Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/29/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto Solms zu seinem 72. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen gefeiert hat. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Solms. Im Namen des Hauses alle guten Wünsche. ({0}) Im Übrigen feiert heute der Direktor beim Deutschen Bundestag, Staatssekretär Semmler, seinen 65. Geburtstag. ({1}) Das ist eine schöne Gelegenheit, ihm vor dem Hohen Hause nicht nur zum Geburtstag zu gratulieren, sondern für seine langjährigen Dienste in der Bundestagsverwaltung und nun an der Spitze derselben zu danken, verbunden mit allen guten Wünschen für den bevorstehenden Ruhestand. ({2}) Nun mache ich Sie darauf aufmerksam, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, mit Ausnahme des Antrages des Bundesministeriums der Finanzen auf der Drucksache 17/11669, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ökonomische und verfassungsrechtliche Auswirkungen der Vermögensteuerpläne von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ({3}) ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 17/10754, 17/11269 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({4}) - Drucksache 17/11705 - Berichterstattung:- Abgeordneter Rolf Hempelmann ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen - Asylbewerberleis- tungsgesetz reformieren - Drucksache 17/11674 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete - Drucksachen 17/5912, 17/11716 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelRüdiger VeitHartfrid Wolff ({6})- Ulla Jelpke- Josef Philip Winkler ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Ergänzung zu TOP 51 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte stärken - Drucksache 17/11375 25630 Präsident Dr. Norbert Lammert Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({7})Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Tourismus - Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen - Drucksache 17/11652 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10})- Finanzausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für Tourismus - Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan Soziale Sicherung - Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende - Drucksache 17/11665 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11})- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Ergänzung zu TOP 52 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Be- obachterstatus in der UNO zustimmen - Drucksache 17/11678 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11618 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11619 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({14}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11620 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11621 - ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Auffassungen der Koalitions- fraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Strompreiserhöhung aussetzen - Faire Strom- preise für alle - Drucksache 17/11656 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({16}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil ({17}), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende - Masterplan Energiewende - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte - Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719 Berichterstattung:Abgeordneter Thomas Bareiß Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({18}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen - Drucksachen 17/8493, 17/9713 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({19})Karin Roth ({20})Helga DaubNiema MovassatUwe Kekeritz ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch - Drucksache 17/11726 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({21})- Innenausschuss - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Ausschuss für Gesundheit ZP 10 a)Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Fortschritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland - Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes ({22}) - Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11469, 17/11669 ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen - Drucksachen 17/3685, 17/9587 Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Edgar Franke ZP 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wohnungspolitische Verantwortung bei Übertragung der bundeseigenen TLG-Wohnungen sichern - Drucksachen 17/9737, 17/10717 Berichterstattung:Abgeordneter Peter Götz Über die Aufsetzung des von mir gerade genannten Antrages werden wir morgen früh vor Eintritt in die Tagesordnung abstimmen. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Des Weiteren werden die Tagesordnungspunkte 23, 27, 42, 46 und 48 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Sind Sie damit einverstanden? Das sieht so aus. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 17/10754, 17/11269 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({25}) - Drucksache 17/11705 Berichterstattung:Abgeordneter Rolf Hempelmann Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler, das Wort. ({26})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Montag haben wir den Netzentwicklungsplan vorgelegt. Gestern hat das Bundeskabinett eine Verordnung für mehr Versorgungssicherheit in Deutschland beschlossen. Und heute diskutieren wir abschließend über das Energiewirtschaftsgesetz. Allein dies zeigt: eine gute Woche zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende in Deutschland. ({0}) Diese Umsetzung, anders als bei Rot-Grün zu ihrer Regierungszeit, ist bei dieser Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP ausdrücklich in guten Händen. ({1}) Wie war es denn zu Ihrer Zeit? Sie haben den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, aber keinerlei Pläne vorgelegt zum Netzausbau, zum Ausbau der erneuerbaren Energien oder für mehr Speichertechnologien. ({2}) Kollege Altmaier hat berichtet: In seinem Ministerium, das von Rot und Grün geführt wurde, gab es nicht einen einzigen Plan zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende. Jetzt gegen das Energiewirtschaftsgesetz zu sein, ist unsolide, unglaubwürdig und unseriös. ({3}) Es geht um den Ausbau der erneuerbaren Energien, ganz konkret der Offshorewindenergie. Da muss man sich schon sehr wundern: Es stehen Milliardeninvestitionen an, die nicht nur Versorgungssicherheit durch eine neue Energieerzeugungsform, sondern auch viele Hunderte, vielleicht Tausende neue Arbeitsplätze im Norden unseres Landes schaffen, und die Grünen sind gegen dieses Gesetz. ({4}) Also halten wir doch zuerst einmal fest: Die Grünen sind gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. ({5}) Sie sind gegen Offshorewindenergie. Das ist das wahre Gesicht der Grünen in der deutschen Energiepolitik. ({6}) Bei den Roten sieht es leider nicht viel besser aus. ({7}) In seinem letzten Redebeitrag hat sich der Kollege noch darüber beschwert, es würde bei der Offshorewindenergie nicht vorangehen. Jetzt liegt das Gesetz vor. Wir machen den Weg frei für ebendiese Milliardeninvestitionen, und Sie sind dagegen! Gehen Sie doch einmal zu den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen oder Niedersachsen! Gehen Sie doch einmal an die Werkstore und sagen Sie den Menschen dort, Sie seien gegen diese neue Form der Industrie, Sie seien gegen die Unternehmen, Sie seien gegen die Menschen, Sie seien gegen die Arbeitsplätze zum Beispiel in Niedersachsen. ({8}) Ich bin sehr gespannt, ob Sie den Mut haben, hier Nein zu sagen. Aber den Menschen hier vorzumachen, Sie seien für erneuerbare Energien, ({9}) ist unehrlich, Frau Steiner. Sie kommen auch aus Niedersachsen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. ({10}) Wenigstens ist hier richtig Stimmung, wenn sie da ist. ({11}) Ja, der Ausbau der erneuerbaren Energien kostet Geld. Wenn man Kernkraftwerke abschalten will, braucht man Ersatzkapazitäten, konventionelle Kraftwerke - Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke -, aber eben auch Offshorewindenergie. Das wird zu bezahlen sein. Weil es viel Geld kostet, weil Investitionen notwendig sind, teilen wir die Belastungen gerecht auf: auf die Offshorewindparkbetreiber, auf die Übertragungsnetzbetreiber und auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Weil wir wissen, dass die Risiken zwar klein, aber die Kosten im Schadensfall vergleichsweise hoch sind, haben wir dafür gesorgt, dass die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger auf 0,25 Cent je Kilowattstunde gedeckelt werden. Das ist gerade einmal 1 Prozent des aktuellen Strompreises. ({12}) Das, was im Haftungsfall die Industrie an Erstattung bekommt, wird am Ende der Förderlaufzeit genau dieser Industrie auch wieder abgezogen. Das ist ein gerechtes Verhältnis zwischen dem Investitionsnutzen und den Kosten. Wir stellen fest: Dies ist erstmals eine Regelung, die die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher begrenzt. Aber Rot und Grün sind gegen diese Begrenzung bei den erneuerbaren Energien. ({13}) Wir wissen: Erneuerbare Energien werden nur dann wirtschaftlich werden können, wenn wir genügend Speicherkapazitäten zur Verfügung haben. ({14}) Deswegen unterstützen wir Pumpspeicherkraftwerke, weil wir Speicherkapazitäten brauchen, die auch industriell nutzbar sind. Sie sagen: Ja, wir brauchen erneuerbare Energien. Ja, wir brauchen Speicher. - Das ist alles sehr wolkig und unscharf formuliert; denn wenn es konkret wird, sind Sie wiederum dagegen. ({15}) Wir wissen, wir brauchen beides: erneuerbare Energien und Speicher. Deswegen handeln wir und schlagen mit dem Energiewirtschaftsgesetz den richtigen Weg ein. ({16}) Zum Energiewirtschaftsgesetz gibt es ein Wintergesetz. Hierbei geht es ganz konkret um die Versorgungssicherheit in den nächsten beiden Wintern. Ja, wir wissen, das sind ordnungspolitisch und wirtschaftspolitisch durchaus streitige Maßnahmen. ({17}) Aber in der Abwägung zwischen diesen streitigen Maßnahmen auf der einen Seite und der Versorgungssicherheit für die Menschen in Deutschland in den nächsten beiden Wintern auf der anderen Seite haben sich diese Regierung und diese Koalition völlig zu Recht für die Versorgungssicherheit der Menschen und Unternehmen in Deutschland entschieden. ({18}) Warum müssen wir solche Maßnahmen auf den Weg bringen, Frau Höhn? Weil es ein Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien, das EEG, gibt, das zum Beispiel durch den Einspeisevorrang konventionelle Kraftwerke immer unwirtschaftlicher werden lässt. Deswegen muss man im Interesse der Versorgungssicherheit solche Maßnahmen ergreifen. Sowohl unsere Maßnahmen im Bereich der Offshorewindenergie als auch die Maßnahmen, die jetzt im Rahmen des Wintergesetzes notwendig werden, zeigen nur eines: Wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der umweltfreundlichen Produktion, bei der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit der Energie weiter vorankommen wollen, dann brauchen wir eine grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung der erneuerbaren Energien. ({19}) Wir sind in dieser Woche einen großen Schritt vorangekommen durch neue Netze, durch Versorgungssicherheit und durch dieses EnWG. ({20}) Weitere Schritte werden folgen müssen. Ein nächster großer Schritt ist die Reform des EEG. Anders wird die Bezahlbarkeit der Energie in Deutschland nicht sicherzustellen sein. ({21}) Dieses Gesetz, Frau Steiner, führt genau in die richtige Richtung - zu notwendigen Reformen für eine bessere Energieversorgung in Deutschland. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Rösler, die Energiewende bietet, wenn man sie richtig betreibt, in allererster Linie eine Riesenchance für das Industrieland Bundesrepublik Deutschland. Wir können, wenn wir es richtig machen, unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auf diesem Gebiet Ausrüster der Welt sein können: mit Energieeffizienz, mit modernen Formen von Energieproduktion durch erneuerbare Energien. Wir haben in Deutschland das ingenieurwissenschaftliche Know-how dazu, wir verfügen über die notwendigen Fähigkeiten. Was wir allerdings nicht haben, ist eine Bundesregierung, die diese Chance nutzt. Deshalb gerät die Energiewende, die eine Operation am offenen Herzen unserer Industriegesellschaft ist, durch die Unfähigkeit und das Chaos in Ihrer Regierung zu einem Riesenproblem. Sie fahren gerade die Energiewende an die Wand, Herr Rösler. ({0}) Wir können Vorreiter sein, auch in Bereichen, wo wir Neuland oder wie in diesem Fall See betreten, gar keine Frage. Offshorewindenergie ist nicht nur ein zentraler Eckpfeiler einer stabilen Energieversorgung der Zukunft, sondern Offshore ist eine neue Technologie. Da gibt es erhebliche Risiken. Da ist vieles technisch noch nicht gelöst. Gleichwohl ist dieser Weg richtig. Wir bekennen uns dazu. Wir wollen, dass Stromerzeugung mittels Windkraftanlagen auf See einen wichtigen Beitrag für den Energiemix der Zukunft leistet. Offshoreanlagen erreichen eine höhere Volllaststundenzahl als andere Anlagen und sind Teil einer stabilen Energieversorgung durch Erneuerbare. Aber ich sage noch einmal: Es ist das Chaos in dieser Bundesregierung, das zu einer Situation geführt hat, die sich folgendermaßen beschreiben lässt: Noch vor ein, zwei Jahren waren immense Investitionen von großen EVUs, aber auch von Stadtwerken im Bereich Offshore geplant. Heute jedoch müssen wir erleben, dass diese Unternehmen ihr Investment Stück für Stück canceln, weil diese Bundesregierung die Aufgabe, erneuerbare Energien offshore auszubauen, schlicht und ergreifend unterschätzt hat. Sie sind dieser Aufgabe Hubertus Heil ({1}) nicht gewachsen, und deswegen gehen die Investitionen jetzt den Bach herunter. ({2}) Das hat Folgen für Arbeitsplätze in unserer niedersächsischen Heimat, in Norddeutschland insgesamt. Wenn man es richtig macht, bietet Offshore eine Chance für Industrialisierung an den Küsten des Nordens, für Wertschöpfungsketten beispielsweise im Schiffbau. Sie haben Planungs- und Investitionsunsicherheit geschaffen. Sie versuchen jetzt, das mühsam zu reparieren durch ein Gesetz, das neue Ungerechtigkeiten schafft. Das alles gefährdet Beschäftigung, Arbeitsplätze und eine sichere Energieversorgung in diesem Land. Herr Rösler, Sie sind der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist genau das Problem. ({3}) Was machen Sie jetzt mit diesem Gesetz? Flickschusterei! Sie wälzen im Wesentlichen die Haftungsrisiken auf die Verbraucher ab. Herr Rösler, Sie sollten keine Krokodilstränen über höhere Strompreise vergießen, wie Sie es heute im Morgenmagazin getan haben, wenn Sie gleichzeitig den Verbrauchern mit diesem Gesetz höhere Strompreise bescheren. Das ist unglaubwürdig, Herr Rösler. ({4}) Eine faire Lastenteilung in der Energiewende sieht anders aus. Marktwirtschaftliche Instrumente, Herr Brüderle, sehen völlig anders aus als das, was Sie mit diesem Gesetz vorhaben. Das ist ja reine Planwirtschaft, nichts anderes. Das muss man einmal feststellen. ({5}) Wo sind denn Ihre Vorschläge, die dafür sorgen, dass wir beim Netzanschluss - denn das ist die Hauptaufgabe trotz aller technisch ungelösten Probleme wirklich vorankommen? Wir hatten in Deutschland eine Riesenchance, in den Jahren 2008 und 2009 beim Unbundling durch die Schaffung einer deutschen Netz AG mit öffentlicher Beteiligung, aber im Wesentlichen privatwirtschaftlich organisiert, die Feuerkraft für Investitionen in diesem Bereich zu organisieren. Damals waren es der Bundesminister Michael Glos, meine Damen und Herren von der CSU, und später Ihr famoser Herr Guttenberg, die sich einer solchen vernünftigen Lösung verweigert haben. Das Ergebnis sehen wir eben heute. Wir sehen heute, dass die Investitionen, die notwendig wären, nicht mobilisiert werden können: Investitionen in den Netzanschluss - da gibt es Probleme - und in Leitungen an Land, die benötigt werden, um Strom vom Norden in den Süden zu bringen. Lassen Sie uns doch eine Diskussion über eine deutsche Netz AG führen. Sogar Herr Homann von der Bundesnetzagentur hält sie für eine Möglichkeit, das Problem vernünftig zu lösen; Herr Rösler, Sie haben ihn im Wesentlichen mit ins Amt gebracht, wenn ich mich recht entsinne. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob es nicht vernünftig wäre, das Problem der Offshoreanbindung zu nutzen, um den Nukleus einer deutschen Netz AG zu schaffen. Unser Vorschlag ist konkret. Wir wollen, dass wir uns auf diesen Weg machen. Wir könnten dann von öffentlicher Seite, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, einsteigen, um Haftungsrisiken abzusichern und sie nicht auf die Verbraucher abzuwälzen. Herr Rösler, das ist eine Alternative zu dem, was Sie hier vorlegen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Rösler: Sie tragen persönlich Verantwortung für das, was im Moment scheitert. Sie schaffen es nicht, mit Herrn Altmaier wirklich zu Lösungen zu kommen, sondern markieren lediglich für den Bundestagswahlkampf. Die Rede, die Sie eben gehalten haben, war ein beredter Hinweis auf Ihre Position im Wahlkampf; aber Sie werden Ihrem Amt nicht gerecht. Ein Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich für eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung für die Wirtschaft und für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land zuständig ist, muss mehr bieten als die Rede, die wir eben gehört haben. Ich habe heute Morgen gehört, dass Sie im Morgenmagazin einen Masterplan zur Energiewende gefordert haben. ({6}) Da kann ich nur sagen: Gute Idee, Herr Minister! Wie viele Jahre haben Sie eigentlich gebraucht, um auf diese geniale Idee zu kommen? Tatsache ist: Wir brauchen eine bessere Koordinierung. Es mag sein, dass Sie die Versorgungssicherheit im nächsten Winter so garantieren müssen, wie Sie es jetzt mit Ihrem Zwangsanschaltgesetz machen. Wir sind in einer Lage, in der die Versorgungssicherheit im Winter nicht mehr garantiert ist, weshalb Sie Zwangsmaßnahmen ergreifen müssen, die mit Marktwirtschaft nun wirklich nichts zu tun haben. Sie zwingen die Unternehmen, konventionelle Kraftwerke im Süden anzuschalten, die sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen. Das wird in den nächsten drei oder vier Wintern möglicherweise notwendig sein; vielleicht gibt es gar keine Alternativen mehr, weil Sie uns in diese Situation gebracht haben. Sie haben aber auch keine Idee, wie es danach weitergehen soll, wie ein Strommarktdesign der Zukunft aussieht, wie wir die erneuerbaren Energien vernünftig ausbauen, sie Stück für Stück in die Vermarktung überführen und sie mit Reservekapazitäten koppeln. Sie haben keinen Vorschlag vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie ein solches Strommarktdesign aussehen könnte. Dafür hatten Sie eigentlich genug Zeit. Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister: Für den Offshorebereich und für die Versorgungssicherheit sind Sie nicht der Experte. ({7}) Hubertus Heil ({8}) Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die Chancen Norddeutschlands und Deutschlands insgesamt im Bereich der erneuerbaren Energien zu nutzen. Sie schimpfen in einer Tour über die erneuerbaren Energien, anstatt sie vernünftig auszubauen und zu fördern. Sie sorgen nicht für die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit. Sie sorgen nicht für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Sie verspielen die Chancen, die für das Industrieland Deutschland in der Energiewende stecken, auch die Chancen im Export unserer Technologien. Sie schaffen keine Planungs- und Investitionssicherheit und vernichten dadurch Arbeitsplätze. Wir müssen nach der Bundestagswahl mit diesem Chaos aufräumen. Wir können Energiewende, und Sie nicht. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das Wort. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Tat geht es heute um zwei zentrale energiepolitische Vorhaben beim Umbau der Energieversorgung, die wir im Übrigen im letzten Jahr mit großer Mehrheit und fraktionsübergreifend hier in diesem Hause beschlossen und auch im Bundesrat einmütig auf den Weg gebracht haben. Um was geht es konkret? Es geht zum einen um Planungssicherheit im Offshorebereich, um den Offshorewindbereich dorthin zu bringen, wo wir ihn gemäß unserer Ziele haben wollen; ich werde gleich noch darauf eingehen. Es geht zum anderen um die Übergangsphase, in der die erneuerbaren Energien aufgrund von Fixkostenvergütungen, Einspeisegarantien und anderen Regelungen eine Dimension erreicht haben, die im Winter zu der Problematik führt, dass die Erneuerbaren nicht den Beitrag leisten können, den sie leisten sollen, weil die Sonne nicht so scheint und der Wind nicht so weht, wie wir uns das wünschen. ({0}) - An der Küste ist es auch nicht anders; da scheint nachts auch nicht die Sonne. Das wird trotz fortschreitendem Klimawandel auch nicht anders werden. Mit dem Wind verhält es sich ähnlich; das wissen Sie genau. Wir stehen vor folgender Situation: In diesem Jahr werden über 25 Prozent des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt. Im Winter werden wir wieder die Situation haben, dass nicht genug installierte Kapazität zur Verfügung steht. Wir mussten deshalb im letzten Winter insbesondere in Süddeutschland auf Strom aus Österreich zurückgreifen und zeitweise Reservekraftwerke zur Stromlieferung verpflichten, um die Versorgung sicherzustellen. Lassen Sie mich auf folgenden Effekt eingehen. Der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien wird immer größer, aber im Spitzenlastbereich muss zusätzlich Strom aus konventioneller Energie eingesetzt werden. Wenn die konventionellen Kraftwerke aber über das Jahr so wenig zum Einsatz kommen, dann sind sie nicht mehr rentabel. Das betrifft nicht nur neu gebaute, sondern auch bestehende Kraftwerke. Im nächsten Winter werden wir zusätzlich 2,6 Gigawatt, also 2 600 Megawatt - das entspricht der Leistung von drei Kernkraftwerken -, als Reserve brauchen, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Durch eine Übergangslösung bis 2017 - das fällt uns nicht leicht, weil es in der Tat ein Eingriff in den Markt ist - wollen wir ausreichend Reserven für den Winter sicherstellen. Für Mitte des Jahres 2014 ist eine Überprüfung vorgesehen. Des Weiteren haben wir gestern im Bundeskabinett eine Verordnung zu abschaltbaren Lasten auf den Weg gebracht. Das ist eine Möglichkeit, genug Strom zu erzeugen. Die andere Möglichkeit ist, dass man bei Spitzenlast Lasten insbesondere im industriellen Bereich vom Netz nimmt, und zwar dort, wo es möglich ist. Für die Übergangszeit ist das wichtig. Wir finden hier eine Balance, um schwierige Situationen zu überbrücken. Wir haben auch ein Problem bei den Pumpspeicherkraftwerken. Dort haben wir eine ähnliche Situation. Auf der einen Seite brauchen wir mehr Speicherkapazität, um den diskontinuierlich erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern. Auf der anderen Seite werden Pumpspeicherkraftwerke durch den Wegfall der Mittagsspitze über das Jahr hinweg zunehmend unrentabel. Das heißt, dass sich nicht nur neue, sondern auch bestehende Pumpspeicherkraftwerke nicht mehr rechnen. Mit dem Gesetz versuchen wir Anreize zu setzen, um durch den Einsatz neuer Technik die Effizienz der bestehenden Pumpspeicherkraftwerke zu erhöhen. Das ist die eine Seite der Medaille. Offshore ist ein weiteres Thema. Ich darf daran erinnern: Wir haben uns gemeinsam das Ziel gesetzt, bis 2020 10 Gigawatt und bis 2030 25 Gigawatt durch Offshoreanlagen zu produzieren. Leider wurden bisher nur 2 Prozent davon umgesetzt. ({1}) Was sind die Gründe? Die Gründe liegen in der Vergangenheit. Wir können uns jetzt darüber streiten, wer dafür Verantwortung trägt oder nicht. Als das auf den Weg gebracht wurde, war Herr Gabriel Umweltminister. ({2}) Wir können jetzt sagen: Der ist schuld. - Das mache ich aber nicht. Bei einer neuen Technologie sind die Gründe vielfältig. Es gibt technische Gründe - beispielsweise bei der Gründung -, es gibt Engpässe bei den entsprechenden Spezialschiffen, die notwendig sind; es gibt nicht genug Kabel, ({3}) es gibt den Tidenhub, und es gibt logistische Herausforderungen. Das alles sorgt dafür, dass es nicht so umgesetzt werden konnte, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben zeitliche Verzögerungen, insbesondere beim Netzanschluss. Wir stehen vor der Situation, dass beispielsweise Windparks einsatzfähig sind, aber der Strom nicht abtransportiert werden kann. ({4}) In den Jahren 2010 und 2011 haben wir bereits zwischen 20 Millionen und 35 Millionen Euro für produzierten Strom ausgegeben, der nie beim Verbraucher ankam. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Manche sagen: Dann machen wir halt nichts; dann fährt das alles gegen die Wand. - Aber die Offshoreenergie hat großes Potenzial. Es besteht die Chance, bis 2020 8 bis 10 Prozent und bis 2050 25 bis 30 Prozent des gesamten Stroms offshore zu produzieren. Offshorewindenergie leistet auch einen Beitrag zur Systemstabilität. Die Sonne scheint eben, wie gesagt, nicht Tag und Nacht, und auch der Wind weht onshore nicht so kontinuierlich wie offshore. Daher haben wir in diesem Bereich nur eine Verfügbarkeit von 2 bis 5 Prozent. Demgegenüber haben wir offshore eine Verfügbarkeit von ungefähr 4 500 Stunden. Neueste Zahlen belegen, dass die Windparks in der Ostsee im letzten Jahr über 4 200 Volllaststunden erbracht haben. Insofern können sie einen guten Beitrag zur Systemstabilität leisten. Offshorewindenergie kann mittelfristig auch zur Senkung des Energiepreises beitragen. Jetzt, am Anfang, ist die Vergütung zwar vergleichsweise hoch. Die Vergütung im Bereich Offshorewindenergie wird aber im Gegensatz zu der Vergütung in den Bereichen Onshorewindenergie und Photovoltaik nur neun Jahre lang gezahlt. Dann läuft die Förderung aus. Das heißt, wir haben keine 20-jährige Bindung. Nach dem Ablauf von neun Jahren beträgt die Vergütung 4,5 Cent pro Kilowattstunde, was absolut wettbewerbsfähig ist. ({5}) Das Exportpotenzial ist bereits angesprochen worden. Offshorewindenergie zählt nämlich nicht zum Bereich Lowtech, sondern zum Bereich Hightech, und zwar hinsichtlich der Anlagen, der Leitungen und des sonstigen Know-hows, das damit verbunden ist. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, die zeitlichen Verzögerungen zu berücksichtigen und die ungeklärten Haftungsfragen, die sich daraus ergeben, dass es sich hier um eine neue Technologie handelt, zu klären. Bei der Offshorewindenergie ist es nicht so wie bei der Nutzung der Windenergie an Land oder der Nutzung anderer Technologien, bei denen das Risiko auf dem Markt versicherbar ist. Wir müssen eine Lösung finden, damit die bestehenden Projekte fortgeführt und zum Erfolg geführt werden können, und gleichzeitig müssen wir für die neuen Projekte zukunftsfähige Regeln finden. Diesen Gordischen Knoten gilt es zu durchschlagen. Deswegen unterbreiten wir heute diesen Vorschlag, der einen guten Ausgleich darstellt. Damit schaffen wir einerseits Planungssicherheit für die Investoren, und andererseits wird der Verbraucher nicht über Gebühr strapaziert. Wie machen wir das? Wir definieren Fahrlässigkeit klar. Die Haftungssumme bei leichter Fahrlässigkeit soll 17,5 Millionen Euro pro Projekt betragen. Das war der große Streitpunkt: Wie hoch muss dieser Betrag sein, damit trotzdem noch Investitionen ausgelöst werden? Wichtig ist, dass nicht nur die Umlage ausgelöst wird, sondern wirklich neue Projekte entstehen und auch private Investoren dabei sind. Auf der anderen Seite sehen wir einen Selbstbehalt von 110 Millionen Euro pro Jahr für die Netzbetreiber vor, die in diesem Bereich auf dem Markt aktiv sind. Jetzt geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen. Wir müssen nicht nur die bestehenden Projekte umsetzen, sondern auch dafür sorgen, dass es zukünftig neue Projekte gibt. Deshalb synchronisieren wir im Offshorenetzentwicklungsplan den Ausbau der Offshorekapazitäten mit dem Kapazitäts- und Netzausbau. Damit bringen wir beides zusammen; das ist bisher unterlassen worden. Vor dieser Aufgabe stehen wir heute. Heute drücken wir den Startknopf. Ich bin gespannt, ob der Bundesrat, in dem auch Vertreter der Oppositionsparteien vertreten sind, diesen vernünftigen Weg mitgeht und ob Sie hier und heute bereit sind, diesen vernünftigen Weg mitzugehen, oder das Ganze gegen die Wand fahren lassen und damit die Arbeitsplätze und die Energieversorgung gefährden. Damit würden Sie letzten Endes das Gegenteil dessen erreichen, was Sie hier immer so schön propagieren. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist der Anlass für die Debatte? Die Netzanbindung von Windparks im Meer - dazu wird meine Kollegin Johanna Voß sprechen ({0}) und die Tatsache, dass Energieversorgern verboten werden soll, Kohle- und Gaskraftwerke stillzulegen unter Zahlung einer Entschädigungsleistung. Warum? Energiekonzerne drohen momentan damit, dass sie eine Reihe von Kraftwerken stilllegen müssen, weil sie sich angeblich nicht mehr rentieren. Diese Woche berichtet Der Spiegel von einer vertraulichen Studie des Umweltministeriums von Nordrhein-Westfalen, nach der allein in diesem Bundesland die Stilllegung von 29 Kraftwerken droht, und zwar vorzeitig; denn ihre technische Lebensdauer liegt noch bei 20 bis 30 Jahren. Nun fragt sich natürlich jeder, warum das so ist. Die Mengen an Wind- und Solarstrom hätten so stark zugenommen, dass die Großhandelspreise sinken würden. Das mache den Betrieb von Kohle- und vor allem von Gaskraftwerken zunehmend unwirtschaftlich, so die Energiekonzerne. Sinkende Strompreise durch erneuerbare Energien - ich glaube, ganz viele Bürgerinnen und Bürger sind nun ein bisschen verwirrt. Vor zwei Wochen erhielten sie die Nachricht ihres Stromversorgers, dass die Strompreise wegen der Förderung der erneuerbaren Energien zum 1. Januar 2013 steigen müssen. Die Strompreise sollen um durchschnittlich 12 Prozent ansteigen. Einige Versorger verlangen mit einem Aufschlag von bis zu 20 Prozent sogar deutlich mehr. Man fragt sich wirklich: Wie passt das zusammen? Richtig, die Umlage für erneuerbare Energien steigt im nächsten Jahr um 1,7 Cent pro Kilowattstunde. Damit wird die Strompreisexplosion begründet. Diese Aussage bestimmte in den letzten Wochen die Titelseiten der Zeitungen. Nun muss man aber wissen, was nicht in den Zeitungen steht, nämlich dass die EEG-Umlage nicht nur deshalb erhöht wird, weil wir einen Zubau von Solar- und Windstromanlagen wollen, sondern weil unter anderem die Ausnahmeregelungen für Industrien stark ausgeweitet wurden. Man kann sagen, dass die Industrierabatte mindestens 1 Cent ausmachen. ({1}) Es wird verschwiegen, dass der Zubau von erneuerbaren Energien zu sinkenden Preisen an der Strombörse führt. ({2}) Das ist richtig; denn Ökostrom dämpft den Preisanstieg, und zwar derzeit um 0,9 Prozent. Jedes Solardach und jedes neu angeschlossene Windrad führen tendenziell dazu, dass der Strom preiswerter wird. Aber die Energiekonzerne klagen, dass alles so schlimm sei. Die Preise an der Börse seien so niedrig, es lohne sich also nicht mehr, insbesondere Gaskraftwerke zu betreiben. Warum? Der Profit ist entscheidend und nicht die Versorgungssicherheit. Das ist ein Skandal. ({3}) Einerseits sagt die Bundesnetzagentur, es gebe genügend Kraftwerke, um die Stromversorgung im nächsten Winter sicherzustellen, andererseits ist die Drohkulisse durch die Energiekonzerne so groß, dass der Bundeswirtschaftsminister sagt: In diesem Bereich verzichte ich auf marktwirtschaftliche Mechanismen, jetzt gibt es einen Plan, ein Verbot der Stilllegung. - Dieses Stilllegungsverbot ist aber nicht umsonst. Der Staat soll dafür zahlen, dass die Energiekonzerne ihre Kraftwerke weiterbetreiben. ({4}) Als Finanzpolitikerin frage ich mich: Welche Stilllegungsankündigung der Energieversorger ist berechtigt? Wobei handelt es sich vor allem um eine Drohkulisse, und wann ist es so, dass die Kraftwerke tatsächlich nicht rentabel sind? ({5}) Dann gibt es noch die angedrohten Abschaltungen. Hier muss ich fragen: Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine angemessene Entschädigung? - Herr Rösler, es ist schön, dass Sie versuchen, zuzuhören, während Sie von der Seite angesprochen werden. - Ich frage mich wirklich: Wollen wir heute einen Blankoscheck ausstellen? Es soll einfach verabschiedet werden, dass die Energiekonzerne eine Prämie zur Verhinderung der Stilllegung erhalten. Über die Höhe dieser Stilllegungsprämie reden aber nicht wir hier im Bundestag, sondern die Festlegung soll auf dem Verordnungsweg, also am Parlament vorbei, geschehen. Das ist ein zusätzlicher Skandal. ({6}) Sie machen wieder einmal Politik am Parlament vorbei. Noch am Montag stand dieser Gesetzentwurf nicht auf der Tagesordnung des Bundestages. Er wurde erst am Dienstag auf die Tagesordnung gesetzt. ({7}) Am Dienstagabend erhielten die Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses 60 Seiten mit Änderungsanträgen. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich alle intensiv damit auseinandersetzen konnten. ({8}) Das glaubt Ihnen niemand. Wir von der Opposition konnten das auch nicht. ({9}) Manche Energieversorger sagen, das Geschäft lohne sich nicht mehr, alles sei so schlimm. Schauen wir uns doch einmal an, wie es konkret aussieht: RWE hat in den ersten drei Quartalen dieses Jahres eine Gewinnsteigerung um ein Drittel auf 1,88 Milliarden Euro erzielt. Eon hat für 2013 seine Gewinnerwartung nach unten korrigiert. In diesem Jahr geht man von einem Gewinn von 4,1 bis 4,5 Milliarden Euro aus. Auch Eon schreibt im nächsten Jahr noch keine roten Zahlen. Sie verzeichnen also eine Verringerung des Profits, aber sie schreiben keine roten Zahlen, sondern machen weiterhin Profit. Es geht ihnen nur um Profitmaximierung, aber nicht um Versorgungssicherheit. Das macht doch den Grundkonflikt deutlich. ({10}) Der Grundkonflikt ist folgender: Den privaten Unternehmen geht es um Gewinnmaximierung und nicht um Versorgungssicherheit. Das kann nicht die Zielsetzung sein. Energieversorgung ist ein Gut, auf das wir alle angewiesen sind. Deshalb gehört sie in öffentliche Hand. Noch eines: Wenn Sie hier schon solch einen Gesetzentwurf verabschieden wollen, frage ich mich, warum Sie zu allem Überfluss wieder viele kommunale Stadtwerke benachteiligen. Diese können nicht einfach abschalten. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Heizung im Winter läuft und warmes Wasser da ist. Die Wärmeversorgung ist der Auftrag der Kommunen. Damit fallen sie nicht unter das Gesetz. Das heißt, Sie wollen hier wieder ausdrücklich die privaten Kraftwerke sponsern. Dafür machen Sie Druck und beugen sich den Drohkulissen. Wir werden uns damit nicht einverstanden erklären und lehnen das ab. Danke. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wirtschaftsminister Rösler, der Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, ist keine energiewirtschaftliche Großtat, wie Sie es hier gerade vorgetragen haben, sondern eine Bankrotterklärung. Das muss hier so einmal gesagt werden. ({0}) Wenn man es mit Ihnen gut meint, kann man sagen: Es ist die Beseitigung der Trümmer, die Sie verursacht haben. Aber selbst das bekommen Sie nicht hin. Sie schaffen es nicht, die eigenen Fehler an dieser Stelle zu beseitigen. ({1}) Das zeigt sich daran, dass Sie monatelang gestritten und gezetert haben, um zu diesem Gesetzentwurf zu kommen. Frau Aigner hat sich vor Sie geschmissen, hat die verbraucherpolitische Ankündigungsministerin gemacht, und dann ist sie als Bettvorlegerin gelandet. ({2}) - Ich merke, das Bild mit Frau Aigner und der Bettvorlegerin gefällt Ihnen. - Letztendlich sind Sie erst gestern Morgen mit dem Gesetzentwurf fertig geworden. Das zeigt, welche Qualität er hat. ({3}) Man muss sich einmal klarmachen, was beim Thema Offshore los ist. Das, was Sie produzieren, ist Schilda live. In Deutschland, in der Nordsee werden Windparks gebaut, obwohl dort kein Netzanschluss ist, und dort, wo ein Netzanschluss ist, haben wir keine Windparks. Wer trägt die Verantwortung dafür? Das ist der Wirtschaftsminister, der für Netzausbau zuständig ist. ({4}) Von ihm habe ich zu diesem Thema lange nichts gehört. ({5}) Das, was wir von Rösler im Zusammenhang mit diesem Thema gehört haben, ist: Das sollen die Unternehmen für sich regeln, das sollen sie untereinander regeln. - Das Problem ist ja nicht vom Himmel gefallen. Er hat es geschehen lassen, er hat die Dinge so laufen lassen, und jetzt ist das Chaos da. Die Zahlen zeigen, dass es nicht nur um Probleme geht, die in der Zukunft auf uns zukommen. Schon jetzt sind Schäden entstanden. Es geht um 1 Milliarde Euro, wahrscheinlich sogar 2 Milliarden Euro. Für diese Schäden tragen dieser Wirtschaftsminister und diese Bundesregierung die Verantwortung. ({6}) Die Folgen dieser Politik kann man sich in Niedersachsen ansehen. Dort werden reihenweise Windparkprojekte abgesagt. Eine ganze Industrie droht uns verloren zu gehen. Die hochfliegenden Pläne von 10 000 Megawatt, von denen Herr Pfeiffer eben noch gesprochen hat, sind schon lange nicht mehr realisierbar. Dieses Ziel werden wir bis 2020 nicht erreichen. Sie haben aber bewirkt, dass Sie nach der PV nun die zweite Industrie im Bereich der erneuerbaren Energien kaputtmachen. Das ist das Resultat Ihrer Politik. ({7}) Statt selber Verantwortung zu übernehmen, tun Sie das, was Sie immer tun. ({8}) Sie laden die Verantwortung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ab. Sie sollen für Ihre Fehler, für die Schäden, die Sie verursacht haben und auch in Zukunft weiter verursachen werden, zahlen. 0,25 Cent pro Kilowattstunde soll jeder Privatverbraucher zahlen. Alle Verbraucher, die mehr als 100 000 Kilowattstunden verbrauchen, sind wieder größtenteils ausgenommen; so kennen wir das. Es geht nicht mehr nur um die energieintensive Industrie - da könnte man das vielleicht noch nachvollziehen -, sondern praktisch um alle Unternehmen. Jede mittlere Sparkassenfiliale ist ausgenommen. Sie laden die Probleme wieder allein bei den Privatverbrauchern, beim Kleingewerbe und beim Handwerk ab. ({9}) Das ist Ihre Politik. ({10}) Das passt zu alledem, was wir bei der EEG-Umlage, bei den Netzentgelten und bei der Stromsteuer erleben: Dieser Wirtschaftsminister erteilt Befreiungen und verteilt Privilegien wie Kamellen im Kölner Karneval. Das ist die Realität. ({11}) Meine Damen und Herren, die sinnvollste Lösung wäre, Sie würden hier die Verantwortung übernehmen, sprich: der Bund würde für die Haftung einstehen. Da könnten wir einen guten Weg gehen - der Kollege Heil hat ihn eben schon erläutert -: Wir könnten, wenn wir die Haftung für TenneT übernehmen und dem Unternehmen das Risiko abnehmen würden, die Chance nutzen, um Anteile von TenneT zu übernehmen und eine Deutsche Netz AG zu gründen. ({12}) Dies haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart; aber Sie haben nichts gemacht. In Ihren Antworten auf Anfragen schreiben Sie, dass die Deutsche Netz AG nicht mehr kommen wird, weil die Übertragungsnetzbetreiber sie nicht wollen. An dieser Stelle hätten Sie die Chance, eine Deutsche Netz AG zu gründen, um diesen Bereich zu ordnen. ({13}) Es kann ja nun wirklich nicht sein - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -, dass der wichtigste deutsche Netzbetreiber, die Firma TenneT, von der Bundesnetzagentur keine Zertifizierung bekommt. Wenn man sich anschaut, was dazu auf der Homepage der Bundesnetzagentur steht, dann erfährt man, dass der Netzbetrieb von TenneT eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der wichtigste deutsche Netzbetreiber begeht beim Netzbetrieb eine Ordnungswidrigkeit. Das ist die Realität Ihrer Politik. So kann man eine Energiewende nicht machen. ({14}) In Ihrem Gesetzentwurf geht es allerdings nicht nur um Offshore und den Anschluss an die Netze, sondern auch um das Thema, das Sie beschönigend „Winterreserve“ nennen. Wir sagen dazu: Das ist ein Kraftwerkszwangsbetrieb. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass eine christlich-liberale Koalition - so nennen Sie sich ja - in der Energiewirtschaft eine Planwirtschaft einführt, bei der Herr Honecker - Gott hab ihn selig - im Grab hüpfen würde. Das ist genau das, was Sie da gemacht haben. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis. ({15}) Das zeigt, dass Sie beim Thema Energiewende jeden Kompass verloren haben. Herr Brüderle, Sie reden ja neuerdings immer so gerne vom Mao-Jäckchen. Ich glaube nur, Sie verschweigen uns, wer in Wirklichkeit das Mao-Jäckchen trägt. ({16}) Das ist nämlich der Wirtschaftsminister; denn er führt in der Energiewirtschaft die Planwirtschaft ein. ({17}) Das, meine Damen und Herren, ist die Realität. ({18}) Ich könnte mir ja noch vorstellen, dass man eine solche Lösung für ein bis zwei Jahre vorsieht. Aber Sie wollen, dass diese Lösung bis 2017 gilt. Ursprünglich hatten Sie sogar vor, sie bis 2019 zu verankern. Das ist keine kurzzeitige Lösung. Das ist eine auf Dauer angelegte Lösung. Geht es um die Frage, wie wir bei der Versorgungssicherheit marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen, verweigern Sie sich der Debatte vollständig. Wir brauchen in diesem Land Kapazitätsmärkte, um die Versorgungssicherheit marktwirtschaftlich zu regeln. Schauen Sie einmal ins europäische Ausland: Die Briten reden über Kapazitätsmärkte, in Holland wird über Kapazitätsmärkte geredet, die EU-Kommission bereitet eine Verordnung zum Thema Kapazitätsmärkte vor. Was erleben wir? Die Bundesregierung hat zu diesem Thema wieder einmal keine Meinung. Sie verpennen auch dieses Thema. Sie versagen, wie auch bei der Energiewende. ({19}) Nun noch ein Wort zur Lastabschalt-Verordnung. Sie ist im Prinzip ein richtiges Instrument. Über dieses Thema streitet man sich - das hat, wie ich habe lernen müssen, wohl schon in der Großen Koalition angefangen - seit mittlerweile vier Jahren. Jetzt legen Sie auf einmal einen Entwurf vor. Wir werden ihn uns sehr genau ansehen und prüfen, ob er ein Instrument ist, das geeignet ist, die Lasten zu verschieben. Aber eines sage ich Ihnen: Wir werden nicht dabei mitmachen, eine neue Subventionsmaschine für eine Handvoll Industriebetriebe zu schaffen. Wir werden uns Ihren Entwurf, wie gesagt, sehr genau ansehen. Für uns gilt das Prinzip: Wenn es eine Förderung und eine Entlohnung gibt, dann muss dem auch eine Leistung gegenüberstehen. Anders kann es nicht gehen. ({20}) Ich möchte abschließend einen Punkt ansprechen, der nicht so sehr im Fokus der Debatte steht: den § 46 des Energiewirtschaftsgesetzes, in dem es um die Kommunen und um Konzessionsverträge geht. Das Ziel meiner Fraktion ist - ich weiß, dass dies auch für die Kollegen von den Sozialdemokraten ein wichtiges Thema ist -, den Kommunen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, was mit den Verteilnetzen vor Ort passiert und wer sie betreibt. Wir wollen hier Entscheidungsfreiheit für die Kommunen. ({21}) Was Sie machen, haben Sie 2011 im Energiewirtschaftsgesetz schon schlecht geregelt. Sie sind leider unseren Vorschlägen nicht gefolgt, das besser zu machen. Sie haben eine völlige Rechtsunsicherheit produziert, die dazu führt, dass Kommunen heute nicht entscheiden können, weil sie in jedem Fall Angst haben müssen, sie müssten einen Prozess gegen Energiekonzerne führen. Das ist nicht in Ordnung. Das ist gegen die Kommunen gerichtet. Das ist gegen die Interessen der Energiewende. Das kann so nicht sein. Das sollten Sie ändern. ({22}) Ich kann Ihnen eines sagen: Spätestens im September 2013 wird das einer der ersten Punkte sein, die wir ändern. ({23}) Wir werden § 46 des Energiewirtschaftgesetzes so gestalten, dass das eine kommunalfreundliche Regelung wird, der Sie sich die ganze Zeit verweigern. ({24}) Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann man sagen: Dieser Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur Energiewende. Er ist untauglich, er ist Flickschusterei, um eigene Fehler und Unvermögen dieser Bundesregierung zu kaschieren. Er löst kein einziges Problem, er beantwortet keine einzige Frage der Energiewirtschaft und der Energiewende. Ich danke Ihnen. ({25})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Klaus Breil für die FDP-Fraktion. ({0})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was Herr Heil - wo ist er, ist er nicht mehr da? - für wünschenswert hält, ist bereits Realität. In vielen Teilen der Welt wird deutsche Erneuerbare-Energien-Technologie angewendet - bis hin zu den Antipoden, zum Beispiel in der Atacama-Wüste in Chile. Ich bin gern bereit, Ihnen nähere Auskünfte zu erteilen. Das können wir gern bilateral machen. Die Koalition beschließt heute im Wesentlichen zwei bedeutende Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz. Erstens. Wir lösen das Problem bestehender Rechtsunsicherheiten beim Ausbau der Offshorewindenergie - immerhin eine der Grundfesten bei unserem Ausstieg aus der Kernenergie und auf unserem Weg hin zu 80 Prozent Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2050. Wir haben uns in unserem Energiekonzept dazu bekannt, bis 2020 rund 10 Gigawatt Stromerzeugungskapazitäten an den Küsten unseres Landes anzuschließen. Bis 2030 sollen es 25 Gigawatt werden. Bedingt durch Lieferengpässe der Industrie, die nicht vorhersehbar und nicht beeinflussbar gewesen sind, konnten Fristen nicht eingehalten werden. In der Folge wackelten mit den Finanzierungszusagen auch die Ausbauziele. Es drohte eine Situation, in der Windparks installiert sind und der dort produzierte Strom aufgrund fehlender Anschlüsse nicht abtransportiert werden kann. Herr Krischer, Offshorewind ist komplizierter als EUROSOLAR. ({0}) Wer hätte da noch investieren sollen? Zur Rettung der Situation wird jetzt ein Teil der ausfallenden Vergütung durch die Verbraucher getragen. Dabei bleibt das Geschäft attraktiv für Genossenschaften, Bürgerfonds, Kapitalsammelstellen wie zum Beispiel Pensionfonds, Versicherungen und Energieversorger. Eigentümer dieser Institutionen ist eine große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern. Im Gesetzgebungsverfahren haben wir versucht, den Zeitraum der Belastung für die Verbraucher so kurz wie nötig zu halten. Ich persönlich gehe davon aus - Herr Krischer, hören Sie gut zu! -, dass diese Umlage in Höhe von 0,25 Cent pro Kilowattstunde nur für die kommenden drei, vielleicht maximal vier Jahre erhoben wird. ({1}) Um dem gerecht zu werden, haben wir keinem der Wünsche der Branche, die die Umlage in die Höhe getrieben hätten, nachgegeben. ({2}) Es wundert mich nicht, dass ich all diese Forderungen in den Entschließungsanträgen der Opposition wiederfinde. ({3}) Zum Beispiel sollen - eine Forderung der Grünen - ausgefallene Vergütungen auch dann, wenn die zentrale Anschlusskomponente noch nicht installiert ist, bereits kompensiert werden. Zum Beispiel soll - eine Forderung der Grünen - eine Vermaschung der Anschlüsse die Absicherung jedes einzelnen Windparks erhöhen, auch wenn damit jede teure Anbindungsleitung doppelt errichtet würde. ({4}) Zum Beispiel soll - eine Forderung der SPD - das Stauchungsmodell im EEG verlängert werden, auch wenn dadurch die EEG-Umlage nochmals erhöht wird. ({5}) Herr Krischer, Sie fordern mehr Markt, andererseits aber auch Kapazitätsmärkte. Wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen, müssen Sie mir einmal erklären. ({6}) Das darf es alles nicht geben. Die Politik muss verantwortungsvoll mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umgehen. ({7}) Darum, Herr Heil - hören Sie gut zu! -, sind die Bürgerinnen und Bürger froh, dass wir regieren und nicht RotGrün. ({8}) Zweiter wesentlicher Punkt. Wir sorgen mit der Gesetzesänderung dafür, ({9}) dass in Deutschland die Lichter nicht ausgehen. Der hohe Grad der Versorgungssicherheit trägt bedeutend zu unserem Wohlgefühl bei und ist ein wichtiger Standortfaktor für die ansässigen Unternehmen. Die Verlässlichkeit der Stromversorgung ist ein wesentlicher Grund dafür, warum sich Unternehmen trotz der hohen Strompreise weiter bevorzugt in Deutschland niederlassen. ({10}) Es ärgert mich sehr, wenn ich in den Medien Worte wie Kraftwerkabschaltverbotgesetz lesen muss. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Politik gibt es immer einen sauren Apfel, in den man beißen muss. ({12}) Wir haben es nämlich bis heute nicht geschafft, die erneuerbaren Energien mit steuerbaren Back-up-Kapazitäten unter einen Hut zu bringen. Ebenso wenig haben wir es schon erreicht, den Netzausbau und den Ausbau der erneuerbaren Energien aufeinander abzustimmen. Hier stehen wir noch am Anfang. ({13}) Die ersten Schritte sind in dieser Legislaturperiode gemacht worden. Solange wir aber kein neues Marktdesign unter Einbeziehung der fluktuierenden erneuerbaren Energien mit Systemverantwortung haben, also eine Reform des EEG, ({14}) so lange gleicht der Schritt, den wir mit diesem Gesetz gehen, einem minimalinvasiven Eingriff. ({15}) Die Notwendigkeit liegt auf der Hand: Selbst neuere Gaskraftwerke, deren Betrieb durch die wenigen Betriebsstunden im Jahr nicht mehr rentabel ist, waren und sind Gegenstand von Stilllegungsankündigungen. In Bayern, wo ich herkomme, haben Ankündigungen wie diese manche Politiker auf einen Schlag um Jahre altern lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Zeit.

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Stromausfall in München vor wenigen Tagen sitzt den Münchenern noch gut im Gedächtnis: 450 000 Bürgerinnen und Bürger ohne Strom, das zeigt die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft. ({0}) Zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger und zum Wohle unserer Industrie mussten wir handeln. Mit dem neuen Gesetz werden Betreiber verpflichtet, die Stilllegung eines Kraftwerks mit einer Leistung von mehr als 50 Megawatt ein Jahr im Voraus anzukündigen. Wird dieses Kraftwerk als systemrelevant eingestuft, kann es durch die Bundesnetzagentur in eine Netzreserve überführt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. - Damit laufen diese Anlagen bei regionalen Engpässen auf Anweisung des zuständigen Übertragungsnetzbetreibers. Vom Prinzip her ist das nichts Neues, es ist nur transparenter ({0}) und hat eine vom Deutschen Bundestag legitimierte Grundlage. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein wenig entsetzt über den Stand der Erkenntnis, den dieser Bundeswirtschaftsminister uns heute und in den letzten Tagen vermittelt hat. Man fragt sich eigentlich: Wo war er die ganzen letzten drei Jahre? War diese Bundesregierung in dieser Frage in den letzten drei Jahren auch nur irgendwie aktiv? Was muss eigentlich alles passieren, damit die Windkraftbranche, die Offshorebranche in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat? ({0}) Ich komme aus einer Stadt, in der mindestens 25 Unternehmen in der Windkraftbranche tätig sind: REpower Systems, PowerBlades, Areva Wind, WeserWind, alles große Unternehmen. All diese Unternehmen haben in den letzten fünf, sechs Jahren dreistellige Millionenbeträge investiert. Die setzen darauf, dass sie in der Bundesrepublik Anlagen zur Erzeugung von Offshorewindenergie unter guten Rahmenbedingungen entwickeln, bauen und verkaufen können. Für die Rahmenbedingungen sind ausschließlich Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, in dieser Regierung zuständig. ({1}) Aber wo sind diese Rahmenbedingungen? Wer hat eigentlich diese Rahmenbedingungen in den letzten Jahren nicht geschaffen? Das ist diese Bundesregierung. Wir haben inzwischen Insolvenzen von großen Unternehmen an der Küste, die dort bisher in der Windkraftbranche tätig waren. Das zarte anfängliche Anklopfen der Ministerpräsidenten ist in diesem Herbst inzwischen zu einem Sturm geworden, weil die Unternehmen dort oben an der Küste erkennen: Diese Regierung handelt nicht. Diese Regierung verschläft das Problem. Sie sind ein Planlosigkeitsminister, nichts anderes. ({2}) Ich darf an dieser Stelle ganz zurückgenommen sagen: Wir haben eine enorme Chance in diesem Feld. In den nächsten Jahren können locker Investitionen von mehreren Milliarden, manche reden von 75 Milliarden, getätigt werden. Aber was erleben wir? Da kündigt EnBW an, dass der dritte Windpark jetzt im November gestoppt wird, weil unsichere Rahmenbedingungen vorhanden sind. Da fragt man sich doch: Sind das eigentlich noch nicht genügend Weckrufe, damit diese Bundesregierung endlich handelt? Das Problem TenneT ist seit mindestens zwei Jahren in der Szene bekannt. Die haben zu wenig Kohle und zu wenig Investitionskraft. Jetzt kommt die Bundesnetzagentur und attestiert das, was gerade vom Kollegen der Grünen gesagt worden ist. Und was macht diese Bundesregierung? Gar nichts. Wo sind Ihre Gespräche mit TenneT? Wo sind Ihre Initiativen, dass TenneT seine Aufgaben als Investor für die Netze auch im Offshorebereich wahrnehmen kann? Wo sind sie? ({3}) Wenn Sie zur niederländischen Regierung fahren und dort erfahren, dass sie den TenneT-Leuten nicht unter die Arme greifen will, dann müssen Sie als Bundeswirtschaftsminister für Deutschland doch selbst tätig werden, um in dieser Frage endlich Klarheit zu erringen. ({4}) Sie produzieren hier Trümmer, eine Trümmerlandschaft der Energiepolitik. Ich finde, das ist unverzeihlich; denn es gibt Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoffnungsvoll in diese Branche eingestiegen sind und die sich hier engagieren, junge Ingenieure, die darin eine Zukunft sehen. Alle Menschen dort werden zurzeit verunsichert, weil sie genau sehen, was in ihrem Betrieb los ist. Sie fahren momentan auf Volllast und wissen, dass sie Mitte nächsten Jahres aufgrund von nicht erfolgten weiteren Bestellungen in eine Unterbeschäftigung geraten. Da kann ich nur fragen: Wer trägt dafür die Verantwortung? Diese Bundesregierung schweigt zu diesem Problem. Diese Bundesregierung ist nicht einmal in der Lage, das Instrument der KfW-Förderbank so einzusetzen, dass sie auch tatsächlich helfen kann. Nein, Sie nehmen dieser Förderbank auch noch die letzten Reserven. ({5}) Bei diesem Punkt merkt man: Das, was Sie mit dieser Politik betreiben, passt nicht zusammen. Alle Bauteile, die ordentlich zusammengestellt werden müssen, werden von Ihnen zerstört. Die einzelnen Instrumente, die eine Regierung hat, die sie schärfen und einsetzen kann, werden von Ihnen leider nicht genutzt. Ich bin traurig darüber, ({6}) weil die Menschen bei uns im Grunde etwas Besseres verdient haben. Sie haben die Phase des Niedergangs der deutschen Werften erlebt. Sie sehen jetzt plötzlich die Chance, eine Industrie zu etablieren, die wieder eine Perspektive bietet. Aber gleichzeitig setzt diese Bundesregierung Rahmenbedingungen, die das alles wieder infrage stellen. Sie sind in dieser Frage - ich sage einmal kein verlässlicher Partner. Sie sind in dieser Frage von der Bevölkerung inzwischen als unzuverlässig, als nicht nach vorne gerichtet identifiziert worden. Zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik trauen Ihnen nichts mehr zu. Das ist leider Gottes eine so ernste Situation, dass man nur hoffen kann, dass die Monate bis zum September wirklich schnell vergehen, damit wir endlich einmal wieder eine ordentliche Orientierung bekommen, eine Industriepolitik, die stimmig ist, eine Politik, die nach vorne weist und die auch in der Energiefrage endlich Klarheit schafft. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Themen Wirtschaftswachstum, Versorgungssicherheit und Stromkosten sind bei Ihnen ausgesprochen schlecht aufgehoben. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Bareiß ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den Rednern von Rot, Grün und ganz links außen möchte ich doch ein paar wenige Vorbemerkungen machen. Sie haben mir den Vorwurf gemacht, dass wir planwirtschaftlich vorgehen. ({0}) Ich habe mir jetzt einmal kurz aufgeschrieben, was Sie alles in Ihren Anträgen fordern und was wir heute zu späterer Zeit auch noch diskutieren. ({1}) Sie wollen Kapazitätssubventionen und eine dauerhafte Zementierung des EEG für die nächsten Jahre. Sie wollen - das haben wir heute gehört - eine staatliche Netzgesellschaft ({2}) und dafür die Netzbetreiber anscheinend enteignen. Sie wollen eine Stromflatrate, staatliche Stromtarife und Zwangsquoten hinsichtlich der Energieeffizienz. Das, was Sie wollen, ist Planwirtschaft und Staatswirtschaft, und das wollen wir eben nicht. ({3}) Zu Beginn dieser Debatte ist es für mich wichtig, noch einmal zu sagen: Wir haben uns enorm hohe Ziele gesetzt, die Sie sich so nicht gesetzt haben. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2030 auf 50 Prozent erhöhen. ({4}) Wir wollen das mit Ziel und Maß sowie mit Markt und Wettbewerb erreichen. Von diesem Geist ist auch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes getragen. Deshalb glaube ich auch, dass wir den richtigen Weg für die nächsten Jahre eingeschlagen haben und dass das die richtige Grundlage für den Offshorenetzausbau ist. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja gerne, natürlich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Bareiß, Sie haben sich hier eben gegen eine deutsche Netzgesellschaft ausgesprochen. ({0}) Können Sie mir erklären, wie es möglich ist, dass im Jahre 2009 im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb vereinbart worden ist, eine solche deutsche Netzgesellschaft anzustreben? Können Sie mir auch erklären, warum Sie jetzt, da wir Probleme mit TenneT haben, nicht die Gelegenheit ergreifen, wie 2009 vereinbart, in eine solche deutsche Netzgesellschaft einzusteigen? Was ist Ihre Alternative? Sie kritisieren das, was wir vorschlagen, haben aber keine Alternative. Sie lassen zur Lösung dieser Frage allein die Verbraucher zahlen. ({1})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Krischer, im Gegensatz zu Ihnen respektieren wir die Eigentumsrechte. Wir haben im Koalitionsvertrag zwar gesagt, wir wollen prüfen, ob eine Netzgesellschaft möglich und sinnvoll ist - das haben wir auch getan -, aber wir können nicht in Eigentumsrechte eingreifen und sagen: Wir nehmen den Eigentümern die Netze weg und überführen sie in staatliche Hände. Das ist nicht unser Modell. ({0}) Mit den Vorgaben, die wir jetzt im Energiewirtschaftsgesetz eingebaut haben, werden wir es, wie ich glaube, schaffen, die Offshorewindparks, die wir brauchen, aufzubauen; und mit dem Netzentwicklungsplan, den wir in dieser Woche gemeinsam im Beirat in der Bundesnetzagentur besprochen haben, werden wir es schaffen, ebenfalls die Netze Stück für Stück aufzubauen, die wir brauchen - und das nicht in staatlicher Hand, sondern in privatwirtschaftlicher Hand. Ich glaube, das ist der richtige Weg, und er wird langfristig auch zum Erfolg führen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal des Kollegen Heil?

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich glaube, das Thema haben wir jetzt durch. Ich möchte jetzt nicht weiter auf die Netze eingehen, sondern zu dem eigentlichen Punkt kommen, nämlich zum Thema Offshoreausbau, und mich der Frage widmen, welche Rolle die Offshorewindparks in den nächsten Jahren spielen werden. Das ist nämlich die zentrale Frage, die wir heute diskutieren müssen. Die Offshorewindparks - ich glaube, es ist wichtig, das auch noch einmal herauszustellen, weil das vorhin teilweise falsch dargestellt worden ist - sind enorm leistungsfähig und haben das höchste Potenzial in Deutschland. ({0}) Sie sind viermal leistungsfähiger als Photovoltaikanlagen, also die Solarenergie, und sie sind zweimal leistungsfähiger als Onshorewindräder. Das muss man doch noch einmal sagen, Herr Heil, weil es in dieser Woche im Ausschuss durchaus auch andere Stimmen gab, und zwar aus Ihrem Lager, ({1}) die gesagt haben: Wir brauchen diesen Ausbau der Offshorewindkraft, den sich die Koalition vorgenommen hat, nicht. - Wir brauchen ihn aber doch, weil wir auch in den nächsten Jahren leistungsfähige Stromerzeugungsanlagen brauchen und weil wir die Kostendegression in den nächsten Jahren Stück für Stück stärker angehen wollen, als wir das bisher getan haben. ({2}) Offshorewindenergie - auch das wird in der Debatte immer falsch dargestellt - ist eine relativ günstige Art der Energieerzeugung und wird in den nächsten Jahren noch günstiger werden. Wir sind schon heute, wenn man das einmal mit den Kosten für die Förderung von Solarenergie und anderen Energiearten im Rahmen des EEG vergleicht, bei 9,7 Cent je Kilowattstunde. Im Vergleich zur Onshorewindenergie mit 9,2 bzw. 9,3 Cent je Kilowattstunde sind wir fast schon wettbewerbsfähig und fast auf gleichem Niveau. Wenn man das einmal mit den Preisen für den Ausbau der Solarenergie vergleicht, die Sie, Herr Krischer, ständig zu verteidigen versuchen, stellt man fest, dass wir sogar bei der Hälfte der Kosten liegen. Ich glaube, allein das zeigt schon, dass wir im Bereich von Offshorewindenergie und im Bereich von Windenergieausbau ganz allgemein mehr tun müssen. Weil wir davon überzeugt sind, dass das die richtige Energieart ist, um zu einer Säule unserer Energieversorgung zu werden, wollen wir bis 2020 - auch das muss noch einmal gesagt werden - eine Leistung von 10 Gigawatt bei Offshorewindanlagen erreichen. Das heißt, in zehn Jahren werden 8 bis 9 Prozent unserer Stromerzeugung von Offshorewindenergieanlagen kommen. Bis 2030 wird knapp ein Viertel unserer kompletten Stromerzeugung von Windrädern in Nord- und Ostsee erzeugt werden. Das wird eine große Herausforderung werden. Um diese große Herausforderung meistern zu können, müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen setzen, um entsprechend schnell voranzukommen. Wir stehen ja - auch das müssen wir verstehen - noch ganz am Anfang dieser Technologie. Derzeit haben wir 40 Windräder in Nord- und Ostsee stehen. Das heißt, wir brauchen hier relativ zügig eine richtige Rahmensetzung, damit wir hier schneller vorankommen. In den nächsten sieben Jahren müsste jeden Tag ein neues Windrad in der Nord- und Ostsee gebaut werden, damit wir überhaupt die Ziele erreichen können, die wir erreichen müssen, um unser Energiekonzept erfolgreich umzusetzen. Herr Heil, Sie haben es am Anfang Ihrer Rede richtigerweise gesagt, dass dies ein zentraler Bestandteil der Wachstums- und Wohlstandsstrategie für unseren Industriestandort sein muss und dass die Offshoretechnologie gerade für unsere Wirtschaft ein enormes Potenzial bietet. ({3}) - Warum machen Sie denn nicht mit, wenn Sie sagen: „Das ist gut“? ({4}) - Dann hören Sie einmal auf Ihre Ministerpräsidenten. Auch das ist ein Punkt: Sie müssen einmal mit Ihren Ministerpräsidenten reden. ({5}) - Lesen Sie doch einmal den Brief Ihres Bremer Oberbürgermeisters, der uns geschrieben hat, dass wir diese Regelung dringend brauchen, damit es mit der Offshoretechnologie vorangeht und damit sie in den nächsten Jahren zu der Erfolgsstory wird, die wir in diesem Bereich haben wollen. ({6}) Insofern: Machen Sie mit! Wenn Sie sich heute verweigern und die Neuregelungen zum EWG ablehnen, gefährden Sie 15 000 Arbeitsplätze, ({7}) nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in den von Ihnen regierten Bundesländern. Ich sage ganz bewusst als Baden-Württemberger: Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die in den nächsten Jahren entstehen werden, gerade aufgrund des Ausbaus der Offshorewindanlagen, wird nicht nur in den Küstenregionen entstehen, sondern vor allen Dingen auch bei den starken Anlagen- und Maschinenbauern im Süden unseres Landes, die die Technologie liefern, um diesen Ausbau zu bewerkstelligen. Ich sage noch einmal: Machen Sie mit dabei, jetzt den Rahmen für diese Technologie zu setzen, damit wir mit dieser Technologie, bei der wir am Anfang stehen, loslegen können, ({8}) indem die Risiken so verteilt werden, dass die nächsten Jahre auch entsprechend investiert wird. Das ist doch der Grund, warum wir dieses Gesetz machen, damit in den nächsten Jahren investiert wird. ({9}) Deshalb haben wir - jetzt machen wir es einmal konkret - erstens dafür gesorgt, die Netzanschlüsse besser zu koordinieren. Es wird jetzt einen Netzentwicklungsplan für Offshore an Nord- und Ostsee geben. Deshalb haben wir zweitens dafür gesorgt, dass es für beide Seiten, für den Windparkbetreiber auf der einen Seite, aber auch für die Netzbetreiber auf der anderen Seite, klare Fristen gibt, wann wer was machen muss. Das war notwendig, um hier schnell voranzukommen. Auch hier haben wir klare Regelungen geschaffen. Ein dritter Punkt. Wir haben versucht, die Risiken fair auf die unterschiedlichen Akteure zu verteilen. Es gibt in den nächsten Jahren Risiken; diese können wir nicht wegdiskutieren. Diese Risiken können nicht allein von Windparkbetreibern und Netzbetreibern übernommen werden. Der Windparkbetreiber wird seinen Teil dazu beitragen, indem er auf einen Teil seiner Vergütung verzichtet. Der Netzbetreiber wird durch einen entsprechenden Selbstbehalt im Rahmen der Haftungsregelungen in der Haftung sein und wird nach meiner Prognose in den nächsten zwei Jahren 10 bis 15 Prozent der Risiken tragen. Der Verbraucher allerdings wird - das tut auch uns weh - in den nächsten vier bis fünf Jahren einen Großteil übernehmen müssen. Dies geschieht durch eine Umlage, die aber, wie es Minister Rösler gesagt hat, auf 0,25 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt ist. ({10}) Das ist aber wesentlich günstiger als viele andere Ausbaukosten, die auf uns in den nächsten Jahren zukommen werden. Auch hier wird der Verbraucher von uns geschützt, und wir versuchen, diese Kosten in den nächsten Jahren erträglich auf alle Schultern zu verteilen. ({11}) Wenn die Risiken beherrschbar und auch versicherbar sind, wollen wir von dieser Umlage wegkommen. Dass sich das System selbst trägt, das muss das Ziel sein. ({12}) Es muss das Ziel sein, dass sich ein Markt bildet und sich die Kosten durch Wettbewerb selbst tragen, zum Beispiel indem sich entsprechende Kapitalgeber finden, die in die Bereiche investieren, ohne dass wir staatliche Umlagemechanismen brauchen. Nur dann macht Offshore langfristig Sinn, wenn die Technologieförderung, die wir jetzt einbauen, auch zu einem langfristig tragfähigen System führt. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt noch viel zu Maßnahmen sagen, die wir im Bereich Netzstabilität ergriffen haben. Auch hier haben wir Dinge getan, die uns nicht immer nur Freude gemacht haben, die auch durchaus Markteingriffe verlangten. Wir haben auch im Bereich der Pumpspeicherkraftwerke etwas gemacht, ({14}) was zu etwas mehr Kosten führen wird, dann aber auch dafür sorgen wird, dass Pumpspeicherkraftwerke in den nächsten Jahren weiter am Netz belassen werden. Aber all die Maßnahmen, lieber Herr Krischer, zeigen, dass wir uns jetzt Zeit nehmen müssen, um in den nächsten Monaten gemeinsam zu überlegen, wie wir die Systeme, die wir unter Ihrer und unserer Ägide aufgebaut haben, zusammenbinden. Wir müssen also Möglichkeiten finden, wie wir das Energiewirtschaftsgesetz und das Erneuerbare-Energien-Gesetz verbinden, wie wir die fossile, die konventionelle Welt mit den erneuerbaren Energien verbinden, um daraus einen Gesamtmarkt im Wettbewerb zu machen. Denn nur so wird die Energiewende gelingen: mit mehr Markt und mehr Wettbewerb. ({15}) Das muss unser Ziel sein für die nächsten zwölf Monate. Deshalb: Packen wir das gemeinsam an! Dazu ist das Energiewirtschaftsgesetz ein kleiner Baustein, den wir jetzt brauchen. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Johanna Voß für die Fraktion Die Linke. ({0})

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ergebnislose Investorensuche des Netzbetreibers TenneT hat gezeigt: Trotz der garantierten Rendite von 9,05 Prozent finden sich keine privatwirtschaftlichen Lösungen für den Bau von Stromnetzen. Anstatt dieses Scheitern aber einzugestehen, setzt die Bundesregierung alles daran, auf Biegen und Brechen doch noch eine privatwirtschaftliche Lösung zu finden. Bei natürlichen Monopolen wie den Stromnetzen kann es aber keinen Wettbewerb geben. Diese privatwirtschaftlichen Lösungen gehen zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das darf nicht sein! ({0}) Aber genau so ist es. Die kleinen Verbraucher, sie allein - nicht die Großverbraucher - dürfen noch eine Umlage zahlen: Noch einmal 0,25 Cent pro Kilowattstunde, noch einmal 10 Euro mehr pro Familie im Jahr; bei 1 Million Kilowattstunden wird die Umlage auf 0,05 Cent gedeckelt. Immerhin, die Politik der Regierung ist konsequent. Befreiungen für die großen Unternehmen, wo man nur hinschaut: EEG, Netzentgelte, KWK-Umlage, Ökosteuer - da sind Sie wirklich konsequent. Und die Bundesregierung weitete die Befreiungen auch noch aus. 2011 mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher allein wegen der Netzentgeltbefreiung 229 Millionen Euro mehr bezahlen. Vor dieser Ausweitung waren es 33 Millionen Euro. Die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage macht nun schon 1 Cent vom Strompreis aus. Das tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Konsequent, aber trotzdem falsch. Das ist die Politik der Bundesregierung. ({1}) Zu den Entschädigungszahlungen: Im ersten Entwurf waren es noch 100 Millionen Euro Eigenbehalt für die Netzbetreiber, jetzt sind es gerade einmal 17,5 Millionen Euro. Das Lobbying der Netzbetreiber war also höchst erfolgreich. Das erhöht natürlich die Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber das ist ja auch wiederum nur konsequentes Handeln der Regierung. Die Bundesregierung sagt, die jetzige Lösung sei alternativlos. ({2}) - Hören Sie einmal auf Ihren Kommissar Günther Oettinger. Er forderte nämlich zumindest eine Teilverstaatlichung der Stromnetze, die auch - das hat Oliver Krischer schon gesagt - Bestandteil des Koalitionsvertrags war. Es ist langsam auch für die krampfhaft an Marktdogmen Festhaltenden offensichtlich: Stromnetze gehören in die öffentliche Hand. ({3}) Sie lassen sich nicht effizient im Wettbewerb betreiben. Handeln Sie endlich! Stattdessen versuchen Sie nun, irgendwelchen Investoren bzw. der Allianz den Einstieg in renditesichere Stromnetze so angenehm wie möglich zu machen - wiederum auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({4}) Das Unternehmensrisiko wird auf die Verbraucher umgelegt; die Gewinne bleiben natürlich beim Unternehmen. Das machen wir nicht mit. ({5}) Das eigentliche Problem ist aber die Fixierung der Bundesregierung auf die Offshoreparks. In der Anhörung zur Gesetzesänderung wurde klar, dass die Ausbauziele der Bundesregierung für die Offshoreparks nicht mehr einzuhalten sind. Und nicht nur das: Sie gehören dringend überarbeitet. Der Zubau von Onshorewindenergie im Süden hat schon zugenommen und wird noch erheblich zunehmen. Das wird bisher im Energiekonzept der Bundesregierung überhaupt nicht berücksichtigt. Solange im Netz an Land Engpässe herrschen - auf See braucht niemand Strom und solange Abregelung droht, sind weitere Offshoreparks ohnehin nicht sinnvoll. ({6}) Außerdem ist die Offshorewindenergie teuer. Die Baukosten sind viermal so hoch wie die Baukosten für die Onshorewindenergie. Damit ist sie nur für die großen Energiekonzerne interessant. Offshorewindparks erfordern riesige Investitionen. Die Technik ist nicht erprobt, zum Teil nicht einmal vorhanden, und von daher sehr teuer. Deshalb muss man noch abwarten. Offshorewindkraft wird auch noch mit einem höheren Satz gefördert als die Onshorewindkraft, nämlich bis zu 19 Cent pro Kilowattstunde. An Land sind es gerade einmal 9 Cent pro Kilowattstunde. ({7}) Bei der Onshorewindkraft bezahlt man die Leitung zur Anbindung an den nächsten Einspeiseknotenpunkt auch selbst. ({8}) Bei der Offshorewindkraft braucht man nicht für die eigene Leitung zu bezahlen. Und sie trägt massiv zum geplanten Netzausbau bei. Wir setzen stattdessen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, und zwar dezentral. Es geht nicht darum, den vier großen Energiekonzernen die Profite zu sichern. Die Stromversorgung gehört demokratisiert. Dazu gehört auch die Überführung der Stromnetze zurück in die öffentliche Hand. Wenn dann die dezentrale Erzeugung in naher Zukunft durch Speichertechnologien und Schwarmstrom ergänzt wird, dann minimiert das den Netzausbaubedarf ungemein. ({9}) Solche Ansätze gibt es bei der Bundesregierung nicht. Sie macht weiter Politik zugunsten großer Unternehmen auf Kosten aller. Lernen Sie von unserem Projekt „PLAN B - für den sozialökologischen Umbau“! Mit PLAN B kommen Sie weiter. ({10}) Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Voß hat mein Weltbild wieder ein bisschen zurechtgerückt. Nachdem verzweifelt versucht wurde, es zu erschüttern und der Seite des Hauses, zu der ich gehöre, Planwirtschaft zu unterstellen, hat die Linke immerhin klar gezeigt, dass sie für Staatswirtschaft ist. Aber in einem Punkt, liebe Kollegin Voß, war Ihre Rede sehr ehrlich. Daran können sich insbesondere die Grünen ein Beispiel nehmen. Sie haben nämlich gerade gesagt, dass die Befreiungen nach dem EEG, um die in jeder energiepolitischen Debatte heftig gestritten wird, 1 Cent von den 5,227 Cent EEG-Umlage ausmachen. ({0}) Das ist ein Punkt, den Sie endlich einmal ehrlich formuliert haben. Insbesondere die Grünen tun nämlich immer so, als würden die 5,227 Cent praktisch komplett auf unsere Befreiungen zurückgehen. ({1}) Wenn man das noch weiter detailliert, lieber Herr Krischer, dann muss man sagen, dass 0,1 Cent von dem 1 Cent auf unsere zusätzliche Ausweitung zurückzuführen ist und der Rest auf eine Befreiung, die Sie damals gesetzlich geregelt haben. ({2}) Außerdem möchte ich darauf verweisen, dass Sie damals bei einer EEG-Umlage von 0,2 Cent gesagt haben, dass wir eine Härtefallregelung brauchen, weil wir sonst die Industrie aus dem Land vertreiben. Wenn wir uns darüber einig sind, dass das richtig ist, dann füge ich hinzu: Es war richtig, die Härtefallregelung auszudehnen, weil wir jetzt beim 26-Fachen dieser Umlage sind, ({3}) und auch, noch ein paar andere Unternehmen mit einzubeziehen. ({4}) 730 Unternehmen sind von der EEG-Umlage befreit, weil sie in einem internationalen Wettbewerb stehen. ({5}) Wenn Sie sagen, der internationale Wettbewerb ist das Kriterium, dann erklären Sie bei der Gelegenheit auch, inwieweit die Straßenbahnen, der Schienenverkehr im internationalen Wettbewerb um Strom stehen. ({6}) Das sollten Sie einmal erklären, wenn Sie über diese Kriterien diskutieren. Sie gerieren sich jetzt an einer Stelle als Marktwirtschaftler, an der es nicht um Marktwirtschaft geht - das muss man klar sagen -, sondern darum, das zu korrigieren, was letztendlich hier seine Ursache hat. Es war Sigmar Gabriel - das meine ich nicht einmal als Vorwurf; ich möchte nur den Zusammenhang darstellen -, ({7}) der in der Großen Koalition ausgehandelt hat, dass man den Windparkprojektanten die Anschlussverantwortung abnimmt und zu den Übertragungsnetzbetreibern verlagert. ({8}) - Moment, ich kritisiere es nicht. Mit Blick auf das Ziel war das vielleicht richtig. Aber wir haben uns damit ein Problem eingehandelt, das ich hier gerade beschreibe. Und das lösen wir nun. Ich würde mich dann freuen, wenn die SPD, die diese Problematik mit verursacht hat, ({9}) an unserer Seite stehen würde und sich dafür einsetzen würde. ({10}) Das ist der Punkt. Sie müssen doch sagen: Jawohl, wir haben den Schnitt gemacht; statt des Projektanten ist jetzt der Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, den Anschluss bereitzustellen. Jetzt schafft die Koalition die Voraussetzungen dafür, dass der Übertragungsnetzbetreiber das ohne Insolvenzrisiko machen kann. Es kann doch nicht sein, dass wir Übertragungsnetzbetreiber zu etwas verpflichten und sie über diese Verpflichtung in die Insolvenz treiben. Es kann aber auch nicht sein, dass wir für die Beteiligten in dem Bereich einen Business Case schreiben, der für jeden aufgehen muss, nur nicht für den Verbraucher. Die Grünen haben hier heute, wie immer, große Töne gespuckt. Aber wenn man Ihren diesbezüglichen Antrag liest, ({11}) stellt man fest, sie haben sich von den Übertragungsnetzbetreibern die Feder führen lassen. Dort stehen haarklein die Forderungen, die Ihnen die Übertragungsnetzbetreiber diktiert haben. An Ihrer Stelle wäre ich ganz, ganz, ganz kleinlaut. ({12}) Zu Ihrem großartigen Vorschlag, dass nicht die Verbraucher am Schluss die von uns gedeckelte Umlage von 0,25 Cent tragen sollten, sondern der Staat, sage ich Ihnen: Das sind am Ende auch wieder die Steuerzahler. Wir alle werden es am Schluss wieder bezahlen müssen. ({13}) - Ihre Rede vom Gegenwert basiert doch auf dem genialen Vorschlag, in diesem Rahmen eine kalte Enteignung zu organisieren. Das ist doch Ihre Idee. ({14}) Sie sagen: Treibt die Übertragungsnetzbetreiber, organisiert eine kalte Enteignung und zieht die Netze an euch! ({15}) - Kaufen? Sie sagen: Übernehmt ein Risiko! Wenn das Risiko nicht bedient wird, wofür man staatlich vielleicht sorgen kann, ({16}) dann gehören uns die Netze wieder. Sie geben auch zu, dass Sie diese Netze haben wollen. ({17}) Der entscheidende Unterschied zwischen dem, was Sie wollen, und dem, was in unserem Koalitionsvertrag zur deutschen Netzgesellschaft steht, ({18}) besteht darin, dass wir eine kapitalmarktfähige Gesellschaft wollen, ({19}) an der nicht der Staat die Mehrheit hält, ({20}) sondern die Übertragungsnetze organisiert zusammenfasst. Das ist bislang am Widerstand derjenigen gescheitert, die die Netze haben. ({21}) Das steht klipp und klar in unserem Koalitionsvertrag. Sie dürfen davon ausgehen, dass ich weiß, was in unserem Koalitionsvertrag steht. ({22}) Das müssen Sie mir nicht sagen. Das, was die Grünen wollen, ist etwas anderes, nämlich eine staatliche Gesellschaft; denn sonst könnten Sie einen solchen Finanzierungsvorschlag nicht machen. ({23}) Nein, meine Damen und Herren, ich entgegne Ihnen: Wir haben einen wohlüberlegten Entwurf vorgelegt, ({24}) aber keinen garantierten Business Case. Er war hart umkämpft, insbesondere in der Frage, wie man die Altfälle mit einbezieht. Das wurde in der Koalition hart diskutiert. Wir haben gesagt: Die Unternehmen haben auf anderer Grundlage investiert und sind ein Risiko eingegangen. Wir liefern jetzt gesetzlich eine neue Grundlage nach. Darüber muss man reden. Den Fall, dass die pleitegegangen wären, dass damit das Projekt ins Stocken gekommen wäre - Sie hätten dann natürlich plötzlich ganz anders argumentiert, sich an der Stelle wie das Fähnlein im Wind gedreht und gesagt: Da sieht man wieder mal, die wollen gar keine Energiewende, die machen alles kaputt -, mussten wir also berücksichtigen. Deshalb haben wir die Altfälle mit einbezogen, aber nicht so, wie Sie es gerne hätten. Wir haben es nicht bar jeder Haftung gemacht. Vielmehr ist einfache Fahrlässigkeit als Haftungstatbestand weiterhin gegeben, um Anreize für die Übertragungsnetzbetreiber zu schaffen, eben keine Schadensfälle zu produzieren oder diese, wenn es sie schon gibt, schnell zu beheben. Irritiert hat mich auch das - das muss ich ganz ehrlich sagen -, was hier zur Winterreserve gesagt wurde. Es ist ein untauglicher Versuch, uns hier in die Ecke der Planwirtschaft zu drängen. ({25}) Diese Winterreserve ist eine Notreserve. Sie ist unumstritten ein markiger Eingriff. Was wir in der Energiewende aber jetzt gar nicht gebrauchen könnten - das müsste doch auch in Ihrem Interesse liegen -, wäre ein Blackout. Über die Winterreserve stellen wir sicher, dass es dazu nicht kommt. Das sage ich als bayerischer Abgeordneter in vollem Bewusstsein, wen es am Ende treffen würde, nämlich Süddeutschland, wo der Strom gebraucht wird. ({26}) Aber dass Sie, Herr Krischer, nun sagen, dass man jetzt plötzlich das Umlagesystem aufgeben sollte, weg vom Umlagesystem, hin zum Bundeshaushalt, finde ich bemerkenswert. Sie waren doch bisher einer der Protagonisten des Umlagesystems des EEG. Man sollte doch seine bisherige Argumentation nicht schlagartig ins Umgekehrte drehen, ({27}) insbesondere dann nicht, wenn es um den kleinen Splitter im Auge geht und nicht um den großen Balken, über den wir hier reden. Der große Balken ist die EEG-Umlage. Dazu habe ich das Nötige vorhin schon gesagt. ({28}) Hier muss es uns darum gehen, das Ganze wieder in die richtige Richtung zu bringen. ({29}) Im Übrigen: Sie sagen, wir brauchen einen Kapazitätsmarkt. Ja, lassen Sie uns darüber reden. Ich habe von Ihrer Seite allerdings noch keine Vorschläge dazu gehört. ({30}) Außer Subventionen fällt Ihnen nichts ein. Ich sage Ihnen, wir müssen Folgendes tun: Wir müssen in Zukunft diejenigen, die große, fluktuierend einspeisende EEGAnlagen bauen, dazu verpflichten, Ersatzkapazitäten in einem noch zu definierenden Umfang bereitzuhalten. Das werden die Nachfrager sein. Die müssen Zertifikate an den Gaskraftwerken kaufen. Auf diese Art und Weise kriegen wir auf der einen Seite eine marktgerechte Lösung - für die waren Sie; ich bin gespannt, ob Sie auch dann noch dafür sein werden, wenn man die zwei Dinge zusammenbringt - und auf der anderen Seite eine Kombination von erneuerbaren Energien und fossilen Ersatzkapazitäten. Letztere brauchen wir, auch wenn die Grünen so tun, als ob das morgen zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien zu schaffen wäre. Wir stellen uns den Problemen, die es an der Stelle gibt. Ich würde mich freuen, wenn Sie es auch tun; Sie haben es lange genug nicht gemacht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, schlagartig. - Ihre Energiewende bestand aus der Formulierung dessen, was Sie nicht wollen, nämlich die Kernenergie, ({0}) und dem undifferenzierten und extrem teuren Aufbau von erneuerbaren Kapazitäten. Ansonsten haben Sie dazu bisher keinen Beitrag, außer Verweigerung, geleistet. Hören Sie damit auf! ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Rolf Hempelmann für die SPDFraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mal gelernt, Herr Nüßlein: Wer so laut schreit wie Sie, der hat eigentlich erkannt, dass er einen Fehler gemacht hat. Das ist ja dann immerhin schon mal ein Fortschritt. Das ist auch eine Basis, auf der wir uns verständigen können. ({0}) Sehr geehrter Herr Minister Rösler, Sie haben hier heute noch einmal das gesagt, was auch der ehemalige Bundesumweltminister Röttgen hier mehrfach behauptet hat. Aber auch bei ihm hat es nicht zur Steigerung seiner Glaubwürdigkeit beigetragen. Sie beide sagten nämlich, dass Rot-Grün mit Energiewende nichts am Hut gehabt habe, jedenfalls mit dem Systemumbau nicht begonnen habe, und dass Sie jetzt damit anfingen, die richtige Arbeit zu leisten. ({1}) Richtig ist: Die Energiewende hat im Jahre 2000 begonnen, und zwar mit einem nie beklagten einvernehmlichen Ausstieg aus der Atomenergie, im Einvernehmen auch mit den betroffenen Unternehmen, und mit dem gleichzeitigen Aufwuchs der erneuerbaren Energien, der dank des EEG möglich wurde. ({2}) Der Systemumbau - das heißt im Wesentlichen der Ausbau der Netze, aber sicherlich auch ein erster Ausbau von Speicherkapazitäten - und der Ausbau des Lastmanagements, also die Sicherstellung von Flexibilität mit Blick auf die Nachfrageseite, konnten damals nicht erfolgreich beginnen. Warum? Weil Ihre Vorgänger von Schwarz-Gelb damals ankündigten: Wenn wir an die Regierung kommen, dann sorgen wir für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. ({3}) Unsere Fraktion hat in den letzten Wochen Gespräche unter anderem mit den Betreibern von Atomkraftwerken geführt. Dabei haben wir interessante Einschätzungen geliefert bekommen. In nuce: Es wäre besser gewesen - so sagen die Vertreter dieser großen Unternehmen -, man hätte nicht auf diese im Jahr 2000 hingehaltene Wurst geschaut, sondern man hätte zu dem gestanden, was man unterschrieben habe, nämlich den Atomausstieg. ({4}) Es hätte im Ergebnis dazu geführt, dass diese vier Energieversorgungsunternehmen schon im Jahr 2000 damit begonnen hätten, einen konstruktiven Beitrag für eine Energiewende zu leisten, ihr Geschäftsmodell zu überprüfen, in Speicher, in Netze, in Lastmanagement zu investieren. Das ist nicht geschehen. Dafür tragen Sie und Ihre Vorgänger die Verantwortung. ({5}) Dann haben Sie im Jahr 2010 etwas beschlossen, von dem Sie damals überzeugt waren und von dem viele von Ihnen auch heute noch überzeugt sind, nämlich die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke. Ein halbes Jahr später ist genau das Gegenteil passiert. Wenn ich heute mit einigen von Ihnen rede - manche sind ja bei einem Glas Bier oder einem Glas Wein ehrlich -, dann erfahre ich, dass viele von Ihnen nach wie vor der Auffassung sind, dass der Beschluss von 2010 richtig und der von 2011 falsch war. ({6}) Wenn dem so ist, wenn also so wenig Überzeugung hinter der Energiewende steht, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass Sie kein Konzept haben. ({7}) Sie haben kein energiepolitisches Konzept, kein Konzept zum Systemumbau. Deswegen reagieren Sie nur; Sie agieren nicht. Immer dann, wenn sich ein Problem auftut, betreiben Sie Flickschusterei. ({8}) Das zeigt sich beispielhaft an dem Gesetzentwurf, den Sie uns heute vorlegen. Bei Offshore - einer Technologie, zu der wir stehen und von der wir sagen, dass wir sie brauchen - haben Sie den Karren vor die Wand gefahren. 700 Arbeitsplätze werden beispielsweise bei den Nordseewerken wegfallen. Viele Hundert Arbeitsplätze sind gefährdet, weil Unternehmen Insolvenz anmelden mussten. Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun, die Sie gesetzt haben und die Sie jetzt durch Flickschusterei zu ändern versuchen. ({9}) Meine Damen und Herren, diesen Schuh müssen Sie sich schon anziehen. Wir haben ein Gespräch mit dem Bankenverband geführt. Der sagt: Was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, führt jetzt dazu, dass Kapital für die Projekte im Offshorebereich aus Deutschland abgezogen wird und zum Beispiel an die britische Küste gelenkt wird, also dahin, wo der Staat offenbar Rahmenbedingungen setzt, die attraktiver sind als das, was Sie unternommen haben. ({10}) Jetzt versuchen Sie, Lösungen anzubieten, bei denen wieder einmal insbesondere der Kunde zur Kasse gebeten wird. Wir haben vorgeschlagen - erinnern Sie sich einmal daran, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht -, die Basis für eine deutsche Netz AG zu schaffen. Dabei geht es nicht um Enteignung. Ihre Reaktion ist doch der VerRolf Hempelmann such, einen Vorschlag zu desavouieren, der eigentlich schon einmal Ihr eigener war. ({11}) Die Union, insbesondere Ihre beiden Wirtschaftsminister in der damaligen Legislaturperiode, war nicht kraftvoll genug, diesen Vorschlag in der Großen Koalition voranzutreiben. Anschließend haben Sie diesen Vorschlag trotzdem in Ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Jetzt wollen Sie das Ganze wiederum nicht umsetzen, obwohl Herr Homann von der Bundesnetzagentur am letzten Montag deutlich gemacht hat, dass eine Netz AG mindestens Plan C ist. Wenn Ihr Vorhaben scheitert, dann muss man ernsthaft darüber reden, dass der Staat über die KfW an einer solchen Netzgesellschaft sukzessive beteiligt wird. Stellen Sie sich dieser Aufgabe! ({12}) Auch die Art und Weise, wie Sie mit Blick auf die Versorgungssicherheit im Kraftwerkspark vorgehen, ist genau die gleiche Reaktion auf Probleme, die Sie offenbar gar nicht erwartet haben. Wie Sie hier agieren, das ist schon erstaunlich. Das müssen sich die Liberalen schon anhören: Wenn es in diesem Zusammenhang um Stilllegungsverbote geht, also um einen Zwangsbetrieb, dann ist das eine Handschrift, die man gerade von den Liberalen nicht erwartet hätte. Das wird man in diesem Hause wohl sagen dürfen. ({13}) Es gab bei Ihnen sogar Überlegungen, den Unternehmen in die Vertragsgestaltung reinzureden: Sie wollten Gaskraftwerksbetreiber zwingen, von relativ lukrativen Verträgen mit unterbrechbarem Gasbezug Abstand zu nehmen und auf eine konstante Belieferung umzuschwenken, die nun einmal teurer ist. Die Koalitionsfraktionen haben Gott sei Dank erkannt, dass dies keine Problemlösung gewesen wäre, sondern nur eine Problemverlagerung in jeweilige Nachbarregionen, weil nämlich die Transportkapazitäten im Gasnetz überhaupt nicht gereicht hätten, um alle Gaskraftwerke konstant mit Gas zu beliefern. Zumindest ist dieser Unsinn jetzt aus dem Gesetz heraus. Herr Rösler, Sie selbst haben heute Morgen gesagt: Wir brauchen einen Masterplan für die Energiewende. Herzlichen Glückwunsch, dass Sie das jetzt, nach Jahren, feststellen. Wir haben ihn seit Jahren gefordert. ({14}) Legen Sie einen solchen Masterplan dann auch vor! Schlagen Sie der Bundeskanzlerin bitte gleichzeitig vor, eine Stelle einzurichten, die die Energiewende koordiniert. ({15}) Das können Sie nicht, das kann Herr Altmaier nicht; denn Sie verstehen sich als Konkurrenten. Das kann auch kein anderer Bundesminister. Das muss der Kanzleramtsminister machen, der die Koordinierung der Energiepolitik im Kanzleramt übernimmt, der die Regierung in dieser Frage zusammenhält, der mit den Bundesländern dafür sorgt, dass es eine stimmige Energiepolitik in unserem Land gibt, und der in Brüssel in Sachen Energiepolitik mit einer Stimme für Deutschland spricht ({16}) und damit dafür sorgt, dass unsere und die europäische Energiepolitik zusammenpassen. Passiert dies nicht, werden nicht mehr Sie Energiepolitik machen, sondern dann macht Brüssel das für Sie. Das konnten wir in dieser Woche schon eindrücklich nachlesen. Also handeln Sie endlich! Kündigen Sie nicht nur an und reden nicht nur! Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner hat man die Chance, mit ein paar Unwahrheiten aufzuräumen; denn es gibt Punkte, die sich als offensichtlich völlig falsch erwiesen haben und die daher nicht zu einer redlichen Argumentation passen. ({0}) Herr Hempelmann, Sie glauben ja wohl selbst nicht, dass im rechten Teil dieses Hohen Hauses Kollegen sitzen, die der Meinung sind, dass der Ausstiegsbeschluss, also der Beschluss zur Energiewende, vom 30. Juni vergangenen Jahres rückgängig zu machen ist. Das ist nicht der Fall, und wenn ich das sage, dann können Sie mir das auch glauben. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, es wurde auch schon mit dem Märchen aufgeräumt, welches die Grünen hier in der vergangenen Debatte verbreitet haben. Herr Krischer, hoffentlich haben Sie jetzt verstanden, dass Ihr Argument falsch ist; denn die Befreiung der mittelständischen Unternehmen von der EEG-Umlage spielt bei der Erhöhung dieser Umlage auf 5,277 Cent je Kilowattstunde so gut wie keine Rolle. ({2}) - Sie werden es auch nicht verstehen, weil Sie es nicht verstehen wollen. 25652 ({3}) Das, was Sie betreiben, ist Volksverdummung in Reinkultur. ({4}) Nach neuesten Berechnungen fallen nur 0,1 Cent je Kilowattstunde aufgrund der Tatsache an, dass 730 mittelständische Unternehmen, die überwiegend im internationalen Wettbewerb stehen, eine Vergünstigung erhalten mehr nicht. Was Sie erzählen, ist einfach nicht seriös. ({5}) Kolleginnen und Kollegen, wenn ich die ganze Debatte Revue passieren lasse, dann fällt mir Folgendes ein: Die gesamte Opposition hat am 30. Juni 2011 der Energiewende zugestimmt ({6}) und stiehlt sich jetzt, wo die Folgen sichtbar werden, aus der Verantwortung gegenüber den Bürgern; die Strompreiserhöhungen und weitere negative Effekte waren damals absehbar. ({7}) Es war doch nicht so, dass wir nicht wussten, wie sich alles entwickeln wird. Wir wussten doch, dass wir mit den Märkten größte Probleme bekommen. ({8}) Wir wussten, dass die Betreiber fossiler Kraftwerke auf Basis von Gas und Kohle Probleme bekommen werden; denn wenn sie aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien nur zeitweise ihren Betrieb aufnehmen müssen, dann geraten sie in existenzielle Nöte. ({9}) Das alles wussten wir, und trotzdem haben wir dem zugestimmt, weil wir der Überzeugung waren und heute noch sind, dass es - wenn auch nur unter Opfern - möglich ist, den Umstieg von der herkömmlichen Energieerzeugung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu schaffen. Wenn wir aber den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck vermitteln, dass die Umstellung billig wird, dann ist das falsch. Das zeigt sich jetzt an den gestiegenen Energiepreisen. Lassen Sie mich etwas Thema Bundesnetzagentur sagen. Die Probleme, die zum Beispiel TenneT hat, sind zum Teil ökonomischer Natur, ({10}) sie sind zum Teil aber auch technischer Natur. Wenn die Lieferanten nicht liefern können, weil die Produktion der Leitungen nicht vorankommt, dann kann man das schlecht dem Betreiber anlasten. ({11}) Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Netzanschlüsse für die Offshorewindparks gewährleistet werden können. Nebenbei bemerkt, Herr Beckmeyer: Wir sind der Überzeugung, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn wir den Ausbau der Offshorewindparks so hinbekommen, wie die Kollegen der CDU/CSU das vorhin beschrieben haben. Deswegen haben wir im Gesetzentwurf für Planungssicherheit für diejenigen gesorgt, die Offshorewindparks bauen wollen. Ihnen müssen wir die Unsicherheit nehmen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass eine Garantie über einen Zeitraum von vier oder fünf Jahren den planenden Unternehmen wenigstens mittelfristig hilft, ihre Anlagen in Betrieb nehmen zu können. ({12}) Mit Sicherheit werden in diesem Bereich keine Arbeitsplätze wegfallen. ({13}) Was haben Sie uns nicht schon alles über die Gefährdung von Arbeitsplätzen erzählt! Herr Heil, lesen Sie nach, welchen Unfug Sie in Bezug auf den Photovoltaikausbau behauptet haben. Dabei wurde in den Zeiträumen, in denen wir die Reduzierung der Vergütungssätze vorangetrieben haben, der Bereich Photovoltaik in einem Ausmaß ausgebaut wie noch nie zuvor. ({14}) Der Ausbau hat sich deutlich verstärkt. Trotzdem kommen Sie mit Ihrem Argument von den Arbeitsplätzen. Ich sage Ihnen: Wer von der produzierenden deutschen Wirtschaft nur auf den deutschen Markt, auf die deutsche Gesetzgebung und möglicherweise auf eine rot-grüne Mehrheit setzt, der setzt auf das falsche Pferd. ({15}) Zu einer rot-grünen Mehrheit wird es aber nicht kommen. ({16}) Ich bin felsenfest davon überzeugt: Das Gesetz, das wir heute beschließen, gibt der Industrie Planungssicherheit. Dieses Gesetz steigert die Versorgungssicherheit für den deutschen Verbraucher. Herr Minister, es ist ein gutes Gesetz, und deswegen werden wir es jetzt beschließen. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege- lung energiewirtschaftlicher Vorschriften. Der Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11705, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- sachen 17/10754 und 17/11269 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11720. Wer stimmt für die- sen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Lin- ken abgelehnt. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11721. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d sowie die Zusatzpunkte 3 a und b auf: 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({0}), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist migrationspolitisch nicht relativierbar - Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ziehen - Drucksache 17/11663 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({1})- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes - Drucksache 17/1428 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) - Drucksache 17/10198 - Berichterstattung:- Abgeordneter Markus Kurth c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenwürdiges Existenzminimum für alle - Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen - Drucksachen 17/4424, 17/10198 - Berichterstattung:- Abgeordneter Markus Kurth d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auf Flüchtlingsproteste reagieren - Residenzpflicht abschaffen - Drucksache 17/11589 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({4})- Rechtsausschuss - Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicherstellen - Asylbewerberleistungsgesetz reformieren - Drucksache 17/11674 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})- Innenausschuss - Rechtsausschuss - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Ausschuss für Gesundheit - Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Haushaltsausschuss Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete - Drucksachen 17/5912, 17/11716 Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelRüdiger VeitHartfrid Wolff ({7})Ulla JelpkeJosef Philip Winkler Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu ihrem Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Sommer war es wie so oft: Initiativen der Bundesregierung finden beim Bundesverfassungsgericht meistens keine Unterstützung. Das ist gut so. Im Juli dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht in einer bahnbrechenden Entscheidung ganz klar gesagt: Auch für Asylbewerber gilt, dass das menschenwürdige Existenzminimum irgendwelchen migrationspolitischen Zielen nicht zugänglich ist. Es sagte auch: Die Menschenwürde darf migrationspolitisch nicht relativiert werden. ({0}) Das heißt: Das menschenwürdige Existenzminimum ist immer das gleiche, egal ob es sich um Deutsche, Nichtdeutsche, Flüchtlinge oder um wen auch immer handelt. Ich fand diese Entscheidung beachtlich. Ich meine, dass der Grundsatz der Nichtrelativierbarkeit der Menschenwürde auch für viele andere flüchtlingsrechtliche Fragen gelten muss. Diesem Grundgedanken trägt unser heutiger Antrag Rechnung. Ich will des Weiteren die Residenzpflicht nennen, ein in Europa einzigartiges System. Angesichts der deutschen Geschichte kann man zu einer solchen Aufenthaltsbeschränkung, die mit Blick auf Gesundheitsversorgung, kulturelle Feste und Religionsausübung eine Einschränkung darstellt, nur sagen: So geht man mit Flüchtlingen nicht um. ({1}) Das muss man schon feststellen: In Deutschland unterliegen die Schutzsuchenden und Flüchtlinge wirklich einschneidenden Beschränkungen. Was mich dabei besonders ärgert, ist, dass Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, immer mal wieder so tut, als sei das nicht so. Bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma sagte die Bundeskanzlerin - ich zitiere -: Sinti und Roma leiden heute erneut unter Ausgrenzung und Ablehnung. Nicht nur die Politik, jeder Einzelne ist aufgerufen, sich jedweder Art von Diskriminierung zu widersetzen. Folgen wir doch diesen Sätzen, und fangen wir hier und heute bei der Politik an. ({2}) Der Bundesinnenminister war wieder ignorant. Er hat nämlich faktisch am gleichen Tag diesen Sätzen zuwidergehandelt. ({3}) Wie ich sehe, hat er es nicht nötig, heute hier zu sein - er ist ja auch „nur“ für Flüchtlinge zuständig -; das wundert uns bei diesem Bundesinnenminister kaum, oder? ({4}) Dazu gehört schon ein gehöriges Maß an Chuzpe. ({5}) - Ja, aber der Staatssekretär ist der Staatssekretär, und der Bundesinnenminister ist der Bundesinnenminister. So viel darf schon sein. ({6}) Das sage ich auch, weil Herr Friedrich zeitgleich am Tag der Rede von Frau Merkel Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien, die zum überwiegenden Teil der Minderheit der Roma angehören, pauschal Asylmissbrauch vorgeworfen hat. ({7}) Fangen wir bei der Politik an. Ich sage Ihnen: Den Worten müssen auch Taten folgen. Man kann nicht argumentieren, das Boot sei voll, wie Herr Friedrich das tut. Man kann auch nicht behaupten, bei den Sinti und Roma handele es sich um Wirtschaftsflüchtlinge. ({8}) Das ist nicht nur falsch, es ist auch verfassungswidrig, wenn er daraus ableiten will, dass die Rechte dieser Menschen, anders als das Bundesverfassungsgericht es gesagt hat, beschränkt werden sollen. Schauen wir uns doch einmal an, wie es den Menschen dort geht. Wir wissen, dass Europas Institutionen tatsächlich sagen: Wenn man wegen seiner Herkunft diskriminiert und verfolgt wird, dann ist das auch ein Asylgrund. - Der Dritte Bericht zur Visaliberalisierung der Europäischen Kommission hat erneut festgestellt, dass die Roma in der EU und auch außerhalb der EU in Serbien und Mazedonien ständigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Meine Damen und Herren, gucken Sie sich das einmal an: Kindern und Jugendlichen wird der Zugang zu Bildung verweigert. Menschen leben in irgendwelchen Hütten, die garantiert nicht würdevoll sind und - besonders im Winter - kein gesundes Leben zulassen. Da gibt es Menschen, die von Arbeit ausgeschlossen werden. Die Diskriminierung von Roma geht in Europa so weit, dass man sagen kann: Es gibt pogromartige Ausschreitungen gegen diese Minderheit. ({9}) Wer dann noch sagt, das sei Asylmissbrauch und es seien Wirtschaftsflüchtlinge, der liegt schlicht und einfach falsch. ({10}) Ich gönne Ihnen eine Reise nach Serbien und Mazedonien. Fahren Sie in östliche EU-Mitgliedstaaten. Dann erleben Sie, was Menschen dort widerfährt. Ich habe ganz normale Bürger aus diesem Land erlebt, die gesagt haben, dass ihnen die Tränen in den Augen standen, weil so etwas in Europa möglich ist. Ursache für diesen Missstand ist die Herkunft dieser Menschen. Deshalb ist eines klar: Das Asylbewerberleistungsgesetz relativiert in der Praxis die Menschenwürde. Es muss weg. Denken Sie allein daran, dass Gutscheine ausgegeben werden, mit denen Asylsuchende nur in bestimmten Läden einkaufen dürfen, wobei sie nicht einmal das Wechselgeld zurückerhalten. Denken Sie daran, dass Asylsuchende bei akuten Erkrankungen zwar eine ärztliche Notfallversorgung bekommen, aber in dem Fall, dass sie traumatisiert sind, keine entsprechende Grundversorgung erhalten. So geht man mit Menschen nicht um. Deshalb muss dieses Asylbewerberleistungsgesetz weg. Asylsuchende sind Menschen mit gleicher Würde und mit den gleichen Bedürfnissen, was das Existenzminimum angeht. Sie sollen sich in diesem Land bewegen können. Sie sollen eines Tages auch erwerbstätig sein. Man muss ihnen eine Perspektive bieten. Wem sage ich das? Sie haben das „C“ für „christlich“ in Ihrem Parteinamen. Lassen Sie dem auch Taten folgen! ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Peter Tauber für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Künast, Dinge werden meistens nicht richtiger, wenn man sie pauschal formuliert und einfach so in den Raum stellt. Diesen Eindruck hatte ich bei vielen Ihrer Ausführungen, denen ich eben zuhören durfte. Ehrlich gesagt, man hat nicht immer den Eindruck, dass Sie hier Redlichkeit an den Tag legen und dass es Ihnen wirklich nur um die Flüchtlinge und um die Asylbewerber geht. Sie machen hier eine ganz schöne Show; das müssen Sie sich an dieser Stelle deutlich sagen lassen. ({0}) Die Bundesregierung misst diesem Thema allein deshalb eine hohe Bedeutung bei, weil nicht nur der Staatssekretär aus dem Innenministerium anwesend ist, sondern auch die für das Asylbewerberleistungsgesetz zuständige Ministerin. Das zeigt, dass wir das Thema sehr ernst nehmen und uns diesem Thema mit Sachlichkeit zuwenden. ({1}) Damit bin ich bei meinem ersten Punkt. Es ist klar: Unsere Verfassung, das Grundgesetz, gibt uns den Handlungsrahmen vor. Das Recht auf Asyl für Menschen, die aus Gründen der Herkunft, aus religiösen oder politischen Gründen verfolgt werden, hat nicht nur für uns in der Bundesrepublik historisch einen hohen Stellenwert. Diesen Stellenwert hat es auch in Europa. Es ist ein Grundrecht, das wir Menschen gemeinsam in Europa gewähren wollen, die aus den genannten Gründen unter Verfolgung leiden oder von Verfolgung bedroht sind. Ich glaube - an der Stelle haben Sie vielleicht recht -, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwarten, dass wir, wenn wir den Rahmen setzen, dieses Grundrecht ernst nehmen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Menschen, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, in Deutschland Hilfe finden. Die Bürger erwarten aber eben auch, dass wir eine Antwort darauf geben, was wir mit Menschen machen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen. ({2}) Deswegen muss man sich genau anschauen, wie eine Regelung aussieht, die den betroffenen Menschen auf Dauer hilft - das ist ganz wichtig -, aber die darüber hinaus eine Antwort auf diese von mir formulierte Frage gibt. Es tut ganz gut, sich einmal an den Ursprung der jetzt gültigen Regelung zurückzuerinnern. Warum gibt es das Sachleistungsprinzip? Warum gibt es die Residenz25656 pflicht? Sie ist zum Teil bereits gelockert und wurde in manchen Bundesländern abgeschafft. Das Sachleistungsprinzip gibt es, weil wir Anfang der 90er-Jahre, als fast eine halbe Million Asylbewerber pro Jahr zu uns kamen, ({3}) festgestellt haben, dass das an sie ausgezahlte Geld nicht von den Flüchtlingen und Asylbewerbern selbst genutzt wurde, sondern dass sie es an diejenigen, die sie ins Land geschleppt hatten, abgeführt haben. ({4}) Es waren oft Menschen, die sich nicht auf das Asylrecht berufen konnten, weil die entsprechenden Gründe nicht vorlagen. ({5}) - Sie können „Bodenlos“ dazwischenrufen, so oft Sie wollen. Reden Sie einmal mit den Kommunalpolitikern, die Anfang der 90er-Jahre dafür zuständig waren. ({6}) Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich damals in den Kommunen bemüht haben, für Asylbewerber und Flüchtlinge menschenwürdige Rahmenbedingungen zu schaffen. ({7}) Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich in den 90erJahren ehrenamtlich um Flüchtlinge bemüht haben. ({8}) - Herr Präsident, ich glaube, jemand möchte eine Zwischenfrage stellen. - Reden Sie einmal mit diesen Personen. Dann werden Sie genau das berichtet bekommen. Wie viele Menschen haben damals ehrenamtlich geholfen, weil die staatlichen Leistungen, die wir den Flüchtlingen gewährt haben, gar nicht bei ihnen ankamen, weil sie das Geld an andere abgeliefert haben? Das gehört zur Wahrheit dazu. ({9}) Jetzt so zu tun, als ob das Sachleistungsprinzip ein reines Gängelungsinstrument sei, ist falsch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. - Vielleicht könnten Sie jetzt einmal Ihre Zwischenrufe unterlassen, damit ich die Zwischenfrage verstehen kann. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, manchmal tut es dem Deutschen Bundestag ganz gut, wenn es noch ein paar ältere Kollegen im Haus mit einem historischen Gedächtnis gibt. ({0}) Sie haben von der Situation zu Beginn der 90er-Jahre gesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass die großen Zugangszahlen von Flüchtlingen, die wir in der Tat Anfang der 90er-Jahre hatten, eine Folge des Zerfalls und der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Westbalkan waren, ({1}) und insofern diese hohen Zugangszahlen in Deutschland eine Folge des Krieges vor der eigenen Haustür waren ({2}) und nicht etwa der regelmäßig, jährlich wiederkehrende Zugang von Flüchtlingen aus aller Welt in Größenordnungen von Hunderttausenden? ({3})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich bin für die Frage sehr dankbar. Auch ich habe durchaus ein gewisses historisches Wissen, das ich einbringe, weil ich in der Zeit ehrenamtlicher Kommunalpolitiker war. Ich kann mich daran erinnern, dass es in meiner Region nicht nur in den Kommunen sehr große Bemühungen gab, Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen, sondern dass es auch große zentrale Sammellager gab. ({0}) Ich kann zumindest nicht in Abrede stellen, dass Ihre Ausführungen für einen Teil dieser Menschen zutreffen, aber eben nur für einen Teil. Ein ganz großer Teil kam aus anderen Regionen dieser Welt. Insofern stimmen Ihren Ausführungen nicht ganz. ({1}) - Wir können nachher gern die Zahlen nebeneinander legen und vergleichen, Frau Kollegin. - Ich kann also das nicht bestätigen, was Sie hier ausgeführt haben. Sie versuchen, damit einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, dass wir etwas tun, ({2}) um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts - es geht um ein Urteil aus dem Juli dieses Jahres - umzusetzen. Das Arbeits- und Sozialministerium hat sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Regelbedarfe zu entwickeln, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen. Sie hätten das alles unter Rot-Grün machen können; Sie haben es aber nicht gemacht. ({3}) Insofern sollte man sich, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, immer auch fragen, wie viele Finger der eigenen Hand auf einen selbst zurückzeigen. ({4}) Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Ministerin gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen eine Regelung vorlegen wird, ({5}) die den Vorgaben des Gerichts gerecht wird, sodass wir dann einen Regelsatz haben werden, der die Bedarfe der betroffenen Menschen genau abbildet ({6}) und der - ich glaube, das kann man schon jetzt sagen deutlich höher sein wird als der bisherige.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Veit?

