Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir wünschen uns gemeinsam einen schönen Nachmittag.
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht Afghanistan.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr
Michael Georg Link. Lieber Herr Staatsminister, ich darf
Ihnen das Wort erteilen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, Ihnen heute im Namen der Bundesregierung
den mittlerweile fünften Fortschrittsbericht zu Afghanistan vorlegen zu können. Erstellt wurde der Bericht wie
immer durch die in Afghanistan engagierten Ressorts,
also neben dem Auswärtigen Amt das Bundesministerium der Verteidigung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium des Innern und natürlich auch das
Kanzleramt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie es aus den
vorangegangenen Berichten kennen, deckt die Bundesregierung in dem Fortschrittsbericht erneut die drei
zentralen Aufgaben des internationalen Engagements in
Afghanistan ab: Sicherheit, Staatswesen und Regierungsführung sowie Wiederaufbau und Entwicklung.
Mit der Ausrichtung der Internationalen AfghanistanKonferenz in Bonn im Jahre 2011 hatte Deutschland im
vergangenen Dezember den Auftakt für die Diskussion
der Afghanistan-Politik nach dem Ende des ISAF-Einsatzes 2014 gesetzt. Seit Mai dieses Jahres haben wir auf
weiteren Konferenzen in Chicago, Kabul und Tokio sehr
intensiv gearbeitet. Das reflektiert sich bereits in den Ergebnissen des Fortschrittsberichtes. Dabei standen die
weitere internationale Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte, der Regionalprozess mit dem
arabesken Titel „Im Herzen Asiens“ und die zivile Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan 2014 im Mittelpunkt. Besonderes Gewicht fanden im Bericht die Ergebnisse der großen Afghanistan-Konferenzen und ihre
jeweilige Umsetzung.
Eng verbunden mit dem vorgestellten Bericht ist auch
das heute Morgen im Bundeskabinett behandelte neue
ISAF-Mandat. Deutschland hält, genauso wie seine
ISAF-Partner, an der Entscheidung zu einer verantwortungsvollen Verringerung der Einsatzkräfte bis zum Abzug der ISAF-Truppen Ende 2014 fest. Zugleich wird
Ende 2014 die sogenannte Transition, also die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände, abgeschlossen sein. Für das neue Mandat hofft die Bundesregierung auf breite und fraktionsübergreifende Unterstützung im Deutschen Bundestag. Das neue Mandat
bekräftigt die Trendwende, die wir vor einem Jahr eingeleitet haben. Bis Ende Februar 2014 - so ist es mit Blick
auf die Bundestagswahl vorgesehen, um einer sich dann
bildenden Bundesregierung die Gelegenheit zu geben,
das Mandat vorzubereiten, und dem Bundestag die Gelegenheit zu geben, es mit etwas Abstand zur Bundestagswahl zu behandeln - sollen mehr als 1 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten Afghanistan verlassen haben. Das
Ende unseres Kampfeinsatzes in Afghanistan rückt damit deutlich näher. Erstmals ist im Forschungsbericht
deshalb eine Übersicht über die wichtigsten Aufgaben,
die bis zum Ende des ISAF-Einsatzes für Deutschland,
die internationale Gemeinschaft und Afghanistan Vorrang haben, enthalten.
In Afghanistan liegen Licht und Schatten dicht beieinander. Mit Blick auf die Sicherheitslage setzte sich
auch 2012 der leicht positive Trend des Vorjahres fort.
Landesweit gab es bei deutlichen regionalen Unterschieden erneut weniger sicherheitsrelevante Zwischenfälle,
aber die Sicherheitslage ist in vielen Teilen Afghanistans
noch instabil. In diesem Zusammenhang ist die Zunahme der Zahl der Anschläge durch sogenannte Innen25562
täter in den afghanischen Sicherheitskräften auf ihre eigenen Kameraden und auf ISAF-Angehörige besonders
besorgniserregend. Diese perfiden Anschläge nimmt die
Bundesregierung sehr ernst. Diese Bedrohung ist nicht
wegzureden, sondern es sind verstärkte Anstrengungen
erforderlich.
Zugleich können wir heute feststellen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Aufgaben immer besser
und mit wachsender Selbstständigkeit erfüllen. Daraus
ziehen wir - und das ist wichtig - die begründete Zuversicht, dass die afghanischen Sicherheitskräfte mit Abschluss der Transition Ende 2014 in der Lage sein werden, die Gesamtverantwortung für die Sicherheit in
Afghanistan zu tragen. Um die Nachhaltigkeit des Erreichten wirklich sicherzustellen, werden wir uns weiterhin in Afghanistan engagieren. Wir wollen die afghanischen Sicherheitskräfte auch nach 2014 ausbilden,
beraten und finanziell zu ihrer Ausrüstung beitragen.
Vor diesem Hintergrund wird Deutschlands Beitrag
künftig in der Hauptsache darin bestehen, Afghanistan
bei der Verbesserung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage zu unterstützen. Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz von Tokio am 8. Juli 2012
vereinbarten Afghanistan und die internationale Gemeinschaft gegenseitige Rechenschaftspflichten. Deutschland
ist Mitglied des Gebergremiums, das die Umsetzung der
Ergebnisse von Tokio koordiniert. Diese Aufgabe nehmen wir besonders ernst. Neben ihrem entwicklungspolitischen Engagement wird die Bundesregierung deshalb den Vorsitz Deutschlands in der Internationalen
Kontaktgruppe für Afghanistan und Pakistan nutzen, um
die Ziele der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan zu erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Der neue Fortschrittsbericht zeigt den aktuellen
Stand der Umsetzung unseres ressortübergreifenden Ansatzes in der Afghanistan-Politik. Es werden viele
Punkte angesprochen, und zwar realistisch. Ich möchte
deutlich machen, dass es allen beteiligten Ressorts, die
zu diesem Bericht beigetragen haben - es war eine
enorme Anstrengung aller beteiligten Ressorts; ich habe
sie gerade ausdrücklich genannt -, wichtig war, die Verhältnisse realistisch zu schildern. Nicht Optimismus,
nicht Pessimismus, sondern Realismus ist der einzige
Weg, auf dem wir tatsächlich vorankommen und in Afghanistan helfen können. Man darf das Ganze nicht
durch die rosarote Brille betrachten. Es ist wichtig, sich
ehrlich zu machen und die Dinge ungeschminkt anzusprechen.
Sie werden in dem Bericht viele sehr lesenswerte, gerade auch auf die kritische Lage eingehende realistische
Lagebeschreibungen finden, positive und negative Bestandsaufnahmen. Ich empfehle im Namen der Bundesregierung diesen Bericht der breiteren Öffentlichkeit,
aber insbesondere im Hinblick auf unsere Debatten einer
intensiven Lektüre und freue mich auf Ihre Fragen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Jetzt bitte ich,
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den Herr
Staatsminister Michael Georg Link berichtet hat. Als
Erstem gebe ich das Wort unserem Kollegen Johannes
Pflug.
Herr Staatsminister, herzlichen Dank für Ihren Bericht. - Auf der Konferenz in Tokio wurde vereinbart,
dass die weiteren Hilfszahlungen für die afghanische Regierung davon abhängig gemacht werden sollten, dass es
messbare Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption, bei der Verbesserung der Sicherheitslage, der Einbeziehung der Nachbarn Afghanistans und im wirtschaftlichen Bereich gibt. Sehen Sie da irgendwelche
quantifizierbaren Erfolge? Können Sie uns diese benennen?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Pflug, mit den Kriterien aus dem Tokyo
Mutual Accountability Framework kann die Einhaltung
der Selbstverpflichtungen der afghanischen Regierung
genau überprüft werden. Auch dazu finden sich Angaben im Fortschrittsbericht. Die Afghanistan-Konferenz
in Tokio war in diesem Zusammenhang ein wichtiger
Fortschritt, sodass wir diese Punkte erstmals konkret benennen können. Der Prozess hat begonnen und muss nun
intensiv weitergeführt werden.
Vielen Dank. - Als Nächstem gebe ich dem Kollegen
Roderich Kiesewetter das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Sie sprachen eben
den Fortschrittsbericht an. Vielen Dank für diese sehr
nüchterne Darstellung und auch für die Sprache, in der
der Bericht gehalten ist. Sie haben über den vernetzten
Ansatz gesprochen. Aus unserer Sicht gehören zum vernetzten Ansatz nicht nur die Zusammenarbeit mit den
Nachbarn, sondern auch die enge Verzahnung ziviler
und nichtziviler Mittel sowie der Versöhnungsprozess.
Würden Sie bitte darstellen, wie sich aus Ihrer Sicht
die Lehren, die sich aus dem bisherigen vernetzten Ansatz aus Afghanistan ergeben haben, auf weitere mögliche Einsätze auswirken und wie Sie auf den Versöhnungsprozess innerhalb der afghanischen Gesellschaft
Einfluss nehmen? - Vielen Dank.
Vielen herzlichen Dank. - Herr Kollege Kiesewetter,
auch dazu stehen relativ ausführliche Punkte im Bericht.
Deshalb möchte ich nur in kurzer Form, im Rahmen des
Limits von einer Minute für die Beantwortung, sagen,
dass man aus dem Einsatz in Afghanistan in der Tat einige Lehren für andere Einsatzorte ziehen kann. Der vernetzte Ansatz mit seiner Dreistufigkeit - zuerst Sicherheit, dann Aufbau von Governance, nach Abzug, nach
Übergabe der Sicherheitsverantwortung, Fortsetzung der
Aufbaumaßnahmen im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch in anderen Bereichen - ist der einzige, der wirklich tragfähig ist. Deshalb war es enorm
wichtig, dass alle beteiligten Ressorts und andere Ressorts der Bundesregierung, die mit ihrem Fachwissen in
anderen Bereichen, zum Beispiel im Bereich Gesundheit, mithelfen, intensiv am vernetzten Ansatz gearbeitet
haben. Sicherheit gibt es nur vernetzt; Sicherheit ist weit
mehr als Militär. Genau das stellt der Fortschrittsbericht
aus unserer Sicht sehr deutlich dar.
Vielen Dank. - Als Nächster gebe ich unserer Kollegin Frau Katja Keul das Wort.
Vielen Dank. - Wir hören jetzt, dass die Begründung
dafür, dass Sie kein gesondertes Abzugsmandat, sondern
ein einheitliches Mandat vorgelegt haben, darin besteht,
dass die Größenordnung der Gruppe derjenigen, die im
Prinzip Möbelpacker sind, so unerheblich ist, dass sich
das nicht lohnt; hier geht es um eine Größenordnung von
300 Personen. Heißt das, dass die anderen 3 000 noch im
März 2014 einen Kampfauftrag haben? Ist beabsichtigt,
die Zahl von 3 000 wirklich innerhalb von zehn Monaten
auf null zurückzuführen?
Frau Kollegin Keul, das Wort „Möbelpacker“ wird,
glaube ich, der Aufgabe nicht gerecht.
({0})
Es ist ein außerordentlich komplizierter Auftrag, die Logistik für den geordneten Abtransport des Materials und
vor allem für den Abzug der Soldaten selbst sicherzustellen. Wir haben hier ein sehr engagiertes Mandat. Wir,
insbesondere das BMVg, haben es in der Vorbereitung
so formuliert, dass alle erforderlichen Aufgaben abgedeckt sind.
Gegenstand der heutigen Regierungsbefragung ist der
Fortschrittsbericht, noch nicht das Mandat selbst. Insofern möchte ich der Befassung mit dem Mandat nicht
vorgreifen. Wir werden uns in den Ausschüssen und voraussichtlich in der nächsten Sitzungswoche - davon
gehe ich aus - in erster Lesung hier damit befassen. Insofern möchte ich auf die reguläre Mandatsbefassung
verweisen, insbesondere auf die Kollegen aus dem Bundesministerium der Verteidigung, die das Mandat im
Wesentlichen vorbereitet haben.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Als Nächstem
gebe ich unserem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.
Auch meinerseits erst einmal herzlichen Dank für Ihren Bericht, Herr Staatsminister. - Sie müssen mir aber
einiges erklären. Wie können Sie von einem Abzug reden, wenn das Mandat vorsieht, dass bis zu 4 400 Soldaten bleiben sollen und diese Anzahl nur möglicherweise,
wenn es beispielsweise die Lage erlaubt, reduziert werden kann? Die Zahl könnte schon heute reduziert werden. Wie können Sie von einem Abzug sprechen, wenn
das Mandat die Genehmigung enthält, in Afghanistan
weiterhin Kampftruppen einschließlich Krisenspezialkräfte einzusetzen, und wenn im Mandat wörtlich die
Möglichkeit genannt wird, Recce-Tornados in Afghanistan einzusetzen? Das ist doch kein Abzug, sondern ein
Verbleib in voller Stärke in Afghanistan. Jetzt müssen
Sie mir erklären, inwiefern das ein Abzug ist.
Herr Kollege Gehrcke, ein Abzug, die Vorbereitung
der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte, ist exakt das, was wir mit
dem Mandat, über das wir heute Morgen im Bundeskabinett beraten haben, ermöglichen. Wir haben natürlich
wie immer eine vorsichtige Planung zugrunde gelegt,
weil man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein muss.
Aber das Ziel wird im Fortschrittsbericht deutlich, auch
im Mandatstext; ich bitte, ihn wirklich intensiv zu lesen.
Sie können das wirklich gerne in den jeweiligen Debatten - nächste Woche in den Ausschüssen, in erster Lesung und nach Weihnachten in zweiter Lesung - kontrollieren. Dieses Mandat dient exakt der Übergabe der
Sicherheitsverantwortung an die afghanische Seite. So
ist es im Detail vorbereitet und aufgeführt.
Selbstverständlich müssen wir im Rahmen des Verbleibs unserer Soldatinnen und Soldaten bis Ende 2014
in Afghanistan auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Genau das leistet das Mandat, das wir in der nächsten
Sitzungswoche im Bundestag in erster Lesung beraten
werden.
Aber die Zahlen, die ich genannt habe, stimmen?
Nein, es ist vorgesehen, dass wir die Anzahl der Soldaten auf 3 300 reduzieren. Ich bitte, alles Weitere im
Rahmen der Mandatsbehandlung zu diskutieren.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie sehen, dass wir während der Befragung noch intensiv in dem Bericht blättern. Das hätten Sie dem Parlament ersparen können, wenn Sie uns den Bericht - wie
Sie es offensichtlich bei ausgewählten Medienvertretern
getan haben - etwas früher zur Verfügung gestellt hätten.
Wir werden daher in den nächsten Tagen und Wochen in
den Ausschüssen intensiv über den Bericht sprechen
müssen.
Was ich bisher gelesen habe, bietet Anlass zu zwei
Fragen. Sie beschreiben, dass insbesondere der Aussöhnungsprozess ein wichtiger Eckpfeiler für die Stabilisie25564
rung in Afghanistan ist. Sie haben bereits gesagt: Es gibt
Licht und Schatten. Der Schatten scheint mir etwas zu
überwiegen, weil sich die Taliban offensichtlich doch
nicht so umfassend bereit erklärt haben, sowohl mit den
USA als auch mit der internationalen Gemeinschaft zu
reden; Widerstand und Gesprächsbereitschaft wurden
gleichzeitig artikuliert. Vielleicht können Sie der Öffentlichkeit nähere Informationen dazu geben?
Der zweite Aspekt: In den USA überlegt sich die
Obama-Administration neue Regeln für den Drohneneinsatz, der insbesondere in Afghanistan seine Wirkung
hat. Ist die Bundesregierung denn bereit, mit dem Partner USA nicht nur über diese Frage zu sprechen, sondern
auch Anregungen zu geben, die sowohl das Völkerrecht
als auch ethische Fragen berücksichtigen?
Danke, Herr Kollege Mützenich. - Über einzelne
Teile des Berichts wurde in den Medien spekulativ berichtet. Wenn überhaupt, dann findet sich dort nur etwas
aus dem Einleitungstext. Ich empfehle, den aktuell upgedateten Bericht, der erst heute Morgen im Kabinett
verabschiedet wurde, intensiv zu studieren. Von unserer
Seite ist selbstverständlich überhaupt nichts vorher herausgegeben worden; denn die erste Information erfolgt
gegenüber dem Parlament. Deshalb haben wir ihn heute
nach der Kabinettsbefassung unverzüglich allen Abgeordneten zugestellt.
Wichtig ist allerdings, festzuhalten, dass wir in diesem Bericht - Sie haben es erwähnt - auch auf die Versöhnungsbemühungen eingehen. In der Tat ist es so, dass
die Taliban unterschiedliche Akzente setzen. Wir vonseiten der Bundesregierung bleiben für Gespräche mit allen
versöhnungsbereiten Kräften offen. Wichtig ist allerdings, dass der Versöhnungsprozess, soweit Gespräche
mit Taliban stattfinden sollten, auf jeden Fall in enger
Abstimmung mit der afghanischen Regierung stattfindet.
Aber ich kann nur bekräftigen, was Sie sagen: Hier ist
gerade von den Taliban Unterschiedliches zu hören. Wir
setzen darauf, dass auch in diesem Bereich das Gespräch
mit versöhnungsbereiten Kräften gesucht werden kann.
Was ist mit den Drohnen?
Pardon, die Drohnen habe ich vergessen.
Bitte.
Was diesen Bereich betrifft, möchte ich auf die Kollegen im BMVg verweisen. Die Gespräche mit den USA
sind sehr intensiv und umfassen selbstverständlich alle
Bereiche.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin unsere Kollegin Frau Ute Koczy.
Vielen Dank. - Mir geht es um die Zukunft der zivilen
Aufbauarbeit nach dem Abzug. Wir haben mit Interesse
gelesen, dass Frau Tanja Gönner, Vorsitzende der GIZ,
der Bundesregierung mitgeteilt hat, dass man Probleme
sehe, dass unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der GIZ zurzeit darüber diskutiert werde, inwieweit ein
Engagement nach 2014 fortgeführt werden könne, und
dass noch gemeinsame Hausaufgaben zur Notfallversorgung der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erledigen seien. Wie sehen Sie diesen kritischen Punkt?
Kann es tatsächlich gelingen, die zivilen Helferinnen
und Helfer nach dem Abzug vor Ort zu belassen? Welche Konzepte haben Sie für die Zeit nach 2014?
Liebe Kollegin Koczy, danke für die Frage. - Das ist
in der Tat ein Thema, das uns umtreibt. Deutschland
trägt eine besondere Verantwortung für die von Deutschland beschäftigten Ortskräfte. Das gilt nicht nur für GIZMitarbeiter, sondern das gilt selbstverständlich für Mitarbeiter aller Bereiche. Wir müssen uns dieser Sache intensiv annehmen. Wir befassen uns mit diesem Thema
unter Federführung des Bundesinnenministeriums. Die
Fragen aus den Mitarbeiterkreisen lassen auf eine sehr
große Besorgnis schließen; das wissen wir. Diese Fragen
sind auch durchaus berechtigt. Deshalb müssen wir daran arbeiten.
Ich bekräftige hier noch einmal die Aussage des Bundesministers der Verteidigung, die in der FAZ von gestern wiedergegeben wurde: Zunächst sollten wir uns darum bemühen, den Mitarbeitern zu helfen, die in
Bereichen tätig sind, in denen Sicherheitsbedenken bestehen, indem wir sie möglichst an einer anderen, sicheren Stelle im Land einsetzen. Wenn das nicht möglich
ist, könnte es im Einzelfall erforderlich sein, sie tatsächlich nach Deutschland zu holen. Das muss man im Einzelfall prüfen. Ich wiederhole: Deutschland trägt eine
besondere Verantwortung für die von Deutschland beschäftigten Ortskräfte, insbesondere wenn ihre Sicherheit bedroht ist.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller ist unser Kollege Jürgen Hardt.
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
wir haben den Bericht heute Morgen um 9.05 Uhr bekommen, also zeitgleich mit dem Beginn der Kabinettssitzung; das steht auf der E-Mail. Das finde ich ganz in
Ordnung. Nur so viel zu den Äußerungen des Kollegen
Mützenich.
({0})
Ganz bedeutend für den Erfolg in Afghanistan ist die
Unterstützung durch die Nachbarstaaten. In dem Bericht
sprechen Sie von einer konstruktiven Rolle Pakistans.
Diesbezüglich interessiert mich Folgendes: Kann man
das präzisieren? Hat sich die Situation im Verlauf der
letzten Monate und Jahre verbessert? Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn Sie auch einen Satz dazu sagen könnten,
wie Sie die Rolle des Iran im Zusammenhang mit der
Entwicklung in Afghanistan bewerten. - Danke schön.
Hinsichtlich Pakistans sehen wir tatsächlich eine konkrete Verbesserung. Ausdruck dieser Verbesserung ist
der Besuch des Vorsitzenden des Hohen Friedensrates,
von Herrn Rabbani, in Pakistan. Die Gespräche waren
hilfreich. In diesem Bereich sehen wir weitere Möglichkeiten; denn es gibt noch viel Raum für Verbesserungen.
Eine Herausforderung stellt sicherlich der Nachbar
Iran dar, der ebenfalls eine besonders lange Grenze zu
Afghanistan hat. Hier gibt es weiterhin extrem große Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Drogenwirtschaft an der iranisch-afghanischen Grenze. In diesem Bereich müssen wir noch intensiv arbeiten. Zu
diesem Thema finden sich Formulierungen im Fortschrittsbericht. Dies ist aber sicherlich eine große Herausforderung, mit der man sich intensiv beschäftigen
muss.
Vielen Dank. - Als nächste Fragestellerin folgt unsere
Kollegin Frau Dagmar Enkelmann.
Herr Staatsminister, ich stelle meine Frage an Sie als
Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe. Aus vielen Gesprächen mit Vertretern aus
dieser Region weiß ich natürlich um die Sorgen der Länder Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, Turkmenistan
und Usbekistan. Hat die Bundesregierung diese Sorgen
im Blick, insbesondere hinsichtlich einer möglichen
Evaluation der Zentralasien-Strategie der EU und hinsichtlich der Entwicklung der Entwicklungszusammenarbeit? Beispielsweise im grenzüberschreitenden Bereich gibt es interessante Projekte, unter anderem an der
tadschikisch-afghanischen Grenze. Gibt es diesbezüglich weitergehende Überlegungen?
Frau Kollegin Enkelmann, die Zentralasien-Strategie
der EU ist ein spannendes Thema. Seitens der Bundesregierung ist immer wieder auf eine Weiterentwicklung
gedrängt worden. Diese Strategie war ein wichtiger
Schritt. Wir glauben, dass daran weitergearbeitet werden
muss und sie vor allem weiterentwickelt werden muss.
Die extreme Heterogenität der zentralasiatischen
Staaten - auf der einen Seite gibt es Staaten, die punktuell modern sind, aber unter demokratischen Gesichtspunkten durchaus einige Fragen zu beantworten haben,
und auf der anderen Seite Staaten, die sehr autokratisch
sind - erfordert einen Ansatz, der es ermöglicht, sowohl
auf bilateraler Ebene als auch bezogen auf die Gesamtregion voranzukommen.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit befürworten
wir immer. Wenn möglich, unterstützen wir alle grenzüberschreitenden Projekte der afghanischen und der tadschikischen Regierungen. Aber auch diesbezüglich muss
insbesondere der Sicherheitslage Rechnung getragen
werden. Ich nenne nur die Stichworte Drogenhandel und
Menschenhandel. Wir müssen aufpassen, dass es diesbezüglich keine Rückschritte gibt. Wir müssen Fortschritte
erzielen.
Ich sage es noch einmal: Wir sind absolut offen, und
wir sind dafür - wir fordern das sogar -, dass die Zentralasien-Strategie der Europäischen Union weiterentwickelt wird.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller aus der Fraktion
der Sozialdemokraten ist unser Kollege Dr. Hans-Peter
Bartels.
Herr Staatsminister, dieser Fortschrittsbericht ist die
Grundlage für die beginnende Diskussion über das
Nachfolgemandat. Wir empfangen Meldungen, die besagen, dass die USA für die Zeit nach dem Abzug ein bilaterales Abkommen mit Afghanistan anstreben. Es wird
aber auch ein internationales Mandat geben. Strebt die
Bundesregierung nur im Rahmen eines internationalen
Mandats oder auch bilateral Vereinbarungen mit der afghanischen Regierung an? Nehmen wir auch Einfluss
auf das, was die USA bilateral mit Afghanistan vereinbaren, weil das für die Gesamtsituation von Bedeutung
ist? Welche der Ausbildungsprojekte, die wir jetzt im
Bereich der Sicherheitsorgane haben, also in den Bereichen Militär und Polizei, werden wir fortführen?
Danke schön. - Herr Kollege Bartels, Sie haben auf
das bestehende Angebot, auch nach 2014 bei der Ausbildung zur Seite zu stehen, hingewiesen, das von der
NATO geäußert wurde. Die genaue Trennung der drei
Phasen ist deshalb wichtig: bis Ende Februar 2014 - darüber debattieren wir von nun an im Rahmen des Nachfolgemandats -, der Zeitraum zwischen Februar 2014
und dem Abzug Anfang 2015 und dann alles, was nach
2015 erfolgt.
Einseitig bilateral zu handeln, ist sicherlich nicht unser Ansatz. Wir möchten, dass diese Sicherheitspartnerschaft weiterhin intensiv in NATO-Kreisen behandelt
wird. Die Gespräche haben allerdings noch nicht begonnen oder befinden sich in der ersten Phase. Sie wissen,
dass zur konkreten Ausgestaltung eines solchen Mandats
nach 2015 gehört, dass sich alle Akteure dazu äußern.
Zum Beispiel wäre denkbar, dass die afghanische Regierung zunächst einmal dazu einladen könnte und auch
Formulierungsvorschläge dazu hätte.
Für uns ist vorrangig, dass das, was nach 2015
kommt, völkerrechtlich absolut einwandfrei ist. Das ist
der entscheidende Punkt. In diesem Zusammenhang sind
wir in den Vorgesprächen offen; denn es muss klar sein,
dass auch das Engagement danach bei der weiteren Begleitung und Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte
völkerrechtlich auf einwandfreier Grundlage steht.
({0})
- Es gibt dazu bisher keinerlei bilaterale Gespräche, sondern wir selbst verfolgen den Ansatz innerhalb der
NATO.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt unser Kollege
Hans-Christian Ströbele.
Danke. - Herr Staatsminister, in der Begründung des
neuen Mandats lese ich zweimal den gleichen Satz. Er
muss also sehr wichtig sein. Da steht: Der Grundsatz der
Allianz in Afghanistan bleibt: gemeinsam hinein und gemeinsam heraus. - Nun habe ich gehört, dass unsere sehr
engen Allianzpartner - beispielsweise Spanien und
Frankreich - abgezogen sind. Warum sind wir nicht gemeinsam mit unseren Allianzpartnern abgezogen? Es
gibt noch einige andere Länder, zum Beispiel Australien
und Kanada, die ebenfalls Allianzpartner sind. Wie ist
dieser Satz zu verstehen? Diese Frage hatte ich vorhin
dem Herrn Außenminister gestellt. Er hat sie leider nicht
beantwortet.
Zur Zuverlässigkeit der afghanischen Armee als einem wichtigen Sicherheitsfaktor haben Sie vorhin unter
anderem gesagt, die afghanische Armee werde mit
wachsender Selbstständigkeit vorgehen. Lassen Sie dabei völlig außer Acht, dass aus der afghanischen Armee
heraus ständig Innentäterangriffe auf ISAF-Soldaten und
auch auf afghanische Soldaten stattfinden?
Herr Kollege Ströbele, die Frage nach der Devise
„together in, together out“, also „gemeinsam rein, gemeinsam raus“, müssen Sie den Vertretern der Länder
stellen, die vorher abgezogen sind, wie Spanien.
({0})
- Sie haben die Beispiele selbst erwähnt. - Für uns ist
klar - was wir auch im Bündnis immer deutlich kommuniziert haben -, dass wir im gegebenen Zeitrahmen, bis
Ende 2014, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung
an die afghanische Seite wollen. Das haben wir früh
kommuniziert und gemeinsam mit den Partnern in der
NATO abgesprochen. Das erfordert natürlich, dass die
afghanische Seite dazu auch in der Lage ist. Daran arbeiten wir im Bereich der Ausbildung. Wir leisten Assistenz
und Finanzierungshilfe. Die schrittweise Übernahme der
Verantwortung erfolgt bereits. Wir gehen davon aus,
dass das auch gelingt. Es gibt hinreichende Gründe dafür, anzunehmen, dass das schrittweise immer mehr der
Fall sein wird und vor allem zum Ende 2014 auch gelingt.
Vergleichen Sie bitte einmal die jetzige Situation mit
der, in der wir vor zwei Jahren waren. Dann sehen Sie,
wie viel Spielraum wir in den folgenden zwei Jahren haben, um konkret voranzukommen. Vor zwei Jahren, also
2010, waren wir in einer Situation mit erheblichen Gefechtslagen innerhalb Afghanistans. Wir sind seither
deutlich vorangekommen. Deshalb sind die verbleibenden zwei Jahre - bei Anstrengungen aller - absolut ausreichend, um tatsächlich so weit zu kommen, dass die afghanische Seite komplett die Sicherheitsverantwortung
für Afghanistan selbst übernehmen kann.
Sie haben die Frage mit den Innentätern noch nicht
beantwortet.
Darf ich das mit Genehmigung des Präsidenten kurz
ergänzen?
Machen Sie das. - Ich weise jedoch darauf hin, dass
wir noch eine ganze Fülle von Fragestellern haben, die
mir schon entsprechende Zeichen geben, damit sie auch
zu Wort kommen.
Aber beantworten Sie erst noch die Frage zu Ende,
damit Herr Ströbele nicht sagen kann, er habe keine Antwort bekommen.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank. Eine Minute ist für die
Beantwortung manchmal doch nicht ganz ausreichend. Die Innentäterproblematik ist extrem ernst zu nehmen;
das wissen wir. Aber von einer kompletten Unterwanderung oder von einem kompletten Zerfall von innen zu
reden, wie es teilweise einige Medienorgane tun, ist eindeutig übertrieben. Es erfordert jetzt allergrößte Anstrengungen der afghanischen Seite, dieses Problem anzugehen. Wir sind auch dabei hilfreich. Es ist ein Problem,
das uns auf jeden Fall extrem besorgt. Daran wird intensiv gearbeitet.
