Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({0})
- Dafür bin ich nicht zuständig, Frau Enkelmann. Die
Fraktionen bestimmen selbst, inwieweit sie ihr Recht, an
einer Plenarsitzung des Bundestages teilzunehmen,
wahrnehmen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die unter
Tagesordnungspunkt 1 vorgesehene Befragung der Bundesregierung entfallen soll. Die zur Beratung am morgigen Mittwoch vorgesehenen Tagesordnungspunkte 5
und 6 sollen heute beraten werden. Sie werden nach der
Aktuellen Stunde aufgerufen. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/633, 17/645 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
Frage auf Drucksache 17/645 auf.
Es geht um den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Kathrin
Vogler auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die aktuellen Meldungen zu Engpässen bei zwei Impfstoffen für Kinder, und welche Maßnahmen plant sie, um für dieses akute Problem Abhilfe zu schaffen?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete Vogler, die aktuelle
Meldung auf der Homepage des Paul-Ehrlich-Instituts
besagt, dass - nach neuesten Informationen des Unternehmens GlaxoSmithKline vom 8. Februar - der Sechsfachimpfstoff Infanrix Hexa ab Montag, dem
15. Februar, wieder lieferbar ist. Es handelt sich um rund
200 000 Impfstoffdosen, die etwa einem Monatsbedarf
des Sechsfachimpfstoffs entsprechen. Des Weiteren
wurde vom Paul-Ehrlich-Institut heute Mittag telefonisch mitgeteilt, dass heute Vormittag eine weitere
Charge des Sechsfachimpfstoffs mit circa 215 000 Dosen freigegeben wurde, die dem Markt voraussichtlich
eine Woche später zur Verfügung stehen.
Die bislang nicht lieferbaren Impfstoffe sind jedoch
keineswegs so alternativlos, wie sich das in der Presse
derzeit darstellt. Der gleiche Impferfolg kann auch mit
anderen Impfstoffen in Kombination erreicht werden;
die Kinder müssen jedoch mehrfach geimpft werden.
Das war im Übrigen bis 1998 Standard, nämlich vor Beginn der Zulassung von Fünf- und Sechsfachimpfstoffen.
Informationen zur Verfügbarkeit einiger Alternativprodukte - auch von anderen Impfstoffherstellern als
GlaxoSmithKline - werden auf der Homepage des PaulEhrlich-Instituts schnellstmöglich bekannt gegeben. Sie
werden fortlaufend aktualisiert. Das Paul-Ehrlich-Institut steht zudem mit den Herstellern in Kontakt, die zugesagt haben, weitere Impfstoffe nachzuliefern.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Es geht um die
aktuellen Meldungen in der Presse. Mir und auch vielen
anderen stellt sich die Frage: Inwieweit sind die Bundesregierung und die Landesregierungen mit ihren Bestellungen des Impfstoffes gegen die Schweinegrippe für
diesen aktuellen Engpass mitverantwortlich? Inwieweit
wurde im Vorfeld der Massenbestellung von 50 MillioRedetext
nen Dosen bei GlaxoSmithKline überhaupt in Betracht
gezogen, welche Auswirkungen das auf die Produktion
von anderen Standardimpfstoffen hat?
Frau Abgeordnete, die Behauptung der Presse, dass
die Produktion des Pandemieimpfstoffs für den Ausfall
der Kinderimpfstoffe verantwortlich sein soll, kann nach
Ansicht des Paul-Ehrlich-Instituts so nicht nachvollzogen werden. Es scheinen mehrere weitere Ursachen zum
Lieferengpass beigetragen zu haben, unter anderem eine
Umstellung von Sicherheits- und Qualitätskontrollen.
Dies wäre durch die Vertragsgestaltung im Vorfeld überhaupt nicht beeinflussbar gewesen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
So richtig beantwortet, finde ich, ist diese Frage damit
noch nicht.
Ich habe trotzdem noch eine weitere Nachfrage: Inwieweit ist die Bundesregierung darüber informiert, in
welchem Maße wirtschaftliche und nicht medizinpolitische Erwägungen der Firma GlaxoSmithKline dazu beigetragen haben, sich voll und ganz auf die Produktion
eines Pandemieimpfstoffs für die sogenannte Schweinegrippe zu konzentrieren? Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Standardimpfstoffe nach einer Grundimmunisierung in der Regel nur alle zehn Jahre neu
gegeben werden müssen, ist davon auszugehen, dass es
sehr viel lukrativer ist, wenn man einen Impfstoff entwickelt, mit dem jedes Jahr neu geimpft werden muss.
Ich wüsste gerne, ob die Bundesregierung eine Position
bezüglich der Frage hat, wie man mit einer solchen Prioritätensetzung in der Industrie künftig so umgehen kann,
dass derartige Engpässe bei Standardimpfstoffen nicht
mehr vorkommen.
Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte
über wirtschaftliche oder betriebswirtschaftliche Erwägungen der Herstellerunternehmen vor. Im Übrigen
weise ich darauf hin, dass die Entwicklung eines Impfstoffes ein hochkomplexer biologischer Vorgang ist, der
immer gewissen Schwankungen in der Produktion unterworfen ist. Das gilt auch für die Produktion von solchen
Mehrfachimpfstoffen.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Bunge das Wort.
Frau Staatssekretärin, als Sie berichteten, dass die
Engpässe bei den Kindermehrfachimpfstoffen nichts mit
der Produktion des Schweinegrippenimpfstoffs zu tun
hätten, habe ich gedacht: Womit denn dann? Ist der Winter schuld oder was? Sie sagen jetzt, dass Sicherheitsüberprüfungen stattgefunden haben. Gibt es ähnliche Erscheinungen bei der Belieferung in anderen Ländern
innerhalb oder außerhalb der EU, bei denen Sie den
Überblick haben, oder betrifft das nur Deutschland?
Nach unserer Information betrifft das auch die Länder
Belgien und Italien. Lieferengpässe können bei der Produktion von Impfstoffen auftreten. Solche Lieferengpässe kommen auch bei anderen Impfstoffen unter dem
Jahr immer wieder einmal vor und werden dann auch gemeldet.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, rufe
ich jetzt die Fragen auf Drucksache 17/633 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Jelpke werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 3 bis 8. Sie befassen sich
alle mit den Pilotprojekten gegen Linksextremismus und
Islamismus.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Cornelia Möhring
auf:
Welche beispielhaften Träger hat die Bundesregierung im
Auge, die sie für eine Beteiligung an den Pilotprojekten gegen
Linksextremismus und Islamismus gerne gewinnen würde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich bitte darum, die Fragen 3 und 4
zusammen beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 4 der Kollegin Cornelia
Möhring auf:
Liegen der Bundesregierung belastbare Erkenntnisse für
den Bedarf an Projekten gegen Linksextremismus vor, und wo
ist dieser Bedarf bisher dokumentiert?
Zur Vorbereitung der beiden Pilotprojekte gegen
Linksextremismus und Islamismus, die im Laufe dieses
Jahres gestartet werden sollen, ist zunächst eine Sondierungsphase vorgesehen. In dieser Phase werden mögliche
Forschungsthemen, Forschungsfelder, Vorgehensweisen,
Zielgruppen sowie Trägerstrukturen identifiziert. Hierbei
werden auch bereits vorliegende wissenschaftliche und
behördliche Erkenntnisse zur Ideologie, zur Entwicklung
und zur Struktur des Linksextremismus sowie des IslaParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
mismus einbezogen. Mit staatlichen und nichtstaatlichen
Akteuren des Bundes, der Länder und der Kommunen,
zum Beispiel mit Berlin und Hamburg, werden Fragen
der praktischen Prävention von Islamismus und Linksextremismus erörtert.
Das Ziel ist es, im zweiten Quartal 2010 Ideen für
Forschung, Expertisen und Modellprojekte zu entwickeln und zu realisieren. Im Rahmen dieser Sondierungsphase werden Träger angesprochen, die die Bundesregierung für eine Beteiligung an den Pilotprojekten
gewinnen möchte. Die Verfassungsschutzberichte des
Bundes und der Länder, die in diesem Zusammenhang
veröffentlichten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität, aber auch die Aussagen des Berliner Innensenators und der Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes
und die von ihnen am 11. November 2009 vorgestellte
Studie Linke Gewalt in Berlin belegen, dass es neben
dem Rechtsextremismus auch linksextremistische Tendenzen gibt, die undemokratisch sind und Menschenrechte verletzen. Diese müssen beobachtet werden, und
auf sie muss reagiert werden. Der Staat darf sich unserer
Auffassung nach auf solche Bestrebungen nicht nur mit
Mitteln der Strafverfolgung einlassen, sondern er muss
diese auch präventiv und nachhaltig bekämpfen. Das ist
der Ansatz von Aktivitäten im Bereich des Jugendministeriums.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Herr Dr. Kues. - Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wird die Bundesregierung direkt Träger ansprechen, die diese Modellprojekte mit durchführen sollen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, welche Träger
Sie ins Auge gefasst haben.
Wir sind im Moment noch nicht so weit. Ich habe ja
gesagt, dass wir uns noch in der Sondierungsphase befinden. Das ist ein neuer Ansatz, eine neue Entwicklung.
Wir führen verschiedene Gespräche. Wir gehen davon
aus, dass wir dann in der Lage sind, sowohl die Fragestellungen, die angegangen werden können und müssen,
zu identifizieren als auch Trägerstrukturen auszumachen, die dafür infrage kommen. Wir werden dabei alle
Informationen, die ich eben beschrieben habe, natürlich
auch die vom Verfassungsschutz - ich habe ja auf die
Studie Linke Gewalt in Berlin hingewiesen -, zugrunde
legen.
Wir gehen davon aus, dass wir einen eigenen Ansatz
finden. Ich glaube, dass jede Form von Extremismus gesondert betrachtet werden muss; denn die Ursachen sind
unterschiedlich. Insofern müssen auch die Ansätze unterschiedlich sein. Das ist ein neuer Weg, den wir dort
gehen. Daher brauchen wir eine gewisse Vorbereitungszeit.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
({0})
Ich gehe einmal davon aus, dass Sie Ihre Planungen
nicht nur auf die Berliner Studie beziehen. Daher würde
ich gerne von Ihnen wissen, wo Sie in der Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus Schwerpunktregionen sehen.
Das kann ich jetzt nicht im Einzelnen darstellen,
({0})
weil wir dabei sind, dies zunächst zu erfassen. Berlin ist
sicherlich eine Stadt, über die man reden muss.
({1})
Der Berliner Senat sagt dies ausdrücklich. Er hat ja auch
deswegen eine Studie in Auftrag gegeben. Von daher ist
es sinnvoll, dort anzuknüpfen und sich dann Gedanken
zu machen, wie man damit umzugehen hat.
({2})
Zu einer weiteren Nachfrage hat nun der Kollege
Volker Beck das Wort.
Ursprünglich wollte ich gar nichts fragen, aber Ihre
Antworten haben mich stutzig gemacht. Ich habe den
Eindruck, das funktioniert nach dem Motto: Wir hätten
da gerne einmal ein Problem.
({0})
Sie wissen nicht, wo die besondere Belastung ist, also
wo Sie eine Notwendigkeit, einen Bedarf für Projekte
sehen. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht einig sind,
dass gewalttätiger Extremismus von allen hier im Hause
abgelehnt werden muss. Die Geschichte der Programme
gegen den Rechtsextremismus geht ja darauf zurück,
dass Gruppen in der Gesellschaft regelmäßig Opfer von
fremdenfeindlicher Gewalt, homophober Gewalt oder
antisemitischer Gewalt wurden. Um die Opfer sicherer
zu machen, hat man gesagt, dass man Strategien und
Programme dagegen entwickeln muss. Können Sie mir
sagen, welche Personenkreise besonders gefährdet sind,
Opfer gruppenbezogener Gewalt linker Gruppen zu werden,
({1})
oder ist die Problemlage so grundverschieden, dass man
sich vielleicht die Frage stellen muss, ob der neue An1822
Volker Beck ({2})
satz des Hauses angesichts der unterschiedlichen Formen von Extremismus überhaupt sachgerecht ist?
Zunächst einmal ist es gut, dass Sie gesagt haben,
dass wir uns hinsichtlich der Notwendigkeit der Bekämpfung von Extremismus jeglicher Art einig sind. Ich
habe Ihnen auch zwei Standorte genannt, die ausweislich
dieser Studie, die ich eben erwähnt habe, aber auch ausweislich der Berichte des Verfassungsschutzes und von
Polizeiorganisationen offenkundig Zentren linksextremistischer Gewalt sind. Wir werden uns damit auseinanderzusetzen haben, und wir werden dann zu überlegen
haben, wie wir damit umgehen.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wir sind nicht für
die Sicherheitspolitik zuständig - das ist Aufgabe der Innenminister und der Innensenatoren -, sondern für die
Entwicklung pädagogisch-präventiver Konzepte; diese
müssen genau überlegt werden.
({0})
Ich bestreite allerdings nicht, dass auch andere Formen
des Extremismus existieren, allerdings mit anderen Ursachen und Begründungen, die ebenfalls eine Herausforderung darstellen; darüber haben wir bereits verschiedentlich gesprochen.
Da die Fragen 3 und 4 im Zusammenhang beantwortet wurden, hat die Kollegin Möhring die Möglichkeit,
zwei weitere Nachfragen zu stellen. - Kollegin Möhring,
bitte.
Vielen Dank. - Da ich davon ausgehe, dass sich die
Bundesregierung, bevor sie einen Haushaltsentwurf vorlegt, Gedanken darüber macht, welchen Bedarf sie zugrunde legt, möchte ich gern von Ihnen wissen, ob Sie
von einem gleichmäßigen Bedarf an Projekten gegen
Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus
ausgehen, also von ungefähr einem Drittel für jeden Bereich.
Nein, davon gehen wir nicht aus.
Ihre letzte Nachfrage, wenn Sie noch eine haben.
Wovon gehen Sie aus?
Wir haben gesagt - danach haben Sie auch im Ausschuss schon gefragt -, dass wir zunächst zwei Projekte
auf den Weg bringen. Diese werden wir zunächst identifizieren. Dann werden wir Schlussfolgerungen zu ziehen
haben. Das können wir im Fachausschuss gern im Einzelnen erörtern.
Da die Fragestellerin der Fragen 5 und 6 - ({0})
- Entschuldigung, jetzt waren Sie ein bisschen spät, Kollegin Dittrich. Aber ich gehe davon aus, dass Sie, da dieser Komplex noch weiter behandelt wird, Ihre Nachfragen noch unterbekommen.
Noch einmal: Da die Fragen 5 und 6 von der Abgeordneten Petra Pau gestellt wurden, die erkennbar anders
beschäftigt ist, werden sie schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Jörn Wunderlich
auf:
In welcher Form und bis wann sollen die angekündigten
Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus ausgeschrieben werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 7 und 8 gerne
im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Kollegen Jörn
Wunderlich auf:
Werden sich Vereine, Initiativen etc. für die angekündigten
Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus bewerben können, oder sollen vor allem staatliche Träger angesprochen werden?
Übrigens würde ich auch der Präsidentin eine Frage
beantworten, wenn sie sie stellen würde. Aber ich
glaube, das geht im Hinblick auf den parlamentarischen
Ablauf nicht.
({0})
Kollege Wunderlich, einige Inhalte meiner Antwort
ergeben sich aus dem, was ich bereits gesagt habe. Ich
will Ihre Fragen trotzdem wie folgt beantworten: Wir
sind in der Tat dabei, im ersten Quartal dieses Jahres
mögliche Felder, Vorgehensweisen, Zielgruppen und
Trägerstrukturen zu identifizieren; das gilt hier in gleicher Weise. Wir werden dabei alle Erkenntnisse, die bereits vorliegen, einbeziehen: wissenschaftliche UntersuParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
chungen, das, was Behörden zusammengetragen haben,
und die Erkenntnisse zur Entwicklung der Ideologie und
zur Struktur des Linksextremismus sowie des Islamismus. Dann werden wir mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren von Bund, Ländern und Kommunen die
Fragen der praktischen Prävention von Islamismus und
Linksextremismus erörtern.
Das Ziel ist nach wie vor, im zweiten Quartal 2010
Ideen für Forschung, Expertisen und Modellprojekte zu
entwickeln und zu realisieren. Im Rahmen dieser Sondierungsphase werden wir auch festzulegen haben, wann
und in welcher Form ein Auswahlverfahren durchgeführt wird. Das hängt auch von der jeweiligen Nachfrage
und davon ab, was als vernünftig angesehen wird. Darüber kann zu gegebener Zeit im Einzelnen informiert
werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Dr. Kues, schönen Dank erst einmal. - Da Sie
von Modell- oder Pilotprojekten sprachen und ich die
Argumentation Ihres Ministeriums im Hinblick auf Modell- und Pilotprojekte kenne, frage ich Sie: Wurde
schon darüber nachgedacht, wie lange diese Modelloder Pilotprojekte laufen sollen und wie die regionale
Verteilung ausgestaltet werden soll?
Da es sich nach Auskunft des Ministeriums bis jetzt
um zwei Projekte handelt, ist die Frage nach der regionalen Verteilung relativ einfach zu beantworten. Ich habe
eben zwei regionale Schwerpunkte genannt. Ob man im
Verlauf des Verfahrens weitere Erkenntnisse gewinnt,
bleibt abzuwarten.
Über den Zeitraum haben wir schon heute Nachmittag im Ausschuss diskutiert. Diese Projekte sind immer
zeitlich befristet, in der Regel auf maximal fünf Jahre.
Die Befristung wird man im Einzelfall zu prüfen haben,
je nachdem, was notwendig ist. Auf jeden Fall sind sie
befristet. Es handelt sich nicht automatisch um eine Dauerförderung. Im Übrigen gilt auch für alle anderen Programme gegen Extremismus, dass sie immer wieder evaluiert werden. Das tun wir auch bei den Projekten gegen
Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Hierzu gibt es ausführliche Studien von Fachleuten, deren Ergebnisse dazu geführt haben, dass wir
unsere Strategie in diesem Bereich völlig geändert haben.
Wir sagen: Wir müssen die Länder und die Kommunen einbeziehen, weil es keinen Sinn macht, über die
ganze Bundesrepublik verstreut einzelne Projekte isoliert zu fördern. Wir müssen die lokale Ebene einbeziehen; das ist ganz wichtig. Insofern gilt generell für alle
Programme, dass sie ausgewertet werden müssen.
Im Übrigen will ich noch sagen: Sie wissen - Sie kennen sich da ja aus -, wie der Kinder- und Jugendplan gestaltet ist, wie Verbandsjugendarbeit und politische Bildungsarbeit gefördert werden. Das sind letztlich alles
Maßnahmen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und
damit gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Ihre zweite Nachfrage.
Wo die Mittel ja zum Teil gekürzt werden. - Sie sagen, dass es im zweiten Quartal losgehen soll. Das
zweite Quartal beginnt am 1. April. Von wie vielen Einzelprojekten geht die Regierung, das Ministerium gegenwärtig aus?
Ich habe nicht gesagt, dass es im zweiten Quartal losgehen soll, sondern ich habe gesagt, dass wir dann identifizieren wollen. Danach, hoffen wir, können wir die
Projekte irgendwann benennen. Wann es losgehen wird,
wird sich zeigen. Ich gehe davon aus, dass wir nach ungefähr einem halben Jahr so weit sein werden, sagen zu
können, um welche Projekte es sich handelt. Dann wird
auch feststehen, wann sie im Einzelnen beginnen.
Eine weitere Nachfrage?
Sie sprachen von zwei Schwerpunkten. Gehen Sie
von weiteren Schwerpunkten in Deutschland aus, wo
Linksextremismus, wie er sich nach Ihrer Überzeugung
darstellt, vorhanden ist?
Sie können die Berichte des Verfassungsschutzes lesen. Wir richten uns zunächst einmal auf Berlin und
Hamburg aus, weil wir da konkrete Anhaltspunkte haben.
Eine weitere Nachfrage? - Nein.
Dann hat die Kollegin Dittrich zu einer Nachfrage das
Wort. - Sie hat inzwischen verzichtet.
Der Kollege Liebich hat aber noch eine Frage. Bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer
Antwort auf die Fragen des Kollegen Wunderlich auf die
Ausgaben für die Programme zur Bekämpfung des Extremismus Bezug genommen. Davor haben Sie viel über
das Land Berlin gesprochen. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das Land Berlin sehr gut in der Lage ist, die
Bekämpfung von Kriminalität - wozu das Anzünden
von Autos zweifellos gehört - selbst zu bewältigen?
({0})
Niemand im Land Berlin - schon gar nicht die zuständige Senatorin für Integration, Carola Bluhm - hat um
pädagogische Hilfe, wie sie die Bundesregierung gerne
leisten möchte, gebeten. In der Regierung des Landes
Berlin herrscht vielmehr die große Sorge vor, dass die
sehr wichtigen Projekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gefährdet sein könnten.
({1})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
zur Beantwortung der Frage des Kollegen Liebich.
Ich kann zunächst einmal feststellen: Bei allen Programmen gegen Extremismus, die bisher auf Bundesebene aufgelegt worden sind, ist das Land Berlin dabei
gewesen. Wir haben die Projekte immer auch mit dem
Land Berlin abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass das
auch in diesem Fall selbstverständlich ist. Warten Sie
erst einmal ab! Der Innensenator des Landes Berlin hat
klar gesagt, dass dort Maßnahmen ergriffen werden
müssten. Wir werden uns im Einzelnen ansehen, in welchem Umfang wir dort hilfreich sein können.
Ich rufe nun die Frage 9 des Kollegen Volker Beck
auf:
Welche fachlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Benachteiligungen ({0}) hatte die bisherige Leiterin
der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Martina Köppen in einem Artikel im Wirtschaftsmagazin brand eins wird sie
zitiert: „Mit dem deutschen Diskriminierungsgesetz hatte ich
mich bis dahin gar nicht befasst“; www.brandeins.de; Gleiches geht auch aus zahlreichen Presseberichten hervor:
www.handelsblatt.com; www.fr-online.de; www.taz.de - und
hat die neu ausgewählte - aber aufgrund des Beschlusses des
Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg nicht eingestellte - Leiterin Christine Lüders - aus der Pressemitteilung
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend vom 9. November 2009, www.bmfsfj.de, geht nicht
hervor, dass Christine Lüders fachliche Kenntnisse auf dem
Gebiet der Benachteiligung besitzt -, und wie - Zeitpunkt,
Person, Ausschreibung, Auswahlkriterien etc. - wird die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nun besetzt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Kollege Volker Beck hat gefragt - ich sage das
einmal in meinen Worten -, welche fachlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Benachteiligung vorhanden
sein müssen, um Leiterin der Antidiskriminierungsstelle
des Bundes zu werden. Gleichzeitig hat er nachgefragt,
welche fachlichen Kenntnisse die neu ausgewählte Leiterin - der Vertrag der Vorgängerin war ausgelaufen -,
Frau Lüders, auf dem Gebiete der Benachteiligung besitzt.
Ich möchte jetzt nicht all das wiederholen, was im
Antidiskriminierungsgesetz steht, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen und was die Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle ist. Ich will nur einige Punkte
nennen: Es geht um die Beratung anderer Stellen.
({0})
Es geht um die gütliche Beilegung von Konflikten. Es
geht um Öffentlichkeitsarbeit, Verhinderung von Benachteiligung, Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen usw.
Die bisherige Leiterin war viele Jahre im Kommissariat der deutschen Bischöfe tätig. Es hat die Aufgabe, in
politischen Fragen gegenüber Organen des Bundes, gemeinsamen Einrichtungen der Länder, den Landesvertretungen usw., gegenüber Parteien und auf Bundesebene
vertretenen gesellschaftlichen Kräften und auch international Stellung zu nehmen. Das Kommissariat hat die
Aufgabe, die gesamte Entwicklung im politisch-gesellschaftlichen Bereich zu beobachten, politische Entscheidungen zu begleiten usw. Insofern glaube ich, wer dort
arbeitet, bringt Voraussetzungen in dem umfassenden
Sinne mit, wie ich es eben beschrieben habe und wie
dies für die Leitung der Antidiskriminierungsstelle notwendig ist.
Jetzt ist mit Frau Christine Lüders die neue Leitung
der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bestellt worden. Es hat - das wissen auch Sie; sonst hätten Sie wahrscheinlich diese Frage nicht gestellt - eine gerichtliche
Auseinandersetzung gegeben, weil noch jemand anderes
diese Stelle gerne innegehabt hätte.
Ich sage zur Qualifikation von Frau Lüders: Sie ist
Expertin für Integration, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Sie verfügt über langjährige Verbindungen
in Politik und Wirtschaft. Sie war im Bereich der Lufthansa tätig. Später hat sie das Referat „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation“ im Ministerium für
Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen geleitet.
Wir sind davon überzeugt, dass sie über Kenntnisse,
Erfahrungen und Kommunikationsfähigkeit verfügt und
Führungs- und Verwaltungserfahrung usw. besitzt, sodass die fachliche Ausrichtung der ADS damit gewährleistet ist. Sie war schon bislang mit Benachteiligungsfragen befasst, und sie hat praktische Erfahrungen auf
dem Gebiet der Integration und Chancengleichheit. Sie
ist zum Beispiel in einem Brennpunkt in Frankfurt, der
von einem hohen Migrationsanteil geprägt ist, tätig gewesen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat
im November 2009 die Aussage getroffen, dass die Besetzung der Leitung dieses öffentlich-rechtlichen Amtes
nicht im weiten politischen Ermessen der Bundesregierung steht und somit eine Auseinandersetzung mit allen
etwaigen Bewerbungen erforderlich ist. Es hatte sich
ebenfalls eine Beschäftigte des Ministeriums um die
Stelle beworben. Der Bewerbung lagen jahrelange und
zum Teil gerichtliche Auseinandersetzungen zugrunde.
Dieser Konflikt ist jetzt beigelegt worden, und deswegen
ist Frau Lüders ernannt worden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege
Beck.
Ich möchte zu dem nachfragen, worauf Sie eigentlich
hätten antworten sollen - das haben Sie ausschweifend
vermieden -, nämlich zu den Qualifikationen sowohl
von Frau Lüders als auch von Frau Köppen. Sie haben
mir in der letzten Sitzungswoche auf eine Frage schriftlich geantwortet:
Vor diesem Hintergrund benötigt die künftige Leitung der ADS neben fachlichen Kenntnissen auf
dem Gebiet der Benachteiligungen ausgeprägte
Kommunikationsfähigkeit und Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Um
die Arbeit der ADS den fachlichen Zielen entsprechend ausrichten zu können, ist außerdem eine
langjährige Führungs- und Verwaltungserfahrung
erforderlich.
Nun hat Frau Köppen - dies ist der erste Fall - freimütig bekannt, dass sie über keine dieser Qualifikationsmerkmale verfügt hat. In brand eins heißt es:
Warum man ausgerechnet sie gefragt hat, kann sie
nicht erklären. Sie sagt: „Mit dem deutschen Diskriminierungsgesetz
- eigentlich müsste es „Antidiskriminierungsgesetz“ heißen; aber da weiß sie ja nicht so Bescheid hatte ich mich bis dahin gar nicht befasst. Ich
kannte das nur auf europäischer Ebene.“
Ich vermute, sie kannte das nur aus der Zeitung.
Im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sie zu dem anderen Qualifikationsmerkmal, das
Sie benannt haben, freimütig bekannt, dass sie, als sie
ihre Stelle angetreten habe, keine Erfahrung mit der
Presse gehabt habe. Das war die Begründung für ein
Presse-Coaching, verbunden mit einem sechsstelligen
bzw. fünfstelligen Betrag für den deutschen Steuerzahler.
Bei dem, was Sie hier zu Frau Lüders vorgetragen haben, zeigt sich der gleiche Befund. Sie behaupten, sie sei
Integrationsexpertin. Abgesehen davon, dass man deshalb, weil man Deutschkurse konzipiert, noch kein Experte für das Thema Benachteiligungen ist, ist die einzige Qualifikation, die mir bekannt ist und die übrigens
Ihr Pressereferat gegenüber meinen Mitarbeitern bestätigt hat und die auch auf der Internetseite Ihres Ministeriums steht, die, dass sie einmal Pressesprecherin im nordrhein-westfälischen Familienministerium war. Der Titel
dieses Ministeriums beinhaltet neben vielen anderen Begriffen das Wort „Integration“. Das macht sie aber noch
lange nicht zu einer Integrationsexpertin und schon gar
nicht zu einer Antidiskriminierungsexpertin.
Deshalb frage ich Sie: Spielen Kenntnisse im Bereich
der Antidiskriminierungsarbeit und der Antidiskriminierungspolitik bei der Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Rolle, und, wenn
nein, welche Qualifikationsmerkmale sind dann erheblich? Denn alle von Ihnen benannten haben bei den letzten beiden Besetzungen keine Rolle gespielt.
Sie haben das Wort für eine Antwort, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, da Ihre Frage lang war, antworte
ich kurz: Sie spielen eine Rolle.
Damit hat der Kollege Beck das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Welche Qualifikation auf dem Gebiet der Benachteiligungen bzw. welche konkrete Erfahrung mit der Bekämpfung von Diskriminierung hat die neue Stelleninhaberin tatsächlich gehabt, oder können Sie das nicht
nennen?
Ich habe Ihnen den Ansatz bezogen auf die Antidiskriminierungsstelle erläutert. Er ist wesentlich breiter,
als Sie das eben in Ihrer Frage zugrunde gelegt haben.
Daraus habe ich die Schlussfolgerung gezogen, dass
Frau Lüders die notwendige Qualifikation dafür hat. Sie
sollten jetzt vielleicht einmal abwarten. Wenn sie arbeitet, dann werden Sie sicherlich auch davon überzeugt
sein.
({0})
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Seifert
das Wort.
Herr Staatssekretär, da Sie sehr ausschweifend nichts
gesagt haben,
({0})
darf ich jetzt zumindest einmal die Meinung aus dem
Kreis der Betroffenen zur Kenntnis geben. Man hat den
Eindruck, dass es besonders wichtig ist, eine besondere
Nähe zur CDU zu haben, um als für diese Stelle qualifiziert zu gelten.
Ich darf diesbezüglich fragen, ob es hier irgendeinen
Zusammenhang damit gibt, dass Deutschland neben der
Tschechischen Republik der einzige Staat ist, der auf der
europäischen Ebene bei der Einführung einer allgemeinen Antidiskriminierungsrichtlinie besonders bremst. Ist
es eine Voraussetzung für die Berufung in dieses Amt,
hier möglichst viel zu bremsen? Diesen Eindruck hat
man jedenfalls in den Gruppen, die diskriminiert werden.
Herr Abgeordneter, Sie können das aus Ihrer Sicht so
sehen und so darstellen,
({0})
aber ich glaube, das ist nicht die einzige Interpretation
der Einschätzung der Betroffenen.
Ich sage ausdrücklich: Ich weiß nicht einmal, ob Frau
Lüders einer politischen Partei angehört.
({1})
Wenn sie einer politischen Partei angehört, dann darf sie
deswegen zumindest nicht benachteiligt werden. Ich
glaube, an der Stelle sind wir uns einig.
({2})
Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Harald Weinberg
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Dr. Valerie Wilms
auf:
Wie kommt das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung in seiner Antwort auf meine schriftliche
Frage 61 auf Bundestagsdrucksache 17/494 zu der Erkenntnis, dass es keinerlei Hinweise auf mangelnde Objektivität
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers
gebe, obwohl der Bundesrechnungshof festgestellt hat, dass
Interessenkonflikte nicht ausgeschlossen werden können und
dass sich außerdem verschiedene Stellen innerhalb der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gegenseitig zum wirtschaftlichen Vorteil beeinflussen, bevor die interne Prüfung abgeschlossen ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesrechnungshof hat bei
seiner Prüfung keine Anhaltspunkte dafür gefunden,
dass es bei der von ihm dargestellten Verflechtung tatsächlich zu Fehlbeurteilungen oder sachfremden Erwägungen zulasten des Bundes gekommen ist.
Konkrete Hinweise hat der Bundesrechnungshof in
dem Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages nach § 88 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung
über die Einbindung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in die Schifffahrtsförderpolitik vom 29. Dezember
2009 nicht dokumentiert. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers hat gegenüber dem
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bestätigt, dass die gesetzlichen Regelungen zur
Überprüfung der Unabhängigkeit eingehalten werden
und dass insbesondere kein interner Informationsaustausch stattfindet.
Derzeit wird der Bericht des Bundesrechnungshofes
durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung intensiv geprüft. Entsprechend den
Anmerkungen des Bundesrechnungshofes werden die
verschiedenen Varianten für die zukünftige Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Förderprogramme für die
Seeschifffahrt untersucht und nach Abschluss der Prüfung gewertet.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe noch
eine Nachfrage: Welche Teile des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung werden zukünftig im Zusammenhang mit der Schifffahrtsförderpolitik
geprüft, wie wird diese Prüfung ausgestaltet, und wann
und in welcher Form werden der Bundestag und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse informiert?
Derzeit kann ich noch nicht genau sagen, wie wir das
organisieren, weil wir noch in der Prüfung sind. Sonst
könnten wir uns die Prüfung schenken, wenn uns das Ergebnis schon vorher bekannt wäre.
