berührt,
wie ich finde, deutsche und europäische Sicherheitsinteressen. Von daher ist es völlig richtig, dass wir uns Gedanken machen, inwieweit wir einen Beitrag leisten können.
Wir haben bereits im November/Dezember - uns allen ist das bewusst - über eine mögliche Trainingsmission gesprochen. Dies ist durch die aktuelle Entwicklung
überrollt worden, nämlich indem die Rebellen aus dem
Norden sehr aktiv und massiv gegen den Süden vorgegangen sind. Daraufhin hat die französische Regierung
unmittelbar reagiert. Dafür habe ich volles Verständnis.
Wir alle wissen - die FDP sagt das mit voller Inbrunst -,
dass ein politisches Konzept für diese Region wichtig
ist. Wenn es den Rebellen aber gelungen wäre, noch
zwei oder drei Tage weiter gen Süden zu marschieren,
hätten sie das ganze Land besetzt und von einer möglichen politischen Lösung wäre nicht mehr die Rede gewesen.
Die französische Regierung hat die Bundesregierung
zeitnah, umfassend und gut informiert - das ist richtig
so, und das ist gut so -; aber - es ist wichtig, dass das
auch die beiden anwesenden Minister hören - die französische Regierung hat Deutschland nicht konsultiert.
Sie hat uns informiert, aber nicht konsultiert. Ich verstehe das; aber das hat natürlich Konsequenzen. Deshalb
weise ich die Kritik, die mancherorts geäußert wird, warum wir nicht gleich mit Hurra hinterhermarschiert
seien, deutlich zurück. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Wir
werden auch in Zukunft überlegen, ob das in den Gesamtrahmen passt, bevor wir Soldaten irgendwo hinschicken. Von daher ist der Ablauf, den wir vorsehen, völlig
richtig und normal.
Ich habe letzte Woche anlässlich des Besuches der
französischen Kollegen mit vielen von ihnen über diesen
Einsatz gesprochen. Die Kritik war nicht: Warum nur
zwei Transallflugzeuge und nicht vier? Nein, die Kritik
war eine ganz andere. Die Franzosen sind von ihren
Bündnispartnern in Gesamteuropa außerordentlich enttäuscht, weil das Thema woanders offensichtlich nicht
so ernst genommen wird, und zwar sowohl von der
Dringlichkeit als auch von der Bedeutung her. Das ist die
Enttäuschung, die uns die Franzosen vermittelt haben.
Wir müssen daran arbeiten, das zu ändern. Da man
wusste, dass in dieser Region irgendetwas nicht in Ordnung ist, hätte sich die Europäische Union in der Tat
schon einige Monate früher mit der Problematik beschäftigen können.
Wir haben bisher also völlig richtig gehandelt. Natürlich sind wir offen dafür, im Sinne der Wahrnehmung
unserer eigenen Interessen weitere Beiträge zu leisten.
Für die weiteren Beiträge gibt es nach meinem Dafürhalten drei Kriterien. Kriterium Nummer eins ist: Was ist
notwendig und sinnvoll? Denn nicht alles, was man machen kann, ist notwendig und sinnvoll. Kriterium Nummer zwei ist: Über welche Fähigkeiten und Kapazitäten
verfügen wir? Kriterium Nummer drei ist: Wie passt unser Engagement in das Gesamtbelastungsprofil unserer
Bündnispartner?
An diesem Punkt weise ich die Kritik, die zum Teil
von Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag geübt wird, dass Deutschland immer nur Trittbrettfahrer ist und die anderen die Kohlen für uns aus
dem Feuer holen müssen, nachdrücklich zurück. Das ist
eindeutig falsch.
({0})
Ich weise darauf hin, dass wir in Afghanistan bis zum
heutigen Tag mit circa 4 000 Soldaten vertreten sind, unsere französischen Freunde - das kritisiere ich gar nicht;
ich stelle es nur fest - gar nicht mehr. Ich weise darauf
hin, dass wir bis zum heutigen Tag im Kosovo die Lead
Nation sind, was sich auch zahlenmäßig ausdrückt. Ich
weise außerdem darauf hin, dass wir gerade in den letzten Wochen Solidarität mit einem wichtigen und wertvollen NATO-Partner, nämlich der Türkei, gezeigt haben. Bei aller Kritik, die man hier äußern kann - es ist ja
auch normal, dass man über diese Dinge diskutiert -:
Diesen Schuh sollten wir uns nicht anziehen.
Wie geht es weiter? Sowohl die Europäische Union
als auch einzelne Länder in der Europäischen Union
werden sich überlegen: Wie kann die weitere Entwicklung sein? Auch die französischen Kolleginnen und Kollegen sind überrascht, wie schnell es bisher offenbar
- ich sage bewusst: offenbar - gelungen ist, die Rebellen
zurückzudrängen. Es geht noch nicht um ein Abblasen
der Aktion. Ich warne davor, die Weite des Landes zu
unterschätzen. Selbst wenn Städte von Rebellen befreit
worden sind - die Rebellen verstecken sich noch irgendwo; sie werden sich nicht alle verkrümelt haben.
Die Operation wird also noch länger andauern.
Wir als Parlament werden in aller Ruhe gemeinsam
mit der Bundesregierung überlegen, wie weitere deutsche
Beiträge aussehen können. Wie gesagt: Das hängt von unseren Fähigkeiten und Kapazitäten ab. Frankreich ist hier
Lead Nation - das ist völlig unbestritten und wird auch so
bleiben -; aber wir werden prüfen, welche Beiträge wir
leisten können. Wir werden auch ohne jede Aufregung
prüfen, inwieweit bei weiteren auf uns zukommenden
Aufgaben eventuell eine Mandatierung notwendig ist.
Immer dann, wenn es notwendig ist, werden wir, wie es
uns das Bundesverfassungsgericht vorschreibt, eine Mandatierung vornehmen. Es wird aber keinen Mandatierungsautomatismus geben; denn wir müssen nicht jede
Maßnahme, die die Bundeswehr ergreift, mandatieren.
Wir werden das im Einzelfall genau prüfen.
Ich gehe davon aus - lassen Sie mich das abschließend sagen -, dass dem Deutschen Bundestag für die angedachten weiteren, aber noch nicht endgültig definierten Maßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein
Mandat vorgelegt wird. Ich bitte schon jetzt um breite
Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sahelregion, in der Mali liegt, befindet sich seit Jahren in einer destabilisierten Situation, zumal seit den
90er-Jahren Gewaltgruppen aus Algerien nach Mali gekommen sind. Mali war das erste Land, das ich als Entwicklungsministerin besucht habe. Es war schon immer
ein Land mit starken ökonomischen und sozialen Unterschieden und insofern ein geteiltes Land, aber es war
und ist auch - darauf möchte ich in der deutschen Debatte hinweisen - ein Land des moderaten, toleranten Islam und ein Land, das eine aktive Zivilgesellschaft hat,
die wir unterstützen sollten.
({0})
Im Norden leben die nomadischen Tuareg. Die sesshaften Eliten des Südens sind nach dem Ende der Kolonialzeit auch für die Verwaltung des Nordens zuständig
geworden. Alle malischen Regierungen haben die Entwicklung im Norden nie mit der notwendigen Aufmerksamkeit verfolgt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat 1995 versucht, einen Konflikt durch Vermittlung
zu lösen. Diese Lösung war zwar erfolgreich, aber nicht
nachhaltig.
Der aktuelle Konflikt begann im Januar 2012 mit Angriffen der Tuareg, teilweise mit Waffen aus Libyen. Ich
will an dieser Stelle aber auch sagen: Der Konflikt im
Norden Malis ist nicht, wie manche behaupten, durch
den Sturz Gaddafis verursacht worden - vielleicht ist er
dadurch verschärft worden, aber er ist dadurch nicht verursacht worden -, sondern das Problem ist, dass der
Westen zu lange mit Gaddafi gedealt hat. Der aktuelle
Konflikt wird zusätzlich durch eine die nationalen Grenzen überschreitende Konfliktökonomie verstärkt: Räume,
die von den Staaten nicht kontrolliert werden, organisierte Kriminalität, Schmuggel von Waffen und Drogen,
Entführungen.
Nachdem die Bundesregierung das Thema des militärischen Vorgehens lange aus der öffentlichen Debatte
verdrängt hatte - man hatte schon den Verdacht, dass das
etwas mit Januarterminen zu tun hatte - und auf Zeit gespielt hat, hat die französische Regierung gehandelt. Ich
sage nachdrücklich: Wir unterstützen dieses Vorgehen.
Die französische Regierung hat mit ihrem Handeln erstens die Bildung eines terroristischen Staates in Mali
verhindert, und sie hat zweitens den Süden vor der Überrollung durch Gewaltgruppen und der damit verbundenen Terrorisierung geschützt. Sie hat Responsibility to
Protect gezeigt, und sie hat damit verhindert, dass in der
Region ein ganzes Band der Gewaltgruppen etabliert
werden konnte. Man muss sagen: Das ist die Leistung
der französischen Regierung und der französischen
Truppen, die heute hier auch anerkannt werden soll.
({1})
Währenddessen hat die Bundesregierung, wie so häufig,
nur geredet.
Worum geht es, und was ist für die Zukunft notwendig? Es geht darum, die ECOWAS-Mission, also die
Mission der Gemeinschaft der westafrikanischen Staaten, zu unterstützen, auch durch Deutschland - dazu bedarf es eines Mandats -, und dazu beizutragen, dass
diese Regionalorganisation, die in ihrem Bereich bisher
gute Arbeit geleistet hat, zu einem regionalen kollektiven Sicherheitssystem weiterentwickelt wird, um die
transnationalen Konflikte gemeinsam, grenzüberschreitend einhegen zu können.