Vielen Dank. - Jetzt hat unser Kollege Tom Koenigs
das Wort.
Herr Staatsminister, alle Experten sagen, dass die Zukunft Afghanistans davon abhängt, dass es erfolgreiche
Gespräche mit den Staaten der Region gibt und dass es
erfolgreiche Gespräche mit den Taliban gibt. Dies wurde
zuletzt vor zwei Tagen bei einer Veranstaltung in der
Konrad-Adenauer-Stiftung gesagt. Ich glaube, Sie waren
sogar da.
Jetzt steht im Fortschrittsbericht, dass es mit Pakistan
nicht vor und nicht zurück geht. Mit dem Iran wird überhaupt nicht geredet. Mit den Taliban geht es eher zurück.
Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie weder optimistisch noch pessimistisch, sondern realistisch sein wollen.
Ist das nicht eher ein Anlass für Pessimismus?
Wenn das Ansprechen der Probleme dazu führte, dass
man am Schluss resignierend die Hände in den Schoß
legt, dann, Herr Kollege, wären wir falsch verstanden
worden. Es war der ausdrückliche und - das darf ich als
Parlamentarier sagen - mehr als berechtigte Wunsch des
Bundestages, realistische Berichte zu bekommen, die
nichts in Rosa zeichnen. Deshalb spreche ich und sprechen wir in dem Bericht sehr deutlich die Defizite an.
Aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns in irgendeiner Weise fatalistisch zurücklehnen. Vielmehr muss es
darum gehen, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir haben.
Deshalb ist das Versöhnungsangebot an gesprächsbereite Kreise, auch aus dem Bereich der Taliban, auf dem
Tisch, aber wir wollen natürlich nicht Versöhnung um jeden Preis, sondern selbstverständlich nur, wenn dadurch
tatsächlich ein Mehr an Sicherheit und insbesondere die
Beachtung der jetzt geltenden afghanischen Verfassung
gewährleistet ist. Denn wir werden beim Schutz der
Menschenrechte, gerade auch der Mädchen- und Frauenrechte, und im Bereich der Bildung, in dem es viele Errungenschaften gibt, die Afghanen selbstverständlich
nicht im Stich lassen und schlicht und einfach sagen:
Jetzt schaut einmal, wie ihr zurechtkommt.
Im Gegenteil: Auch nach dem Abzug der Bundeswehr besteht unser Angebot, sehr intensiv mit der afghanischen Seite in allen Bereichen zusammenzuarbeiten,
um die Entwicklung und den Versöhnungsprozess weiter
voranzubringen. Wir sind nicht weg. Es geht um den Abzug der Bundeswehr und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung. Es geht aber - das sage ich noch einmal
- nicht darum, die Afghanen im Stich zu lassen. Afghanistan ist eine langfristige Aufgabe, der sich die Bundesregierung, in dem Fall besonders in Gestalt des BMZ,
widmet.
Danke sehr. Ich glaube, die Antwort war nicht optimistisch, sondern diplomatisch.
Realistisch.
Vielen Dank. Diplomatie ist natürlich auch eine Aufgabe eines Staatsministers im Auswärtigen Amt. - Kollegin Inge Höger, Sie sind die nächste Fragestellerin.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, Sie haben von einem realistischen Bericht gesprochen. Das finde ich gut.
Dieser Bericht stellt unter anderem fest, dass Afghanistan die zweithöchste Kindersterblichkeitsrate in der
Welt hat. Dieser Bericht stellt fest, dass jedes zehnte
Kind unterernährt ist. Dieser Bericht stellt fest, dass die
Alphabetisierungsquote bei Mädchen nach wie vor bei
22 Prozent und bei Jungen bei nur 51 Prozent liegt.
Kann man bei alledem überhaupt noch von Fortschritt
sprechen, oder muss man nicht konstatieren, dass dieser
Krieg in Afghanistan ein Desaster ist?
Ich glaube, man kann konstatieren - insbesondere
wenn man die jetzige Lage mit der Situation zu der Zeit
vergleicht, als die Taliban geherrscht haben -, dass wir
einen deutlichen Fortschritt erzielt haben.
({0})
Aber Fortschritt ist nichts, was man linear extrapolieren
kann, was immer automatisch weitergeht; er erfordert
Anstrengungen. Wir haben aber wirklich einen deutlichen Fortschritt erzielt. Ich habe es erwähnt: Gerade im
Hinblick auf die Bildung, insbesondere von Mädchen
und Frauen, und die gesundheitliche Versorgung haben
wir heute einen Zustand, der mit der Situation, die vor
der Vertreibung der Taliban aus der Regierungsverantwortung vorherrschte, überhaupt nicht vergleichbar ist.
Es kam zu einem sehr deutlichen Zugewinn bei der gesundheitlichen Versorgung und bei der Bildung, und
zwar auch in der Fläche, bis hin zum Zugang zu Bildung
für Mädchen und Frauen.
Es ist mit Sicherheit noch lange nicht alles erreicht.
Wir können deshalb auch keine Zeitpläne aufstellen.
Aber wir sagen klar, woran wir arbeiten. Im Vergleich
zur Situation vor diesem Einsatz ist ein deutlicher Zuwachs bei Sicherheit, Bildung und Gesundheit zu erkennen. Das ist ganz wesentlich auch dem Einsatz unserer
Helferinnen und Helfer und vor allem der Bundeswehr
zu verdanken.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller: unser Kollege
Dr. Gernot Erler.
Herr Staatsminister, wir haben, glaube ich, einen breiten Konsens, dass es auch nach 2014 einen Bedarf an internationaler Unterstützung Afghanistans durch Hilfsorganisationen und NGOs geben wird und diese weiter
gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang
kann ich auch nachvollziehen, dass da einige Fragen aufkommen. Eine Antwort, die wir von Herrn de Maizière
bekommen haben, hat mich ein bisschen irritiert. Deswegen frage ich an dieser Stelle Sie: Wie ist das mit der
Schutzkomponente, mit der Notfallevakuierung und mit
der medizinischen Versorgung von NGOs und Hilfsorganisationen, die nach 2014 noch in Afghanistan tätig
sind? Können Sie dazu etwas sagen?
Danke, Herr Kollege. - Um die drei Hauptbereiche, in
denen wir nach 2014 aktiv tätig sein wollen, noch einmal
klar zu nennen: zivile Wiederaufbauhilfe, Finanzierung
der afghanischen Sicherheitskräfte und Ausbildung der
afghanischen Sicherheitskräfte, und zwar gemeinsam im
NATO-Rahmen.
Was das konkrete Mandat angeht, das Sie angesprochen haben und über das unter dem Namen ITAAM, International Training, Advisory and Assistance Mission,
ja schon diskutiert wird, stehen wir, wie gesagt, noch
ganz am Anfang. Aber klar muss natürlich sein: Auch
wenn es für dieses Mandat kein Kampfprofil und keinen
Kampfauftrag gibt - es ist ein Ausbildungsmandat, es ist
ein Trainingsmandat, es ist ein Beratungsmandat -, muss
selbstverständlich auch Vorsorge für außergewöhnliche
Situationen getroffen werden.
Im Hinblick auf die Frage, was zur Vorbereitung gebraucht wird, verweise ich darauf, dass diese Diskussionen in NATO-Kreisen zu führen sind, und auf das in diesem Falle federführende BMVg. Aber noch einmal:
Verteidigungsminister de Maizière hat sehr deutlich gesagt, dass es sich hierbei um ein Mandat handeln soll,
das keinen Kampfauftrag vorsieht, sondern den Schwerpunkt ganz eindeutig auf Ausbildung, Beratung und Unterstützung legt.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller: unser Kollege
Dr. Frithjof Schmidt.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach die mögliche
Truppenreduzierung erwähnt. Ich möchte darauf hinweisen: Das Mandat, das Sie uns vorlegen, enthält lediglich
die Verpflichtung, bis zum Februar 2014 eine Obergrenze
von 4 400 Soldaten nicht zu überschreiten. In der Begründung wird dann als Ziel genannt, die Truppe auf
3 300 Soldaten zu reduzieren, falls es die Umstände zulassen. Das bedeutet, dass am 1. März 2014 noch mindestens
3 300 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sein werden;
es können nach dem Mandat auch deutlich mehr sein.
Halten Sie es angesichts der derzeitigen Situation und
dieser hohen Zahl von Soldaten überhaupt für möglich,
dass das Ziel, die Kampftruppen bis Ende 2014, dann
also binnen zehn Monaten, vollständig abzuziehen, erreicht wird? Und was halten Sie von der Befürchtung,
dass dieses Ziel angesichts der hohen Zahl an Soldaten
nicht mehr erreicht werden kann?
Herr Kollege, wir halten es eindeutig für erreichbar selbstverständlich. Vorsichtige Planung aber gebietet,
dass man sich nicht bereits zur Unzeit auf exakte Zahlen
festlegt. Das Mandat gibt den genauen Spielraum vor, es
zeigt die genaue Richtung auf und gibt alle Instrumente,
die wir brauchen, um - immer unter Voranstellung der
Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten - diesen Abzug
schrittweise vorzubereiten. Insofern erfüllt das Mandat
genau diese Aufgabe.
Ich verweise aber auch hier noch einmal auf die insbesondere mit dem BMVg zu führende Fachdiskussion
im Rahmen der Mandatsdiskussion, die wir in der nächsten Sitzungswoche beginnen.
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Bedeutung dieses Themas sind Sie sicherlich damit einverstanden, dass wir alle Fragesteller aufrufen.
Nächster Fragesteller ist Kollege Jan van Aken.
Vielen Dank. - Herr Link, Sie machen das sehr diplomatisch. Sie reden über Fortschritt, Mandat, Entwicklung, sodass man fast vergessen könnte, dass man hier
über einen Krieg redet, einen Krieg, in dem Soldaten,
auch deutsche Soldaten, jeden Tag ihr Leben riskieren,
in dem jeden Tag Afghaninnen und Afghanen sterben.
Mich interessiert: Wie viele Tote hat dieser Krieg im
letzten Jahr gefordert? Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten sind im Berichtszeitraum in Afghanistan bei
Kampfhandlungen gestorben? Wie viele afghanische
Soldaten sind gestorben?
Herr Kollege van Aken, jedes einzelne Opfer - wir
wissen, dass es sehr viele sind - ist eines zu viel. Aber
noch einmal: Es handelt sich hier um einen Krieg, der
insbesondere von Extremisten, Islamisten, al-Qaida, Taliban etc. angezettelt wurde. Es war extrem wichtig, dass
wir der afghanischen Bevölkerung zu Hilfe gekommen
sind. Denn die ISAF-Mission gewährleistet den Aufbau
von Staatlichkeit, die Möglichkeit von wirtschaftlicher
Entwicklung und die Wiederherstellung von Sicherheit.
Ich stelle fest: Das ist mit den Mandaten - da mögen wir
einen Dissens haben - schrittweise, nicht komplett, mehr
und mehr gelungen. Ich habe darauf hingewiesen: Herstellung von Sicherheit ist kein linearer Prozess. Sie können das nicht politisch beschließen. Wir haben aber immer Mandate vorgelegt, die uns in die Lage versetzten,
die Sicherheitslage in Afghanistan weiter zu steigern.
Noch einmal: Jedes Opfer ist eines zu viel. Es sind
immer noch sehr viele. Von daher gehen unsere Anstrengungen hier ganz entschieden weiter. Unser Dank gilt
den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben darauf hingewiesen, welch enormen Einsatz unsere Soldatinnen und
Soldaten, aber auch unsere Polizisten und die zivilen
Aufbauhelfer bringen. Dieser Einsatz ist in vielen Fällen
mit dem Leben bezahlt worden. Deshalb haben wir eine
Verpflichtung, alles zu tun, um über die Mandate die von
uns entsandten Kräfte, aber auch - ich habe es vorhin erwähnt - die Ortskräfte zu schützen. Das tun wir.
Die Zahlen haben Sie tatsächlich nicht? Sie wissen
nicht, wie viele Menschen im letzten Jahr in diesem
Krieg gestorben sind?
Herr Kollege van Aken, wenn Sie wissen, was exakt
jede Minute geschieht, dann haben Sie hellseherische
Erkenntnisse. Ich finde es ein bisschen unverschämt,
dass Sie mit solchen Wortklaubereien arbeiten. Es sind
enorme Opfer gebracht worden.
({0})
Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Wir brauchen uns
kein Schaugefecht über die exakte Zahl zu liefern. Sie
wissen selbst, dass man das nicht immer exakt, bis auf
die einzelne Person wissen kann.
({1})
Wir machen hier Frage und Antwort. - Die nächste
Frage stellt der Kollege Johannes Pflug.
Herr Minister, laut Fortschrittsbericht lädt die Regierung von Kasachstan für Ende April zu einer regionalen
Sicherheitskonferenz nach Astana ein. Eingeladen sind
die zentralasiatischen Staaten, aber auch Pakistan und
vor allen Dingen der Iran und Truppenstellernationen.
Meine Frage: Ist die Bundesregierung bereit, diese Konferenz mit eigenen Vorschlägen zu bereichern? Und: Ist
die Bundesregierung bereit, auf den Iran einzuwirken,
dass auch seine Vertreter an der Konferenz teilnehmen?
({0})
Herr Kollege, wir engagieren uns im Vorfeld dieser
Konferenz intensiv bei den Vorbereitungen. Wir sprechen mit allen Partnern intensiv darüber, welche Möglichkeiten sie haben. Ich habe vorhin deutlich erwähnt,
dass beim Iran besonders viel Luft nach oben ist. Das betrifft dieses Thema, aber auch alle anderen Themen. Wir
bemühen uns also in diesem Bereich, aber hier ist gerade
mit dem Iran noch ein sehr weiter Weg zu gehen. Die
Astana-Konferenz bietet dafür eine Chance. Wir sollten
sie im Rahmen des Möglichen wahrnehmen.
Nächster Fragesteller: unser Kollege Omid Nouripour.
Herr Staatsminister, wir wissen, dass für die Sicherheit Afghanistans nach ISAF zwei Punkte von Relevanz
sind.
Der erste - das ist zentral - ist ein Aussöhnungsprozess. Dafür ist wichtig, dass Pakistan mitspielt. Dafür
wiederum bräuchte man vertrauensbildende Maßnahmen. Da stellt sich mir die Frage: Welche Rolle kann aus
Sicht der Bundesregierung Indien dabei spielen, vertrauensbildende Maßnahmen mit Pakistan auf den Weg zu
bringen?
Das Zweite, was relevant ist, ist die Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, selbst für Sicherheit zu
sorgen. Wir haben eine gewisse Zahl von Sicherheitskräften ausgebildet. Dann wurde festgestellt - so ist zu
lesen -, dass man die gar nicht alle bezahlen kann. Nun
wird abgebaut: Über 100 000 afghanische Sicherheitskräfte, die an Waffen ausgebildet worden sind, sollen
nun nicht mehr bei der afghanischen Sicherheit, also
Polizei oder Armee, beschäftigt werden. Was mit denen
passiert, ist eine andere Frage. Meine Frage jedenfalls
lautet: Ab wann wird denn abgebaut?
Indien ist in der Tat ein ganz wichtiger Partner in diesem Bereich. Wir sehen, dass in den Gesprächen, die
zwischen Indien und Pakistan im letzten Jahr und in diesem Jahr stattgefunden haben, ein leichter Fortschritt erreicht wurde, allerdings alles noch relativ ungetestet. Gerade wenn wir den Gesamtraum sehen, spielt Indien für
die regionale Entwicklung eine extrem wichtige Rolle.
Wir werden alles dafür tun, damit sich Indien hier als
konstruktiver Player einbringt, im Verhältnis zu Pakistan, aber auch im direkten Kontakt mit Afghanistan.
Auch hier war allerdings ein sehr weiter Weg zurückzulegen.
Ein Abbau der Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte ist nicht das konkrete Ziel. Wir haben durch Modernisierung und Training der afghanischen Sicherheitskräfte einen konkreten Zugewinn an Sicherheit erreicht.
Es geht nicht um die schiere Zahl, es geht um die Qualität, um das, was sie tatsächlich leisten können. Im Fortschrittsbericht Afghanistan stehen konkrete Aussagen,
wie wir die Fähigkeiten, die Chancen der afghanischen
Sicherheitskräfte bewerten. Deshalb kommen wir ja zu
der begründeten Annahme, zu sagen: Jawohl, es ist zu
schaffen, dass bis Ende 2014 die afghanischen Sicherheitskräfte die Verantwortung übernehmen können. Hätten wir nicht diesen Eindruck, würden wir das nicht sagen. Wir sagen es ja an anderer Stelle auch sehr deutlich,
wenn wir glauben, dass wir noch nicht am Ziel sind. Wir
bemühen uns auch im Hinblick auf die afghanischen Sicherheitskräfte, keinen rosa Bericht vorzulegen, sondern
einen sehr realistischen Bericht.
Die Frage, ob an einzelnen Stellen reduziert wird, ob
abgebaut wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist,
dass diejenigen, die im Dienst sind, den Job auch wirklich können. Da haben wir, glaube ich, ganz konkrete
Fortschritte erreicht.
Nächster Fragesteller: unser Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist nicht meine
Aufgabe, den Vertreter des Verteidigungsministeriums
zu schützen. Meine Frage zu den Drohnen fiel aber
schon in die Ressortzuständigkeit des Auswärtigen Amtes; denn insbesondere die Konsultationen mit unseren
Partnern sind, denke ich, immer noch Aufgabe des Außenministers, und auch im Hinblick auf die sicherheitspolitische Verantwortung, die völkerrechtliche Verantwortung für den Drohneneinsatz bedarf es Gespräche
des Außenministeriums. Deswegen würde ich gern noch
einmal die Frage wiederholen, ob dazu überhaupt Gespräche stattfinden mit unseren Partnern.
Zweiter Aspekt. Ich glaube, dass gerade die Korruption - bis in die höchsten Regierungskreise hinauf - mit
Sicherheit einer der Schwachpunkte beim Aufbau eines
wirklich stabilen und eines vertrauenswürdigen Staates
Afghanistan ist. Vielleicht können Sie dazu noch etwas
sagen.
Zum Dritten würde ich gerne noch einmal darauf hinweisen, dass viele Expertinnen und Experten der Meinung sind, dass der damalige Verfassungsprozess, der zu
einer Zentralisierung der politischen Verantwortung geführt hat, die historische Entwicklung Afghanistans im
Grunde genommen konterkariert hat. Also: Setzen wir
uns in Zukunft auch stärker für eine dezentrale politische
Verantwortung ein?
Kollege Mützenich, der Stand bei der Bekämpfung
der Korruption ist in weiten Bereichen wirklich noch
sehr unbefriedigend. Deshalb war es ja so wichtig, dass
es im Juli auf der Tokio-Konferenz gelungen ist, das
Mutual Accountability Framework zu präzisieren und
jetzt damit, konkret messbar, zu arbeiten.
Dezentralisierung wäre ein wichtiger Weg. Wir wissen aus vielen Beispielen, dass Dezentralisierung ein
Weg ist, zentral gesteuerte, teilweise auch pyramidenartig aufgebaute Korruptionsnetzwerke zu bekämpfen.
Das ist ein weiter Weg. Wir sind uns des Problems bewusst und können nur sagen: Wir arbeiten daran, in diesem Bereich genauer hinzusehen und mit den Steuerungsinstrumenten, die wir haben, dann auch genau zu
reagieren, wenn wir merken, dass eine Fehlverwendung
von Mitteln stattfindet.
Was die Drohnen angeht: Wir reden mit den USA natürlich über alle Themen und damit auch über dieses
Thema. Konkrete Einzelergebnisse können wir an dieser
Stelle noch nicht anführen; da möchte ich auf den Auswärtigen Ausschuss verweisen.
Zu meinem Verweis vorhin auf den Verteidigungsminister möchte ich sagen: Es geht um zwei Aspekte. Ein
Aspekt sind die militärischen Fragen: Was können Drohnen leisten? Was können sie nicht leisten? Wo sind sie
geeignet? Wo sind sie nicht geeignet? - Diese Fragen
möchte ich sinnvollerweise wirklich gerne an das Verteidigungsministerium weiterleiten. Daneben gibt es aber
natürlich auch die völkerrechtlichen Aspekte; das ist absolut richtig. Da verstecken wir uns auch nicht. So, wie
wir mit den USA über alle Themen reden, reden wir mit
ihnen selbstverständlich auch darüber. Dazu aber zu gegebener Zeit gerne mehr im Auswärtigen Ausschuss.
Vielen Dank. - Wir sind jetzt am Ende dieses Themenbereiches.
Ich frage der Form halber: Gibt es Fragen zu anderen
Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht
der Fall. Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall, sodass ich die Regierungsbefragung beende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/11611 Die Geschäftsbereiche werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Frau Staatsministerin Cornelia
Pieper steht hier zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Manuel Sarrazin wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 unseres Kollegen Wolfgang
Gehrcke auf:
Welche Weisung hat die Bundesregierung dem Ständigen
Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen bezüglich
des Abstimmungsverhaltens zum Antrag des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas an die UN-Vollversammlung, Palästina einen erweiterten Beobachterstatus zu verleihen, erteilt?
Frau Staatsministerin, ich darf Sie um Beantwortung
bitten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter
Gehrcke, ich antworte auf Ihre Frage für die Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung macht Weisungen an die deutschen Auslandsvertretungen grundsätzlich nicht öffentlich.
Sollte es in der Generalversammlung der Vereinten
Nationen zu einer Abstimmung über den Resolutionsentwurf zur Verleihung eines Beobachterstatus an Palästina
kommen, wird die Bundesregierung bei der Festlegung
des deutschen Abstimmungsverhaltens mehrere Faktoren berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem die
Aussichten auf eine Wiederaufnahme des Verhandlungsprozesses zwischen den Konfliktparteien und die möglichen Auswirkungen einer Resolution auf die Lage vor
Ort, dazu gehört das geplante Abstimmungsverhalten
der anderen EU-Mitgliedstaaten, dazu gehört Deutschlands grundsätzliche Verpflichtung gegenüber der Sicherheit und der Existenz Israels, und dazu gehören die
möglichen VN-politischen Konsequenzen einer Abstimmung, unter anderem hinsichtlich der Finanzierung der
Vereinten Nationen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Wolfgang Gehrcke.
Da die Bundesregierung ihre Weisungen nicht öffentlich macht, darf ich mir erlauben, meinen Kenntnisstand
öffentlich zu machen. Sie können ja dann sagen, ob er
stimmt oder nicht.
Mein Kenntnisstand ist, dass die Bundesregierung in
der Europäischen Union derzeit noch mit Frankreich und
anderen darüber verhandelt, ob Frankreich bereit ist, sein
Ja, das es ja öffentlich geäußert hat, zurückzunehmen
und sich zu enthalten. In diesem Falle wäre die Bundesregierung auch bereit, sich zu enthalten. Für den Fall,
dass Frankreich dies nicht macht, hat die Bundesregierung angedroht, in der Vollversammlung mit Nein zu
stimmen.
Geht man so mit einem europäischen Partner, insbesondere mit Frankreich, um?
Das war die Frage des Kollegen Wolfgang Gehrcke.
Herr Abgeordneter, zumindest ist richtig, dass die
Bundesregierung ein großes Interesse daran hat, dass die
EU-Mitgliedstaaten einheitlich abstimmen. Ich kann das
Letztgesagte aber nicht bestätigen und muss das auch zurückweisen, weil die Verhandlungen noch im Fluss sind;
es wird auch an den Texten noch gearbeitet: panta rhei alles fließt!
Wir arbeiten bei den Verhandlungen darauf hin, dass
wir eine einheitliche Position der EU finden. Das haben
Sie zu Recht ja auch angesprochen. Das wäre aus unserer Sicht die beste Lösung.
Ihre zweite Nachfrage.
Man wird sehen, wer näher an dem Problem ist und
wer hier recht gehabt hat. - Aber dann frage ich Sie andersherum: Wenn die Bundesregierung weiß, dass am
Text noch gearbeitet wird, setze ich voraus, dass die
Bundesregierung den Text kennt und dass sie auch weiß,
dass selbst israelische Diplomaten zwar nicht öffentlich,
aber immerhin geäußert haben, dass dieser Text für sie
interessanter und akzeptabler ist als alles, was vorher
vorgelegt worden ist. - Wie empfindet die Bundesregierung diesen Text, und wie bewertet die Bundesregierung
diesen Text? Das können Sie uns ja sagen.
Herr Abgeordneter, wir kennen natürlich den Text. Da
wir aber, wie ich sagte, noch in den Verhandlungen sind,
werden wir heute nicht den letzten Stand bekannt geben
können; denn wir wollen im Gespräch bleiben, auch mit
den anderen EU-Mitgliedstaaten. Ich bitte dafür um Verständnis. Morgen ist die Abstimmung. Ich glaube - das
habe ich Ihren Worten entnommen -, wir verfolgen dabei fast ein gemeinsames Ziel, was die einheitliche Positionierung der EU-Mitgliedstaaten anbelangt.
({0})
Die nächste Nachfrage hat unser Kollege Rolf
Mützenich.
Frau Staatsministerin, wir hatten heute Morgen im
Auswärtigen Ausschuss die Gelegenheit, über diese
Frage intensiv zu beraten. Da hat der Vertreter des Außenministeriums noch einmal gesagt, dass aus Sicht der
Bundesregierung der jetzige Zeitpunkt der denkbar ungünstigste Zeitpunkt sei, den Antrag zu stellen.
Nun kann man darüber philosophieren, ob man nicht
vielleicht versuchen sollte, Präsident Abbas und Ministerpräsident Fajjad gerade in dieser Situation zu stärken.
Aber wenn es der denkbar ungeeignetste Zeitpunkt ist:
Würde denn die Bundesregierung hier gegenüber dem
Parlament erklären wollen, dass dann, wenn die Palästinensische Autonomiebehörde diesen Antrag zu einem
anderen Zeitpunkt stellen würde, die Bundesregierung
hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens zu einer anderen Schlussfolgerung käme, also in Richtung Zustimmung zum Antrag?
Herr Abgeordneter Mützenich, da noch nicht klar ist,
wie das Verhalten sein wird, weil wir in Verhandlungen
sind, auch mit den anderen Mitgliedstaaten, ist alles im
Fluss. Ich kann und will Ihnen heute nicht sagen, weil
wir dazu als Bundesregierung nicht verpflichtet sind und
es auch nicht sagen können, um die Verhandlungen nicht
zu gefährden, was morgen das Ergebnis sein wird.
Dass wir alle ein großes Interesse daran haben, dass
es eine einheitliche Positionierung der EU-Mitgliedstaaten gibt, ist klar geworden. Natürlich hat man auch die
verschiedenen Aspekte, die Sie hier genannt haben, im
Gespräch mit der Palästinensischen Autonomiebehörde
berücksichtigt. Aber die Resolution - das wissen Sie ist über die sudanesische Regierung für die Palästinenser
eingebracht worden, und die Resolution steht im Raum.
Ich sehe jedenfalls im Moment den Spielraum, den Sie
genannt haben, nicht.
Eine Nachfrage hat als Nächster Kollege Paul
Schäfer.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, Sie
haben am Anfang vorgetragen, dass die Bundesregierung eine Reihe von Kriterien heranziehen will, um
letztlich ihr Votum festzulegen. Es handelt sich dabei um
eine Reihe von Opportunitätserwägungen, die man machen kann. Mir ist jetzt aber noch nicht klar geworden:
Sagen Sie denn grundsätzlich, dass das Anliegen der Palästinensischen Autonomiebehörde, ihren Status bei den
Vereinten Nationen aufwerten zu lassen, vollkommen in
Ordnung und legitim ist? Das sagt ja noch nichts darüber
aus, wie Sie abstimmen. Aber können Sie sich wenigstens dazu erklären, dass Sie sagen: „Es ist vollkommen
Paul Schäfer ({0})
richtig, dass es jetzt eine Stärkung des palästinensischen
Status bei den Vereinten Nationen geben muss“?
Sie wissen, dass die Bundesregierung das Ziel verfolgt, die Palästinenser beim Staatsaufbau und auch in
ihrem Recht auf einen eigenen Staat im Rahmen einer
Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen. Ich will aber auch
noch einmal darauf hinweisen, dass es für uns wichtig
ist, dass dieses Ziel der Zwei-Staaten-Lösung im Verhandlungsprozess mit Israel erreicht wird. Wir sehen
schon die Gefahr, dass dieser Verhandlungsprozess
durch diese Resolution blockiert wird.
Vielen Dank.
Wir kommen jetzt zur Frage 3, ebenfalls von unserem
Kollegen Wolfgang Gehrcke:
Welche Abstimmungen hat es zu dieser Frage unter den
Botschaftern der Länder der Europäischen Union gegeben,
und welche Position hat die Bundesregierung bei diesen Abstimmungen vertreten?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union stimmen sich in wichtigen nahostpolitischen Fragen natürlich miteinander ab.
Zu dem von den Palästinensern vorgelegten Resolutionsentwurf gibt es Abstimmungen auf verschiedenen Ebenen.
So hat der Rat der Europäischen Union für Außenbeziehungen am 19. November dieses Jahres über die Resolutionsinitiative von Präsident Mahmud Abbas beraten.
Auch die Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten bei
den Vereinten Nationen in New York beraten über diese
Initiative. Die Bundesregierung macht allerdings Position und Verlauf solch interner Beratung grundsätzlich
nicht öffentlich.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Wolfgang Gehrcke.
Eine solche Aufführung wie Ihre, Frau Staatsministerin, nach dem Motto „Die Abgeordneten brauchen das,
was wichtig ist, nicht zu erfahren“, werden wir nicht
mitmachen. Morgen werden Sie einen Antrag meiner
Fraktion erhalten, in dem wir fordern, dass der Bundestag darüber abstimmt, mit welcher Weisung der deutsche
Botschafter in New York bei der UNO zu agieren hat.
