Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
eröffne unsere Plenarsitzung.
Ich möchte zu Beginn unserer Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul zu ihrem besonders runden Geburtstag
gratulieren, den sie heute hier im Deutschen Bundestag
begeht.
({0})
Herzliche Glückwünsche und alle guten Wünsche für die
nächsten Jahre!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der Präsident des Parlaments der Republik Kasachstan, Herr Nurlan Nigmatulin, und seine
Delegation Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße
ich Sie herzlich.
({1})
Für Ihren Aufenthalt in Berlin, in Deutschland und für
die Gespräche mit vielen Mitgliedern des Hauses, insbe-
sondere aber für die weitere parlamentarische Entwick-
lung Ihres Landes wünschen wir Ihnen alles Gute und
viel Erfolg.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({2})
- Drucksachen 17/10200, 17/10202 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({4})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({5})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 17/10804, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({6})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({7})
Wir werden über den Einzelplan 04 nach Abschluss
der Debatte namentlich abstimmen. Zu diesem Einzelplan liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
vor. Außerdem haben die Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen je einen Entschließungsantrag
eingebracht, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf
ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion.
({8})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ohne Zweifel: Deutschland steht im europäischen Vergleich zu vielen unserer Partner innerhalb der
Europäischen Währungsunion und der Europäischen
Union deutlich besser da. Das hat mehrere Gründe. Wir
haben dafür Sorge getragen, dass wir eine industrielle
Wertschöpfungskette erhalten, im Gegensatz zu vielen
anderen Ländern. Wir haben es mit einem sehr tüchtigen
Mittelstand zu tun. Viele große deutsche Unternehmen
haben sich restrukturiert. Das dreisäulige Kreditwesen
hat sich gerade in schwierigen Zeiten und mit Blick auf
die Finanzierung des deutschen Mittelstandes bewährt.
Das duale Ausbildungssystem, das berufliche Ausbildungssystem in Deutschland wird von vielen beneidet.
Wir haben es mit einer exzellenten Facharbeiterschaft
und mit einer starken und sehr bewährten Sozialpartnerschaft zu tun. Das ist die gute Nachricht für unser Land.
({0})
Die schlechte Nachricht ist: Diese vergleichsweise
gute Entwicklung hat mit der Arbeit dieser Bundesregierung in den letzten drei Jahren wenig zu tun.
({1})
Wir sind Alice im Wunderland, nicht wegen, sondern
trotz dieser schwarz-gelben Bundesregierung.
({2})
Während eine von Gerhard Schröder geführte rotgrüne Bundesregierung mit mutigen, auch mit umstrittenen Reformen Deutschland modernisiert hat, während
eine Große Koalition mit maßgeblichen Beiträgen der
SPD für eine sehr kluge Antikrisenpolitik gesorgt hat,
die Konjunktur und Beschäftigung in Deutschland stabilisiert hat, stellt sich die Frage, welche nennenswerten
Initiativen die schwarz-gelbe Bundesregierung, die Koalition in den letzten drei Jahren für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland ergriffen hat.
({3})
Ja - Herr Gröhe -, dann schauen Sie doch einmal mit
mir in das bundestagsinterne Recherchesystem; ich stelle
Ihnen das anheim. Ich habe das gemacht. Ich habe zum
Beispiel nach Gesetzesinitiativen zur Förderung von
Wachstum und Beschäftigung gesucht. Dabei bin ich darauf gestoßen, dass es eine große leere Kiste ist, die man
da findet.
({4})
Sucht man beispielsweise unter dem Stichwort „Wirtschaft“, bekommt man elf Treffer, und zwar von einem
Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung über ein Gesetz zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen
({5})
bis zu einem Gesetz zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes.
({6})
Dann habe ich mir die Mühe gemacht, mit einem anderen Stichwort zu suchen - ich habe gedacht, da werde
ich garantiert fündig -, und zwar mit dem Stichwort
„Mittelstand“. Was habe ich gefunden? Null Treffer in
diesem bundestagsinternen Recherchesystem! Null, gar
nichts, kein einschlägiges Vorhaben für den deutschen
Mittelstand seit drei Jahren!
({7})
Zum Schluss habe ich das Suchwort „Wachstum“
eingegeben. Tatsächlich habe ich zu meiner gelinden
Überraschung einen Treffer gehabt, nämlich das berühmt-berüchtigte Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom
4. Dezember 2009, mit dem Sie die Hoteliers versorgt
haben, mit dem Sie die Erbschaft- und Schenkungsteuer
gesenkt haben
({8})
und mit dem Sie die Umstrukturierung von Unternehmen im Bereich der Grunderwerbsteuer geregelt haben.
Donnerwetter, was Sie in drei Jahren unter diesen drei
Stichworten alles auf den Weg gebracht haben!
({9})
All das steht in einem, wie ich finde, ganz merkwürdigen Gegensatz zu Ihrer dröhnenden Selbstbeweihräucherung. Und kommen Sie mir nicht mit der Absenkung
des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung und zur
Rentenversicherung! Bei der Arbeitslosenversicherung
haben Sie den Spielraum preisgegeben, den Sie in
schlechteren Zeiten für die Reaktivierung des Kurzarbeitergeldes brauchen.
({10})
Bei der Rentenversicherung haben Sie - gleichermaßen
zur Kritik von Arbeitnehmern und Arbeitgebern - sträflich versäumt, eine Demografiereserve anzulegen, die
wir angesichts der Altersentwicklung unserer Gesellschaft dringend brauchen, um sehr sprunghafte Steigerungen zulasten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu
vermeiden.
({11})
Diese Bundesregierung hat dieses Land weder im
Hier und Jetzt gestaltet, noch hat sie für die Zukunft vorgesorgt. Nichts macht das deutlicher als zum Beispiel
der Vergleich zwischen dem Koalitionsausschuss der
Großen Koalition am 5. Januar 2009, in dem unter maßgeblicher Handschrift der SPD Schritte zur Bewältigung
der damaligen Herausforderungen unternommen wurden, und zwar mit einer Kurzarbeitergeldregelung, mit
einem kommunalen Investitionsprogramm, mit einer
Abwrackprämie für Automobile und mit einer zusätzlichen Förderung der öffentlichen Infrastruktur, und Ihrem
Koalitionsausschuss vom 4. November dieses Jahres.
Welch ein Unterschied mit Blick auf die Qualität und die
Bedeutung der Themen, über die dort diskutiert worden
ist!
({12})
In diesem Koalitionsausschuss haben Sie sich mit keiner einzigen Frage beschäftigt, die den Bürgerinnen und
Bürgern im Augenblick unter den Nägeln brennt. Stattdessen Sendepause und Handlungsunfähigkeit: zur Spaltung
des Arbeitsmarktes mit Niedrigstlöhnen, zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern, zur Energiewende mit
drohenden Strompreiserhöhungen sowohl für private
Haushalte als auch für Industrieunternehmen, zur Undurchlässigkeit und Unterfinanzierung unseres Bildungssystems, zur ungerechten steuerlichen Behandlung von
Alleinerziehenden, insbesondere Frauen, zu Geschiedenen, die gleichermaßen ihre Kinder betreuen, zu eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften oder
zum nach wie vor skandalösen Ehegattensplitting. Nichts
dazu!
({13})
Keiner dieser Punkte - nicht ein einziger! - und vor
allen Dingen kein konzises Krisenmanagement in Absprache mit Frankreich zur augenblicklichen Lage in Europa standen auf Ihrer Tagesordnung. Tatsächlich, Herr
Kauder, haben wir von Ihnen eher gewisse Maßregelungen Frankreichs gehört, wo doch eine bessere Verabredung und Vorbereitung der jetzt anstehenden Sitzungen
sehr viel besser gewesen wäre.
({14})
Herr Brüderle karikierte sich einmal mehr selbst mit
dem Wort vom „großen Sprung nach vorn“ als Ergebnis
dieses Koalitionsausschusses. Autosuggestion, lieber
Herr Brüderle, ist auch eine politische Kunstform; das
gebe ich zu.
({15})
Diese Koalition kämpft nur mit und für sich selbst,
aber sie kümmert sich nicht um die konkreten Probleme
dieses Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Wer
alle Kraft braucht, um die Koalition zusammenzuhalten
- statt unser Land -, der sollte in die Rehabilitation.
({16})
Frau Bundeskanzlerin, wir haben im Schloss Bellevue
bereits einen Präsidenten. Ich will damit sagen: Sie sind
nicht eine über Ihrem Kabinett schwebende Präsidentin,
die mit den Niederungen der innenpolitischen Herausforderungen nichts zu tun hat,
({17})
sondern Sie sind die Chefin einer Regierung, für deren
Handwerk und Qualität in erster Linie Sie verantwortlich
sind.
({18})
Deshalb ist auch Ihnen der Vorwurf zu machen, dass Sie
die gute Zeit nicht genutzt haben und Vorsorge für angespannte Zeiten nicht getroffen haben.
Dabei hat Ihre Koalition schlichtweg mehr Glück als
Verstand: Gegenüber der ersten schwarz-gelben Finanzplanung für den Zeitraum 2010/2013 haben sich die
Steuereinnahmen deutlich günstiger entwickelt, haben
sich die Zinsausgaben deutlich günstiger entwickelt, haben sich die Arbeitsmarktausgaben deutlich günstiger
entwickelt. Das dürfte Sie in einer Größenordnung von
130 Milliarden Euro entlastet haben.
Darüber hinaus kann der Bundesfinanzminister in einer Art Eldorado deutsche Staatsanleihen zu einem Nahezu-Null-Zins platzieren, weil viele Deutschland als sicheren Hafen suchen, in dem sie ankern wollen - eine
fantastische Situation für einen Bundesfinanzminister,
die ich gerne gehabt hätte.
({19})
Der Versicherungskonzern Allianz rechnet Ihnen vor,
dass sich im deutschen Staatshaushalt jährlich eine
Zinsersparnis von über 10 Milliarden Euro ergibt, weil
in der Krise in Europa alle diesen sicheren Hafen ansteuern und deshalb deutsche Staatsanleihen, sogar mit Verlust, kaufen. Das ist eine fantastische Lage.
Jenseits des jährlichen haushaltspolitischen Rituals
- mit der Erfolgspropaganda auf der einen Seite des Hauses und den vielen Belegen, dass das alles nicht der Fall
ist, auf der anderen Seite des Hauses - bleibt nüchtern
festzustellen: Nie zuvor war die haushaltspolitische Ausgangslage für eine ehrgeizige Konsolidierung und eine
zügige Rückführung der Neuverschuldung in Deutschland so günstig wie heute.
({20})
Das haben Sie nicht genutzt. Sie haben - das entspricht
Ihrer Mentalität - Einzelinteressen bedient, wofür die
Beschlüsse des Koalitionsausschusses vom 4. November
beispielhaft stehen.
Lenken Sie mir nicht ab - ich denke an die gestrigen
Beiträge, verehrter Herr Schäuble -, indem Sie ankündigen, dass Sie das strukturelle Defizit einige Jahre vor
2016 erreichen wollen. Sie könnten bereits in der Finanzplanung für 2014 die Neuverschuldung insgesamt
auf null senken - wenn Sie denn wollten.
({21})
2013 wird nach vielen Prognosen ein wirtschaftlich
schlechtes, einige sagen sogar: ein für weite Teile der
Währungsunion und der Europäischen Union hochproblematisches Jahr. Das wird auf Deutschland abfärben.
Obwohl die Wolken am Horizont immer dunkler werden
und die Konjunktur sich erkennbar eintrübt, sorgen Sie
mit diesem Haushalt nicht vor.
Die Selbstbedienung beim Gesundheitsfonds und bei
der KfW ist nicht nur haushaltspolitisch unseriös, sie ist
in der Sache hanebüchen.
({22})
Für 2013 sollen zu den ohnehin vorgesehenen Kürzungen
des Bundeszuschusses von 2 Milliarden Euro 0,5 Milliarden Euro hinzukommen, für 2014 weitere 2 Milliarden
Euro. Statt hier angesichts eines demografischen Wandels, der sich mit mathematischer Sicherheit voraussagen
lässt, Vorsorge zu betreiben, machen Sie „rechte Tasche,
linke Tasche“. Der Gesundheitsfonds wird zum Sonderkonto für Wahlgeschenke, die Sie am 4. November zu
verteilen beschlossen haben.
({23})
Es wird noch schlimmer: Als eine Neuauflage der
Panzerknackerbande
({24})
begeht diese Koalition einen Bankraub von 1 Milliarde
Euro bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Staatsbank muss herhalten, um Haushaltslöcher zu stopfen,
Haushaltslöcher, die bei der aktuellen Einnahmesituation
eigentlich gar nicht entstehen dürften. Die KfW, meine
Damen und Herren von der Koalition, ist eine Förderbank,
({25})
die aus ihren Reserven Investitionsprogramme gestalten
soll. Sie gestaltet Zukunft und Fortschritt in diesem Land
mit Programmen, die wir angesichts der sich abschwächenden Konjunktur vielleicht dringender denn je benötigen.
({26})
Und Sie plündern diese Bank! Dass sich Schwarz-Gelb
nun sogar bei Investitionsmitteln bedient, um Leistungen
wie das Betreuungsgeld gegenzufinanzieren, das belegt
einmal mehr: Das ist Politik von gestern und wird auf
Kosten der Zukunft bezahlt.
({27})
Diese Bundesregierung tut nichts, um den erkennbaren Fliehkräften in unserer Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Es sind keine kraftvollen Initiativen erkennbar,
um Deutschland wirtschaftlich in der Champions League
zu halten.
Was ist mit dem gemeinsamen Fehler, den wir mit
dem Kooperationsverbot im Grundgesetz gemacht haben, und der Notwendigkeit, das Bildungssystem in
Deutschland zu reformieren? Welche Antworten hat die
Bundesregierung auf die steigenden Energiepreise, auf
die steigenden Belastungen von privaten Haushalten und
Industriebetrieben? Welche Antworten haben Sie zur
dramatischen Finanzlage der Kommunen, zur Unterfinanzierung von Bildung, zu den steigenden Mieten und
wenig bezahlbarem Wohnraum und zur dramatischen
Spaltung des Arbeitsmarktes? Welche Antworten liefern
Sie der deutschen Öffentlichkeit?
({28})
Keine.
Sie ignorieren sträflich die Drift in der Einkommensund Vermögensverteilung. Die Schere zwischen Arm
und Reich in Deutschland nimmt deutlich zu. Ich empfehle Ihnen, dazu das sehr lesenswerte Buch Der Preis
der Ungleichheit des US-Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz zu lesen. Der Preis der Ungleichheit
bestehe darin, so schreibt er, dass eine Nation nicht mehr
in der Lage sei, das Bestmögliche aus den Fähigkeiten
ihrer Bürgerinnen und Bürger zu machen. Weiter heißt
es, die vermögenden, teilweise durchaus nur noch ihr
persönliches Interesse wahrnehmenden Eliten würden
Infrastruktur, Bildung und Innovation kaputtsparen. Genau dieses Risiko lastet auch auf der Bundesrepublik
Deutschland.
({29})
Ich stelle Ihnen diese Lektüre anheim.
Sie ignorieren ebenso die Unterschiede in der Bezahlung von Frauen und Männern. Frauen verdienen in
diesem Land durchschnittlich 23 Prozent weniger als
Männer. Wo ist Ihre Initiative für ein Entgeltgleichheitsgesetz, das mit dieser Ungerechtigkeit aufräumt?
({30})
Frauen stoßen bei der Gestaltung ihrer Karriere nach
wie vor an gläserne Decken. Was tun Sie dagegen? Sie
streiten über eine sogenannte Flexi-Quote.
Sie gaukeln mit Ihrem Gesetzentwurf zur kalten Progression den Bürgern einen Befreiungsschlag vor, der
zwar für den Einzelnen vernachlässigbare Verteilungseffekte hat, wohl aber ernste Belastungen für alle Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschland
hervorruft. Niedrigstverdiener haben von der Abschaffung der kalten Progression allenfalls eine Entlastung
von knapp 2 Euro, mehr nicht. Ich sage Ihnen an dieser
Stelle: Ja, selbstverständlich wird die SPD, auch auf
Länderebene, die Erhöhung des steuerfreien Minimums
mittragen. Wenn Sie einen Vorschlag machen würden,
der den inflationsbedingten Staubsaugereffekt vornehmlich bei unteren und mittleren Einkommen beseitigen
würde, und dies mit dem Vorschlag einer Gegenfinanzierung über einen erhöhten Spitzensteuersatz verbinden
würden, dann würden wir in der SPD gemeinsam aufhorchen.
({31})
Die ungeahnten Folgen des chaotischen Ausstiegs aus
dem Ausstieg des Ausstiegs aus der Kernenergie muss
ich Ihnen nicht länger vorhalten. Diese sind nämlich so
offensichtlich, dass Sie es inzwischen mit einer entsprechenden Kritik nicht nur von der SPD, den Grünen und
den Gewerkschaften, sondern auch von vielen Unternehmern und Wirtschaftsverbänden zu tun haben. Dieser
Ausstieg aus dem Ausstieg des Ausstiegs aus der Kernenergie ist jenes Projekt, das Sie mit großem Aplomb als
„Energiewende“ bezeichnen.
Besser als eine Ethikkommission, Frau Bundeskanzlerin, wäre damals eine Expertenkommission gewesen,
die sich mit den Erzeugungskapazitäten, mit Kostenund Preisgerüsten, mit den technischen Voraussetzungen
für ein immer dezentraleres Energieversorgungssystem
und mit den infrastrukturellen Notwendigkeiten beschäftigt und Ihnen die Vorlage für einen Masterplan geliefert
hätte.
({32})
Von einem solchen Masterplan kann bei Ihnen keine
Rede sein, sondern Sie lassen das alles im Streit der Zuständigkeiten Ihrer Ressorts laufen und stimmen es mit
den Ländern zu spät ab. Jede Frittenbude in Deutschland
wird besser gemanagt als die Energiewende in diesem
Land.
({33})
Statt eine energiepolitische Strategie aus einem Guss
zu verfolgen, arbeiten Sie sich von Gipfel zu Gipfel voran. Niemand hier in diesem Saal weiß noch genau, welcher Gipfel eigentlich welches Ergebnis hatte. Es ist bei
Ihnen wie immer dasselbe: Gipfel statt Strategie, Inszenierung statt Substanz, Palaver statt Lösungen, Nebel
statt Klarheit. Aber darüber verliert diese Regierung
Zeit, die unser Land nicht hat.
({34})
Sie sind die größte Investitionsbremse bei der Energiewende, worunter konkrete Unternehmen entlang der
Küste längst leiden, zum Beispiel die SIAG Nordseewerke GmbH in Emden.
({35})
Dies schreiben Ihnen elf Windparkbetreiber, darunter die
vier großen EVUs, in einem Brief ins Stammbuch. Ihre
Reaktion ist aber gleich null.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind mit Ihrer Semantikabteilung Weltmeisterin in der Erfindung von Etiketten. Es
sind aber folgenlose Etiketten: „Energiewende“, „Bildungsrepublik Deutschland“, „Lebensleistungsrente“,
was ein nackter Zynismus ist,
({36})
„Herbst der Entscheidungen“ - davon haben wir 2011
einmal gehört -, „Jahr des Vertrauens“ - das war auch
2011 -, „Lohnuntergrenze“ - Frau von der Leyen hat
sich inzwischen in einer Talkshow damit gebrüstet, sie
hätte den Mindestlohn erfunden -,
({37})
„Technologie, Talente und Toleranz“. Das alles sind Etiketten ohne jede Folge. Dazu gehört auch Ihr Spruch von
„mehr Europa“.
Damit sind wir bei Europa.
Es ist nicht erst seit zehn Tagen klar, sondern eigentlich seit dem ersten Griechenland-Paket offensichtlich,
dass die Probleme von Griechenland zu groß sind und
dass Griechenland große Mühe hat, eine funktionsfähige
und effiziente Staatsverwaltung aufzubauen, und bis
heute nicht in der Lage ist, die Flucht von Kapital in
Steueroasen zu bremsen. Es ist offensichtlich, dass die
Rezession in diesem Land sich in eine Depression weiterentwickelt, zu einer Austerität führt und die staatliche
und gesellschaftliche Ordnung dieses Landes zu destabilisieren droht. Es ist offensichtlich, dass Griechenland in
diesem Jahrzehnt nicht wieder zu einigermaßen auskömmlichen Konditionen an die Kapitalmärkte zurückkehren wird. All dies ist offensichtlich.
Es ist so offensichtlich, Frau Bundeskanzlerin, dass
man diese Probleme „mit einem Mix aus Warten, Wursteln und Wegsehen“, wie die Süddeutsche Zeitung geschrieben hat, nicht mehr übertünchen kann.
({38})
Die Stunde der Wahrheit ist da. Nach allgemeiner Einschätzung, Frau Bundeskanzlerin, muss endlich eine
konkrete Entlastung von Griechenland und nicht nur
eine bloße Verschiebung des Schuldendienstes stattfinden. Griechenland muss substanziell entlastet werden.
Bezogen auf den Radikalvorschlag von Frau Lagarde
heißt das: Es ist gar nicht einmal das störende und sehr
weit reichende Element, dass sie für einen weiteren
Schuldenschnitt plädiert, das Sie in Verlegenheit bringt,
sondern was Sie in Verlegenheit bringt, ist die dahinterstehende knallharte Analyse der Direktorin des Internationalen Währungsfonds, die Ihren Schleiertanz nach
den Melodien „Kein Cent für die Griechen“ - das war im
Frühjahr 2010 - bis hin zu „Es wird kein zusätzliches
Geld für Athen geben“ - das ist die neue Melodie - auffliegen lässt. Diesen Schleiertanz haben Sie uns, der
deutschen Öffentlichkeit und auch Ihrer eigenen Koalition zu lange vorgeführt, mit dem Ergebnis, dass Ihre
Koalition, insbesondere Ihre Fraktion, Ihnen zunehmend
rote Linien setzt, die Sie in Europa handlungsunfähig
machen. Das ist das Zusammenspiel Ihres Schleiertanzes
mit den darauffolgenden Reaktionen Ihrer eigenen Fraktion.
({39})
Sie haben so viele rote Linien aus Ihren eigenen Reihen zu beachten, dass Sie sich in Europa nicht mehr konstruktiv aufstellen können, um diese Krise zu lösen. Die
Zeit des Lavierens, Abwartens und auch der Scheibchendiplomatie ist allerdings vorbei. Machen Sie sich selbst
ehrlich und endlich eine klare Ansage! Die Finanzlücke
Griechenlands ist ohne Inanspruchnahme des deutschen
Steuerzahlers nicht zu schließen. Wir sind längst in einer
Haftungsunion, und für die Stabilisierung der Europäischen Währungsunion werden wir wie für die deutsche
Wiedervereinigung Opfer bringen müssen. Ein Schuldentilgungsfonds, eine faktische Entlastung Griechenlands, ist besser als eine unter wachsendem Problemdruck unkonditionierte Staatsfinanzierung durch die
EZB. Sagen Sie dies endlich der deutschen Öffentlichkeit!
({40})
Sagen Sie einfach, was ist! Damit beginnt jede Politik.
Es ist eine ganz einfache Ableitung: Erstens. Ein Kollaps Griechenlands führt zu unhaltbaren politischen und
ökonomischen Kosten. Das ist die Erkenntnis, die Sie in
der Sommerpause auch gewonnen haben. Zweitens.
Deshalb muss Griechenland in der Euro-Zone gehalten
und stabilisiert werden. Drittens. Dafür braucht es mehr
Zeit und eine Streckung der Auflagen, die Griechenland
erfüllen muss. Viertens. Dies führt unabweisbar zu einer
Finanzlücke.
Das ist eine ganz klare Ableitung. Sie ist nicht durch
irgendein Mixtum compositum zu schließen, nach dem
Motto: Dann reduzieren wir einmal die Zinsen ein bisschen, eventuell auf deutsches Niveau. Was würden denn
Spanien und Italien dazu sagen, wenn gleichzeitig deren
Zinsen hochgingen? Oder mit Blick auf eine Streckung
in den Laufzeiten? Oder indem Geld zum Abkauf von
Staatsanleihen bei Privaten zu einem günstigeren Kurs
investiert wird? Oder indem sogar ein weiterer Schuldenschnitt ansteht? Alles kostet Geld. Alles betrifft diesen Bundeshaushalt. Deshalb wäre es angemessen, dass
Sie bei diesen Unwägbarkeiten die Verabschiedung dieses Haushaltsentwurfes so lange verschieben, bis in
Europa Klarheit ist.
({41})
Ich will mich mit den kurzfristigen Auswirkungen gar
nicht beschäftigen, die eine Bonitätsabstufung von
Frankreich und die Vertagung der gestrigen EuroGruppe haben. Das wollen wir alle nicht herbeireden.
Aber womit ich mich beschäftige, ist: Wie reagieren
denn die Finanzmärkte, wenn sie merken, dass Ihre Entscheidungen vom 29. Juni dieses Jahres im Europäischen Rat folgenlos gewesen sind? Haben Sie nicht bei
Spanien die Hoffnung genährt, dass eine Direktkapitalisierung spanischer Banken aus dem ESM möglich ist?
Das haben die sich ja nicht ausgedacht. Sie haben dies an
eine Kondition gebunden. Mit der Erfüllung dieser Kondition rechneten diese mediterranen Länder zum 1. Januar 2013.
Erkennbar ist Ihr Sinnen und Trachten darauf gerichtet, dass es zu dieser Bankenunion als Voraussetzung für
eine solche Direktkapitalisierung nicht kommt. Aber
wenn sie nicht kommt: Was heißt das für Spanien und
für die Erwartungen der Finanzmärkte? Was heißt das,
wenn das Draghi-Programm so nicht greift, wo er entgegen Ihren ursprünglichen Überzeugungen bereit ist,
Staatsanleihen unlimitiert aufzukaufen, unter der Voraussetzung, dass sich die Länder vorher den Auflagen
des ESM stellen? Aber vielleicht gibt es einige Länder,
die sich diesen Auflagen gar nicht stellen wollen? Vielleicht ist Herr Rajoy mit der spanischen Regierung gar
nicht bereit, diese Bedingungen zu erfüllen? Gerät damit
die Bundesrepublik Deutschland und geraten Sie als Regierung auf eine Rutschbahn, an deren Ende Sie an dem
Punkt landen, den wir Ihnen schon immer vorausgesagt
haben, nämlich dass wir zahlen müssen?
Die Frage ist, wie die Finanzmärkte reagieren, wenn
sie feststellen, dass vieles folgenlos geblieben ist. Ich
stelle in diesem Zusammenhang auch die Frage: Was ist
eigentlich aus der Umsetzung des Wachstums- und Beschäftigungspaktes vom 29. Juni dieses Jahres geworden?
({42})
Was ist denn konkret mit der Umsetzung der Finanztransaktionsteuer? Sie können sich daran erinnern, dass
nicht nur für meine Fraktion, sondern auch für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen diese beiden Punkte die
Voraussetzung für unsere Zustimmung bei einer Zweidrittelmehrheit, die Sie brauchten, und von konstitutiver
Bedeutung waren. Wenn wir uns in diesem Punkt von
Ihnen hinter die Fichte geführt fühlen, dann werden wir
Ihnen nicht erneut die Kastanien aus dem Feuer holen,
wenn Sie wieder unsere Zustimmung brauchen.
({43})
Meine Damen und Herren, ob Haushaltskonsolidierung oder Ihre Europapolitik, ob endlose Streitereien
über Dinge wie das Betreuungsgeld, die wir nicht brauchen, oder Ihr rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild, ob
Tatenlosigkeit bei der sozialen Spaltung des Landes oder
Ihr Dilettantismus bei der Energiewende: Diese Stümperei muss endlich aufhören!
({44})
Sie müssen, Frau Bundeskanzlerin, diese Fähigkeiten
zum Aussitzen und Abwarten irgendwo gelernt haben,
diese Neigung, sich nicht zu exponieren, schön in der
Deckung zu bleiben, um dann auf den Zug zu springen,
in dem die meisten Fahrgäste sind. Sie haben zu lange
den Zusammenhalt Ihrer Koalition über die Interessen
unseres Landes und die Interessen eines gemeinsamen
Europas gestellt. Im September 2013 ist es endlich so
weit, dass dies beendet werden kann. Dazu werde ich
beitragen.
({45})
Dieser Haushaltsentwurf ist der letzte einer schwarzgelben Koalition, der zur Abstimmung entweder am
Freitag ansteht oder später, wenn Sie auf meine Bitte
eingehen, diese Verabschiedung zu verschieben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({46})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir
sind uns in diesem Hause weitgehend einig darüber, dass
wir diesen Haushalt in einer schwierigen europäischen
und in einer schwierigen internationalen Lage vorlegen.
Es ist gerade drei Jahre her, als wir den stärksten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte unseres Landes hatten: 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir mussten
im Jahr 2010 einen Krisenhaushalt mit einer Neuverschuldung von über 80 Milliarden Euro vorlegen. Das
war die höchste Neuverschuldung, die je in einem Haushalt stand. 2011 konnten wir als erstes großes Industrieland wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
({0})
Das alles hat in den letzten drei Jahren stattgefunden.
Es ist gelungen, was wir gerne wollten: dass Deutschland stärker aus der Krise herauskommt, als es hineingegangen ist.
({1})
Dazu haben viele einen Beitrag geleistet. Das wurde in
der Großen Koalition begonnen, aber die christlich-liberale Koalition hat es weitergeführt.
({2})
Wir konnten Fehler korrigieren mit dem schon genannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz,
({3})
indem wir mehr für Unternehmen gemacht haben, indem
wir Erbschaften bessergestellt und damit Unternehmen
das Verbleiben im Lande ermöglicht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, diese Erfolgsbilanz darf man ja auch einmal ansprechen. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt:
Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung.
({4})
Ich will das auch gerne begründen.
Sie ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der
Wiedervereinigung, weil wir - das ist für die Menschen
im Lande wichtig; das sollte man jetzt in diesem Haus
nicht vergessen - den tiefsten Stand der Arbeitslosigkeit
seit der Wiedervereinigung haben.
({5})
Das bedeutet mehr Teilhabe für Millionen von Menschen - von Bürgerinnen und Bürgern und ihren Familien.
({6})
Wir sind die erfolgreichste Bundesregierung, weil wir
mehr für Forschung und Bildung ausgeben, als es seit
der Wiedervereinigung jemals geschehen ist.
({7})
Das bedeutet mehr Chancen für junge Menschen.
Wir sind die erfolgreichste Bundesregierung seit der
Wiedervereinigung - ich glaube, sogar über die Wiedervereinigung hinaus -, weil es noch nie eine solche Entlastung für die Kommunen in unserem Lande gegeben
hat.
({8})
Wir arbeiten an zwei ehrgeizigen Projekten. Zu dem
einen, der Energiewende, kann ich nur sagen: Als Sie damals den Ausstieg unter Rot-Grün für 2022 veranlasst
haben, haben Sie sich um keinerlei Vorsorge, was Leitungsbau, EEG und anderes anbelangt, gekümmert,
meine Damen und Herren.
({9})
Wir haben an einer anderen Stelle akzeptiert, dass die
Realität sich geändert hat. Wir haben die Wehrpflicht
ausgesetzt. Wir bauen die Bundeswehr um. Das ist eines
der ganz großen Projekte, die für unser Land wichtig
sind. Nebenbei konnten wir noch einen Freiwilligendienst einführen, der seinesgleichen sucht, und das Ehrenamt in unserem Land sehr stärken.
({10})
Das heißt, die Menschen können sich auf uns verlassen. Aber sie können auch darauf bauen, dass wir in die
Zukunft blicken. Wir wissen: Für eine gute Situation
heute, die auch am morgigen Tag gilt, muss immer neu
gearbeitet werden, und das in drei Bereichen: solide
Finanzen, Solidarität mit den Schwächeren in der Gesellschaft und Erhaltung und Festigung der Wettbewerbsfähigkeit.
Beginnen wir einmal mit den soliden Finanzen. Die
Neuverschuldung ist auf ein Niveau von 17,1 Milliarden
Euro heruntergekommen.
({11})
Das heißt, wir erfüllen, drei Jahre bevor die Schuldenbremse es von uns verlangt, die Vorgabe, die strukturelle
Neuverschuldung auf 0,35 Prozent zu begrenzen. Das
sucht seinesgleichen, zum Beispiel bei den Ländern, und
zeigt, was der Bund hier leistet.
({12})
Des Weiteren sagen wir - das haben wir in dem schon
genannten Koalitionsausschuss festgelegt -: Wenn sich
die wirtschaftliche Lage vernünftig weiterentwickelt,
dann werden wir 2014 daran arbeiten, die strukturelle
Neuverschuldung noch einmal zu senken, und zwar auf
null. Auch das ist ein ambitioniertes Ziel. 2016 - das
können Sie der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen
- wollen wir die Neuverschuldung auf null geführt haben. Das wäre das erste Mal seit über 40 Jahren. Das ist
unser Blick in die Zukunft, und der ist vernünftig.
({13})
Wir wissen aber: Solide Finanzen sind natürlich kein
Selbstzweck, sondern es geht letztendlich darum, was
die Menschen im Lande davon haben. Neben der Tatsache, dass wir zukunftsfähiger werden, wenn wir uns weniger neuverschulden und wenn wir langfristig Schulden
abbauen, ist eines der wesentlichen Resultate der guten
Situation auf dem Arbeitsmarkt, dass in den letzten Jahren auch die Einkommensungleichheit gesunken ist. Das
zeigt sich daran, dass zum Beispiel zwischen 2005 und
2010 1 100 Euro mehr pro Haushalt im Osten und
600 Euro mehr im Westen inflationsbereinigt zur Verfügung standen. Diese Entwicklung setzt sich jetzt gerade
fort. Einkommensungleichheit wird verringert, indem
wir mehr Menschen in Arbeit bringen. Das ist die Lehre
aus den letzten Jahren. Dieser Kurs muss fortgesetzt
werden.
({14})
Ich weiß, dass die gute Situation, die sich heute in unserem Lande darstellt, ganz wesentlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmern
in unserem Lande erarbeitet wurde, und zwar jeden Tag
aufs Neue, mit viel Leidenschaft, mit viel Herzblut, mit
viel Ausbildung und allem, was dazu gehört. Aber gerade deshalb bedeuten solide Finanzen natürlich auch,
dass wir da, wo wir den Menschen Freiräume eröffnen
können, sie ihnen auch eröffnen.
Was wir geschafft haben, sind zwei Dinge: einerseits
die sozialen Sicherungssysteme, auf die wir in diesem
Land stolz sein können - Rentenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung -, zu stärken,
ihnen ihre Aufgabenerfüllung zu ermöglichen, und andererseits da, wo es möglich ist, den Kurs durch Entlastung
von Lohnzusatzkosten fortzusetzen, um wieder mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist genau der Kreislauf, auf
den wir setzen, weil wir den Menschen im Lande etwas
zutrauen, meine Damen und Herren; das ist vielleicht
auch der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({15})
Deshalb sagen wir: Ja, wir senken den Rentenversicherungsbeitrag, so wie es im Übrigen die rechtliche
Lage erfordert,
({16})
weil wir wissen, dass wir langfristig vor großen Herausforderungen stehen, aber auch, weil wir wissen, dass wir
gerade jetzt in einem sehr fragilen Umfeld arbeiten und
alles, was Entlastung möglich macht, wieder wachstumsfördernd wirkt. So haben wir es im Übrigen auch
mit dem Gesundheitsbeitrag in der Großen Koalition gemacht. Das nur einmal zur Erinnerung.
({17})
Und wir haben die Praxisgebühr abgeschafft - auch
das war der letzte Koalitionsausschuss -; das wurde offensichtlich von allen befürwortet. Der Vizepräsident
des Deutschen Bundestages, der seines Zeichens ein
Mitglied der SPD-Fraktion ist, hat darauf hingewiesen,
dass es selten vorkommt, dass in so großer Einmütigkeit
Entscheidungen getroffen werden. Meine Damen und
Herren, sagen Sie einfach einmal Danke an die FDP, die
das Abschaffen der Praxisgebühr ermöglicht hat.
({18})
Wir haben gleichzeitig den Vorschlag gemacht, dass
wir in einer Zeit, in der die Einkommen nach langer
Lohnzurückhaltung in Deutschland wieder steigen, nicht
die Steuern senken, sondern dass wir nichts anderes machen, als den Menschen das, was ihnen durch die kalte
Progression und die Inflation genommen wird, durch die
Erhöhung des Grundfreibetrags wieder zurückzugeben.
({19})
Sie müssen mir einmal erklären, warum es gerecht
sein soll, dass der Staat zwar den Menschen mit unteren
und mittleren Einkommen das zurückgeben will, was er
sich vorher, obwohl es ihm eigentlich gar nicht gehört
und ihm nur durch Nebeneffekte zugefallen ist, genommen hat, dass er aber just in dem Moment zum Beispiel
für die Mittelständler, die vielleicht etwas mehr verdienen, gleich noch einmal die Steuern erhöht. Mir leuchtet
das nicht ein. Das ist nicht gerecht.