Wir werden dann ausführlich gegenüber dem Bundesrechnungshof und den zuständigen Ausschüssen dazu
Stellung nehmen, also etwa die Mitglieder des Verkehrsausschusses darüber informieren.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, es laufen sicherlich noch weiterhin Anträge auf Schiffsbauförderung.
Wann und von wem werden die nächsten Anträge zur
Schifffahrtsförderung bearbeitet, und wann werden im
Bereich der Schifffahrtsförderpolitik die neuen Beraterverträge vergeben?
Derzeit bestehen noch rechtliche Verpflichtungen.
Das heißt, 2010 gilt noch das bisherige Verfahren. Ab
1. Januar 2011 müssen wir ein neues Verfahren anwenden. Dazu liegen verschiedene Vorschläge vor, wie das
Verfahren künftig organisiert werden kann. Das Jahr
2010 wird noch wie bisher abgewickelt.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Markus Kurth zur
Barrierefreiheit in den neuen ICx-Zügen sowie zu Programmen zur Herstellung der Barrierefreiheit von Bahnanlagen und Fahrzeugen werden ebenso wie die Frage 15
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch zur Wahrnehmung der
Kontrollpflichten im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
durch die Vertreter der Bundesregierung schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Silvia Schmidt auf:
Wird die Bundesregierung den Grundsatz der Barrierefreiheit in Verkehr, Bau, Wohnungswesen und Kommunikation
mit einer Gesetzesinitiative fördern, und wie soll insbesondere die umfassende Barrierefreiheit im Bereich der Liegenschaften und Züge der Deutschen Bahn AG gewährleistet
werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich beantworte die
Frage wie folgt: Die Herstellung von Barrierefreiheit für
Ältere sowie für behinderte und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen hat für die Bundesregierung eine
hohe Bedeutung, die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels künftig noch wachsen wird. Die ausreichende Gewährleistung von Barrierefreiheit im Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesen sowie in der
Kommunikation ist ein wichtiger Faktor für eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Die Herstellung der Barrierefreiheit ist ein dynamischer Prozess, der nur schrittweise und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vollzogen werden kann. Da aufgrund der langen Lebensdauer
vorhandener, noch nicht barrierefrei konzipierter Infrastruktureinrichtungen und Fahrzeuge der Nachholbedarf
nur nach und nach erfüllt werden kann, werden sukzessive bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, Systeme der Informationsverarbeitung und Kommunikationseinrichtungen so gestaltet, dass sie für ältere,
behinderte und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich
ohne fremde Hilfe nutzbar sind.
Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich außerdem am Übereinkommen der Vereinten Nationen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen messen lassen. Zur Umsetzung des Übereinkommens wird
die Bundesregierung einen Aktionsplan entwickeln.
Die Zielbestimmung zur Barrierefreiheit im Bereich
der Eisenbahnen ist durch Art. 52 des Gesetzes zur
Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung
anderer Gesetze konkretisiert worden. Der dadurch geänderte § 2 Abs. 3 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
verpflichtet die Eisenbahnen, Programme für die Gestaltung von Bahnanlagen und Fahrzeuge mit dem Ziel zu
erstellen, eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit
für deren Nutzung zu erreichen.
Die im Wettbewerb am Verkehrsmarkt operierenden
Eisenbahnunternehmen haben die Bedingungen für die
Herstellung der Barrierefreiheit im Einzelnen in eigener
unternehmerischer Verantwortung zu regeln und darüber
zu entscheiden, welche Art von Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit ergriffen werden und zu welchem Zeitpunkt Investitionen von ihnen aufzubringen
sind.
So können die Aufwendungen für die betreffenden
Verbesserungen mit den wirtschaftlichen Belangen der
Eisenbahnen in Einklang gebracht und nach Prioritäten
geordnet werden - das sind die sogenannten Bedarfsschwerpunkte -, damit möglichst viele Bahnreisende
von den Verbesserungsmaßnahmen profitieren. Sofern
eine Maßnahme zur Herstellung der Barrierefreiheit in
einem Programm festgeschrieben ist, muss das betreffende Eisenbahnunternehmen diese verpflichtend umsetzen. Die Verpflichtung wird aber von der zuständigen
Eisenbahnaufsichtsbehörde überwacht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe eine
Nachfrage; Ihre Antwort war sehr allgemein gehalten.
Ich verweise auf die Verordnung der EU über die
Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr. In Art. 19 dieser Verordnung
wird eindeutig festgestellt, dass die Eisenbahnunternehmen und die Bahnhofsbetreiber unter Beteiligung der
Vertretungsorganisationen, also nach dem Motto „Nichts
ohne uns über uns“ zusammen mit den Betroffenen, diskriminierungsfreie Zugangsregeln zu schaffen haben.
Dazu sollen entsprechende Zielvereinbarungen getroffen
werden.
Meine Frage ist: Ist das bereits geschehen? Erfolgt
das nur bei der Bahn AG, oder ist der Bund involviert?
Das müsste schließlich der Fall sein. Welchen Zeitplan
gibt es in diesem Zusammenhang?
Grundsätzlich ist für die Ausgestaltung ausschließlich
die Deutsche Bahn zuständig, weil das in die Zuständigkeit der DB Station & Service AG fällt. Natürlich beraten wir als Bund mit, vor allem dann, wenn Infrastrukturmittel aus dem Bundeshaushalt für Baumaßnahmen
zur Verfügung gestellt werden müssen. In diesen Fällen
wird auch im Vorfeld einer solchen Maßnahme mit den
entsprechenden Verbänden und Organisationen intensiv
beraten. Das läuft sukzessive. Man kann nicht alles
gleichzeitig machen. Das kommt Projekt für Projekt
voran.
Ich habe noch eine Nachfrage. Können Sie mir einen
Zeitplan nennen? Gibt es schon eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Bund bei der Bahn, in der eine Zielvereinbarung erarbeitet wird, wann in den nächsten zehn
Jahren eine barrierefreie Bahn entstehen soll, oder wird
darüber noch philosophiert?
Darüber wird nicht philosophiert, sondern daran wird
konkret gearbeitet. Aber einen konkreten Zeitplan für
alle Maßnahmen in ganz Deutschland kann es nicht geben.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ilja
Seifert das Wort.
Herr Staatssekretär, mir ist nicht ganz klar, warum Sie
sagen, dass ausschließlich die DB Station & Service AG
dafür zuständig sei. Wir sind doch der Gesetzgeber. Es
gibt die Möglichkeit, allen Bahnunternehmen, die in
Deutschland aktiv sind, gesetzliche Vorgaben zu machen. Es wäre daher durchaus sinnvoll, zu sagen: Bis
zum Tag X haben alle Bahnen und rollenden Gegenstände barrierefrei zu sein, und bis zum Tag Y haben alle
Stationen und Bahnhöfe barrierefrei zu sein. Solche Fristen könnten wir hier doch gesetzlich festlegen, wenn die
Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegte. Warum kommen Sie nicht auf die Idee, so etwas
vorzuschlagen?
So etwas kann man gar nicht vorschlagen; denn man
müsste unendlich viel Geld bereitstellen, wenn man
sofort die vielen Anlagen, die es in Deutschland gibt,
barrierefrei machen wollte.
({0})
Deswegen ist kein konkreter Zeitpunkt zu benennen.
Was man machen kann, ist, nach Prioritäten vorzugehen
und dort, wo es besonders viele Fahrgäste gibt, zu beginnen und den weiteren Bedarf sukzessive zu decken. Aber
dafür einen konkreten Zeitpunkt zu benennen, würde die
Bundesregierung völlig überfordern.
({1})
Danke, Herr Staatssekretär.
Die weiteren Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Jan
Mücke.
Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Silvia Schmidt auf:
Wie plant die Bundesregierung den im demografischen
Wandel steigenden Bedarf an barrierefreien Wohnungen zu
decken, und wann wird das Förderprogramm der KfW Bankengruppe zur Zinsvergünstigung von altersgerechtem Wohnungsumbau neu aufgelegt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin
Schmidt, die Bundesregierung unterstützt die Wohnungswirtschaft und Einzeleigentümer bei der altersund behindertengerechten Anpassung von bestehenden
vermieteten und selbst genutzten Wohngebäuden mit
dem zum 1. April 2009 gestarteten KfW-Programm
„Wohnraum Modernisieren - Altersgerecht Umbauen“.
Hierfür wurden im Jahr 2009 im Rahmen des Konjunkturpaketes I im Bundeshaushalt, in Einzelplan 12, Programmmittel in Höhe von 80 Millionen Euro zur Gewährung zinsverbilligter Darlehen bereitgestellt. Ebenso
sind im Entwurf der Bundesregierung zum Haushalt
2010 erneut 80 Millionen Euro vorgesehen, um eine
Zinsverbilligung über die KfW zu ermöglichen.
Ferner enthält der Ihnen vorgelegte Regierungsentwurf zusätzlich eine neue Zuschusskomponente in Höhe
von 20 Millionen Euro insbesondere für die Förderung
selbst nutzender Wohnungseigentümer. Dies trägt der
Tatsache Rechnung, dass gerade ältere Menschen oft
keine Finanzierung mehr bei einer Bank bekommen
bzw. keine Finanzierung mehr wünschen. Deshalb hat
die Bundesregierung beschlossen, einen Zuschuss zu
zahlen. Darüber hinaus fördern wir mit dem Programm
Baumodelle der Altenhilfe und der Behindertenhilfe sowie mit der aktuellen Initiative „Wohnen für ({0}) Generationen - Gemeinschaft stärken, Quartier beleben“
die Schaffung beispielgebender Wohnprojekte, die sich
unter anderem durch besonders barrierefreie Lösungen
auszeichnen.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Mir sind die Modelle natürlich bekannt. Vor allem der ehemalige Minister Herr Tiefensee hat die 80 Millionen Euro auf den
Weg gebracht. Ist Ihnen aber bekannt, dass deutschlandweit gerade einmal 300 000 barrierefreie Wohnungen
Silvia Schmidt ({0})
existieren, dass wir aber laut Aussage der KfW und anderer Institute in den nächsten Jahren ungefähr
13 Millionen Wohnungen brauchen, um Barrierefreiheit
zu gewährleisten und sicherzustellen, dass ältere Menschen nicht in ein Heim gebracht werden müssen? Angesichts dessen sind Summen wie 80 Millionen oder
20 Millionen Euro ausgesprochen gering. Mit der Förderung der Schaffung von barrierefreiem Wohnraum soll
zudem die mittelständische Bauwirtschaft unterstützt
werden.
Frau Kollegin, die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der Barrierefreiheit gerade für die ältere Generation vollständig bewusst. Die Vorgängerregierung und
auch die jetzige Regierung haben sich extrem stark dafür
engagiert, dass diesem Aspekt eine größere Bedeutung
zukommt. Das sehen Sie schon allein daran, dass wir
eine Aufstockung dieses Programms um 20 Millionen
Euro vorgenommen haben. Ich glaube, dass wir mit den
jetzigen Ansätzen sehr gut vorankommen. Sie sollten
aber andere KfW-Programme nicht außer Acht lassen,
beispielsweise das Wohneigentumsprogramm. Bei diesen
Programmen wird ebenfalls großer Wert auf barrierefreies Bauen in Deutschland gelegt. Es ist sicher wünschenswert, noch mehr Geld dafür auszugeben. Wir sind
aber zuversichtlich, dass wir mit dieser Steigerung der
Programmmittel um immerhin 25 Prozent dem steigenden Bedarf Rechnung tragen. Sie haben absolut recht
- das möchte ich ausdrücklich unterstreichen -, dass es
sowohl im Interesse der älteren Menschen als auch im
volkswirtschaftlichen Interesse ist, dass ältere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, möglichst lange in ihrer Wohnung bleiben können. Deshalb
wird diese Politik weiter von uns fortgeführt werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt,
dass die EU eine Richtlinie vorbereitet, wonach alle
Wohnungen, auch die bereits bestehenden, barrierefrei
bzw. altengerecht oder behindertengerecht umgebaut
werden sollen? Die Wohnungswirtschaft hat sich dazu
deutlich positioniert und gefordert, dass die Bundesregierung, wenn die Richtlinie verabschiedet wird, Förderprogramme auflegt.
Frau Kollegin, dieser Verordnungsentwurf ist mir bekannt. Die Bundesregierung hat aus grundsätzlichen Erwägungen Probleme mit diesem Entwurf. Wir sind der
festen Überzeugung, dass hier der Subsidiaritätsgrundsatz greift. Die Städtebaufördermaßnahmen im Wohnungsbereich sind ausdrücklich eine Angelegenheit der
Nationalstaaten. Deshalb setzen wir darauf, dass wir in
Deutschland die besten Lösungen dafür finden und keine
Verordnungen der Europäischen Union benötigen.
({0})
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ilja
Seifert das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade zum wiederholten Male gesagt, dass sich die Bundesregierung der Bedeutung der Barrierefreiheit in allen Bereichen sehr bewusst ist. Das freut mich sehr. Mich wundert daher
schon ein bisschen, dass Sie diesbezügliche europäische
Initiativen eher ablehnen. Meine Frage geht in folgende
Richtung: Dass Sie eine Menge Sonderprogramme haben, ist schön und gut, aber wäre es nicht sinnvoll, um
Barrierefreiheit in allen Bereichen herzustellen, dann
auch allgemeingültige, dauerhafte Regelungen zu finden, zum Beispiel steuerliche Erleichterungen wie beim
Umbau von denkmalgeschützten Wohnungen oder bei
der energetischen Gebäudesanierung? So könnten diejenigen, die die Baumaßnahmen vornehmen, egal ob die
Wohnungen gewerblich oder selbst genutzt werden,
langfristig steuerliche Erleichterungen erhalten.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Seifert, ich tue es nur sehr
ungern, aber ich möchte Sie korrigieren. Es gibt keine
steuerlichen Sonderabschreibungsmöglichkeiten für die
CO2-Gebäudesanierung, sondern dafür gibt es ebenfalls
ein KfW-Förderprogramm. Dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm der KfW ist extrem erfolgreich. Deshalb
denken wir, dass wir mit dem KfW-Förderprogramm für
barrierefreies Bauen den richtigen Schritt gegangen sind.
Die Bundesregierung plant keine steuerliche Abschreibungsmöglichkeit. Insofern muss ich Sie auf die KfWProgramme verweisen.
Wichtig ist uns vor allen Dingen, dass wir mit diesem
KfW-Programm einen Anreiz setzen, privates Geld zu
investieren. Sie dürfen nicht vergessen, dass das Verhältnis von öffentlicher Förderung und privater Finanzierung ungefähr bei 1 : 7 liegt. Das kommt auf das Programm an. Das heißt, dass 1 Euro staatlicher Förderung
private Investitionen in Höhe von 7 bis 8 Euro nach sich
zieht. Das ist ein sehr erfolgreiches Programm. Außerdem möchte ich Sie auf die diversen Programme der
Länder verweisen. Auch die Länder haben einzelne Programme aufgelegt, gerade in dem Bereich von Heimen,
aber auch in anderen Wohnungsbereichen. Die Programme sind in den Ländern sehr unterschiedlich ausgestattet. Das ist mir bewusst. Das, was wir auf Bundesebene tun, ist aus meiner Sicht außerordentlich
vorzeigenswert, insbesondere im europäischen Vergleich.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe Frage 18 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtssicherheit eines Genehmigungsverfahrens für die Ausrüstung eines der
sechs Kraftwerksblöcke des Kraftwerkes Jänschwalde in
Brandenburg mit einer CO2-Abscheidungsanlage durch das
Unternehmen Vattenfall nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, obwohl es sich hierbei um eine ganz neue, bisher nicht
erprobte Technologie handelt und noch keine gesetzliche
Grundlage für die Schaffung von CO2-Lagerstätten beschlossen wurde, geschweige denn diese Lagerstätten gefunden und
genehmigt sind?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Behm, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach Auskunft des Landes
Brandenburg liegt bislang kein Antrag der Firma Vattenfall zu dem geplanten Vorhaben vor. Über Einzelheiten
des Antragsgegenstandes und deren rechtlicher Bewertung können daher noch keine belastbaren Aussagen getroffen werden. Die Antragsunterlagen sollen vom Unternehmen derzeit vorbereitet werden. Vorgesehen sei,
Ende Februar 2010 mittels eines sogenannten ScopingTermins den Untersuchungsrahmen für die Umweltverträglichkeitsprüfung zu ermitteln.
Parallel zu der dann vorgesehenen Umweltverträglichkeitsuntersuchung sollen von dem Unternehmen die
Antragsunterlagen für das Vorhaben erstellt werden. Die
Antragstellung für die Genehmigung nach dem BundesImmissionsschutzgesetz sei nach derzeitigem Planungsstand für das Frühjahr 2011 geplant. Sie sei abhängig
von den Erkenntnissen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsuntersuchung und der Fertigstellung notwendiger
Gutachten. Das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ist auf der Grundlage des konkreten Genehmigungsantrags durchzuführen. Die Genehmigungsbehörde des Landes Brandenburg wird auf der
Grundlage der geltenden Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes entscheiden, ob die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. Soweit die Abscheidungsanlage Teil des Kraftwerks sein soll, ist diese
bereits nach dem geltenden Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig. Für die Genehmigungserteilung ist es nicht ausschlaggebend, ob es für die Einlagerung von CO2 bereits einen gesetzlichen Rahmen
gibt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage, Frau
Staatssekretärin. - Nehmen wir an, diese Anlage zur Abscheidung von CO2 wird nach Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt, obwohl es kein CCS-Gesetz
gibt und obwohl es kein Lagerstättenkonzept gibt. Dann
stellt sich natürlich die Frage: Wohin mit dem CO2? - Es
geht um abgeschiedenes Kohlendioxid in einer nicht geringen Größenordnung. Plant die Bundesregierung, für
diesen Fall Zwischenlager für das CO2 einzurichten,
oder wie darf man sich das vorstellen?
Nach Auskunft von Vattenfall ist bislang vorgesehen,
in den Demonstrationsblöcken die CO2-Abscheidung zu
testen und zu demonstrieren und das CO2 gegebenenfalls
wieder in den Abgasstrom zurückzuführen, falls noch
keine Verbringungsstätten verfügbar sind. Das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ist zusammen mit der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geeignet, auch neue und bislang nicht
erprobte Technologien zu beurteilen. Bei einer neuen
Technologie wird die zuständige Landesbehörde die Einhaltung der einschlägigen rechtlichen Anforderungen
sehr eingehend prüfen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Das ist eine spannende Geschichte. Das CO2 wird
zwar abgeschieden, dann aber wieder auf die Menschheit bzw. auf die Umwelt losgelassen. Wie darf man sich
diese Technologie vorstellen? Wenn das CO2 einmal abgefangen und möglicherweise komprimiert worden ist,
wie soll es dann schad- und störungsfrei wieder in die
Umwelt entlassen werden?
Es handelt sich um Demonstrationsanlagen. Demonstrationsanlagen dienen dazu, technische Prozesse zu evaluieren und zu erforschen. Parallel sollen das OxyfuelVerfahren und eine nachgeschaltete CO2-Rauchgaswäsche erprobt und demonstriert werden. Da es sich um
Erprobung und Demonstration der Abscheidung in einer
Nebenanlage eines Kraftwerks handelt, reicht die bestehende gesetzliche Grundlage.
Zu einer weiteren Nachfrage zur Frage 18 hat die
Kollegin Bärbel Höhn das Wort.
Frau Staatssekretärin, eine mit viel EU-Geld subventionierte Pilotanlage fängt zwar CO2 ab, fügt es aber dem
Abgasstrom zu, sodass am Ende genauso viel CO2 wie
vorher in der Luft ist. De facto wird damit das Ziel dieser
Pilotanlage, nämlich CO2 abzufangen, verfehlt. CCS bedeutet „Carbon Dioxide Capture and Storage“. Das
heißt, „Capture“ findet zwar statt; „Storage“ geschieht
allerdings im Abgasstrom und damit in der Atmosphäre.
Verstehe ich Sie richtig?
Frau Abgeordnete Höhn, in die konkrete Projektentwicklung ist die Bundesregierung nicht einbezogen. Das
ist eine Aufgabe der Unternehmen und der dort stattfindenden Forschung.
Unsere Aufgabe ist es, die EU-Richtlinie in nationales
Recht umzusetzen, also einen gesetzlichen Rahmen zu
schaffen.
Herr Krischer, Sie haben das Wort zu einer weiteren
Nachfrage.
Wenn ich richtig informiert bin, wird dieses Projekt
öffentlich gefördert. Das CO2 wird jedoch nicht in den
Untergrund verpresst; stattdessen wird es über einen längeren Zeitraum dem Abgasstrom zugeführt. Dafür gibt
es keine Rechtsgrundlage. Wird die öffentliche Förderung angesichts dessen zurückgefordert, oder läuft sie
immer weiter? Wie habe ich mir das vorzustellen?
Die Verantwortung für den Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - darauf zielt Ihre Frage - liegt
beim Land Brandenburg. Es gibt nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz keine Abhängigkeit zwischen der
Genehmigung der Anlage und der Genehmigung der
Möglichkeit der Einlagerung von CO2. Die Emission
von CO2 ist im TEHG geregelt. Alles andere, was sich
dazu aus § 5 Abs. 1 Satz 3 Bundes-Immissionsschutzgesetz ergibt, kann durch die Anlagengenehmigung nicht
begrenzt werden. Der gesetzliche Rahmen für die gesamte CCS-Kette wird vorbereitet. Wir sind dazu durch
eine EU-Richtlinie verpflichtet.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ott das
Wort.
Frau Staatssekretärin, die Frage der Kollegin Behm
bezog sich nicht darauf, wer die Hoheit in dem Verfahren hat, sondern darauf, wie die Bundesregierung diese
Vorgänge bewertet. Da würde ich gern nachhaken: Wie
bewerten Sie, dass hier anscheinend mit Genehmigungen gearbeitet wird, die mehr oder weniger hinfällig
sind?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Sobald ein gesetzlicher Rahmen vorliegt, der es erlaubt, auch Lagerstätten
auszuweisen und abgeschiedenes CO2 diesen Lagerstätten zuzuführen, wird der Prozess entsprechend eröffnet.
Bis dahin reicht für Abscheidung in einer Nebenanlage
eines Kraftwerks der durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgegebene rechtliche Rahmen.
Wir kommen damit zur Frage 19 der Kollegin Behm:
Welchen Zeitpunkt hat die Bundesregierung für das Inkrafttreten eines CCS-Gesetzes - CCS: Carbon Dioxide Capture
and Storage -, welches Transport und Lagerung des in deutschen Kraftwerken abgeschiedenen CO2 regelt und dabei alle
Beeinträchtigungen, Risiken und Gefahren für Mensch und
Umwelt langfristig auszuschließen in der Lage ist?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Behm, die Bundesregierung wird rechtzeitig die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass die gesamte Kette der CCS-Technologien
nach den Vorgaben der Richtlinie über die Abscheidung,
den Transport und geologische Speicherungen von Kohlendioxid geregelt wird. Die Verabschiedung eines nationalen CCS-Gesetzes noch im Laufe des Jahres 2010
wird angestrebt. Die Frist zur Umsetzung der CCSRichtlinie endet am 25. Juni 2011.
Frau Behm, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben soeben etwas zum
zeitlichen Rahmen und zu dem, was die Bundesregierung anstrebt, gesagt. In meiner Frage bin ich ziemlich
deutlich darauf eingegangen, dass mit diesem Gesetz
alle Risiken, alle Besorgnisse, alle Gefahren für Mensch
und Umwelt wirklich auszuschließen sind. Bereits die
Vorgängerregierung hat einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet, der zurückgezogen werden
musste, weil es aus betroffenen Regionen massive Proteste gab, insbesondere aus Schleswig-Holstein und aus
Brandenburg. Diese Proteste basierten insbesondere darauf, dass die vielen Fragen, die die Betroffenen in den
Regionen hatten, nicht beantwortet werden konnten.
Nachdem Sie den von Ihnen gewünschten Zeitplan
genannt haben, frage ich Sie jetzt: Wird die Bundesregierung dieses Gesetz erst dann auf den Weg bringen,
wenn alle Fragen der Betroffenen - ich könnte Ihnen
ganze Fragenkataloge zuleiten, aber ich gehe davon aus,
dass Sie sie haben - wirklich schlüssig beantwortet sind?
In einem Gesetzgebungsverfahren sind alle Betroffenen anzuhören. Das werden wir tun. Erfahrungen liegen
in der Tat aus der letzten Legislaturperiode vor. Sorgen,
Ängste, Nöte und auch Widerstände muss man in einem
Gesetzgebungsprozess einbeziehen; darüber kann man
nicht hinweggehen.
Ich will auch nicht verhehlen, dass das Auftreten von
Vertretern einzelner Unternehmen in manchen Regionen
verbesserungsfähig ist. Aber darum geht es hier nicht.
Hier geht es darum, ein Gesetz zu schaffen, das den
höchstmöglichen Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet, gleichzeitig aber sicherstellt, dass wir in
Deutschland Kohle möglichst CO2-frei nutzen können.
Die CCS-Richtlinie zielt ja darauf ab, dass die große Belastung durch den CO2-Ausstoß bei der Kohlenutzung
gemindert wird. Dafür sind verschiedene Arbeiten notwendig. Forschungsarbeiten laufen. Der gesetzliche
Rahmen muss diesem Ziel entsprechen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Der zweite Teil Ihrer Antwort entsetzt mich ein bisschen. Sie sind als Staatssekretärin im Umweltministerium in die Entwicklung involviert. Sie wissen genauso
gut wie ich, dass die Kohleverstromung eine sterbende
Technologie ist und dass die CCS-Technologie bei der
Kohleverstromung in Deutschland auf keinen Fall mehr
eingesetzt werden wird. Deswegen frage ich Sie: Inwieweit zielt das Gesetz auf die Abscheidung von CO2 aus
Kohlekraftwerken, und welchen Raum nimmt die Abscheidung von CO2 beispielsweise aus Biomassekraftwerken, aus Anlagen zur Zementherstellung oder zur
Metallverhüttung ein? Solche Anlagen werden wir in
Zukunft noch haben, und man könnte vermuten, dass der
Einsatz der CCS-Technologie dort sogar sinnvoll ist.
Die Richtlinie und ein entsprechendes Gesetz dienen
dem Klimaschutz. Das Gesetz wird sich in unsere Klimaschutzstrategie, die wir fortschreiben und weiterentwickeln, einpassen. Im Koalitionsvertrag haben wir ambitionierte Ziele festgelegt. Dass CCS keineswegs nur
geeignet sein kann, CO2 aus Kraftwerken abzufangen,
sondern auch in der Metallindustrie oder in der chemischen Industrie - Sie haben Beispiele aufgezählt - eine
Option sein kann, muss man in die Betrachtungen einbeziehen. Uns geht es darum, den Klimaschutz in Deutschland weiterzuentwickeln und zu stärken, um unsere CO2Minderungsziele zu erfüllen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Oliver
Krischer das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich habe an einer Veranstaltung
des Vereins „IZ Klima“ teilgenommen, der sich - ich
glaube, das kann man so sagen - sehr für den Einsatz der
CCS-Technologie engagiert. Dort hat Herr Staatssekretär
Homann aus dem Wirtschaftsministerium ein Grußwort
gesprochen. Er hat dargelegt: Ginge es nach dem Wirtschaftsministerium, dann würde man sofort einen Gesetzentwurf in das übliche Verfahren - Kabinett und Parlament - geben. Er hat ferner gesagt, das scheitere im
Moment daran, dass das Umweltministerium in einem
internen Findungsprozess sei. Könnten Sie mir erläutern,
worin dieser interne Findungsprozess im Umweltministerium besteht, und könnten Sie mir darlegen, wie die
Ergebnisse dieses Prozesses voraussichtlich sein werden?
Bei der Veranstaltung war ich nicht anwesend. Insofern habe ich jetzt nur über Dritte, nämlich über Sie, vernommen, was Herr Staatssekretär Homann gesagt haben
soll. Fakt ist, dass schon in der vergangenen Legislaturperiode die Federführung für den Gesetzentwurf sowohl
beim BMU als auch beim BMWi lag. Die gemeinsame
Federführung wurde auch unter der neuen Regierung
aufrechterhalten. Es wird also einen gemeinsamen Gesetzentwurf geben.
Wir kommen damit zur Frage 20 des Kollegen
Dr. Hermann Ott:
In welcher Weise setzt die Bundesregierung die in der letzten Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages gemachte Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Katherina Reiche um, innerhalb der EU für ein 30-prozentiges
CO2-Reduktionsziel zu werben, und wie war die Positionierung Deutschlands in der EU in Bezug auf die unübliche
Übermittlung eines konditionierten Reduktionsziels - 20/30
Prozent - an das Klimasekretariat der Vereinten Nationen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ott, die Bundesregierung hat sich hinsichtlich der Meldung des EU-Emissionsreduktionsziels für 2020 an das Klimasekretariat
der Vereinten Nationen entsprechend der Beschlusslage
des Europäischen Rates vom 10. und 11. Dezember des
Jahres 2009 für ein konditioniertes EU-Emissionsreduktionsziel bis 2020 in Höhe von 30 Prozent gegenüber
dem Niveau von 1990 ausgesprochen. Diese Haltung
vertritt die Bundesregierung im Kreise der EU-Umweltminister. Hierfür hat sich die Bundeskanzlerin in Kopenhagen eingesetzt. Dafür werden wir auch weiterhin eintreten.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Vielen Dank. - Das höre ich ungern. Ich würde aber
dennoch gerne wissen, warum Bundesminister Röttgen
nach außen eine andere Ansicht vertritt. So hat er zum
Beispiel in einem Interview mit der Financial Times
vom 25. Januar dieses Jahres versprochen, dass sich die
Bundesregierung für ein 30-Prozent-Ziel innerhalb der
Europäischen Union einsetzt. So vermittelt er nach außen den Eindruck, dass die Bundesregierung fortschrittlich sei, was sie ja tatsächlich gar nicht ist, wie Sie hier
ja gerade bestätigt haben; denn auch Deutschland kämpft
nicht mehr dafür, dass sich die Europäische Union ein
unkonditioniertes 30-Prozent-Ziel setzt.
Deutschland ist ambitioniert, die Regierung ist ambitionierter als es die Vorgängerregierung und auch die
beiden weiteren Vorgängerregierungen je waren.
Ich wiederhole mich ungern, tue es aber zum besseren
Verständnis: Es gibt ein gemeinsames Schreiben der spanischen EU-Ratspräsidentschaft und der EU-Kommission an das UN-Klimasekretariat vom 28. Januar 2010.
Darin haben sich die EU und die EU-Mitgliedstaaten
formal der Kopenhagen-Vereinbarung angeschlossen sowie ein EU-Emissionsreduktionsziel für 2020 von 20 respektive 30 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990
mitgeteilt. In der Fußnote wird die Konditionierung des
30-Prozent-Ziels auf Grundlage der Schlussfolgerungen
des Europäischen Rates, wie gerade ausgeführt, erläutert. Im Anhang der Kopenhagen-Vereinbarung werden
auch alle EU-Mitgliedstaaten namentlich aufgeführt.
Sie erwecken den Eindruck, als sei das Aufstellen
bzw. die Übermittlung eines konditionierten Ziels ein
vollkommen unüblicher Vorgang. Das ist es nicht. Neben der EU haben zahlreiche weitere Industrieländer
ebenfalls ambitionierte Zielsetzungen davon abhängig
gemacht, dass es eine umfassende internationale Vereinbarung gibt, zum Beispiel Japan oder Australien. Eine
andere Haltung vertritt auch der Bundesminister nicht.
Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Es entschuldigt natürlich nicht, dass auch andere eine
solche defizitäre Haltung einnehmen. Es ist allerdings
im internationalen Bereich unüblich - darauf zielt die
Frage ab -, ein solches konditioniertes Angebot zu machen.
Dessen ungeachtet bestätigen Sie hier also, dass
sich die Bundesregierung nicht für ein unkonditioniertes
30-Prozent-Ziel einsetzt. Wenn es so ist, würde ich Sie
darum bitten, Ihrem Chef zu sagen, er solle das auch
nach außen nicht mehr so vertreten.
Die Bundesregierung hat sich für Deutschland ein
sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Das gibt mir die Gelegenheit, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass
Deutschland eine Reduktion in Höhe von 40 Prozent als
Ziel, und das unkonditioniert, beschlossen hat und daran
arbeitet, dies umzusetzen.
Noch einmal: Für die EU gilt ein konditioniertes
30-Prozent-Ziel. Entgegen Ihrer Behauptung, ein solches
Vorgehen sei unüblich, kann ich Ihnen mitteilen, dass es
durchaus üblich ist, mit konditionierten Zielen zu arbeiten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Bärbel
Höhn das Wort.
Frau Staatssekretärin, die EU hat bei den Verhandlungen in Kopenhagen am Ende keine Rolle mehr gespielt.
Die USA haben Verabredungen mit China, Indien, Südafrika und Brasilien getroffen. Alle Experten sagen, dass
die EU auch deshalb keine Rolle gespielt habe, weil sie
darauf beharrt habe, das konditionierte Reduktionsziel
aufrechtzuerhalten, und den Entwicklungsländern nicht
mit einem unkonditionierten 30-Prozent-Reduktionsziel
entgegengekommen ist.