Jetzt zu meiner Frage: Gibt es noch ein Interesse, die
Regierung von Präsident Abbas und Ministerpräsident
Fajjad zu stärken, der schon nach den Gaza-Auseinandersetzungen derartig gedemütigt erscheint und immer
schwächer wird? Wenn Abbas jetzt noch von der UNO
unter der Verantwortung Deutschlands ohne Ergebnis
nach Hause geschickt wird, glauben Sie, dass es dann
noch eine Chance für eine Zweistaatenlösung gibt?
Wir sind weiterhin optimistisch, dass es diese Chance
gibt. Ich sage aber noch einmal, Herr Abgeordneter, dass
die Zweistaatenlösung nur im Laufe von Verhandlungen
und politischen Gesprächen erreicht werden kann. Die
Bundesregierung ist bemüht, ein Auseinanderfallen der
EU nicht nur bei diesen wichtigen Fragen zu vermeiden.
Ich will noch ergänzen, dass wir in diesem konkreten
Fall einen Three-Way-Split nicht ausschließen können.
Einige Mitgliedstaaten - wie Sie wissen, hat sich Frankreich schon öffentlich dazu erklärt - neigen zu einem Ja,
während die Mehrheit der Mitgliedstaaten sich eine gemeinsame EU-Enthaltung wünscht.
Eine offizielle Festlegung der deutschen Haltung hat
es aber bisher noch nicht gegeben. Deswegen kann ich
Ihre Frage nicht beantworten. Es ist, glaube ich, auch
gut, wenn man die Zeit bis morgen nutzt, um noch zu
einer europaeinheitlichen Haltung zu kommen, die auf
Enthaltung setzt. Deswegen sind die Beratungen dazu
noch nicht beendet. Das ist, denke ich, auch der richtige
Weg.
Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat eine zweite Nachfrage.
Ich weiß nicht, ob es gestattet ist, eine Staatsministerin zu korrigieren.
Indem Sie eine Frage stellen.
Genau. Ich kleide es in eine Frage. - Frankreich hat
beschlossen, mit Ja zu stimmen, wie es der französische
Außenminister gestern um 16.52 Uhr der Presse mitgeteilt hat. Das dürfte auch der Bundesregierung nicht
entgangen sein. Gleichzeitig hat Luxemburg öffentlich
mitgeteilt, mit Ja zu stimmen, und auch Österreich hat
mitgeteilt, mit Ja zu stimmen. Das ist die europäische
Realität. Sollte die Bundesregierung nicht einen Schritt
machen, sich positiv in diese europäische Realität einzufügen, statt sich außerhalb dieser Realität zu stellen?
Herr Abgeordneter, ich habe bei Ihrer vorhergehenden Frage bereits erwähnt, dass Frankreich sich entschlossen hat, mit Ja zu stimmen. Ich habe Ihnen gerade
geantwortet, dass es natürlich auch eine Lösung in
Richtung Three-Way-Split geben kann. Es neigen in der
Tat auch einige andere Mitgliedstaaten zum Ja, während
die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten für eine Enthaltung
plädiert. Es ist nur legitim und im Interesse der zukünftigen Verhandlungen zwischen Palästina und Israel, die
hoffentlich bald wieder in Gang kommen, dass man auf
eine Enthaltung drängt und dadurch auch den Friedensprozess im Nahen Osten voranbringt.
Eine weitere Nachfrage hat unser Kollege Rolf
Mützenich.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, einzelne Regierungen oder auch Parlamente haben im Fall
einer Abstimmung in der Vollversammlung der Vereinten Nationen angekündigt, dass die finanzielle Unterstützung der Palästinensischen Autonomieregierung eingestellt oder auch weitere Sanktionen dort erwogen
werden. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung in
dieser Situation ein? Ist sie zum Beispiel bereit, mit den
Partnern über dieses Aussetzen zu sprechen, bzw. welche Reaktion behält sich die Bundesregierung in diesem
Falle vor?
Sie wissen, Herr Abgeordneter, dass man - ich erinnere an das Verhalten der USA, die sich im vergangenen
Jahr aus der Finanzierung der UNESCO zurückgezogen
haben, nachdem Palästina in die UNESCO aufgenommen worden ist; der Anteil des Beitrags der USA betrug
ungefähr 22 Prozent - auch befürchten muss, dass die
Entscheidung negative Auswirkungen auf die Unterstützung haben wird. Die USA werden vielleicht Sanktionen
verhängen, die zwar nicht alle Mitglieder der Vereinten
Nationen, aber bestimmte Projekte in Palästina treffen
werden.
Deshalb drängen wir weiterhin darauf, eine Enthaltung der EU-Mitgliedstaaten zu erreichen. Wir sehen,
dass die Lage durch die Annahme der Resolution für die
Friedensverhandlungen nicht vereinfacht, sondern eher
erschwert wird.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Die Frage 4
des Abgeordneten Tom Koenigs wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 5, gestellt von unserem Kollegen Jan van Aken:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den
ablehnenden Aussagen aus russischen Regierungskreisen
({0}) zur Stationierung
von Patriot-Einheiten in der Türkei, und welche Rolle spielen
diese Äußerungen bei den Erwägungen der Bundesregierung,
diese Systeme in die Türkei zu verlegen?
Bitte schön, zur Beantwortung, Frau Staatsministerin.
Sehr gerne, Herr Präsident. - Ich beantworte die
Frage des Abgeordneten van Aken wie folgt: Die Bundesregierung hat die Äußerung des stellvertretenden
Außenministers der Russischen Föderation Sergej
Rjabkow zur Kenntnis genommen. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat am 23. November 2012
mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow telefoniert und diesen über den Stand der Beratungen im
Bündnis unterrichtet. Die Bundesregierung wird ihre
eigenen Entscheidungen wie auch die Entscheidungen
der NATO der russischen Seite zeitnah und transparent
erläutern.
Ich darf hinzufügen, Herr Abgeordneter, dass es auch
auf Arbeitsebene in unserem Haus mit der russischen
Seite dazu Gespräche gibt und in den bilateralen Gesprächen Zweifel bereits ausgeräumt werden konnten.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Jan van Aken.
Vielen Dank, Frau Pieper. - Es ist nicht nur Russland,
das Bedenken geäußert hat, sondern auch verschiedene
andere Länder haben das getan. Eines davon ist der Iran.
Jetzt kann man sagen: Es ist uns doch egal, was der Iran
sagt. - Nun haben wir aber die Situation, dass immer
noch die ganz massive Drohung Israels im Raum steht,
die iranischen Atomanlagen zu bombardieren. Dann
hätten wir relativ schnell einen militärischen Konflikt
zwischen Iran und Israel - und mittendrin im Nahostkonflikt dann deutsche Soldaten. Haben Sie sich schon
entschieden, ob Sie in dem Falle, dass es eine militärische Eskalation zwischen Israel und Iran gibt, sofort die
Bundeswehrsoldaten aus der Türkei wieder abziehen?
Oder werden Sie sie im Nahostkonflikt belassen?
Herr Abgeordneter, ich will noch einmal klarstellen,
dass es sich bei der Stationierung des Luftverteidigungssystems Patriot um ein defensives Waffensystem zur Abwehr von Flugkörpern und Flugzeugen auf türkischem
Gebiet handelt. Wie die offizielle türkische Anfrage an
den NATO-Generalsekretär vom 21. November dieses
Jahres klarstellt, wäre der Einsatzzweck des angefragten
Luftverteidigungssystems Patriot rein defensiver Natur.
Ich habe den Brief dabei. Das heißt mit anderen Worten:
Sie können nicht davon ausgehen, dass die Gefahr besteht, dass die Türkei damit eine Flugverbotszone in Syrien einrichten will oder dass es zu anderen Zwecken als
der Verteidigung eingesetzt wird.
Ihre zweite Nachfrage, Herr van Aken.
Frau Pieper, erstens, ich kenne diesen Brief der
Türkei. Zweitens haben Sie eine Antwort auf eine Frage
gegeben, die ich gar nicht gestellt habe. Vielleicht
kommt ja noch eine Frage zur Flugverbotszone. Das war
aber nicht meine Frage. Meine Frage war, ob Sie dann,
wenn es zu einem Nahostkrieg zum Beispiel zwischen
Israel und Iran kommt, die Bundeswehrsoldaten dort belassen würden. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.
Ich habe jetzt eine andere Frage, weil Sie zum zweiten Mal Herrn Rasmussen, den NATO-Generalsekretär,
erwähnen. Er hat gestern der Presse gegenüber gesagt
- ich zitiere das Original -: The alliance would not avoid
using further measures for Turkey’s defense. Auf Deutsch:
Die NATO wird keine Sekunde zögern, auch noch andere
Mittel für die Verteidigung der Türkei zu ergreifen. - Das
macht mich doch hellhörig. Es fängt jetzt an mit den
Patriot-Raketen, die, wie Sie sagen, rein defensiv sind
- auch darüber können wir uns unterhalten -, aber welche anderen Maßnahmen, die Herr Rasmussen hier angekündigt hat, wäre denn die Bundesregierung bereit
auch noch mitzutragen?
Die Kriterien für die Stationierung der PatriotRaketen sind klar; das habe ich eindeutig gesagt. Die
rechtliche Grundlage ist Art. 51 der UN-Charta, in dem
es um das Selbstverteidigungsrecht im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen geht.
Sie gehen von anderen Kriterien aus, Herr Abgeordneter.
({0})
Diese Kriterien treffen nicht zu, jedenfalls nicht für die
Stationierung der Patriot-Raketen. Deswegen würde ich
jetzt nicht mit Äußerungen spekulieren, die so nicht verhandelt sind und die wir von türkischer Seite so auch
nicht entgegengenommen haben. Sie selbst haben den
Brief von türkischer Seite zitiert, wo ganz klar erläutert
worden ist, dass es hier um eine defensive Maßnahme
geht.
Mir liegen weitere Nachfragewünsche vor. Zunächst
Kollege Wolfgang Gehrcke.
Entschuldigen Sie, Frau Staatsministerin: Ihr Außenminister hat im Auswärtigen Ausschuss als Rechtsgrundlage nicht Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen genannt, sondern Art. 3 des NATO-Vertrages. Ich
frage jetzt noch einmal: Auf welche Rechtsgrundlage
beruft sich die Regierung bei ihrer Entscheidung?
Auf beide Rechtsgrundlagen beruft sich die Bundesregierung, Herr Abgeordneter. Ich habe mich jetzt insbesondere auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen
bezogen. Aber natürlich trifft auch Art. 3 des NATOVertrages zu.
({0})
Die nächste Nachfrage ist von unserem Kollegen
Hans-Christian Ströbele.
Frau Staatsministerin, kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Türkei - um eine Sicherheitszone in
Syrien oder an der Grenze zu Syrien zu errichten, um
gegen die dort sich bewaffnenden und inzwischen autonomen Kurden vorzugehen - kriegerische Maßnahmen
ergreift, auch auf syrischem Gebiet, und dass dann,
wenn die syrische Luftwaffe eingreift und gegen türkische Truppen vorgeht, dort stationierte deutsche PatriotRaketen zum Einsatz kommen?
Sie fragten, Herr Abgeordneter Ströbele, ob die
Bundesregierung das ausschließen kann. Darauf antworte ich mit Ja. Ich könnte es dabei belassen.
Ich will trotzdem ergänzen, dass in der offiziellen
türkischen Anfrage an den NATO-Generalsekretär
klargestellt wurde, dass die angefragten Luftverteidigungssysteme ausdrücklich nicht zur Einrichtung oder
Unterstützung einer Flugverbotszone oder einer Offensivoperation eingesetzt werden. Da Herr van Aken mit einem englischen Satz geglänzt hat, darf ich aus dem entsprechenden Brief einmal zitieren:
… it will in no way support a no-fly zone or any offensive operation.
Daher ist für uns klar: Es handelt sich um eine defensive Maßnahme.
Das waren jetzt die Nachfragen zur Frage des Kollegen Jan van Aken.
Die Fragen 6 und 7 des Kollegen Omid Nouripour
werden schriftlich beantwortet.
Jetzt kommen wir zur Frage 8, gestellt von unserem
Kollegen Niema Movassat:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Unterstützung der Rebellengruppe M 23 und anderer Rebellengruppen im Ostkongo durch Staaten wie Ruanda, Uganda
und Burundi, und teilt sie die Einschätzungen aus dem UNAbschlussbericht, dass Ruanda und Uganda die Rebellengruppen unterstützen?
Ich darf Sie bitten, zu antworten, Frau Staatsministerin.
Sehr gern, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter, der
Bundesregierung sind die Berichte der unabhängigen
Expertengruppe des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Demokratische
Republik Kongo bekannt. Darin werden die ruandische
Regierung und ugandische Sicherheitskreise beschuldigt, die kongolesische Rebellengruppe M 23 in den vergangenen Monaten unterstützt zu haben.
Die Beweisführung zu den einzelnen Punkten ist sehr
unterschiedlich. Die Republiken Uganda und Ruanda
weisen die Anschuldigungen vehement zurück. Die
Bundesregierung verfügt nicht über ausreichend belastbare Erkenntnisse, um die Vorwürfe im Einzelnen prüfen
zu können. Sie wissen wahrscheinlich, Herr Abgeordneter, dass mit der Resolution 2076 vom 20. November
2012 der VN-Sicherheitsrat den Generalsekretär auffordert, in Abstimmung mit der Afrikanischen Union und
der Internationalen Konferenz der Großen Seen über die
Anschuldigungen externer Unterstützung für M 23 zu
berichten.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Movassat.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, Sie
haben im Prinzip den UN-Abschlussbericht bezüglich
der Unterstützung Ruandas und Ugandas für die
Rebellen bestätigt. Die Beweisführung bei Ruanda ist ja
eindeutig.
Was mich interessieren würde, ist: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorwurf,
dass diese Länder Rebellengruppen im Ostkongo unterstützen, und aus der Tatsache, dass diese Rebellengruppen massivste Menschenrechtsverletzungen begehen,
insbesondere aus Rohstoffinteressen, aus Interesse an
Diamanten, Gold und Coltan, das im Ostkongo ja
massenweise vorhanden ist und womit wirtschaftliche
Interessen vieler Rebellengruppen verknüpft sind?
Der Bundesregierung liegen natürlich zahlreiche externe Berichte auch über zum Teil schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Rebellengruppe M 23 vor.
Die Rebellengruppe M 23 wird unter anderem der außergerichtlichen Tötung, der Rekrutierung und des Einsatzes
von Kindersoldaten sowie der Bedrohung von politischen
Gegnern beschuldigt. Es werden auch Plünderungen und
Vergewaltigungen genannt, wobei diesbezüglich die
große Mehrheit der Berichte eher auf eine Verantwortung
der Regierungsstreitkräfte hinweist. Schwere Menschenrechtsverletzungen werden weiterhin auch von anderen
im Ostkongo aktiven Milizen, wie den Demokratischen
Kräften zur Befreiung Ruandas und verschiedenen MaiMai-Gruppen, begangen.
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, setzt sich
bilateral sehr intensiv, auch in der Europäischen Union
und in den Vereinten Nationen, dafür ein, dass Menschenrechtsverletzungen unterbunden und die Verantwortlichen natürlich auch zur Verantwortung gezogen
werden.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, in der
Europäischen Union gibt es eine Diskussion darüber, die
UN-Mission, die derzeit aus 17 000 Soldaten besteht,
auf 19 000 auszuweiten, sie mit einem robusteren Mandat auszustatten, ein Mandat für die Entwaffnung von
Milizen zu geben sowie Drohnen zur Aufklärung einzusetzen. Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, sich in irgendeiner Form daran zu beteiligen,
und wie steht die Bundesregierung zu dieser Diskussion
auf der europäischen Ebene?
Herr Abgeordneter, für die Bundesregierung hat Priorität, das durch Gewalt, Not, Flucht und Vertreibung sowie, wie ich schon sagte, massive Menschenrechtsverletzungen bedingte Leid der Zivilbevölkerung im Ostkongo
zu beenden. Dafür muss in einem ersten Schritt der gegenwärtige Konflikt beendet werden. In der Folge muss
ein Prozess eingeleitet werden, in dem auch die tiefer
liegenden Ursachen dieses historisch gewachsenen komplexen Konfliktes, für den viele Parteien Verantwortung
tragen, bearbeitet werden. Um erfolgreich zu sein, bedarf es meines Erachtens des Engagements aller Schlüsselspieler in der Region. Wir diskutieren darüber hinaus
nicht in der EU über weitere Maßnahmen in dem Bereich, den Sie nannten.
Vielen Dank. - Weitere Nachfragen zu dieser Frage
liegen nicht vor.
Damit kommen wir zur Frage 9, die ebenfalls vom
Kollegen Niema Movassat gestellt wurde:
Welche aktuellen Informationen liegen der Bundesregierung zu neuen Flüchtlingswellen innerhalb Nord- und Südkivus sowie in die Nachbarländer vor, und welche unmittelbaren Konsequenzen ergeben sich aus der Kontrolle Gomas
durch die M 23 für die deutsche und europäische humanitäre
Hilfe?
Ich darf Sie bitten, Frau Staatsministerin.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die bisherigen
Kämpfe sowie die verübten Menschenrechtsverletzungen führen derzeit zu weiteren neuen Flüchtlingswellen
im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Seit
Ausbruch der gegenwärtigen Kämpfe am 15. November
sind laut Quellen der Vereinten Nationen aktuell in und
um Goma circa 140 000 Menschen auf der Flucht. Davon hält sich die Mehrheit von circa 125 000 Personen in
den Lagern für Binnenvertriebene Mugunga I und III sowie Lac Vert auf. Weitere 7 000 Menschen sind in drei
Schulen untergebracht. Das Don-Bosco-Camp beherbergt darüber hinaus circa 12 500 Personen.
Neben den Binnenvertriebenen in Goma gibt es einen
kleineren Rückkehrerstrom Richtung Goma aus der nun
auch umkämpften Region Sake. Ebenso gibt es eine kleinere Flüchtlingsbewegung Richtung Süden. Genauere
Informationen hierzu liegen zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht vor.
Die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen in der Demokratischen Republik Kongo dürfte derzeit bei etwa 2,4 Millionen Menschen liegen.
Die Sicherheitslage in Goma ist derzeit relativ stabil.
Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der
M 23, wie ich sie schon nannte, im besetzten Goma
konnten aus Quellen vor Ort allerdings nicht bestätigt
werden. Die Menschen kehren zum Teil zurück. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Elektrizität ist sehr schlecht. Erste Hilfstransporte sind über die
ruandische Grenze nach Goma gekommen. Der Friedensplan von Kampala sieht vor, dass die M 23 Goma
rasch wieder räumt und zur Ausgangsstellung vor der
jüngsten Offensive - 20 Kilometer nördlich der Stadt zurückkehrt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Movassat.
Danke. - Frau Staatsministerin, Sie hatten vorhin
schon die Rolle der kongolesischen Armee kurz angesprochen, die auch für die gesamte humanitäre Frage
von großer Bedeutung ist. Beim Abzug der kongolesischen Armee aus Goma wurde nach Berichten die
Stromversorgung durch die kongolesische Armee zerstört, was sozusagen die Strom- und Wasserversorgung
in ganz Goma lahmgelegt hat. Das kann man auch als
Kriegsverbrechen bezeichnen.
Nun ist die kongolesische Armee auch Partner der
UN-Mission vor Ort; die UN-Truppen kämpfen an der
Seite der kongolesischen Armee. Welche Probleme sehen Sie in diesem Zusammenhang, und wie schätzen Sie
die kongolesische Armee ein?
Die Bundesregierung setzt sich natürlich dafür ein,
dass der humanitäre Zugang schnellstmöglich wieder hergestellt wird. Dass wir dazu mit den vor Ort tätigen Partnerorganisationen in Verbindung stehen, ist ganz klar.
Sie haben richtig gesagt, dass die Menschen dort abgeschnitten sind von Wasser und Strom; vom Zugang zu
Grundnahrungsmitteln ganz zu schweigen. Für den
Transport von Hilfsgütern und humanitären Mitteln
brauchen wir natürlich dringend wieder den Zugang. Der
Flughafen Goma ist derzeit noch nicht wieder in Betrieb.
Auch das ist eine Schlüsselfrage in dem Zusammenhang.
Darüber hinaus erschweren Proteste und Übergriffe gegen die VN und gegen internationale Organisationen die
Leistung humanitärer Hilfe.
Wir haben natürlich Erwartungen an alle Partner dort
in der Region. Der Bundesaußenminister hat jüngst die
Außenminister zum Gespräch geladen. Insbesondere
über die Lage im Ostkongo hat er mit der ruandischen
Außenministerin gesprochen. Ich glaube, dass wir alle
Partner beteiligen müssen, auch die kongolesische Seite,
um schnellstens das zu erreichen, was für uns ein primäres Ziel ist, nämlich wieder humanitäre Maßnahmen gewährleisten und sichern zu können.
Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage.
Danke. - Frau Staatsministerin, Sie hatten in einer der
Antworten die Frage der Ursache des Konflikts angesprochen und gesagt, dass man da sozusagen ranmuss.
Eine große Ursache dieses Konflikts sind die Rohstoffvorkommen im Ostkongo, die natürlich Begehrlichkeiten in der Region wecken, zumal der kongolesische Staat
im Ostkongo praktisch nicht existent ist.
Die Bundesregierung setzt in der Rohstofffrage vor
allem auf Zertifizierungslösungen, sagt also: Man muss
die Rohstoffe zertifizieren und nachweisen, woher sie
kommen; das sei ein Mechanismus, um zu verhindern,
dass Raubdiamanten etc. aus dem Land kommen.
Die Realität zeigt allerdings, dass immer noch Rohstoffe aus dem Kongo geraubt werden, dass sie auch auf
unsere Märkte kommen, dass die Zertifizierungssysteme
also nicht funktionieren. Ruanda zum Beispiel verkauft
Rohstoffe, die es gar nicht hat, kann aber irgendeine Art
von Zertifizierung nachweisen, die jedoch nicht sehr
glaubwürdig ist.
Insofern meine Frage: Erwägt die Bundesregierung
verschärfte Importkontrollen und Beschränkungen für
Rohstoffe aus der Region auf nationaler wie europäischer Ebene?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung denkt über
alle notwendigen Maßnahmen nach, damit der Friedensprozess in der Region eine Chance bekommt. Da spielt
Ihr Vorschlag sicher auch eine Rolle. Aber ich will ganz
deutlich sagen, dass es darauf ankommen wird, dass
auch die Regierungen vor Ort zur Befriedung der Situation und zum Friedensprozess beitragen. Das ist aus meiner Sicht ganz wichtig. Deswegen gab es auch konstruktive Gespräche der Präsidenten Kagame, Museveni und
Kabila am 21. November. Ich glaube, wir alle sollten uns
darum bemühen, dass der Friedensprozess dort vorankommt, aber vor allen Dingen auch dafür sorgen, dass
die humanitären Maßnahmen in der Region geleistet
werden können.
Vielen Dank. - Nun haben wir den Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes abgeschlossen. Vielen Dank,
Frau Staatsministerin.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 auf, gestellt von unserem Kollegen Memet Kilic:
Wie hat die Bundesregierung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Assoziationsrecht EU-Türkei
umgesetzt, bzw. wie wird sie die Entscheidung umsetzen,
nach der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zum Nachweis eines Daueraufenthaltsrechts
nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich des Assoziierungsabkommens der EU mit der Türkei eine Gültigkeitsdauer von
mindestens fünf Jahren aufweisen und das Bestehen des zugrunde liegenden assoziationsrechtlichen DaueraufenthaltsVizepräsident Eduard Oswald
rechts einschließlich seiner Rechtsgrundlage textlich eindeutig erkennen lassen muss ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat mit den Ländern abgestimmt, dass zur
Umsetzung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts
der Begriff „Daueraufenthaltsrecht“ nach Art. 7 als Zusatz zur Art des Titels im Anmerkungsfeld des elektronischen Aufenthaltstitels oder auf einem Zusatzblatt aufgenommen wird. Die Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist im Übrigen Sache der
örtlich zuständigen Ausländerbehörden. Dabei haben die
zuständigen Landesbehörden die ausländerbehördliche
Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der aktuellen
Rechtsprechung anzuleiten und zu beaufsichtigen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Kilic.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Bald werden wir
das 50-jährige Bestehen des Assoziationsabkommens
zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft begehen. Dieses Assoziationsabkommen
sieht sogar eine Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nach 22 Jahren vor. In den 50 Jahren hat
der Gerichtshof der Europäischen Union mehr als 50 Urteile - die meisten zugunsten türkischer Staatsangehöriger - gesprochen. Aber die Bundesregierung weigert
sich, diese Rechtsprechung ins materielle Recht der Bundesrepublik Deutschland einzubinden und damit diese
Rechte für alle Ausländerbehörden und Verwaltungsbehörden sichtbar zu machen. Ist es nicht die Aufgabe der
Bundesregierung, das Bundesrecht so zu gestalten, dass
es auch höchstrichterlichen Urteilen und völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht?
Selbstverständlich - und das machen wir auch. Natürlich ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für uns bindend. Wir tun alles dafür, dass die nachgeordneten Behörden sie auch umsetzen. Die Länder tun
das in ihrem Verantwortungsbereich.
Da wollen Sie sicher noch nachfragen. Bitte schön,
Herr Kollege.
Herr Dr. Schröder, Assoziationsrecht ist kein einseitiges Geschäft, sondern es gibt zwei Seiten. Sicherlich hat
auch die Türkei bestimmte Hausaufgaben zu machen.
Ich nenne ein Beispiel: In der Türkei existiert nicht einmal eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für deutsche
Staatsangehörige, die dort auf Dauer leben. Die deutschen Ehegatten wissen gar nicht, ob ihre Aufenthaltserlaubnis verlängert wird, falls der türkische Ehegatte ablebt. Im Arbeitsrecht der deutschen Staatsangehörigen in
der Türkei ist es mehr oder minder ein Goodwill. Es ist
nicht sicher geregelt. Ich habe nie gehört, dass, wenn
Vertreterinnen und Vertreter der Türkei nach Deutschland kommen, Ihre Regierung diese mangelnden Rechte
der deutschen Staatsangehörigen thematisiert. Sie ducken sich weg. Woran liegt das? Fehlt es an Sachkenntnis oder an Mut?
Weder noch. Wir ducken uns nicht weg, sondern sind
natürlich in partnerschaftlichen Gesprächen mit der Türkei.
({0})
Weitere Nachfragen dazu sehe ich nicht.
Die Frage 11 des Kollegen Andrej Hunko und die
Frage 12 der Kollegin Maria Klein-Schmeink werden
schriftlich beantwortet.
Das waren die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Vielen Dank, Herr Dr. Ole
Schröder als Parlamentarischer Staatssekretär.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Hier steht zur Beantwortung der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur
Verfügung.
Die Frage 13 des Kollegen Tom Koenigs und die Fragen 14 und 15 der Kollegin Dr. Eva Högl werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 16, gestellt von unserem
Kollegen Burkhard Lischka:
Begleitet die Bundesregierung den Prozess der Prüfung
der Angemessenheit der GEMA-Tarifreform, mit der das
Bundesministerium der Justiz die Staatsaufsicht beim Deutschen Patent- und Markenamt beauftragt hat, und, wenn ja, in
welcher Weise geschieht das?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Kollege Lischka, ich darf die
Frage 16 wie folgt beantworten: Die Bundesregierung ist
über das Bundesministerium der Justiz, dem die Aufsicht über die Staatsaufsicht beim Deutschen Patent- und
Markenamt obliegt, in die aufsichtsrechtlichen Prüfungen der Angemessenheit der neuen Tarife der GEMA
einbezogen. Die Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften prüft intern und berichtet dem Bundesministerium der Justiz fortlaufend über den aktuellen Stand
der aufsichtsrechtlichen Prüfungen.
Herr Präsident, die Frage 17 betrifft den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen. Vielleicht bietet es sich
an, sie ebenfalls jetzt zu beantworten und dann die Nachfragen en bloc zu stellen.
Wie ich sehe, ist der Kollege Lischka damit einverstanden. Dann machen wir das so.
Ich rufe also noch die Frage 17 des Abgeordneten
Burkhard Lischka auf:
Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der
Verhandlungen, und was unternimmt die Bundesregierung,
damit es zu einvernehmlichen Regelungen zwischen der
GEMA und ihren Gesamtvertragspartnern kommt?
Der Bereich der gesamtvertraglichen Einräumung
von Nutzungsrechten an urheberrechtlich geschützten
Werken unterliegt bekanntlich der Privatautonomie der
Verhandlungspartner. Deshalb sollte vorrangig eine Einigung zwischen den Verhandlungspartnern angestrebt
werden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat sich die
GEMA mit dem Bund Deutscher Karneval e. V., den
Schützenbünden, dem Verband Deutscher Musikschaffender, den Deutschen Diskotheken Unternehmern sowie der Deutschen Disc-Jockey Organisation gesamtvertraglich auf Grundlage der neuen Veranstaltungstarife
geeinigt. Dies begrüßen wir selbstverständlich.
Nach Kenntnis der Bundesregierung verhandelt die
GEMA daneben mit weiteren großen Nutzervereinigungen, etwa mit dem Deutschen Olympischen Sportbund,
dem Deutschen Tanzsportverband, der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sowie der Bundesvereinigung der Musikveranstalter.
Herr Kollege Lischka, Sie haben nun insgesamt vier
Nachfragen. Bitte schön.
Herr Präsident, vielen Dank. Ich möchte nur von zwei
Nachfragen Gebrauch machen. - Herr Staatssekretär, vor
einigen Wochen, am 26. Oktober, fand im Deutschen Patent- und Markenamt eine Anhörung zur geplanten Tarifstrukturreform statt, gemeinsam mit den unterschiedlichen Verbänden, die dort involviert sind. Liegen Ihnen
Ergebnisse dieser Anhörung vor, und, wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Ergebnisse?
In der Tat hat das Bundesministerium der Justiz im
Rahmen seiner aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten darauf hingewirkt, dass es zu einem solchen Gespräch im
Deutschen Patent- und Markenamt gekommen ist. Dieses Gespräch hat am 26. Oktober stattgefunden, und
zwar mit zahlreichen Beteiligungen.