({20})
Oder um es andersherum zu sagen: Lieber geben Sie
denjenigen mit unteren und mittleren Einkommen nichts
zurück, wenn Sie nicht gleichzeitig denjenigen mit höheren Einkommen etwas nehmen können. Das ist eine tolle
Politik in Zeiten der ersten Reallohnzuwächse seit Jahren, meine Damen und Herren. Das muss man hier einfach einmal aussprechen.
Unsere Vorstellung von Gesellschaft ist, dass gerade
auch die Kommunen Handlungsspielräume haben. In
den Kommunen findet Politik nah bei den Menschen
statt. Wir wissen, dass eine der großen Herausforderungen der Zukunft die demografische Veränderung ist. Wir
wissen, dass Altersarmut ein Thema ist, das mit ansteigender Bedeutung gerade die Kommunen beschäftigen
wird. Genau deshalb haben wir gesagt: Wir übertragen
die Kosten der Grundsicherung auf den Bund, und zwar
für alle Zeiten. Das ist einer der großen Beiträge für
mehr freiheitliche Politik in unserem Land, für mehr
kommunalen Handlungsspielraum. Die kommunalen
Spitzenverbände erkennen das auch an. Das sollten Sie
ebenfalls tun, meine Damen und Herren.
({21})
Was die zukünftigen Herausforderungen angeht, ist
mit Sicherheit die demografische Veränderung eine der
ganz großen Herausforderungen für unsere Gesellschaft.
Die Bundesregierung hat deshalb nicht nur die Lage analysiert und die Handlungsfelder, in denen wir agieren
müssen, bestimmt; wir haben uns auch an alle Mitstreiter
in dieser Frage gewandt. Im Übrigen haben wir auch
sehr positive Antworten bekommen. Jetzt werden wir
die Demografiestrategie Schritt für Schritt umsetzen zusammen mit den Kommunen, mit den Ländern, mit
den kommunalen Spitzenverbänden und mit anderen
Akteuren.
({22})
Wir haben aber natürlich auch schon erste Schritte
unternommen. Ich will hier nennen: die Allianz für Menschen mit Demenz, zusätzliche Leistungen für Demenzkranke - diese können wir jetzt endlich in der Pflegeversicherung besser darstellen - und die Förderung der
privaten Pflegevorsorge. Das sind nur drei Punkte, bei
denen wir ganz konkret beginnen, dem demografischen
Wandel entgegenzuwirken.
Natürlich wissen wir: Gerade in Zeiten, in denen sich
die Bevölkerung so entwickelt, dass wir mehr ältere
Menschen haben, in denen die Lebensdauer glücklicherweise auch länger ist, gilt es vor allen Dingen, den Familien den Spielraum und die Lebensmöglichkeiten zu geben, die Zukunft zu bewältigen; denn in Familien
werden Werte vermittelt, die der Staat so nicht vermitteln kann.
({23})
Wir setzen daher auf Wahlfreiheit. Deshalb haben wir
das Betreuungsgeld hier beschlossen.
({24})
Das haben wir hier ausführlich diskutiert. Dazu möchte
ich heute gar nichts sagen. Die Problematik bezüglich
der Wahlfreiheit zeigt sich aber natürlich vorrangig darin, dass Deutschland über Jahrzehnte zu wenige Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige hatte. Im Übrigen
hat Rot-Grün in den Jahren seiner Regierung gar nichts
daran geändert. Da mussten wir erst einmal kommen,
meine Damen und Herren, um dafür zu sorgen, dass man
damit überhaupt einmal einfängt.
({25})
Ohne eine CDU-Familienministerin in der Großen Koalition wäre es doch gar nicht dazu gekommen. Das
müssen die Menschen im Lande doch einmal wissen.
({26})
Wir haben 4 Milliarden Euro für die Kleinkindbetreuung eingesetzt. Wir haben jetzt noch einmal 580 Millionen Euro draufgelegt. Wir zahlen die Betriebskosten.
Das alles tun wir trotz der Nichtzuständigkeit des Bundes, weil wir überzeugt sind, dass die Zukunft unseres
Landes davon abhängt.
({27})
Nachdem wir nun verabschiedet haben, dass wir noch
einmal zusätzliches Geld in die Hand nehmen, sage ich
- auch im Einvernehmen mit der zuständigen Ministerin -:
Jetzt ist es an den Ländern, auch wirklich das Ziel umzusetzen, das wir gemeinsam vereinbart haben, nämlich
den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz zum 1. August
2013, meine Damen und Herren.
({28})
Natürlich müssen wir auch darauf achten, dass keine
Generation über Gebühr belastet wird. Das wird uns in
den nächsten Jahren ganz wesentlich beschäftigen; denn
die jungen Menschen sind heute viel mobiler, als sie das
früher waren. Keiner in Deutschland kann gezwungen
werden, zu arbeiten. Deshalb müssen wir auf eine Generationenbalance achten.
Wir haben eine Situation, in der wir bis 2030 6 Millionen Erwerbstätige weniger haben werden. Wir haben
eine Situation, in der sich das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern bis 2030 von heute drei zu
eins auf zwei zu eins, also zwei Erwerbstätige auf einen
Rentner, verändern wird.
({29})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir haben darauf ja die richtige Antwort gefunden.
({30})
Wir haben gesagt: Wenn die Menschen länger leben,
dann müssen wir die Arbeitszeit verlängern. Deshalb haben wir uns für die Rente mit 67 entschieden.
({31})
Ich rate uns allen dringend, den Menschen keinen Sand
in die Augen zu streuen und heute nicht wieder so zu
tun, als wäre das alles nicht nötig und als wäre es besser,
bis 2020 zu warten und dann zu entscheiden. Dann würden die Einschnitte viel dramatischer sein.
({32})
Stattdessen sollten wir doch einmal das anschauen,
was wir geschafft haben. 2001 betrug die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen 21 Prozent, war also jeder Fünfte erwerbstätig. 2011 waren es 44,2 Prozent.
Das heißt, wir haben den Anteil verdoppelt. Ich bin damit nicht zufrieden. Ich weiß auch, dass diese Zahl bei
den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen geringer ist. Aber sollten wir diese Entwicklung nicht lieber positiv aufnehmen und darauf aufbauen, anstatt den Menschen einzureden, das sei alles
gar nicht nötig?
({33})
Wir sagen: Wir wollen, dass alle bis 64 oder 65 Jahre im
Erwerbsleben sein können. Da werden auch viele Betriebe umdenken müssen. Aber diese Herausforderungen
müssen wir annehmen.
({34})
Wenn man richtig hingehört hat, weiß man: Natürlich
haben wir uns im Koalitionsausschuss mit dem Thema
Altersarmut beschäftigt.
({35})
Wer jetzt behauptet, dass das Thema Altersarmut die
Menschen nicht interessiert - denn angeblich beschäftigen wir uns ja nur mit Sachen, die die Menschen nicht
interessieren -,
({36})
der sagt schlichtweg nicht die Wahrheit.
({37})
Denn das Thema Altersarmut ist ein Thema.
({38})
Sie haben damals unter Rot-Grün die Grundsicherung
eingeführt. Wir haben damals die Grundsicherung übernommen. Das war eine richtige Entscheidung. Ich rate
uns jetzt allen, diese Entscheidung, die so alt auch noch
nicht ist, nicht wieder so schlechtzureden, dass die Menschen den Eindruck haben, das sei etwas, was gar nicht
akzeptabel ist. So etwas wie eine Grundsicherung gibt es
in vielen Ländern nicht.
({39})
Aber wir sagen auch: Wer 40 Jahre gearbeitet hat, wer
privat vorgesorgt hat, der soll eine Rente aus der Rentenkasse bekommen. Dafür steht die christlich-liberale Koalition, und dafür werden wir unsere Vorschläge vorlegen.
({40})
Dann möchte ich daran erinnern, dass der wichtigste
Faktor, mit dem wir unseren Wohlstand erhalten können,
die Investition in Bildung und Forschung ist. Hier hat die
Koalition mehr getan als alle Koalitionen vor ihr. Sie hat
knapp 4 Milliarden Euro pro Jahr mehr investiert. Jeder
weiß, dass Wissenschaftler aus dem Ausland zu uns zurückkommen, weil die Berechenbarkeit von Forschungsbedingungen in Deutschland inzwischen ein Standortmarkenzeichen geworden ist.
Ich will auch noch an das erinnern, was wir in den Bereichen geschafft haben, in denen wir mit den Ländern
zusammenarbeiten. 2008 hatten wir einen Qualifizierungsgipfel mit den Ministerpräsidenten. Wir haben inzwischen eine Studienanfängerquote von 50 Prozent.
Wir haben inzwischen weniger Schulabbrecher. Wir haben inzwischen mehr Migrantinnen und Migranten, die
einen Schulabschluss machen. Es sind aber immer noch
zu viele, die keinen machen. Fast doppelt so viele müssten ihn machen. Aber wir sind auf einem guten Weg, und
diesen Weg werden wir ganz gezielt fortsetzen, gerade
im Bereich der Integration. Denn auch hier zeigt sich,
wie wir in der Zukunft mit unserer Gesellschaft klarkommen können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass die Jugendarbeitslosigkeit mit die geringste in Europa ist, dass sie in den letzten Jahren halbiert wurde, ist doch ein Riesenerfolg. Sagen wir doch
den Jugendlichen: Hier arbeiten wir weiter. Keiner darf
verloren gehen. - Aber malen wir doch nicht ein schwarzes Bild von Deutschland.
({41})
Wenn es um Kooperationsverbote geht, dann empfehle ich Ihnen einfach, der beantragten Änderung des
Grundgesetzartikels 91 b zuzustimmen. Genau damit
wollen wir das Kooperationsverbot im Wissenschaftsbereich aufheben. Die Bundesbildungsministerin ist glücklicherweise so mutig, einfach das zu machen, was notwendig ist, sei es in Baden-Württemberg, sei es in Berlin
hinsichtlich der Kooperation von Charité und MaxDelbrück-Centrum. Aber es wäre schöner, wir könnten
es auf eine gemeinsame Grundlage stellen.
({42})
Also, sträuben Sie sich nicht. Seien Sie mutig. Gehen Sie
auf unser Anliegen ein, das Kooperationsverbot zuerst
da abzuschaffen, wo es möglich ist. Das ist meine Aufforderung an Sie.
({43})
Meine Damen und Herren, natürlich werden wir gerade im Energiebereich vor große Herausforderungen
gestellt. Wir haben jetzt glücklicherweise einen Arbeitsmodus mit den Ministerpräsidenten gefunden.
({44})
- Ja, eine vernünftige Kooperation.
({45})
- Eine vernünftige Kooperation. Sie wissen, dass wir,
wenn ich mich recht erinnere, im Juni des Jahres 2011
die Energiewende beschlossen haben. Der Kooperationsmodus ist ein Jahr später in Kraft gesetzt worden.
({46})
Wir werden im Dezember den ersten Monitoringbericht
bekommen. Den werden Sie beraten können.
({47})
Wir sagen doch überhaupt nicht, dass es nicht eine
ganze Reihe von wirklichen Herausforderungen gibt.
Vor welchen Herausforderungen wir stehen, haben wir
bei der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zur
Photovoltaik erfahren. Es waren nicht die Koalitionsfraktionen, die einen schnelleren Abbau verhindert haben, sondern es waren zum Schluss die Abstimmungsmechanismen mit dem Bundesrat.
({48})
Ich sage nur: Es geht um eine bessere Verzahnung.
Das müssen wir schaffen. Deshalb werden wir bis März
auch Vorschläge dazu vorlegen. Im Übrigen sind wir mit
den Ministerpräsidenten darin übereingekommen, dass
wir besser vernetzen und dass wir die zunehmende und
inzwischen auch in vielen Bereichen und an vielen Stunden des Tages gleichrangige Versorgung mit erneuerbaren Energien mit grundlastfähigen Kraftwerken sichern,
und zwar so, dass die Dinge Hand in Hand gehen: dass
die Speichermöglichkeiten besser werden und dass wir
dafür die entsprechenden Netze haben. Dazu befindet
sich eine Vielzahl von Gesetzgebungsverfahren in Arbeit, die ich hier nicht alle aufzählen möchte.
Wir werden die Energiewende allerdings nur schaffen, wenn wir auch im Bereich der Energieeffizienz
etwas erreichen. Hier gehört es wirklich zu den Paradoxien, dass Sie das Wort „Energieeffizienz“ wunderbar
im Munde führen, während die gesamte Gesellschaft,
alle Verbände - von den Gewerkschaften über die Umweltverbände bis zu den kommunalen Spitzenverbänden, Handwerksverbänden und den restlichen Wirtschaftsverbänden - sagen: Bitte lasst uns ein steuerliches
Anreizprogramm für Gebäudesanierung machen. - Darauf haben Sie uns bisher keine vernünftige Antwort gegeben. Das ist die Situation.
({49})
Sie wissen genau, eine solche steuerliche Förderung
der Gebäudesanierung finanziert sich nicht nur aus sich
heraus, sondern schafft noch Mehrwert. Das sagt jeder,
der von der Sache Ahnung hat. Deshalb sollten Sie das
wirklich noch einmal überdenken.
({50})
Meine Damen und Herren, natürlich ist Deutschland
mit dem, was ich beschrieben habe, und mit dem, was
wir noch in Angriff nehmen werden, nicht eine Insel,
sondern tief vernetzt mit der Weltökonomie und mit der
europäischen Wirtschaft. Europa befindet sich in einer
eher ernsten Lage. Deshalb sollten wir mit Ruhe und Anerkennung auf das schauen, was in Europa passiert, aber
auch mit der Erkenntnis, dass diese Dinge nicht in ein,
zwei Jahren zu lösen sind.
Der Chef des EFSF und des ESM, Herr Regling, sagte
uns vor wenigen Tagen: Die Unterschiede in den Lohnstückkosten zwischen Nordeuropa und Südeuropa sind
von 50 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Das ist nicht
alles, aber es ist ein wichtiger Indikator, der dafür
spricht, dass daraus auch Arbeitsplätze entstehen werden, genauso wie aus den Arbeitsmarktreformen, die wir
in Deutschland durchgeführt haben.
({51})
Wenn Sie die 500 Seiten, die wir Ihnen zu den Veränderungen in Griechenland übersandt haben, einmal
durchschauen, dann wissen Sie, dass es hier nicht vorrangig um Sparauflagen geht. Es geht zwar auch um
Sparen, insbesondere im öffentlichen Sektor. Aber hier
geht es vor allem um einen tiefgreifenden und notwendigen Umbau des griechischen Staates, damit die Menschen in Griechenland auf lange Sicht wieder eine
Chance haben, auch in Wohlstand zu leben und ihre Zukunft selbst gestalten zu können.
({52})
Ja, es ist richtig, dass es eine politische Entscheidung
ist, zu sagen: Wir wollen, dass Griechenland im EuroRaum bleibt. Natürlich sind wir in Europa durch gemeinsame Werte verbunden. Aber das entbindet uns
nicht davon, darauf zu achten, dass die Reformen in
Griechenland zum Wohle der Menschen in Griechenland
wirklich durchgeführt werden müssen.
({53})
Deshalb ist die Kombination von Anforderungen hinsichtlich Veränderungen auf der einen Seite und von Solidarität auf der anderen Seite genau die richtige Antwort
Europas in dieser Situation.
({54})
Es ist eine gute Nachricht, dass die Troika bereits jetzt
gesagt hat, dass die Vorgaben zu den Veränderungen in
Griechenland erfüllt sind und dass die vorher durchzuführenden Maßnahmen - die sogenannten Prior Actions auch durchgeführt wurden. Das ist ein wichtiger Fortschritt, und ich weiß, wie viel Anstrengung das die griechische Regierung gekostet hat.
Deshalb werden auch keinerlei Abstriche bei den Erwartungen an die Reformen gemacht, bei deren Umsetzung
Deutschland im Übrigen hilft, sowohl im Gesundheitsbereich als auch beim Aufbau der lokalen Verwaltung.
Aber angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in
Griechenland, aber auch in Europa und weltweit, gibt
man Griechenland zwei Jahre mehr Zeit, um den Primärüberschuss zu erreichen, der vorher veranschlagt war.
Wir kennen das im Übrigen auch; denn bei uns hat sich
die Wachstumsprognose seit dem Frühjahr ebenfalls halbiert. Es ist also nicht so, dass nur die Prognosen für
Griechenland nicht ganz richtig sind. Spätestens seit der
Krise sind wir daran gewöhnt, da öfter einmal etwas
Neues zu hören.
Jetzt geht es darum, die notwendigen Finanzierungen
bereitzustellen. Ich möchte zunächst einmal ein herzliches Dankeschön an den Bundesfinanzminister sagen,
der immer noch auf der Regierungsbank sitzt, obwohl er
die ganze Nacht gearbeitet und Sie dann noch alle informiert hat. Danke.
({55})
Aus diesen Informationen wissen Sie, wie die Planungen
aussehen. Ich will das jetzt nicht im Detail darstellen.
Man weiß es zwar nicht genau, aber ich glaube, es gibt
Chancen, am Montag zu einer Lösung zu kommen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung machen. Diese Sehnsucht - darauf bin ich hier
schon oft eingegangen -, es möge doch die eine Aktion,
den einen Befreiungsschlag, die eine Wahrheit geben,
welche bewirken, dass morgen diese Probleme nicht
mehr auftauchen - diese Sehnsucht wird es nicht geben.
({56})
- Die Sehnsucht gibt es natürlich, aber die Antwort auf
diese Sehnsucht wird es nicht geben. Diese Sehnsucht ist
zwar menschlich verständlich, aber die Antwort wird es
so nicht geben. Das Ganze ist ein Prozess. Was über
Jahre und Jahrzehnte versäumt wurde, kann nicht plötzlich über Nacht realisiert werden. Deshalb werden wir
auch weiterhin schrittweise vorangehen müssen.
({57})
Morgen beginnt ein Europäischer Rat, der wiederum
von großer Bedeutung ist. Ich weiß nicht, ob wir morgen
oder übermorgen schon zu abschließenden Ergebnissen
kommen können. Wir wollen das; notfalls müssen wir
uns Anfang des nächsten Jahres noch einmal treffen.
Es geht um die mittelfristige finanzielle Vorausschau.
Weil hier nach dem Wachstum gefragt wurde, will ich
noch einmal darauf hinweisen, dass wir den Wachstumspakt beschlossen haben. Dieser Wachstumspakt wird
natürlich umgesetzt. Der kundige Thebaner weiß zum
Beispiel, dass wir unser Geld für die Europäische Investitionsbank überwiesen haben. Der noch kundigere Thebaner weiß, dass damit schon erste Programme von
Herrn Hoyer bearbeitet wurden.
Wenn die Europäische Kommission dann noch alle
Fragen rund um die Beihilfe geregelt hat, dann stehen
für Portugal und für Griechenland 500 Millionen Euro
und vieles andere bereit, was vorher nicht möglich war.
Wir haben uns also richtig entschieden, als wir uns für
eine Stärkung von Wachstum, Investition und für eine
größere Rolle der Europäischen Investitionsbank eingesetzt haben. Da waren wir ja alle einer Meinung. Ich
wollte Ihnen nur noch einmal mitteilen, dass das Ganze
nun auch läuft.
({58})
Wenn Sie sich zugleich einmal anschauen, wie viel
flexibler die Strukturfonds heute verwendet werden können - zum Beispiel zur Kofinanzierung für kleinere und
mittlere Unternehmen, damit diese bei der Europäischen
Investitionsbank einen Kreditantrag stellen können -,
dann wissen Sie, dass wir für die Umsetzung der Beschlüsse aus dem Wachstumspakt bereits die richtigen
Antworten gefunden haben.
Die mittelfristige finanzielle Vorausschau ist nun die
konsequente Fortsetzung. Deutschland hat sich stark gemacht, schon jetzt, Ende 2012, eine Entscheidung zu
treffen. Neulich bin ich gefragt worden: Warum denn das
jetzt auch noch? Darauf habe ich geantwortet: Damit es
Planbarkeit und Planungssicherheit gibt. - Denn für
viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die im
Augenblick eine Haushaltskonsolidierung vornehmen,
sind die europäischen Investitionsmittel fast die einzigen
Mittel, die für Investitionen in die Zukunft zur Verfügung stehen.
({59})
Deshalb brauchen wir diese Planbarkeit, und deshalb
sollte sich Deutschland dafür einsetzen.
({60})
Sie verstehen sicherlich, dass es natürlich auch eine
Reihe von Eigeninteressen gibt - vom Agrarbereich bis
hin zu den neuen Bundesländern -, die wir in den Verhandlungen ebenfalls vertreten werden. Das Auswärtige
Amt, hier Staatsminister Link, hat hierfür intensive Vorbereitungen getroffen. Wir werden das in den nächsten
Tagen in den Verhandlungen fortsetzen.
Insgesamt geht es darum, wie sich Europa in der Zeit
von 2014 bis 2020 aufstellen wird. Wir wollen zum
Schluss sagen können: Ja, wir tun mehr für moderne
Netze. Ja, wir tun mehr für Investitionen in Forschung
und Entwicklung. Ja, wir haben in einigen Bereichen
weniger Bürokratie. Ja, wir können besser investieren,
da einige Dinge von der Kommission geleistet werden
können. Meine Damen und Herren, wir werden also daran arbeiten.
Ich will auf einen weiteren Bereich in Europa zu sprechen kommen, der natürlich wichtig ist. Wir alle wissen:
Die Finanzkrise konnte nur dadurch entstehen, dass die
Regulierung der Finanzmärkte nicht ausreichend war.
Deshalb will ich auch an dieser Stelle eine klare Antwort
geben: Es haben sich ausreichend Mitgliedstaaten gefunden, die in einer verstärkten Kooperation an einer
Finanztransaktionsteuer arbeiten werden. Der Kommissionspräsident selber hat mir noch einmal gesagt, dass es
für ihn oberste Priorität hat, dass wir das wirklich sehr
schnell umsetzen. Insofern laufen die Verhandlungen.
Sie wissen, dass Deutschland in vielen Fragen der
Bankenregulierung Vorreiter war.
({61})
Wir haben die Leerkäufe verboten. Das ist inzwischen in
Europa Gemeingut. Wir haben den Hochfrequenzhandel
verboten. Wir hoffen, dass Europa folgt. Wir waren die
Ersten, die ein Restrukturierungsgesetz für die Banken
hatten. In Europa arbeitet man jetzt glücklicherweise
daran.
Beim nächsten G-20-Treffen - ich habe gerade mit
dem russischen Präsidenten darüber gesprochen; Russland hat dann die G-20-Präsidentschaft inne - wird das
Thema Schattenbanken, das in der Tat ein Riesenthema
ist, eine zentrale Rolle spielen. Das Financial Stability
Board hat am Sonntag genau dazu Vorschläge gemacht.
Ich werde alle Kraft daransetzen - hoffentlich mit Ihrer
Unterstützung -,
({62})
dass wir genau in dem Bereich vorankommen. Denn ansonsten schaffen wir nicht, was wir uns vorgenommen
haben, nämlich dass jeder Finanzplatz, jeder Finanzmarktakteur und jedes Finanzprodukt einer Regulierung
unterworfen werden, möglichst nicht nur in Deutschland, möglichst nicht nur in Europa, sondern möglichst
überall auf der Welt.
({63})
Ich will auf die Initiative des Finanzministers verweisen, der zusammen mit dem britischen Finanzminister
das Steueroasentum noch einmal auf die Tagesordnung
gesetzt hat.
({64})
Auch das ist eine ganz wichtige Initiative. Also, wir sollten gemeinsam daran arbeiten. Denn die Widerstände
liegen weniger in Deutschland; sie liegen außerhalb
Deutschlands. Da haben wir alle noch viel zu tun, meine
Damen und Herren.
({65})
Wenn ich über die Lage in Europa spreche, dann sei
auch ein Blick auf die internationale Lage geworfen. Wir
sehen in diesen Tagen, dass die Menschen in einigen
Regionen in einer sehr fragilen Situation leben. Ich
möchte dem Bundesaußenminister danken, dass er jetzt
im Nahen Osten unterwegs war und wichtige Impulse
gesetzt hat,
({66})
dafür, dass wir einen Beitrag dazu leisten, einen Waffenstillstand zu erreichen, aber auch - ich sage das ganz
bewusst - dass wir ein Zeichen an Israel senden. Denn
die Gewalt hatte ihren Ausgangspunkt in Beschüssen
vonseiten der Hamas auf israelisches Gebiet. Wir alle,
die wir nicht dort waren, können uns, glaube ich, nicht
vorstellen, was es bedeutet, wenn man zusammen mit
seiner Familie immer wieder Angst hat, beschossen zu
werden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Es gibt das
Recht auf Verteidigung der eigenen Bevölkerung, und
dieses Recht hat der israelische Staat, und er hat die
Pflicht.
({67})
Nichtsdestotrotz - das wird heute in der außenpolitischen Debatte sicherlich noch eine Rolle spielen - werden wir natürlich alles daransetzen, eine Eskalation der
Gewalt zu vermeiden, einen Waffenstillstand zu erreichen und den politischen Prozess so schnell wie möglich
- so schwierig das auch ist - wieder in Gang zu setzen;
denn zu ihm gibt es mittelfristig und langfristig keine
vernünftige Alternative.
({68})
Meine Damen und Herren, wir erleben seit Monaten
die quälende Situation in Syrien, wo Tausende und
Abertausende von Menschen aufgrund der Gewalt sterben. Über 400 000 Flüchtlinge sind in den Nachbarländern Syriens.
({69})
Wir erleben, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht zu einer gemeinsamen Stimme findet, und dies
ist bedrückend. Wir haben auch erlebt, dass ein Mitgliedstaat unseres Bündnisses, der NATO, angegriffen
wurde. Deshalb hat die Bundesregierung, natürlich nach
ganz engen Konsultationen mit Ihnen, gesagt: Wenn ein
Partner in der NATO an uns einen Wunsch hat, dann prüfen wir das, dann versuchen wir natürlich, diesen
Wunsch zu erfüllen. Natürlich schauen wir uns die Bedingungen an, und selbstverständlich wird das alles hier
im Parlament umfassend diskutiert; das ist das Wesen
unserer Parlamentsarmee.
Dies zeigt aber auch, wie nah wir doch den Krisenregionen sind und wie kostbar das Gut des Friedens ist.
Ich will einen weiteren Schwerpunkt nennen: Mali.
Wir schicken uns an, dass eine Ausbildungsmission der
Europäischen Union zusammengestellt wird. Auch hier
erfolgt eine engste Abstimmung mit dem Parlament.
Auch hier ist es, wie ich finde, richtig, zu sagen: Wir
wollen keinen eigenen Einsatz; aber wenn es um den
Kampf gegen den Terrorismus geht, sind wir schon verpflichtet, unser Wissen und unsere Fähigkeiten in der
Ausbildung weiterzugeben. Deshalb diskutieren wir dies
ganz intensiv.
Wir werden noch in diesem Jahr beginnen, über ein
neues Afghanistan-Mandat zu beraten. In diesem Zusammenhang möchte ich ganz klar sagen: Es gibt viel zu
tun in Afghanistan. Aber wir befassen uns inzwischen
mit dem Prozess der Übergabe von Verantwortung in
Verantwortung. Wir können die Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten reduzieren; das ist eine gute Nachricht.
Wir haben Erhebliches bei der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte und bei der Ausbildung der afghanischen Polizei erreicht; auch das ist wichtig. Ich male hier
kein geschöntes Bild, ich kenne die Probleme; aber ich
sage: Das ist ein ganz wichtiger Prozess. Wir sind uns
einig, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten von
Herzen für ihren Dienst in Afghanistan danken, der alles
andere als einfach ist.
({70})
Wir sind uns einig - das zeigt auch die vernetzte
Kooperation in der Bundesregierung -,
({71})
dass wieder das gilt, was für alle militärischen Konflikte
gilt: Allein militärisch werden wir keinen Sieg erringen,
es muss eine politische Kooperation, eine Entwicklungskooperation, eine Sicherheitskooperation geben.
({72})
Ich glaube, auch darüber gibt es eigentlich keine unterschiedlichen Meinungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte findet
also in einer schwierigen Situation in Europa, in einer
fragilen Situation in vielen Regionen der Welt statt.
Umso mehr können wir uns glücklich schätzen, dass wir
in Europa leben, dass diese Europäische Union am
10. Dezember den Friedensnobelpreis verliehen bekommt,
({73})
und das im Übrigen nicht in einer Zeit, in der Europa
große Erfolge zu verzeichnen hat - als der Kalte Krieg
zu Ende ging, als die Europäische Union erweitert
wurde, als der Euro eingeführt wurde -, sondern in einer
Zeit, in der auch wir beweisen müssen, dass wir an unsere europäische Zukunft glauben.
({74})
Ich darf Ihnen sagen: Wir in der Bundesregierung tun
alles dafür, damit der Satz, den wir anlässlich des
50. Jahrestages der Römischen Verträge gesagt haben:
„Wir sind zu unserem Glück vereint“, auch in Zukunft
gilt. Das ist ein wesentlicher Teil der Arbeit der christlich-liberalen Koalition. Andere habe ich Ihnen vorgestellt. Wir tun unsere Arbeit: für heute, für morgen, für
die Zukunft und vor allen Dingen für die Menschen in
diesem Lande. Das zeichnet uns aus.
Herzlichen Dank.
({75})
Ich glaube, jetzt ist es gut. Wir können die Debatte
fortsetzen.
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die
Kollegin Katja Kipping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die
bisherige Debatte verfolgt hat, hat gemerkt, dass sie so
ein bisschen was von einer Castingshow hatte: Deutschland sucht den Superwahlkämpfer. Beide Kandidaten
versuchen, sich ins rechte Licht zu setzen. Herr
Steinbrück schenkt der Regierung mit viel rhetorischem
Tamtam ein, Frau Merkel verteidigt sich tapfer. Die
Fanblöcke sind aufmarschiert. Das alles ist etwas weniger glamourös als bei Deutschland sucht den Superstar;
dafür ist aber Herr Lammert, finde ich, etwas sympathischer als Dieter Bohlen.
({0})
Am Ende aber ist es vor allen Dingen eine Show, und
die Frage ist doch:
({1})
Wie groß sind die Unterschiede wirklich, wenn die
Scheinwerfer aus sind und wenn es in den Backstagebereich geht? Wird nicht hinter der Bühne schon ganz
heftig geflirtet?
Einen kleinen Augenblick, bitte, Frau Kipping. - Ich
darf diejenigen, die jetzt der Debatte nicht weiter folgen
können oder wollen, bitten, entweder den Saal zu verlassen oder jedenfalls für die gebotene Aufmerksamkeit zu
sorgen.
Bitte schön, Frau Kipping.
({0})
Herr Steinbrück, Sie haben auf Angriff gespielt. Die
Frage ist aber doch: Wie glaubwürdig ist das? Werden
Sie nicht einen Haushalt mit der gleichen Schwerpunktsetzung in den höchsten Tönen loben, wenn es nach der
Wahl zu einer Großen Koalition kommt? Und dass es
dazu kommen wird, pfeifen doch inzwischen schon die
Spatzen von den Dächern.
({0})
Wir erleben hier eine Show. Die Medien werden morgen
wieder Haltungsnoten vergeben. Die Frage ist doch:
Reicht es wirklich, Haltungsnoten zu vergeben? Sind
dafür die Probleme nicht viel zu groß?
Immer mehr Menschen können ihre Stromrechnung
nicht bezahlen und sind von Stromabschaltungen betroffen. Die Mieten explodieren, sodass viele Menschen aus
den Wohngebieten der Innenstädte verdrängt werden. Eltern laufen sich die Hacken ab auf der Suche nach einem
Kitaplatz. Die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land geht immer weiter auseinander, und Deutschland exportiert weiter fleißig Kriegswaffen und trägt damit zur Aufrüstung in der Welt bei.
Meine Damen und Herren, das ist die Realität in diesem Land. Ich finde, angesichts dieser Realität müssen
wir hier mehr liefern als eine Show. Politik muss mehr
leisten als eine Castingshow. Wir brauchen einen wirklichen Wechsel, und darum geht es uns als Linke.
({1})
Wir wollen einen wirklichen Wechsel hin zu einem sozial-ökologischen Umbau, hin zu Umverteilung, damit
die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht
immer ärmer werden. Das ist unser Verständnis von
Politik.
({2})
Zu einem wirklichen Wechsel gehört die Beendigung
der Zweiklassenmedizin und die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung, also einer Versicherung,
in die alle - auch Abgeordnete und Beamte - einzahlen.
Wir haben errechnet, dass dadurch der Beitrag sogar
niedriger ausfallen würde. Er läge dann nämlich bei
10,5 Prozent. Meine Damen und Herren, das wäre doch
etwas. Das könnten wir doch zusammen in Angriff nehmen.
({3})
Zu einem wirklichen Wechsel gehört eine soziale
Energiewende. Diese muss den Wechsel hin zu erneuerbaren Energien garantieren, ohne dass die Ärmsten
frieren und im Dunkeln leben müssen. Wir haben dazu
Vorschläge gemacht. Um nur einen zu nennen: Wir meinen, dass wir endlich wieder eine funktionierende Preisaufsicht benötigen; denn sprudelnde Gewinne der
Stromkonzerne bei steigender Energiearmut, das ist für
uns als Linke nicht hinnehmbar.
({4})
Zu einem wirklichen Wechsel in diesem Land gehört
auch ein Ende aller Kampfeinsätze. Deutschland ist der
drittgrößte Kriegswaffenexporteur. Meine Damen und
Herren, wir wissen es doch: Wenn die Waffen reden,
schweigt die Vernunft. Niemand kauft sich einen Panzer,
um ihn als Zierde in den Vorgarten zu stellen. Am Ende
findet jede Waffe ihren Krieg. Deswegen sagt die Linke
ganz klar: Wir brauchen einen sofortigen Stopp der
Rüstungsexporte; denn mit dem Tod macht man keine
Geschäfte. Das ist einfach unanständig.
({5})
Zu einem wirklichen Wechsel gehört aber auch, die
UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit
Behinderung ernst zu nehmen. Barrierefreiheit und Inklusion sind eben keine Almosen, die man mal gewährt,
wenn es uns gerade in den Kram passt. Inklusion und
Barrierefreiheit sind ein Recht. Im Übrigen würde Barrierefreiheit das Leben nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern für alle Menschen besser machen.
({6})
Zu einem wirklichen Wechsel gehört, dass wir nicht
nur auf dem Papier für jedes Kind einen Kitaplatz garantieren. Eltern wissen es: Man kann sich gar nicht früh genug um einen Kitaplatz bemühen, am besten fängt man
schon vor dem Beginn der Schwangerschaft an.
Das sind doch unmögliche Fristen. Das geht doch
nicht! Als ich geboren wurde, haben meine Eltern einen
Antrag auf einen Trabant gestellt, weil die Lieferfristen
für Autos damals 18 Jahre betrugen. Über diese Seite der
DDR-Mangelwirtschaft können wir heute nur lachen.
Was mir heute Sorge bereitet, ist, dass in diesem reichen
Land inzwischen Bildung zur Mangelware verkommt.
Wir meinen, es kann nicht sein, dass sich Eltern die Hacken ablaufen müssen. Deswegen müssen wir die Gelder
für den Kitaausbau aufstocken.
({7})
Das alles sind Maßnahmen, die man sofort angehen
kann. Ich möchte im Folgenden über drei zentrale Bereiche reden, an denen man erkennen kann, wie ein wirklicher Wechsel aussehen kann. Ich möchte auch die Debatten zwischen CDU/CSU und SPD in diesen Bereichen
daraufhin abklopfen, inwieweit es tatsächlich einen Unterschied zwischen ihnen gibt.
Das erste Thema ist die sogenannte Euro-Rettung.
Nun sind die Verhandlungen gestern gescheitert. In der
Tat muss man deswegen die zentrale Frage aufwerfen:
Wie seriös ist es angesichts des bisherigen Verhandlungsstandes überhaupt, in dieser Woche einen Haushalt
zu beschließen? Wer von Ihnen kann denn wirklich ausschließen, dass am Ende Entscheidungen anstehen, die
auf den Haushalt durchschlagen? Also: Am Ende stellen
wir nur einen ungedeckten Scheck aus.
Europa. Dieses Wort ist im Sprachgebrauch inzwischen untrennbar verbunden mit dem Begriff „Krise“.
Aber wofür könnte Europa stattdessen stehen? Europa
könnte für die große Menschheitshoffnung auf Frieden
stehen. Europa könnte dafür stehen, dass die sozialen
Grundrechte eben nicht nur Theorie sind, sondern verwirklicht werden. Europa könnte als Kraft des Fortschritts für die Beendigung von Rassismus und Nationalismus stehen.
Leider muss ich all dies im Konjunktiv formulieren;
denn der Kurs von Schwarz-Gelb in Europa führt in eine
andere Richtung. Man muss sagen: Durch Ihren Kurs
wird die Krise deutlich verschärft. Ja, Frau Merkel, es
sind Ihre Kürzungsauflagen, die mit dazu führen, dass
Schwangere in Griechenland nur dann in einen Kreißsaal
gelassen werden, wenn sie Geld hinblättern. Es sind Ihre
Kürzungsauflagen, die dazu führen, dass es in Kinderkrankenhäusern an dem Überlebensnotwendigen fehlt.