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht; herzlichen Dank. ({0}) Es bleibt dabei: Was das Asylbewerberleistungsrecht betrifft, werden wir Ihnen eine Regelung vorlegen, ({1}) die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht und die Bedarfe der Menschen genau abbildet. Wir wollen ermöglichen, dass die Menschen für die Dauer ihres Asylverfahrens in Deutschland Zuflucht finden und ein Auskommen haben. Aus meiner Sicht mangelt es Ihnen in dieser Debatte an Redlichkeit. Sie erwecken nämlich permanent den Eindruck, als ginge es Asylbewerbern und Flüchtlingen in Deutschland schlechter als in den Ländern, aus denen sie zu uns gekommen sind. ({2}) Das geht, wie ich finde, an der Wirklichkeit vollkommen vorbei. Nach wie vor gibt es unheimlich viele ehrenamtliche Initiativen, die Flüchtlinge begleiten. Die Bürgermeister und die kommunalen Verantwortlichen, die ich kenne, kümmern sich mit großer Mühe und Sorgfalt darum, die notwendigen Rahmenbedingungen in ihrer Kommune zu schaffen, dabei auch die Bevölkerung mitzunehmen und für die notwendige Sensibilität und das entsprechende Bewusstsein vor Ort zu sorgen; auch das ist, glaube ich, ein wichtiges Signal. In der Diskussion ist ja ständig die Rede davon, dass hier verschiedene politische Ebenen ineinandergreifen: Auf der einen Seite dürfen wir die Kommunen bei der Bewältigung der Herausforderungen, die mit steigenden Flüchtlingszahlen einhergehen, nicht alleine lassen, auf der anderen Seite müssen auch wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Am Ende bleibt es dabei: Wir bemühen uns, für die Menschen, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen zu uns kommen und um Asyl bitten, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Es gibt auf diesem Globus nicht viele Länder, die solch gute Rahmenbedingungen schaffen und mit so viel Empathie für diese Menschen einstehen wie Deutschland. ({3}) Wenn man Empathie für diese Menschen empfindet und sich um sie kümmert, gehört dazu auch, dass man auch über diejenigen redet, die sich fälschlicherweise auf das Grundrecht auf Asyl berufen und die, wenn in einem Verfahren festgestellt wurde, dass kein Asylgrund vorliegt, in ihre Heimat zurückgeführt werden. ({4}) Das, liebe Frau Künast, sollte man nicht als unchristlich brandmarken. ({5}) - Da können Sie sich aufwallen und schreien, so viel Sie wollen, liebe Frau Künast; das finde ich immer hochspannend. - Ich glaube, ich als Christ brauche von jemandem, von dem ich nicht weiß, wie intensiv er sein Christsein lebt - wenn er denn überhaupt Christ ist -, ({6}) an dieser Stelle keine Nachhilfe. ({7}) Liebe Frau Künast, diese Frage in die politische Diskussion hineinzuziehen, ist Parteipolemik und unredlich. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gabriele Hiller-Ohm für die SPDFraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit den schwierigen Lebensbedingungen von mehr als 150 000 Flüchtlingen in Deutschland, und wir geben Antworten auf das vernichtende Urteil der Bundesverfassungsrichter zum bestehenden Asylbewerberleistungsgesetz. Es gibt dazu sieben Anträge und Gesetzentwürfe der Opposition. Das ist viel und zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist. ({0}) Leider haben weder die Bundesregierung noch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, auch nur einen einzigen Buchstaben zur Lösung beigetragen. Dabei hatten Sie verdammt viel Zeit. Deutschland wartet seit fast drei Jahren auf Ihre Taten ({1}) seit fast drei Jahren vergeblich. So, meine Damen und Herren, sieht die traurige Wirklichkeit aus. ({2}) Schon im Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: Die Regelsätze der Grundsicherung sind zu niedrig und müssen transparent und nachvollziehbar neu berechnet werden. Dies betraf natürlich auch damals schon das Asylbewerberleistungsgesetz. Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen. Menschen erster und zweiter Klasse darf es nach dem Karlsruher Richterspruch von 2010 bei der Sicherung des Existenzminimums in unserem Staat nicht mehr geben. ({3}) Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, nehmen diese Verfassungswidrigkeit jedoch bis heute billigend in Kauf. Das ist für Sie und für Ihre Regierung ein beschämendes Armutszeugnis. ({4}) Sie haben es noch nicht einmal für nötig befunden, auf den zweiten Bugschuss der Verfassungsrichter zu reagieren. Im Juli dieses Jahres legten die Karlsruher Richter ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige Existenzsicherung von Asylbewerbern in Deutschland auf den Tisch. Die Richter forderten eine sofortige Heraufsetzung der Regelsätze und eine unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Doch immer noch stehen die niedrigen verfassungswidrigen Regelleistungen im Gesetz. Es ist allein dem Engagement der Bundesländer zu verdanken, dass es nicht zum offenen Verfassungsbruch kam. Die Länder haben sich als Zwischenlösung ohne bundesgesetzliche Regelung untereinander auf einheitliche neue Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, hingegen haben nichts getan und damit die Länder voll im Regen stehen lassen. Es ist schlimm, wie Sie unsere Verfassung mit Füßen treten. ({5}) Sogar Ihre eigene Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Böhmer, hatte das Sozialministerium zu raschem Handeln aufgefordert. Bereits im Herbst 2011 verlangte sie wegen des verfassungswidrigen Zustands des Asylbewerberleistungsgesetzes eine schnelle Reform. Geholfen hat auch das nichts. Deshalb frage ich Sie, Frau Ministerin von der Leyen: Wann werden Sie die vom Verfassungsgericht geforderte unverzügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes endlich umsetzen? ({6}) Da Sie selbst in dieser Sache offensichtlich nichts auf die Reihe bringen, haben wir Ihnen in unserem Antrag aufgeschrieben, wie ein verfassungskonformes Gesetz aussehen könnte. Die Initiative der von SPD und Grün regierten Länder zur Abschaffung der Asylbewerberleistungsgesetzes im Bundesrat ({7}) ist ja gerade gescheitert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Linken und Grünen, Ihren gleichlautenden Anträgen wird es heute hier im Bundestag genauso ergehen. Wir setzen uns deshalb für eine Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Wir wollen die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in unserem Land verbessern. Wir fordern verfassungsfeste Regelsätze. Wir wollen die Dauer des Leistungsbezugs wieder auf zwölf Monate zurückführen. Der Kreis der Leistungsberechtigten muss wieder auf die Personen beschränkt werden, für die das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 einmal geschaffen wurde, nämlich auf Asylsuchende und Geduldete. Die Residenzpflicht muss gekippt werden. Asylsuchende sind schließlich keine Gefangenen. ({8}) Es ist unmenschlich, was hier passiert. Wir wollen den Arbeitsmarktzugang erleichtern. Das diskriminierende Sachleistungsprinzip einschließlich der Gemeinschaftsunterkünfte muss beendet werden. Denn weder Essenspakete noch Gutscheine für Kleidung oder Lebensmittel sind ein würdiger Umgang mit den Hilfebedürftigen und darüber hinaus teuer. Unmenschlich ist auch die Zwangsunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Hierfür sind ja die Länder zuständig. Ich habe mir einmal die bayerische Asyldurchführungsverordnung angesehen. Da steht, dass die Unterbringung in Sammelunterkünften - ich zitiere „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ soll. So, meine Damen und Herren, sehen die Unterkünfte dort auch aus. Beschämend ist das. ({9}) Asylsuchende und ihre Kinder brauchen eine bessere Gesundheitsversorgung. Das gilt insbesondere für die psychologische Behandlung der oftmals traumatisierten Flüchtlinge. Die UN-Behindertenrechtskonvention muss natürlich auch für Flüchtlinge gelten, und natürlich müssen alle Kinder und Jugendlichen einen Rechtsanspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Forderungskatalog zeigen wir einen Weg auf, wie sich erstens die Lebensbedingungen von schutzsuchenden Menschen in unserem Land verbessern lassen, wie wir zweitens wieder zu den Buchstaben unserer Verfassung zurückkommen und wie wir drittens die Zustimmung der Länder erreichen können. Diese brauchen wir; ohne sie geht nichts. Herr Tauber, Sie haben auf die vergangenen Jahre hingewiesen. Dass sich da nichts bewegt hat, lag daran, dass Sie damals mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat alles ausgebremst haben, was man für die Flüchtlinge und für die Asylsuchenden in unserem Land positiv hätte verändern können. ({10}) Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich auf verfassungsfeste Füße gestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, tun Sie es endlich! ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier von SPD, Linken und Grünen immer wieder vorgetragene Unterstellung, die Koalition relativiere in irgendeiner Weise die Menschenwürde, ({0}) ist schlicht eine Unverschämtheit. ({1}) Die Grünen und die SPD haben in sieben Jahren Regierungszeit selbst kein einziges Mal den Versuch unternommen, die jetzt von ihnen bemängelten angeblichen Menschenrechtsverletzungen durch deutsches Recht zu ändern. ({2}) Das Asylbewerberleistungsgesetz - Frau Beck, Sie wissen ganz genau, wovon ich rede - existiert seit 1993. ({3}) Was hat denn der in Ihrer Regierungszeit zuständige Bundesarbeitsminister, Herr Müntefering, unternommen? Nichts. ({4}) Wenn es den Grünen tatsächlich so um Humanität geht, muss man fragen: Was hat denn die damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, unternommen? Was hat Frau Künast unternommen? Nichts. Da sieht man: So wichtig war Ihnen das, worüber Sie hier und heute im Zusammenhang mit Ihrem Antrag Krokodilstränen vergießen. ({5}) Fortschritte unter der Regierung von SPD und Grünen, zum Beispiel beim Arbeitsmarktzugang für Ausländer, waren nicht existent. Hier herrschte in rot-grüner Zeit Arbeitsmarktprotektionismus. Im Gegensatz dazu handelt die christlich-liberale Koalition. ({6}) Die Residenzpflicht, die der rot-rot-grüne Block zur Zeit der rot-grünen Regierung immer unangetastet gelassen hat, hat die Koalition aus Union und FDP in Hessen gerade abgeschafft. ({7}) Meine Damen und Herren, weitere Verbesserungen im Ausländer- und im Asylrecht sind immer wieder zu erwägen und auch zu prüfen. Auch hier wird es noch Veränderungen und Verbesserungen geben. ({8}) Dabei darf es aber nicht allein um die gefühlte gute Absicht gehen, sondern wir müssen immer auch die Folgen, die das für alle Beteiligten hat, im Blick haben. ({9}) Hartfrid Wolff ({10}) In diesem Zusammenhang kann ich feststellen: Diese Regierungskoalition hat die Weichen für eine Kultur des Willkommens gestellt. ({11}) In der christlich-liberalen Koalition haben wir gemeinsam wichtige Weichenstellungen in der Zuwanderungsund Integrationspolitik vorgenommen. ({12}) Aber auch hier gilt: Fördern und Fordern gehören zusammen. Offenkundig passt das einigen aus dem Oppositionslager nicht. Aber wir haben in den vergangenen Tagen ja mehrfach gehört, wie die Oppositionsfraktionen sich einfach nur gegen das stellen, was die Koalition macht unabhängig davon, ob die eigene Position kürzlich noch eine andere war. ({13}) Wir halten Wort. ({14}) Die christlich-liberale Koalition eröffnet Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. ({15}) Im Vergleich zu den Vorgängerregierungen schneidet diese Koalition auf diesem Politikfeld sehr gut ab. ({16}) Wir haben die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen geändert, um den Schulund Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber auf Bundesebene gelockert, ({17}) um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. „Bildung ermöglichen“ heißt hier das Stichwort, meine Damen und Herren. Wir haben die Stabilisierungszeit für Opfer von Menschenhandel auf drei Monate ausgedehnt - ein dringendes Petitum gerade von Opferverbänden und auch der Polizei. Wir haben es ermöglicht, dass Abschiebehäftlinge auf ihren Wunsch hin Nichtregierungsorganisationen hinzuziehen können. Zudem haben wir die Bedingungen für die Abschiebehaft signifikant verbessert. ({18}) Liebe Kollegen von den Grünen, wir haben erstmals ein eigenständiges Wiederkehr- und Rückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen geschaffen und auch den eigenständigen Straftatbestand der Zwangsheirat eingeführt. Das ist aktiver Opferschutz und ein klarer Appell an unsere freiheitliche Werteordnung. ({19}) Im Gegensatz zu Rot-Grün, Frau Künast, gibt es dank dieser Koalition inzwischen eine dauerhafte bundesgesetzliche Bleiberechtsregelung. Erstmals wurde für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. ({20}) Das nenne ich humanitäre Rechtssicherheit. Ich habe mich über die Einigung der Unionsinnenminister zu einer weiter gehenden ständigen Bleiberechtsregelung gefreut. Ich bin mir sicher, dass wir auch hier noch fruchtbare Gespräche führen werden. Wir hoffen auf die Konstruktivität der A-Länder, darauf, dass sie endlich aufhören, im Bundesrat zu blockieren, und sich bei der Bleiberechtsregelung konstruktiv einbringen. Nichts dergleichen hat seinerzeit die rot-grüne Koalition zustande gebracht. ({21}) Die rot-grüne Regierung war bei diesen Themen geradezu inaktiv, obwohl sie im Grunde genommen schon damals akut waren. Frau Hiller-Ohm, das sollten Sie eigentlich wissen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hiller-Ohm?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Hiller-Ohm, Sie hatten gerade die Gelegenheit, Ihre Positionen darzustellen. Daher brauchen Sie jetzt keine Zwischenfrage zu stellen. - Dass Sie jetzt noch mehr fordern, obwohl Sie selber so inaktiv waren, wirft wirklich ein sehr schräges Bild auf Ihre damalige Regierungszeit und auch auf Ihre jetzige Lage. Die Landesregierungen mit rot-rot-grüner Beteiligung halten sich bei allen Forderungen, die Sie hier jetzt vortragen - das ist nicht wirklich überraschend -, bedeckt. Das, was Sie hier vortragen, hat keine wirkliche Rückkopplung. Die christlich-liberale Koalition hingegen tut etwas: Wir haben die Zuwanderung für Fachkräfte deutlich rationaler gestaltet und die Verfahren entbürokratisiert. ({0}) Hartfrid Wolff ({1}) Wir werden alsbald auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz umsetzen. ({2}) Wir haben mit dem Bundesinnenminister schon erreicht, dass die Dauer der Asylverfahren deutlich verkürzt wird. Damit schaffen wir Klarheit für die Betroffenen. ({3}) Wir Liberalen haben uns immer dafür eingesetzt, dass jeder, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhält, hier arbeiten und lernen kann. Je früher gearbeitet wird, je schneller gelernt werden kann, desto besser, solange keine Anreize für Asylmissbrauch geschaffen werden. ({4}) Arbeit statt Stütze, liebe Kollegen von den Sozialdemokraten, also arbeiten zu dürfen, nicht zur Untätigkeit verdammt zu sein und nicht zahlungsabhängig zu sein, ist gerade für ein selbstbestimmtes Leben wichtig und kann zudem die Kostenträger entlasten. ({5}) Diese Koalition hat gehandelt. Diese Koalition hat Deutschland mit Fördern und Fordern gerade in der Integrationspolitik vorangebracht. Deutschland verändert sich. Diese Bundesregierung gestaltet dies. Die Opposition hingegen macht nur wohlfeile Vorschläge. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Flüchtling kommt nach Deutschland ohne Not. Kein Flüchtling kommt aus Spaß hierher. ({0}) Flüchtlingsleben in Deutschland bedeutet Sammellager, die weit weg vom gesellschaftlichen Leben eingerichtet werden, keine Individualität, weil die Räume in der Regel überbelegt sind, keine Bildung, keine Arbeit und ein menschenunwürdiges Dasein mit Gutscheinen, zum Teil mit 1-Euro-Jobs oder ähnlichen Dingen. Ich meine, dass diese Schikane und diese Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen in Deutschland endlich aufhören müssen. ({1}) Hinsichtlich der Residenzpflicht gibt es eine Länderinitiative. Es gibt einige Bundesländer wie Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und andere, die endlich dazu übergegangen sind, die Residenzpflicht wenigstens in den Ländern aufzuheben. ({2}) Aber was heißt denn das? Wenn für Menschen in einem Land die Residenzpflicht besteht, müssen sie zur Behörde gehen und fragen, ob sie einen Verwandten in einem benachbarten Bundesland besuchen dürfen. Sie haben einen unglaublichen Aufwand an Bürokratie usw. Selbst die Referatsleiter der Ausländerbehörden, die in der letzten Woche den Innenausschuss besucht haben, haben gesagt: Die Residenzpflicht führt vor allen Dingen zu Verwaltungsaufwand, zu Bürokratie, zur Beantwortung von Klagen usw. Sie sind der Meinung, sie gehört abgeschafft. Das sollte sich die Regierung einmal hinter die Ohren schreiben. ({3}) Man kann als Fazit sagen: Fachlich ist die Residenzpflicht überflüssig, politisch ist sie eine entwürdigende, diskriminierende Schikane der Schutzsuchenden. Sie gehört im Namen der Menschenwürde ersatzlos abgeschafft. ({4}) Auch 20 Jahre nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts gibt es in der Asylpolitik leider weitere Schikanen. Wir haben schon vom Asylbewerberleistungsgesetz gehört. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer bestätigt, dass dieses Gesetz die Menschenwürde verletzt, weil es zu geringe Leistungen vorsieht. Das war für uns schon lange klar, aber die Regierung tat nichts. Frau Hiller-Ohm hat es eben schon angesprochen: Es gab eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen sollte. Auf Ihre Taten warten wir seit drei Jahren. Gestern ist uns das letzte Ergebnis mitgeteilt worden. Es lautet: Ein abschließendes Eckpunktepapier ist wieder nicht beschlossen worden. ({5}) Meine Damen und Herren von der Regierung, ich bin der Meinung: Das, was Sie sich hier leisten, ist eine unglaubliche Ignoranz gegenüber den Asylbewerbern und durch nichts mehr zu überbieten. ({6}) Der Bundesinnenminister hat sogar angekündigt, gegen das Urteil des Verfassungsgerichts zu verstoßen. Das Verfassungsgericht hat gesagt: Auch migrationspolitische Erwägungen … können … kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Herr Friedrich fordert dagegen, Asylbewerbern aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten das Taschengeld komplett zu streichen. ({7}) - Genau. - Dieses Geld brauchen sie aber, um ihr soziokulturelles Existenzminimum zu decken. Aus diesem perfiden Grund wollen Sie hier wieder erneut Abschreckungspolitik betreiben. Dabei nehmen Sie sogar in Kauf - und das mit Ansage -, Verfassungsbruch zu begehen. Ich kann Sie hier nur auffordern, von diesen populistischen Plänen endlich Abstand zu nehmen. ({8}) Eine weitere Schikane ist zum Beispiel das Arbeitsverbot. Die EU-Kommission sagt immerhin: Asylbewerber sollen nach einem halben Jahr Aufenthalt arbeiten gehen dürfen. Auch das macht Deutschland nicht mit. Durch die Regelung eines nachrangigen Zugangs zum Arbeitsmarkt und die Residenzpflicht wird diesen Menschen praktisch keine Chance gegeben, eine Arbeit zu finden. Sie bleiben von Sozialleistungen abhängig, und das wird ihnen dann wieder vorgehalten, wenn sie ein Bleiberecht beantragen. So kann es meiner Meinung nach nicht gehen. ({9}) Gerade bei den sogenannten Geduldeten führen die Rechtslage und die Praxis immer wieder zu regelrechten Familientragödien. Familien, die seit Jahren in Deutschland leben und sich trotz aller Widrigkeiten ein Zuhause geschaffen haben, müssen in ständiger Angst leben, mitten in der Nacht von einem Polizeiaufgebot aus den Betten gerissen und 30 Minuten später, nachdem sie ihre Sachen gepackt haben, zum Flughafen gebracht zu werden. Besonders Kinder werden durch diese Art und Weise der Abschiebepraxis traumatisiert. Ich will hier ganz deutlich sagen: Das findet nicht nur in CDU- und CSU-regierten Ländern und unter Beteiligung der FDP, sondern leider auch in SPD-regierten Ländern statt. Das ist wirklich ein Skandal! ({10}) Deswegen fordert die Linke ein humanitäres Bleiberecht und kein bürokratisches Bleiberecht, wie wir es bislang haben. Das Verfassungsgericht hat verboten, dass die Menschenwürde zum Zweck der Flüchtlingsabschreckung unterlaufen wird. Das Regime der Schikanen und der systematischen Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen muss jetzt ein für alle Mal beendet werden. ({11}) Meine Damen und Herren, kommen wir noch einmal zu den Fakten; denn die Presse und die Bundesregierung sprechen in der Öffentlichkeit gerne sehr unsachlich über die Zahlen. Zweifellos gibt es in diesem Jahr mehr Flüchtlinge: Im Jahr 2003 sind knapp 20 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, 2010 waren es 41 000, und 2011 waren es 45 000 Flüchtlinge. Die Zahlen steigen. ({12}) Aber erstens steigen sie nicht dramatisch, Herr Grindel, und zweitens steigen die Zahlen bei den Asylanträgen insgesamt. Das hat auch etwas mit Ihrer Politik zu tun. ({13}) Dieser leichte Anstieg ist zum Großteil hausgemacht, nicht weil Flüchtlinge das Asylrecht missbrauchen, sondern weil der Westen immer mehr Fluchtgründe schafft. Die Flüchtlinge kommen zum Beispiel aus dem Balkan, aus Afghanistan, aus dem Irak. Diese Herkunftsländer der Flüchtlinge waren vom sogenannten Krieg gegen den Terror am stärksten betroffen. Ich erinnere an das Gespräch mit Flüchtlingen vorige Woche, in dem ein Flüchtling gesagt hat: Ich bin ein Produkt eurer Politik, auf unser Land fallen NATO-Bomben. - Das gilt übrigens für viele Flüchtlinge. ({14}) Von dort, wo Kriege geführt werden, kommen auch Flüchtlinge. Kriege sind Fluchtursachen, die Sie mit schaffen, Herr Grindel. ({15}) Die reichen Staaten beuten die sogenannte Dritte Welt aus, halten sie in Armut und Abhängigkeit, und natürlich kommen von dort Flüchtlinge. Die ODA-Quote, der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen - wir haben es letzte Woche hier im Bundestag diskutiert -, wird nicht, wie vereinbart, auf 0,7 Prozent erhöht, sondern die Mittel sind wieder einmal gesenkt worden, und damit liegt die Quote unter 0,4 Prozent. Ihre Entwicklungspolitik ist einfach ein Skandal. ({16}) Also, wundern Sie sich nicht, wenn Flüchtlinge kommen. Sie, meine Damen und Herren, tragen dazu bei, Fluchtursachen zu schaffen, statt sie abzustellen. Das ist eine ewige Debatte hier im Haus; es passiert nichts. Solange Sie Panzer und Maschinenpistolen exportieren und eine entsprechende Politik betreiben - davon können wir immer wieder in den Zeitungen lesen -, haben Sie kein Recht, Flüchtlinge zu Kriminellen zu erklären. Es ist wirklich ein Skandal, dass das hier überhaupt versucht wird. ({17}) Ganz nebenbei: Deutschland ist bei weitem nicht das Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt. In Deutschland kommen auf 100 000 Einwohner 65 Flüchtlinge. In Schweden sind es schon 315 Flüchtlinge; in Malta, ZyUlla Jelpke pern und Luxemburg sind es schon 450. Auch Italien und Griechenland nehmen, bezogen auf die Bevölkerung, mehr Flüchtlinge auf als Deutschland. Das heißt, wer behauptet, das Boot sei voll, redet meines Erachtens Unsinn. ({18}) Wir werden vielmehr in die Pflicht genommen werden, in Europa solidarische Hilfe zu organisieren, eine vernünftige Umverteilungspolitik zu machen, was die Flüchtlingsprobleme angeht, und vor allen Dingen die Ursachen zu bekämpfen. ({19}) Ich komme zur aktuellen Debatte zum Asylmissbrauch - hierzu sind schon einige Punkte genannt worden -: Das Problem sind nicht die Asylbewerber, wie bestimmte Politiker behaupten, um damit ganz gezielt Ängste zu schüren und bestimmte Vorurteile zu bestätigen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz sagte Bundesinnenminister Friedrich: Das wird dazu führen, dass die Asylbewerber-Zahlen noch weiter steigen, ({20}) denn es wird für Wirtschaftsflüchtlinge noch attraktiver zu uns zu kommen, ({21}) und mit Bargeld wieder abzureisen. ({22}) Ihr Innenminister Schünemann aus Niedersachsen legte noch eins drauf: Das ist klarer Asylmissbrauch. Ganze Dörfer kommen … Ich darf Ihnen etwas verraten, was Ihnen bestimmt nicht gut gefallen wird: Mit diesen Zitaten - Sie sehen es hier auf diesem Flugblatt - warb die NPD für den 9. November zu einem Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch und nutzte Ihre Stellungnahmen, ({23}) um das rechte Potenzial zu mobilisieren. Ich kann dazu nur sagen: Kommen Sie zu einer sachlichen Debatte zurück, und hören Sie auf mit dieser puren Stimmungsmache, die Sie seit Wochen betreiben. Sie liefern damit den Neofaschisten die Munition für rassistische Hetze. ({24}) Was sich hier anbahnt - darauf hatten schon einige hingewiesen -, ist im Grunde genommen eine Neuauflage des Szenarios von 1992. Es werden Ängste geschürt. Es wird mit Unterstellungen gearbeitet. Es wird gehetzt. Damals brannten am Ende die Wohnheime für Asylbewerber. Meine Damen und Herren, wir müssen alles tun, damit das nicht wieder geschieht. ({25}) Die Linke sagt auch deswegen ganz klar, dass das Asylrecht reformiert werden muss. Gerade zu dem Beispiel Roma kann ich jetzt keine weiteren Ausführungen machen - Frau Beck hat es aber schon gesagt -, aber so viel: Sie sind nicht einfach Wirtschaftsflüchtlinge, wie Sie das hier darstellen wollen. Die EU, die UN, der Europarat sprechen von massiver Diskriminierung. ({26}) Ich will Sie daran erinnern, dass die Flüchtlinge, die zurzeit aus dem Balkan kommen, zur Hälfte Kinder sind Kinder und ganze Familien! Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Linke mit den vorliegenden Anträgen zum Asylbewerberleistungsgesetz und zur Residenzpflicht die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen hat. Beides gehört sofort abgeschafft! ({27}) Wir wollen die Würde der Asylsuchenden genauso schützen, wie wir die Würde aller Menschen in der Bundesrepublik schützen wollen. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. Eine wichtige Besonderheit in unseren Anträgen ist - ansonsten werden wir allen Anträgen zustimmen -: Wir wollen auf die Wohnortzuweisung verzichten. Unserer Meinung nach ist es wichtig, für Flüchtlinge Wohnungen und keine Lager zu schaffen. Es gibt ja das Meldegesetz; sie sind erreichbar.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist nicht nötig, dass wir diese Einschränkung haben. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen! Mit Ihren Anträgen fordern Sie - das haben Sie in den Reden auch deutlich gemacht - faktisch die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. ({0}) - Da können Sie ruhig schon einmal klatschen, das passt schon. Das Klatschen wird Ihnen gleich vergehen. Zunächst ist es in dieser Diskussion erforderlich, dass man auf den Tatbestand schaut, auf Art. 16 a unseres Grundgesetzes. Darin steht, dass politisch Verfolgte Asyl genießen. Das heißt aber auch - auch das haben die Väter unseres Grundgesetzes bedacht -, dass nicht politisch Verfolgte keinen Anspruch auf Asyl haben. ({1}) - Liebe Frau Künast, in unserem Grundgesetz steht nichts von Diskriminierung. Da muss man die Kirche etwas im Dorf lassen - im wahrsten Sinne des Wortes und sagen: Es kann auch nicht sein, wie Sie am Ende Ihrer Rede ausgeführt haben, Frau Künast, dass die Menschen berufstätig sein oder einen Beruf erlernen sollen, weil sie ohnehin später bei uns arbeiten werden. ({2}) Unser Asylrecht geht davon aus, dass die Prüfung zeitnah stattfindet - da ist sicher noch Luft drin, da kann man sicher noch manches verbessern -, dass aber diejenigen, die keinen Anspruch auf politisches Asyl haben, tatsächlich auch wieder zurückgeschickt werden müssen. ({3}) - Ja, dass sie abgeschoben werden müssen. Frau Jelpke, wenn Sie, wie Sie ausführen, ein dauerhaftes Bleiberecht einführen wollen, würde das - auch das muss man den Leuten klar sagen - in der Konsequenz dazu führen, dass wir die Zuwanderung über das Asylrecht regeln. Das kann doch niemand ernsthaft wollen. Das ist doch nicht der richtige Ansatz. ({4}) Ich möchte ganz klar betonen, dass wir dem aus Art. 16 a des Grundgesetzes folgenden Grundrecht auf Asyl für Menschen, die aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt werden, gerecht werden. Menschen, die unseren Schutz wirklich brauchen, können sich darauf verlassen, dass ihnen bei uns geholfen wird. Das war so in der Vergangenheit, und das wird auch in Zukunft so sein. Im europaweiten Vergleich steht Deutschland bei den Asylanträgen ganz vorn an erster Stelle. In den vergangenen Jahren haben wir immer mehr Asylsuchende aufgenommen. Sie wissen, dass sie sich bei uns auf den Rechtsstaat verlassen können, anders als in vielen ihrer Herkunftsländer. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für die Asylsuchenden in jedem Fall ein menschenwürdiges Dasein sicher. ({5}) Der notwendige Lebensbedarf einschließlich der Unterbringung, erforderlicher medizinischer Behandlungen sowie etwaiger persönlicher Bedürfnisse wie denen von Kindern wird befriedigt. ({6}) Aber das verfassungsrechtlich garantierte Asylrecht soll weder wirtschaftliche noch soziale Unterschiede ausgleichen - das kann es nicht - und somit auch keine Inanspruchnahme aus wirtschaftlichen Erwägungen fördern - auch die muss angesprochen werden -, sondern es soll umfassenden Schutz vor Verfolgung jeglicher Art bieten. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde im Jahr 1992 von den Fraktionen CDU/CSU und FDP sowie SPD gemeinsam verabschiedet, da im besagten Jahr 95 Prozent der Asylsuchenden überhaupt nicht politisch verfolgt waren, sondern andere, häufig auch wirtschaftliche Beweggründe für den Aufenthaltswunsch in Deutschland ausschlaggebend waren. Diesem somit in vielen Fällen bestehenden Missbrauch des Asylrechts mussten und müssen wir entgegentreten. Die Zahl der Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien beispielsweise - es wurde bereits darauf hingewiesen - steigt seit einiger Zeit sprunghaft an. Zusammenhänge mit der seit 2009 erfolgten Visaliberalisierung und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli dieses Jahres sind nicht von der Hand zu weisen, zumal die Anerkennungsquote in diesem Bereich nahe null liegt, da diese Menschen gerade nicht politisch verfolgt werden. Ich will nicht verkennen, liebe Frau Künast, dass die Lebensverhältnisse in vielen Herkunftsregionen unter hygienischen, gesundheitlichen wie auch unter beschäftigungspolitischen Aspekten schlicht nicht hinnehmbar sind. Es müssten die Probleme indes in den Herkunftsländern gelöst werden. Die Lage in den Asylbewerberunterkünften ist angespannt und stellt die Kommunen vor eine große Belastungsprobe. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge. Wir von der christlich-liberalen Koalition wollen ein zügiges und effizientes Asylverfahren gewährleisten, ({7}) das zu sachgerechten Entscheidungen führt. Dies ist im Sinne der Asylsuchenden selbst und berücksichtigt gleichzeitig auch die Bereitschaft der Bevölkerung in Deutschland zur Aufnahme. ({8}) Daher sage ich ganz deutlich, dass zu einer erfolgreichen Integrationspolitik der unionsgeführten Bundesregierung als wichtige Bausteine die Residenzpflicht und das Sachleistungsprinzip gehören, was in den Verantwortungsbereich der Länder gehört. Die Residenzpflicht - das wurde bereits von einigen Vorrederinnen und Vorrednern kritisiert - ist mitnichten eine Schikane der Asylsuchenden, wie Sie es hier darzustellen versuchen. ({9}) Sie dient vielmehr der Beschleunigung des Asylverfahrens und entlastet zeitgleich die Kommunen. Mit der von Ihnen geforderten Aufhebung der Residenzpflicht würden Sie nicht nur die ohnehin schon angespannte Lage in den Unterkünften vor Ort in den Kommunen verschärfen, sondern auch die dringend benötigte Verkürzung des Asylverfahrens beeinträchtigen. ({10}) Im Gegenteil: Sie würden sogar die Aufnahme verlangsamen. Denn eine problemlose Erreichbarkeit ist Grundvoraussetzung für ein zügiges und effektives Verfahren. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II von den Leistungsempfängern fordern, dass sie erreichbar sind. Nichts anderes kann daher nach meiner Meinung auch für Asylsuchende gelten. ({11}) Zudem wurde die Residenzpflicht in der Vergangenheit bereits an verschiedenen Stellen - der Kollege Wolff hat schon darauf hingewiesen -, zum Beispiel in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung und Schulbesuch, gelockert. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Linken und den Grünen, Sie sollten daher bei Ihren Anträgen die Realität nicht aus den Augen verlieren und kein Szenario an die Wand malen, das überhaupt nicht existiert. Der Antrag der SPD, der eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorsieht, enthält sicherlich das eine oder andere Erwägenswerte, insbesondere zu Bildung bzw. frühkindlicher Bildung und zu Sprachkursen. Das sollten wir uns genau anschauen, um zu sehen, wie wir Verbesserungen insbesondere für die bei uns lebenden Asylbewerberkinder erreichen können. Denn es soll kein Nachteil sein, wenn ein Asylbewerberkind bei uns Deutsch lernt - selbst in dem Fall, dass seine Eltern abgeschoben werden und es wieder in sein Herkunftsland zurück muss. Im Bereich Bildung bin ich also gerne gesprächsoffen, ({12}) im Übrigen auch bei den Gutscheinen und bei Gutscheinlösungen, die in die Zuständigkeit der Länder fallen. Auch da ist schon einiges passiert. Im Übrigen - Sie haben vorhin danach gefragt, Frau Ferner - arbeitet die Bundesregierung derzeit mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf, ({13}) um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, auf die Sie schwerpunktmäßig Ihren Antrag stützen, zügig umzusetzen und für den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Neuregelung zu treffen. Die Diskussion wird mit großer Aufmerksamkeit von unserer Bundesarbeitsministerin verfolgt. ({14}) Sie sieht den dringenden Handlungsbedarf natürlich auch, liebe Frau Ferner. Wir werden das in der von der christlich-liberalen Koalition gewohnten Zügigkeit und Gründlichkeit - auch hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit - auf den Weg bringen ({15}) und ein ordentliches Asylbewerberleistungsgesetz hinbekommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen im Frühjahr 2010 hätte es der Bundesregierung klar sein müssen, dass auch das Asylbewerberleistungsgesetz einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standhalten wird. ({0}) Dafür, Frau von der Leyen, brauchte man keine Hellseherin zu sein. Sie haben bisher aber nichts getan, nichts nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 2010, nichts bis zum Verfassungsgerichtsurteil 2012 und auch danach nichts. Das Verfassungsgericht hat offenbar eine Ahnung von der Geschwindigkeit und dem - wie sagten Sie, Herr Lehrieder? - Hochdruck, mit dem diese Bundesregierung arbeitet. Denn es hat vorsorglich verfügt, dass es Übergangsregelungen gibt, und klar Recht angeordnet, weil es weiß, dass die christlich-liberale Bundesregierung es nicht so eilig hat, wenn es um die Achtung der Menschenwürde geht. ({1}) Wir haben vom Verfassungsgericht eine klare Regelung vorgegeben bekommen. Alle Leistungsberechtigten, die bisher Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsrecht bekommen haben, erhalten jetzt Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII. Das Verfassungsgericht hat sogar für die nicht rechtskräftigen Bescheide eine Rückwirkung zum Januar 2011 verfügt. Das ist einmalig. Frau von der Leyen, so etwas kann man nur als ordentliche Klatsche bezeichnen. ({2}) Auch die Leitsätze des Verfassungsgerichts lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Würde des Menschen ist nicht nur unantastbar; sie ist auch nicht teilbar, weder nach Nationalitäten, weder nach Aufenthaltsstatus noch nach Dauer des Aufenthaltes. Die Höhe des menschenwürdigen Existenzminimums darf nicht evident unzureichend sein und muss realitätsgerecht in einem transparenten und sachgerechten Verfahren bestimmt werden. Da Sie damit schon bei der Festsetzung der Regelsätze nach dem SGB II Probleme hatten, frage ich mich, wie Sie ein Verfahren für nur 150 000 Leistungsberechtigte hinbekommen wollen. Da sind wir gespannt. Wichtig ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Wenn für unterschiedliche Personengruppen unterschiedliche Methoden für die Feststellung des Bedarfs angewandt werden, muss dies sachlich begründet sein. Das Existenzniveau muss sich an den hiesigen Lebensverhältnissen orientieren und nicht an denen des Herkunftslandes. Das Verfassungsgericht sagt weiter: Das menschenwürdige Existenzminimum umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes einheitlich zu sichernde Bedarfe. Das Ob und das Wie der Festsetzung eines geringeren Bedarfs bei existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit einem vorübergehenden Aufenthaltsrecht in Deutschland hängt allein davon ab, ob wegen eines kurzfristigen Aufenthaltes konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern und Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können. Das Verfassungsgericht sagt auch ganz klar, dass diese Minderbedarfe dann nicht mehr gerechtfertigt sind, wenn der tatsächliche Aufenthalt länger dauert. Wie lange die Aufenthaltsdauer ist, wissen Sie besser als ich. Insofern braucht man diesen klaren Ansagen des Bundesverfassungsgerichtes nichts hinzuzufügen. Man fragt sich natürlich: Warum handelt diese Regierung nicht? Warum verstecken Sie sich hinter Nichtstun? Es ist wahrscheinlich wie immer, dass sich die schwarzgelbe Koalition nicht auf eine gemeinsame Position verständigen kann. Dann ist es Ihnen auch relativ egal, ob das Grundgesetz und die Grundrechte damit mit Füßen getreten werden. ({3}) Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde - Herr Lehrieder, das ist richtig - 1993 im Rahmen der Reform der Asylgesetzgebung eingeführt - auch mit unseren Stimmen; mit meiner persönlichen nicht, aber die Mehrheit meiner Fraktion hat damals zugestimmt. Allerdings ist es auch richtig, dass der von der Union und der FDP damals eingebrachte Gesetzentwurf zunächst einen unbefristeten Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen hat und es auf unsere Intervention zunächst auf zwölf Monate begrenzt wurde. Dann haben 1997 CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen, dass der Betroffenenkreis ausgeweitet wird und dass die für eine Dauer von drei Jahren eingeführte Kürzung der Sachleistungen und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sogar unbefristet vorgenommen werden können. 2007 - da waren wir leider auch mit dabei - ist diese Regelung auf Ihren Wunsch von 36 auf 48 Monate ausgeweitet worden. Wir haben nur deshalb mitgemacht, weil im Gegenzug Verbesserungen bei Altfallregelungen und der Erteilung von Arbeitserlaubnissen erzielt wurden. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht die Leitplanken in diesem Jahr ganz klar beschrieben hat. Ich bin auch froh, dass es künftig nicht mehr möglich ist, die Bezugsdauer der Verfahrensdauer anzupassen und eine Sozialleistung, die das Existenzminimum absichert, nahezu 20 Jahre unangepasst zu lassen. ({4}) Wir haben in unserem Antrag die Vorgaben des Verfassungsgerichtes aufgegriffen. Wir fordern die Bundesregierung auf, dass die Leistungen nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes neu ermittelt werden. Wir warten auf die Vorlagen. Wir fordern, dass Kinder bis zur Volljährigkeit aus dem reduzierten Leistungsbezug auszunehmen sind. Die Kinder können am wenigsten dazu, dass sich ihre Eltern, aus welchen Gründen auch immer, auf die Reise in ein fremdes Land gemacht haben. ({5}) Wir wollen, dass alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Rechtsanspruch auf die Bedarfe von Bildung und Teilhabe bekommen. Ich finde - Herr Lehrieder hat das ja schon angedeutet, und ich hoffe, dass das auch eine Mehrheitsmeinung in Ihrer Fraktion ist -, dass zumindest für Kinder und Jugendliche das Gebot der christlichen Nächstenliebe ausreichen sollte, um ihnen eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren. ({6}) Wir wollen die medizinische Versorgung sicherstellen - das betrifft auch die psychologische Behandlung von durch Vergewaltigung oder durch schwere Gewalttaten traumatisierten Flüchtlingen -, und wir wollen den Kreis - Frau Kollegin Hiller-Ohm hat das eben gesagt - der Leistungsempfänger auf den ursprünglichen Kreis derjenigen, die um Asyl nachsuchen, eingrenzen und beschränken. Außerdem wollen wir die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nicht mehr zur Regel, sondern zur Ausnahme machen. Schließlich wollen wir den Arbeitsmarktzugang erleichtern, weil es in der Tat besser ist, dass sich die Menschen durch ihrer Hände Arbeit ernähren können statt durch eine soziale Transferleistung. ({7}) Im Übrigen, Frau von der Leyen, wollen wir auch die Bezugsdauer auf zwölf Monate begrenzen. Ich finde, es ist ziemlich peinlich, dass alle Oppositionsfraktionen eigene Vorschläge machen, während sich die Regierung mal wieder in die Büsche schlägt. Ich kann Ihnen nur zurufen: Wenn Sie nicht regieren können, dann hören Sie einfach auf, so zu tun, als wenn Sie regieren würden. Lassen Sie es bleiben. Ab dem Herbst nächsten Jahres wird das sowieso nicht mehr der Fall sein. Schönen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden am heutigen Vormittag in der Kernzeitdebatte über das Asylbewerberleistungsgesetz. ({0}) Ich glaube, dies ist eine gute Gelegenheit, noch einmal dankbar festzustellen, dass wir alle, die wir hier sitzen, in einer Zeit leben, in der es glücklicherweise keine Gründe gibt, ins Ausland zu gehen, um Asyl zu beantragen, weil es politische Verfolgung, rassische Verfolgung oder religiöse Verfolgung in Deutschland gäbe. ({1}) Das sollte uns alle verbinden, und dafür sollten wir dankbar sein. Das war nicht immer so in Deutschland. Ich glaube, wir sind auch dankbar für jeden Einzelnen, der aus Deutschland hat fliehen müssen und der in einem anderen Land Aufnahme gefunden hat. ({2}) Deshalb ist das Asylbewerberleistungsrecht ein sensibles Thema. Es eignet sich auch nicht für pauschale Vorwürfe, vereinfachte Betrachtungen oder parteipolitische Profilierung, ({3}) auch deshalb nicht, Frau Ferner, weil Sie ebenso wie wir alle - mit Ausnahme der Linken, die glücklicherweise noch nie Gestaltungsmöglichkeiten auf Bundesebene hatten - an der Gesetzgebung, so wie sie gegenwärtig vorliegt, aktiv beteiligt waren und wir alle den jetzigen Zustand zu verantworten haben. ({4}) Zur Wahrheit, liebe Frau Ferner und liebe Grüne, gehört doch auch, dass es diese Bundesarbeitsministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen war, die mit Unterstützung dieser Regierungskoalition schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aktiv auf die Länder zugegangen ist, ({5}) um mit ihnen eine Neuordnung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf den Weg zu bringen. ({6}) Es ist ein Ausweis von Fairness dieser Bundesarbeitsministerin und dieser Regierungskoalition, dass wir das Gespräch mit den Ländern vorab gesucht haben; denn es ist ja beim Asylbewerberleistungsgesetz so: Der Bund beschließt, die Kommunen zahlen. Es ist ein Ausweis von Fairness, das Gespräch mit den Ländern zu suchen, um gemeinsam zu einer Regelung zu kommen. ({7}) Mir ist nicht zu Ohren gekommen, Frau Ferner, dass ausgerechnet die Roten und die Grünen in den Ländern, in denen sie Verantwortung tragen, versucht hätten, die Gespräche durch konstruktives Mitwirken an Geschwindigkeit zu befördern und einer Lösung zuzuführen. ({8}) Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, und wir als Regierungskoalition haben klargestellt, dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeitnah umsetzen werden. ({9}) Frau Ferner, der Unterschied zwischen dieser Regierungskoalition mit dieser Bundesarbeitsministerin und Vorgängerregierungen ist allerdings, dass wir die Dinge gründlich tun. ({10}) Gerade wenn es um Verfassungsgerichtsurteile und verfassungsrelevante Fragen geht, ist es notwendig, dass man intensiv darüber berät ({11}) und eine Lösung zustande bringt, die nicht wenige Wochen oder Monate später wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. ({12}) Sie, liebe Frau Ferner, erinnern sich doch ganz besonders gut an die Debatte um das Arbeitslosengeld II. Auch dazu gab es ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, und auch damals haben Sie immer auf Geschwindigkeit gedrängt. ({13}) Wir haben gesagt: Hierüber muss man lange und klug beraten, damit man kein Risiko eingeht und dem Willen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird. Tatsache ist, dass bisher noch kein Gericht in Deutschland die Lösung, die wir gefunden haben, kritisiert hat. Diese Lösung wurde allerseits begrüßt. Auch das ist Zeichen einer guten Regierungspolitik - wie diese Regierungskoalition sie zu leisten in der Lage ist -, nämlich dass wir uns ausreichend Zeit nehmen, dann aber auch zu substanziellen Lösungen kommen, die Bestand haben. ({14}) Klar ist - wir sind dem Bundesverfassungsgericht dankbar, dass es das klargestellt hat -, dass das Asylrecht ein Grundrecht ist und nicht durch migrationspolitische Erwägungen relativiert werden darf. Das war auch nie die Absicht dieser Bundesregierung. Dem werden wir uns selbstverständlich verpflichtet fühlen. Wir werden in Kürze Regelsätze zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorlegen, die transparent und nachvollziehbar berechnet sind und die jeder Debatte und jeder Diskussion standhalten werden. Diese Regelsätze werden hier beraten werden. Sie werden sehen, dass das, was wir Ihnen vorlegen werden, in der Sache überzeugend sein wird. ({15}) Wichtig ist aber auch - auch dazu bekennt sich diese Bundesregierung -, dass die Gewährung von Asyl immer nur die zweite Wahl ist, wenn Sie so wollen. Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Situation der Menschen in ihren Heimatländern so gut wie möglich verbessern. ({16}) Auch da hat diese Bundesregierung mit Außenminister Guido Westerwelle und Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel entscheidende Wegmarken gesetzt. Sie hat die Entwicklungszusammenarbeit gerade unter Menschenrechtsgesichtspunkten neu gestaltet und neu ausgerichtet ({17}) und ist in einer Weise für die Menschenrechte in dieser Welt verantwortlich tätig, wie es bisher jedenfalls nicht der Fall war. ({18}) Wir werden im Zuge der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes auch über den Arbeitsmarktzugang sprechen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass auf der europäischen Ebene eine Frist von neun Monaten im Grunde schon konsentiert ist. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Staatsministerin Frau Böhmer sich auch eine kürzere Frist beim Arbeitsmarktzugang vorstellen kann. Wir werden das in der Koalition diskutieren und dann eine Lösung vorschlagen, die allen Beteiligten gerecht wird. ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg, so wie es diese Bundesregierung in allen politischen Fragen ist. ({20}) Wir werden diese Regierungskoalition in Ruhe und mit der notwendigen Sachlichkeit zu Ende bringen und ab September auch wieder die Regierung stellen und die gute Arbeit fortsetzen. ({21}) - Lieber Herr Trittin, dass Sie sich jetzt plötzlich zu Wort melden, zeigt doch, dass Sie nervös werden. Das freut mich. Wir machen eine gute Politik, Herr Trittin. ({22}) Sie werden noch länger von der Opposition aus zuschauen. Vielen Dank.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier von den Rednern der Regierungsfraktionen hören, offenbart ein wirklich historisches Ausmaß von Verletzungen von Rechtstreue und von Ignoranz gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. ({0}) Dieses Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz ist von einer Klarheit, wie man sie nur selten antreffen kann. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Leistungen sind evident unzureichend. Es hat sofortigen Handlungsbedarf angemeldet. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass die Grundaussage unserer Verfassung: „Die Menschenwürde ist unantastbar“ für den gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes gilt. Das ist die entscheidende Rechtsgrundlage. ({2}) Dass Sie, Herr Lehrieder, hier wiederum mit dem Asylrecht aus Art. 16 Grundgesetz als Grundsatz argumentieren, dass die Zwischenrufe von den Innenpolitikern der Union - ich habe sie gehört - einfach ignorieren, dass migrationspolitische Gründe für die Bemessung des Existenzminimums keine Grundlage sein dürfen - es ist wirklich unerhört, wie Sie mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgehen. ({3}) Natürlich sind unsere Länder tätig geworden. Die rotgrün regierten Länder haben einen Antrag zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes in den Bundesrat eingebracht. Daraus kann man Sätze zitieren, denen eigentlich nichts hinzuzufügen ist - ein entsprechender Entschließungsantrag wird nachher zur namentlichen Abstimmung stehen -: Auch wenn sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts … in erster Linie zur Verfassungsgemäßheit der Höhe der Grundleistungssätze geäußert hat, lassen die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts nur den Schluss zu, dass die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes überfällig ist … Vorher heißt es: Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung außerhalb der Sozialgesetzbücher für Leistungen an Asylbewerber … besteht nicht mehr. Wir reden hier nicht nur über Asylbewerber, die Bürgerkriegsflüchtlinge sind. Wir reden über Geduldete, bei denen es handfeste Abschiebehindernisse gibt. Wir reden über einen großen Kreis von Personen, deren Menschenwürde Sie durch das fortgesetzte Ignorieren des Verfassungsgerichtsurteils herabsetzen. ({4}) Über eine Sache müssen wir hier noch einmal reden; ich kann Ihnen diesen wichtigen Punkt nicht ersparen: Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen, haben keinen Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gibt es Hilfe. Konkret heißt das: keine Prävention, keine Untersuchungen; es muss schon so schlimm sein, dass ein Krankenwagen kommt. Dann erst gibt es Hilfe. ({5}) Überlegen Sie einmal, welche Situationen in Ihrem Leben bei einer solchen medizinischen Versorgung ganz anders hätten ausgehen können. ({6}) Vielleicht hätten dann einige gute Chancen, diese Debatte aus dem Jenseits zu betrachten. ({7}) Besonders unmenschlich ist, dass die Bundesregierung die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie bewusst nicht umsetzt. Auch deshalb wird von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt Betroffenen kein Therapieanspruch garantiert; es soll ihn nur geben. Die Menschen sind also auf den guten Willen angewiesen. Knapp 20 Jahre nach Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes ist es Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das Menschen ausgrenzt. ({8}) Auch Sie von den Sozialdemokraten haben die Chance, dem Entschließungsantrag zuzustimmen, der den Text der rot-grünen Landesregierungen eins zu eins wiedergibt. ({9}) Ich kann tatsächlich nicht verstehen, warum Sie das nicht machen wollen; das ist mir wirklich unerklärlich. Wir haben uns seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes für eine Änderung eingesetzt. Wir standen in bestimmten Situationen, auch zu der Zeit, als wir regiert haben, gegen eine komplette gesellschaftliche Mehrheit. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten während der rot-grünen Regierungszeit nichts gemacht - ({10}) - Herr Wolff, Sie wissen, wie die Bundesratsmehrheiten waren. Sie haben überhaupt nichts unternommen, und jetzt stellen Sie sich hier hin und machen wohlfeile Vorwürfe. Das ist unredlich und schäbig. ({11}) Ich sage Ihnen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Berücksichtigen Sie das! ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSUFraktion.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das linke Lager hier im Hause fordert mit lautem Gebrüll: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss weg. ({0}) Das war sehr eindrucksvoll. Vielleicht ist es gut, dass es in diesem Parlament einige gibt, die sich noch daran erinnern können, wie dieses Gesetz entstanden ist, ({1}) ungetrübt und nicht von einem etwas selektiven Wahrnehmungsvermögen geprägt wie bei Frau Marieluise Beck; sie kann sich nur noch an einen Teil erinnern. ({2}) Ich erinnere mich deswegen sehr genau, weil ich in den 90er-Jahren für die Unterbringung von Zehntausenden Asylbewerbern in München verantwortlich war. Ich weiß noch, wie der SPD-Oberbürgermeister Kronawitter und ich beieinandersaßen und gerätselt haben: Wie schaffen wir es, dass es zu einer Grundgesetzänderung und zur Schaffung des damit zusammenhängenden Asylbewerberleistungsgesetzes kommt? ({3}) Wir, ein vernünftiger SPD-Oberbürgermeister und ich, wir von der CSU waren uns einig. Erst als es ihm gelang, meine Damen und Herren von der SPD - Frau Ferner kann sich daran erinnern; das habe ich gerade bei ihrer Rede gemerkt -, dass Oberbürgermeister aus den RheinRuhr-Städten mit ihm zusammen an einem Strang zogen und gesagt haben: „So kann es mit dem ungelösten Problem des zehntausendfachen Asylmissbrauchs nicht weitergehen; die Republikaner sind in den Landesparlamenten erstarkt; so kann es nicht weitergehen; wir arbeiten ja den Rechtsradikalen zu“, erst als der vernünftige Teil der SPD das erkannt hat, kam es zum Asylbewerberleistungsgesetz, und das wollen Sie abschaffen. ({4}) Ich möchte nicht das Geschäft der Rechtsradikalen betreiben. ({5}) Ich bedanke mich bei Frau Ferner, dass sie an die Genesis dieses Gesetzes erinnert hat. Die Grünen fordern: Wer diskriminiert wird auf dieser Welt, muss nach Deutschland kommen dürfen - das hat Frau Künast hier gesagt -, und das - nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes - mit Anspruch auf die volle Sozialhilfe. Es wäre gut, Sie würden den Wählern mitteilen, was sie bekommen, wenn sie Grün wählen. ({6}) Die Residenzpflicht ist von uns gesetzlich geändert und in die Obhut der Länder gelegt worden. Auch in diesem Zusammenhang ist es gut, mit der Heuchelei aufzuhören und die Dinge beim Namen zu nennen. Die Residenzpflicht ist gelockert worden. Das heißt, die Länder können mit ihren Nachbarländern Abkommen darüber schließen, dass ein Asylbewerber ins Nachbarland gehen kann. ({7}) - Das tun sie auch. - Aber als Brandenburg den Antrag stellte, dass Brandenburger Asylbewerber auch nach Berlin gehen können, hat Herr Wowereit darauf mit einem schroffen Nein geantwortet. ({8}) So viel zum Thema Heuchelei. ({9}) Als Niedersachsen beim Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz angeklopft hat: „Dürfen unsere Asylbewerber angesichts der Lockerung der Residenzpflicht auch in die Nachbargroßstadt Hamburg kommen?“, hat Herr Scholz darauf mit einem schroffen Nein geantwortet. So viel zum Thema Heuchelei. ({10}) Auch der sofortige Zugang zum Arbeitsmarkt ab dem ersten Tag, ab Ankunft in Deutschland, wird im linken Lager diskutiert. Es gibt Menschen, die sich Sorgen um unsere Arbeitslosen machen, die sich freuen, dass es nach neuesten Zahlen nur noch 2,7 Millionen sind. Aber auch das ist zu viel. Wir haben eine Schutzfunktion gegenüber unseren Arbeitslosen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Billiglöhner aus aller Herren Länder zu uns kommen, um hier zu arbeiten. ({11}) Die Gemeinschaftsunterkunft ist eine vernünftige Einrichtung, und zwar deswegen, weil bei einem Asylverfahren nicht klar ist, ob der Bewerber bleiben kann oder nicht. Die derzeitigen Zahlen besagen, dass 99 Prozent der Ankommenden aus Mazedonien oder Serbien nicht bleiben dürfen. Deswegen ist es wichtig, dass sie sich in der Gemeinschaftsunterkunft aufhalten, nicht untertauchen können und von der Verwaltung dort sofort angetroffen werden können, um ausgewiesen zu werden. ({12}) Das ist der Sinn der Gemeinschaftsunterkunft. Diese Regelung ist vernünftig. Auf das Thema Sachleistungen wird sicher noch eingegangen. Ich meine, wir sollten das Asylbewerberleistungsgesetz nicht abschaffen. Wir sollten klarmachen, dass jeder Rechtsstaat Ausländergesetze hat und zwischen Inländern und Ausländern unterscheidet. Er regelt, wer aus dem Ausland ins Land kommen darf und wer aus dem Ausland bei uns bleiben darf. Die Ausnahme von dieser Regel ist das Asylrecht; denn der zivilisierte Rechtsstaat, der die Menschenwürde achtet, sagt: Wer politisch, rassisch oder religiös verfolgt ist, der darf ausnahmsweise kommen und bleiben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Bulling-Schröter?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, von mir aus.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie haben die Formulierung gehört. Das hat übersetzt ein Ja bedeutet. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein lustloses Ja.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Uhl. - Sie haben gesagt: Wir wollen unsere Jugendlichen vor den Billiglöhnern aus dem Ausland schützen. Ich habe genau zugehört, und ich kann auch bayerisch. ({0}) Ich glaube, wir alle wollen Jugendliche vor Billiglohn schützen; im Übrigen möchte ich auch Ältere davor schützen. Ich frage Sie daher: Wieso führen wir dann nicht gemeinsam einen Mindestlohn oder zumindest eine Mindestlohnuntergrenze ein? ({1}) Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich Menschen, die illegal bei uns arbeiten, nicht wehren können. Sie haben keine Chance. Es gibt immer mehr davon. Auch in der Oberpfalz gibt es viele Vorfälle mit ausländischen Firmen, zum Beispiel aus Ungarn, die Menschen dazu bringen, für 3,50 Euro zu arbeiten. Das ist den Behörden bekannt; sie tun aber nichts dagegen. Warum gehen Sie nicht auch gegen solche Dinge vor, wenn Sie so viel kritisieren? ({2})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich gewusst hätte, dass Sie diese alte, etwas abgegriffene Schallplatte vom flächendeckenden Mindestlohn bringen, hätte ich die Frage natürlich nicht zugelassen. ({0}) Ein flächendeckender Mindestlohn ist mit Sicherheit nicht die Lösung unserer Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Im Einzelfall können Mindestlöhne sinnvoll sein. Ein flächendeckender Mindestlohn, den Sie fordern, ist aber nicht die Lösung. Im Übrigen wissen wir doch genau, wie die Dinge laufen, Frau Kollegin. - Wenn Sie bitte stehen bleiben, dann kann ich kurz auf den Irrglauben, dass der Mindestlohn das Allheilmittel ist, eingehen. - Die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus: Wir haben einen ständig wachsenden Schwarzarbeitsmarkt, auf dem eine Vielzahl von Menschen, die unqualifiziert oder schlecht qualifiziert sind, unangemeldet arbeitet. Da können Sie mit Ihren Mindestlohnregeln überhaupt nichts erreichen. ({1}) Man muss vielmehr dafür sorgen, dass auf den Großbaustellen eine bessere Überwachung stattfindet. Selbst im Bereich der öffentlichen Hand wird mit Schwarzarbei25672 tern gearbeitet. Dieses Problem müssen wir angehen, aber nicht mit Ihrem Mindestlohn; denn der würde im Grunde nur auf dem Papier existieren. Das ist nicht das Thema. ({2}) Ich glaube, wir sollten uns daran erinnern, dass es Zeiten gab, in denen wir nicht nur annähernd 100 000 Asylbewerber hatten - in diesem Jahr werden wir wohl annähernd so viele Asylbewerber haben -, sondern über 400 000 Asylbewerber. ({3}) Wir sollten uns daran erinnern, dass wir aus diesem Grund das Grundgesetz geändert haben. Aus diesem Grund haben wir auch dieses Gesetz geschaffen. Das Gesetz war segensreich für Deutschland, es war segensreich für den sozialen Frieden, und es hat uns von SPD, CDU/CSU und FDP den Rechtsextremismus gemeinsam bekämpfen lassen. Deshalb sollten wir daran festhalten. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Hans-Peter Uhl. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Rüdiger Veit. Bitte schön, Kollege Rüdiger Veit. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich eine Sache klarstellen: Der Kollege Dr. Uhl hat von den vernünftigen SPD-Kommunalpolitikern gesprochen. Er meinte damit diejenigen, die für den Asylkompromiss gewesen sind. Im Sinne Ihrer Definition war ich damals ein unvernünftiger Kommunalpolitiker, ({0}) weil ich dafür Sorge getragen haben, dass sich der SPDLandesparteitag in Baunatal gegen den Asylkompromiss ausgesprochen hat. ({1}) Zu der praktischen Seite kommen wir nachher, Herr Grindel. Man langweilt sich ja schon fast selber, wenn man Ihnen hier immer das Gleiche erzählen muss. ({2}) Ich habe aber gehört, dass die Pädagogik es als ganz wichtiges Element der Vertiefung ansieht, den Lernstoff zu wiederholen. ({3}) Auch wenn ich kein Pädagoge bin, muss ich das einmal mehr tun und Ihnen zur Residenzpflicht Folgendes sagen: Am letzten Mittwoch haben wir Parlamentarier ein Gespräch mit etwa 40 Sachbearbeitern und Leitern von Ausländerbehörden geführt; das war kurz nach dem Gespräch mit den Flüchtlingen. Ihre erste Frage lautete: Wann schafft ihr endlich die Residenzpflicht ab? ({4}) Warum sie das gefragt haben? Das haben sie uns gleich gesagt: Sie sehen es in der Praxis als unnötigen Verwaltungsaufwand an, jede Entfernung eines zur Residenzpflicht verpflichteten Ausländers aus dem Zuständigkeitsbereich ihrer Ausländerbehörde extra genehmigen zu müssen. Die Praktiker haben das abgelehnt, weil das umständlich und zu teuer ist. ({5}) Das sehen offenbar auch einige Bundesländer so - das ist hier vielleicht noch nicht bekannt -: Von den 16 Bundesländern haben mittlerweile 10 die Residenzpflicht abgeschafft bzw. innerhalb des jeweiligen Bundeslandes gelockert. Herr Kollege Grindel, Ihnen sage ich mit besonderer Bitte um Aufmerksamkeit: Ihr Bundesland Niedersachsen, bekanntlich nicht von Rot-Grün regiert, hat diese Änderung zum 30. Januar 2012 beschlossen. Es hat gesagt: Die Betreffenden dürfen sich im gesamten Land aufhalten. - Letzte Woche Mittwoch hat sogar Hessen beschlossen - das ist eines der zehn Länder -, die Residenzpflicht von den Regierungsbezirken auf das ganze Land auszudehnen. Einige Ausführungen muss ich bei dieser Gelegenheit noch einmal richtigstellen, obwohl das, wie gesagt, langsam mühsam ist. Viele von Ihnen verwechseln die Frage der Wohnsitznahme mit der Residenzpflicht. ({6}) - Natürlich kann man das trennen, Herr Kollege Grindel. Das offenbart Ihre Sachunkenntnis. - Wenn ich Menschen eine Wohnung in einem bestimmten Bundesland, in einem bestimmten Kreis, in einer bestimmten Gemeinde zuweise, dann ist das das eine. Dort ist dann die ladungsfähige Anschrift, dorthin kann ich Bescheide zustellen. Gleichzeitig aber zu sagen: „Ihr dürft niemals diesen Landkreis oder diese kreisfreie Stadt verlassen, egal aus welchem Grund“, ist das andere. Das ist unnötig, und das ist Schikane. ({7}) Ich will noch einige Worte zum Asylbewerberleistungsgesetz verlieren. Wir können dem Antrag der Grünen leider deshalb nicht zustimmen, weil wir eine Modifikation des Gesetzes vorschlagen, mit der aber möglich bleibt, dass die Betreffenden in den ersten sechs Wochen bis maximal drei Monaten in Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Wir tun das nicht aus Schikane, sondern weil wir glauben, dass es für Menschen dann, wenn sie aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen, besser ist, sich zunächst einmal unter zeitnaher und räumlich enger Beratung und Anleitung zu orientieren. ({8}) Im Übrigen erleichtert dies die spätere Verteilung auf normale Wohnquartiere. - Damit das klar ist: Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag nicht zu. ({9}) Herr Tauber, wir sind aber ganz klar dagegen, dass Menschen ausgebeutet werden. Gestern waren wir mit einer Delegation aus unserer Fraktion in Neukölln. Wissen Sie, was wir dort zum Thema Ausbeutung gehört haben? Dort gibt es jemanden, der in Neukölln in erheblichem Umfang Häuser erworben hat, um sie vorzugsweise an Roma zu vermieten und einen maßlosen Profit zu erzielen. ({10}) - Der Kollege Grindel sagt Ja. Vorsicht! Ich komme noch dazu, wer das war. - Der Betreffende vermietet sozusagen Matratzen für teures Geld. Zum Thema „Wahrhaftigkeit und Heuchelei“ will ich Ihnen jetzt sagen, wer das ist. Der Mann heißt Thilo Peter. Er war CDU-Verordneter in der Bezirksversammlung Charlottenburg, bis er dieses Mandat unter dem öffentlichen Druck, sich an Flüchtlingen bereichern zu wollen, niedergelegt hat. ({11}) So viel zu den Fingern der eigenen Hand, die auf einen selbst zeigen. ({12}) - Nein, Sie werden nicht alle solche Mietshäuser haben. Das macht aber deutlich, in welcher Weise das Schicksal von Flüchtlingen ausgebeutet werden kann. Herr Grindel, zum Thema Sachleistungen will ich Ihnen noch einen anderen Widerspruch vorhalten. Laut Verlautbarungen der Passauer Neuen Presse vom 23. November hat es den bayerischen Innenminister, Herrn Herrmann, umgetrieben. Er hat gesagt: Asylbewerbern Geldleistungen zu gewähren, wäre wie Benzin ins Feuer gießen. Die Abschaffung oder Modifikation des Asylbewerberleistungsgesetzes wäre politischer Wahnsinn. - Ich frage Sie: Wer hat das verfasst? Das waren doch keine Wahnsinnigen. Das ist die Koalitionsvereinbarung von FDP und CDU/CSU. ({13}) Da steht sinnvollerweise: Das Asylbewerberleistungsgesetz werden wir im Hinblick auf das Sachleistungsprinzip evaluieren. Das ist eine gute Idee. Machen Sie das! Sie werden zu den gleichen Ergebnissen kommen wie wir. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen Gesichtspunkt muss ich aufgrund eigener Erfahrungen aus der Zeit Anfang der 90er-Jahre, als die drei großen Migrationswellen Asylbewerber, Spätaussiedler und Übersiedler aus der vormaligen DDR zu uns ins Land kamen, hinweisen: Die Unterbringung in Wohnungen und die Gewährung von Geldleistungen statt Sachleistungen, Gutscheinen und anderem Unsinn, den es da gab, ist allemal billiger. Diese persönliche Erfahrung habe ich als Landrat im Haushalt meines Kreises gemacht. Wenn aus Ihren Reihen jetzt der Wunsch kommt, man möge das beibehalten, die Gemeinschaftsunterkünfte seien gut und richtig und man bräuchte sie in Bayern zur Abschreckung vielleicht in ganz besonderem Maße, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es nicht für verantwortbar, öffentliches Geld vermehrt und überflüssigerweise dafür einzusetzen, um Menschen zu schikanieren. Deshalb gehört dieses Gesetz modifiziert oder sogar abgeschafft. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Rüdiger Veit. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Reinhard Grindel. Bitte schön, Kollege Reinhard Grindel. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Künast, Sie haben den Bundesinnenminister wegen seiner Äußerungen zum Asylmissbrauch durch Roma angegriffen ({0}) und haben gesagt, das seien böse Unterstellungen. ({1}) Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ist, dass von den Asylbewerbern dieses Jahres, die aus Serbien zu uns gekommen sind, 95 Prozent Roma sind; bei den Bulgaren beträgt der Anteil 85 Prozent. Die Ablehnungsquote liegt bei über 99,5 Prozent. Asylmissbrauch in diesem Bereich ist Realität. Ich sage Ihnen: Die Integration in Deutschland - das muss eine der Lehren aus der Debatte sein - gerät in Gefahr, wenn wir uns durch eine ungesteuerte Zuwanderung zusätzliche Probleme im Bereich der Integration nach Deutschland holen. Dadurch werden wir auch insgesamt unserer Verantwortung gegenüber den Ausländern, die seit Jahren bei uns leben und ein Anrecht auf Integration haben, nicht gerecht. Das sage ich ganz deutlich. ({2}) Frau Künast, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Natürlich ist das Leben von Roma auf dem Balkan beschwerlich. Deswegen hat die EU sowohl für Rumänien und Bulgarien als auch für Serbien und Mazedonien Hilfen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt. Das Problem ist, dass diese Hilfen viel zu zurückhaltend in Anspruch genommen werden. Wir als Union sagen: Hilfe für die Roma und Sinti ist richtig; aber die Hilfe muss vor Ort in ihrer Heimat stattfinden. Das können wir nicht in der Bundesrepublik Deutschland leisten. Das ist der falsche Weg. Sie, Frau Kollegin Beck, haben gesagt, die Zugangszahlen der Asylbewerber 1992 beruhten auf der Situation auf dem Balkan. Das ist nicht richtig. Im Jahr 1992 - ich habe mir die Zahlen gerade noch einmal angesehen - kamen 103 000 Asylbewerber aus Rumänien und 31 500 Asylbewerber aus Bulgarien. Fast alle von ihnen waren Roma. Das viel Wichtigere ist: 1995, nur drei Jahre später, kamen 3 000 Asylbewerber aus Rumänien und 1 000 Asylbewerber aus Bulgarien zu uns, obwohl sich an der politischen Situation in diesen Ländern nichts ernsthaft geändert hatte. Die Gründe waren die hier schon angesprochene Grundgesetzänderung ({3}) und ein Rückführungsabkommen mit Rumänien. Kürzere Verfahren haben geholfen. Es hatte sich vor Ort herumgesprochen, dass es nichts bringt, Schleppern und Schleusern Geld zu geben, weil man sich nur wenige Wochen in Deutschland aufhalten kann. Das muss die Lehre für die aktuelle Debatte sein. Mich besorgt der Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien. Wir brauchen kurze Verfahren. Es muss sich in der Heimat herumsprechen, dass es keinen Sinn macht, Schleppern und Schleusern das Geld in den Rachen zu werfen; ({4}) denn man kann nicht lange in Deutschland bleiben. Das ist die richtige Reaktion. Nun will ich Ihnen eines sagen: Frau Jelpke hat hier im Zusammenhang mit der Diskussion über das Sachleistungsprinzip die Kinder angesprochen. Bei dem Thema können wir gerne einmal bleiben und uns die Frage stellen, wie es denn den Kindern aus diesen Familien, die zu uns kommen, geht. Seien wir ehrlich: Wir brauchen nur einmal in die Großstädte in unserem Land zu schauen. Dort sehen wir, wie die Kinder - das haben Journalisten recherchiert - zum Teil vollgepumpt mit Psychopharmaka ihr Dasein fristen. Das Sachleistungsprinzip wollen auch wir; denn es sichert, dass die ganze Familie versorgt wird. Die Sozialleistung, Frau Jelpke, ist nicht nur für Väter und Schleuser. Wir müssen alle, die in unserem Land sind, anständig versorgen. Das ist Menschenwürde. ({5}) Das schließt gerade Kinder und Frauen mit ein; sie profitieren vom Sachleistungsprinzip. Das ist die Wahrheit. ({6}) Angesichts der Forderungen nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Residenzpflicht in Deutschland möchte ich auf eines aufmerksam machen: Natürlich hätte dies Konsequenzen für die Lastenverteilung. Natürlich wäre die Folge, dass die Asylbewerber in die Städte gehen, die ohnehin besonders belastet sind; der Zustrom würde nicht mehr gesteuert werden. Was nicht geht, ist, dass im Lokalteil der Zeitungen steht, dass rot-grün regierte Kommunen den Bund auffordern, jetzt etwas zu tun, um bei den Unterbringungsproblemen zu helfen und den ungesteuerten Zustrom von Asylbewerbern zu begrenzen, und im Bundesteil der Zeitungen steht, dass Rot-Grün fordert, das Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht abzuschaffen ({7}) und damit die Zuwanderung noch weniger zu steuern. Diese Doppelzüngigkeit ist nicht in Ordnung, und sie kritisieren wir. ({8}) Natürlich ist es richtig: Wenn wir die Residenzpflicht nicht hätten, dann gäbe es keine Nachfragemöglichkeiten der Ausländerbehörden, dann gäbe es keine kurzen Verfahren, und dann gäbe es Probleme bei der Rückführung. Ich sage das nicht in Richtung der SPD, sondern insbesondere an Herrn Kurth und die Vertreter der Linken gerichtet: Ihnen geht es in Wahrheit um eine ungesteuerte Zuwanderung. Sie wollen eine Politik nach dem Motto: Wer politisch verfolgt ist, der darf in Deutschland bleiben, und wer nicht politisch verfolgt ist, der darf auch in Deutschland bleiben. - Das macht Integrationspolitik unmöglich, um Ihnen das einmal ins Stammbuch zu schreiben. ({9}) Wir müssen das Umfeld unserer Debatte betrachten. Wir haben - darüber ist in dieser Diskussion überhaupt noch nicht gesprochen worden; Herr Veit hat dieses Thema mit dem Beispiel aus Neukölln gestreift - einen Zustrom von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu verzeichnen. Leute kommen mit vorgefertigten Kindergeldanträgen und Anträgen auf Gewerbezulassung nach Deutschland, und sie haben einen Schlafplatz. Das ist organisierte Kriminalität, die sich in Deutschland täglich abspielt, ({10}) der wir wegen der Freizügigkeit aber kaum etwas entgegensetzen können. Ich sage Ihnen: Wenn wir jetzt nichts gegen den Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien tun, die wegen der Visafreiheit ungesteuert zu uns kommen können, dann wird die Integrationspolitik schwierig. Dann werden wir insbesondere Schwierigkeiten haben, die Roma und diejenigen aus Rumänien und Bulgarien, die bei uns sind und auf Dauer bei uns bleiben werden, so zu integrieren - das gilt gerade für die Kinder und die Mütter -, wie es ihrem Anspruch entspricht und wie es soziale Verpflichtung in unserem Land ist. Wir müssen uns der ganzen Tragweite des Problems ein bisschen sachlicher nähern, als es insbesondere Grüne und ganz Rote hier gemacht haben. Herzlichen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die nächste Rednerin, Kollegin Heike Brehmer, verdient unsere Aufmerksamkeit. Sie ist die letzte Rednerin vor der Abstimmung. Ich bitte Sie sehr herzlich, ihr zuzuhören. - Bitte schön, Frau Kollegin Heike Brehmer.

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, so steht es in Art. 16 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes geschrieben. Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn meiner Ausführungen etwas Entscheidendes deutlich machen: Das Recht auf Asyl - darüber dürften sich alle Anwesenden in unserem Hohen Haus einig sein - ist ein wesentliches Grundrecht unserer Verfassung. Menschen, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden, sollen sich in Deutschland auf das Asylrecht berufen können. Allein im Zeitraum von Januar bis Oktober 2012 wurden in Deutschland 50 344 Erstanträge auf Asyl gestellt; das sind 13 761 Anträge mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervor. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit an der Spitze. Dem Recht auf Asyl begegnen wir mit einem hohen Maß an politischer Verantwortung. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, den Grünen und den Linken, aus dem Kern Ihrer Anträge geht diese politische Verantwortung nicht hervor. Im Kern Ihrer Anträge stehen die Reformierung oder Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylsuchende und Geduldete. Wir haben hier im Deutschen Bundestag in den vergangenen Monaten bereits viele umfassende Debatten zu diesem Thema durchgeführt. Sie kritisieren das Asylbewerberleistungsgesetz bereits, seit es 1993 eingeführt wurde. Zur Wahrheit gehört, dass es zu Zeiten der rotgrünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 keinerlei Initiativen zum Asylrecht gegeben hat. ({1}) In diesen sieben Jahren haben Sie das Asylbewerberleistungsgesetz unangetastet gelassen. Das sollte hier einmal gesagt werden. ({2}) Verehrte Kollegen von den Grünen, Sie bezeichnen das Asylbewerberleistungsgesetz in Ihrem Antrag als diskriminierend. Ich möchte noch einmal betonen, dass Sie sich in der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung trugen, nicht um die Regelsätze für die Asylbewerber und Geduldete geschert haben. ({3}) Mein Kollege Dr. Uhl hat bereits darauf hingewiesen - zur Erinnerung wiederhole ich es -: Das Asylbewerberleistungsgesetz ist kein überflüssiges und unverhältnismäßiges Gesetz, wie Sie es in Ihrem Antrag bezeichnen. Im Gegenteil: Das Gesetz wurde 1992 auf den Weg gebracht, zu einer Zeit, als erstmals über 400 000 Menschen einen Antrag auf Asyl stellten. 95 Prozent dieser Anträge wurden damals abgelehnt. Um einem Missbrauch des Asylrechtes vorzubeugen, einigten sich CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam im Dezember 1992 im damaligen Asylkompromiss auf Regelungen zum Mindestunterhalt von Asylbewerbern. Kurz darauf folgte das Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz war ein richtiger und wichtiger Ansatz. Nun wollen Sie die bestehenden Regelungen nicht nur ändern, sondern sich selbst übertreffen. Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz aufheben und bewährte Regelungen für Asylsuchende und Geduldete abschaffen. Sie wollen sich - ganz einfach - in einem 1 000-Meter-Lauf dreimal selbst überholen. Das wurde in Ihren Redebeiträgen mehr als deutlich. Der Antrag der SPD ist wohl der am weitestgehenden ausformulierte Antrag. Darin gehen Sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012 ein. Sie formulieren zunächst richtigerweise: Der Gesetzgeber hat ein Einschätzungsvorrecht. Er muss aber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten Verfahren ermitteln. Die zugrunde liegenden Berechnungen muss er nachvollziehbar offenlegen. Ich kann mich noch ganz genau an die Erarbeitung der Hartz-IV-Regelsätze und des Bildungs- und Teilhabepaketes erinnern, als es darum ging, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt werden kann. Es waren damals sehr zähe und lange Verhandlungen, bei denen sich die Kollegen der Grünen - anders als die Kollegen der SPD - am Ende aus der Verantwortung gestohlen haben. ({4}) Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2012 ein wichtiges Urteil im Asylrecht gefällt. Die SPD hat dazu in der Begründung ihres Antrags weiter ausgeführt: Das Verfahren muss sachgerecht, realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren bemessen sein. Insbesondere muss er offenlegen, auf Grundlage welcher Zahlen er ein im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat und, falls er im Einzelnen von diesem Verfahren abweicht, dies rechtfertigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Urteil der Karlsruher Richter umsetzen und dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Verantwortung liegt vor Ort in den einzelnen Bundesländern. Diesem Gesetz - das wurde schon gesagt - muss der Bundesrat zustimmen. Ich erinnere noch daran, dass die rot-grün geführten Bundesländer derzeit im Bundesrat die milliardenschweren Steuerentlastungen blockieren, welche unsere Bürgerinnen und Bürger um 6 Milliarden Euro entlasten würden. Sie müssen den Bürgern erklären, warum Sie das Asylbewerberleistungsgesetz im Eiltempo einbringen wollen und die steuerlichen Entlastungen für unsere Bürger blockieren. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit? Bitte kommen Sie zum Schluss.

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss kurz auf die Residenzpflicht eingehen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Zum Schluss!