Nach dem, was ich über den Verlauf erfahren habe,
war diese Zusammenkunft sehr nützlich, weil dort eine
Vielzahl von Fragen, die in der öffentlichen Diskussion
aufgeworfen wurden, erörtert werden konnte. Es stellte
sich heraus, dass man bei einigen Themen noch zusätzliche Erkenntnisse zum Sachverhalt braucht, sodass den
Beteiligten Gelegenheit gegeben worden ist, diese nachzuliefern.
Im Moment läuft die Auswertung dieser Anhörung.
Die Ergebnisse werden dann in die weitere Meinungsbildung einfließen.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege Burkhard Lischka.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe noch eine abschließende Nachfrage. Herr Stadler, angenommen, dass
es in dem weiteren Verfahrensablauf nicht zu einem Abschluss der Verhandlungen und auch nicht zu einer Einigung bzw. zu einem allgemein akzeptierten Einigungsspruch kommt: Kann sich die Bundesregierung vorstellen,
in diesem Zusammenhang eine Vermittlerrolle zu übernehmen?
Die Bundesregierung hat insoweit schon vermittelnd
eingewirkt, als sie - wie ich geschildert habe - daran beteiligt war, dieses umfassende Gespräch zu initiieren,
und sich auch Fragestellungen erbeten hat, die in diesem
Zusammenhang erörtert wurden. Nunmehr liegt die weitere Diskussion bei den Beteiligten: der GEMA auf der
einen Seite und den Verbänden auf der anderen Seite.
Ich finde es sehr erfreulich, dass insbesondere mit der
Bundesvereinigung der Musikveranstalter - nach meiner
Kenntnis am morgigen Tag - ein Gespräch stattfinden
wird. Hier lagen in den letzten Monaten die Vorstellungen über die neuen Tarife wohl recht weit auseinander,
sodass es günstig ist, wenn der Gesprächsfaden jetzt
wieder aufgenommen wird.
Man muss zudem noch erwähnen, dass es einige
Schiedsverfahren gibt. Das ist nämlich der rechtsförmliche Weg, wie man zu einem Vermittlungsergebnis
kommt. In einem dieser Schiedsverfahren hat es bereits
eine mündliche Verhandlung gegeben, und zwar am
21. November. Eine weitere mündliche Verhandlung ist
für den 19. Dezember vorgesehen. Sie sehen also, dass
die Bemühungen um eine konsensuale Lösung in vollem
Gange sind.
Der Kollege Paul Lehrieder hat eine Nachfrage. Bitte
schön, Kollege Paul Lehrieder.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage hinsichtlich
des von Ihnen angesprochenen Schiedsverfahrens: Gibt
es Bestrebungen des Bundesjustizministeriums, auf die
GEMA insofern Einfluss zu nehmen, als man bis zum
Abschluss des Schiedsverfahrens von der beabsichtigten
Inkraftsetzung der neuen Tarife, die nach jetzigem Stand
zum 1. April erfolgen soll, absehen möge?
Herr Kollege Lehrieder, wie Sie wissen, gibt es keine
Möglichkeit der rechtlichen Einflussnahme auf die
GEMA. Sie ist ein Verein, der die Interessen seiner Mitglieder, beispielsweise der Komponisten, der Textdichter, der Kreativen, treuhänderisch wahrzunehmen hat.
Wohl aber beobachten wir, dass die GEMA die neuen
Tarife entgegen ursprünglichen Vorstellungen nicht zum
1. Januar 2013, sondern zum 1. April 2013 in Kraft setzen möchte. Bis dahin ist also noch viel Zeit, sich zu einigen. Ich habe bereits erwähnt, dass am 19. Dezember
eine mündliche Verhandlung stattfindet. Wir sollten jetzt
diesen Prozess der Einigung zwischen den Vertragspartnern abwarten und dann weitere Diskussionen darüber
führen.
Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 18 unserer
Kollegin Sonja Steffen:
Welche Änderungen beabsichtigt die Bundesregierung in
Bezug auf die strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch noch in dieser Legislaturperiode in den Deutschen Bundestag einzubringen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage einer Änderung der Fristen der strafrechtlichen Verjährung bei sexuellem Missbrauch wird derzeit
im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der
Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs erörtert. Die
Entscheidung darüber, welches Ergebnis am Ende erzielt
wird, liegt somit beim Deutschen Bundestag.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Teilt das BMJ die Erkenntnis, dass bei vielen Sexualstraftaten, die während der Minderjährigkeit der Opfer
begangen wurden, ein sogenanntes Coming-out erst sehr
spät erfolgt, also die Opfer oftmals sehr spät erst in der
Lage sind, über die Tat, die an ihnen begangen wurde, zu
reden?
Frau Kollegin Steffen, diese Erkenntnis ist zweifellos
richtig. Sie ist auch beim Runden Tisch, den die Bundesregierung initiiert hat, erörtert worden. Das Bundesministerium der Justiz orientiert sich bei seinem weiteren Vorgehen sehr stark an den Ergebnissen des Runden
Tisches. Das hat dazu geführt, dass wir mit dem von mir
gerade schon erwähnten Gesetzentwurf dafür eintreten,
die Frist der zivilrechtlichen Verjährung in solchen Fällen deutlich, nämlich auf 30 Jahre auszudehnen - bisher
waren es drei Jahre - und es entgegen ursprünglichen
Überlegungen dabei zu belassen, dass die Verjährungsfrist erst mit dem 21. Lebensjahr beginnt, sodass den
Opfern viel Zeit bleibt, ihre Ansprüche geltend zu machen.
Zwischen den Fraktionen gibt es Gespräche, ob man
bei der strafrechtlichen Verjährung in ähnlicher Weise
vorgehen könnte. Es ist kein Geheimnis, dass auch hier
überlegt wird, den Beginn der Verjährungsfrist auf ein
späteres Lebensjahr hinauszuschieben, sodass die Opfer
bei einem späteren Coming-out auch strafrechtlich gegen den Täter vorgehen können.
Ihre weitere Nachfrage, Frau Kollegin.
Das Ergebnis der Diskussionen des Runden Tisches
in Bezug auf die zivilrechtlichen Verjährungsfristen war
relativ eindeutig. 30 Jahre sind eine lange Zeit. Viele von
uns wünschen sich eine entsprechende Verlängerung der
Verjährungsfrist im Strafrecht.
Was mich in diesem Zusammenhang besonders umtreibt, ist die Tatsache, dass sich die Beweislage im
Laufe der Zeit verschlechtert; es ist ein großes Problem,
dass es nach dieser langen Zeit Beweisschwierigkeiten
gibt. Im Grunde genommen sind diese Schwierigkeiten
in zivilrechtlichen Verfahren wesentlich größer, weil es
hier den Parteien überlassen ist, die Beweisführung anzutreten. In einem strafrechtlichen Verfahren hingegen
ist dies wesentlich einfacher, weil man hier eben auch
die Hilfe der Staatsanwaltschaft und der Polizei in Anspruch nehmen kann.
Ganz konkret gefragt: Gehen Sie davon aus, dass sich
Ihr Ministerium in dieser Legislaturperiode noch mit den
strafrechtlichen Verjährungsfristen befassen wird? Es
gibt bereits entsprechende Gesetzesinitiativen; darauf
haben Sie hingewiesen.
Frau Kollegin Steffen, Sie haben völlig zu Recht auf
fortschreitende Beweisschwierigkeiten hingewiesen. Je
länger ein Sachverhalt zurückliegt, desto schwieriger ist
die Aufklärung durch die Gerichte. Das ist unter anderem ein Grund dafür, dass es überhaupt Verjährungsfristen gibt. Der Staat verzichtet aufgrund dieser Erwägung
auf die Durchsetzung des Strafanspruches nach einem
gewissen Zeitablauf.
In diesem speziellen Bereich ist von der Bundesregierung auf Grundlage eines Entwurfs des Bundesministeriums der Justiz ein Gesetz auf den Weg gebracht worden, nämlich das sogenannte StORMG. Die Fraktionen
überlegen jetzt, wie man die strafrechtliche Verjährung
dort ändert. Es gibt noch keine Einigung auf ein genaues
Modell, aber Sie können davon ausgehen, dass es am
Ende auf einen längeren Zeitraum, in dem eine solche
Straftat noch verfolgt werden kann, hinauslaufen wird.
Vielen Dank. - Wir sind immer noch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 19
der Kollegin Martina Bunge wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe die Frage 20 unseres Kollegen Ingo Egloff
auf:
Wird die Bundesministerin der Justiz noch im Internationalen Jahr der Genossenschaften 2012 einen Gesetzentwurf zur Entlastung kleiner Genossenschaften vorlegen,
nachdem sie im Februar 2012 erklärt hatte, ihr Haus entwickle hierfür Ideen, und nachdem am 13. November
2012 im Handelsblatt zu lesen war, bei dieser Idee handle
es sich um die Schaffung einer neuen Rechtsform „Kooperativgesellschaft ({0})“?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Egloff, ich kann bestätigen, dass im
Bundesministerium der Justiz an einem Gesetzentwurf
zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften gearbeitet
wird, bei dem es insbesondere um die Entlastung kleinster Genossenschaften geht. Sie hatten gefragt, ob der Gesetzentwurf noch im Internationalen Jahr der Genossenschaften vorgelegt wird, also noch in 2012. In diesem
Jahr wird der Gesetzentwurf nicht mehr vorgelegt werden können, zumal die offizielle Abschlusszeremonie
des Internationalen Jahres der Genossenschaften bei den
Vereinten Nationen bereits stattgefunden hat.
Kernstück des Gesetzentwurfes soll die Einführung der
sogenannten Kooperativgesellschaft ({0})
sein. Kleinstgenossenschaften sollen sich künftig als Kooperativgesellschaft gründen können und sind dann - das
ist der entscheidende Punkt - von der Pflichtmitgliedschaft in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband
und von der genossenschaftlichen Pflichtprüfung befreit.
Damit werden Kleinstgenossenschaften kostenmäßig
entlastet. Die Rechtsform wird somit für Kleinstunternehmen attraktiver.
Wichtig ist aus unserer Sicht: Die Kooperativgesellschaft soll keine neue Rechtsform sein, sondern eine Unterform der Genossenschaft. Durch diese besondere Firmierung als Kooperativgesellschaft wird für Gläubiger
deutlich, dass keine Prüfung stattfindet.
Sie haben eine Nachfrage?
Herr Staatssekretär, ist denn damit zu rechnen, dass
der Gesetzentwurf noch im Laufe dieser Legislaturperiode das Parlament erreicht?
Herr Kollege Egloff, damit rechne ich schon. Es
kommt hinzu, dass Ihre Fraktion erfreulicherweise am
20. November einen Antrag eingereicht hat - der offenkundig von Ihnen initiiert wurde -, um Genossenschaftsgründungen zu erleichtern. Unsere Überlegungen gehen
in dieselbe Richtung. Vielleicht gibt es in Nuancen Unterschiede, wenn es darum geht, was genau man in das
Gesetz hineinschreiben sollte. Aber da offenbar fraktionsübergreifend das Bedürfnis besteht, gesetzgeberisch
tätig zu werden, stehen die Chancen gut, dies noch in
dieser Legislaturperiode zustande zu bringen.
Ihre weitere Nachfrage?
Herr Staatssekretär, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass Kleinstgenossenschaften von der Pflichtprüfung entbunden werden sollen. Die entscheidende Frage
ist: Ab welcher Grenze fängt eine Kleinstgenossenschaft
an? In den Diskussionen, die es zu diesem Bereich zuhauf gibt, ist immer wieder - in Anlehnung an die
GmbH - von § 267 Abs. 2 HGB die Rede. Die Frage ist:
Verfolgt die Bundesregierung bei der Schaffung von
Kleinstgenossenschaften das Ziel, diesen Rahmen zu
nutzen? Oder würden Sie sagen, dass die Grenze wesentlich niedriger anzusetzen ist?
Herr Kollege Egloff, genau diese Frage ist mit ein
Grund, warum wir jetzt einen Gesetzentwurf erarbeiten.
Wir können Ihnen diesen Gesetzentwurf allerdings noch
nicht vorlegen. Der Abgrenzungsfaktor ist entscheidend
dafür, wie viele Genossenschaften unter die neue Firmierung fallen. Diesbezüglich läuft gerade der Abstimmungsprozess, und zwar sowohl in unserem Haus als
auch innerhalb der Bundesregierung. Wir werden Sie danach über das erzielte Ergebnis informieren.
Man muss berücksichtigen, dass es auf der einen Seite
das verständliche Bedürfnis gibt, solche Gründungen zu
erleichtern, auf der anderen Seite muss man aber auch
Mechanismen finden, sowohl Gläubiger als auch die
Mitglieder der Genossenschaften zu schützen. An all
dem arbeiten wir noch, sodass ich Ihnen zu Fragen zur
konkreten Abgrenzung - hier geht es zum Beispiel um
die Größe der Genossenschaft als Kriterium - erst zu einem späteren Zeitpunkt Auskunft geben kann.
Vielen Dank. - Zu dieser Frage hat auch unser Kollege Hans-Christian Ströbele eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich muss ausnahmsweise sagen:
Diese Töne höre ich gerne. Das zeigt, dass Sie sich Gedanken in dieser Richtung machen. Auch in unserer
Fraktion stellen wir entsprechende Überlegungen an. Ich
fordere das im Grunde schon, seitdem ich Mitglied des
Deutschen Bundestages bin, seit über zehn Jahren.
Für mich ist das ein besonderes Problem, weil ich als
Rechtsanwalt früher, als es nicht möglich war, Kleinstgenossenschaften zu gründen bzw. sie in Genossenschaftsverbänden unterzubringen, empfohlen habe, Vereine zu
gründen. Deshalb die Frage an Sie: Wie unterscheidet
sich die Kleinstgenossenschaft - abgesehen von dem
Merkmal Größe - von Vereinen? Würden Sie erwägen,
dass man in Zukunft, wenn man einen wirklich schlüssiHans-Christian Ströbele
gen, guten Gesetzentwurf hat, diese Kleinstgenossenschaften Kollektive nennt? Denn sie haben sich als solche seit langem in der Gesellschaft etabliert, auch wenn
sie als Vereine konstruiert waren.
Lieber Kollege Ströbele, da wir uns gut kennen, darf
ich Folgendes sagen: Es ist erfreulich, dass Sie immer
wieder in den Deutschen Bundestag gewählt worden
sind; denn so können Sie sich an diesem Gesetzgebungsvorhaben, das Ihnen offenkundig so sehr am Herzen
liegt, beteiligen. Was die Firmierung als Kollektiv anbelangt, vermute ich allerdings, dass in Teilen Ihrer Fraktion
mehr Bereitschaft dazu besteht als in den Regierungsfraktionen, sodass ich Ihnen eine solche Bezeichnung nicht
in Aussicht stellen kann.
Jetzt wissen wir auch das, wobei ich davon ausgehe,
dass das im Grunde schon vorher bekannt war.
Wir haben damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Steffen
Kampeter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 unseres Kollegen Manfred
Kolbe auf:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Jahresgehalt des griechischen Zentralbankpräsidenten Georgios
A. Provopoulos, und hat sich dieses durch die Krise verändert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kolbe, ich möchte Ihnen antworten,
dass die Bundesregierung keine Kenntnis über das Jahresgehalt des Präsidenten der griechischen Zentralbank
hat. Unsere Recherche hat ergeben, dass Griechenland,
soweit wir es erkennen konnten, dazu keinerlei Angaben
veröffentlicht hat.
Kollege Kolbe, Sie haben die Möglichkeit zur ersten
Nachfrage. - Keine.
Dann rufe ich die Frage 22 unseres Kollegen Manfred
Kolbe auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der griechische
Zentralbankpräsident und damit auch das Mitglied des Rates
der Europäischen Zentralbank bei seinem Amtsantritt von seinem früheren Arbeitgeber, der Piraeus Bank, eine Abfindung
in Höhe von 3,4 Millionen Euro erhalten haben soll, und wie
beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang, sollte er diese
Zahlung erhalten haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kolbe, die Frage bezieht sich auf einen
Sachverhalt, den auch die Bundesregierung nur über die
Presse zur Kenntnis genommen hat. Wir haben allerdings keinerlei Primärerkenntnisse und beabsichtigen
daher nicht, diesen Sachverhalt in irgendeiner Art und
Weise zu kommentieren.
Ihre Nachfrage, Kollege Manfred Kolbe.
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage nicht wie üblich
vorgetragen haben, darf ich das hier tun. Es geht darum,
dass der Präsident der griechischen Zentralbank, nachdem er das Amt angetreten hat, von seinem früheren Arbeitgeber, der Piraeus Bank, eine Abfindung in Höhe
von 3,4 Millionen Euro erhalten haben soll. Er ist gleichzeitig Mitglied des EZB-Rates. Ist die Bundesregierung
der Meinung, dass dieser Sachverhalt sie überhaupt nicht
zu interessieren hat und er ihr deshalb relativ egal sein
kann?
Herr Kollege Kolbe, die Fragestunde bezieht sich
nicht darauf, was die Bundesregierung interessiert und
ob ihr Sachverhalte egal sind. Die verfassungsrechtliche
Grundlage der Fragestunde hat das Bundesverfassungsgericht dahin gehend präzisiert, dass es darum geht, Ihnen aus dem Verantwortungsbereich der Bundesregierung Antworten zu geben, die Sie für die Bewertung von
politischen Sachverhalten oder für Ihre politische Arbeit
brauchen.
Ich glaube, dass die Frage, die sich auf einen zivilrechtlichen Vertrag zwischen einem griechischen Staatsangehörigen und einer griechischen Bank bezieht, nicht
im Verantwortungsbereich der Bundesregierung liegt.
Daher bedaure ich, dass ich aus Sicht der Bundesregierung keine Bewertung abgeben kann. Alle anderen Fragen und Insinuationen, die Sie dargelegt haben, werden
nicht vom Fragerecht abgedeckt.
Trotzdem hat sich der Kollege Manfred Kolbe noch
einmal zu einer Nachfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, wir befinden uns nicht im Rahmen des reinen Zivilrechts. Immerhin ist der fragliche
Präsident Mitglied des EZB-Rates. Auf die EZB soll
demnächst auch die Bankenaufsicht - auch die Aufsicht
über deutsche Banken - übertragen werden. Ist die Bundesregierung nach wie vor der Meinung, dass eine Abfindung in Millionenhöhe keinerlei Auswirkungen auf
das Agieren einer solchen Person hat und dass ihr deshalb ohne Weiteres die Aufsicht über andere Banken in
Europa anvertraut werden kann?
Herr Kollege Kolbe, ich habe Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Frage schon mitgeteilt, dass die Bundesregierung keine primären Erkenntnisse über das zivilrechtliche Geschäft hat, über das in der Presse berichtet
wurde. In meiner Antwort auf Ihre Nachfrage habe ich
darauf hingewiesen, dass wir in der Fragestunde Sachverhalte bewerten und dazu gern Auskunft geben, die in
den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen.
Ich kann diese Presseberichte daher nicht weiter kommentieren.
Ich will Ihnen aber sagen, dass die Bundesregierung
als Vertragspartner bei der Umsetzung der europäischen
Bankenunion sehr darauf achten wird, dass die Aufsicht
über die systemrelevanten Banken mit einem hohen Maß
an Kompetenz und orientiert an allgemein akzeptierten
Grundlagen ausgeübt wird. Wir legen darauf Wert, dass
das dafür erforderliche Personal - auch das Leitungspersonal - tadellos handelt und fachlich kompetent ist. Das
möchte ich Ihnen hiermit ausdrücklich bestätigen.
Vielen Dank. - Wir sind immer noch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Frage 23 des Kollegen Hans-Christian Ströbele,
die Fragen 24 und 25 der Kollegin Katrin Kunert, die
Fragen 26 und 27 der Kollegin Heidrun Bluhm, die Fragen 28 und 29 des Kollegen Steffen Bockhahn, die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dr. Axel Troost sowie die
Frage 32 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 33 unserer Kollegin Cornelia
Behm:
Zu welchen Ergebnissen ist die Arbeitsgruppe SBZ-Enteignungen im Bundesministerium der Finanzen gekommen,
die entsprechend dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und FDP prüfen sollte, ob es im Hinblick auf die Enteignungen in der SBZ von 1945 bis 1949 noch Möglichkeiten gibt,
Grundstücke, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, den Betroffenen zum bevorzugten Erwerb anzubieten,
und welche diesbezüglichen Umsetzungspläne verfolgt die
Bundesregierung ({0})?
Die Antwort gibt der Parlamentarische Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, Sie haben nach
dem Sachstand der Arbeitsgruppe SBZ-Enteignungen
gefragt. Ich möchte Ihnen antworten, dass die Arbeitsgruppe laut Koalitionsvertrag im Hinblick auf die Enteignungen der SBZ von 1945 bis 1949 prüfen soll, ob es
noch Möglichkeiten gibt, Grundstücke, die sich im
Eigentum der öffentlichen Hand befinden, den Betroffenen zum bevorzugten Erwerb anzubieten.
Diese Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit im Januar 2010
aufgenommen. Nachdem sie zunächst nur auf der Ebene
unseres Hauses, also des Bundesministeriums der Finanzen, getagt hat, wurden in der Folgezeit alle betroffenen
Ressorts der Bundesregierung eingebunden. Hierzu gehören das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das Bundesministerium
des Inneren, vertreten durch den Stab Aufbau Ost, das
Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium
der Verteidigung, das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie sowie das Bundeskanzleramt. Die Arbeitsgruppe hat zwischenzeitlich einen Redaktionsentwurf ihres Arbeitsberichts verfasst. Der Abstimmungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Entscheidungen,
die ich Ihnen darüber hinaus mitteilen könnte, wurden
noch nicht getroffen.
Sie haben eine Nachfrage?
Wenn ich Ihnen so zuhöre, denke ich mir, dass es
wahrscheinlich keinen Sinn hat, nachzufragen, was das
Ergebnis dieser Prüfung ist. Deswegen frage ich: Wann
legen Sie das Ergebnis offen? Es verwundert doch außerordentlich, dass trotz stattfindender Prüfung weiterhin Flächen, die sich in öffentlicher Hand befinden, veräußert werden. Wie passt das zusammen? Meine Frage
lautet also: Wird es jetzt zeitnah eine Offenlegung des
Ergebnisses der Prüfung geben, und wann wird geklärt
werden, wie damit umgegangen wird?
Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, ich kann Ihre
Nachfrage menschlich wie politisch durchaus nachvollziehen, halte mich aber - auch wenn ich das sehr bedaure - mit Einschätzungen, wann wir zu Ergebnissen
kommen, sehr zurück. Ich denke, dass das in dieser Legislaturperiode zweifelsohne abgeschlossen wird. Aber
die Erörterungen sind nicht ganz trivial. Die Konflikte,
die Sie aus Ihrer parlamentarischen Tätigkeit ebenso
kennen wie viele andere Kolleginnen und Kollegen, sind
nicht ganz einfach zu lösen. Deswegen kann ich Ihnen
nur zusagen, dass die Bundesregierung, sobald sie sich
intern abgestimmt hat, Sie und die übrigen Mitglieder
des Deutschen Bundestages in angemessener Form unterrichten wird. Alle weiteren Beschlüsse, die dann möglicherweise auf einer von mir noch nicht abzusehenden
Berichtsgrundlage zu treffen sind, wird die Bundesregierung sowieso mit dem Parlament abstimmen.
Ihre weitere Nachfrage.
Es wäre sehr sinnvoll, wenn die Offenlegung der Ergebnisse möglichst zeitnah erfolgt, damit Schlussfolgerungen gezogen werden können. Andernfalls ist die
Bundesregierung nicht in der Lage, den Koalitionsvertrag in diesem Punkt einzuhalten. Sie wird wahrscheinlich nicht die Gelegenheit haben, es in der nächsten Legislaturperiode zu tun. Aber ich will mich in dieser
Frage nicht festbeißen. Warten wir ab, was Sie liefern
werden.
Ich habe noch eine andere Frage. Ich würde gerne
wissen, aus welchem Grund die Bundesregierung beim
begünstigten Erwerb von BVVG-Agrarflächen bis heute
daran festhält, dass Alteigentümer, die bereits als Pächter Flächen begünstigt erworben haben, sei es auch nur
1 Hektar, ihre Ausgleichsleistung, die ihnen als Alteigentümer zusteht, nicht mehr für den begünstigten Erwerb von BVVG-Flächen einsetzen können? Sieht die
Bundesregierung darin keine Benachteiligung dieser
Alteigentümer? Widerspricht dieses Kumulationsverbot
nicht dem Geist des EALG? Dies frage ich auch vor dem
Hintergrund des Koalitionsvertrages, in dem Sie dieser
Personengruppe Verbesserungen zugesagt haben.
Frau Kollegin Behm, dass Sie uns im ersten Teils Ihrer Frage auffordern, den Koalitionsvertrag an dieser
Stelle einzuhalten, zeigt, dass dieses Vorhaben auch von
der Opposition unterstützt wird. Dafür möchte ich mich
bedanken. Ich möchte Ihnen aber in dem Punkt widersprechen, dass Sie erwarten, dass diese erfolgreiche
Koalition in der nächsten Legislaturperiode nicht weiterarbeiten wird. Ihre Erwartung werden wir durch ein gutes Wahlergebnis unsererseits enttäuschen.
Zuletzt würde ich Sie darum bitten, mir Dispens zu
erteilen, da sich Ihre Nachfrage sicherlich nicht auf den
Sachverhalt bezieht, den Sie mit der eingereichten Frage
angesprochen haben. Auf diese Sachverhalte, die eine
Rechtsauslegung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes betreffen, würde ich gerne schriftlich
eingehen. Ich glaube, das ist entsprechend der Regeln
hier durchaus möglich.
Dispens erteilt.
Die Frau Kollegin freut sich auf Post.
Die Fragen 34 und 35 der Kollegin Barbara Höll werden schriftlich beantwortet.
Damit schließen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen ab. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe zur Verfügung.
Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Beate WalterRosenheimer sowie die Frage 38 des Kollegen Volker
Beck werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 39, die von unserer Kollegin
Frau Britta Haßelmann gestellt wurde:
Inwiefern ist die Bundesagentur für Arbeit beauftragt, wie
in der 47. Kalenderwoche geschehen ({0}), Modellrechnungen für bestimmte alternative Konstellationen vorzunehmen, um deren
finanzielle Auswirkungen abzuschätzen, und kann nach Ansicht der Bundesregierung auch der Bundesgesetzgeber solche
Berechnungen in Auftrag geben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Haßelmann, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bundesagentur für Arbeit ist Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In ihrer fachlichen Verantwortung liegt
insbesondere die Erbringung des Arbeitslosengeldes II
durch die gemeinsamen Einrichtungen. In dieser Funktion kann sie sich zu Entwicklungen und Prognosen äußern. Die Befassung mit den Folgen von Veränderungen
der Regelsatzhöhe spiegelt die Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit für einen wirtschaftlichen Umgang
mit den Mitteln des Bundes wider. Einen konkreten Auftrag, Modellrechnungen in dieser Angelegenheit durchzuführen, haben weder der Gesetzgeber noch die Bundesregierung erteilt. Grundsätzlich wären beide dazu
berechtigt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist ja sehr schön,
Herr Staatssekretär, dass Sie mich über die Rechte aufklären; ich hatte mir schon gedacht, dass es in unserer
und Ihrer Kompetenz liegt, die BA dazu aufzufordern.
Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung es
für angemessen hält, dass sich die BA in tagespolitische
Diskussionen einmischt und sich ausgerechnet an dem
Tag, an dem die Beratungen zum Haushalt des Arbeitsund Sozialministeriums und die Kommentierung von
Parteitagsbeschlüssen, zum Beispiel des Bündnisses 90/
Die Grünen, im Mittelpunkt standen, veranlasst sieht, offensiv Pressearbeit zu machen.
Frau Kollegin, ich habe Ihre Frage so beantwortet,
wie Sie sie gestellt haben.
({0})
- Sie haben die Frage gestellt, ob auch der Bundesgesetzgeber solche Berechnungen in Auftrag geben kann.
Ich bin davon ausgegangen, dass diese Frage ernst gemeint war, und habe sie von daher auch entsprechend
ernsthaft beantwortet.
Frau Kollegin, ich weiß nicht, inwieweit es sich hierbei um eine tagespolitische Frage handelt und was Sie
darunter verstehen. Ich kann Ihnen nur sagen: Über die
Angemessenheit öffentlicher Äußerungen entscheidet
die Bundesagentur für Arbeit in eigener Zuständigkeit.
Die Notwendigkeit eines aufsichtlichen Eingreifens
durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
wird in diesem Zusammenhang nicht gesehen.
({1})
Bitte schön. Ich hätte Sie jetzt gefragt, ob Sie das
möchten.
Genau. - Auf welcher Faktenlage und auf welchem
Zahlenmaterial beruhen die Angaben von Herrn Alt, der
sich in der Presse geäußert hat, und inwiefern sind diese
Zahlen mit den Zahlen abgeglichen, mit denen Sie, Herr
Brauksiepe, und Herr Fuchtel als Staatssekretäre und die
Bundesministerin arbeiten?
Frau Kollegin, die Ermittlung dieser Zahlen ist von
der Bundesagentur für Arbeit beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Auftrag gegeben worden.
Dazu ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auch in der Lage; dafür ist es da. Es hat ein entsprechendes Mikrosimulationsmodell erstellt und auf
Basis dieses Modells Schätzungen durchgeführt. Dieses
Modell berechnet für eine Stichprobe von Haushalten,
das sogenannte Sozio-oekonomische Panel, Steuern und
Abgaben sowie Ansprüche auf die wichtigsten Sozialleistungen.
Die Ermittlung der Zahlen ist, wie gesagt, von der BA
in Auftrag gegeben worden. Das sind die Zahlen, die dabei herausgekommen sind. Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an der Plausibilität dieser Berechnungen zu
zweifeln; nur darum geht es ja. Es geht nicht darum, etwas exakt zu beweisen, sondern es handelt sich um Modellrechnungen bzw. Simulationen, die, wenn ihre Ergebnisse sinnvoll sein sollen, auf plausiblen Annahmen
beruhen müssen. Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, an der Plausibilität der entsprechenden Berechnungen zu zweifeln.