Ferner geht es um die Unterstützung der heute vom
malischen Parlament abgesegneten Roadmap, also des
Plans für die Perspektiven. Die Roadmap hat das Ziel,
die nationale Integrität des Landes zu sichern bzw. wiederherzustellen. Dazu gehört laut Beschluss - laut der
Roadmap - vor allem der Dialog zur nationalen Versöhnung mit den Gruppen, die dazu bereit sind. Zu diesem
Zweck ist eine Kommission des nationalen Dialogs einzurichten. Das ist für Februar 2013 vorgesehen. Das Ziel
muss endlich eine stärkere Dezentralisierung sein. Die
Forderung der Tuareg nach stärkerer Beachtung und
Selbstbestimmung muss ernst genommen und darf nicht
missachtet werden.
Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen sich auch fragen: Welche Rolle spielt eigentlich Saudi-Arabien in dieser Region,
({2})
das grenzüberschreitend den Wahhabismus fördert? Es
ist nicht sehr kohärent von der internationalen Gemeinschaft und der Bundesregierung, Saudi-Arabien Waffen
und Panzer zu liefern
({3})
und sich auf der anderen Seite, in Bezug auf Mali, über
die Auswirkungen zu beklagen.
Die Verhältnisse im Süden müssen parallel zum Militäreinsatz geklärt werden. Es geht um die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und die Vorbereitung von
Wahlen. Natürlich geht es auch um Anschub für die
Wirtschaft; denn die jungen Leute, die in Mali, auch im
Süden, auf die Straße gehen, brauchen Perspektiven und
Chancen. Dazu sollte auch die Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands eingesetzt werden.
Vor allem geht es natürlich um Hilfen für die geflüchtete Bevölkerung. Allein aus dem Norden Malis sind
400 000 Menschen geflüchtet.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Frau Präsidentin, ich sehe es. Dies ist mein letzter
Satz. - Die humanitären Hilfsorganisationen müssen unterstützt werden. Sie müssen unabhängig handeln können, wie das heute auch die Ärzte ohne Grenzen gefordert haben.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Andreas Schockenhoff das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland hat ein vitales Interesse daran, dass der
Südrand der Sahara nicht zu einem sicheren Rückzugsgebiet für Terroristen wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher den französischen Einsatz gegen
islamistische Extremisten in Mali. Es war richtig, zügig
gegen den Vormarsch der islamistischen Kämpfer in den
Süden Malis vorzugehen. Nur wenn die militanten Islamisten aufgehalten werden können, kann überhaupt wieder ein politischer Prozess in Mali in Gang kommen. Ein
erfolgreicher Vormarsch dieser Kräfte in den Süden hätte
ihrem Terror in ganz Mali und darüber hinaus in der ganzen Region Vorschub geleistet.
Die Sicherheit Europas ist schon jetzt durch den Zerfall der staatlichen Ordnung im Norden Malis und der
Sahara betroffen. Das Geiseldrama an der algerisch-libyschen Grenze zeigt, dass eine Sicherheitsbedrohung für
den gesamten Sahelraum und für europäische Bürger in
der Region besteht. Zudem begünstigt die wachsende organisierte Kriminalität Drogen- und Menschenhandel in
Richtung Europa.
In den Resolutionen 2071 und 2085 hat der UN-Sicherheitsrat festgestellt, dass die Lage in Mali den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht. Er hat
daher Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der VNCharta autorisiert. Das französische Eingreifen erfolgte
auf Bitten der malischen Regierung und wird von der
Bevölkerung als Befreiung vom radikal-islamistischen
Joch einhellig begrüßt. Frankreich verteidigt in Mali also
keineswegs ausschließlich französische, sondern afrikanische und europäische Interessen. Wir danken den französischen Soldatinnen und Soldaten, die im Interesse der
Sicherheit Europas in diesen gefährlichen Kampfeinsatz
gegangen sind und ihr Leben riskieren.
({0})
Es ist richtig, dass die Bundesregierung den französischen Einsatz gegen islamistische Extremisten in Mali
zumindest logistisch unterstützt. Bundespräsident Gauck
hat es auf den Punkt gebracht - ich zitiere -:
[Wir] dürfen … bei aller berechtigten Debatte über
Art und Umfang unseres Engagements nicht aus
den Augen verlieren, was verteidigt werden soll:
ein friedliches und sicheres Europa, ein Ort der
Freiheit und der Herrschaft des Rechts. Es liegt im
nationalen Interesse, unsere Sicherheit, unseren
Wohlstand und unseren Frieden supranational zu sichern. Dafür braucht es Solidarität … nicht nur im
Geiste, sondern auch Gemeinsamkeit im Handeln.
So weit der Bundespräsident.
Langfristig muss die malische Regierung in die Lage
versetzt werden, die Nordhälfte des Landes eigenständig
zu kontrollieren. Die EU muss deshalb zügig ihre bereits
geplante Mission zur Ausbildung und Befähigung der
malischen Streitkräfte beginnen. Die CDU/CSU unterstützt eine deutsche Beteiligung an der EU-Ausbildungsmission.
Es ist folgerichtig, dass die Bundesregierung auch
Ausrüstungshilfe leisten will. Allerdings muss ein politischer Prozess in Mali gewährleisten, dass ein von der
EU ertüchtigtes Militär demokratisch zivil kontrolliert
wird. Eine schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen
Ordnung in Mali, einschließlich Wahlen, sowie ein Dialog mit verhandlungsbereiten Gruppierungen im Norden
sind daher dringlich. Bis malische Streitkräfte ihre Stabilisierungsaufgabe erfüllen können, sind die Nachbarländer Malis gefragt, den Norden Malis militärisch zu kontrollieren und eine Rückkehr der militanten Islamisten zu
verhindern. Präsident Hollande hat dies gestern ebenfalls
gefordert. Wir begrüßen daher die Entscheidung der
westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, die geplante
Stabilisierungsgruppe weiter zu verstärken.
Im Februar werden wir über die deutsche Beteiligung
an der Ausbildungsmission in Mali entscheiden. Morgen
entscheiden wir über die Verlängerung des ISAF-Mandats. Vor Weihnachten haben wir die Stationierung
von Patriot-Abwehrsystemen an der türkisch-syrischen
Grenze beschlossen. Wir beschließen hier im Bundestag
- es ist längst schon Routine - regelmäßig die Verlängerung von Mandaten.
Die kurze Abfolge unserer Mandatsdebatten zeigt,
wie wichtig eine regelmäßige sicherheitspolitische Debatte ist. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen
und Fragen unserer Zeit sind von einer solchen Vielfalt
und Komplexität geprägt, dass sie einer verstärkten Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages bedürfen.
({1})
Wir halten daher die Einführung einer regelmäßigen Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands für notwendig, um unsere Sicherheitsinteressen einer breiteren deutschen Öffentlichkeit zu vermitteln und
Fragen und Sorgen der Bevölkerung besser aufgreifen zu
können. Das sollten wir unabhängig von Mali auch einmal ganz offen miteinander diskutieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Werte Kolleginnen und Kollegen! Gerade nach der Aufzählung des Kollegen Schockenhoff - von der türkisch-syrischen Grenze
über Afghanistan bis in verschiedenste Teile der Welt sollten wir uns hier auch gegenseitig vor einer Illusion
bewahren, nämlich dass Militärinterventionen Stabilität
und Demokratie sichern können. Oftmals ist genau das
Gegenteil der Fall.
({0})
Ich möchte auch, dass wir uns vor einer weiteren Illusion bewahren: Es gibt keine sauberen Kriege, auch in
Mali nicht. Ich finde die Bilder von der Herrschaft der
Terroristen - darüber wird zu reden sein - entsetzlich.
Ich finde aber die Bilder vom Einmarsch der Armee, die
man sieht, ebenso entsetzlich. Es gibt keine sauberen
Kriege. Kriege sind immer Dreck und Blut und Vernichtung. Auch das sollte man in dieser Situation hier einmal
aussprechen.
({1})
Was man jetzt als Deutscher Bundestag empfehlen
sollte und worüber wir uns, glaube ich, viel mehr den
Kopf zerbrechen müssen, ist: Es muss jetzt zu politischen Gesprächen und politischen Lösungen kommen.
Das steht jetzt im Vordergrund.
Wenn wir davon geredet haben, dass man die Situation nicht nur in Mali, sondern auf dem gesamten afrikanischen Kontinent ernst nehmen muss, so gehört auch
die Selbstkritik dazu, dass wir offensichtlich über lange
Zeit die Situation nicht ernst genommen haben und dass
immer erst gehandelt wird, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, und dann mit dem Militär.
Ich möchte eine weitere Lehre dazupacken: Frieden
schließt man mit seinen Feinden. Über zehn Jahre hat es
gedauert, bis man begriffen hat, dass man in Afghanistan
mit den Taliban verhandeln muss. Was wäre aus Südafrika geworden, wenn man nicht mit seinen Feinden
Frieden geschlossen hätte? Frieden schließt man mit seinen Feinden. Deswegen muss man jetzt auch in Mali die
Initiative ergreifen, um mit den Feinden in Verhandlungen zu Lösungen zu kommen.
({2})
Eine nationale Aussöhnung wäre das Beste, was wir in
Gang bringen könnten.
Mit einem weiteren Gedanken möchte ich an die
Überlegung anknüpfen, dass Mali eine entwickelte Zivilgesellschaft hat. Ich teile völlig, was Sie hierzu ausgeführt haben, Kollegin Wieczorek-Zeul. Mali hat eine
entwickelte Zivilgesellschaft. Es muss doch das Ziel
sein, mit dieser entwickelten Zivilgesellschaft auch in
solchen Situationen zu kooperieren und genau diese entwickelte Zivilgesellschaft zu stabilisieren; denn wir
brauchen Sicherheit für die Bevölkerung.