Das Kürzungsdiktat führt aber nicht nur zu humanitären Katastrophen. Es ist auch volkswirtschaftlich falsch.
Mit diesem Kürzungsdiktat reiten Sie Europa weiter in
die Krise. Das wird letztlich auch für unser Land zum
Bumerang werden; denn auch deutsche Unternehmen
sind auf die Nachfrage in Südeuropa angewiesen. Das ist
doch ganz einfach: Wenn Lohn- und Rentenkürzungen
in Südeuropa zu einer flächendeckenden Verarmung führen, spätestens dann werden wir merken, dass sich dort
kaum noch jemand einen Fernseher, ein Fahrrad und anderes leisten kann. Das heißt auch, dass man dorthin
nichts mehr exportieren kann. Dann wird die Krise auch
hier ganz anders zutage treten. Deshalb sagen wir als
Linke ganz klar: Wir wollen einen Marshallplan, wir
wollen einen sozial-ökologischen Umbau in Europa, und
dafür muss man Geld in die Hand nehmen.
({8})
In den Debatten über die Euro-Rettung konnten wir
hier oft SPD-Redner erleben, die Frau Merkel heftigst
attackierten. Ja, reden können sie. Das lassen sich einige
auch gut entlohnen. Am Ende lief es aber ab wie bei einer dieser Castingshows, wo die Kandidaten im Scheinwerferlicht miteinander konkurrieren und hinterher im
Backstagebereich heftig flirten. Am Ende haben SPD
und Grüne dem Fiskalpakt und der sogenannten EuroRettung - leider - treu und brav zugestimmt.
Das Schlimme daran war nicht nur ihre Entscheidung,
sondern vor allem die Begründung. Es hieß: Wir müssen
die Finanzmärkte stabilisieren; wir müssen die Finanzmärkte beruhigen. Das sind verdammt teure Beruhigungspillen. Es war doch genau diese Haltung, das Erstarren vor den Finanzmärkten wie das Kaninchen vor
der Schlange, die uns in diese Krise hineingeführt hat.
Wenn uns die Krise eines deutlich vor Augen geführt
hat, dann, dass wir die Finanzmärkte an die Kandare
nehmen müssen. Deswegen lautet das Gebot der Stunde
nicht, milliardenschwere Baldriantabletten für die Finanzmärkte in die Hand zu nehmen, sondern Regulierung. Sparkassen statt Zockerbanden - das ist das Gebot
der Stunde.
({9})
Ich komme zum zweiten zentralen Bereich, zu
Hartz IV. Erinnern Sie sich noch an die Debatten über
den Hartz-IV-Regelsatz? Das glich rhetorisch einer
Schlacht der Gigantinnen. Am Ende - welche Überraschung - lag der Unterschied bei 3 Euro. Von einem Regelsatz, der wirkliche Teilhabe garantiert, sind leider
SPD wie CDU/CSU weit entfernt.
Beide sind leider auch weit davon entfernt, die Sanktionen abzuschaffen. Wie diese wirken, möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen. Eine Dresdnerin - das hat
sie mir erzählt, als sie mich aufsuchte - sitzt in einem
Vorstellungsgespräch. Am Ende dieses Gesprächs geht
es um den Lohn. Dabei rutscht ihr der Satz heraus: Ups,
der ist ja niedriger als Hartz IV. - Der Arbeitgeber meldet dies dem Jobcenter. Daraufhin wird dieser Frau
Hartz IV um 30 Prozent gekürzt.
Auch das ist Kern und Wesen von Hartz IV: Die Menschen sollen gefügig gemacht werden, sollen Dumpinglöhne akzeptieren. Hartz-IV-Sanktionen untergraben aber
die Grundrechte. Ich möchte eine Gesellschaft, in der sich
niemand als Untertan auf einem Amt fühlt. Ich möchte
eine Gesellschaft, in der niemand auf einem Amt schikaniert werden kann. Auch deswegen sagt die Linke: Wir
wollen Hartz IV durch eine soziale, sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzen.
({10})
Zum dritten Bereich, zur Rente. Wir wissen: Niedrige
Löhne führen am Ende auch zu niedrigen Renten. Insofern ist unser Einsatz für gute Arbeit auch ein Einsatz für
gute Renten. Unser Rentenkonzept sieht eine Rentenversicherung vor, in die alle einzahlen. Wir wollen außerdem eine solidarische Mindestrente, die wirklich vor Altersarmut schützt. Das ist eine Alternative zur drohenden
Altersarmut: eine armutsfeste Rente und die Garantie,
dass man im Alter nicht ins Bodenlose fällt.
({11})
Die Modelle von SPD und CDU/CSU - egal wie sie
bezeichnet werden - werden dem nicht gerecht. Die inzwischen zur Lebensleistungsrente degradierte Zuschussrente wird gerade einmal 2 Prozent der Geringverdienenden irgendwie helfen.
Ich finde, dass wir in diesem Bereich nicht kleckern
dürfen; denn inzwischen ist Altersarmut auch in diesem
Land Realität. Davon zeugt zum Beispiel das Schicksal
einer 82-Jährigen, die mich vor einigen Wochen in meinem Wahlkreisbüro aufsuchte. Wegen einer Behinderung durfte sie ihr Leben lang nur halbtags arbeiten.
Deswegen hat sie eine niedrige Rente. Sie hat fein säuberlich aufgeschrieben, wie viel Geld ihr pro Tag nach
den notwendigen monatlichen Abzügen zum Leben
bleibt: 8,47 Euro. Das reicht, um nicht zu verhungern.
Aber viel mehr ist nicht drin. 8,47 Euro bedeuten beispielsweise, dass sie das letzte Mal vor 20 Jahren im
Theater war. Bei Anschaffungen wird es schwierig. Sie
sagte zu mir: Für den Sommer habe ich Sandaletten und
für den Winter Stiefel. Aber was mache ich in der Übergangszeit? Da muss ich mich entscheiden, ob ich
schwitze oder friere. - So sieht Altersarmut in diesem
Land aus. Das haben alle bisherigen Bundesregierungen
mit zu verantworten; denn niemand von Ihnen hatte den
Mut und die Courage, eine Mindestrente einzuführen,
die sicher vor Altersarmut schützt. Damit muss jetzt
Schluss sein.
({12})
Die Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU in
der Rentenpolitik muss man mit der Lupe suchen. Aber
die Gemeinsamkeiten springen sofort ins Auge. Gemeinsam haben Sie die Rente erst ab 67 zu verantworten. Gemeinsam haben Sie sich für eine Senkung des Rentenniveaus ausgesprochen. Gemeinsam haben Sie bisher die
Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert
West immer wieder hinausgeschoben.
Nun ist etwas Bewegung in die Frage der Ostrenten
gekommen. Herr Steinbrück hat das als ein wichtiges
Thema erkannt. Ich sage: Das ist ein wirklicher Erfolg
der Linken. Wir haben dieses Thema immer wieder auf
die Tagesordnung gesetzt.
({13})
Hier zeigt sich einmal mehr: Die Linke wird immer mehr
zum Ideengeber, zur Ideenwerkstatt. Es ist gut, wenn Sie
bei uns abschreiben. Keine Sorge, wir nehmen dafür
auch keine Gebühren.
({14})
Damit wir andere Wege in diesem Land einschlagen
können, braucht es ein breites Bündnis für eine faire
Umverteilung und einen sozial-ökologischen Umbau.
Dazu möchten wir einladen. Doch wie reagieren Sie,
Herr Steinbrück? Aus purer Ideologie schließen Sie jegKatja Kipping
liche Kooperation aus. Ich meine, wer so handelt, der
macht vor allen Dingen eines: Er schafft eine Überlebensversicherung für eine CDU-Kanzlerin Merkel.
({15})
Wer so agiert, ist vielleicht ein Versicherungsmakler,
wenn es um Überlebensversicherungen für CDU-Kanzlerinnen geht, aber er verhindert auf jeden Fall einen
wirklichen Wechsel. Sie verhindern mit diesem Agieren
die Einführung von Mindestlöhnen, Mindestrenten und
einer Mindestsicherung. Sie verhindern die Einführung
einer Bürgerversicherung, und Sie verhindern den Stopp
von Rüstungsexporten. Das haben Sie zu verantworten.
({16})
An dem vorliegenden Haushalt ist viel zu kritisieren.
Ich möchte das an zwei Zahlen verdeutlichen. Die Linke
hat vorgeschlagen, 22 Millionen Euro mehr für den
Kampf gegen die Ausbreitung von Neonazis einzusetzen. 22 Millionen Euro sind nicht viel im Vergleich zum
Volumen des gesamten Haushalts. Als die Studie „Die
Mitte im Umbruch“ vorgestellt worden ist, waren wir
alle betroffen. Wir haben gehört, dass jeder Vierte ausländerfeindlich und fast jeder Zehnte antisemitisch ist.
Solch ein Befund erfordert mehr als bloße Betroffenheit.
Da muss man doch etwas tun. Aber Sie waren nicht einmal bereit, etwas Geld in die Hand zu nehmen, um den
Kampf gegen Rechtsradikalismus zu unterstützen. Das
ist wirklich peinlich.
({17})
8,6 Milliarden Euro - um diese Summe sollen die
Mittel im Bereich Arbeitsmarkt gesenkt werden. Das ist
eine massive Kürzung. Ihre Begründung, dass Sie hier
aufgrund der sinkenden Arbeitslosenzahlen kürzen, zieht
einfach nicht; denn die Zahlen werden im nächsten Jahr
nicht so sehr sinken. Hier zeigt sich eines ganz klar: Sie
wollen den Haushalt zulasten der Arbeitsmarktpolitik sanieren. Das ist ein Preis, den man eigentlich nicht zahlen
kann.
({18})
In Haushaltsdebatten wird gern darüber gesprochen,
was wir uns alles nicht leisten können. Ich möchte über
drei Punkte sprechen, die wir uns aus Sicht der Linken
tatsächlich nicht leisten können.
Erstens. Verzicht auf einen Mindestlohn. Wenn wir einen flächendeckenden Mindestlohn hätten, dann hätten
wir weniger Ausgaben, zum Beispiel für aufstockende
Hartz-IV-Leistungen. Wenn wir höhere Löhne hätten,
gäbe es mehr Einnahmen bei den Sozialversicherungen.
Prognos hat es ausgerechnet: Ein flächendeckender Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde würde zu insgesamt
12 Milliarden Euro mehr in den Haushalten und den Sozialkassen führen. Das ist doch nicht nichts. Wir können
es uns einfach nicht leisten, wie Schwarz-Gelb es handhabt, aus ideologischen Gründen darauf zu verzichten.
Mit dieser Form von Ideologie muss Schluss sein, auch
aus haushalterischen Gründen.
({19})
Zweitens. Ausgaben für das Militär. Wir haben es ausgerechnet: Pro Einwohner geben wir für das Militär im
Jahr 400 Euro aus. Es ist sehr interessant: An allen wichtigen Stellen wird gekürzt. Für den Kitaausbau und den
Kampf gegen Rechtsextremismus ist kein Geld vorhanden, aber beim Militär sind wir großzügig. Ich meine,
diese Großzügigkeit können wir uns nicht mehr leisten.
Hier gilt es, Geld einzusparen.
({20})
Drittens. Steuergeschenke an Superreiche, an Millionäre und an Konzerne. Die Steuerpolitik der vorangegangenen Bundesregierungen hat Konzerne und Reiche
steuerlich enorm entlastet. Die Senkung des Spitzensteuersatzes und die Senkung der Körperschaftsteuer sind
nur einige Beispiele. Die Gewerkschaft Verdi hat ausgerechnet, wie viel Geld uns durch diese Steuergeschenke
seit dem Jahr 2000 durch die Lappen gegangen ist. Insgesamt wären auf allen Ebenen rund 500 Milliarden
Euro zusammengekommen. Dieses Geld fehlt in den öffentlichen Kassen, zum Beispiel für den Ausbau von Kitas. 500 Milliarden Euro Steuerverlust seit 2000 - diese
Großzügigkeit gegenüber den Reichen und den Konzernen können wir uns nicht mehr leisten. Deswegen sagen
wir ganz klar: Wir brauchen jetzt einen Kurswechsel hin
zu Steuergerechtigkeit, hin zu einer couragierten Besteuerung von Reichen und von Konzernen.
({21})
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die
Probleme sind groß. Ich glaube, angesichts dessen müssen wir hier mehr leisten als eine Show im Scheinwerferlicht. Es geht um mehr als um Scheingefechte im
Scheinwerferlicht. Es geht darum, wirkliche Alternativen zur Abstimmung zu stellen. Die Vorschläge der Linken zeigen diese auf. Ein erster Schritt wäre, wenn Sie
unseren Änderungsanträgen heute zustimmen.
Vielen Dank.
({22})
Rainer Brüderle ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kipping, nach Ihrer Rede wünscht man sich den
Gysi geradezu zurück.
({0})
Der Auftritt des Kollegen Steinbrück hat heute keinen
mehr überrascht. Er ist der Kollege in diesem Haus, der
alles besser weiß. Ob er es besser kann, steht auf einem
anderen Blatt. Der Kollege Steinbrück hat zu den meisten Themen mindestens zwei Meinungen im Angebot:
Frauenquote, Rente mit 67, Griechenland-Insolvenz,
Transparenz bei Nebentätigkeiten, Betreuungsgeld,
Finanzmarktregulierung, Trennbankensystem. Selbst zu
Ihrer Kanzlerkandidatur erklären Sie gestern dies, heute
das Gegenteil. Ich habe die Zitate Ihrer Irrungen und
Wirrungen dabei.
({1})
Wenn sich der Kollege Steinbrück korrigieren muss,
spricht er nicht von Fehler, sondern von einer Lernkurve.
({2})
Seit der Ankündigung als Kanzlerkandidat kennt die
Lernkurve von Herrn Steinbrück nur eine Richtung: steil
nach unten.
({3})
Sie haben sich abhängig gemacht: nicht von den Großbanken, den Möbelhäusern, den Sparkassen und Stadtwerken, bei denen Sie gegen Geld Vorträge gehalten haben; das habe ich nie so gesehen, und das habe ich auch
nicht kritisiert.
({4})
Nein, Sie haben sich abhängig gemacht von der SPDLinken. Sie hält zu dem unterirdischen Krisenmanagement im Moment öffentlich den Mund. Heute gab es den
neuesten Fall. Die Welt titelt: „Steinbrücks ‚Heuschrecke‘ entsetzt die Genossen“. Sie haben den Autor des berühmten Buches Scheißkerle als Onlineberater vorgesehen und sich offenbar wieder von ihm getrennt - erneut
ein „genialer“ Griff in die Personalkiste.
({5})
Sie sind offenbar „out of touch“. Ich hoffe, Sie sind nicht
„out of space“.
({6})
Sie werden einen hohen Preis für das Schweigen Ihrer
Linken zahlen. Jeden Linksschwenk müssen Sie mitmachen. Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Die linke Programmatik geben Ihnen
Sigmar Gabriel und die Jusos vor.
({7})
Der Kandidat stürzt von einer Lernkurve zur nächsten.
So kann man keinen Staat machen.
({8})
Das gilt übrigens auch für das Thema Griechenland.
Sie haben erklärt - ich zitiere -:
Griechenland ist pleite.
Man müsse über eine Insolvenzordnung für Staaten
nachdenken. - Sie haben erklärt:
Ich wäre gern vorbereitet für den Fall einer griechischen Pleite.
Man brauche einen Plan B. - Sie haben erklärt:
In einigen Fällen mehren sich bei mir die Zweifel,
ob alle Länder in der Euro-Zone gehalten werden
können.
Sie haben erklärt:
Ich kann nicht erkennen, dass einige Länder die Lücke ihrer Wettbewerbsfähigkeit schließen können.
Sie haben erklärt:
Wenn aber Reformzusagen permanent gebrochen
werden, zweifelt man, ob unsere Solidarität nicht
vergeudet ist.
Sie haben erklärt:
({9})
Ich gebe ja zu, dass man nicht immer zu geradlinigen Ergebnissen kommt. Man schwankt ja auch unter dem Eindruck sich aktuell verändernder Daten.
Man müsse Griechenland wegen der Ansteckungsgefahr
retten. - Das war nur eine kleine Auswahl Ihrer diversen
Griechenland-Positionen. Welchen Steinbrück hätten Sie
bei der SPD denn gern? Den Steinbrück der Insolvenz,
den Steinbrück der Euro-Bonds oder den Steinbrück der
Ansteckungsgefahr? Die Leute sagen: Der Peer hat alles
im Angebot.
({10})
Diese Bundesregierung kämpft seit über zwei Jahren
für eine Ausgewogenheit von Solidität und Solidarität.
Griechenland hat unbestreitbar einige Fortschritte gemacht. Allerdings: Man ist noch nicht über den Berg.
Für uns war die Reihenfolge immer klar: Die Troika legt
ihren Bericht vor, danach wird auf Grundlage des Berichts entschieden. Europa ist solidarisch. Aber wir erwarten auch Gegenleistungen. Geld bringt dabei ein
bisschen Zeit; aber es löst keine Strukturprobleme. Entscheidend ist, dass Griechenland die Strukturreformen
im Parlament nicht nur beschließt, sondern sie auch
wirklich konkret anpackt. Davon hängt die Entwicklung
Griechenlands ab.
({11})
In ganz Europa brauchen wir mehr Stabilität, mehr
Solidität, mehr Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich brauchen wir Solidarität mit den Schwächeren; aber Deutschland darf auch nicht überfordert werden. Die hilfsbedürftigen Länder müssen die Unterstützung, die sie erfahren,
auch nutzen. Sie müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Sie müssen Wachstum schaffen. Das ist übrigens
die Kernfrage für ganz Europa, nicht nur für die Länder,
die unter Rettungsschirmen stehen.
Schauen Sie sich die Situation in Frankreich an: Dort
hat man lange Zeit auf Konzepte der Steuererhöhung,
auf Konzepte der Arbeitszeitverkürzung, auf Konzepte
der frühen Verrentung gesetzt. Der neue Präsident wollte
dies anfangs noch toppen. Als Erstes hat er die SarkozyReformen zurückgedreht. Er hat die Steuern erhöht, die
Rentenreform gestoppt. Gleichzeitig musste er einen
Wachstumseinbruch in Frankreich verkünden. Heute ist
die Malaise noch größer: Rekordarbeitslosigkeit, viele
Schulden und wenig Wettbewerbsfähigkeit.
Der Economist, London, hat vergangene Woche
Alarm geschlagen: Er warnte vor der Zeitbombe im Herzen Europas - „The time-bomb at the heart of Europe“.
Dies wurde in Frankreich als zu drastisch empfunden.
Wir wissen: Magazine brauchen Schlagzeilen, und auf
der Insel wird manches anders gesehen. Aber diese Analyse einfach vom Tisch zu wischen, wäre nicht richtig.
Ich darf zitieren, was Gerhard Schröder über die Politik der sozialistischen Regierung in Frankreich gesagt
hat: Die Wahlkampfversprechen des französischen Präsidenten werden sich an der ökonomischen Situation
brechen. Wenn es mit der Refinanzierung der Schulden
schwierig wird, bekommt Frankreich echte Probleme. Auch das wurde in Frankreich als zu drastisch empfunden. Diese Woche hat jedoch die zweite Ratingagentur
Frankreichs Kreditwürdigkeit herabgestuft.
Die Franzosen warten auf den Mitterrand-Moment ihrer neuen Administration. François Mitterrand brauchte
zwei Jahre, bis er die wirtschaftlichen Realitäten akzeptierte. Bei seinem ersten sozialistischen Nachfolger sind
erste Ansätze erkennbar, dass er richtige Maßnahmen ergreift, etwa die Senkung der Unternehmensteuern in
Frankreich. Europa braucht ein starkes Frankreich,
Deutschland braucht ein starkes Frankreich. Deutschland und Frankreich sind gute Partner und Freunde. Deshalb wünschen wir unseren französischen Nachbarn,
dass sie bald die Kraft haben, die richtigen Entscheidungen zum Erfolg hin zu treffen.
({12})
Wenn wir in andere Regionen der Welt schauen, sollte
uns bewusst werden, wie viel Glück wir in Europa und
mit Europa haben. Europa ist eine Friedens- und Wohlstandsgemeinschaft. Die Kanzlerin hat auf die Lage im
Nahen Osten hingewiesen. Dort kann man sehen, wie
Menschen leiden müssen, wenn das friedliche Zusammenleben immer wieder infrage gestellt wird. Ich teile
die Sorgen der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers zur Lage im Nahen Osten. Die Bilder, die uns
täglich über die Medien, das Fernsehen erreichen, sind
bedrückend.
Israel hat das Recht, sich der Gewalt der Hamas-Raketen entgegenzustellen. Israel hat das Recht, sein Land
und sein Volk zu verteidigen. Israels Regierung handelt
zum Schutz ihrer Bürger; es ist die Reaktion auf die Raketen der Hamas.
Diese terroristischen Angriffe von radikalen Islamisten stellen - das sollten wir nicht vergessen - auch unsere Werte der Freiheit infrage. Wir müssen alle ein Interesse daran haben, dass diese Zusammenhänge von Tod
und Zerstörung besprochen werden.
Die Bundesregierung setzt auf Verhältnismäßigkeit
und Deeskalation. Der Bundesaußenminister war gerade
zu Vermittlungsgesprächen, zu Sondierungsgesprächen
in Israel, in Palästina. Er führt auch in Kairo Gespräche.
Ägypten ist ein wichtiger Faktor. Ägypten hat Einfluss
auf die Führung in Gaza. Präsident Mursi hat bisher sehr
verantwortlich gehandelt. Wir wünschen uns von ihm,
dass er seinen Einfluss geltend macht. Ein Stopp des Raketenbeschusses ist eine notwendige Bedingung für eine
Waffenruhe. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit dieser Konflikt nicht eskaliert. Es darf
keinen Flächenbrand in dieser Region geben.
({13})
Im Moment findet das fast schon traditionelle Ringen
um den europäischen Gesamthaushalt für die nächsten
sieben Jahre statt. Die meisten Geberländer, wie Deutschland, haben ein Angebot gemacht, das vernünftig und
ausgewogen ist. Dabei geht es grob gesprochen um
1 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts.
Großbritannien ist ausgeschert. Übrigens hat das zum
Großteil die Schwesterpartei der SPD, die Labour Party,
zu verantworten. Der britische Premier wäre mit einem
Einfrieren des Finanzrahmens zufrieden gewesen. Das
Unterhaus verlangt wegen der Labour Party eine Kürzung. Wo war da eigentlich der Kanzlerkandidat der
SPD? Wo war da Sigmar Gabriel, der sonst an jeder
Ecke die Sozialistische Internationale hochhält? Kein
Ton war von Ihnen zu vernehmen. Ihre Schwesterpartei
schwenkt zu den Euro-Skeptikern über. Sie hat die Fronten gewechselt, und von der SPD gibt es keine Reaktion
zur veränderten Position der Labour Party Großbritanniens.
({14})
Dass manche Nehmerländer, wie Polen, mehr wollen,
ist verständlich. Sie haben das Argument: Wir müssen
40 Jahre des Eisernen Vorhangs aufholen und sind auf
einem guten Weg. - Hier sollte die Europäische Kommission ein Makler zwischen den Interessen sein. Aber
diese Rolle ist im Moment nicht wirklich erkennbar. Zudem soll die Kommission eine gewisse Vorbildfunktion
einnehmen.
Günter Verheugen hat letzte Woche erklärt, dass auch
die Kommission ein Zeichen der Haushaltskonsolidierung setzen sollte. Alle nationalen Regierungen, auch
Deutschland, schnallen den Gürtel enger. Da kann die
Kommission nicht übermäßig draufsatteln. Verheugen
hat auch gesagt - ich zitiere -:
Europa wird nicht untergehen, wenn wir etwas weniger Geld ausgeben, als die Kommission vorgeschlagen hat.
Ich bin dem Ratspräsidenten Van Rompuy dankbar.
Er hat sehr diskussionswürdige Vorschläge, etwa auch
zum Agrarbereich, gemacht. Man muss allerdings fragen, warum die regionale Strukturpolitik europäisch ist,
eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik aber nur
in Umrissen erkennbar ist. Unser Außenminister und unser Verteidigungsminister, Westerwelle und de Maizière,
arbeiten hart daran, dass sich da etwas ändert. Das ist
richtig so. Will Europa im Konzert der Weltmächte mitspielen, dann darf es sich nicht nur währungspolitisch
stark aufstellen, sondern muss dies auch in diesen Feldern tun. Europa muss sich außen- und sicherheitspolitisch europäisieren. Das ist ein langer Weg. Da geht es
sicherlich um Jahre, vielleicht auch um Jahrzehnte. Aber
ohne eine gemeinsame Armee, ohne eine gemeinsame
Außenpolitik wird die europäische Integration nach meiner Überzeugung nicht gelingen.
Deutschland geht es gut, besser als den meisten Ländern auf der Welt. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Bei der Wettbewerbsfähigkeit liegt
Deutschland auf den vorderen Plätzen. Deutschland ist
ein sicherer Hafen des Wohlstands. Seit drei Jahren steigen die Reallöhne. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das gilt
auch für die Jugendarbeitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit. Die Kinderarmut ist zurückgegangen.
Zu dieser guten Bilanz haben viele beigetragen: fleißige
Menschen, erfolgreiche Unternehmen, vernünftige Sozialpartner, aber auch die christlich-liberale Koalition.
Die christlich-liberale Koalition hält Deutschland auf
Kurs.
({15})
Wir konsolidieren, wir investieren, wir entlasten.
({16})
Drei Jahre früher als vorgeschrieben halten wir die
Schuldenbremse ein. Ohne Zusatzbelastungen von außen hätten wir einen ausgeglichenen Haushalt. Durch die
Einlage in den ESM haben wir europäische Verpflichtungen übernommen. Wir überweisen den Bundesländern über 10 Milliarden Euro. Vor allem die rot-grün
geführten Länder haben sich die Zustimmung zum Fiskalpakt teuer bezahlen lassen. Das ist die Realität. Sonst
hätten wir schon längst einen ausgeglichenen Haushalt.
({17})
Für die rot-grünen Regierungen ging es bei den Verhandlungen nicht um die Zukunft des Euro, sondern um
möglichst viele Euro für ihre Staatskassen, um ihre Länderhaushalte aufzuhübschen. Das kann sehr hilfreich
sein, wie man an der Situation in Nordrhein-Westfalen
sieht. Baden-Württemberg hat 3 Milliarden Euro Mehreinnahmen und 5 Milliarden Mehrausgaben. So sieht
grüne Nachhaltigkeit aus. Da kann man das bewundern.
({18})
Die christlich-liberale Koalition hingegen macht das
anders. Die christlich-liberale Koalition macht das besser.
({19})
Wir setzen seit Beginn dieser Legislaturperiode auf
strikte Ausgabendisziplin.
Wären wir der „Wünsch dir was“-Opposition gefolgt,
wären die Ausgaben Jahr für Jahr um Milliardenbeträge
gestiegen. Allein für diesen Haushalt hat die SPD Erhöhungsanträge im Volumen von 7 Milliarden Euro gestellt. Kürzungsanträge: Fehlanzeige! Herr Steinbrück,
googeln Sie mal! Dann finden Sie noch mehr Ausgabenwünsche von Sozialdemokraten und keine Beiträge dafür, den Haushalt zu konsolidieren. Googeln macht
schlauer - auch Sie mit Blick auf Ihre eigene Partei.
({20})
Von den Grünen kommen 6 Milliarden Euro ohne Kürzungsvorschläge dazu.
Rot-Grün will seine Zusatzausgaben anders finanzieren.
({21})
Sie wollen die Steuern massiv erhöhen.
({22})
Kollege Trittin gibt dabei den Möchtegern-Finanzminister. Glauben Sie wirklich ernsthaft, Herr Trittin, die
Deutschen würden Ihnen ihr Geld anvertrauen?
({23})
Man kann in den Beschlüssen der Grünen nachlesen,
was ein Finanzminister Trittin die Steuerzahler kosten
würde: Erhöhung der Einkommensteuer: 5 Milliarden,
Abschaffung des Ehegattensplittings: 3,5 Milliarden,
({24})
Einführung einer Vermögensabgabe: zehn mal 10 Milliarden,
({25})
Erhöhung der Lkw-Maut, Erhöhung der Diesel- bzw.
Heizölsteuer, Erhöhung der Steuern für Firmenwagen,
Einführung einer Kerosinsteuer: insgesamt 10 Milliarden Steuerbelastung;
({26})
Verdoppelung der Erbschaftsteuer: 4,4 Milliarden, Erhöhung der Unternehmensteuern: 3,5 Milliarden, Erhöhung der Mehrwertsteuer: 3,5 Milliarden.
Die Kombilösung Trittin/Steinbrück wird teuer. Sie
kostet uns im Jahr 40 Milliarden Euro. Das ist Ihr Werk.
Sie wollen den Leuten das Geld abnehmen, weil Sie
nicht bereit sind, zu sparen. Sie flüstern das nur; Ihr Parteitag schaffte die Wahrheit an den Tag.
({27})
- Frau Roth, nachdem Sie so degradiert wurden, strahlen
Sie wieder. Ich freue mich für Sie.
({28})
Die Grundsteuer wollen Sie auch erhöhen. Sie wollen
Freiberuflern die Gewerbesteuer aufhalsen und eine Bürgerzwangsversicherung. Das trifft voll den Mittelstand
in Deutschland, das trifft voll die Wirtschaftsdynamik,
das trifft voll die Konjunktur.
({29})
Ihre Mixtur aus Steuererhöhungen, Umverteilungsfantasien und staatlichem Dirigismus wäre ein Schrumpfungsprogramm für Deutschland. Das würde uns hinten
herunterwerfen. Die Hälfte unserer Erfolge im Export
erzielen wir durch Aufträge für Europa. Sie führen mit
Ihrer Politik nicht nur Deutschland, sondern auch Europa in die Rezession.
({30})
Die christlich-liberale Koalition macht das anders.
Die christlich-liberale Koalition macht das besser. Die
christlich-liberale Koalition entlastet die Bürger.
Wir schaffen die Praxisgebühr ab - Entlastung für die
Bürger: 2 Milliarden.
({31})
Hinzu kommt die Ersparnis der Bürokratiekosten dafür Entlastung: 350 Millionen Euro.
({32})
Wir senken die Rentenbeiträge in einem Volumen von
5 bis 6 Milliarden Euro. Wir warten darauf, dass GrünRot die unsägliche Blockade beim steuerlichen Existenzminimum und bei der kalten Progression aufgibt.
({33})
Ihre Haltung ist doch schizophren. Sie erklären überall: „Tut was für die Binnennachfrage“, aber wenn Sie
etwas dazu beitragen und mitentscheiden können, sind
Sie dagegen. Sie wollten auch die Senkung der Rentenbeiträge im Bundesrat verhindern. Das wäre gegen
Recht und Gesetz gewesen.
Das wäre übrigens auch das Verhindern einer zukünftigen Rentenerhöhung gewesen. Wenn die Beiträge nicht
gesenkt worden wären, dann wäre das nach der Rentenformel so. Ich kann ja noch verstehen, dass Sie uns keinen politischen Erfolg gönnen. Aber weshalb wollen Sie
den Rentnerinnen und Rentnern nicht das Mehr an Rente
ermöglichen? Weshalb wollen Sie nicht die Belastung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reduzieren?
Was haben Ihnen denn die Rentner und die Arbeitnehmer getan, dass sie von Ihnen so schlecht behandelt werden sollen?
({34})
Nein, Rentner und Arbeitnehmer haben einen gesetzlichen Anspruch, und sie haben einen moralischen Anspruch.
In Wahrheit wollen Sie von Rot-Grün das Geld von
den Berechtigten halten bzw. haben, um Ihre Idee von einer Einheitsrente voranzutreiben. Das Argument, dass
Rücklagen gebildet werden sollen, ist an Fadenscheinigkeit gar nicht zu überbieten. Bislang gab es nur eine Regierung, die schamlos in die Schwankungsreserve der
gesetzlichen Rentenversicherung eingegriffen hat: Das
war Rot-Grün. Sie haben in die Schwankungsreserve
eingegriffen.
({35})
Sich selbst hier aufzuplustern wie aufgeblasene Maikäfer, ist zutiefst unredlich.
Obendrein haben Sie noch Nullrunden für die Rentnerinnen und Rentner verhängt. Das alles hätte nicht sein
müssen. Hier an diesem Platz stand Gerhard Schröder
mit gespielter Reue und erklärte: Ich habe mich geirrt,
({36})
als ich die Rentenreform von Norbert Blüm zurückgenommen habe. - Jetzt werden die Herren Steinbrück und
Gabriel die Bundesrepublik wieder in ein rentenpolitisches Abenteuer stürzen, wenn sie es können.
Die SPD behauptet immer: Ein Arbeitsplatz ist die
beste Versicherung gegen Altersarmut. - Da hat sie
recht. Aber wie passt das zu Ihren Rentenplänen? Sie
wollen in den nächsten Jahren die Beitragssätze drastisch erhöhen. Sie wollen bis 2020 den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern 90 Milliarden Euro zusätzlich
abnehmen. Das kostet 200 000 Jobs. Es ist doch kein guter Weg, erst einmal die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, um
dann die Altersarmut in der Breite bekämpfen zu können. Machen Sie es doch gleich richtig, anstatt die Menschen zu Versuchskaninchen alter sozialistischer Rezepte zu machen. Das passt nicht mehr.
({37})
Die christlich-liberale Koalition macht es anders. Die
christlich-liberale Koalition macht es besser. Wir entlasten nicht nur die Arbeitnehmer und die Unternehmen.
Wir erhöhen nicht nur die Rente. Wir machen sie auch
zukunftsfest. Wir wollen die dritte Säule stärken, die private Altersversorgung. Die junge Gruppe von CDU/
CSU und FDP hat einen guten Vorschlag zu Anrechnungsfristen bei der Grundsicherung erarbeitet. Das wollen wir umsetzen.
({38})
Wir führen eine Lebensleistungsrente ein. Sie erspart
künftig Rentnerinnen und Rentnern den erniedrigenden
Gang zum Sozialamt. Sie berücksichtigt aber auch: Wer
mehr eingezahlt hat, muss auch mehr herausbekommen.
Rente ist kein staatliches Almosen; sie ist ein eigentumsähnlicher Rechtsanspruch der Beitragszahler. Das wird
von den grün-roten Umverteilern immer wieder verdrängt. Der Weg in die Einheitsrente ist mit der christlich-liberalen Koalition nicht zu machen. Das wollen
CDU/CSU und FDP nicht mitmachen.
({39})
Die Stromversorger erhöhen im nächsten Jahr massiv
die Preise: 10 Prozent und mehr. Auch die Stadtwerke
Bochum sind dabei; ich will es am Rande erwähnen.
({40})
Dreister finde ich die Argumentation der Grünen. Die
Grünen präsentieren Jahr für Jahr eine Studie zur Strompreisentwicklung, die sie selbst in Auftrag geben. Ich
will auf die methodischen Mängel nicht eingehen; mir
geht es um den Strompreispopulismus der Grünen. Sie
behaupten: Die Konzerne sind schuld. - Dann frage ich
Sie: Warum machen Sie da nichts dagegen, wo Sie politische Verantwortung tragen? Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist Großaktionär von
EnBW. EnBW erhöht zum 1. Januar 2013 ebenfalls massiv die Preise. Was machen die Grünen dagegen? Nichts
machen sie! Sie lamentieren nur.
({41})
Ihre ehemalige Vorsitzende, Frau Röstel, und andere
Grüne nehmen gern die Aufsichtsratstantiemen mit und
machen hier im Plenum Stimmung. Wo ist denn der Anstand, den die Spitzenkandidatin der Grünen und Vizepräsidentin dieses Hauses für sich reklamiert? Wo ist der
Anstand der Grünen, wenn es um ihren dreisten Solarlobbyismus geht?
({42})
Herr Trittin hat bei der Einführung des EEG gesagt:
Das kostet jeden Bürger nur eine Eiskugel im Monat. Das ist Arroganz und Ignoranz, die kaum zu überbieten
sind.
({43})
Zur Kritik an den Ausnahmen des EEG für bestimmte
Industriezweige: Wer hat sie denn eingeführt? Diese
Ausnahmensystematik hat Trittin eingeführt. Die Leute
mit dem kleinen Geldbeutel zahlen für die Klientelpolitik der Grünen. 300 Milliarden Euro an Subventionen
kommen allmählich zusammen. Damit ist die Dimension
der Steinkohlebeihilfe längst überschritten.
({44})
- Sie hören nicht zu. - Die vereinigte Linke im Bundestag in Deutschland fordert: Wir sollen weniger exportieren. - Sie nennen das verschwiemelt: Reduzierung der
Leistungsbilanzüberschüsse. - Es geht um Hunderttausende Arbeitsplätze in der deutschen Exportindustrie.