({0})
Frau Haßelmann, Sie können keine dritte Nachfrage
stellen.
({0})
- Sie müssen dem Staatssekretär überlassen, wie er antwortet.
({1})
Herr Kurth hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Bundesagentur für Arbeit könne solche Äußerungen in eigener
Verantwortung treffen und entsprechende Berechnungen
in eigener Verantwortung durchführen. Nun haben sich
diese Berechnungen ja eindeutig auf einen Beschluss des
Parteitags von Bündnis 90/Die Grünen bezogen. In die
Berechnungen sind allerdings nicht die Parameter eingeflossen, die dem Parteitagsbeschluss zugrunde gelegen
haben. Überdies waren die Äußerungen vonseiten der
BA mit politisch wertenden Aussagen verbunden. So hat
das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit
Heinrich Alt gesagt, dass Hartz IV nicht zum Lebensmodell werden und Deutschland kein Volk von Transferempfängern werden darf.
Halten Sie es für angemessen, dass die BA solche
wertenden politischen Äußerungen trifft, und, falls ja,
sind Sie dann damit einverstanden, wenn Vorstandsmitglieder der Bundesagentur etwa nach dem jetzt kommenden CDU-Parteitag über Ihre politischen Ergebnisse in
ähnlicher Weise einseitig, selektiv, berechnend und wertend urteilen?
Zum ersten Teil der Frage: Ja.
Des Weiteren kann ich nur wiederholen: Es gehört
zum Verantwortungsbereich der Bundesagentur für Arbeit, auf einen wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln
des Bundes hinzuwirken. Die Plausibilität der vorgenommenen Berechnungen ist aus Sicht der Bundesregierung nicht zu bestreiten. Das kann ich von daher nur
wiederholen.
Dann kommen wir zur Frage 40 des Abgeordneten
Markus Kurth:
Wie sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerungen des Vorstandsmitglieds der Bundesagentur für Arbeit,
BA, Heinrich Alt zu den Folgen einer Regelsatzerhöhung auf
432 Euro bzw. 482 Euro ({0}) vor dem Hintergrund des Gebotes der
Neutralität und Unabhängigkeit, das die BA immer wieder betont, zu bewerten?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Herr Kollege Kurth, Sie beziehen sich
in Ihrer Frage auf den gleichen Sachverhalt. Deswegen
werden Ihnen Teile der Antwort vermutlich bekannt vorkommen. Denn ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bundesagentur für Arbeit ist Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende. In ihrer fachlichen Verantwortung liegt
insbesondere die Erbringung des Arbeitslosengeldes II
durch die gemeinsamen Einrichtungen. In dieser Funktion kann sie sich über Entwicklungen und Prognosen
äußern. Die Befassung mit den Folgen von Veränderungen der Regelsatzhöhe spiegelt die Verantwortung der
Bundesagentur für Arbeit für einen wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln des Bundes wider.
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Der Kern der Frage 40 war, wie diese Äußerung vor
dem Hintergrund des Gebotes der Neutralität und Unabhängigkeit der BA, das die BA selbst immer betont, zu
bewerten ist. Ich will Sie in diesem Zusammenhang von
einem Schreiben von Heinrich Alt in Kenntnis setzen.
Ich hatte ihn im Oktober gebeten, uns bezüglich des Verfahrens der Anrechnung von Einkommen Modellrechnungen zur Verfügung zu stellen und unsere parlamentarische Arbeit zu unterstützen. Herr Alt hat mir am
16. November, also vor gar nicht langer Zeit und nur wenige Tage vor seinen Äußerungen, geantwortet - ich zitiere -:
Solche Modellrechnungen gehen über den Auftrag
und die Rolle einer amtlichen Statistik hinaus. Um
ihrer Verantwortung gerecht zu werden, muss die
BA die Gebote der Neutralität und Unabhängigkeit
beachten.
({0})
Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dessen, was
Sie ausgeführt haben, und vor dem Hintergrund, dass Sie
meiner Kollegin Haßelmann mitgeteilt haben, auch der
Bundesgesetzgeber könne Aufträge erteilen, diese Antwort von Herrn Alt?
Herr Kollege Kurth, ich kann nur meine Auffassung
wiederholen, dass die Vorlage plausibler Simulationsrechnungen keinerlei Verstoß gegen das Neutralitätsgebot beinhaltet. Ich bin der Meinung, dass man die Bundesagentur für Arbeit nicht für die Beschlüsse irgendeiner
Partei verantwortlich machen kann. Man kann ihr darum
auch nicht die Schuld für diese Beschlüsse zuschieben
und kann nicht den Vorwurf erheben, dass sie zu einem
bestimmten Thema plausible Simulationsrechnungen
vorlegt.
Ich möchte betonen, dass die Simulationsrechnungen,
die in diesem Zusammenhang vorgelegt worden sind, alternativ von einer Erhöhung des Regelsatzes auf
432 Euro und 482 Euro ausgehen; das ist nie bestritten
worden. Weder die eine noch die andere Zahl entspricht
exakt der Beschlusslage irgendeiner Partei; aber es geht
in die Richtung. Von daher sind plausible Simulationsergebnisse in diesem Zusammenhang durchaus von Relevanz.
Herr Kurth, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte
schön.
Halten Sie es für einen Zufall, dass diese Zahlen inklusive der einseitigen politischen Wertung durch Herrn
Alt drei Tage nach Abschluss des Bundesparteitags von
Bündnis 90/Die Grünen öffentlich geworden sind und
just an dem Tage medienwirksam wurden, an dem der
entsprechende Etat im Bundestag beraten wurde?
Nein. Ich sage nur noch einmal: Es geht nicht um Einseitigkeit. Wenn eine Modellrechnung durchgeführt wird
auf der Basis eines Regelsatzes, der ziemlich genau auf
der Höhe liegt, die von einer Partei angestrebt wird, und
sich dabei plausibel Mehrkosten in Höhe von ungefähr
7,4 Milliarden Euro ergeben, dann ist das zunächst einmal eine Feststellung. Wenn Sie sagen: „Das ist aus unserer Sicht nicht viel Geld“, dann ist das Ihre politische
Bewertung.
Herr Alt hat diese Zahl nicht in irgendeiner Form bewertet, sondern er hat eine plausible Simulationsrechnung erstellen lassen und die Ergebnisse vorgetragen.
Die Bewertung obliegt Ihnen.
Frau Haßelmann hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Brauksiepe, Sie
nehmen in Ihren Stellungnahmen dauernd Bezug darauf,
wie wichtig diese Modellberechnungen des IAB für Sie
sind. Deshalb meine Frage: Beabsichtigen Sie, die Zahlen, die Sie in den Haushaltsplanberatungen für das
BMAS und auch für das Bundesfinanzministerium zugrunde gelegt haben, jetzt zu korrigieren? Ihre Zahlen
stimmen ja nicht mit den Zahlen des IAB überein.
Frau Kollegin, ich wage mich nicht - zumal in Anwesenheit des Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen - in das Aufgabengebiet des Bundesfinanzministeriums. Soweit ich die Dinge im haushaltspolitischen
Bereich kenne, werden für die Planungen der Bundesregierung im Haushalt entsprechende Ansätze gebildet.
Mir ist nicht bekannt, dass für jeden Parteitagsbeschluss
irgendeiner Partei
({0})
der Bundesfinanzminister oder eine andere Institution
dann eine finanzielle Modellrechnung vorlegt.
Ich sage noch einmal: Wir haben diese Modellrechnung nicht in Auftrag gegeben. Die Bundesagentur für
Arbeit hat sie in Auftrag gegeben, offensichtlich aus gegebenem Anlass. Soweit mir das bekannt ist, haben die
Grünen bei dem, was sie auf ihrem Parteitag beschlossen
haben, nur Mehraufwendungen berücksichtigt, die bei
denen anfallen, die tatsächlich schon im Leistungsbezug
sind. Wenn Sie - im Gegensatz zu den plausiblen Annahmen des IAB - nicht berücksichtigen wollen, dass
zusätzliche Menschen in den Leistungsbezug kommen,
dass das Auswirkungen auf das SGB XII hat, dass das
Auswirkungen auf das Einkommensteueraufkommen
hat, dann ist das Ihr gutes Recht. Es ist aber auch das
gute Recht der BA, beim IAB eine Studie in Auftrag zu
geben, in der all diese plausiblen Annahmen zugrunde
gelegt werden.
({1})
Jetzt kommen wir zur Frage 41 des Kollegen Markus
Kurth:
Ist es richtig, wie die Mitteldeutsche Zeitung am 22. November 2012 berichtet, dass die Bundesregierung „den Entwurf des vierten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung auf Betreiben der FDP deutlich geglättet“ habe, und
welche Änderungen wurden konkret vorgenommen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Kurth,
ich antworte Ihnen wie folgt: Der Armuts- und Reichtumsbericht ist ein Bericht der Bundesregierung, zu dem
alle Ressorts aus ihrem Zuständigkeitsbereich Beiträge
erstellen. Der Gesamtentwurf ist nach der Gemeinsamen
Geschäftsordnung innerhalb der Bundesregierung abzustimmen. Derzeit erhalten Verbände und Wissenschaftler
Gelegenheit zur Stellungnahme. Bis zur Vorlage der im
Ressortkreis konsentierten Kabinettsfassung sind die
Abstimmungs- und Änderungsprozesse noch nicht abgeschlossen.
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Wie bewertet die Bundesregierung erstens, dass im
vorliegenden Berichtsentwurf im Vergleich zu dem vom
September nicht mehr von einer allgemeinen angemessenen Lohnuntergrenze die Rede ist?
Zweitens. Wie bewertet die Bundesregierung, dass
nicht mehr davon die Rede ist, dass Wirkungen des Betreuungsgeldes auf die Erwerbstätigkeit von Frauen
überprüft werden müssen, und ebenso etwa der Hinweis
fehlt, dass eine nachhaltige Finanzierungsbasis öffentlicher Aufgaben auch durch Vermögende geschaffen werden kann?
Herr Kollege Kurth, ich habe Sie darauf hingewiesen
- unabhängig davon, dass ich davon ausgehe, dass Ihnen
das bekannt ist -, dass der vierte Armuts- und Reichtumsbericht in der Ressortabstimmung ist und dass zurzeit Verbände und Wissenschaftler Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, den jetzigen Berichtsentwurf, der ja immer noch eine Entwurfsfassung ist und jetzt mit der Bitte um Stellungnahme an
die entsprechenden Institutionen versandt worden ist, zu
vergleichen mit einer früheren Entwurfsfassung, die es
gegeben hat. Es ist ganz selbstverständlich, dass ein solcher Prozess innerhalb der Bundesregierung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Maßgeblich für die Position der Bundesregierung
wird am Ende nicht das sein, was in irgendeiner
Entwurfsfassung stand, sondern das, was im Armutsund Reichtumsbericht selbst steht. Ich kann Ihnen versichern - - Nein, versichern kann ich es Ihnen nicht, weil
wir noch über einen Entwurf reden; aber ich kann Ihnen
sagen: Ich gehe davon aus, dass das Thema „freiwilliges
Engagement Vermögender“ auch in der Endfassung des
Armuts- und Reichtumsberichts eine Rolle spielen wird.
So ist es auch in früheren Entwurfsfassungen gewesen.
Änderungen an dem Entwurf sind an vielen Stellen
vorgesehen, was in diesem Zusammenhang ein völlig
übliches Verfahren ist.
Herr Kurth, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
schön.
Was sind die Gründe für die neuerliche Verschiebung
der endgültigen Befassung des Kabinetts mit dem Armuts- und Reichtumsbericht? Ursprünglich sollte das bis
Ende des Jahres geschehen. Wie kommt es, dass diese
Verschiebung heute vom Bundeswirtschaftsministerium
bekannt gegeben wurde, obwohl doch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend ist?
Der Grund für die Verschiebung ist, dass die Ressortabstimmung noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin nicht
befugt, für das Bundeswirtschaftsministerium zu sprechen; der verehrte Staatssekretär Peter Hintze ist ja anwesend.
Das Wichtige ist: Die Ressortabstimmung ist noch
nicht abgeschlossen. Solange sie noch nicht abgeschlossen ist, gibt es diesen Bericht eben nicht. Er wird Ihnen
aber in absehbarer Zeit vorliegen, und es wird dann genügend Gelegenheit geben, ihn zu diskutieren, Herr Kollege.
Eine Nachfrage der Kollegin Haßelmann.
Herr Brauksiepe, nach Ihren Ausführungen kann man
also davon ausgehen, dass die Pressemeldungen vom
heutigen Tag richtig sind, und zwar dahin gehend, dass
zwischen dem Arbeits- und Sozialministerium und dem
Wirtschaftsministerium große Konflikte in Bezug auf
die Einschätzung der Armuts- und Reichtumssituation in
Deutschland bestehen, deren Entwicklung ja dramatisch
ist. Von einer Glättung des Berichtes ist ja schon die
Rede gewesen.
Meine Frage: Trifft es zu, dass dieser Bericht wirklich
erst im nächsten Jahr im Kabinett vorliegen und somit
auch erst im nächsten Jahr parlamentarisch beraten werden soll?
Frau Kollegin Haßelmann, ich bitte um Verständnis
dafür, dass mir nicht jede Pressemitteilung vom heutigen
Tage bekannt ist, die ich nicht selbst verfasst habe.
({0})
Ich kann Ihnen nur noch einmal zusichern, dass der
Bericht in Kürze vom Kabinett beschlossen werden soll
und Sie genügend Gelegenheit bekommen werden, sich
damit dann auch parlamentarisch auseinanderzusetzen.
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Josip
Juratovic werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert:
Welche Rolle spielten Aktivitäten und Fragen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei den DeutschRussischen Regierungskonsultationen sowie beim Petersburger Dialog im November 2012 in Moskau, und in welcher
Weise waren Menschen mit Behinderungen und deren Organisationen an diesen Ereignissen beteiligt?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Seifert, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Behindertenpolitik und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sind grundsätzliche Anliegen in der bilateralen Zusammenarbeit des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales mit Russland.
Russland hat am 25. September 2012 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und ist an einem Austausch über Erfahrungen zur Umsetzung der Konvention
interessiert. Deshalb wurde dieses Thema bereits im
Rahmen eines bilateralen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Austausches auf Staatssekretärsebene im Juli 2011
aufgegriffen.
Am 16. November 2012 fanden in Moskau die
14. Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen statt.
Dabei wurde zwischen dem russischen Ministerium für
Arbeit und Sozialschutz und dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales vereinbart, ein sogenanntes MoU,
ein Memorandum of Understanding, über die Zusammenarbeit zwischen beiden Ministerien zu erarbeiten,
das auch Fragen bezüglich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention behandeln soll. Da es sich
hierbei um Regierungskonsultationen handelte, waren
Verbände behinderter Menschen nicht beteiligt.
Der Petersburger Dialog dagegen ist kein Regierungs-,
sondern ein offenes Diskussionsforum, das die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder
fördern soll. Es steht unter der Schirmherrschaft der jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzlerin bzw. des
jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzlers und des
jeweils amtierenden russischen Präsidenten bzw. der jeweils amtierenden russischen Präsidentin und findet in
der Regel einmal jährlich abwechselnd in Deutschland
und in Russland statt.
Der Petersburger Dialog ist als bilaterale Tagung angelegt, die sich gesellschaftlichen Zeitfragen und Fragen
der deutsch-russischen Beziehungen widmet. Teilnehmer sind Experten und Multiplikatoren aus allen Bereichen der Gesellschaften Deutschlands und Russlands.
Der Petersburger Dialog wird von deutscher und von
russischer Seite durch einen paritätisch besetzten, unabhängigen Lenkungsausschuss koordiniert, der das Gesprächsforum plant, thematisch vorbereitet und einberuft
sowie die Finanzen für seine Durchführung sichert.
Herr Seifert, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die Antwort, der ich entnehme, dass
immerhin eine Vereinbarung getroffen wurde, dass weiterhin darüber geredet werden soll, wie die Konvention
umgesetzt wird. Aber in der Konvention selbst steht
- dazu haben sich Deutschland und Russland verpflichtet -, in allen Belangen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, diese Menschen und deren Organisationen
einzubeziehen.
Erstens eine Nachfrage in Bezug auf die Regierungskonsultationen: Wie wird das auf dieser Ebene gemacht?
Die zweite Nachfrage: Sie sprachen gerade davon,
dass der Petersburger Dialog ein sehr offener Gesprächskreis ist, wenn auch sehr hoch angesiedelt. Wie wird die
Bundesregierung mit ihren Möglichkeiten darauf hinwirken - immerhin ist auf deutscher Seite die Kanzlerin die
Chefin -, dass dieses Thema dort nicht nur immer wieder auf der Tagesordnung steht - es ist immerhin ein
Menschenrechtsthema -, sondern dass auch die Betroffenen und ihre Organisationen in angemessener Weise einbezogen werden?
Herr Kollege Seifert, Sie wissen, dass der Bundesregierung die Behindertenpolitik und insbesondere das
Thema der Inklusion ein großes Anliegen ist und dass
wir es breit diskutieren. Sie kennen den Nationalen Aktionsplan und alle damit zusammenhängenden Aktivitäten. Auch wir persönlich begegnen uns bei zahlreichen
solcher Aktivitäten und Veranstaltungen.
Ich kann nur wiederholen, dass bei deutsch-russischen Regierungskonsultationen wie bei allen Regierungskonsultationen, wie der Name schon sagt, Regierungen miteinander reden und nicht Verbände. Dabei
handelt es sich nicht um den Ausschluss von Verbänden
für Menschen mit Behinderungen, sondern Regierungskonsultationen werden zwischen Regierungsmitgliedern
geführt und nicht mit Verbänden. Das hat nichts mit der
Frage zu tun, ob ein Verband ein Verband für Menschen
mit Behinderungen ist oder eine andere Funktion hat.
Ich will auch noch einmal betonen, da Sie von „Chefin“ sprachen: Die Bundeskanzlerin ist Schirmherrin des
Petersburger Dialoges. Das hat nichts mit dem Erteilen
von Befehlen, mit Befehl und Gehorsam sowie mit Chefin bzw. Vorgesetzter und Nachgesetzter zu tun.
({0})
Sie ist die Schirmherrin. Ich wiederhole es gerne: Es gibt
einen paritätisch besetzten, unabhängigen Lenkungsausschuss, der den Petersburger Dialog koordiniert, ihn
plant, thematisch vorbereitet, einberuft und die Finanzen
für seine Durchführung sichert. Diesem unabhängigen
Lenkungsausschuss obliegen die Fragen, die Sie vermutlich mit dem Begriff „Chefin“ umschreiben wollen.
Herr Seifert, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, wenn ich die Presse richtig verfolge, dann sind, wenn auf Regierungsebene Gespräche
geführt werden, im Gefolge einer solchen Regierungsdelegation immer auch Expertinnen und Experten, insbesondere aus der Wirtschaft, dabei, die in Gegenwart der
Kanzlerin und der Ministerinnen und Minister verschiedene Verträge abschließen und auch anderes tun. Wieso
können in einer solchen Delegation nicht auch Mitglieder von Behindertenorganisationen als Berater oder Beraterinnen sein? Wieso müssen das immer Vertreter von
Wirtschaftsverbänden sein?
Was den unabhängigen Lenkungsausschuss angeht:
Ich finde es sehr gut, dass er unabhängig ist; das ist gar
nicht mein Problem. Ich hatte Sie danach gefragt, welchen Einfluss Sie innerhalb dieses Lenkungsausschusses
darauf nehmen, dass das Thema der Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention auf die Tagesordnung gesetzt wird und dass es mit den entscheidenden Expertinnen und Experten in eigener Sache verhandelt wird. Ich
frage nicht, wie die Sache formal ist, sondern welchen
Einfluss Sie in der bescheidenen Weise, die der Bundesregierung nun mal zusteht, nehmen.
Herr Kollege Seifert, es ist richtig, dass anlässlich von
Regierungskonsultationen auch Abkommen unterzeichnet werden. Es gibt aber nicht für bestimmte Verbände
sozusagen ein Privileg, im Rahmen von Regierungskonsultationen Abkommen unterzeichnen zu können. Ich
wiederhole: Die Konsultationen werden zwischen den
Regierungen geführt.
({0})
Dann, Herr Kollege Seifert, wenn ich in meinem bescheidenen Rahmen vertretungsweise an Regierungskonsultationen teilnehmen konnte, wurde ich von Vertretern des BMAS und der jeweils dort ansässigen
deutschen Botschaft begleitet. Das ist das, was ich Ihnen
dazu sagen kann.
Regierungskonsultationen werden von Regierungsvertretern geführt. Der Lenkungsausschuss für den Petersburger Dialog ist unabhängig, und die Bundesregierung arbeitet mit großer Entschlossenheit an der
Erfüllung der Pflichten, die sie auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention und den Nationalen Aktionsplan eingegangen ist. Mit Verlaub, mein Eindruck ist: Im
Weltmaßstab - wir reden nämlich über eine Behindertenrechtskonvention, die auf globaler Ebene existiert stehen wir als Bundesrepublik Deutschland nicht
schlecht da. Die Bundesregierung leistet dazu ihren Beitrag.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Cornelia
Behm auf:
Hat die Bundesregierung bereits bzw. bis wann wird sie
entsprechend der Bitte der Agrarministerkonferenz am
28. September 2012 in Schöntal zum Tagesordnungspunkt 39
„EEG und Biogas“ eine Studie in Auftrag geben, in der die
Auswirkungen der Biogaserzeugung ({0}) und des dafür erforderlichen Energiepflanzenanbaus auf
die Boden- und Pachtmärkte, die innersektoralen Wechselwirkungen sowie auf die Ernährungs- und Futtermittelindustrie
mit transparenten Indikatoren untersucht werden, und wann
ist mit der Vorlage der Ergebnisse zu rechnen bzw. ist sie geplant?
Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage der Kollegin Behm mit einem freudigen Ja.
Frau Behm, haben Sie eine Nachfrage?
Das begrüße ich erst einmal. - Ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung unabhängig vom Inauftraggeben der Studie schon ein Zwischenfazit aus den zu Beginn des Jahres 2012 in Kraft getretenen Änderungen bei
der EEG-Vergütung für Strom und Biogas ziehen kann,
insbesondere unter Berücksichtigung dieser Verwerfungen oder Wirkungen auf Boden- und Pachtmärkte, auf
die intersektoralen Wechselwirkungen sowie auf die Ernährungs- und Futtermittelindustrie.
Diese Frage beantworte ich wie folgt: Das können wir
sicherlich, aber nicht hier und nicht durch mich in dieser
Fragestunde.
Frau Behm, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Sehr gerne.
Bitte schön.
Danke schön. - Die Diskussion über die Auswirkungen der Biogaserzeugung und des dafür erforderlichen
Energiepflanzenanbaus auf die Boden- und Pachtmärkte
und anderes wird seit Jahren geführt, auch auf der Basis
von Studien. Die Debatte wird auch sehr kontrovers geführt. Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung bisher aus diesen Studien gezogen? Wenn wir jetzt
eine weitere Studie in Auftrag gegeben haben, dann liegt
uns ein Konzert von Studien vor. Ich frage Sie: Verspricht sich die Bundesregierung von dieser weiteren
Studie endlich Klarheit und eine klare Handlungsempfehlung für die zukünftige Gestaltung der Förderung der
Biogaserzeugung?
Ja, das erwarten wir von dieser Studie. Deshalb haben
wir sie in Auftrag gegeben.
({0})
Frau Kollegin Behm, Sie hatten zwei Nachfragen.
Eine weitere können Sie nicht stellen.
In den nächsten Monaten.
({0})
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt steht bereit zur Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zur Frage 46 des Abgeordneten
Ströbele:
Bestätigt die Bundesregierung, dass rechtsextreme Äußerungen und Aktivitäten von Uwe Mundlos, NSU, bereits im
Jahr 1994 während seines Wehrdienstes von Bundeswehrdienststellen festgestellt, an Behörden des Verfassungsschutzes übermittelt und vom Militärischen Abschirmdienst oder
vom Verfassungsschutz bei Uwe Mundlos nachgefragt wurden ({0}), und wie rechtfertigt die
Bundesregierung, dass sie meine schriftliche Frage 43 auf
Bundestagsdrucksache 17/10583 nach rechtsextremen Äußerungen und Aktivitäten von Uwe Mundlos während oder vor
seinem Wehrdienst ab 1994 am 31. August 2012 somit unvollständig und falsch beantwortet hat?
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, auf Ihre
Frage kann ich antworten, dass es zutrifft, dass Uwe
Mundlos, ein Mitglied der Terrororganisation NSU, bereits im Jahre 1994 in seiner Wehrdienstzeit durch
rechtsextreme Äußerungen und Aktivitäten aufgefallen
ist. Dies ist dem Militärischen Abschirmdienst durch
Vorgesetzte des Uwe Mundlos gemeldet worden.
Der MAD hat die operative Bearbeitung im September 1994 aufgenommen und Uwe Mundlos am 8. oder
9. März 1995 befragt. Dies ist dem 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode, also dem NSU-Untersuchungsausschuss, im September dieses Jahres mitgeteilt
worden, nachdem im MAD-Amt die nicht mehr genutzte
Datei VERANDA, das heißt Verfahren zur Registrierung
und Auswertung nachrichtendienstlicher Daten, zu Uwe
Mundlos ausgewertet werden konnte.
Dieser VERANDA-Auszug vom 19. September war
bei der Antwort meines Kollegen Thomas Kossendey
auf Ihre Frage vom 31. August in der von Ihnen in dieser
Frage erwähnten Bundestagsdrucksache noch nicht bekannt. Gleichwohl war die Antwort vom 31. August dieses Jahres auch im Lichte des zu einem späteren Zeitpunkt aufgefundenen VERANDA-Auszuges zu Uwe
Mundlos korrekt. Insbesondere ist in dieser Antwort
keine Aussage zur Anzahl von Befragungen des Uwe
Mundlos getroffen worden. Dessen ungeachtet lässt sich
- das ist jetzt der Stand, den wir haben - dem
VERANDA-Auszug vom 19. September lediglich eine
Befragung durch den MAD entnehmen.
Soweit in den von Ihnen zitierten Presseartikeln der
Eindruck mehrerer Befragungen durch den MAD erweckt wird, kann eine mehrfache Befragung aufgrund
der hiesigen Erkenntnisse jedenfalls nicht bestätigt werden. Im Übrigen findet eine Bewertung von Zeugenaussagen durch die Bundesregierung in einem laufenden
Strafverfahren, in dem wir uns insofern gegenwärtig befinden, als über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden wird, nicht statt.
Herr Ströbele, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, dann halte ich erst einmal fest,
dass Sie einräumen, dass die Bundesregierung meine
Frage unvollständig und damit unrichtig oder falsch beantwortet hatte, weil sie auf die Frage nach den Aktivitäten und Äußerungen rechtsextremer Art des Herrn
Mundlos lediglich die Befragung vom Frühjahr 1995
mitgeteilt hat, in der es um etwas ganz anderes gegangen
ist, nämlich um rechtsextreme Gesänge innerhalb der
Kaserne, gemeinsam mit vier anderen Kameraden, die
im Zusammenhang mit der Befragung von Herrn
Mundlos auch befragt worden sind. Die sind ja gleichzeitig befragt worden.
Von den Ereignissen 1994, also ein Jahr vorher, war
in der Antwort überhaupt keine Rede. Wie können Sie
das denn erklären? Die Ereignisse 1994 waren doch sehr
zahlreich. Damals ist Mundlos verhaftet und eine Nacht
lang festgehalten worden, er ist nicht zum Dienst erschienen, es wurde ein strafrechtliches Verfahren gegen
ihn durchgeführt, es ist sogar ein Strafbefehl erlassen
worden und, und, und.
Herr Kollege, Sie fragen mich nach MAD-Befragungen, die, wie wir wissen, für Strafverfahren nicht in dem
Sinne herangezogen werden können, dass sie Teil eines
Strafverfahrens sind. Es gab eine nachrichtendienstliche
Aufklärung des MAD. Diese Befragung hat nach unseren Unterlagen - das lässt sich nicht mehr ganz genau
anhand dieser wieder aktivierten VERANDA-Datei feststellen - entweder am 8. oder 9. März 1995 stattgefunden. Insofern muss ich Ihre Unterstellungen zurückweisen. Es handelt sich um den Vorgang, der den Zeitraum
des Grundwehrdienstes von Uwe Mundlos vom 1. April
1994 bis zum 31. März 1995 betrifft.
Es ist richtig: Er hat zu einer Gruppe von sechs Soldaten gehört, die durch gemeinsames Hören von Skinmusik und teilweise mit rechtsextremistisch zu wertendem
Verhalten aufgefallen waren. In der Folge wurden sie
durch den Militärischen Abschirmdienst als Verdachtspersonen bearbeitet. Das ist die operative Bearbeitung,
die im September 1994 begonnen hatte und dann nach
unseren Unterlagen zu der Befragung im März 1995 geführt hat. Jedenfalls sind mir im Augenblick keine weiteren Unterlagen über Befragungen zugänglich. Wenn ich
sie hätte, würde ich Ihnen aus diesen Unterlagen selbstverständlich Informationen geben.
Ich weise darauf hin, dass in etwa fünf Minuten die
Aktuelle Stunde beginnen wird.
Ich gebe dem Kollegen Ströbele das Wort zu einer
zweiten Nachfrage.
Ich muss leider darauf beharren: Meine Frage bezog
sich auf „Äußerungen“, also Mehrzahl, und „Aktivitäten“, nicht „Aktivität“. Sie haben lediglich eine Aktivität
bzw. Äußerung, also das Singen rechtsextremer Skinmusik, erwähnt, während Sie das, was ein Dreivierteljahr
vorher gewesen ist, überhaupt nicht erwähnt haben. Also
war es doch unvollständig.
Das war dann die Befragung, von der Sie reden: die
Befragung, bei der dieses andere Ereignis offenbar überhaupt nicht erwähnt worden ist, wie Sie behaupten - das
von 1994 -, und bei der der MAD versucht hat, Herrn
Mundlos als Informanten zu gewinnen. Trifft das zu?