Nach unseren Informationen ist es so gewesen, dass
Frankreich und Großbritannien ein unkonditioniertes
und Deutschland ein konditioniertes 30-Prozent-Ziel angestrebt haben. Können Sie bitte hier einmal darlegen,
wie die interne Position von Frankreich und Großbritannien an dieser Stelle war?
Frau Kollegin Höhn, Sie haben schon in der letzten
Fragestunde des Deutschen Bundestages am 27. Januar
Fragen zum 20- respektive 30-Prozent-Ziel bzw. zur unkonditionierten oder konditionierten Anhebung des EUKlimaschutzzieles gestellt. Ich kann zu der Frage, wann
und an welcher Stelle welches Land welche Position eingenommen hat, nichts sagen. Ich trage Ihnen hier erneut
die Position der EU vor, der sich die Bundesregierung
angeschlossen hat. Gleichwohl bleibt es dabei, dass wir
in Deutschland ambitionierter vorgehen werden, um den
Beweis anzutreten, dass Wohlstandsgewinn und CO2Reduktion zwei Seiten einer Medaille sind.
Zu einer weiteren Nachfrage zur Frage 20 hat der
Kollege Ulrich Kelber das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich möchte an die Frage der
Kollegin Höhn anschließen. Als die Staats- und Regierungschefs von Spanien, Frankreich, Großbritannien und
Schweden in Kopenhagen vorgeschlagen hatten, dass die
Europäische Union mit einem 30-Prozent-Ziel ohne Vorbedingungen in die Verhandlungen gehen sollte, hat die
deutsche Delegation, an diesem Tag sogar unter der Leitung der Bundeskanzlerin, dem widersprochen und eine
20-prozentige Reduktion ohne Vorbedingungen und eine
30-prozentige Reduktion mit Vorbedingungen vorgeschlagen. Können Sie das bestätigen?
Ich kann das nicht bestätigen und verweise an dieser
Stelle auf die Rede, die die Bundeskanzlerin im Rahmen
der Haushaltsdebatte gehalten hat. Zu diesem Punkt hat
sie ganz klar gesagt:
Ich bin sehr dafür, dass die Europäische Union auf
30 Prozent geht. Das kann nur passieren, wenn andere europäische Mitgliedstaaten das 30-ProzentZiel genauso unterstützen, wie die Bundesrepublik
Deutschland das tut.
Das war die Haltung, die wir in Kopenhagen vertreten
haben.
({0})
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Oliver Krischer.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie mir bitte erläutern,
wie die Bundesregierung bei den jetzt anstehenden Konferenzen und Klimaverhandlungen mit einem abgespeckten, also mit einem konditionierten, 30-ProzentZiel die internationalen Verhandlungen voranbringen
und dafür sorgen will, dass wir im internationalen Klimaschutz tatsächlich vorankommen?
Deutschland wird seine Ziele erreichen. Wir haben
sowohl gesetzliche Grundlagen geschaffen als auch vielerlei Maßnahmen ergriffen, um mit Investitionen und
mit Anreizen den Klimaschutz in Deutschland voranzubringen. Wir sind überzeugt, dass dies beispielgebend
ist.
Ich sage noch einmal: Auch wenn das Ziel konditioniert ist, arbeitet die Bundesregierung daran, wie von der
Bundeskanzlerin angekündigt, die EU von einem 30-Prozent-Ziel zu überzeugen. Gleichwohl bleibt es bei dem
Beschluss, der für die Europäische Union und damit
auch für die Bundesregierung gilt.
Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen 21 und 22 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
zur Zuordnung der Kernfusion zu den erneuerbaren
Energien trotz radioaktiven Abfalls werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Bis wann rechnet die Bundesregierung damit, dass in
Deutschland Kernfusionskraftwerke einen relevanten Anteil
an der Energieversorgung einnehmen, und auf welche Energieträger setzt die Bundesregierung bis dahin?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Fell,
ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Kernfusionsforschung ist derzeit noch Grundlagenforschung. Es kann
im Moment kein verlässliches Datum genannt werden,
ab wann die Kernfusion einen relevanten Anteil an der
Energieversorgung einnehmen könnte. Ziel der Bundesregierung ist es, dass die erneuerbaren Energien den
Hauptanteil an der Energieversorgung übernehmen. Wir
werden bis Herbst dazu ein Energiekonzept vorlegen,
welches das Zusammenwirken der verschiedenen erneuerbaren und konventionellen, sprich fossilen und nicht
erneuerbaren, Energieträger bis 2050 beschreiben wird.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Können Sie mir
hier bestätigen, dass - wie von Minister Röttgen am letzten Wochenende in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ausgeführt wurde - bei einem Anteil der
erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von
40 Prozent Atomkraft - das ist Kernspaltung und Kernfusion zusammen - vollständig verzichtbar ist?
Ich würde gerne wissen, wie viele Atomreaktoren die
Bundesregierung abzuschalten gedenkt, wenn das angestrebte Ziel eines Anteils der erneuerbaren Energien an
der Stromerzeugung von 30 Prozent 2020 tatsächlich erreicht wird.
Wie Sie wissen, Herr Kollege Fell, haben wir die
Kernenergie im Koalitionsvertrag als Brückentechnologie - als Technologie, bis die herkömmlichen Energien
verlässlich durch erneuerbare Energien ersetzt werden
können - bezeichnet. Unser Ziel ist es, den erfolgreichen
Ausbau der erneuerbaren Energien weiter voranzutreiben. Auch dafür haben wir uns konkrete, ambitionierte
Ziele gesetzt. Dass die Kernenergie eine Brückentechnologie ist, wird Bestandteil des auszuarbeitenden Energiekonzeptes sein.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Ihnen sind sicherlich die Leitszenarien des Umweltministeriums für den Ausbau erneuerbarer Energien bekannt. Nach diesen Szenarien
beträgt der Anteil erneuerbarer Energien bis 2021 etwa
40 Prozent. Mit dem Abschalten des letzten Atomreaktors nach dem bestehenden Atomausstiegsgesetz ist also
bereits der angepeilte Korridor eines Anteils der erneuerbaren Energien von 40 Prozent erreicht. Warum hält die
Bundesregierung dann noch an der Laufzeitverlängerung
für Atomreaktoren fest?
Wir halten uns an den Koalitionsvertrag und realistische Ziele in der Energiepolitik. Noch einmal: Die Bundesregierung, das BMU ist sehr froh über den schneller
als erwartet vorankommenden Ausbau der erneuerbaren
Energien. Wir haben ein unglaubliches Entwicklungspotenzial und große Exportchancen; die Erneuerbaren
waren auch ein stabiler Faktor während der Wirtschaftskrise.
Dennoch bleibt es dabei, dass wir die Kernenergie als
Brückentechnologie brauchen. In welchem Umfang und
wie lange, das wird in dem Energiekonzept, das wir derzeit erarbeiten und im Herbst vorstellen wollen, zu beschreiben und zu bestimmen sein.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Höhn
das Wort.
Frau Staatssekretärin, in dem Interview der Süddeutschen Zeitung mit Minister Röttgen ist ein Punkt erwähnt worden, der in der öffentlichen Debatte bisher
noch nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Herr
Röttgen hat gesagt, dass man, wenn die Laufzeitverlängerungen durchkommen, von den Energiekonzernen gar
nicht verlangen kann, dass sie einen Teil der Gewinne,
die sie daraus ziehen, abgeben, denn das sei - so sagt
er - verfassungsmäßig fragwürdig.
Das würde die Vorstellung, dass die Verbraucher auch
etwas von den Laufzeitverlängerungen hätten, weil die
Gewinne abgeschöpft werden, vollkommen konterkarieren. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Auffassung von Herrn Röttgen?
Zunächst geht es darum, die hohen Sicherheitsstandards der deutschen Kernkraftwerke beizubehalten und
auszubauen. In unserem Koalitionsvertrag steht, Frau
Kollegin Höhn, dass nähere Regelungen zu treffen sind,
wenn es um die Verlängerung von Laufzeiten geht. Sie
haben jetzt auf eine rekurriert. Es geht um die Betriebszeiten der Kraftwerke, um das Sicherheitsniveau, die
Höhe und den Zeitpunkt eines Vorteilsausgleichs sowie
die Verwendung der Mittel für die Forschung, und zwar
vor allen Dingen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und der Speichertechnologien. Ich möchte noch
einmal darauf hinweisen, dass wir im Rahmen des Energiekonzeptes alle Einzelheiten dazu nicht nur ausführlich besprechen, sondern auch festlegen werden.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Ott. Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich beziehe mich auf die Frage des Kollegen Fell,
was nach Ansicht der Bundesregierung der Anteil der
Kernfusion zu einem bestimmten Datum sein wird. Ich
beziehe mich außerdem auf das wirklich sehr bemerkenswerte Interview mit Herrn Minister Röttgen, in dem
er gesagt hat, dass wir überhaupt keine Kernenergie
mehr brauchen, wenn wir einen Anteil der erneuerbaren
Energien an der Stromerzeugung von 40 Prozent erreicht
haben. Wie Herr Kollege Fell gerade ausgeführt hat, gehört die Kernfusion natürlich auch zur Kernenergie.
Setzt sich das Ministerium innerhalb der Bundesregierung dafür ein, die Forschungsmittel für die Kernfusion zurückzufahren bzw. ganz aufzugeben, da die
Kernfusion überhaupt nicht mehr benötigt wird, selbst
dann nicht, wenn wir annehmen würden, dass sie irgendwann einmal in 50 Jahren doch funktionieren sollte?
Durch die erneuerbaren Energien haben wir die Möglichkeit, die nötige Energie völlig ohne Gefahr für
Mensch und Umwelt zu erzeugen. Inwieweit setzt sich
Ihr Ministerium dafür ein?
Erstens. Die Kernfusion ist in der Tat eine sehr langfristige Option, wenn man bedenkt, seit wann Forschung
betrieben wird. Den Zeitraum könnte man auch noch
verlängern. Es bleibt aber eine Option.
Zweitens. Sie haben suggeriert, dass Kernfusion das
Gleiche wie Kernspaltung wäre. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das richtigzustellen. Es handelt sich
nicht nur um zwei physikalisch völlig unterschiedliche
Prozesse, sondern auch um technisch unterschiedliche
Prozesse. Sie ist eine Technologie, die kein CO2 erzeugt.
Durch sie könnte Energie in beträchtlichen Mengen zur
Verfügung gestellt werden.
Ich finde es richtig, dass wir an Optionen forschen.
Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung verlässlich
Mittel zur Verfügung stellt, um Projekte zur Erforschung
der Kernfusion in Deutschland zu halten. Viele Länder
forschen an diesem Projekt, manchmal mit sehr viel ambitionierteren Zielen, als es in Deutschland, insbesondere unter Rot-Grün, bislang der Fall war. Meiner Auffassung nach kann man Japan, Frankreich oder den USA
diese Technologie nicht allein überlassen. Ich bin beeindruckt, welchen Beitrag deutsche Wissenschaftler zur
Erforschung dieser Technologie bislang leisten konnten.
Es bleibt dabei: Es ist eine Option für die Zukunft. Wir
befinden uns in einem Stadium, in welchem die Grundlagen erforscht werden.
Ich habe noch drei Wortmeldungen für Nachfragen
zur Frage 23. Ich habe vor, sie alle drei zuzulassen. Ich
bitte die betreffenden Kolleginnen und Kollegen im Interesse der nachfolgenden Fragestellerinnen und Fragesteller um Fragestellungen, die zügig beantwortet werden können, damit möglichst viele der angemeldeten
Fragen beantwortet werden können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dorothée
Menzner.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Bundesregierung, was den Anteil erneuerbarer Energien angeht, ambitionierte Ziele verfolgt. Was sagen Sie
dazu, dass sich Repräsentanten eines Bereiches, die in
den letzten Jahren sehr engagiert waren, nämlich Stadtwerke, kommunale Energieversorger und die dazugehörigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, vehement
gegen eine Laufzeitverlängerung von AKWs aussprechen, und zwar unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit? Sie sehen sie nämlich als eine Bedrohung für die
kommunale Energieversorgung und deren Investitionen
an, die in dem Glauben getätigt wurden, dass die AKWs
begrenzte Laufzeiten haben.
Zunächst einmal bin ich froh, dass viele Stadtwerke
die Chancen, die sich aus der Nutzung erneuerbarer
Energien ergeben, erkannt und beherzt ergriffen haben
und entsprechende Investitionen in ihren Kommunen getätigt haben. Wir werden die Positionen der Stadtwerke
ebenso wie die Interessen aller anderen Marktteilnehmer
im Energie- und Industriebereich in den Diskussionsprozess einbeziehen.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Behm.
Ich beziehe mich auf Ihre Antwort auf die Frage von
Frau Höhn. Frau Höhn hat eine Aussage von Minister
Röttgen angesprochen, der erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Abschöpfung von Einnahmen,
die sich aus der Verlängerung der Laufzeiten ergeben,
hat. Ich konnte Ihrer Antwort nicht entnehmen, inwieweit Sie sich auf die Frage bezogen haben. Deswegen
muss ich nachfragen: Wird Ihr Haus weiter am Atomfonds festhalten, obwohl er als verfassungsrechtlich bedenklich eingeschätzt wird? Wie werden Sie sich verhalten?
Im Rahmen des Energiekonzeptes ist zu prüfen, ob
und in welchem Maße Laufzeitverlängerungen möglich
sind und ob Windfall-Profits genutzt werden können, um
zum Beispiel in die Forschung erneuerbarer Energien zu
investieren. Allerdings ist es in Deutschland noch immer
so, dass es per se nicht verboten ist, Gewinne zu machen,
und man vor allem rechtsfeste Konstruktionen braucht,
um mit Geld verantwortungsvoll umzugehen.
Die letzte Nachfrage zur Frage 23 stellt der Kollege
Krischer.
Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort auf eine Nachfrage des Kollegen Fell habe ich so verstanden, dass das
40-Prozent-Ziel - 40 Prozent aus erneuerbaren Energien
bis 2020 - nicht mehr gilt. Das ist im Leitszenario 2009
des BMU - 40 Prozent bis 2021 - festgelegt. Deshalb
meine Nachfrage: Verfolgt das BMU weiterhin das im
Leitszenario 2009 festgelegte Ziel: 40 Prozent aus erneuerbaren Energien bis 2021?
Herr Kollege Krischer, ich bitte Sie, mich nicht frei zu
interpretieren.
Es gibt ein gemeinsames Ziel dieser Bundesregierung, nach dem wir im Strombereich bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 30 Prozent erreichen
wollen. Wir fühlen uns auch allen anderen EU-Zielen
- im Wärmebereich, im Bereich der Biokraftstoffe, aber
auch im Effizienzbereich - verpflichtet. Alles zusammen
ergibt ein schlüssiges Energiekonzept, weil CO2-Minderungsziele und Klimaschutz sich nicht nur auf den
Stromsektor beziehen können. Insofern werden wir auf
allen anderen Sektoren ebenso engagiert arbeiten.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Dorothée Menzner
auf:
Welche Anträge auf Beförderung von Mischoxid-({0})Brennelementen, die sich auf Transporte ab dem 1. Januar
2010 beziehen, liegen der Bundesregierung vor?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Menzner, dem für die
Erteilung von Genehmigungen nach § 4 des Atomgesetzes zuständigen Bundesamt für Strahlenschutz liegt ein
Antrag der Firma Nuclear Cargo + Service GmbH vom
29. Juni 2006 für den Transport von maximal 16 Mischoxid-({0})-Brennelementen von der Anlage Sellafield
in Großbritannien zum Kernkraftwerk Grohnde vor. Mit
Änderungsantrag vom 11. August 2009 wurde die Zahl
der MOX-Brennelemente auf acht reduziert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. In der Vergangenheit wurden in solchen Fällen sicherlich auch Straßentransporte vorgenommen. Ist das in diesem Fall wieder
geplant? Wenn ja, welche Sicherheitsauflagen bestehen
zum Beispiel bezüglich der Höchstgeschwindigkeit? Ist
an eine Geschwindigkeitsbegrenzung für diese Transporte gedacht? Wenn ja, wie sieht diese aus?
Früher war es so, dass Seetransporte von MOX-Elementen aus Großbritannien bzw. damals noch nach
Großbritannien jeweils über Bremerhaven abgewickelt
wurden. Der ursprünglich für Oktober 2009 vorgesehene
Seetransport von MOX-Brennelementen aus Großbritannien in das KKW Grohnde musste aufgrund von Widerständen in den Seehäfen Cuxhaven und Bremerhaven
auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Insofern kann
ich Ihnen zu Geschwindigkeiten und dergleichen konkret nichts sagen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist durchaus richtig, dass
man von Großbritannien bis Grohnde nicht auf der
Straße transportieren kann. Sie sind auf den Teil des
Transportes eingegangen, der auf dem Seeweg stattfindet. Ich habe aber explizit nach der Strecke zwischen einem Hafen, welchem auch immer, und der Anlage in
Grohnde, die per Schiff wohl eher nicht zu erreichen ist,
gefragt. Deswegen noch einmal meine Nachfrage: Wie
ist der Transport auf der Strecke dazwischen geplant?
Gibt es seitens der Bundesregierung hierfür Auflagen?
Gehen die Transporte auf die Straße oder auf die
Schiene? Wenn ja, mit welchen konkreten Sicherheitsvorgaben?
Wie Sie treffend beschrieben haben, muss das Ganze
erst einmal in einem Hafen landen. Wie ich gerade ausgeführt habe, wissen wir nicht, in welchem Hafen, weil
der Transport auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Wenn klar ist, wo die Elemente ankommen, wird man in
die Planung eintreten und den Transport, ob auf der
Straße oder auf der Schiene, sicherlich wie in der Vergangenheit sehr sorgfältig vornehmen. Planungen dazu
liegen jetzt nicht vor.
Ich rufe Frage 25 der Kollegin Dorothée Menzner
auf:
Welche Genehmigungen für Anträge auf Beförderung von
MOX-Brennelementen, die sich auf Transporte ab dem 1. Januar 2010 beziehen, wurden erteilt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin, Frau Kollegin Menzner, nach Angabe des Bundesamtes für Strahlenschutz existieren zurzeit keine Genehmigungen für den Transport von MOXBrennelementen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Anträge schon geraume Zeit vorliegen. Wann ist
nach Ihrem Kenntnisstand mit einem Bescheid für diese
Anträge, ob positiv oder negativ, zu rechnen?
Noch einmal: Derzeit liegen keine Genehmigungen
für den Transport vor.
({0})
Ich kann deshalb keine Aussagen dazu machen, wann
möglicherweise eine Genehmigung vorliegen könnte.
Ich kann Ihnen keinen Zeitrahmen nennen.
Sie verzichten auf weitere Nachfragen.
({0})
Die Frage 26 der Kollegin Kathrin Vogler wird
schriftlich beantwortet.
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen stehen die Parlamentarischen Staatssekretäre Thomas Rachel und Dr. Helge Braun zur
Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Kai Gehring zur
Wirkung der Internet-Studienplatzbörse im Wintersemester 2009/2010 werden schriftlich beantwortet.
Ebenso schriftlich beantwortet werden die Fragen 29
und 30 der Kollegin Nicole Gohlke zu Konsequenzen
aus den aktuellen Problemen bei der Studienplatzbesetzung.
Ich rufe Frage 31 der Kollegin Dagmar Ziegler auf:
Ist die weitere Förderung des Programms AQUA mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds durch die Verabschiedung entsprechender Richtlinien geplant, und, wenn dies nicht
Vizepräsidentin Petra Pau
der Fall ist, werden Bundesmittel in ausreichendem Umfang
zur Durchführung des Programms AQUA bereitgestellt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Kollegin Ziegler, es ist beabsichtigt, nach vorheriger Ausschreibung eine Programmstelle mit der Durchführung
des Programms zu beauftragen und danach Förderbekanntmachungen zu veröffentlichen. In dieser neuen
Struktur des Programms AQUA sollen Qualifizierungsmaßnahmen mit ESF-Kofinanzierung ab dem Jahre 2011
durchgeführt werden. Für den Zeitraum bis 2011 sind
Bundesmittel im Rahmen des bestehenden Programms
AQUA zur Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen bis einschließlich Wintersemester 2010/2011 in bedarfsangemessenem Umfang bewilligt worden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. - Sie verzichten auf Nachfragen.
Dann kommen wir zur Frage 32 des Kollegen Volker
Beck:
Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung angesichts der Unzufriedenheit der Muslime in Deutschland mit
den in der Türkei ausgebildeten Imamen - Studie des Osnabrücker Religionswissenschaftlers Dr. Rauf Ceylan -, um die
Religionslehrer- und Imamausbildung an Universitäten in
Deutschland auf den Weg zu bringen, und welchen Zeitplan
gibt es?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, am 29. Januar dieses Jahres hat es
eine sehr interessante Empfehlung des Wissenschaftsrates zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen gegeben. Darin wird auch die Etablierung
theologisch orientierter islamischer Studien an den deutschen Hochschulen empfohlen. Die Bundesregierung
begrüßt diese Empfehlung des Wissenschaftsrates. Ich
denke, angesichts der großen Anzahl islamischer Kinder
in der Bundesrepublik Deutschland gehört die Ausbildung von Religionslehrern und Islamwissenschaftlern zu
einer überzeugenden Integrationspolitik in einer modernen Gesellschaft.
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hat
ihre Zustimmung zu dieser Überlegung des Wissenschaftsrates mit der Ankündigung verbunden, dass der
Bund bereit sei, sich bei entsprechenden Initiativen der
Länder und der Hochschulen, die hier naturgemäß zunächst gefordert sind, an der Umsetzung der Empfehlungen zu beteiligen. Wir erwarten nun, dass aus den Ländern und Hochschulen konkrete Vorschläge gemacht
werden. Wir haben bei den öffentlichen Reaktionen
wahrgenommen, dass es ein starkes Interesse und auch
eine Bereitschaft gibt, solche Institute einzurichten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie konkrete
Vorstellungen haben, wie es jetzt weitergehen soll, und
vor allen Dingen wie die Bundesregierung plant, auf
Dauer mit den religionsverfassungsrechtlichen Problemen der vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen Konstruktion umzugehen.
Der Wissenschaftsrat schlägt vor, für die islamischen
Studien bzw. die entsprechenden Fakultäten Beiräte einzurichten, die in dieser Funktion anerkannte Religionsgemeinschaften, die im Bereich des Islam bislang völlig
fehlen, sozusagen ersetzen sollen. Die Bundesregierung
hat mit der Islam-Konferenz ein Forum geschaffen, auf
dem man darüber sprechen könnte, wie all diese Provisorien irgendwann einmal aufgelöst und auf eine religionsverfassungsrechtlich solide Grundlage gestellt
werden können. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung insgesamt - Sie antworten ja immer für die
Regierung und nicht nur für Ihr Haus - dazu an, wie
diese Probleme aufgearbeitet werden können, und welche Rückwirkungen hat das auf Ihre Überlegungen, wie
es mit dem Terminplan zum Thema „islamische Studien“ jetzt weitergeht?
Vielen Dank, Herr Kollege Beck. - Die Bundesregierung hat aufmerksam registriert, dass die islamischen
Verbände, die sich bislang artikuliert haben, ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung deutlich gemacht
haben. Die Bundesregierung ist sehr wohl der Auffassung, dass die Deutsche Islam-Konferenz als Forum des
gesamtstaatlichen Dialogs mit den Muslimen in
Deutschland in den Prozess der Etablierung theologisch
orientierter islamischer Lehr- und Forschungsangebote
an den deutschen Hochschulen einbezogen werden kann,
indem sie diese Prozesse begleitet und unterstützt.
Darüber hinaus haben Sie gefragt: Welche Voraussetzungen werden aus Sicht der Bundesregierung im Einzelnen zu erfüllen sein? Ich glaube, es ist wichtig, dass
wir uns die Stellungnahme des Wissenschaftsrates genauer anschauen. Denn er nennt sehr konkrete Voraussetzungen, deren Grundsubstanz aus unserer Sicht sehr
wohl überzeugend ist.
Der Wissenschaftsrat hat darauf hingewiesen, dass ein
möglicher Standort ein geeignetes universitäres Umfeld
aufweisen muss, um für eine solche Lösung überhaupt
infrage zu kommen. Dazu gehören leistungsstarke
Islamwissenschaften, die Präsenz der christlichen Theologien und eine entwickelte Religionswissenschaft. Aber
auch die Hochschulen sind gefordert. Denn sie müssen
Konzepte zum Aufbau und zur Arbeitsweise eines solchen Institutes und Konzepte für die geplanten theologisch kompetenten Beiräte entwickeln.
Schließlich - auch das sollte man nicht verschweigen werden wir auch die Bundesländer brauchen, da in erster
Linie sie für die Hochschulen zuständig sind und sie zuParl. Staatssekretär Thomas Rachel
sammen mit den Universitäten eigene finanzielle Ressourcen mobilisieren müssen. Wenn wir diesen gemeinschaftlichen Prozess auf den Weg bringen und in einen
intensiven Dialog mit den Ländern eintreten, dann, so
glaube ich, haben wir eine gute Chance, wesentlich voranzukommen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Ich glaube, Sie haben meine Nachfrage entweder
nicht ganz verstanden, oder man hat Sie dafür nicht mit
Sprechzetteln präpariert. Deshalb möchte ich eine Nachfrage stellen. Es gibt ein grundsätzliches Problem, das
auch der Wissenschaftsrat angesprochen hat. Er schlägt
vor, die Religionsgemeinschaften in Bezug auf die geistliche Ausbildung an den Universitäten durch einen Beirat zu substituieren. Das wäre natürlich eine verfassungsrechtlich windige Konstruktion, wenn man sie auf
Dauer vorsehen würde. Als Provisorium mag sie geeignet sein. In diesem Fall wäre ich durchaus bereit, zu sagen: Das soll man ruhig einmal versuchen.
An der Universität Münster haben wir aber gesehen,
dass solche Konstruktionen nur so lange halten, wie
Konsens besteht. Entsteht aber Streit darüber, ob jemand
die religiöse Lehrbefugnis hat, stellt sich die Frage, wer
darüber entscheidet. Denn in diesem Fall ist der Partner
des Staates nicht die Religionsgemeinschaft, sondern ein
Beirat, der schlechterdings nicht die Rolle einer Religionsgemeinschaft im weltanschaulich neutralen Staat
wahrnehmen kann.
Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, ob
die Bundesregierung eine Idee hat, wie wir im Bereich
des Islam zu anerkannten Religionsgemeinschaften
kommen können, da ja die muslimischen Verbände, die
sich nach politischen, sprachlichen oder staatlichen
Grenzen definieren, die Voraussetzungen hierfür nicht
erfüllen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Beck, ich glaube, wir haben ein unterschiedliches Grundverständnis. Ich glaube nicht, dass es
Aufgabe der Bundesregierung sein kann, islamische
kirchliche Organisationen zu organisieren, ins Leben zu
rufen oder institutionell zu verankern. Das ist sicherlich
eine wichtige Frage; aber das muss aus dem islamischen
Bereich in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt
werden.
Wichtig ist, dass es in der Politik - auch in der Bundesregierung - Offenheit gibt dafür, die islamischen
Kräfte, die wir in Deutschland haben, einzubeziehen.
Sie haben in Ihrer Frage konkret nach der Beteiligung
der Deutschen Islam-Konferenz gefragt. Deswegen wiederhole ich meine Antwort: Die Deutsche Islam-Konferenz kann in diesem Prozess nach unserer Auffassung
konstruktiv beteiligt werden.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Fell auf. Der Kollege Fell ist zurzeit nicht im Plenarsaal. Wir verfahren
also, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit danke ich den beiden Staatssekretären.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Die Frage 34 des Kollegen Uwe
Kekeritz wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsministerin Professor
Dr. Maria Böhmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Memet Kilic auf:
Was versteht die Staatsministerin im Bundeskanzleramt
und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dr. Maria Böhmer, unter einem „vereinfachten Verfahren“ zur Regelung des Optionszwangs im
Staatsangehörigkeitsrecht, da sie die jetzige Regelung für zu
komplex für die Jugendlichen hält, und zu wann soll diese
„Vereinfachung“ in Kraft treten?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Kilic, ich darf Ihnen
wie folgt antworten: Mit dem Gesetz zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Jahre 1999 wurde
das Staatsangehörigkeitsrecht um den Jus-Soli-Erwerb
für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern
ergänzt.
Im Rahmen einer damit zusammenhängenden Übergangsregelung konnten auch Kinder, die zwischen 1990
und 2000 geboren wurden, auf Antrag die deutsche
Staatsangehörigkeit erwerben. 50 000 Kinder haben auf
diese Art und Weise die deutsche Staatsangehörigkeit
bekommen.
2008 haben die ersten dieser Kinder das
18. Lebensjahr vollendet und sind damit grundsätzlich
optionspflichtig geworden. Sie haben nun, wie wir wissen, fünf Jahre Zeit, sich zwischen ihrer deutschen und
ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit zu entscheiden.
Sollten sie neben ihrer deutschen ihre ausländische
Staatsangehörigkeit beibehalten wollen - etwa weil der
andere Staat sie nicht aus seiner Staatsangehörigkeit entlässt -, müssen sie bereits bis zur Vollendung des
21. Lebensjahres eine Beibehaltungsgenehmigung beantragen. Für den ersten Jahrgang der Optionskinder endet
diese Frist im nächsten Jahr.
Derzeit werden Erfahrungen mit den ersten Optionsverfahren gesammelt und auf möglichen Verbesserungsbedarf - sowohl in verfahrens- als auch in materiellrechtlicher Hinsicht - hin überprüft. Schwierigkeiten,
die im Zusammenhang mit der Regelung auftreten, nehmen wir im Interesse der jungen Leute sehr ernst. Gegebenenfalls werden Verbesserungsvorschläge erarbeitet.
Ich darf Ihnen aber sagen - wir stehen noch am Anfang -:
Für eine fundierte Bewertung ist es jetzt noch zu früh.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Bitte.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Staatsministerin, es
ist Ihnen bestimmt bekannt, dass seit 28. August 2007
bei allen EU-Staatsangehörigen, aber zum Beispiel auch
bei Schweizer Staatsbürgern die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen wird. Dieser Personenkreis ist von
dem Optionszwang praktisch nicht betroffen.
Wäre es nicht gerecht - auch im Sinne von Art. 3 unseres Grundgesetzes -, den Optionszwang abzuschaffen,
damit Jugendliche, deren Eltern keine EU-Staatsbürgerschaft haben, wegen der Herkunft ihrer Eltern nicht benachteiligt werden?
Herr Kollege Kilic, ich hatte gerade gestern eine Diskussion zu diesem Punkt. Ich merke, es geht Ihnen ähnlich wie vielen; deshalb weise ich noch einmal darauf
hin: Auch Kinder, die eine Staatsangehörigkeit eines
EU-Staates haben, fallen unter die Optionsregelung.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich möchte noch fragen, ob diese EU-Bürgerinnen
und EU-Bürger ausgebürgert werden, falls sie sich bis
zum 23. Lebensjahr für keine der Staatsbürgerschaften
entscheiden wollen.
Es gelten selbstverständlich für die beiden Gruppen
die gleichen Regelungen.
Danke, Frau Staatsministerin.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 36 der Kollegin Viola von CramonTaubadel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Ablauf der EUKoordinierung bei der Katastrophenhilfe für Haiti - entsprechend den Vorgaben des gemeinsamen europäischen Konsenses
von Rat, Mitgliedstaaten, Europaparlament und Kommission
über die humanitäre Hilfe, 2008/C25/01 -, und wie verhält sie
sich gegenüber dem belgischen Vorschlag, eine europäische
humanitäre Einsatztruppe zu schaffen ({0})?
Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben gut und
schnell Hilfe geleistet. Die Bestimmungen des Europäischen Konsens über die Humanitäre Hilfe sind in Haiti
voll zur Anwendung gekommen.
Am 18. Januar 2010 nahm ein Sonderrat für Auswärtige Beziehungen Schlussfolgerungen an. Darin sagten
die EU-Mitgliedstaaten 122 Millionen Euro für die humanitäre Soforthilfe zu. Inzwischen ist dieser Betrag auf
über 212 Millionen Euro gestiegen. In den Schlussfolgerungen werden darüber hinaus die Ankündigungen der
Kommission zur Kenntnis genommen, aus EU-Haushaltsmitteln für die Wiederherstellung staatlicher Strukturen in Haiti 100 Millionen Euro und für längerfristige
Hilfe 200 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
Der Rat für Auswärtige Beziehungen am 25. Januar
2010 beschloss auf Anfrage der Vereinten Nationen die
Entsendung nationaler Gendarmeriepolizeikräfte und logistische Unterstützung als EU-Beitrag zur Unterstützung der VN-Mission MINUSTAH. Ergänzend wurde in
Brüssel eine Koordinierungszelle für diese Unterstützung eingerichtet.
Vor Ort in Haiti unterstützen Vertreter der Generaldirektion für humanitäre Hilfe und ein EU-Katastrophenschutzteam die VN in ihrer Koordinierungsrolle. Im
Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens haben Katastrophenschutzeinheiten der Mitgliedstaaten wertvolle
Hilfe geleistet, unter anderem in den Bereichen Rettung
und Bergung sowie Trinkwasseraufbereitung.