Wir müssen auch eine Frage beantworten. In Mali
werden Dschihadisten mit Bomben bzw. vom Militär angegriffen. Die gleichen Dschihadisten werden in Syrien
von den Verbündeten der Bundesregierung, von SaudiArabien und anderen, mit Geld und Waffen versorgt. Erklären Sie einmal, warum Sie hier so handeln und dort so
handeln!
({3})
Eine vernünftige Politik muss doch anders laufen. Ich
glaube, es ist richtig, dass nicht alles, was in Mali passiert ist, eine Reaktion auf das Vorgehen gegen den libyschen Staat ist. Aber die Zerschlagung von Libyen, die
Destabilisierung von Libyen hat auch Auswirkungen auf
die Situation in Mali gehabt. Beantworten Sie doch einmal die Frage: Wenn die Terroristen, die dort geschlagen
werden, gehen, wenn sie nach Mauretanien, an die
Grenze zu Algerien gehen, wird mit dem Krieg gegen
den Terror ein Konfliktfeld in das nächste Konfliktfeld
übergeführt. Das kann doch keine vernünftige politische
Lösung sein. Wir müssen endlich eine Politik entwickeln, die den Terror dadurch schlägt, dass man ihm die
Grundlage entzieht, und das heißt Schaffung kultureller
Vielfalt und wirtschaftlichen Ausgleichs. So müsste eine
vernünftige Politik sein.
({4})
Ich möchte ganz ehrlich und offen sagen: Mir geht es
auf den Keks, wenn die Freundschaft mit Frankreich
- die ich sicherlich viel mehr verinnerlicht habe als viele
von Ihnen - benutzt wird, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben - sie taucht ja schon ab -, mit noch
mehr Militär an der Seite Frankreichs zu agieren. Das
gleiche Argument, „die Freundschaft mit …“ - in der
Vergangenheit war es die Freundschaft mit den USA -,
hat uns in den Krieg in Afghanistan getrieben. Ich
möchte nicht, dass Deutschland mit dem Argument der
Freundschaft mit Frankreich in eine andere militärische
Auseinandersetzung getrieben wird;
({5})
so sieht es übrigens auch die Friedensbewegung in
Frankreich, mit der ich sehr eng kooperiere. Auch die
Friedensbewegung in Frankreich sagt: Wir wollen, dass
die französischen Truppen rasch zurückgezogen werden. Das sollten wir unterstützen. Es ist möglich, sie rasch zurückzuziehen.
Ich will Ihnen ehrlich sagen, Herr Minister: Sie werden nicht darum herumkommen, die Entscheidung, zwei
Transall-Maschinen ohne Mandat des Bundestages zur
Verfügung zu stellen - morgen werden es ja vielleicht
schon drei oder mehr sein -, zu rechtfertigen. Das war
eine rechtswidrige Entscheidung, die dieses Parlament
nicht hinnehmen kann;
({6})
darüber werden wir uns auseinandersetzen müssen. Sie
könnten ja das Mandat, das Sie für die Ausbildungsmission haben wollen, damit verbinden, dass Sie nachträglich ein Mandat für diese Entscheidung beantragen.
Dann würden Sie zumindest eingestehen, dass Sie falsch
gehandelt haben. Aber so viel Courage hat diese Regierung nicht, weder so noch so.
Ich möchte abschließend einen Gedanken äußern, der
mir wichtig ist - das ist, verehrte Frau Präsidentin, mein
Schlussgedanke -: Ist es so unnormal, sich die Frage zu
stellen: Geht es Frankreich und anderen Ländern wirklich um Menschenrechte - was ich ja hoffe -, oder geht
es ihnen in Nachfolge der alten Kolonialmacht nicht
vielmehr um wirtschaftliche Interessen,
({7})
um Uran und anderes?
Herr Kollege?
Ich komme zum Schluss. - Wenden Sie es doch einmal positiv: Wenn im Kampf um Uran eine Stärkung der
Menschenrechte herauskommt, reicht mir das nicht aus,
aber immerhin. Es geht auch hier um wirtschaftliche Interessen; Sie kommen nicht darum herum, das einzugestehen.
Danke sehr.
({0})
Jetzt hat Kerstin Müller das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bereits vor einem Jahr, als Islamisten und verbündete
Tuareg den Norden Malis an sich rissen, war es eigentlich für jeden, auch für uns, sichtbar: Mali steckt in einer
schweren Krise. In unserer Nachbarschaft, in Afrika,
droht ein weiterer „failed state“ mit neuen Rückzugsräumen für islamistische Terroristen - Sie alle haben das bereits erwähnt -, die die Region mit Terror überziehen
und im Norden des Landes einen menschenverachtenden
Scharia-Staat installieren wollten und wollen.
Aber erst jetzt, ein ganzes Jahr später - das, finde ich,
gehört zur Selbstkritik dazu -, diskutieren wir, und zwar
aufgrund der bereits laufenden französischen Intervention, darüber, was zu tun ist. Das zeigt erst einmal - Herr
Stinner, Sie haben es, wenn ich richtig zugehört habe, erwähnt -, dass die internationale Gemeinschaft sehr, sehr
spät dran ist und erst dann als Feuerwehr kommt, wenn
das Haus bereits lichterloh brennt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist falsch und muss sich ändern. Das
trifft übrigens nicht nur auf die Europäische Union, sondern auch auf diese Bundesregierung zu. Auch Sie haben
nicht früher gehandelt.
({0})
Ich erwähne das, weil wir morgen die entsprechende Debatte führen.
Wir Grüne haben bereits im September letzten Jahres
in einem Antrag auf die Entwicklung in Mali hingewiesen. Der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und
vernetzte Sicherheit“ hat über dieses Thema bereits vor
einem Dreivierteljahr intensiv diskutiert. Wir haben gefordert, rechtzeitig vor Ausbruch einer Krise präventiv
tätig zu werden. Davon wollte man aber nichts wissen.
Wichtiger waren damals andere Krisenherde; es gibt ja
viele. Ich hoffe auf eine rege Beteiligung an der morgigen Debatte, in der es um die langfristigen und nachhaltigen Strategien für diese Region geht.
({1})
Für meine Fraktion sage ich: Vor dem Hintergrund
der Geschehnisse war die französische Intervention eine
erforderliche Notoperation, weil die Islamisten bereits
auf die Hauptstadt Bamako zumarschierten. Aber ich
sage auch: Sie bleibt hochriskant. Auch die Franzosen
wissen: Eine Intervention der Franzosen in dieser Region kann auf die Dschihadisten in aller Welt wie ein
Brandbeschleuniger wirken. Deshalb ist es nicht nur im
französischen, sondern auch im europäischen Interesse,
dass diese Intervention ganz schnell erstens multilateral
eingebettet wird und zweitens ein afrikanisches Gesicht
erhält. Ich halte das für zentral. Insofern sind die drei
Transall-Maschinen, mit denen wir Unterstützung leisten, das Mindeste, was man machen muss, um die
ECOWAS langfristig in den Stand zu setzen, hier zu
übernehmen.
Es muss generell darum gehen, die Afrikaner so zu
stärken, dass sie künftig selbst in der Lage sind, solche
Krisen zu meistern. Wir sprechen seit einiger Zeit von
African Ownership. Leider ist da nicht viel passiert. Ich
erinnere mich an Gespräche mit Vertretern der
ECOWAS - nicht erst jetzt, sondern schon im letzten
und vorletzten Jahr -, in denen sie immer wieder beklagt
haben: Warum werden wir nicht vernünftig ausgebildet?
Warum bekommen wir von der Europäischen Union und
auch von Deutschland nicht mehr Unterstützung?
Herr Westerwelle, ich hatte kürzlich ein Gespräch mit
dem Chef des KAIPTC, des Kofi Annan International
Peacekeeping Training Centre. Dieses Peacekeeping
Training Centre wurde ursprünglich mit deutschen Mitteln aufgebaut. Sie haben vor kurzem die Mittel für dieses Peacekeeping Training Centre gekürzt. Dort werden
aber Soldaten ausgebildet für die ECOWAS.
Wenn wir wollen, dass es langfristig nicht mehr nur
eine französische Afrikapolitik gibt, sondern eine europäische, dann muss diese Afrikapolitik auch afrikanisch
Kerstin Müller ({2})
werden, dann müssen wir alles tun, damit die ECOWAS,
die Afrikanische Union und die anderen Regionalorganisationen in die Lage versetzt werden, eine Sicherheitsarchitektur aufzubauen.
({3})
Wir müssen nicht nur Sicherheit aufbauen, wir brauchen auch nachhaltige politische Stabilität, und zwar
nicht nur für Mali, sondern für die ganze Sahelregion.
Die geplante EU-Ausbildungsmission ist richtig. Voraussetzung ist aber, dass es auch einen politischen Prozess
gibt. Die Ausbildungsmission allein wird die Region
nicht stabilisieren. Insofern ist zu begrüßen, dass jetzt
eine Roadmap vorgelegt wird.
Ich glaube - damit will ich mich noch einmal an das
Entwicklungsministerium wenden -, dass es wichtig ist,
jetzt, wo es eine Übergangsregierung gibt, die Mittel
schnell zu deblockieren, damit Staatlichkeit aufgebaut
werden kann. Es geht dabei nicht nur um humanitäre
Hilfe, sondern es geht um wesentlich mehr. Die Franzosen haben zu Recht gesagt, sie wollen nicht bleiben, und
das ist auch richtig. Aber wenn Mali übernehmen will,
dann braucht es richtige, nachhaltige staatliche Strukturen, und dafür braucht Mali finanzielle Mittel.