Lieber Kollege Ströbele, irgendwie sträube ich mich
etwas dagegen, dass wir uns auf der Ebene von Spitzfindigkeiten unterhalten. Das kennen wir beide von unserem Niveau her nicht.
Ich will noch einmal sagen, dass der Kollege
Kossendey mitnichten nur von einem Vorfall oder von
der Skinmusik berichtet hat. Ich habe seine Antwort da:
„… teilweise mit rechtsextremistisch zu wertendem Verhalten …“ - „Verhalten“ kommt hier also im Singular
vor. Aber Verhalten misst sich üblicherweise an mehreren Vorkommnissen, sodass sich hier die Subsumtion
möglicherweise ergeben soll.
Wenn ich dann noch Ihre geschätzte Information erhalten sollte, worauf Ihr Vorwurf abzielt, dann werde ich
mich auch bemühen, Ihre Frage zu beantworten. Aber irgendwie habe ich nicht den Punkt erreicht, dass ich Ihnen sagen müsste, mein Kollege Kossendey oder ich hätten in irgendeiner Weise Informationen vorenthalten, die
dem Untersuchungsausschuss ja auch vorliegen. Sie wissen, das ist den Umweg über die sächsischen Verfassungsschutzunterlagen gegangen, sodass da wieder Unterlagen aufgetaucht sind. Soweit mir bekannt ist, hat
sich bereits der NSU-Ausschuss auch mit diesem Komplex in der Befragung von Verantwortlichen des MAD
auseinandergesetzt.
({0})
Herr Ströbele, Sie hatten zwei Nachfragen. Daher
müssen Sie die Kommunikation anderswo fortsetzen.
Die Frage 47 der Abgeordneten Katja Keul wird
schriftlich beantwortet.
Die Frage 48 des Abgeordneten van Aken wird gar
nicht beantwortet, weil der Kollege nicht anwesend ist.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten Monika
Lazar werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Gesundheit. Zur Beantwortung der
Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Ulrike Flach zur Verfügung.
Die Frage 51 der Abgeordneten Dr. Martina Bunge
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 52 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert:
Wie bewertet und berücksichtigt die Bundesregierung die
Hinweise und Forderungen des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert
Hüppe, zum Entwurf der Bundesregierung zur Rechtsverordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, PID-Verordnung, und in welcher Weise waren Menschen mit Behinderung und deren Organisationen an der Erarbeitung des
Entwurfs beteiligt ({0})?
Frau Flach, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Dr. Seifert,
die Beteiligung von Verbänden und Fachkreisen, deren
Belange berührt sind, erfolgt im Rahmen der Erarbeitung der Rechtsverordnung auf der Grundlage des für die
Rechtsetzung vorgesehenen Verfahrens der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Dies gilt
auch für die Beteiligung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.
Der Referentenentwurf der Verordnung ist darüber hinaus entsprechend dieser GGO durch das federführende
Ressort in das Internet eingestellt worden. Damit wurde
der Öffentlichkeit die Möglichkeit eingeräumt, von dem
Verordnungsinhalt Kenntnis zu nehmen und dazu eine
Stellungnahme abzugeben. Insgesamt war es damit den
unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, so auch
Verbänden behinderter Menschen, möglich, ihre Positionen zu dem Verordnungsentwurf vorzutragen.
Bei der Erarbeitung des Regierungsentwurfs, den das
Kabinett in seiner Sitzung am 14. November 2012 beschlossen hat, ist den Bedenken des Beauftragten der
Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
insoweit Rechnung getragen worden, als dies rechtlich
möglich und Vorgaben nicht im Präimplantationsdiagnostikgesetz selbst begründet waren.
Herr Abgeordneter Seifert, Sie haben eine Nachfrage.
Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, die Kritik des Behindertenbeauftragten war ja ziemlich deutlich und hatte zum Inhalt,
dass die jetzt vorliegende Verordnung wesentlich weiter
geht als das Gesetz, das der Bundestag beschlossen hat.
Meine Frage dazu war, wieweit Sie das nicht nur bewerten, sondern auch berücksichtigen. In dem Zusammenhang möchte ich einfach die Frage stellen: Wie wichtig
sind der Bundesregierung die Funktion und die Aufgaben des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen? Spricht er im Namen der
Regierung, oder spricht er gegen die Regierung? Ich
kann das nicht so richtig erkennen.
Herr Kollege Dr. Seifert, wir können eine Verordnung
nur so abfassen, wie es das Parlament in seiner übergroßen Mehrheit gewollt hat.
({0})
So haben wir es getan, und wir können nicht darüber hinausgehen. Das haben wir auch nicht getan,
({1})
sondern wir haben uns ganz eng an die Vorgaben des
Präimplantationsdiagnostikgesetzes gehalten.
Der Behindertenbeauftragte hat eine sehr eigenständige Position; das wissen Sie. Er berät uns, aber er ist
nicht Teil der Bundesregierung in dem Sinne, dass er sozusagen zwangsläufig mit eingebunden wird wie ein
normales Ressort. Das, was er vorträgt und was wir als
für diese Verordnung gegeben erachten, haben wir
selbstverständlich berücksichtigt.
Herr Seifert, haben Sie eine weitere Nachfrage? Bitte schön.
Dazu kann ich jetzt nicht viel sagen. Offensichtlich ist
es aber so, dass die Meinungen darüber, was in dem Gesetz steht, sehr unterschiedlich sind. Wir wissen, Frau
Staatssekretärin, dass Sie und ich insoweit unterschiedlicher Meinung sind. Aber der Beauftragte sieht es offensichtlich nicht so, dass alles das, was in dem Gesetz
steht, eingehalten worden ist; vielmehr meint er, dass
wesentlich darüber hinausgegangen worden ist. Ich rede
jetzt nicht von meiner Meinung, sondern von demjenigen, der von Ihrer Regierung dazu beauftragt worden ist,
die Belange von behinderten Menschen wahrzunehmen.
Ich meine, dass man zumindest sein Wort etwas ernster
nehmen sollte als vielleicht das Wort eines kleinen Oppositionsabgeordneten.
Frau Flach, möchten Sie antworten?
Frau Präsidentin! Wir berücksichtigen immer das,
was gegeben erscheint. In diesem Falle aber hat der Behindertenbeauftragte von vornherein eine völlig gegensätzliche Meinung zu dem, was das Parlament hier in
seiner großen Mehrheit beschlossen hat. Wir können uns
aber nur in diesem Rahmen bewegen, Herr Kollege
Seifert.
Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin,
ist Ihnen bekannt und wie bewertet die Bundesregierung
es, dass es auch aus den Kreisen derjenigen Abgeordneten, die damals den Gesetzentwurf zur Präimplantationsdiagnostik, der schlussendlich zu dieser Verordnung geführt hat, eingebracht haben, erhebliche Kritik an dieser
Verordnung gibt und sie ihre gesetzgeberische Intention,
nämlich die PID für eine sehr begrenzte Zahl von Fällen
zu ermöglichen, in dieser Verordnung völlig falsch wiedergegeben sehen?
Frau Kollegin Vogler, auch Sie waren ja nicht der
Meinung der Mehrheit dieses Parlaments. Sie können si25592
cher sein, dass wir dieser Mehrheit sehr klug gefolgt
sind.
Sie haben mich gefragt, ob ich Einwände aus dem
Kreis derjenigen, die unseren Antrag mitgetragen haben,
kenne. Mir ist ein Schreiben eines Kollegen aus Ihrer
Fraktion bekannt. Dieses Schreiben ist an den Bundesminister für Gesundheit gegangen und ist auch entsprechend beantwortet worden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1, Aktuelle Stunde,
auf:
Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Ökonomische und verfassungsrechtliche Auswirkungen der Vermögensteuerpläne von SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Steuereinnahmen in Deutschland werden im laufenden Jahr die Rekordsumme von mehr als 600 Milliarden
Euro überschreiten. In dieser Situation der Rekordeinnahmen auf Steuerseite fällt Rot-Grün nichts anderes
ein, als nach weiteren Steuererhöhungen zu rufen - als
da sind: die Erhöhung der Einkommensteuer um 7 Prozentpunkte, die Verdopplung der Erbschaftsteuer, die
Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages auf 22 Prozent - zumindest von der SPD vorgeschlagen -, viele
weitere Abgabenerhöhungen und auch eine Vermögensteuer oder, wie es bei den Grünen heißt, eine Vermögensabgabe.
Wir sind seit Jahren erfolgreich dabei, den Standort
Deutschland in der europäischen Krise wettbewerbsfähig zu halten. Ganz am Anfang dieser Bemühungen waren ja auch Sie von der Opposition noch dabei. Diese
Regierung, meine Damen und Herren, hat Deutschland
wieder zur Wachstumslokomotive in Europa gemacht.
Die Beschäftigungsquote ist sensationell, die Sozialversicherungskassen sind prall gefüllt, und die Steuerquellen sprudeln.
({0})
Und in dieser Situation wollen Sie mit einer Vermögensteuer oder mit einer Vermögensabgabe gerade unsere renditeschwachen Mittelständler ganz hart treffen!
Mit dieser Vermögensteuer kommt es zu einer offenen
oder auch verdeckten Substanzbesteuerung von Betriebsvermögen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW
in Mannheim hat ausgerechnet, dass die effektive steuerliche Gesamtbelastung der Unternehmen durch Ihre
Pläne um bis zu 19 Prozentpunkte steigt.
({1})
In dieser Situation fällt mir nur ein Spruch ein: Wenn es
dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis.
({2})
Vor wenigen Monaten hat die SPD-Troika den französischen Wahlkampf begleitet, hat ganz gespannt auf den
Wahlkampf der Sozialisten in Frankreich geschielt. Tatsächlich hat ja François Hollande in Frankreich die Wahlen gewonnen, unter anderem mit der Forderung nach
einem Spitzensteuersatz von 75 Prozent. Nun, der Katzenjammer folgt auf dem Fuß. Jeder, der immer noch daran geglaubt hat, dass man mit diesen Rezepten aus der
sozialistischen Mottenkiste Staat machen kann, der
braucht nur nach Frankreich zu blicken. Dort sieht man,
wie die Grande Nation aktuell einen wirtschaftlichen
Niedergang erlebt - und das wegen falscher Politik mit
solchen Maßnahmen wie massiven Erhöhungen der
Steuern.
({3})
Ihr Plan ist es, möglichst hohe Steuern aus einer möglichst kleinen Gruppe herauszupressen. Aber damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, untergraben Sie die Steuerbasis in diesem Land. Sie untergraben die Steuerbasis der Gemeinschaft. Wenn Sie das
Gefälle zwischen denjenigen, die Steuern bezahlen, und
denjenigen, die verschont werden, immer größer werden
lassen, setzen Sie zusätzliche Anreize, Steuern zu vermeiden - legal und illegal. Das zu verhindern, das
müsste doch eigentlich unser aller Ansatz sein.
Schauen wir uns einmal an, wie oftmals mit legalen
Steuervermeidungsstrategien multinationale Unternehmen in Deutschland, in Europa Steuern vermeiden; Stichwort „Facebook“, Stichwort „Amazon“ oder „Google“.
Dem müssen wir doch einen Riegel vorschieben. Gewinne, die in Deutschland, die in Europa gemacht werden, müssen auch hier versteuert werden.
({4})
Ich bin froh, dass Wolfgang Schäuble, unser Finanzminister, beim letzten G-20-Gipfel in Mexiko hier endlich die Initiative ergriffen und deutlich gemacht hat,
dass es so nicht mehr weitergeht.
Anstatt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, diejenigen immer stärker abzukassieren, die es
noch in diesem Land hält und die in diesem Land regelmäßig ehrlich ihre Steuern bezahlen, sollten Sie sich
lieber zusammen mit uns darum kümmern, dass wir
Steuerschlupflöcher schließen und dass wir aggressive
internationale Steuervermeidungsstrategien verhindern;
denn die prellen unseren Staat, die prellen unsere Gemeinschaft.
({5})
Das beste Beispiel ist das von Ihnen hier und im Bundesrat abgelehnte Steuerabkommen mit der Schweiz.
({6})
Da hätten Sie die Möglichkeit gehabt, abgewandertes
Vermögen in der Schweiz regelmäßig zu besteuern;
10 Milliarden Euro allein für die Vergangenheit. Was
machen Sie? Aus parteitaktischen Gründen lehnen Sie
das ab und schießen 10 Milliarden Euro in den Wind.
Stattdessen wollen Sie die Steuern für die Ehrlichen hier
in Deutschland noch erhöhen.
({7})
Eigentlich müsste man ja froh sein, dass Sie mit diesen Plänen den Wählerinnen und Wählern in diesem
Land Ihr wahres Gesicht zeigen. Aber leider ist es so,
dass allein schon durch diese Pläne massive Verunsicherung entsteht, massive Verunsicherung auch mit Blick
auf Investitionen.
Man kann zu Ihren Steuerplänen nur sagen: Sie sind
verfassungswidrig. Sie sind arbeitsplatzgefährdend. Sie
treffen am Ende sogar die sozial Schwachen, zum Beispiel bei der Miete. Sie sind krisenverschärfend, und sie
sind deshalb unverantwortlich. Hören Sie damit auf!
({8})
Joachim Poß hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ihre Rede, Herr Gutting, hat gezeigt, was das Hauptproblem von Schwarz-Gelb ist: Sie sind entweder unfähig
oder unwillig, die Realitäten in unserem Land zu erkennen.
({0})
Das ist offenkundig; denn die hinter unseren Vermögensteuerplänen stehende gesellschaftliche Realität, die zunehmende soziale Spaltung in Deutschland, spielt für
Schwarz-Gelb keine Rolle. Nein, Sie verschärfen diese
Spaltung noch durch Ihre Politik.
({1})
Noch in dem Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts hat Ihre Regierung festgestellt, wie die Situation
ist. Dann manipulieren Sie einen solchen Bericht je nach
politischem Bedarf. Die Realität wird dann durch Manipulation einfach ausgeklinkt.
({2})
Wie soll man denn auf einer solchen Grundlage zu einer
vernünftigen Politik kommen? Gesellschaftspolitische
Ignoranz bleibt das Markenzeichen von Schwarz-Gelb.
Deswegen versuche ich mal, Ihnen die Realität zu schildern. Bei der Entwicklung der Einkommen haben wir
auf der einen Seite Reallohnverlust bzw. -stagnation für
Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
den letzten 15 Jahren und auf der anderen Seite die Explosion von Managergehältern.
({3})
Auch die Vermögen unterliegen einer zunehmenden
Konzentration. Die reichsten 10 Prozent halten 60 Prozent des privaten Gesamtvermögens. Über die soziale
Spaltung darf man nicht einfach hinweggehen, wenn
man dem Geist unserer Verfassung entsprechen will: Wir
sind schließlich ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Also handeln Sie danach und beschäftigen Sie sich
mit den Konsequenzen, die sich aus diesen Zahlen ergeben!
({4})
Übrigens: Starke materielle Ungleichheit destabilisiert eine Gesellschaft. Nur Ideologen behaupten das Gegenteil. Es gibt in Ihren Reihen Leute, die das Gegenteil
behaupten.
({5})
Starke materielle Ungleichheit ist auch ökonomisch
schädlich. Auch dazu gibt es interessante Studien. Das
heißt, das Ausmaß an sozialer Ignoranz und Realitätsleugnung im konservativen Lager, mit Frau Merkel an
der Spitze, ist erschreckend. Viele, auch in der sogenannten ökonomischen Elite unseres Landes, verschließen einfach die Augen vor dem, was sich um sie herum
abspielt.
Da wird von Ihnen ein juristischer Popanz aufgebaut.
Mit argumentativen Winkelzügen wird behauptet, eine
laufende Vermögensteuer sei mit dem Grundgesetz nicht
vereinbar. Dagegen spricht allein schon, dass es in der
Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte eine Vermögensteuer gegeben hat.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat 1995 diese Vermögensteuer nicht abgeschafft, sondern hat wegen der damaligen ungleichen Bewertung von Geld- und Immobilienvermögen lediglich ihre Erhebung in der damaligen
Form nicht mehr gestattet. Ihnen geht es hier einzig und
allein darum, im Interesse der Privilegierten in dieser
Gesellschaft, von Milliardären und Multimillionären, zu
einer Schonung von Vermögen zu kommen. Das ist Ihr
eigentliches gesellschaftspolitisches Ziel und nichts anderes.
({7})
Hier wird von Ihnen außerdem immer die Betroffenheit des Mittelstandes vorgeschoben.
({8})
Es wird so getan, als seien die Mittelschicht und der Mittelstand in großer Weise betroffen. Sie bauen wie immer
Pappkameraden auf, weil Ihre ganze Politik von der
Feindbildpflege abhängt. Darauf reduzieren Sie sich.
({9})
Das ist zu wenig, um ein Land wie die Bundesrepublik
Deutschland zu führen.
Richtig ist, dass eine wieder erhobene Vermögensteuer so ausgestaltet werden muss, dass betriebliche Investitionen und Beschäftigung nicht beeinträchtigt werden. Einen solchen Ansatz verfolgen wir. Sie machen
aber etwas ganz anderes:
({10})
Ihre ökonomische Analyse ist unsachlich und demagogisch. Nach Ihnen geht die Welt unter, wenn die Vermögensteuer wieder eingeführt wird.
Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass diese Aktuelle Stunde Teil einer Kampagne von Wirtschaftsverbänden und einzelnen Medien mit dem Ziel ist, vor
allem, wie ich es schon ausgedrückt habe, hohe und
höchste Privatvermögen zu schützen. Ein moderner
Staat, der Schulden zurückführen will, der Zukunftsinvestitionen realisieren will und der die Ungleichheit
bekämpfen will, braucht aber eine angemessene finanzielle Beteiligung von Spitzenverdienern und sehr hohen
Vermögen. Das müsste zumindest in der Volkspartei
CDU/CSU verstanden werden.
({11})
Der Kollege Dr. Volker Wissing hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erst hat die SPD die Vermögensteuer mit großem Tamtam angekündigt, dann hat das rot-grüne RheinlandPfalz einen konkreten Vorschlag vorgelegt, und jetzt bekommen Sie kalte Füße, weil Ihnen jeder vorrechnen
kann, welchen Schaden Sie mit dieser Vermögensteuer
in Deutschland anrichten würden.
({0})
Es ist doch klar, dass der Staat wenig von einer solchen Steuer hat. Der Erhebungsaufwand ist groß; die
Steuergewerkschaft warnt, dass mit dem bisherigen Personalbestand eine solche Steuer gar nicht erhoben werden kann, ansonsten würde es zu massiven Ausfällen bei
der Einkommensteuer kommen. Das heißt: Bestenfalls
können Sie mit diesen Steuereinnahmen mehr Personal
finanzieren, aber sonst gar nichts. Diese Steuer richtet
großen Schaden an. Sie nützt niemandem, und zuletzt
nützt sie dem Sozialstaat.
({1})
In Wahrheit ist es so, dass die SPD-Parteilinke ihren
Kanzlerkandidaten wie einen „Tanz-Peer“ an der Nase
durch die Arena geführt hat;
({2})
dann hat er gemerkt, dass das nicht zum Bild des Möchtegern-Helmut-Schmidt passt, und plötzlich warnt er davor, beim Thema Steuern zu überziehen.
({3})
Sie haben diese Warnung von Peer Steinbrück nicht
nur ignoriert; Sie haben auch ganz gehörig bei den Ausgaben überzogen, indem Sie mal eben ein 30-MilliardenEuro-Rentenkonzept beschlossen haben. Sie haben außerdem mit Ihren Steuerforderungen gehörig überzogen.
Ihre Vermögensteuer ist eine Substanzsteuer, die Unternehmen bei rückläufigen Gewinnen nur durch den
Abbau von Arbeitsplätzen erwirtschaften können. Deswegen ist sie unsozial; denn sie nimmt denen die soziale
Sicherheit, die sie am dringendsten brauchen, nämlich
den Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir werden Deutschland davor bewahren,
dass Sie Hand an Arbeitsplätze anlegen.
({4})
Das Problem der Vermögensteuer als Substanzsteuer
liegt darin, dass sie genau an dem Ast sägt, auf dem der
Sozialstaat sitzt. Wenn Sie private Vermögenssubstanz
wegbesteuern, nimmt der Staat durch diese Steuer am
Ende nämlich überhaupt nichts mehr ein.
({5})
Das soll jetzt nur nicht deutlich werden; im Wahlkampf
wollen Sie in der Öffentlichkeit kein konkretes Steuermodell diskutieren. Der SPD-Linken haben Sie die Enteignung von Privatvermögen versprochen,
({6})
und Peer Steinbrück darf so tun, als sei er ein guter Onkel, den der Mittelstand ruhig wählen kann. Das werden
wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen, sondern wir
werden das aufdecken.
({7})
Was Rot-Grün wirklich will, das können Sie anhand
der grünen Vermögensabgabe deutlich erkennen. Sie
wollen an Privatvermögen in Deutschland heran. Sie
wollen eben nicht, Herr Kollege Poß, an die Konzernvermögen heran. Die sind bei den Grünen extra ausgenommen.
({8})
Beteiligungsgesellschaften, Konzerne: keine Vermögensabgabe; private mittelständische Unternehmer: Vermögensabgabe. Das ist die Wahrheit. Sie täuschen die
Öffentlichkeit, indem Sie eine Verdrehung der Tatsachen
hier an diesem Pult vortragen.
({9})
- Wissen Sie, der SPD kommt doch Ihre Vermögensabgabe entgegen, weil danach das gesamte SPD-Parteivermögen verschont bleibt. Das ist doch die scheinheilige
Strategie dieser Sozialdemokraten: dem privaten Mittelstand in die Tasche greifen und das eigene Parteivermögen von der Besteuerung ausnehmen!
({10})
Ihre Strategie geht nicht auf. Sie sind entlarvt.
({11})
Sie wollen den Mittelstand abkassieren, nicht Konzerne
und Beteiligungsgesellschaften. Sie wollen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Inflationsausgleich durch Abbau der kalten Progression verweigern.
Selbst die Anhebung des steuerfreien Existenzminimums, was verfassungsrechtlich geboten ist, verweigern
Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
({12})
Das SPD-Parteivermögen wollen Sie vor Steuern
schützen. Im Grunde genommen planen Sie genau das
Gleiche wie beim letzten Mal. Mit einer Vermögensteuer
werden Sie Ihre Mehrausgaben in Milliardenhöhe nicht
finanzieren können. Sie wollen sich das Geld von denen
holen, von denen Sie es sich schon immer geholt haben,
nämlich von den Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern und der arbeitenden Mitte in
Deutschland.
Wie das funktioniert, haben Sie schon einmal vorgeführt:
({13})
25 Milliarden Euro hat die SPD sich über die Mehrwertsteuererhöhung von der gesellschaftlichen Mitte geholt
({14})
und nur 500 Millionen Euro über die Reichensteuer. Sie
stellen die Vermögensteuer ins Schaufenster; finanzieren
wollen Sie Ihre Ausgaben jedoch mit dem Geld der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das wollen Sie der
Öffentlichkeit verschweigen. Deswegen ziehen Sie Ihre
konkreten Pläne zurück. Wir werden das transparent machen und werden Sie an diesem Punkt stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Mit der Verweigerung der Anhebung des Existenzminimums und des Inflationsausgleichs für Beschäftigte
haben Sie bereits mit dieser unsozialen Politik begonnen. Soziale Gerechtigkeit ist eben mehr als ein Versprechen höherer Sozialleistungen. Soziale Gerechtigkeit
besteht auch in einer gerechten Besteuerung der Leistungsträgerinnen und Leistungsträger dieser Gesellschaft, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie
verweigern ihnen Gerechtigkeit.
Sie wollen Vermögen besteuern, die SPD aber ausnehmen. Ich sage Ihnen: Wenn Unvermögen besteuert
würde, dann müsste die SPD bezahlen.
({16})
Barbara Höll hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Wissing, wer sich im Rahmen der Haushaltsberatungen einfach mal so bei der KfW und den Sozialkassen
bedient, der sollte hier lieber schweigen.
({0})
Die Diskussion zu Vermögensteuer und Vermögensabgabe wirft verschiedene Fragen auf. Erstens: Entsprechen sie dem Grundgesetz? Das müssen wir uns als Gesetzgeber immer fragen. Die klare Antwort lautet: Ja.
Das brachte Professor Böckenförde bereits 1995 in seinem Minderheitenvotum zum Ausdruck. Inzwischen
gibt es viele entsprechende Gutachten.
({1})
Das ist geklärt: Sowohl eine Vermögensbesteuerung als
auch eine Vermögensabgabe sind verfassungskonform. 25596
Nebenbei gesagt: Wir haben bereits 1999 und 2001, damals als PDS, Anträge auf Wiedererhebung der Vermögensteuer gestellt. Damals haben dies alle abgelehnt. Ich
bin froh, dass inzwischen drei Fraktionen die Position
vertreten, dass wir das machen können und müssen.
({2})
Zweitens: Ist es berechtigt? Ja. Die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen hat seit 2000 massiv zugenommen. Es gibt dafür zwei Hauptgründe. Der
eine Grund ist die Steuergesetzgebung, für die Rot-Grün
verantwortlich war: Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt, der Körperschaftsteuersatz wurde gesenkt, die
Steuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen wurde eingeführt. Wenn man all das zusammenrechnet, sprich: wenn
wir heute die Steuergesetzgebung von 1999 hätten, dann
hätten wir insgesamt mindestens 490 Milliarden Euro
mehr eingenommen. Der zweite Grund ist die Niedriglohnpolitik, die seit Rot-Grün massiv vorangetrieben
wird; Sie haben sie fortgeführt. Wir haben Reallohnverluste von 4 Prozent. Man muss sagen: Gerade die Menschen, die schon im Niedriglohnsektor tätig sind, haben
noch viel höhere Reallohnverluste zu verzeichnen, nämlich bis zu 19 Prozent. Das Ergebnis dessen: eine wachsende Armut und eine schrumpfende Mittelschicht.
Wenn Sie sich hier so gerieren, sollte Ihnen vor allem
Folgendes zu denken geben: 1998 zählten noch gut
64 Prozent der Bevölkerung zur Mittelschicht; dieser
Anteil ist innerhalb von 10 Jahren um knapp 6 Prozentpunkte geschrumpft. Diejenigen, die sich jetzt noch zur
Mittelschicht zählen, wissen, dass sie kaum noch eine
Chance haben, nach oben zu kommen; es gibt eine massiv verbreitete Angst, abzurutschen. Das ist garantiert
nicht motivationsfördernd, und dafür sind Sie mit Ihrer
Politik verantwortlich.
({3})
Die öffentliche Hand ist so verschuldet, dass ein regelrechter Investitionsstau entstanden ist, insbesondere
auf Kosten der Kinder und Jugendlichen. Schauen Sie
doch einmal, wie es in den Kommunen aussieht: Sporthallen fallen zusammen,
({4})
Schulen fehlen, Kitas werden nicht geschaffen.
Eine Steuer, auch eine Vermögensteuer, kann die primäre Ungleichverteilung in der Bundesrepublik sicher
nicht beseitigen. Wir brauchen Mindestlöhne und Reallohnanwüchse; das ist völlig unbestritten. Aber Steuerpolitik kann ihrem Namen gerecht werden und tatsächlich steuern. Dazu ist die Vermögensteuer da. In
besonderen Fällen kann man auch eine Abgabe erheben,
in diesem Falle eine Vermögensabgabe.
({5})
Drittens: Spricht nun etwas dagegen?
({6})
Wir haben gestern eine Diskussion mit der Industrie geführt. Da wurde gesagt: Es gibt keine Datenbasis; das
alles ist unseriös. - Das finde ich nun wirklich extrem
dreist. Die Datenbasis fehlt seit der Aussetzung der Erhebung der Vermögensteuer im Jahr 1997. Sie haben
sich in keiner Weise bemüht, irgendwie an entsprechende Daten heranzukommen,
({7})
aber werfen denjenigen, die Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen anführen, vor, das sei unseriös. Das
ist eine Frechheit ohnegleichen.
({8})
Es gibt jedoch einen Vergleich mit anderen Staaten in
Europa. Der Anteil der Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern, also aus Grundsteuer, Erbschaftsteuer,
Schenkungsteuer und Vermögensteuer, am Bruttoinlandsprodukt beträgt in Deutschland 0,9 Prozent. Im
OECD-Durchschnitt sind es 1,8 Prozent, also doppelt so
viel.
({9})
In den EU-27-Staaten beträgt der Anteil 2,6 Prozent. In
unserer Staatskasse wäre viel mehr Geld, wenn wir wenigstens den Durchschnitt der OECD-Staaten erreichen
würden.
({10})
Sie sagen, eine Vermögensteuer bedrohe die Wirtschaft. Mir ist nicht bekannt, dass die Wirtschaft vor
1997 völlig am Boden lag, weil es eine Vermögensteuer
gab. Ich weiß deshalb nicht, warum das jetzt der Fall
sein sollte, wenn wir sie wieder erheben.
Sie sprechen von Erhebungskosten, Herr Wissing.
Das ist doch Quatsch. Natürlich sagt die Steuer-Gewerkschaft: Wenn wir eine weitere Steuer erheben sollen,
dann brauchen wir mehr Steuerbeamte. - Das ist doch
auch logisch. Das ist keine Warnung; das ist eine berechtigte Forderung. Die Erhebungskosten sind trotzdem
nicht so hoch, weil wir durch die Neuregelung der Erbschaftsteuer bereits eine Grundlage dafür haben, wie
Grund und Boden verkehrsnah bewertet werden können.
Sie sagen immer, die Reichen seien schon so belastet.
Da blutet mir immer das Herz. Ein Drittel der Menschen,
die abhängig beschäftigt sind, zahlen gar keine Steuern,
weil sie zu wenig verdienen. Die Höhe des Anteils, welchen eine bestimmte Gruppe leistet, sagt doch nichts
über ihre Belastung aus. Das ist doch, als vergleiche man
Birnen mit Äpfeln. Das hat doch keinen Aussagewert.