Das Zusammenspiel von EU und Mitgliedstaaten in
der Reaktion auf die Haiti-Katastrophe hat also gut funktioniert. Die Bundesregierung sieht vor diesem Hintergrund keine Notwendigkeit, auf EU-Ebene neue Strukturen wie eine Katastrophenschutz- oder humanitäre
Eingreiftruppe zu schaffen, was die Gefahr mit sich bringen könnte, bestehende Aufgaben und Strukturen der
VN und der Mitgliedstaaten zu duplizieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatsministerin Pieper, wir hatten eben im EUAusschuss das Vergnügen, Herrn Außenminister
Westerwelle dazu befragen zu können. Er sagte, dass
Lady Ashton die volle Unterstützung der Bundesregierung auch bei der Koordinierung der Hilfe für Haiti erhalte. Dazu meine Nachfrage: Ist es nicht doch im Sinne
der Bundesregierung, eine stärkere Koordinierung mit
einem höheren personellen und finanziellen Einsatz im
Hinblick auf die von der belgischen Regierung vorgeschlagene sogenannte EU-Weißhelmtruppe vorzusehen?
Wir haben deutlich gemacht, dass wir unsere Rolle
bei der Bewältigung der Haiti-Katastrophe voll wahrStaatsministerin Cornelia Pieper
genommen haben. Aus der Haiti-Krise lässt sich aus
unserer Sicht nicht die Notwendigkeit ableiten, zusätzliche EU-Strukturen wie einen EU-Katastrophenschutz
oder eine humanitäre Eingreiftruppe aufzubauen. Die
Bundesregierung steht der Schaffung zusätzlicher EUStrukturen auch unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips, das in unserer Verfassung als eine Rahmenbedingung enthalten ist, kritisch gegenüber. Ich glaube,
dass Deutschland innerhalb der EU all das, was möglich
ist, gemacht hat, um Haiti zu helfen. Ich denke, das hat
der Außenminister in seinen Bemerkungen im Ausschuss deutlich gemacht. Ich konnte leider nicht dabei
sein, weil ich hier bzw. im Kulturausschuss war. Deswegen bitte ich um Nachsicht.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Das klang eben in der Tat ein bisschen anders; aber
das ist kein Problem.
Wie steht denn die Bundesregierung zu einer kurzfristigen oder mittelfristigen Ausweitung des UN-Mandats
MINUSTAH in Bezug auf Haiti?
Ich habe deutlich gemacht, dass wir unsere Verantwortung im Rahmen der VN-Mission MINUSTAH
wahrgenommen haben. Ich denke, das wird Deutschland
auch weiterhin tun.
Damit kommen wir zur Frage 37 der Kollegin
Cramon-Taubadel:
Inwiefern setzt sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund der ukrainischen Präsidentschaftswahlen am 7. Februar
2010 dafür ein, dass die Ukraine eine klare Beitrittsperspektive zur Europäischen Union erhält?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Die Bundesregierung hat ein großes Interesse an einer
stärkeren politischen und wirtschaftlichen Annäherung
der Ukraine an die Europäische Union. Wie Sie wissen,
wird das Assoziierungsabkommen, das derzeit verhandelt wird, eine breite und tragfähige Grundlage dafür
sein.
Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn die
Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen bald abgeschlossen werden könnten. Es geht jetzt um Teil zwei,
um das Freihandelsabkommen. Dies zieht sich noch etwas hin. Für uns, die Bundesregierung, gilt allerdings:
Sorgfalt vor Eile.
Die Ukraine ist ferner ein wichtiger Partner in der im
Mai 2009 lancierten Östlichen Partnerschaft der EU als
einer spezifisch östlichen Dimension der europäischen
Nachbarschaftspolitik. Die Östliche Partnerschaft enthält, wie Sie wissen, keine Aussage zu einer EU-Beitrittsperspektive.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Welche konkreten Maßnahmen sind innerhalb des
Assoziierungsabkommens geplant, um vor allem jetzt,
nach der gerade abgeschlossenen Präsidentschaftswahl
in der Ukraine, den Menschen dort eine ganz konkrete
Perspektive dafür aufzuzeigen, sich enger an den Westen
zu binden?
Die Bundesregierung strebt nach den Wahlen natürlich an, ihre guten und intensiven Beziehungen mit der
Ukraine weiter zu verstärken. Vor dem durch freie und
demokratische Wahlen gewählten neuen Präsidenten liegen große Reformanstrengungen im Inneren und im
wirtschaftlichen Bereich; das werden wir genau verfolgen.
Ich glaube, dass die Wahl auch eine Chance zur Überwindung der innenpolitischen Krise bietet. Deutschlands
Interesse an einer unabhängigen, stabilen, demokratischen und marktwirtschaftlich prosperierenden Ukraine
- die Ukraine ist ja in unmittelbarer Nachbarschaft der
EU - ist vom Außenminister ganz eindeutig immer wieder herausgestellt worden.
Ich sage noch einmal: Im Gegensatz zur Verhandlung
über ein EU-Assoziierungsabkommen steht die Beitrittsperspektive nicht auf der Tagesordnung. Wir werden alles daransetzen, dass es nach der Wahl des neuen Präsidenten zu einer Stabilisierung im Inneren des Landes
kommt. Wir werden die Reformen, die ich bereits
nannte, mit vorantreiben: auf wirtschaftlichem, auf demokratischem und insbesondere auch auf rechtsstaatlichem Gebiet. Das wird die Bundesregierung weiterhin
unterstützen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Zu den Leuchtturmprojekten. Es gibt schon einiges,
was die Vorgängerregierung in Gang gesetzt hat, sprich:
die Förderung regionaler Energienetze, aber auch die
Entwicklung des südlichen Energiesektors etc. Sind darüber hinaus noch weitere Projekte geplant, und, wenn
ja, in welcher Form? Sie haben gesagt, dass Sie die
rechtsstaatlichen Reformen unterstützen werden. Gibt es
hier noch andere, konkretere Ansätze?
Ich bitte um Verständnis dafür, dass sich die Bundesregierung nach der jüngsten Wahl des Präsidenten natür1842
lich weitere Gespräche mit der ukrainischen Regierung
vorbehält. Natürlich werden wir alles daransetzen - das
sage ich noch einmal -, dass konkrete Maßnahmen unterstützt werden, nicht nur im Energiebereich, sondern
auch im rechtsstaatlichen und im marktwirtschaftlichen
Bereich. Gehen Sie davon aus, dass wir das sehr wohlwollend begleiten werden.
Danke, Frau Staatsministerin. - Die Frage 38 der Kollegin Dağdelen zur EU-Repräsentanz bei der Regierungsübernahme in Honduras wird schriftlich beantwortet.
Dies gilt auch für die Fragen 39 und 40 der Kollegin
Agnes Malczak zur Reaktion auf die Erklärung des iranischen Präsidenten zur Urananreicherung und zu Maßnahmen zum Abzug der in Deutschland verbliebenen
Atomwaffen.
Die Fragen 41 und 42 der Abgeordnete Katja Keul
werden ebenfalls schriftlich beantwortet, allerdings auf
der Grundlage von Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien für
die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen.
Das heißt - für diejenigen, die das nicht so genau wissen -, dass wir uns mit den Gegenständen dieser Fragen
noch in dieser Sitzungswoche befassen und sie deshalb
heute in der Fragestunde keine Rolle spielen.
Die Frage 43 des Kollegen Tom Koenigs zu Fördermaßnahmen im tertiären Bildungssektor in Afghanistan
soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des
Auswärtigen Amtes. Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert auf:
Inwiefern wird die Bundeszentrale für politische Bildung
in ihrer Eigenschaft als Bundesanstalt im Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern und im Hinblick auf aktuelle behindertenpolitische Belange ihrer Aufgabe gerecht,
durch Maßnahmen der politischen Bildung Verständnis für
politische Sachverhalte zu fördern ({0}), angesichts der in Art. 8 der UN-Behindertenrechtskonvention formulierten Verpflichtung für die
Vertragsstaaten, das gesellschaftliche Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen?
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat die
Aufgabe, durch Maßnahmen der politischen Bildung
Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das
demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken. Politische
Bildung fußt auf der normativen Grundlage von Demokratie, Toleranz und Menschenrechten und fördert auf
diese Weise das Bewusstsein für Vielfalt und die Toleranz gegenüber jeglichen gesellschaftlichen Gruppen
und Minderheiten.
Eine Grundlage der Entwicklung von Bildungsangeboten in der Bundeszentrale für politische Bildung ist
der sogenannte Diversity-Ansatz, also Diversitätsansatz,
der die Vielfalt von Identitäten, Unterschieden und Zugehörigkeiten beschreibt, die den Menschen zu eigen
sind und die naturgegebene, in der Regel nicht veränderbare Faktoren oder Merkmale wie etwa Alter, Ethnizität,
Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung oder
Religion umfassen.
Zu diesen Kerndimensionen von Diversität und den
Themenfeldern und Grundfragen der Demokratie und
Menschenrechte im engeren Sinne stellt die Bundeszentrale für politische Bildung umfangreiche Basismaterialien und didaktische Handreichungen zur Verfügung.
Hierzu gehören Publikationen wie Zivilcourage lernen,
ein Lehr- und Arbeitsbuch, das unter anderem Lehreinheiten enthält, in denen die Bereitschaft, sich in Konfliktfällen für Benachteiligte oder Bedrohte erfolgreich
einzusetzen, gefördert wird.
Durch entsprechende Fortbildungen und Trainings
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeszentrale
für politische Bildung werden zusätzlich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Diversitätsansatz mittelbar und unmittelbar in den Bildungsangeboten zum
Ausdruck kommt. Maßnahmen, durch die gezielt und
unmittelbar das gesellschaftliche Bewusstsein für Menschen mit Behinderung geschärft wird, hat die Bundeszentrale für politische Bildung bislang nicht ergriffen.
Im Rahmen der konzeptionellen Überlegungen der
Bundesregierung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention konzipiert das hierfür zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Aktionsplan, der
unter anderem das Anliegen verfolgt, eine übergreifende
gesellschaftspolitische Diskussion über die Botschaft
des Übereinkommens anzustoßen.
({0})
Ziel ist es, alle Bevölkerungsgruppen für das Thema
Behinderung zu sensibilisieren, zu verdeutlichen, dass
Behinderung jeden treffen kann, und Behinderung mit
positiven Attributen zu besetzen. Die Bundeszentrale für
politische Bildung wird in diesen Zusammenhang eingebunden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, dass Sie uns vorgelesen haben, welche Aufgabe die Bundeszentrale für
politische Bildung hat, und dass Sie uns beigebracht haben, wie man das Wort „diversity“ ausspricht. Das ist
immerhin etwas. Es geht mir aber nicht um die Vielfalt
im Allgemeinen, sondern darum, dass die Bundesrepublik der UNO-Konvention beigetreten ist und sie ratifiziert hat und dass es einen Wandel von der sozialen AusDr. Ilja Seifert
richtung gegenüber Menschen mit Behinderungen hin
auf den Menschenrechtscharakter der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gibt. Ich finde, das ist ein gewaltiger Unterschied. Es wäre doch Aufgabe auch genau
dieser Bundeszentrale und nicht nur des BMAS, für eine
breite Aufklärungskampagne in der Bevölkerung und
auch bei den Behörden und Beamten, die die Bestimmungen ausführen sollen, zu sorgen, damit deutlich gemacht wird, dass es ein Unterschied ist, ob man jemandem Hilfe leistet, der schwächer ist, oder ob diesem
Menschen ermöglicht wird, die Menschenrechte, die ihm
oder ihr zustehen, wahrzunehmen. Ich finde, hier hat die
Bundeszentrale für politische Bildung eine große Aufgabe; das haben Sie jetzt überhaupt nicht dargestellt.
Was macht sie jetzt also diesbezüglich?
Wie ich bereits vorgelesen habe, wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Konzept erarbeiten, um diesen Aktionsplan umzusetzen und auch um die
von Ihnen angesprochenen Ziele zu erreichen; das beginnt ab Februar 2010. Dabei wird natürlich die Bundeszentrale für politische Bildung einbezogen.
Zweite Nachfrage, Dr. Seifert.
Ich hätte beinahe eine unanständige Bemerkung gemacht. Ich verkneife sie mir. - Entschuldigung, Herr
Staatssekretär, aber ich kann Sie beim besten Willen
nicht verstehen. Dass das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales den Auftrag hat, im Namen der gesamten
Bundesregierung ein Umsetzungskonzept zu erarbeiten,
ist seit einem Jahr hinreichend bekannt. Ein Jahr wurde
verplempert, nichts wurde getan. Ich habe Sie aber danach gefragt, was die Bundeszentrale für politische Bildung dafür tut, dass die Bevölkerung überhaupt erfährt,
dass es ein Menschenrechtsabkommen gibt, das Menschen mit Behinderung als Bestandteil der Gesellschaft
begreift und Vielfalt als Gewinn ansieht. Das ist doch
eine Aufgabe, die die Bundeszentrale für politische Bildung, eine Ihnen unterstellte Behörde, erfüllen kann,
ohne darauf zu warten, was sich das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales irgendwann einmal ausdenkt.
Bitte schön.
Sicherlich kann die Bundeszentrale für politische Bildung hier einen Beitrag leisten; das ist selbstverständlich.
({0})
Wir haben entschieden, dass das BMAS zunächst ein
Konzept erstellt. Ich finde es durchaus vernünftig, dass
hier ein Ministerium federführend ist und nicht alle Ministerien völlig unabhängig voneinander und völlig unabgestimmt eigene Maßnahmen ergreifen. Insofern sehe
ich keinen Widerspruch zu Ihrer Zielsetzung, den neuen
Ansatz nach vorne zu bringen.
Die Zeit für die Fragestunde ist in wenigen Sekunden
abgelaufen. Deswegen beende ich die Fragestunde.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 1:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Was folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen bei Hartz IV?
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hat
das Bundesverfassungsgericht zu den Hartz-IV-Regelleistungen geurteilt. In diesem Urteil heißt es: Das
Arbeitslosengeld II für Erwachsene sowie das Sozialgeld für Kinder genügen nicht dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Im Klartext heißt das: Die Kernnormen von
Hartz IV sind verfassungswidrig. Ich finde, das ist eine
schallende Ohrfeige für alle Parteien, die Hartz IV mit
zu verantworten haben.
({0})
Nach diesem Urteil gibt es nun einen Überbietungswettbewerb. Die FDP meint, das Urteil sei eine Ohrfeige allein für Rot-Grün. Die Ministerin mit CDU-Parteibuch
tut so, als ob sie dieses Urteil geradezu herbeigesehnt
bzw. herbeigebetet hätte. Kurzum: Man hat das Gefühl,
dass es keiner so recht gewesen sein will, wenn es um
Hartz IV geht. Da wundert man sich doch, wie das
Ganze überhaupt auf die Welt gekommen ist.
Vor diesem Hintergrund sollten wir in Erinnerung rufen: Den Grundsatz von Hartz IV haben vier Fraktionen
des Bundestages mitgetragen, nämlich die von FDP,
CDU/CSU, SPD und Grünen. Da die Sozialministerin
nun so tut, als hätte sie dieses Urteil gewollt, wollen wir
deutlich machen, dass es Betroffene waren, die dieses
Urteil erkämpft haben. Wir wollen auch daran erinnern,
dass die Union Hartz IV nicht nur mitgetragen hat, sondern sich noch in der letzten Wahlperiode dafür eingesetzt hat, dass das Sanktionsregime verschärft wird.
({1})
Lassen Sie uns festhalten: Die Hartz-IV-Parteien haben nicht nur Millionen Menschen in Armut und Ausgrenzung per Gesetz getrieben. Nein, sie sind offensichtlich noch nicht einmal in der Lage, verfassungskonforme
Gesetze zu verabschieden. Es handelt sich immerhin um
das zweite Urteil in höchster Instanz, das ihren Gesetzen
Verfassungswidrigkeit bescheinigt. Bei diesem Tatbestand ist man geneigt, dem Verfassungsschutz zuzuru1844
fen: Kümmert euch doch einmal ein bisschen um diese
Bundesregierung. Ganz offensichtlich hat sie Probleme,
die Bestimmungen des Grundgesetzes einzuhalten.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat heute nur über das
Verfahren entschieden. Das Existenzminimum stellt die
unterste Grenze dar, die nicht unterschritten werden soll.
Das Gericht hat aber auch deutlich gemacht, dass oberhalb dieser untersten Grenze ein Gestaltungsspielraum
besteht. Diesen sollten wir als Bundestag nutzen; denn
das verfassungswidrige Sanktionsregime Hartz IV ist
nicht alternativlos. Die Linksfraktion hat gestern einen
Antrag formuliert, mit dem wir uns klar dafür einsetzen,
dass der Regelsatz auf 500 Euro erhöht wird, dass die
Sanktionsparagrafen ebenso wie das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft gestrichen werden, und mit dem wir
uns für einen Mindestlohn einsetzen. Kurzum, wir fordern Sie auf: Sagen Sie Ja zu einer sanktionsfreien, armutsfesten Mindestsicherung! Sagen Sie Ja zu unserer
Alternative zu Hartz IV!
({3})
Auf einen Kritikpunkt des Bundesverfassungsgerichts
will ich im Detail eingehen, und zwar auf folgenden:
Noch folgt die jährliche Anpassung der Regelsätze dem
aktuellen Rentenwert. Das heißt, wenn die Rente steigt,
steigt prozentual auch das Arbeitslosengeld II. Die Linke
hat schon immer darauf hingewiesen, dass nicht der
Rentenwert das entscheidende Kriterium sein sollte, sondern die Lebenshaltungskosten. Im Klartext: Wenn die
Preise für Brot, für Strom oder für den Bus steigen, dann
muss im selben Maße die Grenze des Existenzminimums
angehoben werden. Das Bundesverfassungsgericht gibt
es Ihnen heute schwarz auf weiß, indem es sagt, dass der
Rentenwert der falsche Bezugspunkt für die Berechnung
des Existenzminimums ist. Diese Blamage hätte Ihnen
erspart bleiben können, wenn Sie eher Anträgen der
Linksfraktion zugestimmt hätten.
({4})
Heute ist ein guter Tag; denn Betroffene haben sich
zur Wehr gesetzt und gezeigt, dass es sich lohnt, für
seine Rechte zu kämpfen.
({5})
Heute ist ein guter Tag; denn der heutige Tag ist auch ein
Festtag für die Idee der sozialen Teilhabe. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt: Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist nicht eine Frage der
Mildtätigkeit oder Großzügigkeit des Parlaments, sondern ein Verfassungsgebot. Wenn man manch einen
Wirtschaftslobbyisten oder den hessischen Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch in den letzten Tagen gehört hat, dann hatte man das Gefühl, vom Sozialstaatsgebot könne beliebig abgewichen werden. Als ob die
Prinzipien unserer Verfassung Rezepte wären, von denen
man beliebig abweichen kann! Unsere Verfassung ist
kein Kochbuch, sondern unsere Verfassung schreibt das
Sozialstaatsprinzip fest, und das ist nicht verhandelbar.
Die Gewährleistung des Existenzminimums ist eine
Pflicht, die nicht zur Verhandlung steht.
({6})
Dabei geht es nicht nur - auch das hat das Bundesverfassungsgericht unterstrichen - um das physische Existenzminimum, sondern es geht auch um Teilhabe am kulturellen und politischen Leben. Kurzum, es geht nicht nur
um Essen, Strom und Seife, sondern es geht auch um den
Telefonanschluss, die Zeitung und den Besuch bei
Freunden; denn - so wortwörtlich das Bundesverfassungsgericht - „der Mensch … existiert notwendig in sozialen Bezügen …“. Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie dieses Urteil ernst!
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ralf Brauksiepe.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit seinem Urteil zu den Regelsätzen im
Sozialgesetzbuch II hat das Bundesverfassungsgericht
heute Morgen erstmals zu einigen zentralen Grundfragen
der Sozialpolitik Stellung bezogen. Eines dazu gleich
vorweg: Die Bundesregierung begrüßt diese klarstellende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
({0})
Das Urteil aus Karlsruhe ist keine Schwarz-Weiß-Entscheidung, gibt uns aber die Leitplanken vor, die wir
brauchen, um zu einer allgemein akzeptierten Leistungsbemessung zu kommen.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat die Höhe der Regelsätze und die Berechnungsmethode im Grundsatz nicht
infrage gestellt.
({2})
Aber künftig muss besser und nachvollziehbarer begründet werden, wie die Regelsätze im Einzelnen zustande
kommen. Das werden wir machen. Ich sage das auch in
Richtung auf die Fraktion Die Linke. Ihr Hinweis, dass
diese frei gewählte Regierung vom Verfassungsschutz
beobachtet werden soll, zeigt, wes Geistes Kind sie ist.
Das hat mit dem, worum es hier geht, nichts zu tun.
({3})
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ist eine
verfassungsrechtlich zulässige und vertretbare Basis zur
Bestimmung des Existenzminimums; das geht aus dem
Urteil klar hervor. Ebenso klar hat das Gericht allerdings
Korrekturen und Konkretisierungen angemahnt. Vor allem in drei Punkten sieht das Bundesverfassungsgericht
den Grundsatz eines transparenten, folgerichtigen, sachund realitätsgerechten Verfahrens zur Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs verletzt. Das betrifft erstens die, wie
es heißt, freihändige Setzung der Kinderregelsätze ohne
empirische und methodische Fundierung. Das betrifft
zweitens die bisher fehlende Berücksichtigung der besonderen Bedarfe zum Beispiel für Schulkinder. Drittens
betrifft es die Fortschreibung nach dem aktuellen Rentenwert.
Außerdem verlangt das Gericht eine Härtefallklausel.
Sie greift aber nur, wenn Hilfebedürftige einen unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf haben. Es wird sich dabei um seltene Einzelfälle handeln. Darauf hat auch die Bundesagentur für
Arbeit heute in einer öffentlichen Stellungnahme, wie
ich finde, zu Recht hingewiesen. Auch das Prinzip der
Pauschalierungen steht nicht infrage. Dort, wo Härtefälle
vorliegen, wo etwas geschehen muss, ist dies ab sofort
möglich.
Entscheidend ist außerdem, dass sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht befugt sieht, eine Bewertung über die Höhe der ermittelten Regelsätze abzugeben. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: Aus
der Verfassung ist die Höhe der Regelsätze nicht direkt
ableitbar, und die Regelsätze sind von ihrer Höhe her
nicht offensichtlich unzureichend. Auch das gehört zu
den Feststellungen in diesem Urteil.
({4})
Es ist Sache des Gesetzgebers, die Regelsätze festzulegen. Er hat hier einen Spielraum. Diesen muss er transparent und konsequent auf fundierter empirischer
Grundlage nutzen.
Im Urteil heißt es eben nicht, dass die Regelsätze jetzt
automatisch höher - und damit für den Staat teurer werden. Ich finde es wichtig, dass hier jetzt keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat das Lohnabstandsgebot mit seinem heutigen Urteil nicht außer Kraft gesetzt.
({5})
Wir als Bundesregierung werden Vorschläge machen,
wie der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nutzen
sollte. Das heißt auch, das Lohnabstandsgebot zu berücksichtigen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die
der Hilfe bedürfen, die Hilfe bekommen, die sie brauchen, aber dass auch diejenigen, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen
({6})
und diesen Sozialstaat mit ihren Steuern und Sozialabgaben finanzieren, sich nicht als die Dummen fühlen. Das
ist auch unsere politische Aufgabe.
({7})
Bei der Bekämpfung von Armut sind und bleiben die
direkten materiellen Leistungen unverzichtbar. Das ist
keine Frage, aber es geht um mehr. Arbeit und Einkommen spielen eine entscheidende Rolle. Das zeigt sich besonders bei der Lebenssituation von Kindern. Wenn die
Eltern Arbeit haben, sinkt das Armutsrisiko der Kinder
massiv. Das ist es, was im Mittelpunkt steht: dafür zu
sorgen, dass Menschen wieder in Arbeit kommen. In einem Haushalt, in dem kein Elternteil erwerbstätig ist,
liegt das Risiko eines Kindes, arm zu werden, bei
48 Prozent; bei einer Vollbeschäftigung beider Elternteile liegt es bei 4 Prozent. Das heißt, der Weg raus aus
dem Armutsrisiko, raus aus der Abhängigkeit und raus
aus der Hilfebedürftigkeit führt über Arbeit. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.
({8})
Das heißt, es geht um maßgeschneiderte Leistungen
für Kinder und Jugendliche, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen. Es geht um maßgeschneiderte
Lösungen für Menschen mit Migrationshintergrund, die
individuelle Angebote brauchen, für Frauen, die nach einer längeren Familienphase wieder ins Berufsleben einsteigen wollen, und nicht zuletzt auch für Ältere, die den
Anschluss nicht verpassen dürfen und deren Erfahrungen in dieser Gesellschaft gebraucht werden. Es ist weder Absicht noch Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende, eine dauerhafte Abhängigkeit von staatlichen
Leistungen zu erzeugen. Fördern und Fordern gehören
zusammen. Dafür steht auch diese christlich-liberale
Bundesregierung.
({9})
Es geht uns um ein Gesamtkonzept, wie wir bessere
Teilhabechancen und faire Aufstiegsmöglichkeiten für
alle schaffen, also unabhängig vom Geldbeutel und unabhängig von der Herkunft.
Armut hat viele Gesichter; eines ist die Bildungsarmut. Umgekehrt gilt: Bildung eröffnet Teilhabechancen
ein Leben lang. Für Bildung ist niemand zu jung und
keiner zu alt. Deswegen begrüßt es die Bundesregierung,
dass uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat,
insbesondere Bildungsausgaben und Bildungsbedarfe
neu einzubeziehen. Das werden wir tun; dem werden wir
gerecht werden.
({10})
Heute ist nicht der Zeitpunkt, um Schuldzuweisungen
vorzunehmen.
({11})
Es macht Sinn, dass jeder dieses Urteil ernst nimmt und
dass wir gemeinsam die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. Für die Bundesregierung steht das außer
Frage. Auch wenn es nicht um Schuldzuweisungen geht,
stelle ich fest: Keinen einzigen der Punkte, die das Bundesverfassungsgericht vor allem kritisiert - die Art und
Weise der Festsetzung der Kinderregelsätze, die Nichtberücksichtigung besonderer Bedarfe für Schulkinder
und die Fortschreibung nach dem aktuellen Rentenwert -,
hat die christlich-liberale Koalition erfunden; nichts von
dem, was kritisiert worden ist, hat diese Regierung zu
verantworten.
({12})
Ich will deutlich sagen: Das, was hier kritisiert worden
ist, stammt aus der Zeit, als das Sozialgesetzbuch II in
der heutigen Form geschaffen worden ist. Die rot-grüne
Vorgängerregierung hat genau die Regelungen eingeführt, die das Bundesverfassungsgericht heute kritisiert
hat. Ich sage das ohne Schuldzuweisung. Es ist einfach
eine Tatsachenfeststellung. Auch darüber muss man in
diesen Tagen reden können.
({13})
Mit der ersten Bundesregierung Merkel ist vieles besser geworden.
({14})
Wir haben für die Schulkinder das Schulbedarfspaket
eingeführt. Wir haben einen dritten Kinderregelsatz von
70 Prozent für die 6- bis 13-Jährigen eingeführt. Das
mag verfassungsrechtlich nicht besonders elegant erscheinen. Die erste Regierung Merkel hat aber eine rotgrüne Hinterlassenschaft beseitigt; sie hat dafür gesorgt,
dass es den Kindern, die von der Hilfsbereitschaft anderer leben müssen, deutlich besser geht. Das ist ein Fortschritt, den die erste Regierung Merkel erzielt hat.
Die zweite Regierung Merkel, die christlich-liberale
Koalition, wird daran anknüpfen. Wir werden dafür sorgen, dass es den Menschen in diesem Land besser geht
und dass Kinder bessere Teilhabechancen haben. Das
werden wir aber nicht tun, indem wir Reichtum für alle
propagieren, sondern dadurch, dass wir Chancen auf
Teilhabe durch Bildung und durch Arbeit schaffen, indem wir die Rahmenbedingungen für mehr Arbeit und
Beschäftigung in diesem Land herstellen.
({15})
Das ist unser Auftrag, und dem werden wir gerecht werden.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem Frau von der Leyen heute Morgen in Karlsruhe war und auch dem Ausschuss für Arbeit und Soziales Rede und Antwort stand, hätte ich mir gewünscht,
dass sie auch dem Plenum des Deutschen Bundestages in
der Aktuellen Stunde Rede und Antwort steht.
({0})
Herr Brauksiepe, es hilft nichts, zu sagen, wir sollten
jetzt keine rückwärtsgewandte Debatte führen und keine
Schuldzuweisungen vornehmen, wenn Sie selbst im
nächsten Atemzug mit Schuldzuweisungen anfangen.
Ich möchte nur einmal daran erinnern, dass es unter der
ersten Regierung Merkel die SPD war, die das Schulbedarfspaket durchgesetzt hat, und dass es die CDU/CSUBundestagsfraktion gewesen ist, die dieses Paket zunächst einmal nur bis zum zehnten Schuljahr gewähren
wollte. Das gehört zur Wahrheit dazu, Herr Brauksiepe.
({1})
Ich möchte an ein paar Punkte erinnern, die die Richter und die Richterin heute Morgen in Karlsruhe deutlich
gemacht haben.
Das soziokulturelle Existenzminimum muss immer
gewährleistet sein; das steht nicht zur Disposition. Man
kann nicht nach dem Motto vorgehen: Wir schaffen jetzt
einfach neue Berechnungsgrundlagen, und im Ergebnis
kommt das Gleiche wie bisher heraus. Das, was Herr
Brauksiepe eben gesagt hat, hörte sich ein bisschen so
an, als hoffe man, nicht mehr Geld ausgeben zu müssen.
Den Tickermeldungen habe ich eben entnommen, dass
Herr Kolb von der FDP gesagt hat: Die Mehrausgaben
sparen wir an anderer Stelle ein.
({2})
Wo denn? Bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo doch
gerade die aktive Arbeitsmarktpolitik der beste Schutz
vor Armut ist?
({3})
Der beste Schutz vor Armut ist eine existenzsichernde
Erwerbsarbeit. So brauchen Erwachsene keine Sozialhilfe und keine Grundsicherung, und so sind vor allen
Dingen Kinder nicht auf Grundsicherungsleistungen angewiesen. Der beste Schutz vor Kinderarmut ist die Erwerbstätigkeit der Eltern.
({4})
Karlsruhe hat auch gesagt: Die Ermittlung des Existenzminimums muss transparent und nachvollziehbar
geregelt werden, und zwar in einem Gesetz. Es wird ein
heißer Ritt sein, bis zum Ende des Jahres ein Gesetzgebungsverfahren zu diesem nicht ganz unkomplexen
Thema durchzuführen. Aber der Aufgabe werden wir
uns stellen. Außerdem müssen wiederkehrende Sonderbelastungen, die bisher nicht im Existenzminimum berücksichtigt sind, auch gesondert gedeckt werden. Vor
allen Dingen müssen kindspezifische Bedarfe bei der
Bildung gesondert und altersgerecht ermittelt und vor allen Dingen auch vollständig gedeckt werden. Das bedeutet: Wir brauchen einen eigenen Kinderregelsatz - das
unterstützen wir sehr -, in dem die kindspezifischen Bedarfe abgebildet sind.
({5})
Das Bemerkenswerteste an dem heutigen Urteil ist,
dass Karlsruhe das Sozialstaatsgebot ganz deutlich gestärkt hat. Durch diese Entscheidung ist klar geworden:
Der Sozialstaat ist keine disponible Masse. Er steht nicht
zur Disposition. Er steht vor allen Dingen nicht zur Disposition derer, die sich in ihrem Koalitionsvertrag daranmachen, elementare Grundfesten des Sozialstaats anzugehen.
({6})
Deshalb müssen die staatlichen Ebenen, die die neuen
Regelsätze und die Sicherung des Existenzminimums
nachher zu finanzieren haben, über die entsprechenden
finanziellen Grundlagen verfügen. Das schließt nach unserer Auffassung eine Steuerreform aus, bei der diejenigen, die schon ein x-faches des Existenzminimums haben, noch entlastet werden sollen. Diese Masse ist nicht
verfügbar. Wie ich den Tickermeldungen entnehmen
konnte, sieht das im Übrigen auch die CSU so. Ich bin
einmal gespannt, wie Sie an der Stelle weiterkommen.
Das schließt im Übrigen genauso die Einführung einer
Kopfprämie aus, die einen Sozialausgleich von fast
40 Milliarden Euro erfordert; das Geld steht nicht zur
Verfügung.
({7})
Ich kann Ihnen nur raten: Schaffen Sie auch die Voraussetzungen dafür, dass Menschen, die arbeiten, von
ihrem Lohn leben können! Das Verfassungsgericht hat
nämlich auf die Menschenwürde abgestellt. Das Lohnabstandsgebot definiert sich seit heute nicht mehr nach
dem Motto: „Der unterste Hungerlohn ist der Maßstab,
um die Grundsicherung festzusetzen“, sondern danach:
Das soziokulturelle Existenzminimum plus X muss am
Monatsende bei denen in der Lohntüte vorhanden sein,
die acht Stunden am Tag und fünf Tage die Woche arbeiten.