({4})
Ich will zuletzt noch ansprechen, dass ich absolut
wichtig finde, dass im Zentrum der Ausbildung die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht stehen. Es
sind Racheakte und auch Gewalt zu befürchten; man
liest ja schon von dem einen oder anderen Racheakt. Das
könnte die ethnische Spaltung in Mali noch vertiefen. Es
braucht genau das Gegenteil: einen organisierten politischen Dialogprozess, auch mit den Tuareg, die immer
noch einer Lösung ihres politischen Problems harren.
Es gibt da einen zaghaften Ansatz mit den sehr ehrenwerten GIZ-Mitarbeitern. Ich glaube, wir müssen hier
mehr tun. Wir haben in Deutschland eine krisenpräventive Struktur aufgebaut, ein Netzwerk ziviler Krisenprävention. Aber es ist so, wie die Zeit vorige Woche
schrieb: Das ist so etwas wie eine dritte Reservetruppe
und nicht die erste Mannschaft. - Wir müssen das jetzt
mobilisieren. Wir brauchen eine Sahelstrategie, die nachhaltige politische Stabilität in der Sahelregion schafft und
wirklich auch einmal benennt, was die Schwächen der
bisherigen Politik waren. Nur mit einer solchen Sahelstrategie wird man dauerhafte Stabilität schaffen können.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat Bundesaußenminister Dr. Guido
Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass wir in dieser Debatte parteiübergreifend
- mit einer Ausnahme vielleicht - eine große Gemeinsamkeit haben: Wir alle sehen die Relevanz, wir alle sind
nicht der Meinung, dass Mali alle anderen angeht, nur
nicht uns Europäer, sondern wir können ein unmittelbares eigenes Interesse daran erkennen, durch unsere Politik daran mitzuwirken, Mali insgesamt zu stabilisieren.
Der Kampf gegen den Terrorismus auch im Norden
von Mali ist keine Angelegenheit anderer, es ist unsere
gemeinsame Angelegenheit. Deswegen will ich vorab
ein Wort des Dankes an all die Frauen und Männer richten, die Soldatinnen und Soldaten - Afrikaner und Franzosen -, die jetzt in Mali ihr Leben riskieren, um unsere
Freiheit vor Terrorismus zu schützen. Ich möchte in diesen Dank aber auch diejenigen einschließen, die, wie
zum Beispiel unsere deutschen Soldaten, die unter großer Lebensgefahr in Afghanistan ihren Dienst verrichten, anderswo auf der Welt gegen Terrorismus kämpfen.
Sie stehen hier gerade für unsere Freiheit und für unsere
europäischen Werte.
({0})
Ich will zum Ausdruck bringen, dass es in einer solchen Debatte natürlich normal ist, dass sich die Opposition Dinge sucht, die sie anders machen würde und kritisiert. Das soll auch so sein. Ich darf aber noch einmal in
Erinnerung rufen, was sowohl die Spitzen der Fraktion
der SPD, Herr Kollege Steinmeier, Herr Kollege
Steinbrück, als auch die Spitzen der Fraktion der Grünen, jedenfalls Herr Kollege Trittin, dazu gesagt haben,
und stelle fest, dass sich das sehr weit mit unserer grundsätzlichen Bewertung der Lage deckt.
Das mag in einem Jahr, in dem alle offensichtlich
schon an Wahlen denken, nicht opportun erscheinen,
aber ich glaube, es ist gar nicht schlecht, dass wir bei einer solch fundamentalen Frage auch den Bürgerinnen
und Bürgern zu erkennen geben, dass wir hier über die
Richtung und Substanz unserer Mali-Politik in Wahrheit
überparteilich eine ganz ähnliche Einschätzung haben
und so auch die Entscheidungen treffen.
({1})
Das hat ja auch die Debatte, die hier in der letzten
Woche stattgefunden hat, durch die bemerkenswerten
Ansprachen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und
des französischen Staatspräsidenten François Hollande
und auch durch die Wortmeldungen aus verschiedenen
Fraktionen von uns und natürlich auch aus Frankreich
zum Ausdruck gebracht.
Ich will zum Zweiten sagen, was die Ursachen dieses
Konflikts sind. Ich glaube, Frau Wieczorek-Zeul war es,
die am Anfang gesagt hat, es wäre zu einfach, dies mit
einem Konflikt, also mit dem Krieg in Libyen und damit
monokausal, zu erklären. Ich teile das.
Die Entwicklung im Norden Malis hat vor allen Dingen drei Ursachen:
Die erste Ursache ist die wichtigste - darauf komme
ich gleich im Anschluss noch -, nämlich das leider immer noch herrschende und in Teilen auch berechtigte
Gefühl der Bevölkerung im Norden Malis, dass sie nicht
in vollem Umfange an den Entwicklungschancen von
ganz Mali, vom Kernland Mali, partizipieren kann. Mit
anderen Worten: Dass der Norden Malis unterprivilegiert ist, ist eine der Hauptursachen für den Konflikt.
Deswegen müssen wir hier auch mit einer politischen
Lösung ansetzen und ist es wichtig, dass wir hier auch
vernetzt denken, auch ausdrücklich im Bereich der wirtschaftlichen Unterstützung und der Entwicklungszusammenarbeit.
Die zweite Ursache ist natürlich auch das - es hat ja
keinen Sinn, darum herumzureden -, was durch den
Konflikt in Libyen entstanden ist. Es sind Kräfte und
Kämpfer mit Waffen in die gesamte Sahelzone eingedrungen, die insbesondere ein spezielles Momentum im
Norden Malis genutzt haben, um ihren Ungeist, ihre
Aggression und ihre Gewalt zu verbreiten.
Bevor ich zur dritten Ursache komme, darf ich mir
eine Bemerkung zwischendurch erlauben: Frau Kollegin
Wieczorek-Zeul, ich habe den Hinweis auf Herrn
Gaddafi nicht ganz verstanden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Herrn Gaddafi jedenfalls
nie im Zelt besucht, und sie hat auch nie zugelassen,
dass er im Tiergarten beim Kanzleramt ein Zelt aufstellen konnte.
({2})
Ich wollte das hier nur noch einmal erwähnen, bevor
sich hier etwas Falsches festsetzt.
Die dritte Ursache ist auch von ganz großer Bedeutung: Im Frühjahr letzten Jahres hat dort natürlich ein
Putsch stattgefunden. Das heißt, die malischen Kräfte,
die ohnehin schon mit großen inneren Zerwürfnissen zu
tun hatten, wurden dadurch, dass im März letzten Jahres
ein Putsch stattgefunden hat, abermals geschwächt. Man
hat also erlebt, dass die eigentliche Staatsgewalt - das,
was man dort Staatsgewalt nennt; das wäre mit unseren
Vorstellungen übrigens nur schwer vereinbar - noch einmal geschwächt worden ist.
Zumindest diese drei Ursachen stehen im Mittelpunkt
der Entwicklung. Wenn man diese drei Ursachen kennt,
dann kennt man meiner Einschätzung nach auch die
politischen Schlussfolgerungen. Das Ziel muss nämlich
sein, dass wir eine nachhaltige politische Lösung erarbeiten. Eine politische Lösung muss eben ausdrücklich
auch einen Fahrplan beinhalten: Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Ordnung, innerer Ausgleich, wirtschaftliche und soziale Teilhabe des Südens, aber eben
ausdrücklich auch des Nordens.
Herr Kollege Gehrcke, natürlich ist es richtig, dass
wir unverändert - hier sind wir uns mit Frankreich und
übrigens auch mit allen afrikanischen Staaten, die sich
jetzt engagieren, völlig einig - eine politische Lösung
brauchen. Wenn Frankreich in dieser zugespitzten Lage
vor ganz kurzer Zeit aber nicht eingegriffen hätte, wenn
Frankreich nicht bereit gewesen wäre, militärische Nothilfe zu leisten, dann hätten wir heute überhaupt gar
keinen Raum mehr für irgendwelche Gespräche und irgendeinen politischen Ausgleich. Bamako wäre eingenommen worden. Dass das die Absicht war, wusste man
spätestens, seitdem die Extremisten in Richtung Mopti
gezogen sind und auf dem Weg dorthin eine Stadt nach
der anderen erobert haben.
Es war erkennbar: Die Franzosen, die die Kräfte vor
Ort hatten, auch aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes, haben gehandelt. Wir helfen den Franzosen vor
allen Dingen am besten dadurch, dass wir jetzt, genau
wie es die Vereinten Nationen in der Resolution 2085
fordern, die Afrikaner selbst befähigen, ihre Aufgabe für
die Stabilisierung im Norden Malis wahrzunehmen. Das
ist nicht nur die Haltung der Bundesregierung. Das ist
auch die erklärte Haltung der Franzosen. So hat sich Präsident Hollande hier in der letzten Woche geäußert. So
verstehen wir auch Partnerschaft. Das ist kein Gegeneinander. Im Gegenteil: Diese Partnerschaft verbindet uns.
Schließlich möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass es natürlich nicht reicht, in der Regierung eine
Roadmap zu verabschieden, sondern dass sie auch implementiert werden muss. Das heißt, wir brauchen die
Zustimmung aller politischen Kräfte. Wir brauchen vor
allen Dingen die Zustimmung des Parlaments.
({3})
- Aller Kräfte, habe ich ja gerade gesagt. - Dass wir den
Ernst der Lage als Bundesregierung erst gesehen hätten,
nachdem die Situation eskaliert ist, diese Einschätzung
kann ich nicht teilen, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul. Ich
selbst bin im November in Bamako gewesen, und wir
haben dort Gespräche geführt. Wir haben die Gespräche
deshalb geführt, weil wir der Überzeugung sind, dass
sich hier die Lage zuspitzt und dass es unbedingt notwendig ist, eine politische Lösung zu befördern. Daran
werden wir auch weiter arbeiten.