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Künast, Sie sind in Baden-Württemberg in der Regierungsverantwortung. Dort ist die Residenzpflicht teilweise gelockert. Fangen Sie doch dort an, wo Sie Verantwortung haben! Meine Damen und Herren, wir lehnen die Anträge von den Linken, von den Grünen und von der SPD ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 17/11663, 17/11589 und 17/11674 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Die Vorlage auf Drucksache 17/11663 - Tagesord- nungspunkt 4 a - soll federführend an den Innenausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen, kommen wir noch zu einer anderen Abstimmung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhe- bung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10198, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1428 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Handzei- chen. - Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der So- zialdemokraten. Vorsichtshalber: Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11707. Wir stimmen über den Entschlie- ßungsantrag auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- men. Ich weise darauf hin, dass zur Abstimmung auch schriftliche Erklärungen vorliegen.1) Vorne links fehlen noch Schriftführer. - Nun sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstim- mung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.2) - Darf ich Sie jetzt herzlich bitten, die Plätze wieder einzunehmen? Wir setzen die Abstimmungen fort. Tagesordnungspunkt 4 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenwürdiges Existenzminimum für alle - Asylbewerberleistungsge- setz abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10198, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 17/4424 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! - Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 3 b. Beschlussempfehlung des Innenaus- schusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- 1) Anlage 2 2) Ergebnis Seite 25681 D Vizepräsident Eduard Oswald schlussempfehlung auf Drucksache 17/11716, den An- trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5912 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! - Das sind die Sozialdemokraten und die Bündnis 90/Die Grü- nen. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Die Be- schlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf: 51 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes ({0}) - Drucksache 17/8989 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({1})- Finanzausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon - Drucksache 17/11367 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2})- Auswärtiger Ausschuss - Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes - Drucksache 17/11368 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/11469 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({4})- Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts ({5}) - Drucksache 17/11632 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({6})- Innenausschuss - Sportausschuss - Rechtsausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Ausschuss für Kultur und Medien - Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Haltungsbedingungen für Puten verbessern - Drucksache 17/11667 - Überweisungsvorschlag:- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Havarie des Containerschiffs MSC Flaminia Aus den Fehlern von Seeunfällen lernen - Drucksache 17/11668 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})- Innenausschuss - Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte stärken - Drucksache 17/11375 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({8})Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9})- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Tourismus - Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn umsetzen - Drucksache 17/11652 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})- Finanzausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für Tourismus - Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan Soziale Sicherung - Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende - Drucksache 17/11665 25678 Vizepräsident Eduard Oswald Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12})- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Zusatzpunkt 4 a. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11375 zu verkehrsträgerübergreifenden Fahrgastrechten an die in der Tagesordnung aufgeführ- ten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist je- doch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtwicklung, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, also Federfüh- rung beim Rechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Das sind die Koali- tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Op- positionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Über- weisungsvorschlag ist angenommen. Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen. Das sind die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie die Zusatzpunkte 4 b und 4 c. Interfraktionell wird vor- geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ha- ben wir dies so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 52 sowie die Zu- satzpunkte 5 a bis 5 e auf. Es handelt sich um Beschluss- fassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 52: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Heinz Paula, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Ag- rarstruktur und des Küstenschutzes an ak- tuelle Herausforderungen anpassen - Drucksache 17/11653 - Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 5 a: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Be- obachterstatus in der UNO zustimmen - Drucksache 17/11678 - Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Frak- tion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktio- nen. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der Sozialde- mokraten. Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkte 5 b bis 5 e: b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11618 - Berichterstattung:- Abgeordneter Jörg van Essen c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({14}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11619 - Berichterstattung:- Abgeordneter Jörg van Essen d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11620 - Berichterstattung:- Abgeordneter Jörg van Essen e) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 17/11621 Berichterstattung:Abgeordneter Jörg van Essen Zunächst erteile ich nach § 31 der Geschäftsordnung unserem Kollegen Dr. Diether Dehm das Wort. Bitte schön, Kollege Dr. Diether Dehm. ({17})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich werde gegen den Antrag zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen meinen Fraktionskollegen Jan van Aken und andere stimmen und mich auch weiterhin dagegen einsetzen; denn der Vorwurf, wonach das Unterzeichnen der „Castor Schottern!“-Erklärung einen Aufruf zu einer Straftat darstellt, ist juristisch unhaltbar. ({0}) Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern offensichtlich auch die der Staatsanwaltschaft Lüneburg, die den Unterzeichnern, unter anderem Jan van Aken, Inge Höger, Sevim Dağdelen und mir, zwischenzeitlich angeboten hat, gegen Zahlung einer Spende das Ermittlungsverfahren einzustellen. Den anderen Fraktionen im Hause bietet sich hier aber offensichtlich die Möglichkeit, einen Akt von zivilem Ungehorsam durch Linke zu kriminalisieren. ({1}) Da sie nicht anerkennen, dass die breite Mehrheit in unserem Volk für den Atomausstieg und gegen die lebensgefährlichen AKW ist, dem nun Sie alle und auch Frau Merkel beigetreten sind, dass dieser Ausstieg ohne den zivilen Ungehorsam und den Protest gegen die strahlenden Castortransporte nie möglich gewesen wäre, ({2}) dass die Atomenergie noch längst nicht Geschichte ist. Weil sie nicht einmal damit angefangen haben, die Geschichte dieser Proteste, zum Beispiel in Gorleben, aufrichtig zu schreiben. So besteht die Gefahr weiterhin. Den Energiekonzernen wird noch ordentlich Steuergeld zugeschustert, Euratom fördert AKW auf EUEbene, die Deutsche Bank, die mit 12 Prozent an Tepco, dem Betreiber des Atomkraftwerks in Fukushima beteiligt ist, kreditiert in einem westindischen Erdbebengebiet gerade eben ein neues AKW, und die Zeitbombe Asse II tickt weiter. Niedersachsen ist weiterhin ein Atomklo. Solange die Endlagerfrage ungelöst ist, werden mit jedem weiteren Castortransport Fakten geschaffen. Es sind nach wie vor Protest und ziviler Ungehorsam bitter nötig. ({3}) Die Grünen haben im Immunitätsausschuss auch für unsere Strafverfolgung gestimmt und werden das hier jetzt auch wieder tun, mit dem wohlfeilen Argument, wir linken Abgeordneten sollten doch nicht das Privileg der Abgeordnetenimmunität ausnutzen. ({4}) Wohlgemerkt: Der Vorwurf des Staatsanwalts gegen uns lautet „Gefahr für Leib und Leben“. Was bedeutet mehr Gefahr für Leib und Leben, die lebensgefährdenden Atomkonzerne oder die Fortführung der Proteste dagegen ({5}) bzw. ein Schottern, das nicht einmal stattgefunden hat? Schottern bedeutet laut Duden übrigens „Aufhäufen von Schotter“. Die politische Immunität von Abgeordneten ist in der Parlamentsgeschichte ja gerade dafür da, dass sich Abgeordnete mehr an unbequemen politischen Wahrheiten auch gegen „die da oben“ leisten können als jemand, der in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und vielleicht um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Deswegen gewährt das Europäische Parlament bei jedem Fall des Protests - bei jedem Fall des Protests! -, selbst bei der illegalen Demonstrationsanmeldung, generell Immunität. ({6}) Ihr Mittun, liebe Grüne, im Immunitätsausschuss ist damit immer auch ein Stück Beteiligung an Kriminalisierung und Einschüchterung der Proteste. ({7}) Ich sage es gerne noch einmal: Ihre Beteiligung im Immunitätsausschuss daran, dass nun die Strafverfolgung gegen meine Kollegen und mich stattfinden kann, ist immer auch ein Stück Kriminalisierung und Einschüchterung der Proteste. ({8}) Wenn Sie noch weiter schreien, dann werde ich es noch ein drittes Mal sagen. So oder so: Mein Gewissen als Abgeordneter käme nicht zur Ruhe, wenn der Widerstand gegen die skrupellosen Atomkonzerne zur Ruhe käme. Ich danke Ihnen. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegt noch die Erklärung unseres Kollegen Wolfgang Gehrcke nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. 1) Nun erteile ich das Wort dem Vorsitzenden des 1. Ausschusses, dem Kollegen Thomas Strobl. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Vorsitzender des Immunitätsausschusses möchte ich ein paar Punkte klarstellen. Das Immunitätsrecht hat den Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit unseres Parlamentes als Ganzes sicherzustellen. Es ist nicht da- für da, einzelne Abgeordnete vor ihrer gerechten Strafe für begangene Straftaten zu bewahren. 1) Anlage 3 Thomas Strobl ({0}) ({1}) Wir Abgeordnete sollen also durch das Immunitätsrecht, Herr Kollege Dehm, nicht besser gestellt werden als alle anderen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. ({2}) Es gibt keine Privilegien eines Abgeordneten gegenüber normalen Bürgerinnen und Bürgern, wenn er Straftaten begeht, und es darf solche Privilegien auch nicht geben. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn eine Staatsanwaltschaft gegen Mitglieder des Hauses wegen des Verdachts einer Straftat ermitteln möchte, prüft der Immunitätsausschuss daher, ob der beim Präsidenten eingereichte Antrag nachvollziehbar und begründet ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorhin war es ruhig, als die Erklärung vom Kollegen Dehm abgegeben worden ist. ({0}) Es war auf allen Seiten ruhig. Ich glaube, es ist eine Frage der Fairness, dass auch der Vorsitzende des Ausschusses in Ruhe seine Erklärung abgeben kann. ({1})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident. - Insbesondere prüft der Ausschuss, ob es sich um einen Akt staatsanwaltschaftlicher Willkür aus politischen Motiven gegen einen Abgeordneten handelt, also ob ein Kollege Beschuldigter durch eine Staatsanwaltschaft deswegen wird, weil er Abgeordneter ist, und nicht, weil er sich möglicherweise einer Straftat schuldig gemacht hat. Dies hat der Ausschuss, wie immer, auch in jedem einzelnen der vorliegenden Fälle und nach dem seit langem bewährten Verfahren getan. Diesem Verfahren haben übrigens zu Beginn der Legislaturperiode alle - ich betone: alle! - Fraktionen zugestimmt, auch Ihre Fraktion. ({0}) Sie können das in Anlage 6 der Geschäftsordnung nachlesen, Herr Kollege Dehm. Danach achtet der Ausschuss bei der Prüfung der Anträge vor allem darauf, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in jedem einzelnen Fall frei von sachfremden Erwägungen, frei von politischen und frei von willkürlichen Motiven ist. Das hatten wir auch in diesem Fall getan. Weiter ist im Übrigen geregelt, dass der Ausschuss nicht in eine Beweiswürdigung eintritt und dass die Entscheidung über die Aufhebung oder Wiederherstellung der Immunität auch keine Feststellung von Recht oder Unrecht, von Schuld oder Unschuld bedeutet. Das ist nicht Sache des Immunitätsausschusses, sondern das ist nach unserer Verfassung aus guten Gründen den Gerichten vorbehalten. ({1}) Ich betone es noch einmal: Wir urteilen nicht darüber, weder im Ausschuss noch hier, ob sich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen tatsächlich strafbar gemacht haben. Wir stellen lediglich fest, dass die Staatsanwaltschaft im konkreten Fall nicht willkürlich handelt, wenn sie ein Verfahren anstrebt, das auch gegen jeden Bürger und gegen jede Bürgerin so angestrengt worden wäre. Wer die Aufhebung der Immunität in diesem Fall als „Kriminalisierung“ bezeichnet, ({2}) der hat unseren Rechtsstaat nicht verstanden, Herr Kollege Dehm. ({3}) Im konkreten Fall hat der Ausschuss die Anträge wie üblich ausführlich beraten und die Staatsanwaltschaft darüber hinaus sogar um zusätzliche Informationen zum Sachverhalt und zur rechtlichen Begründung der Anträge gebeten. Im Ergebnis bestand im Immunitätsausschuss Einigkeit bei den Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass die Bewertung des Verhaltens der betroffenen Abgeordneten als Straftat nach § 111 des Strafgesetzbuches - Öffentliche Aufforderung zu Straftaten - durch die Staatsanwaltschaft nachvollziehbar und willkürfrei begründet worden ist. ({4}) Da also keine immunitätsrechtlichen Gründe für eine Wiederherstellung der Immunität der Betroffenen vorliegen, hat der Ausschuss entschieden, dass - wie üblich die Frage der Strafbarkeit und die Frage der Schuld oder Unschuld durch die zuständigen Gerichte zu klären ist. Dafür haben wir den Weg jetzt freigemacht. Thomas Strobl ({5}) ({6}) Daher hat der Ausschuss - wie üblich - die Beschlussempfehlungen so vorgelegt, für die ich um Ihre Zustimmung bitte. Herr Kollege Dehm, ich muss Ihnen schon klar entgegenhalten: Die Aufforderung, Gleisanlagen der Bahn zu schottern, also das Gleisbett der Bahn auszuhöhlen, ({7}) ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat nach § 111 des Strafgesetzbuches, die in Fällen wie den hier vorliegenden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. ({8}) Insofern muss ich auch darauf hinweisen, dass im Ausschuss allgemein von allen Fraktionen - mit Ausnahme der Fraktion Die Linke ({9}) die Überzeugung herrscht, dass Kollegen, die bewusst diese Art der Aufforderung zur Begehung von Straftaten wählen, sich dann auch der strafrechtlichen Konsequenz stellen müssen und nicht über das Immunitätsrecht privilegiert werden können. ({10}) Sie können und dürfen nicht besser behandelt werden als andere Bürgerinnen und Bürger auch. ({11}) Was wäre das auch für ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise an die über 1 000 Bürgerinnen und Bürger, gegen die im Zusammenhang mit dem Castortransport durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde? ({12}) Über 1 000 Bürgerinnen und Bürger! Was wäre das für ein Signal, wenn diese Bürgerinnen und Bürger strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, der Kollege Dehm aber nicht, nur weil er ein Abgeordneter ist? Wer hätte für eine solche Vorzugsbehandlung eigentlich Verständnis? Wir würden kein Verständnis ernten, und zu Recht würden wir kein Verständnis ernten. ({13}) Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte ich um Zustimmung für die mit großer Mehrheit im 1. Ausschuss gefassten Beschlüsse, es bei der Aufhebung der Immunität der betroffenen Kollegen zu belassen. Herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die vier Beschlussempfehlungen. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seinen Beschlussempfehlungen, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens jeweils zu erteilen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11618? - Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11619? - Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11620? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Linksfraktion. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11621? - Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme nun zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis unserer namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 131, mit Nein haben gestimmt 438, Enthaltungen 10. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. So weit das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung. Vizepräsident Eduard Oswald Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 131 nein: 438 enthalten: 11 Ja DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Ingrid Remmers Paul Schäfer ({0}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({1}) Volker Beck ({2}) Birgitt Bender Agnes Brugger Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({3}) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({4}) Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({5}) Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({6}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({7}) Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Ernst-Reinhard Beck ({8}) Manfred Behrens ({9}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({10}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({11}) Axel E. Fischer ({12}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({13}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Andreas Jung ({14}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({15}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({16}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({17}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({18}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({19}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({20}) Lothar Riebsamen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({21}) Anita Schäfer ({22}) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({23}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({24}) Dr. Kristina Schröder ({25}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({26}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({27}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({28}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Kai Wegner Marcus Weinberg ({29}) Peter Weiß ({30}) Sabine Weiss ({31}) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({32}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({33}) Hubertus Heil ({34}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann ({35}) Dr. Eva Högl Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({36}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({37}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Hilde Mattheis Petra Merkel ({38}) Ullrich Meßmer Franz Müntefering Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Marlene Rupprecht ({40}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({42}) Werner Schieder ({43}) Ulla Schmidt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({47}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({48}) Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther ({49}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({50}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({51}) Michael Link ({52}) Oliver Luksic Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({53}) Dr. Martin Neumann ({54}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({55}) Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({56}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({57}) Enthalten SPD Elvira Drobinski-Weiß Angelika Graf ({58}) Kerstin Griese Petra Hinz ({59}) Dietmar Nietan Michael Roth ({60}) Dr. Carsten Sieling Christoph Strässer Heidemarie Wieczorek-Zeul Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung Datenschutz - Drucksache 17/11637 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11637? Das sind die Koalitionsfraktionen. - Wer stimmt dagegen? - Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? - Fraktion Die Linke. Der Wahlvorschlag ist angenommen. Vielen herzlichen Dank. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen Erste Rednerin unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Caren Marks. ({61})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn der Vorschlag zu Gutscheinen für Putzhilfen von der Fraktionsspitze am Dienstag im wahrsten Sinne des Wortes einkassiert wurde, so bleibt Ihnen, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, nicht die Kritik an der Konzeptlosigkeit Ihrer Familienpolitik erspart. ({0}) Die Diskussion der letzten Tage zeigt erneut, dass dieser Bundesregierung, in diesem Falle insbesondere der Union, der Kompass in der Familien- und der Gleichstellungspolitik komplett fehlt. ({1}) Das nervige Betreuungsgeld, das einen Anreiz setzt, Kinder von öffentlich geförderten Kitas und Einrichtungen der Kindertagespflege fernzuhalten, ist kaum durch den Bundestag, da kommen Sie mit einem Vorschlag um die Ecke, der Anreize genau in die entgegengesetzte Richtung setzen soll. Wir finden: Das ist mehr als absurd. ({2}) Wie widersprüchlich Ihre Familienpolitik ist, erleben wir bei vielen Themen immer wieder. Mal kündigt die Bundesfamilienministerin an, das Elterngeld weiterentwickeln zu wollen, kürzt dann aber stattdessen munter drauflos. Mal behauptet die Bundesfrauenministerin, die sie ja auch sein sollte, Frauen mehr Chancen im Beruf und in Führungspositionen eröffnen zu wollen, steht dann aber der gesetzlichen Frauenquote entgegen und definitiv auf der Bremse. Mal gibt Frau Schröder vor, sich für den Ausbau der Krippen einzusetzen, führt dann aber ein Betreuungsgeld ein, das diesen Ausbau konterkariert. Die Koalition hat in wichtigen gesellschaftspolitischen Bereichen definitiv keinen Fahrplan. Sie sagt mal hü und mal hott und wundert sich dann, dass jeder über diese Politik nur noch den Kopf schüttelt. Dabei ist gerade für Familien Verlässlichkeit ein hohes Gut, damit Familien in diesem Land ihren Alltag und ihre Zukunft planen können. ({3}) Verlässlichkeit brauchen Familien vor allem bei der sozialen Infrastruktur. Erfahrungen in den skandinavischen Ländern zeigen im Übrigen, meine Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, dass eine solche InfraCaren Marks struktur eine wirklich wichtige Voraussetzung für ein gutes Aufwachsen von Kindern und für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Ein bedarfsgerechtes Angebot an Krippenplätzen und an Ganztagsangeboten für kleinere und größere Kinder ist in unserem Land längst noch nicht vorhanden. Sowohl die EU als auch OECD mahnen immer wieder an, dass es in Deutschland einen dringenden Nachholbedarf gibt. Das in der Union nun diskutierte Gutscheinmodell für Haushaltshilfen soll offensichtlich von diesem Nachholbedarf ablenken. Oder sollten mit dem Vorschlag vielleicht schnell ein paar Wahlgeschenke an eine gutverdienende Klientel verteilt werden, die sich ohnehin schon Haushaltshilfen leisten kann? ({4}) Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, glauben Sie ernsthaft, diese billigen Taschenspielertricks bekommt niemand mit? Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, abgesehen davon, finde ich bemerkenswert, dass Sie an Gedächtnisverlust zu leiden scheinen, was die Rechtslage angeht; denn es gibt längst Steuervorteile für haushaltsnahe Dienstleistungen. Es gibt sie längst für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse und auch für Kinderbetreuungskosten. Beispielsweise gibt der Staat jährlich etwa 400 Millionen Euro dafür aus, dass Dienstleistungen wie Hausreinigung, Fensterputzen oder Bügeln steuerlich gefördert werden können. Ist Ihnen von der Koalition das alles ganz plötzlich entfallen? Oder wollen Sie mit Blick auf die Bundestagswahl den Wettbewerb „Wer fordert mehr?“ eröffnen? Viel Spaß! Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns hoffentlich alle einig darüber, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes, wenn sie es wünschen, bald wieder die Chance auf den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben haben müssen. Doch wir unterscheiden uns bereits bei der Analyse der Situation von Familien ganz deutlich; denn wir haben Mütter und Väter im Blick. ({5}) Die Union dagegen hat nur Mütter und keine Väter im Blick, ({6}) wenn es um die Organisation des Haushalts und des Familienalltags geht. Ihr Haushaltshilfenvorschlag bezieht sich nur auf Frauen. Wir dagegen sehen nicht allein die Frauen in der Verantwortung, sich den Kopf über die Vereinbarkeitsfrage zu machen. Diese Frage geht auch Männer etwas an. Putzhilfegutscheine nur für Frauen wären schon aus diesem Grund der falsche Weg. Wir bauen bei der Familienpolitik auf Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit. Das haben wir beim Ausbau der Betreuungsangebote, bei Arbeitszeitmodellen und bei der Weiterentwicklung des Elterngeldes im Blick. Uns geht es darum, dass Mütter und Väter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Unterstützung brauchen sowie dass Frauen und Männern gleiche Chancen im Erwerbsleben einzuräumen sind. Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Art. 3 unseres Grundgesetzes zielt darauf ab, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern. Ich hoffe sehr, dass auch diese Koalition nicht weitere Überraschungen in der Schublade hat, die genau diesem Ziel elementar zuwiderlaufen. Herzlichen Dank. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Caren Marks. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Ingrid Fischbach. Bitte schön, Frau Kollegin Ingrid Fischbach. ({0})

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Germanistik studiert und glaube, zu verstehen, was ich lese. Da ich mich auf diese Aktuelle Stunde und meine Rede vorbereiten wollte, habe ich den Titel der Aktuellen Stunde mehrfach gelesen. Aber, liebe Frau Marks, mir war gar nicht klar, worüber Sie reden wollen. Ihre Rede hat zur Erhellung auch nicht beigetragen. ({0}) Sie haben zur Familienpolitik der Bundesregierung geredet. Darüber kann man reden. Ihre Aktuelle Stunde trägt den Titel „Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haushaltshilfen“. ({1}) - Jetzt sagen Sie Ja. - Mich hat verwundert, dass Sie über die Pläne Bescheid wussten, aus dem Antrag zitiert haben, obwohl selbst die Regierungsfraktionen diesen Antrag nicht kennen. ({2}) Das ist wunderbar. ({3}) - Ich habe ihn geschrieben. Das ist ein Unterschied. Man muss immer überlegen: Worüber redet man, und was will man mit einer Aktuellen Stunde erreichen? Ich finde es schön, in 15 Jahren endlich einmal eine Aktuelle Stunde zu verantworten zu haben. Das ist mir bisher noch nie gelungen. Sie haben mir dazu verholfen. Das mache ich besonders gerne. ({4}) Ich kann Ihnen auch erklären, warum es keine einheitlichen Auffassungen geben kann. Das liegt daran, dass dieser Antrag noch gar nicht eingebracht worden ist. ({5}) Dieser Antrag stammt von einer kleinen Gruppe. Das unterscheidet uns von der SPD, Frau Ferner: Wir dürfen auch in kleineren Gruppen denken. ({6}) Wir haben in einer kleinen Gruppe darüber nachgedacht, wie man Eltern unterstützen kann. Deswegen stimmt das, was Sie, Frau Marks, sagen, nicht. Den Antrag können Sie gar nicht haben; den haben Sie auch nicht. Darin ist außerdem nicht nur von Frauen, sondern auch von Vätern die Rede. ({7}) Wir wollen genauso wie andere Fraktionen, dass Eltern, die zum Beispiel längere Zeit aus dem Beruf heraus sind, die 30, 40 Jahre und älter sind und nun in den Beruf zurückkehren wollen, eine Hilfe bekommen. Dass haushaltsnahe Hilfen und haushaltsnahe Dienstleistungen gar nicht so falsch sind, haben zum Beispiel die Grünen mit einem Antrag im Landtag NRW belegt. Jetzt habe ich bei Ihrer Rede, Frau Marks, den Eindruck gewonnen, das alles sei nur eine Idee von FDP und CDU/CSU. Kennen Sie die Arbeitsgemeinschaft der Frauen der SPD Unterfranken? ({8}) Diese haben zum Beispiel auf einem Parteitag der SPD gefordert - ich zitiere -: Haushaltsnahe Dienstleistungen, die über Wohlfahrtsverbände, Agenturen und die Kommune … angeboten werden, sollen vom Land Bayern für max. 20 Stunden im Monat gefördert werden. ({9}) Die Forderung muss an sozial Schwache weitergegeben werden, damit die Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch Familien, Alleinerziehende und SeniorInnen finanzierbar bis zu kostenfrei ist. ({10}) Die Frauen sind klug, Frau Ferner. Wissen Sie, warum? ({11}) Weil die steuerlichen Entlastungen, von denen Ihre Kollegin Marks eben gesprochen hat, nur denjenigen zugutekommen, die viele Steuern zahlen. ({12}) Wir denken auch an die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen. ({13}) Meine Damen und Herren, Sie haben doch selber - selbst Frau Ferner, deren Homepage ich hier zitieren könnte - die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen gelobt, ({14}) die wir in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben, weil sie Entlastung bringt. ({15}) - „Wer schreit, hat noch lange nicht recht“, hat meine Mama immer gesagt. ({16}) Meine Damen und Herren, wir reden heute in einer Aktuellen Stunde über ein Problem, das gar keines ist. Wir haben in einer kleinen Runde Ideen gehabt, haben den Finanzpolitikern schon vor einiger Zeit unsere Ideen vorgetragen und haben gemerkt, dass sie im Moment nicht finanzierbar sind. Auch darin unterscheiden wir uns von Ihnen: Wir wollen den Menschen helfen, wir wollen ihnen aber auch eine Zukunft geben. Wer nur Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe aufstellt, Frau Marks, ohne zu sagen, wie es finanziert werden soll, der tut den Menschen keinen Gefallen. ({17}) Der sorgt auch dafür, dass gerade unsere Familien, unsere Jugend, unsere Kinder keine Zukunft haben. Wir stehen dazu. ({18}) Wir sind die Partei, wir sind die Regierungskoalition für Familien. Wir haben alle Familien im Blick. Wir haben die Väter und Mütter im Blick, und - das erfreut mich am meisten - wir dürfen noch frei denken ({19}) und unsere Ergebnisse in die Öffentlichkeit bringen. Vielleicht, Frau Marks, sollten wir einmal darüber nachdenken, ob es - den Vorschlag werde ich meiner Fraktion unterbreiten - einen Bildungsgutschein für die SPD geben kann, damit sie in Zukunft Aktuelle Stunden so tituliert, dass jeder weiß, worum es geht. Danke schön. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Ingrid Fischbach. Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Jörn Wunderlich. Bitte schön, Kollege Jörn Wunderlich. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum die SPD auf dieser Aktuellen Stunde besteht, kann auch ich nicht ganz nachvollziehen; denn aktuell ist das Thema ja nicht mehr. Ausgelöst hatte die Debatte Frau Fischbach als stellvertretende Fraktionschefin der CDU/CSU. Sie hat in einer Art Vorlaufantrag gefordert, dass monatlich bis zu 15 Stunden für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe mit bis zu 6 Euro pro Stunde bezuschusst werden, und zwar für die Dauer von 18 Monaten. Dies war in etwa der Inhalt, wenn ich richtig informiert bin. Frau Schröder fand das ganz toll. ({0}) Das Ganze sollte für junge Eltern gelten, die wieder in den Beruf zurückkehren. Warum nur für junge Eltern, das weiß ich nicht. Frau Schröder fand es jedenfalls ganz toll. Das kommentiere ich jetzt lieber nicht weiter, sonst flippt Frau Bär wieder aus und vergreift sich im Ton. Jedenfalls hat Frau Fischbach gesagt: Wenn wir wollen, dass insbesondere Frauen vermehrt in den Beruf zurückkehren, müssen wir sie unterstützen. Das Gutscheinmodell sei deshalb ein guter Ansatz. So hat sie es gesagt. ({1}) Inzwischen ist das Betreuungsgeld verabschiedet worden. ({2}) Zunächst sollen Frauen - denn es betrifft ja zunehmend Frauen - mit 100 Euro monatlich dazu gebracht werden, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern, ({3}) und dann sollen sie - jetzt werden noch einmal 90 Euro draufgelegt - zurück an den Arbeitsplatz gelockt werden. ({4}) Diese Denkweise hat sich auch gestern im Familienausschuss bestätigt. Dort war nur von jungen Frauen die Rede. - Herr Pols, waren Sie gestern dabei? Wenn ja, dann haben Sie nicht aufgepasst. ({5}) Frau Granold hat es gesagt. Man fragt sich: Warum immer nur Frauen? Gibt es denn in CSU- und CDU-Familien keine Männer, die ihre Frauen im Haushalt unterstützen können? ({6}) Oder helfen CDU/CSU-Männer grundsätzlich nicht im Haushalt? ({7}) Oder ist es bei CDU/CSU-Familien so, dass die für eine Familie überhaupt keine Männer brauchen? So etwas hat es schon einmal vor circa 2 000 Jahren gegeben. Der Bundesfinanzminister hat sich skeptisch zu dem Vorstoß geäußert. Am Montag gab es bereits harsche Kritik aus den eigenen Reihen. Da hieß es, es handele sich um eine theoretische Diskussion, geschuldet dem anstehenden Parteitag, aber nicht um reale Politik, so Patrick Döring, Generalsekretär der FDP. Rainer Brüderle nannte das Modell „nicht voll durchdacht“. ({8}) Der Vorsitzende der Seniorenunion der CDU/CSU, Otto Wulff, warnte: Wir neigen zu Schnellschüssen, und ich würde gern erst einmal fundierte Daten darüber haben, um wie viele Frauen - wieder einmal Frauen - es hier geht und wer Hilfe benötigt. ({9}) - Ihr seid euch alle uneinig. Dazu komme ich aber noch. Zuhören! Aufpassen! Was ich nicht verstehe, ist, dass sich die SPD zumindest zum Teil mit dem Modell angefreundet hat. Das kann man nachlesen. Frau Humme hat als Sprecherin des Arbeitskreises „Gleichstellung“ in der SPD gesagt, das könne ein gangbarer Weg für Geringverdiener sein. Das hat sie in der taz gesagt. ({10}) Sie hat des Weiteren gesagt, Menschen, die eine Haushaltshilfe nicht von der Steuer absetzen können, hätten nun ebenfalls eine Subvention für den Haushalt. ({11}) So war ihre Argumentation. ({12}) Also ist es toll, wenn arme Frauen - da sie keine Steuern zahlen - prekäre Beschäftigung schaffen? Immerhin hat Frau Marks die Konzeptionslosigkeit der Regierung erkannt. ({13}) - Frau Fischbach, bleiben Sie ruhig. Mit der Subventionierung von Haushaltshilfen für auf ihren Arbeitsplatz zurückkehrende Mütter zeigt die Bundesregierung, dass sie eben nicht bereit ist, dieses Geld für eine gute öffentliche Infrastruktur für Familien auszugeben. Statt den Kitaausbau voranzutreiben ({14}) oder Verbesserungen im Unterhaltsvorschuss zu ermöglichen, werden die gesellschaftlichen Probleme privatisiert und Minijob- und Niedriglohnsektor gefördert. ({15}) Ich sage Ihnen: Schlecht bezahlte Haushaltshilfen zu subventionieren, ist sozialer und familienpolitischer Schwachsinn. ({16}) Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und gute Kitaplätze sind der Schlüssel, um Familie und Arbeitswelt erfolgreich zu kombinieren. Die Führung der Unionsfraktion hat am Dienstag letztlich das Ganze abgeschossen. „Keine Chance für die Umsetzung“, so hat es Grosse-Brömer ausgedrückt. Ich will zusammenfassen: Laut tönen, sich nicht abstimmen, Quatsch verkünden und alles anschließend wieder schnell in die Tonne kloppen - das ist gegenwärtig die Politik dieser Regierung. Im Grunde erleben wir derzeit ein Sternstündchen. Mist zu planen, ist ja nichts Neues bei der Koalition. Den Mist dann aber doch zu lassen - da hat dann vielleicht das freie Denken, das Frau Fischbach immer wieder betont, endlich einmal eingesetzt. Immerhin! ({17}) Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Danke.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Jörn Wunderlich. - Nächste Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Miriam Gruß. Bitte schön, Frau Kollegin Miriam Gruß. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde soll nach § 106 unserer Geschäftsordnung zu einem „Thema von allgemeinem aktuellen Interesse“ stattfinden. Dass kein allgemeines aktuelles Interesse besteht, sieht man schon daran, dass ungefähr zwölf Kollegen von der SPD anwesend sind ({0}) und der Bundestag insgesamt auch nicht gerade vor Interessierten überquillt. Suchen Sie sich aktuellere und geeignetere Themen für Aktuelle Stunden, die Sie beantragen; das ist jedenfalls keines, meine Damen und Herren von der SPD. ({1}) Zum Inhalt kann man nur sagen: Haushaltsnahe Dienstleistungen werden schon jetzt gefördert. Wir sind uns inhaltlich eigentlich einig darüber, dass das gut und richtig so ist. Auf Seite 87 des Wahlprogramms der Grünen und auf Seite 40 des Wahlprogramms der SPD von 2009 steht die Forderung nach einer Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen. ({2}) Ich habe, weil sich die Debatte hinzieht, darauf verzichtet, mein Skript mitzunehmen; aber ich kann Ihnen die Zitate bei Bedarf gerne nachreichen. Es handelt sich also um eine absurde Debatte zu einer Zeit, zu der man wirklich Besseres diskutieren könnte als das, was Sie jetzt hier angezettelt haben. ({3}) Ich halte es im Zuge der Anstrengungen, die wir als Parlamentarier zur Vermeidung von Politikverdrossenheit unternehmen, für eine Zumutung, ({4}) dass Sie ständig versuchen, hier Diskussionen zu bestimmten Themen anzuzetteln und die Familienpolitik dieser Regierung schlechtzureden. ({5}) Wir haben hier eine Erfolgsbilanz vorzuweisen, und wir haben sie Ihnen eigentlich schon in der letzten Sitzungswoche präsentiert. ({6}) - Doch! - Wir haben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert durch die größte Investition in Infrastruktur, die jemals eine Regierung getätigt hat. ({7}) Wir haben uns darum gekümmert, dass die Familien Zeit bekommen. Wir haben uns mit dem Bundesprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ auch um den Wiedereinstieg in den Beruf gekümmert; die BA und die Länder sind da übrigens auf einem guten Weg. Wir haben uns darum gekümmert, dass die Familien entlastet werden. Last, but not least - meine Kollegin Fischbach hat es schon angesprochen - bedenken wir im Gegensatz zu Ihnen bei all dem, dass wir einen Haushalt aufstellen wollen, der insgesamt generationengerecht und nachhaltig ist. ({8}) Im nächsten Jahr erfahren wir die Ergebnisse der Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen. Dies wird ein Anlass sein, zu schauen: Was brauchen die Familien? Es widerstrebt mir völlig, im Vorfeld Denkverbote auszusprechen; das sollte man nicht tun. Denn Familienpolitik muss diskutiert werden. Da gehören auch solche Debatten dazu; das ist richtig. Allerdings ist es wirklich Unsinn, diese Debatte in das Parlament zu tragen. Wir sollten über wichtigere Themen diskutieren. Dazu sind wir gerne bereit, aber nicht zu dem Unfug, den Sie hier angezettelt haben. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Miriam Gruß. - Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Kerstin Andreae.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gestern eine Aktuelle Stunde zur Vermögensteuer. Dazu lagen Konzepte der Grünen und der SPD vor. Wenn ich mich richtig erinnere, waren da weniger Kolleginnen und Kollegen anwesend, zumindest seitens der Koalition. Wir sollten Aktuelle Stunden schon ernst nehmen und jetzt hier über eine Idee sprechen, die nun einmal zumindest im Raum steht. Es müssen andere beurteilen, ob es sich um eine Nebelkerze handelt, die schon verraucht ist. Aber die Idee der Gutscheine für Haushaltshilfen steht im Raum. Es ist gar nicht unser Problem, dass es jetzt seitens der Koalition als nicht umsetzbar, als nicht voll durchdacht oder als eine theoretische Diskussion dargestellt wird, die wohl eher dem anstehenden Parteitag der CDU geschuldet ist. Ich finde, man darf darüber nachdenken, man soll sich etwas überlegen. Das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sehr wichtig. Das, was bleibt, ist, dass die Bundesregierung - darüber reden wir - kein Konzept und keinen nachvollziehbaren, durchdachten Plan beim Thema Familienpolitik und bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat. ({0}) Erst beschließen Sie den Kitaausbau und schaffen einen Rechtsanspruch, damit mehr Mütter arbeiten gehen können. Dann haben die Regierung und die Koalition - das werden Sie sich immer und immer wieder anhören müssen, Frau Fischbach, Sie hatten da eine andere Position gegen den erbitterten Widerstand der Fachleute das Betreuungsgeld beschlossen, das dazu führt, dass zahlreiche Mütter dann doch lieber zu Hause bleiben. ({1}) Und jetzt kommen Sie mit einem Vorschlag, dessen Umsetzung eine weitere Milliarde kosten würde, und wollen dafür sorgen, dass Mütter wieder arbeiten gehen. Das ist kein Plan; das ist keine geradlinige Position. ({2}) Ich würde dringend empfehlen, Konzepte, die man entwickelt, tatsächlich einmal an ein paar Punkten zu überprüfen. Zum einen besteht die große Gefahr von Mitnahmeeffekten. Das wäre bei den Gutscheinen der Fall. Mitnahmeeffekt bedeutet, dass jemand eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl er sich sowieso eine Haushaltshilfe genommen hätte. Er macht etwas geltend, was er sowieso schon geplant hat. Diese Mitnahmeeffekte sind in weiten Teilen teuer. Wir müssen unser Geld für andere Sachen ausgeben. ({3}) Zum anderen müssen Sie sich überlegen - das ist ein weiteres Kriterium -, ob die Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen werden können. Wir haben nicht mehr so viel Geld, dass wir die Subventionen mit der Gießkanne verteilen können. Wir müssen uns nach der Bedürftigkeit richten. Wir müssen uns überlegen: Wer braucht es? Wo kann es zielgerichtet eingesetzt werden? Ihr Konzept greift nicht, weil die Gutscheine unabhängig von Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen werden können. Sie müssen sich auch überlegen, was das an Bürokratie nach sich zieht. Sie haben ein Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht, das für Kinder aus einkommensschwachen Familien gedacht ist. Aber die Leistungen kommen bei vielen bedürftigen Kindern nicht an. Stattdessen wurde ein Verwaltungsapparat aufgebaut mit dem Ergebnis, dass ein eingesetzter Euro 30 Cent Bürokratie- und Verwaltungskosten nach sich zieht. ({4}) Das ist wieder ein Konzept, das unlogisch und nicht durchdacht ist und das Kriterium „bürokratiearm“ nicht erfüllt. ({5}) Sie fordern ein Nachdenken ein. Ich entwickele meine Gedanken weiter und frage: Welche Kriterien müssen zugrunde gelegt werden? Wo versagen Sie im Bereich der Familienpolitik? ({6}) Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der entscheidende Punkt. Wir müssen uns fragen: Wie bekommen wir es in den nächsten Jahren hin, dass sich junge Mütter und Frauen für beides entscheiden: für Familie und für den Beruf? ({7}) Aber die Maßnahmen, die Sie von der Koalition ergreifen, reichen nicht aus. Sie sind teilweise auf dem falschen Weg und setzen falsche Anreize wie mit dem Betreuungsgeld. Wir erkennen keine Linie. ({8}) Es ist nicht zu erkennen, dass Sie sich wirklich dafür entschieden haben: Wir wollen den jungen Müttern, den jungen Eltern eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben. ({9}) Wir wollen sie unterstützen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich zu leben. - Das können wir bei Ihnen nicht sehen. ({10}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zur Forderung des Arbeitgeberpräsidenten Hundt sagen, die Elternzeit auf ein Jahr zu begrenzen. ({11}) Das ist absoluter Blödsinn. ({12}) Herrn Hundt muss man sagen: Die Arbeitswelt hat sich an den Familien zu orientieren, und nicht die Familien an der Arbeitswelt. ({13}) In diesem Sinne: Vielen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Kerstin Andreae. - Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin Elke Ferner. Bitte schön, Frau Kollegin Elke Ferner. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich habe es kaum für möglich gehalten, dass die Fernhaltebzw. Herdprämie noch zu toppen ist, aber das scheint locker zu gehen. Jetzt kommt eine Putzprämie, zumindest wenn es nach Frau Fischbach geht. Wir dürfen gespannt sein, welche Prämien Ihnen bis zum Herbst nächsten Jahres noch einfallen. ({0}) Frau Fischbach, ich hätte mir gewünscht, dass Sie wenigstens Frau genug gewesen wären, Ihr Konzept zu erläutern, doch das haben Sie nicht getan. Sie haben nur Nebelkerzen geworfen. Noch peinlicher finde ich es, dass für Ihre Fraktion außer Ihnen niemand das Wort ergreift. ({1}) Frau Schröder hat den Vorstoß ganz eilig unterstützt mit den Worten: Bezahlbare Hilfe im Haushalt erleichtert Familien das Leben und insbesondere Frauen nach der Elternzeit die Rückkehr in den Beruf. Außerdem können hierdurch neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Privathaushalten entstehen. Ich frage mich, ob hier noch alle richtig ticken. Zuerst werden die Frauen mit dem Betreuungsgeld bzw. der Herdprämie von der Arbeitswelt ferngehalten, dann sollen sie mit der Putzprämie wieder in das Erwerbsleben geschickt werden. ({2}) Ich glaube, dass Sie wirklich keine Ahnung haben, was die Menschen in unserem Land bewegt; denn für die Rückkehr in den Beruf ist für junge Mütter und Väter doch nicht entscheidend, ob eine Putzhilfe subventioniert wird oder nicht. Viel entscheidender ist doch, ob es eine gute und verlässliche Kinderbetreuung gibt, ob es Unterstützung gibt, wenn ein Elternteil krank ist oder wenn das Kind krank ist, ob es familienfreundliche Arbeitszeiten gibt und ob es sich finanziell unter dem Strich, also nach Abzug aller Kosten, lohnt, arbeiten zu gehen oder nicht. Das ist doch die entscheidende Frage. ({3}) Natürlich ist auch die Frage wichtig: Kann ich mir eine Putzhilfe leisten, oder kann ich mir keine leisten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Zuschuss von 6 Euro pro Stunde die Entscheidung beeinflusst. Für diejenigen, die wieder in den Beruf einsteigen, sind steuerliche Fragen - Steuerklasse V, Ehegattensplitting - viel entscheidender als die Frage, ob sie 6 Euro pro Stunde, maximal 90 Euro pro Monat, als Putzhilfenzuschuss bekommen. ({4}) Ich glaube auch nicht, dass dadurch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Man muss wissen, worüber man redet, liebe Kolleginnen und Kollegen ({5}) damit meine ich vor allen Dingen Frau Schröder, die heute wieder einmal nicht hier ist -: Um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis überhaupt begründen zu können, muss die Beschäftigte ab dem nächsten Jahr mehr als 450 Euro Einkommen haben. Sonst ist das Beschäftigungsverhältnis nämlich nicht sozialversicherungspflichtig. Das bedeutet, dass man bei 15 Arbeitsstunden pro Monat einen Stundenlohn von 30 Euro verdienen muss. ({6}) So viel Geld dafür hat diejenige oder derjenige, die bzw. der wieder in den Beruf zurückgeht, aber nicht. Erst recht bekommt keine Haushaltshilfe einen Stundenlohn von 30 Euro. ({7}) Schauen wir uns einmal an, wie das ist, wenn man die Dienstleistung bei einer Firma einkauft. Dann legt man locker 25 Euro die Stunde hin, inklusive Mehrwertsteuer. Wenn es eine Subvention von 6 Euro gibt, dann sind wir bei 19 Euro. Ich glaube, diese Subvention hilft den Familien nicht wirklich weiter. Ich finde es richtig, sich über die Frage auszutauschen, wie wir diejenigen, die sich eine Haushaltshilfe nicht leisten können - ich meine nicht nur junge Eltern, sondern auch ältere Menschen, die keine steuerliche Förderung in Anspruch nehmen können -, in die Lage versetzen können, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen. ({8}) Das ist sicherlich eine sehr verdienstvolle Diskussion. Eine solche Diskussion fängt man aber nicht so an, wie Sie das gemacht haben. Ich glaube, dass diesbezüglich Diskussionsbedarf besteht. Die Diskussion können Sie doch nicht mit der Frage beginnen, wie wir es schaffen können, dass junge Frauen wieder in den Beruf zurückkehren, nachdem Sie sie zuvor mit der Herdprämie aus dem Beruf herausgelockt haben. ({9}) Ich will noch etwas zu der Bemerkung sagen, die Sie, Herr Kollege Wunderlich, zu Frau Humme gemacht haben. Frau Humme hat gesagt: Hinsichtlich der Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen könnte so etwas von Vorteil sein. Sie hat aber auch ausdrücklich gesagt - ich glaube, sogar im selben Interview -, dass das für die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit überhaupt keine Rolle spielt und sie das Vorhaben nicht gut findet. - Ich wünsche von dieser Stelle aus Frau Humme nach ihrer OP gute Genesung. Letzter Punkt. Ich finde, dass diese Debatte zeigt, wie die Arbeitsteilung durch die Brille der Union aussieht: Im 21. Jahrhundert sind die Frauen immer noch zuständig für den Herd und für das Putzen und nicht für andere Dinge. Ich kann Ihnen nur entgegenhalten: Wir wollen eine partnerschaftliche Teilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, ({10}) und zwar in der Familie und im Beruf, und das auf Augenhöhe. Dafür werden wir im nächsten Jahr die Mehrheiten bekommen. Schönen Dank. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Elke Ferner. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Florian Bernschneider. Bitte schön, Kollege Florian Bernschneider. ({0})

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es sich in dieser Aktuellen Stunde sehr leicht machen, indem man sagt, dass allein der Titel Ihrer Aktuellen Stunde weit an der Realität vorbeigeht und es sich deswegen eigentlich gar nicht lohnt, darüber zu diskutieren. ({0}) Das, was Sie der Koalition unterstellen - Streit und Uneinigkeit -, gibt es eigentlich gar nicht. ({1}) Das wird deutlich, wenn man sich die Äußerungen der Fraktionen und die Äußerungen der Ministerien in den letzten Tagen anschaut. ({2}) Diesen Streit gibt es gar nicht. Es gibt Einigkeit in der Koalition, zum Beispiel hinsichtlich des Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, weil es nichts Generationengerechteres gibt, als zukünftigen Generationen nicht ständig neue Schulden zu hinterlassen. ({3}) Es gibt Einigkeit in der Koalition über eine familienpolitische Notwendigkeit, nämlich über die Notwendigkeit, die familienpolitischen Leistungen zu evaluieren und nach dieser Evaluierung zu überprüfen, wie man sie effizienter aufeinander abstimmen kann. Über eine Frage diskutieren die Kolleginnen und Kollegen in der Union, wir in der FDP und, wie ich hoffe, auch Sie in der Opposition: Wie erreichen wir es, dass Männer und Frauen nach einer Familienphase schnellstmöglich wieder in den Beruf zurückkehren können? Das ist völlig legitim. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Antworten an den beiden genannten Kriterien orientieren müssen, nämlich an dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts und einem effizienten System familienpolitischer Leistungen. Insoweit gibt es eigentlich gar keinen Grund, länger über dieses Thema zu sprechen. Der wahre Hintergrund, warum Sie diese Aktuelle Stunde anzetteln, ist auch gar nicht dieses Thema. Der wahre Hintergrund ist, dass Sie sich darüber ärgern, dass Ihre familienpolitische Kritik an uns nicht gezündet hat. Das haben Sie in der Haushaltswoche nicht geschafft. Deswegen wollen Sie Ihr Theater in dieser Woche einfach fortsetzen. ({4}) Das ist Ihr gutes Recht als Opposition. Das ist nicht besonders kreativ. Ihre Kritik wird in dieser Woche genauso wenig zünden wie in der Haushaltswoche. ({5}) Jeder hat natürlich eine zweite Chance verdient. Die wollen wir auch Ihnen lassen, aber ich sage Ihnen: Es ist auch das Recht der Koalitionsfraktionen, Sie an den Ansprüchen zu messen, die Sie uns hier Woche für Woche vorhalten. Gehen wir die Punkte doch einmal durch. Schauen wir uns das Thema Betreuungsgeld an, mit dem die SPD krampfhaft versucht, zu skandalisieren. Es ist nur blöd, dass die Menschen noch wissen, dass die SPD in der Großen Koalition der Verankerung des Betreuungsgeldes im SGB zugestimmt hat. ({6}) Das versuchen Sie jetzt vergessen zu machen. Sie sagen den Menschen: Wenn wir jetzt die Bundestagswahl gewinnen, dann schaffen wir das Betreuungsgeld sofort ab. ({7}) Das ist das Versprechen einer Partei, die in Thüringen Regierungsverantwortung trägt. Dort gibt es das Betreuungsgeld. ({8}) - Frau Ferner, ich frage Sie: Was haben Sie in Thüringen eigentlich gemacht, um das Betreuungsgeld abzuschaffen? ({9}) Sie mit Ihren Genossen haben in Thüringen darauf gewartet, dass wir das Betreuungsgeld hier in Berlin verabschieden, damit Sie es in Thüringen endlich abschaffen können, ohne jemandem dabei wehzutun. ({10}) In Thüringen wird die spannende Frage sein, ob Sie Ihr zweites Versprechen, das Sie hier abgeben, halten, nämlich die Einsparungen aus dem Betreuungsgeld in den Ausbau und in die Verbesserung der Qualität der Kitaplätze zu investieren. ({11}) Ich sage Ihnen schon jetzt: Ich glaube es Ihnen nicht. Ein Blick nach Schleswig-Holstein reicht. In SchleswigHolstein profitieren die Kommunen von einem wichtigen Schritt, den wir als christlich-liberale Koalition gegangen sind, nämlich von der Entlastung der Kommunen durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter. Was machen Sie in Schleswig-Holstein? ({12}) Sorgen Sie dafür, dass die Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum für den Ausbau und für die Qualitätsverbesserung von Kinderbetreuung zur Verfügung haben? Nein, Sie kürzen den Länderzuschuss. ({13}) Meine Damen und Herren, wenn man die Gelegenheit hat, Spielraum für den Ausbau der Kinderbetreuung zu lassen, dann sollte man ihn auch geben. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie auf dem Rücken der Familien Einsparungen vornehmen und trotzdem keinen ausgeglichenen Haushalt hinkriegen. Schauen wir nach Hamburg. Dort sparen Sie gerade kräftig an der Jugendsozialarbeit. Schauen wir nach Baden-Württemberg. Dort wollen Sie in den kommenden Jahren 11 600 Lehrerstellen streichen. ({14}) Wie passt das zu der vorsorgenden Politik von Hannelore Kraft, die 1 Euro lieber zu früh als zu spät ausgeben will? Ich sehe das - ehrlich gesagt - nicht. Das müssen Sie sich vorhalten lassen, wenn Sie uns jede Woche erklären, unsere Familienpolitik sei nicht konsistent. ({15}) Da wir beim Thema sind: Hannelore Kraft stellt lieber 2 000 neue Beamte ein, als sich um das drängende Thema des Ausbaus der Kinderbetreuung zu kümmern. Man muss gar nicht nach Nordrhein-Westfalen gucken, ein Blick nach Berlin reicht aus. Ihr Partybär Klaus Wowereit schafft es nicht einmal, das Elterngeld, die familienpolitische Leistung des Bundes, an die Familien auszuzahlen. Die Familien warten monatelang darauf, das Geld zu erhalten, das ihnen zusteht. ({16}) Wo auch immer man in Deutschland hinsieht: Wenn Familien sich auf Sie verlassen müssen, dann sind sie verlassen. Schauen Sie dagegen auf diese Koalition. Auf uns können sich die Familien verlassen. ({17}) In einem Punkt können Sie sicher sein: Diese Koalition ist sich zu 100 Prozent einig, alles dafür zu tun, dass Sie nach der Bundestagswahl keine familienpolitische Verantwortung in diesem Land tragen werden. Vielen Dank. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Florian Bernschneider. Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten Vizepräsident Eduard Oswald ist unser Kollege Stefan Schwartze. Bitte schön, Kollege Stefan Schwartze. ({0})

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die letzte Rede hat eines bewiesen: Getroffene Hunde jaulen auf. ({0}) Das Jaulen war sehr laut. ({1}) Ich glaube, so eine Aktuelle Stunde wie heute, ({2}) in der von der Union nur eine einzige Rednerin bereit ist, hier nach vorn zu gehen, zeigt ganz deutlich: Die Union hat eines erkannt. Sie haben nämlich keine Linie in der Familienpolitik. Sie wissen überhaupt nicht, wo Sie hinwollen. Es gibt keinen, der erklären kann, worum es eigentlich geht. ({3}) Für den wichtigen Rechtsanspruch auf die U3-Betreuung fehlen in Deutschland noch 220 000 Plätze. ({4}) Dazu sollten wir hier Vorschläge machen. ({5}) - Ja, Sie tun definitiv viel zu wenig. ({6}) Stattdessen geben Sie jetzt 2 Milliarden Euro jährlich für das Betreuungsgeld aus, eine Leistung, die nur der CSU hilft, die nur die CSU will und die niemand in diesem Land braucht. ({7}) Den nächsten Coup landen Sie jetzt mit dem Thema Dienstmädchen. Es geht um Dienstmädchen für alle Gutverdienenden. Sie schlagen vor, noch einmal 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung zu stellen. Geld spielt bei Ihnen keine Rolle. ({8}) Frau Fischbach, Sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende haben die Debatte hier begonnen mit der großen Verkündigung: Die Unionsfamilienpolitiker haben sich geeinigt. - Allein das ist eigentlich eine Nachrichtenmeldung wert. ({9}) Sie haben sich auf ein völlig unausgegorenes Gutscheinmodell für Haushaltshilfen geeinigt. Sie haben sich so sehr geeinigt, dass man Sie hier heute allein im Regen stehen lässt. ({10}) Die Einzigen, die sozusagen gleich auf den Zug aufspringen, sind die Familienministerin Schröder und Frau von der Leyen. Frau Schröder findet das Vorhaben gut. Sie ist der Meinung, dass es eine gute Maßnahme ist, um dem Fachkräftemangel in diesem Land zu begegnen. Erstaunlicherweise springt auch Frau von der Leyen auf den Zug. ({11}) Sie erklärt, dass es ein prima Vorhaben ist, durch das den Menschen mehr Zeit für Familien ermöglicht wird. Es ist sehr erstaunlich, dass sich die beiden einig sind. ({12}) Interessanterweise verwechseln sie ihre Ressorts, aber das macht nichts. ({13}) Schon heute gibt es viele Möglichkeiten für den Umgang mit haushaltsnahen Dienstleistungen. Viele davon sind steuerlich absetzbar. Bis zu 4 000 Euro können Haushalte auf diese Weise sparen. Warum Sie da eine zusätzliche Leistung einführen wollen, die im Wesentlichen Besserverdienenden zugutekommt, ist ein absolutes Rätsel. ({14}) Zu den 4 000 Euro Steuerersparnis gibt es dann - wenn es nach Ihrem Willen geht, Frau Fischbach - obendrauf 1 080 Euro. ({15}) Die alleinerziehende Kassiererin wird sich trotz 90-Euro-Gutschein pro Monat keine Haushaltshilfe leisten können, und die Haushaltshilfe kann sich dies erst recht nicht leisten. Die Regelung, die Sie vorschlagen, ist schlichter Unsinn. ({16}) Uns in der SPD-Bundestagsfraktion geht es darum, eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinzubekommen. ({17}) Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung, wir wollen einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz, ({18}) wir wollen echte Wahlfreiheit und eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hilft allen, egal wie hoch ihr Einkommen ist. Diese neue Maßnahme, die Sie vorschlagen, ist keine Antwort auf die bestehenden Probleme. ({19}) - Das zeigt, wie ernst Sie Familienpolitik nehmen. Mit solchen intelligenten Zwischenrufen kommen wir bestimmt weiter. ({20}) Wir brauchen eine Stärkung der Partnerschaft in allen Lebensbereichen. Klar ist, dass Sie mit Ihrem Vorschlag, Personal für 6 Euro pro Stunde einzustellen, definitiv auf dem falschen Weg sind. ({21}) - Ja, meine Redezeit ist gleich um. Ich kann Sie da beruhigen. ({22}) Es tut halt weh, sich Wahrheiten anhören zu müssen. Die Proteste aus Ihrer Fraktion kamen dann sehr schnell, auch die aus dem Finanzministerium, von den Haushaltspolitikern, von der FDP und sogar von der familienpolitischen Sprecherin. Das, was Sie vorgeschlagen haben, ist nichts anderes als schwarz-gelbes Kasperletheater. ({23})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Stefan Schwartze. - Ich weise darauf hin, dass der Kollege Rolf Schwanitz jetzt unser letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist. Kollege Rolf Schwanitz hat das Wort. Bitte schön. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zum Schluss als Haushälter der SPD-Fraktion für den Familienetat noch ein paar Sätze zu den haushaltspolitischen Aspekten dieses Vorschlages sagen. Es ist erst wenige Wochen her, dass die Koalition dieses unsinnige Betreuungsgeld beschlossen hat und dann mit einem Änderungsantrag die finanziellen Folgewirkungen dieser verheerenden Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben hat. Das, was wir da erlebt haben, war mit Blick auf den Herbst des nächsten Jahres eigentlich schon die erste Operation Wählerbetrug. ({0}) Der Gesamtumfang des Betreuungsgeldes liegt ab 2014 - wir werden das sehen, wenn Sie nicht gestoppt werden - bei mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr. Jetzt wollen Sie die Putzprämie quasi hinterherschieben. Zugegeben: Wie hoch die damit verbundenen Kosten sein werden, muss erst noch genau berechnet werden. In ersten Kalkulationen, die schon zu lesen sind, ist von einem Betrag zwischen 600 und 900 Millionen Euro pro Jahr die Rede. Ich habe allerdings auch gelesen, dass sogar mit Kosten von über 1 Milliarde Euro jährlich kalkuliert wird. Es handelt sich also um eine weitere enorme Kostenbelastung, die den Familienetat natürlich nicht unberührt lassen wird. Allein die Herdprämie wird zu massiven Kürzungen im Familienetat, bei den familienpolitischen Leistungen, führen, wenn Sie nicht gestoppt werden. ({1}) Wenn die Putzprämie mit einem Volumen von rund 1 Milliarde Euro hinzukommt, dann ist völlig klar, was die Konsequenz für den Familienetat sein wird. ({2}) Ich sage es Ihnen schon jetzt voraus - denn ich bin fest davon überzeugt, dass Sie daran schon arbeiten -: ({3}) Sie werden das Elterngeld zerschlagen. ({4}) Das Elterngeld ist nämlich die einzige Maßnahme im Familienetat, die Sie zur Gegenfinanzierung heranziehen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass die FDP schon an einem entsprechenden Modell arbeitet. ({5}) Es ist wirklich perfide: Da hat sich Frau Schröder noch vor wenigen Tagen einen Showkampf mit Herrn Hundt geliefert ({6}) - unter anderem ging es um das Elterngeld; ({7}) sie hat sich für den Erhalt des Elterngeldes starkgemacht -, aber hinter dem Rücken der Öffentlichkeit werden schon längst Modelle formuliert, deren finanzielle Belastungen zur Folge haben werden, dass das Elterngeld fällt. Ich halte das für unverantwortlich. ({8}) Genauso verheerend ist, dass die geplante Putzprämie - ich sage es einmal so - das Ansehen der Familienpolitik völlig zerstört. ({9}) Ich will einige Aussagen, die teilweise schon erwähnt worden sind, zitieren, da Kollegin Fischbach ja sagte, das alles sei kein Thema. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Herr GrosseBrömer, sagte: Das, worüber hier diskutiert worden ist und was vorgeschlagen worden ist, ist kein ernsthaftes Thema. ({10}) Der Vorsitzende der Senioren-Union sagte: Wir neigen zu Schnellschüssen. - Der Kollege Barthle, Mitglied des Haushaltsausschusses, sagte: Das ist nicht umsetzungsfähig. - Der FDP-Generalsekretär, Herr Döring, will das System der Familienförderung insgesamt infrage stellen. Das ist die Situation. ({11}) Mit Frau Schröder als Ministerin und durch solche Vorschläge wird die Familienpolitik insgesamt zu einer Lachnummer gemacht ({12}) - und zwar auf einer nach oben offenen Richterskala -, und die FDP packt schon die Abrissbirne aus, nach dem Motto: Was kann ich in diesem Bereich nach der Bundestagswahl als Allererstes rasieren? ({13}) Mir persönlich ist es langsam egal, ob Frau Schröder aus Berechnung oder aus Unfähigkeit so handelt. Das gesamte Auftreten, das Frau Schröder und ihre Helfershelfer in der Familienpolitik an den Tag legen, wirkt allerdings wie ein Satz Treibminen: Jeder weiß, dass das Ganze explodieren wird; nur die Schadensausmaße sind noch unklar. ({14}) Das ist die Situation. Ich kann am Ende dieser Aktuellen Stunde nur an unsere Zuschauerinnen und Zuschauer appellieren: Sie haben es im nächsten Herbst in der Hand. Stoppen Sie bei der nächsten Bundestagswahl diese Wahnsinnspolitik der Koalition! Es geht um sehr viel. Herzlichen Dank. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Rolf Schwanitz war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde, die damit beendet ist. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Max Straubinger, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so- wie der Abgeordneten Claudia Bögel, Dr. Edmund Peter Geisen, Heinz-Peter Haustein, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP Zukunft für ländliche Räume - Regionale Vielfalt sichern und ausbauen - Drucksache 17/11654 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit Politik für ländliche Räume effektiv und effizient gestalten - Drucksache 17/11031 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1})- Innenausschuss - Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Arbeit und Soziales - Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Ausschuss für Gesundheit - Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Ausschuss für Tourismus - Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Ausschuss für Kultur und Medien - Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Raumordnungsbericht 2011 - Drucksache 17/8360 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende - Drucksachen 17/9583, 17/11672 Berichterstattung:Abgeordnete Petra Müller ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Es sind alle damit Vizepräsident Eduard Oswald einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion. Bitte schön, Kollege Volker Kauder. ({5})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir legen heute einen Antrag zur Entwicklung der ländlichen Räume vor. Die Bundespolitik ist für die Entwicklung der ländlichen Räume nur begrenzt zuständig. Eigentlich liegt diese Aufgabe bei den Ländern und den Kommunen. Es gibt eine ganze Reihe von Förderprogrammen, mit denen Einfluss auf die Politik - die, wenn es gut läuft, ausgewogene Politik - und die Entwicklungen in der Stadt und auf dem Land genommen werden kann. Wir wollen mit unserem heutigen Antrag keinen Keil zwischen ländliche Räume und urbane Entwicklungszentren bzw. Ballungsgebiete treiben. Beide haben ihre Berechtigung und ihre Besonderheiten. Deshalb gibt es nicht nur die Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche Räume“ - ich war sehr froh darüber, dass wir gleich zu gemeinsamen Ergebnissen kommen konnten -, sondern auch eine Arbeitsgruppe, die sich mit den besonderen Herausforderungen der großen Städte beschäftigt. Auch darüber werden wir reden. Ein Unterschied zwischen den ländlichen Räumen und den großen Städten ist allerdings, dass die großen Städte mit ihren Sorgen eher gehört werden, weil es dort mehr Menschen gibt als in den ländlichen Räumen. Warum sind wir jetzt in besonderer Weise mit dem Thema ländlicher Raum befasst? Von der demografischen Entwicklung sind die ländlichen Räume viel stärker betroffen als die großen Ballungsgebiete. Deshalb sind besondere Antworten nötig. Für unser Land war kennzeichnend, dass wir immer gleichwertige Lebenschancen, Arbeitschancen und Ausbildungschancen in Stadt und Land hatten, dass es eben kein Gefälle gab, das von eigentlich unbewohnbaren, unzumutbaren Gebieten bis hin zu den bevorzugten Ballungsgebieten reichte, dass wir keine Situation wie in Frankreich haben, wo eine zunehmende Entleerung ländlicher Räume stattgefunden hat; bei uns sind die ländlichen Räume vielmehr stark und bieten Lebenschancen für Generationen. Aufgrund der immer geringer werdenden Zahl junger Menschen stehen die ländlichen Räume jetzt vor besonderen Herausforderungen. Mit der demografischen Entwicklung werden wir die nächsten 30 Jahre leben müssen; denn so lange wird es auf jeden Fall so bleiben, wie es jetzt ist. Deswegen müssen wir auf die Fragen, die sich in diesem Zeitraum stellen, Antworten geben. ({0}) Wenn wir wollen, dass es gleichwertige Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen und den Ballungsgebieten gibt, müssen wir alles dafür tun, um die Lebensmöglichkeiten zu stärken. ({1}) - Es ist sehr schön, dass aus den Reihen der Grünen ein zustimmendes Nicken kommt. - Ich muss aber sagen: Für die ländlichen Räume ist es nach wie vor unerlässlich, dass wir dort Straßen bauen. Das machen wir nicht zum Spaß. Die Menschen können dort nur über gut funktionierende Straßen zu den Einrichtungen kommen, die sie für ihr Leben brauchen. Wissen Sie, die Grünen sind eine typische Großstadt- und Universitätsstadtpartei. ({2}) Bei uns gibt es nicht in jedem Dorf eine U-Bahn. ({3}) Ich lade Sie gern einmal zu mir auf die Schwäbische Alb ein. Da können Sie im Winter nicht mit Ihrem Fahrrädle von einem Dorf zum anderen fahren. Da brauchen Sie etwas Anständiges. ({4}) - Ich will Ihnen jetzt einmal Folgendes sagen: ({5}) Auf der Schwäbischen Alb eine Bahnverbindung - hin und her -, das ist geradezu lächerlich. Machen wir uns doch nichts vor. ({6}) Einen schöneren Beweis als diesen einen Satz dafür, dass Sie keine Ahnung vom ländlichen Raum haben, gibt es gar nicht. ({7}) Wir brauchen die Straßenverbindungen, und wir brauchen etwas, worum wir uns wirklich bemühen - das steht in diesem Antrag, zu dem nachher gesprochen wird -, nämlich die modernen „Straßenverbindungen“, das schnelle Internet. Wir wollen junge Menschen im ländlichen Raum halten. ({8}) - Wenn Sie einen Posten als Brüllaffe brauchen, können Sie sich nachher bei mir bewerben. Seien Sie jetzt einmal ein bisschen friedlich. ({9}) Wir brauchen diese schnelle Internetverbindung, damit sich junge Menschen selbstständig machen können. Der ländliche Raum lebt stark vom Mittelstand. Für viele mittelständische Unternehmen ist es in den Ballungsgebieten zu teuer, Grund und Boden zu kaufen. Ein großer Teil des Mittelstandes besteht aus der Zulieferindustrie. Er braucht heute eine schnelle Internetverbindung, um mit dem Betrieb, den er beliefern will, zu kommunizieren. Da gibt es junge Menschen, die sich als Konstrukteure selbstständig machen und das schnelle Internet brauchen. Da sind wir in der Koalition auf dem richtigen Weg; aber es muss noch schneller und konsequenter daran gearbeitet werden, dass dies zum Erfolg führt. ({10}) Die Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Antrag erfolgreich gearbeitet haben, werden nachher noch auf die Einzelheiten eingehen. Ich will ein Thema herausstellen, bei dem wir, wie ich finde, im Verlauf der Diskussion der nächsten Monate doch noch etwas konkreter werden müssen. Eine große Sorge der Menschen im ländlichen Raum betrifft die Gesundheitsversorgung. Gerade die älter werdenden Menschen fragen sich: Wird es noch eine entsprechende Gesundheitsversorgung geben? Deswegen müssen wir Antworten darauf geben: Wie können wir erreichen, dass auch in Zukunft Ärzte bereit sind, im ländlichen Raum eine Praxis aufzumachen? Ich will die freie Praxis nach wie vor unterstützen; aber es wird Situationen geben, wo wir ohne Medizinische Versorgungszentren nicht weiterkommen. ({11}) Deswegen müssen wir Alternativen anbieten. Beides muss möglich sein. Wir müssen uns fragen, ob die Zahl der Mediziner, die wir ausbilden, wirklich ausreicht oder ob nicht mehr Mediziner ausgebildet werden müssen. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass heute 80 Prozent der Absolventen von medizinischen Fakultäten Frauen sind, die eben andere Wünsche und Vorstellungen haben als der typische Landarzt früherer Jahre. Wir sind die Partei des ländlichen Raumes und der Großstädte. ({12}) Wir werden in beiden Fällen die richtigen Antworten geben. ({13}) Ich danke allen, die in dieser Arbeitsgruppe die konkreten 105 Vorschläge gemacht haben. Das zeigt: Die wahre Partei des ländlichen Raumes und der Großstädte, das ist die Union ({14}) - und die FDP, diese Koalition. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Dies war unser Kollege Volker Kauder für die Fraktion der CDU/CSU. Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Willi Brase. Bitte schön, Kollege Willi Brase.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kauder, wenn das so schön wäre mit der Union in den Großstädten, dann wären die letzten Wahlergebnisse - schauen Sie sich diese einmal an - anders ausgefallen; die sprechen für sich. ({0}) Man sollte manchmal den Mund nicht zu voll nehmen. ({1}) - Sie haben einen Vergleich gezogen. Ich finde es sehr gut, dass wir hier über die Entwicklung der ländlichen Räume diskutieren. Ich kann nur sagen, dass wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr intensiv darüber beraten haben und heute auch einen entsprechenden Antrag vorlegen. ({2}) - Nein, der ist besser als Ihrer; aber dazu kommen wir noch. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ländlicher Raum nicht gleich ländlicher Raum ist. Ländlicher Raum heißt auch nicht automatisch Landwirtschaft. Auf der einen Seite haben wir ländliche Räume, die industriepolitisch sehr stark sind, die strukturpolitisch hervorragend dastehen, auf der anderen Seite haben wir ländliche Räume, in denen Entvölkerung und demografischer Wandel schon teilweise brutal zugeschlagen haben. Darauf müssen Antworten gegeben werden: Wie ist es mit der Daseinsvorsorge? Wie ist es mit der medizinischen Versorgung? Wie ist es mit den Möglichkeiten, Bildung für die jungen Leute zu organisieren? Wie gehen wir damit um, dass, vor allen Dingen aus bestimmten Ländern, aus bestimmten ländlichen Regionen, viele junge Frauen wegziehen, in die Metropolen ziehen? Da vermisse ich Antworten. Die gibt es auch noch nicht. Deshalb sollte man vorsichtig sein und bei aller Kritik nicht meinen, man habe das allein selig machende Konzept. ({3}) Wir sind der Auffassung, dass wir einen Ansatz brauchen, bei dem die Dinge im Zusammenhang betrachtet werden. Derzeit wird in Brüssel eine Debatte über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik geführt. Dort ist vorgeschlagen worden, die verschiedenen Fonds, die es gibt - Sozialfonds, Kohäsionsfonds, Agrarfonds, Regionalfonds -, stärker zusammenzuführen. Wir sagen: Jawohl, dieses muss stärker miteinander verbunden werden, damit wir eine entsprechende Politik in den Regionen umsetzen können. Wir sind der Auffassung, dass auch die GAK und die GRW zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Entwicklung ländlicher Räume“ zusammengeführt werden müssen. ({4}) Des Weiteren wollen wir den Menschen in den Regionen eine Perspektive geben, und zwar dadurch, dass wir Zivilgesellschaft, Politik vor Ort, Kommunalpolitik, Verbände und Institutionen zusammenbringen, damit über die regionale Entwicklung diskutiert wird und die Regionen sich fragen: Wo stehen wir? Wohin wollen wir? Wo haben wir unsere Schwerpunkte? - Dies möchten wir mit einem Regionalbudget versehen, bei dem die Regionen aber selbst entscheiden, wo ihr Weg ist, wohin sie gehen wollen und wie sie möglichst viele mitnehmen. Ich kann Ihnen aus meinem Bundesland Folgendes berichten: Wir haben so etwas Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre mithilfe eines regionalen Entwicklungskonzepts auf den Weg gebracht. Vom Bauernverband über die Gewerkschaften und Arbeitgeber bis zur Kommunalpolitik haben alle zusammengesessen. Heute tragen wir die Frucht davon: Wir haben blühende ländliche Regionen, in denen sich die Menschen, die dort leben, zusammengetan und gesagt haben, wo es langgeht. Da wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion hin. ({5}) Es ist richtig, dass in ländlichen Regionen Infrastrukturpolitik eine wichtige Rolle spielt, dass wir eine vernünftige Finanzierung der Kommunen brauchen - ohne die geht es nicht -, dass wir eine Weiterentwicklung des Breitbandsektors brauchen und vieles mehr. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Debatte häufig zu kurz kommt. Wir haben auch ländliche Regionen, wo es eine Veränderung in der Agrarwirtschaft gibt. Damit spreche ich die großen Schweinemastbetriebe an. Ich habe dieser Tage die wunderbare Überschrift „Protest am Hähnchen-Highway“ gesehen. Das betrifft die Gegend um Celle und Uelzen. Wir bekommen mit, dass sich mittlerweile sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche dagegen wehren, dass in Schlachthöfen, in Schlachtbetrieben, in Großschlachtbetrieben vor allen Dingen Werkvertragsarbeitnehmer teilweise für 3, 4 oder 5 Euro die Stunde beschäftigt sind. ({6}) Ich will es einmal so sagen: Das ist Dumping. Mittlerweile ist diese Region zum Dumpingland der europäischen Schlachtbranche geworden. Es ist nicht akzeptabel, dass wir zulassen, dass Menschen in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt, für 3,50 Euro die Stunde arbeiten und ihnen vom Lohn auch noch Geld für Kost und Logis abgezogen wird. Es gibt noch viele andere Beispiele mehr. Sie können das inzwischen fast wöchentlich in den Zeitungen lesen. Da vermisse ich eine Reaktion der Bundesregierung. Was tut sie dagegen? ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Brase, Sie haben gemerkt, es kommt eine Zwischenfrage aus der Fraktion der CDU/CSU.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Kollege.

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Brase, Sie haben gerade für die SPD-Fraktion eine Lobhudelei für Ihre Politik in den ländlichen Räumen betrieben. Was sagen Sie denn dazu, dass Ihr Spitzenkandidat in Niedersachsen den Flächenfaktor aus dem kommunalen Finanzausgleich herausnehmen möchte? Dies würde dazu führen, dass gerade die ländlich geprägten Landkreise Mindereinnahmen von zum Teil mehr als 7 bis 8 Millionen Euro zu verkraften hätten. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie hier in diesem Hause gerade den Koalitionsfraktionen immer vorwerfen, nämlich dass sie angeblich nicht genug für den ländlichen Raum tun würden? ({0}) Ich glaube, hierzu sollten Sie sich einmal äußern. Wie stehen Sie dazu?

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe den Koalitionsfraktionen nicht vorgeworfen, dass sie nichts für den ländlichen Raum tun. Ich habe nur gefragt: Was macht diese Koalition bezogen auf die unzumutbaren Zustände von Werkvertragsarbeitnehmern in der Schlachthofindustrie in Deutschland? Das habe ich massiv kritisiert. Ich werde nicht aufhören, das auch weiterhin zu kritisieren. ({0}) - Das ist unredlich, Herr Kauder. Wenn wir über den ländlichen Raum reden, dann reden wir auch darüber, in welchen Bereichen, in welchen Betrieben Menschen beschäftigt sind, und dort werden sie unter unwürdigen Zuständen beschäftigt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war die Beantwortung der Frage des Kollegen Andreas Mattfeldt. - Jetzt gibt es eine weitere Zwischenfrage von der Fraktion der Grünen. Herr Kollege Willi Brase, gestatten Sie diese?

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie ist auch gestattet. Bitte schön, Frau Kollegin.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Brase, nur eine Frage: Anfang Januar steht das Bauordnungsgesetz auf der Tagesordnung. Dann haben wir die Möglichkeit, die Massentierhaltung einzudämmen. Bringen auch Sie einen entsprechenden Vorschlag dazu ein? ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben, wenn ich das richtig im Kopf habe, einen Vorschlag in die Debatte eingebracht. Wir werden diesen Vorschlag vervollständigen und die Debatte weiterverfolgen. Wenn Sie mit den Menschen vor Ort reden, auch in den ländlichen Regionen, wo es eine starke Landwirtschaft und auch immer mehr Einrichtungen für Massentierhaltung gibt, dann merken Sie, dass die Menschen diese Einrichtungen nicht wollen. Wenn ich sehe, was sich in Niedersachsen in den letzten Jahren teilweise entwickelt hat, dann muss ich sagen, dass das schon eine Menge ist. Die Menschen wollen ein Stück weit mitgestalten. Sie wollen wissen: Was wird dort angebaut? Wie viel haben wir schon? Müssen noch mehr Massentierbetriebe dazukommen oder nicht? Deshalb sagen wir: Wir wollen ihnen die Chance geben, mitzugestalten, und zwar sowohl über das von Ihnen angesprochene Bundesbaugesetz als auch dadurch, dass sie sich in den Regionen mit anderen zusammensetzen und überlegen, wie sie dies auf den Weg bringen können. Das halten wir für richtig. ({0}) Wir gehen davon aus, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land insgesamt weiter voranbringen werden. Das bedeutet keine Gleichheit, sondern das ist das Erzielen und Aufrechterhalten von Mindeststandards im ländlichen Raum. Wir brauchen vernünftige Daseinsvorsorge, Infrastruktur und Erwerbsmöglichkeiten. Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Die demografische Entwicklung zwingt uns in unterschiedlichen Bereichen zu unterschiedlichen Reaktionen und unterschiedlichen Verhaltensweisen in Bezug auf das, was dort politisch zu machen ist. So haben wir auf der einen Seite starke industriell geprägte ländliche Regionen, die gut nach vorne marschieren und in denen es sogar Bevölkerungszuwachs gibt. Auf der anderen Seite haben wir Regionen, aus denen immer mehr Menschen weggehen und in denen die Löhne nach unten abweichen. Dagegen wollen und müssen wir vorgehen. Deshalb freuen wir uns auf die Debatte mit Ihnen, aber wir können es Ihnen nicht ersparen: Das, was im Bereich der Schlachtbetriebe läuft, können und wollen wir als SPD nicht akzeptieren. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Claudia Bögel für die FDP-Fraktion. ({0})