({8})
Deshalb ist Ihre Verweigerungshaltung beim Thema
Mindestlöhne überhaupt nicht mehr nachvollziehbar genauso wenig wie die Ausweitung der Regelungen zum
Kombilohn und zu den Minijobs, die Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.
({9})
Wir haben in den nächsten Wochen und Monaten
noch vieles zu tun. Ich hoffe, dass wir eine offene Debatte darüber bekommen, was das soziokulturelle Existenzminimum ist und was dazu gebraucht wird, und
nicht eine Debatte darüber führen, welches soziokulturelle Existenzminimum wir uns leisten können; denn das
haben diejenigen, die auf Grundsicherung angewiesen
sind, nicht verdient.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelleistungen nach SGB II, den sogenannten Hartz-IVRegelsätzen, ist sicherlich kein Ruhmesblatt für die rotgrüne Sozialpolitik der Vergangenheit,
({0})
aber wir wollen uns nicht zu lange damit aufhalten, Vergangenheitsschau zu betreiben und Schuldige zu suchen.
Wir als christlich-liberale Regierungskoalition sehen
in dem Urteil zunächst einmal eine Herausforderung - es
ist ein ehrgeiziges Ziel, die Zeitvorgabe „bis zum Ende
des Jahres“ einzuhalten -; vor allen Dingen sehen wir
darin aber eine Chance für die betroffenen Menschen,
({1})
die wir gern nutzen, und daran machen wir uns ab sofort.
({2})
Wir begrüßen dieses Urteil als FDP insbesondere auch
deshalb, weil es in seinem Kern von Staat und Politik
Transparenz und Rechtfertigung des eigenen Handelns
einfordert - ein urliberaler politischer Gedanke der FDP.
({3})
Wenn man sich konkret ansieht, welche Kritikpunkte
das Bundesverfassungsgericht an der rot-grünen HartzIV-Politik formuliert hat, dann sieht man, dass es dem
Bundesverfassungsgericht im Grundsatz nicht um die
Berechnungsmethode ging, sondern, zugespitzt, um
mangelnde Transparenz und fehlende Wertungsentscheidungen, allerdings nicht bei der Frage nach dem physischen Existenzminimum. Nein, es ging dem Bundesverfassungsgericht um fehlende Wertungsentscheidungen
bei der Frage, was die Menschen über das reine physische Existenzminimum hinaus an Unterstützung für die
gesellschaftliche Teilhabe benötigen. So werden wir als
christlich-liberale Regierungskoalition die Frage beantworten, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, damals
bewusst oder vielleicht auch unbewusst offengelassen
haben. Das ist vertrauenswürdige Politik und Politik, die
sich vor Verantwortung nicht scheut.
({4})
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es auch völlig unangebracht, über die Höhe der Regelsätze zu diskutieren;
denn noch einmal: Darüber hat das Bundesverfassungsgericht keine Aussage getroffen.
({5})
Angesichts des Tenors des Urteils ist wohl davon auszugehen, dass, wenn die Höhe der Regelsätze unangemessen wäre, das Bundesverfassungsgericht dies auch explizit moniert hätte.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der
SPD, ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie
von Ihren Versäumnissen aus dem Jahr 2005 jetzt ablenken wollen,
({7})
indem Sie Ihre altbekannten Themen, Frau Ferner, wie
Mindestlohn oder die intellektuell etwas unambitionierte
Pauschalkritik am Steuerkonzept der FDP unsachgemäß
in diese Debatte einführen.
({8})
Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass beispielsweise eine alleinerziehende Mutter, die, weil sie keine
Betreuung für ihr Kind findet, nur 15 Stunden die Woche
arbeiten kann, auch durch einen Mindestlohn von
7,50 Euro, 8 Euro oder 10 Euro nicht von staatlicher Unterstützung unabhängig wird.
Wenn Sie, Frau Ferner, meinen, heute schon wissen
zu können, was dieses Urteil für den Bundeshaushalt bedeuten wird, muss ich Ihren Eifer entschieden zurückweisen. Noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat
keine Aussage über die Höhe der Regelsätze getroffen.
({9})
Außerdem sind wir, die christlich-liberale Regierungskoalition, mit dem Anspruch angetreten, durch eine effizientere und wirksamere Arbeitsvermittlung, durch effizientere und wirksamere Arbeitsmarktinstrumente und
durch eine effizientere und wirksamere Wirtschafts-, Finanz- und Bildungspolitik immer mehr Menschen den
Weg aus dem SGB-II-Rechtskreis hinaus und in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse und damit in
ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben hinein zu ebnen.
({10})
Von daher sind am heutigen Tag zu den Auswirkungen
dieses Urteils auf den Bundeshaushalt, Frau Ferner,
schlicht noch keine Aussagen möglich.
Wir werden die Sätze für Kinder wirklich kindspezifisch ausgestalten.
({11})
Wir als christlich-liberale Koalition denken nämlich vor
allen Dingen zunächst an die, die von Hartz IV am härtesten betroffen sind.
({12})
In dieser Hinsicht bietet das Urteil viele Chancen, die
wir ergreifen und umsetzen werden. Das Urteil hat eine
klare Botschaft: Bildung ist der beste Schutz vor Armut.
({13})
Nur durch gute Bildung besteht die Chance zur selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe. Das ist im Übrigen eine Position, die wir als FDP-Bundestagsfraktion
schon lange vertreten und die sich auch im Koalitionsvertrag wiederfindet.
Von daher sehen wir dieses Urteil als Chance und als
Herausforderung. Wir freuen uns auf die nächsten Monate.
({14})
Die höchstrichterliche Entscheidung manifestiert die Bedeutung von Bildung in unserem Land. Diese Chance
werden wir für die Menschen ergreifen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, man muss hier doch einmal einiges klarstellen.
Frau Kipping, das Bundesverfassungsgericht hat heute
nicht insgesamt über das Sozialgesetzbuch II oder über
die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
geurteilt, sondern über den Kern der Regelsatzverordnung, nämlich die Höhe der Regelsätze.
({0})
Diese Regelsatzverordnung - Herr Brauksiepe, diese
Worte richte ich an die Bundesregierung - ist von der damaligen Bundesregierung im Jahre 2003 verabschiedet
worden. Dem haben aber im Bundesrat die Landesregierungen,
({1})
an denen zum Teil die CDU und die SPD und teilweise
auch die FDP beteiligt waren, zugestimmt.
Wenn wir uns das Urteil und die dazugehörenden Bewertungen in Ruhe anschauen, dann kommen wir zu
dem Schluss, dass wir uns in der Tat kritisch fragen müssen, ob die Bestimmung der Regelsatzhöhe durch die
Bundesregierung und durch die Landesregierungen im
Rahmen einer Verordnung bei diesen richtig aufgehoben
ist oder ob wir nicht besser darüber im Parlament diskutieren sollten.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht spricht von Schätzungen ins Blaue hinein, die keine realitätsgerechte Ermittlung darstellten. Es führt weiterhin aus, die Bestimmung
des regelleistungsrelevanten Verbrauchs beruhe nicht auf
einer tragfähigen Auswertung der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe, und die Kinderregelsätze beruhten auf einer freihändigen Setzung ohne empirische und
methodische Fundierung. Auch die 100 Euro für das von
Ihnen eben so gepriesene Schulstarterpaket - Herr
Brauksiepe, hören Sie genau zu! - seien, so das Bundesverfassungsgericht, freihändig geschätzt. Das ist natürlich absolut dramatisch.
({3})
Jetzt höre ich die Zurufe „Das war Rot-Grün! Sie waren damals dabei!“ und dergleichen mehr.
({4})
Ich möchte hier einmal feststellen, dass das von uns
nicht infrage gestellt wird. Aber selbstverständlich haben wir die Entwicklung in den Jahren nach 2003 genau
beobachtet und bewertet. In dem Familienbericht der
Bundesregierung aus dem Jahre 2006 steht, dass man mit
dem für Ernährung vorgesehenen Anteil des Hartz-IV-Regelsatz nur bis zum 24. Tag eines Monats eine gesunde
Ernährung für Kinder sicherstellen kann. Das war ein
Familienbericht der Großen Koalition.
({5})
Das Statistische Bundesamt hat eine Untersuchung
über das Ausgabeverhalten von Niedrigeinkommenshaushalten durchgeführt, in der festgestellt wird, dass auch die
einkommensschwächsten Haushalte 60 bis 70 Euro mehr
für Kinder ausgeben, als im Regelsatz vorgesehen ist.
Daraus haben wir im Gegensatz zu Ihnen von der FDP,
die Sie jetzt von einer Ohrfeige für Rot-Grün sprechen,
unsere Schlüsse gezogen.
({6})
Wir haben in den Jahren 2007, 2008 und 2009 Anträge zu diesem Thema gestellt, denen Sie, wenn Sie den
bestehenden Zustand als so skandalös empfunden hätten,
hätten zustimmen können. Wir haben noch vor dem heutigen Urteil die Situation genau analysiert und haben in
unserer heutigen Fraktionssitzung einen Beschluss gefasst, den wir in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages als Antrag einbringen werden. Darin
gehen wir genau auf die Punkte ein, die das Bundesverfassungsgericht inkriminiert.
({7})
Wir fordern, dass jetzt schnell gehandelt wird. Wir
sind der Auffassung, dass sofort gehandelt werden muss
und dass es nicht falsch wäre, eine sofortige Erhöhung
der Regelsätze für Erwachsene und Kinder vorzunehmen
und unverzüglich eine Kommission aus unabhängigen
Experten einzuberufen, die dem Parlament Vorschläge
macht, wie man zukünftig mit der Regelsatzfestsetzung
verfahren soll.
Wenn Sie, Herr Brauksiepe, jetzt sagen, niemand
solle sich Hoffnungen auf höhere Regelsätze machen,
dann laufen Sie Gefahr, den Fehler aus dem Jahr 2003 zu
wiederholen, nämlich vorab fiskalisch das Ausgabevolumen festzusetzen und dann den Regelsatz auf diese
Größe passend zu rechnen. Das würde uns umgehend
wieder vor das Verfassungsgericht führen.
({8})
Ich möchte abschließend sagen: Bei der ganzen Argumentation um das Lohnabstandsgebot ist die Menschenwürde, also der Bezug auf Art. 1 des Grundgesetzes,
entscheidend. Das hat seinen Niederschlag in § 1 des
damaligen Bundessozialhilfegesetzes gefunden, wo es
hieß, dass die Sozialhilfe den Menschen ein Leben in
Würde ermöglichen soll. Das muss der erste Maßstab
sein.
({9})
Es geht natürlich darum, den bereits angesprochenen
Mindestlohn einzuführen, um damit das Prinzip der
Menschenwürde sozusagen zu flankieren.
({10})
Da, wo der Mindestlohn nicht ausreicht, gilt es, die vorgelagerten Systeme wie beispielsweise Wohngeld und
Steuerzuschuss zu den Sozialversicherungsabgaben im
unteren Einkommensbereich zu stärken. Das ist wesentlich sinnvoller als Ihre Steuersenkungspläne, die sich mit
dem heutigen Urteil ein weiteres Mal, wenn nicht gar
vollständig, erledigt haben dürften.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Carsten
Linnemann von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kann ja
verstehen, dass das Urteil von heute Emotionen weckt.
({0})
Aber bei allen Emotionen sollten wir die Kirche im Dorf
lassen. Ich habe Ihnen einmal Tickermeldungen von
heute mitgebracht. Die stellvertretende Vorsitzende der
Partei Die Linke, Katja Kipping, sagte heute:
Der heutige Tag ist ein Festtag …
Das haben Sie auch eben noch einmal gesagt. Ich zitiere
weiter:
Die Partei DIE LINKE fordert … die Erhöhung der
Regelsätze für Erwachsene auf 500 Euro …
({1})
Gregor Gysi sagte, dass das ganze System „ein Angriff
auf den Sozialstaat“ Deutschlands ist.
({2})
So treten wir im Ausland auf.
({3})
Jetzt kommen die Fakten: Erstens. Der Bereich Arbeit
und Soziales macht den größten Ausgabenblock im
Haushalt aus.
Zweitens. Der Bereich Arbeit und Soziales wächst in
diesem Jahr auf knapp 150 Milliarden Euro an; das ist
ein Plus von 15 Prozent.
Drittens. 43 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland bekommen Sozialleistungen. Allen
Unkenrufen von Ihnen zum Trotz: Dieses Land ist ein
sozialer Staat, und wir können uns mit allen anderen
Staaten auf diesem Globus messen.
({4})
Wir blicken jetzt zurück auf sieben Stunden seit Verkündung des Urteils um 10 Uhr. Wir freuen uns über die
Klarheit - auch das sagen wir offen -, und wir werden
Transparenz und Stringenz schaffen. Aber zwei Punkte
kann ich Ihnen heute schon sagen: Wer dieses Urteil ausnutzt, um einen Wettlauf um die höchsten Regelsätze
vom Zaun zu brechen und, wie Sie, einen Regelsatz von
500 Euro fordert,
({5})
der streut den Menschen Sand in die Augen. Dann werden nämlich Millionen von Menschen in das SGB II rutschen,
({6})
und dann wird der Grundsatz, dass Arbeit sich lohnen
muss, in Deutschland mit Füßen getreten.
({7})
Über den zweiten und letzten Punkt habe ich mich gerade noch mit Frau Fischbach unterhalten; dieser ist ganz
wichtig. Wir reden hier über Regelsätze. Aber bei allen
Emotionen und bei allem Eifer dürfen wir das Grundproblem nicht aus den Augen verlieren: Das Ziel muss es
sein, die Menschen in Beschäftigung zu bringen.
({8})
Nehmen Sie doch nur das Beispiel der Kinderregelsätze - ich zitiere Herrn Brauksiepe -: 50 Prozent der
Kinder, deren Eltern von Leistungen nach dem SGB II
leben, sind von Armut bedroht, aber nur - in Anführungsstrichen - 8 Prozent der Kinder von Eltern, die Arbeit haben. Mit anderen Worten: Der Schlüssel ist, dass
die Eltern wieder in Beschäftigung kommen. Die Politik
kann zwar keine Beschäftigung schaffen, aber sie kann
den Rahmen dafür setzen. Die Union wird dies verlässlich und entschlossen tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
komme wieder zum Thema zurück.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat heute über eine der
wichtigsten Fragen überhaupt geurteilt: Wie soll die
Grundsicherung, also das letzte soziale Auffangnetz in
unserer Gesellschaft, aussehen?
Wir haben uns seit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Jahr 2005 immer wieder
mit diesem Thema befasst; auch Vereine und Verbände
haben intensiv über die Grundsicherung diskutiert. Das
ist auch gut so. Ich hätte mir diese Diskussion übrigens
schon viel früher zur Sozialhilfe gewünscht. Denn es
geht um nicht weniger als um die Absicherung der Existenz von Menschen, die auf einen intakten Sozialstaat
angewiesen sind. Das gilt ganz besonders für die über
2 Millionen armutsgefährdeten Kinder in unserem Land.
Das Bundesverfassungsgericht bemängelt, dass kinderspezifische Bedarfe überhaupt nicht eigens ermittelt,
sondern lediglich vom Erwachsenenregelsatz abgeleitet
werden.
Bedarfsgerechte und differenzierte Kinderregelsätze
sind eine zentrale Forderung der SPD.
({1})
Die Schwachstelle in der Regelsatzbewertung haben wir
erkannt und deshalb in der letzten Legislaturperiode eine
Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Ermittlung eigenständiger Kinderbedarfe
auf den Weg gebracht. Dies hatte eine Erhöhung der Regelsätze, die Einführung der dritten Altersstufe und das
Schulbedarfspaket zur Folge.
Ich hätte mich gefreut, wenn wir damals mehr Unterstützung von unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU,
gehabt hätten.
({2})
Aber die mussten wir zum Jagen tragen, wir mussten sie
regelrecht schieben. Es ist kein Wunder, dass die Regierungsbank jetzt praktisch leer ist. Keiner ist da, kein
Fachpolitiker sitzt hier.
({3})
Wo ist die Ministerin? So wichtig ist der neuen Regierung dieses Thema. Das ist bezeichnend. Das wirft ein
schlechtes Licht auf die schwarz-gelbe Bundesregierung.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Einkommensund Verbrauchsstichprobe als Grundlage für die Regelsatzberechnung nicht infrage gestellt. Ich finde das gut.
Ich begrüße das; denn auch hier im Bundestag bestand in
dieser Frage überwiegend Einigkeit. Schwierig wird es
bei der Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und bei den Festsetzungen der einzelnen Ausgabepositionen. Hier zeigt das Bundesverfassungsgericht ganz klar die rote Karte, verurteilt die bisherige
Methodik und fordert Transparenz.
Ich bin gespannt, was die schwarz-gelbe Bundesregierung vorlegen wird. Viel Zeit bleibt nicht. Die Frist
ist bis 1. Januar 2011 gesetzt. Herr Kuhn, natürlich werden auch wir, die SPD-Fraktion, Hilfestellung leisten,
damit die Bundesregierung zu einer guten Reform kommen wird.
({4})
Die Verfassungsrichter haben sich auch mit der Anpassung der Regelsätze an die Preissteigerung befasst.
Wir fordern schon seit längerem, den Zeitraum der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu verkürzen. So
könnte auf Preisveränderungen und veränderte Konsumstrukturen angemessener reagiert werden als mit der
heute beanstandeten Koppelung an die Rentenentwicklung.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch zu den sogenannten atypischen Bedarfslagen Stellung bezogen und
die derzeitige Regelung verurteilt. Das ist aus meiner
Sicht richtig; denn sowohl die Sozialhilfe als auch das
Arbeitslosengeld II dienen der Grundsicherung. Deshalb
muss es in beiden Rechtskreisen möglich sein, besondere individuelle Bedarfslagen adäquat abzusichern. Im
SGB II, also der Grundsicherung für die Langzeitarbeitslosen und deren Kinder, war dies bisher nicht möglich.
Das war ein Fehler.
({5})
Bedarfsgerechte Kinderregelsätze sind ein ganz wichtiger Baustein zur Vermeidung von Kinderarmut und zur
Herstellung gerechter Chancen vor allem in der Bildung.
Doch das allein reicht nicht aus. Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam gefordert, ihren Verpflichtungen
gegenüber den Kindern nachzukommen, gerade jetzt
nach dem erfolgten Urteil. Wir brauchen deshalb eine
konzertierte Aktion gegen Kinderarmut.
Die SPD hat schon 2008 in ihrem Zehnpunkteprogramm aufgezeigt, was vor allem in den Ländern und in
den Kommunen getan werden muss. Die Herstellung einer intakten Infrastruktur für Kinder und Jugendliche
kostet natürlich Geld; Geld, das die Länder und Kommunen gerade jetzt in der Konjunkturkrise nicht haben und
das ihnen besonders durch das von Schwarz-Gelb beschlossene sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch weiter entzogen wird. Ich bin gespannt, wie
die schwarz-gelbe Bundesregierung die finanzielle Ausstattung der Kommunen sicherstellen will,
({6})
und ich bin gespannt, woher sie die Mittel für die Umsetzung des Karlsruher Urteils nehmen will. Durch Steuergeschenke und Steuersenkungen kommt man jedenfalls
nicht weiter. Auch hier muss eine Umkehr erfolgen, und
zwar schnell.
({7})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Natürlich ist die Bekämpfung von Kinderarmut nur durch die Bekämpfung von
Arbeitslosigkeit möglich. Deshalb war dies in der letzten
Legislaturperiode und unter Rot-Grün ein Schwerpunkt
unserer Politik. Diesen Weg müssen wir weitergehen.
Meine Kollegin Elke Ferner hat schon darauf hingewiesen, dass wir endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen müssen,
({0})
um die Chancen der Menschen, die wenig verdienen,
und damit auch die Chancen der Kinder zu verbessern.
Frau Kollegin, bitte.
So können wir Kinderarmut in unserem Land am besten und effektivsten bekämpfen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
heutige Urteil aus Karlsruhe ist ein wichtiges Urteil,
schon deswegen, weil es um 40 Milliarden Euro Steuermittel im Bundeshaushalt und weitere circa 10 Milliarden Euro Steuermittel in den Haushalten der Kommunen
geht. Das macht die ganze Dimension des Problems
deutlich.
Frau Kollegin Kipping, Sie haben gesagt: Wir nehmen das Urteil ernst. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen:
Dazu passt die gespielte Empörung, die künstliche Aufregung, die Sie hier an den Tag legen, nicht.
({0})
Das wirkt alles sehr bemüht, Frau Enkelmann. Auf mich
macht das den Eindruck, Sie hatten Ihre Rede schon vor
Tagen formuliert. Es ist ja schon länger bekannt, dass
diese Aktuelle Stunde stattfinden wird. Das, was wir
heute aus Karlsruhe gehört haben, ist aber nicht so recht
Wasser auf Ihre Mühlen. Sie haben sich offensichtlich
ein bisschen mehr erhofft.
({1})
- Wir sind auch permanent vor Ort. Das kann ich Ihnen
sagen. Nicht ablenken, Frau Kollegin!
Ich will beim Thema bleiben. Karlsruhe hat sehr deutlich gesagt: Nicht der Regelsatz als solcher ist nicht verfassungsgemäß. Im Gegenteil, das Verfassungsgericht
sagt: Das, was für den Alleinstehenden, für den Partner
in der Bedarfsgemeinschaft, für das Kind gezahlt wird,
ist nicht evident unzureichend.
({2})
Karlsruhe sagt: Die Ermittlung des Regelsatzes ist nicht
verfassungsgemäß erfolgt. Man muss den Kollegen von
den Grünen, Herr Kurth, aber auch von der SPD, die sich
hier heute reinwaschen wollen, sagen: Das ist die Hauptkritik aus Karlsruhe. Karlsruhe sagt, es hätten wertende
Entscheidungen getroffen werden müssen, was über das
physische Existenzminimum hinaus für die gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe notwendig ist.
({3})
Diese Entscheidung haben Sie, Frau Ferner, in der Vergangenheit verweigert,
({4})
und deswegen sind Sie durch Karlsruhe heute zu Recht
abgewatscht worden. Das muss man hier einmal deutlich
sagen.
({5})
Für mich macht das Urteil noch einmal deutlich, warum es so wichtig ist, Steuersenkungen für Familien,
Entlastungen für Familien vorzunehmen, wie es die
christlich-liberale Koalition und vor allen Dingen die
FDP schon seit langem fordert.
({6})
Bei allem darf man das Lohnabstandsgebot nicht außer
Acht lassen. Das will ich hier sehr deutlich sagen.
({7})
Wer sagt: „Regelsätze auf 500 Euro erhöhen“, der löst
sich vollkommen von dieser Systematik und überdehnt
unser Wirtschafts- und Lohnsystem. Das kann nicht geleistet werden.
({8})
Frau Ferner und Frau Kollegin Kipping, deswegen ist
es falsch, zu sagen: Wir kriegen das mit Mindestlöhnen
in den Griff. Das wird nicht der Fall sein. Der Kollege
Kober hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das zum einen eine Frage der Arbeitszeit ist. Wie lange kann ich als
Alleinerziehende, auch mit einem Mindestlohn, arbeiten? Die Zeit wird nicht immer reichen, um einen Betrag
oberhalb des Regelsatzes zu erwirtschaften. Zum anderen ist das aber auch eine Frage des Familienstandes. Sie
sagen: Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn
müsste für Verheiratete mit zwei Kindern bei mindestens
12,50 Euro liegen, damit man transferbezugsfrei wird.
({9})
Das kann doch nicht allen Ernstes Ihre Auffassung sein;
denn damit würden flächendeckend und reihenweise Arbeitsplätze besonders in den neuen Bundesländern verloren gehen.
({10})
Frau Kollegin Ferner, weil wir hier auch über die
Menschenwürde reden: Für mich ist es auch eine Frage
der Menschenwürde, ob ich als Mensch mit einer geringeren Qualifikation eine Chance auf einen Arbeitsplatz
habe. In diesem Zusammenhang muss man sehr deutlich
sagen, dass Mindestlöhne, wenn sie zu hoch sind, gerade
Menschen mit einer geringen Qualifikation aus dem Arbeitsmarkt aussperren. Das ist eine Null-oder-eins-EntDr. Heinrich L. Kolb
scheidung. Entweder du bringst das, was gefordert wird,
oder du bist vollkommen raus.
({11})
Frau Kollegin Ferner, das ist am Ende nicht angemessen.
Das muss man deutlich sagen.
Der Zeitplan, der uns aus Karlsruhe vorgegeben worden ist, ist sehr eng. Er ist auch deswegen eng, weil wir
noch einen zweiten Restanten aus rot-grüner Zeit zu bearbeiten haben, nämlich die Organisationsreform.
({12})
- Sie waren auf jeden Fall dabei, Frau Ferner, da können
Sie sagen, was Sie wollen. Sie haben in den letzten elf
Jahren regiert. Sie haben auch den Arbeitsminister gestellt.
({13})
Für mich haben Sie auch die Verantwortung dafür, dass
die Frage der Organisationsreform in der letzten Legislaturperiode nicht gelöst werden konnte;
denn natürlich muss der federführende Minister Lösungen vorlegen, die am Ende eine breite Mehrheit finden.
({14})
Ich will noch eines sagen. Frau Kollegin Ferner, Sie
haben gesagt: Wir wollten da etwas mit Einsparungen
machen. Ich will nur sagen: Dieser Auffangtatbestand,
diese besondere Härte, die zu regeln uns das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat, wird - das sagt Karlsruhe selbst - aufgrund der tatbestandlichen Voraussetzungen in der Tat nur in sehr wenigen Fällen greifen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im Zuge der Organisationsreform die Effizienz der Vermittlung steigern
können, also eine schnellere Vermittlung in ein neues
Arbeitsverhältnis erreichen können, und dass wir auf
diesem Wege Einsparungen erreichen, die wir an anderer
Stelle den Bedürftigen zugutekommen lassen werden.
Auf diesem Kurs bewegen wir uns. Zur gespielten
Empörung, wie wir sie bei der Linken erleben, besteht
überhaupt kein Anlass.
({15})
Wir werden das, was uns aufgegeben ist, in Ruhe regeln.
Die Zeit ist knapp; aber man kann das schaffen. Wenn
alle sich beteiligen, wird es umso besser gelingen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.“ Dieser Satz ist nunmehr nicht nur eine Feststellung von Sozialverbänden und der Fraktion Die Linke,
sondern er ist Bestandteil der Urteilsbegründung der
heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, und das ist gut so.
({0})
Hartz IV ist Armut per Gesetz, und dieses Gesetz
wurde heute zum zweiten Mal für verfassungswidrig erklärt; denn es widerspricht der Würde des Menschen und
dem Sozialstaatsprinzip.
({1})
Sehr geehrte Kollegen Kurth und Kolb, es ging eben
nicht nur um die Regelsatzverordnung, sondern sehr
wohl um die §§ 20 und 28 SGB II. Im Gegensatz zu Ihnen waren mein Kollege Ernst, meine Kollegin Kipping
und ich heute dort und haben die Urteilsbegründung gehört. Wir haben das Urteil dabei und wissen sehr wohl,
wovon wir reden.
({2})
Ich möchte mich bei den vielen Menschen bedanken,
die in den vergangenen Jahren an unterschiedlichsten
Orten gegen diese gerade bei den Kindern an den Haaren
herbeigezogenen Regelsätze gekämpft haben. Ich bedanke mich bei den Sozialverbänden und Initiativen, die
nach Lösungsvorschlägen gesucht und Alternativen angeboten haben. Ich bedanke mich nicht zuletzt recht
herzlich bei den Familien, die den langen Weg bis zum
heutigen Tag durch die Instanzen gegangen sind und uns
dieses Urteil beschert haben.
({3})
Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
macht deutlich: Die Regelsätze für Kinder im ALG II
müssen grundsätzlich neu und eigenständig berechnet
werden. Das Bundesverfassungsgericht zwingt die Regierung nun, das zu tun, was seit Jahren überfällig ist:
Das Existenzminimum von Kindern muss anhand ihrer
eigenen Bedürfnisse gesichert werden. Hier bescheinigt
das Gericht den verantwortlichen Bundesregierungen
von Rot, Grün, Schwarz und Gelb einen „völligen Ermittlungsausfall“.
Die Regelsätze für Kinder sind in zweifacher Hinsicht
nicht mit der Verfassung vereinbar und verstoßen gegen
die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot. Zum einen sind sie prozentual vom Regelsatz der Erwachsenen
abgeleitet, was nicht sein darf, wie wir seit heute wissen.
Zum anderen ist schon der Regelsatz für Erwachsene an
sich verfassungswidrig. Daran haben Rot-Grün und
Schwarz-Rot unter freundlicher Genehmigung der FDP,
Herr Kolb, gearbeitet. Insofern tragen Sie alle hier die
Verantwortung.
({4})
Sie haben sich an die von Ihnen selbst gesetzten Regeln
nicht gehalten. Sie haben ganze Ausgabenblöcke bei der
Berechnung des Regelsatzes nicht einbezogen, zum Beispiel Ausgaben für Bildung.
Zu diesem Punkt möchte ich noch detailliertere Ausführungen machen. Gerade hier sind die Kinder in ganz
besonderer Art und Weise betroffen.
Ich bin dankbar für die Klarstellung des Gerichts,
dass erstens alle Menschen ein Recht auf Teilhabe auch
an Bildung haben, dass zweitens dieser Anspruch insbesondere für die Kinder gilt und dass drittens dafür nicht,
wie bisher, die Bundesländer weiter verantwortlich gemacht werden können. Das Bundesverfassungsgericht
hat ganz klar festgestellt: Die Bundesländer sind verantwortlich für die Institution Schule, nicht aber dafür, den
Zugang aller Menschen zu diesen Bildungseinrichtungen
zu sichern. Das ist Bundesaufgabe. Dieser sind Sie bisher nicht nachgekommen. Dazu werden Sie nun vom
Bundesverfassungsgericht gezwungen.
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren, bisher, auch heute
wieder, haben Sie unsere Forderungen als Populismus,
als Wünsch-dir-was-Programm oder Ähnliches bezeichnet. Ich sage nur: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
({6})
Herr Brauksiepe, wenn Sie ein Problem nicht wahrnehmen wollen, dann wollen Sie es auch nicht lösen. Aber
das Bundesverfassungsgericht gibt Ihnen auf, dieses
Problem zu lösen. Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, mir erstens zuzuhören
({7})
und zweitens das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur
Kenntnis zu nehmen und endlich entsprechend zu handeln.
({8})
Für uns als Linke kann die Lösung nur sein: Die Regelsätze gerade für Menschen unter 18 Jahren müssen
spürbar angehoben werden, um endlich kindgemäß zu
sein. Sie müssen sich an dem Bedarf der Kinder ausrichten, wie es die Linke schon seit langem gefordert hat.
({9})
Die Frist, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt
hat, läuft bis Jahresende. Auch dies macht deutlich, dass
das Gericht einen großen und dringenden Handlungsbedarf sieht. In anderen Urteilen wurde der Bundesregierung mehr Zeit als in diesem Urteil eingeräumt.
Aber die Bundesregierung hat Glück im Unglück. Sie
müssen nicht warten, auf neue Zahlen hoffen oder bis
zum Sankt-Nimmerleins-Tag irgendwelche Recherchen
durchführen. Nein, es gibt belastbares Zahlenmaterial.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat eine ausführliche Expertise vorgelegt, auf die Sie sich stützen können.
Ich fordere Sie auf, die Regelsätze für Kinder sofort und
unverzüglich auf mindestens die Höhe der Regelsätze
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes anzuheben.
({10})
Sichern Sie den bedürftigen Kindern nicht nur, wie es
das Bundesverfassungsgericht auch gefordert hat, umgehend die physische Existenz, sondern sichern Sie ihnen
auch die Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben! Die Würde des Menschen
ist unantastbar. Handeln Sie endlich danach!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor uns liegt die Aufgabe der Feinjustierung
der Regelleistungen des SGB II
({0})
in einem transparenten, verfassungskonformen Verfahren. Das ist bei der CDU und unserer Ministerin Ursula
von der Leyen in guten Händen.
({1})
Wir löffeln hier eine Suppe aus, die uns die rot-grüne
Regierung eingebrockt hat.
Eines ist uns allen klar - darüber sollten wir nicht
streiten -: Es geht um die Schwächsten der Schwachen,
es geht um die Menschen, die ihren eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten können, und es geht um deren
Kinder und ihren eigenständigen Anspruch nach Maßgabe ihrer spezifischen Bedürfnisse. Für sich selbst nicht
sorgen zu können, das ist schon hart. Nicht für seine
Kinder sorgen zu können, ist für Eltern - das wäre es
auch für mich als Elternteil - unerträglich.
({2})
Es ist wichtig und richtig, dass die Solidargemeinschaft in einer solchen Notlage helfend einspringt. Daran
zeigt sich die Qualität unseres Sozialstaates. Wir in
Deutschland haben hier eine hohe Qualität. Wir leben in
einem Land mit einem der ausdifferenziertesten SozialMechthild Heil
systeme der Welt, mit zwölf Sozialgesetzbüchern, dem
Behindertengleichstellungsgesetz, dem Pflegezeitgesetz
und dem Wohngeldgesetz oder dem Grundsicherungsgesetz. Unser Bestreben ist es, soziale Gerechtigkeit zu
schaffen, Hilfe in Not und gegen Armut zu gewähren
und für jedermann ein menschenwürdiges Existenzminimum bereitzustellen.