Die Welt beneidet uns um unsere Chemieindustrie, Automobilindustrie, Maschinenbauer und Mittelständler.
Aber was schlägt die Opposition vor? Sollen wir in
Deutschland eine Abwrackprämie einführen, damit die
Franzosen mehr Absatz haben? Sollen wir schlechter
werden, oder sollen die anderen besser werden?
Es war auch die Forderung nach Ausweitung der
Kurzarbeiterregelung zu hören. Meine Damen und Herren, wir haben derzeit 40 000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Das ist nicht schön, aber es ist doch nicht - der Kollege Steinbrück hat einen Vergleich zwischen dem
Koalitionsausschuss auf dem Höhepunkt der Krise und
dem Koalitionsausschuss heute gezogen - mit den
1,2 Millionen Kurzarbeitern vergleichbar, die wir 2008
hatten.
Wer jetzt Panik schürt, betätigt sich als Angstverstärker. Ich halte das für unverantwortlich.
({45})
Genauso unverantwortlich ist es, Vermögenswerte in
Höhe von 100 Milliarden Euro vergesellschaften zu wollen, wie Herr Kollege Trittin es tut. Man darf auch nicht
an die Substanz der Unternehmen herangehen. Nein, die
christlich-liberale Koalition, Bewahrer von Wohlstand
und Freiheit, nimmt nicht den Menschen ihr Vermögen
weg.
Rot-Grün bedeutet Massenarbeitslosigkeit und Wohlstandsverluste. Sie haben 5 Millionen Arbeitslose hinterlassen. Wir haben das geändert und kräftig verbessert.
({46})
Deshalb hat Deutschland eine gute Regierung. Wir setzen alles daran, dass wir mit der bürgerlichen Regierung
von CDU/CSU und FDP diese erfolgreiche Politik für
Deutschland und Europa fortsetzen und Ihre Experimente in der Schublade bleiben.
Vielen Dank.
({47})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Jürgen Trittin das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Brüderle, ich bin Ihnen dankbar. Sie haben Ihre
Redezeit dafür verwendet, das grüne Programm vorzustellen. Das hilft uns.
({0})
Ansonsten kann ich Ihnen nur eines sagen: Mir ist jemand lieber, der etwas lernt. Deswegen ist mir Peer
Steinbrück mit seiner Lernkurve lieber als Ihr Daueraufenthalt in einer pfälzisch genuschelten Lärmkurve.
({1})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind seit sieben Jahren
Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie berufen
sich dabei gerne auf Konrad Adenauer. Konrad
Adenauer hat einmal gesagt: „Ich sage immer die Wahrheit, aber nie die ganze.“
({2})
Sie haben dieses rheinische Motto zur Überschrift Ihrer Europapolitik gemacht. Sie sagen, was die EuroJürgen Trittin
Krise angeht, den Bürgerinnen und Bürgern nicht einmal
die halbe Wahrheit.
({3})
Sie haben wörtlich gesagt: Was mit mir auf keinen Fall
gehen wird, das ist der Weg über die Vergemeinschaftung
der Schulden. - Heute haben wir über 200 Milliarden
Euro gemeinschaftliche Schulden und Staatsanleihen in
der EZB.
Heute Morgen präsentieren Sie uns den Vorschlag,
statt Griechenland mit einem dritten Hilfspaket zu helfen, es mit zusätzlichen T-Bills in Höhe von 9 Milliarden
Euro, also weiterer vergemeinschafteter Haftung, zu belasten. Das ist Ihre Form des Umgangs mit der Wahrheit.
Dabei können Sie sich, glaube ich, nicht einmal mehr auf
Konrad Adenauer berufen.
({4})
Ihre Strategie der kleinen Schritte und des Zögerns ist
jetzt sichtbar an ein Ende gekommen. Sie haben das
erste Hilfspaket für Griechenland aus Angst vor der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen blockiert.
({5})
Jetzt soll Griechenland zwei Jahre mehr Zeit bekommen.
Das ist richtig wegen der negativen Effekte, die es geben
würde, wenn man das nicht machen würde: Man würde
die Rezession in Griechenland verlängern. Man würde
nicht sparen, sondern mehr Schulden anhäufen. Aber Sie
scheuen sich, den Menschen in Deutschland zu sagen,
was das heißt. Das heißt, dass es Geld, auch Steuergeld,
kosten wird. Dieses Ergebnis versuchen Sie zu verkleistern, zu verkomplizieren. Deswegen wollten Sie sich in
der vergangenen Nacht nicht mit dem Rest Europas einigen.
({6})
Das Signal ist doch irre. Wir haben den Griechen immer gesagt: Wir sind solidarisch, wenn ihr das umsetzt,
was wir mit euch vereinbart haben. - Jetzt bestätigt die
Troika, dass die Griechen ihre Hausaufgaben gemacht
haben, und in genau diesem Moment zeigt sich Europa
handlungsunfähig, weil es sich über die Fragen nicht einigen kann. Wer ist denn da vertragstreu, die Griechen
oder die Europäer? Ich finde, diese Nacht in Brüssel war
eine schwarze Stunde.
({7})
Sie finanzieren zwischen, Sie legen T-Bills auf, Sie greifen auf den EFSF zurück, und Sie greifen auf die EZB
zurück, anstatt schlicht und ergreifend zu sagen: Ja, wir
müssen für die Rettung Griechenlands Geld in die Hand
nehmen.
Ich sage Ihnen: Ich verstehe das. Wenn man elf Landtagswahlen verloren hat, wenn man gerade davor steht,
die zwölfte zu verlieren, dann hat man Angst vor den
Wählerinnen und Wählern.
({8})
Aber die Menschen sind weiter. Sie verlieren diese
Wahlen, und Sie werden auch die Niedersachsen-Wahl
verlieren, nicht wegen der Wahrheit, sondern weil die
Menschen den Eindruck haben, dass ihnen etwas vorgemacht wird. Das wollen sie nicht mehr.
({9})
Sieben Jahre sind Sie Bundeskanzlerin. WDR 4 wirbt
ja mit dem Spruch: Gutes bleibt. - Was bleibt eigentlich
von sieben Jahren Merkel? Krisenmanagement? Nehmen wir einmal die Finanzkrise. Ich zitiere die Bundeskanzlerin aus dem Jahre 2008. Sie haben gesagt: Keine
Bank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen
kann. - Das war Angela Merkel im Jahr 2008. 2007
hatte die Deutsche Bank eine Bilanzsumme von 2 Billionen Euro; das ist das Sechsfache des Bundeshaushaltes.
Heute - Sie haben sich eben zum Vorreiter der Bankenregulierung ausgerufen ({10})
beträgt die Bilanzsumme der Deutschen Bank 2,1 Billionen Euro. Nichts bleibt von Ihren Ankündigungen.
({11})
Gibt es eine Schuldenbremse für Banken? Nein. Gibt
es jetzt eine Haftung für die Eigner und Gläubiger statt
der Verstaatlichung von Bankschulden? Gibt es also
Bail-in statt Bail-out? Nein, das gibt es nicht. Gibt es
eine europäische Bankenunion mit einer scharfen
Aufsicht, einem Bankenrestrukturierungsfonds, finanziert aus einer Bankenabgabe? Nein. Sie blockieren das
Inkrafttreten genau dieser Bankenunion zum 1. Januar.
({12})
Krisenmanagement - es wird so weitergemacht wie
vor der Krise: mit möglichst wenig Eigenkapital möglichst viel Geld hebeln, und wenn es schiefgeht, springt
der Staat schon ein. Dann reden Sie davon, wir hätten es
bloß mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Diese „NurStaatsschuldenkrise“ bringt zurzeit das historische
Friedensprojekt Europa in ernste Gefahr. Der Zusammenhalt Europas ist gefährdet. Dass Europa noch nicht
auseinandergebrochen ist, liegt nicht am Krisenmanagement der Bundeskanzlerin, sondern an unseren europäischen Partnern, an der EZB, am IWF, die Sie letztendlich gezwungen haben, immer wieder das zu tun, was
nötig ist - aber in der Regel zu spät, und zu spät heißt
immer zu teuer.
({13})
Sie haben damit aber eines geschafft - und das ist lange
vor Ihnen keiner Bundesregierung gelungen -: Das
Ansehen Deutschlands bei der G 20, innerhalb Europas
und das Ansehen international war noch nie so schlecht.
Noch nie waren wir in einer Frage dermaßen isoliert wie
unter Ihrer Kanzlerschaft. Was von sieben Jahren Merkel
bleibt, ist ein gewaltiger Ansehensverlust Deutschlands
auf internationaler Ebene.
({14})
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Man muss
sparen, man muss reformieren, und man muss als Kreditgeber auch Bedingungen stellen. Aber machen wir uns
doch nichts vor: Griechenland und Spanien haben schon
lange kein Ausgabenproblem mehr. Sie haben gespart,
dass es kracht. Griechenland hat in den vergangenen drei
Jahren jedes Jahr 4,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung
eingespart, Spanien allein im Jahr 2012 6 Prozent. - Nur
einmal am Rande bemerkt, Frank: Bei der Einführung
von Hartz IV war es nicht einmal 1 Prozent der Wirtschaftsleistung. - Das heißt, Ihr dauernder Appell, diese
Staaten sollten sparen, zielt völlig daneben. Sie haben
ein Einnahmeproblem, und dieses Einnahmeproblem
kann man lösen. Aber dazu bedarf es eines gemeinsamen
europäischen Handelns. Wir brauchen endlich einen gemeinsamen Steuerpakt für Europa, damit Reeder und andere ihre Steuern bezahlen und wir nicht hinterher finanzieren, dass Leute ihr Geld aus Griechenland abziehen.
({15})
Was machen Sie? Sie torpedieren alle Anstrengungen
zu einer gemeinsamen Politik, zum Beispiel im Kampf
gegen Steuerhinterziehung. Sie schließen ein bilaterales
Abkommen mit der Schweiz mit dem Ergebnis, dass die
Bemühungen zur Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in Europa ins Stocken kommen. Jetzt wollen Sie
uns allen Ernstes verkaufen, dass die UBS und die Credit
Suisse für uns die Steuern bei den Vermögenden eintreiben. Firmen, gegen die deutsche Staatsanwälte wegen
Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermitteln, sollen also
die Steuern einziehen. Wissen Sie, woran mich das erinnert? Das kommt mir so vor, als würden Sie den Schutzgelderpresser von der Mafia damit beauftragen, gleich
auch noch die Gewerbesteuer einzutreiben.
({16})
Außerdem haben Sie hier gesagt, Sie seien für Wachstum. Warum wollen Sie denn dann die im mehrjährigen
Finanzrahmen derzeit vorgesehenen Ausgaben um
100 Milliarden Euro kürzen? Warum wollen Sie mitten
in einer schweren Rezession im Süden Europas die Investitionsfähigkeit dieser Staaten auf diese Weise unterminieren? Wohin diese Kürzung führt, sieht man ja an
dem Vorschlag der zypriotischen Präsidentschaft und an
dem Vorschlag von Herman Van Rompuy. Wo wird denn
eingeschnitten? Eingeschnitten wird bei Forschung,
gespart wird bei Innovation, und zusammengestrichen
werden die Connecting Europe Facilities. Es wird also
dort gespart, wo Wachstum entstehen kann. Gleichzeitig
erhält und konserviert man die alten Strukturen einer
überalterten und veralteten Agrarpolitik.
({17})
Strukturen zu konservieren und Wachstum zu blockieren, ist das Falscheste, was man in einer solchen Situation machen kann.
Ich sage Ihnen: Wir haben miteinander etwas anderes
vereinbart. Wir haben uns zwar nicht über die Höhe
verständigt. Das stimmt; da waren wir im Dissens. Aber
Sie haben mit uns, mit der Opposition, gemeinsam
beschlossen, dass es klare Prioritäten geben soll - für
Wachstum, für Investitionen im mehrjährigen Finanzrahmen in Innovation und in die energetische Infrastruktur.
Genau da wollen Sie jetzt kürzen. Sie sind wortbrüchig,
Frau Bundeskanzlerin.
({18})
Es bleibt noch etwas von sieben Jahren Ihrer Kanzlerschaft. Sie raten dem Rest Europas immer, zu sparen.
Frau Bundeskanzlerin, in den sieben Jahren Ihrer Kanzlerschaft wuchsen die Staatsschulden in Deutschland um
ein Drittel, um 500 Milliarden Euro, also eine halbe Billion. Sie haben allen Sparsamkeit gepredigt. Gleichzeitig
haben Sie in diesem Zeitraum die gesamtstaatliche
Verschuldung von 63 Prozent - damit waren die Maastricht-Kriterien fast eingehalten - auf im nächsten Jahr
über 84 Prozent gesteigert. Wenn auch nicht viel von
Ihrer Kanzlerschaft bleibt: Dieser Haufen Schulden
bleibt für kommende Generationen. Er bleibt sehr lange.
({19})
Sie haben auch von Gerechtigkeit und von Teilhabe
gesprochen. Nun, die ganze Rabulistik über die Statistik
kann über zwei Dinge nicht hinwegtäuschen. Wir haben
lange Zeit Reallohnrückstände gehabt; jetzt erfolgt nur
ein mäßiges Aufholen. Gleichzeitig war der Besitz, das
Vermögen, in Deutschland noch nie so ungerecht verteilt
wie heute. Gleichzeitig müssen Kommunen zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben mittlerweile Kassenkredite
in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro allein in
diesem Jahr aufnehmen. In dieser Situation streiten Sie
dafür, die öffentliche Hand um noch einmal 6 Milliarden
Euro zu erleichtern. Das ist unverantwortlich. Das hat
übrigens auch nichts mit der kalten Progression zu tun.
({20})
Von diesen 6 Milliarden Euro würden übrigens 5 Milliarden, 83 Prozent, der oberen Hälfte der Einkommensbezieher zugutekommen und nicht der unteren Hälfte.
Sie planen Steuergeschenke auf Pump für Leute, die das
nicht brauchen.
Was vernünftig wäre, wäre in der Tat, das steuerfreie
Existenzminimum anzuheben, und zwar stärker, als Sie
es wollen. Wir sind dazu gerne bereit. Aber wir sagen:
Das muss man solide gegenfinanzieren, zum Beispiel
durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes. Dann
entlasten Sie alle mit einem Jahreseinkommen unter
60 000 Euro und lassen dafür diejenigen bezahlen, die
mehr als 80 000 Euro verdienen. Das ist gerecht, und das
ist finanziell verantwortbar.
({21})
Was also bleibt von sieben Jahren Merkel, ist ein
schamloser Klientelismus,
({22})
von der „Mövenpick-Steuer“ bis hin zum Betreuungsgeld, einem Schnäppchen für die Versicherungswirtschaft. Das Betreuungsgeld ist das, was die CSU beim
„Schrottwichteln“ am 4. November 2012 - Sie haben es
Koalitionsausschuss genannt - bekommen hat.
({23})
Aber, meine Damen und Herren, das hilft nichts. Es
schafft keine bessere Bildung. Wir müssen in Deutschland den Zustand überwinden, dass, wer einmal arm ist,
arm bleibt, und dass, wer einmal reich ist, das ebenfalls
bleibt, und die Mittelschicht zerbröselt. Was haben Sie
an diesem Zustand geändert? Nichts. Dabei liegen die
Gegenmittel auf der Hand: bessere Bildung von Anfang
an; eine Frauenpolitik, die die gläserne Decke einreißt
und dafür sorgt, dass das begabtere Geschlecht den Weg
nach oben überhaupt gehen kann; eine Frauenquote; eine
Arbeitsmarktpolitik, die sich an den Stärken der Menschen orientiert, sie aktiv fördert. Was machen Sie? Sie
kürzen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Was von sieben Jahren Merkel bleibt, ist, dass Sie das
große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft brechen, das Versprechen, dass der Fleißige nicht der
Dumme ist, sondern den Aufstieg schaffen kann, dass es
Chancengleichheit gibt. Unter Ihrer Kanzlerschaft ist
diese Gesellschaft undurchlässiger geworden. Sie gehen
schludrig mit dem Erbe von Ludwig Erhard um.
({24})
Nächste Woche wird die Klimakonferenz in Doha
stattfinden. Ich bin nicht optimistisch, was ihren
Ausgang angeht. Der Trend, dass immer mehr CO2 ausgestoßen wird - wir liegen mit 800 Millionen Tonnen
CO2-Ausstoß übrigens weltweit immer noch auf
Platz sechs -, wird nicht gebrochen werden. Das hat etwas damit zu tun, dass in Doha Europa nicht mehr die
Rolle des Antreibers spielt. Warum tut Europa das nicht
mehr? Das tut Europa deswegen nicht, weil es von
Deutschland gebremst wird. Es ist diese Bundesregierung, die blockiert, dass es ein europäisches Klimaschutzziel von minus 30 Prozent im Jahr 2020 gibt. Sie
sind es, die verbindliche Energieeffizienzziele blockieren. Sie blockieren regelmäßig jeden Versuch ambitionierter Verbrauchsobergrenzen für Spritfresser. Ich frage
Sie: Wie viele von den ökologisch schädlichen Subventionen in Milliardenhöhe haben Sie in den sieben Jahren
Ihrer Kanzlerschaft abgebaut? Keinen einzigen Euro. Sie
haben diese Subventionen ausgebaut.
({25})
Sie haben sie ausgebaut, indem Sie aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eine Subventionsmaschine für
Schlachthöfe und Pommesfabriken gemacht haben. Sie
haben die ökologisch schädlichen Subventionen hochgetrieben, indem Sie die Netzumlage nutzen, um Bankrechenzentren und Golfplätze zu finanzieren.
({26})
All das wird von den Verbraucherinnen und Verbrauchern bezahlt. Ich sage Ihnen eins, weil Sie gerade so
schön gelacht haben: Diejenigen, die von den Stromnetzgebühren nicht befreit sind - etwa die Hälfte der
energieintensiven Unternehmen sind mittlerweile von
der Stromsteuer befreit -, zahlen die Rechnung für Ihre
Subventionspolitik. Das sind nicht die großen, das sind
die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die
Handwerker in diesem Lande. An denen halten Sie sich
schadlos.
({27})
Nein, meine Damen und Herren, sieben Jahre Merkel
waren sieben verlorene Jahre für dieses Land.
Frau Merkel, Sie simulieren gerne, Sie seien in der
Mitte. Das ist ein Irrtum. Man steht nicht in der Mitte,
nur weil man zwischen „Crazy Horst“ und Rainer
Brüderle steht.
({28})
Die Mitte Deutschlands liegt ganz woanders. Acht von
zehn Deutschen wollen eine neue Wirtschaftsordnung,
die Ressourcen schont und für sozialen Ausgleich sorgt.
89 Prozent der Deutschen finden die Einkommensunterschiede zu groß. 76 Prozent wollen einen Mindestlohn,
80 Prozent die Gleichstellung der Homo-Ehe. Das ist
Deutschlands Mitte. Wer sich aus dieser Mitte ausschließt, der steht nicht in der Mitte, sondern rechts von
der Mitte.
Sie haben über sieben Jahre einen Mindestlohn und
Frauenquoten blockiert. Sie haben sieben Jahre einen
wirksamen Staatsschuldenabbau blockiert. Sie verhindern seit sieben Jahren ambitionierten Klimaschutz. Sie
sind eine Dagegen-Kanzlerin. Einen Wandel zu Gerechtigkeit, zu Teilhabe, zu einer offenen Gesellschaft, zu
Klimaschutz und Energiewende wird es erst geben,
wenn Sie in der Opposition sitzen, und das wird ab
nächstem September so sein.
({29})
Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder.
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Trittin, es
ist schön gewesen, dass Sie uns an einen richtigen Satz
erinnert haben, nämlich: Was gut ist, bleibt. - Ich sage
Ihnen: Deswegen bleibt Angela Merkel Kanzlerin der
Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Wir beraten heute den Bundeshaushalt 2013. Dass wir
in diesem Bundeshaushalt zu einem guten Ergebnis
kommen, hängt auch damit zusammen, dass wir in
Deutschland eine stabile, gute wirtschaftliche Situation
haben. Herr Trittin, es gehört schon ein Gutteil an
Chuzpe oder Vergesslichkeit dazu, sich hier hinzustellen
- das gilt auch für den Kollegen Steinbrück - und daran
zu erinnern, was man alles machen wolle, wenn man an
die Regierung kommt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben den Schrott aufräumen müssen, den Sie von Rot und
Grün in diesem Land hinterlassen haben.
({1})
Es gibt aber eine Langzeitfolge. Einen Großteil der hohen Arbeitslosigkeit und der Neuverschuldung haben
wir zurückführen können durch eine kluge Politik im
Rahmen der Großen Koalition. Aber eines bleibt, Herr
Kollege Steinbrück und Herr Kollege Trittin: Es war die
Regierung, die Sie damals als Koalition getragen haben,
die in Europa das größte Chaos mit bleibenden Schäden
angerichtet hat, indem sie die Stabilitätskriterien außer
Kraft gesetzt hat.
({2})
Jetzt hierher zu kommen und Sprüche zu machen, wie es
in Europa weitergehen soll, ist der absolute Hammer.
Wenn man sich ansieht, was Sie in Ihrer Regierungszeit
angerichtet haben, dann würde das ausreichen, Sie für
viele Jahre von einer neuen Regierung auszuschließen.
({3})
Darüber werden wir in den nächsten Monaten reden.
Es geht auch gar nicht, Herr Kollege Trittin, sich hier
hinzustellen und der Bundesregierung zu sagen, man
hätte noch mehr sparen können. Ich sage: Wir sind froh,
dass wir die Schuldenbremse in der Großen Koalition
gegen die Stimmen der Linken durchgesetzt haben. Teile
der SPD-Fraktion - das weiß ich noch - haben gesagt,
wir seien verrückt, eine Schuldenbremse einzuführen,
weil das der Politik die Gestaltungsmöglichkeiten nehmen würde.
({4})
Nun haben wir die Schuldenbremse; vereinbart ist sie für
2016, erreichen werden wir sie 2013.
Der Bundesfinanzminister weist regelmäßig darauf
hin, dass die Absenkung der Staatsverschuldung und die
Einhaltung der Schuldenbremse nicht ausschließlich
Aufgabe des Bundes ist, sondern aller Institutionen in
diesem Land. Da kann man sich als Grüner oder als Mitglied der SPD nicht davonstehlen, wenn in Baden-Württemberg seitens der neuen Regierung der bemerkenswerte Satz fällt: Zunächst müssen wir noch einmal
richtig Schulden machen, damit wir danach sparen können. - Was ist denn das für eine Politik in heutiger Zeit?
({5})
Wir sagen: Wir müssen sparen und weniger Schulden
machen. Sie müssen Ihrem grünen Hoffnungsträger
Kretschmann einmal sagen, dass er die Zeichen der Zeit
nicht verstanden hat.
Es ist schon merkwürdig, dass gerade bei einer Partei,
die das Wort „Nachhaltigkeit“ ständig im Munde führt,
bei der Umwelt und allen anderen möglichen Bereichen,
dann, wenn es wirklich um Nachhaltigkeit geht, nämlich
darum, die Schulden nicht weiter ausufern zu lassen,
sondern sie zurückzuführen, um Chancen für die junge
Generation zu schaffen, das Programm „Nachhaltigkeit“
auf einmal zu einem Schuldenaufwuchs führt, und das in
einer Zeit, in der wir alle große Steuereinnahmen haben.
Da kann ich nur sagen: Es sind die grün-rot und rot-grün
regierten Bundesländer, die noch viel vor sich haben,
wenn sie das erreichen wollen, was wir mit dem Bundeshaushalt 2013 erreichen werden.
({6})
Wir haben auch einen Fehler von Grün-Rot bzw. RotGrün korrigiert, die den Kommunen in diesem Land
enorme Kosten aufgehalst haben. Es ist geradezu ein
Treppenwitz, wenn sich hier Vertreter der Opposition
hinstellen und darüber sinnieren, dass sich unsere Kommunen in einer schweren finanziellen Lage befinden. Sie
haben den Kommunen damals mit einem einzigen Gesetz - insgesamt waren es noch viel mehr - mehr als
5 Milliarden Euro auf die Haushalte gedrückt, indem Sie
die Grundsicherung für Ältere bei der Einführung den
Kommunen angelastet haben. Wir nehmen das jetzt zurück. Sich aber hier hinzustellen und zu sagen: „Die
Kommunen müssen entlastet werden“, ist wirklich ein
Witz. Sie haben die Kommunen in größtem Maße belastet. Dies nehmen wir nun zurück. Deswegen kann ich
nur sagen: Was Sie hier machen, ist absolut unredlich,
Herr Kollege Trittin.
({7})
Gehen wir einmal einen Schritt weiter; das hat alles
mit dem Haushalt zu tun. Reden wir einmal über das,
was Wolfgang Schäuble gestern angesprochen hat, nämlich das Steuerabkommen mit der Schweiz. Ich bin einigermaßen überrascht, wenn ich höre, dass wichtige Gesetzgebungsvorhaben, die sich entlastend für fast alle
Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auswirken,
nicht im Bundesrat beschlossen werden können, weil die
Bundesländer - allen voran Nordrhein-Westfalen - meinen, sie könnten auf Steuereinnahmen nicht verzichten.
Dass Nordrhein-Westfalen nicht darauf verzichten kann,
kann man nachvollziehen; denn dort ist der Weg, den
Baden-Württemberg jetzt geht, schon eingeschlagen
worden: neue Schulden bis zur Verfassungswidrigkeit
ihres Haushalts.
({8})
Wenn es aber so ist, dass die Länder sagen, sie könnten
Vorhaben nicht auf den Weg bringen, die wichtig sind
- die im Übrigen auch den Grünen wichtig sind -, zum
Beispiel die energetische Gebäudesanierung, dann kann
ich nicht verstehen - außer es handelt sich um ganz billige parteipolitische Taktik -, warum man das Angebot
des Bundes nicht annimmt, mehrere Milliarden Euro, die
eigentlich dem Bund zustehen würden, den Ländern und
Gemeinden zu geben, um die Maßnahmen umsetzen zu
können. Man müsste nur das Steuerabkommen abschließen.
Herr Trittin, wir sind uns einig - auch der Kollege
Steinmeier, davon bin ich felsenfest überzeugt -, dass
wir es für richtig halten, das Gebäudesanierungsprogramm jetzt umzusetzen, und dass wir es für falsch halten, bei der KfW Mittel zu mobilisieren, weil wir so
mehr Geld ausgeben müssten als bei einer steuerlichen
Förderung. Das wissen Sie alles. Sie trauen sich nur
nicht, Ihren Ländern zu sagen: Jetzt gebt euch mal einen
Ruck. - Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich einen Ruck
und veranlassen Sie, dass die Länder und Kommunen
die 3 bis 4 Milliarden Euro mehr erhalten können, die
Wolfgang Schäuble ihnen zugesagt hat. Ich finde es unerträglich, sich hier hinzustellen, über die Situation der
Kommunen zu klagen und dann das Geld, das ihnen angeboten wird, nicht anzunehmen.
({9})
Ich muss Ihnen einmal klar sagen: Das ist Heuchelei. So
können wir nicht miteinander arbeiten.
({10})
Herr Trittin, gestern riefen Sie mir, während Wolfgang
Schäuble sprach, über die Reihen hinweg zu: Wir wollen
die gleichen Bedingungen wie Amerika. - Wolfgang
Schäuble kann Ihnen im Detail erklären, dass wir in unserem Steuerabkommen mit der Schweiz bessere Bedingungen haben als Amerika.
({11})
Es gibt nämlich bei dem Abkommen mit Amerika keine
Regelung für die zurückliegende Zeit. Wenn Sie einerseits die gleichen Bedingungen wie Amerika einfordern
und sich andererseits hier hinstellen und beklagen, dass
nicht alle Fälle, die in der Vergangenheit liegen, aufgelöst werden, dann kann ich nur sagen: Sie brauchen dringend Nachhilfeunterricht vom Bundesfinanzminister,
damit Sie einmal kapieren, wo der Unterschied zwischen
den Abkommen liegt.
({12})
Wir bekommen für die in der Vergangenheit liegenden
Fälle von der Schweiz eine entsprechende Geldsumme,
die wir den Kommunen zur Verfügung stellen wollen.
Ich muss auch sagen: Herr Trittin, Sie können sich
vielleicht über die Abgeltungsteuer beklagen; aber die
SPD kann es nicht. Herr Kollege Steinbrück, die Abgeltungsteuer haben wir miteinander vereinbart.
({13})
Das Koch/Steinbrück-Papier hat die Voraussetzungen
dafür geschaffen. Wie haben Sie gejubelt, was Sie alles
auf den Weg gebracht haben! Die Abgeltungsteuer führt
eben zur Anonymität: Sie wird abgezogen, und der Fall
ist erledigt. Es kann nicht sein, dass man auf einmal, nur
weil man Kanzlerkandidat der SPD geworden ist und die
Linken zufriedenstellen muss, nicht mehr wahrhaben
will, was man selber gemacht hat. So weit darf der Gedächtnisverlust nicht reichen, Herr Kollege Steinbrück.
({14})
Ich kann nur hoffen, dass Vernunft einzieht und der
Bundesrat mit den Stimmen der von SPD und Grünen
regierten Länder jetzt endlich das tut, worauf viele Menschen, etwa im Handwerk, warten: die Gebäudesanierung voranbringen. Ich habe nicht nur in allen Fachzeitschriften, sondern auch in Vorlagen von Ihnen, den
Grünen, gelesen, dass der Gebäudebestand die größte
Möglichkeit bietet, Energie einzusparen. Sie haben dafür
gesorgt, dass wir da mindestens ein Jahr verloren haben.
Das, was Sie hier machen, ist keine wirklich überzeugende ökologische Politik; das ist Obstruktion um der
Parteiinteressen willen, nichts anderes.
({15})
Sie können das noch korrigieren; wir sind im Vermittlungsverfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir schaffen mit diesem Bundeshaushalt die Voraussetzungen dafür, dass wir im Jahr 2014 zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt kommen. Das ist mehr, als wir zunächst
erwartet haben. Dies ist auch Voraussetzung dafür, dass
wir als Deutschland unsere Aufgaben und Herausforderungen in Europa angehen können. Mit der gigantischen
Verschuldung, die Sie uns nach den Jahren der rot-grünen Bundesregierung hinterlassen haben, hätten wir gar
nicht die notwendige Kraft gehabt, all diese Aufgaben zu
meistern.
Ich glaube, man sollte am heutigen Tage, an dem wir
wissen, dass für Griechenland eine Lösung gesucht und
in der nächsten Woche sicher auch gefunden wird, noch
einmal deutlich machen, was unsere Auffassung ist und
welche Probleme entstünden, wenn man Ihrem Kurs
folgte. Wir haben klar und deutlich formuliert, dass wir
solidarisch sind, dass wir aber verlangen, dass sich in
dem Land, dem wir Geld geben, Dinge ändern. Das hat
nicht einmal Herr Trittin bestritten; denn auch er sagt:
Einer, der Kredite gibt, kann und muss entsprechende
Auflagen beschließen. - Um es noch einmal klar und
deutlich zu sagen, damit der Unsinn nicht weitergetrieben wird: Wir legen bei der Euro-Rettungspolitik vor allem Wert darauf - die Bundeskanzlerin sagt es regelmäßig -, dass wir in Europa wettbewerbsfähig werden. Nur
wenn Europa wettbewerbsfähig ist, werden wir die He25250
rausforderungen meistern können, die mit einem Wettbewerb in der ganzen Welt verbunden sind. Deutschland
hat eine solche Wettbewerbsfähigkeit erreicht - auch wir
haben noch das eine oder andere zu tun -; aber andere
eben nicht. Wir allein werden es nicht schaffen können,
selbst wenn wir wettbewerbsfähig sind, dass Europa den
Wettbewerb mit der Welt aufnehmen kann. Deswegen
müssen alle mitmachen.
Natürlich unterstützen wir unsere französischen
Freunde dabei, den Weg konsequent in die richtige Richtung zu gehen. Herr Kollege Steinbrück, man kann sich
aber nicht an dieses Rednerpult stellen und sagen, dass
Wettbewerbsfähigkeit notwendig ist, um sich dann mit
seinen sozialistischen Freunden zu treffen und denen
ständig die falschen Ratschläge zu geben. Vielmehr
müssten Sie ihnen sagen: Ihr müsst das nachholen, was
wir mit der Agenda 2010 beschlossen haben. Sie dürfen
sie nicht dabei unterstützen, sozialistischen Irrsinn in
Europa zu verbreiten. - So funktioniert die Sache!
({16})
Es gibt einen alten, ganz einfachen Merksatz: Politik
beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Ich hoffe,
dass in Frankreich die Realität sehr bald zur Kenntnis
genommen wird. Gerhard Schröder hat seine Meinung
dazu gesagt.
Wir wollen natürlich in Europa Wettbewerbsfähigkeit
erreichen. Deshalb haben wir den Griechen auch keine
Sparpolitik verordnet, sondern wir haben gesagt: Es
müssen sich Strukturen ändern. Es wird geholfen, die
Verwaltungskraft von Kommunen zu stärken, die Verwaltungskraft einer Steuerverwaltung aufzubauen und
vieles andere mehr. Das braucht natürlich seine Zeit.
Einige Maßnahmen sind bereits erfolgreich umgesetzt. Die Regierung Samaras macht mehr als jede
Vorgängerregierung in Griechenland - das wollen wir
durchaus anerkennen -, aber es müssen sich auch die
Strukturen ändern.
Ich glaube felsenfest: Durch das, was Sie die ganze
Zeit vom Stapel lassen - nach dem Motto „Es muss auf
jeden Fall geholfen werden“, Schuldenunion, EuroBonds usw. -,
({17})
nehmen Sie den Regierungen, die mutig aufgestanden
sind und gesagt haben: „Wir reformieren“, die Kraft, die
notwendigen Reformen auch durchzuführen.
({18})
Wenn Sie einfach nur bedingungslos Geld ausgeben
nach dem Motto „Es spielt keine Rolle, was es kostet“,
dann werden Sie niemanden wirklich motivieren, den
harten und schweren Weg zu gehen.
Deswegen bin ich dankbar für die Position der Bundesregierung, dankbar dafür, dass der Bundesfinanzminister die schwierigen Verhandlungen führt. Ich weiß,
dass es sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesfinanzminister nicht immer leicht haben. Man könnte
sehr schnell der Versuchung erliegen, den Forderungen
derjenigen, die gerne umverteilen wollen, nachzugeben.
Ich kann nur sagen: Wir werden darauf achten, dass die
Grundsätze von Solidarität und Solidität nicht ins
Rutschen kommen. Das ist der Maßstab für unsere Europapolitik.
({19})
Wir schauen in diesen Tagen mit Sorge auf die Entwicklung im Nahen Osten. Wir alle hoffen, dass die diplomatischen Bemühungen wirklich tragen und ein Krieg
verhindert werden kann. Als die Bundeskanzlerin heute
Morgen darauf verwiesen hat, dass Israel ein Selbstverteidigungsrecht hat, dass Israel das Recht hat, sich
gegen Angriffe zu wehren, kam aus allen Fraktionen
Beifall, nur nicht von der Linken. Das hat mich einigermaßen bestürzt. Sie haben ein ungeklärtes Verhältnis zu
Israel, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
um es sehr vorsichtig zu formulieren.
({20})
Wir werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten ist
- ich bin dem Bundesaußenminister dafür dankbar -, um
in dieser schwierigen Situation zu Israel zu stehen. Wir
wollen aber auch alles dafür tun, dass eine diplomatische
Lösung gefunden wird.
Da wir schon bei diesem Thema sind: Ja, Mursi, der
ägyptische Präsident, leistet dafür einen wichtigen
Beitrag. Er wird demnächst, Frau Bundeskanzlerin,
Deutschland besuchen.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir
- bei allem, was wir an Positivem bei dem sehen, was
Mursi jetzt in dem Konflikt im Nahen Osten macht - erwarten, dass er in gleicher Weise auf die Christen in
Ägypten zugeht und sie am Verfassungsprozess gleichberechtigt beteiligt.
({21})
Es gibt keine Teilung der Menschenrechte. Was wir in
den letzten Tagen gerade aus der verfassungsgebenden
Versammlung in Ägypten gehört haben, lässt uns bei
diesem Punkt doch manche Sorge haben. Ich bitte sehr
darum, dass auch dies im Gespräch gesagt wird.
Wir alle wissen, in welch glücklicher Situation wir leben. Vor wenigen Tagen haben wir am Volkstrauertag
auf den Friedhöfen daran gedacht, was im letzten Jahrhundert, einem furchtbaren Kriegsjahrhundert, alles geschehen ist - auch durch unser Land, durch Deutschland.
Deswegen haben wir allen Grund, uns dafür einzusetzen,
dass Gewalt und Krieg keine Mittel der Politik sind.
Aber wir haben aus unserer Geschichte auch gelernt,
dass Gewalt und Krieg immer dort entstehen, wo es ungerecht zugeht, wo Menschenrechte - beispielsweise
auch die Religionsfreiheit - nicht eingehalten werden.