Deutschland ist bereit, sich wie in den 90er-Jahren bei
einem politischen Prozess besonders zu engagieren. Dieses Angebot ist gemacht worden, dieses Angebot ist
auch angenommen worden. Darüber hinaus helfen wir
logistisch.
Was die Ausbildungsmission angeht, so muss ich Ihnen sagen, Herr Kollege Gehrcke: Wir haben doch hier
gemeinsam festgestellt - ich habe es in Besprechungen
mit Ihnen und anderen immer wieder gesagt -: Wir pflegen engsten Austausch mit dem Deutschen Bundestag.
Wenn wir auch nur in die Nähe einer Mandatspflicht
kommen, werden wir sofort den Deutschen Bundestag
um ein Mandat bitten. Wenn Sie sagen, unser Verhalten
sei rechtswidrig, dann bitte ich Sie ausdrücklich, die Gerichte anzurufen; denn das kann man nicht machen, hier
zu behaupten, die Bundesregierung würde sich rechtswidrig verhalten, sich aber dann als Abgeordneter hinzusetzen und nichts zu tun. Wir verhalten uns streng völkerrechtlich korrekt, streng gebunden an die Verfassung
und selbstverständlich auch strengstens gebunden an das
Parlamentsbeteiligungsgesetz. Einen anderen Eindruck
kann man hier nicht stehen lassen.
({4})
Meine Damen und Herren, natürlich bleibt es so, dass
wir in Europa noch eine Menge zu tun haben. Natürlich
bleibt es so, dass wir immer tarieren und auch sehen
müssen, was in der spezifischen, konkreten Lage wirklich erforderlich ist. Das heißt, wir sind auch in der Lage,
nachzusteuern. Das werden wir auch tun. Aber bitte vergessen wir eins nicht: Vergessen wir nicht das Schicksal
der Menschen. Die humanitäre Hilfe bleibt natürlich unparteiisch, sie bleibt neutral. Aber wir müssen in Anbetracht dieses militärischen Konfliktes auf jeden Fall auf
die Menschen, auf die Opfer schauen, die es dort gibt.
Humanitäre Hilfe ist umso notwendiger.
Es ist vorbildlich, was hier Deutschland leistet. Wir
haben viel Respekt für das bekommen, was wir gestern
in Addis Abeba in anderer Hinsicht angekündigt haben.
Wir sind eines der stärksten Geberländer. Wenn man alles zusammenrechnet, auch unseren Anteil an dem, was
Europa tut, kommen wir auf einen Betrag von 100 bis
120 Millionen US-Dollar. Ich finde, Deutschland muss
sich nicht verstecken, sondern Deutschland kann wirklich sagen: Wir verhalten uns international in jeder Hinsicht vorbildlich. Deswegen möchte ich sagen: Ich verstehe, dass Sie da und dort Kritik üben, aber ich denke,
in Wahrheit teilen Sie in der Substanz die Mali-Politik
der Bundesregierung. Ich finde, das ist für keinen von
uns zum Schaden.
Vielen Dank.
({5})
Jetzt hat Barbara Hendricks das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erinnern wir uns noch? Im März 2001 wurden in der
Stadt Bamiyan im Zentrum Afghanistans die größten
stehenden Buddha-Skulpturen zerstört. Erst dadurch
wurden wir in Mitteleuropa auf das ständige Elend aufmerksam, das dort herrschte. Im Juni des vergangenen
Jahres wurden in Timbuktu die seit 1988 zum UNESCOWeltkulturerbe gehörenden antiken Mausoleen zu einem
großen Teil zerstört. Auch da wurden wir erst darauf aufmerksam, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde es völlig
richtig und eine wirklich hervorragende Idee der
UNESCO, diese Weltkulturerbestätten zu benennen, sie
uns allen ins Gedächtnis zu rufen, weil damit klar wird,
dass es immer und zu allen Zeiten in allen Regionen der
Welt herausragende kulturelle Leistungen gegeben hat
und sicher auch weiterhin geben wird. Zu denken geben
muss uns aber doch der Sachverhalt, dass wir allein
durch das alltägliche Elend der Menschen nicht mehr
aufmerksam werden, sondern dass wir erst dann aufmerksam werden, wenn kulturelles Erbe zerstört wird.
Dies wird an diesen beiden Beispielen deutlich.
Wir sehen, dass wir natürlich manchmal zu spät reagieren und dass dann manchmal nur noch der Ausweg
bleibt, militärisch zu intervenieren. Ich will ausdrücklich
sagen, dass ich die Intervention der französischen
Freunde begrüße. Ich glaube, dass es in dieser Situation
keine andere Chance gab, und doch haben wir alle in der
europäischen Staatengemeinschaft uns vorzuwerfen,
dass wir nicht früher aufmerksam geworden sind.
Wir haben auch darüber nachzudenken, ob wir denn
jetzt und aktuell die Schwerpunkte richtig setzen. Ja, es
ist richtig, dass wir in kurzer Zeit, in der Geberkonferenz
gestern, rund 300 Millionen Euro für die notwendige militärische Mission eingesammelt haben, durch die in der
Tat auch die afrikanischen Staaten und die afrikanischen
Soldaten aus der Nachbarschaft befähigt und in den
Stand gesetzt werden sollen, diese Mission auch in Mali
zu erfüllen. Es ist richtig, dass wir dafür Geld einsammeln. Das ging ziemlich schnell. Es spricht nichts dagegen, aber das kann es nicht alleine sein.
Was ist denn auf der anderen Seite? Dort werden Neuwahlen vorbereitet, die für den Sommer dieses Jahres ins
Auge gefasst worden sind. Die müssen noch abgesichert
werden. Wenn denn alles gut wird, muss sowieso der
Prozess hin zu einer friedlichen Entwicklung eingeleitet
und abgesichert werden, und es muss natürlich auch eine
Entwicklung in der Region, nicht nur in Mali, sondern
auch in Niger, in Mauretanien, in Algerien, in Burkina
Faso, eingeleitet werden, die zu einer Stabilisierung dieser ganzen westafrikanischen Region und der Sahelzone
beiträgt.
Das liegt in unserem höchsteigenen Interesse, schon
allein wenn wir bedenken, dass seit einigen Jahren zum
Beispiel die Menschenschmuggel- und Drogenschmuggellinien von Südamerika über Westafrika nach Europa
gehen. Das sind Wege, die uns vorher gar nicht so bekannt waren, die aber jetzt so verlaufen. Das führt natürlich auf der einen Seite auch zu einer weiteren Destabilisierung der Region Westafrika; auf der anderen Seite ist
es natürlich auch eine Bedrohung für unsere europäische
öffentliche Ordnung. Ich glaube, dass wir in dieser Hinsicht noch ganz viel zu tun haben werden und dass sich
dies nicht nur auf Mali bezieht.
Also: Wir werden dafür zu sorgen haben, dass wir die
Wahlen vernünftig absichern können. Dafür brauchen wir
auch eine finanzielle Unterstützung, und dafür brauchen
wir so bald als möglich auch wieder zivile Helferinnen
und Helfer vor Ort, die, wie ich verstehe, im Moment in
schwierigen Gefährdungslagen abgezogen worden sind.
Diese Helferinnen und Helfer müssen dort bald wieder
eingesetzt werden. Nach meiner Auffassung müssen wir
auch sowohl die sektorale Budgethilfe als auch die Budgethilfe allgemein so rasch als möglich wieder instand
setzen.
({0})
Diese ist ja seit dem Putsch aufgehoben worden. Das ist
etwas, das die Bundesregierung ganz alleine machen
kann.
Natürlich geht es, wenn das Militär auch finanziell
abgesichert ist, was ich begrüße, darüber hinaus darum,
dass so etwas wie gute Regierungsführung im zivilen
Bereich möglich ist und ebenfalls von uns unterstützt
wird. Es ist dringlich, damit wieder anzufangen, sobald
dies auch die militärische Sicherheitslage erlaubt.
Ich denke, wir haben noch eine Menge Aufgaben vor
uns, die wir erahnen und von denen wir wissen, dass sie
noch erledigt werden müssen. Ich fürchte, dass sie vielleicht auch wieder vergessen werden, wenn nicht wieder
Kulturerbestätten zerstört werden.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die CDU/CSU hat nun Philipp Mißfelder das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte zunächst dem, was
Frau Hendricks gesagt hat, zustimmen. Auch ich glaube,
dass es, wenn wir uns in dieser Aktuellen Stunde mit
Afrika beschäftigen, zur Ehrlichkeit dazugehört, festzuhalten, dass gerade die Mali-Debatte in den vergangenen
Wochen etwas verzerrt geführt worden ist. Durch das
große militärische Engagement der Franzosen ist nämlich auf einmal das Interesse der Weltöffentlichkeit, was
Mali angeht, da, wenngleich man sagen muss: Das Problem existiert schon längere Zeit.
Ich glaube, auch darin sind wir uns alle einig: Keiner
von uns glaubt, dass durch Flugzeuge, egal ob zwei oder
drei, oder durch ein, was wir nicht wollen, wesentlich
größeres militärisches Engagement dieser Konflikt auch
nur im Ansatz gelöst werden könnte. Hier gilt wie für
alle Militäreinsätze der Bundeswehr: maximal Zeit gewinnen, um politische Lösungen voranzutreiben. In diesem Zusammenhang muss ich auch einen Punkt offen
ansprechen: Auch wenn ich Frankreich sehr, sehr stark
unterstütze und das französische Engagement für sehr
ehrenhaft halte, geht es in erster Linie darum, mit wesentlich größerem Engagement an der politischen Konzeption, wie es in Mali weitergehen soll, zu arbeiten.