Nehmen wir einmal an, ein einziger Mensch würde das
gesamte Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik verdienen und alle anderen bekämen Hartz IV,
({11})
nur dieser eine würde also Steuern zahlen. Er hätte dann
eine Belastung von 100 Prozent. Ob derjenige aber
1 Million oder 1 Milliarde Steuern zahlen müsste, ist etwas völlig anderes. Lassen Sie dieses Argument deshalb
also beiseite.
({12})
Es gibt zwei Aufgaben, die wir erledigen müssen ich möchte sie kurz nennen -: Wir brauchen Infrastruktur, und wir brauchen eine Vorsorge für die Risiken, die
mit der Euro-Krise verbunden sind. Deshalb: Ja zur Vermögensteuer und Ja zur Vermögensabgabe.
Ich danke Ihnen.
({13})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Lisa Paus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte
Koalition! Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass ich heute im Rahmen der Aktuellen Stunde
noch einmal das Konzept der Grünen zur Vermögensabgabe vortragen kann, auch wenn es dafür keinen aktuellen Anlass gibt.
({0})
Unser Konzept gibt es schon länger. Wir haben es
ausgearbeitet, wir haben die Erstellung eines Gutachtens
beauftragt, und seit September dieses Jahres liegt diesem
Haus ein fertiger Gesetzentwurf vor. Wir haben ihn nicht
zurückgenommen, er liegt vor, und wir wollen ihn diskutieren.
({1})
Wir finden es bedauerlich, dass wir nach wie vor die
einzige Partei im Deutschen Bundestag sind, die einen
konkreten Vorschlag vorlegt, wie man die Schulden in
Deutschland tatsächlich abbauen kann.
({2})
Sie reden davon, dass es Rekordsteuereinnahmen gibt,
machen aber neue Schulden. Sie reden davon, dass Sie
ab 2014 keine neuen Schulden machen wollen, tun aber
nichts für den konkreten Schuldenabbau.
({3})
Unser Vorschlag liegt vor. Seit drei Jahren beschäftigen wir uns mit den Kosten, die durch die Finanz- und
Wirtschaftskrise entstanden sind. Die Schuldenstandquote
Deutschlands hat sich von 60 auf 80 Prozent erhöht. Ihre
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist verantwortlich für
400 Milliarden Euro neue Schulden. Von Ihnen kommt
kein einziger Vorschlag zum Schuldenabbau.
({4})
Wir haben einen. Setzen Sie sich damit vernünftig auseinander.
({5})
Wir fragen: Wer soll das alles zahlen? Sie bleiben
eine Antwort darauf schuldig. Wir haben uns entschieden: Es sollen eben nicht die Ärmsten der Armen zahlen,
und wir wollen auch keinen weiteren Soli einführen. Wir
sagen: Es ist berechtigt, zur Deckung der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise entstandenen spezifischen
Kosten eine einmalige Vermögensabgabe zu erheben,
die ganze 330 000 Personen in Deutschland treffen wird,
also weniger als 1 Prozent der Steuerpflichtigen in
Deutschland. Die Einführung einer Vermögensabgabe
würde einen signifikanten Beitrag zum Abbau der Verschuldung leisten. 100 Milliarden Euro über zehn Jahre
wären dadurch einzunehmen.
({6})
Diese einmalige Abgabe in Höhe von 1,5 Prozent pro
Jahr, über zehn Jahre zahlbar, ist von natürlichen Personen zu entrichten.
Ich habe von 330 000 Personen gesprochen. Wie
kommt diese Zahl zustande? In unserem Modell sind relevant hohe Freibeträge vorgesehen: 1 Million Euro pro
Person und 250 000 Euro pro Kind.
({7})
Außerdem haben wir die Extraregelung vorgesehen, dass
für Betriebsvermögen ein Freibetrag von 5 Millionen
Euro gilt. Eine Substanzbesteuerung von Betriebsvermögen haben wir definitiv ausgeschlossen. Wer keine Gewinne macht, der muss auch keine Abgabe zahlen.
({8})
Maximal 35 Prozent des Gewinnes würden der Vermögensabgabe unterliegen.
({9})
Ein Beispiel: Bei einem Betriebsvermögen von 6 Millionen Euro, wären für die Vermögensabgabe ganze
0,25 Prozent pro Jahr fällig. Das ist eine zusätzliche Belastung.
({10})
Sie ist aber tragbar. - Damit unterbreiten wir einen vernünftigen Vorschlag, anders als die FDP in Bayern.
({11})
Ihnen ist die Aufkündigung der Solidarität tatsächlich
den wahnwitzigen Vorschlag wert, für das Land Berlin
eine Einkommensteuer mit einem Spitzensteuersatz von
71 Prozent einzuführen. Die FDP von Bayern rühmt
sich, zusammen mit Herrn Professor Lars Feld einen
Vorschlag vorzulegen, der folgende Einkommensteuerspitzensätze zur Folge hätte: Niedersachsen 55 Prozent,
Berlin 71 Prozent,
({12})
Brandenburg 51 Prozent. Die FDP macht solche Vorschläge und erzählt uns etwas von irgendwelchen nicht
tragbaren Belastungen. Das ist einfach absurd.
({13})
Dann wurde wieder das Argument vorgebracht, dass
die Unternehmen und die Reichen flüchten würden.
Auch das ist nach unserem Konzept für eine Vermögensabgabe schlichtweg nicht möglich, weil ein Stichtag vorgesehen ist, der in der Vergangenheit liegt.
({14})
Deswegen sind die üblichen Diskussionen, eine Vermögensteuer führe zu Ausweichmöglichkeiten und Anpassungsproblemen, die negativ auf die Wirtschaft wirkten,
bei diesem Konzept definitiv nicht angebracht.
({15})
Im Gegenteil: Da der Stichtag in der Vergangenheit liegt
und man sich der Vermögensabgabe nicht entziehen
kann, der Schuldenstand in Deutschland dadurch aber signifikant reduziert wird und die Wettbewerbsbedingungen des Standorts Deutschland verbessert werden, ist die
Vermögensabgabe eher ein Grund, hierzubleiben, als
Deutschland zu verlassen. Insofern ist dieses Argument
nachgerade absurd.
Es bleiben noch zwei letzte Argumente: Wenn ihr
nichts mehr einfällt, dann bringt die FDP das Thema Bürokratiekosten vor. Das ist völlig klar.
({16})
Auch diesbezüglich sollten Sie bei der Wahrheit bleiben
und sich konkret mit unserem Konzept auseinandersetzen. Unser Vorschlag zur Vermögensabgabe würde weniger als 1 Prozent Erhebungskosten mit sich bringen.
Den Vorwurf „Bürokratie“ lasse ich mir von einer Koalition, die ein sogenanntes Bildungs- und Teilhabepaket
beschlossen hat, mit dem ein Bürokratieaufwand von
30 Prozent verbunden ist - für jeden ausgereichten Euro
sind 30 Cent Bearbeitungskosten notwendig -, nicht aufs
Butterbrot schmieren.
({17})
Frau Kollegin, Sie wäre dann am Ende Ihrer Redezeit.
Gut, dann komme ich zum Ende.
({0})
Ich hätte noch viel zu sagen. Ich würde auch zur Verfassungsdebatte gerne noch etwas sagen. Das spare ich mir
aber jetzt. Stattdessen gebe ich Ihnen nur noch Folgendes mit auf den Weg:
Frau Kollegin!
Es war schon mehrmals so, dass die übrig gebliebenen Sympathisantinnen und Sympathisanten von dieser
Koalition
({0})
zumindest weiter waren als die FDP. Ihren Vorschlag einer Steuersenkung haben Sie schon wieder korrigiert.
Bei diesem Thema ist die Situation ähnlich: Über
60 Prozent aller, auch Ihrer Wählerinnen und Wähler
wollen eine Vermögensbesteuerung; das verdeutlichen
die Umfragen. Folgen Sie endlich dem Wunsch Ihrer
Wählerinnen und Wähler.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege
Dr. Mathias Middelberg.
({0})
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich greife als
Erstes das Stichwort „Schuldenabbau“ auf, das Frau
Paus genannt hat. Dabei hat sie mustergültig die Vermögensabgabe als Lösung präsentiert. Beim Thema Schuldenabbau können einem natürlich auch andere Dinge
einfallen: Strukturen umbauen, einfach einsparen oder
Bürokratie abbauen. Auch durch solche Maßnahmen
kann man sparen. Das tun wir zum Beispiel, indem wir
die Bundeswehr reformieren und dafür sorgen - das
können Sie feststellen, wenn Sie das aufmerksam verfolgen -, dass das Ausgabentableau des Bundeshaushalts
seit mehreren Jahren, seitdem wir die Verantwortung traDr. Mathias Middelberg
gen, stabil ist. Wir haben die Ausgaben in diesem Land
nicht gesteigert, und obwohl wir relativ niedrige, wettbewerbsfähige Steuersätze in Europa haben, haben wir Rekordsteuereinnahmen zu verzeichnen. Wir haben also
überhaupt keinen Grund,
({0})
hier über Steuererhöhungen oder neue Steuern nachzudenken. Damit würden wir nur den negativen Beispielen
in Europa nacheifern.
Bei Ihnen ist das Programm noch viel heftiger: Es
geht um die neue Vermögensteuer. Es geht darum, dass
Sie die Einkommensteuer um 7 Prozentpunkte anheben
wollen. Sie wollen die Abgeltungsteuer anheben, wenn
Sie regieren. Sie wollen die Unternehmensteuern insgesamt anheben. Sie wollen die Gewerbesteuer ausdehnen,
und Sie wollen zusätzliche Abgaben in den Bereichen
Rente und Gesundheit. - Wer Sie in einem Jahr wählt,
der organisiert also eine riesige Steuer- und Abgabenorgie für das ganze Land. Das muss man den Menschen
schon jetzt ehrlich sagen.
({1})
Wer das, was Sie uns als Modell präsentieren, aufmerksam verfolgt und analysiert, der sieht, dass das das
Modell Frankreich ist. Die Franzosen fahren mit diesem
Modell im Moment fast schon an die Wand. In Frankreich gibt es schon jetzt eine höhere Staatsquote. Diese
würden auch wir bekommen, wenn wir die Reform so
umsetzen, wie Sie das auf Ihren Parteitagen beschlossen
haben. Wir haben jetzt eine Staatsquote von 47 Prozent.
In Frankreich liegt die Quote bei 57 Prozent. Deshalb hat
man dort große Probleme. Die Franzosen haben schon
höhere Steuersätze, und sie haben eine Vermögensteuer.
Trotzdem haben sie daraus geringere Steuereinnahmen,
weil die Leute - ich sage das ganz offen - keine Lust
haben, an diesem Standort zu investieren. Sie gehen im
Zweifel lieber nach Deutschland und investieren dort.
Wir finden es richtig und gut, dass man bei uns investiert, dass wir vielleicht nicht ganz so hohe Steuern erheben, dass die Steuererträge aber hier bei uns anfallen und
dass wir die Arbeitsplätze haben.
({2})
Das ist die Wahrheit.
Gleiches gilt für das Thema Rente. Sie verabschieden
sich gerade von der Rente mit 67. Die Franzosen haben
eine Rente mit 60. Das schafft doch die Probleme. In
Frankreich ist die Arbeitslosigkeit fast doppelt so hoch.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist fast dreimal so hoch. Das
ist doch kein Vorbild. Da wollen wir doch nicht hin.
({3})
- Herr Poß, wenn wir all das machen würden, was Sie
auf Ihren Parteitagen beschließen, dann würden wir
genau dahin kommen, wo die Franzosen jetzt sind. Die
Franzosen sind nicht unser Vorbild. Da wollen wir nicht
hin.
({4})
Hollande fängt allmählich an, das zu kapieren. Er steuert
um, indem er jetzt ein Programm einleitet, um die Unternehmen steuerlich zu entlasten,
({5})
weil er das erkannt hat und klüger ist als Sie.
Die Vermögensteuer trifft nicht nur irgendwelche
reichen Privatleute, die nichts mit ihrem Geld anzufangen wissen, sondern vor allem den Mittelstand in diesem
Land. Das verschweigen Sie gern. Sie trifft das Rückgrat
dieser Wirtschaft und damit letzten Endes auch die
Arbeitsplätze. Der Kollege Gutting hat eben zu Recht
gesagt: Das ZEW hat Mehrbelastungen zwischen 14 und
über 19 Prozent für die mittelständischen Unternehmen
ausgerechnet.
({6})
Was meinen Sie, wie diese Unternehmen das Geld
wieder hereinholen? Sie müssen doch sparen, um das
Geld wieder hereinzubekommen.
({7})
Es macht doch kein Unternehmen 14 oder 19 Prozent
Gewinn. Das heißt, das Geld muss irgendwie wieder
hereinkommen.
Ich will Sie an ein Zitat eines Finanzpolitikers erinnern, der, zumindest was seine damalige Erkenntnis
anging, nicht ganz schlecht drauf war.
({8})
Es ging dabei um die Unternehmensteuerreform 2007/
2008. Er sagte: Wenn wir jetzt keine Steuerreform machen - es ging damals um die Absenkung der Unternehmensteuer -, dann wird Deutschland weiter an Steuerbasis verlieren, und die Staatseinnahmen zur Finanzierung
öffentlicher Aufgaben werden auf Dauer nicht mehr,
sondern weniger. - Das hat er damals klug erkannt. Sie
haben es richtig erraten: Das war Ihr Kanzlerkandidat.
Es ist bedauerlich und blamabel, dass Herr Steinbrück
heute nicht an dieser Debatte teilnimmt; denn er müsste
jetzt das genaue Gegenteil von dem vertreten, was er uns
damals verkündet hat.
({9})
Er hat uns damals gesagt: Mit niedrigeren Unternehmensteuern locke ich Unternehmen an. Ich verbreitere
die Steuerbasis und mache dieses Land tragkräftiger. Ich
stärke den Mittelstand und schaffe zusätzliche Arbeitsplätze. - Diese Erkenntnis war damals richtig. Sie ver25600
kaufen uns hier heute einen Popanz. Das ist eine riesige
Täuschungsorgie, und der, der das vertreten soll, ist gar
nicht präsent und kämpft dafür. Das zeigt, dass er gar
nicht dahintersteht. Deshalb können wir dem in keinster
Weise auch nur gedanklich nachfolgen.
({10})
Mit einer Vermögensteuer würden wir die Substanz
unseres Mittelstandes treffen und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland vor die Wand fahren.
Danke.
({11})
Für den Bundesrat erhält jetzt der Landesminister
Carsten Kühl das Wort.
({0})
Dr. Carsten Kühl, Staatsminister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bedanke mich zunächst sehr herzlich für die
Gelegenheit, hier als Ländervertreter zu reden. Die Vermögensteuer ist eine Ländersteuer. Daher ist es vielleicht
ganz interessant, was die Länder dazu zu sagen haben.
Nach einigen Vorreden habe ich, so denke ich, die
Gelegenheit, mit dem einen oder anderen hartnäckigen
Vorurteil aufzuräumen bzw. zur Versachlichung der Diskussion beizutragen.
Wer über die Vermögensteuer redet, der muss über
Veränderungen in unserer Gesellschaft reden, über die
demografischen Veränderungen und darüber, dass sich
die Einkommens- und Vermögensverteilungen in unserer
Gesellschaft verändert haben. Dies geht man nicht an,
indem man im Vorwort zum Armuts- und Reichtumsbericht den Satz wegnimmt, dass sich die Privatvermögen in den letzten Jahren deutlich unterschiedlich verteilt
haben.
({2})
Wer über die Vermögensteuer redet, der muss darüber
reden, dass sich unsere finanzpolitischen Leitlinien verändert haben, dass wir alle gemeinsam der Auffassung
sind, dass mit der Schuldenbremse die Konsolidierung
eine besondere Priorität erhalten hat.
Dass wir weniger, dass wir älter und dass wir bunter
geworden sind, das ist kein Geheimnis mehr. Diese demografische Entwicklung schlägt sich auf der Ausgabenseite unserer Haushalte nieder. Natürlich gibt es an
manchen Stellen so etwas wie eine demografische Dividende, also einen Minderbedarf, aber gleichzeitig haben
wir Mehrbedarfe. Das kennen Sie aus dem Bereich der
Sozialversicherungssysteme, und das sehen wir, wenn
wir beispielsweise darum ringen, den ländlichen Raum
- Rheinland-Pfalz ist ein Flächenland mit einem ausgeprägten ländlichen Raum - als Lebensstandort, als Arbeitsstandort und als Wohnstandort attraktiv zu halten.
Unter dem Strich ist relativ klar: Der Finanzbedarf
pro Einwohner wird in den nächsten Jahren nicht zurückgehen, wenngleich wir durch die Konsolidierungsanstrengungen aufgefordert sind, auf der Ausgabenseite
harte Einschnitte vorzunehmen. Aber auf der Einnahmeseite erkennen wir eine andere Entwicklung. Wenn
wir weniger und wenn wir älter werden, dann wird sich
die Bedeutung der Einkommensteuer in unserem Steuersystem verringern. Sie wird eine immer weniger bedeutende Rolle einnehmen, weil eben immer weniger
Menschen im Erwerbsleben und immer mehr Menschen
im Rentenalter sind. Wir haben uns zwar vor einigen
Jahren für eine nachgelagerte Besteuerung entschieden.
Es wird aber zwangsläufig dazu kommen, dass der
Anteil der Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen zurückgeht.
Wir haben zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren,
wenn Finanzbedarfe konstant bleiben und eine der
bedeutendsten Steuern in unserem System zurückgeführt
wird: Wir können das entweder durch Verschuldung
oder durch Steuer- und Abgabenerhöhungen an anderer
Stelle kompensieren. Die Verschuldung ist keine Alternative. Wenn die Einkommensteuer nicht zur Verfügung
steht, um diese Kompensation zu leisten - es sei denn,
wir wollten Spitzensteuersätze generieren, die wir uns
nicht leisten können -, dann bleiben zwei Möglichkeiten: entweder die Konsumbesteuerung oder die Vermögensbesteuerung.
Damit bin ich bei der Verteilungsgerechtigkeit. Natürlich ist die Konsumbesteuerung eine Besteuerung, die
stärker diejenigen belastet, die einkommensschwächer
sind. Sie ist regressiv. Wenn man das Leistungsfähigkeitsprinzip als tragendes Prinzip unseres Steuersystems
aufrechterhalten will - nicht weil es irgendein akademisches Hirngespinst ist, sondern weil es das tragende
Prinzip der sozialen Marktwirtschaft ist -, muss gefragt
werden: Wo sind andere Indikatoren steuerlicher
Leistungsfähigkeit? Dann wird man im Zuge des demografischen Wandels nolens volens zu den Vermögenden
kommen.
({3})
Es ist nicht Aufgabe der Konsolidierung, den Staat
aus seiner sozialen Verantwortung zu entlassen, sondern
es ist Aufgabe der Konsolidierung, die Entschuldung der
öffentlichen Haushalte sozialverantwortlich zu gestalten.
Wenn dem so ist, dann müssen wir uns fragen - Frau
Paus hat darauf hingewiesen -, ob es angesichts unserer
Konsolidierungsbedürfnisse nicht notwendig ist, neben
einer strengen Ausgabenkonsolidierung, die alle Länder
vornehmen und dies auch vor dem Stabilitätsrat Jahr für
Jahr nachweisen, auch etwas auf der Einnahmeseite zu
tun.
({4})
Staatsminister Dr. Carsten Kühl ({5})
Herr Gutting sagt: Es gibt Rekordsteuereinnahmen.
Deswegen sei das nicht notwendig. - Wenn Herr Gutting
jetzt noch anwesend wäre, dann würde ich ihm sagen:
Wenn wir keine Rekordsteuereinnahmen haben, dann
brennt die Hütte in Deutschland. Das ist immer dann so,
wenn wir negative Wachstumsraten haben. Das heißt,
ein Steuersystem mit einer Aufkommenselastizität größer eins muss, wenn es eine einigermaßen vernünftige
wirtschaftliche Entwicklung im Land gibt, gleichzeitig
zu steigenden Steuereinnahmen führen.
({6})
Herr Middelberg spricht von Abgabenerhöhungsorgien.
({7})
Brennelementeabgabe, Bankenabgabe, Luftverkehrsabgabe, Tabaksteuererhöhung, Abschaffung von Ökosteuerprivilegien und Erhöhung von Sozialabgaben,
wenn die Sozialversicherungssysteme dies notwendig
machen ({8})
all das haben Sie in dieser Legislaturperiode gemacht.
({9})
Ich verstehe zum Teil, warum Herr Schäuble diese
Dinge veranlasst hat. Herr Schäuble wird sich irgendwann gesagt haben: Ich kann den gesamten Konsolidierungsprozess in Zeiten der Schuldenbremse nicht über
die Ausgabenseite organisieren; ich muss auch die
Einnahmeseite heranziehen. Ungefähr 30 Prozent der
Konsolidierungsaufgaben, die Sie zu bewältigen haben,
wollen Sie über die Einnahmeseite erbringen. Die
Länder können das aber nicht so wie Sie.
({10})
Weil alle Steuern, die Sie erhöht haben, indirekte Steuern
sind, kommen die Einnahmen nicht den Länderhaushalten zugute. Außerdem reduzieren Sie, zumindest
teilweise, die Bemessungsgrundlage der Steuern, deren
Einnahmen den Ländern zustehen. Ich finde, die Länder
sind richtig aufgestellt, wenn sie dann darüber nachdenken, wie sie unabhängig von den steuerpolitischen
Egoismen dieser Bundesregierung versuchen können,
ihren Konsolidierungsanteil über die Einnahmeseite zu
erbringen.
({11})
Wir haben eine einzige Steuer; das ist die Grunderwerbsteuer. Die haben mittlerweile alle Länder von
3,5 auf 5 Prozent erhöht. Dadurch können die Länder
- je nachdem, wie groß ihr Konsolidierungserfordernis
ist - zwischen 5 und 10 Prozent der Konsolidierungsnotwendigkeiten bis 2020 bewerkstelligen. Wir wollen
nur so viel, wie sich diese Bundesregierung gönnt, um
ihre Konsolidierungsanstrengungen erfolgreich zu Ende
zu führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der
Ausgestaltung der Vermögensteuer muss man beachten,
was die Gerichte sagen. Die Gerichte sagen uns, dass wir
den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten müssen und
keine unbotmäßige Privilegierung vornehmen dürfen; so
haben sich der Bundesfinanzhof und das Bundesverfassungsgericht geäußert. Sie sagen nicht: Ihr dürft keine
Vermögensteuer erheben, sondern sie sagen: Wenn ihr
eine Vermögensteuer erhebt, dann dürft ihr Unternehmen und Betriebsvermögen nicht über Gebühr verschonen bzw. begünstigen.
Sie ziehen daraus offensichtlich den Schluss: Wenn
wir gleichbehandeln müssen, dann erheben wir die
Steuer gar nicht. Sie sind, wie jetzt bei der Erbschaftsteuer - das macht mich schon stutzig -, nicht einmal
bereit, die Gestaltungsmöglichkeiten, die offensichtlich
vorhanden sind, die vom Gesetzgeber aber nicht intendiert sind und von den Gerichten kritisiert werden, zu
beseitigen. Ich rede davon, dass Sie die Regelungen zu
den Cash-GmbHs verändern. Sie haben zu den Einlassungen des Bundesrates gesagt, dass Sie ein Regelungsbedürfnis erkennen, aber keine Handlungsnotwendigkeit
sehen.
({12})
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der die Gestaltungsmöglichkeiten, die momentan vorhanden sind,
beseitigt hätte.
({13})
Herr Wissing, Sie sagen, die Vermögensteuer habe
Elemente der Substanzbesteuerung. Ja, das ist so. Das ist
bei der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer im Übrigen
genauso. Sie haben in dieser Legislaturperiode Regelungen zur Mindestbesteuerung und zur Verlustverrechnung
beschlossen,
({14})
Sie haben Regelungen zum Mantelverkauf beschlossen,
Sie haben die Einführung einer Zinsschranke beschlossen, und Sie haben Regelungen zur gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung verabschiedet.
({15})
All das sind Dinge, die, wenn man sie zu Ende dekliniert, ebenfalls substanzbesteuernd wirken können.
Staatsminister Dr. Carsten Kühl ({16})
({17})
Das ist durchaus vernünftig. Nur: Dann sollten Sie auch
anerkennen, dass man, wenn man für ein faires und gerechtes Steuersystem eintritt, eine Substanzbesteuerung
nicht zwingend zum Tabu erklären muss.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss. Wer darüber nachdenkt, wie man unser
Steuersystem demografiefest weiterentwickeln kann,
ohne den Grundsatz der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit aufzugeben und ohne Betriebsvermögen über Gebühr zu belasten - denn dass dies geschieht, wollen wir vermeiden -, der handelt nicht
fahrlässig, sondern verantwortungsvoll. Wer so handelt,
der handelt im Sinne unserer Verfassung; denn unsere
Verfassung gibt uns vor, die Schuldenbremse in einem
angemessenen Zeitrahmen einzuhalten.
({19})
Zugegebenermaßen: Dies ist verbunden mit dem
Anspruch - vielleicht unterscheiden wir uns an dieser
Stelle -, dass der Staat, und zwar auf allen Ebenen, handlungsfähig bleibt. Ein starker Staat, Herr Kollege, misst
sich am Umgang mit den Schwachen.
({20})
- Das mögen Sie komisch finden.
({21})
Aber ich möchte, dass der Staat in diesem Sinne auch in
Zeiten der Konsolidierung stark bleibt. Dazu, meine sehr
verehrten Damen und Herren, müssen auch die Starken
einen angemessenen Beitrag leisten.
Vielen Dank.
({22})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt Dr. Daniel Volk das
Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde zur
Frage der Vermögensteuerpläne der Opposition ist richtig und wichtig, wenn man einmal genau zuhört. Herr
Landesminister Kühl aus dem Land Rheinland-Pfalz, es
war schon erhellend, dass Sie Ihre gesamte Redezeit von
neun Minuten auf die Frage der Einnahmeseite des Staates konzentriert
({0})
und vorsichtshalber die gesamte Ausgabeseite ausgeblendet haben. Ich kann mir auch ungefähr vorstellen,
warum. Als Landesfinanzminister eines Bundeslandes,
welches 300 Millionen Euro in einen Freizeitpark versenkt hat,
({1})
würde ich einen Bogen ganz weit um die Ausgabeseite
des Landes schlagen. Das würde ich wirklich machen.
Alles, was hier sozusagen vorgegaukelt wird, ist, dass
der Staat ausschließlich ein Einnahmeproblem hätte und
deswegen neue Steuern unbedingt erfunden, erhoben
werden müssten.
({2})
Unser Ansatz ist, den Schwerpunkt zunächst auf die
Ausgabeseite des Staates zu legen.
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir eine Konsolidierung der
Staatshaushalte deutlich über die Ausgabeseite erreichen
können, wenn wir gleichzeitig eine vernünftige Steuerund Finanzpolitik betreiben,
({3})
die das Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht
bremsen, sondern - ganz im Gegenteil - fördern. Es ist
schon auffällig, dass wir in Zeiten der höchsten Steuereinnahmen
({4})
der Bundesrepublik Deutschland,
({5})
die übrigens grob zu 70 Prozent den Ländern und Kommunen zufließen, gerade in den Bundesländern, in denen
Rot-Grün Regierungsverantwortung haben, eine Haushaltspolitik haben, die eben gerade immer noch in eine
stärkere Neuverschuldung statt in eine verantwortungsvolle Konsolidierung geht.
({6})
Ich darf das zuspitzen. Das Problem an einer Vermögensteuer, die sowohl Privat- als auch Betriebsvermögen
treffen muss - da besteht Einigkeit hier im Hause,
({7})
das ist die verfassungsrechtliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts -, ist: Sie entzieht den Unternehmen
Eigenkapital. Wir wissen, wie wichtig Eigenkapital gerade in Zeiten einer Finanzkrise ist. Wenn man Unternehmen Eigenkapital entzieht, führt das zwangsläufig zu
einem Abbau von Arbeitsplätzen, was die Basis der Einkommensteuer reduzieren wird. Das ist wie das Amen in
der Kirche.
({8})
Dieser Wahrheit verweigern Sie sich leider Gottes. Ich
sage Ihnen eines ganz ehrlich: Ich habe lieber das Kapital produktiv in Unternehmen, die in Deutschland Arbeitsplätze schaffen, als bei Bundesländern, die ganz
gerne einmal Achterbahnen in Freizeitparks bauen und
dafür 300 Millionen Euro in den Sand setzen. Das sei
hier einmal ganz deutlich gesagt.
({9})
Frau Paus, Sie haben hier als Berliner Abgeordnete
der Grünen-Fraktion darauf abgestellt, was die FDP zu
dem Thema Länderfinanzausgleich sagt.
({10})
Zur Deutlichkeit und Vollständigkeit gehört dazu, dass
es schon ein Problem im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ist, dass wir zum Beispiel ein Land Berlin haben,
das nicht in der Lage ist, einen Flughafen zu den voraussichtlichen Kosten zum voraussichtlichen Zeitpunkt in
Betrieb zu nehmen, und das Ganze nach dem Motto
„Was soll der Geiz mit fremdem Geld“, nämlich dem
Geld anderer Bundesländer.
({11})
Ich glaube, wir müssen uns Gedanken darüber machen, ob wir nicht die Finanzführung der jeweiligen
Bundesländer auch in die Verantwortung dieser jeweiligen Bundesländer legen müssen. Denn eines ist klar: Es
ist nicht gerecht, dass Steuerzahler aus den Geberländern
eine verschwenderische Finanzpolitik der Nehmerländer
unterstützen müssen, ohne dass wir im Rahmen des Länderfinanzausgleichs überhaupt einen Anreiz hin zu einer
soliden Haushaltsführung haben.
({12})
Das muss der Ansatzpunkt sein.