Deswegen vergessen wir über all die Debatten, die wir
jetzt über den Bundeshaushalt und über Europa führen,
nicht, dass dieses Europa mehr ist als ein Europa von
Euro und Cent, sondern dass es eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft ist, die wir uns erhalten wollen als ein
Vorbild für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.
({22})
Ich glaube, dass wir mit dem Haushalt, den wir in dieser Woche verabschieden, einen wichtigen Schritt gehen,
um für die junge Generation neue Chancen und Möglichkeiten zu eröffnen. Ich wäre froh, wir könnten im
Bundesrat dadurch, dass wir die Korrektur der kalten
Progression hinbekommen, ein deutliches Zeichen für
die Menschen setzen.
Es mag aus Ihrer Sicht so sein, dass Sie den Spitzensteuersatz erhöhen wollen. Sie können es sehr gerne machen, das so zu formulieren. Auch ich habe manchen
Wunsch, den ich jetzt nicht umsetzen kann und deswegen in das Regierungsprogramm schreiben werde. Aber
jetzt will ich Ihnen einmal eines sagen: Es darf doch die
Parteipolitik nicht so weit gehen - das grenzt schon an
Zynismus -, zu sagen: Weil wir eines unserer Ziele, die
Erhöhung des Spitzensteuersatzes, nicht umsetzen
können, werden wir den kleinen Leuten die steuerliche
Entlastung nicht geben, die sie verdient haben.
({23})
Was ist denn das für eine Arbeitnehmerinnen- und
Arbeitnehmerpartei? Da brauchen Sie gar nicht so zu
grinsen. Das ist unglaublich! Schäbig ist das von der
SPD, dass sie an diesem Punkt nicht mitmacht.
({24})
Deswegen bin ich froh, dass wir wenigstens eine Senkung der Beiträge hinbekommen haben - als ein Beispiel
dafür, dass wir es ernst meinen damit, die Menschen zu
entlasten.
Jetzt will ich noch einen letzten Hinweis geben: Sie
stellen sich hier hin und sagen - auch in verschiedenen
Veröffentlichungen -: Es muss die Binnenkaufkraft gestärkt werden. - Im Übrigen verstehen wir als Binnenkaufkraft inzwischen europäische Binnenkaufkraft.
Wenn man aber sagt, dass die Binnenkaufkraft gestärkt
werden muss, und dann alles dafür tut, dass die Menschen nicht entlastet werden und nicht mehr Geld im
Geldbeutel haben, ist das das glatte Gegenteil von Stärkung der Binnenkaufkraft.
({25})
Sie sollten sich einmal entscheiden, ob Sie hü oder hott
wollen. Wir wollen die Binnenkaufkraft stärken und
wollen, dass die Menschen von den Lohnerhöhungen,
die sie Gott sei Dank jetzt bekommen, etwas mehr in der
Tasche haben.
({26})
Sie verhindern dies aus ideologischen Gründen. Das
alles können Sie den Menschen, die in den nächsten
Wochen zu ihrem Weihnachtseinkauf gehen, erklären.
Wir werden es auf jeden Fall machen. Politik für die
Menschen in diesem Land sieht anders aus als das, was
Sie gerade machen.
({27})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
deshalb diesen Bundeshaushalt am Freitag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen verabschieden. Er ist ein
schönes Signal - das sagen wir immer wieder -: Die
christlich-liberale Koalition hilft, damit es die Menschen
jetzt und in Zukunft einfacher haben.
({28})
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kauder, ich finde, dass schäbig heute
Mittag oder heute Morgen besonders die Art und Weise
war, wie Sie mit der Wahrheit umgegangen sind.
({0})
Das kann man an verschiedenen Beispielen darstellen:
Sie reden von Problemen in Baden-Württemberg, die Ihr
Zögling Mappus hinterlassen hat, und lasten das jetzt
seinem Nachfolger an.
({1})
Sie reden von Problemen in Frankreich, die Ihr Freund
Sarkozy hinterlassen hat, und lasten das seinem Nachfolger an.
({2})
Das ist Ihre Methode, Herr Kauder, mit der Wahrheit
umzugehen. Damit kommen Sie nicht durch, jedenfalls
bei uns nicht. Diese Art von Legendenbildung ist Vorbereitung auf den kommenden Wahlkampf.
Das gilt auch für die anderen Themen. Energetische
Gebäudesanierung: Sicherlich sollten sich die Länder da
bewegen, aber die Bundesregierung muss sich in gleicher Weise bewegen. Wir brauchen einen Kompromiss;
({3})
das sage ich Ihnen. Das ist meine persönliche Überzeugung. Das sage ich auch den Ländervertretern. Daran arbeiten wir. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass
wir im Interesse der Sache zu einem Kompromiss kommen müssen. Auf der Strecke dahin können Sie aber
nicht eine Seite diffamieren, wie Sie das hier gemacht
haben. Das geht nicht, Herr Kollege Kauder.
({4})
Unredlich und fachlich gänzlich daneben - die Kanzlerin äußert sich gelegentlich in ähnlich unqualifizierter
Weise - äußern Sie sich wieder zu den Veränderungen
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts 2004/
2005. Ohne die damaligen Veränderungen - jenseits der
politischen Hintergründe - hätten wir die heutige Schuldenbremse nicht - die waren nämlich das Muster dafür -, hätten wir in der Großen Koalition zusammen
nicht relativ erfolgreich die Finanz- und Wirtschaftskrise
bekämpfen können. Nur so hatten wir die Möglichkeit,
die großen Konjunkturpakete zu schnüren - das war der
präventive Arm -, von denen vor allem die Kommunen
profitiert haben, über die Sie so viel geredet haben.
({5})
Nur so war das zu erklären. Inzwischen gibt es sogar
wissenschaftliche Ausarbeitungen dazu. Ich habe deren
Lektüre Herrn Brüderle auch schon einmal empfohlen;
ich bitte auch Sie, Herr Kauder, sich vielleicht einmal
ein bisschen mit den Fakten zu beschäftigen, bevor Sie
entweder aus Mangel an Kenntnis oder vorsätzlich das
Volk belügen. Das wäre wirklich zu empfehlen.
({6})
Im Übrigen gehört zu einer erfolgreichen Regierung
- Frau Merkel hat ja von der „erfolgreichsten Regierung
seit der Wiedervereinigung“ gesprochen -,
({7})
dass sie - Kollege Meister, Sie sind doch ein integrer
Mensch; gehen Sie voran! ({8})
den Menschen die Wahrheit sagt. In Sachen Griechenland und in Sachen „Krise in der Euro-Zone“ haben Sie
eben und systematisch die Unwahrheit gesagt,
({9})
zumindest getäuscht oder angetäuscht. Das ist Ihre Methode. Aber damit scheitern Sie. Ihre Täuschung führt
auch zu großen Orientierungsproblemen in den Reihen
von Schwarz-Gelb. Gelegentlich war auch geistige Verwirrung festzustellen. Deswegen hat sich der Kollege
Schäuble - zumindest hatte ich den Eindruck - heute
Morgen bei seiner Berichterstattung in der SPD-Bundestagsfraktion durchaus wohlgefühlt, wegen der sachlichen Debatte. Ich glaube, er hatte mehr Sorgen, als er zu
Ihnen in die Fraktion kam, um die Ergebnisse von gestern Nacht zu erklären, die nun weiß Gott nicht berühmt
waren.
({10})
Man sollte mit so großen Worten wie „erfolgreichste
Regierung seit der Wiedervereinigung“ vorsichtig sein.
Frau Merkel hat heute Morgen wieder eine Rede nach
dem Motto „Gut geklaut ist halb gewonnen!“ gehalten.
Ich meine damit, dass sie sich die Früchte der Politik,
der Leistungen oder der Forderungen anderer ans Revers
geheftet hat.
({11})
Auch das war bereits Teil Ihrer Vorbereitung für das
nächste Jahr. Auch das lassen wir so nicht durchgehen.
Das gilt für das, was sich für die Kommunen getan hat;
das gilt für die Beschäftigungssituation, die Sie sich zugutehalten.
Die Menschen in Deutschland sehen das im Übrigen
ganz anders als die Regierung; darauf wurde gestern
schon hingewiesen. Frau Merkel, Sie führen nicht die erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung. Sie
führen die Regierung, der aus der Bevölkerung am meisten Misstrauen begegnet, weil sie Ihnen jenseits Ihrer
guten persönlichen Werte, Frau Merkel, im Prinzip
nichts zutraut. Es mag sein, dass Sie vielleicht als Einzige aus der Schar, die sich hier darbietet - das will ich
nicht näher bewerten -, herausragen. Aber 70 Prozent
der Deutschen sagen: Die Regierung Merkel betreibt nur
Klientelpolitik. Recht haben diese 70 Prozent.
({12})
65 Prozent sagen, die Regierung Merkel kümmere sich
nicht um die Zukunftsprobleme. Da haben die 65 Prozent ebenfalls recht; denn Sie haben in den letzten drei
Jahren überhaupt keine Antworten auf das gefunden,
was uns zum Beispiel aufgrund des demografischen
Wandels bedrängt. Das, was Sie als „Lebensleistungsrente“ ausgeben, ist ein Treppenwitz. Das ist eine Beleidigung für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet haben; das muss man deutlich sagen.
({13})
Sie kommen mit semantischen Antworten, aber eben
nicht mit richtigen Problemlösungen.
Was bleibt eigentlich als Ergebnis Ihrer Regierungsarbeit? Kollege Trittin hat gefragt: Was bleibt eigentlich
von der Kanzlerin Merkel nach sieben Jahren? Ich will
ganz sachlich fragen: Was bleibt eigentlich als Ergebnis
der Regierungsarbeit von Schwarz-Gelb? Was bleibt eigentlich jenseits von Griechenland-Krise und EuroLand-Stabilisierung? Sind irgendwo Probleme grundlegend und umfassend angegangen und nachhaltig gelöst
worden? Wohl eher nicht! Was von dieser Regierung
bleibt, sind Stichworte wie „Hotelsteuer“, „Betreuungsgeld“ sowie „Inkompetenz“ und „soziale Ignoranz“. Ja,
„Inkompetenz“ und „soziale Ignoranz“ sind die Markenzeichen dieser Bundesregierung und dieser Koalition.
Ich vermute, dass so listige Menschen wie Herr
Brüderle und andere in den Reihen von Schwarz-Gelb
sogar froh sind, dass die Griechenland-Krise und die
Staatsfinanzierungsprobleme im Euro-Raum den Blick
auf die umfassende Erfolglosigkeit und den Dauerstreit
in der schwarz-gelben Regierung verstellen, dass sich
das alles vielleicht sogar zur Ablenkung eignet. Wir spüren aber, dass die Merkel’sche Griechenland- und
Europa-Taktik jetzt an ihr Ende gelangt. Sie, Frau
Merkel, und die Koalition werden den großen gesellschaftlichen Herausforderungen auch bei der Pflege oder
bei der anwachsenden Altersarmut nicht gerecht. Ihre
Politik ist das genaue Gegenteil von Problemlösung und
Fortschritt. Das gilt zum Beispiel beim Betreuungsgeld
oder auch beim von Ihnen organisierten Kahlschlag in
der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
({14})
Wer wie ich aus dem Ruhrgebiet oder auch aus anderen
entsprechenden Teilen Deutschlands - egal ob aus Ostdeutschland oder Westdeutschland - kommt und sieht,
wie vielen jungen Menschen durch die radikale Streichung von Arbeitsmarktmitteln - über 26 Milliarden
Euro - Lebenschancen genommen werden, muss sagen:
Es ist eine Schande, dass eine christlich-liberale Koalition - so nennen Sie sich ja - eine solche Politik vertritt.
({15})
Diese Reihe könnte man fortsetzen: gescheiterte Bildungsgipfel, Energiewendegipfel und anderes mehr.
Das ist sogar von einem konservativen Kommentator
eines Massenblatts kürzlich aufgegriffen worden. Er hat
Ihnen prophezeit, dass es letzten Endes von allen über
Steuern und Abgaben zu tragen ist, wenn Sie - wie auf
dem letzten Gipfel - ganz nebenbei Gelder verteilen.
Das unterscheidet uns. Wir wollen in der Tat eine höhere
steuerliche Belastung von Spitzenverdienern und Vermögenden. Wir wollen aber nicht eine höhere Belastung
für alle. Das zeigt deutlich - darüber werden wir im
nächsten Jahr sprechen -, was uns unterscheidet. Der
Sinn für sozialen Ausgleich ist in den letzten drei Jahren
in Deutschland regelrecht unter die Räder gekommen,
und das werden wir ändern.
({16})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will in der kurzen Redezeit, die ich habe, nur auf einen Zusammenhang hinweisen, nämlich auf den makroökonomischen Zusammenhang von Abgaben- und Steuerbelastungen einerseits und Beschäftigung andererseits.
Als wir im Oktober 2009 mit den Koalitionsverhandlungen begonnen haben, war unsere größte Sorge: Wie
schaffen wir es, diesen Haushalt in Ordnung zu bringen?
Die Große Koalition und der damalige Finanzminister
Peer Steinbrück hatten uns einen Haushaltsplan mit einer
Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro übergeben;
dies sollten wir verantworten. 86 Milliarden Euro Neuverschuldung waren für das Jahr 2010 geplant.
Wie kommen wir aus dem Debakel heraus? Das war
die zentrale Frage bei den Verhandlungen. Wir haben
uns dann entschieden, auf Wachstum zu setzen, weil wir
nur durch Wachstum mehr Beschäftigung bekommen.
Wie können wir Wachstum beschleunigen? Was können
wir dafür tun? Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Entlastungen beschlossen. Wir haben im
Laufe der Legislaturperiode weitere Entlastungen beschlossen, insbesondere bei den Sozialabgaben, bei der
Rentenversicherung. Alles in allem beläuft sich die Entlastung - dies hängt noch davon ab, ob Sie beim Abbau
der kalten Progression zustimmen - auf einen Betrag
von 36 Milliarden Euro.
Das hat dazu beigetragen, dass wir diese fantastische
Situation auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland haben,
die wir heute feststellen können. Das ist das einmalige
Wirtschaftswunder, das wir heute erleben. Ich verstehe
Herrn Trittin nicht; ich weiß nicht, wo in der Welt er sich
herumtreibt. Er hat erzählt, was ihm alles gesagt wird.
Überall dort, wo ich hinkomme, fragen mich die Menschen: Wie schafft ihr das? Wie habt ihr das erreicht?
Das ist ja eine unglaubliche Leistung. Überall in Europa
gehen die Wachstumszahlen zurück, aber in Deutschland
bleiben sie stabil, die Beschäftigung bleibt hoch, und die
Arbeitslosigkeit bleibt niedrig.
({0})
Das ist die einmalige Erfolgsbilanz dieser Regierung.
Sie ist überhaupt nicht wegzudiskutieren; Herr Poß, Sie
haben das in Zweifel gezogen. Es ist auch eine entscheidende sozialpolitische Leistung. Es ist doch unser Anliegen, unsere sozialpolitische Aufgabe, allen Menschen,
die arbeiten wollen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen wollen, die Möglichkeit dazu zu geben. Die Zahl
der Beschäftigten, der Erwerbstätigen, ist heute auf einem Stand, auf dem sie nie zuvor in der Bundesrepublik
war: 41,85 Millionen Beschäftigte. Die Zahl der Arbeitslosen ist um 1,9 Millionen deutlich zurückgegangen,
während die Zahl der Beschäftigten um 2,3 Millionen
gestiegen ist. Das ist doch eine Bilanz, die unvergleichbar ist, insbesondere wenn Sie sich an die Krisensituation zurückerinnern, die wir 2009 erlebt haben.
Ich hätte nie gedacht, dass es in drei Jahren gelingen
würde, den Haushalt auf den Stand zu bringen, auf dem
wir heute sind. Wir haben im Kernhaushalt quasi eine
Nullverschuldung, wenn Sie bedenken, dass wir den
Ländern und Gemeinden etwa 10 Milliarden Euro an Belastungen abgenommen haben
({1})
und über 8 Milliarden Euro als Eigenkapital für den
ESM zur Verfügung stellen mussten.
({2})
Das heißt auf Deutsch: Wir haben eine riesige Erfolgsbilanz im Haushalt. Wir können heute mit Stolz sagen: Wir haben diese Herkulesaufgabe bewältigt. Dies
hatte uns niemand zugetraut; wir hatten es uns auch
selbst nicht zugetraut. Wir sind heute stolz darauf, dass
wir das erreicht haben. Es steht uns auch zu, das in der
Öffentlichkeit so zu sagen. Deswegen kann ich Ihnen
nur empfehlen: Schließen Sie sich dem Erfolg an!
({3})
Falls das Unglück geschehen sollte, dass Sie an die Regierung kommen, sollten Sie nicht die Gegenstrategie,
die Sie heute verkünden, wahrmachen, nämlich den
Menschen wieder in die Tasche zu greifen,
({4})
die Steuern an allen Ecken und Enden zu erhöhen und
damit die Basis für Wachstum und Beschäftigung wieder
zu zerstören.
Denken Sie daran, Herr Poß - das wissen Sie genauso
gut wie ich -, dass die Einkommensteuer die Betriebsteuer für Personengesellschaften und Einzelkaufleute
ist. Wenn Sie die Einkommensteuer erhöhen, dann senken Sie die Investitionsquote des Mittelstandes, und
dann legen Sie die Axt an die Beschäftigung in diesem
Land.
({5})
Deswegen warne ich Sie davor, diese Dummheit zu begehen. 2002 haben Sie eine vernünftige Steuerreform
gemacht. Erinnern Sie sich daran! Das war erfolgreich.
Diese Politik muss fortgesetzt werden. Aber das wird
wohl nur mit der Koalition, die heute regiert, gelingen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Haushaltsdebatten sind normalerweise eine gute Gelegenheit für die Opposition, eigene Vorschläge vorzulegen, vernünftige, zielführende, zukunftsweisende Alternativen aufzuzeigen und zu begründen.
({0})
Wenn wir uns die Debatten von gestern und heute vor
Augen führen, dann kann man dazu nur sagen: Fehlanzeige! Diese Chance haben Sie verpasst.
({1})
Objektiv betrachtet muss man natürlich sagen: Es ist
auch nicht so einfach, Alternativen vorzulegen, und zwar
deshalb nicht, weil die finanzpolitische, die wirtschaftspolitische, die arbeitsmarktpolitische und die soziale Situation in unserem Land eine gute ist; das hat ja sogar
Herr Steinbrück heute zugegeben. Das ist das Ergebnis
der guten Arbeit der Menschen im Land, einer guten
mittelständischen Struktur und einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Aber, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, das ist auch das Ergebnis
einer zukunftsweisenden, einer verantwortungsvollen,
einer guten Politik dieser Regierung seit Jahren.
({2})
Es geht um die Grundlagen der Finanzen, um einen
sparsamen Umgang mit den Steuergeldern. Bei dem,
worüber wir immer unter dem Stichwort „Haushaltskonsolidierung“ sprechen, geht es ja um nichts anderes als
um einen sparsamen Umgang mit den Steuergeldern, mit
dem Geld der Bürgerinnen und Bürger. Da gesagt wurde:
„Ihr könntet noch mehr sparen“, will ich von meiner
Seite daran erinnern: Zu Beginn dieser Legislaturperiode
lag vom Finanzminister aus der Zeit der Großen Koalition ein Haushalt mit einer Nettokreditaufnahme von
86 Milliarden Euro vor. Heute, drei Jahre später, sind wir
bei 17 Milliarden Euro. Das muss uns erst einmal jemand nachmachen!
({3})
Wenn man dann gerade von Herrn Steinbrück hören
muss: „Es ist noch nicht alles konsolidiert, und man hätte
das viel besser machen können“, sollte man an seine Tätigkeit als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen erinnern. Sie dauerte drei Jahre, dann ist er gescheitert. Das
Ergebnis dieser drei Jahre war eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung von etwa 83 Milliarden Euro auf
108 Milliarden Euro, also um 25 Milliarden Euro - eine
Größenordnung, die dem damaligen Schuldenstand von
gesamt Bayern entsprach. Das heißt, in drei Jahren sind in
Nordrhein-Westfalen unter seiner Regierung genauso
viele neue Schulden gemacht worden, wie sich in 60 Jahren in Bayern angehäuft haben.
({4})
Meine Damen und Herren, von so einem Menschen
müssen wir uns nicht sagen lassen, wie Haushaltskonsolidierung geht, wie sparsamer Umgang mit Steuergeldern geht; das kann doch wirklich niemand ernst
nehmen - wir nicht und auch die Bevölkerung nicht.
({5})
Sparen, sparsamer Umgang mit Steuergeldern, Haushaltskonsolidierung, das ist kein Selbstzweck, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sondern das machen wir
aus Verantwortung für die nachwachsenden Generationen, für unsere Kinder und Enkelkinder, denen wir keine
Schulden überlassen wollen, sondern Freiräume zur
Gestaltung ihres Lebens. Das machen wir aber auch
deshalb, weil uns nicht zuletzt die Staatsschuldenkrise in
Europa lehrt, dass solides Haushalten, solider Umgang
mit öffentlichen Geldern die Grundlage ist für ein solides Wachstum, für gutes Wirtschaften, für Freiraum der
einzelnen Menschen und dafür, dass es den Menschen
im Land und in Europa gut geht. Sparen und Haushaltskonsolidierung stehen bei uns deshalb nicht nur auf dem
Papier, sondern sind ein wichtiges Anliegen von uns allen.
({6})
Wir schauen da nicht nur auf den Bundeshaushalt.
Wir haben in dieser Legislaturperiode in ganz besonderer Weise auch auf die Haushalte der Kommunen geschaut. Es ist vorhin schon angesprochen worden: Wir
geben den Kommunen im Bereich der Grundsicherung
zurück, was Sie ihnen vorher genommen haben.
({7})
Rot-Grün hat den Kommunen die Aufgabe der Grundsicherung übertragen. Wir übernehmen nun diese Ausgaben, damit die Kommunen Freiraum bekommen.
({8})
Die gleiche Unterstützung lassen wir den Kommunen
bei der Kinderbetreuung angedeihen. Ich sage ganz bewusst - gerade auch für die CSU -: Der Ausbau der Kinderbetreuungsstätten für unter Dreijährige ist uns ein
ganz großes Anliegen. Das zeigt sich an der hohen Beteiligung des Bundes an den Ausbaukosten und den Betriebskosten, obwohl dafür eigentlich nicht der Bund zuständig ist, sondern die Länder und Kommunen. Das
zeigt sich insbesondere an Bayern: Dort ist die Dynamik
des Ausbaus der Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige größer als in allen anderen Bundesländern. Übrigens ist in Bayern auch die Erwerbstätigkeitsquote der
Frauen am höchsten - was uns von vielen gar nicht zugetraut wird. Wie ich jetzt gelesen habe, hat man auch
mir persönlich manches in meinem Leben gar nicht zugetraut; das will ich aber nur am Rande erwähnt haben.
({9})
In Bayern liegt der Ausbaustand der Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige schon weit über dem
Stand, der im Bundesdurchschnitt angestrebt ist: Wir haben nämlich für mehr als 40 Prozent der Kinder unter
drei Jahren Betreuungsplätze. Und das in einem Land
mit einer Partei in der Regierung, die gerade in den letzten Monaten an dem wichtigen Projekt Betreuungsgeld
festgehalten hat! Damit machen wir deutlich: Wir brauchen beides.
({10})
Wir setzen uns für beides ein, für den Ausbau der Kinderbetreuungsstätten genauso wie für das Betreuungsgeld, und zwar deshalb, weil wir Ja zur Kinderbetreuung
sagen, Ja auch zu Kinderbetreuungseinrichtungen sagen,
aber Nein zu staatlicher Bevormundung in der Erziehung. Das ist der wesentliche Unterschied zu Ihnen.
({11})
Entlastung im öffentlichen Bereich, Haushaltskonsolidierung, das ist die eine Seite. Schwerpunktsetzungen
bei den Familien, in der Bildung, in der Forschung, bei
Innovationen, bei allem, was mit Investitionen zu tun
hat, das ist die zweite Seite. Das, meine Damen und Herren, ist letztlich der Markenkern dieser Regierung: eine
nachhaltige Finanzpolitik, eine Finanzpolitik, die geprägt ist auf der einen Seite vom sparsamen Umgang mit
Steuergeldern und auf der anderen Seite von der Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Das Ergebnis
gibt uns recht. Das Ergebnis unserer Arbeit ist nämlich
ein Rückgang der öffentlichen Verschuldung, ein Rückgang der Arbeitslosigkeit und eine Zunahme des Wachstums.
Das Ergebnis Ihrer Regierungszeit war ein anderes.
({12})
- Ja. Das waren nämlich steigende Arbeitslosenzahlen,
das war steigende Verschuldung, und das war Nullwachstum.
({13})
Die Ziele, die Sie verfolgt haben, unterscheiden sich diametral von den unsrigen.
({14})
In einer Zeit, in der sich weltwirtschaftlich so vieles
verändert hat und schwieriger geworden ist, in so einer
Zeit muss man genau prüfen, ob die Maßnahmen, die
man vorschlägt, nicht das Erreichte wieder kaputt machen. Ich will nur einige Dinge nennen, die nicht nur
nicht geeignet sind, sondern das Erreichte mit Sicherheit
kaputt machen würden.
Sie schlagen unter anderem die Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor, sogar noch als Kompensation für
die Abschaffung der kalten Progression; das ist vorhin
schon angesprochen worden. Meine Damen und Herren,
wie kann man nur so etwas machen wollen! Sie sind
doch eine Partei, die sich auf die Fahne geschrieben hat,
für die Arbeitnehmer, für die kleinen Leute da zu sein.
({15})
Vor diesem Hintergrund verstehe ich aber nicht, warum
man über ein Jahr lang im Bundesrat eine Regelung blockiert, die zur Entlastung dieser kleinen Leute, der Arbeitnehmer, der fleißigen Menschen führt, denen die
Früchte ihrer Arbeit zurzeit nicht gegönnt werden, weil
die Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen durch die Progressions- und Inflationswirkung zunichtegemacht werden.
Wie man zum Abstellen dieser Ungerechtigkeit, was wir
mit unserem schon beschlossenen Gesetz vorsehen, sagen kann: „Nein, das wollen wir als Arbeitnehmerpartei
nicht“, das müssen Sie dem Volk wirklich einmal erklären. Ich kapiere das nicht.
({16})
Wenn Sie wenigstens einen Vorschlag machen würden, der vernünftig wäre, dann würde mir das noch eingehen. Aber mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes
treffen Sie gerade die Leistungsbereiten, die Leistungsfähigen, die Arbeitnehmer und die Unternehmer. 80 Prozent unserer Unternehmen sind mittelständisch organi25256
siert und bezahlen Einkommensteuer. 80 Prozent! Sie
stellen Arbeitsplätze zur Verfügung. Wie die Erhöhung
des Spitzensteuersatzes zum Arbeiten, zu neuen Investitionen sowie zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen
motivieren soll, verstehe ich nicht. Es wird eben nicht
motiviert. Mit diesem Vorhaben machen Sie jeden Investitionsmotor von Anfang an kaputt. Sie blockieren jede
weitere Leistungsbereitschaft und produzieren damit zusätzliche Arbeitslose. So wollen Sie Verantwortung
wahrnehmen.
({17})
Ähnlich verhält es sich bei Ihren Vorstellungen zur
Einführung einer Vermögensteuer, zur Erhöhung der
Erbschaftsteuer, zu einer Vermögensabgabe usw. Mit
Verlaub: Das sind Vorschläge aus der Mottenkiste. Teilweise haben Sie die alle schon probiert. Sie sind lediglich dazu geeignet, Neiddebatten zu führen. Aber sie
sind in der jetzigen Phase nicht geeignet, Wachstum und
Beschäftigung zu halten bzw. auch noch zu verbessern.
Mit diesen Vorstellungen zerstören Sie das, was aufgebaut wurde, vom Kern her. Sie verstehen unter Konsolidierung nichts anderes als maßlose Steuererhöhungen,
als Abkassieren von denjenigen Menschen, die leistungsfähig und leistungsbereit sind.
({18})
Dieser Kurs, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist
ein völlig anderer als der Kurs, den wir bisher gefahren
sind und den wir auch weiterhin fahren werden.
Kollege Dr. Solms hat es angesprochen: Wir haben zu
Beginn dieser Legislaturperiode stark darauf gesetzt,
Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Dies ist gelungen. Wir sind Vorbild mit unserer Politik der Haushaltskonsolidierung, mit unserer nachhaltigen Finanzpolitik,
mit unserer wachstumsorientierten Politik in ganz Europa und darüber hinaus. Das, meine lieben Freunde,
sollten wir auch künftig bleiben.
({19})
Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst einmal möchte ich dem Kollegen Schäuble gratulieren. Nein, nicht zu dem Haushalt; denn dazu haben wir
doch eine ganze Menge berechtigte Kritik. Ich möchte
ihm dazu gratulieren, dass er fast auf den Tag genau seit
40 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages ist - eine
sicherlich außergewöhnliche Leistung. Ich glaube, er hat
in vielen Bereichen Bedeutendes geleistet. Als Sozialdemokrat war ich natürlich mit einer Reihe seiner Positionen nicht einverstanden. Aber darauf kommt es nicht an.
Er hat sicherlich Bleibendes geleistet mit seiner Grundsatzrede zum Thema „Hauptstadt - Berlin oder Bonn?“,
({0})
die ich in jedem einzelnen Wort unterstütze und die dazu
beigetragen hat, dass wir hier sitzen.
({1})
Was ansonsten die Situation dieser Regierung anbelangt: Das kann man fast überhaupt nicht weiter dramatisieren. Für jemanden, der sehr oft und sehr lange in
Europa unterwegs ist, sind die Fakten ernüchternd,
manchmal auch erschlagend. Ich habe in den letzten
30 Jahren bei meinen Gesprächen noch nie erlebt, dass
eine deutsche Bundesregierung in so vielen europäischen Hauptstädten ein solch schlechtes Image hatte wie
die aktuelle. Ich habe das nicht einmal erlebt unter
Helmut Kohl, der ja durchaus ein paar umstrittene Sachen gemacht hatte, und auch unter Gerhard Schröder
nicht. Als europapolitischer Koordinator bin ich oft in
der Situation, dass ich sagen muss: Moment, bei Frau
Merkel gilt dieses und jenes.
({2})
Die mittlerweile vorhandene Kritik ist schlecht für
das Ansehen unseres Landes. Das muss einfach einmal
deutlich ausgesprochen werden. Unser Ansehen ist
schlecht, weil teilweise nicht klar ist, welcher Regierungskurs gefahren wird, was man als nächste Maßnahme ergreift und wo und wie lange man zu seinen eigenen Vorschlägen steht, und weil aus der Mitte dieser
schwarz-gelben Koalition viele Länder durch eine maßlose Rhetorik, die mit der Realität, zum Beispiel in Griechenland, nichts mehr zu tun hat, beschämt und auch beschädigt worden sind.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Kanzlerin und dem
künftigen Kanzler Peer Steinbrück.
({4})
- Hören Sie einmal genau zu!
({5})
Er hat bezogen auf die Große Koalition gesagt - das ist
der Unterschied -: Bezüglich des damals beschlossenen
Kooperationsverbots in der Bildung ist Selbstkritik nötig. Sie waren dagegen weder in Bezug auf die Entspannungspolitik von 1972 noch sonst bis heute irgendwann
einmal in der Lage, zu sagen: Jawohl, da haben wir politische Fehler gemacht; die müssen wir korrigieren. Die
Bürgerinnen und Bürger werden bei der Wahl im September 2013 die Möglichkeit haben, Ihre Fehler zu korrigieren.
({6})
Axel Schäfer ({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch ganz
einfach, das auszusprechen, was notwendig ist, damit die
Bürgerinnen und Bürger unsere jetzige Situation in Europa verstehen, aber das wird nicht getan.
Erstens. Wir müssen immer wieder wiederholen: Es
kann uns in Deutschland nur gutgehen, wenn es den anderen Ländern nicht schlecht geht. Das ist die Grundlage
überhaupt!
Zweitens. Da wir in Deutschland die wirtschaftlichen
Gewinner der Einigung sind, ist es richtig, dass wir als
Nettozahler einen adäquaten und ansehnlichen finanziellen Beitrag leisten.
Drittens. Wir dürfen nicht nur so tun, als wüssten wir
von allem den Preis, sondern wir müssen auch deutlich
machen, was der Wert dieser Gemeinschaft ist.
Genau diese Grundhaltung ist bei Ihnen nicht vorhanden. Das ist eine der Ursachen dafür, dass wir die aktuellen Schwierigkeiten in Europa haben.
({8})
Was ich zu Wert und Preis gesagt habe, wird sich in
den nächsten Tagen beweisen; denn Ihre Politik, die substanziell und essenziell darin besteht, das Parlament eher
zu schwächen und das Intergouvernementale zu stärken,
wird sich schon an diesem Wochenende rächen. Sie werden sehen: Wir werden keinen mittelfristigen Finanzrahmen hinbekommen, der vom Europäischen Parlament
mitgetragen wird.
Ich kann die Kolleginnen und Kollegen dort nur ermutigen - gerade auch bei Liberalen und Christdemokraten gibt es da viel Kritik -, zu diesem MFR Nein zu
sagen, weil er genau das nicht ermöglicht, was wir in
Europa brauchen: Wachstum, Beschäftigung, Nachhaltigkeit. All das, was versprochen ist, kann nämlich mit
diesem Mittelfristigen Finanzrahmen nicht gehalten werden.
({9})
Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich einmal,
was das Auswärtige Amt gerade dazu geschrieben hat:
In den Weisungen des Auswärtigen Amtes für den Ständigen Vertreter Deutschlands bei der EU vom 15. November heißt es: „Die Kürzungsvorschläge im Bereich
1b“, also wirtschaftliche, soziale und territoriale Kohäsion, „sind nicht ausreichend.“ Das heißt, es soll noch
mehr gekürzt werden. Das heißt auch, dass es noch weniger Mittel für das geben soll, was nötig ist: Förderung
der Beschäftigung, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und Fortschritte bei der Nachhaltigkeit in Europa.
Das ist in der Praxis die Politik dieser Bundesregierung
in Europa. Darum wird es gehen.
Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Wir als SPD befinden uns heute in einer sehr entspannten Situation. Deshalb konnte Kollege Solms sagen:
Wenn Sie nächstes Jahr an die Regierung kommen, bedenken Sie dies und das. - Wir haben jetzt schon in der
Debatte erlebt, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und Grüne in den zentralen Fragen sehr nahe
beieinander sind. Der Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen hat gezeigt, dass es ein hohes Maß an Geschlossenheit gibt. Die Nominierung von Peer Steinbrück auf dem
SPD-Parteitag am 9. Dezember wird dieses Maß an Geschlossenheit noch einmal in besonderer Weise verdeutlichen.
(Lachen der Abg. Dr. Gesine Lötzsch ({10})
Ich bin davon überzeugt: Es gibt bei uns die Entschlossenheit, Sie im nächsten Jahr abzulösen. Das werden wir
machen. Dafür werden wir werben.
Glück auf!
({11})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Rüdiger Kruse.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Schäfer, in der Generaldebatte darf
man generell so ziemlich alles sagen und machen. Sie
haben eine Ermutigungsrede für einen Parteitag gehalten. Das scheinen Sie nötig zu haben. Ich will mich gar
nicht einmischen und Stellung beziehen, ob Ihre Prognose richtig ist. Auch ich glaube, Steinbrück wird
Kanzlerkandidat; darin stimmen wir überein. Auch in Ihrer Beurteilung von Wolfgang Schäuble stimmen wir
überein.
Sie haben dann ein paar Ausführungen zu unseren
Nachbarn gemacht und dazu, wie man denen helfen soll,
damit es ihnen wieder gutgeht. Das ist alles richtig. Nur:
Wenn Sie einen Ertrinkenden retten wollen, dann müssen Sie selber schwimmen können. Wenn Sie dazu beitragen, dass die Arme und Beine des Rettungsschwimmers immer stärker gefesselt werden, dann wissen Sie
genau, welches Schicksal ihm droht. In diese Richtung
gehen Ihre Politikvorschläge.
Sie haben eben auf große Gemeinsamkeit zwischen
Rot und Grün hingewiesen. Mein Part am Ende der Debatte ist es immer, auf das Thema Kultur zu kommen,
weil das ja die Spitze der Bewegung ist. Weil es eine
Haushaltsdebatte ist, kann man einmal schauen: Wie hat
sich denn diese Gemeinschaft von Rot-Grün ausgewirkt?
Wir wissen, der damalige Kanzler hatte viele Künstlerfreunde und war in dieser Richtung wirklich interessiert.
Er hat sich auch einen schöngeistigen Staatsminister für
Kultur besorgt. Wie haben sich denn damals die Haushalte für Kultur entwickelt? Rot-Grün hat in seiner Zeit,
vom Anfang bis zum Ende, den Etat für Kultur verändert: um 10 Millionen Euro nach unten.