Claudia Bögel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004015, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Für mich ist Provinz nichts Negatives“ - das ist ein Zitat von Rainer Brüderle zur Eröffnung unseres Kongresses „Ländliche Räume, regionale Vielfalt - wie gestalten wir die Zukunft?“ mit über 500 Teilnehmern. Meine Heimat ist das Münsterland, und für mich gilt auch: „Provinz ist nichts Negatives“; denn ich weiß, wie lebens- und liebenswert das Landleben ist. Die ländlichen Regionen sind auf der einen Seite Lebens- und Wirtschaftsraum, auf der anderen Seite stecken ihre Potenziale in Kultur, Tradition und einer lebendigen Bürgergesellschaft. Das ist also weit mehr als das stark ideologisch geprägte Bild der grünen Auen und glücklichen Kühe. Sie sind geprägt von mittelständischer Wirtschaftsstruktur, von den Hidden Champions, die mit ihren Unternehmen ohne viel Aufhebens zur Regionalität beitragen und sehr nah am Menschen sind. Dies zeichnet diese Unternehmen aus, und sie bieten Arbeitsplätze in der Region und erhalten somit soziale Strukturen. Aber gerade auch die ländlichen Regionen sind durch den demografischen Wandel, die ökonomischen Anforderungen und die ökologischen Bedingungen der Gegenwart vor große Herausforderungen gestellt. Erfreulich ist, dass viele ländliche Räume diese Probleme eigenständig bewältigen können. Sie sind attraktive Lebensund Wirtschaftsräume mit guten Zukunftsperspektiven. Anderen Regionen hingegen fällt es sehr schwer, diese Herausforderungen zu bewältigen, vor allem strukturschwachen Gebieten mit starkem demografischem Wandel. Wir dürfen es nicht zulassen, dass aus diesen Regionen am Ende karges, verödetes Niemandsland wird. Daher dürfen wir nicht nur auf Veränderungen reagieren, nein, wir müssen sie aktiv mitgestalten. Es ist Aufgabe der Politik, dass die Attraktivität ländlicher Räume erhalten bleibt. Die schwarz-gelbe Koalition hat schon viele wichtige Punkte für die ländlichen Regionen umgesetzt. ({0}) Wir haben das Landärztegesetz auf den Weg gebracht. Wir haben das KWK-Gesetz auf den Weg gebracht. Wir haben die landwirtschaftliche Sozialversicherung neu geregelt. Wir haben das Telekommunikationsgesetz novelliert. ({1}) Ein Meilenstein; denn investitionsfreundliche Regelungen, ein wettbewerbsorientierter Ausbau, Hochleistungsnetze und die Funktechnik LTE sind gerade für ländliche Räume von großer Bedeutung. Damit haben wir vielen mittelständischen TK-Unternehmen gerade in der Fläche Investitionssicherheit gegeben. Dies trägt regional deutlich zur Arbeitskräftesicherung bei. Wir bleiben am Ball. Wir haben erkannt, dass noch vieles getan werden muss, damit die ländlichen Regionen nicht abgekoppelt werden. Sie sind vielfältig, individuell und von unterschiedlicher Struktur und politischer Historie geprägt. Deshalb ist es nicht eine Maßnahme, die ergriffen werden muss. Aber es gibt ein klares Ziel: Wir stärken die ländlichen Räume! Wir müssen dafür sorgen - und diese Forderung in unserem Antrag ist ein Novum -, dass zuständigkeitsübergreifend Bund, Länder, Kreise und Kommunen gemeinsam die Maßnahmen umsetzen. Als mittelstandspolitische Sprecherin meiner Fraktion freut es mich besonders, dass wir unter anderem in den Bereichen wirtschaftliche Entwicklung und Telekommunikation gute und praktikable Handlungsoptionen zusammengestellt haben. Die Breitbandversorgung ist ein wichtiger Standortfaktor, vor allem für die Wirtschaft. Es ist daher unser Ziel, eine flächendeckend gleichwertige Teilhabe von städtischen und ländlichen Regionen am schnellen Internet zu erreichen. Die digitale Spaltung müssen wir verhindern. ({2}) Die Wirtschaftsstruktur in ländlichen Regionen Deutschlands ist vom Mittelstand geprägt. Viele Handwerksbetriebe, viele landwirtschaftliche Betriebe, oft in traditionsreichem Familienbesitz, sind dort zu Hause, viele IT-Unternehmen sind hinzugekommen. Wir wollen die Kooperation von Wirtschaft und Forschung fördern. Wir wollen ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen und, wenn möglich, verbessern. So setzen wir uns dafür ein, dass die GRW- und GAK-Mittel mit entsprechender Zweckbindung verstetigt werden. Das steigert die Innovationsfähigkeit vor allem mittelständischer Unternehmen. Meine Damen und Herren, Provinz ist nichts Negatives. Mit dem vorliegenden Antrag zeigen wir, dass uns die ländlichen Regionen am Herzen liegen, dass wir uns in unserer politischen Arbeit für starke, lebenswerte ländliche Räume und eine gleichberechtigte Entwicklung von Stadt und Land einsetzen. Wir nehmen die Probleme der ländlichen Bevölkerung ernst. Wir schwelgen nicht in ideologischen Fantasien. Wir setzen in unserem Antrag konkrete handlungsorientierte Impulse. Der Antrag der SPD hingegen ist unkonkret, verwässert, ideologisch und fantasielose Prosa. Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist zu dünn. ({3}) Provinz ist alles andere als ein Schimpfwort. Im Gegenteil: Unser Land profiliert sich durch Regionalität, durch kommunale Selbstverwaltung, durch starke ländliche Regionen. Diese Potenziale gilt es zu unterstützen; denn sie reflektieren positiv auch auf die Ballungszentren, die oftmals hoch verschuldet sind. Meine Damen und Herren, wir lassen unsere Zukunft nicht durch ideologische Mauern verbauen. Wir lassen unsere Zukunft nicht durch kurzfristige Denke zerstören. Unser Antrag denkt Zukunft für ländliche Räume. Wenn auch Sie so denken, müssen Sie einfach nur zustimmen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich den Antrag der Koalition zu den ländlichen Räumen das erste Mal durchgelesen habe, habe ich mir auf gut Bayerisch gedacht: Ja, is’ denn heut scho’ Weihnachten? ({0}) Man weiß wirklich nicht so genau, ob man jetzt lachen oder weinen soll. Sie legen in Ihrem Antrag über 100 Forderungen zum ländlichen Raum vor und wollen das Ganze in einer Sofortabstimmung durchs Parlament peitschen, anstatt uns darüber in Ruhe und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gemeinsam fachlich beraten zu lassen. Das finde ich keine ernsthafte parlamentarische Arbeit; das muss ich ganz ehrlich sagen. ({1}) Daran sieht man vielleicht auch, was Ihnen der ländliche Raum und die Menschen, die dort leben, wirklich wert sind. Aber wahrscheinlich sind Sie getrieben von der Angst vor den anstehenden Wahlen. Bisher hatten Sie in den Debatten zum ländlichen Raum ja nicht mehr als ein paar warme Worte übrig und vertraten ansonsten die Auffassung, die Menschen und die Kommunen im ländlichen Raum sollten selbst sehen, wo sie bleiben. In Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich zum Beispiel, dass Bund, Länder, Kommunen und nichtstaatliche Akteure in einer gemeinsamen Verantwortung stehen. - Ja, das mag schon sein. Nur, das Problem ist, dass vor allem Kommunen und nichtstaatliche Akteure ihre Verantwortung überhaupt nicht mehr wahrnehmen können, und zwar deshalb, weil die Kassen leer sind und weil die Einkommen niedrig sind. ({2}) Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik, aber leider auch der Politik der vergangenen Bundesregierungen von RotGrün und Schwarz-Rot. Dann machen Sie noch einen Vorschlag, den ich besonders eigenartig finde. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Kommunen zur Kofinanzierung von Fördermitteln, zum Beispiel der Europäischen Union, private Gelder oder Mittel aus Bürgerfonds akquirieren sollten, um diese Kofinanzierung aufzubringen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich finde es wirklich dreist, dass die Kommunen bei den Menschen auf dem Land, die sowieso schon ihre Steuern bezahlen und im Verhältnis zu den Menschen in den städtischen Zentren weniger verdienen, auch noch entsprechende Gelder eintreiben sollen. ({4}) Sie sollten stattdessen lieber die Kriterien für Förderprogramme so umgestalten und den Bundesländern so helfen, dass sie diese Förderung auch wahrnehmen können, weil sie diese Förderung am dringendsten brauchen. ({5}) Aber nein, was machen Sie? - Sie verpulvern lieber die Milliarden, um Zockerbanken zu helfen, statt den Menschen in den ländlichen Räumen und den Kommunen mit den leeren Kassen. ({6}) - So ist es aber. Ich möchte Ihnen nicht absprechen - das gilt übrigens auch für den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume vom Bundesministerium von Frau Aigner -, dass die Analyse der Probleme richtig ist. Die Analyse ist bei Ihnen häufig richtig, aber die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, sind häufig falsch, ebenso wie die Maßnahmen, die Sie einleiten. ({7}) Ich möchte hier einige Beispiele bringen. Erstens. Sie wollen zum Beispiel die Bundesverkehrswege ausbauen. Nun ist es meiner Meinung nach nicht so, dass wir nicht schon genügend Straßen hätten! ({8}) Das Problem ist aber doch, dass es sich sowohl Bürger als auch Kommunen leisten können müssen, auf diesen Straßen etwas fahren zu lassen. Dazu kommt eben noch, dass durch die Privatisierung der Deutschen Bahn - wo ist Herr Kauder? - in den vergangenen Jahren viele Strecken im ländlichen Raum stillgelegt wurden. So schaut es doch aus. Dann ist Schluss mit der „schwäb’sche Eisebahne“. Das ist die Wahrheit, so schaut es aus im ländlichen Raum. ({9}) Als zweiten Punkt möchte ich erwähnen, dass auch Sie Forschung und Wissenschaft im ländlichen Raum erhalten und fördern wollen. ({10}) Dann muss ich Sie fragen: Warum gibt es dann immer noch das seit 1996 existierende und unter Helmut Kohl eingeführte Konzept der Zentralisierung von Ressortforschung? Das haben Sie auch nicht abgeschafft. Stattdessen haben Sie in den vergangenen Wochen bei den Haushaltsberatungen auch noch gesagt, das Bundesinstitut für Risikobewertung komme nicht nach Neuruppin in Brandenburg, also in den ländlichen Raum. Das ist doch unglaubwürdig, was Sie hier machen! ({11}) Dritter Punkt: Sie wollen den Fahrradtourismus und das Fahrradwegenetz erweitern. ({12}) Da frage ich Sie, warum Sie die Mittel dafür im Haushalt gestrichen haben. Das ist doch absurd, wenn Sie das dann hier hineinschreiben. ({13}) Dann geht es noch um das Ehrenamt bzw. die Förderung des Ehrenamtes. ({14}) Sie wollen das Rentenrecht ändern, damit Rentnerinnen und Rentner etwas mehr dazuverdienen können, wenn sie ehrenamtlich engagiert sind. Was ist aber mit den ALG-II-Empfängern? Da wird nämlich bei ehrenamtlicher Tätigkeit das ganze Einkommen voll auf die Bezüge angerechnet. Das könnten Sie auch einmal ändern, das gilt nämlich auch für kommunale Ämter. ({15}) Da tun Sie aber nichts. Diese Menschen haben genauso das Recht, sich ehrenamtlich zu engagieren. ({16}) Dann gibt es noch Forderungen zum Ehrenamt generell, zur freiwilligen Feuerwehr und zum Katastrophenschutz. Da könnten Sie auch einmal etwas ändern, denn ehrenamtliche Tätigkeit - auch bei der Feuerwehr - ist bei Arbeitgebern nicht so gern gesehen und teilweise sogar ein Einstellungshinderungsgrund. Da könnten Sie auch einmal aktiv werden, anstatt hier nur warme Worte zu finden. ({17}) Eines ist wirklich dreist: Was machen Sie, nachdem Sie Ihre über 100 Forderungen aufgestellt haben? - Sie stellen das Ganze ganz unverschämt wegen der Haushaltslage sofort unter Finanzierungsvorbehalt. Man müsse die Konsolidierung berücksichtigen, den Fiskalpakt, 1 Prozent maximal für die EU. Warum stellen Sie denn keine Mittel ein, wenn Sie 100 Vorschläge machen? Sie müssen doch auch sagen, wie Sie die Vorschläge umsetzen wollen! Das ist völlig unglaubwürdig. ({18}) Dann kam noch der absolute Kracher. Da könnte man fragen: Is’ denn heut scho’ Silvester? Sie haben gesagt, einer der Parlamentarischen Staatssekretäre solle Koordinator für die ländlichen Räume werden. Ist das wirklich Ihr Ernst? - In anderen Ländern beschäftigen sich ganze Ministerien mit der Entwicklung des ländlichen Raums. Aber vielleicht ist ja der Parlamentarische Staatssekretär einer der Weihnachtswichtel, die am Nordpol die Geschenke zusammenbauen. ({19}) An der Stelle sage ich Ihnen, Herr Staatssekretär Müller und Herr Staatssekretär Bleser: Ziehen Sie sich schon einmal warm an! ({20}) Für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in der Zivilgesellschaft möchten Sie eine Akademie oder eine Bundesstiftung gründen. Dazu habe ich einen guten Vorschlag an Sie. Anfang September haben die Kollegin Frau Behm und ich im Auftrag des Deutschen Bundestages als Abordnung das 12. Dorfparlament in Schweden besucht. ({21}) Von der FDP, CDU und CSU war leider niemand dabei. Sie hätten dort vor Ort sehen können, dass uns andere Länder Lichtjahre voraus sind. Dort sind über 700 Menschen zusammengekommen, die die Interessen des ländlichen Raumes vertreten und über dessen Anliegen beraten haben. Minister haben sich die Klinke in die Hand gegeben, und die Beschlüsse, die dort gefasst werden, werden direkt in die Ministerien eingespeist. So etwas gibt es in vielen anderen europäischen Staaten. Auch in Deutschland gibt es schon Initiativgruppen, zum Beispiel in Brandenburg. Das sollten Sie unterstützen: ein Dorfparlament und eine Dorfbewegung für zivilgesellschaftliches Engagement in den ländlichen Räumen. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren, es tut mir leid: Ihre Wunschliste ist für die Menschen im ländlichen Raum leider nichts wert. Es bleibt dabei: gute Arbeit, gute Löhne, eine lebenswerte Umwelt und eine öffentliche Daseinsfürsorge, die nicht unter finanziellen und fiskalischen Vorbehalten steht - dafür ist die Linke; das brauchen die Menschen im ländlichen Raum. Warme Worte reichen nicht. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zustimmung schwindet - nicht nur für die FDP, sondern auch für die Union, nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum. ({0}) Da waren die Bauern seit Jahren die treuesten Parteigänger, die die schwarzen Regierungen im Sattel hielten, und nun das: Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen, ({1}) Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein werden rotgrün und Baden-Württemberg gar grün-rot regiert. Das war wohl der Anstoß dafür, in der Koalition mal über eine Strategie für den ländlichen Raum nachzudenken. Dass die Ursachen für die verlorenen Wahlen in der verfehlten Politik der letzten Jahre liegen könnten, ({2}) wurde dabei wohl offensichtlich völlig außer Acht gelassen: verzweifelte Milchbauern, Imker, die ihren Honig nicht vermarkten können, weil Gentechnik drin ist, Mais, soweit das Auge reicht, und Schweine- und Geflügelställe im Fabrikdesign. ({3}) Das ist nicht Schicksal. Das ist auch nicht dem erbarmungslosen internationalen Wettbewerb geschuldet. Das ist einzig und allein Folge einer völlig verfehlten Agrarpolitik und einer fehlenden Strategie für den ländlichen Raum. ({4}) Während manche Medien und große Nahrungsmittelkonzerne mit ihrer Werbung ein romantisches Bild vom Landleben malen, verlassen junge, kreative und flexible Menschen das Land und fliehen in die Städte, Gott sei Dank nicht überall; es werden aber immer mehr. ({5}) Die Ursachen habe ich Ihnen beschrieben. Wer das Land nur als Produktionsstandort für die Agrarindustrie statt als Lebensraum sieht, der stellt von vornherein die Weichen falsch. ({6}) Die grüne Bundestagsfraktion will die Weichen umstellen. Anknüpfend an die rot-grüne Regierungszeit und mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre haben wir an Konzepten für den ländlichen Raum gearbeitet, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen: den Menschen, seinen Lebensraum und seine Lebensgrundlage. Was wir in den letzten Jahren im Detail dazu erarbeitet haben, kann man nachlesen. Ob es unser Handlungskonzept zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung ist oder die Positionierungen zur Gesundheitsversorgung, zur sozialen und technischen Infrastruktur oder zum Tourismus in ländlichen Räumen sind: Sie funktionieren nur mit einem Politikwechsel. ({7}) Nicht mehr Investitionen in Beton, sondern in Köpfe, nicht mehr Alimentierung, sondern Unterstützung für Forschung und Bildung, Innovation und Kooperation, ({8}) nicht mehr Wachsen oder Weichen, sondern Chancen für Gründerinnen und Gründer, auch in der Landwirtschaft. Der Green New Deal soll auch auf dem Land stattfinden. ({9}) Wir haben dafür Maßnahmen vorgeschlagen, und wir haben sie durchgerechnet. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können, wenn wir wieder regieren. Das beweisen Grüne aktuell in den Ländern, in denen sie das Ressort für den ländlichen Raum besetzen. ({10}) Nach den zahlreichen Wahlschlappen in der Vergangenheit hat die Koalition nun auch erkannt, dass sie im ländlichen Raum etwas tun muss. Sie hat im März dieses Jahres eine Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche Räume, regionale Vielfalt“ eingesetzt. Die Kolleginnen und Kollegen haben schnell gearbeitet. Schon heute legen sie einen elfseitigen Antrag zur sofortigen Abstimmung vor. Hut ab vor so viel Selbstvertrauen! ({11}) Elf Seiten und um die 100 Maßnahmen. Wir sehen - hier stimme ich dem Kollegen Süßmair zu - durchaus einige Übereinstimmungen hinsichtlich der Analyse der Situation, auch bei den Herausforderungen und bei den Maßnahmen. Die allerdings haben bei Ihnen meist empfehlenden Charakter und stehen unter Haushaltsvorbehalt. ({12}) Zu so viel Selbstvertrauen hätte auch mehr Mut gepasst. Es mangelt nicht nur an Mut, sondern auch an Ehrlichkeit. ({13}) Interessant ist beispielsweise, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalition die GAK zu einem Förderinstrument für den ländlichen Raum entwickeln wollen. Unseren Antrag dazu haben sie seinerzeit abgelehnt. ({14}) Und: Was soll die Vergabe von Prüfaufträgen bewirken, wenn gehandelt werden muss? Das schnelle Internet für alle bleibt ein Traum, wenn wir uns auf diese Koalition verlassen. Breitband als Universaldienstleistung wie Post und Telefon - also die Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter, einen Anschluss mit einer Bandbreite von vorerst 6 Mbit pro Sekunde bereitzustellen - hätte aus dem Traum Wahrheit werden lassen. ({15}) Unser Antrag hierzu - von Schwarz-Gelb abgelehnt. Heute lehnen wir ab; denn wir brauchen keine Versprechungen, sondern Politik. Politik für die Menschen im ländlichen Raum heute und für die, die dort künftig leben wollen. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ingbert Liebing für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ländlichen Räume in Deutschland stehen vor einer besonderen demografischen Herausforderung. In den nächsten 40 bis 50 Jahren wird Deutschlands Bevölkerung nicht nur älter werden, sondern auch deutlich schrumpfen. 12 bis 17 Millionen Menschen weniger in Deutschland: Das ist die Bevölkerung von ganz Nordrhein-Westfalen oder den neuen Ländern. Alle weg. Menschenleer. Diese Entwicklung findet nicht überall gleichermaßen statt. Während manche Städte, manche Metropolen noch wachsen, drohen ländliche Regionen leerzulaufen. Manche empfehlen ein einfaches Rezept. Die Starken stärken, heißt es oft genug, gerade bei den Sozialdemokraten. Man müsse die Metropolen stärken, und das helfe automatisch dem ländlichen Umland. Oder: Dem ländlichen Raum sei ohnehin nicht zu helfen. ({0}) Das, meine Damen und Herren, kann nicht unsere Antwort sein. Wir haben ein anderes Ziel. Unser Ziel ist es, auch die ländlichen Regionen lebensfähig und zukunftsfähig zu halten. ({1}) Dabei ist das kein Gegensatz zu den Anforderungen, die die Städte an die Politik stellen. Natürlich brauchen wir auch für die Probleme der großen Städte, der Metropolen, passgerechte Antworten auf bevorstehende Veränderungen. Es kann aber auch nicht im Interesse der Städte liegen, wenn die ländlichen Räume ausbluten. Schließlich klagen wir heute schon über steigende Immobilienpreise und steigende Mietkosten in den Städten. Ungesteuerter Zuzug vom Land in die Städte würde diese Probleme in den Städten noch mehr verschärfen. Also ist es doch allemal sinnvoller, den Menschen dort Zukunft zu geben, wo sie heute leben, als sie abzuschreiben. ({2}) Dafür brauchen wir eigenständige Entwicklungsstrategien für die ländlichen Räume. Dazu haben wir mit unserem Antrag und unserem Maßnahmenprogramm einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Entwicklung der ländlichen Räume werden wir nicht allein von der Bundesebene gestalten können. Wichtig sind die Kräfte vor Ort, die wir wecken und unterstützen wollen. Wir brauchen starke Partner vor Ort. Wir brauchen auch die Kommunen als Partner. Sie müssen zunehmend Aufgaben übernehmen, ({3}) gerade im Bereich der Daseinsversorgung, weil der Markt es allein nicht mehr regelt. In vielen Dörfern stellt sich doch heute gar nicht mehr die Frage, ob etwas privat oder kommunal angeboten werden soll. Die private Wirtschaft hat sich schon längst aus manchen Bereichen zurückgezogen. Der Kaufmann im Dorf hat schon lange dichtgemacht, und der Landarzt findet keinen Nachfolger. Aus einem als unattraktiv empfundenen Umfeld ziehen junge Familien weg in die Stadt. Die Folge: keine Kinder, keine Schulen, keine Kindergärten. Dies ist die Teufelsspirale, die wir durchbrechen wollen. Wir wollen alles tun, was möglich ist, um das Leben auf dem Lande zu stärken und attraktiv zu halten. ({4}) Ein Schlüsselthema ist hierbei die Telekommunikation. Wir brauchen schnelles Internet, und zwar überall, auch im kleinen Dorf. Denn gerade dann, wenn Straßen und Schienen nicht direkt vor der Haustür liegen, kommt dem Internet, kommt der Datenautobahn eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2018 Deutschland flächendeckend mit Breitband mit mindestens 50 MBit pro Sekunde zu versorgen. Dieses Ziel wollen auch wir erreichen. Aber dafür braucht es neue Anstrengungen. Viele regionale und kommunale Initiativen haben sich bereits auf den Weg gemacht, und die wollen wir mit zielgerichteten Förderprogrammen noch unterstützen. Ein weiteres zentrales Thema für die ländlichen Räume ist auch die Landwirtschaft, die auch heute noch die Landschaft und die Menschen prägt. Wir wollen gerade jungen Menschen Mut machen, Familienbetriebe fortzuführen. Aber die Landwirtschaft kommt heute auch unter Druck: Siedlungsbau, Verkehrsinfrastruktur, in jüngster Zeit insbesondere die Energiegewinnung auf der Fläche schaffen neue Konkurrenz zur produzierenden Landwirtschaft. Pachtpreise steigen, Eigentümer erzielen höhere Preise durch Verkauf von Ausgleichsflächen als über die Landwirtschaft. Hier wollen wir helfen, indem wir Flächenkonkurrenz abbauen, und wir wollen bei der Ausgleichsthematik mit bundeseinheitlichen Standards und Flächenaufwertung statt Flächenstilllegung der Landwirtschaft Zukunftsperspektiven sichern. ({5}) Die ländlichen Räume dürfen nicht zur Ausgleichsfläche für wirtschaftliche Dynamik in den Städten missbraucht werden. Die ländlichen Räume sind auch Wirtschaftsregion, meine Damen und Herren. ({6}) Gerade die Energiewirtschaft bietet den ländlichen Räumen neue Chancen. Unsere Energiewende bedeutet dezentralere Strukturen bei der Energieerzeugung. Wenn wir das alles gut organisieren, dann bietet dies gerade den Menschen in den ländlichen Räumen neue Chancen der Wertschöpfung. In meiner Heimat in Nordfriesland haben wir das mit den Bürgerwindparks seit inzwischen mehr als 20 Jahren praktiziert. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt; denn so bleibt Wertschöpfung in der Region, und dies steigert die Akzeptanz. Wir haben insgesamt 105 Maßnahmen in unserem Antrag aufgeführt, ein gutes kompaktes Bündel. Nun hat aber auch die SPD-Fraktion einen Antrag vorgelegt. ({7}) Dieser Antrag zeigt jedoch, dass die SPD wenig mit den ländlichen Räumen anzufangen weiß. Das ist eine ganz dünne Suppe, die Sie da servieren, meine Damen und Herren. ({8}) Wenn Ihnen zum Thema Breitband nichts anderes einfällt als ein einziger Satz, Sie aber nicht einen einzigen Vorschlag parat haben, was man denn tun kann, um den Ausbau zu forcieren, dann zeigt das nur Ihre Ideen- und Konzeptionslosigkeit. Wir als Koalition haben uns an die Arbeit gemacht und haben geliefert. Etliche Punkte sind schon im Gesetzgebungsgang über verschiedenste Gesetze. Heute hat der Deutsche Bundestag die Chance, mit dieser Debatte und mit einer klaren Beschlussfassung ein klares Bekenntnis zu den ländlichen Räumen abzulegen. Wir reden nicht nur über dieses Thema, wir handeln auch. ({9}) Tun Sie dies auch, stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann geben wir den Menschen gemeinsam Zukunft auf dem Lande. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Fraktion. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ländliche Räume sind für viele Menschen Heimat und sind Orte der Verwurzelung. Gerade in Zeiten, in denen das Leben immer schneller wird, in denen die Menschen immer mehr dazu gezwungen werden, der Arbeit hinterherzuziehen, ist es besonders wichtig, dass man ländliche Räume stärkt, dass man diese Heimat erhält, dass man Menschen nicht dazu zwingt, von dort wegzugehen, wenn sie von dort nicht wegwollen. ({0}) Wir haben in dieser Debatte ein paar Punkte über die Unterschiedlichkeit von ländlichen Räumen gehört, dass es welche gibt, die mit den Herausforderungen gut umgehen können, die gute Bedingungen haben, und dass es welche gibt, die vor wirklich großen Herausforderungen stehen. Der ländliche Raum ist eben vielschichtig. Auch die Probleme und Herausforderungen, die es dort gibt, brauchen unterschiedliche Antworten. Man muss auch aufpassen, dass man ländliche Räume nicht schlechtredet. ({1}) Ich war vor kurzem bei mir zu Hause in Niederbayern bei einem Hidden Champion, einem kleinen Unternehmer, der aus München in den ländlichen Raum gezogen ist. Er hat gesagt: Ich kann dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. - Das ist toll, das ist schön und das macht Spaß. Das ist eine Stärke von ländlichen Räumen, die man auch hervorheben muss. Ländliche Räume sind attraktiv und bedeuten eben nicht nur Problemfelder. ({2}) Trotzdem gibt es Herausforderungen, denen man sich zuwenden muss. Ich hatte gedacht, dass dieses Thema jetzt endlich ernst genommen würde. ({3}) Die Debatte wurde zunächst innerhalb der Kernzeit angesetzt. Herr Kauder hat gesprochen. ({4}) Es hat sich dann aber mit seinen Kollegen unterhalten und die Debatte nicht mehr weiter verfolgt. ({5}) - Doch, die ganze Zeit hat er geredet; ich habe ihn beobachtet. Außerdem vermisse ich einen Minister hier. ({6}) Am Anfang der Legislaturperiode, 2009, hat die CSU darüber gestritten, welcher Minister die Zuständigkeit für die ländlichen Räume erhalten solle. Ilse Aigner will ich loben; sie ist anwesend. Aber derjenige, der die Zuständigkeit für die ländlichen Räume für sich reklamiert hat, war Dr. Peter Ramsauer. Er hat sogar eine eigene Abteilung für diesen Bereich gegründet, aber er ist heute nicht hier. ({7}) Da frage ich mich schon: Wo bleibt denn da die Wertigkeit für die ländlichen Räume, wenn der Minister, der für sich die Zuständigkeit am lautesten reklamiert hat, in der Debatte heute nicht einmal anwesend ist? ({8}) Sie haben in Ihrem Antrag 105 Forderungspunkte aufgestellt. Die wenigsten davon betreffen den Bund selber. Viele sind einfach nur nette Anregungen und Ideen hinsichtlich geänderter Zuständigkeiten für Länder und Kommunen. Das ist auch schön, das kann man machen. Die spannendste Frage ist jedoch: Was haben Sie denn für die ländlichen Räume in diesen drei Jahren getan, in denen Sie die Verantwortung getragen haben? Was waren Ihre Worte, und was sind Ihre Taten? ({9}) Herr Liebing, Sie haben gerade das Thema „Breitbandausbau“ angesprochen. Das ist wirklich ein großes Problem in ländlichen Räumen. Ich habe einige Pressemitteilungen von Wirtschaftsministern dabei, die für diesen Bereich zuständig waren - angefangen von Glos über zu Guttenberg bis hin zu den FDP-Wirtschaftsministern - und die seit 2007 jedes Jahr eine neue Initiative für den Breitbandausbau ankündigt haben, um den ländlichen Raum mit Breitbandanschlüssen zu versorgen. Dann stellt sich zum Schluss der Herr Brüderle hin und sagt: Die Probleme sind schon gelöst; 98,5 Prozent der Bevölkerung in den ländlichen Räumen haben doch einen Breitbandanschluss. - Ja, aber nur mit 1 Megabit pro Sekunde. Wissen Sie, wie die Realität im Bayerischen Wald ausschaut? Da bin ich schneller, wenn ich meine Daten auf eine CD brenne und sie von Haus zu Haus trage, als wenn ich versuche, sie über das Internet zu verschicken. ({10}) Das ist die Realität in vielen ländlichen Räumen. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Das haben Sie verpennt. Sogar der Herr Kauder hat noch 2012 erklärt: Wenn man die Stromversorgung in den ländlichen Räumen genauso angepackt hätte wie den Breitbandausbau, dann gäbe es heute Tausende von Höfen im Schwarzwald, die noch mit einer Kerze für Licht sorgen müssten, weil sie keine Stromversorgung haben. ({11}) Das ist ein Zitat von Herrn Kauder, das Sie nachlesen können. Da hat er recht. Dort, wo Sie Verantwortung getragen haben für ländliche Räume, haben Sie versagt. Ein weiterer Punkt: Stärkung der Kommunen. Nehmen Sie die Städtebauförderung. Sie haben einen Extratopf für ländliche Räume geschaffen. Das schaut zunächst gut aus. Aber wenn man sich einmal ansieht, wohin die Mittel fließen, dann erkennt man: 40 Prozent der Mittel für Städtebauförderung gehen wie bisher in ländliche Räume. Aber diese Regierung hat im Vergleich zu sozialdemokratisch geführten Bauministerien die Städtebauförderung um 120 Millionen Euro gekürzt. Das heißt: Unter dem Strich steht heute weniger Geld für ländliche Räume zur Verfügung, obwohl es jetzt einen eigenen Topf dafür gibt. Das ist Voodoo-Ökonomie, aber keine Unterstützung für ländliche Räume, die eine solche dringend benötigen. ({12}) Viele Menschen wollen gerne in den ländlichen Räumen wohnen bleiben, müssen aber leider ihren Arbeitsplätzen hinterherziehen. Was ist die Antwort des Bundesverkehrsministers, der heute nicht da ist? Seine glorreiche Idee seit über drei Jahren ist eine Pkw-Maut, die die Pendlerinnen und Pendler insbesondere in den ländlichen Räumen, die lange Wege zur Arbeit in Kauf nehmen, zusätzlich bestrafen würde. Wir müssen aber doch die Menschen unterstützen, die in der Heimat bleiben wollen und dafür lange Wege zur Arbeit auf sich nehmen. Man darf sie doch nicht noch zusätzlich bestrafen. Das ist aber Ihre Idee. ({13}) Wenn wir uns mit Problemregionen beschäftigen und mit der Frage, was man gegen diese Probleme tun kann, dann ist der Dreh- und Angelpunkt die Verbesserung der Infrastruktur, zum Beispiel der Ausbau bei der Breitbandversorgung. Außerdem stellt sich die Frage, wie es mit Arbeitsplätzen aussieht. Wenn man heute Fachkräften einen Arbeitsplatz anbietet, muss man ihnen, um sie zu gewinnen, auch eine gute Kinderbetreuung bieten. ({14}) Wenn die Kinderbetreuung nicht gut ist, dann gewinnt man auch keine Fachkräfte. Es geht also um die Kinderbetreuung, um Fachhochschulen und Universitäten. Wir müssen die Bildung wieder in die ländlichen Räume tragen ({15}) und dürfen nicht alles in den Metropolen bündeln. Mit Ihrem Betreuungsgeld nehmen Sie aber wieder einen Anschlag auf die ländlichen Räume vor; denn damit verschlechtern Sie die Infrastruktur in den Bereichen Bildung und Kinderbetreuung. ({16}) Damit erweisen Sie den ländlichen Räumen wieder einen Bärendienst. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition, Sie werden im nächsten Jahr mit der Kanzlerin einen großen Kongress durchführen, um das Thema ländliche Räume gemäß seiner Wichtigkeit zu behandeln. ({17}) Wenn Sie diesen Kongress so wichtig nehmen wie die heutige Debatte, dann können Sie ihn gleich absagen. ({18}) Nehmen Sie das Thema ernst! Bieten Sie echte Lösungen an, nicht nur 105 Punkte aus dem Wolkenkuckucksheim! ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Volker Kauder.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Pronold, ich habe ja für vieles Verständnis; aber Sie müssen den Frust, den Sie wegen Ihrer SPD in Bayern haben, nicht hier abreagieren. ({0}) Kümmern Sie sich erst einmal um Ihre eigenen Sachen. Ich wollte nur eine Bemerkung zu einem total falschen Satz von Ihnen machen. Jemandem, der einen so falschen Satz in seiner Rede sagt, kann man unterstellen, dass auch der Rest nicht richtig ist. Sie haben nämlich geäußert, dass dort, wo wir für ländliche Räume Verantwortung getragen hätten, nichts passiert sei. Es ist nun einmal Fakt - das bestreiten nicht einmal die Sozis -, dass wir in Baden-Württemberg unter der CDU-geführten Landesregierung eine super Politik für ländliche Räume gemacht haben; das Gleiche gilt für Bayern. ({1}) - Hören Sie einmal zu; es wird noch besser. - Jetzt haben Sie das große Problem, dass der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der ein Sozi ist, gesagt hat, es sei für die ländlichen Räume völlig wurscht, „ob es einen Bauern mehr oder weniger“ gebe. Er hat damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Dort, wo Sozialdemokraten über die Entwicklung von ländlichen Räumen entscheiden, geht es so aus wie in Baden-Württemberg: verheerend, furchtbar. Die Sozialdemokraten im ländlichen Raum schämen sich für den stellvertretenden Ministerpräsidenten, der Mitglied der Sozialdemokraten ist. - So viel zur Verantwortung für ländliche Räume. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Pronold, wollen Sie darauf reagieren? - Bitte schön.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kauder, wenn Sie anderen vorwerfen, dass sie falsch zitieren, sollten Sie selber richtig zitieren. Ich habe hier gesagt, dass Sie dort, wo Sie auf der Bundesebene für ländliche Räume Verantwortung tragen - das habe ich an mehreren Beispielen deutlich gemacht -, das Gegenteil gemacht haben: Sie haben in der Städtebauförderung die ländlichen Räume benachteiligt. Sie haben bei der Breitbandversorgung der ländlichen Räume versagt; das ist so. ({0}) Das gilt auch für viele andere Bereiche. Nehmen Sie die Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, also die Mittel für den ÖPNV im ländlichen Raum: Die Zuschüsse werden jetzt um die Hälfte gekürzt. Das wird in den nächsten Jahren in den ländlichen Räumen Katastrophen auslösen, und dafür tragen Sie die Verantwortung. Ich kenne mich mit den Details zu Baden-Württemberg nicht so gut aus wie Sie. Aber ich kann Sie bitten, die Kollegen von der CSU zu fragen - Herr Hinsken sitzt dort -, was Herr Seehofer mit der von ihm initiierten „Zukunftskommission Landwirtschaft“ ausgelöst hat. Er hat in diesem Zusammenhang genau das gefordert, was uns Herr Liebing fälschlicherweise vorgehalten hat; er hat nämlich gefordert, die Starken zu stärken. Damit hat er einen Proteststurm in Niederbayern und im ganzen ländlichen Raum ausgelöst. Herr Seehofer musste extra fünf Stunden mit den Menschen dort sprechen, um die Gemüter zu beruhigen. Er hat dort einen großen Forderungskatalog entgegengenommen, aber nichts davon ist umgesetzt. Insofern gilt: Nicht reden, sondern handeln! An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Deswegen sage ich: Machen Sie doch hier kein großes Buhei, sondern sorgen Sie dort, wo Sie die Verantwortung tragen, dafür, dass wirklich etwas für die Stärkung ländlicher Räume getan wird. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Edmund Geisen für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Die Bedeutung der ländlichen Räume ist unschätzbar groß, und zwar viel größer als gemeinhin angenommen. Herr Pronold, Sie haben gesagt, dass Sie hier einige Minister vermissen. Ich möchte Ihnen sagen: Ich vermisse Ihren Fraktionsvorsitzenden und sogar Ihren Kanzlerkandidaten. ({0}) - Wenn Sie dem Thema eine entsprechende Bedeutung beimessen, dann lassen Sie mich das ebenfalls tun. Herr Pronold, ich muss Sie korrigieren: Die schwarzgelbe Regierung hat das getan, was Sie eben zu vermissen meinten. Sie hat ein Städtebauprogramm für Gemeinden und Kleinstädte aufgelegt, das bereits wirkt. Das wussten Sie anscheinend noch nicht. ({1}) Es ist beispielhaft und zukunftsweisend, dass der ländliche Raum durch den vorliegenden Antrag der christlich-liberalen Koalition deutlich wie nie zuvor in den Fokus gerückt wird. Wir setzen mit diesem Antrag die Rahmenbedingungen für eine gute Zukunft. Wir haben nicht wie andere Fraktionen schnell einen Antrag geschrieben, wie Herr Süßmair oder wer auch immer es eben erwähnte. ({2}) Wir haben seit dem Frühjahr 2012 in vielen Sitzungen mehr als 40 oder 50 Experten angehört. Ich weise die Unterstellung zurück, dass wir nicht sorgfältig gearbeitet hätten. ({3}) Die ländlichen Räume sind für mich die Stützpfeiler und das Rückgrat unserer Gesellschaft. ({4}) In funktionierenden ländlichen Räumen kann man noch von einer intakten Gesellschaft sprechen. Hier übernehmen die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung und zeigen großes ehrenamtliches Engagement. In den ländlichen Räumen, die ich gut kenne, ist das so. ({5}) Kurz gesagt: Die sozialen Probleme dort sind gering, es gibt keine sozialen Brennpunkte und weniger Arbeitslose. Die Sozialbudgets werden hier am geringsten belastet. Immerhin wohnen mehr als 50 Prozent unserer Bevölkerung in den ländlichen Räumen. Funktionierende ländliche Räume müssen attraktiv bleiben, um einer Ausdünnung der Bevölkerung entgegenzuwirken. Das heißt, die Multifunktionalität - Stichworte dazu sind: Nahrungsmittel- und Energieproduktion, Wirtschaftsfaktor, Erholungsgebiet, Klimaschutz usw. - muss erhalten bleiben. Die Landwirtschaft mit ihren vor- und nachgelagerten Bereichen muss prosperierend bleiben und zukunftsfähig sein. Mittelstand und Tourismus sind zu erhalten und zu stärken. Die Daseinsvorsorge ist selbstverständlich attraktiv und zukunftsfähig auszugestalten. Die Infrastruktur - Breitband, Schienen- und Straßenverkehr - muss gleichwertig mit der der Städte zukunftsgerecht ausgebaut werden. Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung wird in Zukunft die wichtigste Anforderung an die ländlichen Räume sein. ({6}) Lassen Sie mich das als Agrarier unserer Fraktion sagen. Deshalb müssen wir besonders darauf achten, dass keine weiteren wertvollen Flächen mehr aus der Produktion genommen werden. ({7}) Deshalb wendet sich meine Fraktion klar gegen die unsinnigen Greening-Beschlüsse aus Brüssel, die uns bisher vorliegen. ({8}) Auch wir von der FDP-Fraktion plädieren schon lange eindeutig dafür, dass im Bundesnaturschutzgesetz das Ersatzgeld als gleichrangige Kompensationsmaßnahme für den Flächenausgleich zu verankern ist. ({9}) Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, dass die Symbiose von Land und Stadt erhalten und zukunftsfest gemacht wird. Sie wissen, wovon ich spreche: Die Städte geben dem Land etwas, das Land gibt den Städten etwas. Statt für eine stetige Vergrößerung der Ballungsgebiete zu sorgen, sollten wir aus meiner Sicht vielmehr dafür sorgen, dass die Menschen in attraktiven ländlichen Gebieten wohnen bleiben. ({10}) Dies dient der gebotenen Entzerrung und hat mit gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorteilen zu tun, auch rechnerisch. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident, für diesen Hinweis. Gestatten Sie mir noch einen Satz. Bei der Zukunftsplanung - das merken Sie heute besonders - drückt die christlich-liberale Koalition auf das Tempo. Mit dem vorliegenden Antrag „Zukunft für ländliche Räume - Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“ haben CDU/CSU und FDP den Grundstein gelegt. Erste Schritte zur Umsetzung sind übrigens schon gemacht worden: beim Ehrenamt, im TKG und im Baugesetzbuch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie wollten doch nur einen Satz sagen.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident, was wir hier machen, ist Zukunftspolitik. Deswegen kam ich nicht ganz so schnell zum Schluss. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das ist jetzt aber wirklich der letzte Satz.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist Zukunftspolitik der christlich-liberalen Koalition. Ich bin sicher, dem können alle zustimmen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Liebing, Sie haben mit Ihrem Antrag und gerade mit Ihrer Rede gezeigt, dass Sie ein paar grundlegende Sachen noch nicht verstanden haben. Sie reden über Städte und über ländliche Räume. So einfach ist das aber nicht. Mit einem einfachen Schwarz-Weiß-Bild lassen sich ländliche Räume und Raumentwicklung nicht mehr beschreiben. ({0}) Wir haben Siedlungsbereiche; wir haben Ballungsbereiche. Schrumpfende und wachsende Regionen liegen oft nur ein paar Kilometer auseinander. Sie polarisieren hier beim Thema ländlicher Raum. Das, was Sie sagen, entspricht aber nicht mehr der Realität in unserem Land. ({1}) Da Sie den Raumordnungsbericht hier angehängt haben, könnte man denken, dass Sie es verstanden haben; denn die Raumordnung ist das Instrument, mit dem Sie steuernd eingreifen können. Mit diesem Instrument können Sie versuchen, die Vorgabe des Grundgesetzes, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, umzusetzen. Sie können Raumordnungspläne für die Bereiche Energie, Mobilität und Wohnen erstellen. Das machen Sie aber nicht. Sie bleiben bei Ankündigungen stehen, auch in diesem Antrag. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, habe ich gedacht, er kommt von der anderen Seite des Parlaments. ({2}) - Ich habe uns alle von der Opposition damit gemeint. Er enthält viele schöne anerkennende Worte, Sie machen aber nichts. Sie reden über die Städtebauförderung, die Sie auf hohem Niveau halten wollen. Ihr Minister kürzt die Mittel aber. Sie sagen, das Programm „Altersgerecht Umbauen“ solle verstetigt werden, der Mittelansatz solle erhöht werden, und das Programm solle auch für den Bereich der öffentlichen Gebäude Anwendung finden. Ihr Minister hat das Ganze aber schon wieder auf null gesetzt. ({3}) - Natürlich! Das Ganze ist in den Haushaltsdebatten auf null gesetzt worden. Erzählen Sie hier doch nicht irgendwelchen Unsinn. In Ihrem Antrag steht, dass im Bundesverkehrswegeplan auch die ländlichen Räume berücksichtigt werden. Sagen Sie das doch einmal Ihrem Minister. Der geht streng nach dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit vor. ({4}) Entflechtungsgesetz, ÖPNV im ländlichen Raum - geben Sie Geld dazu. Erzählen Sie uns doch nicht das Gegenteil. Genau das Problem haben wir hier: Dieser Antrag enthält viele Ankündigungen. Das ist vielleicht ein Wünschdir-was-Wahlprogramm für Niedersachsen, aber kein Antrag, der dem Anspruch einer Regierung entspricht, die handeln kann. ({5}) - Zwei Minuten, das reicht für Sie. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Marlene Mortler für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An Ihre Adresse, Herr Pronold, sage ich - das gilt aber auch für meine Vorrednerin, Frau Herlitzius -: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Bayern heute an der Spitze steht, ({0}) und zwar ohne Mithilfe der SPD. An der Spitze wollen wir auch bleiben. ({1}) Ich bin im ländlichen Raum geboren, dort aufgewachsen, und ich stehe zum ländlichen Raum. - Dieser Satz könnte von mir stammen, aber er stammt von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. ({2}) Ich bin stolz, dass wir diese Debatte heute nicht nur eröffnen, sondern auch deutlich machen, dass wir die ländlichen Räume schätzen. Für uns sind sie ein wertvolles Stück Deutschland mit wunderbaren Menschen. Was sagt Kanzlerkandidat Steinbrück, der heute abwesend ist, dazu? ({3}) Ich zitiere aus der FAZ vom Sonntag. Dort wird Steinbrücks Haltung zum ländlichen Raum wie folgt wiedergegeben: Die Cleveren gingen da weg, sagt er, das seien die Frauen. Bleiben würden nur die doofen Männer. „Die Frauen sagen: Ich gehe dahin, wo die besseren Jobs sind und außerdem sind mir die hiesigen Knacker eh zu blöd.“ ({4}) Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Ich stimme damit überein, dass es nicht den ländlichen Raum gibt. Aber die Hälfte der Menschen wohnt dort. Offenbar haben Ihr Kanzlerkandidat und Sie den ländlichen Raum schon abgeschrieben. Offenbar mangelt es Ihnen auch an Respekt vor der Lebensleistung der Menschen im ländlichen Raum. ({5}) Deshalb lautet mein dringender Rat: Schärfen Sie Ihren Blick auch für Themen jenseits der Finanzmärkte! Bevor nämlich mit Lebensmitteln an der Börse spekuliert wird - das ist sicher ein Thema, über das man reden muss -, werden sie immer noch produziert, und das passiert Gott sei Dank noch immer in der realen Welt durch unsere Bauern und Bäuerinnen. ({6}) Dafür gebührt ihnen Respekt und Anerkennung. Wir können in unserem Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Essen und Trinken. ({7}) Deshalb ist für mich jeden Tag Erntedank. Wir brauchen unsere Bauern als Garant für hochwertige und vielfältige Lebensmittel und als Garant für regionale Produkte, ({8}) aber auch als Garant für eine einmalige, vielfältige und gepflegte lebens- und liebenswerte Kulturlandschaft. ({9}) Frau Behm, in der Opposition kann man natürlich alles versprechen. ({10}) Es ist aber schon dreist, wenn Sie hier so tun, als könne man die Gemeinsame Agrarpolitik zurückdrehen. Es ist vielmehr so: Die Agrarpolitik ist die einzige vergemeinschaftete Politik in Europa. Wir wollen, dass das auch so bleibt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der SPD-Fraktion?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will erst meine Rede beenden. ({0}) Wir wollen konkret eine Imagekampagne pro Landwirtschaft starten. Warum? Hier reden Sie positiv über die Landwirtschaft. In den nichtöffentlichen Ausschüssen und anderswo schimpfen Sie über die Landwirte und nennen sie „Massentierhalter“ und „Umweltverschmutzer“. ({1}) Die Schlachtbetriebe, die Sie erwähnt haben, liegen in den Ballungsräumen. ({2}) Also sind hier eher die Städte gefordert als der ländliche Raum. Pro Landwirtschaft heißt für uns: Mehr Nachwuchs für landwirtschaftliche Familienbetriebe. Das heißt aber auch: Mehr Akzeptanz und Aufklärung innerhalb unserer Bevölkerung. ({3}) Der Kollege Liebing hat angesprochen, dass wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern das sogenannte Grundstücksverkehrsgesetz anpassen müssen. Warum? Es ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, dass das Vorkaufsrecht zugunsten aktiver Land- und Forstwirte weiter gestärkt wird und dass sie noch vor Investoren und Grundstückskäufern zum Zuge kommen. Das ist eine absolute Zukunftsfrage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Behm?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich will erst meine Rede beenden. ({0}) Ich darf zum Schluss kommen. Zur Energie ist schon viel gesagt. Ich sage noch: Der ländliche Raum ist der Schauplatz der Energiewende. Uns ist der Rohstoff Holz auch deshalb wichtig, weil er einen großen Beitrag zur Biomasse und damit zur Energiewende, aber auch zur Wertschöpfung in den ländlichen Räumen leistet. Sie reden immer über Mais; das ist ein Kampfthema für Sie. Mais ist für uns die Pflanze, die die meiste Energie liefert. Mais ist ein Superfuttermittel und eine Pflanze, die am meisten CO2 speichert, nämlich mehr, als dies 1 Hektar Buchenwald könnte. In meinem Landkreis beträgt der Anteil der Waldfläche 50 Prozent. Kein Mensch käme auf die Idee, im Zusammenhang mit Wald von „Verwaldung“ zu sprechen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb wollen wir hier als Reaktion auf den Klimawandel ein Forschungsprojekt für holzstandortgerechte Baumartenwahl auf den Weg bringen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß, Herr Präsident.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Na, dann machen Sie es doch auch. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich schließe mich den Worten von Herrn Geisen an: Wenn es um die Zukunft geht, dann lassen wir uns von niemandem übertreffen. Ländliche Räume brauchen und haben Zukunft. Die besten Zukunftsaussichten haben sie mit der Politik der christlich-liberalen Koalition. Wir sorgen dafür, dass Stadt und Land im Gleichgewicht bleiben. - Herr Präsident, ich bitte vielmals um Entschuldigung. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich bin mir nicht sicher, ob es so wichtig war, auch noch den letzten Satz abzulesen, und ob alle gleichermaßen davon begeistert sind. ({0}) Das Wort zu einer Kurzintervention hat Florian Pronold.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Mortler, ein Tipp: Wir wollten mehrere Zwischenfragen stellen, die Ihre Redezeit unheimlich verlängert hätten. ({0}) Vielleicht wäre es das nächste Mal ganz klug, die Zwischenfragen zuzulassen. Erstens. Ich will im Zusammenhang mit dem Thema Schlachthöfe auf Folgendes hinweisen: Schauen Sie sich zum Beispiel die Probleme und die Arbeitsbedingungen an, die beim Schlachthof in Waldkraiburg herrschen. Hierbei handelt es sich nicht um einen Schlachthof in einer Metropolregion. Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle aufgrund meiner bayerischen Kenntnis sagen. Zweitens. Wenn Sie den ländlichen Raum ernst nehmen, dann würde ich Sie einmal einladen, mit mir dorthin zu gehen. Kommen Sie nach Niederbayern, kommen Sie in den Bayerischen Wald, und reden Sie dort mit Unternehmern und mit Landwirten, zum Beispiel über die Politik auf der Landesebene, die für ungleiche Lebensverhältnisse in Bayern gesorgt hat. In keinem anderen Flächenstaat in Deutschland sind die Lebensbedingungen der Menschen und die wirtschaftlichen Bedingungen so unterschiedlich wie in Bayern. Bayern geht es gut. Darüber freue ich mich. Es gibt dort viele Dinge, die positiv sind. Aber kommen Sie einmal mit zu den Menschen, und hören Sie gerade den Menschen im ländlichen Raum zu. Sie werden Ihnen sagen, wo die Probleme liegen. Das betrifft die Bereiche Kinderbetreuung, Fachhochschulstruktur und Bildung sowie Fragen des Internetzugangs, der Hausärzteversorgung usw. Sie können nicht einfach sagen, dass dort alles gut ist. Es gibt dort eine Menge Herausforderungen, auf die Sie heute keine Antwort gegeben haben. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Mortler, Sie können reagieren.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pronold, mit den Menschen zu reden, das ist für mich nicht nur Daueraufgabe, sondern auch Dauerzustand. Ich bin regelmäßig im Land unterwegs, vor allem im ländlichen Raum. Seien wir ehrlich: Wir fangen ja nicht bei Adam und Eva an. Unser Ziel mit diesem Antrag heute ist, Lücken und Defizite, die es dort gibt, im positiven Sinne zu korrigieren. Noch einmal: Bayern ist und bleibt an der Spitze, wenn es um die wirtschaftliche und die Arbeitsmarktentwicklung geht. Wenn Sie sich ab und zu an dieser Landesregierung ein Beispiel nehmen, können Sie eigentlich gar nichts falsch machen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/ CSU-Fraktion.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pronold, ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie können mir eines glauben: Unsere Menschen würden sich einen Entwicklungsstand der ländlichen Regionen wie in Bayern wünschen. ({0}) Sechs Jahrzehnte zuvor war Bayern das rückständigste Agrarland in Deutschland. ({1}) Heute ist es an der Spitze. Ihre Sorgen, Herr Pronold, möchten wir in Mecklenburg-Vorpommern wirklich einmal haben. ({2}) Herr Kollege Süßmair, für die Länder und Kommunen in Deutschland ist und war in den letzten vier Jahren Weihnachten. Denn wir als CDU/CSU- und FDP-Koalition haben dafür gesorgt, ({3}) dass die Länder in den Jahren 2010 bis 2013 36 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen hatten bzw. haben werden. ({4}) 36 Milliarden Euro in vier Jahren, das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Die Kommunen werden in diesem Zeitraum ein Mehr an Steuern von 15 Milliarden Euro haben. Zusammengerechnet sind das 51 Milliarden Euro, die durch unsere gute Politik in Länder und Kommunen transferiert werden. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rehberg, ich bewundere ja die Zahlen, die Sie genannt haben, und die Tatsache, dass Sie dafür gesorgt haben, dass so viel Liquidität in die Länder und Kommunen geflossen ist. Aber wie bewerten Sie denn die Situation in Niedersachsen - vor zehn Jahren hat man die Verbundquote im kommunalen Finanzausgleich geändert; das hat dazu geführt, dass in zehn Jahren pro Jahr ungefähr 300 Millionen Euro nicht in den kommunalen Finanzausgleich und an die Kommunen geflossen, sondern beim Land verblieben sind - und den Umstand, dass die Kassenkredite der Kommunen vom Beginn des Haushaltsjahres 2003 bis zum 30. Juni des Haushaltsjahres 2012 von 2 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro gestiegen sind?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wenn ich die Situation in meinem eigenen Heimatland, wo SPD und CDU gemeinsam regieren, betrachte, muss ich sagen: Die Finanzzuweisungen sind massiv gesunken, die Steuereinnahmen aber massiv gestiegen. Ich, der ich 15 Jahre Landespolitik gemacht habe, weise immer wieder darauf hin: Egal in welcher parteipolitischen Konstellation ein Land regiert wird, entscheidend ist, dass die Steuermehreinnahmen, die der Bund durch seine Politik generiert - die Steuerhoheit hat nämlich der Bund -, letztendlich auch bei den Kommunen ankommen. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich finde, eine der wichtigsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode war, dass wir dafür gesorgt haben, dass der Bund bei der Grundsicherung im Alter die Lasten der Kommunen übernimmt. ({0}) Noch einmal: Der Bund übernimmt die Lasten der Kommunen. ({1}) Ich kann Ihnen Bundesländer mit Regierungen jeglicher politischer Couleur nennen, in denen von den dafür vorgesehenen 4,5 Milliarden Euro nicht alles bei den Kommunen landet. Manche Länder haben klebrige Finger. ({2}) Ein weiteres Beispiel. Ich finde es gut, dass Frau Ministerin Schröder so sehr dafür gekämpft hat, dass die 580 Millionen Euro, die für den Krippenausbau zur Verfügung gestellt werden, von den Ländern verbindlich zu diesem Zweck eingesetzt werden müssen. So lässt sich verhindern, dass dieses Geld irgendwo in einem Landeshaushalt verschwindet und die Mittel für den Krippenausbau nicht bereitgestellt werden. Denn wir haben eine Absprache getroffen: Ein Drittel der Kosten des Krippenausbaus trägt der Bund, ein Drittel tragen die Länder und ein Drittel die Kommunen. Wenn Sie sich die Situation in den Ländern ansehen, können Sie feststellen, wie viel von diesem Geld letztendlich wirklich bei den Kommunen angekommen ist. Die Länder machen sich hier oft einen schlanken Fuß, Herr Kollege. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Kelber? ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben gerade über die Grundsicherung im Alter und die mit der getroffenen Regelung einhergehende Entlastung der Kommunen gesprochen. In der Tat wird es zu einer schönen Entlastung kommen. Meine Heimatstadt Bonn zum Beispiel ({0}) wird dadurch um fast 20 Millionen Euro im Jahr entlastet. Meine Frage an Sie lautet: Lügen denn die deutschen Journalisten, wenn sie im Zusammenhang mit diesem Thema berichten, dass die gefundene Regelung das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat war und dass die Regelung, dass der Bund die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter übernimmt, dort von den SPD-regierten Bundesländern vorgeschlagen wurde und Ihnen abgerungen werden musste? ({1})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kelber, Sie sind gut, wenn es darum geht, Märchen zu erzählen und Legenden zu bilden. ({0}) Ich habe das ganz anders in Erinnerung. Das war eine Initiative von CDU, CSU und FDP. ({1}) - Ja, klar. Das waren der Herr Kollege Kauder, die Frau Hasselfeldt und der Herr Kollege Brüderle, und das waren unsere Fraktionen. ({2}) Es wäre, glaube ich, besser - ehe wir uns über Märchen und Legenden unterhalten -, wenn Sie mit dafür sorgen würden, dass auch in dem Land, aus dem Sie kommen, das Geld bei den Kommunen ankommt und die Landesregierung keine klebrigen Finger bekommt. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Hinsken. Wollen Sie sie gestatten?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das ist dann aber die letzte Zwischenfrage, die ich diesem Redner zumute. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Rehberg, Sie haben einige Persönlichkeiten genannt, die sich speziell dafür eingesetzt haben, dass wir eine akzeptable Regelung zur Grundsicherung im Alter hinbekommen haben. Einen Namen haben Sie aber vergessen - derjenige, den ich meine, war allerdings ausschlaggebend, weil er diesen Vorschlag eingebracht hat -: den des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. ({0}) Ich möchte Sie bitten, unseren sozialdemokratischen Freunden ins Gedächtnis zu rufen, dass sich die Bayerische Staatsregierung - das zeigt sich an dieser Maßnahme, aber auch an verschiedenen weiteren Maßnahmen - in Sachen ländlicher Raum von niemandem übertreffen lässt, ({1}) dass verschiedene Teile Bayerns vom Armenhaus Deutschlands zu einer Spitzenregion Europas geworden sind - das gilt zum Beispiel für meinen Wahlkreis ({2}) und dass die SPD in den Teilen Bayerns, die in wirtschaftlicher Hinsicht so gut dastehen, bei Wahlen 9 bis 10 Prozent bekommt. Herr Kollege Pronold, kommen Sie einmal dorthin und erklären Sie den Leuten, dass Sie es besser machen wollen. Vielleicht bekommen Sie dann 1 oder 2 Prozentpunkte mehr; aber das bezweifle ich. ({3})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hinsken, ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich für die Sachdarstellung bedanken. Ich habe dem überhaupt nichts hinzuzufügen. Herzlichen Dank! ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelegentlich meint der eine oder andere - die Linken, die Grünen -, es sei genug in Beton investiert. Dann kommt immer wieder das Thema: Wir brauchen keine Räume mehr zu erschließen. Ich komme aus einem Land, das 1939 von 1 Million Menschen bewohnt war. Nach Kriegsende waren es 2 Millionen, 1989, zur Wende, knapp 2 Millionen, und heute sind es 1,6 Millionen. Wenn nicht zu Beginn der 90er-Jahre Entscheidungen gefällt worden wären, bei denen die Erschließungsfunktion des Raumes eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat, dann hätten wir erstens nicht die A 20, die Lebensader von Mecklenburg-Vorpommern, ({1}) zweitens würde keine A 14 gebaut werden, und drittens würden wir heute nicht die B 96 nach Rügen bauen. Deswegen sage ich für mein Land ganz deutlich - dies ist eines der wichtigsten Teile unseres Antrages -, dass die Erschließungsfunktion bei zukünftigen Infrastrukturplanungen eine ganz wesentliche Rolle spielen muss. ({2}) Wenn ich den gesamten norddeutschen Raum betrachte, stelle ich fest: Viele Infrastrukturanbindungen führen durch Räume, die nicht so hoch verdichtet sind wie die in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Aber dies sind Anbindungen an die Seehäfen, und die Seehäfen haben nationale Bedeutung. ({3}) Deswegen darf man im Zusammenhang mit Infrastruktur nicht kurzfristig oder kleinkariert diskutieren, sondern muss in größeren Dimensionen denken. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns wurde immer wieder der Vorwurf gemacht, wir investierten nicht in Forschung und Bildung. Wir werden in diesen vier Jahren insgesamt 13,3 Milliarden Euro für Bildung und Forschung ausgeben. Wir haben uns 12 Milliarden Euro vorgenommen. Ich kann Ihnen Dutzende Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern nennen, wo gerade benachteiligte Jugendliche in Jugendschulen, in Produktionsschulen, bei Bildungsträgern gefördert werden. Es gibt bei jungen Menschen eine Quote von 14,4 Prozent, die ihren Schulabschluss aus unterschiedlichen Gründen nicht schaffen. Sie werden dort herangeführt. Es ist gerade für den ländlichen Raum wichtig, dieses Segment zu fördern; denn uns fehlen Arbeitskräfte. Uns fehlen im ländlichen Raum mittlerweile nicht nur Fachkräfte, sondern auch Arbeitskräfte. Der ländliche Raum wird nur dann eine Zukunft haben, wenn wir dieses Problem der demografischen Entwicklung bewältigen. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss ein kommunales Problem ansprechen. Ich wohne in einer Stadt, die flächenmäßig die drittgrößte in Mecklenburg-Vorpommern ist: 4 700 Einwohner, 28 Ortsteile, nur noch ein Bürgermeister; dies ist eine freiwillige Entscheidung von acht Altgemeinden Ende der 90er-Jahre. ({6}) Meine Erfahrung in den letzten 22 Jahren ist: Dort, wo Menschen keinen Bezug mehr zu Verantwortung haben, wo sie sich nicht zur Übernahme eines Ehrenamtes in die Pflicht genommen fühlen, brechen viele Dinge auseinander. ({7}) Das, was bei uns früher der ehrenamtliche Bürgermeister gemacht hat, muss heute die Verwaltung tun. Deutschland ist seit vielen Jahrzehnten - seit 1806, Freiherr vom Stein - gerade auch vom Ehrenamt geprägt. Dies ist nicht mit Geld zu bezahlen. Deswegen sind die sozialen Strukturen im ländlichen Raum, wo der Bezug der Menschen zueinander viel stärker ausgeprägt ist als in den Städten, deutlich besser. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11654 mit dem Titel „Zukunft für ländliche Räume - Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Ko- alitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Opposi- tionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkte 3 b und 3 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11031 und 17/8360 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Über- weisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- tel „Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Ener- giewende“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 17/11672, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9583 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Ko- alitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Gustav Herzog, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung des Bundes und ein moder- nes Wasserstraßenmanagement - Drucksachen 17/9743, 17/11592 - Berichterstattung:- Abgeordneter Matthias Lietz b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren - Drucksachen 17/4030, 17/5548, 17/5056, 17/8330 Berichterstattung:Abgeordnete Matthias LietzTorsten Staffeldt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann. ({2})

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist die Reform der Wasserund Schifffahrtsverwaltung hier im Deutschen Bundestag das Thema. Ich nutze diese Gelegenheit, um zuallererst den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sehr herzlich für ihre hervorragende Aufgabenerfüllung zu danken. ({0}) Mit Nord- und Ostsee sind wir Anrainer eines der am meisten befahrenen Schifffahrtsgebiete der Welt. Sehr viel Verkehr herrscht auch auf den deutschen Binnenwasserstraßen. Es läuft dort alles sehr problemlos, sehr geordnet, so wie wir uns das wünschen. Dafür tragen die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Verantwortung, und sie machen das sehr gut. Wir haben zu diesem Thema eine Reihe von Anträgen der Oppositionsfraktionen zu beraten. Dazu muss man feststellen, dass die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, wie wir sie vorgeschlagen haben, im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, im Haushaltsausschuss ebenso, mit der Maßgabe, die Reform umzusetzen, die Kosten- und Leistungsrechnung schneller einzuführen und die Ämterstruktur bei der Trennung von Verkehrsämtern einerseits und Bau- und Unterhaltungsämtern andererseits noch einmal zu überprüfen. Das werden wir tun. Warum eigentlich haben wir diese Reform gemacht? ({1}) Seit über 20 Jahren wird über eine Reform diskutiert. Passiert ist leider nichts, ({2}) außer dass viele Gutachten in Auftrag gegeben wurden und es viele Diskussionen gegeben hat. Keiner der Vorgängerverkehrsminister hatte den Mut, diese Reform anzugehen, weil sie in der Tat eine nicht ganz einfache Reform darstellt. Insofern wundere ich mich, lieber Uwe Beckmeyer, dass diejenigen, die viele Jahre Verantwortung getragen haben, diejenigen, die es nie geschafft haben, eine solche Reform ins Werk zu setzen, jetzt als die größten Kritiker auftreten. ({3}) Sicherlich kann man das eine oder andere kritisieren. Man kann über das eine oder andere immer diskutieren. Das ist ja keine feststehende Reform, sondern sie wird sich bis 2020 entwickeln. Und keiner von uns behauptet, dass alles, was wir gemacht haben, schon richtig ist. Aber jahrelang gar nichts gemacht zu haben, ({4}) alles verschlafen zu haben und dann nur zu kritisieren, kann nicht die richtige Antwort sein. ({5}) - Ich bin leider noch nicht zehn Jahre in diesem Amt. Es wäre Deutschland besser bekommen, wenn es so gewesen wäre. ({6}) Aber was nicht ist, kann ja noch kommen. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes hatte einmal 19 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Inzwischen sind es noch circa 13 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf etwa 12 500 Stellen. Dieser Abbau hat sich vollzogen, wie sich der Abbau von Stellen in der Verwaltung häufig vollzieht: relativ ungeordnet. Wo ein Kollege in den Ruhestand gegangen ist, ist er nicht ersetzt worden. So hat man nach und nach auch Kompetenzen verloren. So wurde nach und nach auch die Stärke der einzelnen Ämter geschwächt; denn wenn einige Abteilungen nur noch aus einer Person bestehen - die irgendwann Urlaub machen muss und die auch einmal krank werden darf -, dann ist das eben schwierig. Deswegen ist es angezeigt, dass wir zu einer Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung kommen. Diese Reform hat ihre Grundlage in einer neuen Netzstruktur. Das heißt, es ist, was für alle Verkehrsträger kommen wird - auch für die Schiene, auch für die Straße -, ein Kernnetz, ein Hauptnetz, ein Nebennetz und ein Netz, das wir als Bund so nicht mehr brauchen, zu definieren. Die Europäische Union hat es uns vorgemacht. Auch sie hat jetzt in ihren TEN-Leitlinien die Strukturen in ein Kernnetz und ein Grundnetz - danach folgen nationale Netze - eingeteilt. Dies ist sicherlich richtig und sinnvoll. Dies wird eine Basis für den neuen Bundesverkehrswegeplan bei allen Verkehrsträgern sein. Bei dieser Netzstruktur gibt es naturgemäß viele Diskussionen: Was kommt hinein? Was kommt nicht hi25716 nein? Mit welchen Verkehren rechnen wir? Wir haben das Ganze anhand der aktuellen Verkehrsdaten, aber auch auf der Grundlage der Prognosen bis zum Jahr 2025 versachlicht. So haben wir das Ganze in ein A-, B-, C- und D-Netz eingeteilt - allerdings nur nach der Maßgabe, was Güterverkehr und Logistik brauchen. Denn die Hauptaufgabe unseres Ressorts ist, für Güterverkehr und Logistik in diesem Land zu sorgen. Daneben gibt es die touristischen Wasserstraßen. Hierfür wird es ein gesondertes Konzept geben, weil die Tourismuswasserstraßen andere Anforderungen und Voraussetzungen haben als die Wasserstraßen, die hauptsächlich dem Güterverkehr und der Logistik zur Verfügung stehen müssen. Darauf haben wir die Verwaltungsstruktur aufgebaut. Ich glaube, es ist sinnvoll und richtig, dass wir die Ämterstruktur etwa um ein Drittel reduzieren und dass wir die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen von sieben auf eine Generaldirektion zusammenlegen. ({7}) Denn wir können mit weniger Personal wesentlich effizienter und effektiver arbeiten. In diesem Zusammenhang wird uns häufig der Vorwurf gemacht, man wäre dann zu weit von den Dingen entfernt. ({8}) Wenn Sie die Ämterstruktur stärken, dann können Sie auch eine Zentraleinheit sehr gut darstellen. Wir werden sie in Bonn haben. Auch das wird häufig kritisiert. Ich finde, dass Bonn eine sehr schöne Stadt ist. ({9}) Bonn war jahrelang Bundeshauptstadt und hat einen guten Job gemacht. Der überwiegende Teil meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in dieser schönen Stadt beheimatet. Deswegen verstehe ich die Diskussion in ganz Deutschland nicht, man dürfe in Bonn keine Behörde schaffen. ({10}) Wir finden den Standort sehr gut. Unsere Abteilung ist schon dort. Vier Wasser- und Schifffahrtsdirektionen sind im Umfeld von zwei Autostunden entfernt, sodass wir dort ohne große Verwerfungen in den einzelnen Mitarbeiterschaften sehr schnell eine Generaldirektion zusammenbekommen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, uns ist ein guter Wurf gelungen. ({11}) Sicherlich wird es im Laufe der Zeit noch Diskussionen geben. Aber ich glaube, dass die Reform angesichts der viel zu knappen Ressourcen, die uns vom Parlament über viele Jahre hinweg zur Verfügung gestellt wurden, sinnvoll und richtig ist. Wir haben Anlagen, die zum Teil 80, ja 100 Jahre alt sind. Wir können nur froh und dankbar sein, dass damals so gut gearbeitet wurde und die Anlagen heute noch betriebsbereit sind. Aber wenn wir sie einmal ersetzen müssen, brauchen wir eine Priorisierung für Ausbauund Neubaumaßnahmen, weil wir nicht überall alles gleichzeitig machen können. Bevor Peter Ramsauer das Ressort übernahm, gab es eine etwas unkoordinierte Investitionsstrategie. Heute hingegen priorisieren wir und bilden mit einem ganz klaren Konzept Schwerpunkte, um mehr Verkehr von der Straße auf die Wasserstraße zu holen und diesen Verkehrsträger, der noch die größten Reserven hat, viel effizienter und besser zu nutzen. Dazu dient die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Dazu wird sie einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für die kritische Begleitung, aber auch für die wohlwollende Unterstützung unserer Reform. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei den Grünen für das Verständnis für unsere Reform. Von der SPD bin ich noch immer enttäuscht - von den Linken habe ich nichts anderes erwartet -, wie sie auf unsere Reform reagiert. Insgesamt ist festzustellen: Die Anträge der SPD, der Linken und der Grünen müssen heute abgelehnt werden. Ich freue mich auf eine weitere konstruktive Beratung und Unterstützung und hoffe, dass wir alle zum Wohle der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in diesem Lande gemeinsam weiter um einen guten Weg ringen werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Begründung des Staatssekretärs für das hört, was er hier verantwortet, dann denkt man, dass alles in Ordnung ist. ({0}) Heute Nachmittag findet eine Sitzung statt, zu der Ihr Chef, Herr Minister Ramsauer, alle Ländervertreter eingeladen hat. Weshalb eigentlich? ({1}) - Ach, Sie haben eingeladen. - Es wurden alle Ländervertreter eingeladen, weil aus allen Ländern dieser Republik heftiger Widerstand und Zweifel an Ihrer Aktion der Änderung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gekommen sind. ({2}) Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich einmal vorlesen. Erstes Zitat: Mit Erstaunen und Unverständnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass unter anderem eine zentrale Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn geschaffen sowie über 2 600 Stellen bei den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen abgebaut werden sollen. Zweites Zitat: Das Abziehen wesentlicher Entscheidungsbefugnisse aus den betroffenen Regionen führt zu einheitlichen, den örtlichen Gegebenheiten nicht mehr optimal angepassten Entscheidungen. Drittes Zitat: Eine effiziente regionale und integrierte Aufgabenerledigung wird dadurch übermäßig erschwert und schlimmstenfalls in vielen Fällen sogar unmöglich gemacht. ({3}) Viertes Zitat: Die Reform setzt nach meiner Einschätzung zu große Erwartungen in die Privatisierung. Dabei hat ja bereits die in den letzten Jahren in der Wasserund Schifffahrtsverwaltung zunehmend gepflegte Vergabepraxis gezeigt, dass diese keine Einsparungen zur Folge hätte. ({4}) - Seehofer, Ministerpräsident des Freistaates Bayern. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident der CDU-Landesorganisation, der anzugehören Sie, Herr Ferlemann, ja das Vergnügen haben, McAllister, hat mit seiner Koalition - daran ist die Sozialdemokratie nicht beteiligt - den Beschluss im Landtag herbeigeführt, dass die beiden Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in Aurich und Mitte erhalten bleiben müssen. Was sagen Sie eigentlich dazu, Herr Ferlemann? ({6}) Das scheint an dieser Bundesregierung und auch an Ihnen als CDU-Mann in Niedersachsen völlig vorbeigegangen zu sein. Eine Landesregierung fordert den Bund auf, dass diese Direktionen erhalten bleiben, aber Sie machen genau das Gegenteil. So viel zu dem „doppelten Ferlemann“, der auch hier wieder auftaucht. ({7}) Die Verkehrsministerkonferenz hat am 4./5. Oktober 2012 in Cottbus beschlossen: Nach Auffassung der Verkehrsministerkonferenz wird die geplante organisatorische Umgestaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung den Anforderungen der Länder nicht gerecht. ({8}) Wir erleben, dass inzwischen nicht nur aus den Bundesländern und aus den Landesregierungen, sondern auch aus der Wirtschaft zunehmend Widerstand kommt. ({9}) Die Handelskammern im norddeutschen Raum, die ja in der IHK Nord miteinander verbunden sind, haben sich eindeutig gegen Ihre Reform - in Anführungsstrichen ausgesprochen. Die Wirtschaftsunternehmen am Mittellandkanal - dazu gehören unter anderem auch ganz große, deren Einfluss man einfach einmal berücksichtigen muss, nämlich VW und andere - sagen: Halt, stopp, liebe Freunde, was ihr macht, ist gefährlich. Ich habe durch Zufall einen Zettel bekommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Beckmeyer, bevor Sie zitieren: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Staffeldt?

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht. Er hat gleich Zeit; er darf ja nach mir reden. - Auf diesem Zettel steht, dass die liberale Fraktion dieses Hauses der Meinung ist, dass noch einmal klargestellt werden muss, dass nach der Vergabe- und Vertragsordnung auch langfristige Standardaufgaben vergeben werden können, und insofern die pauschale Behauptung, die derzeit noch im Entwurf steht, dass hier keine rechtlichen Vorbehalte bestehen usw., richtig ist. Genau das befürchten wir: Sie wollen auf Betreiben des liberalen Partners die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung so umstrukturieren, dass Standardaufgaben am Ende komplett vergeben werden können. Dadurch bauen Sie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ab. Die gesamte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird am Ende des Tages eine Struktur haben, mit der sie ihren regionalen Aufgabenstellungen nicht mehr gerecht werden kann. ({0}) Zum nächsten Punkt. Dieser Vorgang, den Sie uns hier präsentieren, ist kein Ergebnis einer ergebnisoffenen Untersuchung gewesen. Es ist eine Bankrotterklärung Ihres Ministeriums, dass Sie sagen, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sei nicht funktionsfähig. Weshalb ist denn das so? ({1}) Geben Sie denen doch ein paar ordentliche Vorgaben! Warum sagt dieses Ressort der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung denn nicht, wie ein solches Steuerungsdefizit aufgelöst werden kann? Geben Sie denen doch endlich parlamentarische und administrative Vorgaben! Auch das tun Sie nicht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe noch eine Dreiviertelminute Redezeit. ({2}) Sie sagen, Sie hätten bei der Kategorisierung aktuelle Verkehrsdaten berücksichtigt. Die Daten der Wasserund Schifffahrtsverwaltung in Nord, West und Mitte sind aber zum Beispiel bei der Beurteilung der Kategorie der Mittelweser und Unterweser komplett ausgeblendet worden. Woher Sie Ihre Daten haben, weiß keiner. Die Daten des eigenen Hauses nutzen Sie bei der entsprechenden Kategorisierung jedenfalls nicht. Ich sage es einmal so: Die sträfliche Verbrämung von Interessen und gleichzeitig die Bewertung falscher Fakten haben dazu geführt, dass Sie dies hier so auf den Weg gebracht haben. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Länder sehr genau anschauen werden, was alles in Ihrem Artikelgesetz, das irgendwann kommen muss - sonst können Sie diesen Reformprozess nicht fortsetzen -, steht. Wir als Sozialdemokraten werden genau prüfen, in welcher Form wir uns dazu einbringen werden. Diese Reform, die keine ist, werden wir jedenfalls nicht akzeptieren. Wir werden sie mit den Beschäftigten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in Deutschland weiterhin bekämpfen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Torsten Staffeldt für die FDP-Fraktion. ({0})

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Beckmeyer wird nach der heutigen Debatte sicherlich als Zitatekönig in die Geschichte eingehen. ({0}) Nachdem er ein Zitat nach dem anderen geliefert hat, kam mir der Gedanke: Er hätte von vornherein seine ganzen Presseartikel kopieren, lochen und uns zum Abheften geben können. Dann hätten wir es einfacher gehabt und hätten uns das alles nicht anhören müssen. ({1}) Ich möchte jetzt auf das Thema eingehen. Der Kollege Ferlemann hat es eben schon richtig dargestellt: Über Jahrzehnte hinweg wurden unter sozialdemokratischer Führung ({2}) die notwendigen Schritte zur Erhaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung nicht vollzogen. ({3}) Es wurden nur Gutachten erstellt. Aber die Vorgaben des Bundesrechnungshofes wurden einfach ignoriert usw. ({4}) Diese Bundesregierung und diese Koalition nehmen sich der Aufgabe an, die sozialdemokratische Verkehrsminister über Jahrzehnte haben schludern lassen. ({5}) Wir machen das, was Sie hätten tun müssen. Das ist nicht ganz einfach, weil Sie eben über Jahrzehnte hinweg diese Aufgaben nicht in der Form angegangen sind, wie es notwendig gewesen wäre. Aus diesem Grunde brauchen wir dafür ein bisschen Zeit. Bis 2020 - darauf hat der Kollege Ferlemann schon hingewiesen - wird diese Reform, deren Zielsetzung es ist, dafür zu sorgen, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfähig und demografiefest gestaltet wird, dazu führen, dass diese Verwaltung handlungsfähig bleibt. Die Ziele, die Sie im 5. Bericht zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und auch in anderen Berichten nachlesen können, sind folgende: Sicherung einer leistungsfähigen, effizienten und vor allen Dingen für die Steuerzahler kostengünstigen Wasserund Schifffahrtsverwaltung und nachhaltige Absicherung der Fachkompetenz - das ist ein wesentlicher und wichtiger Punkt -, und zwar trotz Stellenabbau. Die bisherige Vorgehensweise unter sozialdemokratischer Führung in den letzten Jahrzehnten war, die Vorgaben des Stellenabbaus einfach über die natürlichen Abgänge zu realisieren. Wir machen das so, wie es vernünftig ist. ({6}) Wir schauen nämlich: Wo brauchen wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wo brauchen wir das Personal? Wie schulen wir es entsprechend? Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Vorgehensweise. Wir verschlanken die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, indem wir ({7}) unter anderem die fünf Direktionen, die es bisher gab, in eine Generaldirektion übergehen lassen, die dafür sorgt, dass die Aufgaben konzentriert, fokussiert und effizient umgesetzt werden. Zu der Frage, wohin die Generaldirektion kommt. Bonn ist eine schöne Stadt; darauf hat auch der Kollege Ferlemann hingewiesen. Ich sage Ihnen: Die schönsten Städte der Welt fangen vorne mit B an und hören mit N auf. Das ist Berlin. Das kann auch Bingen sein. Auch Bremen, meine Heimatstadt, ist sicherlich eine von den Städten, in denen man eine Generaldirektion ansiedeln könnte. ({8}) - Okay, auch über Bremerhaven kann man noch reden. Aber kommen wir lieber wieder zur eigentlichen Thematik zurück. ({9}) Mit den vorliegenden Anträgen soll verhindert werden, dass wir diese Reform zukunftsfähig gestalten. Das ist der entscheidende Punkt. Von den Sozialdemokraten und den Linken haben wir nichts anderes erwartet. Schließlich waren sie jahrelang in der Verantwortung, zwar nicht die Linken, aber die Sozialdemokraten. ({10}) Dass die Sozialdemokraten, die über Jahre hinweg in der Verantwortung waren und hier nichts geschafft haben, schlecht eingestehen können, dass wir die Reform auf einen vernünftigen Weg bringen, ist klar. Insofern ist die Abwehrreaktion in den vorliegenden Anträgen nachvollziehbar. Aber, wie gesagt, die Anträge werden heute mit großer Mehrheit abgelehnt werden. Dann hat diese Debatte hoffentlich endlich ein Ende, ({11}) sodass wir diese Reform so weiterführen können, wie es notwendig ist. Die Grünen haben aus meiner Sicht eine sehr gute und interessante Position eingenommen und begleiten diesen Reformprozess konstruktiv, was ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen möchte. Es ist aber, wenn man die Ergebnisse der Beschlussfassungen in den einzelnen Ausschüssen betrachtet, an der einen oder anderen Stelle schon ein wenig verwunderlich, dass die Grünen unsere Anträge in fast allen Ausschüssen abgelehnt haben. Nur im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben die Grünen diesen Anträgen zugestimmt. Insofern muss man da vielleicht in der Grünenfraktion Überzeugungsarbeit leisten und dafür sorgen, dass dort von allen Mitgliedern erkannt wird, dass es vernünftig ist, was wir in diesem Bereich machen. ({12}) Das ist übrigens auch einer der Punkte, der mir wichtig ist. Wir haben gerade über die Verkehrsministerkonferenz gesprochen. Dass sie sagt, es solle sich nichts ändern, ist nachvollziehbar. ({13}) Nichtsdestotrotz ist es vielleicht auch eine Frage der Kommunikation; es ist die Frage, wie man diese Reform kommuniziert, wie man sie auch den Ländern gegenüber kommuniziert. ({14}) Ich kann mir vorstellen, dass das Verkehrsministerium da noch Überzeugungsarbeit zu leisten hat, die wir als Parlamentarier gerne begleiten wollen. ({15}) Wenn Sie, Herr Beckmeyer, als Zitatekönig in die Geschichte eingehen wollen und die IHK Nord zitieren - Sie wissen, dass ich auch Mitglied des Plenums der Handelskammer Bremen bin -, dann sollten Sie nicht nur die Teile zitieren, die Ihnen passen, sondern Sie sollten es komplett zitieren. Es steht nämlich unter anderem darin, dass die IHK die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung begrüßt, weil sie genau das macht, was Unternehmerinnen und Unternehmer auch tun: Sie stellt die Prozesse auf den Prüfstand; sie schaut, was verbessert und effizienter gemacht werden kann, und dann setzt sie das um. ({16}) Genau das macht die Reform. Deswegen sollten Sie bei den Zitaten vorsichtig sein. Dass es in Ihren Medien anders dargestellt wird, wundert mich persönlich nicht. Zu den TEN-Leitlinien. Wir können jetzt noch auf die Flüsse eingehen und auf das, was dort gemacht werden muss. ({17}) Die Priorisierung ist ein Kind, dessen Vaterschaft oder auch Mutterschaft - das sei dahingestellt - aus meiner Sicht nicht ganz klar ist. Wir haben sie, und sie ist auch sinnvoll; das ist gar keine Frage. An dem einen oder anderen Fluss werden wir sicherlich noch nachsehen müssen, ob die Priorisierung dort dem entspricht, was jetzt schon Tatsache ist. Vielleicht ist ja die Faktenlage schon eine andere als das, was durch die Prognose vorhergesagt wird. ({18}) Aber dafür haben vor allem wir als christlich-liberale Koalition gekämpft und gearbeitet. Wir haben dafür gesorgt, dass es auch Aufstiegs- und Abstiegsregelungen für die einzelnen Flussabschnitte gibt. ({19}) Aus dem Grunde bin ich zuversichtlich, dass wir zusammen mit dem Ministerium konstruktiv dafür sorgen werden, dass die wesentlichen Aufgaben der Wasserund Schifffahrtsverwaltung sowohl auf See wie auch auf den Binnenwasserstraßen, ({20}) nämlich Schifffahrt zu ermöglichen, sie einfach und effizient zu machen, ({21}) in der Zukunft auch mit reduziertem Personal effizient erledigt werden. Deswegen begrüßen wir die Vorgehensweise des Ministeriums an dieser Stelle ausdrücklich und lehnen die Anträge der Opposition ab. Herzlichen Dank. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Begrüßen einer Aktion oder einer Aktivität wäre ja ganz sinnvoll, aber begründet sollte sie dann doch schon sein, Herr Staffeldt. ({0}) Wir stellen heute fest: Zwei Jahre debattieren wir über den Sinn und vor allen Dingen über den Unsinn der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ich finde, es sind zwei verlorene Jahre für die Belegschaften, die Jahr um Jahr Kolleginnen und Kollegen verlieren, weil deren Stellen nicht wiederbesetzt werden. Das sind zwei Jahre Unsicherheit auch für Unternehmen, die ganz gern wissen wollten, mit wem sie künftig zusammenarbeiten müssen. Da sind auch Unsicherheiten bei den Freizeitkapitänen, bei den Tourismusverantwortlichen in den Kommunen, die nicht genau wissen, wie es weitergehen soll. Nur eines ist sicher für alle Beteiligten: Wer so Politik macht, macht deutlich, dass Sachverstand hier nicht gefragt ist. Meine Meinung ist: Wer so Politik macht, der wird damit scheitern. ({1}) Was hören wir von den Koalitionsfraktionen, von Herrn Staatssekretär Ferlemann, von Herrn Staffeldt? Starke Sprüche über Tatkraft und Reformwillen der Bundesregierung. Aber das wollen die Kolleginnen und Kollegen, die dieses tagtäglich hören müssen, nicht mehr hören. Sie wollen, dass ihre Fragen und insbesondere ihre Vorschläge für eine zukunftsfähige WSV ernst genommen und registriert werden. Der Bundesverkehrsminister ist dabei, Strukturen zu zerschlagen, die in den vergangenen Jahren gewachsen sind, aufgebaut und immer wieder umgebaut worden sind. Geschäftsführung und Belegschaften waren mit dabei. Direktion oder Personalräte, egal auf welcher Seite man gestanden hat, Ämter, Betriebsteile und Personal, haben es geschafft, dass beispielsweise die eben angesprochenen 80 Jahre alten Schleusen noch funktionieren. Sie haben auch dafür gesorgt, dass neueste Technologie eingeführt worden ist und von Anfang an funktioniert hat, und sie haben dafür gesorgt, dass junge Menschen eine sehr gute Ausbildung bekommen konnten und gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind. ({2}) Dafür haben sie Anerkennung verdient statt Bedrohung mit Versetzung oder dem Entzug von Aufgaben. Ich will den Betroffenen allerdings keine Illusionen machen, dass ab jetzt gute Argumente stark genug sind, um den Bundesverkehrsminister überzeugen zu können. Ich glaube, was wir zuletzt vom Kollegen Staffeldt gehört haben, zeugt davon, dass das vergebene Liebesmüh ist. ({3}) Wir haben festgestellt: In Niedersachsen werden Hannoversch Münden, Verden, Rheine, Meppen, Uelzen, Aurich und Hannover Kompetenzen und Know-how verlieren. Sie werden zu Außenstellen, Betriebs- oder Unterhaltungsämtern und müssen ihre Aufgaben und ihr Personal mit anderen Dienststellen neu sortieren und aufteilen. Die CDU-Mitglieder vor Ort raufen sich die Haare und die CDU/FDP-Landesregierung - das wurde vorhin erwähnt - druckst zwar herum, hat sich aber zumindest davon überzeugen lassen, einen entsprechenden Beschluss zu fassen und diese Reformpläne abzulehnen. Ich habe ein Zitat mitgebracht: Eine Reform, die ohne jede Rücksicht auf die speziellen Belange der Schifffahrt und Hafenbetreiber eine Kategorisierung der Bundeswasserstraßen vornimmt und auf dieser Grundlage alle betroffenen Akteure vor vollendete Tatsachen stellt, kann nach Auffassung - hört! Hört! der Kreis-CDU - also des CDU-Kreisverbandes Aurich auf Dauer keinen Erfolg haben. Das sagte der dortige Kreisvorsitzende Sven Behrens. Sven Behrens hat recht: Der Verkehrsminister und die Regierungsfraktionen werden auf Dauer keinen Erfolg haben. Schon am 20. Januar, dem Wahltag in Niedersachsen, wird sich das zeigen. ({4}) Die Linke macht Vorschläge, welche Aufgaben eine zukünftige WSV übernehmen kann. Wir wollen nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Das wäre dummes Zeug. Im Gegenteil: Wir wollen, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, mit denen wir auch gesprochen haben, weitermachen können mit ihren Reformvorschlägen, dass sie wirklich zukunftsfähige WSV-Arbeit machen können. Sie haben sehr gute Vorschläge vorgelegt bekommen, egal ob in Schweinfurt, Berlin oder Magdeburg. Das hört man auch in Emden oder Aurich. Die Betroffenen haben keine Angst davor, sich zu verändern. Sie nehmen diesen Veränderungsprozess auf und wollen die Reform gestalten, wenn es denn eine Reform wäre statt eines Projekts, das ausschließlich darin mündet, die WSV zu zerschlagen. Was jetzt vorgesehen ist - in Bonn wird eine zentrale Bürokratie aufgebaut, und es wird ein neues Organigramm erstellt, in dem die Behördenstruktur neu zusammengestellt wird -, reicht ihnen nicht aus. Das sind keine Maßnahmen, die eine moderne Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gestalten. Sie werden nicht dazu beitragen, dass wir zu einer ökologischen Bewirtschaftung der wichtigen Schifffahrtswege kommen. Unternehmen oder ökologische Ansprüche werden mit dem, was Sie auf den Weg bringen wollen, nicht zufriedengestellt werden. Nein, der Umbau der WSV in dieser Weise bringt überhaupt nichts auf den Weg. Sie soll lediglich darauf reduziert werden, Aufträge zu vergeben. Das Stichwort „Privatisierung“ wurde genannt. Das ist schlecht für die Kompetenzen, die die WSV heute noch hat. Das ist schlecht für eine ökologische Flusspolitik. Da gehen wir nicht mit. Ich vermute, spätestens ab September 2013 werden die Karten neu gemischt. Darauf können die Kolleginnen und Kollegen vertrauen, die zurzeit mit der Zerschlagung ihrer WSV zu tun haben. Ich freue mich darauf, diese Prozesse mit zu begleiten. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf Sie mit Gebrüll, Herr Beckmeyer: Ich glaube, wir sollten zu einer sachlichen Debatte finden. ({0}) Denn es geht immerhin um 12 000 unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Behörde des Bundes und um deren Arbeitsplätze. Das ist das Entscheidende. ({1}) Diese Beschäftigten sorgen vor allen Dingen auch dafür, dass die Wasserstraßen instand gehalten werden, damit wir sie nutzen können. Das ist die Aufgabe, die wir als Staat erledigen müssen. Das ist Daseinsvorsorge. ({2}) Dazu gehört auch die Zurverfügungstellung der Infrastruktur. Das ist eine der Aufgaben, die wir haben. Wir brauchen unsere Wasserstraßen für die Bewältigung von etwa 10 Prozent des gesamten Güterverkehrsaufkommens. Lassen Sie uns zu der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zurückkehren. Wir haben 12 000 nach meinem persönlichen Erleben hoch engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Ämtern vor Ort, in den Außenstellen, Außenbezirken und anderen Dienststellen. Ich habe das am Wochenende bei einer Veranstaltung wieder erlebt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen, dass es bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Probleme bei der Abwicklung gibt, dann nämlich, wenn wir so weitermachen wie bisher, wie es bestimmte Teile des Hauses wollen. Wir haben eine Bremse vonseiten des Haushaltsausschusses bekommen - Herr Kollege Kahrs ist anwesend -, dass wir 1,5 Prozent der Stellen einsparen müssen. ({3}) - Herr Kahrs, Sie wissen es ganz genau. Dies führt dazu, dass die Stellen mit dem Rasenmäher abgebaut werden; das heißt, die Stellen derjenigen, die in Pension gehen, werden nicht wieder besetzt. Irgendwann haben wir ein System erreicht, das nicht mehr ausreichend leistungsfähig ist. ({4}) Da bewegen wir uns so langsam an der Grenze. Wenn Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort reden, dann stellen Sie das auch fest. Wir brauchen also einen Reformprozess, sonst geht es immer so weiter. Wenn wir mit diesen pauschalen Kürzungen so weitermachen, dann sind wir irgendwann bei null. Dann hilft uns das gar nicht mehr. Deswegen müssen wir uns darüber klar werden, was wir langfristig für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erreichen wollen, damit wir die Aufgabe, Wasserstraßen zur Verfügung zu stellen, erfüllen können. Darum halten wir einen Reformprozess für zwingend erforderlich. Dazu gehört zum einen die Priorisierung. Wir haben nur begrenzte Haushaltsmittel, und die müssen wir an der Stelle einsetzen, wo es sinnvoll ist. Zum anderen - das ist ein Grundsatzproblem - müssen wir unterscheiden zwischen den hoheitlichen und den betrieblichen Aufgaben. Das wird in vorliegenden Ansätzen auch getan. Vor allen Dingen - das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich bei meinen Besuchen vor Ort immer wieder erlebt habe - müssen wir endlich aus dem Wildwuchs herauskommen. Wir sind weit entfernt von einer Standardisierung. Es gibt Schleusentore, die von außen zwar gleich aussehen, sich aber nicht tauschen lassen. Am Neckar sind die Schleusentore nicht tauschbar. Jede Direktion hat ihr eigenes Schleusenfernsteuerungssystem entwickelt, weil nicht direktionsübergreifend zusammengearbeitet wird. ({5}) Das ist ein Problem. Das Ganze müssen wir in eine moderne Verwaltungsstruktur überführen, wie wir sie zum Beispiel aus dem kommunalen Bereich kennen. ({6}) Damit fangen wir jetzt an. Das Problem, das ich sehe - jetzt wende ich mich an die Regierung; Herr Ferlemann, Sie wissen das auch; wir haben schon oft genug darüber gesprochen -, ist: Man kann das Ganze nicht von oben, „top down“, herunterbrechen. Das Entscheidende bei einem solchen Modernisierungsprozess, den wir überall erleben - auch in den Betrieben -, ist, dass ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehme. Ich muss es ihnen erklären. Es hilft überhaupt nichts, wenn sie es von irgendwelchen Abgeordneten erfahren. Es hilft auch nichts und ist sehr schädlich, wenn sie bestimmte Entscheidungen aus der Presse erfahren. Nutzen Sie jetzt bitte die Möglichkeiten, die ein modernes Change Management - um diesen Begriff einfach in den Raum zu stellen; auch hier im altehrwürdigen Parlament bietet! ({7}) Die Regierung sollte sich eine Kommunikationsstrategie überlegen, und nicht nur wir Abgeordnete sollten in den Ämtern auftauchen; vielmehr sollten Entscheidungen auch von der Verwaltungsseite nach unten weitergegeben werden. ({8}) Nehmen Sie in der Verwaltungsspitze des Ministeriums einmal den Blickwinkel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das wäre sehr hilfreich. Lassen Sie mich zusammenfassen, was ich bei einer solchen Reform für wichtig erachte: Wir brauchen maximale Transparenz nach innen, wenn wir den Startschuss gegeben haben; das ist ja in den Ausschüssen passiert. Wir müssen das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgreifen. Wir müssen auf die Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort eingehen. ({9}) - Herr Kollege Kahrs, es hilft nichts, wenn Sie sich echauffieren. ({10}) Wir als Politiker müssen uns Gedanken darüber machen, ob wir mit irgendwelchen neuen Aufregern in das System hineingehen wollen. Wir sollten uns jetzt heraushalten und die Arbeitsgruppen, die eingerichtet worden sind, arbeiten lassen. Dann schauen wir uns die Lösung an. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin schon fast am Schluss, Herr Präsident. - In dem Sinne würde ich gerne ernsthaft an einer modernen Aufstellung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung weiterarbeiten. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Matthias Lietz für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Matthias Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004094, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Dezember 2010 sowie im Mai 2011 stand ich hier an diesem Pult und habe über die unterschiedlichsten Anträge zur Zukunft der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung berichtet. Schon in meinen damaligen Redebeiträgen habe ich einiges zur zeitlichen Entwicklung dieser Reform berichtet, ({0}) und auch heute ist unsere Debatte so begonnen worden. Es war mir damals wie auch heute ein wichtiges Anliegen, klarzustellen, dass eine Reformierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bereits über Jahrzehnte hinweg aufgeschoben worden ist. In dieser Zeit hätten alle Parlamentarier tatkräftig mitarbeiten können, um tatsächlich eine Reform auf den Weg zu bringen. So kam es denn auch, dass schließlich der Haushaltsausschuss im Oktober 2010 - ich sage: mit Rückenwind des Bundesrechnungshofs - die Notbremse zog und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufforderte, einen Vorschlag für die Reformierung zu machen. ({1}) Mittelpunkt des nunmehr fünften vom Ministerium vorgelegten Berichtes hierzu ist vor allem eine Untersuchung des Netzes, der Personalstruktur und eine Aufgabenkritik der Verwaltung. Einmal abgesehen von diesen gutachterlichen Ergebnissen, die wir in diesem fünften Bericht zur Kenntnis nahmen, möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass dieser Beschluss des Haushaltsausschusses die Reformierung einer bundeseigenen Verwaltung anstieß, in der sich seit Jahrzehnten - auch das ist heute mehrfach erwähnt worden - bis auf den planlosen Stellenabbau nichts getan hat. Vor allem mit Blick auf diesen Punkt frage ich mich, was sich die Damen und Herren der Opposition an dieser Stelle eigentlich vorstellen. Soll dies so weitergeführt werden, oder was ist Ihre Alternative zur Reform? Ich sage - und da stimme ich voll mit meiner Vorrednerin überein -: ({2}) Wir müssen doch einmal ehrlich gemeinsam Politik machen und dürfen uns nicht gegenseitig Verschulden vorwerfen. ({3}) Ich sage das auch in Richtung der Bundesländer; denn auch die Länder sind gefordert, sich am Prozess zu beteiligen. Das heißt für mich nicht nur Kritik an den Aufgaben, sondern möglicherweise auch Beteiligung an der Finanzierung. ({4}) Meine Damen und Herren, uns liegen in dieser verbundenen Debatte mehrere Anträge vor. Lassen Sie mich auf einige Hauptkritikpunkte eingehen. Ich beginne dabei mit der Netzkategorisierung. Das ist ein Schuh - wenn ich es einmal so ausdrücken darf -, der auch mich beim ersten Hinsehen deutlich drückte. Man hört es, ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Maritimwirtschaftlich gesehen haben wir sicherlich nur kleinere Häfen und vor allem Marinas, deren Erhalt mir allerdings ein großes persönliches Anliegen ist. Dennoch muss auch ich den Tatsachen ins Auge sehen, dass gerade die Flüsse in unserem Land hinsichtlich der Transportmenge und der Umschläge in keinem Vergleich zum Rhein-Main-Gebiet, der Donau oder der Mosel stehen. Aber, meine Damen und Herren - wir haben es in der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt gehört -, wenn ich über die Entwicklung der Strukturen der Räume in unserem Land aus Sicht der Raumordnung spreche, dann weiß ich: Wir werden sicherlich auch in den kommenden Jahren gerade diese Prioritäten neu setzen müssen. Die Kategorisierung, die Priorisierung der Wasserstraßen ist dennoch nicht falsch. Wenn das Geld - auch das haben wir in der letzten Haushaltsberatungswoche wieder alle deutlich erkannt - nicht ausreicht für alle Maßnahmen, für alle Wünsche, dann muss es letztendlich nach Dringlichkeit vergeben werden. ({5}) Sinnvoll erfolgt dies zukünftig vor allem durch den Vorschlag - das lesen wir in dem fünften Bericht -, alle fünf Jahre eine erneute Bewertung vorzunehmen, damit das an sich ändernde Bedingungen angepasst werden kann. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Blick zu meinen Kollegen zur Linken werfen. Sie fordern in Ihrem Vorschlag nicht nur mehr Geld, sondern wollen die Kategorisierung auch mit mehr Renaturierung verbinden. ({7}) Ich sage Ihnen: Wenn das Projekt eines Flusses, eingeteilt in die Kategorien A, B, C oder D, auch noch mit einer Renaturierung verbunden werden soll, dann wäre das für mich Stuttgart 21 auf dem Wasser. ({8}) Die Personal- und Verwaltungsstruktur ist ein weiterer Punkt. Hier möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es ist kein Geheimnis, dass seit 1993 bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Stelleneinsparungen erfolgen. ({9}) Der Staatssekretär hat deutlich darauf hingewiesen, dass bereits eine Reduzierung auf etwa 12 000 Beschäftigte erfolgt ist. Ich habe mit den Verwaltungen vor Ort, vor allen Dingen an den WSV-Standorten, mit den Betreibern der Häfen und den Binnenschiffern gesprochen. Ich kann bestätigen, dass die Menschen dort einer Reform offen gegenüberstehen ({10}) und die Mitarbeiter daran interessiert sind, das Ganze geregelt auf den Weg zu bekommen. Das sage ich auch aus eigener Erfahrung: Ich selbst habe in den letzten Jahren in meinem Land auf der kommunalen Ebene Reformen in der Verwaltung erlebt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der eine oder andere Betrieb in meinem Bundesland, der nach 1990 reformiert wurde, einen solchen Zeitraum, eine solche Umsetzung und eine Begleitung der Personalräte und der Gewerkschaften gewünscht hätte. ({11}) Die Umsetzung der Reform wird schrittweise bis in das Jahr 2020 erfolgen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich erwähnen: Es ist klar vereinbart, dass es keine Kündigung und keine Versetzung gegen den Willen der Mitarbeiter geben wird. ({12}) Es wird das Möglichste versucht, um die wichtigste Ressource der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - das sind die sachkundigen Mitarbeiter - nicht auf der Strecke zu lassen. ({13}) Ein letztes Wort zur Vergabekritik. Ich sage deutlich: Eine Privatisierung darf nicht zum Kompetenzverlust des Staates führen. Die Privatisierung staatlicher Aufgaben findet ihre Grenze in der Verantwortung für das Gemeinwohl. ({14}) Das gilt auch für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Hoheitliche und sicherheitsrelevante Aufgaben werden daher auch weiterhin von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes erledigt werden. Zur Frage der Finanzierung und der notwendigen Einstellung der Mittel in den Haushalt: Auch hier kann ich Ihnen deutlich sagen, dass allen klar ist, dass die Bundeswasserstraßen mehr finanzielle Unterstützung benötigen. ({15}) Das sollte für uns der Anlass sein, sich konstruktiv für diesen Punkt einzusetzen. Es ist unumgänglich, den Verkehrsetat in diesem Bereich in den nächsten Jahren zu steigern, ({16}) aber auch eine Prioritätensetzung und eine Effizienzsteigerung in der Verwaltung zu erreichen. Vergabepolitik und Investitionen in der Binnenschifffahrt sind eindeutig zu verbessern. Der Verkehrsträger Wasserstraße verfügt über ein enormes Kapazitätspotenzial. Um den Anforderungen der nächsten Jahre gerecht zu werden, muss es endlich verlässliche Konzepte geben. Wir aus der christlich-liberalen Koalition wollen Platz für eine sichere und leistungsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung schaffen und gleichzeitig - das sei hier noch einmal versichert - die Fachkompetenz der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erhalten. Ich appelliere an Sie: Stimmen Sie zu! Den Anträgen der Opposition werden wir eine Ablehnung erteilen. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gustav Herzog für die SPD-Fraktion. ({0})