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Wir sollten in diesem Bereich keine Denkverbote aufstellen, wie Sie es
versucht haben. Wer nach dem Motto „Was soll der Geiz
mit fremdem Geld?“ agiert, sollte erst recht nicht damit
kommen, wir bräuchten neue Steuern, damit der Staat
- in Zeiten höchster Steuereinnahmen - mehr Geld zur
Verfügung habe, um Schulden abzubauen. Das Gegenteil
ist immer der Fall gewesen: Sobald die Steuern mit der
Begründung „Wir werden damit Schulden abbauen“ erhöht wurden, ist nur ein Bruchteil davon in den Schuldenabbau gegangen. Das meiste ist in den Konsum gegangen. Das ist nicht der richtige Weg.
({13})
Der Kollege Dr. Carsten Sieling hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich die Debatte in dieser Art und Weise fortsetzen
würde, müsste ich jetzt den bayerischen FDP-Abgeordneten darauf hinweisen, dass die bayerische Landesregierung bei der Bayerischen Landesbank durch falsche
Politik 10 Milliarden Euro versenkt hat. Ich müsste auch
etwas erzählen von Ministerpräsident Mappus in BadenWürttemberg.
({0})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind nicht
hier, um über die Misswirtschaft in CDU-, CSU-, FDPgeführten Bundesländern zu sprechen, sondern über das
Thema, zu dem die Koalition diese Aktuelle Stunde aufgesetzt hat: die Vermögensteuer.
Ich möchte gerne eingangs einen Satz zitieren, der in
doppelter Weise die Realität in Deutschland wiedergibt.
Der Satz lautet: „Die Privatvermögen in Deutschland
sind sehr ungleich verteilt.“ Dieser Satz ist richtig. Er
stammt aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Dieser Satz
ist gleichzeitig ein Dokument der Wahrheitsliebe dieser
Koalition; denn er ist - auf Initiative des FDP-Bundeswirtschaftsministers Rösler - gestrichen worden. Dieser
Satz allein zeigt, wie weit Sie in der Lage und fähig sind,
mit den Wirklichkeiten in diesem Land umzugehen, und
wie unfähig Sie sind, hierauf die richtigen Antworten zu
geben.
({1})
Ich möchte mich in meiner Zeit hier vor allem dem
Argument widmen, dass wir mit unseren Vorschlägen,
die vom Bundesverfassungsgericht nicht verworfene,
sondern nur ausgesetzte Vermögensteuer wieder einzu25604
führen - also das Recht, das in Deutschland gilt, wieder
wirksam zu machen -, gerade das Rückgrat des Mittelstandes treffen würden. Dazu muss man sich einmal sehr
nüchtern anschauen, wie die Verhältnisse sind, die die
Bundesarbeitsministerin, wie ihr Entwurf des Armutsund Reichtumsberichts zeigt, offensichtlich sieht, aber
nicht sehen darf.
In Deutschland fällt die Verteilung der Einkommen
deshalb so exorbitant auseinander, weil beim reichsten
Prozent der Bevölkerung - bei 1 Prozent von 82 Millionen Menschen, also etwa 800 000 Menschen - ein Drittel des Vermögens - das sind 3 Billionen Euro - gebündelt ist.
({2})
Der deutsche Mittelstand umfasst mehr als
800 000 Menschen. Der deutsche Mittelstand besteht
aus fleißigen Handwerkern, aus guten Dienstleistern, aus
vielen Menschen, die täglich ihrer Arbeit nachgehen.
({3})
Das sind mindestens die 40 Millionen Menschen in diesem Land, die erwerbstätig sind. Um die sollte es uns gehen. Ihr Blick ist dagegen ausschließlich auf obige
800 000 gerichtet.
Der Vorschlag, die Vermögensteuer wieder einzuführen, würde nur 300 000 Menschen treffen, also nur einen
kleinen Teil dieser mittlerweile Superreichen in diesem
Lande. Bei diesen 300 000 davon zu reden, dass der Mittelstand im Herzen getroffen wird, ist barer Unsinn, ja
Demagogie. Von der Realität ist das sehr weit entfernt.
({4})
Das Handelsblatt und andere Medien sind zurzeit dabei, gegen diese Gerechtigkeitssteuer anzugehen. Weil
sie den Gerechtigkeitskanzlerkandidaten ansprechen
wollen, ersetzen sie, wenn sie von der Gerechtigkeitssteuer reden, ein Wort, sprechen von der „SteinbrückSteuer“ und versuchen, dagegen Stimmung zu machen.
Meine Damen und Herren, da wird das zitiert und dargelegt, worüber man wirklich offen reden kann. Ich muss
sagen: Was in diesem Artikel dargelegt wird, eignet sich
für mich als Redemanuskript. In dem dort gerechneten
Beispiel verfügt der 38-jährige verheiratete Unternehmer
über 10 Millionen Euro Vermögen, darunter eine Uhrensammlung im Wert von 500 000 Euro.
({5})
Mir kommen die Tränen! Wenn ich so etwas lese, dann
sehe ich den leistungsfähigen Mittelstand vor mir und
frage mich, ob die Erbschaftsteuer in Deutschland eigentlich wirksam ausgestaltet ist.
Wenn dieser arme Mann zu einer Vermögensteuer in
Höhe von 87 000 Euro herangezogen wird, dann ist das
aus meiner Sicht gerecht, und das vermindert nicht seine
Leistungsfähigkeit.
({6})
Deshalb dürfen wir uns davon nicht treffen und verwirren lassen, weil es in der Tat darum geht, dass wir den
Mittelstand stärken und nur bei Ausreißern zugreifen,
sodass wir mit einer Summe von bis zu 10 Milliarden
Euro im Jahr etwas für die Haushalte der Länder tun
können. Damit haben hier alle recht.
Wir tun das deshalb, weil wir mit dieser Vermögensteuer die Investitionen in Bildung, in unsere Kinder, in
die Schulen verstärken wollen.
({7})
Das ist eine kluge Mittelstandsförderungspolitik, und
unser Wirtschaftsstandort wird davon profitieren.
Die Vermögensteuer ist nicht nur gerecht, sie ist auch
wirtschaftlich vernünftig.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Einen schönen -
Norbert Schindler hat offensichtlich das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich grüße zunächst
einmal Deutschlands Jugend auf den Tribünen. Bis jetzt
hat in dieser Debatte nämlich keiner die Gäste begrüßt.
Es tut gut, zu sehen, wie aufmerksam Sie die Debatte
verfolgen.
({0})
Deswegen sollte man schon einmal auch auf die Grundbegriffe eingehen.
Herr Kollege Sieling, Sie sprachen von den Superreichen.
({1})
- Der Herr Poß sollte ruhig auch einmal zuhören und
nicht immer nur dazwischenbläffen.
Die Familie Engelhorn hatte eine Holdinggesellschaft
mit Sitz auf den Bermudas gegründet, die Eigentümerin
von Boehringer war. Vor zehn, zwölf Jahren hatte RotGrün ein richtiges Problem: Wie besteuert man sie bei
einer Veräußerung und entsprechender Erhöhung ihres
Kapitals? Damit will ich nur einmal zum Ausdruck bringen: Ihr habt die Probleme gehabt und konntet sie nicht
lösen, weil die Superreichen anders als die Mittelständler die Möglichkeit haben, diesen Staat zu verlassen. Das
tun die reichen Franzosen derzeit ebenfalls, indem sie in
Belgien ihren ersten Wohnsitz anmelden. Ich will hier
nur einmal auf die gesellschaftliche Entwicklung und die
Probleme hinweisen, die wir hatten.
Was bedeutet das? Herr Kühl, ich kann Ihnen schon
nachfühlen, was es bedeutet, die Probleme mit dem Nürburgring jetzt schultern zu müssen, obwohl das gar nicht
Ihr persönliches Verschulden war. In der Gesamtdebatte
muss man aber sehen: Laut dem Kompromiss von 1997
wurde die Grunderwerbsteuer aufgrund des Wegfalls der
Vermögensteuer von 1,5 Prozent auf 3,5 Prozent erhöht.
Diese auf 3,5 Prozent erhöhte Grunderwerbsteuer stand
also die ganzen Jahre in den Bilanzen der Länder, und es
kam nun darauf an, was die Länder daraus gemacht haben.
({2})
Damals, 1997, war ich schon im Bundestag.
Frau Paus, das Schlimme an dem Vorschlag der Grünen ist, dass Sie die Daten von 3 bis 5 Millionen Personen
prüfen müssen, im Endeffekt aber nur auf 300 000 Personen abzielen, von denen 200 000 das Land verlassen werden. Was heißt das im Kleingedruckten? Durch die Vermögensteuer nahm der Staat damals 4 Milliarden D-Mark
ein. Dem standen die Aufwendungen für Verwaltung und
Kontrolle von nachweislich rund 2 Milliarden D-Mark gegenüber. Nach Ihrem Vorschlag muss eine jährliche Überprüfung stattfinden. Sie werden dann zwar 200 000 bis
300 000 Fälle haben, gleichzeitig aber bis zu 5 Millionen
Personen überprüft haben.
Herr Kühl, es ehrt Sie, dass Sie nach Steuereinnahmen suchen; das hat Herr Schäuble ja auch tun müssen.
Man wird aber zum Beispiel die Frage beantworten müssen, ob Personen, die 10 Hektar Land verpachtet haben,
Landvermögen besitzen und unter die Vermögensteuer
fallen. Der Vermieter, der ein Mietshaus besitzt, in dem
drei Parteien wohnen, wird versuchen, die Kosten von
seinen Mietern zurückzubekommen, indem er die Vermögensteuer abwälzt. Zusätzlich kann er unter Umständen den Freibetrag geltend machen. Das muss genauso
überprüft werden wie die Frage, ob eine teure Druckmaschine in irgendeinem Werk oder metallverarbeitenden
Unternehmen ein Vermögenswert oder kein Vermögenswert ist. Ich will ja nur darauf hinweisen, welche zusätzliche Bürokratie das auslöst.
({3})
- Wenn Sie etwas wollen, dann stellen Sie eine Zwischenfrage. - Schauen Sie sich doch an, was dazu in der
Verfassung steht und was die Gerichtsurteile aus Karlsruhe zum Spitzensteuersatz ergeben haben!
Lieber Herr Kollege Poß, Sie waren damals schon im
Bundestag. Der Finanzminister Ihrer Partei hat damals
für eine Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und eine Absenkung des Spitzensteuersatzes
geworben. Das wurde von uns in der Opposition damals
nicht gutgeheißen.
({4})
Trotzdem hat das diesem Staat langfristig erhebliche
Steuermehreinnahmen gebracht. Mit denen können wir
derzeit einen Bundeshaushalt im Volumen von über
300 Milliarden Euro ermöglichen. Es ist mehr die Frage,
wie wir die Kosten auf der Ausgabenseite reduzieren.
Aber noch einmal: Angesichts dessen, was die Steuerbeamten an Aufwand betreiben müssen, um Ihren Vorschlag einigermaßen zu erfassen und umzusetzen, ist er
absolut zu verwerfen. Er taugt nicht in der Realität. Er
bestraft die braven Steuerzahler in dieser Republik.
Stichwort braver Steuerzahler: Herr Kühl, eine letzte
Bemerkung. Am 12. Dezember findet eine Sitzung des
Vermittlungsausschusses statt, und am 14. Dezember ist
die letzte Sitzung von Bundestag und Bundesrat. Es geht
mir um das Abkommen mit der Schweiz. Die Summe
von 10 Milliarden Euro, die wir im Nachhinein aufgrund
der Nachbesteuerung bekommen könnten, würde den
Bundesländern zugutekommen.
({5})
Aber nein, Sie wollen ein Modell, aufgrund dessen die
braven Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland
zusätzlich belastet würden.
Selbst die Tatsache, dass viele Sportler und Filmschauspieler - diese bejubeln wir auch noch - dem Steuerstandort Deutschland gerne entfliehen, während für
den Mittelständler,
({6})
der diesen Staat trägt und für den die Steuergerechtigkeit
so aussieht, dass er 40 bis 50 Prozent der Steuereinnahmen finanziert - die anderen 50 Prozent kommen von
den oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher; auch
sie fallen unter den Spitzensteuersatz; das muss man in
dieser Neiddebatte leider Gottes anführen -, nutzen Sie
für den beginnenden Wahlkampf.
Danke schön.
({7})
Der Kollege Lothar Binding hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon im
ersten Satz von Olav Gutting gehört: Wir haben die
Lothar Binding ({0})
höchsten Steuereinnahmen. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit. Die Sozialkassen sind prall gefüllt. ({1})
Da fragen wir uns natürlich: Warum macht ihr trotzdem
17 Milliarden Euro neue Schulden?
({2})
Der Grund für diese gute Situation ist allerdings relativ einfach: Die aktuelle Lage ist immer eine Folge der
Strukturpolitik von gestern. Wenn wir jetzt eine gute
Lage haben, hat das mit eurer Politik fast nichts zu tun.
Das muss man sich einmal klarmachen.
({3})
Armut, soziale Schieflage, prekäre Beschäftigung kommen eben nicht durch Kurzzeiteffekte und tagesaktuelle
Politik zustande. Sie sind die Folge einer langfristig angelegten Strukturpolitik. Ich will das einmal ein bisschen
genauer analysieren, auf einen längeren Zeitraum zurückblicken, jedenfalls länger zurück, als die meisten
hier im Bundestag sind.
Nach der Vereinigung - wir erinnern uns - hatten wir
einen Vereinigungsboom. Dieser war natürlich schuldenfinanziert, aber das hat keiner übel genommen. Dann gab
es blühende Landschaften, bezahlt aus der Portokasse.
Der Aufbau dieser Landschaften dauerte länger und länger und war viel teurer als gedacht. Auch das haben wir
noch nicht übel genommen. Die Staatsverschuldung
stieg und stieg. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 5 Millionen.
Dann kam Rot-Grün.
({4})
Übrigens haben wir euch noch im April 1998 geholfen,
das Rentenversicherungssystem zu retten. Das habt ihr
nur mit den Stimmen der Opposition geschafft, sonst
wäre das Rentensystem zusammengebrochen. Aber wir
erinnern uns: Unter der Last von Dotcom, der Spekulationsblase, hatte Rot-Grün am Anfang ziemlich zu
kämpfen. Die Konsolidierung ging nur langsam voran,
auch weil wir mit unseren hohen Steuersätzen statt im
europäischen Mittelfeld am oberen Rand lagen. Das war
ein Riesenhemmnis für die Wirtschaft und das Einkommen der Menschen. Es ging langsam voran.
Dann kam die Kombination - vielleicht erinnern Sie
sich noch - aus Jugendwahn und Altersdiskriminierung.
Viele Konzerne haben ältere Mitarbeiter entlassen, die
dann bis zur Rente Sozialhilfe bezogen. Damit stieg die
Arbeitslosigkeit wieder, übrigens schon beginnend ab
1985. Dann haben wir etwas gemacht, von dem ihr heute
noch zehrt. Wir haben etwas eigentlich Schlimmes gemacht, was aber gut gewirkt hat,
({5})
nämlich die Einführung von Arbeitslosengeld II im Rahmen der Agenda 2010. Damit konnte dieser Prozess gestoppt werden.
Dann haben wir noch die prozyklischen Wirkungen
des Maastricht-Vertrages korrigiert.
({6})
Ohne diese Korrektur könntet ihr heute gar nicht die
Politik machen, die ihr macht. Auch haben wir die Wirkung der kalten Progression vorauseilend kompensiert,
({7})
sodass die kalte Progression seit Anfang des neuen Jahrtausends überhaupt nicht mehr auftritt.
Die Große Koalition hat von all diesen Dingen profitiert, und dann kam die Bankenkrise. Dann folgten die
Konjunkturpakete I und II unter Peer Steinbrück und
Frank-Walter Steinmeier und die Ausweitung der Kurzarbeit unter Olaf Scholz. Damit sind wir ganz gut aus der
Krise gekommen - bis heute.
({8})
Allmählich allerdings beginnt die Wirtschaftspolitik
von Schwarz-Gelb zu wirken. 2013 und 2014 wird sich
zeigen, wie sich eure Politik in der Zukunft auswirken
wird. Dann wird sich zeigen, ob eure Politik gut oder
schlecht war.
({9})
In dieser langen Zeit gibt es aber einen stabilen Faktor:
1992 betrug das Nettovermögen der privaten Haushalte
4 700 Milliarden Euro; im Jahr 2010 waren es über
10 000 Milliarden.
({10})
Man kann sagen, dass trotz der Politik in diesem Bereich, die im Wesentlichen ihr zu verantworten habt, dieses Vermögen exorbitant gewachsen ist, sodass wir jetzt
sagen: Von 10 000 Milliarden Euro wollen wir ein Steueraufkommen für die Länder generieren. Es geht um
0,1 Prozent.
({11})
Man merkt sofort, dass von diesen 0,1 Prozent keine
wirklichen volkswirtschaftlichen Gefahren ausgehen.
Sie sind jedenfalls viel geringer als die, die von eurer
Politik ausgehen. Wir glauben, dass wir, wenn wir damit
eine Gerechtigkeitslücke schließen, eine sehr gute Sozialpolitik machen können.
({12})
Zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts hat
Carsten Kühl sehr viel gesagt und gute Lösungen vorgetragen. Wenn man berücksichtigt, in welchem Maße die
CDU/CSU und die FDP die Länder und Kommunen vergessen, dann wird klar, dass die Länder diese Steuereinnahme unbedingt brauchen.
Lothar Binding ({13})
({14})
Wir merken auch, dass durch die geringe volkswirtschaftliche Belastung von insgesamt 0,1 Prozent weder
die Privaten und Superreichen noch die Konzerne, die es
sich leisten können, jemals einen Schaden haben werden. Aber für den Gesamtstaat, die soziale Gerechtigkeit
und die Verminderung der Geschwindigkeit, in der die
Reichen reicher und die Armen ärmer werden, kann
diese Steuer sehr gut wirken.
Ich denke, bei diesen positiven Gesamtwirkungen
könnt ihr noch einmal über die Vermögensteuer nachdenken. Wenn ihr ein bisschen nachdenkt, kommt ihr
vielleicht auch dazu, dass das strukturpolitisch eine recht
gute Idee ist.
({15})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nach
diesem Schnellseminar in Geschichtsklitterung folgt
wieder etwas zum Thema. Ich fühlte mich an die Agenda
2010 erinnert, die der Kollege Binding kurz gestreift hat,
als ich das Programm der SPD mit der vielversprechenden Überschrift „Deutschland 2020: So wollen wir morgen leben - Bausteine eines Modernisierungsprogrammes“ gelesen habe. Das ist ein vielversprechender Titel,
aber er hat mit der Agenda 2010 nichts mehr zu tun.
({0})
Es ist das krasse Gegenteil dessen, was Sie damals gemacht haben und was in der Tat heute noch hilfreich
wirkt.
Insgesamt findet man in diesem Programm wenig
Neues. Im Finanzbereich sind es nur Ankündigungen
von Steuererhöhungen. Nachdem ich Staatsminister
Kühl zugehört habe, habe ich verstanden, wie Sie in dieser Frage denken. Herr Kühl, Sie behaupten allen Ernstes, Haushalte könne man nur über die Einnahmeseite
ausgleichen. Ich empfehle Ihnen: Schreiben Sie Ihrem
badischen Kollegen einen freundlichen Brief und bitten
Sie ihn um Amtshilfe. Er wird sie Ihnen sicherlich gewähren und Ihnen erklären, wie man es auch anders machen kann, nämlich durch eine ordentliche Politik, statt
bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern abzukassieren.
({1})
Wenig neu ist in diesem Programm auch die Behauptung, es treffe nur die anderen. Diese Behauptung muss
man aufstellen, wenn man versucht, Neid und Missgunst
anzustoßen.
({2})
Das geht nämlich nur, indem man sagt: Es trifft nur die
anderen.
Auch in dieser Diskussion ist von Multimillionären,
Milliardären, Topmanagern und was auch immer die
Rede.
({3})
Ich empfehle denen, die Ihnen heute zugehört haben,
ihren eigenen Gehaltszettel anzuschauen und zu vergleichen, wo zum Beispiel Ihr erhöhter Spitzensteuersatz in
Zukunft anfangen wird. Da wird mancher sein blaues
Wunder erleben, wenn er sieht, wo er aus Ihrer Sicht einzustufen ist, nämlich bei den Topverdienern.
({4})
Das muss man so klar sagen, Herr Kollege, weil sich
manche Ihrer Wähler Illusionen machen und glauben,
dass man das Geld bei den Superreichen holen kann. Am
Schluss wird es aber in der Tat die Mittelschicht treffen,
und die wird das Ganze bezahlen müssen.
Alles andere als neu ist, dass man versucht, ein Substitut für die Enteignung zu finden und die Substanzbesteuerung ins Spiel bringt. Es ist eine ganz alte Forderung, die Vermögensteuer wieder einzuführen, die wir
1997 abgeschafft haben - wohl überlegt abgeschafft haben -, im Übrigen auch aufgrund der verfassungsrechtlichen Situation.
({5})
Schon damals ist es nicht gelungen, das Vermögen in
Gut und Böse zu unterteilen, wie Sie es gerne hätten.
Wenn Sie aufmerksam lesen, was der Bundesfinanzhof
aktuell zum Erbschaftsteuerrecht gesagt hat, werden Sie
feststellen, dass auch bei der Erbschaftsteuer die Aufteilung in Betriebs- und Privatvermögen höchst problematisch ist. Wir werden die Differenzierung, die Sie machen müssten, um insbesondere den gewerblichen
Mittelstand zu verschonen, am Ende so nicht machen
können. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn Sie dann trotzdem Vermögen besteuern, dann ist in einer Situation, in
der ein Unternehmen Verluste schreibt, die Besteuerung
arbeitsplatzgefährdend. Deshalb kann ich nur davor warnen, die Substanzbesteuerung in dieser Weise voranzutreiben.
Auch wenn diese Aufteilung in Privat- und Betriebsvermögen gelänge, wären wir in der Situation, dass Sie
damit der Gestaltung der Steuerschuld Tür und Tor öffnen würden. Das heißt, wir führen wieder eine Steuer
ein, die zur Gestaltung anregt. Die ganz oben sind, werden ihre Steuerschuld gestalten können, aber die, die
sich in der Mitte befinden, wird es am Schluss treffen.
Aus diesem Dilemma kommt man aus meiner Sicht nur
heraus, wenn man auf eine solche Substanzbesteuerung
verzichtet.
Im Übrigen sage ich auch ganz klar: Wenn Sie die
Wirkung sehen wollen, dann sollten Sie sich die Erbschaftsteuer anschauen. Wenn wir das tun würden, was
wir tun müssten, nämlich das Steuerheberecht den Ländern überlassen würden, sodass die, die das Geld kassieren, den Steuersatz festlegen, dann würden Sie am Ende
sehr schnell merken, wohin die Leute ziehen. Wir haben
heute schon einmal von solch einem volkswirtschaftlichen Minimodell gehört. Dieses Modell können Sie einmal auf der Bundesebene einführen. Dann werden Sie
sehen, wohin der Zug geht.
Sie wollen eine Kuh auf einer Wiese melken, die keinen Zaun hat. Sie werden erleben, wie schnell die Kuh
weg ist, wenn sie nicht gemolken werden will. Deshalb
fände ich es viel besser, wenn Sie das täten, was etliche
Kollegen angeregt haben, nämlich dem Steuerabkommen mit der Schweiz zuzustimmen. Das kann ich empfehlen. Da können Sie tatsächlich Millionäre zur Kasse
bitten. Wenn Sie zeigen wollen, dass Sie nicht die Mittelschicht belasten wollen, dann sorgen Sie dafür, dass
etwas zur Vermeidung der kalten Progression geschieht.
Tun Sie es. Da können Sie zeigen, wen Sie belasten und
wen Sie entlasten wollen. Ansonsten erzählen Sie uns
hier keine Geschichten.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Christian von Stetten für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
So eine Aktuelle Stunde bietet den betroffenen Parlamentariern auch die Chance, einmal darzulegen, wie
denn ihre konkreten Steuerpläne überhaupt aussehen.
Diese Chance zur Darlegung ihrer Vermögensteuerpläne
hat die SPD heute definitiv verpasst und nicht genutzt.
({0})
In keinem einzigen Beitrag ist deutlich geworden,
was Sie eigentlich wollen. Vier Redebeiträge, und kein
einziges Mal ist der Steuersatz gefallen, den die SPD in
Zukunft - immerhin sind wir acht Monate vor der Bundestagswahl - festsetzen will. Es ist von Vermögensteuer
die Rede, die den Ländern zustehen soll, und es ist von
einer Vermögensabgabe die Rede, die dem Bund zustehen soll. Es ist das Wort von der Erhöhung des Spitzensteuersatzes gefallen. Zusätzlich wollen Sie den Mittelstand belasten und das Erbschaftsteueraufkommen
verdoppeln, aber es kamen keine konkreten Daten und
Fakten zu dem eigentlichen Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde.
({1})
Die SPD darf bei den Steuern nicht überziehen. Diese Aussage ist richtig. Sie stammt von Ihrem designierten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Nach Angaben des Deutschlandradios hat er letzte Woche noch
hinzugefügt, wer das Loblied auf den deutschen Mittelstand singe, der dürfe diesen nicht verprellen. Anstatt
„verprellen“ kann man in diesem Zusammenhang auch
„ausplündern“ sagen; denn die gesamten Steuervorschläge, die die Opposition in den letzten Wochen und
Monaten unterbreitet hat, sind ein Anschlag auf den Mittelstand und die dort Beschäftigten.
({2})
Liebe Kollegen, nach dieser Debatte ist festzustellen:
Die SPD von Sigmar Gabriel und Andrea Nahles verlangt wieder einmal die Einführung einer Neidsteuer,
und der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
schlägt sich in die Büsche.
({3})
Zum Thema Vermögensteuer ist vom Kanzlerkandidaten trotz intensiver Suche kein Wort zu lesen, kein
Wort zu hören. Er windet sich, er hat keine Meinung,
lässt andere für sich reden. Ich frage mich: Wie lange,
glauben Sie, geht das gut? Wie lange geht das in Ihrer
Partei gut? - Das hat uns nicht zu interessieren. - Was
glauben Sie, wie lange geht das bei der Bevölkerung
gut? Die Bevölkerung will acht Monate vor der Bundestagswahl wissen, was auf sie zukommt, wenn die SPD in
die Regierungsverantwortung kommt.
Klarer äußert sich da einer Ihrer wichtigsten Wahlkampfverbündeten, die Gewerkschaft Verdi. Frank
Bsirske hat erklärt, er wolle Vermögensteuer und Vermögensabgabe zum Bundestagswahlkampfthema machen.
Die Gewerkschaft fordert eine jährliche Vermögensteuer
von 1 Prozent zum Verkehrswert, welche nach ihrer Angabe dann 20 Milliarden Euro jährlich einbringen soll;
Sie von der SPD gehen noch von 10 Milliarden Euro
aus. Vorab will Frank Bsirske eine einmalige 15-prozentige Vermögensabgabe erheben, welche die Bürger um
300 Milliarden Euro schröpfen soll. Damit ist man ganz
nah bei dem, was die Grünen wollen: Auch sie wollen
hier eine Vermögensabgabe in Höhe von 15 Prozent.
({4})
Frau Höll, Sie sind leider der letzte Vertreter der
Linkspartei hier.
({5})
- Vertreterin. - Auch in Ihren Reden ist kein Wort dazu
gekommen, wie Ihre Vermögensteuerpläne aussehen. Sie
haben vor einem halben Jahr im Deutschen Bundestag
einen Antrag eingebracht. Darin ist immerhin von einer
Vermögensteuer von 5 Prozent zum Verkehrswert die
Rede. Ich glaube, das ist Ihnen mittlerweile selber so
peinlich, dass es keiner mehr erwähnt. Sie wollen zugegebenermaßen einen Freibetrag von 1 Million Euro. Damit suggerieren Sie, davon seien nur die Millionäre betroffen und nicht die normalen Leute. Tatsächlich ist es
natürlich so: Diese Neidsteuer betrifft den Mittelstand,
die Familienbetriebe, die dort Beschäftigten. Diese Beschäftigten müssen dann schauen, wo sie bleiben, wenn
ihre Arbeitgeber das Land verlassen.
Außerdem sind vor allem die Mieter betroffen; daher
beschämt es mich ganz besonders, dass dieser Vorschlag
von der linken Seite dieses Parlamentes kommt. Es sind
doch nicht die Vermieter, die darunter leiden, dass sie
5 Prozent Vermögensteuer zahlen müssen.
({6})
Nehmen wir einmal einen wohlhabenden Vermieter mit
verschiedenen Mietwohnungen. Er erzielt eine Verzinsung von 3,5 Prozent, soll darauf Ertragsteuern und jährlich zusätzlich 5 Prozent Vermögensteuer zum Verkehrswert zahlen. Er hat dann ein Renditeobjekt, das eine
Minusrendite erbringt. Also wird er versuchen, dieses
Renditeobjekt so schnell wie möglich zu verkaufen. Er
wird allerdings niemanden finden, der dieses Minusrenditeobjekt kauft, und deswegen wird er die komplette
Vermögensteuer von 5 Prozent jährlich auf den Mietpreis umlegen. Das ist ein Problem, das Sie nicht ausklammern können. Ihre Pläne sind mieterschädlich. Die
Umlage von 5 Prozent Vermögensteuer zum Verkehrswert
auf die Mieten bedeutet eine Mieterhöhung um 50 Prozent. Mieterhöhungen bis hin zu einer Verdopplung des
Mietwerts wären also möglich.
Herr Minister Kühl, keiner, der ein hohes Einkommen
hat, hat etwas dagegen, dass er Steuern zahlen muss.
Wenn unsere Betriebe, die Mittelständler ein gutes Jahr
und hohe Erträge gehabt haben, dann zahlen sie gern
Steuern. Aber wenn Sie selbst dann Steuern verlangen
wollen, wenn in einem Jahr gar nichts verdient worden
ist, wenn in einem Jahr ein Minus gemacht worden ist,
wenn von der Substanz eines Unternehmens gezehrt
worden ist, dann ist das nicht nur unverständlich,
sondern wirtschaftlich schädlich. Das werden wir, diese
Koalition, gemeinsam verhindern.
Herzlichen Dank.
({7})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 29. November, 10 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen
Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.