Das ist, glaube ich, auch eine der Lehren, die wir aus
dem Afghanistan-Einsatz ziehen. Wir debattieren ja
morgen grundsätzlich darüber, ob wir uns stärker mit der
Frage des politischen Rahmens von Militäreinsätzen beschäftigen müssen.
Ob die Franzosen selber dem gerecht werden, kann
ich so nicht beurteilen, weil in Frankreich eine andere
Tradition von Militäreinsätzen vorhanden ist als bei uns,
insbesondere was militärisches Engagement in Afrika
angeht. Umso mehr kann ich nur für unsere Haltung
werben. Wir nehmen nämlich nicht nur das ernst, was
die Menschen in unserem Volk über weitere Militäreinsätze denken, sondern wir stehen vor dem Hintergrund
einer Parlamentsarmee in unseren Wahlkreisen auch immer unter Rechtfertigungsdruck und müssen uns deshalb
jede einzelne Entsendung eines Soldaten vorher gut
überlegen.
({0})
Wir sind vielleicht nicht so wendig und flink wie andere
an der Stelle, aber wir überlegen uns das vorher sehr gut.
Das ist auch eine Lehre aus Afghanistan. Erst unser früherer Verteidigungsminister Franz Josef Jung, der auch
anwesend ist, hat ja damit begonnen, um den Afghanistan-Einsatz herum eine politische Konzeption aufzubauen. Guido Westerwelle und Thomas de Maizière leiten heute den Abzug aus Afghanistan ein. Eine Lehre
aus dieser schwierigen Mission ist, dass es ein Fehler
war, sich vorher nicht zu überlegen, wie man nachher
wieder herauskommen will.
Diejenigen, die jetzt in Mali am Straßenrand den französischen Truppen zujubeln, werden vielleicht zu einem
späteren Zeitpunkt dieselben Soldaten als Besatzer empfinden,
({1})
wenn man dem Konflikt nicht politisch und zivil genauso viel Aufmerksamkeit widmet, wie das jetzt gerade
militärisch getan wird. Ich glaube, dass ist auch der Kern
der heutigen Diskussion.
Ich bin Ihnen, Frau Hendricks, auch so dankbar, weil
Sie zu Recht darauf hingewiesen haben: Man darf sich
nicht nur um Mali kümmern, wenn spektakuläre Ereignisse wie die Zerstörung von Weltkulturerbe stattfinden,
sondern das bleibt für uns auch über die militärische
Auseinandersetzung, die jetzt sehr zügig vorangeht, hinaus eine sehr wichtige Aufgabe. Das passt auch zur
Konzeption unserer Bundesregierung, weil sie zu Recht
einen Schwerpunkt darauf legt, wie wir unsere Partner in
politischer Hinsicht möglichst gut unterstützen können,
aber auch darauf, wie wir sie in militärischer Hinsicht so
stark machen können, dass sie in der Lage sind, sich selber zu helfen.
Dabei ist übrigens das Engagement, das wir jetzt in
Afrika durchführen, um zum Beispiel befreundete Länder in der Ausbildung zu unterstützen, nur ein Anfang.
Es gehört insofern auf den Prüfstand, als wir sagen:
Wenn weiteres Engagement bei Konflikten in Afrika
auch seitens der Öffentlichkeit in Deutschland eingefordert wird, dann kann das ein Beitrag sein, Partnern behilflich zu sein, ihre eigenen Truppen zu ertüchtigen,
oder zu überlegen, was die Bundeswehr in dem Rahmen
leisten kann, bevor man kopflos in einen Wüstenkrieg
läuft, dessen Ende keiner von uns überblicken kann,
meine Damen und Herren.
({2})
Ich glaube auch - Kollege Stinner hat es kraftvoll gesagt -, dass wir sehr solidarisch sind. Das ist unter
Helmut Kohl immer als Scheckbuchdiplomatie verunglimpft worden. Wenn man aber auf 60 Jahre Geschichte
der Bundesrepublik zurückblickt, sind wir, glaube ich,
gut damit gefahren, dass wir, auch wenn wir Vorbehalte
gegen militärische Einsätze haben, unsere Partner trotzdem nicht im Regen stehen lassen, sondern mit den hart
erwirtschafteten Steuergeldern in Deutschland verantwortungsbewusst umgehen, indem wir sie zur Verfügung
stellen. Deutschland hat sich nicht weggeduckt, sondern
bei der Geberkonferenz geglänzt. Deutschland steht mit
vorne, wenn es darum geht, ziviles Engagement dauerhaft voranzubringen.
Ich bin froh, dass der Einsatz der Franzosen so gut vorankommt. Gleichzeitig bleiben unsere Zweifel, was
weiteres militärisches Engagement aus deutscher Sicht
angeht. Ich fordere uns alle auf, nicht nur im Zusammenhang mit dieser Aktuellen Stunde an Mali zu denken,
sondern auch dann, wenn die Franzosen militärisch obsiegt haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Rainer Arnold hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über Mali hätte auch eine Chance für eine
innenpolitische Diskussion geboten; denn ich glaube,
dass wir am Beispiel Mali den Diskurs über die Frage,
welche Rolle und welche Verantwortung Deutschland in
der Welt hat, nicht abstrakt, sondern sehr konkret führen
könnten.
({0})
Dass wir hier Defizite haben, wissen wir alle. Der Verteidigungsminister bemängelt sie auch gelegentlich.
Herr Außenminister, es war im Prinzip in Ordnung,
was Sie heute gesagt haben. Aber wir können Ihnen natürlich nicht den Hinweis ersparen: Sie wollten diesen
Diskurs in Wirklichkeit vermeiden. Die Bundesregierung hat wochenlang abgewartet, war sich nicht schlüssig und hat sich teilweise sogar abwehrend verhalten.
({1})
- Kollegen, Sie schütteln den Kopf. Ich kann Ihnen die
Zitate Ihrer Sprecher dazu vorlesen, wenn Sie Freude daran haben. - Der Außenminister hat noch an dem Tag, an
dem sich die Bundesregierung endlich der Verantwortung gestellt hat, morgens erklärt, er schließe einen Einsatz aus.
({2})
Das ist die Wirklichkeit. Er hat noch die Kurve bekommen; das war notwendig. Es handelt sich eben um keine
einfachen Debatten. Deshalb schweigt die Kanzlerin
meistens bei solchen Themen.
Die Linken versuchen wieder einmal, Dinge in einen
Topf zu werfen, die nicht miteinander zu vergleichen
sind. Mali wird nicht wie Afghanistan.
({3})
In Mali müssen wir vielmehr die Lehre aus Afghanistan
ziehen, und zwar in zweifacher Hinsicht.
Die erste Lehre ist: Man darf nicht zuschauen, wie vor
der eigenen Haustür ein Terroristenstaat entsteht, der
Dschihadisten aus der halben Welt und Menschen mit
krimineller Energie Rückzugs- und Ausbildungsraum
bietet. Dadurch wird letztendlich auch unser Leben gefährdet. Die Terroristen dort haben in der Tat nicht nur
eine regionale, sondern auch eine globale Agenda. In
Afghanistan hat man zu lange zugeschaut.
Die zweite Lehre ist: Zu glauben, dass Aufständische
und Rebellen weg sind, wenn man sie vertreibt, ist ein
Irrtum.
({4})
Sie sind nicht weg, sondern nur woanders. Die viel
schwierigere und größere Herausforderung, als einen
Konflikt militärisch zu entscheiden, ist möglicherweise,
ein Land nachhaltig zu stabilisieren. Die zweite Lehre
aus Afghanistan lautet daher: Es ist schwierig, mit vielen
Soldaten, von außen kommend, ein Land zu stabilisieren
oder sogar Nation Building zu betreiben. Wenn man an
diesem Ansatz festgehalten hätte, wäre man in Afghanistan wahrscheinlich gescheitert. Im Irak ist er ja gründlich
gescheitert. Deshalb ist es richtig, folgende Lehre zu ziehen: Örtliche Sicherheitsarchitekturen und regionale Sicherheitsbündnisse sind zu stärken und zu qualifizieren,
beispielsweise durch Ausbildung. Natürlich könnte man
mit einer vereinfachten Debatte in Deutschland weiterkommen; aber zur Ausbildung gehört natürlich auch die
Verantwortung für eine entsprechende Ausstattung. Es
ist nicht von vornherein ein ethisch einwandfreierer
Weg, jemanden auszubilden, ihm Geld zu geben und zu
sagen: Kauf die Dinge, die du brauchst, woanders.
All dies gehört zu einer kohärenten Politik. Darüber
müssen wir in Deutschland diskutieren. Dann werden
wir, glaube ich, auch Vertrauen in der Gesellschaft für
diesen Weg finden. Die Menschen merken schon, dass
unsere Interessen durch die Situation in Mali massiv tangiert sind.
Eine weitere Frage lautet: Brauchen wir ein Mandat
oder nicht? Ich glaube, dass es sich bei den hier infrage
stehenden zwei Flugzeugen um einen Grenzfall handelt.
Meine Prognose lautet: Wir werden in den nächsten Wochen scheibchenweise über weitere Möglichkeiten der
logistischen Unterstützung diskutieren. Das stärkt die
Glaubwürdigkeit und das Vertrauen nicht, wenn das
scheibchenweise geschieht.
({5})
Dass Sie kein Mandat eingefordert haben, ist ein Versuch, abzutauchen und die Debatte in der Öffentlichkeit
und im Bundestag zu vermeiden; schließlich stand ein
Wahltermin an. Das rächt sich in zweifacher Hinsicht.
Wer das Verfassungsgerichtsurteil zu den AWACS-Ein27044
sätzen genau liest, stellt vielleicht fest, dass es sich um
einen Grenzfall handelt. Die Richter sagen aber auch:
({6})
Im Zweifelsfall gilt eine parlamentsfreundliche Interpretation des Parlamentsbeteiligungsgesetzes.