({0})
Okay. Was hat denn Schwarz-Rot gemacht? In den vier
Jahren Schwarz-Rot wurde der Etat über die Jahre verän25258
dert: um 80 Millionen Euro nach oben. Okay, Schwarz
wirkt. Was hat Schwarz-Gelb in den letzten Jahren gemacht? Schwarz-Gelb hat auch den Etat verändert: um
134 Millionen Euro nach oben.
({1})
Was kann man an dieser Farbenlehre sehen? RotGrün bringt gar nichts und ist für die Kultur kontraproduktiv. Das Einzige, was es bringt, sind schöngeistige
Reden und Beileidsbekundungen für die schlechte Situation der Kultur. Je höher der Anteil von Schwarz wird,
desto besser geht es der Kultur.
Jetzt könnte man nach Schwarz-Gelb sagen: Probieren wir einmal eine Runde Schwarz pur aus.
({2})
Auch damit habe ich kein Problem. Ich muss aber nach
den Beratungen sagen, dass sich die Koalitionäre der
christlich-liberalen Koalition wirklich vorgenommen haben, im Zusammenspiel in diesen Jahren substanziell etwas zu leisten und substanziell die Kultur in diesem
Lande zu stärken. Das ist uns gelungen. Ich freue mich
auch über die gute Zusammenarbeit mit Jürgen
Koppelin, die in langen und manchmal auch sehr streitvollen Gesprächen sehr gute Ergebnisse gezeigt hat.
({3})
Es ist ja in Europa im Augenblick nicht selbstverständlich, dass Kulturetats erhöht werden. In Frankreich
- ich weiß nicht, ob das an den grün-roten Vorlieben für
Hollande liegt; Sie besuchen ihn auch zu oft; sein Rating
wird jedes Mal schlechter ({4})
wurde der Kulturetat zusammengestrichen, natürlich
hauptsächlich bei den Projekten, die die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat.
Es gibt ja die Grundvermutung, alle Künstler seien
links, was natürlich Quatsch ist, aber bleiben wir erst
einmal dabei. Zur Szene der Kulturschaffenden gehören
sicherlich nicht überwiegend Mitglieder meiner Partei.
Stellen Sie sich einmal vor, wir wären auf die Idee gekommen, alle diese Einrichtungen dichtzumachen. Aber
es gibt einen kulturpolitischen Ansatz, dessen Vertreter
so denken. Dieser Ansatz kommt von den Rändern der
politischen Gesellschaft, die dazu neigen, Kultur in Sklavenhaft zu nehmen und sie als Verkündungsinstrument
zu missbrauchen. Das tun Bürgerliche nicht, und es gibt
nur eine bürgerliche Regierung.
({5})
Die christlich-liberale Regierung hat dort Akzente gesetzt, wo wir nationale wie internationale Bedeutung und
Innovationen sehen. Ich glaube auch, dass das die Aufgabe des Bundes ist. Es ist den Kommunen oftmals
schwergefallen, Kulturprojekte weiter zu fördern. Oftmals wird auch, so verkehrt es ist, zuerst bei der Kultur
gespart. Wir werden so nicht verfahren, sondern wir halten an unserer Linie fest. Das ist uns auch gut gelungen.
Die Mittel für die Filmförderung sind um 10 Millionen Euro auf 70 Millionen Euro gestiegen. Das ist ein
Bereich, in dem sich Kultur sehr direkt mit der Wirtschaft trifft.
Wir haben in der Musikwirtschaft, ausgehend von
entsprechenden Initiativen, ein ähnliches Programm im
Aufbau. Ich sage nicht, in welcher Höhe, damit jetzt niemand in die Luft springt. Aber auch hier kann Deutschland von einem reinen Import- zu einem Exportland werden.
All das, was wir für den Denkmalschutz tun, wirkt in
der Fläche und kommt damit allen zugute, weil es keine
schwarzen, grünen, gelben oder roten Denkmäler gibt.
Es geht uns dabei natürlich nicht um tote Steine: Wir fordern immer Nutzungskonzepte und richten uns auch sehr
explizit an die Lebenden, die heutigen Künstler und Kulturaktiven, wie es heute so schön heißt; denn den Begriff
„Kulturschaffende“ mag ich nicht.
({6})
- „Kulturaktive“ hat Wolfgang Börnsen neulich gesagt.
Dieses Wort fand ich sehr schön.
Auf jeden Fall können wir eines feststellen: Wo immer sich der Künstler selber verortet - am besten geht es
ihm unter einer bürgerlichen christlich-liberalen Regierung.
({7})
Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eigentlich sollte Petra Merkel, unsere Haushälterin, zu diesem Einzelplan sprechen. Sie ist aber kurzfristig erkrankt, und ich erlaube mir, ihr von dieser Stelle
aus die besten Genesungswünsche zu übermitteln.
({0})
Diesen Kulturhaushalt, der jetzt nach den Beratungen
sowohl im Ausschuss für Kultur und Medien als auch im
Haushaltsausschuss vorliegt, bewerte ich als einen Kulturhaushalt der Ambivalenz. Herr Kruse, es war ein bisschen selbstgefällig, wie Sie das alles geschildert haben.
({1})
In der Tat haben wir einen Aufwuchs von 100 Millionen Euro insgesamt in diesen Beratungen erreicht. Punktuell decken sich die Positionsverbesserungen bei einzelnen Etatposten auch mit den Vorstellungen der
Sozialdemokratie, zum Beispiel bei der Kulturstiftung
des Bundes und der Deutschen Akademie für Sprache
und Dichtung, aber auch, was den Aufwuchs bei der
Stiftung Aufarbeitung angeht.
Es reicht aber nicht, Herr Kruse, wenn es einen kulturaffinen Haushälter gibt. Die Kulturgruppe im Ausschuss für Kultur und Medien hat sich der inhaltlichen
Debatte völlig verweigert. Das, was in den Haushalt eingestellt wurde, ist nicht inhaltlich begründet worden. Im
Gegenteil, es wurde blind abgestimmt, und es wurde
ganz allein Ihnen überlassen. Das war eine Ein-MannShow, die dafür gesorgt hat, dass diese Positionen vom
Haushaltsausschuss im Haushalt verankert worden sind.
Dabei ist Kulturpolitik nicht alleine Ressortpolitik.
Wir sollten bestimmte Dinge in Zusammenhang bringen.
Die Mittel für die Goethe-Institute sind um 2,5 Millionen Euro gekürzt worden. Zudem sind im Etat des
Auswärtigen Amtes 5 Millionen Euro an Mitteln für
Sprachförderung gesperrt worden. Zeitgleich wird im
Kulturetat verankert, dass ein sudetendeutsches Museum
errichtet werden soll und dass der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zusätzliche Mittel zur Verfügung
gestellt werden,
({2})
obwohl es in der letzten Wahlperiode keinen entsprechenden Mittelabfluss gab. Was für Bilder nach innen
und nach außen transportieren Sie mit diesen Aktivitäten?
({3})
Ein weiteres Thema - ressortübergreifend betrachtet ist die kulturelle Bildung. Ja, das ist ein ganz zentraler
Punkt. Es ist gut, dass sich der Bund in dieser Hinsicht
anstrengt, aber es ist Kernaufgabe der Länder. Es sind
große Programme aufgelegt worden. Aber wie sind sie
verteilt worden? Ohne Abstimmung mit den Ländern,
ohne Koordination sind riesige Beträge, die sicherlich
von den Empfängern dankbar entgegengenommen werden, verteilt worden. Die Bundesvereinigung Kulturelle
Kinder- und Jugendbildung erhält 20 Millionen Euro,
der Verband deutscher Musikschulen 20 Millionen Euro,
der Deutsche Bühnenverein 10 Millionen Euro, die Stiftung Lesen 6 Millionen Euro. Sicherlich geht das Geld in
ordentliche Hände, aber Nachhaltigkeit wird doch nur
gewährleistet, wenn man das im Verbund von Kommunen, Ländern und Bund kommuniziert. Nur wenn man
das miteinander bespricht, gewährleistet man einen
wirksamen Mitteleinsatz. Davon kann nicht einmal in
Ansätzen die Rede sein.
({4})
Sie haben die Initiative Musik angesprochen. Was geschieht dort? Wir ringen seit Jahren darum, dass Spielstätten, die es schwer haben - es geht insbesondere um
Spielstätten im Bereich des Jazz, aber auch des Pop und
des Rock -, mit einem Spielstättenpreis ermutigt werden. Das ist eine gute Initiative. Der Bund stellt in diesem Haushalt der Initiative Musik richtigerweise Geld
zur Verfügung. Es wird aber einfach erwartet, dass die
Länder 540 Millionen Euro beisteuern, ohne dass man
mit den Ländern redet. Wie soll in diesem Sektor, in dem
Förderung und Impulsgebung notwendig sind, ohne Kooperation mit den Ländern etwas Wirksames geschehen?
Ich vermag es nicht zu erkennen.
({5})
Angesprochen wurde das Denkmalschutzprogramm.
Es ist in der Tat sehr gut, dass sich der Bund auch in diesem Jahr dafür deutlich engagiert. Über 30 Millionen
Euro werden wieder eingestellt. Aber was geht mit diesem Denkmalschutzprogramm in diesem Haushalt, der
jetzt zu verabschieden sein wird, einher? Die Kriterien
werden aufgeweicht. Es werden jetzt auch historische
Wasser-, Schienen- und Luftfahrzeuge gefördert, aber
auch Neubauten, zum Beispiel der Neubau eines Dokuzentrums für die Opfer deutscher Diktaturen in Rostock
und - so weit geht der Haushaltsausschuss; man riecht,
dass es da nur um konkrete Wahlkreisinteressen gehen
kann - der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ in Lauenburg.
Herzlichen Glückwunsch an den Kollegen, der das im
Bundeshaushalt verankern konnte!
({6})
Was ist das aber für eine inhaltliche Linie, wenn ich über
Denkmalschutzprogramme rede?
In weiten Bereichen zeugt dieser Haushalt von einer
sehr paternalistischen Haltung. Es ist sehr viel Geld zur
Verfügung gestellt worden, es wird nach merkwürdigen
Kriterien verteilt, aber eine inhaltliche Debatte über
Konzepte findet nicht in Ansätzen statt.
({7})
Lassen Sie mich auf ein ganz großes Projekt zu sprechen kommen. Das ist die Deutsche Digitale Bibliothek.
Wir als Deutscher Bundestag sind schon seit geraumer
Zeit hinter der Bundesregierung her, dass sie endlich
konzeptionelle Überlegungen vorlegt. Wir finden in diesem Haushalt dazu eine kleine Aussage, quasi eine
Hausnummer. Es geht um die Digitalisierung des Filmerbes. Wenn man weiß, dass es 30 000 Institutionen in
öffentlicher Hand in unserem Land gibt, die Digitalisierungsbedarf haben, dann muss dieser Aufgabenstrang
einmal geordnet werden. Es müssen Prioritäten definiert
werden. Es kann nicht sein, dass, weil der Kulturstaatsminister bekannterweise filmaffin ist, gerade in diesem
Segment eine Priorität gesetzt wird, ohne dass man inhaltlich darlegt, in welchen Bereichen es sinnvoll ist,
große Aktivitäten zu entfalten.
Kurzum, im Kulturbereich haben wir in diesem Haushalt einen Aufwuchs, aber es findet keine verantwortliche Debatte statt. Die aber fordern wir ein. Wir erwarten
von der Bundesregierung und auch von den Koalitionsfraktionen, dass sie sich inhaltlich diesen Themen stellen
und gut begründet darlegen, was sie mit dem vielen Geld
zu tun gedenken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Siggi, den guten Genesungswünschen für Petra Merkel schließen wir uns gerne an eine sehr engagierte, seriöse und hilfsbereite Kollegin.
({0})
Deiner Rede schließen wir uns nicht an. Sie war - du
kannst es viel besser - ein wenig zu kleinkariert. Du hast
auch vergessen, mitzuteilen, dass sich - im Gegensatz zu
allen Staatsministern vorher - dieser Staatsminister jeder
Sitzung des Kulturausschusses stellt. Er ist jedes Mal
dabei. Jedes Mal gibt es inhaltliche Diskussionen. Das
ist ein konzeptionell wirklich kluges Programm - auch
mit eurer Hilfe. Danke schön!
({1})
Vor genau sieben Jahren schrieb eine Zeitung: Das
Büro des Kulturstaatsministers im achten Stock galt
bisher als Horst der bunten Vögel. Nun ist dort ein
schwarzer Rabe im Anflug,
({2})
vielleicht auch ein kluger Uhu.
Am 21. November 2005 präsentierte Angela Merkel
Bernd Neumann als neuen Kulturstaatsminister - eine
kluge Entscheidung, wie sich herausstellen sollte, ein
Gewinn für die Kulturpolitik in Deutschland.
({3})
Seit seiner Nominierung wurde der Kulturhaushalt
achtmal in Folge auf jetzt 1,28 Milliarden Euro erhöht auch dank verständnisvoller Haushälter. Das ist ein Rekord, wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik
noch nie gegeben hat.
({4})
Ein solches Förderprogramm ist gut für unsere Bürgerinnen und Bürger, für Kulturaktive, für Künstler, für
Kreative und ganz besonders für den Kulturstandort
Deutschland, den jährlich immerhin 60 Millionen
Menschen aus aller Welt besuchen.
Diesen Kulturausbau seit acht Jahren nenne ich meisterlich gehandelt von Bernd Neumann, wie wir ihn kennen: pragmatisch, praktisch, produktiv und konstruktiv.
({5})
Doch das Bundesbeispiel macht keine Schule. In
Städten und Gemeinden bleibt ein beherztes Wachstum
für Kultur aus. Noch kritischer: In den meisten Ländern
befindet sich die Kulturfinanzierung auf dem Rückzug,
und zwar ganz deutlich. Obwohl die Förderung der
Kultur in fast allen Ländern Verfassungsrang hat, führen
offensichtlich Finanzlage und Sparzwänge zu solchen
Verzweiflungsrückschritten.
Trotz der Tatsache, dass die Kulturausgaben der
öffentlichen Haushalte gerade einmal 1,6 Prozent ausmachen, setzt man dort den Rotstift an. Das ist falsch.
Länder und Gemeinden sind mit 88 Prozent Hauptverantwortliche für die Kulturförderung. Wenn sie bereits in
guten Jahren Zweifel an einer offensiven Förderung aufkommen lassen, wie soll es dann erst in Krisenzeiten
werden?
Verantwortungsbewusste Politik muss Vorsorge betreiben. Die Kultur in unserem Land braucht ein stabiles
Fundament. Wir benötigen eine Allianz für die Kultur in
Deutschland. Dieser Konvent sollte sich aber nicht nur
mit den monetären Herausforderungen befassen. Eine
kritische Überprüfung der kulturellen Infrastruktur
gehört auch dazu: Wer hat an welchem Ort die besten
Voraussetzungen für die Kulturförderung?
Ein weiterer Sachverhalt muss ebenfalls auf den Prüfstand gestellt werden: Es geht - damit ist es uns wirklich
ernst - um die Sicherung der materiellen Existenzgrundlagen für Kulturaktive. Oder, wie es Volker Kauder, der
Vorsitzende unser Fraktion, formuliert hat: „Wir müssen
die Grundlagen dafür erhalten, dass ein Künstler von
seiner Arbeit leben kann.“
Beim Urheberrecht haben wir von der Unionsfraktion
Position bezogen. Bei der Künstlersozialversicherung
und beim Arbeitslosengeld für Kultur-, Film- und
Fernsehschaffende haben wir deutliche Verbesserungen
erzielt.
Doch das alles reicht noch nicht. Das durchschnittliche Jahreseinkommen von Kulturaktiven beträgt
12 500 Euro. Fast jeder zweite bildende Künstler muss
mit 5 Euro pro Stunde auskommen. In anderen Kulturbereichen ist es nicht besser. Ein Bundeskonvent für die
Kultur hat sich dieser Herausforderung anzunehmen.
Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden uns
weiter aktiv für die Existenzsicherung und die Einkommensverbesserung einsetzen.
Ein Beispiel, wie das gelingen kann, haben wir mit
der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung geschaffen. Das ist eine Erfolgsgeschichte.
Hans-Joachim Otto, Dagmar Wöhrl und andere haben
engagiert dafür gearbeitet. Über 250 000 Freiberufler
und Kleinunternehmer von der Architektur bis zum
Theater und zum Spielebereich machen diese bunte
Kreativszene aus. Mehr als 1 Million Menschen sind inzwischen dort tätig, und es boomt weiter. Das ist, finde
ich, eine Erfolgsgeschichte.
Ich bedanke mich am Ende der Beratungen dieses
Haushaltsbereichs ganz besonders bei den vielen Privatinitiativen, bei den Kirchen, die mit 3 Milliarden Euro
Kulturförderung betreiben, bei den Stiftungen, die mit
4 Milliarden Euro dabei sind, auch bei der deutschen
Wirtschaft und bei dem deutschen Mittelstand, der mit
fast 400 Millionen Euro jährlich Kultursponsoring
betreibt. Das ist Ausdruck eines guten Bürgersinns. Das
ist ein Zeichen dafür, dass die Rahmenbedingungen für
die Kulturförderungen in der Bundesrepublik DeutschWolfgang Börnsen ({6})
land stimmen. Dafür zuständig ist nicht zuletzt ein
Staatsminister, der als kluger Uhu im Horst des Bundeskanzleramtes gelandet ist.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die abschließende Beratung des Haushalts 2013 gibt die
Gelegenheit, sich grundsätzlich mit der Kulturpolitik des
Bundes zu befassen, besonders dann, wenn diese Debatte gegen Ende einer Legislaturperiode stattfindet.
Die Linksfraktion ist davon überzeugt, dass es kein
einfaches Weiter-so der Bundeskulturpolitik - ohne inhaltliche Debatte und mit vielen fragwürdigen Investitionen - mehr geben darf.
({0})
Kein Weiter-so auch mit dieser Wurmfortsatzdebatte,
wie wir sie heute wieder einmal führen müssen, am Ende
der sogenannten Elefantenrunde, wenn noch ein paar
Minuten für eine Kulturdiskussion übrig bleiben. Für
diese Debatte muss man sich fast entschuldigen, so wenig passt sie in die Generalauseinandersetzung mit der
Politik der Kanzlerin, und so wenig kann man zum
Thema selbst einbringen. Also kein Weiter-so, sondern
vom nächsten Jahr an eine veritable Debatte über Glanz
und Elend deutscher Kulturpolitik ({1})
in Auseinandersetzung mit einem veritablen Kulturminister, mit eigenem Ressort, gleichberechtigt im Kabinett und vor allem als Gleicher unter Gleichen in
Europa.
Ja, wir fordern für die Zukunft ein Bundeskulturministerium.
({2})
Diese Forderung ist nicht neu. Als Sondervotum der
Fraktion Die Linke ist sie im Bericht der EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ von Dezember
2007 bereits dokumentiert. Ich darf zitieren:
Die Fraktion DIE LINKE. spricht sich für eine weitere Stärkung der Bundeskulturpolitik durch die
Einführung des Amtes eines Bundeskulturministers
mit Kabinettsrang aus. Wir plädieren für eine Bündelung der verschiedenen Aufgabenfelder in einem
Kulturministerium, um die Belange der Kultur
gegenüber anderen Ressorts sowie auf europäischer
Ebene wirksamer vertreten zu können. Darüber
hinaus halten wir eine grundlegende Reform der
Kompetenzverteilung im Rahmen der Föderalismusreform II in Richtung eines kooperativen
Kulturföderalismus … und einer einheitlichen
Außenvertretung in der Europäischen Union für
dringend notwendig.
Was vor fünf Jahren eine richtige und wichtige Forderung war, ist es heute erst recht.
({3})
Das sieht inzwischen interessanterweise auch das
Kulturforum der Sozialdemokratie so, und es hat im
Dezember vorigen Jahres festgestellt - ich darf kurz
zitieren -:
Das Gewicht von Kulturpolitik auf Bundesebene ist
im Rahmen eines kooperativen Kulturföderalismus
in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Um dieser Aufgabe in einem nationalen, europäischen und
internationalen Kontext zu entsprechen, braucht
Kulturpolitik im Bund ein eigenständiges Ministerium. Viele wichtige politische Zukunftsaufgaben
sind ohne den Beitrag der Kultur nicht zu lösen.
Wohl wahr - Kompliment an das Kulturforum der
Sozialdemokratie!
Was würde sich mit der Ernennung eines Bundeskulturministers ändern?
Erstens. In Europa hätten wir einen gleichrangigen
Bundeskulturminister, nicht nur einen Beobachter am
Katzentisch.
({4})
Zweitens. Wir hätten einen vom Bundeskanzleramt
unabhängigen Bundeskulturminister. Kulturförderung ist
ein sensibler Bereich der Politik, und die Nähe zum
Machtzentrum der Republik ist äußerst problematisch.
({5})
Drittens. Wir hätten im Kabinett einen bei Ressortabstimmungen gleichberechtigten Bundeskulturminister
oder eine -ministerin. Auch das ist nicht unerheblich und
wäre ein Signal für das ganze Land: Kultur ist uns genauso wichtig wie die anderen Ressorts. Vielleicht ließe
sich dann auch das Staatsziel Kultur endlich erreichen.
({6})
Viertens. Wir hätten es mit einem eigenen Kulturhaushalt zu tun und mit einer eigenständigen Haushaltsdebatte, anstelle dieser Zwitternummer, die wir nun seit
Jahren absolvieren mit dem Seufzer: Jetzt muss auch
noch etwas zur Kultur gesagt werden.
Seit 14 Jahren gibt es das Amt des Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien. Ja, es ist eine
Erfolgsgeschichte von drei unterschiedlichen Regierungen und vier Beauftragten. Aber jetzt geht es darum,
Kulturpolitik weiter zu entwickeln, wohlgemerkt ohne
die föderale Zuständigkeit der Länder und der Kommunen zu verringern. Im Gegenteil: Es geht um Stärkung,
Verstärkung eines kooperativen Kulturföderalismus.
Gerade in Zeiten wie unseren, geprägt von globalen
Krisen, Verunsicherung und Not, wird Kultur für das Individuum wie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
immer wichtiger: als Halt, als Verständigung, als Selbstversicherung und damit als Hoffnung für die nächste Generation. Das sollte uns so wichtig sein, dass wir umdenken, nach vorne schauen und endlich grundsätzlich
Neues zu schaffen bereit sind.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte vorab auf das eingehen, was von den Sozialdemokraten gesagt wurde. Es gab den Vorwurf, das, was
wir gemacht haben, sei inhaltlich teilweise oder
überwiegend nicht begründet. Es ist nun einmal im
Haushaltsausschuss so, dass in letzter Minute zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden können.
Ich habe in meinem Beitrag Dank zu sagen. Vor allem
danke ich Gerda Hasselfeldt, Volker Kauder und Rainer
Brüderle, die uns die Möglichkeit gegeben haben, diesen
Etat aufzustocken.
({0})
So einfach ist das ja alles nicht.
Ich nenne hier die 31,5 Millionen Euro für Substanzerhaltung und Restaurierung von Kulturdenkmälern.
Viele Bürger und Bürgerorganisationen haben diese
Sache in die Hand genommen, weil die Länder - warum
also soll ich mich mit ihnen abstimmen? - ihre Etats gekürzt haben. Sie sind nicht in der Lage, die Kulturdenkmäler zu erhalten. Das machen teilweise Bürgerinitiativen. Sie organisieren Veranstaltungen bis hin zum
kleinen Basar, um etwas Gewinn zu erzielen und um
etwas tun zu können. Ihnen wollen wir helfen. Diese Aktivitäten wollen wir unterstützen. Das ist einer unserer
Gründe.
({1})
Ich nenne Ihnen aber auch noch andere Gründe.
Kommen Sie mir nicht damit, dass das inhaltlich nicht
begründet sei. Gerade aus aktuellem Anlass sage ich,
dass es uns gelungen ist, die Barenboim-Said-Akademie
zu unterstützen, ein wunderbares Orchester, zusammengesetzt aus Israelis und Palästinensern. Das ist doch eine
tolle Sache. Das müssen Sie doch auch so sehen!
({2})
Ich möchte ausdrücklich dem ehemaligen Staatsminister Naumann danken, dass er hier die Initiative ergriffen hat. Alle Achtung, kann ich da nur sagen!
Ich habe mich auch sehr für das Jüdische Museum engagiert. Ich möchte an dieser Stelle im Deutschen
Bundestag, ohne ins Detail zu gehen, Herrn Professor
Michael Blumenthal ganz herzlich danken, der in Oranienburg geboren ist und aus Deutschland flüchten musste.
Er hat die Initiative übernommen, das Jüdische Museum
in Berlin zu schaffen. Eine tolle Sache. Dank an Mike
Blumenthal!
({3})
Kommen Sie also nicht damit, das sei nicht begründet!
Ich sage ganz offen: Ich habe lange in Hamburg gearbeitet und sah in der Nähe immer eine ausgebombte
Kirche. Das hat mich sehr geprägt, auch in meiner politischen Haltung. Dort gibt es eine Initiative, die diese ausgebombte Kirche erhalten will. Wir unterstützen das.
Jetzt kann dieses Denkmal gegen den Krieg erhalten
werden. Das ist eine tolle Sache, und Sie sollten Beifall
klatschen, anstatt hier herumzumosern.
({4})
Aber es gibt auch noch andere Dinge. Nehmen wir die
Produktion von Filmen in Deutschland. Deutschland ist
ein bedeutender Standort. Wir haben die Förderung um
10 Millionen Euro erhöht. Das ist eine ganz wichtige
Sache.
Der Standort Deutschland wird gefördert, beispielsweise in Brandenburg, überall dort, wo Filme gedreht
werden. Man müsste eigentlich sagen: Alle Achtung!
Wenn Sie von „Abstimmung mit den Ländern“ reden,
sage ich: Ich stelle fest, dass die Länder überall gekürzt
haben. Sie haben kein Geld. Wir helfen jetzt denjenigen,
die die Initiative ergreifen wollen.
Weil meine Zeit um ist, möchte ich an dieser Stelle
abschließend ganz besonders Staatsminister Neumann
danken. Sein Engagement - ebenso wie das Engagement
der Kulturpolitiker und der Mitglieder des Haushaltsausschusses - hat dafür gesorgt, dass Kultur in Deutschland wieder eine bedeutende Rolle spielt. Lieber Herr
Neumann, herzlichen Dank für Ihre Aktivitäten.
({5})
Bevor ich der letzten Rednerin in dieser Debatte das
Wort erteile: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
für alle 620 Mitglieder des Deutschen Bundestages eine
Sitzgelegenheit, sprich: einen Sessel, in diesem Saal. Ich
bitte, damit wir auch der letzten Rede noch folgen können, davon Gebrauch zu machen.
({0})
Vizepräsidentin Petra Pau
Vielleicht können das die Fraktionen den Kollegen, die
in Gespräche verwickelt sind und gerade diesen Hinweis
nicht aufnehmen konnten, noch vermitteln.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Tabea Rößner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Dr. Koppelin, wir mosern nicht die ganze Zeit herum. Auch wir begrüßen natürlich den Aufwuchs des
Kulturetats - 100 Millionen Euro mehr sind eingestellt
worden - und vor allen Dingen, dass Sie unserer Forderung, die Mittel der Kulturstiftung des Bundes zu erhöhen, nachgekommen sind. Das finden wir wirklich gut.
({0})
Aber - Siggi Ehrmann und Luc Jochimsen haben
schon darauf hingewiesen - es geht darum, wie diese
Entscheidung zustande gekommen ist. Hierzu möchte
ich Ihnen die Frage stellen, Herr Dr. Koppelin: Wie passt
es mit dem demokratischen Verständnis dieses Hauses
zusammen, wenn mal eben in einer Last-MinuteEntscheidung 10 Millionen Euro für ein sudetendeutsches Museum eingestellt werden, ohne den Kulturausschuss zu beteiligen und ohne darüber dort zu beraten?
Das müssen Sie mir einmal erklären.
({1})
Das ist nicht transparent, sondern undemokratisch. Das
muss man, denke ich, deutlich sagen.
Ich will mich heute aber vornehmlich mit einem
anderen wichtigen Thema beschäftigen, das für unsere
Demokratie ebenso elementar ist und das von der Bundesregierung ziemlich vernachlässigt wird. Zu diesem
Thema wird hier leider auch nicht geredet. Es geht um
die Medien.
Vlothoer Anzeiger, Deister-Leine-Zeitung, Abendzeitung Nürnberg - das sind nur drei von insgesamt elf
Zeitungen, die seit Beginn Ihrer Regierungszeit pleitegegangen sind oder ihre Hauptredaktionen geschlossen haben. Vergangene Woche eine neue Schreckensmeldung:
Die Frankfurter Rundschau hat Insolvenz angemeldet.
({2})
Ob die Financial Times Deutschland überleben wird,
entscheidet sich noch. Es besteht zwar kein direkter
Zusammenhang zwischen Ihrem Regierungsantritt und
dem Zeitungssterben, aber fest steht: Sie haben in den
drei Jahren wenig unternommen, um die Pressekrise
abzuwenden.
({3})
Im Kulturausschuss sagte Kollege Müller-Sönksen,
dass die Koalition mit dem Leistungsschutzrecht und
den Änderungen zum GWB genug für die Medienvielfalt getan habe.
({4})
Da kann ich nur feststellen: Das sind gleich zwei Insolvenzen auf einmal - die der Frankfurter Rundschau und
die Bankrotterklärung schwarz-gelber Medienpolitik.
({5})
Nichts von dem, was Sie getan haben oder was Sie
noch vorhaben, hätte die Frankfurter Rundschau gerettet, auch nicht das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Denn die Probleme der Frankfurter Rundschau
liegen nicht im Onlinebereich, sondern im Printbereich.
({6})
Das Leistungsschutzrecht ist ein rückwärtsgewandtes
Gesetz, das nicht den kleinen Verlagen, nicht der Nürnberger Abendzeitung und schon gar nicht den Journalisten in der Krise helfen wird. Es belohnt und entlohnt den
Boulevardjournalismus im Netz. Es ist ein Wahlgeschenk an die großen Verlage, allen voran an Springer.
Sie haben die Betroffenen glauben lassen, dass sie nur
ein Stück von dem großen Google-Kuchen bräuchten,
dann würde alles gut werden. Die kleinen Verlage werden aber kaum davon profitieren, und am Ende zahlen
sie noch drauf, wenn zum Beispiel Google ihre Angebote nicht mehr listet. Daher frage ich Sie: Wie, bitte,
soll das Leistungsschutzrecht die Medienvielfalt erhalten?
({7})
Das andere Projekt der Bundesregierung sind die Änderungen im Kartellrecht. Durch die Lockerung der
Pressefusionskontrolle können größere Verlage ihre kleineren Mitbewerber noch einfacher schlucken. Fusionen
waren schon vorher möglich, nur mussten sie geprüft
werden. Jetzt geht das ganz geräuschlos, und der Wettbewerb zwischen den Blättern wird durch einen Einheitsbrei ersetzt. Das, meine Damen und Herren, ist einfach
das Gegenteil von Medienvielfalt.
({8})
Vor allen Dingen wird aber herumreguliert, ohne zu
wissen, was überhaupt notwendig ist. Weder Kartellamt
noch Monopolkommission haben einen Anlass für eine
Änderung im Kartellrecht gesehen. Weil kaum Daten
über den Pressemarkt vorliegen, wird einfach so im
Nebel herumgestochert. Daher fordern wir eine Mediendatenbank. Die vorgelegte Studie ist das nicht; sie muss
zu einer echten Datenbank weiterentwickelt und regelmäßig aktualisiert werden. Sehr geehrter Herr Neumann,
Sie haben das bis jetzt immer abgelehnt. Ich hoffe, Sie
ändern noch Ihre Meinung, im Sinne einer fundierten
Medienpolitik.
({9})
In der Krise müssen wir uns trauen, neue Wege zu erdenken. Denn gerade die Presse ist ein sehr diffiziles
Gut, grundlegend für unsere Demokratie und deshalb zu
Recht staatsfern organisiert. Wir können und wollen Verlage nicht einfach subventionieren oder ihnen Geschäftsmodelle diktieren; das ist völlig klar. Aber es braucht
mehr als Geschenke an die großen Verlage, um vor allem
die Medienvielfalt, also auch die lokalen und regionalen
Redaktionen zu erhalten. Stiftungsmodelle und die Förderung der Weiterbildung von Journalisten sind in der
Diskussion; darüber muss man weiter diskutieren.
Wir müssen uns aber auch Gedanken über die Zukunft des Journalismus an sich machen, darüber, wie
dieser zukünftig finanziert werden kann, wie Journalisten von ihrer Arbeit leben können. Zum Beispiel brauchen wir dringend Änderungen im Urhebervertragsrecht,
Herr Börnsen, und da hat die Regierung bisher versagt.
({10})
Uns Medienpolitiker eint doch eines: Wir betonen immer wieder, dass die Medien eine wichtige Stütze der
Demokratie sind. Wenn die Medien die Säule sind, dann
ist die Lokalpresse der Fuß der Säule. Die Lokalpresse
ist der Ort, an dem viele Journalisten ausgebildet werden; sie informiert die Menschen vor Ort über die Politik
in ihrer Stadt oder ihrem Kreis.
Wir dürfen das Pressesterben nicht einfach hinnehmen. Die Lage ist brenzlig, aber es ist noch nicht zu spät.
Sie haben noch knapp ein Jahr, um endlich Bewegung in
die Sache zu bringen. Tun Sie es, sonst machen wir es!
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - in
der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11527 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen, bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten in
der SPD-Fraktion - hier gab es Gegenstimmen und Ent-
haltungen -, gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind an allen Ab-
stimmungsplätzen Schriftführer? - Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung über den Einzelplan 04.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Ich erlaube mir, meinen Hinweis von vorhin zu wiederholen: Wir haben für alle Mitglieder des Deutschen
Bundestages eine Sitzgelegenheit. Ich bitte Sie, diese
einzunehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. Dies gilt im Übrigen sowohl für
das Parlament als auch für die Bundesregierung. Auch
hier ist Vorsorge getroffen, dass jeder der Debatte im Sitzen folgen kann.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 17/10805, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sven-Christian Kindler
Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich auf den Einzelplan zu sprechen komme,
möchte ich es nicht versäumen, den Berichterstattern
zum Einzelplan 05, insbesondere Herrn Hauptberichterstatter Kollegen Frankenhauser, sowie den Mitarbeitern des Haushaltsreferats meinen Dank für die offene,
präzise, konstruktive und verlässliche Zusammenarbeit,
auch unter neuer Referatsleitung, auszusprechen.
({0})
Wir haben heute die Haushaltsberatungen in der
Abschlussrunde vorzunehmen und dabei ein Resümee zu
ziehen. Mein Fazit vorweg: Die Regierungskoalition
stolpert auch mit diesem Haushaltsentwurf kraft- und
konzeptionslos ins Wahljahr 2013. Leider gilt dieses
Resümee in weiten Teilen auch für den Etat des Auswär-
tigen Amtes. Ich spreche dabei besonders die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik an. Auch hier finden sich im
Koalitionsvertrag, also der wichtigen Grundlage der
1) Ergebnis Seite 25266 D
Regierungskoalition, klare Worte, die sich am Ende aber
leider nur als Lippenbekenntnisse herausstellen. Es heißt
dort:
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist eine
tragende Säule der deutschen Außenpolitik.
Sie ist also die tragende Säule. Darin stimmen wir völlig
überein. Weiter heißt es:
Wir werden die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik finanziell bestmöglich ausstatten und verstehen dies als langfristige politische, kulturelle und
wirtschaftspolitische Investition.
Dieses Versprechen, meine Damen und Herren,
wurde aber mehrmals gebrochen. Zum Beispiel wurden
die Sondermittel für Bildung und Forschung regelmäßig
zweckentfremdet. In den letzten drei Jahren wurden die
von Bundesministerin Schavan und Bundeskanzlerin
Merkel versprochenen Sondermittel - immerhin in Höhe
von 92 Millionen Euro - in diesem Haushalt für Bildung
und Forschung nicht zusätzlich zur Stärkung der auswärtigen Bildungs- und Wissenschaftsarbeit genutzt, sondern zweckentfremdet, um andere Haushaltslöcher zu
stopfen. Mit solchen Tricksereien schwächen Sie, sehr
geehrter Herr Minister, die tragende Säule der deutschen
Außenpolitik.
({1})
Diese Haushaltslöcher, Herr Minister, sind im Übrigen entstanden, weil Sie nicht die nötige Kraft oder den
Willen aufbringen, um eine ausreichende Mittelausstattung Ihres Ministeriums sicherzustellen. Das sehen wir
im Übrigen in vielen Bereichen, zum Beispiel bei den
Auslandsschulen. Zuerst die gute Nachricht: Die Koalition hat die dringend notwendigen zusätzlichen Mittel
für die Auslandsschulen in der Bereinigungssitzung
noch bereitgestellt. Damit sind Sie den Forderungen der
SPD gefolgt. Ich spreche den Berichterstattern meine
Achtung aus. Im Übrigen sieht man ganz deutlich,
Kollege Frankenhauser und Kollege Koppelin, dass Berichterstatter am Werk sind, die Kraft haben und Einfluss
nehmen, obwohl ich sagen muss, dass ich nicht immer
Ihren Aktivitäten folgen kann. In diesem Punkt aber haben Sie wirklich Gutes geleistet. Dafür herzlichen Dank!