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Ferlemann hat ganz zu Beginn seiner Rede etwas Richtiges gesagt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes leisten eine hervorragende Arbeit und haben unseren Dank verdient. ({0}) Aber, Herr Ferlemann, der Beitrag der Bundesregierung dazu, dass sie diese gute Arbeit leisten können, liegt im negativen Bereich: Sie leisten keine Unterstützung, sondern erschweren den Kolleginnen und Kollegen die Arbeit, die sie draußen zu leisten haben. ({1}) Es gibt einen Unterschied zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der WSV einerseits und der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen andererseits: Auf die WSV kann man sich verlassen, auf die rechte Seite des Hauses eben nicht. ({2}) Seit dem „Herbst der Entscheidungen“ im Jahr 2010 leisten Sie keinen Beitrag zur Stärkung des Verkehrsträgers Wasserstraße, sondern schmeißen immer wieder Steine in den Kanal und Bäume in den Fluss, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Leben noch schwerer zu machen, als es so schon ist. Ich will das an ein paar Beispielen belegen. Ich war am Montag auf Einladung von Kommunalpolitikern, der IHK, des Vereins „Weitblick“ und einer Reihe von Betrieben in Eisenhüttenstadt. Sie haben mir gesagt: Herr Herzog, versuchen Sie doch einmal, uns zu erklären, warum die Bundesrepublik Deutschland 3 Milliarden Euro in das ostdeutsche Wasserstraßennetz investiert und bei den letzten 74 Millionen Euro, die für den Ausbau der Schleusen in Fürstenwalde und Kleinmachnow und die Hebung zweier Brücken benötigt würden, sagt: „Das Geld gibt es aber nicht mehr“, weil die entsprechenden Wasserstraßen in die Kategorie „Sonstige Wasserstraßen“ eingruppiert worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was das mit Wirtschaftlichkeit im volkswirtschaftlichen Sinne zu tun hat, ist mir völlig schleierhaft und war nicht zu erklären. ({3}) Natürlich stellt sich die grundsätzliche Frage: Warum haben Sie mit all dem begonnen? Es ging nicht im Verkehrsausschuss, sondern im Haushaltsausschuss los, wo die FDP nun unbedingt eine große Privatisierung haben wollte, worauf das Ministerium mit der Einführung der Kategorien geantwortet hat. Murks und Murks ergibt zusammen eben nur Murks und nichts Vernünftiges. ({4}) Dann wurden wir hier im Parlament mit den Berichten 1 bis 5 konfrontiert; ein Hin und Her hatten wir zu erwarten. Ich will es am Beispiel des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hannoversch Münden deutlich machen. Herr Kollege Staatssekretär, Sie nicken mit dem Kopf. Ja, Sie haben im April 2011 dortigen CDU-Kommunalpolitikern, auch einer Landratskandidatin, gesagt: Der Standort ist nicht gefährdet. - Ich habe dann den Staatssekretär Mücke hier im Plenum gefragt - er ist da -: Herr Staatssekretär, ist die Organisationsüberprüfung ergebnisoffen, oder gibt es Vorfestlegungen? - Er hat mir gesagt: Die Prüfung ist natürlich ergebnisoffen. - Der eine schreibt also Briefe, und der andere erzählt hier im Parlament: Alles ist offen. - Dann stand fest, dass das Wasser- und Schifffahrtsamt zur Außenstelle wird: Standort erhalten, Amt gestrichen. Irgendwann hörten wir von Ihrem Abteilungsleiter: Die Außenstellen werden bis 2020 dichtgemacht; sie bleiben noch ein bisschen, aber dann ist irgendwann Schluss. - Meinen Sie denn, dass Sie mit einem solchen Verhalten Vertrauen bei den Beschäftigten erwecken? Nein, das Gegenteil ist der Fall: Sie verbreiten Unsicherheit. ({5}) Ich will jetzt aus einem Brief, den uns Verdi vor dieser Debatte in die Hand gedrückt hat, zitieren: ({6}) Die Beschäftigten der WSV haben Angst um ihre Zukunft, Angst vor weiterem Personalabbau und damit einhergehenden Schließungen von Dienststellen. Die Beschäftigten wollen sich mit ihrer Kompetenz und Erfahrung an einer nachhaltigen Reform der WSV beteiligen. Sie verhindern das mit Ihrem Hin und Her. ({7}) Lassen Sie mich ein schönes Bild bringen: Ein Wollknäuel ist im Verhältnis zu Ihrer Wasserstraßenpolitik eine gerade Linie. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um eine Reform, von der 12 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sind; 1 800 Millionen Euro sind auszugeben. Und hat es diese Koalition, hat es diese Regierung bisher nötig gehabt, das Parlament mit einem Antrag oder einem Gesetzentwurf zu befassen? Nein, Sie wurschteln sich mit Berichten im Haushaltsausschuss und Entschließungen dazu durch. Das ist keine Wertschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Abgeordneter Fischer, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. ({9}) Ich frage mich, wie es ein gestandener Verkehrspolitiker wie Sie schafft, sich drei Jahre lang so durchzuwurschteln. Sorgen Sie doch endlich dafür, dass in Ihrem Laden vernünftige Politik gemacht wird und dass sich der Bundestag in angemessener Weise damit beschäftigt! Das werden wir spätestens dann tun, wenn der Gesetzentwurf beraten wird. Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Er befindet sich in der Ressortabstimmung und wird bald eingebracht. Sie wollten noch in diesem Herbst - es fängt bald an, zu schneien ({10}) einen Infrastrukturbericht über die Wasserstraßen vorlegen. Sie haben zu liefern. Machen Sie es aber bitte nicht so wie die FDP; denn sonst kommt das Päckchen nie an. Danke schön. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine zu- kunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11592, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9743 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Grünen gegen die Stimmen von SPD und Linken. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/8330. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der SPD auf Drucksache 17/4030 mit dem Titel „Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenver- hältnis angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 17/5548 mit dem Titel „Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustim- mung aller übrigen Fraktionen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/5056 mit dem Titel „Neue Netz- struktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung aller übrigen Fraktionen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- stabe d seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Be- schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- tionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten - Drucksache 17/10488 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0}) - Drucksache 17/11710 - Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Berichterstattung:- Abgeordnete Erwin Rüddel- Dr. Marlies Volkmer- Christine Aschenberg-Dugnus- Kathrin Vogler- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Patientenrechte wirksam verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten - zu dem Antrag der Abgeordneten Maria KleinSchmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen - Drucksachen 17/9061, 17/11008, 17/6489, 17/6348, 17/11710 Berichterstattung:Abgeordnete Erwin RüddelDr. Marlies VolkmerChristine Aschenberg-DugnusKathrin VoglerMaria Klein-Schmeink Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über einen Teil des Antrags der Fraktion der SPD zu Patientenrechten werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Mechthild Dyckmans von der FDPFraktion das Wort. ({2})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Koalition bringt heute ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zum Abschluss: Wir verbessern die Rechte von Patientinnen und Patienten. Mit diesem Gesetzentwurf erfüllen wir aber auch Forderungen, über die seit langem diskutiert wird und die sogar fraktionsübergreifend von allen Parteien erhoben werden. Der Opposition geht dieser Gesetzentwurf wieder einmal nicht weit genug. Sie hat eigene, weiter gehende Anträge vorgelegt. ({0}) Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ich wundere mich nur, warum in den Jahren, in denen Sie die Regierungsverantwortung trugen, in diese Richtung nichts rechtlich Verbindliches geschehen ist. ({1}) In den Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002 wurden zwar entsprechende Forderungen aufgestellt. Aber was ist geschehen? Zunächst haben Sie ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dann haben Sie eine Arbeitsgruppe beauftragt. ({2}) Aber haben Sie Rechtsverbindlichkeit hergestellt? Fehlanzeige. Das gilt auch für die Zeit der Großen Koalition. Ich erinnere Sie von der SPD: Die SPD stellte sowohl die Justizministerin als auch die Gesundheitsministerin. Es gab zwar einige Verbesserungen für Patientenvertreter auf institutioneller Ebene; aber den Forderungen nach Zusammenführung der bislang zersplitterten und undurchsichtigen Rechte der Patientinnen und Patienten in einem Gesetz, nach einer stärkeren Fehlervermeidung und nach einem Risikomanagement wurde in Ihrer Regierungszeit nicht nachgekommen. Nach elf Jahren Regierungsbeteiligung fand man diese Forderung nur in Ihrem Wahlprogramm wieder. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese christlich-liberale Koalition erfüllt mit dem Patientenbeauftragten - Herr Zöller, herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie bisher geleistet haben -, ({4}) dem Gesundheitsminister Daniel Bahr und der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ({5}) auch Forderungen aus Ihrem Wahlprogramm. ({6}) Deshalb wird es niemand verstehen, wenn Sie diesem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen. ({7}) Künftig können Patientinnen und Patienten auf einen Blick sehen, welche Rechte und Pflichten sie haben. Wir haben dies im BGB, im Bürgerlichen Gesetzbuch, verankert. Da gehört es hin. Wir haben uns an den Problemen orientiert, die in der Praxis aufgetreten sind und anhand von Einzelfällen gelöst worden sind. Künftig muss der Patient aber nicht mühsam die obergerichtliche Rechtsprechung durchforsten. Nein, alle Rechte sind klar und transparent und für alle verbindlich geregelt. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt. ({8}) Wir haben auch die Sachverständigenanhörung ausgewertet und infolgedessen einige, wie ich meine, ganz wesentliche Änderungen vorgenommen. Dabei ist zunächst einmal festzuhalten, dass die jetzt normierte Beweislastverteilung bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler eine Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung gerade nicht ausschließt. Ich komme jetzt zu den Änderungen. - Eine ganz wesentliche Änderung hat § 630 e BGB erhalten - hier geht es um die Aufklärungspflicht -: Minderjährige, die noch nicht in die Behandlung einwilligen können, und einwilligungsunfähige volljährige Patienten sollen stärker in das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Sie sind immer Subjekt der Behandlung und daher immer über Art und Umfang der Behandlung so zu unterrichten, dass sie entsprechend ihrem Vermögen die Behandlung verstehen können. Das ist auch Ausfluss der UN-Behindertenrechtskonvention. ({9}) Wir stärken auch noch einmal die Rechte von Patientinnen und Patienten auf Einsicht in ihre Patientenakte. Wurden dem Patienten in der Vergangenheit oftmals nur Auszüge der Akte zugänglich gemacht, so schreibt das Gesetz jetzt eindeutig und klar vor, dass ihm Einsicht in die vollständige Akte zu gewähren ist. Wir regeln auch, enger als in dem Regierungsentwurf, unter welchen Voraussetzungen die Einsichtnahme versagt werden darf. Wenn die Einsichtnahme versagt wird, ist das zu begründen. Das sind wesentliche Verbesserungen hinsichtlich der Rechte von Patientinnen und Patienten. Wir schaffen durch dieses Gesetz gute Voraussetzungen für Patientinnen und Patienten. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Marlies Volkmer von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dyckmans, ich sage es gerne noch einmal: Ohne die SPD gäbe es das Amt des Patientenbeauftragten gar nicht, und Herr Zöller könnte dieses Amt gar nicht wahrnehmen. ({0}) Ich finde es auch nicht falsch, wenn man ein Patientenrechtegesetz machen will, dass man erst einmal eine Arbeitsgruppe einrichtet und mit den Expertinnen und Experten sowie mit den Patientenvertretern spricht, damit man weiß, was man in ein solches Gesetz schreiben muss, damit etwas Besseres herauskommt als das, was wir heute haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesundheitssystem orientiert sich immer noch nicht am tatsächlichen Bedarf von Patientinnen und Patienten. Patientinnen und Patienten fühlen sich häufig als Bittsteller, sei es, wenn es um einen Arzttermin oder um einen Operationstermin geht, wenn sie ihre vollständigen Unterlagen haben wollen oder wenn es um die Versorgung mit Hilfsmitteln geht, weil sie gleichberechtigt am Leben teilhaben wollen. Auch im Konfliktfall sind Patientinnen und Patienten gegenüber Ärzten, anderen Leistungserbringern und den Krankenkassen häufig die Unterlegenen. Ebenso sind die Mitwirkungsrechte von Patienten sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene nicht ausreichend. Ein modernes Patientenrechtegesetz muss an diesen Stellen ansetzen. Es genügt bei weitem nicht, das Recht, das bisher auf viele Gesetze verteilt war, in einem Gesetz zu bündeln. ({1}) Das tun Sie aber. So ist es auch kein Wunder, dass zum Beispiel der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Montgomery, festgestellt hat: Mit diesem Gesetz können wir Ärzte gut leben. Es ändert sich nichts. - Wenn sich für sie nichts ändert, dann ändert sich wahrscheinlich auch für Patientinnen und Patienten nichts. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, Sie versuchen, durch rhetorische Tricks über die Tatsache hinwegzukommen, dass sich für Patientinnen und Patienten substanziell nichts ändert. Dieser Gesetzentwurf ist wie eine schillernde Seifenblase, die zerplatzen wird. Zurück bleiben enttäuschte Patientinnen und Patienten. ({3}) Wir haben deutlich weitergehende Vorschläge im Interesse von Patientinnen und Patienten in den Bundestag eingebracht. Ich wende mich jetzt noch einmal extra an die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU: Sie haben sicher manchen unserer Vorschläge für durchaus sinnvoll gehalten, zum Beispiel unsere Ideen für mehr Sicherheit bei Medizinprodukten oder für die Einführung eines Härtefallfonds. Es fehlen Ihnen aber die Courage und das Durchsetzungsvermögen, solche neuen Wege zu gehen. ({4}) So finden sich im Gesetz nun keinerlei Regelungen zur Verbesserung der Sicherheit bei Medizinprodukten. Hier gibt es deutliche Missstände. Das betrifft nicht nur die gegenwärtige Zulassungspraxis in Europa. Der britische Gesundheitsminister hat sich übrigens bereits dafür ausgesprochen, diese gefährliche Schwachstelle anzugehen. Von Ihnen von der Koalition hat man dazu leider nichts gehört. ({5}) Es ist aber auch in unserem Land dringend notwendig, etwas zu tun. Wir haben mit unserem Antrag „Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten“ den Weg aufgezeigt. Zum Beispiel wäre ein verpflichtendes Register für alle implantierbaren Medizinprodukte wie künstliche Gelenke oder Stents für Herzkranzgefäße ganz wichtig für die Versorgungsforschung. Damit würde die Qualität der Patientenbehandlung deutlich verbessert. Erklären Sie den Patienten und den Ärzten, warum Sie hier nichts tun! ({6}) Wo ist Ihr Änderungsantrag geblieben, der beinhaltet, dass Krankenhäuser künftig Bonusvereinbarungen mit den Chefärzten bei Erreichung ökonomischer Zielgrößen offenlegen müssen? Wir alle hören immer wieder, dass in Krankenhäusern aus rein wirtschaftlichen Gründen auch unnötige Operationen durchgeführt werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, noch am Wochenende hat Ihr gesundheitspolitischer Sprecher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung groß angekündigt, dass die Offenlegung der Bonusverträge in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser schon beschlossene Sache sei. Sind Sie jetzt der Meinung, dass Patientinnen und Patienten nicht mehr wissen müssen, ob in dem Krankhaus, in das sie gehen, solche Bonusverträge existieren? Oder war die Krankenhauslobby erfolgreich, die gesagt hat: „Brauchen wir nicht“? Oder war es die FDP? ({8}) Was ist mit dem Härtefallfonds? Herr Zöller, Sie ziehen seit Jahren durch die Lande und fordern einen solchen Fonds. Die Union fordert seit dem Frühjahr eine entsprechende Stiftung. Trotzdem bekommen Sie keine Regelung hin. Sie stellen sich vor die Presse und schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Woran lag es? Lag es an der Unfähigkeit, nach drei Jahren ein Konzept zu präsentieren? Scheiterte es am Willen der FDP, auch einmal etwas für Patientinnen und Patienten zu tun? ({9}) - Wir haben sehr wohl eines. Sie haben unseren Antrag anscheinend nicht gelesen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Volkmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aschenberg-Dugnus?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Stimmen Sie mit mir überein, dass das, was in Ihrem Antrag steht, mit dem Wiener Härtefallfonds überhaupt nichts zu tun hat? Stimmen Sie mit mir überein, dass sich der Wiener Härtefallfonds ausschließlich aus Beiträgen der Patienten finanziert? Stimmen Sie mit mir überein, dass Haftpflichtversicherungen oder Steuergelder dort überhaupt nicht vorkommen? Stimmen Sie mit mir überein, dass dieser Fonds, den Sie in Ihrem Antrag als Modell heranziehen, nur für Krankenhausaufenthalte gilt? Stimmen Sie mit mir überein, dass er eine ganz andere Zielsetzung hat, dass es da überhaupt nicht um Behandlungsfehler geht? Sie haben diesen Wiener Härtefallfonds herangezogen, aufgebläht, ad absurdum geführt und wollen ihn auf unser System übertragen, das aber ganz anders funktioniert. In unserem Schadensersatz- und Haftungssystem geht es um individuelle Verantwortung und um individuelle Haftung. ({0}) Stimmen Sie mit mir überein, dass das Placebo, das Sie hier der Öffentlichkeit geben wollen, überhaupt nicht zu unserem System passt?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Aschenberg-Dugnus, recht herzlichen Dank für diese Frage. Dies gibt mir Gelegenheit, unser Modell eines Härtefallfonds noch deutlicher zu erläutern. Sie haben recht: Wir haben das Wiener Modell nicht eins zu eins übernommen. Warum sollten wir das tun? Uns geht es darum, dass wir bei bestimmten Härtefällen eine Entschädigung zahlen wollen. ({0}) - Die sind nicht unbestimmt. - Das Haftungsrecht ist davon überhaupt nicht betroffen. Die individuelle Haftung eines jeden Arztes bleibt erhalten. Die Patienten sollen sogar klagen. Wenn sie mit einer Klage erfolgreich gewesen sind, zahlen sie Geld in den Fonds zurück. ({1}) - Wenn nicht, dann entschädigt der Fonds. ({2}) - Ja. Das ist in dem österreichischen Fonds auch so; das wüssten Sie, wenn Sie sich damit beschäftigt hätten. Aus diesem Grunde halten wir es für berechtigt, dass die Patientinnen und Patienten an der Finanzierung beteiligt sind. ({3}) Ebenso halten wir es für berechtigt, dass diejenigen, die einen solchen Behandlungsfehler verursachen - das sind in der Regel die Leistungserbringer -, über die Haftpflichtversicherung in diesen Fonds einzahlen. Das ist die Grundidee, und diese ist richtig. ({4}) Sie haben im Grunde genommen noch einmal deutlich gemacht, dass Sie nicht willens sind, etwas zu tun. Sie hätten ja etwas vorlegen können. Sie hatten Zeit. Die CDU hat im Frühjahr über ein Stiftungsmodell diskutiert. Wo ist es denn? Es gibt nichts, worüber wir hätten diskutieren können. Etwas mehr Mühe sollten Sie sich bei Ihrer Argumentation schon geben, wenn Sie schon nicht den Mut haben, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist: Sie wollen etwas im Interesse der Versicherungswirtschaft tun, und Sie wollen nichts im Interesse der Patientinnen und Patienten tun. ({5}) Sie haben leider die Chance verpasst, hier fraktionsübergreifend etwas zu tun und ein wirklich modernes Patientenrechtegesetz vorzulegen; das wäre nämlich möglich gewesen. Dadurch wäre von diesem Haus ein starkes Signal ausgegangen: an alle Leistungserbringer im Gesundheitssystem und an alle Patientinnen und Patienten. Dies hätte nicht nur die Rechte der Patientinnen und Patienten verbessert, sondern wäre auch im Interesse der Ärztinnen und Ärzte gewesen, deren übergroße Mehrheit ein Interesse an einer guten Versorgung der Patientinnen und Patienten hat. Chance verpasst - leider. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Wolfgang Zöller. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag lesen wir Schlagzeilen und Beschwerden: Rollstuhl erst nach sechs Monaten genehmigt. Keiner half mir beim Behandlungsfehlerverdacht. Ich darf als Arzt keinen Fehler melden, weil mir sonst arbeitsrechtliche Sanktionen drohen. Ich weiß nicht, wo steht, dass man ein Recht auf Einsicht in die Krankenakte hat. Ich erfuhr erst nach der Behandlung, dass ich etwas zuzahlen muss, weil die Kasse die Kosten nicht voll übernimmt. Man hat mich vor dem Eingriff nicht richtig aufgeklärt, und Behandlungsalternativen wurden keine benannt. - Das Patientenrechtegesetz schafft jetzt für all diese Problemfälle eine gesetzlich verbindliche Lösung. Das ist ein Mehrwert für die Patienten. ({0}) Deshalb ist heute ein guter Tag. Wir legen den Grundstein für eine neue Kultur in den Praxen und den Häusern der Gesundheitsversorgung, für eine Kultur der Partnerschaft, der Transparenz und der Rechtssicherheit. Wie Sie wissen, wollen wir kein Gesetz gegen irgendjemanden, sondern ein Gesetz mit den Beteiligten, das sich an den Problemlagen der Realität orientiert, sodass praktikable Lösungen gefunden werden. ({1}) Nach diesem Motto haben wir im Vorfeld über 300 Gespräche geführt und einen Konsens ausgelotet. Ich erinnere mich noch an Äußerungen wie: Eine Kodifizierung der bestehenden Rechte wird nie gelingen. Wir brauchen kein Gesetz; eine Broschüre reicht. Wir wollen eine totale Beweislastumkehr. ({2}) Wir brauchen keine mündigen Patienten; wir brauchen nur mehr Geld im System. - Es ist gelungen, zwischen diesen Polen zu vermitteln und ein gutes, umsetzbares Patientenrechtegesetz vorzulegen. ({3}) Dafür möchte ich recht herzlich danken, und zwar dem Gesundheitsminister, der Justizministerin und allen Mitarbeitern. ({4}) Ich darf an dieser Stelle auch den persönlichen Referenten ein recht herzliches Dankeschön sagen. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesetz verringert das Wissensungleichgewicht zwischen Behandler und Patient, stellt niemanden an den Pranger, nimmt aber alle an unserem Gesundheitssystem Beteiligten ausgewogen in die Pflicht. Das Vertrauensverhältnis Arzt/Patient ist für uns ein sehr hohes Gut. Wenn man die Diskussion, die zurzeit geführt wird, verfolgt, könnte man den Eindruck gewinnen, als gehe es beim Patientenrechtegesetz nur um den sogenannten Härtefallfonds. Das Patientenrechtegesetz ist Gott sei Dank - Gott sei Dank! - wesentlich mehr. Von der Kollegin ist es schon angesprochen worden: Der Behandlungsvertrag wird im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich verankert. Patienten müssen demnach verständlich und umfassend informiert werden, etwa über erforderliche Untersuchungen, Diagnosen, beabsichtigte Therapien und deren Alternativen; dies gilt im Übrigen auch für die IGeL-Leistungen. In Zukunft muss auch die Höhe zusätzlich anfallender Kosten im Voraus schriftlich fixiert werden. Die Patienten erhalten das Recht auf Einsichtnahme in ihre Patientenakte; sie können auch elektronische Abschriften ihrer Patientenakte verlangen. Nach diesem Gesetz besteht auch die Pflicht, nachträgliche Änderungen und Ergänzungen in der Dokumentation kenntlich zu machen. - Das alles sind Vorteile für die Patienten. Fehlt eine Dokumentation oder ist sie unvollständig, geht dies im Falle eines Prozesses zulasten des Behandelnden. Besteht ein Behandlungsfehlerverdacht, müssen die Kassen in Zukunft ihre Versicherten mit kostenfreien Gutachten unterstützen. ({6}) Behandlungsfehlern möglichst vorzubeugen, hat bei uns Priorität. Das Qualitätsmanagement im stationären Bereich umfasst künftig verpflichtend auch ein Beschwerdemanagement. Es wird bei der Einführung von Fehlermeldesystemen in Kliniken finanzielle Anreize geben. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung in den Qualitätsberichten wird flächendeckend eine neue Fehlerkultur befördern. Ein sehr hoher Nutzen für die Patienten ist: Die Wartezeit bei einer Entscheidung der Kassen zur Bewilligung von Leistungen wird auf drei Wochen begrenzt. Das heißt, wird der Antrag nicht innerhalb von drei Wochen bearbeitet, gilt er als genehmigt. ({7}) Die Patientenbeteiligung wird weiter ausgebaut. Patientenorganisationen werden insbesondere bei der Bedarfsplanung vor Ort einbezogen, damit die Strukturen stärker an den Patientenbedürfnissen ausgerichtet werden. Eingeführt werden auch Widerrufsmöglichkeiten bei besonderen Versorgungsformen. Da unser Gesundheitssystem und die bestehenden Rechte und Pflichten sehr umfassend sind, übernehme ich gerne die im Gesetz verankerte Pflicht, dass der Patientenbeauftragte die Bürger in Zukunft verständlich über ihre Rechte informieren muss. ({8}) So weit nur stichpunktartig eine Aufzählung neuer, konkreter, praktischer Verbesserungen für unsere Patienten. ({9}) Bei der Einbringung des Gesetzes hatte ich den Wunsch geäußert, die Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss zu stärken. Ich bin sehr froh und dankbar, dass dieser Punkt aufgenommen wurde. Durch die Fristsetzung für eine Beratung von Anträgen der Patientenvertreter wird künftig eine zügige Befassung sichergestellt. ({10}) Wörtlich heißt es: Für eine Beratung genügt ein … Aufsetzen auf die Tagesordnung … nicht. Erforderlich ist eine materiell-inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Anliegen der Patientenvertretung. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine über 20 Jahre dauernde Diskussion ist damit nicht beendet; ({12}) aber sie hat ein sehr gutes Ergebnis gefunden. Denn mit all diesen Regelungen, die wir getroffen haben, stärken wir die Position der Patienten auf dem Weg vom Bittsteller zum Partner im Gesundheitswesen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Kathrin Vogler das Wort. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zöller, das, was Sie gerade erzählt haben, glauben Sie doch selber nicht. Sie wissen alle, was ein Placebo ist. Genau das ist leider dieses Patientenrechtegesetz, das uns die schwarz-gelbe Bundesregierung hier vorgelegt hat. ({0}) Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, ein Medikament ohne Wirkstoff. Leider fehlt Ihrem Patientenrechtegesetz so mancher wichtige Inhaltsstoff im Sinne der Patientinnen und Patienten, der nützlich gewesen wäre. Ja, den Krankenkassen erlegen Sie die eine oder andere neue Pflicht auf. Manches bleibt aber vage. Zum Beispiel ist die Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern nur eine Soll-Regelung und keine Muss-Regelung. Selbst da bleiben Sie im Vagen. ({1}) - Ja, ich habe es schon gelesen. ({2}) Die Frankfurter Rundschau schreibt heute völlig zu Recht, das sei kein Patientenrechtegesetz, sondern ein „Ärzteschutzprogramm“, ({3}) und die Aussage, die Beweislasterleichterung führe zu einer Defensivmedizin, wie der Gesundheitsminister so gerne sagt, sei barer „Unsinn“. Das kann ich nur unterschreiben. ({4}) Herr Zöller, wenn Sie jetzt sagen, der Gesetzentwurf sei mit den Beteiligten im Konsens ausgehandelt worden, dann schließt Ihr Konsens wohl sehr viele Patientenorganisationen aus; sie sind - das ist bei der Anhörung sehr deutlich gesagt worden - mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung überhaupt nicht zufrieden. Frau Dyckmans hat hier schon wieder einen Mythos verbreitet, und zwar den, dass Sie die Patientenrechte in einem Gesetz bündelten. Auch da Fehlanzeige: Statt dass Sie ein Patientenrechtegesetzbuch aus einem Guss vorlegen, wird jetzt am Bürgerlichen Gesetzbuch, am SGB V, an der Patientenbeteiligungsverordnung und am Krankenhausfinanzierungsgesetz herumgedoktert. Das muss einmal gesagt werden; das ist die Wahrheit. ({5}) Sie schreiben nur fest, was Richterinnen und Richter bereits im Sinne der Patientinnen und Patienten entschieden haben, ({6}) Sie gehen kaum darüber hinaus. ({7}) Im Gegenteil, Sie riskieren, dass eine Weiterentwicklung durch Richterrecht nicht mehr möglich ist. Worüber reden wir hier eigentlich, ({8}) was sind denn die wichtigsten Dinge, die fehlen? Angenommen, ein Patient bekommt einige Monate nach seiner Hüftoperation Probleme, weil sich das künstliche Hüftgelenk lockert, der Patient hat Schmerzen, kann sich nicht mehr bewegen, kann nicht mehr laufen, kann nicht arbeiten, muss neue Untersuchungen, neue Behandlungen über sich ergehen lassen, muss wieder ins Krankenhaus und vielleicht noch mehrfach operiert werden. In dieser Situation ist doch der Betroffene, der Patient, ohnehin schon belastet. Und dann muss er noch selber die Beweiskette führen. Sie besteht aus drei Elementen: erstens dass er den Schaden hat, zweitens dass es einen Behandlungsfehler gegeben hat und drittens dass dieser Behandlungsfehler ursächlich für das lockere Hüftgelenk ist. Als medizinischer Laie ist er gegenüber der Ärztin, dem Arzt oder dem Klinikkonzern mit seiner juristischen Abteilung hundertprozentig im Nachteil. Deswegen sagen wir als Linke: Ein Patientenrechtegesetz, das diesen Namen verdient, muss für die Patientinnen und Patienten bei der Beweislast deutliche Erleichterungen bringen. Das hat die Bundesregierung leider versäumt. Deswegen ist ihr Gesetzentwurf für uns nicht zustimmungsfähig. ({9}) Wir haben einen Entschädigungsfonds gefordert. Fast alle Fraktionen des Hauses haben in irgendeiner Form über einen solchen Entschädigungs- oder Härtefallfonds nachgedacht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wie er ausgestaltet werden könnte, sind uns aber einig im Ziel: dass Patientinnen und Patienten in so einer schwierigen Situation schnell und unbürokratisch geholfen werden muss. Das hat die FDP leider im Sinne der Ärztelobby verhindert. Sie haben gemauert und damit einen weiteren Fortschritt im Sinne der Patientinnen und Patienten verhindert. Auch deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({10}) Auch den SPD-Antrag zum Härtefallfonds halten wir für politisch unverdaulich. ({11}) Wir unterstützen zwar Ihr Anliegen, die Diskussion über den Härtefallfonds wiederzubeleben, halten aber Ihre Finanzierungspläne für nicht ausgegoren und nicht geeignet. Sie wollen, dass dieser Härtefallfonds unter anderem über die Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten zum Krankenhausaufenthalt bezahlt wird. ({12}) Wir sind der Auffassung: Diese Zuzahlungen sind noch unsozialer als die Praxisgebühr, die wir vor kurzem alle gemeinsam abgeschafft haben. Deswegen können wir auch Ihrem Antrag nicht zustimmen. ({13}) Was wir allerdings gut finden und wofür ich der SPD ausdrücklich danken möchte, ist der Antrag, die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen besser zu regulieren und einzudämmen. Wir unterstützen das. Bei den IGeL-Leistungen wird in den Arztpraxen allerlei Schindluder und Beutelschneiderei betrieben. Davor müssen wir - wir alle gemeinsam - die Patientinnen und Patienten schützen. ({14}) Auch bei der Sicherheit der Medizinprodukte wollen wir etwas unternehmen. Auch dazu findet sich im Gesetzentwurf der Bundesregierung nichts wieder. Wir alle erinnern uns an den Betrug mit defekten Brustimplantaten. Vor kurzem hat eine britische Medizinzeitschrift aufgedeckt, dass die 80 Zertifizierungsstellen in Europa, die Medizinprodukte zertifizieren, doch nicht so gut ar25732 beiten, wie man es von ihnen erwarten müsste. Diese Zeitschrift hat in mehreren Fällen herausgefunden, dass diese Zertifizierungsstellen bereit waren, Hüftprothesen, die offensichtlich unsicher waren und die Patientensicherheit gefährdeten, zu zertifizieren. Das ist bei privatwirtschaftlichen Einrichtungen, die im Auftrag der Industrie tätig werden und Aufträge akquirieren müssen, auch kein Wunder. Deshalb fordern wir mit unserem Entschließungsantrag eine EU-weite zentrale Behörde zur Zertifizierung von Medizinprodukten. Denn es kann doch nicht angehen, dass Medizinprodukte, die in den Körper eingesetzt werden, unsicher sind. Dagegen müssen wir gemeinsam etwas unternehmen. ({15}) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verspielen hier leider eine große Chance. Wieder einmal hat Ihnen der Mut gefehlt, sich mit mächtigen Lobbygruppen anzulegen. Stattdessen enttäuschen Sie die Patientinnen und Patienten und ihre Selbsthilfeorganisationen. Das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Patientenbeauftragter Zöller, ich habe mit Interesse vernommen, dass Sie durchaus mit Stolz über dieses Werk geredet haben, aber durchaus auch mit einem, sagen wir einmal, gewissen verhaltenen Stolz; denn Sie wissen im Grunde genommen am besten, dass dieses Gesetz so, wie es heute verabschiedet werden wird, eine Enttäuschung bleiben wird. ({0}) Das ist sehr deutlich. Sie haben viele Aspekte gelobt und haben durchaus noch einige Verbesserungen im Gesetzgebungsprozess eingebracht. Aber der Kern der Aufgabe, der hier zu bewältigen war, ist nicht bewältigt worden. Deshalb ist das Gesetz eine Enttäuschung. ({1}) Das liegt daran, dass Sie sich schon vorweg entschieden hatten, dass Sie für die Opfer von Behandlungsfehlern keine durchgreifende Regelung im Gesetzbuch schaffen werden. Das war im Koalitionsvertrag von vornherein ausgeschlossen. Das war die große Hürde und die schwere Last, die auf diesem gesamten Gesetzgebungsprozess gelegen hat. ({2}) Es war völlig klar: Mit der FDP ist eine Besserstellung von Patienten vor Gericht in Arzthaftungsprozessen nicht zu machen. ({3}) Das war die Ausgangsvoraussetzung, mit der Sie umgehen mussten. Das heißt in der Konsequenz für die Patienten und für die Patientenorganisationen: Es wird bei den hohen Hürden vor Gericht bleiben. Es wird bei den langen Prozesszeiten bleiben. Es wird bei den hohen Prozessrisiken bleiben. Es wird dabei bleiben, dass sehr viele ihr Recht vor dem Gesetz nicht durchsetzen können, nicht weil die Richter nicht wollen, sondern weil die Anforderungen an die Beweislast zu hoch sind. Das wird leider so bleiben. ({4}) Weil Ihnen das alles klar war, haben Sie als CDU, gerade Sie, Herr Zöller, den Vorschlag der Einrichtung eines Härtefallfonds durchaus wohlwollend aufgenommen, der von unserer Seite, von der SPD und von den Linken in die Diskussion gebracht worden ist. Sie haben den Vorschlag aufgenommen, weil Sie erkannt haben: Es gibt Leute, die auf der Strecke bleiben, die mit ihren Schäden ohne irgendeine Entschädigung, ohne irgendeine Unterstützung weiterleben müssen. Das war doch der Punkt. Dann haben Sie versucht, diesen Härtefallfonds durchzusetzen, und dann ist er wieder an der FDP gescheitert, wieder an den Gruppen wie den Haftpflichtversicherern, die genau diesen Fonds nicht haben wollten. ({5}) Das ist das Problem, und daran können Sie nicht vorbeireden. ({6}) Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben gerade sehr deutlich gemacht, dass es Ihnen letztlich nicht um den Patienten geht, ({7}) dass es Ihnen nicht um die Opfer von Behandlungsfehlern geht, sondern dass es Ihnen um die schlichte Abwehr eines Projekts selbst der CDU gegangen ist. Das war eine ganz klare Argumentation. ({8}) Kommen wir zur nächsten Enttäuschung. Es geht auch in Ihren Papieren um Risikovermeidung. Es geht um eine neue Fehlervermeidungskultur in den Kliniken. Aber was tun Sie materiell dafür, außer den Krankenhäusern einen Anreiz zu geben? Etwas anderes haben Sie materiell nicht neu in die Gesetzgebung gebracht. Wir meinen, das ist zu wenig. Bei unserem Kenntnisstand von heute, da wir alle um die Risiken von hochkomplexen medizinischen Verfahren wissen, ist das zu wenig. Wir meinen: Hier muss nachgebessert werden. ({9}) Kommen wir zu einem Bereich, der in der Sachverständigenanhörung auch eine große Rolle gespielt hat. Was ist mit den Menschen mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen? Warum sind Sie nicht bereit, den dann notwendigen Dolmetscherdienst auch kostenfrei zu stellen? Ein Arzt wird doch in die Situation kommen, eine Behandlung verweigern zu müssen, weil er sich sicher ist, dass der Patient das, was er zur Aufklärung gesagt hat, überhaupt nicht verstanden hat. Muss er tatsächlich seine Putzfrau oder irgendeine andere Person heranholen, die die Aufklärung, die ja eigentlich fachkundig vorgenommen werden muss, eventuell sicherstellen kann? Wieso sind Sie nicht bereit, hierfür eine gesetzliche Regelung zu schaffen? Das ist mir und uns nicht verständlich. ({10}) Ich komme nun zu den Menschen mit psychischen Erkrankungen und zum Bereich Zwangsbehandlung. Warum ist es nicht möglich, den guten Vorschlag aufzunehmen, eine Behandlungsvereinbarung als Pflicht für die Krankenhäuser vorzusehen? ({11}) Das wäre ein präventives Angebot, das die Behandlungssituation im Vorhinein entlasten würde. Warum ist es nicht möglich, den Krankenhäusern ein solches Instrument vorzuschreiben? Ich verstehe es nicht und kann es nicht nachvollziehen. Dies tun Sie nicht, obwohl wir alle wissen, dass eine schwierige Diskussion über das Thema Zwangsbehandlung vor uns liegt. Hierbei wird es um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff gehen. Alles, was wir im Vorhinein tun können, um eine solche Härte zu vermeiden, sollten wir auch tun. ({12}) Ich komme zu den Anträgen, die hier noch im Raum stehen. Es wäre schön gewesen, wenn wir die hier im Raum vorhandene Mehrheit für einen Härtefallfonds tatsächlich hätten nutzen können, um diesen auf den Weg zu bringen. Eine Diskussion über die Ausgestaltung wäre ja noch möglich gewesen. Darüber hätten wir uns doch einigen können. Wir hätten als Ausschuss nach Österreich reisen und dort Anregungen aufnehmen und gucken können, wie das eigentlich geht. ({13}) Wir hätten hier viele Dinge in Angriff nehmen können. Er war aber nicht gewollt, und das ist ausgesprochen schade. Trotz unserer Bedenken aufgrund der konkreten Ausgestaltung, die die SPD hier vorgenommen hat, werden wir diesem Antrag in der namentlichen Abstimmung zustimmen. ({14}) - Ja, wir haben das von verschiedenen Seiten prüfen lassen, ({15}) und Sie wissen auch, dass sich die rot-grün regierten Länder im Bundesrat ausdrücklich und ausführlich mit diesem Ansatz beschäftigt haben. ({16}) - Nein, es gibt ein Konzept, und es gibt sogar eine finanzielle Ableitung darüber, wie viel dieser Fonds letztlich kosten würde. ({17}) - Doch, er würde funktionieren; Sie wissen das auch. ({18}) Sie versuchen nur, sich aus dieser Situation herauszuschleichen. ({19}) Wir müssen sagen: Es ist schade, dass Sie hier viele gute Möglichkeiten, die wir über alle Fraktionen hinweg zugunsten der Patienten hatten, zerschlagen haben. ({20}) Man sieht: Wir müssen auf andere politische Verhältnisse warten, bis ein echtes Patientenrechtegesetz mit einer wirklichen Verbesserung gerade für die, die es am deutlichsten brauchen, tatsächlich durchsetzbar ist. Vielen Dank. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Klein-Schmeink, Sie haben vorhin gesagt, dass der Kollege Zöller mit Stolz von diesem Gesetzentwurf gesprochen hat. Ich sage: Ja, er kann auch stolz auf diesen Gesetzentwurf sein; denn wir erreichen hier wirklich einen großen Fortschritt für die Patienten in unserem Land. ({0}) Wir setzen damit ein Ziel der christlich-liberalen Koalition um. Wir stärken die Rechte der Patientinnen und Patienten, wir fördern die Orientierung zwischen den vielfältigen Gesetzen und unzähligen Gerichtsurteilen, und wir schaffen Transparenz. Sie haben dagegen jahrelang, ja jahrzehntelang nur geredet. Wir handeln! Ihre Kritik ist an dieser Stelle überhaupt nicht glaubwürdig. ({1}) Man muss auch einmal sagen: Wir nehmen hier eine umfassende Kodifizierung der Patientenrechte in einem einheitlichen Rechtsrahmen vor, nämlich im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dadurch erhält dort jeder verlässliche Informationen über die vorhandenen Rechte und Pflichten. Allein diese Transparenz, die wir hier schaffen, dass jeder Patient seine Rechte nachlesen und sich informieren kann, ist ein großer Mehrwert. Deswegen geht all das, was Sie sagen, es handele sich um eine schillernde Seifenblase, hier sei kein Wirkstoff vorhanden, sondern das Ganze sei nur ein Placebo, und es würde sich nichts ändern - das hat die Kollegin Volkmer gesagt -, mit Verlaub gesagt, an der Sache vorbei. Wir machen hier einen großen Schritt in Richtung von mehr Rechten für die Patienten in unserem Land. ({2}) Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf vor allen Dingen das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stärken. Wir tragen dazu bei, dass die Menschen frei und eigenverantwortlich über ihre medizinischen Behandlungen entscheiden können. Damit setzen wir auf das Leitbild des mündigen Patienten, der umfassend über seine Rechte informiert ist und weiß, in welche Behandlung er einwilligt. Das, möchte ich sagen, ist eines der Dinge, die wir in den parlamentarischen Verhandlungen noch geändert haben und die zu einem Fortschritt führen. Ich möchte mit der Einsicht in die Patientenakte anfangen. Man muss klar sagen: Nur das, was in einer Patientenakte hinreichend dokumentiert ist, lässt sich im Nachhinein ohne Probleme nachvollziehen. Insofern soll es so sein, dass die Patientenakte alle wesentlichen Informationen über den Patienten, über seine Beschwerden und über die erfolgte Behandlung beinhaltet. Sie muss zum Wohle des Patienten und auch zur Absicherung des Behandelnden besondere Anforderungen erfüllen und bedarf des Schutzes durch den Gesetzgeber. Deswegen legen wir jetzt fest, dass die Patientenakte sorgfältig geführt werden muss, dass sie vollständig sein muss und dass vor allen Dingen nachträgliche Änderungen oder Berichtigungen nur noch dann zulässig sind, wenn nicht nur der ursprüngliche Inhalt erkennbar ist, ({3}) sondern dass auch erkennbar ist, wann diese Änderungen vorgenommen worden sind. Wenn man später in einem Prozess die Behandlung nachvollziehen möchte, dann gibt es an dieser Stelle die meisten Schwierigkeiten. ({4}) - Diese Erkennbarkeit ist sehr wohl etwas Neues. Wenn Sie sich die Rechtsprechung genau ansehen, liebe Kollegin von der Opposition, dann werden Sie feststellen, dass wir die Folgen dieser Rechtsprechung hier klar und dezidiert festhalten, dass wir einen umfassenden Anspruch auf Einsicht verankern, der im Übrigen nicht mehr ohne Weiteres vom Arzt abgelehnt werden kann. Diese Einsichtnahme kann nur aus therapeutischen Gründen abgelehnt werden oder wenn dem erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Der Arzt muss seine Ablehnung begründen. Er kann sich nicht mehr hinter irgendwelchen Floskeln verstecken. Das wird es dem Patienten in Zukunft ermöglichen, seine Rechte zur Not vor Gericht durchzusetzen. Diese Regelung ist ein wesentlicher Fortschritt und geht weiter über das hinaus, was wir derzeit haben. ({5}) Mit diesem grundsätzlichen Anspruch auf Einsichtnahme erreichen wir erhöhte Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit beim Patienten. Auch das führt letztlich dazu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das wir alle miteinander wollen, gestärkt wird. Da ich beim Vertrauensverhältnis bin, möchte ich noch etwas anderes sagen. Es wurde hier von Fehlerkultur gesprochen und davon, dass es hier keine Fortschritte gibt. Auch an dieser Stelle regeln wir im Bürgerlichen Gesetzbuch sehr klar, dass ein Arzt zukünftig Fehler eingestehen kann, ohne dass er Angst haben muss, hinterher von einem Staatsanwalt behelligt zu werden. Wir geben ihm einen Anreiz, den Fehler anzugeben, ohne dass das hinterher in einem gerichtlichen Verfahren gegen ihn verwendet werden kann. Damit ermöglichen wir es ihm, seine Fehler tatsächlich einzugestehen: zum Wohle des Patienten, sodass schnell gegen die Folgen möglicher Fehler vorgegangen werden kann. ({6}) Ich möchte etwas zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts sagen, die auch Ziel und Zweck dieses Gesetzentwurfes ist. Wir sind der Auffassung, dass auch das Selbstbestimmungsrecht von Kindern und einwilligungsunfähigen Personen Beachtung verdient; das hat hier die Kollegin Dyckmans schon ausgeführt. Auch wenn diese Personen natürlich formal nicht in eine medizinische Behandlung einwilligen können - das müssen immer die Eltern oder die Betreuer machen -, sollen sie in das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Wir legen deswegen mit diesem Gesetzentwurf fest, dass auch Kindern und einwilligungsunfähigen Personen, die eine Art natürliche Einsichtsfähigkeit haben, entsprechend ihren Verständnismöglichkeiten und entsprechend ihrem Entwicklungsstand die wesentlichen Umstände der medizinischen Behandlung erläutert werden müssen. Wir erreichen einen wesentlichen Fortschritt für diese Patienten, weil wir an dieser Stelle ihr Selbstbestimmungsrecht achten. ({7}) Wir haben neben der Stärkung der Rechte von Patientinnen und Patienten an vielen Stellen auch darauf geachtet, dass wir den Anforderungen in der Praxis gerecht werden. Wir haben sehr darauf geschaut, dass unsere Regelungen, etwa im Alltag von Krankenhäusern, nicht zu unnötigen Erschwernissen führen. Deswegen haben wir zum Beispiel bei der Aufklärung, die vor jedem Eingriff in verständlicher Weise erfolgen muss, damit in die medizinische Behandlung eingewilligt werden kann, festgelegt, dass diese nun auch durch eine Person durchgeführt werden kann, die aufgrund einer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung dieser Maßnahme hat. ({8}) Das knüpft sozusagen an den Krankenhausalltag an, wo es in aller Regel so ist, dass Assistenzärzte die Aufklärung vornehmen, die tatsächliche Operation aber durch Fach- oder Oberärzte erfolgt. ({9}) Die haben aber natürlich im Krankenhausalltag nicht die Zeit, alle Patienten aufzuklären. Deswegen sagen wir an dieser Stelle: Auch Assistenzärzte, die aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung die fachliche Kompetenz haben, sollen die Aufklärung vornehmen dürfen. Sonst würden unnötig Bürokratie und Erschwernisse im Krankenhaus geschaffen. ({10}) Unter dem Strich - das muss man sagen - war es ein gesetzgeberischer Drahtseilakt, den wir vornehmen mussten, weil wir die vorhandene Judikatur - das Richterrecht - kodifizieren wollten, aber wir wollten natürlich nicht verhindern, dass sich das Richterrecht auch zukünftig fortentwickeln kann. ({11}) Deswegen haben wir bei der Formulierung der einzelnen Regelungen sehr darauf geachtet, dass wir Freiräume und Möglichkeiten lassen, dass Gerichte im Einzelfall sach- und interessengerechte Urteile fällen können. Denn das Richterrecht ist eine wesentliche Stärke unserer deutschen Rechtsordnung, und das soll in Zukunft auch so bleiben. Unter dem Strich sage ich: Es war ein Drahtseilakt, es war schwierig, wir haben es aber geschafft, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in wesentlichen Teilen zu stärken. Wir schaffen klare und transparente Regelungen. Das ist ein großer Fortschritt. Ich muss an dieser Stelle auch einen Dank an die Ministerien, das Justizministerium und das Gesundheitsministerium, aussprechen. Das waren gute Beratungen. Wir haben ein gutes Gesetz vorgelegt. Ich bitte dafür um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Mechthild Rawert das Wort. ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Luczak, das war ja wohl der Versuch des Scharfschießens. Er ist allerdings gescheitert. Ihre Ausführungen zum Richterrecht haben ganz deutlich gemacht, dass das Patientenrechtegesetz eigentlich wenig klärt. Denn wenn Sie jetzt in der abschließenden Beratung schon darauf setzen, dass die Zukunft aufgrund unklarer gesetzlicher Regelungen aus Urteil an Urteil an Urteil an Urteil besteht, kann ich nur sagen: Gesetz gescheitert! ({0}) Es ist das Gesetz der vertanen Chancen. SchwarzGelb stellt sich nicht auf die Seite der Patientinnen und Patienten, sondern es ist so - die Berliner Zeitung hat heute so getitelt, es ist vorhin auch schon zitiert worden -, dass hier ein Ärzteschutzprogramm verabschiedet wird. Nicht, dass uns hinterher wieder vorgeworfen wird, wir als Opposition seien gegen die Mediziner. Nein, dem ist nicht so. Wir sind aber gegen Regelungen, die Patienten nicht schützen und die vor allen Dinge ihre Rechte nicht stärken. ({1}) Denn wir müssen eines wahrnehmen, und zwar das Leben und die Wirklichkeit des Lebens. Die Fehlerquote liegt im Promillebereich, ja. Nach seriösen Schätzungen sterben andererseits rund 17 000 Menschen im Jahr an Kunstfehlern. Darauf gibt Ihr Gesetz null Komma null Antwort. ({2}) Minister Bahr, Sie selber haben es auch schon angesprochen: Sie haben von einer generellen Beweislastumkehr gesprochen, die Sie nicht wollen. Frau Aschenberg-Dugnus wird sicherlich gleich darauf noch eingehen. Ich frage mich: Wo ist denn der Sturm der Ärzte und Ärztinnen? Ich hätte erwartet, dass sich auch die Mediziner viel stärker auf die Seite der Patienten und Patientinnen gestellt hätten, um deren Rechte zu stärken. Deswegen sage ich - auch als Antwort auf die erste Rednerin -: Dieses Gesetz zerstört Vertrauen, und dieses Vertrauen ist ein kostbares Gut. Hier haben Sie versagt. ({3}) Ich komme auf einen speziellen Punkt zurück, nämlich auf die individuellen Gesundheitsleistungen. Wir reden hier von einem Markt, der schon 2010 1,5 Milliarden Euro umfasste. Wir Sozialdemokraten hatten diesbezüglich einen Antrag zur Eindämmung der individuellen Gesundheitsleistungen vorgelegt. Es geht nicht nur um 1,5 Milliarden Euro, sondern um 18,5 Millionen Einzelgeschäfte in Praxen. Das ist also ein Markt, den es sich genauer anzuschauen und vor allen Dingen zu regulieren lohnt. Was war am Anfang in Ihrem Patientenrechtegesetzentwurf zu IGeL-Leistungen enthalten? Null Komma null. Nichts! ({4}) Insofern hat unser Antrag Sie noch ganz schön auf Trab gebracht. Darüber bin ich froh, und darauf bin ich stolz, auch aus der Sicht der Opposition heraus. ({5}) Denn die individuellen Dienstleistungen, für die nach Ihren Vorstellungen in den Praxen gezahlt werden soll, berühren das, was mancher Mann meint, wenn er sagt: Man will nur mein Bestes, nämlich das Portemonnaie. Wir wollten eine Bedenkzeit und die Trennung der Leistungen insofern, dass IGeL-Leistungen nicht zusammen mit gesetzlich versicherten Leistungen verkauft werden, ({6}) weil wir sicherstellen wollen, dass der Arzt oder die Ärztin vertrauenswürdig bleiben und nicht plötzlich als Anbieter von Selbstzahlerdienstleistungen auftreten. ({7}) Der Patient oder die Patientin soll nicht plötzlich zum Kunden oder zur Kundin degradiert werden. All das beantworten Sie ausschließlich damit, dass es jetzt eine bessere Aufklärung hinsichtlich der Finanzierung dieser individuellen Gesundheitsleistungen geben soll. ({8}) - Ja, ich danke Ihnen für dieses Stichwort. - Das Stichwort mündiger Patient oder mündige Patientin hat bei dem gesamten Theater, wie ich es nennen möchte, eine große Rolle gespielt, als es darum ging ({9}) - Sie können das noch besser -, dass das Wirtschaftsministerium die Schulungen für Ärzte und Ärztinnen bezahlt hat, damit auch das medizinische Fachpersonal mehr Marketingschulungen erhält. In den Antworten des Ministeriums auf meine Fragen war ständig vom mündigen Patienten und der mündigen Patientin die Rede. Aber davon, dass die einen geschult werden - sogar mit öffentlichem Geld -, damit der Patient besser ausgenommen werden kann und mehr Abzocke möglich ist, sagen Sie nichts, wenn es um Ihr Lieblingsbild des mündigen Patienten und der mündigen Patientin geht. ({10}) Ich glaube, ich bin eine mündige Frau. Wenn ich krank bin, geht es mir aber nicht darum, vorher noch ein medizinisches Studium in Kurzfassung abzulegen, sondern dann möchte ich geheilt werden. ({11}) Dann bin ich gerne bereit, nicht nur hilfsbedürftig zu erscheinen, sondern auch Hilfe in Anspruch zu nehmen. ({12}) Mit anderen Worten: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wurde leider auch von der Verbraucherschützerin verraten, um es so zu sagen. Frau Aigner als oberste Verbraucherschützerin hat eine Studie „Untersuchungen zum Informationsangebot zu Individuellen Gesundheitsleistungen“ vorgelegt. Wen wundert es, dass in dieser Studie jede Kritik und jede Annahme, die Grundlage für unseren Antrag „Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen“ war, bestätigt worden ist? Auch Herr Zöller fordert eigentlich eine Bedenkzeit. Was ist aus der Bedenkzeit geworden? Null Komma null.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Rawert.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Moment. ({0}) Die Informationen in den Arztpraxen sind nicht aussagekräftig genug und haben zu viele Defizite. Das einzig Wertvolle ist derzeit der IGeL-Monitor. Darauf verweisen wir alle. - Entschuldigung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie jetzt noch eine Nachfrage, wie man in diesem Fall sagen muss, des Kollegen Dr. Lotter von der FDP?

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Er steht ja schon. ({0})

Dr. Erwin Lotter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003895, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schon die ganze Zeit.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind ja beide nicht so hochgewachsen.

Dr. Erwin Lotter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003895, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin ja so unscheinbar. Danke, dass Sie die Frage noch zulassen. - Frau Kollegin Rawert, wenn ein Patient zu mir kommt, um sich von mir behandeln zu lassen, und er mich bei der Behandlung fragt: „Herr Doktor, gegen meine Kniegelenksarthrose habe ich mal homöopathische Spritzen bekommen, die mir hervorragend geholfen haben. Könnte ich sie wieder bekommen?“ - das ist eine sogenannte IGeL-Leistung -, dann muss ich ihm sagen: Ja, das können wir machen, aber warten Sie bitte erst 24 Stunden; kommen Sie morgen um 17 Uhr wieder, dann kann ich es machen. - Dann denkt der Patient doch: Ich glaube, mein Doktor spinnt jetzt völlig. Würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie fordern, völlig unrealistisch ist? ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sehr erfreut, dass Sie als Arzt einem Patienten von heute auf morgen einen Termin um 17 Uhr anbieten. ({0}) Das ist eine absolute Ausnahme und hat überhaupt nichts mit der alltäglichen Praxis zu tun. Die individuellen Gesundheitsleistungen werden in der Regel - wir reden hier nicht von sportmedizinischen oder reisemedizinischen Untersuchungen - von Ärztinnen und Ärzten angeboten. Das zeigt: Ihr Beispiel ist lebensfremd und nicht Grundlage dieser Diskussion. ({1}) - Herr Lanfermann, auch Ihnen wünsche ich noch viele Arztbesuche und so gute Erfahrungen, wie sie Herr Lotter gemacht hat. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine AschenbergDugnus von der FDP-Fraktion. ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir bisher von der Opposition gehört haben, ist ein geradezu schicksalhafter Reflex. Wenn Vorschläge von der Regierung gemacht werden, müssen Sie sie kritisieren, egal ob etwas dahintersteckt oder nicht. Das ist besonders eigentümlich für die SPD, die in ihrer Regierungszeit eine kleine Broschüre zu den Patientenrechten aufgelegt hat. Zehn dünne Seiten über die Patientenrechte! Auf ihnen steht nichts Großartiges. Wenn Sie von vertanen Chancen sprechen, dann ist das lächerlich. ({0}) Sie haben in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts geleistet. Jetzt werfen Sie uns das vor? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Liebe Frau Rawert, wenn Sie sagen, die Ärzte würden nicht an der Seite ihrer Patienten stehen, dann ist das eine Unverschämtheit. Die Ärzte stehen an der Seite ihrer Patienten. ({1}) Ich finde, Sie sollten das zurücknehmen. Welches Bild haben Sie überhaupt von den Ärzten in unserem Land? Ich empfinde das als persönliche Beleidigung. Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir endlich zu den Inhalten unseres hervorragenden Patientenrechtegesetzes. Meine Kollegin Frau Dyckmans hat schon über die Änderungen im BGB referiert. Ich möchte Ihnen aufzeigen, welche konkreten Verbesserungen das SGB V für die Patientinnen und Patienten in unserem Lande vorsieht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Frau Kollegin Klein-Schmeink würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe zwar noch drei Minuten, aber machen Sie mal.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es ist mehr eine Anfangsfrage.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie waren gerade dabei, über das Verständnis der Rolle des Arztes und über das Misstrauen den Ärzten gegenüber zu sprechen. Ich habe heute in der Presse gelesen, dass gerade Sie und auch Minister Bahr als ein Argument gegen den Härtefallfonds angeführt haben, dass dann der Anreiz für die Ärzte entfiele, sorgfältig und fehlerfrei zu arbeiten. Welches Verständnis von ärztlicher Kunst und der ärztlichen Rolle spricht daraus? ({0})

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin, Sie haben wieder einmal etwas völlig missverstanden. Es geht darum, dass jemand im deutschen Schadensersatzrecht für sein individuelles Handeln individuelle Haftung übernehmen muss. Das führt dazu, dass er besonders rücksichtsvoll agiert. Warum wir gegen den Härtefallfonds sind, ist eine ganz andere Sache. Wir haben hier noch nicht gehört, wie es rechtlich fundiert umgesetzt werden soll. Die SPD hat einen Antrag vorgelegt, der grob vom Wiener Modell ausgeht. Im Ergebnis ist es aber anders. So sollen alle - Versicherte, Steuerzahler und Patienten - zur Finanzierung herangezogen werden. Dann wird gesagt, dass es gar nicht um Behandlungsfehler, sondern nur um Härtefälle geht. Es ist überhaupt nicht geklärt, wer das entscheidet. Es ist überhaupt nicht geklärt, in welcher Zeit das geschehen soll. Es ist überhaupt nicht geklärt, ob es rechtlich angreifbar ist. Dazu hat niemand in diesem Hohen Hause etwas vorgelegt. Wir sind ein Rechtsstaat und können nur das ins Gesetz schreiben, was auch wirklich umsetzbar ist. Solange Sie nichts Entsprechendes vorlegen, können Sie von uns nicht erwarten, dass wir für einen Härtefallfonds sind. So viel zu diesem Thema. ({0}) Meine Damen und Herren, jetzt würde ich gerne den Patientinnen und Patienten erklären, welche positiven Maßnahmen wir für sie im SGB V ergriffen haben. Der erste Punkt, der mir persönlich ganz wichtig ist, ist die Bewilligung von Leistungen durch die Krankenkassen. Durch dieses Gesetz wird sie beschleunigt. Wir hören es doch tagtäglich: Die Patienten beschweren sich darüber, dass sie ewig auf eine Leistung ihrer Krankenkasse, auf die sie angewiesen sind, warten und dass sie sich selber darum kümmern müssen. Deswegen steht jetzt im Gesetz: Wenn sich die Kasse nicht innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung meldet, kann sich der Patient beispielsweise das nötige Mittel oder den Rollator selbst besorgen und bekommt die Kosten später erstattet. Das heißt, die Leistung ist automatisch genehmigt, wenn sich die Krankenkasse nicht rührt. ({1}) Meine Damen und Herren, das sind ganz konkrete Verbesserungen im Alltag der Patienten und für unsere medizinische Versorgung. Auch der zweite Punkt ist sehr wichtig. Das Gesetz sieht die Förderung einer Fehlervermeidungskultur in der medizinischen Versorgung vor. Wir verpflichten per Gesetz die Krankenhäuser zur Einführung eines Beschwerdemanagements und zur Einführung eines Fehlermeldesystems. Das ist ganz wichtig, weil wir den Nährboden für Fehler weitgehend austrocknen wollen. ({2}) Sicher, da, wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. Wir können Fehler nie ausschließen. Deswegen geben wir den Betroffenen eine zusätzliche Hilfe an die Hand. In Fällen, in denen Fehler passiert sind, werden die Versicherten zukünftig auf die verpflichtende Unterstützung ihrer Krankenkasse bauen können. Das ist positiv für die Menschen in unserem Lande. ({3}) Eben wurde über IGeL gesprochen; dazu möchte ich noch etwas sagen. Im Gegensatz zu Frau Rawert halte ich IGeL nicht per se für schlecht. Man darf sie nicht als reine Umsatzsteigerungsinstrumente der Ärzte abtun. Ich finde, das wird dem überhaupt nicht gerecht und ist absolut unredlich. Was man machen kann - da bin ich wieder beim mündigen Patienten, Frau Rawert -, ist Folgendes: Wir müssen den Patienten bestmöglich aufklären. Dann kann er auf der Grundlage der ihm gegebenen Auskünfte seine Entscheidung treffen. Er wird darüber informiert, was für ihn sinnvoll ist und was es kostet. Dann kann er sich ausführlich darüber Gedanken machen. Zum Beispiel die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die unabhängigen Patientenberatungen und die Kassen haben auf ihren Internetseiten Informationen über IGeL. Alle verweisen auf den IGeL-Monitor. Es gibt genügend Informationsmöglichkeiten für die Patienten. Natürlich kann der IGeL-Monitor auch kritisch betrachtet werden, Frau Rawert. So werden manche Maßnahmen als nicht nützlich bewertet, obwohl das nach meiner Meinung nicht der Fall ist. Zum Beispiel wird die professionelle Zahnreinigung als nicht nützlich bewertet. Das ist natürlich völlig fragwürdig. ({4}) - Das steht im IGeL-Monitor als IGeL. Meine Damen und Herren, die von Ihnen geforderte Regelung zur Bedenkzeit, um sich für eine IGeL zu entscheiden, ist doch völlig unpraktikabel und unsinnig. Wenn ein Patient eine Leistung nicht will, muss er sie ja nicht in Anspruch nehmen. Aber als Regelfall eine 24-stündige Bedenkzeit vorzuschreiben, ist doch völlig patientenfeindlich und praxisfern. Das ist doch gegen die Patienten. Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. ({5}) Meine Damen und Herren, in unserem Gesetz stehen der Patient und die Verbesserung seines ganz konkreten Alltags im Mittelpunkt. Das erreichen wir. Das, was in Ihrer kleinen, dünnen Broschüre skizziert war, ({6}) haben wir jetzt in einem sehr guten Patientenrechtegesetz zusammengefasst. Ich glaube, die Patientinnen und Patienten werden merken, dass das viel mehr wert ist als diese kleine Broschüre. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Erwin Rüddel von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere erfolgreiche Gesundheitspolitik der vergangenen drei Jahre ({0}) wird heute mit einem Gesetz abgerundet, das die Rechte der Patientinnen und Patienten stärkt und übersichtlich zusammenfasst. Dabei haben wir sehr sorgfältig darauf geachtet, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beschädigt wird. Mit dem Patientenrechtegesetz verankern wir das Arzt-Patienten-Verhältnis erstmals im Bürgerlichen Gesetzbuch. Durch das Gesetz sind Betroffene künftig nicht mehr davon abhängig, ob der jeweilige Richter in einem möglichen Prozess sattelfest und mit der gesamten bisherigen Rechtsprechung vertraut ist. Schon alleine diese Tatsache bedeutet einen entscheidenden Fortschritt; denn der künftig im Bürgerlichen Gesetzbuch normierte Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient garantiert klare Regeln bei möglichen Verstößen. Zusätzlich werden die Informations-, Aufklärungsund Dokumentationspflichten für die Ärzte klar geregelt. Das bringt mehr Sicherheit für die Patienten und stärkt deren Position. Im Falle eines Behandlungsfehlers werden Verfahren und Schuldfeststellung dadurch erheblich erleichtert. Bei Rechtsstreitigkeiten ist die Patientenakte das wichtigste Dokument. Wir regeln, dass Patienten in ihre Akte Einsicht nehmen und Kopien anfertigen können. Das darf nur in begründeten Ausnahmefällen untersagt werden. Bei groben Behandlungsfehlern muss der behandelnde Arzt darlegen, dass er alles richtig gemacht hat, und nicht der Patient nachweisen, dass der Arzt einen Fehler begangen hat. Die Krankenkassen werden ihre Mitglieder künftig bei Verdacht auf Behandlungsfehler unterstützen, um eventuelle Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Ferner wird den Kassen bei der Genehmigung beantragter Leistungen künftig eine kurze Frist gesetzt. Entscheiden sie nicht innerhalb dieser Frist, gilt ein Antrag automatisch als genehmigt. Diese Regelung haben wir im Sinne der Patienten nochmals präzisiert und verschärft. ({1}) Eine generelle Beweislastumkehr lehnen wir ab. Der Arzt soll zuerst an seinen Patienten denken und nicht an seine Rechtsschutzversicherung. ({2}) Besonders bedeutend ist eine ausreichende Berufshaftpflicht für Ärzte. Wir schaffen klare Regelungen in der Musterberufsordnung. Wichtig ist aber eine regelmäßige Überprüfung der Versicherung. Hier sind die ärztlichen Zulassungsbehörden und die Bundesländer aufgefordert, zeitnah Regelungen zu treffen, die dies ermöglichen. Stark ausgebaut wird das Beschwerdemanagement in den Krankenhäusern. Gleiches gilt für das Risikomanagement und die Fehlerberichtskultur - Stichwort „zielführendes Fehlermanagement ohne gleichzeitiges Schuldeingeständnis“. Wer einen Fehler meldet, soll dadurch keine Konsequenzen fürchten müssen. Das Ziel ist, aus Fehlern zu lernen. Außerdem stärken wir die Stellung der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss durch die Pflicht zur zeitnahen Beratung ihrer Anträge. ({3}) Für die individuellen Gesundheitsleistungen werden klare Vorschriften beschlossen. Damit ist zweifelsfrei sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten ihre Entscheidung für oder gegen eine individuelle Gesundheitsleistung ohne Druck und Zwang treffen können ({4}) und wirkungsvoll vor unnötigen Maßnahmen geschützt werden. Eine Reihe von Vorschlägen aus der Opposition haben wir im Ausschuss ablehnen müssen, wie ich meine: aus gutem Grund. Denn wir wären sonst unweigerlich an einen Punkt gekommen, wo aus Verrechtlichung eine Überreglementierung geworden wäre, mit möglicherweise fatalen Folgen für das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, ({5}) ganz abgesehen davon, dass ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand mit einem erheblichen Zeitverlust und damit zwangsläufig mit einer Einschränkung der eigentlichen Patientenversorgung einhergegangen wäre. ({6}) Noch ein Wort zum Thema Härtefallfonds. Auch wenn man sich eine Stiftungslösung vorstellen kann, um in Härtefällen zeitnah und unbürokratisch Unterstützung zu leisten, ohne die Schuldfrage in den Vordergrund zu stellen, vertrauen wir auf die verschärfte Überprüfung der Berufshaftpflicht. Die Zukunft wird zeigen, ob und inwieweit weiterer Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Meine Fraktion wird dies in jedem Fall sehr genau im Auge behalten. ({7}) Meine Damen und Herren, das Gesetz stellt insgesamt einen Wendepunkt für unser Gesundheitswesen dar. Die Patientinnen und Patienten werden ihre Rechte künftig besser kennen und besser durchsetzen. Das bedeutet für die Versicherten mehr Qualität, mehr Transparenz, mehr Sicherheit und damit mehr Souveränität gegenüber Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Wir halten unser Versprechen und machen die Patientinnen und Patienten zu Partnern auf Augenhöhe. ({8}) Mir ist es ein Bedürfnis, abschließend unserem Kollegen Wolfgang Zöller zu danken. ({9}) Als Patientenbeauftragter der Bundesregierung hat er sich seit Jahren in unzähligen Gesprächen mit allen Beteiligten für dieses wichtige Gesetz engagiert. Dass wir dieses Vorhaben, an dem frühere Bundesregierungen gescheitert sind, nunmehr unter Dach und Fach haben, ist nicht zuletzt ihm, seiner Arbeit und seinem ganz persönlichen Einsatz zu verdanken. Vielen Dank, lieber Wolfgang. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11710, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10488 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11722. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen. ({0}) - Das habe ich auch gesagt. ({1}) - Ich kann Sie nicht verstehen. Entschuldigung. ({2}) - Ich habe gesagt, dass die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgestimmt haben. ({3}) - Dann wiederhole ich die Abstimmung. Ich bitte, aufzupassen, weil ich kaum noch Überblick habe. Sonst muss ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Ich hoffe, dass es auch so gehen wird. Es geht um den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11722. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Genauso habe ich es vorhin festgestellt, aber ich bestätige es jetzt noch einmal. Dann ist das so protokolliert. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 17/11710 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9061 mit dem Titel „Individuelle Gesundheitsleistungen eindämmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11008 mit dem Titel „Patientenrechte wirksam verbessern“. Die Fraktion der SPD hat beantragt, dass über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags einerseits und über den übrigen Antrag andererseits getrennt abgestimmt werden soll. Wir stimmen daher zunächst über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags auf Drucksache 17/11008 ab. Die Fraktion der SPD hat dazu namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen? - Ich eröffne die Abstimmung über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag der SPD-Fraktion „Patientenrechte wirksam verbessern“ auf der Drucksache 17/11008 bekannt: abgegebene Stimmen 558. Mit Ja haben gestimmt 195, mit Nein haben gestimmt 303, Enthaltungen 60. Der Antrag ist abgelehnt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558; davon ja: 195 nein: 303 enthalten: 60 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({0}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({1}) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({2}) Hubertus Heil ({3}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({4}) Frank Hofmann ({5}) Dr. Eva Högl Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({6}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({7}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Hilde Mattheis Petra Merkel ({8}) Ullrich Meßmer Franz Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({9}) Michael Roth ({10}) Marlene Rupprecht ({11}) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer ({12}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({13}) Werner Schieder ({14}) Ulla Schmidt ({15}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({16}) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({17}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({18}) Volker Beck ({19}) Birgitt Bender Agnes Brugger Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({20}) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({21}) Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({22}) Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({23}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner ({24}) Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Ernst-Reinhard Beck ({25}) Manfred Behrens ({26}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({27}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({28}) Axel E. Fischer ({29}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({30}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Michael Glos Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Andreas Jung ({31}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({32}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({33}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({34}) Dr. Michael Meister Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({35}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({36}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Katherina Reiche ({37}) Lothar Riebsamen Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({38}) Anita Schäfer ({39}) Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({40}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({41}) Dr. Kristina Schröder ({42}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({43}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({44}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({45}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Kai Wegner Marcus Weinberg ({46}) Peter Weiß ({47}) Sabine Weiss ({48}) Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({49}) Sebastian Blumenthal Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther ({50}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({51}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({52}) Michael Link ({53}) Oliver Luksic Jan Mücke Petra Müller ({54}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({55}) Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({56}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({57}) Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Heidrun Dittrich Werner Dreibus Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ulla Lötzer Thomas Lutze Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Ingrid Remmers Paul Schäfer ({58}) Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Sabine Zimmermann Wir kommen zur Abstimmung über den übrigen Teil des Antrags auf Drucksache 17/11008. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken und Grünen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6489 mit dem Titel „Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und Enthaltung der Grünen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6348 mit dem Titel „Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen und der Linken bei Enthaltung der SPDFraktion. ({59}) - Ich glaube nicht, dass das falsch aufgenommen worden ist, das war richtig. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf: 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiewende sozial gestalten - Stromsperren gesetzlich untersagen - Drucksache 17/11655 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({60})Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({61})- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Federführung strittig ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Strompreiserhöhung aussetzen - Faire Strom- preise für alle - Drucksache 17/11656 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({62}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil ({63}), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende - Masterplan Energiewende - zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte - Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719 Berichterstattung:Abgeordneter Thomas Bareiß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Caren Lay von der Fraktion Die Linke. ({64})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich das einmal vor: Sie kommen heute Abend nach Hause, das Licht geht nicht an, und Sie können sich weder einen Tee noch eine warme Suppe kochen. Sie können weder fernsehen noch lesen, und Sie waschen sich und Ihre Kinder mit kaltem Wasser. Die Wäsche waschen Sie mit der Hand. Das Telefon funktioniert nicht, und an das Smartphone ist erst recht nicht zu denken. Auch das Backen für Weihnachten muss in diesem Jahr leider ausfallen. Das ist kein Film über das Leben im 19. Jahrhundert, das ist für über 300 000 Haushalte in Deutschland leider bittere Realität; denn diesen Haushalten wurde im letzten Jahr der Strom gesperrt. Ich finde das einfach unmenschlich. ({0}) Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass in Belgien und in Frankreich Stromsperren zumindest im Winter verboten sind. Wir als Linke finden, dass diese massenhaften Stromsperren auch in Deutschland endlich ein Ende haben müssen. ({1}) Die Presse berichtet über bereits acht Tote, die infolge von Stromsperren ums Leben gekommen sind. Die Bundesregierung sieht tatenlos zu. Sie weigert sich sogar, eine EU-Richtlinie umzusetzen, durch die zumindest schutzbedürftige Kunden vor Stromsperren bewahrt werden sollen. Ich finde, das ist einfach unmöglich. In keinem anderen Bereich befinden sich die Anbieter in solch einer starken Stellung wie die Stromanbieter. Nach nur einer einzigen Mahnung und einer Ankündigung kann der Strom gesperrt werden, und das ohne Gerichtsbeschluss. Wir finden: So geht es einfach nicht. ({2}) Deswegen wollen wir, dass Hilfe für die Betroffenen im Mittelpunkt steht. Deswegen wollen wir die Sozialbehörden zwischenschalten. Ich komme zu einem anderen Thema, das jeden und jede von uns betrifft. Wir alle haben in den letzten Wochen einen Brief von unserem Stromanbieter bekommen. Wieder einmal werden die Strompreise erhöht. Im Schnitt werden sie um 12 Prozent erhöht, in einigen Fällen sogar um 32 Prozent. Das ist nur der traurige Höhepunkt; denn die Strompreise sind in den letzten Jahren explodiert. Seit dem Jahr 2000 haben sie sich verdoppelt. Die Ausgaben für Strom, Heizung und Benzin belasten das Haushaltsbudget, insbesondere von Haushalten mit geringen Einkommen. Darunter leiden vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosen. Im Hartz-IV-Regelsatz wurden gerade einmal 30 Euro für Energiekosten angesetzt. Der Durchschnittsverbrauch liegt deutlich höher. Das heißt, allein die Strompreiserhöhung frisst die Erhöhung um lächerliche 8 Euro bei Hartz IV im nächsten Jahr wieder auf. Während die einen im Dunkeln sitzen, gibt es woanders Grund für eine Festbeleuchtung. Allein drei der vier großen Energiekonzerne, Eon, RWE und EnBW, haben in sieben Jahren über 100 Milliarden Euro Gewinne eingefahren. In dieser Situation ist es ausgerechnet Bundesumweltminister Altmaier, der die Schuld für die Strompreiserhöhung allein auf die erneuerbaren Energien schiebt. Er schweigt zu den massenhaften Gewinnen der Konzerne. Auch hier sagen wir als Linke: So geht es einfach nicht. ({3}) Schnelle Hilfe ist nötig, und sie ist auch möglich. Wir fordern, dass diese Strompreiserhöhungen ausgesetzt werden, bis die Bundesregierung endlich ein vernünftiges Konzept auf den Tisch legt. Wir haben unsere Vorschläge eingebracht. Stoppen Sie zum Beispiel die Stromgeschenke an die Industrie. Diese betragen über 9 Milliarden Euro, für die die Verbraucherinnen und Verbraucher aufkommen müssen. ({4}) Senken Sie die Stromsteuer in dem Ausmaß, in dem die EEG-Umlage steigt. Hier könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher endlich einmal von Ihrer Politik profitieren. ({5}) Haben Sie den Mut, endlich einmal eine effektive staatliche Preisaufsicht einzuführen. Das wäre das beste Mittel, um an diese leistungslosen Konzerngewinne heranzukommen. ({6}) Strom ist kein Luxusgut, Stromversorgung ist ein Grundrecht. Niemand darf davon ausgeschlossen werden. Strom muss bezahlbar bleiben. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Thomas Bareiß. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kollegin Lay, Ihre Rede und Ihr Antrag „Energiewende sozial gestalten - Stromsperren gesetzlich untersagen“ zeigen deutlich, dass Sie immer noch nicht in der Marktwirtschaft angekommen sind. ({0}) Ihr Feldzug gegen die soziale Marktwirtschaft ist fast schon unerträglich. Deshalb sage ich zu Beginn meiner Rede: Wenn jemand in unserem Land eine Leistung in Anspruch nimmt, muss er für diese Leistung auch zahlen. Wenn er das nicht tut, dann wird ihm der Anspruch auf diese Leistung versagt. ({1}) Außerdem verhält er sich gegenüber all denjenigen, die für diese Leistung bezahlen, unsozial und unsolidarisch. ({2}) Ein solches Verhalten entspricht nicht unserem Bild von einer sozialen Marktwirtschaft, und es entspricht auch nicht unserem Bild von richtiger und sozialer Energiepolitik. Wir wollen keinen Freifahrtschein erteilen, sondern wir wollen einen Sozialstaat, der denjenigen, der sozial schwach ist, in die Lage versetzt, seine Stromrechnung zu bezahlen. Deshalb haben wir einen ausgedehnten Sozialstaat. ({3}) Deshalb werden in Deutschland beispielsweise die höchsten Sozialleistungen in ganz Europa gezahlt; sie machen über 55 Prozent des Bundeshaushalts aus. Da Sie immer davon reden, dass die Besserverdienenden keinen Beitrag leisten, sage ich Ihnen: Die 10 Prozent der Steuerzahler mit dem höchsten Einkommen tragen über 55 Prozent zum gesamten Einkommensteueraufkommen bei. ({4}) Wer trotzdem behauptet, dass die Besserverdienenden in unserem Staat nichts für die Leistungsschwachen tun, der ist auf dem Holzweg. ({5}) Wir wollen den mündigen und freien Bürger. ({6}) Deshalb steht die Energiepolitik bei uns im Zentrum. ({7}) Wir wollen die Bürger beispielsweise dazu bringen, Strom zu sparen und sich effizienter zu verhalten, und wir wollen, dass dies belohnt wird. Deshalb kann ich nur begrüßen, dass Bundesumweltminister Peter Altmaier die Stromsparinitiative auf den Weg gebracht und durch ganz konkrete Maßnahmen verstärkt hat. Die Mittel werden um weitere 30 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre erhöht, sodass jeder Haushalt in die Lage versetzt wird, sich zu überlegen, wo er Strom einsparen, sich effizienter verhalten und damit Geld sparen kann. ({8}) Dadurch haben wir auch etwas für die Sozialpolitik getan. Durch die Teilnahme am Stromspar-Check kann jeder Haushalt mit geringfügigem Einkommen Strom und somit Geld sparen. An 80 Standorten wurden rund 200 Langzeitarbeitslose zu Energieberatern ausgebildet. Pro Haushalt investieren wir auf diesem Wege 65 Euro, sparen aber jedes Jahr pro Haushalt 86 Euro ein. Das ist ein Modell, das einerseits Langzeitarbeitslosen dabei hilft, sich zum Energiesparer ausbilden zu lassen, das andererseits aber auch Geringverdienern hilft, Strom und somit Geld zu sparen. Das ist ein Modell, das, wie ich glaube, Schule machen und in den nächsten Jahren sogar ausgebaut wird; die Mittel sollen verdoppelt werden. Das ist sinnvoll und richtig. Ich glaube, die Energiepolitik ist der richtige Ansatzpunkt, um auch die Sozialpolitik ein Stück weit mitzugestalten. ({9}) Eine weitere Maßnahme, mit der wir versuchen, dem mündigen Bürger dabei zu helfen, Strom und Energie zu sparen, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das wir weiter voranbringen werden. Der Eigentümer wird für seine Anstrengungen Stück für Stück belohnt. Beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir schon viel erreicht. ({10}) In einem nächsten Schritt gehen wir die Mietrechtsnovelle an. Wir fordern Sie von Rot-Grün auf, in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten der steuerlichen Abschreibung in den nächsten vier Wochen endlich auf den Weg gebracht werden, ({11}) damit die Investitionsblockade aufgelöst wird, sodass wir beim Thema Energieeffizienz eine Politik aus einem Guss machen und unsere Ziele erreichen können. Eine weitere Maßnahme, mit der wir etwas für die Verbraucher tun, ist die EEG-Umlage. In den letzten Jahren haben wir - im Gegensatz zu Ihnen - den Kostentreiber Nummer eins angepackt. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kosten der Photovoltaik bzw. der Solarenergie, die in den letzten Jahren massiv gestiegen sind, Stück für Stück reduziert werden. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bareiß, die Kollegin Binder von den Linken würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die grünen Umweltminister haben es in sieben Jahren Rot-Grün nicht geschafft, die Kosten der Photovoltaik zu senken. ({0}) Die Einspeisevergütung haben Sie nur um knapp 10 Prozent reduziert. Wir haben es geschafft, sie in drei Jahren um über 50 Prozent zu reduzieren. So haben wir dafür gesorgt, dass der Anteil der Solarenergie auf ein gesundes Maß zurückgeführt wurde. Für die Förderung, die Sie damals aufgebaut haben, muss ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt noch heute 100 Euro im Jahr bezahlen. Das war der falsche Weg. Deshalb haben wir dieses Thema angepackt. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss möchte ich sagen: Markt und Wettbewerb lohnen sich. Jeder Stromkunde sollte sich seine Stromrechnung anschauen und die Möglichkeiten des Wettbewerbs und des Marktes nutzen. Ich kann nur jeden darauf aufmerksam machen: Die Linken haben geschrieben, dass der Regelsatz für Strom bei einem Verbrauch von 1 500 Kilowattstunden bei 30,42 Euro monatlich liegt. Wenn Sie den billigsten Anbieter in Berlin nehmen, liegen Sie bei 27 Euro monatlich. Auch hier zeigt sich: Wenn man vergleicht, wenn man den Wettbewerb auf dem Markt nutzt, dann steht man auf der richtigen Seite und kann Geld sparen. Das ist der richtige Weg. Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dirk Becker das Wort.

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Lay, in der Tat ist es ein ernstes Thema. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede sehr plastisch dargestellt, wie im Land die Realität für Familien aussieht. Umso bedauerlicher ist allerdings, dass Ihr Antrag Ihr Anliegen letztlich auf eine einzige, sehr populistische Forderung verkürzt, nämlich darauf, dass wir, der Deutsche Bundestag, doch beschließen mögen, Strompreiserhöhungen auszusetzen. Das ist eine sehr einfache, eine sehr verkürzte Antwort. Es ist der falsche Weg, den Menschen zu sagen, es liege an uns. Wir müssen den Menschen doch deutlich machen, was zum Beispiel diese Regierung gemacht hat, damit die Strompreise steigen und nicht sinken. Das deutlich zu machen, sollte unsere Aufgabe sein. ({0}) Herr Bareiß, bei all dem, was Sie sich schönrechnen und schönreden - ich kann diese PV-Geschichte nicht mehr hören -: ({1}) Es gibt eine Reihe von politischen Entscheidungen dieser Regierung. Ich brauche nicht einmal die Vergangenheit zu bemühen. Was Sie hier heute Morgen beschlossen haben, ist Röslers Preissteigerungsgeschenk an die Wählerinnen und Wähler. Das ist Ihre Verantwortung. ({2}) Frau Lay, ich finde es schade, dass Sie den Eindruck erwecken, es liege an uns. Sie haben in Ihren Ausführungen durchaus richtige Ansätze signalisiert. Ich möchte eines in Richtung der Grünen sagen. Ich finde die Passage in Ihrem Antrag, wie man mit dem Thema Stromsperren umgehen muss, sehr gut. Wir unterstützen Ihren Antrag an dieser Stelle; denn er geht ins Detail, er greift die Probleme auf und setzt auf die richtigen Lösungsansätze. ({3}) Aber, Kolleginnen und Kollegen, Strom bezahlbar zu machen, heißt auch, erst einmal den Verbrauch in den Griff zu bekommen. Ich kann die Sonntagsreden zu Energieeffizienz nicht mehr hören. Hier werden uns ein paar Miniprogramme schmackhaft gemacht, aber es wird völlig verdrängt, dass es diese Regierung und dieses Wirtschaftsministerium waren, die alles unternommen haben, damit wir beim Thema Energieeffizienz nicht vorankommen. Deutschland ist Bremser Nummer eins in Europa. ({4}) Gerade das Thema Energieeffizienz - das weiß auch so ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte wie Herr Nüßlein - käme nicht nur den Privathaushalten zugute, sondern auch der Wirtschaft. Darum kritisiert die WirtDirk Becker schaft Sie für Ihre Politik im Bereich der Energieeffizienz. ({5}) - Dazu komme ich gleich. Das ist das Einzige, was Sie haben. ({6}) Wichtig für uns ist, dass wir das Thema Energieeffizienz als Win-win-Situation zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft begreifen. Die Wirtschaft fordert Sie auf, mehr für die Energieeffizienz zu tun und ({7}) ambitioniertere Ziele vorzusehen. Sie sagt: Wir sind stark genug, wir haben die Technologie, ihr müsst uns nur den Rahmen geben. - An der Stelle haben Sie total versagt. ({8}) Durch die Politik von Herrn Rösler zieht sich ein roter Faden, angefangen beim Armutsgericht bis hin zur Energieeffizienz. Was aus seinem Haus kommt, ist einfach regierungspolitischer Murks. Damit kommt dieser Minister die Leute einfach teuer. Ich sage Ihnen nur ein paar Punkte. Wir versuchen seit längerem, Sie zu bewegen, etwas zu tun. Gebt den Leuten nicht nur eine Energieberatung, sondern über Mikrokredite und Zuschüsse auch das Geld, um in Energieeffizienz investieren zu können, habt aber auch den Mut, die Befreiung der Unternehmen von gewissen Umlagen an die Einführung von Energiemanagementsystemen zu koppeln. Das alles sind Maßnahmen, die wir schon längst hätten haben können, ({9}) die unbestritten wirksam wären. Sie bremsen und blockieren. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben beim Thema Energieeffizienz keine allzu gute Bilanz. Daher kommen wir jetzt zum Strombereich. ({11}) Herr Bareiß hat ja versucht, deutlich zu machen, was diese Regierung alles getan habe, um den Strompreis oder die EEG-Umlage in den Griff zu bekommen. Doch man kann das durchrechnen, Kolleginnen und Kollegen, man kann sich anschauen: Wie kommen diese 5,2 Cent EEG-Umlage zustande? Warum ist denn die EEG-Umlage für das laufende Jahr eigentlich geschönt worden? Warum sind 2 Milliarden Euro nachzuholen? Warum hat es eine Ausweitung der Befreiungstatbestände gegeben? Das hat weder etwas mit internationalem Wettbewerb noch mit Arbeitsplätzen zu tun, ({12}) sondern war - das sage ich Ihnen - nur darauf angelegt, die Basis derjenigen, die die EEG-Umlage zahlen müssen, zu verkleinern. Sie wollen, dass die Leute von der Energiewende angesichts steigender Preise irgendwann die Nase voll haben. Das steckt doch bei Ihnen dahinter. ({13}) Auch aus Gründen der Energieeffizienz ist es einfach widersinnig, beispielsweise die Obergrenze für die Befreiung von der EEG-Umlage von 10 Gigawatt auf 1 Gigawatt abzusenken. Die Befreiung von der EEG-Umlage hat zur Folge, dass Unternehmen heute mehr Strom verbrauchen, weil das für sie günstiger ist, als in Energieeffizienz zu investieren. Ihre Politik wirft uns um vier Jahre zurück; das ist einfach so. ({14}) - Vorsätzlich die Kosten hochtreiben? Wir müssen jetzt nicht erneut über die Haftungsfrage bei Offshorewindparks und andere Dinge reden. Sie verlagern die Kosten auf die Kleinen ({15}) und halten hier Sonntagsreden, was Sie für die Menschen tun. Das glaubt Ihnen doch keiner nach dem heutigen Tag. Lesen Sie doch die Schlagzeilen der Zeitungen über das, was heute Morgen hier beschlossen wurde! Lesen werden Sie noch können. ({16}) Jetzt zum Thema Gebäudesanierung. ({17}) - Die FDP sagt: Endlich kommt er zum Thema Gebäudesanierung. - Dabei haben Sie bis heute verhindert, dass im Wärmegesetz überhaupt etwas dazu vorliegt. ({18}) Sie bremsen beim Wärmegesetz von vorne bis hinten. ({19}) Jetzt zum Thema Bundesrat. Die Bundesregierung sagt: Wir geben weniger Geld aus für die Gebäudesanierung, die Hälfte sollen künftig die Länder bezahlen; wir machen das über Abschreibungen, über Steuermodelle. Und dann wundern Sie sich, wenn die Länder sagen: Stopp! Halt an der Bahnsteigkante! Könnt ihr vielleicht vorher mit uns darüber reden? ({20}) Jetzt frage ich Sie, welches Land, das von CDU bzw. CSU und FDP regiert wird, hat denn an der Stelle gesagt: „Das ist das böse Spiel der Sozis; die Roten blockieren“? Warum waren denn Ihre Ministerpräsidenten dabei, als gesagt wurde: „Stopp! So geht es nicht“? ({21}) Das ist keine Frage der Farbenlehre, das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie Sie an das Thema herangegangen sind. ({22}) Das können die Länder insgesamt nicht mittragen. Es passt hier nicht in dieses Wahlkampfgetöse, das sei eine typische Aktion sozialdemokratisch regierter Länder. ({23}) Ich will zum Thema Gebäudesanierung eines ganz klar sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Zukunft auch das Instrument der steuerlichen Abschreibung prüfen müssen. ({24}) Ich bin dabei, wenn gesagt wird, dass wir einen Instrumentenmix brauchen werden. Aber dieser Instrumentenmix heißt auch, dass die anderen Instrumente, für die Sie als Bundesregierung Verantwortung haben, ernst genommen werden. Wie ist es denn mit dem Wärmegesetz? Sie haben den Erfahrungsbericht bis heute nicht vorgelegt. Sie blockieren die Fortentwicklung des Wärmegesetzes, weil Herr Rösler, Herr Altmaier und Herr Ramsauer sich nicht einig werden. Das heißt, im Bereich der Fortentwicklung des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ist null passiert. Sie blockieren an dieser Stelle. Auch hier steht die deutsche Wirtschaft, stehen die Unternehmen der Heizungstechnologien Gewehr bei Fuß und sagen: Wann kommt ihr endlich mit diesem Gesetz? Wir haben riesige Potenziale. - Mit modernen, ökologischen Wärmesystemen können wir die Menschen von steigenden Kosten für fossile Brennstoffe unabhängig machen. ({25}) An dieser Stelle bremsen Sie die Menschen aus. Damit tragen Sie Verantwortung dafür, dass die Menschen ihre Heizkosten nicht in den Griff bekommen können. Ich danke der Fraktion der Linken, dass wir über das Thema debattieren können. Ihrem Antrag können wir, wie ich schon sagte, leider nicht folgen. Ich werbe aber für die Unterstützung des Antrags der SPD. Mein dringender Appell an diese Regierung: Nehmen Sie dieses Thema ernster, als Sie es hier eben getan haben! ({26}) Ein bisschen Larifari - ein Salatblatt hier, ein Salatblatt da - reicht nicht, um den Menschen deutlich zu machen: Wir nehmen euch mit euren Problemen bei den Energiekosten ernst. Vielen Dank. ({27})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keiner wird abstreiten, dass steigende Strompreise ein Problem sind. Natürlich wären niedrigere Strompreise besser. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die wahren Strompreistreiber sitzen in Ihren Reihen; ({0}) denn die hohen Strompreise sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik von Rot und Grün. Die EEG-Umlage ist Ihr Werk. Die Verbraucher müssen heute die Zeche dafür bezahlen. ({1}) Deshalb bin ich der Meinung: Das EEG ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen weg von der Überförderung der erneuerbaren Energien; denn die Energiewende darf nicht auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgetragen werden. ({2}) Frau Lay, die Antwort auf die Überförderung der erneuerbaren Energien kann aber nicht sein, auf der anderen Seite Sozialtarife für sozial schwache Verbraucher zu subventionieren ({3}) oder gar Stromsperren zu unterbinden; denn es kann nicht sein, dass derjenige, der noch ordentlich bezahlt, am Ende der Dumme ist. Es kann nicht sein, dass man sich ohne Konsequenzen einen schlanken Fuß machen kann. Das trifft die Mitte unserer Gesellschaft, jene Leistungsträger, die jeden Tag ordentlich arbeiten, ordentlich zahlen und das Land voranbringen. Die Verbraucherzentrale NRW hat als Alternative zur Stromsperre einen Prepaid-Zähler ins Gespräch gebracht. Ich finde, diese Idee ist sehr überlegenswert; denn dies würde nicht nur einen Betrag zur Kosten- und Verbrauchstransparenz leisten, sondern es könnten auch die Kosten für die Sperrung und die Wiederanmeldung vermieden werden, die nicht selten deutlich höher sind als die Stromschuld an sich. Von diesem besonderen Problem einmal abgesehen: Wir wollen das System reformieren, um aus dieser Energieplanwirtschaft endlich eine effiziente und verbraucherfreundliche Energiemarktwirtschaft zu machen. ({4}) Für den weiteren Zubau an erneuerbaren Energien muss dann klargestellt werden, dass sie sich am Markt beweisen müssen und dass sie den Strompreis langfristig über staatliche Dauersubventionen nicht künstlich verteuern dürfen. ({5}) Unsere Vorschläge stehen bereit. Kurzfristig schlägt Ihnen die FDP vor, die Stromsteuer in Höhe der auf die EEG-Umlage entfallenden Mehrwertsteuereinnahmen aufkommensneutral abzusenken. Das schafft dann eine schnelle Entlastung für die Verbraucher. ({6}) Wir Liberale gehen aber noch weiter. Wir haben im Gegensatz zu denen, die lauthals rufen, ein Alternativkonzept vorgelegt. Wir schlagen Ihnen die Umstellung auf ein Mengenmodell vor; denn wir wollen, dass Energieerzeuger, Stromhändler und Endkunden verpflichtet werden, einen festgelegten Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen bzw. zu beziehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schweickert, Frau Kollegin Lay würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben ja von der Energiemarktwirtschaft gesprochen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie es sich mit der Energiemarktwirtschaft verträgt, dass die vier großen Energiekonzerne noch immer über 80 Prozent des Marktes monopolisieren. Wie verträgt es sich mit der Marktwirtschaft, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher für die massenhaften Industrierabatte zugunsten der energieintensiven Industrie aufkommen müssen? Wie verträgt es sich mit der Energiemarktwirtschaft, dass jetzt die Unternehmen von der Haftung - wir haben das heute Morgen im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen beschlossen - befreit werden und die Kosten ebenfalls den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgebürdet werden? Wie verträgt sich all das mit Ihren Vorstellungen von einer Marktwirtschaft? ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Lay, nach Fukushima haben wir in diesem Haus mit einer sehr breiten Mehrheit die Energiewende beschlossen. Das war gesellschaftlicher Konsens. ({0}) Diese Energiewende kann nur dann vorankommen, wenn wir auch dafür sorgen, dass zum Beispiel Strom aus Windkraft aus dem Offshorebereich, der grundlastfähiger ist als Strom aus dem Onshorebereich, in das Netz kommt. Wir sehen, dass hier Risiken vorliegen. Wenn wir wollen, dass dieser Umstieg gelingt, dann müssen wir da herangehen. Sie haben gefragt - das war Ihre zweite Frage -, wie sich das Ganze mit den Ausnahmen verhält. Darauf sage ich Ihnen ganz offen: Auch mir sind die Ausnahmen, die es gibt, zu viele. Deswegen überprüft ja gerade die Bundesnetzagentur, inwieweit man hier die Kriterien neu berechnen kann. Aber es waren doch nicht wir, die diese Ausnahmen in das EEG geschrieben haben. Der TrittinSoli und die Ausnahmen vom Trittin-Soli wurden zu rotgrünen Zeiten beschlossen. ({1}) Ich sage Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Kunden kein unnötiges Geld ausgeben; denn wir haben den Zustand, dass durch die Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien zwar Strom erzeugt wird, dieser aber nie in das Netz eingespeist wird und nie bei den Kunden ankommt. Das, liebe Frau Lay, wird der Punkt sein, an dem wir ansetzen; denn dieser untragbare Zustand muss beendet werden. Dann fallen die Probleme weg, die wir hier oft genug beklagen und für die wir als christlich-liberale Regierung die Lösungen haben. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich 2005 in den Bundestag gekommen bin, habe ich gesagt: Ich nehme mir die Energiepreise vor und gucke mir sehr genau an, wie sich die Gewinne der großen Energiekonzerne entwickeln. Die Gewinne der großen Energiekonzerne, Herr Schweickert, sind in der Tat explodiert. 2002 erzielten die vier großen Energiekonzerne einen Gewinn von insgesamt 6 Milliarden Euro, 2010 waren es 30 Milliarden Euro. Das ist die Situation, das ist der Grund, warum die Preise gestiegen sind - nicht mehr und nicht weniger. ({0}) Ich finde, wir mussten diesen Anstieg beenden, und es ist gut, dass wir ihn beendet haben - gerade auch durch den Ausstieg aus der Atomkraft. Herr Schweickert, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, das EEG sei durch uns so aufgebläht worden, dass der Strom so teuer geworden sei. Gucken Sie doch einmal hin! 2005, als die rot-grüne Regierung beendet worden ist, lag die EEG-Umlage bei unter 1 Cent pro Kilowattstunde. ({1}) Heute, unter Ihrer Regierung, liegt sie bei über 5 Cent pro Kilowattstunde. Hören Sie also auf, uns für die überzogenen Kosten Ihres Wirtschaftsministers Rösler verantwortlich zu machen! Dafür sind Sie allemal selbst verantwortlich. ({2}) Deswegen will ich auch sehr wohl etwas zu den Ausnahmen sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schweickert? ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Höhn, vielen Dank. - Ich habe eine Frage an Sie. Sie bekommen für Ihre Wohnung hier in Berlin doch sicherlich auch eine Rechnung von Vattenfall; das ist ja hier ein großer Anbieter.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, anders als Sie bin ich nicht bei Vattenfall.