Aber viel schlimmer ist für mich die politische Dimension. Ihr Weg führt dazu, dass sich die Regierung bei
manchen Anforderungen ganz schnell hinter dem Deutschen Bundestag versteckt. Es wurde schon angedeutet,
dass man froh ist, nicht allen Forderungen nachgeben zu
müssen. Keiner von uns will Soldaten in den Kampf
schicken, Herr Außenminister. Diese mannhafte Abwehr
eines Kampfeinsatzes in allen Ehren, aber niemand hier
will einen Kampfeinsatz, und niemand von uns hat ihn
gefordert. Sinnvoll ist aber logistische Unterstützung,
vielleicht nicht nur eingeschränkt auf einen Flugplatz. Es
sind ja auch andere Landesteile befriedet. Wenn man die
Gerätschaften auf einen Flugplatz dieser befriedeten
Landesteile bringt, braucht man sie nicht noch 2 000 Kilometer auf dem Landweg zu befördern. All das ist nicht
ganz glücklich und passt nicht gut zusammen.
Meine Sorge ist, dass, weil wir keinen Parlamentsbeschluss haben, bei unseren Partnern wiederum der Eindruck entsteht, der deutsche Parlamentsvorbehalt verhindere einen verantwortungsvollen Umgang Deutschlands
mit der Frage, ob ein militärischer Einsatz erfolgen oder
logistische Hilfe geleistet werden soll. Das schadet unserem Ansehen, und das schadet auch dem Parlamentsvorbehalt. Wenn Sie einen Beschluss haben wollen, dann
holen Sie ein Mandat des Deutschen Bundestags ein. Ich
glaube, Sie würden im Fall von Mali eine breite Zustimmung dazu erhalten.
Ein letzter Gedanke. Wir wissen - das wurde schon
öfters angesprochen -, dass Militär allein die Probleme
nicht lösen kann. Es hält nur ein Zeitfenster für die anderen Akteure offen. Richtig ist aber auch: Mali ist ein
Staat, der in den letzten 15 Jahren auf einem vernünftigen Weg war. Mali hat demokratische Fortschritte gemacht und in den letzten Jahren ein Wirtschaftswachstum von über 5 Prozent gehabt. Letztlich wissen wir alle:
Der Schlüssel für Stabilität in diesen fragilen Regionen
ist ein ganz einfacher, nämlich
Herr Kollege.
- ich bin fertig -, dass Menschen dort eine Zukunftschance haben müssen. Sie müssen etwas zu verlieren haben. Dann sind sie für fundamentalistische Ideen nicht
mehr empfänglich. Das muss das langfristige Ziel auch
in Mali sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Marina Schuster hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines zeigt die Aktuelle Stunde ganz deutlich: Man darf
die Problemlage in Mali nicht unterschätzen. Eine weitere Erkenntnis ist: Die Problemlage ist nicht neu. Die
Vorredner sind ja darauf eingegangen. Es hat sich eine
Zuspitzung der Situation angebahnt. Es ist deswegen
nicht aufrichtig von Ihnen, Kollege Arnold, dass Sie den
Eindruck erwecken, wir würden hier das erste Mal darüber reden. Wir haben in den Ausschüssen in vielen Sitzungen das Problem Mali und der Region sehr wohl behandelt. Wir als Parlament müssen uns immer wieder
vergewissern, was die richtigen Schritte sind und welche
Schritte gewählt werden sollen. Insofern ist es richtig,
dass wir die Beratungen anberaumt haben und die Aktuelle Stunde durchführen.
Eines ist auch klar: Uns kann der Zerfall eines Landes
südlich des Mittelmeers, hervorgerufen durch radikalislamistische Gruppierungen, nicht egal sein. Das ist fatal für die Menschen in Mali, und das bedroht auch die
Sicherheitsinteressen von Deutschland und Europa. Wir
stellen also ganz klar fest: Wir verurteilen die Terrorakte
der Islamisten. Ich sage aber auch ganz klar: Wir haben
mit großem Erschrecken die Medienberichte über Menschenrechtsverletzungen der malischen Regierungstruppen zur Kenntnis genommen. Deswegen begrüße ich
sehr, dass der Internationale Strafgerichtshof auf Einladung der malischen Regierung schon letztes Jahr Vorermittlungen aufgenommen hat und jetzt auch ermittelt;
denn alle grausamen, uns berichteten Menschenrechtsverletzungen müssen aufgearbeitet werden, müssen angeklagt werden. Es darf keine Straffreiheit geben.
({0})
Ein weiterer Punkt, der schon mehrmals erwähnt worden ist, ist die humanitäre Situation. Schauen wir uns die
aktuellen Zahlen und Schätzungen des UNHCR an: Es
wird mit weit mehr als 500 000 Menschen gerechnet, die
in Mali selber, aber auch in Nachbarländern, in Burkina
Faso, in Mauretanien, in Niger und in Algerien, Schutz
gesucht haben oder noch Schutz suchen werden. In Mali
gibt es allein 260 000 Binnenflüchtlinge. Das macht
schon deutlich, dass die großen Herausforderungen auch
dann noch bewältigt werden müssen, wenn die Militärmission zu Ende ist; dann muss die politische Komponente nochmals stark in den Vordergrund gerückt werden. Ich freue mich, dass der Außenminister das ganz
deutlich angesprochen hat. Ohne diesen politischen Prozess, ohne die Roadmap, die jetzt von malischer Seite
vorgelegt worden ist, wird es keine dauerhafte Lösung
geben. Insofern bin ich sehr froh, dass das ein ganz
wichtiger Schwerpunkt ist.
Es muss Verhandlungen mit dem Norden geben. Auch
Wahlen sind in Aussicht gestellt worden. Diesbezüglich,
glaube ich, ist Vorfreude zu früh. Wir haben oft genug
erlebt, dass Wahlen zwar mit großer Vorfreude erwartet
worden sind, dass aber dann die große Ernüchterung eingetreten ist, dass eben kein Automatismus hin zu RechtsMarina Schuster
staat und Demokratie und stabilen Verhältnissen folgte.
Ich glaube, es ist unheimlich wichtig, dass wir diese Situation ganz konsequent politisch bearbeiten.
({1})
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
Situation in der Region. Viele Vorredner sind ebenfalls
darauf zu sprechen gekommen: Es geht ja nicht nur um
die Probleme in Mali, sondern auch darum, dass die
Kämpfer sich in verschiedene Nachbarländer zurückziehen werden, in weite Gebiete, die sowieso schon kaum
unter staatlicher Kontrolle sind. Insofern ist hier die Aufforderung an ECOWAS, an Algerien, an Libyen zu richten, dass man zusammen mit der malischen Regierung
an einer Problemlösung arbeitet. Die regionale Dimension - wir werden morgen Nachmittag noch einmal eine
Debatte dazu führen - ist nämlich eine ganz wichtige
Komponente, die man nicht aus dem Auge verlieren
darf.
Der letzte Punkt. Ich bin sehr froh, dass bei der Geberkonferenz ein deutliches Signal der Unterstützung erfolgt ist. Letztendlich ist es eine Summe von Maßnahmen, die sozusagen im Portfolio sind. Natürlich ist die
humanitäre Hilfe unparteiisch, sie ist neutral; das ist ja
auch ganz wichtig. Auch deswegen ist es so wichtig,
dass die humanitären Hilfsorganisationen einen ungehinderten Zugang zu den Zivilisten haben, auch in den umkämpften Gebieten. Daher geht mein Appell an die Konfliktparteien, diesen Zugang sicherzustellen.
Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg,
wenn sie den politischen Prozess in den Vordergrund
rückt und die afrikanischen Partner zum einen darin unterstützt, dass diese Mission ein afrikanisches Gesicht
bekommt, und zum anderen dahin gehend, dass die afrikanische Problemlösungskomponente gestärkt wird. Da
sind wir auf dem richtigen Weg. Ich finde es gut, dass
wir diese Debatte heute führen, um die Problemlagen
darstellen zu können. Noch einmal: Wir unterstützen die
Bundesregierung auf diesem Weg.
Vielen Dank.
({2})
Florian Hahn hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Gehrcke, ich möchte kurz
etwas zu Ihrem Beitrag von vorhin sagen.
({0})
Sie haben gesagt, dass Sätze, die mit „Unsere Freundschaft zu …“ beginnen, immer negativ enden. Ich
möchte an dieser Stelle sagen: Unsere Freundschaft zu
Amerika, unsere Freundschaft zu Frankreich hat uns in
Deutschland die Freiheit, die Wiedervereinigung und in
Europa dauerhaften Frieden gebracht; das sollten wir
nicht vergessen.
({1})
Nun aber zum eigentlichen Thema. Als Rebellengruppen in Mali mit Beginn des Jahres 2013 überraschend
und erfolgreich weiter in Richtung Süden vorrückten
und ein Vormarsch bis in die Hauptstadt Bamako drohte,
griff Frankreich am 10. Januar militärisch ein. So konnten ein totaler Zusammenbruch Malis und die Etablierung eines terroristischen Stützpunktes vor der Haustür
Europas verhindert werden.
Das schnelle und couragierte Eingreifen Frankreichs
war und ist konsequent und richtig. Ich möchte mir nicht
die Folgen ausmalen müssen, was los gewesen wäre,
wenn unser Partner nicht eingegriffen hätte. Schön ist
- das sei an dieser Stelle gesagt -, dass auch Frau Müller
- sie ist inzwischen leider gegangen - das mittlerweile
begrüßt. Sie war am 14. Januar dieses Jahres noch gegen
ein militärisches Eingreifen und hat dieses abgelehnt.