({2})
Diese Fehlerkorrektur im Auslandsschulbereich kann
überhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vollmundig angekündigte Reform des deutschen Auslandsschulwesens bisher nur Schall und Rauch ist. Diese
Reform hat für viel Ärger und vor allen Dingen Verunsicherung gesorgt. Sie hat auch außerhalb unserer Beratungen für viel Verdruss gesorgt. Wir hätten uns hier,
sehr geehrter Herr Minister, ich darf das so sagen, Ihre
ordnende Hand gewünscht. Sie ist an diesem Punkt leider ausgeblieben. Nach wie vor gilt: Der drastische Reformbedarf bleibt. Die unzureichenden Versuche, hier
eine Lösung zu finden, werden im Übrigen auch durch
den Bericht des Bundesrechnungshofes aufgezeigt, der
ein katastrophales Bild der Politik für die deutschen
Auslandsschulen zeichnet. Er ist nachzulesen; ich verweise einfach darauf.
In der auswärtigen Kulturpolitik gibt es eine Abstrafung des Goethe-Instituts. Auch hierzu gibt es wichtige
Haushaltsberatungen, die zeigen, dass die allgemeine
Kulturarbeit, die der Bundesregierung, wie wir gerade
beim vorherigen Einzelplan gehört haben, doch sehr am
Herzen liegt, im Bereich des Auswärtigen leider nicht
zusätzlich begünstigt wurde. Das ist sehr bedauerlich.
Der Kulturetat im Bundeskanzleramt dagegen hat in den
Haushaltsberatungen noch einmal eine Aufstockung um
100 Millionen Euro erfahren.
Man kann sich auch fragen - Herr Minister, ich frage
das auch ganz offen -, ob Sie dabei in der Bundesregierung die besten Karten haben. Denn warum wird gerade
der Kulturetat des Bundeskanzleramtes um 100 Millionen Euro aufgestockt; während im Etat des Auswärtigen
Amtes davon nichts zu spüren ist?
({3})
Ich muss Sie natürlich fragen: Haben Sie nicht ausreichend dafür gekämpft? Es besteht ein erheblicher Mittelbedarf. Ich verweise zum Beispiel auf die Programmarbeit. Hier wird um 8 Millionen Euro gekürzt. Das
bedeutet übrigens das Aus für wichtige Kulturprojekte
auf diesem Sektor. Damit nicht genug: Sie haben es noch
nicht einmal verhindern können, dass völlig einseitige
Mittelreduzierungen beim Goethe-Institut durchgesetzt
wurden.
({4})
Das schränkt die Arbeitsgrundlagen dieses renommierten Instituts drastisch ein. Das ist unfair. Das muss ich
hier so kritisch anmerken.
({5})
Kritisch will ich insbesondere die Konzeptionslosigkeit beim Thema Afghanistan anmerken. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen noch einmal deutlich
gemacht, wie wichtig es ihr ist, dass wir eine sicherheitspolitische Kooperation pflegen und ausbauen. Auf der
letzten Afghanistan-Geberkonferenz in Tokio am 8. Juli
dieses Jahres haben Sie, Herr Außenminister, zum Beispiel versprochen, dass Deutschland die zivile Hilfe auf
dem derzeitigen Niveau von etwa 430 Millionen Euro
pro Jahr fortführen wird, und das mindestens bis 2016.
Nun sollen die Leistungen im Rahmen des Stabilitätspakts Afghanistan um 10 Millionen Euro gekürzt werden.
({6})
War das mit Ihnen abgesprochen, Herr Minister? Ihr
Haus jedenfalls war von dieser Aktivität völlig überrascht; denn diese Kürzungen stehen nicht im Einklang
mit den Regierungszusagen. Damit senden Sie ein fatales Signal an die Menschen in Afghanistan und unsere
internationalen Partner. Von Verlässlichkeit und Werteorientierung in der Außenpolitik ist an diesem Punkt
nichts zu spüren.
({7})
Verlässlichkeit sieht bei der SPD anders aus.
Ein weiteres Beispiel ist die Umsetzung der AABMZ-Vereinbarung. Wir waren uns darüber im Klaren,
dass zwischen CDU und CSU das eine oder andere
Scharmützel ausgetragen wird. Die liberalen Regierungsmitglieder wollten dem anscheinend nicht nachstehen. Der Bruderkrieg an der Spitze, den Minister Niebel
vor einigen Wochen angezettelt hat, überbietet aber, wie
ich finde, all das bei weitem. Er offenbart die tiefen
Gräben und persönlichen Abneigungen innerhalb Ihrer
eigenen Partei. Minister Niebel hat Ihnen in der Presse
Untätigkeit und Vernachlässigung der humanitären Hilfe
in Kenia vorgeworfen. Es könne doch nicht sein, dass
über Hunderttausend Menschen unter der Untätigkeit
des Außenamtes litten. „Jetzt muss es“ - wörtliches Zitat; gemeint ist das Außenministerium - „Verantwortung
zeigen.“ Als ich das gelesen habe, habe ich zuallererst
gedacht: Es ist schon ein besonderer Stil, wenn ein
Regierungsmitglied im Ausland derart negativ über Kollegen spricht. Dabei ist der Eindruck vermittelt worden,
Hunderttausende von Menschen würden hungern und
Tausende würden vor sich hindarben und medizinisch
nicht versorgt werden, weil das Außenamt nicht handelt.
Ich bin froh darüber, dass das Außenamt schnell reagiert
hat und deutlich gemacht hat, dass das zumindest nicht
an der Mittelvergabe und an der Aktivität des Außenamtes liegt. Das war wichtig. Es ist genug Porzellan zerschlagen worden. Es wurde der Eindruck vermittelt, dass
hier Chaos und Streitigkeiten vorherrschen. Das hat dem
Ruf Deutschlands und der deutschen Außenpolitik
geschadet - das ist schon schlimm genug -, und das in
einer sogenannten bürgerlichen Koalition.
({8})
Abschließend will ich Ihnen sagen, dass Ihnen die
Kraft und der Wille zu Reformen im eigenen Haus fehlen. Sie, Herr Minister, haben sich in Ihrer Amtszeit viel
um Äußeres und um Äußerlichkeiten gekümmert. Sie
haben allerdings die inneren Angelegenheiten des Auswärtigen Amtes nicht immer so verfolgt, wie wir uns das
vorstellen. Ihnen fehlten die Kraft und der Wille für
wichtige Reformen im Inneren. Beim Auswärtigen Amt
mangelt es nämlich an vielen Ecken und Enden. Zum
Beispiel gibt es unhaltbare Zustände für die Beschäftigten in zahlreichen Visastellen. Mitarbeiter berichten von
dramatischen Zuständen.
Herr Brandner, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich bin sofort fertig. - Sie berichten, dass es viel zu
wenig Personal und zu wenige Räumlichkeiten gibt. Sie
berichten von Arbeitsüberlastung und Überstunden ohne
Ende. Auch hier haben Sie eine Fürsorgepflicht.
Ein Problem ist auch der Investitionsstau bei den
Botschaften. Der Bundesrechnungshof hat einen Investitionsstau mit einem Volumen von 500 Millionen Euro
ermittelt.
Eine gute Politik nimmt sich dieser Hausaufgaben an,
sorgt dafür, dass im Haus Aufgabenkritik geübt wird und
die notwendigen Investitionen rechtzeitig erfolgen. Das
wünschen wir uns; denn so handelt ein Außenminister,
der seine Aufgabe ernst nimmt. Insofern haben Sie noch
viel zu tun, um uns zu überzeugen.
Diesem Haushalt können wir, jedenfalls so, wie er
jetzt vorliegt, nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
zum Einzelplatz 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - bekannt: abgegebene Stimmen 581. Mit Ja
haben gestimmt 316, mit Nein haben gestimmt 265,
Enthaltungen keine. Der Einzelplan 04 ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 316
nein: 265
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({2})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Olav Gutting
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({5})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({7})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({8})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({9})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({10})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({12})
Anita Schäfer ({13})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({14})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({15})
Dr. Kristina Schröder
({16})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({19})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({20})
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({23})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({24})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({25})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({26})
Michael Link ({27})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({28})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({29})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({30})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({31})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({32})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({33})
Gerd Bollmann
Willi Brase
({34})
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({35})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({36})
Hubertus Heil ({37})
Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({38})
Frank Hofmann ({39})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange ({40})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({41})
Marlene Rupprecht
({42})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({43})
Marianne Schieder
({44})
Werner Schieder ({45})
Ulla Schmidt ({46})
Silvia Schmidt ({47})
Carsten Schneider ({48})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({49})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({50})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({51})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({52})
Volker Beck ({53})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({54})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({55})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({56})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({57})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({58})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({59})
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Rainer
Stinner von der FDP-Fraktion.
({60})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle stehen heute sicherlich unter dem Eindruck der kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten. Unser
Mitgefühl gilt allen unbeteiligten Zivilisten, die darunter
leiden müssen. Ich spreche sicherlich im Namen des
ganzen Hauses, wenn ich hier und heute insbesondere
unserem Außenminister Guido Westerwelle für seine
unermüdlichen Bemühungen um eine Friedenslösung im
Nahen Osten danke.
({0})
Dieser Einsatz wird, wie wir gestern Abend - vielleicht
zu Ihrem Unwillen - vernehmen konnten, im In- und
Ausland breit unterstützt und anerkannt. Dieser Würdigung schließen wir uns ausdrücklich an. Dieses Engagement des Außenministers ist Teil eines Dreiklangs der
deutschen Außenpolitik in den letzten drei Jahren, die
diese Bundesregierung konsequent betrieben hat: erstens
aktive Wahrnehmung der internationalen Verantwortung
für Frieden und Sicherheit,
({1})
zweitens aktive Weiterentwicklung unserer Bündnisse
und drittens aktive Gestaltung einer Welt im Wandel. Zu
allen drei Aspekten möchte ich kurz Stellung nehmen.
Erstens: internationale Verantwortung für Frieden und
Sicherheit. Auf die Bemühungen von Außenminister
Westerwelle im Nahen Osten habe ich hingewiesen. Das
ist ein komplexes Thema, gar keine Frage. Es kann nur
eine politische Lösung geben. Daran wollen wir uns
gerne beteiligen. Weitere Vermittlungsbemühungen sind
gefragt. Israel ist genauso groß wie Hessen. Stellen Sie
sich bitte einmal vor, was bei uns los wäre, wenn in den
letzten Monaten über 1 500 Raketen auf Hessen abgefeuert worden wären. Deshalb sage ich hier und heute:
Die israelische Regierung hat angesichts der Situation
das Recht - ich sage sogar: die Pflicht -, ihre Bevölkerung gegen einen solchen Angriff zu verteidigen.
({2})
Das ist völlig unabhängig von sonstigen Diskussionen,
die wir über die israelische Politik in diesem Hause führen.
Deutschland hat in den letzten zwei Jahren eine aktive
Rolle im Weltsicherheitsrat gespielt. Das hat so große
Anerkennung gefunden, dass Deutschland unmittelbar
danach trotz anderer Bewerber als Mitglied in den UNMenschenrechtsrat gewählt wurde. Das zeigt, welche
Anerkennung deutsche Politik international gewonnen
hat.
({3})
Deutschland nimmt aktiv an den E-Drei-plus-DreiGesprächen teil, obwohl wir nicht, wie wir alle wissen,
permanentes Mitglied des Sicherheitsrates sind. Auch
hier zeigen wir, dass wir internationale Verantwortung
übernehmen. Unser Land und insbesondere unser
Außenminister hat sich seit Beginn des arabischen
Frühlings um die Region aktiv gekümmert, und zwar im
Vergleich zu anderen Ländern sicherlich überdurchschnittlich. Wir werden in der Region anerkannt, und unser Engagement ist gern gesehen.
Deutschland nimmt weiterhin eine aktive, positiv gestaltende Rolle in Afghanistan wahr. Aufgrund der deutschen Außenpolitik und des Engagements unseres
Außenministers konnte die Londoner Konferenz erstmals - wie wir alle wissen: viel zu spät - ein gemeinsames Konzept entwickeln. Nach diesem Konzept werden
wir gemeinsam den Übergang und die Übergabe in
Verantwortung gestalten. Hier spielt Deutschland eine
aktive Rolle.
({4})
Zweitens: zu unserer aktiv gestaltenden Rolle in den
Bündnissen. Zu unserem Beitrag zur Finanzsituation in
der EU brauche ich, glaube ich, hier nichts mehr zu
sagen. Aber auch außerhalb der EU-Finanzen spielt
Deutschland eine aktive Rolle. Ich wiederhole gerne unser Bekenntnis zu Europa. Wir, die Koalitionsfraktionen,
wissen, dass Europa Deutschlands Zukunft ist. Wir
wissen, dass wir die Welt nur mitgestalten können, wenn
wir Teil eines geeinten, starken Europas sind. Deshalb
engagieren wir uns nach wie vor sehr stark für Europa.
Der Bundesregierung ist es bisher zum Glück gelungen,
die delikate Balance zwischen erwünschter Führung und
nicht erwünschter Dominanz in Europa zu wahren. Dafür gilt Ihnen, Herr Außenminister, mein persönlicher
Dank. In den Dank schließe ich ausdrücklich Staatsminister Michael Link ein, der diese Rolle perfekt wahrnimmt. Vielen Dank.
({5})
Die NATO spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für
unsere Sicherheit; das ist gar keine Frage. Im aktuellen
Fall geht es um Bündnissolidarität mit der Türkei. Ich
sage hier sehr deutlich für meine Fraktion, dass wir diesem verlässlichen Bündnispartner Türkei natürlich die
Solidarität zukommen lassen, von der wir über mehrere
Jahrzehnte hinweg in Deutschland gelebt haben.
({6})
Ich sage sehr deutlich, Herr Gehrcke, dass es hier ausschließlich darum geht, das Territorium der Türkei zu
schützen. Es ist in keinster Weise das beabsichtigt oder
intendiert und auch nicht die Gefahr gegeben, die einige
von der Opposition an die Wand gemalt haben, nämlich
dass damit die Einbeziehung in den syrischen Bürgerkrieg vorbereitet, geplant oder vorgenommen wird. Das
ist nicht der Fall. Es geht darum, das Territorium eines
verlässlichen Partners zu schützen.
({7})
Meine Fraktion ist der Meinung, dass die Verlegung der
Patriots, wenn sie denn kommt, mandatiert werden
muss. Das ergibt sich nach meinem Dafürhalten eindeutig aus dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 7. Mai
2008.
({8})
Die dritte Aufgabe, die aktive Gestaltung einer sich
wandelnden Welt, nimmt in der deutschen Außenpolitik
in den letzten drei Jahren eine zunehmend größere Rolle
ein. Diese Bundesregierung hat erstmals ein Konzept
vorgelegt - es trägt den vielleicht nicht ganz charmanten
Namen Gestaltungsmächtekonzept -, das aufzeigt, wie
wir mit den Ländern umgehen, die zunehmend ihren
Platz in der Welt einnehmen wollen. Dies bezieht sich
auf Länder auf allen Kontinenten, nicht nur auf China.
Es gibt auch im Verhältnis zu unserem wichtigsten
Partner, den Vereinigten Staaten, wichtige Aufgaben. Ich
möchte mich hier auf eine Aufgabe konzentrieren, weil
ich sie für besonders wichtig halte. Das ist der Abschluss
eines Freihandelsabkommens. Nach meinem Dafürhalten hat der Abschluss eines solchen Abkommens politische Wirkungen, die weit über zu erwartende Wohlfahrtseffekte auf beiden Seiten hinausgehen. Es wäre ein
Zeichen, wenn es gelingen würde, dass 800 Millionen
westlich orientierte Menschen und ihre Gesellschaften
zusammen eine Freihandelszone bilden. Ich sage nur:
Wir alle konnten heute Morgen lesen, dass in Asien
Pläne bestehen, eine Freihandelszone aufzubauen, der
sage und schreibe die Hälfte der Menschheit angehören
würde. Daran sieht man, um welche Dimensionen es
sich handelt, wenn wir über diese Themen sprechen.
Die Bundesregierung hat die Zeichen der Zeit erkannt. Kein anderes Land hat mit so vielen Ländern intensive Regierungskonsultationen: China, Indien, Russland, auch Israel und Palästina. Damit wird der deutsche
Einfluss in der Welt gesichert. Unsere Werte und Interessen werden in der Welt gut vertreten. Die Bundesregierung und der Außenminister setzen Vertrauen in Partner
und Freunde, sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, und sie treten im Ausland bestimmt, aber nicht arrogant auf. Diese Bundesregierung hat im Ausland Vertrauen erworben. Dieses Vertrauen kann und soll die
Bundesregierung auch in unserem eigenen Land haben.
Vielen Dank.
({9})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Michael Leutert.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man den Haushalt des Auswärtigen Amtes betrachtet, sieht man große Ansprüche bei den gestellten
Aufgaben, aber keine entsprechende Ausstattung mit finanziellen Mitteln. Die Aufgaben werden im Vorwort
des Einzelplanes klar definiert. Danach dient der Auswärtige Dienst unter anderem erstens einer dauerhaften,
friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und der
Welt, zweitens der Wahrung der Menschenrechte sowie
drittens dem Aufbau eines vereinten Europas.
Schauen wir uns an, wie viel Geld bereitgestellt wird,
um diese großen und wichtigen Aufgaben zu erfüllen, so
kann man nur feststellen, dass gemessen an diesen Aufgaben der Auswärtige Dienst nur mangelhaft ausgestattet ist. Das Auswärtige Amt verfügt über 3,5 Milliarden
Euro. Das sind gerade einmal 1 Prozent des Gesamtetats.
Im Gegensatz dazu verfügt das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über
6,4 Milliarden Euro, also über fast doppelt so viel. Auch
wenn der nächste Vergleich etwas hinkt, da die Bundeswehr wesentlich mehr Personal hat als das diplomatische
Korps, ist er trotzdem erwähnenswert. Der Verteidigungsminister hat immerhin Zugriff auf 11 Prozent des
Bundeshaushaltes; das sind circa 33 Milliarden Euro.
Der entscheidende Fakt, auf den ich hinweisen möchte,
ist der Umstand, dass der Verteidigungsminister in den
letzten vier Jahren noch einmal 2 Milliarden Euro mehr
bekommen hat. Noch einmal zum Vergleich: Das Auswärtige Amt verfügt über insgesamt 3,5 Milliarden Euro, der Verteidigungsminister hat in den letzten
vier Jahren 2 Milliarden Euro on top bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das
macht deutlich, dass wir uns in einer Schieflage befinden. Der Kollege Frankenhauser hat in den diesjährigen
Haushaltsverhandlungen mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass wir uns über die Problematik der Finanzausstattung des Auswärtigen Amtes Gedanken machen
müssen. Entweder wir verfahren nach dem Top-downPrinzip - das heißt, es gibt die Festlegung, dass für die
Außenpolitik lediglich 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, und dann müssen die Haushälter sehen, wie
das Geld verteilt wird -, oder aber es werden zuerst die
Aufgaben definiert, und anschließend nehmen wir das
Geld in die Hand, das wir tatsächlich benötigen, um
diese Aufgaben wahrnehmen zu können.
Derzeit wird nach der Top-down-Methode verfahren;
das heißt, wie gesagt, dass der vorab umrissene Finanzrahmen nicht überschritten werden darf. Für jede Änderung, die in den Verhandlungen vorgenommen wird,
muss also auch eine Deckungsmöglichkeit im Etat des
Auswärtigen Amtes gefunden werden. Das führt dann
allerdings zu absurden Anträgen der Koalition, zum Beispiel bei dem sehr richtigen und wichtigen Projekt der
Intensivierung der europäischen Integration 1 Milliarde Euro obendrauf zu legen, dieses Geld allerdings
im Bereich der Abrüstung einzusparen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, halten wir von der Linken für den
falschen Weg.
({0})
Die Linke will im Gegensatz dazu mehr Ausgaben in
den Bereichen humanitäre Hilfe, Förderung der Menschenrechte, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir
schlagen vor, in diesen drei Bereichen insgesamt
215 Millionen Euro mehr auszugeben. Das ist noch bescheiden, wäre aber eine annähernd angemessene Finanzierung.
Noch deutlicher wird die Unterfinanzierung im Übrigen, wenn man sich vor Augen hält, dass die Hälfte des
Budgets des Außenministers durch Personal- und Betriebskosten und durch Pflichtbeiträge an internationale
Organisationen gebunden ist. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, bei solch einer Unterfinanzierung ist an große
Projekte und außenpolitische Strategien natürlich nicht
zu denken. Für eine strategische Ausrichtung des Auswärtigen Amtes und seiner Politik bedarf es zudem nicht
nur des Geldes, sondern auch der dazugehörigen Kompetenzen. Da herrscht meines Erachtens einiges Durcheinander. Ich möchte das gern an zwei Beispielen verdeutlichen.
Erstens ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen
dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung und dem Auswärtigen Amt zu benennen. Als die FDP vor vier Jahren angetreten ist, wollte
sie ja eigentlich das BMZ ins Auswärtige Amt integrieren. Das galt so lange, solange Dirk Niebel noch nicht
Minister war. Mittlerweile, nach vier Jahren Arbeit von
Schwarz-Gelb, hat das Entwicklungshilfeministerium einen zweimal so umfangreichen Etat und auch noch doppelt so viel Aufwuchs wie das Auswärtige Amt zu verzeichnen. Zusätzlich wird nun versucht, durch
Übertragung von Projekten und Personal Aufgaben neu
zu verteilen.
Zweitens ist das Thema Europa zu benennen. Da stellt
sich die Frage, wer in der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten eigentlich den Hut aufhat. So
richtig Außenpolitik ist es ja nicht mehr. Aus diesem
Grund wurden folgerichtig auch die europäischen Auslandsschulen in das Ressort des Bildungs- und Forschungsministeriums verschoben. Der Finanzminister
Herr Schäuble darf die Zukunft Europas im Milliardenrahmen verhandeln, während sich Minister Westerwelle
mit 3 Millionen Euro begnügen muss, um die Aufgabe
des Aufbaus eines vereinten Europas zu erledigen.
Zusammengefasst sieht es letztendlich so aus: In den
Ländern, in denen militärische Konflikte stattfinden,
({1})
hat mittlerweile der Verteidigungsminister das Sagen.
({2})
In den Ländern, in denen keine bewaffneten Auseinandersetzungen stattfinden, kann der Entwicklungshilfeminister mit 6 Milliarden Euro im Rücken großzügig Projekte anschieben. In den europäischen Fragen geben die
Kanzlerin und Schäuble die Richtung vor. Dem Außenminister bleibt nichts weiter übrig, als ein paar Hände zu
schütteln.
({3})
Wenn dieser Zustand nicht geändert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir nicht weiter über
Außenpolitik zu reden, auch nicht über außenpolitische
Strategien.
Diesen Weg hält die Linke für falsch. Wir wollen ein
starkes Auswärtiges Amt als die tragende Säule der zivilen Außenpolitik. Wir wollen, dass in den Bereichen
Menschenrechte, humanitäre Hilfe und Abrüstung endlich die Gelder eingestellt werden, die dafür benötigt
werden. Erst wenn diese Bereiche so finanziert sind,
dass diese Aufgaben tatsächlich erledigt werden können,
können wir dem Haushalt zustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Philipp Mißfelder.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im September dieses Jahres hat Deutschland für einen Monat
den rotierenden Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen übernommen. Vergangene Woche wurde
Deutschland mit einem exzellenten Ergebnis zum zweiten Mal in den Menschenrechtsrat gewählt. Diese beiden
Ereignisse zeigen, welch großes Ansehen Deutschland
in der Organisation der Vereinten Nationen genießt und
mit welchem Respekt uns entgegengetreten wird. Die erfolgreiche Präsidentschaft im UNO-Sicherheitsrat und
die Wahl in den Menschenrechtsrat sind auch das Ergebnis Ihrer sehr guten Arbeit, sehr verehrter Herr Minister,
und Anerkennung der internationalen Arbeit der Bundesregierung. Deshalb danke ich Ihnen und möchte Ihnen zu diesen beiden großen Erfolgen recht herzlich gratulieren.
({0})
Mein Kollege Stinner hat den gestrigen Tag erwähnt.
Wir alle haben mit großer Spannung verfolgt, was unser
Bundesaußenminister gestern geleistet hat. Ich hoffe und
wünsche, dass wir in dieser wichtigen Mission Erfolg
haben. Ich glaube, man hat gestern gemerkt, welchen
Stellenwert Deutschland im Nahen Osten mittlerweile
hat. Herr Minister, auch dazu ein großes Kompliment
von meiner Fraktion!
({1})
Wir haben in den vergangenen Jahren Schwerpunkte
gesetzt, und wir setzen auch im Rest der Legislaturperiode Schwerpunkte. Deutschland spielt in den großen
Konflikten der Welt eine sehr starke Rolle, sowohl was
die Frage des arabischen Frühlings angeht, als auch in
der aktuellen Situation im Nahen Osten. Deutschlands
führende Rolle in der Verschuldungskrise, in der Vertrauenskrise in der Euro-Zone, ist ebenfalls schon erwähnt worden.
({2})
Deutschland genießt bei seinen Partnern extrem hohes Ansehen. Das wird auch von unseren Nachbarn so
wahrgenommen. Ich möchte an dieser Stelle nur den polnischen Außenminister Sikorski zitieren, der bei einem
Vortrag in der DGAP gesagt hat:
Ich bin wahrscheinlich der erste polnische Außenminister in der Geschichte, der das sagt, aber hier
ist es: Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht,
als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu
fürchten.
Ich glaube, eine größere Anerkennung durch unsere
Nachbarn kann es kaum geben,
({3})
gerade wenn man sich anschaut, wie das deutsch-polnische Verhältnis früher ausgesehen hat. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass wir tatsächlich mit
Stolz zurückblicken können und daran weiterarbeiten
sollten, dass dieses Ansehen erhalten bleibt.
({4})
Herr Sarrazin, Sie tragen einen bekannten Namen und
tönen ja auch hier herum. Ich sage Ihnen jetzt einmal etwas zu Ihrem Parteitagsbeschluss. Seitens der Bundesregierung wird verantwortungsbewusst Außenpolitik gemacht. Wenn man sich dagegen anschaut, mit wie wenig
Verantwortungsbewusstsein bei Ihnen Beschlüsse zustande kommen, muss man sich schon wundern. Sie plädieren doch immer dafür, die Türkei möglichst eng an
Europa zu binden. Doch wenn ein NATO-Partner unsere
Hilfe braucht, dann sagen Sie Nein und wenden sich ab
und wollen den Einsatz von defensiven Maßnahmen
nicht gestatten. Ich appelliere an Ihre Vernunft: Überdenken Sie Ihre Position, geben Sie Ihrem Herzen einen
Ruck, machen Sie einfach mit bei dieser wichtigen Erfüllung unserer Bündnissolidarität! Ich glaube, dass großer Handlungsbedarf besteht, wenn es darum geht, unserem wichtigen Freund und Partner, der Türkei, in dieser
schwierigen Situation beizustehen.
({5})
Mein Kollege Stinner hat es angesprochen: Deutschland spielt eine zentrale Rolle. Wir definieren unsere Interessen, wenn es darum geht, deutlich zu machen, wo
die Gratwanderung - manchmal der Widerspruch - zwischen interessengeleiteter Außenpolitik und Werteorientierung stattfindet. Demzufolge war es konsequent, dass
die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, mit der Implementierung des Gestaltungsmächtekonzepts gezeigt
hat, wo zukünftige Herausforderungen liegen. Die demografischen Veränderungen, die großen Verwerfungen,
die die Ressourcenknappheit mit sich bringen wird, aber
auch die großen Konflikte unserer Zeit, der Einsatz in
Afghanistan, das Aufkommen neuer Organisationen wie
der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit oder
der ASEAN, die Neudefinition der chinesischen Außenpolitik, all das wird mit sehr großer Ernsthaftigkeit und
mit verhältnismäßig geringem Mittelaufwand effizient
verfolgt. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir,
wenn wir diese Haushaltsdiskussion führen, zu Recht sagen können, dass die aktuellen Herausforderungen des
Weltgeschehens vom Auswärtigen Amt professionell
und effizient beantwortet werden. Deshalb sollten wir
seine Arbeit weiter konsequent unterstützen.
Es gibt sicherlich noch Punkte - der eine oder andere
wird wohl noch etwas dazu sagen -, über die man diskutieren kann. Die auswärtige Kulturpolitik ist ein Bereich,
mit dem nicht alle zufrieden sind. Aber das Gesamtbild,
das sich ergibt, kann sich sehen lassen. Es zeugt nämlich
von einer nachhaltigen und überlegten außenpolitischen
Konzeption. Davon sind andere weit entfernt. Diesen
Partnern müssen wir offen sagen, wenn wir mit ihnen
nicht übereinstimmen. Das macht die Bundesregierung
sehr gelassen und professionell in einem Ton, der, wie
ich finde, angemessen ist.
Wir waren am vergangenen Freitag gemeinsam mit
unserer Bundeskanzlerin in Russland. Ich glaube, auch
dieser Besuch hat gezeigt, dass Deutschland in der Lage
ist, gegenüber wichtigen Partnern, Verbündeten und
Freunden kritische Punkte anzusprechen. Der Stil, in
dem der Petersburger Dialog in der vergangenen Woche
in Moskau abgelaufen ist, hat gezeigt, wie belastbar das
deutsch-russische Verhältnis ist.
({6})
Ich meine, dass wir in diesem Sinne als Freund von
wichtigen Partnern in der Welt weiter an dieser ausgeglichenen Haltung arbeiten sollten.
Der Handlungsbedarf, den wir weiterhin sehen, liegt
auf der Hand. Den Nahen Osten haben meine Vorredner
und auch ich schon angesprochen. Die Neuausrichtung
des nordafrikanischen Raums und des arabischen Raums
ist eine besondere Herausforderung für uns. Die Kanzlerin hat heute klare Worte gesprochen, was die großen
Herausforderungen in Bezug auf Mali betrifft. Auch da
ist Deutschland bereit, seiner Verantwortung gerecht zu
werden.
Ich möchte an diesem Tag noch eine Initiative unseres
Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder erwähnen, sich
besonders der Lage der Christen in der Welt anzunehmen. Gerade weil die christlich-demokratische/christlich-soziale Fraktion im Deutschen Bundestag dafür
wirbt, für die Verwirklichung der universalen Menschenrechte einzutreten, müssen wir uns vor Augen führen,
dass gerade die Christen der Welt im Augenblick in einer
besonders schwierigen Situation sind.
Ich danke Volker Kauder dafür, dass er dieses Thema,
das früher ein Schattendasein geführt hat, mittlerweile
bei jeder Reise, bei jeder außenpolitischen Initiative anspricht und in den Mittelpunkt rückt. Wir können auf
Erfolge zurückblicken, was sowohl die Situation im Irak
angeht, wo Deutschland eine stabilisierende Rolle spielt,
was aber auch die schwierige Situation in der Türkei angeht. Insbesondere in Ägypten sind die verlässlichen
Partnerschaften, die wir eingegangen sind, wichtig. All
das führt dazu, dass Christen in diesen Ländern ein geschütztes Leben führen können. Da wollen wir uns auch
weiterhin engagieren.
({7})
Bei vielen Begegnungen im Ausland habe ich mit Interesse Vergleiche anstellen und feststellen können, wie
unterschiedlich internationale Organisationen auftreten,
wie sich Länder interessengeleitet verhalten und versuchen, ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Eine
Sache, die uns besonders auszeichnet, ist, dass wir versuchen - das ist in Brüssel nicht gerade einfach -, unsere
außenpolitische Konzeption immer in einen größeren
Rahmen einer gemeinsamen und abgestimmten europäischen Position zu setzen. Erstens machen das nicht alle
Länder in Europa so. Zweitens führt die Art und Weise,
wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes versuchen, deutsche und europäische Interessen vernünftig und sachorientiert zu vertreten, zu großem Respekt, wofür wir ihnen danken sollten.
Auf schwierigeren Posten von Kabul bis Bagdad genauso wie auf Posten, die vermeintlich einfacher sind,
beispielsweise in Athen oder in Madrid, leisten unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Dienst
hervorragende Arbeit. Ich möchte deshalb - oft wird es
als selbstverständlich angesehen, dass das Diplomatische Korps professionell arbeitet - den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, den Ortskräften, aber auch den Familien, die häufig mit zeitlicher Entbehrung zu leben
haben, danken. An einem solchen Tag geht es nicht nur
ums Geld, sondern auch um die Anerkennung dessen,
was Menschen im Namen der Bundesrepublik Deutschland leisten.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das
Wort der Kollege Sven-Christian Kindler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir sind wohl alle während dieser Haushaltswoche mit den Gedanken im Nahen Osten. Die
Hoffnungen von gestern Abend haben sich leider nicht
erfüllt. Es gibt noch immer keine Waffenruhe im Nahen
Osten.
Hier ist klar festzustellen: Dieses Jahr sind Hunderte
Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Die israelische Regierung hat daraufhin reagiert.
Die Raketenangriffe der Islamisten aus dem Gazastreifen sind klar zu verurteilen. Natürlich hat Israel das
Recht, sich selbst und seine Bürgerinnen und Bürger zu
verteidigen und zu schützen.
({0})
Klar ist aber auch: Für eine Deeskalation dieses Konflikts, die jetzt dringend notwendig ist, müssen sich
natürlich beide Seiten bewegen. Ich hoffe weiterhin,
dass es dort schnell zu einem Waffenstillstand kommt.
Wir begrüßen, dass es vielfältige diplomatische Initiativen von Ägypten, von den USA und von der Europäischen Union gibt. Herr Außenminister Westerwelle, ich
begrüße es, dass Sie in der Region aktiv sind und sich
eingeschaltet haben. Ich glaube nur, dass das langfristig
nicht reichen wird.
Natürlich ist es wichtig, dass es wieder zur Aufnahme
von Friedensverhandlungen kommt, weil nur das echte
Stabilität garantieren kann. Für die Aufnahme von
Verhandlungen ist es notwendig, dass sich beide Seiten
bewegen. Dies muss einerseits zur Beendigung der
Gazablockade für zivile Güter, wie zum Beispiel für
Baustoffe - also nicht für Waffen -, und andererseits zu
einem Siedlungsstopp in der Westbank führen. Klar sein
muss aber natürlich auch, dass die Palästinenser ein für
alle Mal Gewaltverzicht üben und das Existenzrecht
Israels anerkennen müssen. Das ist vor allen Dingen deshalb notwendig, weil wir wissen, dass wir dort einen
echten und langfristigen Frieden brauchen, der wichtig
für die Sicherheit Israels und der Palästinenser ist.
({1})
Ich komme nun zu einem anderen aktuellen Thema in
der Region, nämlich zur Auseinandersetzung an der türkisch-syrischen Grenze. Wie es aussieht, wird die Türkei
vermutlich noch in dieser Woche einen Antrag an die
NATO auf Entsendung von Patriot-Raketen stellen.
Herr Mißfelder, ich glaube, Sie haben das falsch verstanden. Es gibt bisher keine festgelegte Position für ein
mögliches Abstimmungsverhalten, weil uns das Mandat
noch gar nicht vorliegt. Wir haben bisher nur viele Fragen und Zweifel. Ich will gar nicht verschweigen: Wir
haben Zweifel hinsichtlich der Verlegung. Denn dieser
Einsatz wäre natürlich auch mit Risiken und Gefahren
verbunden. Man muss sich auch vor Augen führen, dass
Patriot-Raketen bei den bisherigen Angriffen aus Syrien
auf das türkische Territorium mit Mörsergranaten und
Artillerie nicht geholfen hätten. Ich finde, es muss auch
ausgeschlossen werden, dass die Bundeswehr und die
NATO durch die Hintertür in den Syrien-Krieg hineingezogen werden.
({2})
Klar ist auch - daran führt kein Weg vorbei -: Die
Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Sollte sich die
Bundesregierung entscheiden, Patriot-Raketen und Bundeswehrsoldaten in die Türkei zu entsenden, dann muss
dieses Mandat hier im Deutschen Bundestag beschlossen
werden.
({3})
Aber nicht nur die Brandherde im Nahen Osten zeigen uns wieder einmal, dass wir in einer Welt mit vielen
gewalttätigen Konflikten und Kriegen leben. Damit sind
wir mitten in dieser Haushaltsdebatte, weil die Bewälti25274
gung von Konflikten natürlich auch mit Geldern im
Haushalt zu tun hat.
Es gibt zum Beispiel für die Länder des arabischen
Frühlings Transformationsgelder. Diese Gelder sind in
den Haushalt eingestellt worden - das war auch richtig
so -, weil wir natürlich wissen, dass die Bürgerinnen und
Bürger dort unterstützt werden müssen, damit aus alten
Diktaturen nicht wieder neue Diktaturen werden. Der
Demokratieaufbau braucht einen langen Atem. Das Problem ist: Laut der Finanzplanung sind die Mittel ab 2014
nicht nachhaltig gesichert. Es gibt keine Konstanz und
Verlässlichkeit. Das ist ein Problem dieser Bundesregierung: Es gibt keine vorausschauende und verlässliche
Außenpolitik.