Ich will heute besonders die Frage: „Was braucht ein
Kind zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse?“ in den
Mittelpunkt stellen, weil diese Frage der Ausgangspunkt
des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war.
Für die Grundbedürfnisse der Kinder - Liebe, Geborgenheit, soziale Kontakte, Versorgung - sind und bleiben
die Eltern verantwortlich.
({3})
Dem Staat fallen andere Aufgaben zu, um die Grundbedürfnisse von Kindern zu sichern: Der Staat sorgt für
freien Zugang zu Bildung. Bildungsarmut darf nicht vererbt werden. Der Staat sorgt für umfassende Gesundheitsvorsorge, von einer geeigneten Ernährung über medizinische Versorgung bis hin zu Bewegungsförderung,
aber natürlich auch für finanzielle Unterstützung, wenn
die eigenen Mittel der Familie nicht ausreichen.
Deswegen werbe ich mit Nachdruck dafür, die
Grundbedürfnisse der Kinder als Ganzes in den Blick zu
nehmen und sie nicht rein materiell zu betrachten, wie
manche Kollegen uns das in ihrem Beitrag wieder nahegelegt haben. Sogar die Würde der Menschen hängt für
Sie von den Linken am Geldbeutel. Mit Geld allein ist
nicht jedes Problem zu lösen. Bargeld stellt weder Erziehungskompetenz noch Verantwortungsbewusstsein her.
Geld allein eröffnet auch nicht die richtigen, langfristigen Perspektiven.
({4})
Gute langfristige Perspektiven erreichen wir nur durch
gezielte Bildung. So erhöhen wir die Chancen unseres
Nachwuchses auf gesellschaftliche Teilhabe.
Ich werbe auch dafür, die Familien mehr als Ganzes
zu sehen. Der Zusammenhang ist einfach: Geht es den
Eltern gut, haben die Eltern Arbeit und Auskommen,
geht es in den allermeisten Fällen auch den Kindern gut.
Sind die Eltern aber missmutig, gestresst, leiden sie unter den täglichen Belastungen und sehen sie vor allem
keine Aussicht auf Besserung, können die Kinder mit
noch so viel Geld vom Staat nicht wirklich gesund und
glücklich heranwachsen.
({5})
Eine Chance für Eltern und Kinder, aus dieser Spirale
herauszukommen, ist Arbeit. 3,6 Millionen Arbeitslose
waren es im Januar dieses Jahres, zugleich gab es aber
knapp eine halbe Million offene Stellen. Vor allem qualifizierte Arbeitnehmer fehlen den Unternehmen. Für
schlecht qualifizierte bleiben nur prekäre Arbeitsverhältnisse.
Ich werbe auch dafür, bei der Diskussion über die
Höhe der Regelsätze die soziale Gerechtigkeit nicht aus
dem Blick zu verlieren: Das Lohnabstandsgebot muss
gewährleistet bleiben.
({6})
Es darf nicht rentabler sein, von staatlichen Leistungen
zu leben, als arbeiten zu gehen.
({7})
Ebenso darf unser Sozialstaat die Schwachen nicht ausgrenzen. Lassen Sie uns richtig fördern: mit Geld-, Sachund Dienstleistungen, aber auch durch konsequentes und
nachhaltiges Einfordern von Eigenverantwortung. Dann
kommen wir ein gutes Stück weiter auf dem Weg der
christlich-liberalen Solidargemeinschaft.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Meine Damen und Herren - gleich, ob Sie auf die Tribünen des Saales kommen oder uns vor dem Fernseher zusehen -, worum geht es heute? Ich bin in den 80er-Jahren Sozialarbeiterin gewesen. Ich kann Ihnen sagen: Ich
hätte mir damals eine Debatte über die Regelsätze der
Sozialhilfe gewünscht. Es gab diese Debatte nicht; jahrzehntelang hat das niemanden in der Politik interessiert.
Jetzt haben wir eine andere Situation, und auf einmal
sind die einen die Guten und die anderen die Schlechten.
({0})
Schwarz-weiß können wir eine so komplexe Frage nicht
annähernd richtig behandeln.
Ich denke, dass wir heute aus Karlsruhe ein kluges
Urteil bekommen haben. Ich sage als Sozialdemokratin
„klug“, weil dieses Urteil bedeutet, dass man auch uns
ins Stammbuch geschrieben hat, dass wir nicht alles
richtig gemacht haben. Das gehört zur Wahrheit.
({1})
Allerdings sage ich: Wir haben das Wesentliche getan;
dies wurde nicht beanstandet.
Herr Kolb, Sie sprachen von Restanten. Können Sie
sich noch an 1998 erinnern? Da gab es Restanten über
Restanten.
({2})
Die lagen wie ein Mehltau über Deutschland. Hätte es
damals nicht Rot-Grün gegeben, würden wir noch heute
darunter schlummern. - So viel zu den Restanten.
({3})
Das Urteil ist meiner Ansicht nach klug; denn es hat
Grundsätzliches bestätigt und nimmt uns viel stärker in
die Pflicht. Uns nimmt es aus gutem Grund stärker in die
Pflicht; denn wir können es in Zukunft nicht einfach einem Ministerium überlassen, eine entsprechende Regelsatzverordnung festzulegen. Das ist gut so. Ich denke,
dass es richtig ist, dass wir darüber reden, dass - ich zitiere - „alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten … Verfahren nach dem
tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht“, bemessen
werden. Das ist zum Beispiel an Sie, Herr
Dr. Linnemann, die Einladung, einmal in Familien zu
gehen, die im Augenblick von Grundsicherung leben. In
Ihrer Rede kamen die gar nicht vor. Es wäre sehr schön,
Sie würden sich diesem Alltag ein bisschen stärker widmen.
({4})
- Herr Kurth, ich war ziemlich viel unterwegs; daran
lasse ich nicht rütteln. Sie können mich gerne zukünftig
begleiten.
Dieses Urteil hat uns gezeigt, an welchen Stellen wir
nachbessern müssen. Die sind nicht gerade klein oder
gar billig. Ich denke, dass wir im Laufe dieses Jahres
noch enormen Gesprächs- und Debattenbedarf dazu haben werden. Ich bin mir nämlich sicher, dass wir uns
über das, was uns ins Stammbuch geschrieben wurde,
nicht leicht einigen können. Wenn ich mir anschaue, wie
Schwarz-Gelb Kinder in letzter Zeit behandelt hat, dann
komme ich zu dem Ergebnis: Von Gleichbehandlung
konnte da keine Rede sein.
({5})
Ich sage: 0 Euro, 20 Euro, 40 Euro, und alle wissen, was
ich damit meine. Insofern glaube ich, dass wir das unbedingt angehen müssen.
Herr Kolb, ich kann mich überhaupt nicht erinnern,
({6})
dass es einen Antrag der FDP gab, aus der Regelsatzverordnung ein Gesetz zu machen. Insofern sage ich jenen,
die mit im Boot sitzen und jetzt besser werden müssen:
Willkommen an Bord! Sie waren immer dabei. Sie können sich nicht herausschummeln.
({7})
Mit Blick auf die Kinder, um die es uns geht, stelle
ich fest: Alle Kinder und alle Jugendlichen haben ein
Recht auf gute Bildung, Teilhabe und Gesundheit. Ich
bin davon überzeugt, dass wir das nicht allein mit einem
stichhaltig entwickelten höheren Regelsatz erreichen.
Dieser ist zwar notwendig, den wollen wir herbeiführen;
aber es muss mehr folgen. Für uns von der SPD gilt: Jedes Kind ist uns gleich viel wert. Ich will Frau Kipping
gerne Nachhilfe geben: Beschlusslage unserer Partei ist,
dass wir eine eigenständige Grundsicherung für Kinder
entwickeln wollen. Sie können sicher sein: Das wird
auch so kommen; wir legen dies vor.
Ich befinde mich in guter Gesellschaft. Frau Heil, ich
hatte den Eindruck, dass vielleicht auch Sie zu jenen gehören, die wie der Deutsche Kinderschutzbund, die
AWO, die GEW und das Zukunftsforum Familie sagen:
Wir brauchen eine Kindergrundsicherung zur Gleichbehandlung aller Kinder. Diese haben nämlich einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, bei dem nicht unterschieden
wird, wie wohlhabend oder nicht wohlhabend die Eltern
sind. Meines Erachtens brauchen wir den Mut, eine bessere Struktur bei den familienfördernden Leistungen, für
die wir in diesem Land Jahr für Jahr viel Geld ausgeben,
einzuziehen. Wir haben im Augenblick ein großes Ungleichgewicht: Es gibt Steuererleichterungen und Kinderfreibeträge für Kinder in den Familien, die es sowieso
dicke haben. Bei den anderen gibt es wirklich allen
Grund nachzubessern. Wenn uns das gelingt, dann werden wir - da bin ich mir sicher - verfassungskonforme
Lösungen entwickeln können. Die Kinder, die dies dann
betrifft, haben es verdient, dass wir uns kümmern. Die
SPD bietet Schwarz-Gelb tatkräftige Unterstützung an.
Ich glaube, die haben Sie nötig.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen!
Werte Kollegen! Frau Kollegin Kipping, Frau Kollegin
Golze und Herr Kollege Ernst, Sie waren in Karlsruhe.
Es ist gut, wenn man sich zu einem Gericht begibt, um
sein Wissen zu mehren. Man muss sich dann aber natürlich auch anhören, was das Gericht insgesamt gesagt hat,
liebe Frau Kipping.
({0})
Sie haben in Ihr Täschchen gegriffen und das Urteil herausgezogen. Mir liegt das Urteil auch vor. Es ist gerade
für einen Juristen immer wertvoll, in ein Urteil zu
schauen. Dadurch wird das Wissen enorm gemehrt,
wenn man das Urteil versteht.
({1})
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat uns heute aufgegeben, die Hartz-IV-Regelsätze
neu zu berechnen. Frau Bundesministerin von der Leyen
hat ja schon im Vorfeld angekündigt, dass wir jetzt genau definieren und auch genau definieren müssen - auch
das steht im Urteil -, was der Kinderbedarfssatz für die
soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Dabei
ist der Blick auch stärker auf Sachleistungen wie beispielsweise Nachhilfe, Sportunterricht, Ausstattung für
den Schulunterricht und warmes Schulessen zu richten.
In dem Urteil steht auch, dass die 100 Euro im Rahmen
unseres Schulstarterpakets ein willkürlich gegriffener
Betrag ist. Wir müssen begründen, warum wir 100 Euro
und nicht 105 Euro oder 95 Euro gewählt haben.
Wie alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nehmen wir auch dieses selbstverständlich sehr
ernst. Der Zeitpunkt, zu handeln, ist jetzt gekommen.
Wir werden uns die Zeit nehmen, die Regelsätze so anzupassen und deren Berechnung so zu gestalten, dass sie
verfassungsfest sind und dass wir den Bedürfnissen der
Betroffenen damit möglichst entgegengekommen.
Aus Ihrer Richtung kam hier die Kritik auf, dass wir
uns zu viel Zeit gelassen haben. Jawohl, es stimmt: Sie
haben im letzten Quartal des Jahres 2009 - auch schon
im Sommer 2009 - ein paar Anträge in dieser Richtung
vorgelegt und darauf hingewiesen, dass hier eine Schieflage ist. Es ist aber auch richtig, dass im Oktober die
mündliche Verhandlung war und dass es uns gut ansteht,
die Weisheit unserer Bundesverfassungsrichter bei einer
Neuregelung mit zu berücksichtigen.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem heutigen
Urteil expressis verbis bestätigt, dass der Gesetzgeber
bei Einführung der SGB-II-Regelungen in den Jahren
2004 und 2005 zur Sicherung eines menschenwürdigen
Existenzminimums feste Regelsätze schaffen durfte.
Frau Kollegin Enkelmann - sie ist gegangen; ich
frage mich, wo die Frau Kollegin Enkelmann ist; gerade
war sie noch da und hat geschimpft ({3})
hat geschimpft und gesagt, dass sie das Urteil empört
hat. Man muss sagen: Das Urteil hat natürlich eine gewisse wissenschaftliche Tiefe. Mit geneigter Erlaubnis
des Herrn Präsidenten möchte ich ein paar Sätze aus dem
Urteil zitieren:
Aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folge die verfassungsrechtliche
Pflicht zur Gewährleistung des Existenzminimums, welches sich nicht auf das „nackte Überleben“ beschränken dürfe, sondern auch die Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben ermöglichen müsse.
Die Entwicklung des Leistungskonzeptes sei dabei
Aufgabe des Gesetzgebers, dem weite Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt seien. Von Verfassungs
wegen geboten sei zwar eine dem Leistungskonzept
- wohlgemerkt: auch das schreibt das Bundesverfassungsgericht adäquate, realitätsgerechte Bedarfsbemessung, der
Gesetzgeber unterliege jedoch keiner Begründungspflicht. Bei der Bestimmung des Existenzminimums sei der Gesetzgeber an Art. 3 Abs. 1 GG in
seiner Ausprägung als Gebot der System- und
Sachgerechtigkeit gebunden. Schließlich treffe den
Gesetzgeber entsprechend dem Gedanken eines
„lernenden Systems“
- man beachte eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht.
Ich kann mich an die Diskussionen in den letzten Wochen hier erinnern. Wir haben regelmäßig darauf hingewiesen: Hartz IV ist ein lernendes System. Hartz IV hat
noch Kinderkrankheiten.
({4})
Hartz IV ist nach vier Jahren noch nicht perfekt, aber wir
arbeiten gemeinsam mit unseren Kollegen von der FDP
daran, es zu optimieren. Herr Kollege Kolb hat bereits
einiges dazu sehr treffend ausgeführt.
({5})
- Bevor sich die SPD zu arg echauffiert, darf ich noch
zwei Sätze zitieren:
Diesen Anforderungen genügten sowohl die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 bis 3 SGB II als auch das
Sozialgeld nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II.
Das Leistungskonzept des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch sei in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 1
GG auf Eigenverantwortung
- auch das schreibt das Bundesverfassungsgericht ({6})
durch Einsatz der Erwerbsfähigkeit orientiert mit
dem Ziel, dem Hilfebedürftigen schnell zur Sicherung seiner eigenen Existenz zu verhelfen.
Auch das - Fordern und Fördern - steht expressis verbis in dem Urteil. Das Urteil umfasst leider 40 Seiten,
die man innerhalb von wenigen Stunden nicht im Detail
durcharbeiten kann. Ich kann aber jeder Kollegin und jedem Kollegen - insbesondere von der Linkspartei - nur
empfehlen, das Urteil einmal in Gänze zu lesen. Sie werden Ihr Wissen dadurch tatsächlich mehren.
({7})
Die Art und Weise der Berechnung mit Pauschalabschlägen auf den Regelsatz eines Erwachsenen - das ist
richtig und wurde bereits von den Vorrednern ausgeführt entspricht nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter
nicht einer transparenten und sachgerechten Berechnungsweise. Bei der Ermittlung des Bedarfs muss man
sich demnach stärker an dem tatsächlichen Bedarf als an
prozentualen Berechnungen ausrichten, mit denen man
sich am Haushalt eines alleinstehenden erwachsenen
Singles orientiert. Es wurde bereits darauf hingewiesen:
Ja, wir haben in den Regelsätzen für den Bereich Bildung keinen Prozentsatz eigens für Kinder berücksichtigt. Das ist der größte Mangel. Wir haben den Singlehaushalt mit berücksichtigt.
Es war für uns nicht völlig überraschend, dass die Berechnungsweise vom Verfassungsgericht kritisiert wird.
Das Verfassungsgericht hat aber an keiner Stelle des Urteils, soweit ich es bisher durcharbeiten konnte, die Höhe
der Bedarfssätze per se infrage gestellt.
Wir werden überprüfen, was die Familien bzw. die
Kinder brauchen. Dann werden wir sine ira et studio,
ohne Zorn und Aufgeregtheit, die neuen Bedarfssätze
festlegen. Ich bitte alle Wohlmeinenden, entsprechend
daran mitzuwirken.
Herr Präsident, ich bedanke mich, dass Sie mir 40 Sekunden mehr Redezeit gewährt haben.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Heike Brehmer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat uns als Gesetzgeber aufgetragen, die
Berechnungsgrundlage für die Kinderregelsätze anzupassen und Härtefallregelungen für atypische Bedarfe in
das SGB II aufzunehmen. Wir nehmen dieses Urteil als
Grundlage und werden in den nächsten Wochen und Monaten sorgfältig und so schnell wie möglich die von den
Verfassungsrichtern geforderten Konkretisierungen umsetzen und dabei ein transparentes und realitätsgerechtes
Verfahren zur Berechnung der Regelsätze gesetzlich fixieren.
({0})
Das Gericht hat das Statistikmodell, das für die Bemessung der Regelsätze gilt, als im Grundsatz taugliches
Berechnungsverfahren bestätigt. Die Richter sahen aber
in der Kopplung an den Rentenwert einen Maßstabswechsel, der einen Verfassungsverstoß darstellt. Jetzt
wird es darum gehen, diese Berechnungsgrundlage
grundgesetzfest und transparent zu gestalten.
Für die christlich-liberale Koalition steht fest, dass bei
den gesetzlichen Änderungen vor allem die Belange der
Kinder im Mittelpunkt stehen werden.
({1})
Kinder müssen am gesellschaftlichen Leben teilhaben
können und die materiellen Grundlagen für eine umfassende Bildung erhalten.
({2})
Wir werden deshalb beim Bemessungsgrundsatz für
Kinder den Schwerpunkt auf eine ausreichende Ausstattung mit Geld-, Sach- und Dienstleistungen für die Bildung legen.
Das heutige Urteil hält vor allem die Abschläge vom
Regelsatz beim Sozialgeld für Kinder für empirisch und
methodisch nicht fundiert und beanstandet auch die Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichproben
beim Regelsatz für Erwachsene als nicht tragfähig. Ich
bin mir sicher, dass das zuständige Bundesministerium
der Vorgabe des Gerichts nachkommen und zügig einen
sachgerechteren Anpassungsmechanismus erarbeiten wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien Sie versichert,
dass wir in der christlich-liberalen Koalition uns dieser
Aufgabe in verantwortungsvoller Weise stellen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber
dazu einen straffen Zeitplan vorgegeben.
Wir haben in den zurückliegenden Wochen und Monaten an dieser Stelle immer wieder gesagt, dass wir im
Rahmen verschiedener Neuregelungen im SGB II das
heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten
und entsprechend umsetzen werden. Selbstverständlich
werden darin auch verfassungskonforme gesetzliche Regelungen zur Berechnung des Bedarfs bei Kindern und
die Berechnungsgrundlage für atypische Ausgaben enthalten sein.
Die Bundesverfassungsrichter haben ein Urteil mit
Augenmaß gefällt, welches nun sachgerecht von uns
umgesetzt werden muss. Zu dieser Reform gehört aber
auch die Neuorganisation im SGB II. Um es noch einmal
ganz deutlich zu sagen: Die Union hat die Erhöhung der
Regelsätze für Kinder als Einzelmaßnahme abgelehnt
und immer darauf verwiesen, dass wir das heutige Urteil
des Bundesverfassungsgerichts abwarten.
Abschließend möchte ich feststellen, dass es die elementare Aufgabe der Politik bleibt, die wirtschafts- und
sozialpolitischen Weichen so zu stellen, dass wirtschaftliches Wachstum und sozialer Ausgleich kein Widerspruch sind.
({3})
Maßnahmen wie die anstehende Strukturreform im
SGB II, die im Koalitionsvertrag festgelegte Pauschalisierung der Kosten der Unterkunft und die Anhebung
des Schonvermögens sind dazu wichtige Bausteine. Dies
sind allesamt Regelungen, die die Leistungsbereitschaft
erhöhen und neue Perspektiven für hilfsbedürftige Familien mit Kindern in unserem Land eröffnen.
Wir sollten nicht lange zögern und die Umsetzung
dieses Urteils anpacken. Es gilt, transparente und nachvollziehbare Berechnungen vorzulegen. Es wäre im Interesse aller Betroffenen und besonders der Kinder sehr
hilfreich, wenn wir gemeinsam diese Aufgabe lösen und
uns nicht um des Kaisers Bart streiten würden. Wir
könnten so ein großes Stück Vertrauen in unsere politische Arbeit hier im Deutschen Bundestag gewinnen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Frau Kollegin Brehmer, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur Strategie der Bundesregierung zur
Internationalisierung von Wissenschaft und
Forschung
- Drucksache 16/13852 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wenn die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal verlassen haben, kann ich die Aussprache eröffnen. - Das tue ich
hiermit und erteile als erstem Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Helge Braun.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Strategie
zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung hat das Bundeskabinett am 20. Februar 2008,
also etwa vor zwei Jahren beschlossen. Deutschland
muss sich - das ist die Grundüberzeugung - auf den Weg
begeben, einer der dynamischsten, wissensbasiertesten
Räume in Europa zu werden, und Europa muss der dynamischste, wissensbasierteste Raum der Welt werden. Ein
Mangel an Rohstoffen macht diesen Weg für uns alternativlos. Aber gleichzeitig ist auch klar, dass wir diesen
Weg nicht allein mit nationalen Strategien gehen können.
Man sieht in dieser Zeit noch etwas anderes: Die Dynamik in anderen Regionen der Welt ist ebenfalls groß.
Die UNESCO hat die Zahl der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler im Zeitraum von 2002 bis 2007 weltweit beobachtet und hat die positive Entwicklung festgestellt, dass die Zahl der wissenschaftlich tätigen Menschen in den Entwicklungsländern in diesem Zeitraum
um sage und schreibe 56 Prozent angewachsen ist. Wenn
man das in Beziehung zu dem etwa 10-prozentigen Anwachsen in Deutschland setzt, ist klar, dass wir im internationalen Vergleich einen geringeren Anteil an Wissenschaftlern in Europa und in Amerika haben: Heute sind
etwa 20 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in China tätig, 28 Prozent in Amerika und
26 Prozent in Europa. Deshalb ist es eine Aufgabe der
nationalen Politik, Wissenschaft und Forschung in einen
Internationalisierungsprozess zu bringen, um langfristig
die Erfolge gemeinsam mit anderen zu mehren.
Im Kabinettsbeschluss von 2008 hat die Bundesregierung daher vier Ziele festgelegt. Das erste Ziel ist die Intensivierung der Forschungszusammenarbeit mit den
weltweit Besten. Das zweite Ziel ist das Erschließen internationaler Innovationspotenziale. Das dritte Ziel ist
die deutliche Stärkung der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Das vierte Ziel ist die Übernahme
globaler Verantwortung bei der Bekämpfung und Beantwortung globaler Herausforderungen.
Zwei Jahre nach diesem allerersten Beschluss hat jetzt
die Bundesregierung einen ersten Bericht vorgelegt. Dieser zeichnet eine alles in allem ausgesprochen positive
Entwicklung. Wir können nämlich sagen, dass nahezu
alle Beteiligten in Deutschland die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung aufgegriffen haben
und jetzt mit eigenen Initiativen dabei sind, diese mit Leben zu erfüllen. Dazu gehören nicht nur die Bundesressorts und die Länder, also der politische Teil Deutschlands, sondern dazu gehören auch die Wirtschaft, die
Hochschulen, die Wissenschaftsorganisationen und unsere Mittlerorganisationen. Alle haben mit eigenen Initiativen die Internationalisierungsstrategie in den letzten
zwei Jahren mit Leben erfüllt.
Ich will dazu einige Beispiele erwähnen. Wir haben die
Alexander-von-Humboldt-Professuren ausgebaut und
werden sie weiter ausbauen. Sie sind ein geeignetes Mittel, um Wissenschaftler, und zwar die besten der Welt,
nach Deutschland zu holen, damit sie hier ihre Expertise
einbringen. Das Interessante ist, dass in den letzten zwei
Jahren, nämlich von 2008 bis 2009, 10 der 16 Preisträger
der Alexander-von-Humboldt-Professur gar keine Bildungsaus-, sondern ursprüngliche Bildungsinländer wa1860
ren, die wir wieder nach Deutschland zurückholen konnten. Somit ist das eine Maßnahme, die dem Braindrain in
Deutschland sehr wirksam entgegenwirkt.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
hat im zweiten Halbjahr 2009 mit einer Pilotmaßnahme
die Kontakte deutscher Netzwerke aus Wirtschaft und
Wissenschaft mit den fachlich relevanten Netzwerken
und Clustern weltweit gefördert. Wir sind heute froh, zu
sehen, dass sich viele kleine und mittelständische Unternehmen daran beteiligen.
Das nächste Zielfeld, die Zusammenarbeit mit den
Entwicklungsländern, ist ein Feld, das gut gedeiht. Es ist
uns wichtig, dass wir mit den Schwellen- und Entwicklungsländern auf Augenhöhe handeln und uns etwa in
den Kompetenzzentren in Afrika gemeinsam mit den
Herausforderungen von Hunger, Dürre oder vernachlässigten Erkrankungen anwendungsnah auseinandersetzen.
Zusammen mit unseren Partnern in der EU, in den
Vereinten Nationen, in der OECD, den G-8-Staaten und
zunehmend auch den G-20-Staaten wollen wir wissenschaftliche Lösungsbeiträge für die globalen Klima-,
Ressourcen-, Gesundheits- und Sicherheitsprobleme
leisten. Gerade zu diesem Zweck hat das BMBF eine
multinationale Initiative bei der OECD angeschoben, die
noch in dieser Legislaturperiode Empfehlungen für eine
verbesserte multilaterale Zusammenarbeit entwickeln
soll.
Ein weiterer Vorstoß des BMBF im Rahmen der G 8
war gerade erst in der letzten Woche von einem schönen
Erfolg gekrönt. Unter der Federführung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, DFG, haben die Förderorganisationen der G 8 ein multilaterales Pilotprogramm eingerichtet. Künftig müssen Forschungsteams ihre Fördergelder nicht mehr einzeln in jedem G-8-Staat bei einer
Vielzahl von Organisationen, sondern nur noch einmal
gemeinsam bei einer federführenden Förderorganisation
beantragen.
({0})
Wer das Verfahren in der Vergangenheit kennt, der müsste
jetzt genauso begeistert wie die CDU/CSU-Fraktion sein.
({1})
Meine Damen und Herren, die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung hat eine ungeheure Dynamik in Gang gesetzt. Viele unserer Allianzinstitutionen
haben eigene Internationalisierungsstrategien auf den
Weg gebracht. Mit dem Vorsitz des europäischen Strategischen Forums für Internationale Kooperation bei der
EU hat das BMBF eine Schlüsselposition neu besetzt.
Ich hoffe, dass der Bundestag die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung in den kommenden Jahren
so unterstützt, dass wir diese mit Mitteln und Expertisen
fortsetzen können, und zwar im Interesse von Wissenschaft und Forschung in Deutschland, aber auch weltweit.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Burchardt von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wissenschaft ist per se international, und schon
immer wirken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den großen deutschen Wissenschafts- und
Forschungsorganisationen an internationalen Austauschprozessen mit. In besonderer Weise tragen dazu seit
Jahrzehnten der DAAD durch die Förderung des Wissenschaftleraustauschs und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung mit einem weltweiten Netzwerk von
23 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei.
Auch die gezielte politische Förderung der Internationalisierung des Hochschul- und Forschungsstandorts ist
nicht neu. Ministerin Edelgard Bulmahn und die rotgrüne Koalition haben 1998 damit begonnen und wichtige Weichen gestellt. Ich nenne nur die Einführung des
professionellen internationalen Hochschulmarketings,
das Schaffen attraktiverer Karrierewege durch die Juniorprofessur, die Exzellenzinitiative mit international
sichtbaren Leuchttürmen, die Gründung der deutschen
Universitäten in Kairo und Amman, die Preise zur Gewinnung internationaler Spitzenwissenschaftlerinnen
und -wissenschaftler und nicht zuletzt den Pakt für Forschung und Innovation.
({0})
Nach Jahren der Stagnation war dieser Aufbruch
überfällig, und er war erfolgreich. Der Braindrain wurde
gestoppt, es gibt schon seit Jahren mehr ausländische
Studierende als je zuvor. Es gibt 18 000 Hochschulpartnerschaften und internationale Forschungscluster. Das
sind die Erfolge, die wir geschaffen haben und auf die
wir stolz sind.
({1})
An sie kann die aktuelle Internationalisierungsstrategie
anknüpfen, über die wir heute debattieren.
({2})
Wenn man sich den Bericht anguckt, dann sieht man,
dass er ein Ausdruck von Kontinuität ist, und das ist
auch gut so.
({3})
Es ist aber keine Frage: Was gut ist, das kann und
muss besser werden. Als SPD-Bundestagsfraktion haben
wir deshalb die strategischen Initiativen der letzten Bundesregierung, die Außenwissenschaftsinitiative und die
Internationalisierungsstrategie, ausdrücklich begrüßt.
Insbesondere mit der Außenwissenschaftsinitiative ist
ein Paradigmenwechsel in der Außenpolitik vollzogen
worden, und auch da sind die Erfolge sichtbar. Das Netz
der Wissenschaftsreferenten an den Botschaften wurde
endlich ausgeweitet. Es wurden attraktive internationale
Stipendienprogramme eingerichtet. Die Goethe-Institute
wurden reformiert und auch finanziell gestärkt, das war
überfällig. Germanistik und Deutsch als Fremdsprache
wurden gefördert.
({4})
Wenn man sich international gut positionieren und das
Ansehen fördern will, dann sind das ganz wichtige Beiträge.
An der Internationalisierungsstrategie ist positiv, dass
erstmals die Gestaltung der Internationalisierung von
Wissenschaft und Forschung als Komplexität in den
Blick genommen wird. Besonders gut finde ich auch den
Ansatz, dieses Konzept als lernendes, sich dynamisch
entwickelndes und kontinuierlich zu überprüfendes zu
sehen. Das ist ein gutes Anliegen. Schauen wir einmal,
ob wir auch wirklich Fortschrittsberichte im Sinne der
Nachvollziehbarkeit dessen, was wirklich passiert ist,
bekommen können. Der jetzige Bericht ist leider noch
nicht so.
Positiv würde ich auch das Vorhaben nennen, mehr
Transparenz und Synergieeffekte zu schaffen sowie die
vielfältigen Akteure und Aktivitäten besser zu koordinieren. Das ist wirklich sinnvoll.
({5})
Allerdings lässt der Bericht offen, ob und wie dies faktisch passiert. Dem Bericht ist das wirklich nicht zu entnehmen. Kollege Braun, ich höre es mit großem Interesse, wenn Sie sagen, wie lebendig das alles passiere.
({6})
Gemessen an dem, was Sie hier erzählen, wirkt der Bericht jedoch relativ leblos. Vielleicht können Sie in der
Debatte im Ausschuss noch ein bisschen nachlegen und
ein wenig konkreter werden, statt in Schlagworten und
Schlagzeilen zu sprechen.
Vor allem wird mit dem vorliegenden Bericht nicht
erkennbar, ob es wirklich eine neue Dynamik im Sinne
eines mentalen Aufbruchs gibt. Der wäre notwendig, um
den Herausforderungen der globalen Wissensgesellschaft tatsächlich gerecht zu werden und eine globale
Gestaltungsperspektive zu entwickeln. Um es in ein Bild
zu fassen: Notwendig wäre der Wechsel von der Froschperspektive zur Adlerperspektive. Das heißt, nicht nur zu
fragen: Wie lassen sich der Standort und das Standortmarketing verbessern? Wie können wir das Schaufenster
besser gestalten? Vielmehr gilt es, zu fragen: Was kann
unser spezifischer deutscher Beitrag sein, um den globalen Strukturwandel mit Wissenschaft und Forschung so
zu gestalten, dass die Kluft zwischen Arm und Reich
wenn nicht überwunden, so doch zumindest kleiner
wird, sodass Wohlstandsgewinne für alle dabei herumkommen?
({7})
Nun nennt der Bericht die Millenniumsziele. Das ist
erfreulich. Wir lesen, dass es Bemühungen und Sondierungen in der Frage gibt, wie die Ziele erreicht werden
sollen. Das alles hat aber nichts mit einem kohärenten
Ansatz zu tun, der notwendig wäre. Notwendig wäre ein
ganzheitlicher Ansatz von Capacity-Bildung. Das bedeutet eben nicht nur, die strategische Kooperation mit
den Besten auszubauen, sondern auch, die Forschungsund Wissenschaftsstrukturen in denjenigen Ländern aufzubauen und zu stärken, die starke Partner brauchen.
({8})
Wir haben zwar gehört, dass das in der nächsten Etappe
ansteht - das hört sich gut an -; spannend wird es aber,
wenn wir Konkreteres erfahren. Dann werden wir in die
Prüfung einsteigen.