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Okay. - Wenn Sie sie bekämen, könnten Sie anhand einer Auflistung erkennen, wie sich die Stromkosten aufteilen. Deswegen lautet meine Frage an Sie: Ist es richtig, dass die Ausnahmen, die Sie hier jetzt anprangern, einen marginalen Anteil von 0,x Prozent an den Stromkosten ausmachen, während im Gegensatz dazu die EEG-Umlage einer der Hauptpreistreiber ist? Stimmen Sie mir hier zu, oder stimmen Sie mir nicht zu?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, da stimme ich Ihnen keineswegs zu. Als RotGrün im Jahre 2005 die Ausnahmen eingeführt hat, gab es für 250 Unternehmen Ausnahmen. Diese Zahl ist aufgebläht worden. Für nächstes Jahr haben über 2 000 Unternehmen eine Ausnahme beantragt. ({0}) Die Zahl wird von 250 auf 2 000 steigen. Das ist der Politik Ihres Wirtschaftsministers Rösler geschuldet nicht mehr und nicht weniger. ({1}) Für 50 Prozent des Wirtschaftsstroms wird mittlerweile keine EEG-Umlage mehr gezahlt, da die entsprechenden Unternehmen davon ausgenommen sind. Deshalb ist das nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Sie belasten die kleinen, mittelständischen Unternehmen, die Handwerker. ({2}) Das ist die Politik der FDP - nicht mehr und nicht weniger. ({3}) - Es geht nicht um Beantragung und sonst etwas, sondern schon jetzt sind es 800 Ausnahmen, und im nächsten Jahr werden es mindestens 1 800 bis 2 000 sein. Deshalb sage ich zu den Durchleitungsgebühren für die Nutzung der Netze: Auch das, was Herr Rösler in diesem Punkt macht, ist eine absolute Unverschämtheit. In diesem Jahr gibt es für 1 400 Unternehmen eine Ausnahme, für das nächste Jahr haben weitere 1 600 Unternehmen eine Ausnahme beantragt. Ich sage: Hier erleben wir eine Klientel- und Lobbypolitik zulasten der Verbraucher. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Höhn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, in diesem Fall von der Kollegin Homburger?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber bitte, gerne, Frau Homburger. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Höhn, meine erste Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es einen Unterschied zwischen einer Genehmigung und einer Beantragung gibt? Meine zweite Frage: Sind Sie sich sicher, dass es derzeit 800 Unternehmen sind? Ist es nicht vielmehr richtiger, dass es exakt 735 Unternehmen sind? Meine dritte Frage, Frau Kollegin Höhn: Trifft es zu, dass diese 735 Unternehmen, für die derzeit eine entsprechende Ausnahme gilt, ausschließlich auf der Grundlage eines Rechts ausgenommen sind, das Sie beschlossen haben? ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, Frau Homburger, da stimme ich Ihnen nicht zu; denn das, was wir damals beschlossen haben, war etwas wesentlich anderes. Wir haben damals wirklich nur die energieintensiven Betriebe ausgenommen, indem wir einen Verbrauch von mindestens 10 Gigawattstunden und einen Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung von mehr als 20 Prozent gefordert haben. Sie haben die Grenze von 10 Gigawattstunden dagegen auf 1 Gigawattstunde gesenkt und nur einen Anteil der Stromkosten von über 14 Prozent verlangt. Das führt genau dazu, was Herr Becker angesprochen hat. Wenn Unternehmen merken, dass sie knapp unter der 14-Prozent-Schwelle liegen, dann lassen sie die Motoren über Weihnachten wirklich wie verrückt laufen, um über diese 14 Prozent zu kommen. Dann können sie für beispielsweise 3,5 Gigawatt, die sie verbrauchen, die Ausnahmen beantragen. Das ist die Situation. Das ist der Punkt: Es geht nicht um Energieeinsparung, sondern darum, Energie zu verschwenden, um in den Genuss der Ausnahmeregelung zu kommen. Dafür sind Sie verantwortlich. ({0}) Was wir nicht machen können, ist, dass wir bei jeder Strompreiserhöhung hingehen und sagen: Wir werden helfen, indem wir die Erhöhung durch Subventionen gegenfinanzieren. - Der Antrag der Linken scheint auf den ersten Blick den Betroffenen zu helfen. Das wird aber nicht funktionieren. Es wird sogar zu einem Effekt führen, der dem entgegengesetzt ist, den sie erzielen wollen. In der Summe wird das dazu führen, dass die großen Energieversorger genau das, was durch Subventionen gegenfinanziert wird, in die eigene Kasse wirtschaften, sich bei den Verbrauchern aber kein positiver Effekt einstellt. ({1}) Wir haben in mehreren Studien - ich freue mich, dass Sie unsere Studien so gut lesen; Sie haben ja die entsprechenden Zahlen präsentiert - nachgewiesen, dass die großen Energiekonzerne Ersparnisse aus Kostensenkungen gerne für sich behalten, aber Kostenerhöhungen immer gern an die Verbraucher weitergeben. Deshalb wird eine solche Subventionierung nicht funktionieren. Sie wird am Ende den Staat sogar überfordern; ({2}) denn nach der ersten Subventionierung wird sofort die nächste Preiserhöhung kommen. Dagegen kommen Sie nicht an. Die Lösung ist einfach: „Einsparen, einsparen, einsparen“. Jede eingesparte Kilowattstunde ist besser und billiger als eine verbrauchte Kilowattstunde. ({3}) Deshalb muss ich auch sagen, Herr Bareiß: Das, was Sie hier von der Bundesregierung Richtung Einsparungen gemacht haben, ist unter aller Sau. ({4}) De facto haben Sie das ganze Thema Energieeffizienz nicht angepackt. Wir müssen ja im Prinzip davon ausgehen, dass es bei den Leuten, die von den Energiekosten verstärkt betroffen sind, nicht nur um die Kosten für Strom geht, sondern auch um die Kosten für Kraftstoff und auch um die Kosten für Wärme geht. Wenn man sich all das einmal ansieht, dann kann man nur sagen: Sie haben die Energieeffizienzrichtlinie nicht richtig umgesetzt. Herr Rösler hat sie verwässert. Das ist der Punkt. Die Energieeffizienzrichtlinie ist nicht ehrgeizig umgesetzt worden. Ein anderes Thema ist die Besteuerung des CO2-Ausstoßes bei Autos. Sie sind diejenigen, die für die Spritschlucker aus Deutschland kämpfen. ({5}) Und bei dem Energieeffizienzfonds, den Sie eingerichtet haben, werden die Mittel noch nicht einmal vollständig abgerufen. 2011 standen Haushaltsmittel in Höhe von 70 Millionen Euro zur Verfügung, davon sind 3 Millionen Euro abgerufen worden. 2012 standen Haushaltsmittel in Höhe von 35 Millionen Euro zur Verfügung, davon sind nur 3 Millionen Euro abgerufen worden. Warum wurde nicht mehr abgerufen? Weil die Förderrichtlinie nicht verabschiedet worden ist. Sie wollen keine Energieeffizienz. Das ist doch der Punkt. Das geht so nicht weiter. ({6}) Auch wir wollen in der Tat den Betroffenen helfen, aber nicht mit Sozialtarifen, sondern wir wollen Spartarife. Wir wollen immer eine Einsparkomponente dabeihaben; denn wir werden nur dann das Problem lösen, wenn wir wirklich sagen: Wir wollen einsparen. Wir wollen weg vom Öl. Wir müssen uns von den teuren Energiekosten abkoppeln. Das können wir nur dadurch, dass wir wirklich Energie einsparen. Das muss der Weg sein; denn nur er wird zum Erfolg führen. Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Frau Höhn, „unter aller Sau“ ist nun nicht die Formulierung, die ich hier an diesem Pult wählen würde. ({0}) Aber wenn ich sie wählen würde, würde ich sie auf diese Haltet-den-Dieb-Debatte beziehen, die die Grünen hier abziehen, auf diese Feigenblattdiskussion, die Sie hier führen. Uns die Kostensteigerungen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien einfach so mir nichts, dir nichts in die Schuhe schieben zu wollen, ({1}) das ist, wenn Sie so wollen, unter aller Sau. ({2}) Zunächst einmal komme ich zu dieser Mär, die im Zusammenhang mit der EEG-Umlage verbreitet wird: Es geht um 5,227 Cent. Von diesen 5,227 Cent geht 1 Cent auf die Befreiungen von der EEG-Umlage zurück. Von diesem 1 Cent geht 0,1 Cent zurück auf die Befreiungstatbestände, die wir zum 1. Januar dieses Jahres neu beschlossen haben. ({3}) Die übrigen 0,9 Cent beziehen sich ausschließlich auf die Rechtsgrundlage, die Sie seinerzeit unter Herrn Trittin geschaffen haben. ({4}) So viel Anstand muss doch sein, dass man das zunächst einmal zur Kenntnis nimmt und dass man dann sagt: Jawohl, das haben wir richtig gemacht. - Im Übrigen haben das Herr Trittin und andere mehrfach so gesagt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlich gerne.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben zu Recht eben die richtige Zahl genannt. Die Kosten für die gesamten Ausnahmen im EEG betragen 4,4 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr 1 Cent. Geben Sie mir recht, dass die Aufblähung um 4 Milliarden Euro auf jetzt 4,4 Milliarden Euro Wirtschaftsminister Glos, sein Nachfolger zu Guttenberg, der Wirtschaftsminister Brüderle und sein Nachfolger Rösler verursacht haben? Ist das richtig, ja oder nein? ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie formulieren, dass wir das nicht geändert haben, was Sie seinerzeit ins Gesetz geschrieben haben, ({0}) weil es richtig war, was Sie ins Gesetz geschrieben haben, ({1}) dann würde ich das an Ihrer Stelle nicht beklagen. Da geht es nicht um die Frage, wer verantwortlich ist. Wir sind dafür, diese Befreiungen zu machen. Dahinter stehen wir auch, mit Verlaub. Es ist doch richtig, die energieintensive Industrie in diesem Land zu befreien. ({2}) - Sie dürfen gern noch stehen bleiben, ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. ({3}) Es ist also richtig, die energieintensive Industrie von den Kosten für die Umlage zu befreien. Wenn die Wirtschaftsminister das mittragen, ist es doppelt richtig. Das ist Aufgabe eines Wirtschaftsministers, für entsprechende Befreiungen zu sorgen. Sie geben auch zu, dass wir über diesen 1 Cent reden. Sie tun aber so, als seien die 5,227 Cent Ausnahmetatbeständen geschuldet. Das ist eben falsch. Geschuldet sind diese 5,227 Cent im Wesentlichen eben der Tatsache, dass Sie mit der Photovoltaik zu früh und zu teuer an den Markt gegangen sind. ({4}) Ich sage nicht, dass die Photovoltaik darin nichts verloren hätte, aber Sie haben es zu früh und mit 50 Cent zu teuer gemacht. Davon wieder herunterzukommen, ist das mühsame Unterfangen, dem wir uns die ganze Zeit stellen mussten. Wir mussten dafür sorgen, dass das ging gegen Widerstände, gegen Schwierigkeiten. ({5}) Wir standen auch vor der Problematik, dass - das sehen wir selbst - man nicht mittendrin einen Stopp machen kann, weil dann, wenn man alles infrage stellt, man die Branche an die Wand fahren ließe. Aber wenn Sie es nicht zu früh und zu teuer gemacht hätten, wäre die Welt in dieser Hinsicht eine ganz andere, und wir würden nicht über die - wenn Sie so wollen - 4,2 Cent reden. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Fell? Das hätte den Vorteil, dass ich die Uhr wieder anhalten könnte, weil sich die Kollegin Höhn hingesetzt hatte und ich die Uhr weiterlaufen lassen musste.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlich gern, aber ich wundere mich, dass sich die Kollegin während der Beantwortung ihrer Frage einfach hinsetzt und sagt: Aus meiner Sicht ist die Frage jetzt beantwortet. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. ({0}) Lassen Sie mich den einen Gedanken noch formulieren, dann darf der Kollege Fell die Frage stellen. Sie haben eine Befreiung für die energieintensive Industrie bei Differenzkosten von 0,2 Cent eingeführt. Heute sind wir beim 26-fachen dessen. Und Sie lamentieren, dass wir zusätzlich noch einen kleinen, energieintensiven Teil des Mittelstands in die Ausnahmeregelung aufgenommen haben. Kollege Fell, jetzt freue ich mich auf Ihre Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann hat jetzt der Kollege Fell das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade behauptet, dass die Struktur des EEG, das damals unter Rot-Grün gesetzt und verabschiedet wurde und das bis heute weitergilt, die derzeitigen Preissteigerungen verursachen würde. Ist Ihnen bekannt, dass es, seitdem Rot-Grün nicht mehr an der Regierung ist, mehrfach Gesetzesnovellen gab? Unter anderem wurde beispielsweise der Umlagemechanismus 2009 verändert, was dazu geführt hat, dass der Ökostrom an der Börse aufläuft und damit die Merit Order sinkt. Indem also die Basis für die Berechnung der EEG-Umlage um 0,9 Cent gesenkt wurde, kam es zu einem Aufschlag bei der EEG-Umlage um 0,9 Cent. Dies ist nicht unter Rot-Grün gemacht worden. Ist Ihnen bekannt, dass es eine Befreiung von Eigenstromerzeugungsanlagen gegeben hat, wodurch sogar ganze Unternehmen Dreckschleudern wie Kohlekraftwerke ans Netz genommen haben? Auch solche Befreiungstatbestände haben zu einer deutlichen Erhöhung der EEG-Umlage geführt. Ist Ihnen bekannt, dass die Liquiditätsreserve auf ein Maß erhöht wurde, das nicht notwendig ist, aber wodurch die EEG-Umlage nach oben getrieben wurde? Es gibt eine große Menge zusätzlicher Folgen, die Sie seit dem Ende von Rot-Grün in Ihren verschiedenen EEG-Novellen verursacht haben. In einem Jahr ist die EEG-Umlage nun um etwa 1,7 Cent gestiegen, wobei der Zubau erneuerbarer Energien davon nur 0,5 Cent ausmacht. Die restlichen 1,2 Cent gehen auf Ihre verfehlten Novellierungen der EEG-Umlage zurück und sind damit eindeutig der Preistreiberei der schwarz-gelben Koalition geschuldet. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fell, ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie den entscheidenden Punkt, den EEG-Berechnungsmechanismus, angesprochen hätten, ohne dabei unnötigerweise Schuldzuweisungen vorzunehmen. ({0}) Ich bin nämlich der Überzeugung, dass der EEGBerechnungsmechanismus überarbeitet werden muss, ({1}) weil mit dem zusätzlichen Aufkommen an erneuerbaren Energien in der Tat der Druck auf die Börse wächst. Das ist der Merit Order bzw. der Tatsache geschuldet, dass wir bei Wind- und Solaranlagen keine variablen Kosten haben. Der Druck auf die Börse, der dabei entsteht, führt dann dazu, dass sich die Differenzkosten auch in Zukunft auseinanderentwickeln, egal wie stark der Druck ist, den wir auf die Vergütungssätze ausüben. Deshalb muss in diesem Punkt in der Tat eine Überarbeitung stattfinden. ({2}) - Wenn Sie das wissen, ist das schön. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir müssen es letztendlich auch machen. ({3}) Das ist nicht einfach, weil sofort die Sorge entsteht, wir wollten an der Stelle tricksen. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen letzten Endes, wie es der Kollege Fell, den ich als sehr honorig schätze, die richtigen Differenzkosten benennen. Das muss unser Anliegen sein. Es darf nicht automatische Strompreiserhöhungen durch die Versorger geben. Deshalb nehme ich diesen Ball gerne auf, spiele ihn weiter und sage: Lassen Sie uns das Thema weiter verfolgen. Mit mir kann man immer reden, meine Damen und Herren, wenn man das Thema fair angeht. Aber uns wie heute Morgen in der Offshoredebatte in die Schuhe zu schieben, wir seien erkennbar die Kostentreiber, ({4}) ist - darin geben Sie mir doch sicherlich recht - Quatsch. ({5}) Wer hat denn, mit Verlaub, seinerzeit dafür gesorgt? Das war doch Sigmar Gabriel. Ich war bei den Verhandlungen dabei. Er hat dafür gesorgt, dass wir die Verpflichtung zum Anschluss von den Projektanten weg zu den Netzbetreibern verlagert haben. Die Netzbetreiber wurden zwangsweise beauflagt, das zu tun. Jetzt können wir doch nicht einfach darauf verzichten, Risikoteilungsregelungen zu schaffen, und sie in Insolvenz gehen lassen. Ich kann mir vorstellen, was Sie dann zu dem Thema gesagt hätten. Ein Aufschrei wäre durch die Reihen gegangen: Da sieht man es mal wieder! Die wollen die Energiewende nicht! - So einfach machen Sie es sich nämlich üblicherweise. Das ist alles komplett Nonsens. Sie wissen, dass es technisch sehr aufwendig ist, wenn man Offshorewindkraftanlagen bis zu 150 Kilometer vor der Küste errichtet - das macht übrigens niemand außer uns so -, und Geld kostet. Wenn man dafür ist, die Anlagen so weit draußen zu errichten, dann kann man doch nicht so tun, als könne man nichts für die Kosten. Das muss man auch in aller Klarheit sagen. ({6}) Was die ganze Debatte um Einsparungen beim Strom angeht, sollten Sie einen Blick in die Statistiken werfen, die die Realität zeigen. Die Einsparungen beim Strom sind minimal und vernachlässigbar. ({7}) Ich bin froh, dass es uns gelingt, Wirtschaftswachstum und Anstieg beim Stromverbrauch zu entkoppeln. Das ist schon eine grandiose Leistung. In der Tat - das stimmt - liegt das große Potenzial der Energieeffizienz bei der Wärme. Ich will es nicht ständig wiederholen - Sie haben es schon oft genug gehört -, aber weil Sie offenkundig nichts tun, sage ich Ihnen: Wenn Sie etwas für die Energieeffizienz tun wollen, dann sorgen Sie dafür, dass sich die Länder an der Stelle bewegen und dass das steuerlich endlich vorankommt. ({8}) Noch ein paar Sätze zu dem, was ich von der Linken gehört habe. Ich hatte schon lange gewartet, dass die Ideen kommen, was man jetzt alles tun müsste, etwa Sozialtarife einzuführen und anderes. Jetzt kommt der Druck von unten, von der anderen Seite. Auch da führen wir eine Verteilungsdiskussion. Ich kann an Ihren Ausführungen nicht erkennen, nach welchen Kriterien Sie regeln wollen, dass die einen den Strom bezahlen und die anderen nicht. ({9}) Vielleicht müssen diejenigen, die die Linke wählen, nicht bezahlen. Ich weiß es nicht. Erklären Sie es mir! Nach welchem Kriterium soll der eine Blödmann den Strom bezahlen, während der andere sagen darf: Das mag ich nicht; das kann ich nicht; das tue ich nicht. Das erschließt sich mir in keinster Weise. ({10}) - Ein Blödmann ist in dieser Geschichte der eine, der zahlt, wenn der andere nicht zahlen muss. Das bezeichne ich in meiner Sprache als Blödmann, und das ist er nur nach Ihrem System. Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die ordnungsgemäß zahlen, die Anständigen sind. Denjenigen, die eine Mahnung mit entsprechender Androhung bekommen - so ist nämlich die Rechtslage und nach vier Wochen immer noch nicht zahlen, klemmt man in Deutschland kurzfristig den Strom ab. Ich sage ausdrücklich „kurzfristig“, weil das relativ schnell zurückgenommen wird. Ich weiß nicht, warum Sie jetzt plötzlich Energieversorger zu Sozialhilfeträgern deklarieren wollen. ({11}) Das erschließt sich mir in keinster Weise. Nach unserem Verständnis ist der Sozialhilfeträger für diejenigen zuständig, die nicht zahlen können. Das ist beim Arbeitslosengeld II bzw. bei der Sozialhilfe einkalkuliert und wird mit überwiesen. Mit dem Geld kann man dann den Strom bezahlen. ({12}) Die Energieversorger und andere sind dafür nicht verantwortlich. Ich wünschte mir, dass wir zum Thema Zahlungsmoral eine andere Einstellung entwickeln. ({13}) Bei manchen Herrschaften in dieser Republik fehlt es da gewaltig - das muss man einmal sagen -, weil man es nicht sanktioniert. Die Versorger haben die Chance, dieses Verhalten zu sanktionieren, indem sie den Strom kurzfristig abschalten. Dann wird bezahlt. Das zeigt die Erfahrung. Das ist auch gut so, weil die anderen auch bezahlen müssen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Breil das Wort. ({0})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition versucht, uns mit ihrem Antrag weiszumachen, dass allein die Befreiung für Unternehmen Grund für die hohen Strompreise ist. ({0}) Auch Herr Kelber - leider ist er nicht mehr anwesend; vorhin saß er hier noch - hat das diese Woche schon wieder per Twitter in die Welt posaunt. Diese Causa Kelber möchte ich Ihnen einmal erklären. Herr Kelber vermischt - wahrscheinlich weil er es nicht besser weiß - zwei Sätze in Abs. 2 der besagten Verordnung. Der eine, der zweite Satz, räumt tatsächlich eine komplette Befreiung für solche Unternehmen von Netzentgelten ein, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen 7 000 Stunden pro Jahr Strom abnehmen und das in einem Umfang von 10 Gigawattstunden. Damit erbringen diese Unternehmen eine Dienstleistung. Sie stabilisieren das Netz durch eine bessere Vorhersehbarkeit. Durch das wiederholte Behaupten von Herrn Kelber aber, dass der Golfplatz, von dem er immer spricht, vollständig von den Netzentgelten befreit wäre, glaubt heute jeder, ein Golfplatz verbrauchte so viel Strom wie eine Aluminiumhütte. ({1}) Glauben sie mir: Das ist nicht so. ({2}) Das, was Herr Kelber meinte, wovon sein Golfplatz Nutzen hatte, ist der erste Satz von Abs. 2 der Verordnung. Danach können die Unternehmen, die durch Lastmanagement bei ihrer Höchstlast Hochlastzeiten des Netzes vermeiden, individuelle Netzentgelte mit ihren Verteilnetzbetreibern aushandeln. Diese individuellen Netzentgelte variieren je nach Spannungsebene und Beitrag zur Stabilisierung zwischen 20 und 99 Prozent der veröffentlichten Netzentgelte. Herr Kelber kann jetzt argumentieren, dass sein Einwand bestehen bleibe und der Golfplatz keinem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sei. Das trifft aber auf das Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn, den Caritasverband für die Stadt Bonn, das Seniorenheim ELIM in Bonn und die Bonner Zeitungsdruckerei auch nicht zu. Diese vier Unternehmen aus dem Wahlkreis von Herrn Kelber haben ebenso wie besagter Golfclub einen Antrag auf individuelle Netzentgelte gestellt. Ich möchte sehen, was Herr Kelber als Aufsichtsratsmitglied beim Mutterunternehmen SWB des Netzbetreibers, der diese Verträge abschließt, den Menschen vor Ort sagen wird. Sagt er wirklich: „Ihr, Schule, Kirche, Seniorenheim, Printmedien, auch wenn ihr mit euren Maßnahmen zur Stabilisierung des Netzes beitragt, bekommt keine Ermäßigung“? Wer ist denn immer für Dezentralität? Hier können auch kleinere Einrichtungen oder Betriebe ihren Beitrag zur Energiewende leisten. Demjenigen, der sagt, dass er eigentlich nur die Komplettbefreiung für Großverbraucher so unerhört findet, dem sage ich, dass die städtische Abfallverwertung in Bonn auch nicht im internationalen Wettbewerb steht. Erstaunlich! Trotzdem profitiert sie von der Regelung und damit jeder Steuerzahler der Stadt Bonn. ({3}) Freuen Sie sich doch! Seien Sie nicht so doppelzüngig. Oder Herr Kelber stelle sich vor die 200 Mitarbeiter im Glaswerk Weck in Bonn-Duisdorf und erkläre ihnen, dass er deren Arbeitgeber ebenso verurteilt, wie er es mit jedem anderen Unternehmen tut, das von dieser Regelung profitiert. ({4}) Herr Becker, bitte geben Sie meine Erläuterungen speziell an Herrn Kelber weiter. Danke sehr. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11655 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11656 mit dem Titel „Strompreiserhöhung aussetzen - Faire Strompreise für alle“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 7 b: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/11719. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9729 mit dem Titel „Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende - Masterplan Energiewende“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11004 mit dem Titel „Kosten und Nutzen der Energiewende fair verteilen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Vizepräsidentin Petra Pau Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11030 mit dem Titel „Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 - Drucksache 17/11314 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 17/11717 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Mathias MiddelbergLothar Binding ({1})Dr. Barbara HöllDr. Thomas Gambke - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/11718 Berichterstattung:Abgeordnete Norbert BarthleCarsten Schneider ({3})Otto FrickeDr. Gesine LötzschPriska Hinz ({4}) Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Proto- koll zu nehmen.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/11717, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11314 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz Doha - Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter - Drucksache 17/11651 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Andreas Jung ({7}), Marie-Luise Dött, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die UN-Klimakonferenz in Doha - Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben - Drucksachen 17/11514, 17/11714 Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung ({8})- Frank Schwabe- Michael Kauch- c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel - Drucksache 17/6550 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({10})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen.1) Anlage 4 Erste Vorbemerkung. Wir wollen einmal abwarten, was bei der Konferenz in Doha herauskommt. Was auf jeden Fall herauskommen wird, ist Kioto II, eine Verlängerung des Kioto-Abkommens. Ich will an dieser Stelle schon einmal für die Sozialdemokratie sagen: Wir werden im nächsten Jahr eine Ratifizierung vornehmen müssen. Unser Ziel ist sicherlich, dass das möglichst schnell im deutschen Parlament geschieht. Wir werden vonseiten der SPD alles tun, damit es schnell dazu kommt und damit wir ein positives internationales Signal aussenden können. Umso absurder ist es - da sind wir uns jedenfalls bei den Umweltpolitikern bestimmt einig -, dass keine Delegation des Deutschen Bundestages in Doha dabei sein wird. Es werden lediglich einzelne Abgeordnete vor Ort sein. Ich finde es schon ziemlich absurd, was ich heute dazu in der Presse lesen konnte, dass nämlich das Präsidium des Bundestages behauptet, es handele sich um eine Regierungskonferenz, bei der Parlamentarier an den Verhandlungen gar nicht teilnehmen könnten. Das ist sozusagen die Begründung dafür, dass keine Delegation des Deutschen Bundestages vor Ort ist. Ich bin es langsam wirklich leid. Wir führen jetzt seit sieben Jahren immer wieder dieselben Debatten. Wir brauchen einmal eine grundsätzliche Diskussion darüber, wann Reisen eigentlich sinnvoll sind. An dieser Stelle wäre die Reise einer Delegation garantiert sinnvoll. Die Debatten, die man in Doha führen könnte - sozusagen im Hotspot der internationalen Klimadiplomatie -, kann man sonst nirgends führen. Gerade weil dieses Parlament auch das Abkommen noch ratifizieren soll, macht es doch erst recht Sinn, dass wir mit dabei sind. ({0}) Zweite Vorbemerkung. Wir diskutieren hier über den Begriff der Energiewende. Wir haben unterschiedliche Interpretationen darüber, wer wann für welche Energiewende verantwortlich war. Ich will Ihnen trotzdem zusagen, dass wir in Doha gemeinsam versuchen werden, die deutsche Energiewende zu erklären. An dieser Stelle hört allerdings die Gemeinsamkeit auf, weil ich glaube, dass wir die Energiewende deutlich konsequenter und eindeutiger vertreten, als Sie es in den Reihen der schwarz-gelben Koalition tun. ({1}) Am Wochenende konnte man - ich kann jetzt nicht alles zitieren, was da geschrieben wurde - in der Süddeutschen einen Kommentar von Herrn Bauchmüller lesen. Eine Zwischenüberschrift lautete: „Erderwärmung? Nicht so dringend. Erst mal die FDP retten“. An dieser Stelle möchte ich in Richtung der Freien Demokratischen Partei sagen: Dieses Maß an Verantwortungslosigkeit, mit der Sie ein so wichtiges Themas für Ihr parteipolitisches Interesse in Geiselhaft nehmen, hätte ich selbst Ihnen nicht zugetraut. ({2}) Es ist eine absurde Situation: Wir beraten hier im Deutschen Bundestag Anträge zur Klimakonferenz in Doha. Eigentlich müssten Sie von der Koalition Herrn Altmaier den Rücken für die Reise nach Doha stärken. Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn er die Wahl hätte zwischen den Anträgen, die auf dem Tisch liegen - dem rotgrünen Antrag und dem Antrag der Koalition -, dann würde er sich den rot-grünen Antrag aussuchen. Das ist bezeichnend für Ihre Politik. Sie stehen in der Europäischen Union für eine Blockadepolitik in allen Energiefragen und in allen Klimaschutzfragen. Sie blockieren die Energieeffizienzrichtlinie. Sie blockieren das Zustandekommen einer vernünftigen Lösung im Bereich der Teersande. Mittlerweile geht in Europa das Wort um - zumindest bei klimapolitischen Fragen -, dass Deutschland das Land der Enthaltungen sei. Eine Vorreiterrolle, die wir alle einmal für Deutschland reklamiert haben, ist längst passé. Das hat mit Ihrer Regierung zu tun, mit der schwarz-gelben Blockadepolitik und Ihrer Unfähigkeit. ({3}) Man könnte die Themen jetzt weiter durchgehen. Es geht hier aber um die internationale Klimapolitik. Auch beim Fracking und anderen Themen gibt es Kleinkriege zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium; es sind keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Ich frage mich wirklich, wie Sie es verantworten können, einen Umweltminister wie Herrn Altmaier, der sich redlich bemüht - das will ich ihm unterstellen -, nach Doha zu schicken und ihn dort sozusagen rückgratlos stehen zu lassen. ({4}) Es gibt einen Zehn-Punkte-Plan von Herrn Altmaier, mit dem man sich einmal im Einzelnen auseinandersetzen könnte. Vieles ist nicht eingehalten worden. Er hatte angekündigt, dass es bis Ende September eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung zu den Themen Klimaschutz und Emissionshandel gebe. Ende September ist lange vorbei. Nun stehen Entscheidungen in der Europäischen Union an, aber wir haben eine heillos zerstrittene Bundesregierung. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern - die Kanzlerin würde wahrscheinlich sagen: der kundige Thebaner weiß es; sie selbst kann es übrigens auch wissen -: Der Emissionshandel der Europäischen Union funktioniert nicht. Er kann so auch gar nicht funktionieren. Dies ist die Ursache dafür, dass Ihre dahingestolperte Energiewende vollkommen unterfinanziert ist. Er setzt keine Anreize für eine effiziente Klimapolitik in Europa. Er lässt die europäische Wirtschaft - wenigstens diese müsste Ihnen eigentlich am Herzen liegen - zurückfallen im weltweiten Wettbewerb um eine zukunftsfähige und effiziente Energieproduktion. Wirklich pervers daran ist, dass Herr Rösler mit seiner Art von Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik dafür sorgt, dass die Zweifel an der Funktionsfähigkeit eines marktwirtschaftlichen Instrumentariums wie des Emissionshandels generell wachsen. ({5}) Der italienische Umweltminister ist mittlerweile so weit, zu sagen: Der Emissionshandel ist gescheitert. Wir brauchen eine CO2-Steuer, um in der Europäischen Union vernünftige Signale zu senden. - Das ist das Ergebnis der Politik Ihres Umweltministers. Ihr Haushalt ist unterfinanziert. Sie korrigieren ständig Ihre eigenen Ziele. Der Handelspreis für ein Emissionszertifikat liegt mittlerweile nur noch bei gerade einmal 6 Euro. Sie hatten einmal 17 Euro veranschlagt, dann 10 Euro, jetzt sind wir bei 6 Euro. Ihre Energiewende kann damit nicht vernünftig finanziert werden. Am Ende geht es aber nicht um Herrn Rösler und auch nicht um Herrn Altmaier, sondern es geht um die Kanzlerin. Wir können uns alle an die Bilder erinnern, wie sie mit Sigmar Gabriel im Eis war, wie sie Pirouetten auf unterschiedlichen Gipfeln gedreht hat - dies alles zu einem Zeitpunkt, als das Thema Klima ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat. Jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem zugegebenermaßen die Öffentlichkeit nur noch bedingt hinschaut, ist ihr das Thema ziemlich egal. Ich finde, das ist eine prinzipienlose Politik. Am Ende ist die Kanzlerin dafür verantwortlich, dass Herr Altmaier als gerupftes Huhn nach Doha fahren muss. ({6}) Absurd wird es, wenn mittlerweile Unternehmen die Bundesregierung auffordern, tätig zu werden und für eine effizientere und ambitioniertere Klimapolitik in der Europäischen Union einzutreten. ({7}) Ich bin weit davon entfernt, dass ich hier bestimmte Energieversorger besonders loben möchte. Ich finde aber, man sollte es schon einmal erwähnen: EnBW sagt, dass es aus Sicht von EnBW wesentlich sei, das EU-Klimaziel für 2020 auf 30 Prozent anzuheben. Es gibt ein gemeinsames Papier von einer Reihe von Unternehmen, die für ein 30-Prozent-Ziel in der Europäischen Union eintreten. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Vorstandsvorsitzenden von EnBW, Vattenfall Europe, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Otto Group, Burda und Puma. Außerdem gibt es eine gemeinsame Position zum sogenannten Backloading. Ich will das hier nicht ausführlich erläutern; denn das ist viel zu kompliziert. ({8}) Es ist zwar kein ausreichendes Mittel hinsichtlich des europäischen Klimaschutzes, aber immerhin eine Maßnahme, um den Preis vorübergehend zu stabilisieren. Das ist unterschrieben worden von Shell, Eon und Alstom. Bei Ihnen allerdings verfängt das nicht. Ich muss das wirklich sagen. Herr Rösler führt sich auf wie ein kleiner beleidigter Junge, dem man jedes Argument vortragen kann, ohne dass es ihn interessiert. Es ist absurd, dass die Kanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft und auch keine Anstalten unternimmt, dies zu tun. Ich sage es Ihnen noch einmal: Nehmen Sie den Antrag von Rot-Grün, Herr Altmaier. Damit können Sie in Doha mit gutem Gewissen auftreten. Mit dem Antrag von Schwarz-Gelb werden Sie sich nur blamieren. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Andreas Jung für die Unionsfraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weltklimakonferenz in Doha hat begonnen. Wir können sagen: Es hat wieder einmal eine Weltklimakonferenz begonnen. Wir stellen ein Stück weit mit Enttäuschung und Frustration fest, dass das rasante Fortschreiten des Klimawandels einerseits nicht passt zu den kleinen Schritten andererseits, die im internationalen Klimaprozess in den vergangenen Jahren gemacht werden konnten. Für mich ist nur wichtig, dass diese Enttäuschung, diese Frustration nicht in Resignation umschlägt, sondern dass wir sie in positive Energie umwandeln und daraus den Schwung mitnehmen und sagen können: Wir wollen auch bei dieser Konferenz das Bestmögliche herausholen. ({0}) Wir wollen so große Schritte machen wie möglich. Das kommt in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck. ({1}) Unterstützen wir den Bundesumweltminister Peter Altmaier in dem, was er bei dieser Konferenz erreichen will. Erstens. Das Langfristziel bleibt in allererster Linie der Abschluss eines international verbindlichen Abkommens, ({2}) bei dem alle mitmachen: die großen Emittenten, die Industriestaaten, die Schwellenländer und die EntwickAndreas Jung ({3}) lungsländer. Wir haben das letzte Jahr verstreichen lassen, ohne dass energisch genug verhandelt wurde. Jetzt muss das Signal sein: Es muss mit Priorität verhandelt werden. Es darf keine weitere Zeit verloren gehen. 2015 kommt schneller, als man denkt. ({4}) Zweitens geht es darum, kurzfristig dafür Sorge zu tragen, dass es nach der ersten Kioto-Periode einen geordneten Übergang gibt. Wir brauchen die zweite Verpflichtungsperiode. Sie muss acht Jahre dauern, damit bis 2020 eine Brücke geschlagen werden kann. Es muss eine Brücke sein, die durch Ambition und durch Umweltintegrität gekennzeichnet ist und nicht durch heiße Luft. Deshalb dürfen überschüssige Zertifikate aus dieser Periode nicht in die nächste Periode mitgeschleppt werden. Nur dann kann Klimaschutz mit dem notwendigen Nachdruck fortgeführt werden. Auch dafür hat der Bundesumweltminister unsere Unterstützung. Drittens geht es um das Thema Finanzen. Der Klimafonds wurde auf den Weg gebracht, aber jeder Klimafonds ist nur so gut, wie das Geld, das drin ist. Deshalb erwarten wir, dass auf der Konferenz klargemacht wird: Die Industriestaaten stehen zu ihren Zusagen. - Damit steht und fällt im Übrigen auch die Glaubwürdigkeit. Deshalb muss sichergestellt werden, dass bis 2020 100 Milliarden US-Dollar tatsächlich in dem Topf enthalten sind. Da haben Deutschland und Europa eine besondere Verantwortung. ({5}) Herr Ott hat gerade auf die kontrovers diskutierten Punkte hingewiesen. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung. Gleichzeitig haben wir die klare Erwartung an die Bundesregierung, dass die Vorreiterrolle, die Deutschland und Europa immer hatten, konsequent fortgeführt wird, und zwar mit glasklaren Positionen. Ich will zwei Aufgaben nennen. Da ist erstens die Anhebung des CO2-Zieles auf 30 Prozent in Europa. Dieses Ziel wurde immer noch nicht vereinbart. Wir, jedenfalls die Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschuss, werben seit langer Zeit dafür. Es muss jetzt passieren. Wir haben jetzt schon 18 Prozent von 20 Prozent erreicht, das heißt, es geht um 2 Prozentpunkte in den verbleibenden acht Jahren bis 2020. Das ist nicht ehrgeizig, das ist nahezu lächerlich. Dieses Ziel würde man ohne weitere Anstrengungen beim Klimaschutz erreichen. Es muss jetzt etwas passieren. Deshalb unterstützen wir Peter Altmaier und fordern die Bundesregierung insgesamt auf, diesen Schritt zu tun. Er muss so schnell wie möglich erfolgen. ({6}) Zweitens möchte ich den europäischen Emissionshandel ansprechen. Wir waren uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass der europäische Emissionshandel das Herzstück der Klimapolitik der Europäischen Union ist. Frank Schwabe hat es angesprochen: Dieses Herz schwächelt im Moment. Man ist von ungefähr 18 Euro pro Zertifikat ausgegangen, jetzt sind wir am unteren Ende der Leiter angekommen und liegen mittlerweile bei 8 Euro oder 6 Euro, Tendenz weiter fallend. Bei 4 Euro - und das sind die Prognosen - wäre der Emissionshandel faktisch tot. Das wäre eine Katastrophe, weil auf internationaler Ebene nicht das Signal ausgesendet würde: Wir wollen ambitionierten Klimaschutz, wir wollen unser System mit den anderen verbinden. Vielmehr wäre es ein Signal, dass der Klimaschutz möglicherweise weniger wichtig ist. ({7}) Es wäre im Übrigen auch deswegen fatal, weil dadurch die notwendigen Investitionsanreize für die Wirtschaft fehlen würden, ({8}) um tatsächlich in den Klimaschutz zu investieren. Ein Scheitern des Emissionshandels wäre fatal, weil wir aus diesen Einnahmen unsere Energiewende finanzieren. Der Energie- und Klimafonds - mit seiner Hilfe werden die Gebäudesanierung und die Elektromobilität finanziert und wichtige Aufgaben, die für das Gelingen der Energiewende essenziell sind, umgesetzt - hat schon jetzt Federn lassen müssen. Er würde infrage gestellt werden. Deshalb brauchen wir jetzt ein klares Signal: Wir wollen an diesem Emissionshandel festhalten. Am 13. Dezember findet eine Tagung des europäischen Klima-Komitees statt. Wie sich das im Moment - noch - darstellt, müsste Deutschland sich enthalten, weil der Bundesumweltminister und der Bundeswirtschaftsminister unterschiedliche Positionen vertreten. Ich finde, die klare Botschaft muss lauten: Ein Vorreiter enthält sich nicht. ({9}) Deshalb erwarten wir, dass Deutschland dort eine klare Position vertritt, ({10}) auch weil wir wissen, dass andere europäische Staaten auf uns schauen. Es wird gefragt: Wie verhält sich die Bundesrepublik Deutschland denn jetzt? Deshalb brauchen wir ein klares Signal, das zeigt, dass wir bereit sind und uns dafür einsetzen, dass ein Teil der überschüssigen Zertifikate schon jetzt herausgenommen wird. Das ist der erste, wenn auch minimale Schritt. Der zweite Schritt ist, dass diese Zertifikate tatsächlich eingestampft werden, sodass sie nicht wieder auf den Markt kommen können. Der dritte Schritt sind die strukturellen Reformen, die ein Überleben des Emissionshandels garantieren. Die Alternative - CO2-Steuer und Planwirtschaft sind vorhin schon genannt worden - wäre nicht besser. Andreas Jung ({11}) Das kann auch nicht im Interesse des Bundeswirtschaftsministers liegen. Unsere klare Botschaft lautet: Wir unterstützen Bundesumweltminister Peter Altmaier in all den Punkten, die ich genannt habe. Er vertritt eine sehr konsequente Position. Wir wünschen uns, dass die Bundesregierung sehr schnell zu einer einheitlichen Position und zu einer klaren Festlegung in diesen Fragen kommt. Das ist das, was wir brauchen, um in der Klimapolitik weiterhin als Vorreiter auftreten und wirken zu können. Vielen herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier - so könnte man diese vorweihnachtliche Klimadebatte überschreiben. Die Koalition beschwört jedes Jahr im November die Vorreiterrolle Deutschlands. Die Opposition rückt das dann immer wieder gerade. Dann kommt die UNKlimakonferenz, die natürlich zum großen Durchbruch führen soll, welcher in zwei bis fünf Jahren zu besichtigen wäre. Mitte Dezember wird dann allerorts das Scheitern bedauert. Parallel dazu steigen Jahr für Jahr die globalen Treibhausgasemissionen. 40 Prozent mehr Klimakiller werden heute in die Atmosphäre geblasen als 1990. Die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, ist leider kaum noch zu schaffen. Was das an Hungertoten, Überflutungen und Sturmschäden bedeutet, das wissen inzwischen die meisten. Ich denke, nicht nur unsere Enkel, sondern vor allem die Menschen im globalen Süden werden uns irgendwann dafür verfluchen; denn nur wenige Prozent der globalen Wirtschaftsleistung hätten ausgereicht, diesen Wahnsinn, der die Erde für immer verändern wird, zu stoppen. ({0}) Stattdessen werden Banken und Spekulanten gerettet, werden Reiche immer reicher und Arme immer ärmer. In der Wachstums-Enquete-Kommission des Bundestages ist weiterhin schillernder Exot, wer den profitgetriebenen Wachstumswahn auch nur infrage stellt. ({1}) Und jetzt kommen Sie mir nicht mit der tollen Energiewende hierzulande und den steigenden Emissionen in China auf der anderen Seite des Globus. Denn rund 80 Prozent aller CO2-Emissionen seit der Industrialisierung gehen auf das Konto Europas und der USA. Letztere interessiert das bis heute nicht; das wissen wir ja. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bundesregierung vielleicht einmal die Frage stellen, ob es bislang eine gute Strategie Europas war, in den UN-Verhandlungen ständig zu pokern. ({2}) Ob Minderungsverpflichtungen oder Klimaschutzfinanzierungen - die EU ging noch nie in Vorleistung. Es ist also kein Wunder, dass ein umfassendes Klimaschutzabkommen immer noch in den Sternen steht und Vertrauen zusehends verspielt wird. Wie ernst sollen uns denn die anderen nehmen, wenn die EU weiter an dem lächerlichen Ziel einer Minderung um 20 Prozent festhält? Schließlich sind gegenüber 1990 bereits 18 Prozent erreicht, mit meinem „geliebten“ CDM sogar über 21 Prozent. Acht Jahre lang keinen Klimaschutz betreiben zu wollen - bis 2020 sind es noch acht Jahre -, Herr Altmaier, das ist kein Verhandlungsangebot, sondern eine ganz brutale Provokation. ({3}) Ich sage es noch einmal: Die Verschärfung des EUKlimaschutzzieles auf 30 Prozent ist überfällig. Deutschland verhindert das, weil sich die FDP der Reform des EU-Emissionshandels verweigert; wir haben es gerade gehört. Es geht nicht um eine Reform, die die Wirtschaft - das konnten wir hören - irgendwie erdrosseln würde. Es geht schlicht um die Stilllegung überschüssiger Emissionsrechte, damit die CO2-Preise endlich aus dem Keller kommen. ({4}) Zudem sind die jährlichen Minderungen der Anlagen an das 30-Prozent-Ziel anzupassen. Doch genau dagegen wenden sich die Liberalen. Für Wirtschaftsminister Rösler kommt bereits die Stilllegung der 2 Milliarden überschüssigen Emissionsrechte nicht infrage. Er will das Versagen des Emissionshandels zementieren. Sie sind also mit schuld. Man muss es ganz klar sagen: Die Blockade der FDP verhindert die Erreichung des Ziels und damit den Fortschritt. Man muss sich das einmal vorstellen. Dabei ist die FDP eine Splitterpartei mit Wohlhabenden als Mitglieder, die es, wie Umfragen zeigen, seit Monaten nicht mehr schaffen würde, im Bundestag vertreten zu sein. ({5}) Ich kann nur hoffen, dass die Kanzlerin endlich aufwacht und ihren Koalitionspartner in die Schranken weist. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die internationale Klimapolitik ist hier im Parlament eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir haben sie immer so verstanden, dass wir auf den internationalen Konferenzen gemeinsam aufgetreten sind, unabhängig davon, wer gerade in der Regierung und wer in der Opposition ist. Vor allen Dingen aber haben wir in den letzten Jahren immer Präsenz gezeigt. Deshalb halte ich diesen Beschluss des Ältestenrates weiterhin für ein absolutes Missverständnis; denn es wird nicht berücksichtigt, was auf solchen Konferenzen passiert. ({0}) Wenn wir als Deutscher Bundestag eine immer stärkere Beteiligung an Entscheidungen der Europäischen Union einfordern, wenn wir selbstbewusst in der Europäischen Union auftreten, dann frage ich mich, warum das Präsidium und der Ältestenrat dieses Parlaments glauben, dass man dies auf UN-Konferenzen nicht tun muss. Die Ergebnisse dieser Konferenzen muss am Ende schließlich der Bundestag ratifizieren. Deshalb ist es eine Frage des Selbstbewusstseins dieses Parlaments, dass man offizielle Delegationen des Deutschen Bundestags und nicht einzelne Abgeordnete zu den Konferenzen entsendet. Das muss sich in diesem Parlament wieder ändern. ({1}) Meine Damen und Herren, was steht in Doha an? Das erste Ziel ist das Arbeitsprogramm 2015 für das Abkommen, das 2020 in Kraft treten soll. Es ist also eine Zwischenstation des Verhandlungsstranges. ({2}) Das zweite große Ziel, das wir in Doha erreichen müssen, ist, dass Kioto II am Ende nicht allein aus der Europäischen Union, Norwegen, der Schweiz und Australien besteht; denn das wäre ein Kioto-Protokoll, das aufgrund seines beschränkten Wirkungsbereiches auf weniger als 20 Prozent der Emissionen definitiv keine Wirkung in der Welt hätte. Deshalb muss es zentrales Ziel der Bundesregierung sein, dass insbesondere die großen Volkswirtschaften Russland und die Ukraine ins Boot geholt werden. Das ist aus meiner Sicht eine zentrale Aufgabe, damit Kioto II zum Erfolg wird. ({3}) Meine Damen und Herren, das dritte Ziel ist: Die Industriestaaten müssen die Finanzierung des Klimaschutzes ernst nehmen. Hier sind wir beim Beitrag Deutschlands. Die Umweltverbände haben im Vorfeld der Konferenz im Gespräch mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages erfreulicherweise darauf hingewiesen, dass die klimarelevanten Ausgaben im Haushalt 2013 auch nach ihren Berechnungen gegenüber 2012 um 100 Millionen Euro gestiegen sind. Das heißt, Deutschland nimmt seine Verpflichtungen ernst. Wir machen nicht nur Zusagen, sondern wir schreiben sie auch in den Bundeshaushalt. Das hat diese Koalition geschafft und nicht die Opposition mit ihren Forderungen. ({4}) Deshalb haben die Liberalen überhaupt keine Probleme, selbstbewusst in diese Konferenz zu gehen; denn die meisten dieser Mittel sind im Haushalt von Bundesminister Niebel etatisiert. Das ist ein positives Zeichen für Doha. Das zweite positive Zeichen, mit dem wir nach Doha gehen, ist die deutsche Energiewende. Nicht Prozentzahlen von Ankündigungen sind faszinierend, sondern faszinierend ist die Vision, die Deutschland in die Praxis umsetzt, nämlich von dem nuklear-fossilen Zeitalter in das regenerative Zeitalter überzugehen, und zwar ohne das Wachstum abzuwürgen. Das macht die Energiewende sexy und im internationalen Kontext zu einer Erfolgsgeschichte. Der Bundesumweltminister fährt hier einen guten Ansatz. Er hat gesagt: Wir wollen mehr Staaten mitnehmen, die im Bereich der erneuerbaren Energien vorangehen wollen. Das ist mindestens genauso wichtig wie die anderen Verhandlungsstränge in Doha. Wir müssen mehr Länder auf dem Weg der Energiewende, die wir in Deutschland begonnen haben, mitnehmen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Herzlichen Glückwunsch, dass Sie pünktlich zum Ende des Jahres das Klimathema wiederentdeckt haben! Der Umweltminister bekannte letzte Woche, endlich habe die Klimapolitik wieder den Stellenwert, den sie lange nicht hatte. Auch Ihnen sei gratuliert, lieber Herr Altmaier, zu der Erkenntnis, dass der Klimaschutz kein Kuschelthema alljährlich zur Adventszeit sein darf. Nein, das Weltklima muss das ganze Jahr und die ganze Legislaturperiode über oberste Priorität haben. Das ist der Anspruch, der heutzutage an jede Bundesregierung gestellt wird. ({0}) In Ihrem Antrag mit der Überschrift „Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben“ ist technisch so ziemlich alles enthalten; das ist keine Frage. Das BMU hat gute Vorarbeit geleistet. Aber jenseits der Details, da, wo die politische Musik spielt, ist Ihr Antrag schönfärberisch und in den konkreten Maßnahmen absolut unzureichend. ({1}) Es ist schon kaum mehr auszuhalten. Sie bezeichnen die Bundesrepublik wider besseres Wissen als treibende Kraft in den Klimaverhandlungen ({2}) und behaupten, Deutschland werde seine Vorreiterrolle im Klimaschutz weiterführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Unwahrheiten werden nicht dadurch wahr, dass man sie ständig wiederholt. ({3}) Lassen Sie es mich ungeschminkt sagen: Ihr Antrag ist eine unerträgliche klimapolitische Selbstbeweihräucherung. ({4}) Wenn es nach den letzten Jahren der Klimadiplomatie eine Lehre geben muss, dann die, dass es ein stupides Weiter-so nicht geben darf. Denn damit kann die globale Erwärmung nicht in Schach gehalten werden. Ihr Ziel im Antrag, es müsse wieder ein umfassendes Klimaabkommen mit allen Emittenten verabschiedet werden, zeigt: Sie befinden sich weiterhin sehenden Auges auf einem Blindflug. Wenn Sie mit aller Kraft versuchen, es wieder allen, vor allen Dingen den USA, recht zu machen, werden Sie wie schon 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen scheitern. Das darf nicht sein. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen. Grüne und SPD schlagen deshalb in einem gemeinsamen Antrag ein wirklich modernes Klimaregime vor. An dieser Stelle vielen Dank den Kollegen von der SPD und Dank an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei uns ist der Begriff „modernes Klimaregime“ jedoch keine bloße Worthülse wie bei Ihnen. Um die düsteren Prognosen einer um 4 Grad wärmeren Welt nicht Wirklichkeit werden zu lassen, sagen wir: kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter. ({5}) Aber wie soll Deutschland mit einem Wirtschaftsminister Rösler Vorreiter sein, der sich allen Ernstes gegen eine Verknappung der Emissionszertifikate ausspricht, was nach Aussage der EU-Kommission zu einem Zertifikatepreis von circa 4,50 Euro führen würde? Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist nicht nur klimapolitischer, sondern auch ökonomischer Irrsinn. ({6}) Nein, glaubwürdige internationale Klimapolitik fängt zu Hause an. Sie geht damit weiter, dass man sich Partner sucht, um gemeinsam voranzugehen. Wir fordern deshalb, nicht länger auf die Langsamsten zu warten. Herr Jung, Ihre Forderung von gerade eben ist absolut widersinnig. Wir dürfen nicht auf die Langsamsten warten, sondern müssen vorangehen und eine Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorantreiben. Anders werden wir nicht vorankommen. Unsere Überzeugung ist, dass Deutschland und die EU den Kern einer solchen progressiven Allianz, eines Klimaklubs der Pioniere, bilden können. Anders werden wir den Klimawandel nicht erfolgreich bewältigen können. Die Zeit des Schönredens vor internationalen Klimakonferenzen ist vorbei. Es ist an der Zeit, klimapolitisch zu handeln. Noch eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Wenn Sie sich in dieser Schicksalsfrage weiterhin von der FDP am Nasenring herumführen lassen, werden Sie von ihr auch mit in den Abgrund gezogen. ({7}) Lassen Sie es nicht dazu kommen. Sie sind zwar nicht unbedingt für die Rettung der FDP verantwortlich. Aber Sie sind ganz unbedingt für den Schutz der Lebensgrundlagen unserer Zivilisation verantwortlich. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Josef Göppel für die Unionsfraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich: Wie stellen wir es an, dass der Klimaschutz wieder den Stellenwert bekommt, den er verdient? Lieber Kollege Altmaier, was die Konferenz in Doha betrifft, haben Sie auf jeden Fall die Unterstützung aller Mitglieder des Umweltausschusses. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei den Mitgliedern der FDP-Fraktion bedanken, ({0}) die in der gestrigen Sitzung deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die Position des Bundesumweltministers unterstützen. Selbstverständlich ist jetzt das Kanzleramt gefordert. ({1}) Das Kanzleramt muss in einer Streitfrage zwischen zwei Fachministerien die Richtlinien der Politik bestimmen. Das bedeutet hier eine klare Vorgabe für den Klimaschutz. ({2}) Anders geht es wirklich nicht. Es ist komisch, dass gerade der Teil der Welt, der seit 1990 deutliche CO2-Einsparungen zu verzeichnen hat, jetzt zu zaudern beginnt. Wegen der Energiewende steht Deutschland in der Welt unter Beobachtung. Viele sind davon fasziniert, manche sind skeptisch. Von 1990 bis Ende 2011 haben wir den Ausstoß von Klimagasen um 26 Prozent reduziert. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass zwei Drittel davon auf den Umbau der Industrie in Ostdeutschland und ein Drittel auf das EEG zurückzuführen sind; alles Übrige kann man fast vergessen. ({3}) Natürlich ist es für uns auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten wichtig, zu wissen, welche Faktoren wirklich zu dieser Senkung geführt haben. ({4}) Herr Kollege Altmaier, bei einem Thema können Sie schon jetzt sehr selbstbewusst auftreten - der Kollege Kauch hat das zu Recht erwähnt -: 2012 haben wir im Bundeshaushalt einen Betrag von 1,8 Milliarden Euro für bilaterale Zusagen im Bereich des Klimaschutzes und für Einzahlungen in internationale Töpfe bereitgestellt. In der letzten Woche wurden von uns 100 Millionen Euro zusätzlich bewilligt, wenn auch auf verschiedene Ministerien verteilt. Deutschland kann in Doha, was die finanziellen Verpflichtungen angeht, sehr glaubwürdig auftreten; ich füge hinzu: wenigstens das. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein Zeichen für den Durchhänger des Klimaschutzes ist natürlich die Ablehnung der Delegationsreise durch den Ältestenrat. Als Obmann der CDU/CSU im Umweltausschuss sage ich: Da eine Delegationsreise von Abgeordneten zur Klimakonferenz abgelehnt wird, erwarte ich, dass der Ältestenrat in Zukunft immer dann, wenn ein Minister irgendwohin fährt und verhandelt, aus keinem anderen Fachbereich mehr Abgeordnete mitfahren lässt. Das wäre die logische Konsequenz. ({5}) Daran zeigt sich, dass dieses Thema noch einmal überdacht werden muss. Zusammenfassend kann man sagen: Wir Deutschen können, was die Fakten angeht, gut und selbstbewusst auftreten. Es ist deshalb politisch für Deutschland und auch für die Zukunftschancen unserer Wirtschaft auf den internationalen Märkten nur schädlich, wenn derjenige, der von den anderen als Vorreiter angesehen wird, nun selber zu zaudern beginnt. Deswegen - ich sage es noch einmal - erwarten wir eine klare Festlegung des Kanzleramtes zur Rückenstärkung des Umweltministers für die nächste Woche in Doha. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11651 und 17/6550 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen damit so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit dem Titel „Die UN-Klimakonferenz in Doha - Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11714, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11514 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPDFraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 17/11466 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({2})RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Entgegen den verteilten Redelisten erteile ich jetzt dem Minister der Verteidigung, Herrn Dr. Thomas de Maizière, das Wort. ({3})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Link und ich haben vereinbart, heute innerhalb der Regierung die Rednerreihenfolge zu tauschen. Daraus ist weiter nichts zu schließen, außer dass wir beide das vereinbart haben. ({0}) - So ist das. ({1}) Allerdings ist das, was wir jetzt erörtern, kein Grund zum Spaßen. Wir denken an den 11. September. Ich glaube, es gibt wenige Daten, die wir so im Kopf haben und zu denen jeder von uns weiß, was er da gemacht hat. Dazu gehört der 9. November, dazu gehört der 11. September, dazu gehört sicherlich auch der eine oder andere private Tag. Politisch gibt es ganz wenige solcher Tage. Der 11. September gehört dazu. Die terroristischen Anschläge in Washington und New York haben unser Leben verändert, unser persönliches, aber auch die Sicherheitslage. Auch das bis dahin scheinbar ungefährdete Amerika und Europa haben gelernt, dass das Leben täglich Gefahren ausgesetzt sein kann. Einen Tag später, am 12. September 2001, und etwas später, am 4. Oktober 2001, stellte der Nordatlantikrat fest, dass die terroristischen Angriffe auf die USA als Angriff auf alle Bündnispartner im Sinne des Art. 5 des NATO-Vertrages, als Bündnisfall, anzusehen seien. Damit wurde erstmalig der Bündnisfall festgestellt, dem auch Deutschland, damals unter Bundeskanzler Schröder, zugestimmt hat. Damit war auch die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den Terrorismus beizutragen. Dies begründete den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf der Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des schon genannten Art. 5 des NATO-Vertrages. Dies begründet auch unser Engagement im Rahmen der Operation Active Endeavour, die wir heute diskutieren. Der Einsatz hat zum Ziel, im Mittelmeerraum zum Schutz vor möglichen terroristischen Aktivitäten beizutragen. Es geht um die Verteidigung gegen den internationalen Terrorismus. In diesem Rahmen übernimmt die Bundeswehr folgende Aufgaben: militärische Präsenz in und über See; Aufklärung, Überwachung und Lagebilderstellung in und über See; Austausch und Abgleich von Lageinformationen mit anderen Akteuren; Kontrolle des Seeverkehrs und schließlich Unterstützung von NATOOperationen in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer. Über elf Jahre nach Erklärung des Bündnisfalls haben wir uns natürlich die Frage zu stellen - das wird sicher gleich diskutiert werden -, ob der Einsatz in seiner derzeitigen Ausrichtung noch notwendig ist. ({2}) Im Bündnis besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass der Angriff im Sinne des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen mit den Anschlägen des 11. September 2001 nicht abgeschlossen war. Vielmehr fand dieser Akt des Terrorismus in weiteren Anschlägen und Anschlagsversuchen - in London, Madrid und Detroit - eine Fortsetzung. Die Bedrohung dauert bis heute an. Wir gehen von einer Fortsetzung der terroristischen Gefahr aus, auch für uns. Die Operation Active Endeavour leistet einen Beitrag dazu, hier unser Lagebild zu verbessern. Sie entfaltet durch ihre abschreckende Funktion auch eine präventive Wirkung. Gerade deshalb erkennen wir weiterhin das Erfordernis einer bündnisgemeinsamen Präsenz im Mittelmeer und die Notwendigkeit einer kontinuierlichen militärischen Aufklärung und Überwachung in dieser Region. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir streben eine Fortentwicklung dieses Mandats an. Angeregt durch Deutschland wird über die Weiterentwicklung der immer stärker netzwerkgestützten Active Endeavour in der NATO diskutiert. Auch eine Diskussion über die Notwendigkeit der Beibehaltung des Bündnisfalls als Grundlage für diesen Einsatz wurde durch Deutschland initiiert. Aber wenn wir den Bündnisfall gemeinsam erklären, dann werden wir den Bündnisfall auch gemeinsam beenden ({3}) und nicht einseitig; damit das ganz klar ist. Die NATO begegnet dem internationalen Terrorismus durch einen zunehmend netzwerkbasierten Ansatz mit einem Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und -verarbeitung. Dieser Ansatz soll ausgebaut werden. Partner der NATO haben bereits das Angebot zur Teilnahme an Active Endeavour genutzt. Die Operation führt damit die Prinzipien der kollektiven Verteidigung unter den NATO-Mitgliedern und der kooperativen Sicherheit mit Partnern zusammen. Dies bietet einen Ansatz zur kooperativen Umsetzung der aktuellen maritimen Strategie der NATO. Die internationale Gemeinschaft darf in ihren umfassenden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Umstände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen, nicht nachlassen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Anstrengungen bleibt weiterhin die Bereitstellung entsprechender militärischer Fähigkeiten, auch durch Active Endeavour im Mittelmeer. Dafür gebührt unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren internationalen Kameraden unser ausdrücklicher Dank und unsere Anerkennung. ({4}) Die Bundesregierung beantragt eine Fortsetzung des Einsatzes unter Beibehaltung der personellen Obergrenze von derzeit 700 Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. Dezember 2013, also um ein weiteres Jahr. Ich bitte Sie - auch im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten - um eine breite Unterstützung für diesen in der Weiterentwicklung befindlichen, aber immer noch und weiterhin richtigen und notwendigen Einsatz. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Rolf Mützenich hat nun für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer außenpolitischen Debatte zu dieser Zeit ist es schon notwendig, auch ein paar Blicke auf einen anderen Ort zu richten. Heute wird vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen über den Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde für einen Beobachterstatus abgestimmt. Die Bundesregierung hat heute bekannt gegeben, dass sie sich in der Generalversammlung der Stimme enthalten wird. Herr Staatsminister Link, ich glaube, das ist das Mindeste, was Sie tun konnten, um Präsident Abbas in einer wirklich schwierigen Situation nicht weiter zu schwächen. Jede andere Entscheidung vonseiten der Bundesregierung hätte in diesem Parlament mit Unverständnis quittiert werden müssen. Eine etwas frühere Verlautbarung aus Ihrer Sicht hätte vielleicht das eine oder andere innerhalb der Europäischen Union besser ordnen können. ({0}) Wir vonseiten der Sozialdemokratischen Partei hätten uns schon gewünscht, dass alle 27 Mitgliedstaaten ein gemeinsames Votum in der Vollversammlung der Vereinten Nationen abgegeben hätten. ({1}), Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Deutschland eine Führungsrolle übernommen hätte. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe jetzt auf das Mandat ein, zu dem der Bundesverteidigungsminister heute erneut einen Antrag auf Fortsetzung eingebracht hat. Ich glaube, wir konnten hier im Plenum spüren, wie er mit den Argumenten gerungen hat, insbesondere als es um die Begründung der Bündnissolidarität gegangen ist. Ihm war doch sehr unwohl, weil er wusste, dass auch der Bundesaußenminister in den letzten Debatten sein Unbehagen geäußert und gegenüber dem Deutschen Bundestag verlautbart hat, er würde im Bündnis für eine andere Rechtsgrundlage streiten. Das hätte zu einer deutlichen, zu einer klaren Außenpolitik gehört. Denn Sie können die Bündnissolidarität und das Vorliegen eines Bündnisfalls nicht endlos wiederholen und mit den gleichen Worten begründen - damit entkleiden Sie sozusagen das, was Art. 5 des NATO-Vertrages hergibt -, weil Bündnissolidarität etwas Besonderes ist. Sinn und Zweck ist, dies in einer besonderen Situation zu nutzen. Ich glaube, elf Jahre sind letztlich genug, um vonseiten der Bundesregierung zu einer anderen Begründung zu kommen. Bei einer selbstbewussten Außenpolitik und insbesondere angesichts der Frage, wie der Terrorismus bekämpft werden kann, hätte es letztlich einer anderen Begründung bedurft. ({2}) Herr Bundesverteidigungsminister, im Grunde genommen haben Sie gar nichts über die Aktivitäten dieser Mission im letzten Jahr berichtet. Wer einmal aufmerksam in die Unterrichtungen des Parlaments geschaut hat, hat feststellen müssen, dass es im Berichtszeitraum nur einen Einsatz gegeben hat, nämlich im September, als die Fregatte „Bayern“ einen Rettungseinsatz durchgeführt hat. Ich finde es sehr anerkennenswert, dass auch die Bundesmarine, wie es üblich ist, in solchen Fällen aktiv wird. Aber ich glaube, Herr Bundesverteidigungsminister, das hat mit dem Mandat überhaupt nichts zu tun, sondern das hat sozusagen etwas mit dem Recht auf der hohen See zu tun. Ich meine, der Rettungseinsatz ist richtig gewesen, aber dafür hätte es dieses Mandat nicht gebraucht. ({3}) Weiterhin hätten Sie dem Deutschen Bundestag berichten müssen, wieso alle paar Monate rund 600 Bundeswehrsoldaten für das Mandat benannt worden sind. Wir haben einmal überprüft, warum das der Fall war. Das war deswegen der Fall, weil Schiffe in Richtung der Mission Atalanta gefahren sind und dann im Mittelmeer für dieses Mandat umgewidmet wurden. Ich meine, ein bisschen Zielgerichtetheit wäre für dieses Mandat notwendig gewesen. Ich finde, auch Ehrlichkeit gegenüber dem Bundestag und gegenüber der Bundeswehr, der Bundesmarine, wäre angebracht gewesen. Nun zu einem weiteren Punkt, der in dieser Debatte ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Da ist das Außenministerium gefordert; Herr Staatsminister Link, Sie werden ja gleich reden. Ich würde mich wirklich darüber freuen, wenn Sie uns etwas ausführlicher begründen könnten, warum die Umbrüche in der arabischen Welt - dies steht zu Beginn der Begründung des Antrages dafür genutzt werden, dieses Mandat zu rechtfertigen. Ich habe die Diskussion im Deutschen Bundestag und vonseiten der Bundesregierung immer so verstanden, dass erst einmal die mutigen Menschen dort, die versuchen, ihre Regime zu stürzen und für demokratische Legitimation einzutreten, von uns unterstützt werden sollen und dass das nicht mit dem Terrorismus verwechselt werden darf. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dieses Mandates genauso dazu. Wir wissen, das Risiko in Bürgerkriegen ist immens; aber Sie können hier in einer allgemeinen Begründung nicht die terroristische Gefahr sozusagen herbeireden. Ich glaube, dieser Hinweis in der Begründung ist falsch und wird den gesellschaftlichen Umbrüchen, der zeitgeschichtlichen Erosion, gerade in der arabischen Welt überhaupt nicht gerecht. Ich finde, das gehört nicht in ein Mandat hinein. ({4}) Herr Bundesverteidigungsminister, Sie plädieren immer für Mandatsklarheit; wir haben das in den letzten Tagen bei der Diskussion über den Patriot-Einsatz und viele andere Dinge gehört. Ich glaube, genau bei diesem Mandat hätten wir Klarheit und Wahrheit gebraucht. Das haben Sie nicht geleistet. Sie haben das im letzten Jahr angekündigt, aber auch in diesem Jahr waren Sie dazu nicht bereit. Deswegen kann ich Ihnen vonseiten meiner Fraktion nur sagen: Einem solchen Mandat können wir nicht zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Link. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe zunächst auf die beiden konkreten Punkte ein, die Herr Mützenich angesprochen hat. Sie haben erwähnt, dass in der Begründung des Antrags der Bundesregierung auf das Gesamtumfeld hingewiesen wird. Die Umbrüche in der arabischen Welt sind natürlich kein kausaler Grund für diesen Einsatz. Was haben aber die Umbrüche gebracht? Sie haben natürlich einen Gewinn an Demokratie gebracht. Nehmen wir das Beispiel Libyen, wo die Wahlen erstaunlich gut verlaufen sind. Das war hinterher. Vorher war dort alles schwierig; wir wissen das. Das war ein Gewinn an Demokratie. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass jetzt eine enorme Anzahl von Waffen aus den Beständen der Gaddafi-Armee auf dem Markt ist, die natürlich auch von denjenigen genutzt werden, die in das Vakuum hingestoßen sind, das dort nach dem Abtritt der diktatorischen Herrschaft teilweise entstanden ist. Mit diesen Waffen sorgen sie jetzt verstärkt für Unsicherheit. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen sagen: Hier ist zunächst einmal nicht mehr Sicherheit erreicht worden. In Mali ist das konkret geworden, aber das gilt auch für andere Länder. Deshalb ist diese Begründung sehr sinnvoll. Wir sagen ganz ausdrücklich: Jawohl, es gehört zur Ehrlichkeit dazu - und ehrliche Mandate erteilt diese Bundesregierung -, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt werden, dann haben sie einen Anspruch auf besonders sorgfältig getroffene Entscheidungen unter Abwägung aller Risiken und Härten; das ist entscheidend. Wir alle wissen: Es gibt Mandate für Auslandseinsätze, die weitgehend unumstritten sind, und es gibt umstrittene Mandate. Dieses OAE-Mandat, das Mandat für die Operation Active Endeavour, dessen Verlängerung wir heute beantragen, ist unter allen unseren NATO-Bündnispartnern vollkommen unumstritten. Das muss man auch einmal deutlich aussprechen. OAE ist ein Überwachungseinsatz. Der Einsatz bringt bei vergleichsweise geringem Aufwand einen großen Ertrag. Durch OAE verdichten wir unser Lagebild insbesondere zum südlichen Umfeld. Die militärische Präsenz der OAE-mandatierten Schiffe im Mittelmeer entfaltet eine stark abschreckende Wirkung gegen Terroristen. Faktisch wirkt sie auch weit darüber hinaus stabilisierend. OAE ist insofern zu einem präventiven Ordnungsfaktor im Mittelmeer geworden und genießt gerade als solcher auch bei den südlichen Mittelmeeranrainern wie Marokko, Tunesien oder Algerien eine ganz hohe Akzeptanz. Insgesamt beteiligen sich gegenwärtig nicht weniger als 63 Nationen am Austausch von Lagedaten im Rahmen von OAE. Auch das ist ein wenig bekanntes Faktum. Die sicherheitspolitische Relevanz der NATO-Mission ist im Vergleich zum vergangenen Jahr ohne Zweifel gestiegen. Ich habe das mit dem Hinweis auf die Umbrüche in der arabischen Welt schon erwähnt. Die Aktivitäten von al-Qaida sind ebenfalls bereits erwähnt worden. Es besteht deshalb aus unserer Sicht weiter ganz konkret die Gefahr, dass Al-Qaida-Ableger oder lokale, der al-Qaida nahestehende Gruppen unkontrollierte Gebiete als Rückzugsräume nutzen. In Syrien und darüber hinaus hat die Krise längst auch eine regionale Dimension angenommen. Terroranschläge sind Bestandteil der bewaffneten Auseinandersetzung im syrischen Bürgerkrieg. Auch von al-Qaida anerkannte Terrorgruppierungen profitieren zunehmend von der unübersichtlichen Lage. Nicht nur unsere NATO-Partner, sondern die gesamte Völkergemeinschaft meint daher, dass der Schutz vor und die Abwehr gegen den internationalen Terrorismus weiter geführt werden muss. Der Sicherheitsrat bekräftigt dies in aktuellen Resolutionen. International herrscht Übereinstimmung: Eine defensiv ausgerichtete Mission wie OAE, die vor allem dem Schutz, der Verteidigung und der Abschreckung dient, trägt in legitimer Weise zur Bekämpfung und Verhinderung möglicher Terroraktivitäten bei. Unsere Bündnispartner - Verteidigungsminister de Maizière hat darauf hingewiesen - schätzen die Mission auch, weil es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme im Sinne der kooperativen Sicherheit handelt. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch wichtige NichtNATO-Mitgliedstaaten an der OAE bereits teilgenommen haben. Denken wir zum Beispiel an den russischen oder den ukrainischen Beitrag. Wir setzen uns - auch darauf hat Kollege de Maizière hingewiesen - schon seit längerem dafür ein, dass in der NATO eine Weiterentwicklung des Einsatzes diskutiert wird. ({1}) Thema Bündnisfall. OAE ist bislang als robustes Mandat ausgestaltet. Wir halten das für den Erfolg des Einsatzes für nicht zwingend. Aus unserer Sicht könnte und sollte OAE auf nichtexekutive Befugnisse beschränkt werden. Wir treffen mit dieser Forderung allerdings nicht auf die Zustimmung unserer NATO-Partner. Wir können das nicht einseitig ändern. Wir bleiben aber hartnäckig. Wir verzeichnen auch erste Erfolge. Bislang ist rechtliche Grundlage für diese Mission Art. 5 des NATO-Vertrages, also der erklärte Bündnisfall. Dieser Bezug kommt jetzt auf den Prüfstand. Wir nehmen damit die Forderungen, die insbesondere in dem Antrag der Fraktion der Grünen erwähnt sind, vorweg: Ja, die Bundesregierung setzt sich aktiv und engagiert in der NATO dafür ein, dass der Bündnisfall als Grundlage für den OAE-Einsatz der NATO im Mittelmeer künftig entfallen kann. Wir müssen aber erst unsere Partner dafür gewinnen. Wir können und dürfen das nicht alleine tun. Hier kann ich ebenfalls nur auf das verweisen, was der Verteidigungsminister eben ausgeführt hat: Wir rufen den Bündnisfall gemeinsam aus, und wir beenden ihn gemeinsam. ({2}) Auf das Umfeld in Verbindung mit dem heutigen Geschehen in New York ist hingewiesen worden. Ich selbst hatte die Gelegenheit, gemeinsam mit dem Außenminister und teilweise in seiner Vertretung am letzten Außenministerrat teilzunehmen. Ich möchte noch einmal ganz ausdrücklich sagen: Wir haben, gerade der Außenminister selbst, wahrlich nichts unversucht gelassen, eine gemeinsame Position in der EU herbeizuführen. ({3}) - Das wissen Sie; exakt. - Aber was tun Sie in einer Situation, wenn sich andere EU-Partner bereits lange vor der Abstimmung öffentlich eindeutig auf ein Ja festlegen, und zwar nicht nur einer, sondern zwei oder drei, und damit die Gelegenheit, dass die EU hier gemeinsam auftritt, in den Wind schlagen? Das ist in der Tat ein Problem, was nun wahrlich nicht die Bundesregierung zu vertreten hat. Wir erinnern deshalb an der geeigneten Stelle alle Partner in der EU sehr kritisch daran, dass sie durch ihre frühe, einseitige Festlegung auf ein Ja exakt das verhindern, was genau diese EU-Partner in Sonntagsreden immer anmahnen, nämlich eine gemeinsame EU-Position. Da gibt es eine bunte Schar von Staaten - Sie wissen das genau -, die sich früh eindeutig auf ein Ja festgelegt haben und dadurch diese Abstimmung, die man mit gutem Willen und mit einer koordinierten Aktion durchaus noch einmal hätte verschieben können, zur Unzeit ohne Not haben eskalieren lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung beantragt die Fortsetzung der OAE. Auch namens des Auswärtigen Amtes danke ich ausdrücklich unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst im Rahmen dieses Einsatzes. Wir beantragen die Fortsetzung dieses Einsatzes. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Paul Schäfer das Wort. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Winston Churchill hat nach 1945 auf die Frage, was denn nun aus dem Münchener Abkommen von 1938 werden solle - das war zwar schändlich, aber völkerrechtlich gültig -, geantwortet: So tun, als ob es das nicht gäbe! Vor zwei Jahren habe ich den damaligen Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO, Herrn Di Paola, gefragt, wann und wie denn die NATO den 2001 ausgerufenen Bündnisfall beenden wolle. Er hat mich erstaunt angesehen und lapidar geantwortet, das sei für die NATO kein Thema, es habe sich schließlich um einen auf die Situation bezogenen Akt der politischen Solidarität gehandelt. Das klang nach „Schwamm drüber“ à la Churchill, wenn nicht der kleine Nachsatz gefolgt wäre: Außerdem bestünden ja doch die Gefahren des internationalen Terrorismus fort. - Manche sagen: Noch Jahrzehnte. - Der Minister hat es genauso wiederholt. Das heißt, man kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen die Frage stellen, worum es eigentlich heute bei der Militäroperation Enduring Freedom und dem NATO-Einsatz Active Endeavour geht. Beide beziehen ihre Legitimation aus den Anschlägen vom 11. September 2001. Der Punkt ist der: Die NATO beruft sich auf den Verteidigungsfall gegen eine angenommene globale Bedrohung und leitet daraus die grundsätzliche Legitimation für den Einsatz von militärischer Gewalt weltweit ab, präemptiv, präventiv, reaktiv - egal. Das ist keine abstrakte Theorie, das ist kein linkes Hirngespinst, das ist blutige Realität: Capture-or-Kill-Operationen in Afghanistan, Einsatz von Kampfdrohnen in Somalia, dem Jemen und Pakistan, maritime Taskforce im Indischen Ozean, deren Auftrag völlig unklar ist, Piratenjagd am Horn von Afrika oder die Jagdkommandos auf AlQaida-Anhänger in Nordafrika im Rahmen von OEF Trans Sahara. Enduring Freedom und Active Endeavour sind - man kann es so sagen - Instrumente zur Etablierung eines Damoklesschwertes globaler Gewaltandrohung. Ich finde, das kann so nicht weitergehen. ({0}) Man beruft sich auf Art. 51 UN-Charta und Art. 5 des Nordatlantikvertrags, aber diese Einsätze in ihrer ganzen Breite haben mit Verteidigung und Bündnisfall nichts oder wenig zu tun. Der Schein der Rechtmäßigkeit soll gewahrt werden, während man sich gleichzeitig unter dem Vorzeichen dieses Antiterrorkampfes Pauschalermächtigungen für eben diese geografisch nicht begrenzten Militäreinsätze holt. Paul Schäfer ({1}) Wir sagen dazu ganz eindeutig: Der Krieg gegen den Terror hat die Welt nicht sicherer gemacht, eher im Gegenteil. ({2}) Er führt zur Fixierung auf militärische Scheinlösungen und blockiert das Nachdenken über zivile Möglichkeiten, den Ursachen der Konflikte in der Welt zu Leibe zu rücken. ({3}) Das ist doch der Punkt. ({4}) Wir sagen: Terror muss man entgegentreten, lieber Kollege Mißfelder, aber der sogenannte Krieg gegen den Terror muss beendet werden. ({5}) Die Ausrufung des Bündnisfalls, die wirklich eine Pauschalermächtigung für diese praktisch globalen Militäreinsätze ist, muss ebenfalls zurückgeholt und beerdigt werden. ({6}) Deshalb werden wir auch dem Antrag der Grünen zustimmen. Der greift eine Kernforderung auf, die wir schon lange haben. Was den hier zu verhandelnden Einsatz der Marineverbände im Mittelmeer betrifft, so war schon lange klar, dass es mit Terrorabwehr nichts zu tun hat. ({7}) Es geht um eine umfassende Überwachungsmission, zu der die NATO sich selbst mandatiert hat. Der Passus im Mandat „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ lässt genug Spielraum zur Stützung möglicher NATO-Operationen auch in Nordafrika. Das finde ich alles andere als harmlos. Jetzt haben Sie eine neue Begründung für die Mittelmeermission entdeckt: die islamischen Terroristen in Mali. Entschuldigung, das ist ein bisschen sehr weit weg von der afrikanischen Mittelmeerküste. Und über die maritimen Fähigkeiten von al-Qaida ist nichts bekannt. Trotzdem sagen Sie, wir werden davon irgendwie bedroht. Für wie dumm halten Sie eigentlich die deutsche Öffentlichkeit? OAE ist und bleibt eine Amtsanmaßung der NATO, der eine solche weltpolizeiliche Aufgabe nicht zukommt. ({8}) Dafür käme höchstens ein multilaterales Regime der Anrainerstaaten unter dem Dach der Vereinten Nationen infrage. ({9}) Aber die NATO agiert im Mittelmeer frei nach dem Motto: Wir machen, was wir wollen, weil wir es können. ({10}) Dieser Art von Bündnispolitik, die auch noch gefährlich werden kann, muss die Solidarität verweigert werden. Der Antrag der Bundesregierung ist abzulehnen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Katja Keul das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Alle Jahre wieder kommt das OAE-Mandat, von dem wir sonst über das Jahr wirklich nicht viel hören. Alle Jahre wieder fragen wir uns, was das eigentlich für eine bewaffnete Auseinandersetzung sein soll, für die wir 700 Soldaten mandatieren. In der letzten Woche waren tatsächlich faktisch 5 davon im Einsatz. Was sind das für terroristische Aktivitäten, die im Mittelmeerraum bekämpft werden? Informationsgewinnung ist völlig okay, Herr Minister, aber dafür brauchen wir keinen bewaffneten Einsatz. ({0}) Völkerrechtliche Grundlage für das Mandat ist immer noch das Selbstverteidigungsrecht der USA elf Jahren nach den Angriffen auf das World Trade Center. Dieser Angriff im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen soll angeblich - der Minister hat es gesagt bis heute andauern. Damit machen Sie sich die Auffassung unseres Bündnispartners zu eigen, die lautet, seit dem 11. September 2001 befinde man sich durchgehend und weltweit im Krieg, im sogenannten War on Terror. Vor diesem Hintergrund meint die amerikanische Regierung, weltweit bewaffnete Einsätze ohne Mandat des Sicherheitsrates durchführen zu können, inklusive der gezielten Tötung verdächtiger Personen und ihrer Angehörigen in Pakistan, im Jemen, in Somalia und überall, wo man diese vermutet. So sehr wir uns alle über den Wahlausgang in den USA gefreut haben - aber das müssen sich unsere amerikanischen Freunde einfach sagen lassen: Diese Auffassung ist keine Interpretation des Völkerrechts; es ist die Negierung des Völkerrechts. ({1}) Gerade unter Freunden und Bündnispartnern muss man einmal ehrlich zueinander sein, auch wenn es schwerfällt. Wie lange soll der Bündnisfall, der am 11. September 2001 festgestellt wurde, denn eigentlich noch dauern? Niemand hat bisher darüber nachgedacht, wie ein solcher Bündnisfall wieder beendet wird. Das war zu Zeiten des Kalten Krieges vielleicht noch nachvollziehbar, da man den Bündnisfall für abschreckend genug hielt, dass er niemals eintritt. Jetzt, wo er eingetreten ist, muss er aber auch wieder beendet werden. Das kann unseres Erachtens nur durch einen entsprechenden Beschluss der NATO geschehen. Wir haben daher einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, sich im Bündnis für einen solchen Aufhebungsbeschluss einzusetzen. Diesen Antrag werden wir dann zur zweiten Lesung dieses Mandats zur Abstimmung vorlegen. Dem Mandat fehlt es aber nicht nur an völkerrechtlicher Legitimation, sondern auch an einer sinnvollen Begründung. Letzes Jahr hieß es dazu noch, die Operation Active Endeavour biete einen Ansatzpunkt zur Implementierung der aktuellen maritimen Strategie der NATO. Offensichtlich ist Ihnen inzwischen selbst aufgefallen, dass dies nicht zur Legitimierung eines bewaffneten Einsatzes geeignet ist. ({2}) Stattdessen werden jetzt die Lage in Syrien und die Islamisten in Mali herangezogen. Wörtlich heißt es in der Begründung: In Nordafrika sind Aktivitäten terroristischer Gruppierungen festzustellen, insbesondere der al-Qaida im Maghreb. Außerdem habe die Krise in Syrien mittlerweile eine regionale Dimension angenommen. Diese Begründung macht es nicht besser: Wie sollen der Bürgerkrieg in Syrien und die Krise in Mali mit UBooten im Mittelmeer bekämpft werden? ({3}) Weiter heißt es in der Begründung wörtlich: Die Operation Active Endeavour … entfaltet durch ihre abschreckende Funktion eine präventive Wirkung. Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst. ({4}) Die Tatsache, dass deutsche Fregatten auf dem Weg zum Horn von Afrika auf ihrer Durchfahrt durchs Mittelmeer vorübergehend unter OAE-Mandat fahren, hat in den letzten Jahren offensichtlich wenig Abschreckung auf die terroristischen Aktivitäten von al-Qaida in der südlichen Sahara gehabt, ({5}) wo sie erstmals ein Gebiet kontrollieren, dass doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik. ({6}) Ohne eine sinnvolle Begründung und ohne eine völkerrechtliche Legitimation fällt meiner Fraktion ein geschlossenes Abstimmungsverhalten endlich einmal leicht. Wir lehnen dieses Mandat ab. Wenn Sie Ihrem Außenminister bei den erforderlichen Gesprächen mit den Amerikanern den Rücken stärken wollen - dass diese Gespräche stattfinden, haben wir gerade vom Staatsminister gehört -, dann sollten Sie das vielleicht auch tun. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Minister hat zu Recht mit der Erinnerung an den 11. September begonnen. Ich möchte daran anschließen. Zwar war es nicht die Union, die den Begriff „uneingeschränkte Solidarität“ im Munde geführt hat, sondern es waren Vertreter anderer Parteien, aber nichtsdestotrotz müssen wir uns auch deshalb an diese schrecklichen Ereignisse erinnern, weil wir die Verpflichtung haben, präventiv tätig zu sein. Deshalb haben wir diesen Aspekt auch in der Mandatsbegründung besonders betont. Man kann nicht einfach sagen: Der Bündnisfall ist erledigt. - Erstens haben wir das im Bündnis nicht alleine zu entscheiden. Es ist schließlich ein Bündnis. Herr Staatsminister Link hat deutlich dargestellt, weshalb die Situation im Bündnis nicht so simpel ist. Zweitens frage ich Sie: Woher wollen Sie wissen, dass die Bedrohungslage nicht gegeben ist? Die weltpolitische Situation ist schwieriger geworden. Mali und Syrien sind erwähnt worden. Der arabische Frühling hat viel Gutes gebracht; er hat aber auch neue Herausforderungen, insbesondere in der Region des Mittelmeers, gebracht. Vor diesem Hintergrund schafft Präsenz Sicherheit und verhindert sie nicht. Daher werben wir für das Mandat, was wir uns gut überlegt haben. Wie bei jedem Mandat - Herr Schäfer hat in einem Parforceritt die Mandate miteinander verknüpft - stehen wir natürlich für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ein. Natürlich sind auch wir froh, dass es keinen Terroranschlag gegeben hat. Aber warum sind wir bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in den letzten Jahren so erfolgreich? Gerade weil wir aktiv sind und weil wir die Hände nicht in den Schoß legen. ({0}) Die schwierige Situation in Mali wird uns in den nächsten Wochen beschäftigen. Gerade weil die Situation in politischer Hinsicht, aber auch, was die Strukturen in den einzelnen Ländern angeht, so kompliziert ist, sind die Antworten, die wir geben, kompliziert und nicht einfach. Der kleine Beitrag, den wir im Rahmen dieser Mission aktuell leisten, passt zu dem Ansatz, den wir in der Terrorismusbekämpfung insgesamt gewählt haben: Präsenz und Abschreckung - auch das sind Mittel zur Terrorbekämpfung. Für ein Land wie Deutschland, das als Exportnation ein hohes und gesteigertes Interesse an sicheren Seewegen hat, ist das ein wichtiger Aspekt. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Absage an das Mandat überhaupt nicht verstehen. Ich bin sogar erstaunt, dass es der Russischen Föderation leichterfällt, bei diesem Mandat mitzumachen, ({1}) dass es der Ukraine leichtfällt, bei einem NATO-Einsatz mitzumachen, aber die Opposition hier das geschlossen für Unfug erklärt. Deshalb sage ich: Wenn ein breiter Konsens besteht, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen, dann verstehe ich nicht, warum Sie sich aus dieser guten Koalition verabschieden. ({2}) Gerade Sie haben den Kampf gegen den internationalen Terrorismus 2001 unter Rot-Grün, unter Schröder/Fischer angeführt, indem Sie nach Afghanistan gegangen sind. Wir sind bemüht, den Bündnisfall in Verantwortung wieder zu beenden und die Truppen abzuziehen. ({3}) Gerade dieser Aufgabe fühlen sich die Regierungsfraktionen verpflichtet. Vielleicht sollte man sich generell - das gilt sowohl für diesen Einsatz als auch für andere; es ist von den Regierungsvertretern ja auch kritisch angesprochen worden - bei zukünftigen Einsätzen überlegen, wie man Einsätze auch wieder beenden kann. Nur, wir machen die Arbeit, die Sie nicht erledigt haben, um das ganz deutlich zu sagen. Das Werben des Auswärtigen Amtes ist in dieser Debatte zur Sprache gekommen. Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft, eine geschlossene Präsenz auch der NATO, notwendig ist, um gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Ich glaube, auch wenn unsere Soldatinnen und Soldaten nur zu einem geringen Teil dort beteiligt sind, gebührt ihnen Dank für das, was sie geleistet haben. Unserer deutschen Marine - Vertreterinnen und Vertreter sind heute anwesend - gebührt Dank dafür, dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen, ob an Feiertagen, ob an Geburtstagen, oder in schwierigen Lagen: ({4}) Die deutsche Marine leistet dort einen hervorragenden Einsatz. Es gehört zum Selbstverständnis einer immer erwachsener werdenden Nation wie unserer dazu, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, dass wir uns nicht wegducken, sondern dass wir auch im Bündnis zu unserer Verantwortung stehen und dann versuchen, politische Ansätze zu finden, um gemeinsam mit Bündnispartnern - vielleicht bei späteren und weitergehenden Einsätzen - schon am Anfang zu überlegen, wie man diese zu einem guten Ende führen kann, um nicht kopflos in Dinge hineinzugehen, aus denen man später nur schwierig herauskommt, wie wir in Afghanistan sehen. Das ist eine Lehre, die sowohl für die Regierungskoalition als auch für diejenigen gilt, die diese Einsätze angeführt haben, nämlich für Sie von der Opposition. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11466 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 8 auf: 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth ({1}), René Röspel, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 - Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwicklungspolitik einhalten - Drucksachen 17/10096, 17/11711 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({2})Karin Roth ({3})Helga DaubNiema MovassatUwe Kekeritz ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Petra Pau Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen - Drucksachen 17/8493, 17/9713 Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss ({5})Karin Roth ({6})Helga DaubNiema MovassatUwe Kekeritz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich würde jetzt zu gern die Aussprache eröffnen. ({7}) - Gut. Dann gehe ich davon aus, dass mir der Geschäftsführer der FDP-Fraktion bis zum Ende des Tagesordnungspunktes den Beitrag der Kollegin Helga Daub zu Protokoll gibt. Das Wort hat nun die Kollegin Karin Roth für die SPD-Fraktion. ({8})

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Frau Präsidentin, so ist das mit der FDP: Das Ministerium ist auch nicht da. ({0}) Es ist ja nicht nur die Berichterstatterin. Vielmehr sind auch Herr Niebel, der Minister, und die Staatssekretärin offensichtlich nicht in der Lage, diese wichtige Diskussion hier mitzuverfolgen. Immerhin geht es um den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Das ist für uns ein guter Anlass, beispielsweise auch über die parlamentarischen Aktivitäten bei uns zu diskutieren und darüber, was das Ministerium macht. Ich finde, das ist eigentlich nicht in Ordnung. ({1}) Aber so sind wir es bei diesem Minister gewohnt. ({2}) Lassen Sie mich nach dieser schlechten Botschaft zunächst die guten Botschaften nennen: Dank der gemeinsamen internationalen Anstrengungen in den letzten Jahren von Regierungen in den Industriestaaten und den Entwicklungsländern kann der UN-Aids-Bericht von 2012 feststellen, dass durch die Aids-Politik in den letzten Jahren, seit 2005, ein Rückgang von Todesfällen um 24 Prozent zu verzeichnen ist. Das ist wahrlich eine gute Botschaft. Immerhin mehr als 600 000 Menschen können jetzt leben; ansonsten hätten sie sterben müssen. ({3}) Dies ist vor allem auch dem verbesserten Zugang zu den Medikamenten zu verdanken. Dies war auch nur möglich, weil die Weltgemeinschaft für die Initiative des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria seit 2001 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt hat. Auch Deutschland war von Anfang an dabei und hat mit seinen Beiträgen Betroffenen geholfen. An der Stelle ist auch ein Dank an den Globalen Fonds zu richten; denn immerhin 3,6 Millionen Menschen wurden mit lebensnotwendigen Aids-Medikamenten versorgt. Das ist ein gutes Beispiel für internationale Politik. ({4}) Es gibt noch eine weitere gute Botschaft. Die Neuinfektionen sind weltweit auf dem niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt der Epidemie in den 90er-Jahren. Auch das ist wichtig, dass man sieht: Man kann etwas bewirken. Immerhin - das ist leider eine Tatsache - haben sich noch immer 2,5 Millionen Menschen neu infiziert. Aber in Malawi, Botswana und Äthiopien sind die Neuinfektionsraten um 50 Prozent gesunken. Das ist für uns Ermutigung, um auf diesem Weg weiterzumachen. ({5}) Das heißt, die Präventionsmaßnahmen, die Aktionen in den Ländern zur Verteilung von Kondomen, müssen weiter unterstützt werden. Wir tun so lange, bis ein Impfstoff entwickelt ist, gut daran, diese Kampagne - übrigens auch in unserem Land mit 78 000 Infizierten weiter fortzusetzen und nicht nachzulassen. ({6}) Deshalb ist der Welt-Aids-Tag so wichtig: Wir sollen von dieser Krankheit nicht ablenken und sollen sie nicht vergessen. Ohne die von Deutschland aus weltweit agierenden Nichtregierungsorganisationen hätten wir diese Erfolge jedoch nicht erreicht. Sie sind es, die uns immer wieder darauf hinweisen und das oftmals verschwiegene Thema HIV/Aids auf die Tagesordnung setzen. Darüber sind wir sehr froh. Sie zwingen uns dadurch auch zum Handeln, weil sie unermüdlich in der Sache kämpfen. Das ist auch gut so. ({7}) Ich danke deshalb den ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Akteuren dafür, dass sie mit diesen Aktionen letztlich auch an unsere Verantwortung appellieren und 34 Millionen Menschen, die HIV-infiziert sind, immer wieder zum Gegenstand von Debatten machen. Sie rütteln auf, trotz Euro-Krise und trotz Nahostkonflikt, damit wir an dieser Stelle die Menschen nicht vergessen. Ohne ein „Aktionsbündnis gegen Aids“ in Deutschland und weltweit, ohne „Ärzte ohne Grenzen“, ohne „ONE“, „World Vision“, die „Stiftung Weltbevölkerung“ und viele andere Aktionsgruppen mehr hätten wir diese Erfolge nicht erreicht. Das muss an diesem heutigen Tag auch gesagt sein. Karin Roth ({8}) ({9}) Ihre Expertise und ihre Kompetenz sind für wissenschaftliche und politische Debatten unerlässlich. Im Dialog mit ihnen und der Wissenschaft erhalten wir wichtige Impulse, und unsere Strategien und Maßnahmen werden dadurch verbessert. Es ist auch kein Wunder, dass der Globale Fonds Vertreter dieser Zivilgesellschaft in das Board, also in die Entscheidungsgremien, aufgenommen hat. Wir können uns daran ein Beispiel nehmen, indem wir und auch die Entwicklungsländer die Kompetenzen dieser Zivilgesellschaft aufgreifen. ({10}) Zu guter Letzt gibt es eine weitere gute Nachricht. Bis 2015 können wir eine aidsfreie Generation erreichen, wenn wir alle Kräfte zusammennehmen und sie bündeln. Weltweit leben 2,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV/Aids, weil Mutter und Kind nicht behandelt wurden. Immer noch sind 58 Prozent der Infizierten Frauen; denn es gibt nicht genügend Medikamente für diese Personengruppen. Deshalb geht es darum, dass wir die guten Medikamente, die jetzt entwickelt wurden, endlich einsetzen, beginnend bei der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Stillzeit, also für den gesamten entscheidenden Zeitraum. Anschließend sind die Kinder aidsfrei. Was für eine Chance, was für eine Möglichkeit! Wir dürfen diese Chance nicht vertun. ({11}) Bisher bekommen nur 28 Prozent der infizierten Kinder Medikamente. Das müssen wir ändern, und wir können es ändern. Lassen Sie uns, so wie 2001 international beschlossen, alles tun, um den Zugang der infizierten Schwangeren zu medizinischer Versorgung zu verbessern. Eine aidsfreie Generation ist keine Vision. Es ist möglich. Es kann Wirklichkeit werden. ({12}) Dafür tragen wir die Verantwortung. Eine aidsfreie Generation bedeutet auch, dass wir die Menschen nicht im Stich lassen. Ohne zusätzliche finanzielle Aktivitäten ist das nicht möglich. Ich bin froh, dass meine Fraktion aus gutem Grund die Erhöhung der Mittel für den Globalen Fonds von 200 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro jährlich vorgeschlagen und in unseren Antrag eingebracht hat. ({13}) Darüber freue ich mich sehr. Damit soll gewährleistet werden, dass die drei großen Krankheiten - Malaria, Tuberkulose und Aids - bekämpft werden. Denn an diesen drei großen Krankheiten sterben die meisten Menschen. Hier hilft auch kein Kartenspielertrick vom Minister, der nicht anwesend ist. Der Minister hat vor zwei Tagen eine Presseerklärung mit der Ankündigung „1 Milliarde Euro für den Globalen Fonds“ herausgegeben. Er hat lediglich vergessen, dazuzuschreiben, dass sich diese Summe auf fünf Jahre erstreckt. Ich habe nachgeschaut: Zum Glück ist kein Journalist darauf hereingefallen. ({14}) So klug sind in der Zwischenzeit auch die Journalisten, etwas genauer hinzuschauen, wenn es um Herrn Niebel geht, der mit Niebel-Kerzen wirft. Mit Seriosität hat das nichts zu tun. Es kommt darauf an, diese Geißel der Menschheit ernst zu nehmen. Es geht immerhin um Millionen Menschen. Es geht um Kinder, die heute von dieser Krankheit betroffen sind oder es morgen sein können. Wir wissen, dass es nach wie vor die Stigmatisierung von bestimmten Gruppen gibt, insbesondere von Sexarbeiterinnen - das sind die Frauen - und Homosexuellen. Wir müssen alles tun, damit auch bei diesen Gruppen enttabuisiert und entkriminalisiert wird. Das ist eine große Aufgabe, auch in den Entwicklungsländern. Dort gibt es noch sehr große Vorbehalte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen daher Sie unseren Antrag „Für eine Generation frei von Aids/ HIV bis 2015“! Dazu brauchen wir politische und finanzielle Unterstützung. Wenn wir das schaffen, tragen wir Hoffnung in die Länder, in denen Aids-Waisen und Aids Alltag sind. Enttäuschen wir deshalb diese Hoffnungen nicht; denn sie sind das eigentlich Wichtige, das wir den Menschen in diesen Zeiten bringen können. Ich danke und hoffe, dass Sie unseren Antrag unterstützen. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mich erreichte gerade die Nachricht, dass Frau Parlamentarische Staatssekretärin Kopp auf dem Weg hierher war, aber erkrankt ist. Sie ist damit für diese Debatte entschuldigt. Das will ich an dieser Stelle der Vollständigkeit halber sagen. Ich denke, wir alle wünschen ihr gute Besserung. Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion. ({0})

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das erste Mal ist mir so richtig bewusst geworden, mit welch furchtbarer Kraft und auch Endgültigkeit Aids Leben zerstört, als ich vor vielen Jahren als Rechtsanwältin einen Fall für die Aidshilfe übernommen habe. Ich habe damals die Verteidigung einer jungen aidskranken Frau übernommen, die wiederholt vor Gericht stand. In dem seinerzeitigen Verfahren ging es um den Diebstahl eines Lippenstiftes. Da die junge Frau aber schon Sabine Weiss ({0}) mehrfach straffällig geworden war, drohte nun eine Haftstrafe von insgesamt anderthalb Jahren. Mein Hauptargument in der Verteidigung war, dass die Verbüßung einer nun anstehenden 18-monatigen Haftstrafe faktisch gleichzusetzen sei mit einer lebenslänglichen Haft; denn die Lebenserwartung der Frau betrug aufgrund ihrer Aids-Erkrankung keine 18 Monate mehr. Das alles ist mittlerweile deutlich mehr als 15 Jahre her. Seitdem hat sich glücklicherweise viel getan. Dank guter Therapien ist die Lebenserwartung von HIV/AidsPatienten um Jahrzehnte gestiegen. Dank einer Medikamentenkombination kann mittlerweile sogar die Übertragung des HI-Virus von der werdenden Mutter auf das Kind verhindert werden. Dass diese lebensrettenden Medikamente nicht nur in den reichen Industrieländern zur Verfügung stehen, sondern auch den Menschen in den Entwicklungsländern, ist eine großartige Leistung. Solche Erfolge hätte vor Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten. Auch die neuesten Zahlen der Vereinten Nationen machen Mut und Hoffnung - Frau Kollegin Roth, Sie haben es gesagt -, dass nach all den Jahren mit immer höheren Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen endlich ein Scheitelpunkt erreicht sein könnte. Damit rückt die Vision einer HIV-freien Generation in erreichbare Nähe. Das sind endlich zunächst einmal gute Nachrichten im Kampf gegen diese heimtückische Krankheit. Doch: Jeder Aids-Tote ist natürlich einer zu viel. Der Weg zu einer aidsfreien Generation ist noch lang und steinig; denn die Gesamtbilanz der Krankheit ist nach wie vor verheerend. Jedes Jahr infizieren sich immer noch 390 000 Neugeborene durch die Mutter mit dem Virus. Immer noch hat rund die Hälfte der Infizierten keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Und jeden Tag infizieren sich 7 000 Menschen neu mit HIV. Es gibt also noch viel zu tun. Die schärfste und auch beste Waffe im Kampf gegen diese heimtückische Krankheit ist die Infektionsvorbeugung. Weitreichende Aufklärung über die Krankheit und Ansteckungsvermeidung sind daher essenziell auf dem Weg zu dem Ziel der Vereinten Nationen, null Neuinfektionen, null Diskriminierung und null Todesfälle durch Aids zu erreichen. Prävention ist daher ein zentraler Punkt des deutschen Engagements. ({1}) Deutschland gehört zu den größten Gebern im Kampf gegen HIV/Aids. Ein wichtiges Instrument dabei ist der Globale Fonds, dem wir viele der nun erreichten Erfolge mit zu verdanken haben. Es ist gut, dass der Globale Fonds mittlerweile seine Arbeitsweise reformiert hat. Ich bin daher froh, dass Deutschland als drittgrößter Geber den Globalen Fonds mit 200 Millionen Euro jährlich in seiner wichtigen Arbeit unterstützt. Wir setzen aber in unserer Entwicklungszusammenarbeit nicht nur auf ein Pferd. Vielmehr engagiert sich Deutschland auch sehr erfolgreich bilateral in der HIV-/ Aids-Bekämpfung. Einen großen Teil der 30 Forderungen in Ihrem Antrag, Frau Roth, erfüllt die Bundesregierung also bereits. Das kann man im Übrigen im Positionspapier des BMZ zu diesem Thema nachlesen. ({2}) Letzte Woche - ich hatte das im Ausschuss schon erwähnt - hat Ihr Kanzlerkandidat an dieser Stelle erklärt, der Schuldenabbau komme nicht schnell genug voran und mit ihm hätte es keine neuen Schulden gegeben. ({3}) Sie fordern einmal eben mehrere Hundert Millionen Euro mehr. Woher das Geld kommen soll, dazu finde ich in Ihrem Antrag leider nichts. Noch einmal: Niemand in diesem Raum glaubt doch ernsthaft, dass der SPD-Kanzlerkandidat eine Erhöhung der Gelder für den Globalen Fonds auch nur angedacht hätte. ({4}) Im Übrigen - das noch abschließend - versteht es sich von selbst, dass ein Antrag mit Anwürfen, die jeglicher Grundlage entbehren, nicht unsere Zustimmung finden kann. Behauptungen wie die, die Bundesregierung ließe im Bereich HIV/Aids ihren vollmundigen Ankündigungen keine Taten folgen, ({5}) sind schlicht und einfach falsch. Dazu gibt es nichts mehr zu sagen. ({6}) Deutschland ist als einer der größten Geber im Kampf gegen HIV/Aids sehr erfolgreich. Deutschland wird weiter engagiert gegen diese Geißel der Menschheit kämpfen. Ihren Antrag lehnen wir aber ab. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion der Linken hat nun der Kollege Niema Movassat das Wort. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil wir heute über das Thema HIV/Aids reden, möchte ich vorweg allen Ärztinnen und Ärzten, Fachkräften der Entwicklungszusammenarbeit, Forschern, Krankenschwestern und -pflegern, Hebammen, Nichtregierungsorganisationen, dem Globalen Fonds und allen anderen danken, die so unermüdlich dafür kämpfen, die Ausbreitung von Aids zu beenden. ({0}) Es gibt Erfolge: Immer mehr Betroffene erhalten die notwendigen Medikamente. Die Zahl der Neuinfektionen geht seit Jahren zurück. - Der Kampf gegen Aids zeigt, wozu die Menschheit in der Lage ist, wenn sie sich konsequent einem Problem stellt und Maßnahmen dagegen ergreift. Dasselbe Engagement brauchten wir bei der Durchsetzung des generellen Menschenrechts auf Gesundheit und auch und vor allem im Kampf gegen Armut und Hunger. ({1}) Der Kampf gegen Aids ist noch nicht gewonnen. Noch immer infizieren sich jede Minute fünf Menschen mit dem HI-Virus. Insbesondere die Mutter-Kind-Übertragung, der fehlende Zugang zu Prävention, beispielsweise Kondomen, und eine fehlende Behandlung in den ärmsten Ländern der Welt gefährden das Erreichte. Der Drogengebrauch ist heute übrigens für durchschnittlich ein Drittel aller weltweiten HIV-Neuinfektionen verantwortlich, Subsahara-Afrika ausgenommen. Hierbei sagen wissenschaftliche Studien ganz klar: Je repressiver die Drogenpolitik, desto höher das Aids-Risiko. SPD, FDP und Union sollten deswegen ihre repressive Drogenpolitik endlich überdenken. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen Aids. ({2}) Nun zum vorliegenden SPD-Antrag. Wir werden ihm zustimmen. Viele ihrer Forderungen hat die Linke bereits im letzten Jahr in einem Antrag erhoben. Ich nenne einige Beispiele: Um eine bezahlbare Medikamentenversorgung auch der ärmsten Länder zu gewährleisten, brauchen wir unbedingt Generika, die preiswerte Kopie des Originals. ({3}) Die Forderungen nach den dafür notwendigen Flexibilitäten beim Handelsabkommen TRIPS im Bereich der Eigentumsrechte sind im vorliegenden Antrag fast deckungsgleich mit unseren. Auch unsere Forderung, die Bundesregierung solle die Produktentwicklungspartnerschaften auf die Bereiche HIV/Aids und Tuberkulose ausdehnen, haben Sie übernommen - fast wortgleich auch: Sie wollen die Vorgabe, dass nur ein Drittel der Entwicklungshilfegelder für multilaterale Instrumente, also beispielsweise Organisationen der UN, ausgegeben werden darf, aufheben. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Ich bin froh, dass wir uns inzwischen in so vielen Punkten einig sind. Aber gerade deshalb finde ich es umso unverständlicher, dass Sie von der SPD sich geweigert haben, unseren Antrag heute gemeinsam mit Ihrem zu debattieren. Man gewinnt den Eindruck, Sie wollen damit kaschieren, wie viel Sie eigentlich bei uns abgeschrieben haben. ({4}) 2010 haben wir hier einen Antrag mit der Forderung eingebracht, die Steigerung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens verbindlich festzulegen. Sie von der SPD haben damals dagegen gestimmt. Nun stellen Sie dieselbe Forderung in Ihrem Antrag. Ein wenig schizophren ist das schon. Dank der Koalition ist die Realisierung dieser Forderung inzwischen leider unrealistisch. Diese Bundesregierung gibt im globalen Kampf gegen HIV/Aids eine klägliche Figur ab. Auf Worte folgen wenige Taten. Ausgerechnet der deutsche Entwicklungsminister hat die Arbeit des Globalen Fonds, der einen entscheidenden Beitrag zum weltweiten Kampf gegen Aids leistet, torpediert. Zwischendurch wollte er den deutschen Beitrag sogar gänzlich streichen. In den letzten drei Jahren hat er das Geld nur mit großer Verzögerung bereitgestellt und die finanziellen Mittel um keinen Cent erhöht. Damit tappt Herr Niebel in die Falle, vor der alle Experten warnen: Allein aufgrund der bisherigen Erfolge sollte man nicht in den Anstrengungen nachlassen. Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft und am tatsächlichen Bedarf des Globalen Fonds wäre ein Beitrag von mindestens 400 Millionen Euro für Deutschland angemessen; doch Sie bleiben auch dieses Jahr bei nur 200 Millionen Euro. So werden wir Aids nicht endgültig besiegen. Statt warmer Worte brauchen wir mehr Taten von dieser Regierung. Danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Uwe Kekeritz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt sehr oft gehört, was wir alles leisten. Frau Kollegin Weiss, es ist ja schön, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir der drittgrößte Geber für den Global Fund sind. ({0}) Wenn wir über das Thema Entwicklungszusammenarbeit diskutieren, müssen wir aber auch auf die Prozente schauen. Es ist klar, dass kleinere Länder nicht so viel leisten können. Wenn ich auf die traurigen 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts schaue, die wir zurzeit zur Verfügung stellen, wird mir bewusst, dass diese Regierung weit hinter ihrem Versprechen zurückbleibt. Die Kürzungen, die Sie jetzt durchgedrückt haben, verschlimmern diese Situation sogar noch. Ich denke, dass die Politik dieser Regierung alles andere als positiv ist. Das verstehe ich überhaupt nicht. Unsere Vorlagen im AwZ werden regelmäßig von Ihnen, den Kollegen der Koalition, gelobt und für richtig befunden. Am Schluss werden sie aber einfach abgelehnt. Kein Wunder, dass Ihre Politik solche Schwächen aufweist. ({1}) Es ist aber nicht nur Ihre Weigerung, die Ideen der Opposition aufzugreifen, die eine bessere Politik im Hause Niebel verhindert. Wenn ein Minister durch seine eigenen Parteifreunde im Haushaltsausschuss kaltgestellt wird, hat er es natürlich verdammt schwer. Da nützt es ihm auch nichts, von einer „Lebenslüge“ zu sprechen. ({2}) - Es geht um Finanzen, Frau Kollegin Pfeiffer. - Es geht um die Lebenslüge, die er heute Morgen als solche entdeckt hat. Herr Niebel ist aber kein Opfer eines süßen Traumes, der sich jetzt plötzlich in Luft aufgelöst hat, sondern Herr Niebel hat mit der Kanzlerin dieses Haus und die Öffentlichkeit seit Jahren bewusst getäuscht. ({3}) Sie haben nie daran gedacht, das 0,7-Prozent-Ziel auch tatsächlich umzusetzen. Damit hängt aber zusammen, wie viel Geld wir zur Verfügung haben oder eben nicht. Dass Minister Niebel auch noch von seinem eigenen Ausschuss gezwungen wird, der Kürzung seines Etats zuzustimmen, zeigt, welchen Stellenwert die EZ in der Koalition hat: einen ziemlich geringen. Dann kommt von der Koalition immer wieder die Geschichte vom halb vollen Glas. ({4}) - Frau Pfeiffer, wenn Sie den Mut dazu haben, dann stellen Sie doch eine Zwischenfrage. ({5}) - Aha. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen? - Bitte schön.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, es ist mir eigentlich zu albern, das immer und immer wieder zu wiederholen: ({0}) Seitdem die Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt, haben wir den Haushalt verdoppelt. ({1}) Oder wollen Sie das abstreiten? ({2}) Nein, das wollen wir nicht abstreiten. - Ich will das nur noch einmal sagen, weil ich es definitiv nicht mehr hören kann. Ich brauche auch keine Antwort, Herr Kollege. Ich stelle das nur fest, damit Sie nicht immer und immer wieder dieselben Behauptungen aufstellen.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, so geht das nicht. Sie können hier nicht Fragen stellen und dann sagen: Ich erwarte darauf keine Antwort. Eine Kurzintervention macht man am Schluss. Sie wissen genau, dass das nicht stimmt. Der Haushalt des BMZ ist nicht verdoppelt worden, das ist definitiv nicht der Fall. Wir sind jetzt bei 7 Milliarden Euro. Früher lag er demnach bei 3 Milliarden Euro? ({0}) Sie haben da einfach falsche Zahlen im Kopf. Das, was ich Ihnen erzähle, hängt mit den Ausgaben zusammen. Frau Kollegin Roth hat es gesagt: Das ist eine Frage der Investitionen. Die Investitionen im Bereich HIV/Aids sind die effektivsten Investitionen, die wir verzeichnen. Können Sie mir irgendeinen anderen Bereich nennen, in dem Geld produktiver investiert wird als in diesem Bereich? Darum sollten wir auch nicht darauf verzichten, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. ({1}) Der Bereich Prävention wurde schon angesprochen. Das ist ein sehr effektiver Bereich, der nicht nur individuelle Auswirkungen hat. Eine rechtzeitige medikamentöse Behandlung reduziert zum Beispiel auch die Übertragungswahrscheinlichkeiten erheblich; das ist eine relativ neue Erkenntnis. Zur HIV-/Aids-Prävention gehören natürlich auch die Bereiche Bildung und Aufklärung. Dazu gehört auch der Bereich Frauen- und Mädchenrechte. Auch in diesem Bereich ist sehr viel geleistet worden. Meine Damen und Herren, die Anträge von SPD und Grünen belegen, dass die Gläser halb voll sind. Wir müssen jetzt zeigen, wie wir diese Gläser ganz voll machen im Interesse der einzelnen Menschen, aber auch im Interesse der Nationen, in denen sie leben. Eine Aufstockung des Global Fund wäre fundamental wichtig. Bei so vielen Erfolgsmeldungen muss doch auch der Koalition langsam der Verdacht kommen, dass die enormen Erfolge nur multilateral zustande gekommen sind. Bilateral hätten wir diese Erfolge nie und nimmer erreichen können. ({2}) Es gibt Bereiche, in denen bilaterale EZ sinnvoll ist; aber Ihr verbohrter und engstirniger Kampf gegen die multilateralen Ansätze gehört einfach auf den Müllhaufen der Geschichte. ({3}) Entwicklungszusammenarbeit sollte kein Kampf sein, sondern auf Kooperation, Transparenz und einer gemeinsamen Zielorientierung basieren. Nur so lässt sich der Welt-Aids-Tag würdevoll und vor allem glaubwürdig begehen. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich weise gerne darauf hin, dass es bei Zwischeninterventionen möglich ist, keine Frage zu stellen. Ich bitte jetzt Johannes Selle, für die CDU/CSU das Wort zu ergreifen. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lebenserwartung in den Entwicklungsländern liegt bis zu 30 Jahre unter der in den Industriestaaten. Jedes Jahr sterben Millionen Menschen an armutsbedingten vernachlässigten Krankheiten, deren Behandlung möglich gewesen wäre. Das ist eine traurige Realität. Weltweit sind mehr als 1 Milliarde Menschen an Malaria, HIV und Tuberkulose sowie an 15 weiteren bei uns eher unbekannten Tropenkrankheiten wie Bilharziose oder Elefantiasis erkrankt. Weltweit hungert eine gleiche Anzahl von Menschen. Dabei wird Krankheit oft zur Ursache von Armut und Armut oft zur Ursache von Krankheit. Seit der Verabschiedung der Millenniumserklärung im Jahr 2000 sind die Ausgaben für Gesundheit weltweit stark gestiegen. Die Anstrengungen waren erfolgreich, wie man an der Senkung der Zahl der HIV-Neuerkrankungen, aber auch an der gesunkenen Kindersterblichkeit sehen kann. Anstrengungen lohnen sich; es bleibt noch viel zu tun. Gesundheit ist ein wichtiger Baustein unserer Politik in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit und Forschung. In Deutschland investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung jährlich 11 Millionen Euro in die Forschung an Universitäten und Forschungseinrichtungen, und zwar immer stärker auch in den Bereich wenig erforschter Krankheiten. Speziell für die unerforschten Krankheiten wurde das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung gegründet. Auf das Problem der vernachlässigten Krankheiten hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung auch durch die Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften, sogenannten PDPs, reagiert. Seit 2011 werden bis 2014 jährlich 20 Millionen Euro ausgegeben. PDPs sind internationale Non-Profit-Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Impfstoffe, Medikamente und - das ist ganz wichtig - Präventionsmethoden gegen armutsassoziierte und vernachlässigte Krankheiten wie die genannten Krankheiten oder eben auch Krankheiten mit hoher Mortalität bei Kindern wie Meningitis oder Durchfall zu entwickeln, die dann kostengünstig in den Entwicklungsländern auf den Markt gebracht werden. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, an der Eindämmung der globalen HIV-Epidemie mitzuwirken. ({0}) Wir gehören zu den größten Gebern weltweit, und dabei machen wir keineswegs eine klägliche Figur. Die Gewährleistung eines universellen Zugangs zu Vorsorge, Behandlung und Pflege für alle Menschen ist und bleibt uns wichtig. Der Globale Fonds, der einen wichtigen Beitrag leistet, wird von uns mit 200 Millionen Euro jährlich unterstützt. Wir unterstützen ebenfalls die GAVI Alliance. Nicht unerwähnt dürfen die zusätzlichen bilateralen Projekte bleiben. Seit 2002 unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit 47 Arbeitsplatzprogramme und -projekte, die der HIV-Prävention und dem Zugang zur Behandlung dienen. Diese Vorhaben werden überwiegend als sogenannte Public-privatePartnership-Programme in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in 15 Ländern, vor allem im südlichen Afrika, umgesetzt. Es gibt noch viele andere positive Beispiele: die Unterstützung von staatlichen HIV-Test- und HIV-Beratungsstellen und die Unterstützung von extrem armen Haushalten in Malawi. Die von uns unterstützte Aufklärung und Bildung zum Thema HIV hat in Uganda Wirkung gezeigt. Dies ist sozusagen Bildung als sozialer Impfstoff, wie es Bundesminister Niebel einmal sagte. Einige Punkte aus den Anträgen der Oppositionsfraktionen verdienen es durchaus, verfolgt zu werden. Aber nicht zu übersehen sind die Forderungen nach mehr Geld. Im Antrag der Grünen sind es zum Beispiel 180 Millionen Euro, 80 Millionen Euro davon bei den PDPs und 100 Millionen Euro beim Globalen Fonds. Abgesehen von der im Haushalt nicht darstellbaren Erhöhung sollten wir zunächst unser Engagement evaluieren, das wir bei den PDPs eingegangen sind. Im nächsten Jahr wird der designierte neue Chef des Globalen Fonds, Mark Dybul, seine Arbeit aufnehmen. Er hat angekündigt, Misswirtschaft entschieden zu bekämpfen. Immerhin ging es dabei um 34 Millionen Dollar. Wir haben unser Engagement verstetigt. HIV/Aids gehört ausgerottet; da sind wir uns einig. Aber leider schaffen wir es nicht einmal in Deutschland, die Zahl der Neuinfektionen auf null zu senken. In diesem Jahr liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 3 400, wie wir gestern in der Süddeutschen Zeitung lesen konnten. Insgesamt müssen wir die Anträge ablehnen. Die Diffamierung der Regierung durch die Grünen lässt erkennen, dass Sie es eigentlich auch gar nicht anders erwartet haben. ({1}) Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Aus dem Protokoll in die Wirklichkeit auferstanden ist die Rede von Helga Daub für die FDP-Fraktion. ({0})

Helga Daub (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003515, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Spät, aber eben nicht zu spät. - Dem Ziel, bis 2015 eine Generation frei von Aids zu haben, ist zuzustimmen. Das Ideal sollte man sich immer vor Augen halten, um schließlich praktische Schritte einzuleiten. Zu den praktischen Schritten komme ich noch. Zunächst sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass es durchaus nennenswerte Fortschritte bei der Bekämpfung von Aids und HIV gibt. Sie kennen sicherlich den UNAIDS-Bericht, wonach die Zahl der Todesfälle in den letzten fünf Jahren um 23 Prozent zurückgegangen ist und die Zahl der Neuinfektionen weltweit auf dem niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt dieser Epidemie ist. Das ist die gute Nachricht. ({0}) Das wollte ich zur Einleitung sagen. Der Antrag der SPD enthält 30 Forderungen. Viel Richtiges ist dabei; aber manches scheint mir - Entschuldigung, dass ich das so sage - ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Eine kleine Kostprobe: Sie sagen, dass viele Medikamente gekühlt werden müssen, was in armen heißen Ländern schwierig ist. Deshalb sei Forschung nötig. ({1}) Liebe Kollegin Roth, zunächst einmal: Wir werden das Problem, dass es in diesen Ländern heiß ist, nicht abstellen können. Also ist erst einmal Kühlung nötig; das ist der erste Schritt. Weitere Forschung soll das natürlich nicht ausschließen. ({2}) Eines möchte ich ganz klar und deutlich feststellen: Der Vorwurf, Deutschland erfülle seine internationalen Verpflichtungen nicht, ist von der Hand zu weisen. ({3}) Bestes Beispiel ist der Global Fund, bereits mehrfach erwähnt. Deutschland ist drittgrößter Geber. Die von Ihnen geforderte Verdopplung der Mittel von 200 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro per annum ist nicht nur aus finanziellen Gründen utopisch. ({4}) Es fehlt auch die Absorptionsfähigkeit in den Entwicklungsländern. Sie kennen die Schwierigkeiten, die der Global Fund beispielsweise in Uganda mit der Verteilung seiner Mittel hat. ({5}) Richtig ist: Der Eindämmung der HIV-Epidemie wird in der deutschen Entwicklungspolitik eine herausgehobene Stellung eingeräumt. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Mutter-Kind-Übertragung zu verhindern. Aktuell unterstützt Deutschland in der bilateralen Zusammenarbeit 15 Partnerländer und zwei Regionen in Sachen Gesundheit, Familienplanung und HIV. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Ländern des südlichen und östlichen Afrika. So unterstützen wir auch Partnerschaften zwischen afrikanischen und deutschen Krankenhäusern sowie Forschungseinrichtungen. Ganz konkret stärken wir damit nationale Gesundheitssysteme. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir natürlich weitergehen. ({6}) Daher freut es mich sehr, dass wir solche Kooperationen ab dem kommenden Jahr auch auf den Bereich der Mütter- und Kindergesundheit ausdehnen werden. ({7}) Prävention bedeutet aber nicht nur medizinische Maßnahmen, sondern vor allem auch Aufklärung. Damit hatten wir in Deutschland große Erfolge; auch dort müssen wir das machen. Wir wollen also neue Wege beschreiten. So werden zum Beispiel subventionierte und daher für die Bevölkerung erschwingliche Kondome über den lokalen Einzelhandel vertrieben. ({8}) - Ach, Frau Roth. - Wir unterstützen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit eine Vielzahl dieser kleineren Projekte, und das mit sehr guten Ergebnissen. Die Erfahrung zeigt, dass zivilgesellschaftliche Gruppen von der Bevölkerung in Entwicklungsländern besonders gut angenommen werden. Diese Expertise von Vertretern der Zivilgesellschaft muss man einbeziehen. Das werden wir seitens der Bundesregierung und des Ministeriums auch tun. Mit der Aufklärung müssen wir uns vor allen Dingen an junge Menschen wenden, da in dieser Gruppe leider Gottes die höchste Zahl von Neuinfektionen zu verzeichnen ist. Sehr erfolgreich ist zum Beispiel eine Initiative in Mosambik, die ausgeweitet werden soll: Während des Fußballtrainings werden junge Männer spielerisch über Aids aufgeklärt; das kommt gut an. Mittlerweile soll diese Initiative auch in anderen Provinzen durchgeführt werden. Wir wollen auch finanziell neue Wege gehen. Nur ein Beispiel - im Ausschuss habe ich es schon erwähnt, Frau Roth -: Deutschland setzt sich dafür ein - ich halte das für eine großartige Idee -, dass Schuldnerländern Schulden erlassen werden, sofern die frei gewordenen Mittel in die nationalen Gesundheitssysteme fließen; ich spreche von der Debt2Health-Initiative. - Ich könnte Ihnen weitere innovative und erfolgreiche Initiativen vorstellen. Da wir im digitalen Zeitalter leben, empfehle ich Ihnen aber einen Blick auf die Homepage des BMZ. Übrigens sind viele Ihrer Forderungen in die Strategie des BMZ eingeflossen. Wir können zwar helfen, bessere Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern zu schaffen, und wir können die Entwicklungsländer dabei unterstützen, den Kampf gegen HIV zu führen. Aber die Entwicklungsländer müssen auch selbst einen Beitrag leisten; da können wir sie nicht ganz außen vor lassen. Jetzt komme ich zur Finanztransaktionsteuer, die, wie immer wieder gefordert, zur Finanzierung herhalten soll. ({9}) Sie wissen, Frau Roth - ich habe es schon einmal gesagt -: Das ist ein Knochen, an dem schon viele Hunde sind; will heißen: Auch andere haben schon ihre begehrlichen Blicke darauf geworfen. Diese Einnahmen würden also nicht nur dem Einzelplan 23 zufließen; das muss uns leider Gottes klar sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Daub, kommen Sie bitte zum Ende?