Lieber Rainer Arnold, du kritisierst immer, die Bundesregierung sei zu zögerlich gewesen. Das kann ich so
nicht sehen; schließlich haben wir bereits am 16. Januar
entschieden, bei der Verlegung von ECOWAS-Kräften
im Rahmen der Operation AFISMA logistisch mit
Transall-Maschinen entsprechend zu unterstützen. Ich
möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, dass es dein
Kanzlerkandidat und dein Fraktionsvorsitzender waren,
die in dieser Zeit immer wieder gesagt haben, was alles
nicht geht, statt zu sagen, was wir zu tun bereit sind und
wie viel das wert ist. Beispielsweise schreibt newsticker.
sueddeutsche.de am 19. Januar 2013 - ich habe es gerade
herausgesucht - in einer Überschrift: „Mali: Steinbrück
gegen stärkeres deutsches Engagement in Mali“. Statt
uns vorzuwerfen, dass wir hier viel zu zögerlich gewesen wären, richte diesen Vorwurf doch bitte an deine eigenen Kameraden.
({2})
Wir werden insgesamt 75 deutsche Soldaten der Bundeswehr in den Einsatz bringen müssen. Des Weiteren
beteiligen wir uns finanziell in großem Maße an dieser
Operation.
Unsere Bundeskanzlerin hat bereits sehr früh, nämlich im Oktober letzten Jahres, die Unterstützung
Deutschlands in einer koordinierten europäischen Mission zur Stabilisierung Malis zugesichert. Wir setzen
dies nun konsequent und mit den richtigen Mitteln zusammen mit unseren Partnern um. Dies ist auch dringend geboten: Die Gefahr, die von einem islamistisch
dominierten Mali ausgehen würde, darf nicht unterschätzt werden; das wäre verheerend für die gesamte Sahelzone.
Neben der politischen Verantwortung, die wir bereit
sind mit unseren Partnern zu tragen, sind wir fest entschlossen, der flüchtenden Bevölkerung humanitäre
Hilfe zukommen zu lassen. Es liegt nun an uns, die afrikanischen Kräfte bei der Etablierung von staatlichen
Strukturen zu unterstützen. Ein instabiles Mali hat weitreichende Auswirkungen auf Nordafrika. In der Region
befinden sich viele Länder in instabiler Lage. Es besteht
die Gefahr, dass sich ein Flächenbrand entwickelt und
weitere anliegende Staaten angesteckt werden.
Mali könnte sich außerdem zu einem Sprungbrett für
transnationalen Terrorismus entwickeln. Die Vakanz
staatlicher Gewalt hat der organisierten Kriminalität, terroristischen Aktivitäten und dem Waffenhandel in die
Hände gespielt. Das hatte bereits negative Konsequenzen für die Sicherheit Europas und Deutschlands. Wie zu
lesen war, sind bereits 50 Personen der islamistisch-terroristischen Szene allein aus Deutschland in den Norden
Malis gereist, vermutlich, um sich dort ausbilden zu lassen. Diese Tatsache zeigt, dass wir auch direkt betroffen
sind.
Die französische Intervention ist nicht auf Dauer ausgelegt. Das haben die Franzosen von Anfang an klargemacht. Die Verantwortung muss daher absehbar an die
malische Regierung und die afrikanischen Truppen übergeben werden.
Aktuell wird neben der logistischen Unterstützung ein
deutscher Beitrag für die Ausbildung der malischen Sicherheitskräfte vorbereitet.
Insgesamt zeigt sich, dass Deutschland als verlässlicher Bündnispartner einmal mehr schnell und angemessen gehandelt hat. In Mali leisten wir einen starken
Beitrag, ähnlich wie das Vereinigte Königreich. In der
Türkei sind die Patriot-Systeme zum Schutz unseres
Bündnispartners so gut wie einsatzbereit. Wir sind weiterhin am Horn von Afrika, in Afghanistan und im Kosovo mit vielen Soldaten im Einsatz. Dabei dürfen wir
nicht vergessen, dass die Kapazitäten unserer Bundeswehr auch Grenzen haben.
Abschließend wünsche ich unseren Soldatinnen und
Soldaten in den Einsätzen und zu Hause alles Gute und
Gottes Segen.
Herzlichen Dank.
({3})
Anita Schäfer hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Eingreifen unserer französischen Freunde in Mali vor drei Wochen hat gerade noch
verhindert, dass die islamistischen Gruppen vom Norden
des Landes aus in Richtung der Hauptstadt vorstoßen
konnten. Mittlerweile haben sie diese gemeinsam mit
den malischen Streitkräften aus den meisten Städten vertrieben, die sie in den letzten Monaten besetzt hatten.
Wir sehen nun die Auswirkungen der fanatischen
Ideologie von al-Qaida im Maghreb und der mit ihnen
verbündeten islamistischen Tuareg-Rebellen: Bereits vor
längerer Zeit hat uns die Zerstörung der zum Weltkulturerbe gehörenden historischen Sufi-Schreine in Timbuktu
empört. Dies erinnerte uns an die Sprengung der BuddhaStatuen von Bamiyan durch die Taliban in Afghanistan,
wobei die Moscheen und Heiligengräber von Timbuktu
auch noch zum großen Erbe der islamischen Kultur in
Nordafrika selbst gehören, aber eben nicht in die engstirnige Religionsauslegung der Extremisten passten,
ebenso wenig wie die unersetzlichen mittelalterlichen
Handschriften, die sie Berichten zufolge bei ihrem
Rückzug aus Timbuktu mutwillig verbrannt haben. Aber
soeben konnte ich im Ticker lesen, dass zum Glück der
überwiegende Teil davon gerettet werden konnte.
Wie in Afghanistan hat die Welt die Zerstörung von
Kulturgütern in Mali beklagt, aber weitgehend hilflos
zugesehen und damit zugelassen, dass die Menschen in
den besetzten Gebieten auch körperlich unter dem ihnen
aufgezwungenen rigiden islamischen Recht litten. Es
reicht also nicht, Verbrechen gegen die Kultur anzuprangern, wenn dem absehbar Verbrechen gegen die
Menschlichkeit folgen; denn wer Gräber schändet, ob
hier bei uns in Deutschland oder in Mali, der schlägt
bald auch die Lebenden tot, die in seiner Ideologie keinen Platz haben.
({0})
Wir sehen jetzt Berichte von Gräueltaten an echten
oder vermeintlichen Islamisten und ihren Kollaborateuren durch Malier, die Rache suchen. Wir sehen die Verrohung, die Fanatismus, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen einer Seite über eine ganze Gesellschaft
bringen. Und wir fragen uns: Hätten wir das nicht verhindern können?
Es stimmt zwar: Wir können nicht überall auf der
Welt intervenieren, wo so etwas geschieht, nicht mit unseren zivilen und nicht mit militärischen Mitteln, nicht
als Bundesrepublik Deutschland, nicht als EU und nicht
als NATO, in der Realität nicht einmal als Vereinte Nationen, wenn gegensätzliche Interessen im UN-Sicherheitsrat dies verhindern. Und: Die rigide Rechtsprechung der Islamisten, die wir in Mali beklagen, ist in
manch anderem Land gang und gäbe. Wir erkennen an,
dass Politik die Kunst des Machbaren ist und Realitäten
folgen muss. Dazu gehört auch, dass die Lösung für Mali
ein afrikanisches Gesicht haben muss. Wir wollen nicht,
dass uns europäisches Engagement den Vorwurf des
Neokolonialismus einträgt.
Allerdings: Engagement wird zweifellos dort erforderlich, wo auch unsere eigenen Interessen im Kern berührt sind. Wir können nicht zulassen, dass in Mali ein
weiterer gescheiterter Staat entsteht, den international
agierende Terroristen als Operationsbasis auch gegen
Europa nutzen können. Hätten die Franzosen nicht gehandelt, müssten wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach
jetzt genau damit auseinandersetzen. Natürlich wäre es
wünschenswert gewesen, wenn Europa als Ganzes hätte
handeln können. Hier, meine Damen und Herren, sehe
ich noch Handlungsbedarf. Aber in der schnellen Anpassung der Pläne für die EU-Ausbildungsmission zeigen
sich trotz allem Fortschritte in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Auch wir werden uns an dieser Mission zur Ausbildung der malischen Truppen beteiligen. Der Bundestag
Anita Schäfer ({1})
wird dem in Kürze dafür zu erwartenden Mandat zweifellos mit großer Mehrheit zustimmen - wenn ich denn
die Stimmen aus der Opposition richtig deute, die die
Bundesregierung wiederholt zur Solidarität mit unserem
europäischen Partner gedrängt haben. Wir tragen nicht
zuletzt zu einer Lösung mit afrikanischem Gesicht bei,
indem wir die malischen Truppen zur Übernahme der Sicherheitsverantwortung für ihr eigenes Land befähigen,
wie wir das entsprechend auch in Afghanistan getan haben und noch tun. Bereits jetzt unterstützen wir die französische Operation und den Aufbau der westafrikanischen Eingreiftruppe mit drei Transportflugzeugen und
prüfen Materialabgaben zur Ausstattung der Afrikaner.
Ich fände es gut, wenn unsere Partner, wenn sie um
unsere Solidarität bitten, zunächst einmal ein schlichtes
„Ja, wir helfen euch“ als Antwort bekämen. Über alles
andere - ob Kampftruppen oder nicht, ob Zertifizierung
von Tankflugzeugen usw. - kann man dann anschließend
reden. Aber wir leisten den uns möglichen Beitrag und
suchen nach Wegen, diesen im Rahmen des politisch
Sinnvollen zu optimieren. Ich hoffe, dass der Bundestag
die Regierung dabei unterstützen wird. Die CDU/CSUFraktion wird es tun.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen
Einsichten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 31. Januar 2013,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.