Nötig ist in einer Internationalisierungsstrategie auch
das stärkere Engagement in den UN-Institutionen, insbesondere in der UNESCO; denn sie ist die globale
Science-Policy-Agentur. Was dort passiert, gibt der Bericht leider ebenfalls nicht wieder. Dabei ist eines völlig
klar - wer sich ein bisschen mit Weltpolitik und den UNInstitutionen befasst hat, weiß das -, dass die Lösung der
globalen Probleme nicht nur davon abhängig ist, ob man
mit Wissenschaft und Forschung gute Beiträge liefert,
sondern auch davon, ob man mit der UNESCO eng kooperiert; sie ist nämlich der neutrale Mittler zwischen
den Staaten ist. Diese Kooperation ist - ich will es einmal vorsichtig sagen - sehr ausbaufähig. Ohne die
UNESCO hätte es beispielsweise nicht die Installation
des in Deutschland entwickelten Tsunami-Frühwarnsystems gegeben. Die UNESCO hat nämlich dafür gesorgt,
dass Staaten, die an sich nicht gut miteinander können,
sich auf dieses System eingelassen haben.
Da wir gerade bei den internationalen Organisationen
und ihrer Bedeutung sind: Ich glaube, wir sind an sich in
der Auffassung einig, dass eine starke Präsenz von Deutschen auch in den Spitzenpositionen der internationalen
Organisationen wichtig ist und daher dringend ausgebaut
werden muss.
({9})
Es gilt, auch darauf zu achten, dass keine Position verloren geht. Ein solcher Verlust droht aktuell bei der
UNESCO. Der vorherige Außenminister Steinmeier hat
gegenüber der UNESCO-Spitze - dort findet nach dem
Wechsel jetzt das große Stühlerücken statt - deutlich gemacht, dass deutsche Positionen verloren zu gehen drohen. Frau Staatsministerin, ich habe Sie noch einmal darauf aufmerksam gemacht: Ob wir unsere Position dort
halten, wird auch ein Prüfstein für das Engagement dieser Bundesregierung sein. Darüber werden wir in den
nächsten Wochen Klarheit gewinnen.
({10})
Ich komme zum Schluss. Das Bild von der Adlerperspektive hilft auch, den Blick darauf zu lenken, wo es in
Deutschland noch hakt, wenn es darum geht, ein guter
Global Player in der Wissensgesellschaft zu werden.
Dazu muss man sich ehrlich die Frage stellen, wie
Deutschland von außen wahrgenommen wird - unab1862
hängig davon, wie es gesehen werden will. Dazu drei
Punkte:
Junge Wissenschaftler aus Nicht-EU-Ländern berichten mir immer wieder von erheblichen Problemen mit
den Visa-Abteilungen in deutschen Botschaften, die ihre
Beteiligung an Wissenschaftsprojekten verhindern.
Die Frage des Ansehens als Wissenschaftsstandort
entscheidet sich auch an den Alltagserfahrungen derjenigen, die zu uns kommen und eine andere Hautfarbe haben. Wer sich bei den Ausländerämtern der Hochschulen
umhört, bekommt mit, dass Probleme mit den lokalen
Ausländerbehörden und bei der Wohnungssuche die Regel und bittere Realität sind.
Nicht zuletzt wird das Erscheinungsbild unseres Landes - ob wir wollen oder nicht - geprägt durch Bilder
von Neonaziaufmärschen und von brutalen Übergriffen,
wie sie zum Beispiel ein äthiopischer Wissenschaftler
am Potsdamer Max-Planck-Institut erleben musste.
Aus all diesen Gründen braucht die Internationalisierungsstrategie dringend eine andere, eine erheblich weitere Perspektive. Weltoffenheit und Toleranz sind die
entscheidenden Voraussetzungen, um die globalen Chancen in der Wissensgesellschaft zu nutzen und das Ansehen Deutschlands in der Welt zu mehren. Ich werbe dafür, dass Sie eine solche Kampagne zum integralen
Bestandteil der Internationalisierungsstrategie machen.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Martin Neumann
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Burchardt, ich danke Ihnen für Ihren konstruktiven Beitrag.
({0})
Eines glauben Sie mir bitte: Die schwarz-gelbe Regierung wird die Dynamik, die Sie eingefordert haben, sicherlich einbringen. Wir werden an bestimmten Stellen
nachhaken und an dieser Sache dranbleiben.
Wo Licht ist, gibt es bekanntlich auch Schatten. Jetzt
wollen wir natürlich darüber reden, an welchen Stellen
die Außenwissenschaftspolitik dieser Bundesregierung
verbessert werden muss. Wir müssen davon ausgehen,
dass diese Politik den wissenschaftlichen und akademischen Austausch zwischen Deutschland und der Welt
fördern muss. Genau diesem Anliegen dient die Strategie der Bundesregierung.
Herr Staatssekretär Braun hat die vier wichtigen Ziele
benannt. Aus meiner Sicht will ich das zusammenfassen.
Im Kern geht es dabei nicht um Selbstzweck, sondern
um internationale Hilfe, so wie Sie es auch gesagt haben,
um Kooperation, um die Weiterführung des Aufbaus eines internationalen entwicklungsfördernden Dialogs auf
Augenhöhe; darauf kommt es mir an der Stelle an.
Aus bildungs- und forschungspolitischer Sicht besteht
das Problem, dass unsere Bildungssysteme Schule und
Hochschule offensichtlich an einem Mangel an Attraktivität leiden. Darüber kann auch die gestiegene Zahl ausländischer Studierender nicht hinwegtäuschen. Die auswärtige Kulturpolitik könnte uns dabei helfen, unsere
Bildungspolitik zu verbessern. England, Frankreich und
die USA haben erkannt, dass Bildung ein wichtiger
Standortfaktor ist und langfristig den Interessen ihrer
Länder mehr dient als manche harten Standortfaktoren.
Deutschland als Studienstandort wird bei den ausländischen Studierenden zwar immer beliebter - er ist nach
den USA und Großbritannien am attraktivsten -; das erklärt sich aber leider auch aus der Tatsache, dass ein Studium in Deutschland für die Studierenden kostenlos ist.
So ist mittlerweile ungefähr jeder achte Studierende an
einer deutschen Hochschule ein Ausländer.
({1})
- Ich stelle es ja nur fest. - In den letzten zehn Jahren hat
deren Zahl um 100 000 zugenommen; das ist ein Anstieg
um circa 66 Prozent. Die meisten ausländischen Studierenden kommen aus China - 13,6 Prozent -, Bulgarien,
Polen und Russland. Auffällig ist, dass diese Studierenden im Vergleich zu ihren deutschen Kommilitonen
überdurchschnittlich häufig ein Ingenieurstudium absolvieren. 15 Prozent der Ausländer wählen ein solches
Studium, während dies von den deutschen Studierenden
nur 9 Prozent tun. Hier liegen aus meiner Sicht große
Potenziale für die Gewinnung von Hochqualifizierten
für die Wirtschaft.
Die grenzüberschreitende Vernetzung des Wissenschafts- und Forschungsstandorts Deutschland mit den
Wissenschaftssystemen der Welt ist eine wesentliche Voraussetzung für Forschung und Entwicklung sowie technologischen Fortschritt, Wachstum und Wohlstand.
Knapp 25 000 Wissenschaftler sind als Mitarbeiter an
deutschen Hochschulen tätig. Weitere 23 000 werden
von 66 Wissenschaftsorganisationen gefördert.
In diesem Zusammenhang ist die „Initiative Außenwissenschaftspolitik 2009“ positiv zu sehen. Das möchte
ich an dieser Stelle hervorheben. Mit dieser Initiative
werden Projekte gefördert wie der Aufbau von Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäusern, die die
Sichtbarkeit der deutschen Wissenschaft im Ausland erhöhen, und die Einrichtung von Exzellenzzentren der
Forschung und Lehre unter Mitwirkung deutscher Hochschulen. Ein weiteres Projekt ist der Ausbau des Angebots an Stipendien. So wird den Absolventen deutscher
Auslandsschulen die Möglichkeit zum Studium in
Deutschland eingeräumt. Es geht ferner um den Austausch von Wissen und die Vermittlung von Werten. Das
fördert die demokratische Entwicklung in den beteiligten
Ländern. Wichtig ist die Unterstützung von sogenannten
Orchideenfächern wie Kaukasiologie oder Koreanistik.
Das ist gerade für die Außenbeziehungen unseres Landes, ob in Wirtschaft oder Kultur, von großer Bedeutung.
Dr. Martin Neumann ({2})
Wichtig ist ferner die Schaffung von Grundlagen für den
Austausch über die gemeinsame Sprache. Zum Erlernen
der deutschen Sprache bieten moderne Technologien wie
das Internet bisher unbekannte Möglichkeiten.
Künftig sollte, auch im Rahmen der Debatte zur Einführung von Studiengebühren, intensiver über den Bildungsmarkt Deutschland nachgedacht werden.
Ich möchte noch einige Themen nennen, die die FDPBundestagsfraktion in den letzten Jahren begleitet hat.
Zu nennen sind unter anderem das Mittel- und Osteuropazentrum in Leipzig, die Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland und - das halte ich
für ganz wichtig - die Konzentration der Zuständigkeiten für die auswärtige Kulturpolitik, die vorher in sechs
Bundesministerien verteilt waren. Diese Konzentration
hat auch dazu geführt, dass diese Politik jetzt viel besser
transportiert werden kann. Genau an dieser Stelle, meine
Damen und Herren, und mit dieser Strategie werden wir
weiterarbeiten.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
wie Frau Sager nur vier Minuten Zeit, um die Strategie
der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung zu bewerten. Es ist völlig klar:
Das geht nur fragmentarisch. Deshalb - das wird Sie
nicht wundern - konzentriere ich mich auf die Kritik.
({0})
- Lassen Sie mich doch erst einmal richtig anfangen.
Zunächst etwas Grundsätzliches: Ihre Strategie soll
langfristig greifen, und strategisch wollen Sie sich den
- ich zitiere - „großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft“ stellen. Laut Ihrem Bericht geht
es darum, den Klimawandel zu bewältigen, die Energieversorgung zu sichern, Armut und Infektionskrankheiten
zu bekämpfen und schließlich Fragen von Sicherheit und
Migration zu beantworten. Das liest sich nicht schlecht,
möchte man meinen. Bei mir jedoch ist Misstrauen geblieben. Als ich weitergelesen habe, ist mir auch klar
geworden, warum ich so ein komisches Gefühl hatte.
Etwas weiter heißt es nämlich wörtlich in diesem Bericht:
Die Internationalisierung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im globalen Wettbewerb und daher wesentliches Element einer modernen Innovationspolitik.
Das heißt, Sie bleiben auch in diesem Feld Ihrer Logik
treu: Konkurrenz vor Kooperation. Das steht natürlich
- Sie haben es selbst erwähnt - im Einklang mit der Lissabon-Strategie der EU, die Europa zum stärksten wissensbasierten Wirtschaftsraum machen will. Dass Sie
das planen, deklinieren Sie im ganzen Bericht durch.
Ich kann angesichts dessen durchaus an die Ausführungen von Frau Burchardt anschließen, was am Ende
bei einer solchen Politik herauskommt. Ich will ein dramatisches Beispiel nennen: In den Millenniumszielen
der UNO war die Halbierung der Zahl hungernder Menschen weltweit anvisiert. Von rund 800 Millionen Hungernden wollte man auf rund 400 Millionen Hungernde
am Ende der ersten Dekade dieses Jahrhunderts kommen. Jetzt, meine Damen und Herren, 2010, liegen wir
weltweit bei fast 1 Milliarde Hungernden. Dazu hat eben
auch beigetragen, dass die auf den G-8-Treffen wie dem
in Heiligendamm abgegebenen Versprechen nicht gehalten wurden. Die Entwicklungshilfe sollte massiv aufgestockt werden. Auch das ist nicht geschehen. Ein solches
Herangehen auf der Basis von Wettbewerbs- und Standortlogik verfestigt natürlich Ungleichheiten.
Wir als Linke haben immer einen kooperativen Ansatz gefordert. Wissensgewinnung und Wissensanwendung sollen uneingeschränkt der weltweiten Verbesserung von Lebensqualität und -grundlagen dienen, sollen
helfen, natürliche Ressourcen einzusparen und biologische Vielfalt zu erhalten, sollen aber natürlich auch
Beschäftigungsgrundlagen sichern wie soziale und kulturelle Teilhabe eröffnen. Solange Sie aber Wissen ökonomisieren und als Ware quasi künstlich verknappen,
solange soziale und auch patentrechtliche Zugangsbeschränkungen bestehen, bleibt dieses Strategieziel am
Ende Etikettenschwindel.
({1})
Mithin geht es Ihnen nicht nur um geronnenes Wissen, das man sozusagen nachlesen und anwenden kann
und möglicherweise beim Patentamt anmelden kann.
Nein, es geht Ihnen auch um Internationalisierung unter
dem Blickwinkel der Gewinnung von Nachwuchseliten.
Im Bericht nennen Sie das Scouting und Monitoring.
Wenn dies allerdings unter den Vorzeichen geschieht, die
ich beschrieben habe, müsste man es eher als Hunting,
also die Jagd nach Köpfen, bezeichnen. Das heißt, Sie
schöpfen durchaus auch gezielt Ausbildungsleistungen
anderer Länder ab. Dem dienen die jüngsten Erleichterungen für ausländische Qualifizierte in Deutschland in
Wahrheit. Am Ende ist es für Sie nur von sekundärer Natur, welche Chancen jungen Zuwanderern eröffnet werden. Es geht Ihnen vor allem um den wirtschaftlichen
Vorteil, den Sie sich davon versprechen,
({2})
und um eine Reduzierung des permanenten Fachkräftemangels.
Umgekehrt endet die Internationalisierung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus
Deutschland oft damit, dass die betreffenden jungen
Leute auswandern, weil hiesige akademische Karrieren
unattraktiv sind. Sie haben Rückholprogramme aufge1864
legt; die sind zwar gut gemeint, aber nicht die Lösung.
Den Studierenden war versprochen worden, mit der Studienreform im Zuge des Bologna-Prozesses auch Freiräume für Auslandsstudien zu schaffen. Das Gegenteil
ist eingetreten: Nur 15 Prozent der Studierenden gehen
während einer dreijährigen Ausbildung zum Bachelor
ins Ausland. Die dort erbrachten Leistungen werden hier
vielfach nicht anerkannt. Das BAföG deckt nur zum Teil
oder gar nicht die damit verbundenen Kosten ab. Die
Anzahl der angebotenen Stipendienprogramme ist viel
zu gering; denn die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber übersteigt sie um ein Vielfaches.
Im Forschungsausschuss hat uns letztens der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Strohschneider,
sehr eindringlich das Dilemma eines Auslandsaufenthaltes einer jungen Studentin beschrieben. Die Problemlagen waren genau so, wie ich sie eben beschrieben habe.
Da kam wieder einmal das Leben daher und sagte: Ich
bin anders.
Wer die wirklich großen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft meistern will, muss Wissen globalisieren. Er muss vor allem die Zugangsschranken abbauen.
Frau Kollegin Sitte, kommen Sie bitte zum Schluss.
Danke für den Hinweis. - Ich komme zu meinem letzten Satz: Nur wer Wissen teilt, wird es am Ende auch
vermehren können.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der
Internationalisierung der Wissenschaft haben wir es von
vornherein mit sehr unterschiedlichen Zielen und mit
sehr unterschiedlichen Interessen zu tun. Wir bewegen
uns in einem Spannungsfeld zwischen Kooperation und
Konkurrenz. Deswegen hat der Wissenschaftsrat recht,
wenn er sagt: Eine einzige Internationalisierungsstrategie, die sich auf alle Akteure und Institutionen bezieht,
kann es gar nicht geben. - Deswegen ist die sogenannte
Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung eher
ein Begriff aus dem politischen Marketing.
({0})
Der heute vorliegende Bericht ist eine langatmige
Fleißarbeit im Wahlkampfjahr. Maßnahmen, Vorhaben
und Projekte werden aufgezählt. Aber spezielle Defizite
und Problemfelder des deutschen Wissenschaftssystems,
aber auch seine Vorzüge werden systematisch umschifft
und nicht aufgedeckt. Die Indikatoren, die uns anzeigen,
wie wir die Erfolge auf der Zeitschiene bewerten können, werden nicht transparent gemacht. Deswegen ist
dieser Bericht für eine ernsthafte Strategiediskussion eigentlich völlig ungeeignet.
({1})
Ich will mich auf einige Aspekte der internationalen
Mobilität konzentrieren. Wir hatten von 1997 bis 2006
einen sehr starken Anstieg bei den ausländischen Studierenden. 2007 und 2008 gab es in diesem Zusammenhang
eher Rückgang oder Stagnation. Gleichzeitig ist aber
weltweit die Zahl der Studierenden, die sich international bewegen, dramatisch angestiegen. Das relativiert den
dritten Platz, den wir unter den attraktiven Studentenländern einnehmen, ganz erheblich. Wir müssen uns fragen,
wie lange wir diesen dritten Platz noch werden halten
können.
In diesem Bericht müssten einige Probleme viel stärker in den Fokus gerückt werden. Mit der Bologna-Strategie sollte gerade unsere internationale Anschlussfähigkeit auf diesem Gebiet gesichert werden. Nun haben wir
aber schon auf nationaler Ebene bei der Anerkennung
und bei der Vergleichbarkeit von Abschlüssen große
Probleme. Die angestrebte Verbesserung bei der Betreuung ist unterfinanziert. Die ausländischen Studierenden
klagen über Orientierungsprobleme, über Finanzierungsprobleme und über mangelnde Anerkennung ihrer Vorbildung. Solche Punkte müssten in diesem Bericht im
Vordergrund stehen. Das ist hier aber nicht der Fall.
({2})
Die stark gestiegene Mobilität der deutschen Studierenden ist natürlich erfreulich. Aber angesichts der Tatsache, dass ein großer Anteil von ihnen in die Niederlande, nach Österreich und in die Schweiz geht und dass
es einen Sondereffekt bei den Studierenden der Humanmedizin gibt, müssen wir uns fragen, ob eine wachsende
Anzahl von NC-Flüchtlingen, von Studiengebührenflüchtlingen und von in Deutschland unterversorgten
Studierenden ein Erfolg dieser Internationalisierungsstrategie sein kann.
({3})
Der Wissenschaftsrat hat zu Recht ein Problemfeld im
Zusammenhang mit den internationalen Wanderungssaldos besonders hervorgehoben. Mit Blick auf die PostDoc-Phase ist es offenkundig, dass wir in Deutschland
Probleme haben, attraktive und kalkulierbare Karrierewege anzubieten. Es ist in Ordnung, wenn man unter
Wettbewerbs- und Internationalisierungsgesichtspunkten
die Anwerbebedingungen für Spitzenforscher flexibilisiert. Aber wenn das auf Kosten des wissenschaftlichen
Nachwuchses geht, dann haben wir national und international mit Rosinen gehandelt. Auch das müssen wir einmal sehen.
25 Prozent der ausländischen Studierenden in
Deutschland sind Bildungsinländer mit ausländischem
Pass. An der Gesamtzahl der Promotionen in DeutschKrista Sager
land haben sie aber nur einen Anteil von 0,4 Prozent.
Wenn wir dieses Potenzial heben würden, hätten wir einen Diversifizierungsgewinn im Wissenschaftssystem
ohne eine einzige Anwerbung aus dem Ausland. Auch
das sollte einmal in den Fokus gerückt werden.
({4})
Dieser Bericht ist in erster Linie eine Lobpreisung der
Bundesregierung. Das lasse ich Ihnen durchgehen, denn
wir hatten Wahlen im letzten Jahr. Ich möchte aber, dass
Sie in dem nächsten Bericht die Problemfelder sowie
spezielle Defizite und Vorzüge in den Blick nehmen und
uns so in die Lage versetzen, eine wirkliche Strategiediskussion zu führen. Ich würde Ihnen auch anbieten, Sie
dabei weiterhin konstruktiv zu begleiten.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Dr. Reinhard Brandl von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir leben in einem Zeitalter einer immer schneller voranschreitenden Globalisierung in immer mehr Bereichen unserer Gesellschaft. Das beginnt bei der Wirtschaft und geht über fast alle Felder der Politik bis hin
zur Kultur. Aber in kaum einem anderen Bereich sind
der Nutzen und die Notwendigkeit des internationalen
Austausches so groß wie in der Wissenschaft und in der
Forschung.
Über 90 Prozent des Wissens entsteht außerhalb
Deutschlands. Um dieses Potenzial für uns zu erschließen, brauchen wir internationale Zusammenarbeit. Das
hat nicht nur die ökonomische Dimension, dass wir als
Standort im weltweiten Wettbewerb um die besten
Köpfe und Innovationen bestehen. Wissenschaft und
Forschung sind auch die Grundlage für die Bewältigung
der großen Herausforderungen der Menschheit, wie Umgang mit dem Klimawandel, Kampf gegen Hunger, Armut und Krankheiten oder die Zukunft der Energieversorgung.
Das sind globale Probleme, mit deren Erforschung
und Lösung ein einzelnes Wissenschaftssystem überfordert wäre. Wir stehen in der Verantwortung, als starker
Wissenschaftsstandort Deutschland einen nachhaltigen
Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten.
({0})
Unter Federführung von Ministerin Schavan und ihrem Ministerium hat die Bundesregierung dazu vor zwei
Jahren eine Strategie zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung vorgelegt. Sie soll Richtschnur
für den Ausbau der internationalen Kooperationen unserer Wissenschafts-, Forschungs- und Mittlerorganisationen sein und zugleich die Ausgangsbasis für ressortübergreifende Zusammenarbeit.
Wir wollen die Kooperation mit den besten Forschern
der Welt. Wir wollen unseren Wissenschaftlern und Unternehmern helfen, sich weltweit Innovationspotenziale
und Märkte zu erschließen. Wir wollen aber auch die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern in Bildung und
Forschung stärken und Verantwortung für die Bewältigung der globalen Herausforderungen übernehmen.
Die letzten beiden Punkte sind für mich das Bemerkenswerte an dieser Strategie. Deutschland bekennt sich
damit ausdrücklich zu seiner internationalen Verantwortung. Die Internationalisierung von Wissenschaft und
Forschung wird explizit als Element unserer Entwicklungspolitik verstanden. Die Themen für Kooperationen
mit Entwicklungsländern lassen sich direkt aus den Millenniumszielen der Vereinten Nationen ableiten. Ich
nenne beispielhaft den Umweltschutz, die Landwirtschaft, die Nahrungsmittelversorgung, nachhaltiges Ressourcenmanagement oder den Gesundheitssektor.
Gleichzeitig müssen wir aber auch das Bildungs- und
Wissenschaftssystem in unseren Partnerländern vor Ort
stärken. Nur wenn vor Ort Wissen entsteht und weitergegeben werden kann, haben die Menschen eine Perspektive, selbst an der Lösung ihrer Probleme zu arbeiten und
ihr Land weiterzuentwickeln.
({1})
Der nun vorliegende Zwischenbericht zeigt, dass wir
auf dem richtigen Weg sind. Die Strategie wird von allen
beteiligten Organisationen - vom Auswärtigen Amt bis
hin zum Wissenschaftsrat - mitgetragen und unterstützt.
Bei der Entwicklungshilfe sind das BMBF und das BMZ
die wesentlichen Akteure. Im BMBF ist ein neuer
Schwerpunkt der internationalen Aktivitäten entstanden, nämlich die Zusammenarbeit mit Entwicklungsund Schwellenländern. Dieser Bereich soll in Zukunft
nachhaltig gestärkt und ausgebaut werden. Dazu passt
auch, dass der Haushaltsansatz im vorliegenden Haushaltsentwurf erhöht worden ist. Das BMZ hat das Thema
offensiv aufgegriffen und mit der Entwicklung einer eigenen Forschungsstrategie begonnen, die den Grundlinien der vorliegenden Internationalisierungsstrategie
folgt.
Zwischen den beiden Häusern wurde eine Ressortvereinbarung geschlossen mit dem Ziel, Einzelinstrumente
gemeinsam zu überprüfen und eng abzustimmen. Forschungsförderung und Entwicklungszusammenarbeit
müssen aufeinander aufbauen. Die eine Hand muss wissen, was die andere tut. An der Verbesserung der Zusammenarbeit - nicht nur zwischen BMBF und BMZ, sondern zwischen allen beteiligten Institutionen in Bund
und Ländern - müssen wir weiter arbeiten. Wir brauchen
ein noch besseres, gemeinsames Verständnis von Prioritäten und Zielen innerhalb Deutschlands, aber auch in
Abstimmung mit unseren Partnerländern. Darin sehe ich
das größte Potenzial und die meisten Ansatzpunkte für
die Zukunft.
Die Arbeitsgruppen „Bildung und Forschung“ sowie
„Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ der
CDU/CSU-Fraktion haben am Ende der letzten Legislaturperiode gemeinsam 13 Forderungen aufgestellt, die
darauf gerichtet sind, durch eine Allianz aus Politik,
Wissenschaft und Wirtschaft einen wirkungsvollen und
nachhaltigen Beitrag zur Lösung der globalen Probleme
leisten zu können. Unter Federführung der Kollegin
Hübinger werden wir dieses Thema in dieser Legislaturperiode wieder aufgreifen;
({2})
denn gerade was die Hilfe der Schwachen und
Schwächsten in der Welt angeht, sehen wir uns als
christlich-liberale Koalition in einer besonderen Verantwortung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich komme gerade rechtzeitig, um die Aussprache zu
schließen, was ich hiermit tun möchte.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13852 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das sieht so aus. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 a und
6 b:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung des Kündigungsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ({0})
- Drucksache 17/648 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Jan Korte, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot der Verdachtskündigung und der Erweiterung der Kündigungsvoraussetzungen bei
Bagatelldelikten
- Drucksache 17/649 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Rechtsausschuss ({3})
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann haben wir das so
vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es gibt kaum eine Kleinigkeit des alltäglichen
Lebens, die nicht vor einem Arbeitsgericht verhandelt
wurde. Es gibt den Fall mit den zwei gebratenen Fischen
und den drei Fischbrötchen. Es gibt den Fall mit dem
Aufstrich für ein Brötchen und zwei belegten Brötchenhälften. Es gibt den Fall mit dem Schluck Cola und dem
Schnapsfläschchen. Es gibt den Fall mit dem Frischkäse
und einen weiteren Fall mit Schnittkäse. Die Frikadelle
und die Maultaschen sind berühmt geworden.
({0})
Die Urteile lesen sich wie eine Typologie geringwertiger Produkte. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem
Essbaren. Man muss überlegen, wie andere Rechtsgebiete mit Kleindiebstählen und kleinen Unterlassungen
umgehen.
Schauen wir uns den Bereich des Strafrechtes an.
Dort existiert eine relative Großzügigkeit. Bei Diebstählen bis zu 50 Euro - so der typische Wert, manchmal etwas niedriger, manchmal etwas höher - werden die Verfahren eingestellt. Im Bereich des Zivilrechts haben wir
eine ähnliche Situation. Es gibt eine Entscheidung des
OLG Celle, nach der einem Geschäftsführer nicht gekündigt werden kann, nur weil dieser 164 DM zu Unrecht an sich genommen hat. Das Beamtenrecht geht
besonders weit. Dort heißt es: Der Diebstahl einer nur
geringfügigen Sache belege doch, dass der Beamte die
Eigentumsordnung des Dienstherrn dem Grunde nach
rechtfertige.
Sie alle haben in den letzten Wochen und Monaten
mitbekommen: Das Arbeitsrecht ist streng. Centbeträge
können ausreichen, um die Kündigung eines Arbeitnehmers zu rechtfertigen. Das wirft eine Menge Fragen auf:
Warum sollen die Interessen eines Geschäftsführers so
viel stärker gewichtet werden als die Interessen eines Arbeitnehmers? Warum sollen die Interessen eines Arbeitgebers so viel mehr wert sein als die Interessen eines Arbeitnehmers?
Für die Arbeitsnehmer sind die Konsequenzen am
weitreichendsten: Er wird erhebliche Schwierigkeiten
bei der Jobsuche haben, insbesondere wenn es zu einem
ungeraden Beendigungstermin kommt. Der Arbeitnehmer hat eine Sperrzeit hinzunehmen; die Bezugsdauer
beim Arbeitslosengeld ist verkürzt. Manchmal hat man
auch ein ganz klein wenig den Verdacht, dass da Willkür
existiert, den Verdacht eines vorgeschobenen Kündigungsgrundes. Ein Beispiel, das mir einfällt: Eine Arbeitnehmerin klaut eine Rolle Klopapier. Der Arbeitgeber ist bereit, Tausende von Euro für einen Vergleich zu
zahlen; er ist aber nicht bereit, das Risiko einer Weiterbeschäftigung einzugehen, das Risiko, dass vielleicht
noch einmal ein ähnlicher Vorfall passiert. Ich kann dazu
nur sagen: merkwürdig.
Wir sehen das nicht ein. Wir wollen Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen vor Bagatelldelikten schützen.
Wir wollen aber auch den Arbeitgebern sagen: So einfach ist es nicht.
({1})
Im Arbeitsrecht ist es so, lieber Herr Kolb, dass bei verhaltensbedingten oder bei fristlosen Kündigungen zuvor
Abmahnungen ausgesprochen worden sein müssen. Es
gilt der Grundsatz des Abmahnungserfordernisses. Allerdings macht die Rechtsprechung eine Ausnahme bei
Bagatelldelikten: Die Abmahnung sei in diesem Fall
ohne Sinn, weil der Arbeitnehmer wisse, dass er rechtswidrig handle, dass er nicht klauen dürfe. Der zweite
Grund, das Abmahnungserfordernis entfallen zu lassen,
ist, dass eine unwiderrufliche Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vorliegt.
Meines Erachtens kann beides infrage gestellt werden.
({2})
Liegt wirklich immer ein Unrechtsbewusstsein vor,
wenn eine Bulette vom Buffet genommen wird? Liegt
wirklich Unrechtsbewusstsein vor, wenn Dinge aus dem
Abfall des Arbeitgebers mitgenommen werden? Zerstört
es wirklich unwiderruflich das Vertrauen, wenn es um
eine Bagatelle geht? Sicherlich, Vertrauen ist etwas, was
flüchtig ist. Wenn die Wurst den Besitzer wechselt, dann
entsteht mit Sicherheit ein kleiner Riss in dem, was sich
Vertrauen nennt.
({3})
Ich sage aber auch: Dieser Riss kann verheilen.
Wir wollen Folgendes machen: Wir wollen, dass es
grundsätzlich auch bei Bagatelldelikten zu einer Abmahnung kommt. Wir lassen aber durchaus zu, dass, wenn es
besondere Umstände der Tatausführung gibt, wenn besondere Umstände es zwingend machen, ausnahmsweise
sehr wohl sofort die Kündigung ausgesprochen werden
kann. Pauschal sagen wir aber: Es muss das Prinzip der
zweiten Chance gelten, so wie es im gesamten Arbeitsrecht und auch im Zivilrecht gilt.
({4})
Der Arbeitnehmer, der zu spät kommt, bekommt eine
Abmahnung. Der Arbeitnehmer, der beispielsweise mit
Gegenständen des Arbeitgebers nicht sorgfältig umgeht,
erhält ebenfalls eine Abmahnung.
({5})
Es gibt keinen Grund, hier eine andere Beurteilung vorzunehmen, zumal selbst das Strafrecht keinen Grund
sieht, mit voller Härte zuzuschlagen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Es ist sicherlich richtig,
dass es manchem Arbeitnehmer an Stil oder Benehmen
mangelt. Aber ein Arbeitsverhältnis ist existenziell, und
es ist sicherlich nicht der richtige Ort für die Erziehung.
Deshalb sagen wir ganz klar und deutlich: Die Abmahnung rügt; sie bringt regelmäßig berufliche Nachteile
und Nachteile beim beruflichen Fortkommen. Ebenso
sagen wir klar und deutlich: Nach dem zweiten Mal ist
Schluss. Eine Chance reicht. In diesem Sinne ist das,
was wir vorgelegt haben, eine sehr vernünftige Sache.
Ganz herzlichen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Johann
Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Kollegin Kramme hat hier den Untergang
des sozialpolitischen Abendlandes an die Wand gemalt.
({0})
Ich muss sagen: Das, was die SPD-Fraktion hier vorgelegt hat, ist erstens offensichtlich der Versuch, der Linkspartei in populistischen Forderungen nachzueilen, und
zweitens ein Sammelsurium von handwerklich schlechten Vorschlägen.
({1})
Es ist klar: Das Kündigungsschutzrecht der Bundesrepublik Deutschland gehört zu den sozialpolitischen Errungenschaften unseres Landes. Es hat mit all seinen Facetten im Kündigungsschutzgesetz, im BGB, wo wir den
Grundsatz von Treu und Glauben anwenden, unterhalb
des Kündigungsschutzgesetzes im Sonderkündigungsschutz für Schwangere, für Betriebsräte und andere eine
weite Ausprägung erhalten und ist letzten Endes ein
wichtiger Bestandteil des Erfolgsmodells der sozialen
Marktwirtschaft.