Helga Daub (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003515, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende, ja. Weil Ihr Antrag ein bisschen den Charakter eines Wunschzettels an das Christkind hat, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Danke, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 - Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwick- lungspolitik einhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11711, den Antrag auf Drucksache 17/10096 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussemp- fehlung angenommen bei Zustimmung durch die Ko- alitionsfraktionen. SPD und Linke haben dagegen ge- stimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen - Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/9713, den Antrag auf Drucksache 17/8493 ab- zulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen haben da- gegen gestimmt; Linke und SPD haben sich enthalten. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 17/10771 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 17/11610 - Berichterstattung:- Abgeordnete Daniela Ludwig- Gustav Herzog- Werner Simmling- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({2}), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schienenlärm wirksam reduzieren - Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen neuen Infrastrukturkonsens Schutz der Menschen vor Straßen- und Schienenlärm nachdrücklich verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom Bahnlärm entlasten - Alternative Güterverkehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz vor Bahnlärm verbessern - Veraltetes Lärmprivileg „Schienenbonus“ abschaffen - Drucksachen 17/10780, 17/5461, 17/6452, 17/4652, 17/11610 Berichterstattung:Abgeordnete Daniela LudwigGustav HerzogWerner SimmlingDr. Valerie Wilms Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte um erhöhte Aufmerksamkeit, weil der Kollege Dirk Fischer uns jetzt nicht nur mit seiner Rede beglücken wird, sondern auch dadurch, dass er seinen Geburtstag, der nur noch wenige Stunden andauert, anlässlich dieses Tagesordnungspunktes mit uns begehen wird. Ihnen herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen! ({3}) Wir singen nicht. - Sie reden jetzt.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als exportorientiertes Land braucht Deutschland ein leistungsfähiges Schienennetz, auf dem Waren und Güter bestmöglich transportiert werden können. Der Schienengüterverkehr ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Die Prognosen zeigen, dass diese Entwicklung anhalten wird. Ich sage ganz deutlich: Wir wollen noch viel mehr; ({0}) denn das ist gut für Wachstum, für Wettbewerbsfähigkeit und für Beschäftigung. Mehr Schienengüterverkehr bringt aber auch mehr Lärm für die Anwohner, insbesondere entlang viel befahrener Strecken mit dichter Besiedlung und engen Tälern, wie zum Beispiel im Rheintal. Dort haben wir erhebliche Probleme mit dem Schienenverkehrslärm, vor allem weil diese Lärmbelastung nachts zwischen 1 und 5 Uhr an stark befahrenen Strecken besonders hoch ist, weil dann besonders viel Güterverkehr ohne Einschränkung durch den vertakteten Personenverkehr abgewickelt wird. Das heißt, der lauteste Schienenverkehr erfolgt ausgerechnet in der Tiefschlafphase der Bevölkerung. Das ist bei einem Universalnetz nicht anders möglich, weil wir am Tage den vertakteten Personennah-, Regional- und Personenfernverkehr haben. Aber das gefährdet die Gesundheit der Menschen. Deswegen müssen wir die zunehmende Lärmbelastung durch den Schienengüterverkehr sehr ernst nehmen. Sonst dürfen wir uns nicht wundern, wenn in der Bevölkerung der Widerstand gegen Infrastrukturprojekte zunimmt. Zurzeit fließen jährlich 100 Millionen Euro in das Bundesprogramm für die freiwillige Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen. Durch das Pilotprogramm „Leiser Güterverkehr“ fördert der Bund die Ausrüstung von Güterwagen mit neuen und vor allem leiseren Bremstechnologien. Da sind im Moment die etwas teurere K-Sohle und die deutlich günstigere LL-Sohle im Angebot. Letztere hat ihre Dauerfestigkeit noch nicht hinreichend bewiesen. Deswegen sind die Anwender hier eher zurückhaltend. Wir hoffen, dass diese Bremstechnologie in wenigen Monaten voll verfügbar sein wird. Wenn alle in Deutschland eingesetzten Güterwagen so umgerüstet werden, kann damit der Lärm an der Quelle um 10 Dezibel reduziert und damit der wahrgenommene Schienenlärm faktisch halbiert werden. Das wäre eine großartige Sache. Wenn wir dann auch diese Umrüstungsverpflichtung europaweit durchsetzen, indem die Verordnung, die heute für neue und vollständig grunderneuerte Güterwagen gilt, auch für umgerüstete verpflichtend gemacht wird, werden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine deutliche Verbesserung erleben. ({1}) Zum nächsten Fahrplanwechsel - am 9. Dezember wird eine lärmabhängige Spreizung der Trassenpreise eingeführt, um den Betreibern weitere Anreize zu geben, ihre Güterwagen lärmtechnisch umzurüsten und zu modernisieren. Mit Mitteln des Konjunkturpakets II wurde in innovative Lärmschutztechniken am Gleis investiert, wurden neue Technologien ausprobiert, damit wir auch bei den Weichen und in anderen Bereichen Verbesserungen erzielen. Bis 2014 wird die Entwicklung und Erprobung technisch und wirtschaftlich optimierter VerbundstoffBremssohlen für den Einsatz in Güterwagen gefördert. Da Verkehrslärm nicht an den Grenzen haltmacht, arbeiten wir auch auf EU-Ebene an Lösungen für den grenzüberschreitenden Güterverkehr. Hinzu kommt, dass eine solche Entwicklung auch in der Schweiz und in anderen Nachbarländern vonstattengeht, sodass laute Güterwagen durch verschiedene Länder nicht mehr werden fahren können. Auch deswegen ist eine Umrüstung geboten. Diese Beispiele zeigen, dass die Koalitionsfraktionen, die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion, die Belastung durch den Schienenlärm ernst nehmen und handeln. ({2}) Mit der Abschaffung des Schienenbonus machen wir heute einen weiteren wichtigen Schritt für einen verbesserten Lärmschutz. ({3}) Dirk Fischer ({4}) Der Bonus von 5 Dezibel bei der Berechnung der Lärmwerte für den Schienenverkehr gilt seit 1990. Diese Privilegierung des Verkehrsträgers Schiene ist wegen des verdichteten Schienenverkehrs schon längst nicht mehr sachgerecht und auch nicht mehr zeitgemäß. Das Thema ist also nicht neu, es beschäftigt uns seit Jahren. Ich muss hier deutlich sagen, dass mir manche Kritik der Opposition schon etwas merkwürdig erscheint. Denn Rot-Grün hatte schon bei der Aufstellung des letzten Bundesverkehrswegeplans, des Bundesverkehrswegeplans 2003, die Chance, den Schienenbonus abzuschaffen. ({5}) Dann brauchten wir uns mit diesem Thema heute gar nicht mehr zu befassen. ({6}) Wenn die SPD, die Grünen und nun auch der Bundesrat fordern, die Abschaffung deutlich früher - 2015 oder schon früher - wirksam werden zu lassen, dann greifen sie nach meiner Auffassung zu kurz. Ich habe das Gefühl, da offenbart sich Ihr schlechtes Gewissen; denn Sie hätten ja seinerzeit handeln können. ({7}) - Herr Kollege Pronold, ein früheres Inkrafttreten wäre ein Eingriff in laufende Planungen, mit dem erhebliche bereits aufgewendete Mittel zerstört würden, und durch die Wiederholung des Planungsverfahrens würde erneut viel Zeit verloren gehen. Wenn dann aufgrund der erhöhten Lärmschutzanforderungen das Nutzen-KostenVerhältnis auch noch unter 1 fällt, dürften diese Projekte ohne Nachbesserungschance gar nicht mehr realisiert werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin. - Die Koalition hat sich für einen vernünftigen Weg entschieden: für eine logische Abschneidegrenze. Die Neuregelung soll mit Inkrafttreten des nächsten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes mit Bedarfsplan Schiene für Neu- und Ausbauprojekte gelten. Das wird 2016 der Fall sein. Das ist vertretbar, das ist verkraftbar für die Aufgabenträger.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass wir eine gute Regelung haben. Wir sind stolz darauf, dass diese Koalition, jedenfalls beim Lärmschutz Schiene, eine hervorragende Arbeit geleistet hat. ({0}) Wir hoffen, dass der Bundesrat das Beratungsverfahren jetzt auch so zügig durchführt. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gustav Herzog hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Kollege Fischer, auch von meiner Seite herzliche Gratulation zum Geburtstag! Ich hätte mir aber gewünscht, dass Ihre Fraktion mit der Redezeit heute Abend nicht ganz so geizig ist. Dieses Thema allein hätte schon mehr Redezeit verlangt. So sind Sie nun einmal. Aber das ist Ihre Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Zeit, zu der sich manche Menschen schon zur Ruhe legen. Die werden dann in der Nacht das eine oder andere Mal geweckt, insbesondere wenn sie im Mittelrheintal, in Bonn oder in den großen Städten des Ruhrgebietes leben, wo in der Nacht der Güterverkehr auf der Schiene durchfährt. Das treibt die Menschen um, und die ganze Politik ist gefordert. Deswegen gibt es in der letzten Zeit sehr ungewöhnliche Koalitionen. Da gab es zum Beispiel am letzten Freitag im Bundesrat sehr intensive und erfolgreiche Bemühungen von Rheinland-Pfalz und Hessen. Rheinland-Pfalz rot-grün, Hessen schwarz-gelb. Gemeinsam organisierten sie eine Mehrheit im Bundesrat. Auch der rheinland-pfälzische Landtag hat in der letzten Wahlperiode bei absoluter Mehrheit der SPD gemeinsam mit der CDU und der FDP einstimmig einen Antrag beschlossen, den Schienenbonus abzuschaffen, den passiven Lärmschutz zu verbessern, die Wagen umzurüsten und nach einer alternativen, nach einer neuen Trasse zur Entlastung des Mittelrheintals zu suchen. Wir Sozialdemokraten haben diesen Antrag inhaltsgleich hier eingebracht. Ich bedauere, dass Sie sowohl im Ausschuss als auch wohl heute Abend im Plenum dieses klare Votum der Rheinland-Pfälzer ablehnen. Ich glaube, es gibt ein großes gemeinsames Ziel: mehr Güter auf die Schiene. Aber wir werden das nur erreichen, wenn wir die Menschen vom Lärm entlasten und auch für mehr Akzeptanz sorgen. Deswegen ist es schade, dass es hier nicht mehr Gemeinsamkeit gibt. Die gibt es zum Beispiel deshalb nicht, weil die rechte Seite dieses Hauses drei Jahre gebraucht hat, eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Sie haben unsere Anträge im Verkehrsausschuss blockiert, sodass wir sogar nach der Geschäftsordnung zum Thema debattieren mussten. Wir haben Hinweise bekommen, warum Sie sich so schwer damit tun, nämlich weil sich Herr Ramsauer öffentlich äußert, jedes Dezibel weniger Lärm koste ihn 1 Milliarde Euro, oder ihr Kanzleramtsminister Pofalla sagt: In dieser Wahlperiode wird der Schienenbonus nicht abgeschafft. - Er hat ja recht; denn nach Ihrer Konstruktion, die Sie mit Ihrer Mehrheit heute Abend durchsetzen werden, wird der Schienenbonus erst dann abgeschafft, wenn das Bundesschienenwegeausbaugesetz nach dem Bundesverkehrswegeplan in Kraft tritt. Das ist aber erst in der übernächsten Wahlperiode der Fall. Dann nehmen Sie auch noch alle Projekte heraus, bei denen das Planfeststellungsverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits eröffnet worden ist. Da sollten Sie den Menschen ehrlich sagen, Ihr Versprechen im Koalitionsvertrag, den Schienenbonus in dieser Wahlperiode abzuschaffen, haben Sie gebrochen. ({0}) Frau Kollegin Ludwig, Sie werden nachher sicherlich sagen: Jetzt redet die böse Opposition wieder alles schlecht. - Was schlecht ist, kann man nicht schlechtreden. Sie sind nicht ambitioniert, und Sie haben auch kein gutes Handwerk an den Tag gelegt. ({1}) Wir haben uns in unserer Fraktion nach intensiven Beratungen mit unseren Haushältern, aber auch mit denjenigen, die die Sache letztendlich umzusetzen haben, nämlich mit der Bahn, darauf verständigt, zu sagen: Das Lärmprivileg der Schiene soll 2015 fallen, außer bei den Maßnahmen, die im Planfeststellungsverfahren sind. Wir glauben, dass das ein durchaus vertretbarer Kompromiss zum Schutz der Menschen sowie für mehr Planungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ist. Der Bundesrat hat am letzten Freitag den Termin 2017 beschlossen, allerdings ohne Ausnahmen für laufende Planfeststellungsverfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich darauf, dass wir im Zusammenhang mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz und den Vorschlägen des Bundesrates hier noch einmal intensiv zur Sache reden werden. Ich will etwas zu den Anträgen sagen und freue mich darüber, dass die Koalition so aufmerksam war, vieles Gute aus rot-grüner Zeit und aus der Zeit der Großen Koalition aufzuzählen. Herr Kollege Fischer, bekennen Sie sich doch dazu, dass Sie mit uns in der Großen Koalition waren, weil wir damals auch viele gute Dinge gemacht haben. ({2}) Ich fange mit 1999 an. Wir waren die Ersten, die Mittel für die Lärmsanierung an der Schiene im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt haben. Wir haben mit 50 Millionen Euro angefangen. - Für das Protokoll: Der Kollege Fischer nickt mir zu. ({3}) 2007 haben wir die Mittel gemeinsam auf 100 Millionen Euro erhöht. ({4}) Seitdem ist nichts mehr passiert. ({5}) - Sie haben die Mittel nicht erhöht. Wo ist denn die Erhöhung? Die Haushaltsberatungen sind vorbei. Es sind weiterhin 100 Millionen Euro; Sie haben es auch erwähnt. ({6}) Die Pilotprojekte „Leiser Güterverkehr“ und „Leiser Rhein“ stammen auch nicht von der rechten Seite des Hauses, sondern von sehr viel früher. Auch die Lärmschutzpakete I und II, auf die Sie sich heute zu Recht berufen, stammen aus einer Zeit sozialdemokratischer Bundesverkehrsminister. Ich habe mich einmal auf die Suche danach gemacht, welche wegweisenden Anträge Sie früher gestellt haben. ({7}) Dabei bin ich auf einen von der FDP gekommen. ({8}) 2006 haben Sie einen schönen Antrag gestellt. Ich lese Ihnen jetzt einmal vor, wie fortschrittlich und mutig Sie waren: ({9}) Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … in einer Studie zu prüfen, ob die Anwendung des sog. Schienenbonus gemäß Anlage 2 zu § 3 der 16. BImschV noch gerechtfertigt ist. ({10}) Das war der wegweisende Antrag der FDP. Herr Kollege Fischer, wir haben im März 2007 gemeinsam einen Antrag eingebracht, in dem nichts von einer Abschaffung des Schienenbonus steht; das ist richtig. Aber auch von Ihrer Seite ist damals nichts gekommen. ({11}) Wenn Sie also schon mit dem Finger auf uns zeigen, dann sollten Sie bedenken, dass drei Finger auf Sie zurückzeigen. Ich will gar nicht abstreiten, dass Sie auch etwas Neues vorgebracht haben - schön und gut. Es gibt bei der Rheintalbahn einen Projektbeirat. Hier stellen Sie eine Menge Geld zur Verfügung. Dieses Geld haben aber auch andere verdient. Es kann nicht sein, dass sich der Bundesverkehrsminister Projekte in der Region aussucht und das Geld nach Gutsherrenart verteilt. So nicht! ({12}) Weil Sie die lärmabhängigen Trassenpreise angesprochen haben, will ich zum Abschluss noch aus einer Mitteilung der Bundesnetzagentur vom 7. November 2012 zitieren. Auf die Frage: „Wie bewertet die Bundesnetzagentur die große Show, die Herr Ramsauer zusammen mit Herrn Grube gefeiert hat, als sie im Juli letzten Jahres ihr Papier unterschrieben haben?“, schreibt die Bundesnetzagentur: Die EU-Kommission stimmt der Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nicht zu. Das vorgesehene Modell kann daher nicht starten. Die Deutsche Bahn Netz AG plant ein Alternativmodell, das jedoch wegen höherer Systemkosten nur einen schwachen Anreiz bieten kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann sage ich noch: Die Inkraftsetzung, das Überarbeiten des Modells wird sowohl im Hinblick auf das Modell als auch auf die Einführung sehr eng getaktet sein. Sie sehen: Das ist schlechtes Handwerk, und das haben die Leute nicht verdient. Zu Ihnen kann man wie die DVZ vom 6. November 2012 nur sagen: „Viel gewollt, wenig erreicht.“ Schade für die Menschen, die den Lärm weiter ertragen müssen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Kauch hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist am heutigen Abend eine gute Nachricht für die Menschen in Deutschland, aber vor allen Dingen für die Menschen in Südbaden, im Mittelrheintal und am Niederrhein; denn wir werden dafür sorgen, dass der Lärmschutz bei den Planungen in der Zukunft stärker berücksichtigt wird. Das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg dieser Koalition. ({0}) Der Lärmrabatt der Bahn wird abgeschafft. Die Menschen haben bei einem Projekt der Bahn jetzt den gleichen Anspruch auf Lärmschutz wie dann, wenn eine Autobahn gebaut wird. Es war ja wirklich ein Treppenwitz, dass bei gleicher Lärmbelastung die Menschen diskriminiert wurden, die an Bahnstrecken und eben nicht an einer Autobahn lebten. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle hervorheben: Das ist eine Parlamentsinitiative. Das zeigt, dass dieses Parlament funktioniert. ({2}) Wir warten nicht nur darauf, dass die Regierung uns Vorlagen macht. Nein, wir handeln selbst. Das ist ein selbstbewusstes Parlament. Das ist eine selbstbewusste Koalition. ({3}) Die Opposition nörgelt jetzt. Das muss die Opposition natürlich machen, weil sie uns den Erfolg nicht gönnt. ({4}) Aber diese Koalition hat sich durchgesetzt. Was haben Sie denn gemacht? Wenn ich die SPD so reden höre, finde ich das schon erstaunlich. Ich erinnere mich nämlich daran, dass ich damals mit genau diesem Antrag bei einem SPD-Verkehrsminister vor die Wand gelaufen bin. ({5}) Sie haben alle Anträge der FDP, auch den, den Sie genannt haben und in dem noch vorsichtig von einer Überprüfung die Rede war, aber auch die, die danach kamen und in denen die Abschaffung des Schienenbonus gefordert wurde, abgelehnt, und zwar ohne Alternative. Jetzt stellen Sie sich hier hin und kritisieren uns dafür, dass wir Initiativen in dieser Richtung ergriffen haben. Sie haben nichts gemacht. Sie haben nichts erreicht. Deshalb ist das an dieser Stelle ein Erfolg dieser Koalition und der FDP. ({6}) Ich danke insbesondere der Kollegin Laurischk ganz herzlich, die über viele Jahre in Südbaden dafür gekämpft hat, was wir jetzt erreicht haben. ({7}) Auch vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ist es möglich, ohne Schienenbonus zu bauen. Voraussetzung ist ein Finanzierungskonzept. Im Rheintal wird darüber verhandelt, wie hier ein Finanzierungskonzept aussehen soll. Diese Koalition wird hier im Deutschen Bundestag einen Antrag beschließen - wir haben ihn gerade eingebracht -, mit dem die Finanzierung des Projekts Rheintalbahn abgesichert werden soll. Im Übrigen ist die Abschaffung des Schienenbonus nicht das einzige Lärmschutzprojekt, das wir bereits durchgesetzt haben. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was wir hier durchgesetzt haben, haben Sie immer abgelehnt. Wir haben bereits in der vergangenen Wahlperiode beantragt, lärmabhängige Trassenpreise einzuführen. Sie als SPD haben das abgelehnt. Wir führen marktwirtschaftliche Anreize für guten Umweltschutz ein. Das ist eben der Unterschied zwischen der Umweltpolitik der FDP und der der SPD: Sie reden, wir machen. Wir machen das mit Marktwirtschaft. Das schafft diese Koalition, das schaffen Sie nicht. ({8}) Ich glaube, heute ist ein guter Tag für den Umweltschutz und ein guter Tag für die Verkehrspolitik in Deutschland. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sabine Leidig hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir Linken sind der Überzeugung, dass alle Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben, vor krank machendem Verkehrslärm geschützt zu werden. Es ist gut, dass eine Forderung der Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm nun endlich aufgegriffen wird. Die Regierungskoalition will den sogenannten Schienenbonus abschaffen, also den Bonus, dass der Lärm auf Bahnstrecken bisher lauter sein durfte als der auf Autobahnen. Aber wir werden diesen Gesetzentwurf trotzdem ablehnen. ({0}) Dafür will ich drei Gründe nennen. Erstens. Sie stehen derartig auf der Bremse, dass man nicht einmal von Schneckentempo reden kann; der Kollege hat es gerade schon angedeutet. ({1}) Erst nachdem der nächste Bedarfsplan Schiene verabschiedet ist, soll die neue Regelung gelten. Das wird nicht vor 2016 der Fall sein. Realistischerweise wird vor dem Jahr 2020 keine einzige Bahnstrecke in Betrieb gehen, die leiser geplant wurde. Wir fordern, dass ab sofort keine Planung mehr ohne besseren Lärmschutz zulässig ist. ({2}) Zweitens. Das ist noch viel wichtiger: Sie lassen die Betroffenen völlig im Regen stehen, die an den bestehenden lauten Strecken wohnen. Da donnern immer mehr, immer schwerere, längere und lautere Güterzüge durch die Ortschaften, und zwar vor allem nachts; das haben Sie richtig gesagt. Da sind viele am Rand der Verzweiflung, weil normales Leben, weil Durchschlafen kaum noch möglich ist, weil die Häuser Risse von den Erschütterungen bekommen. Es gibt Ortschaften, die regelrecht verkümmern - selbst übrigens am Fuß der schönen Loreley -, weil viele wegziehen und immer weniger Touristen kommen. Die bestehende Rechtslage gewährt relativ anspruchsvollen Lärmschutz an Verkehrswegen nur bei Neubau oder bei erheblichem Ausbau. Dieser Umstand wird übrigens immer wieder als Druckmittel verwendet, wenn sich Anwohnerinnen und Anwohner gegen den Ausbau von Straßen und anderen Verkehrswegen wenden. Lärmschutz wird nur in Aussicht gestellt, wenn mehr Verkehr akzeptiert wird. Wir verlangen, dass alle Bürgerinnen und Bürger den gleichen Anspruch auf Lärmschutz haben. ({3}) Konkret: In den nächsten 20 Jahren sollen alle Straßen und Schienenwege so umgestaltet werden, dass niemand mehr darunter leidet. Die 20 Prozent der lautesten Strecken müssten innerhalb der nächsten fünf Jahre lärmsaniert werden. Damit hätten zum Beispiel die Menschen im Rheintal absehbar eine Perspektive und Hoffnung auf ruhigen Schlaf. Alles andere ist eigentlich unverantwortlich. Mein dritter und letzter Punkt. Der zusätzliche Lärmschutz ist dieser Regierung keinen zusätzlichen Euro wert. Großzügig stellen Sie den Ländern frei, die Kosten dafür zu übernehmen. Natürlich begrüßen wir es, dass in Baden-Württemberg ein Programm zur Entlastung der Anwohner am Oberrhein finanziert wird. Aber für die Leute am Niederrhein sieht es zum Beispiel ganz anders aus, weil Nordrhein-Westfalen kein Geld dafür hat. Das geht nicht. Wir haben beantragt, dass der Bund das Lärmsanierungsprogramm erheblich aufstockt. Das kostet vergleichsweise wenig, wenn man es mit den Milliarden vergleicht, die für die Zockerbanken überwiesen werden. ({4}) Für die Schienenwege brauchte man jährlich nur etwa 120 Millionen Euro. Das aber wären Investitionen in mehr Lebensqualität. Ich komme zum Schluss: Die Linke hat ein alternatives Verkehrskonzept für Niedersachsen ausgearbeitet. Das habe ich druckfrisch mitgebracht. Es ist sehr schön geworden. ({5}) Es heißt „Sattelfest und bahnverwachsen“. Das ist der programmatische Untertitel. Tatsächlich wollen wir viel weniger schädlichen Lkw-Straßenverkehr, und wir wollen mehr und besseren Bahnverkehr im ganzen Land, aber der muss leise sein. ({6}) Im Zentrum unserer Verkehrspolitik stehen Mensch, Umwelt und Klima anstelle von Beton, Sprit und Profit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, die Sie sich noch zu später Stunde bei diesem doch gerade für die Anwohnerinnen und Anwohner von Schienenstrecken sehr wichtigen Thema hier aufhalten! Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich wirklich wundert, ist, dass wir bei Fragestellungen, bei denen wir inhaltlich nicht weit auseinanderliegen, zu keiner für die Bürger vernünftigen, tragfähigen Lösung kommen. Das erschüttert mich wirklich bei der Debatte, die wir hören. Wir sind uns alle darüber im Klaren - ich habe mich hier einmal von der Linksfraktion bis hin zur FDP-Fraktion mit Herrn Kauch umgesehen -, dass der Schienenbonus abgeschafft gehört, dass dieses Privileg einfach nicht mehr relevant ist, dass wir es nicht mehr vernünftig begründen können. Wir müssen da heran. Eigentlich war es bei der Belastung, die wir mittlerweile auf der Schiene insbesondere durch den Güterverkehr haben, falsch, was wir damals gemacht haben. ({0}) Schienenbonus bedeutet, dass Züge 5 Dezibel lauter sein können. Das bedeutet de facto: mehr als doppelt so laut wie der entsprechende Straßenverkehr. Das wird jetzt grundsätzlich anerkannt. Dann kommt ein Gesetzentwurf - auch wenn er aus den Koalitionsfraktionen kommt, weil Ihre Regierung an der Stelle überhaupt nicht reagieren wollte - mit einer Regelung, die im Prinzip dazu führt, dass wahrscheinlich erst 2040 das letzte Neubauobjekt mit Schienenbonus gebaut ist. Denn Sie müssen sich das einmal ganz genau ansehen. Sie machen es am Bundesverkehrswegeplan fest, der sicherlich nicht vor 2017 einigermaßen fertig sein wird. Dann kommt das Schienenwegeausbaugesetz. Das braucht auch wieder eine gewisse Zeit, bis es vorliegt, und dann gilt es nur für Planungen, die danach beginnen. Sie wissen selber, wie lange eine Planfeststellung gültig ist. Dazu, wie Sie es hinbekommen können, das Projekt mit dem ersten Bagger anzufahren, hat das BMVBS entsprechende Erfahrungen. Ich erinnere nur an den berühmt-berücksichtigten blankgeputzten Spaten in Brunsbüttel. Wenn Sie das Projekt gestartet haben, dann ist gerade bei Schienenprojekten mit Bauzeiten in einer Größenordnung von 20 Jahren zu rechnen. Das dauert also ewig. Sagen Sie das den Menschen draußen vor Ort: Wir lassen Sie noch so lange allein. - Stattdessen lassen Sie sich feiern, als hätten Sie eine große Tat vollbracht. Nichts haben Sie gemacht. ({1}) Wenn Sie wirklich eine große Tat für die Menschen draußen vor Ort vollbringen wollen, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu, dass der Schienenbonus sofort abgeschafft wird. ({2}) Das ist der eine Punkt, was Neubau und gegebenenfalls Sanierung betrifft. Dann gibt es aber noch die andere Nummer, bei der Sie uns auch wieder etwas vorgaukeln. Sie sind als Supertiger mit der Ankündigung gestartet: Wir wollen jetzt ein gespreiztes Trassenpreissystem mit marktwirtschaftlichen Konzepten. - Herr Kauch, ich stimme Ihnen durchaus zu, dass wir marktwirtschaftliche Instrumente nutzen müssen, um den leisen Schienenverkehr zu bevorzugen bzw. in Gang zu setzen. Darin sind wir absolut d’accord: Das müssen wir nicht alles über ein Regelwerk machen. Dazu gehört aber auch, dass es wirklich wirksam ist, und dafür reicht keine lächerliche Spreizung, wie sie jetzt vorgesehen ist, sondern sie muss für diejenigen, die dort mit lauten Fahrzeugen herumfahren, schmerzhaft zu spüren sein. ({3}) Auch in diesem Punkt gilt also: Sie sind als großer Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Das Einzige, das Sie mit dem Gesetzentwurf, den Sie sozusagen in Überspielung, wie Sie es genannt haben, Ihrer eigenen Regierung hinbekommen haben, ist die Unwirksamkeit. Sie machen eine reine PR-Show, ausschließlich deshalb, um noch das letzte halbe Jahr der Regierung durchzustehen. Wenn Sie für die Menschen draußen vor Ort wirklich etwas erreichen wollen, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Dann haben Sie wirklich etwas erreicht. Das gilt auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen. Denn wir müssen Lärmschutz machen. Anders geht es nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Frau Präsidentin, ich habe es vernommen. Ich nehme jetzt den Lärmschutz wahr, auch hier am Mikrofon. ({0}) Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich hingegen gebe das Wort an Daniela Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe Sie in der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs gefragt, wo Sie lieber wohnen würden: an einer Bahnstrecke oder an einer Autobahn? Sehr richtig und nicht überraschend kam zunächst die Antwort: Am liebsten an keinem von beiden. Der geltenden Rechtslage zufolge hätten Sie aber antworten müssen - das hat Herr Kauch auch dargestellt -: An der Autobahn wäre mir lieber, weil die Autobahn im Zweifel leiser sein muss als der Schienenverkehr. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich lasse es nicht zu, dass Sie nur aus purem Neid darüber, dass wir etwas vorwärtsbringen, und aus purer Missgunst, dass wir Dinge tun, für die Sie Jahrzehnte lang Zeit hatten, dieses kleinreden. ({0}) Denn klar ist: Sie hatten lange Zeit, den Schienenbonus abzuschaffen. Ich möchte ihn gar nicht als Privileg bezeichnen; er ist im Prinzip ein Dinosaurier, der eigentlich beim Lärmschutz nichts zu suchen hat. Lärm von der Schiene ist genauso unerträglich wie Lärm von der Straße oder vom Flugzeug. ({1}) Sie hatten lange genug Zeit. Wir nutzen jetzt unsere Zeit, und wir machen es so, wie wir es für logisch, vernünftig und - auch wenn bald Weihnachten ist - insbesondere für finanzierbar und dem Bundeshaushalt gegenüber für verantwortbar halten. ({2}) Denn wir sind nicht in der Wünsch-dir-was-Show, sondern wir müssen als verantwortungsbewusste Politiker letztlich entscheiden, was wir verantworten und finanzieren können, was auch für die Vorhabenträger in Ordnung ist und wann sie welche politischen Entscheidungen in ihre Planungen mit einbeziehen können. Ich meine, dass unser Vorschlag, der jetzt vorliegt, der richtige ist. Natürlich ist es Ihr Job, zu sagen: Es muss noch mehr gehen; es muss noch mehr Geld und noch mehr Lärmschutz geben usw. - Aber das brauche ich mir von niemandem sagen zu lassen, der elf Jahre den Verkehrsminister gestellt hat und elf Jahre beim Schienenbonus rein gar nichts vorwärtsgebracht hat. ({3}) Wenn es so leicht gewesen wäre, dann hätten Sie es längst machen können, und wir brauchten die Debatte hier nicht mehr führen. Dann hätte es schon in den letzten Jahren einen besseren Lärmschutz bei den Schienenprojekten gegeben. Die lärmabhängigen Trassenpreise und Systeme treten selbstverständlich zum 9. Dezember, also zum Fahrplanwechsel in wenigen Tagen, in Kraft. ({4}) - Herr Pronold ist anscheinend nicht ausreichend informiert. Das kennen wir von ihm nicht anders. Es wird eine beihilferechtliche Überprüfung durch die EU-Kommission geben, was völlig normal ist. Es hat aber nichts damit zu tun, dass ab sofort die Anträge auf Förderung gestellt werden können. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben; aber auch wir sind wieder diejenigen, die es anfangen. ({5}) - Hätten Sie es doch gemacht, Herr Herzog. Es ist ja nett, wie Sie sich hier aufregen. Eigentlich wünsche ich mir von Ihnen mehr Freude bei diesem guten Vorhaben, das wir endlich anpacken, ({6}) und nicht dieses ständige Genöle und Gemeckere. Hätten Sie es besser gemacht, würde ich klatschen und sagen: Super! ({7}) Es ist das Beste für die Anwohner. Wir machen es. Wir sind mutig. Wir schreiten voran. Wir führen lärmabhängige Trassenpreise ein. Wir gestalten sie so, dass sie funktionieren. Wir lassen uns dabei auch nicht von der EU-Kommission hineinpfuschen. ({8}) Es wird zum 9. Dezember in Kraft treten. Ein bisschen mehr Mut! ({9}) Sie sind duckmäuserisch und glauben im vorauseilenden Gehorsam, dass das nicht klappt. Wir machen es. Wir setzen es um. Der 9. Dezember ist der Stichtag. Die Förderung kann ab sofort beantragt werden. ({10}) Das sind die guten Nachrichten, die wir den Leuten überbringen können. Wer nur meckert, wird keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einen bleibenden Eindruck hinterlassen wir. Vielen herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11610, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/10771 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11708 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Die SPD hat sich enthalten. Die Regierungsfraktionen haben abgelehnt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben sich enthalten. Dagegen gestimmt hat niemand. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11709. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Dagegen haben Regierungsfraktionen und SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/11610 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10780 mit dem Titel „Schienenlärm wirksam reduzieren - Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU und FDP. Enthalten haben sich Bündnis 90/ Die Grünen. Dagegen haben gestimmt SPD und Linke. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5461 mit dem Titel „Für einen neuen Infrastrukturkonsens - Schutz der Menschen vor Straßenund Schienenlärm nachdrücklich verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Opposition hat dagegen gestimmt. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6452 mit dem Titel „Bürgerinnen und Bürger dauerhaft von Bahnlärm entlasten - Alternative Güterverkehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen. Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4652 mit dem Titel „Schutz vor Bahnlärm verbessern Veraltetes Lärmprivileg ‚Schienenbonus‘ abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung - Drucksache 17/11587 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({0})Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden hierzu zu Protokoll gegeben.

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Fraktion Die Linke beklagt in ihrem Gesetzentwurf einen Verlust der Steuerungsfähigkeit von Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung zulasten der kommunalen Vertretungskörperschaften. Um dem entgegenzuwirken, fordert die Fraktion Die Linke Änderungen im Gesellschaftsrecht. Der Antrag geht jedoch fehl. Der öffentlichen Hand ist es, sofern sie die maßgeblichen verfassungsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Vorgaben beachtet, freigestellt, in welcher Rechtsform sie ihre Unternehmen führt, entweder in den Rechtsformen des öffentlichen Rechts oder in denen des Privatrechts. Dies entscheiden die kommunalen Gebietskörperschaften selbstständig. Setzt die auch verfassungsrechtlich unterlegte Ingerenzpflicht im konkreten Fall Schranken, die bei Rückgriff auf Gesellschaftsformen des Privatrechts nicht eingehalten werden können, ist die Konsequenz keine Veränderung des Privatrechts. Vielmehr wird die Gebietskörperschaft dann auf die ihr ohnehin zur Verfügung stehenden Rechtsformen des öffentlichen Rechts verwiesen. Der von der Fraktion Die Linke postulierte Reformbedarf im Bereich des Privatrechts besteht nicht. Der Gesetzentwurf ist deshalb abzulehnen.

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Linken sehen Defizite bei GmbHs, vor allem aber bei Aktiengesellschaften mit kommunaler Beteiligung, weil sie befürchten, diese könnten von den kommunalen Vertretungskörperschaften nicht richtig gesteuert werden. Sie stellen fest, dass es bei den Aktiengesellschaften nur Weisungsmöglichkeiten gegenüber den kommunalen Vertretern in der Hauptversammlung gibt, nicht aber gegenüber dem Aufsichtsrat oder gegenüber dem Vorstand. Bei der GmbH könne sich die Kommune immerhin im Gesellschaftsvertrag Weisungsrechte und Zustimmungsvorbehalte gegenüber den Geschäftsführern vorbehalten. Hier muss schon insofern widersprochen werden, als es auch nach aktuellem Recht durchaus möglich ist, in der Satzung einer hundertprozentig kommunalen GmbH die Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen vorzuschreiben, aber die Gemeinden tun das nicht - ein sicheres Indiz dafür, dass sie es offenbar nicht wollen. Der Gesetzentwurf will deshalb Auskunfts- und Weisungsrechte zugunsten der Kommunen einführen, Öffentlichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats vorschreiben und die Amtszeit des Aufsichtsrats mit der Wahlperiode der kommunalen Vertretungskörperschaft synchronisieren. Bei Beteiligung Privater an der Gesellschaft soll das Ausbleiben von Überschüssen oder zeitweiliger Wertverlust der Gesellschaftsanteile die Interessen der Gesellschaft dann nicht verletzen, wenn die Maßnahmen, die dazu führen, dem Zweck der Gesellschaft dienen. Wer Unternehmen mit kommunaler Beteiligung kaputtmachen will, öffentliche Wohnungsunternehmen, Energieerzeugungs- und -versorgungunternehmen, Abfallwirtschaftsbetriebe, Krankenhäuser, Messegesellschaften und überhaupt die Rekommunalisierung in Kernbereichen der Daseinsvorsorge verhindern und behindern will, der muss solche Vorschriften in die Welt setzen. Wer privates Kapital in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung am liebsten ganz unterbinden will, der denkt sich Regelungen aus, die den Wertverlust als im öffentlichen Interesse liegend definieren. Die Linken können sich hier mit der FDP zusammentun, die angeblich im Interesse der Transparenz öffentliche Aufsichtsratssitzungen und weitgehende öffentliche Berichtspflichten und Ähnliches mehr fordert. Am Ende wird es keinen öffentlichen Unternehmenssektor mehr geben. Mit den kommunalen Interessenverbänden oder mit dem GdW haben die Linken offenbar nicht gesprochen.

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der vorliegende Gesetzentwurf kommt im scheinbar sachlichen Gewande daher. Aber dieses Gewand kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er bloß die wirtschaftliche Enteignung aller privaten Aktionäre bezweckt, die Anteile an einem Unternehmen mit kommunaler Beteiligung halten. Die Linke möchte der öffentlichen Hand hier Sonderrechte einräumen, ungehinderte Plünderung der Unternehmenskassen und auch noch Freistellung von jedweder Haftung bzw. Verantwortung für solche Plünderungsaktionen per Gesetz möglich machen. Sollte der Entwurf Gesetz werden, führte dies dazu, dass kein Privater mehr Aktien einer einschlägigen Gesellschaft halten oder erwerben möchte. Der Wert der Aktien wird daher massiv fallen. Die Vermögensinteressen der engagierten Privaten finden keinerlei Berücksichtigung. In meinen Augen verletzt der Entwurf daher unter anderem die Eigentumsgarantie aus Art. 14 unseres Grundgesetzes. Warum dieser harte Vorwurf zutreffend ist, möchte ich Ihnen kurz anhand Ihres Entwurfes nachweisen: Sie wollen jederzeit die Mitglieder der Leitungsorgane nach Gutdünken auswechseln und anweisen können. Das sehen §§ 2 und 5 Ihres Gesetzentwurfes vor. Eigenverantwortliche Geschäftsführung im besten Interesse der Gesellschaft brandmarken Sie. Aus Vorständen sollen Erfüllungsgehilfen werden. Sie streben an, dass die eigentliche Leitungsmacht aus dem Vorstand der Gesellschaft in die kommunalen Entscheidungsgremien wandert. Das mag man wollen. Dann muss man aber auch die Haftung für die unternehmerischen Entscheidungen übernehmen. Denn die Kommune wird hierdurch quasi zum herrschenden Unternehmen in einem faktischen Konzern. Schadet hier das herrschende Unternehmen dem beherrschten Unternehmen, so korrespondiert damit ein Haftungsanspruch - insbesondere dann, wenn das herrschende Unternehmen die Vermögensinteressen der beherrschten Gesellschaft und ihrer Aktionäre verletzt. Das normieren §§ 17, 317 AktG ausdrücklich. Genau diese Verantwortung, die mit jeder Leitungsmacht korrespondiert, wollen Sie aber gerade mit Ihrem § 6 ausschließen. Denn darin soll quasi per Gesetz ausgeschlossen werden, dass die tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen von § 317 AktG erfüllt sind, selbst dann, wenn die Kommunalpolitik sich an den Überschüssen einer Gesellschaft bedient oder bewusst verlustträchtige Maßnahmen anweist. Insbesondere der Quersubventionierung sollen hier Tür und Tor geöffnet werden. Die privaten Aktionäre, die sich sonst mithilfe des § 317 AktG wehren könnten, werden schutzlos dem Zugriff der Kommunalpolitik auf das Vermögen der Gesellschaft ausgeliefert. Ob es jemals zu Dividendenausschüttungen kommen kann, die vor dem Hintergrund privater Investition völlig legitim sind und ja den Grund für die Investition privaten Kapitals darstellen, bleibt völlig offen. Der Wert von Anteilen an einer solchen Gesellschaft tendiert - jedenfalls nach Ertragswertmethode - gegen null. Genau das nenne ich eine wirtschaftliche Enteignung der privaten Aktionäre. Daher kann ich diesem Hohen Hause nur empfehlen, den Entwurf abzulehnen.

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Kommunen und ihre Bürgerinnen und Bürger verlieren zunehmend den Einfluss auf ihre Unternehmen. Der Umstand, dass kommunale Unternehmen mittlerweile überwiegend privatrechtlich betrieben werden, hat zur Folge, dass es immer schwieriger wird, diese Unternehmen demokratisch zu kontrollieren und unternehmerische Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Häufig verfügen weder die Bürgerinnen und Bürger noch die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über ausreiZu Protokoll gegebene Reden chende Informationen, um die Aktivitäten der kommunalen Unternehmen wirksam zu kontrollieren. Dieses Thema war in der letzten Wahlperiode schon einmal Gegenstand unserer Debatte. Seinerzeit hat sogar die FDP, die noch in der Opposition war, ein höheres Maß an Transparenz für kommunale Gesellschaften gefordert und einen entsprechenden Antrag eingebracht. Seitdem sie in der Regierung ist, verfolgt die FDP dieses Anliegen aber offensichtlich nicht weiter. Mit dem derzeit zu beobachtenden Trend zu Rekommunalisierung wird die Bedeutung kommunaler Unternehmen in Zukunft noch ansteigen. Dabei stellt sich auch politisch verstärkt die Frage, welche kommunalen Unternehmen wir in Zukunft wollen und wie wir mit den ganz unterschiedlichen derzeit bestehenden Formen kommunaler Unternehmen umgehen. Klar ist, dass öffentliches Eigentum allein nicht zwingend zu mehr Transparenz und demokratischer Kontrolle führt. Wir als Linke streiten für transparente kommunale Unternehmen, die in demokratisch legitimierte kommunalpolitische Strukturen eingebettet sind und bei denen die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen demokratischen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben können. Diese Bedingungen ergeben sich nach unserer Auffassung bereits aus dem öffentlichen Zweck, den kommunale Unternehmen nach den einschlägigen Landesgesetzen erfüllen müssen. Betrachtet man die derzeitigen bundes- und landesrechtlichen Rahmenbedingungen für kommunale Unternehmen, stellt man fest, dass es in Bezug auf Transparenz und demokratische Kontrolle große qualitative Unterschiede gibt. Eine große Rolle spielt dabei die Frage, ob ein kommunales Unternehmen in öffentlichrechtlicher oder in privater Rechtsform betrieben wird. Bei Regie- und Eigenbetrieben sowie bei Anstalten des öffentlichen Rechts sind mit unterschiedlichen Intensitätsgraden Einflussmöglichkeiten der kommunalen Organe gesetzlich vorgesehen, die immerhin eine gewisse demokratische Kontrolle ermöglichen. Bei kommunalen Unternehmen, die als Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung betrieben werden, vollzieht sich die unternehmerische Willensbildung in den jeweiligen Organen der Gesellschaft. Der Einfluss der demokratisch gewählten kommunalen Vertretung ist im Vergleich zu den kommunalen Unternehmen, die in öffentlich-rechtlicher Rechtsform betrieben werden, deutlich geringer. Neben diesem Mangel an Einflussmöglichkeiten besteht bei privatrechtlichen Unternehmen auch ein Mangel an Transparenz bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung. Die demokratische Kontrolle scheitert in der Praxis daher auch an mangelnder Information der kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger über die Vorgänge in den Unternehmen und an der Verschwiegenheitspflicht. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten erst recht keine Informationen. Auch wenn Vertreter der Kommune beispielsweise im Aufsichtsrat einer kommunalen Aktiengesellschaft sitzen, unterliegen sie in vielen Fällen einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht. Darüber hinaus besteht bei kommunalen Unternehmen, an denen Private beteiligt sind, grundsätzlich ein Interessenkonflikt zwischen dem von der Kommune in erster Linie verfolgten öffentlichen Zweck und dem privaten Interesse, einen möglichst hohen Überschuss zu erzielen. Wegen der soeben dargestellten Nachteile von privaten Rechtsformen für kommunale Unternehmen fordern die Vertreterinnen und Vertreter der Linken in den Kommunalvertretungen in der Regel, dass kommunale Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Form betrieben werden. Wir können aber nicht die Augen davor verschließen, dass eine Vielzahl der bestehenden kommunalen Unternehmen in privater Rechtsform betrieben wird und eine Umwandlung in eine öffentlich-rechtliche Form nicht immer ohne Weiteres möglich ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen Private an den Unternehmen beteiligt sind. Es gilt daher, auch für diesen Bereich ein Mindestmaß an Transparenz und demokratischer Kontrolle zu schaffen. Die sprichwörtliche Flucht ins Privatrecht darf nicht zu einer Flucht vor den demokratisch gewählten Gremien in den Kommunen und ihren Bürgerinnen und Bürgern werden. Abhilfe kann hierbei nur auf Bundesebene geschaffen werden. Die Kommunalverfassungen der Länder enthalten zwar bereits weiter gehende Anforderungen an die Transparenz und die demokratische Kontrollierbarkeit kommunaler Unternehmen, diese Regelungen können aber wegen dem derzeitigen Gesellschaftsrecht des Bundes nicht zur Anwendung kommen. Die Linke fordert in dem vorgelegten Gesetzentwurf die gesetzlichen Rahmenbedingungen von kommunalen Unternehmen in privater Rechtsform im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen in drei wichtigen Fragen zu ändern: Erstens. Die demokratisch gewählten kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger werden in ihren Einflussmöglichkeiten auf die kommunalen Unternehmen gestärkt. Zweitens. Anstelle der bisher bestehenden Verschwiegenheitspflichten treten höhere Transparenzanforderungen, um sowohl die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger als auch die Bürgerinnen und Bürger effektiv in die Lage zu versetzen, die Aktivitäten ihrer kommunalen Unternehmen zu kontrollieren. Drittens. Bei kommunalen Unternehmen, an denen Private beteiligt sind, wird das Interesse des öffentlichen Zwecks gegenüber dem privaten Interesse, Überschüsse zu erzielen, gestärkt. Zu Protokoll gegebene Reden

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen ist ein elementarer Bestandteil des Wirtschaftslebens in Deutschland. Die Kommunalwirtschaft steht für Stabilität, regionale Wertschöpfung und eine sichere Daseinsvorsorge. Allerdings hat der Privatisierungswille von Schwarz-Gelb oder auch der ökonomische Druck in den letzten Jahren zu einer Reihe von Ausgründungen geführt. Viele Aufgaben der Daseinsvorsorge von der Wasserversorgung bis zur Abfallbeseitigung haben die Städte und Gemeinden in den letzten Jahren in Gesellschaften privaten Rechts überführt. Von den 1 400 Mitgliedsunternehmen im VKU sind über 50 Prozent GmbHs oder AGs. Gern werden dann die unterschiedlichen Gesellschaften unter einem Holdingdach organisiert. So werben die Potsdamer Stadtwerke mit ihrem Angebot: „Täglich greifen die Potsdamerinnen und Potsdamer auf Leistungen der Stadtwerke zurück. Beim Anschalten eines elektrischen Gerätes, beim Öffnen des Wasserhahns, beim Gang zur Mülltonne, bei der Fahrt mit Bus und Bahn, nachts auf dem Weg nach Hause oder beim gemütlichen Bahnenziehen in der Schwimmhalle oder im Freibad.“ Die Stadt Potsdam hält 100 Prozent an den Stadtwerken. Diese sind zu 100 Prozent Eigentümer der Bäderlandschaft, des Fuhrparks, der Stadtbeleuchtung GmbH und des Verkehrsbetriebs. Mehrheitsbeteiligungen haben die Stadtwerke an der Stadtreinigung und an der Energie und Wasser GmbH. Wie wirkt sich ein solcher Umbau der Kommunalverwaltung auf die Demokratie in der Gemeinde aus? Ein tragender Grundsatz der Kommunalpolitik ist die Öffentlichkeit der Sitzungen von Ausschüssen und Rat. Genau diese Möglichkeit zur Information und letztlich zur Bürgerbeteiligung ist eines der wesentlichen Instrumente zur Kontrolle der Verwaltung. Eine ähnliche öffentliche Kontrolle gibt es bei kommunalen Gesellschaften mit Verweis auf das Aktiengesetz grundsätzlich nicht. Die Öffentlichkeit fällt aus. Der Gesetzentwurf der Linksfraktion greift zu Recht diese fehlende Balance zwischen wirtschaftlicher Betriebsführung und öffentlichen Informations- und Teilhabeansprüchen auf. Wir teilen die Sorge um den Verlust von Auskunfts- und Weisungsrechten der kommunalen Parlamente. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit zentralen Punkten des vorliegenden Gesetzentwurfs wichtig und richtig. Auch sind wir für öffentliche Aufsichtsratssitzungen und für die Beschränkung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern. Hier besteht auch aus grüner Sicht unbedingt Handlungsbedarf. Ähnlich wie bei den gesetzlichen Grenzen für kommunales Wirtschaften ist aber auch bei Vorschriften zur Sicherung von Transparenz und Weisungsbefugnissen in kommunalen Unternehmen eine Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen notwendig. Eine solche Abwägung lässt der Gesetzentwurf vermissen. Der Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist sehr groß. Alle Unternehmen privaten Rechts, an denen Kommunen direkt oder indirekt mit mehr als 25 Prozent beteiligt sind, fallen unter die Regelungen des Gesetzentwurfes. Unter Beachtung dieses Anwendungsbereiches sind viele Vorschläge zu weitreichend. In die richtige Richtung gehen die Änderungen zur Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen und zur Befreiung von Verschwiegenheitspflichten der Aufsichtsräte. Die Amtszeit und die Abberufung von Aufsichtsräten an den kommunalen Wahlturnus auszurichten, greift hingegen stark in die Organisation von Unternehmen ein. Gerade bei kommunalen Minderheitsbeteiligungen ist dieser Eingriff sehr weitreichend. Auch die starke Ausweitung der kommunalen Weisungsbefugnis ist schwierig. Warum sollte nur einem Anteilseigner erlaubt sein, das Abstimmungsverhalten der eigenen Aufsichtsräte zu bestimmen? Wirklich kritisch ist § 6. Ziel der Norm ist, „dass auch unwirtschaftliche Geschäftsführungsmaßnahmen durchgeführt werden können, wenn dies für die Erreichung des mit der Gesellschaft verfolgten öffentlichen Zwecks erforderlich ist.“ Was heißt das? Hier sollten Sie in den Ausschussberatungen einmal erläutern, was das bedeuten kann. Laut Begründung des Gesetzentwurfes geht diese Norm in erster Linie „zulasten der privaten Gesellschafter“. Erreicht wird dieses Ziel durch die Aufhebung von Anfechtungsrechten und Schadenersatzforderungen der Gesellschafter. Es führt das aktuelle Recht ad absurdum. Der Schutz des Eigentums ist hoch. Vorgesehen sind weitreichende Mitbestimmungs-, insbesondere Sperrungsmöglichkeiten schon ab einem Anteil von mehr als 25 Prozent. Unter anderem können Kapitalerhöhungen, Fusionen oder Vermögensübertragungen an die öffentliche Hand verhindert werden. Der Gesetzentwurf ist nicht ausgereift und wird in den Fachausschussberatungen intensiv zu diskutieren sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11587 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({0}), Karin EversMeyer, Maria Michalk, Cornelia Behm, Serkan Tören und weiterer Abgeordneter 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen - Drucksache 17/11638 Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSUFraktion. ({1})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Leve Fru Vörsitter! Leve Liddmaten! Vör Dag un Dau kreeg ik düsse feine Breef vun een grote Persönlichkeit ut uns Land. ({0}) De schreef: Sehr geehrter Herr Abgeordneter,ick heff mi bannig högt öwer den plattdütschen Breif mit de goden Würd un de Glückwünsch. Disse Breif hett ja een „Alleinstellungsmerkmal“, denn ward ik mi upphangen. Besten Dank ok, min leev Heer Börnsen, seggt Se ehr … Na, wer weer dat wohl? ({1}) - Immer noch nich. Nee, de heet Joachim Gauck. ({2}) Dat har ik nich dacht. Ik heff ehm schreven to sien Wahl: Verehrter Herr Bundespräsident, leve Joachim Gauck, wenn dat todrapen deit, wat de Lüüd vertelln doon, denn hemm wi mit de Präsident een Staatskaiser an de Spitz vun uns Republik, de plattdüütsch snacken deit. Dat is groff gut! Man, fast 3 Millionen Lüüd snackt noch de Spraak, de in de Hansetiet in Nordeuropa de „Weltspraak“ weer. Hartliche Gratulation to de Wahl mit dat imposante Resultat. Wi Plattdüütschen hemm uns bannig freut. Dat gelt uk för mien Mackers in de Düütsche Bundesdag. ({3}) Vör Johrestied hemm wi Plattdüütschen en Bündnis buut för de Tokunft vun den lütten Spraken. Wat Sorbisch, Freesch, Romanes, dat Dänische un uk dat Plattdüütsche angahn deit, dat sall plegt un fördert warrn. Sönnerjüsk, leve Ingwer, ok. De Spraak - un dat is mi ganz eernst -, dat is de Mensch sien Heimat. ({4}) Un ohne Grund unner de Fööt verleert so manch een de Wegwieser för sien Leben. Dat much uns gut gefallen, wenn uns nüe Präsident ok en Hand un Woort för de lütten Spraken hebben deit. Un dat hett he, uns Präsident. Schön is dat. ({5}) Der Deutsche Bundestag bekennt sich mit dieser Debatte zur Sprachenvielfalt in unserem Land. Sprachen, gleich welcher Art, sind ein kultureller sowie ein gesellschaftlicher Reichtum. Das gilt für die traditionellen regionalen Sprachen und die Minderheitensprachen genauso wie für über 160 verschiedene Sprachen der Migranten und Zuwanderer. Wir wollen, dass auch Kleinsprachen geachtet, geschützt und gefördert werden. Wir wollen, dass es einen bunten, vielfältigen, möglichst blühenden Sprachengarten in Deutschland gibt. Ausgangspunkt der heutigen Sprachendebatte ist der 20. Jahrestag der Zeichnung der Europäischen Sprachencharta, einer Art Magna Charta für die kleinen Sprachen. Dieses einzigartige Dokument kennzeichnet die Bedeutung, aber zugleich auch die Bedrohung der Kleinsprachen auf unserem Kontinent. Waren 1992 bereits 50 Sprachen in ihrem Bestand gefährdet, sind es heute, 20 Jahre später, bereits 75. Dabei geht es um Sprachen mit einer mehrtausendjährigen Geschichte, die in unserem Land gewachsen sind: Sorbisch und Friesisch, Niederdeutsch, Dänisch und das Romani gehören bei uns dazu. Fast alle diese Sprachminderheiten waren in ihrer Vergangenheit auch Verachtung, Verfolgung und anhaltender Diskriminierung ausgesetzt. Heute gehört Sprachtoleranz zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Trotzdem klagen Angehörige von Sprachminderheiten - ob von autochthonen oder allochthonen - immer noch über einen Mangel an Respekt und Verständnis. Ich begrüße es deshalb als Sprecher unserer Initiative, dass sich der Deutsche Bundestag zum dritten Mal in 20 Jahren solidarisch an die Seite der Kleinsprachen stellt und ihnen eine Bühne zu mehr Beachtung und mehr Anerkennung bietet. ({6}) Zugleich stärken wir damit auch die Sprachminderheiten in aller Welt. Das gilt auch für die deutschen Sprachminderheiten, ob in Slowenien, Moldawien, Lettland oder Kasachstan - immerhin 1,4 Millionen Deutsche leben in Sprachminderheiten außerhalb unseres Landes. Dazu gehören auch 20 000 Plattsnacker in den Vereinigten Staaten und 60 000 Plattsnacker allein in Paraguay. Auch für sie, die in unserer Sprache ihre Heimat haben, tragen wir eine Mitverantwortung, indem wir beispielgebend handeln. Aussprachen und Beschlüsse zum Thema „Sprache“ sind nicht nur ein Thema für uns, für die Bundesberatung. Sie sollten viel häufiger auch in Wolfgang Börnsen ({7}) den Länderparlamenten praktiziert werden; denn Sprachenförderung gehört zu deren eigentlicher hoheitlicher Aufgabe. ({8}) Sprache ist der Schlüssel zum Weltverstehen. Sprache ist die Basis für Partizipation, für Integration und für sozialen Aufstieg. Mehrsprachigkeit ist das Gebot der Stunde. Die Muttersprache gilt als Kern für kulturelle und persönliche Identität. Für viele Bürger von Minderheitensprachen ist ihre Volksgruppensprache zugleich Muttersprache. Für sie wie für uns alle gilt das Recht auf sprachliche Selbstbestimmung. Es ist ein Bürger- und ein Menschenrecht. Der Anspruch wird jedoch fragwürdig, wenn die Existenzgefährdung der Sprache zunimmt. So sagt eine aktuelle UNESCO-Analyse: Jede Woche stirbt bei uns auf der Welt eine Sprache. Noch haben wir 6 000 Sprachen; in 50 Jahren werden 2 400 Sprachen nicht mehr auf unserer Welt sein. Nordfriesisch wie Saterfriesisch gehören dazu. Das Romani der Sinti und Roma ist gefährdet. Das Sorbische ist bedroht. Auf der Roten Liste befindet sich jetzt auch die plattdeutsche Sprache. Alle diese Sprachen haben an Vitalität eingebüßt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich merke schon hinter mir: Die Präsidentin rührt sich bereits. Leve Präsidentin, ik werd ok zum Afschluss kommen doon. De Düütsche Bundesdag hett Masse doon för de lütten Spraken. Wi hebbt en Staatssekretär, de is dorför tostännig. Wi hebbt en egen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Un wi hebben ok en Gremium. Un ik much schon hopen, dat wi all tosamen mehr doon för de lütten Spraken. De hebben dat verdeent. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karin Evers-Meyer hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geacht Frau Präsidentin! Leve Maten! Dat is goot 15 Johr her, dor hebbt de Platt-Snackers över 20 000 Ünnerschriften sammelt. Dat weer de eerste grote Börgerbewegung för Platt. De Ünnerschriften hebbt se in Kiel un in Hannover bi de Präsidenten vun de Landdag in Schleswig-Holsteen und Neddersassen aflevert. As Teken för de Sprakencharta. De Lüüd, de ehrn Naam op disse List sett harrn, wussen genau: Plattdüütsch is ehr Moderspraak und ganz bestimmt en egen Spraak. Un dat weer ok för se kloor: De Platt-Snackers wullen nicht mehr ankeken warrn as Döösbarthels, de nix anners köönt as appeldwatsch hoochdüütsch snacken. ({0}) Nee, se wullen sik insetten för de Spraak, de as keen anner dat Leven, de Kultur un de Geschicht van dat nöördliche Drüttel vun Düütschland ehr Stempel opdrückt hett. Un se wollen wiesen: Platt hett heel veel mit Idenität to doon. Vörher hebbt se de Minschen vele Johren lang de plattdüütsche Spraak utdreven. Vun Amts wegen verbaden weer Platt nich. Man in de Scholen un in de Behörden - also bi allens, wat offiziell weer, wat de Staat weer -, dor hett dat heten: Plattdüütsch blifft buten. So hebbt sik de meisten Platt-Snackers ganz lütt föhlt - ehr Spraak weer nix weert. Ik weet noch, mien Grootöllern, de snacken ünner’nanner platt. Mien Öllern kunnen dat ok noch. Aber miene Grootöllern dröffen bloß mit mi Platt snacken. Mien Öllern snacken immer hochdüütsch mit mi, weil de Plattdüütschen ja doof weern, oder dat maal mindestens doof. Also dat weer ganz vull mit vörardeel. För düsse Lüüd weer de Sprakencharta en grote Schangs. Siet de Tiet is veel in Gang kamen. Kollege Börnsen hett dat wirklich wunnebor vertellt. Bund un Länder hebbt Plichten övernahmen. Plichten, dat se wat doot för dat Plattdüütsche. Wi kennt de Staatenberichten, wo Bund un 8 Länner rinschrievt, wat se denn nu daan hebbt for de Minderheitssprachen: bi de Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur und dat soziale Leven. Man mit disse Berichten is dat ja en ganz egen Saak. Man weet nee: Nu güng dat nich mehr üm de Fraag: Doot wi nix - oder dot wi gor nix. Nee, nu müss sik ja wat bewegen. Wat hebbt wi för de Spraak in de Hand nahmen, wo hebbt wi wat maakt, un wat is dorbi rutkamen? Mi dücht: Mit de Charta stüert wi den richtigen Kurs. Man ik weet ok, dat ok de Europarat to en Barg Punkten seggt: „Dat langt nich. Wenn ji de Spraak eernsthaftig Stütt un Stöhn geven wüllt, denn mööt ji mehr doon.“ ({1}) Ick segg: Uns Schipp maakt noch nich längst noog Fohrt. Ik will dat an en Bispeel verkloren: Siet 2008 gifft de Beopdragte för Kultur un Medien in’t Johr 50 000 Euro an dat Institut för nedderdüütsche Spraak - dat is för Projekten för de 2,5 Millionen Platt-Snackers in us Land jüst nich veel. ({2}) Hoochnödig is dat op jeden Fall. ({3}) Man ok dat is wohr: 2011 hebbt de Länner, de Geld an dat Institut geevt - dat sünd Schleswig-Holsteen, Neddersassen, Hamborg und Bremen -, de hebbt festleggt: Wi spoort bi dat Institut 22 000 Euro in. Dat sünd 8 Perzent vun den Huusholt. Nee, Lüüd, so geiht dat nich na vörn. De Staatenbericht van der Ländersiet is ok unvollständig. De Informationen sind nicht systematisch tohoopstellt un man hett de Vertreter vun de enkelten Spraakgruppen nich na ehr Menen fraagt. Wat en groten Fehler is. De Länder müssen endlich dorför sorgen, dat de tostännigen Ministerien ene Person benöömt, de sik üm dat Flach kümmert un Informationen nach wissenschaftlichen Kriterien sammelt, damit de Staatenberichte toverlässiger ward un se miteenanner to verglieken sünd. Denn weet wi ok würklich genau, wat los is. Wat de Plattdüütschen in Neddersassen, SchleswigHolsteen, Mecklenborg-Vorpommern, Hamborg un Bremen - ick meen also up Bundesebene - dringend bruukt, is en hauptamtlichen Stöhnpahl. ({4}) Dat gifft woll den Bundesraat für Nedderdüütsch, man de arbeit blots ehrenamtlich. Mi dücht: In de Amtsstuven sitt noch jümmers to vele, för de Platt keen Bildungs- und Kultur-Opdrag is, mehr so’n beten folkloristischen Speelkraam. Dat is de eerste wichtige Punkt: Wi all, un dat sünd nich blots de Politikers in de Länner, nee, dat is ok de Düütsche Bundesdag, wi mööt mithelpen bi’t Ümdenken. Blots so kriegt wi dat hen, de Sprakencharta lebennig to gestalten un Platt för de Tokunft fit to maken. ({5}) De twete Punkt aver is de, op den dat ünner’n Streek ankamen deit. Un dat is: Platt mutt wedder mehr lehrt warrn. De Familien schafft dat allen nich. Verene un Verbänn överall in’t Land mit vele, vele Ehrenamtlers sünd ünnerwegens in Scholen un Kinnergoorns, dat Platt wedder mehr Togo p kummt. Op lange Sicht mööt aver ganz richtige Pädagogen ran. Noch jedenfalls hett Platt sien Platz in de Bildung nich funnen. Noch schrievt de meisten Länner in den Staatenbericht för de Spraakencharta rin: En Ünnerrichtsfach Plattdüütsch - dat wüllt wi nich. Un liekers: ok hier beweegt sik wat. ({6}) In Neddersassen gifft dat siet 2011 en Erlass, wo binnensteiht: To de Opgaven vun de School höört ok dat PlattLehren mit to. En Stück wieder sünd se in Hamborg. Dor hebbt wi siet 2010 en School-Fach Platt. Wat hier heel un deel nee is un wat ok mi Ümdenken to doon hett: Hier geiht dat um dat Lehren vun de Spraak un nicht mehr üm dat Bemöten - Sprachbegegnung hebbt wi op Hooch dor to seggt. Nee, hier geiht dat üm dat Snacken un Verstahn. Hier geiht dat üm kognitive un soziale Kompetenzen. ({7}) Un üm regionalkulturelle Kompetenzen. Und wenn ich das hier so auf Hochdeutsch sage, dann merkt man, wie schön und einfach Platt eigentlich ist. ({8}) Man, vun de 8 Länner sünd 7 noch nich so wiet. Wi hebbt noch en langen Weg vör us. De Snackers vun Platt, Freesch, Sorbisch, Däänsch und Romaans - se all schüllt weten, dat de Düütsche Bunnsdag sik för ehr Spraken un ehr Kultur insetten deit. Dorüm segg ik: Stellt Se sik achter uns Andrag. Un stimmt Se för us Forderungen. Bavenan steiht mit Punkt 8: Mehr Platt in de Bildung. Dorför bruukt wi frische Konzepte för dat Sprakenlehren. Un de fallt nich vun’n Heven - vom Himmel fallen die nicht. Hier mööt de Länner sik tohoopsetten. Un villicht kann de Bund dat Afstimmen in de Hand nehmen. Wi bruukt en Plaan för all 8 Länner, wi bruukt en Plaan, de dorför sorgt, dat jeedeen Platt ok in’n Kinnergoorn un in de School lehren kann. Denn dat is man kloor: Een vun de besten Opgaven vun uns Volksvertreters, dat is: dat wi uns üm de Saken kümmert, de de Minschen an’t Hart liggt. Dat is nich blots de Arbeitsplatz un dat Geld in de Knipp. Dat is ok de Qualität vun dat Leven dor, wo man to Huus is, won ik mi utkenn un wo ik kloor mien Menung segg. Platt is Alldagsleven: Dor föhl ik mi wohl. Un ik denk, wi schullen hier en Bidrag leisten, dat sik de Minschen wieter in ehre Regional- un Minnerheitenspraken wohlföhlen köönt. Velen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Torsten Staffeldt hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Moin, verehrte Frau Präsidentin! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Moin, moin.

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hier kommt noch en Plattsnacker. ({0}) Leve Maten vun den Bunnsdag, Mannslüe und Fronslüe, ik beed Se, wenn Se wat to ropen wüllt oder Fragen stellen wüllt, dat Se dat blots in Plattdüütsch maken doot. Velen Dank. Man seggt, dat de besten Plattsnackers in SleswigHolsteen leevt. ({1}) De Wolfgang Börsen hat uns das nu zeigt. Dor gifft dat 24 Perzent vun de Lüüdde in Sleswig-Holsteen seggt, dat se goot Plattsnacken köönt. In Sassen-Anholt blots 4 Perzent un in Bayern keeneen. ({2}) Un Bremen und Mecklenborg-Vörpommern hefft enbeten wat gemeen: Dor snackt 19 Perzent Platt. Ann düsse Tallen seht se, leve Maten, dat de Spraakbruuk länger besteiht as de Muur us Düütsche deelt hett. „Die Sprache eines Volkes ist seine Seele“, schreev Johann Gottlieb Fichte. ({3}) Un Ernst Moritz Arndt seggt: „Wer sich der Sprache seines Volkes entfremdet, entfremdet sich seines Volkes selbst.“ ({4}) Dat weer also heer richtig un wichtig, dat Düütschland 1992 in Straßburg as een vun de eersten Verdragslüüd de Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ünnerschreven hett. Se is siet 1998 in Kraft. Dat Teel is, Regional oder Minderheitenspraken as en Stück europääisch Kultur zu schützen. Spraak is en geistig un kulturelle Heimat. Lengen un Bangen, Hopen, Drööm un Troer, jo ok dat Dagdäägliche spegelt sik in de Spraak wedder. Veel kann op Plattdüütsch klor un ohn Snörkeln seggt werrn. Als Bispiel: Das ist illusorisch. - Dor ward nix vun. ({5}) Hau ab! - Maak dat du den Dreih kriggst! Und dat Beste: Keine Angst! ({6}) Schiet di man nich inne Büx! ({7}) Sprache is identitätsstiftend. In de Tiet vun de Hanse weer Nedderdüütsch de allgemene Spraak in Noorddüütschland. Se weer Hannelsspraak an de Küst vun Oost- un Noordsee. De Lüüd spreken nich blots Plattdüütsch, nee, Plattdüütsch wurr ok schreven, in de Justiz, de Verwalten, de Wirtschopp von Noordeuropa. Twüschen London, Bergen, Danzig, Riga und Nowgorod spreken de Kooplüüd un Kaptaine Platt; ok de Verdrääg hett man op Platt maakt. De Sinnspröök vun de Bremer Kooplüüd över de Hannelskamer wiest vundagen noch darop hen: „Buten un binnen, wagen un winnen“. Platt is en Tiefwurzler, miene Damen un Heren. Dat heet, de Spraak hett Blädder laten, as en Boom in’n Storm. Se hett aver ok, just so as de annern Spraken, de wi vundagen hier to hören kriegt, depe Wutteln un överleevt siet Johrhunnerten. So, nun hebb ik nich mehr ganz so veel Tiet. ({8}) Da mutt ik dat mal en beten körten. - Dor gifft dat en ganze Menge an schöne Saken in Plattdüütsch. Dor gifft dat Wettbewarbe in Dütschland, över 30 utloovt Priesen för de nedderdüütsche Kultur. Dor heeb ik noch en poor Bispill dorför, aber dat laat ik mal. Allens gode Saken. Aber kennt Se Plattsounds? Dat is en Wettstriet för Muskanten un Bands ut Neddersassen un Noordütschland. ({9}) Bands as „Fettes Brot“ un „de Fofftig Penns“ hebbt wiest, dat Plattdüütsch un moderne Musik goot tohoop passen doot. ({10}) Dat is ok de Grund, worüm dat bi Plattsounds all Musikrichten gifft, vun Hip-Hop, Elektro, Rock, Indie, Metal, Punk bit Reggae. Mit Reggae hebb ik en beten Probleme mit, aber - na ja. Wi sünd Afordente, miene Damen un Heren, un wi mööt dorför sorgen, dat man solke Verdrääg as de Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ünnerschrievt. Vele Minschen sünd freewillig dorbi, düsse Charta Leven to geven un se an’t Leven to holen. Düsse Minschen stütten und föddern dormit jeden Dag Toleranz. Se sünd de Grundlaag, dat Spraken bestahn blievt, wiel se in en Minnerheitenspraak snackt. Dorüm schüllt wi düsse Minschen nich blots an een Dag as hüüt Dank seggen, denn ehr Engagement is grootortig. ({11}) Wat ik noch seggen will: Kinner, de neven Düütsch noch een anner Spraak as Modderspraak lehren, hebbt dat lichter, en Frömdspraak to lehren. - Ik heff dat sehn, nich?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Fein! ({0})

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

De Stütt vun de Spraak is eenzig un alleen de Opgaav vun de Länner un liggt in ehre Hannen. Sleswig Holsteen stütt dat Plattsnacken mehr as to’n Bispill de Bremer Senat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ik bin gleich sowiet. - Ok dat is en Grund för mi as Bremer Afordenter, Beauftrafter für die nedderdüütsche Spraak in miene Fraktion to sien. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Torsten Staffeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sofort fertig. Da kommt nur noch ein Snack. Dat wi dorto mehr Geld bruukt, dat is ok kloor. In Bremen hefft wi en Spröök, de heet: Bin en lütten Königgiff mi nich so weniglaat mi nich so lange stohndenn ik mutt noch wietergohnHalli Halli HalloSo geiht‘t in Bremen to … Dank di. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Raju Sharma (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004156, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das is ja man een Fest för de Tohörer un Tokiekers, wenn een so Plattdütsch schnackt as de Kollege Börnsen; un so klook! ({0}) Das Problem ist aber, dass wir so viele Sprachen haben, über die wir reden. Danske doli, und wenn ich jetzt mit Sorbisch oder mit Friesisch anfange, dann versteht sowieso keiner etwas. Ich versuche es mal auf Hochdeutsch: „Sprache ist eine Waffe“, schrieb der Pazifist Kurt Tucholsky, und das ist zweifellos richtig. Sprache kann aber auch eine Brücke und eine Grundlage für eine gelungene Verständigung sein. Sprache schafft Identität. Wenn wir unsere Sprache verlieren, geht auch ein Stück unserer Identität verloren. Das gilt ganz besonders für Minderheiten. Sie zu schützen und damit einen Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten, ist ein wesentliches Anliegen der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen, ({1}) die vor nunmehr 20 Jahren vom Europarat zur Zeichnung aufgelegt wurde. Dass der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag dies würdigt, ist auch aus Sicht der Linken ausdrücklich zu begrüßen. Oft ist jedoch nicht entscheidend, was man sagt, sondern das, was man nicht sagt. So richtig die Ziele sind, zu denen Deutschland sich mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta verpflichtet hat, so unzureichend ist immer noch der Stand der Umsetzung. Manche der in den vier Kontrollberichten aufgezeigten Defizite lassen sich mit zusätzlichen Anstrengungen und mit zusätzlichem Geld beheben. Andere Probleme sind strukturell. Wenn wir hier zu entscheidenden Verbesserungen kommen wollen, müssen wir auch diese strukturellen Mängel ansprechen und bereit sein, sie grundlegend zu verändern. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen: Erstens. Der Minderheitenbegriff muss weiter gedacht werden. Derzeit bezieht die Sprachencharta sich nur auf nationale und autochthone Minderheiten. Es gibt in Deutschland aber noch weitere Minderheiten, deren Sprache gefährdet ist, die aber noch keinen Schutz genießen. Die Überlegung, auch die Sprache anderer Gruppen mit jüngerem Migrationshintergrund zu schützen, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Wenn wir aber wissen, dass in Tschechien rund 60 000 eingewanderte sogenannte Gastarbeiter aus Vietnam als nationale Minderheit geschützt werden, dann ist die Idee, sich aktiv für den Schutz und die Förderung der Sprache von über 800 000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden einzusetzen, ganz sicher nicht mehr so abwegig. ({2}) Zweitens. Keine Sprache ohne Sprecherinnen und Sprecher. Wenn - wie in der Lausitz - infolge des Braunkohleabbaus viele Menschen ihre Heimat und ihre Arbeit verlieren, ist nicht nur die Region vom Aussterben bedroht, sondern auch die sorbische Minderheit. Wenn sorbische Dörfer umgesiedelt und abgebaggert werden, werden auch die Kultur und die Sprache der Sorben zurückgedrängt. Minderheitenschutz bedeutet hier ganz konkret, dass die Wirtschaftsregion erhalten bleiben und gefördert werden muss. Mit dem geltenden Bergrecht ist das kaum möglich. ({3}) Drittens. Minderheitenschutz ist auch Sache des Bundes. Viele der Verpflichtungen, die Deutschland mit der Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta eingegangen ist, müssen aufgrund unseres föderalen Aufbaus von den Ländern umgesetzt werden. Minderheiten und ihre Kultur sind aber eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft. Deshalb sollte sich der Bund auch angemessen an den damit verbundenen Kosten beteiligen. Als die frühere schleswig-holsteinische Landesregierung entgegen der mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen eingegangenen Verpflichtungen die Zuschüsse für die Schulen der dänischen Minderheit massiv gekürzt hat, ({4}) ist es Regierung und Opposition auf Bundesebene gelungen, durch gemeinsame Anstrengungen und viel Kreativität die gravierendsten Folgen dieser Eingriffe abzuwenden. ({5}) Das war im Einzelfall gut und richtig. Anstelle von Notlösungen benötigen wir aber Regelungen, die den Bund dauerhaft in die Lage versetzen, seiner Verantwortung zum Schutz der Minderheiten gerecht zu werden. Wenn das mit der Föderalismusreform eingeführte Kooperationsverbot einem wirksamen Schutz der Minderheiten im Wege steht, so sollten wir das Kooperationsverbot beseitigen und nicht den Minderheitenschutz. ({6}) Am guten Willen der Länder sollte dies nicht scheitern. Während der Schleswig-Holsteinische Landtag als erstes Parlament mit den Stimmen aller Fraktionen einen Anspruch der Sinti und Roma auf Schutz und Förderung in der Landesverfassung verankert hat, hat der Verfassungsminister des Bundes eine Debatte über einen angeblichen Asylmissbrauch von Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien angestoßen. Hier kann der Kollege Friedrich von seinen Parteifreunden im Norden noch einiges lernen. ({7}) Minderheiten sind eine Bereicherung für das ganze Land. Deshalb braucht es eine Minderheitenpolitik, die Sprachen und Traditionen von Minderheiten als Teil eines Ganzen und als Bereicherung im Zusammenleben von Menschen begreift, fördert und schützt. Die Europäische Sprachencharta hat hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet. Dies zu würdigen, ist gut. Sie umzusetzen, wäre noch besser. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Cornelia Behm hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bekam dieser Tage diese Karte mit dem Satz: „Nutze deine Zunge nicht nur zum Küssen!“ zugeschickt. Das ist eine witzige Aufforderung, die Sprache als Ausdruck kultureller und nationaler Identität lebendig zu halten, und zwar durch Sprechen. ({0}) Sprache zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist jedoch nicht nur eine Angelegenheit der jeweiligen Sprachgemeinschaft, sondern auch eine Sache der Politik. Sprachenpolitik ist insbesondere dort gefragt, wo Sprache gefährdet ist und verloren zu gehen droht. Deshalb gehört eine Sprachendebatte auch ins Parlament. Mit unserer Kollegin Michalk wird eine Vertreterin der sorbischen/wendischen Minderheit aus Sachsen in dieser Debatte reden. ({1}) Im Gegensatz zum sächsischen Teil der Lausitz wird in meiner Heimat, im brandenburgischen Teil, Niedersorbisch gesprochen. Niedersorbisch wurde 2008 vom Europarat als eine der bedrohtesten Sprachen Europas eingestuft. Vor allem infolge von Sprachverboten, fehlendem Sorbischunterricht und der kohlebergbaubedingten Umsiedlung ist etwa ab 1930 ein Sprachwechsel vom Niedersorbischen zum Deutschen eingetreten. Heute sprechen nur noch die älteren sorbischen/wendischen Menschen und einige wenige Jüngere das Niedersorbische auf muttersprachlichem Niveau. Eine familiäre Weitergabe der Sprache ist so kaum möglich. Damit aber die Kinder aller sorbischen/wendischen Familien ihre Muttersprache erlernen können, gibt es das sprachliche Revitalisierungsprogramm WITAJ - „Witaj“ heißt Willkommen - für Kinder in Kitas und Schulen. Für die Ausbildung der Lehrkräfte aber, die auch für Volkshochschulkurse und außerschulische Angebote dringend gebraucht werden, fehlt das Geld. Hier erwarte ich vom Land Brandenburg mehr Engagement. Ein Kurs für fünf Erzieherinnen beispielsweise würde etwa 10 000 Euro kosten. Das sollte auch bei klammen Kassen zu realisieren sein. ({2}) Lassen Sie mich noch über eine andere Sprachgemeinschaft sprechen: die Sinti und Roma. Sie sind in vielen Ländern Europas beheimatet. In Deutschland leben geschätzt etwa 70 000, und das seit etwa 600 Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland hat 1995 die auf ihrem Territorium lebenden deutschen Sinti und Roma als autochthone nationale Minderheit anerkannt. Ihre Sprache, das deutsche Romanes, hat viele regionale Dialekte. Es wird mündlich weitergegeben. Lehrbücher gibt es nicht. Für die Sprache Romanes gilt im Allgemeinen die Maxime: nur von Sinti für Sinti. Auch das hat historische Hintergründe, waren die Sinti und Roma doch in der Vergangenheit schlimmster Verfolgung ausgesetzt. Im Nationalsozialismus wurden sie ausspioniert, deportiert und in Vernichtungslagern umgebracht. Seither achten sie streng darauf, dass alle das deutsche Romanes betreffenden Angelegenheiten, also auch die Weitergabe der Sprache, nur innerhalb der Sprachgemeinschaft geregelt werden. Dennoch ist die Politik gefragt. Nach Art. 11 der Charta verpflichten sich die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass die Interessen der Sprecher von Regionaloder Minderheitensprachen innerhalb der Gremien, die für die Gewährleistung von Freiheit und Pluralismus der Medien verantwortlich sind, vertreten oder berücksichtigt werden. Doch die Beteiligung von Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landesmedienanstalten ist bisher nur in Rheinland-Pfalz geregelt. Eine entsprechende Initiative auf Bundesebene wurde bisher lediglich für die Deutsche Welle in Aussicht gestellt, jedoch nicht für einen bestimmten Zeitpunkt. Dabei wäre es außerordentlich wichtig, dass Sinti und Roma hier vertreten wären; denn gerade diese Minderheit leidet heute erneut unter Ausgrenzung und Ablehnung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einen Absatz bitte noch, Frau Präsidentin. ({0}) Das stellte jüngst bei der Eröffnung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma auch die Kanzlerin fest. Schleswig-Holstein hat jetzt ein Zeichen für eine bessere Politik gegenüber den Sintiund Roma-Minderheiten in ganz Europa gesetzt. Erstmals wurde der Anspruch auf Schutz und Förderung für die Sinti und Roma in einer Verfassung verankert. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dem sollten die anderen deutschen Bundesländer baldmöglichst folgen. Sie sollten diesen Verfassungsauftrag wie auch die Sprachencharta mit Leben erfüllen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Maria Michalk hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es in meiner Muttersprache: Dobry wječor! Das heißt: Schönen guten Abend! Die Muttersprache ist für jeden Menschen ein wertvolles Gut und von besonderer Bedeutung. Das haben wir heute schon sehr oft gehört, und man kann es nicht oft genug wiederholen; denn sie ist aus der Historie heraus kulturelle Identität. Sie ist für jeden ein tief im Inneren verwurzeltes Gefühl von Heimat. Sie ist eine feste Bindung an die eigene Sprachgemeinschaft. Gleichzeitig kommt der Mehrsprachigkeit in unserer offenen Welt mehr und mehr Bedeutung zu; ich denke, auch das müssen wir in dieser Sprachendebatte erwähnen. Damit Sie sich ein bisschen in die sorbische Sprache hineinhören können, will ich Ihnen einen kleinen Teil meiner Rede in sorbischer Sprache vortragen. ({0}) Moja maćeršćina, moja maćerna rěč je serbšćina. Třeći raz rěču tu w Zwjazkowym sejmje serbsce. ({1}) Běchmy před 100 lětami, jako so Domowina - Zwjazk Łužiskich Serbow załoži, po ličbje wjetši a wjetši lud. ({2}) Ale přeco zaso so naši prjedownicy wo wuwiće serbskosće prócowachu a dźensa sej kóždy z nas sam wuwědomi, kajka bohatosć naša maćeršćina, naša serbšćina je a kajke lěpšiny kóždemu dwurěčnosć přinjese. Jako serbski lud přeco hišće eksistujemy. Bohu dźak! Wosebje wotewrjenosć našich młodostnych k serbskej kulturje a serbskim słowam mje we wiziji skrući, zo tež w přichodźe jako mały lud w Europje wobstać budźemy. Běchmy, smy a budźemy! ({3}) Wir waren, wir sind und wir werden bleiben - das ist in Zeiten, in denen der Wind dem sorbischen Volk so richtig ins Gesicht blies, sehr oft unser Motto gewesen. In der Lausitz, der Heimat der Sorben, heißt der Willkommensgruß „Witaj“; Frau Behm hat es schon gesagt. Seit 14 Jahren ist „WITAJ“ auch die Bezeichnung für ein Projekt, das den frühkindlichen Erwerb der sorbischen und deutschen Sprache forciert. „WITAJ“ legt den Grundstein für eine komplexe mehrsprachige Bildung von der Kinderkrippe bis zur Universität. „WITAJ“ ist das Eintauchen in ein sorbisches Sprachbad nach der bewährten Immersionsmethode. Sprache ist an Personen gebunden. Deshalb spricht die eine Kindergärtnerin nur Sorbisch mit den Kindern und die andere nur Deutsch mit den Kindern. Es ist bewundernswert, was sich daraus entwickelt hat; in den entsprechenden Berichten kann man das nachlesen. Daran müssen wir weiter arbeiten. ({4}) Ich will an die vorangegangenen Sprachendebatten in diesem Hohen Haus erinnern. Beim letzten Mal, 2009, haben wir gefordert, einen Sprachenkongress durchzuführen. Wir wissen heute, dass sich dieser Kongress mittlerweile in der Vorbereitungsphase befindet. Es ist doch interessant, zu erfahren, welche RahmenbedingunMaria Michalk gen Minderheiten beim Erlernen ihrer Sprache vorfinden, zum Beispiel die Deutschen in Polen und die Sorben in Deutschland. Ich unterstütze das Vorhaben, einen Sprachenkongress durchzuführen, der ein wichtiger Baustein für das Haus Europa sein kann, ausdrücklich. ({5}) Ich will auf einen anderen Aspekt hinweisen: eigene Sprache, eigene Schriftzeichen. Die Muttersprache in Wort und Schrift in der Lausitz zu verwenden, ist kein Problem; alles ist da. Hat man es aber mit Institutionen außerhalb dieses Gebietes zu tun - das ist zum Beispiel dann notwendig, wenn es um die Eintragung in ein Vereinsregister geht -, ist das ein Problem. Die Vorsitzenden unserer Vereine tragen nämlich häufig sorbische Namen - wir definieren uns ja nicht über die Territorialautonomie, sondern über die Kulturautonomie -, und ihre Namen müssen in Sorbisch in das Vereinsregister eingetragen werden. Zurzeit geht das aber noch nicht, weil in dem Vereinsportal, das modernerweise für ganz Deutschland eingerichtet worden ist, damit jeder Vereinsvorsitzende von seinem Schreibtisch zu Hause das Vereinsregister einsehen kann, noch keine sorbischen Zeichen zur Verfügung stehen. Hier erleben wir ein Beispiel dafür, dass uns moderne Kommunikationstechnologien und Tradition immer wieder vor neue Herausforderungen stellen. Ich bitte Sie ausdrücklich, uns dabei zu unterstützen, dass wir im Rahmen des Programms RegisStar die Buchstaben bekommen, die für die osteuropäische Sprachengemeinschaft und damit auch für Sorbisch wichtig sind. ({6}) Ich will auf einen Punkt hinweisen, der mir ganz wichtig ist. Ich sage es erst einmal auf Sorbisch: Wulke wjerški, bohate nazhonjenja a wjesoła zhromadnosć lětušeje EUROPEADY we Łužicy su Serbam znowa pokazali, kajka wulka swójba europske mjeńšiny su a zo je sebjewědomje za rjanu serbsku rěč samozrozumliwa wěc. Das heißt: Die Europiade in diesem Jahr in der Lausitz, wo die Minderheiten Europas ein kleines Fußballturnier gespielt haben, hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass sich die Minderheiten untereinander begegnen, in fröhlicher Gemeinschaft ihre Kultur pflegen und ihr Selbstbewusstsein stärken, ({7}) das wir brauchen, um weiter zu existieren. Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie mir zugehört haben. Wutrobny dźak. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Unser Kollege Serkan Tören gibt seine Rede zu Pro- tokoll.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag, den Sie auf Drucksache 17/11638 finden. Noch einmal der Titel: „20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Enthalten hat sich überwiegend die Fraktion Die Linke, zugestimmt haben ein Abgeordneter der Fraktion Die Linke ({0}) und das gesamte übrige Haus. Damit ist der Antrag angenommen. ({1}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umsetzen - Drucksache 17/11664 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11664 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 - Drucksache 17/10975 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({3}) - Drucksache 17/11583 Berichterstattung:Abgeordnete Michael FrieserChristoph SträsserMarina SchusterAnnette GrothVolker Beck ({4}) 1) Anlage 5 2) Anlage 7 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Universal Periodic Review - Menschen- rechtslage in Deutschland auf dem Prüf- stand des UN-Menschenrechtsrates - Drucksache 17/11675 - Hier wird ebenfalls vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden.1) Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache17/11583, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10975 anzunehmen. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf und erhebt sich deswegen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir stimmen über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11675 ab. Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Zustimmung von SPD und Grünen abgelehnt. Die Linke hat sich enthalten. CDU/CSU und FDP waren dagegen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte - Drucksache 17/11268 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({5})- Finanzausschuss Auch hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Proto- koll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden.2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 17/11268 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat - Drucksache 17/11576 Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss ({6})- Verteidigungsausschuss- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Deutschland im VN-Sicherheitsrat - Impulse für Frieden und Abrüstung - Drucksachen 17/4863, 17/7397 Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Egon JüttnerHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Rainer StinnerJan van AkenKerstin Müller ({8}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({9}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln - zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller ({10}), Volker Beck ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen - Drucksachen 17/8808, 17/9584, 17/10902 Berichterstattung:Abgeordnete Roderich KiesewetterHeidemarie Wieczorek-ZeulMarina SchusterWolfgang GehrckeKerstin Müller ({12}) Die Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben werden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so be- schlossen.3) Die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11576 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse wird vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich komme zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Deutschland im VN-Sicherheitsrat - Im- pulse für Frieden und Abrüstung“. Der Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 17/7397, den Antrag auf Drucksache 17/4863 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist bei Zustimmung durch CSU/ CSU, FDP und Linke angenommen. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt. Tagesordnungspunkt 20 c. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/10902. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Ablehnung des Antrags der Fraktion der 1) Anlage 6 2) Anlage 8 3) Anlage 9 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt SPD auf Drucksache 17/8808 mit dem Titel „Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und Linke. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9584 mit dem Titel „Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen, wiederum bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und Linke. SPD und Grüne haben wieder dagegen gestimmt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 17/11470 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({13})Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Kultur und Medien Hierzu ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundesregierung das Wort dem Kollegen Max Stadler. ({14})

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein vieldiskutiertes Thema wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verdient eigentlich eine Debatte, die nicht im Schutze der Dunkelheit stattfindet. ({0}) Aber das Internet schläft nicht. Dank der modernen Kommunikationsmöglichkeiten wird sehr wohl aufmerksam verfolgt werden, wie das Parlament den Regierungsentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes bewertet. Der Entwurf ist ja schon im Vorfeld im wahrsten Sinne des Wortes verfolgt worden. Es hat eine etwas schrille Begleitmusik gegeben, insbesondere durch die gegen dieses Gesetz gerichtete Kampagne von Google. In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hat Heribert Prantl die richtige Antwort gegeben: Er hat Google als „Schein-Schutzengel des Internets“ bezeichnet. Er hat betont, dass man natürlich Einwände gegen dieses Gesetz haben könne, dass es aber jedenfalls nicht, wie die Gegenkampagne es suggeriere, gefährlich sei. Es ist nicht gefährlich für die Informationsfreiheit, es ist nicht gefährlich für die Kommunikationsgrundrechte, es ist nicht einmal gefährlich für den gewaltigen Geldbeutel von Google. So schreibt Heribert Prantl zutreffend. Meine Damen und Herren, bei dem bekannten Pro und Kontra gibt es in der Abwägung ein entscheidendes Argument: Das Urheberrechtsgesetz kennt schon jetzt eine Vielzahl von anderen Leistungsschutzrechten. Es ist daher im Sinne der Gleichbehandlung schwer einzusehen, warum ausgerechnet Presseverlegern ein solches Leistungsschutzrecht verweigert werden sollte. ({1}) Verlage sollen künftig im Onlinebereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werkvermittler. Nicht mehr und nicht weniger leistet unser Gesetzentwurf. Weil Frau Rößner schon so skeptisch schaut, will ich neben diesem etwas formalen Gleichbehandlungsargument auch noch das materielle Gerechtigkeitsargument in die Debatte einführen. Es gibt Geschäftsmodelle, die in besonderer Weise darauf ausgerichtet sind, für die eigene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen. ({2}) Der Regierungsentwurf beschränkt sich genau auf diesen Aspekt. Wir schaffen nur Regelungen, die zum Schutz der Presseverleger im Internet wirklich erforderlich sind. Dementsprechend soll mit dem neuen Leistungsschutzrecht den Presseverlagen lediglich das ausschließliche Recht eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Recht können Verleger nur gegenüber Anbietern von Suchmaschinen geltend machen sowie gegenüber den Anbietern von solchen Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Presseverlage können also nur von diesen Anbietern künftig verlangen, Nutzungen zu unterlassen, oder sie können mit ihnen Lizenzgebühren vereinbaren. Gesetzlich zulässig und unentgeltlich bleibt die Nutzung durch andere, wie zum Beispiel die Nutzung durch Blogger, durch Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, durch Verbände, Anwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer. In seiner schlanken und ausgewogenen Fassung bildet der Gesetzentwurf sicherlich eine sehr gute Grundlage für die Debatte in den Ausschüssen. Deswegen hätten wir den Schutz der Dunkelheit für diesen Gesetzentwurf wirklich nicht gebraucht. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat Martin Dörmann das Wort. ({0})

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD lehnt das von der Bundesregierung vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverleger ab. Drei Jahre hat Schwarz-Gelb gebraucht, um hierzu nach vielen Volten hin und her überhaupt einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es waren drei verlorene Jahre für die Medienpolitik. Am Ende ist ein Vorschlag herausgekommen, der völlig kontraproduktiv ist. ({0}) Denn er wird der Medienlandschaft in Deutschland nicht helfen, schafft neue Rechtsunsicherheiten und droht hilfreiche Suchmaschinenfunktionen faktisch einzuschränken. ({1}) Die Stimmen der Kritiker sind dementsprechend vielfältig. Namhafte Urheberrechtler warnen vor den negativen Folgen. Der IT-Branchenverband BITKOM und der BDI erwarten eine Schwächung des Innovations- und Investitionsstandorts Deutschland. Der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Haucap, den ich hier ausdrücklich zitieren darf, hält das Ganze gar für eine „Schnapsidee“. Selbst Junge Union und Junge Liberale fordern heute mit den anderen Jugendorganisationen politischer Parteien, den Gesetzentwurf abzulehnen, weil sie darin einen Eingriff in die Freiheit des Internets sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Beispiele der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland haben zuletzt ein schmerzliches Schlaglicht auf die Probleme im Zeitungsmarkt geworfen. Vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich festhalten: Qualitativ hochwertige journalistische Angebote sind von entscheidender Bedeutung für die Meinungsvielfalt und unsere Demokratie. ({2}) Guter Journalismus erfordert engagierte Journalisten, die von ihrer Arbeit leben können. Er erfordert zugleich Recherche, Organisation und damit Geld, das letztlich von den Presseverlegern verdient werden muss, und zwar auch im Internet. ({3}) Es ist daher folgerichtig, dass immer mehr Verleger versuchen, Bezahlangebote im Netz zu etablieren, und dass sie bereits heute bestehende Urheberrechte an Texten schützen wollen. Guter Journalismus hat einen Wert, den es zu respektieren gilt. Es ist deshalb selbstverständlich nicht hinzunehmen, wenn einzelne Portale urheberrechtlich geschützte Zeitungsartikel ohne Zustimmung von Autoren und Verlagen selbst vermarkten und auf deren Kosten Geld damit verdienen. ({4}) - Ich sehe, es gibt möglicherweise eine Zwischenfrage des Kollegen Jarzombek. Ich möchte die Präsidentin bitten, diese Zwischenfrage aufzurufen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war eine gewunkene Zwischenfrage. Bitte schön.