({2})
Der Gesetzgeber ist sicherlich auch gehalten, an der
einen oder anderen Stelle zu überprüfen, was die Rechtsprechung macht. Aber, Frau Kramme, der Gesetzgeber
ist nicht gehalten, es in jedem Falle besser zu wissen als
die Rechtsprechung. Ich mache darauf aufmerksam, dass
im Gegensatz zu dem Hohen Hause hier und zu den Gerichtsbarkeiten, die Sie genannt haben, in der Arbeitsgerichtsbarkeit der große Vorteil besteht, dass dort nicht
nur Juristen sitzen, sondern auch zwei ehrenamtliche
Richter, die mit entscheiden; in aller Regel sind dies ein
Arbeitnehmer- und ein Arbeitgebervertreter. Da ist sehr
viel Sachverstand. Wir würden uns im Deutschen Bundestag verheben, wenn wir auch nur anstrebten, die Fülle
von Fällen, die Sie genannt haben, hier im Einzelnen zu
regeln. Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern Aufgabe
der Rechtsprechung, die wir unterstützen sollten und der
wir klare Regeln - diese sind gar nicht so schlecht - an
die Hand geben sollten.
({3})
Wenn man sich das Arbeitsrecht wie auch sonst
Rechtsgebiete in Deutschland ansieht, stellt man sehr
schnell fest, dass wir nicht zu wenig geregelt haben, sondern eher viel. Die Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“
der CDU/CSU-Fraktion war gerade in Dänemark. Dänemark ist ja nun nicht gerade ein Hort des Neoliberalismus, wie Sie wahrscheinlich sagen würden, sondern eher
ein Staat, der zumindest für Sozialdemokraten immer als
Musterländle gegolten hat. In Dänemark gibt es keinen
Kündigungsschutz.
({4})
Wir haben dort mit Gewerkschaften gesprochen. Sie
werden in Dänemark keinen Gewerkschafter finden, der
fordert, dass es dort auch nur im Ansatz Regelungen geben soll, wie wir sie im Kündigungsschutzrecht in
Deutschland haben. Die fahren gut damit,
({5})
sogar mit der Folge, Herr Pronold, dass die EU das Modell der Flexicurity übernommen und als einen Standard
für ganz Europa vorgegeben hat.
Am deutschen Wesen soll nicht immer die Welt genesen. Es lohnt, einmal in ein kleines Land wie Dänemark
zu schauen. Die machen uns in diesem Bereich manches
vor. Ich denke, wir haben jeden Anlass, uns daran ein
Beispiel zu nehmen.
({6})
Herr Kollege Wadephul, lassen Sie Zwischenfragen
zu?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Wadephul, da Sie gerade Dänemark anführten und darauf hingewiesen haben, dass es dort sehr
offene Kündigungsschutzregelungen gibt, möchte ich
fragen: Ist Ihnen auch bekannt, dass in Dänemark die
Arbeitslosenentgelte, also die Arbeitslosenunterstützung, 90 Prozent des letzten Gehaltes betragen und über
mehrere Jahre gezahlt werden?
({0})
Das ist mir selbstverständlich bekannt, Frau Kollegin.
({0})
Wir haben uns dort nicht nur einseitig informiert, sondern mit allen dort gesprochen. Dieses Modell einer völligen Flexibilisierung im Arbeitsrecht verbunden mit
einem interessanten Modell einer schnellen Arbeitsvermittlung und auch einem hohen Versorgungsgrad, den
Sie gerade richtigerweise genannt haben, hat Dänemark
ganz große Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik beschert.
({1})
Ich sage ja nur: Wir sollten einmal darüber nachdenken, ob man das eine oder andere nicht nach und nach in
Deutschland überdenken und übernehmen könnte.
({2})
Ich bin der Meinung - Frau Pothmer, wenn ich das
noch ergänzend sagen darf -, dass man in Deutschland
etwas missachtet: dass ein zu hoher Standard beim Kündigungsschutz zwar denjenigen nützt, die gerade Arbeit
haben, dass er aber diejenigen, die arbeitslos sind, nicht
in Arbeit bringt, weil er viele Arbeitgeber davon abhält,
Menschen einzustellen, da sie Angst haben, sich im
Zweifelsfall nicht von ihnen trennen zu können. So viel
dazu.
({3})
Ich will ganz kurz etwas zu den vorliegenden Gesetzentwürfen sagen. Im sozialdemokratischen Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, man solle die Regelung treffen, dass eine Kündigung dann sozial ungerechtfertigt
sei, wenn ein wirtschaftlicher Schaden nicht ins Gewicht
falle. Ich frage mich ganz im Ernst, Frau Kramme: Welchen Maßstab wollen Sie eigentlich anlegen? Bei wem
soll der wirtschaftliche Schaden, von dem die Rede ist,
denn entstehen: beim betroffenen Arbeitnehmer oder
beim Arbeitgeber? Wie meinen Sie das überhaupt? Bei
einem Einzelhändler ist eher ein wirtschaftlicher Schaden zu erwarten als bei einer großen Discounterkette.
Was meinen Sie wohl, wie lange es dauert, bis bei Aldi
ein wirtschaftlicher Schaden eingetreten ist? Da kann
man eine Menge herausschleppen, bevor dort ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist.
({4})
Was ist das eigentlich für eine handwerklich schlechte
Arbeit, die uns eine Fachanwältin für Arbeitsrecht hier
vorlegt?
({5})
- Das hat der Kollege Nešković in seinem Gesetzentwurf in Anlehnung an § 248 a StGB besser geregelt.
Sie wollen des Weiteren die Abmahnvoraussetzung
grundsätzlich abschaffen. Meine sehr verehrten Damen
und Herren von der SPD, was haben Sie eigentlich für
Vorstellungen? Was soll denn der Arbeitgeber der berühmten Kassiererin machen, wenn er zum ersten Mal
erlebt, dass sie 200 Euro aus der Kasse genommen hat?
Nach Ihrem Vorschlag dürfte er sie nur abmahnen und
müsste darauf warten, dass sie das nächste Mal in die
Kasse greift. Meinen Sie, dass das zumutbar ist? Glauben Sie nicht, dass die normale Reaktion eines Arbeitgebers sein wird, viel rigidere Maßnahmen zur Überwachung der Kassen und der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einzuführen, Maßnahmen, über die wir
uns an anderer Stelle immer wieder beklagen? Das, was
Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hier geben, sind Steine statt Brot. Damit helfen Sie ihnen nicht.
Damit machen Sie die Situation insgesamt nur schwieriger. Das trägt überhaupt nicht zu einer Verbesserung bei.
({6})
Jetzt komme ich zum berühmten Fall „Emmely“ - die
Dame heißt eigentlich Emme -, den Sie und auch Herr
Nešković bzw. die Linke in Ihren Gesetzentwürfen anführen. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Hier ist in den
Medien etwas Ungeheuerliches geschehen. Dieser Fall
wurde verkürzt, und es wurde so getan, als habe - ich
setze das in Anführungsstriche - „nur“ ein Diebstahl geringwertiger Sachen vorgelegen.
Das Arbeitsgericht hat diesen Fall umfangreich geprüft - Herr Bundestagsvizepräsident Thierse hat seine
unsägliche Kritik an dem Urteil mittlerweile zum Glück
zurückgenommen - und festgestellt: Erstens. Es ist ein
Diebstahl gewesen. Zweitens. Er ist geleugnet worden.
Drittens. Die Arbeitnehmerin hat sogar andere Arbeitnehmerinnen in Verdacht und damit in Gefahr gebracht,
ihren Arbeitsplatz zu verlieren, um den Verdacht von
sich selbst abzulenken. Wir als Gesetzgeber sollten in
diesem Fall nicht sagen: Hier hat ein Arbeitsgericht
schlecht entschieden. - Das Gericht hat schlicht und ergreifend den Einzelfall betrachtet und ist zu dem Ergebnis gekommen: In diesem Fall ist diese Entscheidung
richtig gewesen.
({7})
Das ist die ganze Geschichte.
Insgesamt betone ich das, was dankenswerterweise
auch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts hervorgehoben hat: Es ist keine Frage der Menschenwürde, seinem Arbeitgeber einen, wenn auch nur geringwertigen,
Gegenstand zu klauen, sondern es ist schlicht und ergreifend so, dass man Grundregeln des Anstands und der
Rechtsordnung in Deutschland einzuhalten hat. Wir sollten die Verhaltensnormen nicht davon abhängig machen,
ob ein Gegenstand teuer oder billig ist. Man hat sich an
Grundregeln zu halten, und die Arbeitsgerichte entscheiden sachgemäß.
Vielen Dank.
({8})
Lieber Kollege Wadephul, ich gratuliere herzlich zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden
mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković
für die Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Was ist Gerechtigkeit? Der Dichter
Erich Fried hat versucht, diese Frage zu beantworten. Er
ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es fast unmöglich ist,
dafür eine befriedigende Definition zu finden. Hingegen
sei es einfach, zu wissen, was ungerecht ist. Er hat gemeint: Die Ungerechtigkeit liege offen am Weg, die
könne jeder erkennen, und der richtige Weg sei, die Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
Jeder von uns kann sehen, was ungerecht ist. Natürlich ist es ungerecht, wenn einer Kassiererin nach
31 Jahren gekündigt wird, weil man sie verdächtigt,
zwei Pfandbons im Werte von 1,30 Euro unterschlagen
zu haben.
({0})
Es ist ungerecht, wenn eine Altenpflegerin auf die Straße
gesetzt wird, weil sie Maultaschen mitgenommen hat,
die bereits für die Mülltonne bestimmt waren. Es ist
ebenso ungerecht, wenn einem Bäcker fristlos gekündigt
wird, weil er einen Teelöffel Schafskäsepaste probiert
hat, nachdem sich Kunden darüber beklagt hatten, dass
der Belag versalzen sei. Es ist genauso ungerecht, wenn
ein Industriearbeiter entlassen wird, weil er sein Handy
an der Firmensteckdose aufgeladen hat - Schaden:
0,014 Cent. Diese Fälle sind schwer glaublich; dennoch
sind sie geschehen. Sie haben zu Recht Empörung ausgelöst. Sie spiegeln die wirklichen Ungerechtigkeiten im
Arbeitsleben von Menschen wider.
({1})
Der Arbeitsplatz hat in dieser Gesellschaft für die Arbeitnehmer und ihre Existenz herausragende Bedeutung.
Er bildet die wirtschaftliche Grundlage für sie und ihre
Familien. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden von
ihm bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und
Selbstwertgefühl. All dies wird mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses gefährdet oder sogar zerstört. Genau deswegen genießt der Arbeitnehmer über das Sozialstaatsprinzip den Schutz unserer Verfassung.
Dem Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines
Arbeitsplatzes steht allerdings das Interesse des Arbeitgebers, sein Eigentum zu schützen, gegenüber. Genau
diese Interessenabwägung soll die Vorschrift des § 626
BGB erreichen. Die Auswertung der Rechtsprechung
zeigt jedoch, dass diese Abwägung - bis auf wenige
Ausnahmen - im Ergebnis gar nicht vorgenommen wird.
({2})
Trotz vermeintlicher Abwägung der Umstände des Einzelfalls wird stets als Ergebnis eine nicht wiederherstellbare Zerstörung des Vertrauens des Arbeitgebers festgestellt, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für
Wolfgang Neškoviæ
diesen angeblich unzumutbar macht. Dies wird gerade
durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg im Falle „Emmely“ exemplarisch belegt. Da werden lange Abwägungen gemacht, was zugunsten der Arbeitnehmerin spricht, und dann, ganz kurz
danach, heißt es - im Wege einer Rechtsbehauptung -,
es sei nunmehr so, dass das Vertrauen nicht wiederherstellbar sei.
Diese Rechtsprechung wird von der Präsidentin des
Bundesarbeitsgerichtes mit, wie ich meine, geradezu
trotziger Uneinsichtigkeit verteidigt. Ihr fehlt offensichtlich das ganz normale Gefühl für Ungerechtigkeit.
({3})
In all diesen Fällen handelt der Arbeitnehmer nämlich
nicht mit krimineller Energie, um den Arbeitgeber zu
schädigen. Regelmäßig handelt er aus Sorglosigkeit, Unbekümmertheit und Unbedarftheit. Damit ist ein solches
Verhalten nicht entschuldigt, und es ist auch nicht rechtmäßig. Eine Kündigung mit ihren weitreichenden Auswirkungen auf die Existenz des Arbeitnehmers stellt
aber eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Fehlverhalten des Arbeitnehmers dar. Hier wird mit Kanonen
auf Spatzen geschossen. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist ein zentrales Prinzip unserer Rechtsordnung.
Da die Rechtsprechung überwiegend uneinsichtig bleibt,
ist nunmehr der Gesetzgeber gefragt.
({4})
Er muss diese Rechtsprechung des kalten Herzens, der
jegliches Gespür für die Lebenswirklichkeit abhandengekommen ist, unmissverständlich an die gesetzgeberische Kandare binden.
Dafür bietet der Gesetzentwurf unserer Fraktion eine
ausreichende Grundlage. Der Gesetzentwurf der SPD
kann dies, muss ich leider sagen, nicht leisten, weil damit lediglich die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgeschrieben werden soll.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Johannes Vogel für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werfen wir einen Blick auf das, was uns heute vorliegt.
Was will die SPD? Sie will, dass fristlose Kündigungen
- aber auch Kündigungen im Regelfall - bei Diebstahl
von geringem wirtschaftlichen Schaden nicht mehr möglich sind, dass im Regelfall eine Abmahnung erforderlich ist. Faktisch - so ging es auch durch die Presse will die SPD eine Art Bagatellregelung einführen.
Die Linke geht noch darüber hinaus - ich würde sagen, da wird der Gesetzentwurf der SPD noch ein bisschen verschärft -: Sie will, dass zwingend eine Abmahnung erfolgen muss, und sie will die Kündigung auf
Verdacht verbieten.
Es ist interessant, sich einmal die Vorgeschichte dieser Gesetzentwürfe anzuschauen. Frau Kollegin
Kramme, Sie haben eben selber darauf hingewiesen und
verschiedene Fälle zitiert, die in den Medien vorkamen.
Sie haben allerdings nicht darauf hingewiesen, dass das
seit 1984 herrschende Rechtsprechung ist, also eine längere Zeit, könnte man sagen.
({0})
Elf Jahre in dieser Zeit haben Sie als SPD Regierungsverantwortung getragen;
({1})
doch weder als größerer Partner noch als kleinerer Partner der Koalition haben Sie jemals einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt.
({2})
Es ist schon wichtig, sich das einmal vor Augen zu führen.
({3})
- Nein, das ist nicht das Einzige, was uns einfällt. Lassen
Sie mich doch ausreden! Es ist doch gerade erst eine Minute meiner Redezeit vorbei.
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass diese Forderung
aus der Opposition kommt. Eigentlich wissen Sie genau,
dass man dies nicht so einfach regeln kann. Das würden
auch Sie nicht tun, wenn Sie noch Regierungsverantwortung tragen würden. Nur, dass Sie das nicht tun, hat einen guten Grund: Die Bürgerinnen und Bürger haben
das so entschieden.
Schauen wir uns einmal an, warum das nicht so einfach ist. Wie ist denn die Rechtslage? Auch heute ist es
so: Außerordentliche Kündigungen kann es nur geben,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher wichtiger Grund ist natürlich eine Straftat. Dies kann niemand
als Kleinigkeit abtun; dies wird der Sache nicht gerecht.
Aber auch dann kann es natürlich sein, dass eine Interessenabwägung zwischen den beiden Vertragspartnern
stattfindet. Nur dann, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist, wenn
das Vertrauensverhältnis irreparabel gestört wird, wird
überhaupt eine Kündigung vorgenommen. Ich kann
nicht erkennen, dass wir an dieser ausgewogenen Regelung irgendetwas gesetzlich ändern müssten.
({4})
Johannes Vogel ({5})
An die Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Sie
wissen so gut wie ich, dass es für Verdachtskündigungen
sehr strenge Voraussetzungen gibt. Ich erspare es Ihnen,
dies jetzt im Einzelfall aufzuzählen.
Wir können festhalten: Wir haben eine klare und
nachvollziehbare Rechtslage. Sie ist ausgewogen. Weil
wir im Gegensatz zu Ihnen nicht an der Kompetenz der
deutschen Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter zweifeln, sehen wir auch keine Notwendigkeit, daran etwas
zu verändern.
Warum wäre es falsch, das zu tun, was Sie vorhaben?
Es wäre falsch, weil Sie natürlich ein Problem schaffen.
Sie können nämlich die Frage, was eine Bagatelle ist und
was nicht, nicht gesetzlich klären. Die Präsidentin des
Bundesarbeitsgerichts - sie wurde heute schon mehrfach
angesprochen - hat häufig darauf hingewiesen, dass die
Situation schwierig ist: Wo liegt die Grenze? Bis wann
ist es eine Bagatelle? Sind es 5 Euro oder 10 Euro?
Wenn die Grenze bei 5 Euro liegt, was ist dann im Falle
von 5 Euro und 10 Cent, die geklaut wurden?
({6})
So einfach ist es nicht. Der Punkt ist: Eigentum bleibt
Eigentum, und Diebstahl bleibt Diebstahl. Deshalb können Sie es sich hier nicht so einfach machen.
({7})
- Das können wir aber nicht einfach so in das Privatrecht
übertragen, Frau Kramme; das wissen Sie so gut wie ich.
Natürlich will ich zugestehen - lassen Sie mich in einem Punkt auf Sie zugehen -, dass es Fälle gab, über die
in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und die zu der
Frage führten: Kann es sein und ist es mit meinem Gerechtigkeitsempfinden vereinbar, dass jemandem in diesen Fällen gekündigt wird? Der Kollege von der CDU/
CSU hat eben interessanterweise darauf hingewiesen,
dass die Gerichte in Deutschland schon heute eine Einzelfallwürdigung vornehmen. Es ist eben nicht so, wie
Sie es dargestellt haben und wie es die Medien darstellen.
({8})
- Frau Kramme, ganz sicher. Aber Sie werden auch eine
Vielzahl von Fällen finden, bei denen eine entsprechende Würdigung zugunsten des Arbeitnehmers vorgenommen worden ist.
({9})
Schauen wir uns zwei Fälle einmal genauer an. Es ist
es wert, sich den Fall der berühmt-berüchtigten Kassiererin, die Pfandbons entnommen hat, genauer anzusehen. Er wurde schon von dem Kollegen von der Unionsfraktion angesprochen; aber der Redner der Linken hat
ihn noch einmal angeführt. Da wurden nicht einfach nur
Pfandbons entwendet; vielmehr hat sich die Kassiererin
danach in Widersprüche verwickelt und dann noch Kollegen denunziert und beschuldigt. Erst dann war das Vertrauensverhältnis nach Ansicht des Gerichts so irreparabel gestört, dass die Kündigung rechtswirksam war.
Dieser Fall liegt aber im Moment überhaupt noch nicht
rechtsgültig vor, weil die höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Ich kann nicht erkennen, dass im
deutschen Rechtswesen keine ausreichenden Abwägungen vorgenommen würden.
({10})
Frau Kramme, Sie haben es gerade angesprochen: Es
gibt auch Fälle, bei denen Kündigungen vor Gericht keinen Bestand hatten und für rechtswidrig erklärt wurden.
Wir haben zum Beispiel im März 2009 einen solchen
Fall vor dem Landesarbeitsgericht in Nordrhein-Westfalen erlebt. Da ging es um den Diebstahl, die Entwendung
von Brotaufstrich. Das ist natürlich ein Fall, bei dem
viele Bürgerinnen und Bürger draußen das Gefühl haben: Kann es sein, dass jemandem dafür, dass er sich nur
etwas Brotaufstrich auf sein Brot schmiert, gekündigt
wird? Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass solche
Fälle zugunsten des Arbeitnehmers entschieden wurden.
Dieser Fall hatte keinen Bestand; die Kündigung war
rechtswidrig. Auch das ist ein weiterer Beleg dafür
- Frau Kollegin Kramme, Sie haben eben gesagt, man
könne es nachschlagen; offensichtlich haben Sie es nicht
getan -, dass die Würdigung des Einzelfalls sehr gut vor
Gericht aufgehoben ist und dort gut funktioniert und wir
dies nicht gesetzlich regeln, sondern den Gerichten überlassen sollten.
({11})
Der Punkt ist: Schon der erste Satz Ihres Gesetzentwurfs, den Sie uns vorgelegt haben, zeigt seine grundsätzliche Schwäche. Sie sagen:
Bei Bagatelldelikten von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern herrscht rechtlich das „Null-Toleranz-Prinzip“: Der Verzehr auch nur eines Brötchens des Arbeitgebers … kann den Arbeitsplatz
kosten.
Sie sagen es selbst: Der Diebstahl, durch den ein geringer Schaden entsteht, kann den Arbeitsplatz kosten, er
muss es aber nicht. Es findet eine Abwägung statt. Wir
sollten es dabei auch belassen und hier keine handwerklich schlecht gemachte Regelung einführen.
Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. Ich
freue mich aber auf die weitere Beratung im Ausschuss.
Vielen Dank.
({12})
Die Kollegin Beate Müller-Gemmeke ist nun die
nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema ist emotional und
schwierig gleichermaßen. Herr Wadephul, es geht in diesen Fällen eben nicht um einen bewussten Diebstahl von
Waren im Wert von 200 Euro.
Wenn der Verzehr einer Maultasche oder das Aufladen des Handys den Job kostet, dann empfinde ich das
als unanständig.
({0})
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass
bei den sogenannten Bagatellkündigungen immer ein
vorsätzlicher Diebstahl vorlag. Manchmal ist es auch
Unwissenheit, manchmal ist es schlichtweg Gedankenlosigkeit. Ich denke, wir alle haben schon einmal versehentlich einen Kugelschreiber in die Tasche gesteckt.
({1})
- Auch Sie sehr wahrscheinlich, Herr Wadephul. Manchmal kann es auch sein, dass sich die Beschäftigten
an diesem Tag einfach sehr ausgenutzt oder schlecht behandelt fühlten.
Manche Arbeitgeber setzen Bagatellkündigungen
sehr bewusst ein, um unangenehme Beschäftigte zu entlassen. Andere stehen selber unter einem extremen
Druck und schauen den Beschäftigten deshalb genau auf
die Finger.
Ich kann nicht beurteilen, wann Bagatellkündigungen
angemessen sind und wann nicht. Eines aber weiß ich:
Es ist schwierig, den Menschen klarzumachen, dass einer Beschäftigten, wenn sie eine Frikadelle isst, das
Gleiche passiert wie einem Manager, der Beträge in
sechsstelliger Höhe veruntreut.
({2})
Das ist nicht gerecht, und ich glaube auch, dass das gesellschaftlicher Konsens ist.
({3})
- Quatsch? Ich glaube das schon.
Deswegen kann ich es auch nicht verstehen, wenn aus
den Reihen der CDU solche Bagatellkündigungen in der
Presse mit dem Argument verteidigt werden, dass sich in
diesem Arbeitsverhältnis schon länger etwas aufgestaut
haben muss. Mit dieser Aussage erhalten Unternehmen
Rückendeckung. Die Beschäftigten werden hingegen
pauschal verurteilt. Ich meine, der Politik steht eine solche Parteinahme nicht zu.
({4})
Die Politik darf die Stimmung nicht aufheizen, sie
darf aber auch nicht tatenlos zuschauen. Das Problem ist,
dass es im Arbeitsrecht, anders als im Strafrecht, eben
keine Bagatellgrenze gibt. Jeder Diebstahl gilt als Grund
für Vertrauensverlust, egal, ob es um 50 Cent oder
50 000 Euro geht.
Ich finde - wir Grünen finden -, an dieser Stelle muss
der Gesetzgeber etwas verändern. Die grundsätzliche
Abschaffung der Verdachtskündigung werden wir Grünen in einem Fachgespräch prüfen.
({5})
Uneingeschränkt und heftig unterstützen werden wir dagegen die gesetzlich verankerte Abmahnung; denn Abmahnungen und eben nicht fristlose Kündigungen sind
die richtigen Antworten auf Bagatelldelikte.
({6})
Nur so werden die Beschäftigten - gerade jetzt in der
Krise - vor einer willkürlichen Entlassung geschützt.
Abmahnungen werden im Übrigen auch dazu führen,
dass die betroffenen Beschäftigten in sich gehen. Sie
merken, dass sie eine Grenze überschritten haben. Vor
allem erhoffe ich mir auch, dass durch Abmahnungen in
den Betrieben Klarheit darüber entsteht, wo die Grenze
überhaupt liegt.
Natürlich wird die Abmahnungspflicht zu neuen Problemen führen, vor allem, weil die Bagatellgrenze nicht
gesetzlich definiert werden kann. Denn wo soll man die
Grenze ansetzen: bei 5 Euro, 10 Euro, 50 Euro oder
100 Euro? Diese Frage können natürlich nur die Gerichte im Einzelfall beantworten.
({7})
Nichts zu tun, wie es die Koalitionsfraktionen vorhaben, ist für uns jedenfalls keine Option. Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, die
Beschäftigen sitzen immer am kürzeren Hebel und brauchen hier mehr Schutz. Für die Unternehmen geht es lediglich um Bagatellbeträge, für die Beschäftigten geht es
aber um ihre Existenz. Auch Sie wissen, dass beispielsweise Ältere nur wenige Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz haben, und jungen Menschen wird damit ein
guter Start ins Berufsleben verbaut.
Ich kann nur sagen: Springen Sie endlich einmal über
Ihren Schatten! Beweisen Sie, dass soziale Kälte bei Ihnen eben nicht Programm ist!
Vielen Dank.
({8})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf heute Abend den Schlusspunkt setzen, und ich
freue mich, dass von der Linksfraktion, die den Gesetzentwurf eingebracht hat und heute in Rotkäppchensektlaune ist, wie Sie vorhin so schön gesagt haben, immerhin noch vier Mitglieder anwesend sind. Das zeigt, wie
wichtig Ihnen dieses Thema wirklich ist. Es unterstreicht, worum es Ihnen geht: um puren Populismus.
({0})
Kaum eine arbeitsgerichtliche Entscheidung der letzen Jahre hat die Öffentlichkeit so beschäftigt wie die
zur heute schon mehrfach erwähnten Berliner Kassiererin. Fast jeder in der Politik, ob mit oder ohne Rechtskenntnis, ob mit Urteilskenntnis oder ohne Urteilskenntnis, hat sich berufen gefühlt, irgendetwas dazu zu sagen.
Eines ist für uns in der Koalition sicher: Trotz seiner
medialen Ausschlachtung wird der Fall Emmely nicht
als wesentliches Datum in die Entwicklung der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung eingehen. Dazu ist die Sachlage zu klar. Was Sie hier bringen, ist nur Populismus.
({1})
Sie versuchen auch - das hat die Kollegin der Grünen
gerade deutlich gemacht -, eine Gerechtigkeitsdebatte in
der Wirtschaftskrise über Managerkündigungen und Managerabfindungen
({2})
- nicht erfolgte Kündigungen - mit dem gezielt skandalierten Fall Emmely in einen Zusammenhang zu bringen.
Das lassen wir nicht zu. Das hat nichts miteinander zu
tun. Sie machen plump Stimmung gegen die Arbeitgeber, die die Betriebe in den letzten Monaten sehr verantwortungsbewusst geführt haben. Das kann nicht der
richtige Ansatz sein.
({3})
- Ja, natürlich. Der Ausspruch „Die Beschäftigten sitzen
immer am kürzeren Hebel“ zeigt, wie Sie denken.
({4})
Wir lassen es auch nicht zu, dass Sie gegen unser gutes
deutsches Arbeitsrecht und die guten Arbeitsgerichte
hier zu Felde ziehen, die in den letzten Jahren eine sehr
gefestigte Rechtsprechung entwickelt haben.
({5})
In der fachlichen Diskussion muss ich Ihnen eines sagen: Der Gesetzentwurf der SPD ist nicht nur systemwidrig und fachlich schlecht, sondern er ist auch in sich
unschlüssig und ohne Substanz.
({6})
Der Verweis auf die StPO hinkt; denn das Strafrecht ist
eine völlig andere Rechtsmaterie.
({7})
Das Arbeitsrecht kennt keinen Sanktionsgedanken und
Strafanspruch.
Über das Abmahnungserfordernis will ich gar nicht
reden. Die fristlose Kündigung hat die Eigenart, dass ihr
gerade keine Abmahnung vorausgeht. Sie bringen Dinge
durcheinander, die Sie anscheinend nicht verstehen. Etwas anderes kann ich dazu nicht sagen.
({8})
- Wahrscheinlich ein bisschen mehr als Sie.
({9})
- Natürlich. Ich habe mich 15 Jahre mit dem Arbeitsrecht beschäftigt. Was glauben Sie denn?
Aber es ist noch ein weiterer Punkt angesprochen
worden. Sie haben die Bagatellgrenzen nicht definiert.
Sie müssten die Frage beantworten, wo die Bagatellgrenze liegt. Ich kann jeden von Ihnen fragen, ob Sie bereit wären, wenn ich mir aus Ihrer Tasche 5 Euro nähme,
mir diese zu überlassen, nach dem Motto „Es sind ja nur
5 Euro; das ist doch eine Bagatelle“.
({10})
Klar ist auch: Wenn wir eine Bagatellgrenze zum Beispiel von 5 Euro einführen, dann führen wir, wenn jemand 5,05 Euro genommen hat, wieder dieselbe Diskussion. Dann sind wir kein bisschen weiter.
Auch wenn es unpopulär sein mag, aber Diebstahl
bleibt Diebstahl, und Untreue bleibt Untreue. Daran
führt kein Weg vorbei.
({11})
- Damit unterstreichen Sie einmal mehr, dass Sie bestimmte Dinge nicht verstanden haben. Der von Ihnen
vorgelegte Gesetzentwurf ist handwerklicher Murks und
völlig überflüssig. Wir haben eine gefestigte Rechtsprechung zu § 626 BGB. Wir haben eine gefestigte Rechtsprechung zu Verdachtskündigungen, und es gibt verantwortungsbewusste Interessenabwägungen sowohl bei
den Arbeitgebern als auch später bei den Arbeitsgerichten. Das machen auch die Urteile deutlich, von denen
heute schon einige angesprochen wurden: Wir haben den
pressebekannten Fall Emmely und die sogenannte
„Maultaschen“-Entscheidung. Wir haben aber auch den
„Kinderbettfall“ und den schon erwähnten „Brotauf1874
strichfall“. All dies zeigt, dass von den Richtern individuell sehr sauber abgewogen wird.
({12})
Die Qualität der Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter
ist hoch, auch die der ehrenamtlichen Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter. Darunter befinden sich übrigens
auch Ihre Vertreter aus den Betriebsräten und den Gewerkschaften, falls Sie das vergessen haben sollten.
Wir distanzieren uns ganz klar von Ihrem Vizepräsidenten des Hohen Hauses; Kollege Wadephul hat darauf
schon richtigerweise hingewiesen. Ihr Vizepräsident hat
das dann zwar zurückgenommen. Aber ich kann Ihnen
nicht ersparen, Sie daran zu erinnern, dass er die Arbeitsgerichte als „barbarisch“ und „asozial“ bezeichnet hat.
Allein diese Äußerung zeigt, dass Sie kein Verständnis
von Arbeitsrecht und Gerichtsbarkeit haben, ganz zu
schweigen von Ihrem Verhältnis zu Eigentum und
Rechtsordnung.
({13})
Mit den Linken will ich heute darüber nicht reden. Nach
den unseligen Äußerungen Ihrer Kollegin Kipping über
den Verfassungsschutz kann ich nur sagen: Zum Eigentum haben Sie mit Sicherheit kein Verhältnis.
({14})
- Ja, ein sehr gestörtes. - Die volkseigene Maultasche ist
noch nicht erfunden.
({15})
Ich weiß, dass es grundlose Kündigungen gibt. Ich
habe heute in der Augsburger Allgemeinen gelesen:
„21-Jährige gefeuert, weil sie beim Feuerwehreinsatz
war.“ Einer jungen Arbeitnehmerin mit ehrenamtlichem
Engagement, die Menschen in Not hilft, wird gekündigt!
Solche Menschen brauchen unseren Schutz. Solche
Menschen brauchen unsere Unterstützung.
({16})
Diese Kündigung ist gesellschaftlich zu verurteilen; darum geht es.
Neue Gesetze sollten Probleme lösen und keine neuen
schaffen. Dieses Gesetz schafft mehr Probleme als es
löst. Wir brauchen es nicht, weder unter dogmatischen
Aspekten noch aus Gerechtigkeitsüberlegungen heraus.
Stampfen Sie den Gesetzentwurf ein! Lassen Sie es gut
sein!
Schönen Abend.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Zum Tagesordnungspunkt 6 a: Interfraktionell wird
die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache
17/648 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Danach sieht es nicht aus. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Zum Tagesordnungspunkt 6 b: Der Gesetzentwurf auf
Drucksache 17/649 soll an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Hier ist die Federführung strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD,
FDP und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Die
Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Rechtsausschuss. Ist das korrekt?
({0})
Dann lasse ich zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke mit dem Ziel, dem
Rechtsausschuss die Federführung zu übertragen, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
vorhin genannten übrigen Fraktionen des Hauses abstimmen, der vorsieht, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales die Federführung zu übertragen. Wer stimmt diesem
Überweisungsvorschlag zu? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Federführung liegt also beim Ausschuss
für Arbeit und Soziales.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Mittwoch, den 10. Februar 2010, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen einen halbwegs gemütlichen
und erfreulichen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.