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dörmann, ich muss Ihnen erst einmal ein Kompliment machen: Sie sind frischer als das Präsidium, was das Erkennen von Zwischenfragen betrifft. ({0}) Ich habe zwei Fragen an Sie. Die erste Frage ist: Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo die Kollegin Dr. Hendricks ist, die als Generalbevollmächtigte der DDVG über, so glaube ich, 15 oder 20 Prozent des deutschen Zeitungsmarktes verfügt und Mitglied dieses Hauses ist. Dass sie an dieser Debatte nicht teilnimmt, finde ich - ich sage es einmal vorsichtig - bemerkenswert. Also: Wo ist die Kollegin? Die zweite Frage an Sie ist: Sie haben erklärt, Sie lehnten dieses Leistungsschutzrecht rundweg ab. Ihre Partei, die SPD, hat über die Holding DDVG eine ganze Reihe von Beteiligungen an deutschen Zeitungen. Können Sie heute eine Aussage darüber treffen, ob die Zeitungen, die der SPD gehören, Verhandlungen im Rahmen des Leistungsschutzrechtes, wenn es beschlossen wird, aufnehmen werden, um damit Erlöse von den Suchmaschinen zu erzielen?

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jarzombek, es ist bezeichnend, dass Sie eigentlich nicht zum Thema reden möchten, sondern ein bisschen Ablenkungsmanöver betreiben. ({0}) Bezeichnend ist auch, dass wir diese Debatte, wie der Kollege Stadler zu Recht gesagt hat, zu nachtschlafender Zeit führen müssen, weil sich die Koalition für das Ganze schon ein bisschen schämt. ({1}) Ihre Frage ist eine rein hypothetische Frage, die ich natürlich gar nicht beantworten kann. Sie wissen ganz genau, dass die DDVG in der Regel ganz kleine Minderheitsbeteiligungen hat ({2}) und sich aus redaktionellen Dingen heraushält. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Ich kenne diese Diskussion auch im Zusammenhang mit bestimmten Zeitungen. ({3}) - Ich lasse gerne noch eine Nachfrage von Herrn Kollegen Jarzombek zu, der aber eigentlich nicht zur Sache reden will.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ist schön. Aber wir machen jetzt keinen Dialog, sondern Sie fahren in Ihrer Rede fort.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die SPD ist dafür, dass es dieses Leistungsschutzrecht überhaupt nicht gibt. Insofern stellt sich diese hypothetische Frage gar nicht. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, fahren Sie doch in Ihrer Rede fort.

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay. - Dort, wo es heute Probleme bei der Rechtsdurchsetzung gibt, sind wir für verbesserte Möglichkeiten der Presseverleger, damit diese effektiv gegen solche illegalen Geschäftsmodelle, die ich vorhin genannt habe, vorgehen können. Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht löst die bestehenden Probleme aber gerade nicht, sondern schafft neue. Es geht letztlich darum, Suchmaschinen entgeltpflichtig zu machen und hierüber neue Einnahmequellen zu generieren, und zwar auch dann, wenn sie nach heutiger Rechtslage völlig legal verlinken und dabei kurze Textteile anzeigen, damit man Artikel inhaltlich zuordnen kann. Aus Sicht der SPD-Fraktion erfüllen Suchmaschinen aber eine wichtige Wegweiserfunktion im Internet, die wir erhalten wollen. Mit technischem und finanziellem Aufwand erbringen Suchmaschinen eine eigene Leistung, die für viele Internetuser hilfreich ist. Auch die Verlage wollen nicht darauf verzichten, gelistet zu werden - sie könnten das ja technisch heute schon verhindern -; denn sie wollen ja Leser auf ihre werbefinanzierten freien Angebote ziehen. Es ist deshalb niemandem wirklich vermittelbar, dass nun Suchmaschinen, die das heutige Urheberrecht nicht verletzen und den Verlegern sogar finanzielle Vorteile bringen, über ein speziell auf sie zugeschnittenes Leistungsschutzrecht ein Entgelt zahlen sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion hat vor wenigen Wochen einen umfassenden Antrag zur Sicherung der Medienvielfalt und zu qualitativ hochwertigem Journalismus in den Bundestag eingebracht. Leider hat sich die Regierungskoalition verweigert, unsere Vorschläge aufzunehmen oder zumindest ernsthaft zu prüfen. Gibt man heute in eine Suchmaschine den Begriff „schwarz-gelbe Medienpolitik“ ein, findet man leider keinerlei Konzepte, die den Herausforderungen wirklich gerecht werden. ({0}) Insofern ist es, denke ich, notwendig, dass wir einen Relaunch machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen wunderschönen guten Abend! - Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kollege Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir müssen die Märkte bändigen“ … Sie - gemeint sind die Bürger haben den Eindruck, dass ihre „gefühlte Ordnung“ aus dem Lot geraten ist … Viele Staaten und Regionen der Welt werden auf Europa schauen, ob es in der Lage ist, dem liberalen Kapitalismus Angloamerikas auf der einen und dem autoritären Kapitalismus Chinas auf der anderen Seite sein Modell des demokratischen Kapitalismus in Form der sozialen Marktwirtschaft gegenüber zu stellen. ({0}) Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, stammt nicht von mir, ({1}) sondern ist einem Gastbeitrag von Sigmar Gabriel im Handelsblatt vom 2. März 2012 entnommen, ({2}) und es geht dabei um das Bändigen der Finanzmärkte. Was hat das nun mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu tun? ({3}) - Ich habe mir schon gedacht, dass der Kollege von Notz genau über dieses Stöckchen, das ich ihm hinhalte, jetzt springen würde. ({4}) Vordergründig hat das erst einmal gar nicht viel damit zu tun, aber es lohnt sich vielleicht, Herr Kollege von Notz, auch einmal ein bisschen tiefer als nur auf die Oberfläche zu schauen. ({5}) Ein Großteil dieses Hauses ist mit der Situation auf den Finanzmärkten nicht zufrieden. Kasinokapitalismus und eine von der Realwirtschaft abgekoppelte Finanzwirtschaft haben uns seit 2008 eine Dauerkrise auf unterschiedlichen politischen Spielfeldern beschert. ({6}) Die Wucht der Ausschläge deregulierter Märkte überrollt gnadenlos die Gestaltungskraft der Staaten weltweit, vor allem aber Europas. Bis weit in bürgerliche Kreise hinein - ich schließe mich hier selbst mit ein wird kritisch gesehen, ({7}) dass es kaum verbindliche internationale Regeln für Finanzmärkte gibt. ({8}) Zugeschrieben wird der Schwund staatlicher Gestaltungsspielräume dabei nicht zu Unrecht auch der fortschreitenden Globalisierung. Mit ihr ist das Spielfeld für Deregulierung eröffnet worden. Deutschland beweist zwar, dass es mit der sozialen Marktwirtschaft und damit mit einem feinnervigen System der Balance zwischen unterschiedlichen Rechten über eine leistungsfähige Wirtschaftsordnung verfügt - unsere wirtschaftliche Stärke zeigt das -, gleichzeitig ist die soziale Marktwirtschaft aber nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal. Der liberale Kapitalismus Angloamerikas ist international weiter in der Vorhand. ({9}) Insofern würden sicherlich viele den eingangs zitierten Sätzen Sigmar Gabriels zustimmen. ({10}) Wir als Bundesrepublik sind doch schon immer mit dem Willen zum schonenden Ausgleich der Interessen gut gefahren. Damit nun zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. ({11}) - Es ist schön, dass Sie da schon applaudieren. ({12}) Letztlich ist die Diskussion um dieses Recht nichts anderes als ein Abziehbild der Diskussion um die Finanzmärkte. ({13}) Die Interessenlagen sind an dieser Stelle durchaus vergleichbar. ({14}) Interessant ist nur, wie verschoben die Wahrnehmung bei der Auseinandersetzung um das Recht auf geistiges Eigentum ist, insbesondere, wie ich jetzt merke, auf der linken Seite des Hauses. ({15}) Letztlich geht es nämlich um das Gleiche. Es geht um die Frage, wie dereguliert der Wirtschaftsraum Internet - darum geht es eigentlich, trotz aller Camouflage - sein soll. Sollen hier die Regeln des liberalen Kapitalismus gelten, um in der Diktion Sigmar Gabriels zu bleiben, oder ein auf Ausgleich bedachtes System der sozialen Marktwirtschaft? Gerade nach den Erfahrungen mit den Finanzmärkten fällt es mir nicht schwer, darauf eine Antwort zu geben. Zumal das Urheberrecht in ökonomischer Hinsicht soziale Marktwirtschaft par excellence darstellt: Seine Grundlage bildet das Eigentumsrecht, das dem Urheber oder Leistungsschutzberechtigten die Freiheit ökonomischer Verwertung sichert. Gleichzeitig sind aber Schranken zugunsten der Freiheit anderer essenzieller Teil der Urheberrechtsordnung. Schon seiner Grundstruktur nach ist das Urheberrecht damit auf den Ausgleich von Rechten und von ökonomischen Interessen orientiert. ({16}) In diese Systematik fügt sich auch das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ein. Es ist keine neue Erfindung. Leistungsschutzrechte gibt es bereits, seit es das Urheberrecht gibt. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns lediglich entschieden, ein weiteres Leistungsschutzrecht einzuführen. Das Ziel ist dabei - so steht es schon im Koalitionsvertrag -, dass Verlage im Onlinebereich nicht schlechter dastehen sollen als andere Werkvermittler. Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverlage unterscheidet sich dabei massiv von anderen bereits bestehenden, sogenannten verwandten SchutzAnsgar Heveling rechten. Während andere Leistungsschutzrechte meist ein weitreichendes Ausschließlichkeitsrecht für den Rechteinhaber beinhalten, ist das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverlage bewusst schmal ausgestaltet. ({17}) Es differenziert - das ist dem Urheberrecht ansonsten eher fremd - zwischen privater und gewerblicher Nutzung, und es vermittelt dem Leistungsschutzberechtigten seine Rechte nur für ein Jahr. Daraus resultiert beinahe schon zwangsläufig, dass der Gesetzentwurf auch Fragen aufwirft, ({18}) die bei einer ebenso strengen Ausgestaltung des Leistungsschutzrechtes wie bei anderen verwandten Schutzrechten nicht auftreten würden. Diesen Fragen werden wir uns sicherlich in der Anhörung vertieft widmen können. Während sowohl die Definition des Presseerzeugnisses als auch die des Presseverlages klar konturiert sind, ist es sicherlich angezeigt, die juristische Validität von Begriffen wie „Suchmaschine“ oder „gewerbliche Anbieter“ noch einmal näher zu beleuchten. ({19}) Das wird die rechtliche Regelung des Leistungsschutzrechtes indessen nicht grundsätzlich infrage stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist ein bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen intensiv diskutiertes Thema. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass es als Chiffre für ganz andere Debatten dienen soll. Diese Debatten müssen wir auch führen; das ist gar keine Frage. Das Internet muss ohne Frage ein Freiheitsraum sein und bleiben, so wie es im Übrigen die reale Welt in unserer Bundesrepublik Gott sei Dank auch ist. Markenkern unserer Freiheit ist dabei aber, nicht ausschließlich das Recht des ökonomisch Stärkeren zu berücksichtigen, sondern einen sorgsamen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen herbeizuführen. Das sollten wir uns auch bewahren. Freiheit darf auch im Internet keine einseitige Freiheit sein. Vielen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist nicht zu toppen, was er da geboten hat. ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute also zu später Stunde über den Sandkastenstreit, wer wem welches Schäufelchen in der Medienwelt aus der Hand schlagen könnte. Da schreien auf der einen Seite die Verleger: „Google verdient Geld mit unseren Inhalten!“ und wollen deshalb Geld von Google. Google kläfft nun seinerseits zurück und sagt: „Die Verlage bekommen von uns ohne Ende Onlinekunden, sollen sie doch froh sein darüber, da nehmen sie ja auch Geld ein.“ Gleichzeitig tun beide Seiten so, als wären sie für Gemeinwohl, für Demokratie und Weltfrieden absolut unverzichtbar. Aber letztlich streiten sich beide Seiten nur um fette Profite. ({1}) Nun könnte man ja sagen, das sei alles kindisches Gehabe und kindisches Gezänk, das könne man eigentlich auch ignorieren. Aber da gibt es eben sehr wohl das ungenierte einseitige Parteinehmen der Bundesregierung für Springer & Co. Und Herr Keese vom Springer-Verlag war es, der das in den letzten Jahren vorangetrieben hat. Deshalb gibt es also kurz vor Weihnachten hier schon einmal eine schöne Bescherung, einerseits für den Springer-Verlag, andererseits für das Parlament in Gestalt des Gesetzentwurfes zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Das ist, ehrlich gesagt, nicht so ganz leicht zu verstehen. ({2}) Warum ist das so schwer zu verstehen? Ganz einfach: Weil es heute - ach, was heißt heute? Schon seit etwa 20 Jahren! - ganz einfache, problemlose, technische Möglichkeiten gibt, mit denen die Verlage ihre Veröffentlichungen wirksam vor Suchmaschinen schützen könnten. ({3}) Vor allem aber - das muss ich sagen, Herr Stadler - ist das Gesetz denkbar schlampig formuliert. ({4}) Niemand weiß nämlich am Ende, wer von diesem Gesetz begünstigt oder dadurch zu Zahlungen verpflichtet wird. Niemand weiß genau, wie der Schutzgegenstand aussehen soll, was er sozusagen ist. Wir wissen aber, dass dieses Leistungsschutzgeld erfolgreich Innovationen im Netz behindern wird, und zwar immer dann, wenn es um Informationsaufbereitung oder Informationsaggregation geht. ({5}) Die Linke hat zu den Rechtsunsicherheiten diese Woche auch eine Kleine Anfrage gestellt. ({6}) Ich wette mit Ihnen, diese wird noch weit mehr als die bisher bekannten Mängel des Gesetzes freilegen. Es wird dann natürlich in dieser Anhörung, von der Sie gesprochen haben, spannend, ob sich das erklären und sauber beheben lässt. Am Ende werden sich, wie ich glaube, die Abmahnanwälte die Hände reiben; das tun sie wahrscheinlich schon heute angesichts des profitablen Geschäfts, das auf sie zukommt. ({7}) Nun gibt es auch Gerüchte, dass der Gesetzestext absichtlich so schlecht geschrieben worden ist - nicht, weil es den fleißigen Bienchen im Justizministerium an Intellekt gefehlt hätte, nö, nö. Vielleicht wollten oder sollten die sich schlicht und ergreifend keine Mühe geben. ({8}) Immerhin gibt es offensichtlich kaum jemanden in der Behörde ({9}) bei den Anfragen im Unterausschuss Neue Medien ist das ganz deutlich geworden -, der dieses Gesetz am Ende tatsächlich für sinnvoll hält. Das, meine Damen und Herren, sind natürlich - ich höre es schon - ganz, ganz schlimme Oppositionsspekulationen. Keine Spekulation ist beispielsweise die Stellungnahme von 16 hochangesehenen Professorinnen und Professoren gegen das geplante Leistungsschutzrecht. ({10}) - Ich kann das sehr wohl beurteilen, aber Sie können ruhig weiter Ihren Jahrhunderttraum von den fetten Gewinnen träumen. ({11}) Es handelt sich bei dieser Gruppe um ausgewiesene Urheberrechtsexperten. Diese stellen für das geplante Leistungsschutzrecht fest - ich zitiere an dieser Stelle -, dass die Gefahr, die von ihm ausgeht, unabsehbare negative Folgen in sich birgt. Ebenfalls keine Spekulation ist, dass es selbst in den Reihen der Koalition offensichtlich eine ganze Menge Leute gibt, die das Gesetz ganz und gar nicht so toll finden. Im Gegenteil: Sie haben sich zu Wort gemeldet - schwarze wie gelbe Kritiker, klug und prominent - und in die Diskussion eingemischt. Daher bleibt mir an dieser Stelle nur, an die Bundesregierung zu appellieren: Hören Sie einfach auf all die schlauen Menschen! Hören Sie auf die Leute, die im Internet zu diesem Thema diskutieren! Überwinden Sie vor der Wahl Ihre Angst vor der Bild-Zeitung und ziehen Sie schlicht und ergreifend dieses Leistungsschutzrecht zurück! ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Tabea Rößner vom Bündnis 90/Die Grünen.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe zu: Ich habe mich geirrt; denn ich habe immer gedacht, diesen Schwachsinn kriegen Sie nie durch. ({0}) Schon damals, bei Abschluss des Koalitionsvertrages, habe ich mich gefragt, wie Sie das angekündigte Leistungsschutzrecht überhaupt umsetzen wollen. Drei Jahre und drei Entwürfe später merke ich: Sie wissen es immer noch nicht. Deshalb klatschen Sie uns einen halbherzigen, einen halbgaren und einen halbfertigen Gesetzentwurf hin, der von der Ausgestaltung her nicht unklarer sein könnte. Niemand - Ihre eigenen Leute übrigens auch nicht - kann mit Sicherheit sagen, wie weit der Entwurf greifen wird. Sind Links nun geschützt oder nicht? ({1}) Das weiß niemand. Ich weiß aber eins: Es wäre katastrophal, wenn es so wäre. Denn das Internet heißt nicht aus Jux Netz, sondern weil es durch das Interagieren von Menschen, durch Kommunikation, Verweise und den Austausch von Informationen lebt. Eine Basis dafür sind natürlich Links. Die Kanzlerin hat das Leistungsschutzrecht als Antwort auf die „Anforderungen einer modernen Informationsgesellschaft“ gepriesen. So wie es aussieht, kennt sie nicht einmal die Frage. ({2}) Der Informationszugang wird nämlich durch das Leistungsschutzrecht eingeschränkt. Warum? Weil Suchmaschinen und Aggregatoren deutsche Presseerzeugnisse und gewerbliche Blogs nicht mehr listen dürfen; es sei denn, sie haben eine Lizenz. Sollen etwa Google oder Rivva die Blogger alle selber abtelefonieren? Oder wie stellen Sie sich das vor? Apropos ahnungslos: Ganz groß war auch Ihr Auftritt im Medienausschuss, Herr Kollege Müller-Sönksen, als Sie für das Gesetz mit der Begründung geworben haben, dass es den Qualitätsjournalismus in unserem Land und die Pressevielfalt erhalten werde. Aber jeder, der für zwei Minuten seinen Verstand hochfährt, ({3}) kann sehen: Sie bewirken das Gegenteil. ({4}) Da es für die Koalition jetzt vielleicht schon zu spät in der Nacht ist, übernehme ich das Denken für Sie. Eine Suchmaschine wie Google wird wohl kaum auf das kollektive Springer-Angebot verzichten wollen. Also hat Springer in Verhandlungen Oberwasser und kann für die Lizenzen gutes Geld verlangen, auch wenn der Verlag in den vergangenen zwei Jahren ohnehin schon Rekordergebnisse eingefahren hat. Das Hintertupfinger Tageblatt dagegen ist nicht so gefragt wie Bild. Denen zahlt Google sicherlich wenig, vielleicht sogar gar nichts. Ergo: Die Großen profitieren, die Kleinen verlieren, und am Ende lacht Springer. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das bitte hier auch so, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Noch jemand wird durch das Gesetz verdienen: die Abmahnanwälte. Denn Leistungsschutzrecht wird Anwalts Liebling. Wissen Sie, wer das Geld dringender nötig hätte? Journalisten. Sie müssen heute nämlich Knebelverträge unterzeichnen, sofern sie überhaupt noch Arbeit haben. Aber an der einzigen Stelle, an der das Leistungsschutzrecht vielleicht etwas Gutes bewirken könnte, nämlich bei der Verbesserung der Vergütung der Urheber selbst, bleiben Sie seltsam im Vagen. Denn die Autoren hatten Sie bestimmt nicht im Sinn, als Sie an den zig Versionen des Gesetzentwurfs herumdokterten. Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist ungenau formuliert, rückwärtsgewandt und geht am Ziel vorbei. Er sollte deshalb besser nie den Beratungsvorgang verlassen, geschweige denn zur Abstimmung kommen. Sonst erleben Sie vielleicht sogar ein peinlicheres Ergebnis, als Ihnen lieb ist. Denn die Summe der Kritiker ist groß, nicht nur auf der Oppositionsbank: Das MaxPlanck-Institut, Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses, ({5}) die JuLis und die Junge Union, Ihre Jugendorganisationen, haben zusammen mit den anderen Parteijugendorganisationen gegen das Leistungsschutzrecht aufgerufen. Das sollte Ihnen doch zu denken geben. ({6}) Sie alle werden sich bei der Abstimmung bekennen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Justizministerin hat neulich auf einer Veranstaltung des BDZV

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie hatten doch die Zusammenfassung in Aussicht gestellt.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich komme zum Schluss - zum Leistungsschutzrecht gesagt: Aber es ist doch gut, wenn zu einem Thema auch dann debattiert wird… … Man darf doch nicht so defensiv sein und bei Themen, wo man sagt, da gibt’s auch Kritik, dann sich zurückziehen ins Schneckenhäuschen … Jetzt ist es 23.18 Uhr, und im Schneckenhäuschen hätten wir schon Platz. ({0}) Würden wir bei Twitter über den Gesetzentwurf streiten, hätte ich zwei schöne Hashtags für ihn: Fail und Facepalm. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt hören wir Thomas Silberhorn live für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zwar live, aber der Umstand, dass das nicht mehr live im Fernsehen übertragen wird, führt dazu, dass ich meine Urheberrechte an dieser Rede nicht mehr über die Verwertungsgesellschaft Wort geltend machen kann. ({0}) Ich spreche aber gerne über Leistungsschutzrechte, die unserer Rechtsordnung ja nicht fremd sind. Es gibt eine ganze Reihe von Leistungsschutzrechten: für Darsteller, für Produzenten, für Sendeanstalten, für Tonträgerhersteller. Hinter diesen verwandten Schutzrechten steckt die gemeinsame Überlegung, dass kreative Leistungen von Darstellern und Produzenten, aber auch organisatorische und unternehmerische Leistungen schützenswert sind, die zwar kein neues Werk schaffen, die aber der Vermittlung von Werken dienen. Dazu wird künftig auch die verlegerische Leistung im Internet zählen. ({1}) Wir erweitern also das Portfolio der bereits verwandten Schutzrechte um ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Darauf haben wir uns schon im Koalitionsvertrag verständigt. Unser Ziel ist, dass wir Presseerzeugnisse und ihre Verwertung im Internet besser schützen können. Der Gesetzentwurf sieht deshalb im Kern vor, dass den Presseverlagen ein ausschließliches Recht einge25806 räumt wird, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet zugänglich zu machen. Es soll damit schlicht sichergestellt werden, dass Verlage im Onlinebereich nicht schlechter gestellt werden als andere Werkvermittler. Es werden reine Verlinkungen weiterhin entgeltfrei möglich sein. Das Zitierrecht des Urheberschutzes wird nicht beeinträchtigt. Die private Nutzung bleibt möglich. Die Suchfunktion einer Suchmaschine - anders als Sie, Herr Kollege Dörmann, es dargestellt haben - wird in keiner Weise berührt. Es kann weiter gesucht und gefunden werden. Das neue Leistungsschutzrecht schützt nur den Zugriff auf die verlegerische Leistung durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder sonstigen Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten, wie die Newsaggregatoren. Diese Anbieter müssen künftig für die Nutzung von Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben. Der Schutzbereich dieses Leistungsschutzrechts ist also sehr klar definiert und begrenzt. Er umfasst das Presseerzeugnis in seiner konkreten Gestaltung und Festlegung durch den Verleger. Es geht nicht um den Schutz der darin enthaltenen Texte, es geht nicht um Fotos oder Grafiken. Für die gilt weiterhin das vorhandene Urheberrechtsgesetz. Noch einmal: Nicht erfasst von diesem Leistungsschutzrecht für Presseverlage - das wird in der öffentlichen Diskussion oft ausgeklammert - sind alle anderen als die genannten gewerblichen Nutzer, ({2}) also: Blogger, Verbände, ehrenamtliche Organisationen aller Art, private Nutzer, auch alle Unternehmen und sonstige gewerbliche Nutzer, ({3}) die nicht zu den Suchmaschinen oder den sonstigen Diensten zählen, die Inhalte aufbereiten. All die werden durch das neue Leistungsschutzrecht nicht berührt. Wenn gerade im Bereich der gewerblichen Nutzung noch Fragen zur Abgrenzung offen sind, werden wir versuchen, sie auszuräumen. Ich will hier anmerken, dass wir gerne bereit sind, im weiteren Gesetzgebungsverfahren darauf ein besonderes Augenmerk zu richten, damit das sichergestellt wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Notz?

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit würde ich zwar gerne fortfahren, will aber keine Antwort schuldig bleiben. Bitte schön.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Ehrlich gesagt, es sind zwei. Die erste Frage ist: Sie sprachen an, dass das Vorhaben, ein solches Leistungsschutzrecht einzuführen, schon im Koalitionsvertrag stand. Es haben sich viele Leute darüber gewundert; denn das stand ja in keinem Wahlprogramm. Vielleicht können Sie das Mysterium einmal auflösen, wie der Punkt Leistungsschutzrecht in den Koalitionsvertrag kam. Eine richtige Abstimmung in Ihrer Partei hat es nach meinem Kenntnisstand nicht gegeben. Die zweite Frage ist: Sie sprachen von Bloggern, die nicht betroffen wären. Was ist der Unterschied zwischen einem nichtgewerblichen Blogger und einem gewerblichen Blogger? Ist jemand, der bloggt und ein kleines Werbebanner schaltet, um die Kosten für seine Homepage zu decken, ein gewerblicher Blogger? Ist er erfasst, ja oder nein? Das sind jedenfalls die Fragen, die sich viele Menschen stellen. ({0}) - Ihre Kollegen wissen es offensichtlich besser als Sie selbst. Vielleicht haben sie eine Antwort auf diese Fragen.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben meine Antwort noch gar nicht gehört. ({0}) - Sie sorgen sich um Ihre Fragen, aber ich will sie Ihnen gerne beantworten. Zunächst: Koalitionsverträge werden bei uns nach den Wahlen verhandelt ({1}) zwischen den Koalitionspartnern, die sich auf eine Regierungsmehrheit verständigen konnten. Diese Koalitionsverhandlungen nehmen selbstverständlich die Wahlprogramme zur Grundlage. Wir sind aber, jedenfalls in unseren Fraktionen, immer aufgeschlossen für Erkenntnisfortschritte, für Ideen, für Kreativität, für Neues. ({2}) Deswegen schreiben wir in unseren Koalitionsverhandlungen nicht einfach bereits veröffentlichte Wahlprogramme ab, sondern wir führen einen offenen demokratischen Diskurs und präsentieren dann einen Vertrag, der Grundlage für unsere Arbeit ist. Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, die Ergebnisse dieses Koalitionsvertrages in dem Punkt Leistungsschutzrecht nach langer dreijähriger Diskussion auch in einen Gesetzentwurf zu gießen. ({3}) Nun zu der Frage: Wer ist erfasst? Noch einmal: Wenn hier Abgrenzungsfragen offenbleiben, müssen wir das ganz offen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens besprechen. ({4}) Alle gewerblichen Nutzer, die nicht Internetsuchmaschinen oder andere Dienste sind, die fremde Inhalte entsprechend aufbereiten, werden von dem Leistungsschutzrecht nicht erfasst. Alle gewerbliche Nutzung ist möglich, die nicht in der Auswertung fremder Inhalte zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken besteht. ({5}) Ich hoffe, dass ich damit zur Klärung beitragen konnte; denn Ihre Frage macht deutlich, dass eine ganze Reihe von Unsicherheiten bestehen, die aber jeglicher Grundlage entbehren. Ich hoffe, dass wir diese Debatte dann im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fortsetzen können. Die Rechte der Urheber werden übrigens durch dieses Leistungsschutzrecht in keiner Weise beeinträchtigt. Im Gegenteil: Die Presseverlage können ihr Leistungsschutzrecht nicht zum Nachteil des Urhebers geltend machen. ({6}) Im Gesetzentwurf ist klargestellt, dass der Urheber an einer Vergütung, die durch die Lizensierung des Leistungsschutzrechts generiert werden kann, angemessen zu beteiligen ist. ({7}) Darüber sind sich im Übrigen die Verlegerverbände und die Journalistengewerkschaften im Grundsatz seit langem einig. ({8}) Wir werden in den weiteren Beratungen auch intensiv die Vorschläge des Bundesrates prüfen, etwa die Frage, inwieweit Vergütungen für die Einräumung von Nutzungsrechten am Leistungsschutzrecht über eine Verwertungsgesellschaft eingezogen und verteilt werden können. Da wird sicherlich auch die bevorstehende Sachverständigenanhörung im kommenden Jahr Erkenntnisse beisteuern können. Meine Damen und Herren, uns ist bewusst, dass dieses neue Leistungsschutzrecht national wie international hohe Beachtung erfährt. Die hohe Aufmerksamkeit der betroffenen Unternehmen liegt vielleicht auch darin begründet, dass ein solches Leistungsschutzrecht für Presseverlage schnell Nachahmer finden kann, wenn es in Deutschland funktioniert. Die lautstarken Kritiker, die für die Freiheit im Internet Sturm laufen, mögen sich bitte auch die Frage stellen, für wen sie hier in die Schlacht ziehen. Denn Freiheit im Internet kann doch nicht bedeuten, dass sich jeder bei Leistungen, die andere erbracht haben, bedienen kann. Wenn der eine seine Marktmacht ausspielt, um Leistungen Dritter für eigene wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, während der andere, der diese Leistung erbracht hat, in die Röhre schaut und damit die Leistung auf Dauer gar nicht mehr erbringen kann, dann hat sich hier ein Ungleichgewicht entwickelt, das so nicht mehr hingenommen werden kann. Deswegen schaffen wir ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das hierfür einen angemessenen Ausgleich schafft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Heveling! Unmittelbar vor der Diskussion über das Leistungsschutzrecht hat eine Kollegin in Sorbisch geredet. Ich habe diese Sprache noch nie gehört, aber ich will offen sagen: Ich habe bei dieser Rede mehr verstanden als bei Ihrem Beitrag zum Leistungsschutzrecht. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die letzten Tage haben gezeigt, mit welcher Härte gestritten wird, wenn es darum geht, das digitale Zeitalter zu erreichen. Wir sehen, dass auf dem Weg in die digitale Gesellschaft radikale Umbrüche stattfinden, und wir sehen, dass Geschäftsmodelle infrage gestellt werden, dass sie aufgelöst werden, dass Machtordnungen infrage gestellt werden und sich neu sortieren. ({1}) Wir sehen eine riesige Verunsicherung, wenn es um das Thema Urheberrecht geht. Sie alle kennen die Diskussionen mit Schülergruppen, die hier sind und ganz viele Fragen haben. Um das Parlament herum wird die Frage Urheberrecht groß diskutiert. ACTA war beispielhaft für die gesellschaftspolitische Dimension, die das Urheberrecht mittlerweile angenommen hat. Aber was ist die Antwort von Schwarz-Gelb auf die Herausforderungen, die es beim Urheberrecht gibt? Es ist das Leistungsschutzrecht. ({2}) Wie sieht eigentlich die netzpolitische Bilanz dieser Regierung aus? Breitbandausbau? Wir liegen hinter Rumänien. Verankerung der Netzneutralität? Fehlanzeige. Modernisierung des Datenschutzes? Fehlanzeige. Auf25808 bruch in der Internetwirtschaft? Fehlanzeige. Die netzpolitische Bilanz dieser schwarz-gelben Regierung wird vom Leistungsschutzrecht geprägt. Ich sage Ihnen: Das ist eine traurige Bilanz. Wir von der SPD werden alles versuchen, um dieses Leistungsschutzrecht zu verhindern. ({3}) Das Leistungsschutzrecht ist ein Irrsinn. Sie schaffen Unsicherheit, Sie schaffen Unklarheiten, Sie greifen in die Informations- und Kommunikationsfreiheiten ein, und Sie gefährden die Kreativität und den Innovationscharakter des Internets. Das Schlimmste aber ist: Sie sind doch selbst nicht einmal überzeugt von dem, was Sie da tun. Siegfried Kauder, der sicherlich alles andere ist als ein Kämpfer für das freie Internet, hat bei einer Veranstaltung des eco Mitte Oktober gesagt - so wird er zitiert -, das Leistungsschutzrecht sei eine „Mogelpackung“ und ein „Taschenspielertrick“. Die geschätzte Kollegin Dorothee Bär sagte in einem Interview bei iRights.info, dass - ich zitiere - „das Leistungsschutzrecht dem Standort Deutschland massiv schaden würde“. ({4}) Weiter heißt es dort: … im Hinblick auf die bisweilen unlösbare Frage, ob jemand seinen Account beruflich oder privat nutzt, beschränkt man die User in unverhältnismäßiger Weise in ihrer Kommunikations- und Informationsfreiheit. Heute haben sich die Jugendverbände der politischen Parteien gemeinsam gegen das Leistungsschutzrecht positioniert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren nicht nur die Jusos und die Grüne Jugend, es waren auch die Junge Union und die Jungen Liberalen. Ich frage Sie: Warum hören Sie nicht auf die jungen Leute in Ihren Parteien? ({5}) Warum hören Sie nicht auf die Netzpolitiker in Ihren Parteien? Warum muss das Leistungsschutzrecht hier mit allem Zwang und gegen jede Vernunft durch den Deutschen Bundestag gedrückt werden? Unabhängige Wissenschaftler am Max-Planck-Institut haben vor wenigen Tagen festgestellt: Es gibt kein Marktversagen, es gibt keine Rechtslücke, es gibt keine Notwendigkeit für ein Leistungsschutzrecht, und es gibt keine Notwendigkeit für eine Lizenzpflicht bei Snippets. Ich sage auch: Das Leistungsschutzrecht ist nicht nur unnötig, es ist auch noch schlecht gemacht. Wenn man zum Beispiel die Bezeichnung „suchmaschinenartige Dienste“ liest und dann beim Justizministerium nachforscht, was das denn bedeutet, dann erhält man auf der Homepage die Antwort: Eine juristische Einordnung konkreter Dienste bleibt den Gerichten vorbehalten. Hier sehen wir doch, dass Sie ein Gesetz auf den Weg bringen, von dem Sie nicht einmal wissen, was das konkret bedeutet. Hier wird Unsicherheit gestreut. Deswegen darf dieses Leistungsschutzrecht niemals kommen. Wenn es darum geht, den Qualitätsjournalismus zu stärken, wenn es darum geht, eine angemessene Rechtsdurchsetzung im Internet stattfinden zu lassen, wenn es um die Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle geht, dann sind wir als SPD dabei - aber ohne Leistungsschutzrecht. Ich freue mich, dass jetzt sicherlich der Kollege Jimmy Schulz erklären wird, dass auch er nicht zustimmt. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jedenfalls ist der Kollege Schulz der voraussichtlich letzte Redner des heutigen Abends, und zwar für ganze drei Minuten. Bitte schön, Sie haben das Wort. ({0})

Jimmy Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004148, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße ganz besonders herzlich auch die Menschen an den Bewegtbildempfängern zu Hause oder bei Public-Viewing-Veranstaltungen. ({0}) - Es gibt tatsächlich eine. Lars Klingbeil, zur Bilanz der Netzpolitik der schwarz-gelben Koalition kann ich sagen: Wir mussten ja erst einmal aufräumen mit dem Scherbenhaufen, den die SPD zu diesem Themenbereich hinterlassen hat. Wir haben das Internetsperren-Gesetz wieder aufgehoben. ({1}) Seitdem wir an der Macht sind, gibt es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung mehr. Wir haben ELENA wieder abgeschafft, und wir haben ACTA verhindert. ({2}) Kommen wir jetzt aber zum Thema. Die Digitalisierung und die globale Vernetzung haben unser Leben dramatisch verändert, möglicherweise sogar revolutioniert. Sie werden das auch noch weiter tun. Gerade im Bereich des Urheberrechts sind diese Änderungen sichtbar, war doch das Geschäftsmodell in der Vergangenheit das Bannen von Inhalten, von Contents, auf einen physikalischen Träger, den man dann verkauft, gehandelt, vermietet, weggeschmissen oder im schlimmsten Fall verbrannt hat. Dieses Geschäftsmodell ist tot. Es wird nicht mehr funktionieren. Es war ein Geschäftsmodell, das über die letzten Jahrhunderte funktioniert hat, seit Gutenberg, der das Kopieren erfunden hat. ({3}) Aber dieses Geschäftsmodell ist tot. Deswegen diskutieren wir seit Jahren intensiv insbesondere über das Problem, das die Presseverleger haben. In die Vorschläge sind viele Verbesserungen eingeflossen. Nun hat die Bundesregierung einen neuen Entwurf vorgelegt, den wir hier zu diskutieren haben. Es ist die vornehmste Aufgabe des Parlaments, diesen Vorschlag zu diskutieren, sich mit Experten zu beraten und - falls nötig - Optimierungen und Verbesserungen vorzunehmen. ({4}) Dazu habe ich vor geraumer Zeit einen neuen Vorschlag gemacht. Es gibt bereits technische Möglichkeiten, genau zu bestimmen, wer wie automatisiert auf eine Website zugreifen kann. Dieser technische Standard, die sogenannte robots.txt, kann sehr fein steuern, wer wo und wie auf etwas zugreifen kann. Dieses Modell entspricht einem wunderbaren technischen Standard, der seit ungefähr 15 Jahren existiert und auch genutzt wird. Diesem Gentleman’s Agreement fehlt jedoch ein rechtlicher Schutz. Deshalb schlage ich vor, für einen solchen rechtlichen Schutz zu sorgen. ({5}) Dieses Modell bietet den Vorteil, dass es nicht nur ausschließlich für Presseverleger gilt, sondern es würde für alle gelten können, also auch für Blogger, für jeden, der Inhalte im Internet bereitstellt. Ein weiterer Vorteil wäre, dass dies sogar dem Koalitionsvertrag entsprechen würde; denn im Koalitionsvertrag steht, dass im OnlineBereich Presseverleger nicht schlechter gestellt sein sollen als andere Werkvermittler. Meine Haltung bleibt klar: Code is Law. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Debatte, obwohl zweifellos noch manches zu sagen und ganz sicher auch noch manches nachzufragen wäre. ({0}) Zu Beginn hatten sich aber alle Beteiligten auf die Dauer der Debatte verständigt. Wenn dies gewünscht wird, kann ich den Nachweis führen, dass die Debatte nicht kürzer, sondern länger gedauert hat als vereinbart. ({1}) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11470 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist dies unstreitig? - Immerhin ist dies der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann setzen wir die Abstimmungen fort. Ich mache von vorneherein darauf aufmerksam, dass es reichlich abzustimmen gilt. Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Kolbe ({2}), Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Hinschauen - Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus - Drucksache 17/11366 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({3})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die dazu angemeldeten Reden werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, beziehen Sie sich auf die Entschließung „Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ ({0}) vom November des vergangenen Jah- res. Diese Entschließung, die von allen Bundestagsfrak- tionen gefasst wurde, hat für die christlich-liberale Koalition einen besonderen Stellenwert. Er ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kein bloßes Lippenbe- kenntnis, sondern vielmehr die an uns selbst gerichtete Verpflichtung, a) die NSU-Mordserie konsequent und mit größter Sorgfalt aufzuklären und b) aus den Ergebnissen der Untersuchung die notwendigen Veränderungen zur Verbesserung unserer Sicherheitsarchitektur vorzunehmen. Neben den notwendigen Reformen der Verfassungsschutzbehörden und der Optimierung ihrer Zusammenarbeit ist die Präventionsarbeit, zum Beispiel durch die politische Bildung oder durch gesellschaftliche Projekte zur Förderung interkultureller Kompetenz, ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Rechtsextremismus in unserem Land. Seit der Entschließung hat sich auf dem Gebiet der Bekämpfung des Rechtsextremismus vieles getan. Ich will aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums zwei Beispiele benennen: Erstens. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus hat die christlichliberale Koalition die Rechtsgrundlage für die Errichtung einer gemeinsamen und zentralen Rechtsextremismusverbunddatei von Polizei und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder geschaffen. Im Gegensatz zur artverwandten Antiterrordatei aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus ermöglicht das Gesetz unter engen Voraussetzungen eine Recherche zur Aufdeckung von Tatzusammenhängen. Die schreckliche NSU-Mordserie hat uns vor Augen geführt, dass eine Verbesserung des Informationsaustausches zwi25810 schen der Polizei und den Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zwingend notwendig ist. Mit diesem Gesetz hat die Bundesregierung eine wichtige Konsequenz aus der Mordserie gezogen. Zweitens. Gleiches gilt für die Eröffnung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums, GETZ. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Auch aufgrund der Erfahrungen des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, GTAZ, und des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus, GAR, welches nunmehr in der GETZ aufgeht, ist ein deutlicher Mehrwert, insbesondere in den Bereichen Bündelung der Phänomenexpertise, Stärkung der Analysekompetenz, Früherkennung möglicher Bedrohungen und bei der Erörterung operativer Maßnahmen, zu erwarten. Mit den benannten Beispielen zeigt sich, dass die christlich-liberale Koalition anhand der bislang gewonnenen Erkenntnisse und mit Nachdruck daran arbeitet, einen erfolgreichen Kampf gegen den Rechtsextremismus in unserem Land zu führen. Im Bereich der Präventionsarbeit und der politischen Bildungsarbeit verweise ich auf die Ausgaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, das jährlich 24 Millionen Euro für Bundesprogramme im Bereich der Präventionsarbeit zur Verfügung stellt. Damit stellt diese Bundesregierung so viel Geld zur Förderung zivilen Engagements, demokratischen Verhaltens und den Einsatz für Vielfalt und Toleranz zur Verfügung wie keine Bundesregierung bisher. Es hat sich seit dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie in unserem Land vieles getan. Die christlich-liberale Koalition wird diesen eingeschlagenen Weg kontinuierlich weiterverfolgen und sinnvoll ergänzen. In Ihrem Antrag stützen Sie sich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, auf eine „Reportage“ der Amadeu-Antonio-Stiftung mit dem Titel „Das Kartell der Verharmloser“. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die darin beschriebenen Vorfälle sind durch nichts zu entschuldigen. Sollten einzelne Polizeibeamte das Vertrauen der Mitbürgerinnen und Mitbürger nachhaltig geschädigt haben oder gar ihren Pflichten nicht nachgekommen sein, so muss dieses Verhalten Konsequenzen für die betreffenden Beamten nach sich ziehen. Dies obliegt dem Föderalismusprinzip entsprechend den jeweils zuständigen Stellen. Mit aller Entschiedenheit wehre ich mich aber gegen die Formulierungen einer „systematischen Bagatellisierung“ oder einer „bundesweiten Mauer aus Ignoranz und Verharmlosung“ im Zusammenhang mit der Aufklärung rechtsextremistischer Gewalttaten. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten verrichtet ihren Dienst tadellos, mit großem persönlichem Einsatz und im Sicherheitsinteresse der Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land. Die in Ihrem Antrag „mitschwingende“ generelle Verurteilung des Umgangs deutscher Polizeibeamter mit Vorfällen im rechtsextremistischen Bereich weise ich mit Nachdruck zurück. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht zu den deutschen Polizeibeamten. Wir haben Vertrauen in ihre Ausbildung, in ihre Beurteilungsfähigkeit und auch in ihre interkulturellen Kompetenzen. Ihr heutiger Antrag fordert zwar einen Auftrag zur Dunkelfeldforschung, doch ist aus meiner Sicht entscheidender, dass Sie dabei ganz grundsätzlich die statistische Erfassung des Hellfeldes rechtsextremistischer Gewalt- und Propagandadelikte infrage stellen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus würden als Tatmotive von den Polizeibehörden allzu oft negiert. Im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes - Politisch motivierte Kriminalität - wurden dem Bundeskriminalamt, BKA, bislang 63 Todesopfer rechter Gewalt, einschließlich der zehn Todesopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gemeldet, während die Amadeu-Antonio-Stiftung mittlerweile über 182 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 berichtet. Wie entsteht diese Differenz? Meines Erachtens liegt dies darin begründet, dass die geltenden Statistiken deutlich trennschärfere Kriterien für die Erfassung politisch motivierter Kriminalität und Gewalt bieten. In den geltenden Statistiken ist die konkrete Tatmotivation entscheidend. Sie ist in Würdigung aller Umstände der konkreten Tat und der Einstellung des Täters zu ermitteln. Nichtstaatliche Stellen nehmen als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer entsprechenden rechtsextremistischen Tatmotivation, dass die Täter bzw. Tatverdächtigen aus einem rechten Milieu kamen, ohne aber zu differenzieren, ob die Tat möglicherweise in Wirklichkeit allgemeinkriminell motiviert ist. Der Polizei ist es aufgrund ihres umfassenden und oftmals Dritten nicht zugänglichen Wissens zu Tätern oder Tathergang besser möglich, die tatsächliche Motivation der Tat zu erhellen. Die Differenz der Zahlen ist aus meiner Sicht also darauf zurückzuführen, dass einige nichtstaatliche Stellen die Verortung des Täters im rechten Milieu als einziges und ausschlaggebendes Kriterium für die Zuordnung einer rechtsextremen Tat verwenden. Zur Erfassung der Wirklichkeit ist es aus meiner Sicht zwingend notwendig, weitere Kriterien zur Beurteilung und Verortung einer Straftat anzulegen, um somit der Wirklichkeit einer Tat näherzukommen. Bezogen auf Ihre erste Forderung zur Dunkelfeldforschung weise ich darauf hin, dass im Rahmen des Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus, jetzt GETZ, eine Überprüfung aller nicht aufgeklärten Altfälle, insbesondere Banküberfälle, Sprengstoffanschläge und Morde, seit 1990 durchgeführt wird, die Zu Protokoll gegebene Reden entsprechend ihrer Begehungsweise für eine Täterschaft des NSU in Betracht kommen könnten. Auch bei bisher nicht als politisch rechts motiviert eingestuften Taten wird dort derzeit geprüft, ob diesen möglicherweise eine rechtsextremistische/-terroristische Motivation zugrunde liegt. Geeignete Fälle werden dabei anhand eines Erhebungsrasters identifiziert, das sich an bestimmten Deliktkategorien sowie opferbezogenen Indikatoren orientiert. Die Fälle werden dann im Ergebnis anhand einer dafür eingerichteten Projektdatei auf Anhaltspunkte für einen politisch rechts motivierten Hintergrund untersucht. Ich betrachte es als sinnvoll, die Ergebnisse dieser Auswertung abzuwarten und mit ihnen weiterzuarbeiten. Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse und Materialien lassen sich die Prozesse der Zuschreibung bzw. Nichtzuschreibung zum Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität - rechts - und der dabei wirksam werdenden Faktoren näher analysieren. Auf diese Weise eröffnet sich ein Ansatz, um den Umfang des möglicherweise bislang entstandenen Dunkelfelds zu ermitteln. Darüber hinaus sei an dieser Stelle bemerkt, dass das BKA im Bereich der Dunkelfeldforschung bereits seit den 70er-Jahren aktiv ist und dazu unzählige Publikationen herausgegeben hat. Derzeit arbeitet man dort am „Barometer Sicherheit in Deutschland“. Das BKA leistet in diesem Zusammenhang einen Beitrag zur Gewinnung eines Gesamtbildes der objektiven Bedrohung durch Kriminalität und Terrorismus sowie eine Dunkelfeldforschung im Bereich der individuell wahrgenommenen ({1})Sicherheit von Kriminalitätsopfern. Auch wenn rechtsextremistisch motivierte Taten in dieser Studie nicht explizit untersucht werden, so sind die Aktivitäten des BKA im Bereich der Dunkelfeldfor- schung umfangreich. Im Kontext des Antrags sehe ich aufgrund der gegenwärtigen Arbeit des GETZ keine Veranlassung, eine Dunkelfeldforschung in Auftrag zu geben. Ihre zweite Forderung in diesem Antrag beinhaltet, „einen Forschungsauftrag zu erteilen, in dem Hinder- nisse und Barrieren im Engagement gegen Rechts- extremismus, Rassismus und Antisemitismus systema- tisch aufgedeckt werden“ sollen. Die bestehenden Bundesprogramme gegen Rechts- extremismus verfolgen das Ziel, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus zu fördern, neue Ansätze in der präventiv-pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu erproben sowie ak- tive Beratungsnetzwerke als Ansprechpartner für von rechtsextremer Gewalt betroffene Gemeinden und Per- sonen zu unterstützen. Dabei werden sie regelmäßig wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Dies beinhal- tet eine Reflexion und Analyse über Hindernisse und Barrieren des Engagements ebenso wie über das Engagement unterstützende Faktoren. Darüber hinaus ist auf die Förderung der „Arbeits- und Forschungsstelle Rechtsextremismus und Frem- denfeindlichkeit“ hinzuweisen. Aufgabe der Arbeits- und Forschungsstelle ist es, den einschlägigen Forschungsstand und die Erfahrun- gen der pädagogischen Praxis in diesem Feld aufzube- reiten, um vor diesem Hintergrund Anregungen für die Weiterentwicklung der Fachpraxis, Fachdiskussion und der aktuellen Bundesprogramme des BMFSFJ zu geben. Die vorhandenen Erfahrungen werden syste- matisiert und vor dem Hintergrund fachlicher Er- kenntnisse analysiert, um so die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit in der Praxis zu klären und Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Fel- des zu benennen. Ein reger Austauschprozess mit den lokalen Akteu- ren findet überdies bereits heute statt. Die Rückkopp- lung der mit der Betreuung und Durchführung der Bundesprogramme beauftragten Stellen ist für dessen erfolgreiche Arbeit unabdingbar und wird bereits heute intensiv durchgeführt. Aus diesen Gründen halte ich auch Ihre zweite For- derung für entbehrlich. Ihre dritte Forderung scheint zunächst Ausdruck Ih- res mangelhaften Vertrauens gegenüber den Aus- und Fortbildungsmethoden in den Polizeibehörden von Bund und Ländern zu sein. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist in- tegraler Bestandteil der polizeilichen Aus- und Fort- bildung. Interkulturelle Kompetenz wird dabei in den verschiedensten Ausbildungsfächern geschult, wie bei- spielsweise im Staats- und Verfassungsrecht, im Ein- griffsrecht, im Situations- und Kommunikationstrai- ning oder aber der Psychologie. Verantwortlich für die Ausbildung und Fortbildung der Polizistinnen und Polizisten sind in erster Linie die Bundesländer. Ohne an dieser Stelle für alle Länder sprechen zu können, will ich einige Eckpunkte der hes- sischen Ausbildung skizzieren. Gleich im ersten Modul an der Hessischen Hoch- schule für Polizei und Verwaltung werden unter den Stichworten „Gleichstellung und Diskriminierungs- verbot“ sowie unter dem Stichwort „Leitbild“ inter- kulturelle Kompetenzen vermittelt. Im dritten Modul geht es sodann unter dem Oberthema „Polizeiliche Kommunikation und Interaktion“ um die Ausbildung der interkulturellen und sozialen Kompetenz. Noch konkreter wird es sodann in fortgeschrittenen Modulen. Dort gehören unter anderem folgende The- men zum Lehrplan: a) extremistische und terroristi- sche Theorien erkennen können und als Grundlage politisch motivierter Gewalt verstehen; b) sozioökono- mische Hintergründe für das Entstehen von Extremis- mus und Terrorismus kennen; c) grundlegende ethisch relevante Elemente anderer Religionen kennenlernen Zu Protokoll gegebene Reden und d) sich mit ethischen Aspekten des Umgangs mit Angehörigen anderer Religionen und Kulturen auseinandersetzen. Wie am Beispiel Hessens aufgezeigt, bauen die Polizeibehörden eben nicht eine Mauer der Ignoranz und Verharmlosung, sondern sind aktiv daran beteiligt, ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz zu vermitteln. Daher wehre ich mich nochmals entschieden gegen die Wortwahl in Ihrem Antrag. Die nicht zu akzeptierenden Beispiele aus der benannten Reportage erlauben es aus meiner Sicht nicht, verallgemeinernd über die Polizeibehörden in Bund und Ländern zu urteilen. Wie am Beispiel Hessens dargestellt, sehe ich keinerlei Defizite bei der Aus- und Fortbildung unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Bereich der interkulturellen Kompetenz. Dennoch muss es unser Bestreben sein, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auch in diesem Bereich kontinuierlich zu optimieren und gegebenenfalls aufeinander abzustimmen. Insofern trete ich einer bundesweiten Erhebung und einem verstärkten Austausch zu den unterschiedlichen Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz in Bund und Ländern positiv gegenüber. Ein solcher Überblick ermöglicht es, voneinander zu lernen und gegebenenfalls einzelne Ausbildungsstufen besser aufeinander abzustimmen. Das Thema Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft und deren Bekämpfung eignet sich keineswegs für parteipolitische Scharmützel. Es ist mir, es ist der christlich-liberalen Koalition daran gelegen, zweifelsfrei notwendige Verbesserungen im Bereich der deutschen Sicherheitsarchitektur sowie im Bereich der präventiv-pädagogischen Arbeit kontinuierlich vorzunehmen. Wenngleich ich einem Bericht über die bundesweiten Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden aufgeschlossen gegenübertrete und einen Mehrwert darin erkenne, so ist Ihr Antrag in der Gesamtheit abzulehnen, da Ihre erstgenannten Forderungen bereits heute Bestandteile der alltäglichen Arbeit der Sicherheitsbehörden und Bundesprogramme sind und darin zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Mehrwert zu erkennen ist.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ein Jahr ist es nun her, dass wir vom Bestehen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes, NSU, erfahren haben. Damals wie heute bin ich - so wie wir alle hier - zutiefst beschämt und erschüttert, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes wieder rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringen konnte. Gemeinsam mit allen Fraktionen haben wir im Deutschen Bundestag am 22. November 2011 daher einen Beschluss gefasst. Darin haben wir uns einen Prüf- und Handlungsauftrag gegeben. Ich zitiere: „Wir sind entschlossen … die unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch zu ziehen. Dazu ist eine umfassende Fehleranalyse unverzichtbar. Aus Fehlern müssen die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.“ Und: „Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.“ Diesen Prüf- und Handlungsauftrag nehmen wir in der SPD-Fraktion ernst. Daher diskutieren wir heute unseren SPD-Antrag: „Hinschauen - Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus“. Wir wollen das Dunkelfeld rechtsextremer Gewalt- und Propagandadelikte beleuchten, damit wir auch offiziell ein realitätsnahes Bild rechtsextremer Umtriebe in Deutschland haben. Hier reicht die bisherige amtliche Statistik nicht aus. Die Bundesregierung, Herr Minister Friedrich, muss endlich aktiv werden und einen Forschungsauftrag erteilen, bei dem statistisch ermittelt wird, wie viele Menschen Opfer oder Zeuge rechtsextremer Delikte geworden sind. In einem weiteren Schritt müssen die Ergebnisse einer solchen Dunkelfeldstudie mit der amtlichen Statistik politisch motivierter Straftaten abgeglichen werden. Erst dann haben wir eine Annäherung an die tatsächliche Zahl rechtsextrem und rassistisch motivierter Straften. Und diese Annäherung ist dringend notwendig. Fakt ist: Die jetzige Datenlage rechtsextremistisch motivierter Vorfälle und Fälle von Hasskriminalität in Deutschland bildet die Realität nicht vollständig ab. Zivilgesellschaftliche Akteure zählen regelmäßig mehr rechtsextremistische Vorfälle und Fälle von Hasskriminalität als die amtliche Statistik. Während die amtliche Statistik 47 Todesopfer rechtsextremer Gewalt im Zeitraum von 1990 bis 2009 zählte, geben Opferberatungsstellen oder Journalistinnen und Journalisten für die Zeit von 1990 bis 2009 bis zu 181 Todesopfer an. Beide Zählweisen erfassen natürlich nur solche Fälle, in denen durch Zeugenbeobachtungen ein rechtsextremistischer Bezug herzustellen ist. Das Dunkelfeld ist dagegen überhaupt nicht erfasst. Diese Lücke zwischen amtlicher und zivilgesellschaftlicher Zählweise muss aufgearbeitet und aufgeklärt werden. Einige Bundesländer, beispielweise Brandenburg, haben bereits damit begonnen, Fälle auf einen rechtsextremen Hintergrund neu zu prüfen und neu zu bewerten. Das ist der richtige Weg. Der statistische Abgleich alleine aber reicht nicht aus. Die Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses „Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“ der im Übrigen eine fraktionsübergreifende, hervorragende Arbeit leistet - hat mindestens diese Erkenntnis geliefert: Zu Protokoll gegebene Reden Daniela Kolbe ({0}) Es gibt eine tiefe Kluft zwischen Politik und Ermittlungsbehörden, zwischen Abgeordneten und Beamten in den Sicherheitsbehörden, kurzum zwischen Legislative und Exekutive. Hier blicken wir in einen tiefen Graben. Davon können die berechtigten Sachfragen im Klein-Klein der politischen Aufarbeitung nicht ablenken. Das Vertrauen in Verfassungsschutz und Polizeibehörden ist in unserer Bevölkerung, mit und ohne Einwanderungsbiografie, tief erschüttert. Das hat mit dem Umgang einzelner Ermittlungsbehörden mit den Angehörigen und Opfern des NSU damals zu tun. Ich erinnere nur an die wiederkehrenden Aussagen unterschiedlichster Zeugen im 2. Untersuchungsausschuss, man habe ergebnisoffen ermittelt, aber keine Anhaltspunkte für einen rechtsextremen Hintergrund gehabt. Hier müssen wir ansetzen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den deutschen Polizeibehörden kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft. Sie wollen gute Arbeit leisten. Trotzdem sind sie nicht ausgenommen, wenn es um Vorurteile und Stereotype in der Gesamtgesellschaft geht. Vorurteile können die Bewertung und Einbeziehung von Motiven und Hintergründen einer Tat beeinflussen. Allein die Bezeichnung „Soko Bosporus“ ist hierfür beispielhaft. Die Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses hat bis heute bereits eines sehr deutlich gemacht: dass wir die Ausblendung rassistischer und rechtsextremer Tatmotive bei der Ermittlung von Straftaten strukturell in den Polizeibehörden angehen müssen. Hierfür brauchen wir eine weitere Studie, die Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch aufdeckt und benennt. In einer solch repräsentativen Studie sollen die Erfahrungen von Engagierten, die sich mit rechtsextremer Propaganda und rechtsextremer Gewalt auseinandersetzen, transparent gemacht werden. Diese neue Perspektive kann uns helfen, die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen und weitere Schritte zu gehen, um entschlossen Boden gutzumachen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, einen Bericht vorzulegen, der einen bundesweiten Überblick über die Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundesund Landesbehörden gibt. Denn sie sind ein Baustein zur Sensibilisierung einer umfassenden und sachgerechten Polizeiarbeit in der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Täglich finden in Deutschland rechte Gewalttaten statt. Oftmals werden sie gar nicht erst als solche benannt. Sie tauchen allenfalls als einfache Schlägereien in der Statistik auf. Immer ist die Rede von Einzeltätern und Einzeltaten. Das müssen wir ändern. Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir im Plenum die Große Anfrage der Linksfraktion zu den Opferzahlen rechtsextremer Gewalt beraten. Damals galt die Anteilnahme aller Parlamentarier den Opfern von extremistischen Gewalttaten und ihren Angehörigen. Und auch heute ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir als Demokraten kein Opfer des Rechtsextremismus vergessen werden. Sie verdeutlichen uns auf schmerzliche Weise, dass wir jeden Tag aufs Neue für ein demokratisches, freiheitliches und tolerantes Miteinander werben und kämpfen müssen. Heute liegt uns der Antrag der SPD mit einem ähnlichen Schwerpunkt vor. Die Sozialdemokraten beklagen zum einen, dass es ein Dunkelfeld in der Statistik zum Rechtsextremismus gebe. Die journalistisch ermittelten Opferzahlen würden nicht den amtlichen Zahlen entsprechen. Zum anderen moniert die SPD in ihrem Antrag, dass es aufseiten der Polizei und Strafverfolgungsbehörden Ignoranz und Verharmlosung gegenüber dem Rechtsextremismus geben würde. Beide Argumente haben wir in der Debatte vor einem Jahr schon einmal von den Linken gehört. Damals war der Eindruck, die Gefahren des Rechtsextremismus nicht ernst genug genommen zu haben, unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Verbrechen des NSU noch frisch. Ein Jahr danach ist meine Empfindung aber, dass unsere Gesellschaft reifer und sensibler im Umgang mit dem Problem des Rechtsextremismus geworden ist. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung haben die Untersuchungsausschüsse und Gremien zur Aufarbeitung der NSU-Verbrechen geleistet. Deren Arbeit ist längst noch nicht abgeschlossen. Die notwendigen politischen Schlussfolgerungen müssen noch gezogen werden. Dennoch haben sie spürbar zu einem Bewusstseinswandel beigetragen. Dieser wird auch anhand der gestiegenen öffentlichen Sensibilität für rechtsextreme Straf- und Gewalttaten deutlich. Und ich denke, auch bei Polizei und den Strafverfolgungsbehörden hat es einen Lernprozess gegeben. Ich halte es daher für falsch, den Behörden generell Ignoranz und eine Verharmlosung des Rechtsextremismus vorzuwerfen. Die Frage der statistischen Erfassung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten haben wir vor einem Jahr schon einmal debattiert. Zunächst bin ich den Journalisten dankbar, die uns auf die Diskrepanz zwischen offizieller und tatsächlicher Statistik beim Rechtsextremismus hingewiesen haben. Aber es ist auch richtig, dass sich das 2001 beschlossene Definitionssystem, auf dem die amtliche Statistik beruht, grundsätzlich bewährt hat. Es wird kontinuierlich evaluiert. Es ist jedoch entscheidend, dass das System auch konsequent angewandt wird. Da sind vor allem die Länder in der Pflicht. Denn die Bewertungshoheit für Straftaten liegt grundsätzlich bei ihnen. Das Bundeskriminalamt ist nur für die bundesweite Zusammenführung und die Analyse der von den Ländern erhobenen und gemeldeten Fälle zuständig. Insofern müssen wir für eine verbesserte Wahrnehmung des Rechtsextremismus bei den zuständigen Behörden der Länder Zu Protokoll gegebene Reden werben. Ich bin überzeugt, dass sich dort das Bewusstsein für die richtige Einordnung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten in letzter Zeit geschärft hat. In den letzten Jahren hat sich die Lücke zwischen den in der Presse genannten Fallzahlen und der offiziellen Statistik wieder geschlossen. Daran sollte weiter gearbeitet werden. Vorwürfe an die Behörden, wie sie die SPD in ihrem Antrag bringt, halte ich hingegen für falsch. Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen zu den beiden Forderungen der SPD nach staatlichen Forschungsaufträgen im Bereich des Rechtsextremismus. Als Liberaler war ich schon immer skeptisch, wenn der Staat Forschungsaufträge an die Wissenschaft erteilt hat. Für mich ist es viel wichtiger, die Freiheit der Wissenschaft durch verbesserte Rahmenbedingungen zu stärken. Im Bereich des Rechtsextremismus sehe ich diese Hindernisse aber grundsätzlich nicht. Hier werden schon seit Jahren von zahlreichen wissenschaftlichen und auch zivilgesellschaftlichen Institutionen hervorragende Studien veröffentlicht. Insofern bin ich allgemein sehr zurückhaltend, was staatliche Forschungsaufträge betrifft. Im Konkreten sehe ich bei der ersten Forderung der SPD viele Schwierigkeiten, wenn externe Personen zur Erstellung einer vergleichenden Statistik Zugriff auf sensible polizeiliche Falldaten bekommen sollen. Die zweite Forderung der SPD, die Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus staatlich zu erforschen, halte ich hingegen für nicht notwendig. Gerade in letzter Zeit sind viele Studien in diesem Bereich erschienen, die von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Warum sollte ein staatlicher Forschungsauftrag da notwendig sein? Über den dritten Punkt der SPD, einen Bericht über interkulturelle Kompetenz bei den Sicherheitsbehörden, können wir gern im Rahmen der Ausschussberatungen diskutieren. Dazu wäre aber ein ganzer Antrag mit einem falschen Duktus nicht notwendig gewesen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die generelle Stoßrichtung dieses Antrags, den angesichts der NSU-Mordserie von allen Bundestagsfraktionen gemeinsam beschlossenen Antrag vom November 2011 mit Leben zu füllen, ist richtig. Allerdings sind die konkreten Vorschläge zwar sicher gut gemeint, aber aus Sicht der Linken nicht unbedingt gut gemacht. Ausgangspunkt des Antrags ist die umstrittene Datengrundlage der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten. Für eine realistische Einschätzung der Gefahren durch die extreme Rechte bedarf es einer realistischen Grundlage, und das heißt auch: eines realistischen Zahlenmaterials. Dass dieses vonseiten der Bundesregierung nicht erhoben wird, beklagt die Linke seit vielen Jahren. Die vom Verfassungsschutz vorgelegten Zahlen sind, wie jeder weiß, im besten Fall eine grobe Annäherung an die Realität. Im Regelfall sind sie dagegen eine ideologisch motivierte Verschleierung der realen Verhältnisse. Nicht zuletzt den seit Jahren regelmäßigen Anfragen der Linken und davor der PDS ist es zu verdanken, dass die Bundesregierung zu bestimmten Phänomenbereichen wie antisemitischen Straftaten, Naziaufmärschen oder Rechtsrockkonzerten überhaupt Datenmaterial erhebt und zur Verfügung stellt. Die von der Regierung zur Verfügung gestellten Daten bilden jedoch nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Gefahr von rechts ab. Sie basieren schließlich auf dem eingeschränkten und der unwissenschaftlichen Extremismustheorie verpflichteten Blick der Verfassungsschutzbehörden. Am eklatantesten ist die Differenz in der Einschätzung bei den rechtsextrem bzw. rassistisch motivierten Tötungsdelikten seit 1990. Während die Bundesregierung hier von 57 Todesopfern - unter Einschluss der NSU-Opfer - ausgeht, haben unabhängige Einrichtungen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung oder die Zeitungen „Tagesspiegel“ und „Zeit“ zwischen 140 und 180 Todesopfer rechtsextrem oder rassistisch motivierter Gewalt gezählt. Diese Differenz ist so erheblich, dass man von einer völlig unterschiedlichen Einschätzung der tödlichen Gefahr von rechts sprechen kann. Allein die Linke hat mit zwei Großen Anfragen zu diesem Thema in dieser und der letzten Legislatur die Bundesregierung gezwungen, sich immer wieder neu mit den Zahlen zu befassen. Die SPD schlägt nun vor, die Bundesregierung solle einen Forschungsauftrag erteilen, um zu ermitteln, wie viele Menschen Opfer oder Zeugen von rechtsextremer Gewalt und Propagandadelikten geworden sind. Nun stelle ich es mir schon schwer vor, genau zu bestimmen, wer Zeuge oder Opfer von Propagandadelikten geworden ist. Was ist beispielsweise mit einem großen Hakenkreuz im U-Bahnhof, an dem täglich Tausende vorbeigehen? Und so bringt der SPD-Antrag insgesamt eine etwas naive Wissenschaftsgläubigkeit zum Ausdruck. Eine vermeintliche Objektivierung durch die Wissenschaft soll an die Stelle der Auswertung durch Praktiker aus Opferberatungen und Journalismus treten. Was aber spricht gegen die Zahlen, die von dieser Seite vorgelegt wurden? Sie sind einsehbar, und über jeden einzelnen Fall und seine Beurteilung kann öffentlich diskutiert und gestritten werden. Letztlich wird es immer um die Frage gehen, welche Kriterien für die Frage nach einer rassistischen bzw. rechtsextremen Tatmotivation angelegt werden. Eine wissenschaftliche Auftragsforschung, gar noch vonseiten einer dem ideologisch motivierten Extremismusansatz ergebenen Bundesregierung, würde Ergebnisse zutage fördern, die ganz im Sinne der Regierung sind. Es macht eben einen Unterschied, ob ein sogenannter Extremismusforscher wie Eckhard Jesse oder ein ernsthafter Sozialwissenschaftler wie Wilhelm Heitmeyer eine solche Untersuchung durchführt. Warum sollten dann aber nicht gleich diejenigen damit beauftragt werden, die in ihrer alltäglichen beruflichen und ehrenamtlichen Arbeit an der Basis mit den Fällen zu tun Zu Protokoll gegebene Reden haben oder sich intensiv und seit vielen Jahren mit der Beobachtung der Naziszene befassen? Die Linke schlägt seit Jahren die Einrichtung einer aus Bundesmitteln finanzierten unabhängigen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vor. Eine solche Stelle wäre der Ausgangspunkt für eine realistische Einschätzung der Gefahren von rechts. Natürlich ließe sich hier auch wissenschaftliche Expertise integrieren - aber eben nicht als Regierungsauftrag. Auch die zweite Forderung, ein Forschungsauftrag zur Aufdeckung der Hindernisse beim Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, ist gut gemeint. Er verkennt aber, dass es bereits zahlreiche Arbeiten aus der Begleitforschung zu „Civitas“ und anderen Bundesprogrammen gibt. Zudem wäre es auch hier angebracht, zunächst die Praktiker der Projekte selber zu hören, die Jahr für Jahr ihre Beschwerden zu den vorhandenen Hindernissen vorbringen. Der Berichtswunsch zur interkulturellen Kompetenz in den sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbehörden ist sinnvoll und nützlich und findet unsere Unterstützung. Alles in allem geht der SPD-Antrag zwar in die richtige Richtung, er wählt aber einen aus Sicht der Linken zu staatsfixierten Ansatz. Eine unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wäre der bessere Weg und würde nach unserer Überzeugung bessere Ergebnisse bringen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir müssen rechtsextreme Gewalt ganz klar beim Namen nennen und die Opfer in jeder Hinsicht unter- stützen und stärken. Das setzt voraus, dass menschen- feindliche Motivationen bei Gewalttaten erkannt wer- den. Die Statistik hängt stark von der politischen Sensibilität der Ermittlungsbehörden und Meldestellen ab. So kommt es, je nach Quelle, zu teilweise erhebli- chen statistischen Abweichungen. Die Zahl der Todesopfer extrem rechter Gewalt in Deutschland variiert nach der Zählweise. „Tagesspie- gel“ und „Die Zeit“ führen an, dass seit 1990 mindes- tens 149 Menschen durch rechte Gewalt getötet wur- den. 169 Todesopfer porträtiert die Wanderausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990“. Einige dieser Schicksale bewegten die Öffentlichkeit; viele wurden kaum zur Kenntnis genommen. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, die öffentliche Erinnerung an diese Men- schen wachzurütteln und einzufordern. 182 Todesfälle rechter Gewalt dokumentiert der Opferfonds Cura der Amadeu-Antonio-Stiftung. Unverständlich wirkt angesichts solcher zivilgesell- schaftlichen Erhebungen die offizielle Statistik. Nur 47 Todesopfer erkannte die Bundesregierung bis 2009 an. Im Zuge der Untersuchungen zum NSU wurde die Statistik leicht nach oben korrigiert. Im Februar 2012 galt laut Polizeilicher Kriminalstatistik immerhin als erwiesen, dass von 1990 bis 2011 durch rechtsextrem motivierte Täter 58 Menschen ihr Leben verloren. Dennoch klafft zwischen staatlicher und zivilgesell- schaftlicher Auflistung eine große Lücke, die auf ein bedenkliches Erkenntnisproblem der staatlichen Be- hörden hinweist. Dieses Erkenntnisproblem wird leider von der schwarz-gelben Koalition nicht kritisiert. Vielmehr er- läutern manche Abgeordneten sogar, warum es gut sei, auf dem rechten Auge blind zu bleiben. In besonders unangenehmer Erinnerung ist mir dabei die Bundes- tagsrede des FDP-Kollegen Hartfrid Wolff am 1. De- zember 2011. Er bezeichnete die Statistiken aus der Zi- vilgesellschaft als „unseriös“ und verstieg sich zu der Behauptung, sie legten „bei ihren Bewertungen keine rechtsstaatlichen Maßstäbe zugrunde“. Das Verfahren der Bundesregierung hingegen hielt er für unantast- bar, da diese nur die Straftaten als rechtsextrem zähle, die „gerichtlich als solche verurteilt wurden“. Dass dabei ein Problem auftritt, wenn weder Polizei noch Justiz ausreichend für rechtsextreme Hintergründe sensibilisiert sind, blendete er komplett aus. Seine Aus- lassungen gipfelten in der unverschämten Anklage: „Antifaschismusarbeit ist seit jeher Kernelement links- extremistischer Aktivität.“ Wer mit solchen Parolen den Rechtspopulisten in die Hände spielt, kann weder gute Politik zum Schutz von Opfern von menschen- feindlicher Gewalt machen noch eine realitätsgerechte Opferstatistik fördern. Hinzu kommt, dass in Statistiken nur die bekannt- werdenden Fälle zum Tragen kommen. Die vorhan- dene Dunkelziffer rechter Diskriminierungen und tätli- cher Übergriffe wird überhaupt nicht erfasst. Dass sie existiert, steht zweifelsfrei fest. Viele Opfer wagen es nicht, Straftaten anzuzeigen. Einerseits befürchten sie, dass ihnen nicht geglaubt wird und sie mit institutio- nellem Rassismus oder anderen Vorurteilen konfron- tiert werden könnten. Andererseits haben etliche auch Angst vor der Rache der Täter. Diese Befürchtungen sind leider nicht unberechtigt. So wurden etwa die Angehörigen der NSU-Opfer tatsächlich selbst verdächtigt, Gewalt ausgeübt zu ha- ben, während man offenkundigen Spuren ins rechts- extreme Milieu nicht nachging. Auf diese Art tragen die betreffenden Behörden sogar eine Mitverantwor- tung, indem sie weitere Straftaten des NSU nicht recht- zeitig verhinderten. Auch werden Angegriffene nicht immer angemessen geschützt. Ein beschämendes aktuelles Beispiel gibt es im sächsischen Hoyerswerda. Der Fall eines dort le- benden Paares ging kürzlich durch die Medien. Die beiden hatten rechte Aufkleber in der Stadt entfernt und waren daraufhin von 15 Nazis im Treppenhaus ei- nes Wohnblocks überfallen und bedroht worden. Die Polizei traf verzögert ein und legte dem Paar nahe, aus Sicherheitsgründen die Stadt zu verlassen. Das kommt einer Kapitulation vor Nazigewalt nahe, die sich un- sere Gesellschaft nicht leisten darf. Das späte Eintref- fen wurde durch einen Mangel an Polizeikräften ge- Zu Protokoll gegebene Reden rechtfertigt. Tatsächlich hat es in Hoyerswerda seit 2009 eine Reduzierung von Polizeibediensteten von 136 auf 104 gegeben. Doch nicht nur eine zahlenmä- ßig ausreichende, sondern vor allem auch eine Polizei mit Problembewusstsein für rechte Straftaten ist von- nöten. Die Behörden müssen stärker sensibilisiert werden. Es genügt nicht, wenn das Bundesinnenministerium erklärt, man habe es bei abweichenden Opferzahlen mit einer „systemimmanenten Bewertungsbreite“ zu tun. Das Erfassungssystem zur politisch motivierten Kriminalität muss auf den Prüfstand. Derart gravie- rende „Ermessensspielräume“ sind bei der Bewertung von Tötungsdelikten nicht akzeptabel. Wir fordern nachvollziehbare und transparente Bewertungsmaß- stäbe für politisch motivierte Kriminalität. Diese müs- sen dann von Polizei und Justiz konsequent angewandt werden. Vor allem aber darf die Expertise der zivilge- sellschaftlichen Stellen nicht ausgeblendet oder gar als unliebsame Konkurrenz abgelehnt werden. Im kürzlich beendeten Haushaltsverfahren für 2013 wurde der Härtefonds für Gewaltopfer im Bundesjus- tizministerium um eine halbe Million Euro erhöht. Dies war durch gestiegene Fallzahlen notwendig. Es ist gut, dass mehr Opfer den Schritt, eine Entschädi- gung einzufordern, wagen. Doch so lange ein rechts- extremer Hintergrund der Tat nicht offiziell anerkannt ist, erhalten die Antragsteller aus diesem Geldtopf kein Geld. Auch deshalb muss der Blick der Behörden ge- schärft werden. Wir begrüßen den Antrag der SPD, die Forschung im Bereich rechter Gewalt zu vertiefen. Die Erfassung muss verbessert, die Dunkelziffer verringert werden. Dabei ist es wichtig, dieses Vorhaben in den Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Demokratieoffensive einzubetten. Mehr interkulturelle Kompetenz und spe- zifische Weiterbildungen in sicherheitsrelevanten Be- hörden gehören ebenso dazu wie Projekte zur Stärkung von Menschen mit Migrationshintergrund und anderen potenziellen Opfern rechter Gewalt. Unverzichtbar sind ein Ausbau der Opferberatung, besonders in Westdeutschland, sowie eine finanzielle Verstetigung vorhandener Strukturen im gesamten Bundesgebiet. Allerdings setzen wir nicht, wie die SPD in ihrem Antrag, auf das „Frühwarnsystem“ Verfas- sungsschutz. Denn dieser hat versagt. Wir setzen da lieber auf ein zu gründendes „Institut Demokratieför- derung“, wie unsere Bundestagsfraktion in dieser Wo- che beschlossen hat. Die schwarz-gelbe Koalition hat letzte Woche für den Haushalt 2013 die Chancen zur langfristigen För- derung von Initiativen gegen Rechtsextremismus aus- geschlagen und unsere guten Konzepte abgelehnt. Bündnis 90/Die Grünen setzten sich für ein 50-Millio- nen-Programm gegen gruppenbezogene Menschen- feindlichkeit ein, aus dem auch Opferberatungsstellen unbürokratisch Mittel erhalten, um ihre wichtige Ar- beit vor Ort leisten zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11366 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist jemand damit nicht einverstanden? - Es meldet sich niemand. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts - Drucksache 17/11468 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})- Innenausschuss- Rechtsausschuss- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit- Ausschuss für Tourismus b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baugesetzbuch wirklich novellieren - Drucksache 17/10846 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})- Rechtsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen - Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung - zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Barrieren abbauen - Mobilität und Wohnen für alle - Drucksachen 17/6295, 17/9426, 17/9406, 17/11646 Berichterstattung:Abgeordneter Volkmar Vogel ({3}) Präsident Dr. Norbert Lammert Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen dann zur Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11468 und 17/10846 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Vorlage auf Drucksache 17/10846 soll federführend vom Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beraten werden. - Einwände gibt es keine. Dann ist das so beschlossen. Unter Tagesordnungspunkt 21 c geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/11646. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/6295 mit dem Titel „Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen - Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ({4}) - Die Beschlussempfehlung ist trotzdem angenommen. Ich nehme aber den hartnäckigen Wunsch auf Festhalten der Enthaltung gerne zu Protokoll. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9426 mit dem Titel „Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln“. Wer möchte sich enthalten? ({5}) - Na also. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Dann ist die Beschlussempfehlung angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9406 mit dem Titel „Barrieren abbauen - Mobilität und Wohnen für alle“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wiederum ein paar Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken - Drucksachen 17/4682, 17/5055, 17/11263 Berichterstattung:Abgeordnete Günter BaumannWolfgang GunkelGisela PiltzFrank TempelDr. Konstantin von Notz Die dazu vorbereiteten Reden werden zu Protokoll genommen.

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In ihrem Antrag verfolgt die Fraktion Die Linke die Intention, alle Bundespolizistinnen und Bundespolizis- ten mit einer individuellen Kennzeichnung zu verse- hen. Gefordert wird ein rechtlicher Rahmen zur Ein- führung von Nummerncodes oder Namensschildern, anzubringen an den Uniformen der Beamten. Diesem Ansinnen trete ich entschieden entgegen. Eine Kenn- zeichnungspflicht für die Angehörigen der Bundespoli- zei hat meines Erachtens einer Stigmatisierung der Be- amten zur Folge. Es wird der Eindruck vermittelt, Beamte nutzen ihre Sonderstellung, um ungesühnt Straftaten zu begehen. So zumindest argumentiert die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag. Ich frage Sie, meine Damen und Herren der Linken: Wollen Sie wirk- lich die Beamten der Bundespolizei unter diesen Gene- ralverdacht stellen? Ich weise darauf hin, dass Sie mit einer solchen Aussage nicht nur die Bundespolizei in ein schlechtes Licht rücken, sondern auch unseren Rechtsstaat. In einem Rechtsstaat werden alle Strafta- ten entsprechend verfolgt und untersucht - auch die Straftaten von Angehörigen der Polizei. Die Aufgabe der Bundespolizei ist es, die Bürgerin- nen und Bürger vor Gefahren zu schützen und die Si- cherheit und Ordnung zu wahren. Dieser Aufgabe, welche oberste Priorität besitzt, widmen sich die Be- amten tagtäglich und setzen sich somit fortwährend Gefahren für Leib und Leben aus. Wie sollen die Be- amten dieser wichtigen und auch schwierigen Aufgabe gerecht werden, wenn sie befürchten müssen, unge- rechtfertigten Vorwürfen ausgesetzt zu werden bzw. sie unter Umständen ihre eigenen Angehörigen in Gefahr bringen? Zudem liegen keine ausreichenden Erkennt- nisse vor, die belegen, dass Ermittlungsverfahren ge- gen Polizeibeamte der Bundespolizei nicht aufgeklärt werden konnten, weil es an einer individuellen Kenn- zeichnung fehlte. Sind Beamte mit individuellen Kennzeichnungen - seien es Nummerncodes oder Namensschilder - ver- sehen, besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass hie- rüber ihre Namen und die ihrer Angehörigen ermittelt werden. Somit besteht eine Gefahr sowohl für die Be- amten als auch für ihre Familien. Mit der Gewichtung 1) Anlage 10 der Aufgabe, welcher sich die Beamten der Bundespolizei gewissenhaft widmen, erhöht sich auch die Pflicht des Staates, seine Beamten entsprechend zu schützen. Hieraus resultiert ein Anspruch der Beamten auf Schutz der Persönlichkeitsrechte, der gegenüber dem Interesse der Bürger an einer individuellen Kennzeichnung höher zu bewerten ist. Zu bedenken ist zudem, dass bei den heutigen medialen Möglichkeiten Videos und Bilder während Veranstaltungen gemacht werden, welche sich sofort im Internet wiederfinden. Wie schwer bzw. unmöglich es ist, einmal sich im Internet befindliche Bilder und Daten zu entfernen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Mit anderen Worten: Die Polizeibeamten, die während ihres Einsatzes zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger gefilmt oder in irgendeiner anderen Form aufgenommen werden, sind samt ihrer Kennung anschließend für jeden einsehbar und auffindbar. Dieser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beamten ist nicht vertretbar oder in irgendeiner Form nachvollziehbar. Auch trete ich dem Argument entgegen, dass eine Kennzeichnungspflicht die Transparenz staatlichen Handelns unterstreicht. Ich betone erneut, dass die derzeitige Gesetzeslage der Transparenz staatlichen Handelns bereits entsprechend gerecht wird. Alles Weitere, darüber Hinausgehende ist unsinnig und greift über die Maßen in das Persönlichkeitsrecht der Beamten ein. Die Beamten müssen sich, auf Nachfrage der von staatlichen Handlungen betroffenen Personen, ausweisen. Bei geschlossenen Einsätzen kann über die taktische Kennzeichnung der Einheit und die Einsatzdokumentation die Legitimation erreicht werden. Alles in allem besteht mithin keine Notwendigkeit, den Angehörigen der Bundespolizei eine Kennzeichnungspflicht aufzuerlegen. Die Gefahren für die Beamten sind zu groß, und ein Generalverdacht in diesem Sinne widerspricht der Fürsorgepflicht des Staates für seine Beamten. Der Antrag ist abzulehnen. Weiterhin kann die CDU/CSU-Fraktion auch dem zweiten Antrag der Linken nicht zustimmen, mit welchem sie den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränkten wollen, um die erhöhte Gefahr für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Menschen, die unter Einfluss von Drogen stehen, einzudämmen. Pfefferspray ist ein Mittel, das zwischen dem Schlagstock und der Schusswaffe liegt. Unbestritten ist, dass der Einsatz von den vorgenannten Mitteln zu erheblichen Verletzungen führen kann, aber nicht muss das möchte ich betonen, wohingegen Pfefferspray lediglich ein kurzzeitiges Unwohlsein bei dem Betroffenen hervorruft. Bei dem Einsatz von Mitteln zur Gefahrenabwehr ist - und das sollten Sie wissen, sehr geehrte Damen und Herren von den Linken - immer auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip abzustellen. In vielen Gefahrensituationen ist der Einsatz von Pfefferspray jenes Mittel, dessen Einsatz im Einzelfall das mildere und zugleich das effektivste ist. Gerade bei Demonstrationen mit einer größeren Anzahl an Menschen kann Pfefferspray eine eskalierte bzw. eine zu eskalieren drohende Situation am effektivsten beenden, ohne erhebliche Schäden herbeizuführen. Eine mögliche Gefahr für Menschen mit gesundheitlichen Problemen möchte ich an dieser Stelle auch nicht unbedingt abstreiten. Aber gäbe es diese Gefahr nicht auch, wenn die Beamten anstelle des Pfeffersprays die anderen Einsatzmittel nutzen würden? Es kann doch nicht Ihr Ansinnen sein, den Einsatz der anderen - aus meiner Sicht auch gefährlicheren Mittel - zu verstärken. Denn das wäre die Konsequenz, wenn sie die Möglichkeit zum Einsatz von Pfefferspray verhindern. Unter welchen Möglichkeiten sollen die Beamten denn sonst wählen, um die Ordnung und Sicherheit zu garantieren bzw. wiederherzustellen? Für einen Polizeibeamten, welcher eine Maßnahme vornehmen muss, ist es ein psychologischer Vorteil, eine Auswahl an verschiedenen Einsatzmitteln zu haben. Darüber hinaus, meine Damen und Herren von der Linken, sollten Sie mehr Vertrauen in unsere Polizeibeamten haben. Diese üben ihren Dienst mit höchster Vorsicht und gewissenhaft aus. Ich verweise auch darauf, dass die Mittel zur Gefahrenabwehr nur zum Einsatz kommen, wenn dies auch erforderlich ist. Insoweit kann es bei friedlichen Demonstrationen - und damit auch bei unbeteiligten Dritten - nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen. Jeder, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, muss auch mit den Konsequenzen leben können. Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zudem mündig genug, um sich der Konsequenzen ihres Handels bewusst zu sein. Abschließend bleibt zu sagen, dass auch dieser Antrag abzulehnen ist. Die Polizeibeamten benötigen entsprechende Mittel, um ihre Arbeit entsprechend und verhältnismäßig durchführen zu können und um die Gefahr für Leben und Leib des Bürgers zu minimieren. Den Einsatz von Pfefferspray halte ich daher für mehr als gerechtfertigt. Wir wollen Polizisten schützen und setzen hohes Vertrauen in ihre Arbeit. Mit den beiden Anträgen der Linken wird Misstrauen gegen Polizisten geschaffen und sollen Straftäter geschützt werden. Wolfgang Gunkel ({0}): Beide Anträge der Linken wurden in einer gesonderten Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages im vergangenen Jahr ausführlich diskutiert. Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ist auch in der SPD-Bundestagsfraktion schon länger Debattengegenstand. In einem Rechtsstaat darf es keine Gewalteskalationen durch die Polizei geben. Bei Straftaten durch Beamtinnen und Beamte sind umgehend strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Straftäter in der Polizei sind sowohl für die Polizei als auch für ihr Image schlecht. Zu Protokoll gegebene Reden Wolfgang Gunkel Dennoch verwahre ich mich gegen den eventuell aufkommenden Eindruck, jede Demonstration werde seitens der Polizei zu einem hemmungslosen Spannungsabbau genutzt. Es handelt sich hier um Einzelfälle, nicht um ein gesamtpolizeiliches Phänomen! Die Kolleginnen und Kollegen sind an vielen Wochenenden in der gesamten Republik unterwegs, in unterschiedlichsten Lagen, ob Castor, Fußballspiel oder Demonstration. Oft üben sie ihren sehr verantwortungsvollen Beruf unter schlechten Bedingungen aus. Über die Zufriedenheit der Beamtinnen und Beamten mit ihrem Beruf im Zusammenhang mit der StrohmeierStudie haben wir auch schon ausführlich im Innenausschuss gesprochen. Der Antrag der Fraktion Die Linke pauschalisiert nach meiner Meinung an einigen Stellen zu stark. Andererseits fordert er auch Dinge, die bereits geregelt sind. Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir uns an dieser Stelle enthalten. Grundsätzlich hat die SPD-Bundestagsfraktion nichts dagegen, eine Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei einzuführen. In einigen Bundesländern ist die Kennzeichnungspflicht schon Realität. Bisher werden laut einer wissenschaftlichen Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von circa 58 Prozent der Polizeibeamten in Deutschland auf freiwilliger Basis im Einzeldienst und auf Streife Namensetiketten getragen. Das Tragen von Namensschildern - oder im Bedarfsfall einer Identifikationsnummer - ist heute in einer modernen, weltoffenen und bürgernahen Polizei ein selbstverständliches Element der Service- und Kundenorientierung, die von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet werden kann. Zudem trägt es zur Stärkung des Vertrauens in die Polizei bei, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht einer anonymen Staatsmacht gegenüberstehen, sondern einer dialogbereiten und individuell verantwortlich handelnden Polizei. Es gibt aber auch gute Argumente gegen eine Kennzeichnungspflicht: So kann man sie als Ausdruck eines unberechtigten Misstrauens gegen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werten. Zudem birgt eine individuelle Kennzeichnung die Gefahr, dass Polizistinnen und Polizisten sowie ihre Familienangehörigen Belästigungen und Sanktionen ausgesetzt werden. Dieses Bedrohungspotenzial darf keinesfalls außer Acht gelassen werden, gerade unter der weiter oben bereits erwähnten Prämisse der hohen Anforderungen dieses Berufes. Die Fraktion Die Linke fordert in dem vorliegendem zweiten Antrag „Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken“, den Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen zu verbieten, die sich in Ansammlungen, wie einer Demonstration oder bei einem Fußballspiel, befinden. Das halte ich für übertrieben und nich