({4})
Wie verheerend das sein kann, erkennt man zum
Beispiel auch, wenn man sich die letzte Bereinigungssitzung zum Haushalt anschaut. In einer Nacht-undNebel-Aktion haben die schwarz-gelben Haushälter
10 Millionen Euro beim Stabilitätspakt Afghanistan gekürzt. Dabei geht es um Polizeiaufbau, um Justizaufbau,
um Rechtsstaatlichkeit, um Gesundheitsprojekte und um
Menschenrechte. Das ist ein verheerendes Zeichen an
die Menschen in Afghanistan, weil damit signalisiert
wird: Deutschland und diese Bundesregierung verabschieden sich aus der Verantwortung. Das kann man den
Menschen in Afghanistan nicht zumuten. Diese Unterstützung Deutschlands für Afghanistan im zivilen Bereich muss weitergehen.
({5})
Noch im Juli haben Sie, Herr Westerwelle, in Tokio
die Zusage gemacht, es gebe weiterhin 430 Millionen
Euro für den zivilen Aufbau in Afghanistan. Was ist vier
Monate später passiert? Ihre Haushälter haben Ihnen
10 Millionen Euro weggekürzt. Sie waren nicht darüber
informiert. Es ist natürlich peinlich, dass das Auswärtige
Amt nicht involviert war. Dies war eine Blamage für Ihr
Haus, weil intern klar wird, wie planlos die schwarzgelbe Außenpolitik ist. Dies war aber auch eine Blamage
ersten Ranges auf internationalem Parkett, weil sich
zeigte: Diese Bundesregierung ist international nicht
verlässlich.
({6})
Wir wollen diese Kürzung rückgängig machen und
haben einen Antrag dazu gestellt. Dem können Sie zustimmen; ich bitte Sie darum. Herr Westerwelle, auch
Sie können ihm zustimmen. Die nachhaltige Entwicklung Afghanistans darf nicht durch den Zickzackkurs
dieser Bundesregierung gefährdet werden.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Guido
Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe noch sehr
unter dem Eindruck des Besuches in Israel und in Ägypten in den letzten beiden Tagen. Ich glaube, dass es aus
diesem Anlass entgegen der sonstigen Übung angemessen ist, dass ich hier auch in der zweiten Runde der
Haushaltsdebatte das Wort ergreife.
Ich möchte vorab noch einmal zum Ausdruck bringen: Wir alle sind enttäuscht darüber, dass gestern
Abend eine Waffenruhe nicht möglich wurde. Gleichzeitig ist die Bundesregierung der Auffassung: Wir werden
unsere Bemühungen, dass eine Waffenruhe aufgrund
internationaler Hilfe doch noch zustande kommt, nicht
einstellen. Im Gegenteil: Wir werden im Interesse der
Menschen unsere Bemühungen noch verstärken. Wir
wollen, dass eine Waffenruhe erreicht wird. Wir wollen
aber gleichzeitig mit dieser Waffenruhe die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein nachhaltiger Waffenstillstand erarbeitet werden kann. Dazu gehören drei Säulen:
Erstens. Die Raketenangriffe aus Gaza nach Israel
müssen unverzüglich eingestellt werden. Das ist ein Verbrechen, das durch nichts gerechtfertigt werden kann.
({0})
Zweitens. Der Raketen- und Waffenschmuggel nach
Gaza ist eine der Ursachen für die innere Bewaffnung,
auch von militanten Gruppen im Gazastreifen selbst.
Deswegen wird es einen nachhaltigen, stabilen Waffenstillstand nur geben, wenn der Waffenschmuggel eingestellt wird. Wir appellieren auch an Ägypten, diese
Aufgabe anzunehmen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ägypten hat sich in diesen letzten Tagen als ein
sehr verantwortungsvolles Land gezeigt. Jetzt geht es
darum, dass der Waffenschmuggel unterbunden wird. Er
ist eine Bedrohung für die Sicherheit der gesamten
Region, nicht nur für die Sicherheit von Israel.
({1})
Drittens. Für uns ist völlig klar, dass es einen nachhaltigen Waffenstillstand und eine stabile, gute und friedliche Entwicklung für die gesamte Region nur geben
kann, wenn auch die Menschen in Gaza selbst eine wirkliche Entwicklungsperspektive haben.
Ich war vor zwei Jahren der erste Außenminister der
westlichen Welt, der nach der ersten Lockerung der
Blockade im Gazastreifen gewesen ist. Ich habe die Kinder dort gesehen, und ich habe dort Schulen besucht. Das
ist etwas, was man natürlich nicht vergisst. Deswegen
sage ich hier noch einmal ganz klar: Für uns ist selbstBundesminister Dr. Guido Westerwelle
verständlich, dass die Menschen in Gaza eine Perspektive brauchen, dass sie eine Möglichkeit haben müssen,
sich auch wirtschaftlich zu entfalten. Gerade deshalb ist
es so wichtig, dass die Radikalen und die Gewaltbereiten
die friedlichen Menschen in Gaza nicht länger in Geiselhaft nehmen können. Dieser Zusammenhang muss gesehen werden.
({2})
Ich will hinzufügen: Israel ist unser Freund. Die friedlichen Palästinenser sind es ebenfalls.
({3})
Aus der Tatsache, dass wir Raketenangriffe aus dem
Gazastreifen gegen den Süden Israels in aller Klarheit
verurteilen, eine unbalancierte Einseitigkeit herauszulesen, beinhaltet einen Vorwurf, der der Sache nicht gerecht wird. Wenn wir die Raketenangriffe verurteilen
und das Recht von Israel, sich zu verteidigen, unterstreichen, dann ist das keine Parteinahme. Wenn es eine
Parteinahme ist, dann ist es eine Parteinahme für die
Menschen und für die Menschlichkeit und für den
Frieden. Zu dieser Parteinahme und auch zu dieser
Parteilichkeit bekennen wir uns gerne.
({4})
Herr Westerwelle, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hänsel von der Linken?
Bitte sehr.
Frau Hänsel.
Danke schön, Herr Präsident. - Danke, Herr Minister
Westerwelle, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie haben davon gesprochen, dass es der Bundesregierung um einen nachhaltigen Frieden geht. Sie haben
eben ein paar Bedingungen genannt. Aber den grundlegenden Konflikt aufgrund der seit Jahrzehnten andauernden Besatzung haben Sie nicht angesprochen.
Es gibt nicht nur die Auseinandersetzung zwischen der
Hamas und der israelischen Regierung; es gibt auch eine
völkerrechtswidrige Besatzung seit über vierzig Jahren.
In dieser Zeit ist sehr viel Land in der Westbank verloren
gegangen. Das wissen wir doch alle. Wie viele Delegationen fahren denn jedes Jahr in die Westbank und sehen,
wie viel Land geraubt wird und nicht mehr verfügbar ist,
um einen palästinensischen Staat aufzubauen?
Wenn wir zu einem nachhaltigen gerechten Frieden
kommen wollen, dann können wir nicht isoliert über
Gaza und die israelische Regierung diskutieren, sondern
wir müssen ernsthaft auf die Frage antworten, wie wir
uns eine Zwei-Staaten-Lösung vorstellen. Denn wenn
wir dazu schweigen, dann gibt das immer nur radikalen
Kräften Auftrieb. Es gibt eine Spirale der Gewalt, aber
es fehlt die Lösung.
Kommen Sie bitte zum Punkt.
({0})
Deswegen mein Appell an Sie: Wir müssen da zu einer Änderung kommen.
Frau Kollegin, ich fürchte, dass Ihrer Frage nicht nur
eine falsche Annahme, sondern auch eine falsche Politik
zugrunde liegt, und zwar unter folgendem Gesichtspunkt: Hamas spricht nicht für die Palästinenser,
({0})
sondern Hamas spricht für die Gewalt. Die Palästinenser
werden durch Präsident Mahmud Abbas repräsentiert,
den ich selber gestern aufgesucht habe und der in großer
Klarheit immer und immer wieder gesagt hat: Die Raketenbeschüsse aus Gaza in Richtung Israel sind nicht die
Politik von Palästina und der palästinensischen Autoritäten; sie sind zu verurteilen.
Wir dürfen die Unterschiede auch innerhalb dieser
Kräfte nicht unterschätzen. Deswegen habe ich ausdrücklich gesagt: Die friedlichen Palästinenser sind unsere Freunde. Dass wir auf dem Verhandlungswege eine
Zwei-Staaten-Lösung wollen, ist von dieser Bundesregierung und übrigens auch von mir selbst, zuletzt in meiner Rede vor den Vereinten Nationen, immer und immer
wieder unterstrichen worden. - Vielen Dank, Frau Kollegin.
({1})
Herr Kollege Westerwelle, auch Frau Wieczorek-Zeul
würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe gehört, Sie haben heute Geburtstag. Wie
könnte ich da anders entscheiden?
({0})
Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin!
Ich mache eine Zwischenbemerkung. - Herr Außenminister, Sie haben heute zu Recht darauf hingewiesen,
dass nicht die Hamas für Palästina spricht, sondern Präsident Abbas. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie deutlich machen, dass die Bundesregierung und Sie selbst
bereit sind, in der UN-Generalversammlung dem Antrag
zuzustimmen, den Präsident Abbas, der für den multilateralen, friedlichen Weg steht, für eine bessere internationale Anerkennung Palästinas stellt. Ich erwarte auch,
dass Sie innerhalb der Europäischen Union dafür sorgen,
dass diesem Antrag zugestimmt wird.
Meine Begründung ist: Man kann doch nicht einerseits - das haben die Minister im Rat für Auswärtige Angelegenheiten auch gesagt - die Hamas zu Recht wegen
der Gewalt kritisieren und andererseits Abbas den friedlichen Weg vor die Generalversammlung der Vereinten
Nationen zur Aufwertung des Status versperren. Das
passt nicht zusammen.
({0})
Ich erwarte, dass Sie eine klare Aussage hierzu machen.
({1})
Frau Kollegin, wenn Sie freundlicherweise stehen
bleiben würden, solange ich Ihre Frage beantworte nicht aus Gründen der Courtoisie, sondern damit der
Präsident nicht den falschen Knopf drückt und die Antwort zulasten meiner Redezeit geht.
({0})
Frau Kollegin, Sie waren selber viele Jahre Mitglied
der Bundesregierung. Deswegen wissen Sie, dass man in
der Außenpolitik Fragen dann beantwortet, wenn sie
sich stellen, und nicht immer dann, wenn sie einem gestellt werden. Wir werden die Entscheidung fällen, und
zwar dann, wenn wir den Antrag kennen, wenn er tatsächlich vorliegt, wenn er tatsächlich zur Abstimmung
gestellt werden sollte und wenn wir mit allen unseren
Verbündeten ausreichende Konsultationen getätigt haben. Dann entscheide ich über das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung. Das ist verantwortungsvolle
Außenpolitik.
({1})
Keine verantwortungsvolle Außenpolitik wäre es, jetzt
irgendwelche Schaufensterankündigungen zu machen,
nur weil das hier vielleicht gerne gehört wird. Das wäre
außenpolitisch ein großer Schaden für unser Land.
({2})
Herr Minister, erlauben Sie noch eine Nachfrage der
Kollegin Wieczorek-Zeul? Das wäre aber jetzt die letzte
Zwischenfrage, die ich zulasse.
Aber dann muss es schon ein runder Geburtstag von
Ihnen heute sein.
({0})
- Ich gratuliere von Herzen, Frau Kollegin.
({1})
Das hält keiner hier für möglich.
Sie haben gesagt, die Frage sei nicht gestellt worden.
Ich wollte Sie darauf hinweisen, dass Ihr Ministerium
uns eine Nachricht des Außenministerrats vom 19. November über eine Beratung innerhalb der Europäischen
Union zugeschickt hat. In der Nachricht steht, dass sich
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vermutlich
enthalten. Andere Länder haben gesagt, dass sie dafür
stimmen. Die Frage ist also gestellt. Ich bin ganz sicher,
dass auch Herr Abbas Sie darauf angesprochen hat.
Am 29. November, in ungefähr einer Woche, geht es
in der UN-Generalversammlung um den Antrag. Ich
bitte Sie, auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Erfahrungen, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich in dieser Debatte nicht
wegducken, sondern dass sie mit ihrer Stimme diesem
Antrag Nachdruck verleihen und damit die Position von
Präsident Abbas stärken.
({0})
Ich will dazu Folgendes sagen: Zunächst einmal ist es
nicht angebracht, den Eindruck zu erwecken, als hätte
Ihnen mein Amt ein Abstimmungsverhalten der Europäischen Union oder einzelner Mitgliedstaaten angekündigt; Sie haben vielmehr eine Unterrichtung von den
Beratungen erhalten, an denen ich selber noch am Montagmittag teilgenommen habe. Das wichtigste Wort, das
Sie erwähnt haben, ist „vermutlich“. Nur, auf der Basis
einer Vermutung kann kein Außenminister ein Abstimmungsverhalten festlegen. Das würden auch Sie in meiner Situation nicht tun, wobei ich sagen muss, dass Sie
in diese Situation aus meiner Sicht nicht kommen werden.
({0})
- Bitte, Frau Kollegin, ich möchte noch zu Ende antworten. Ich habe nur noch eine Minute und 13 Sekunden Redezeit. Daher müssen Sie noch stehen bleiben.
Ich will noch einen ernsten, inhaltlichen Grund sagen,
warum wir all dies mit allen anderen Europäern sorgfältig beraten werden, übrigens auch mit den anderen Verbündeten, die wir international haben. Dass das gestern
natürlich ein Thema bei Präsident Mahmud Abbas geweBundesminister Dr. Guido Westerwelle
sen ist, wissen Sie. Das war auch im September, als ich
ihn ebenfalls getroffen habe, so. Das ist regelmäßig ein
Thema zwischen uns.
Der Punkt ist nur: Was hilft dem Anliegen einer wirklichen Zwei-Staaten-Lösung am meisten, einseitige
Schritte oder ein Ergebnis von Verhandlungen? Wir sind
der Überzeugung, dass eine Verhandlungslösung das
Beste ist, was man in dieser Situation erreichen kann.
Deswegen werde ich keine spekulativen Ankündigungen
hier machen. Wir werden diesem Prinzip weiterhin folgen, wie es übrigens auch die Vorgängerregierungen
stets getan haben. Es ist noch nicht allzu lang her, dass
Sie selber regiert haben.
Meine Damen und Herren, ich will noch eine Bemerkung zu einem Thema machen, das von den Kollegen
Mißfelder und Kindler angesprochen worden ist, nämlich zum Thema Patriots. Ich rechne damit, dass in kurzer Zeit eine Anfrage der Türkei für die Stationierung
von Patriot-Raketen bei der NATO eingeht. Ich habe den
deutschen Botschafter angewiesen, einen solchen Antrag
- natürlich nur, wenn die Bedingungen erfüllt sind, und
unter den üblichen Vorbehalten - positiv anzunehmen;
denn es wäre ein schwerer Fehler, wenn wir einem
NATO-Mitgliedsland in einem Moment, in dem sich dieses Mitgliedsland Angriffen von außen ausgesetzt sieht,
eine defensive Unterstützung verweigern würden. Ich
glaube, wenn die Bitte eines NATO-Mitgliedslandes
nach defensiver Hilfe von einem anderen Bündnispartner, zum Beispiel Deutschland, abgelehnt und damit eine
Entscheidung der NATO blockiert würde, hätte das unabsehbare Folgen für das Bündnis. Manchmal braucht
man auch selber Solidarität. Das muss man immer dann
im Kopf haben, wenn andere in einem Bündnis nach Solidarität fragen. Das ist die Richtung, in die wir gehen
wollen.
({1})
Allen Parlamentsvorbehalten wird selbstverständlich
Rechnung getragen. Herr Kollege, auch ich glaube, dass
eine Befassung des Deutschen Bundestages und eine
Abstimmung erforderlich sind.
Zum Abschluss möchte ich mich bei den Damen und
Herren der Ausschüsse, vor allen Dingen des Haushaltsausschusses, und bei den Berichterstattern bedanken. Ich
danke von Herzen für eine sehr kollegiale Zusammenarbeit. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Damen und Herren - in diesem Fall die Herren - der Opposition ein, und zwar für ihre Berichterstattung und für
ihre Arbeit insbesondere im Haushaltsausschuss. Es war
eine gute, faire Zusammenarbeit.
Ich verstehe und respektiere, dass Kollegen der Opposition immer etwas finden müssen. Das soll auch so sein.
Im Kern kommt es aber auf eine Sache an: Ist es der
Bundesregierung in den letzten drei Jahren gelungen,
das Ansehen unseres Landes in der Welt zu mehren, ja
oder nein?
({2})
Da wir vor zwei Jahren in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und vor wenigen Wochen nach kontroverser Diskussion in einer geheimen Abstimmung in den
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt worden sind, scheint der Blick der Welt auf unsere Außenpolitik offensichtlich besser zu sein als der Blick der Opposition. Damit kann ich leben.
Vielen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gernot
Erler das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat: Die ganze Welt schaut auf die Lage in Nahost,
auf die Konfliktentwicklung in Israel und in den Palästinensergebieten. Gestern gab es einige Stunden lang
Hoffnung auf eine rasche Feuerpause. Diese Hoffnung
wurde enttäuscht. Es wird weiter geschossen.
Wie immer sind dabei Zivilisten, Frauen und Kinder
die ersten und zahlenmäßig die meisten Opfer. Jeder, der
den Waffenstillstand weiter aufschiebt, aus welchen
Gründen auch immer, lädt Schuld auf sich - Schuld am
Tod und an Verletzungen von unschuldigen Opfern des
Konflikts. Ich bin mir sicher: Der gesamte Deutsche
Bundestag unterstützt nicht nur eine sofortige Waffenruhe, sondern fordert sie unmissverständlich ein.
({0})
Herr Außenminister, Sie haben sich eingeschaltet und
sind innerhalb von 24 Stunden in Jerusalem, Ramallah
und Kairo gewesen. Es kann sein, dass der deutsche Einfluss in Nahost überschaubar ist, wie der Kollege Stinner
heute Morgen im Radio gesagt hat; es kann sein, dass es
vorerst nur „im Trippelschritt zur Feuerpause“ kommt,
wie eine Tageszeitung heute schreibt. Aber Sie, Herr
Minister, haben sich bemüht, dass diese kleinen Schritte
wenigstens in die richtige Richtung gehen. Dafür haben
Sie unsere Anerkennung und unsere Unterstützung auch
bei weiteren Versuchen dieser Art.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich muss es
politisch weitergehen, wenn erst einmal das Wichtigste,
also das Schweigen der Waffen, erreicht ist. Was muss
eigentlich noch passieren, bis alle verstehen, dass in
Wirklichkeit der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern die Mutter aller Konflikte in der Großregion
des Broader Middle East, das nördliche Afrika mit eingeschlossen, ist?
Eine nachhaltige Lösung - Herr Minister, Sie haben
diesen Begriff auch gebraucht - dieses Konflikts ist unverzichtbar, und zwar für alle Schauplätze von Iran über
Syrien bis Mali, für alle Regionen, in denen Extremisten
und Dschihadisten Zulauf haben. Es kann nicht sein,
dass ein Ausweg aus der jetzigen dramatischen Situation
nur wieder in eine Sackgasse führt, die in drei Jahren erneut in einem Gewaltausbruch endet, wie das Ende
2008, Anfang 2009 der Fall war und jetzt in diesen Tagen der Fall ist.
Wer eine nachhaltige Lösung dieses Konflikts will,
muss auch bereit sein, sich selbst zu bewegen. Ich persönlich vertrete schon länger die Position, dass man am
Ende doch mit den Vertretern der Hamas direkt verhandeln muss. Längst ist klar: Im Gazastreifen muss sich die
Hamas inzwischen weit radikalerer Dschihad-Gruppen
erwehren. Wie kann es denn sein, dass die ganze Welt
jetzt auf die Vermittlungsfähigkeiten des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi baut, wo doch jeder weiß,
dass die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kommt, die
Hamas als Familienmitglied betrachtet? Das hat für mich
keine Logik. Zumindest muss man konstatieren, dass die
Ausgrenzungsstrategie, die viel mit Selbstausgrenzung
zu tun hat, in der Sache bisher keinen Schritt nach vorne
geführt hat.
Ich möchte noch zu einem anderen tagesaktuellen
Thema kommen, das Sie ebenfalls hier behandelt haben,
Herr Minister, nämlich zu der offenbar bevorstehenden
türkischen Bitte um Unterstützung durch das Abwehrsystem Patriot PAC-3, das in drei NATO-Ländern in Gebrauch ist, auch in Deutschland. Herr Außenminister, ich
halte auch dies für eine politische Frage, die in Ihr
Ressort fällt. Ich sage „auch dies“, da wir seit einiger
Zeit beobachten, dass Ihr Ressort, bildlich gesprochen,
einem Schrumpfungsprozess bei den Aufgaben ausgesetzt ist.
Eigentlich ist der Werdersche Markt auch für Europa
zuständig, eigentlich auch für die deutsche RusslandPolitik, die in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht
hat. Sie nehmen aber einfach hin, dass für alle sichtbar
hier das Bundeskanzleramt die Hauptrolle übernommen,
um nicht zu sagen: usurpiert hat.
({2})
Genauso haben Sie sich für alle sichtbar aus der politischen Federführung für das deutsche Engagement in
Afghanistan verabschiedet. Jetzt droht das Ganze offensichtlich auch bei den nächsten beiden absehbaren deutschen Auslandsmissionen, nämlich beim Einsatz der Patriots an der türkisch-syrischen Grenze und bei der
Mission im westafrikanischen Mali - nur dass hier das
BMVg das Kommando übernommen hat. Alle diese Zuständigkeitsverlagerungen sind problematisch und finden nicht unsere Zustimmung.
Wir haben großen Respekt vor dem, was die Türkei als
Nachbar des syrischen Dramas leistet, vor allem mit der
klaglosen Aufnahme von bisher mehr als 130 000 Flüchtlingen aus Syrien, zu denen täglich Hunderte, manchmal
sogar Tausende dazukommen. Angesichts der prekären
Lage an der 900 Kilometer langen syrisch-türkischen
Grenze haben wir auch großes Verständnis für türkische
Sorgen und stehen zu unseren Bündnispflichten.
Aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass jeder deutsche Einsatz in dieser gefährlichen Situation, die
erhebliche Eskalationspotenziale aufweist, ein Mandat
des Deutschen Bundestages braucht und dass bei dieser
Entscheidung natürlich Text und Begründung des erwarteten türkischen Antrags von uns sorgfältig geprüft
werden müssen. Ich verstehe überhaupt nicht, Herr
Mißfelder, Herr Stinner, warum Sie hier einem vorauseilenden Bündnisgehorsam das Wort reden.
({3})
Es ist doch gerade der Sinn des Parlamentsvorbehalts in
Deutschland, dass wir das sorgfältig prüfen, bevor wir in
einen Einsatz gehen.
({4})
Dazu müssen uns aber die entsprechenden Texte vorliegen. Dass zum Beispiel nach dem Artikel von Herrn
Senator McCain in den letzten Tagen und auch nach türkischen Äußerungen vor einiger Zeit einiges erklärt werden muss, ist klar.
Ich bin ganz sicher, dass wir, wenn wir zu dieser
Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Prüfens zurückkehren, eine vernünftige Entscheidung treffen können.
Es ist eigentlich eine traurige Angelegenheit, dass wir
die Bundesregierung erst wieder mit unseren Möglichkeiten zu dieser Selbstverständlichkeit zurückgeführt haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Erika Steinbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein herzliches Dankeschön an Sie, Herr Außenminister, für Ihren wirklich sehr engagierten Einsatz für
den Frieden im Nahen Osten. Ich wünsche Ihnen und
uns im Interesse der Menschen dort viel Erfolg dabei.
({0})
Menschenrechtspolitik ist eine Grundkonstante dieser
Bundesregierung, dieser christlich-liberalen Koalition.
Die Einhaltung von Menschenrechten ist auch ethisches
Fundament für die demokratische, für die kulturelle und
sogar für die wirtschaftliche Entwicklung eines jeden
Landes. Dafür engagieren wir uns, und zwar sehr. Für
diese Querschnittsaufgabe setzt sich die deutsche Außenpolitik ein.
Ein erheblicher Teil der Aufgaben liegt natürlich im
Bereich der Außenpolitik. Die Herausforderungen, denen sich Deutschland in diesem Bereich gegenübersieht,
sind in den letzten Jahren deutlich erkennbar gewachsen.
Es sind schwierige Herausforderungen; denn zunehmend
prallen in vielen Regionen der Welt religiöse, ethnische
oder ideologische Vorstellungen aggressiver aufeinander
als in vielen Jahren zuvor.
Mit großer Sorge schauen wir auf die Situation in Syrien und auf das unendliche Leid, das durch den viel zu
lange währenden Bürgerkrieg über viele Menschen gekommen ist und immer noch kommt. Die Bundesregierung unterstützt die Opfer dieses Krieges, soweit es
überhaupt möglich ist - im Landesinneren Syriens ist es
ganz schwierig -, durch bilaterale und auch durch Hilfen
im Rahmen der Europäischen Union. Wir befürworten
ausdrücklich, was die Bundesregierung dort leistet.
Durch den bevorstehenden Winter - das kann sich jeder
vorstellen - verkompliziert sich die Lage für die Flüchtlinge. Insbesondere entstehen in den Nachbarländern Syriens, in Libanon, Jordanien und der Türkei, aufgrund
der vielen syrischen Flüchtlinge schwierige Situationen.
Die Umbrüche im Nahen Osten und in Nordafrika im
vergangenen und in diesem Jahr sind sicherheitspolitisch
von hoher Brisanz. Das betrachten wir allesamt miteinander - ich meine damit alle Fraktionen in diesem
Hause - nicht ohne Sorge. Deutschland unterstützt alle
Maßnahmen, die die Hilfsorganisationen in den betreffenden Ländern leisten können, soweit sie überhaupt in
die jeweiligen Länder hineinkommen. Das schlägt sich
auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes nieder.
Unsere Aufmerksamkeit gilt akut unter anderem natürlich dem afrikanischen Norden. Die Sahelzone - das
wurde bereits angesprochen - wird von marodierenden
Banden und von al-Qaida destabilisiert. Das hat dramatische Folgen für die Menschen in dieser Region. Von
deutscher Seite wurden 39 Millionen Euro für die Nahrungsmittelhilfe bereitgestellt.
Die demokratische Entwicklung in den Ländern der
sogenannten Arabellion ist - das können wir jetzt erkennen - leider kein Garant für die Durchsetzung und für
die Einhaltung von Menschenrechten. Da mache sich
niemand etwas vor! Demokratisierung kann dort auch zu
Islamisierung führen. Die Zukunft der Minderheiten dort
ist durchaus nicht so gesichert, wie wir es uns alle wünschen und wünschen müssen. Insbesondere die Christen
und die Bahai in dieser Region leben in Sorge um ihre
Zukunft.
Darum danke ich unserem Fraktionsvorsitzenden
Volker Kauder, der erst in der vergangenen Woche Gespräche mit dem Vorsitzenden der ägyptischen Partei für
Freiheit und Gerechtigkeit - das ist die Partei der Muslimbrüder - geführt hat. Sein Anliegen war insbesondere, für den Schutz der religiösen Minderheiten zu
sensibilisieren. Es gab die Zusage, dass der Schutz von
Minderheiten in der neuen ägyptischen Verfassung verankert werden solle. Das begrüßen wir seitens der christlich-liberalen Koalition ganz ausdrücklich. Ich glaube
aber, dass wir den Prozess sehr aufmerksam beobachten
müssen. Mehr können wir ohnehin nicht tun. Wir können aber auch immer wieder in Gesprächen und im Dialog mahnen und versuchen, zu sensibilisieren.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in
Europa gibt es für die Menschenrechte gehörig viel zu
tun. Die Entwicklung der Menschenrechte und der Demokratie in Russland, der Ukraine oder in Weißrussland
muss uns beschäftigen. Es ist wirklich gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau sehr deutlich auf
Defizite in Russland hingewiesen hat - in der gebotenen
Tonart, aber sie hat es sehr deutlich getan.
({1})
Das war nicht immer so.
Die europäischen Mitgliedstaaten, darunter selbstverständlich Deutschland, schauen besorgt auch auf die
Ukraine. Die Strafverfolgung gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Julija Timoschenko, gegen Vertreter
ihrer damaligen Regierung und deren Umfeld ist erkennbar politisch motiviert. Die Haftbedingungen sind unvereinbar mit menschenwürdigen Grundsätzen und europäischen Werten.
({2})
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
fällte 2011 822 Entscheidungen zur Ukraine. 814 davon
betrafen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere das
Recht auf ein faires Verfahren. Das Verfassungsgericht
der Ukraine ist, wie alle registrieren können, letztlich nur
noch ein willfähriges Organ der Exekutive.
Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne
Grenzen“ sieht die Ukraine auf Platz 116, was die Pressefreiheit anbelangt. Damit befindet sich dieses europäische Land in der Rangfolge der defizitären Staaten in
Gesellschaft von Venezuela und Simbabwe, die auf
Platz 117 stehen. Das spricht für sich, und das spricht
Bände.
Menschenrechte sind also auch bei uns in Europa bei
weitem noch nicht in allen Ländern selbstverständlich.
Auch auf unserem Kontinent gibt es Defizite und damit
Herausforderungen, die wir immer wieder anpacken
müssen. Dem stellt sich die Bundesregierung, und dem
stellt sich die christlich-liberale Koalition. Ich glaube,
wir alle miteinander haben da noch viel zu tun.
({3})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Wolfgang Gehrcke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit einem Punkt anfangen, bei dem ich überzeugt bin, dass wir uns darüber hier im Hause einig sind:
Die Außenpolitik meiner Fraktion weist in eine völlig
andere Richtung als die Außenpolitik anderer Fraktionen
und der Bundesregierung.
({0})
Diese Feststellung ist mir wichtig, und ich will sie Ihnen
im Einzelnen begründen.
Beginnen möchte ich mit der Debatte zum Nahen Osten. Ich bin sehr traurig und es bewegt mich sehr, dass es
heute in Tel Aviv einen erneuten Anschlag gegeben hat
und dass wieder Menschen zu Schaden gekommen sind.
Ich bin sehr besorgt darüber, dass die Waffenruhe möglicherweise nicht zustande kommt. Wenn die Waffenruhe
nicht zustande kommt, wird es keinen Waffenstillstand
geben. Dann wird es weiterhin keine Chance auf irgendeine Verhandlungslösung geben.
Man muss sich darüber klar werden, was dort eigentlich abläuft. Ich habe oftmals den Eindruck, als gebe es
eine Seelenverwandtschaft zwischen extremen Palästinensern und extremen Israelis. Immer wenn die Chance
auf einen Frieden gegeben ist, erfolgt ein solcher Anschlag, erfolgt eine solche Zuspitzung. Aus diesem Teufelskreislauf muss man herauskommen, man muss eine
andere politische Richtung einschlagen.
({1})
Mir ist es sehr wichtig, dass wir versuchen, in dieser
verzweifelten Situation das Richtige zu tun. Herr Außenminister, nehmen Sie es mir ab: Wenn Sie wirklich dazu
beigetragen haben, dass es zu einer Waffenruhe kommt,
will ich Sie gar nicht kritisieren. Ich habe allerdings gelesen, was die Presse schreibt und was Kollegen aus Palästina schreiben, wie beispielsweise Frangi, der ja lange
in Deutschland Politik gemacht hat und der Ihnen Einseitigkeit vorhält. Was Sie hier vorgetragen haben, war
einseitig. Das war kein Appell an beide Richtungen.
({2})
Meine Fraktion ist fest davon überzeugt, dass man sagen muss: Schluss mit den Raketenangriffen auf Israel
und Schluss mit den Bombenangriffen auf Palästina!
Beides muss sofort eingestellt werden.
({3})
Wer von einer Seite Vorleistungen fordert, wird keinen
Waffenstillstand erreichen.
Was Sie hier zum möglichen Antrag der Palästinenser
in der UNO gesagt haben, war doch nur ein Ausweichen.
Aus Ihrem Hause hört man etwas ganz anderes. Da hört
man, dass die Entscheidung bereits getroffen ist. Das sagen nicht Sekretärinnen, sondern das sagt Ihre Führungsetage.
Ich sage hier: Deutschland wird in der Vollversammlung der Vereinten Nationen - ich kritisiere das - leider
nicht für den Antrag Palästinas stimmen. Das halte ich
für einseitig und politikunfähig; das gefährdet den Frieden im Nahen Osten.
({4})
Arafat ist einst mit einer Pistolentasche am Gürtel
- ich weiß nicht, ob darin eine Pistole war - und einem
Ölzweig in der Hand vor die Generalversammlung getreten. Abbas ist mit dem Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen vor die Generalversammlung getreten.
Was, bitte sehr, ist einseitig daran, wenn sich jemand an
die UNO wendet und sich dem Diktat der UNO unterwerfen will? Das ist keine Einseitigkeit; das ist Vernunft.
Es ist ein Angebot für eine friedliche Zusammenarbeit.
({5})
Ich denke, man kann zu Ihrer Außenpolitik eine ganze
Reihe von Punkten auflisten. Ich habe mir auch überlegt,
was ich zu Ihrer Entlastung anführen kann; denn ich versuche immer, gerecht zu sein. Da kriegen Sie schon
größere Angst; das weiß ich. Sie könnten zu Ihrer Entlastung anführen, dass Sie nur das weitergeführt haben,
was Rot-Grün und Schwarz-Rot angefangen haben.
({6})
Im Wesentlichen stimmt das: Sie haben eine falsche
Politik fortgesetzt.
({7})
Das entlastet Sie aber nicht; die Politik bleibt falsch.
Einmal habe ich Sie gelobt - da haben Sie einen
Schreck gekriegt -, und zwar dafür, dass sich Deutschland im Weltsicherheitsrat in der Libyen-Frage der
Stimme enthalten hat. Mein Eindruck ist, dass Sie heute
davon ablenken wollen. Das war jedoch eine vernünftige
Entscheidung.
Ich muss Ihnen vorhalten, dass Sie hier am Pult faktisch gesagt haben: Wenn der Antrag der Türkei kommt
- und er kommt -, werden wir diesem Antrag zustimmen. - Sie haben ein bisschen darum herumgeredet; aber
die Auskunft war eindeutig: Sie werden Ja sagen. Ich
halte das für eine falsche Entscheidung. Die Begründung
der Türkei ist nicht nachvollziehbar. Keiner bedroht die
Türkei mit Krieg; es gibt keine Kriegsbedrohung von außen. Die Türkei ist allen Mächten militärisch überlegen.
Sie müssen der Türkei keine Raketen und keine Bundeswehrsoldaten zur Verfügung stellen.
({8})
Mit solch einer Entscheidung führen Sie Deutschland
- ähnlich wie in der Mali-Frage - in die falsche Richtung. Sie sind aus Afghanistan noch nicht heraus und
setzen schon die falsche Afghanistan-Politik fort. Sie
führen Deutschland erneut in eine militärische Auseinandersetzung, und zwar an der Grenze zwischen der
Türkei und Syrien. Deutschland läuft damit Gefahr, in
den Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Das ist doch
eine Politik, der man nicht zustimmen kann.
({9})
Die ganze Außenpolitik leidet unter dem großen Problem, dass Sie die Bundeswehr zum Mittel der Außenpolitik gemacht haben, dass Sie die Außenpolitik militarisiert haben. Einer solchen Außenpolitik kann eine linke
Partei nicht zustimmen. Kolleginnen und Kollegen der
SPD, es gab einmal eine Zeit, in der August Bebel für
Ihre Partei gesagt hat: „Diesem System keinen Mann
und keinen Groschen.“ Ich finde, das kann man auch
heute sagen. Bei einer solchen Außenpolitik darf man
dem Etat des Auswärtigen Amtes nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Sarrazin von
den Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gehrcke, wir werden dem Etat nicht zustimmen.
({0})
Ich möchte aber doch sagen: Eigentlich ist es so, dass die
Binnendifferenzierung zwischen Antithesen immer eine
Stärke der Linken war. Unterscheiden Sie doch einmal
zwischen der Zweiten und der Dritten Internationale!
Auch wir sind nicht mit Herrn Westerwelle einer Meinung, haben aber trotzdem eine gewisse Binnendifferenzierung vorgenommen. Werfen Sie uns bitte nicht mit
Herrn Westerwelle in einen Topf. So schlimm sind wir
wirklich nicht; das sollten Sie uns durchgehen lassen.
({1})
Zu der Frage, über die wir aktuell sprechen. Es ist
doch ganz klar, dass wir in diesem Hause uneingeschränkt um die unschuldigen zivilen Opfer im Nahen
Osten trauern und ihren Angehörigen unser Mitgefühl
ausdrücken, ganz egal, auf welcher Seite die Opfer zu
beklagen sind. Es ist richtig, was hier alle gesagt haben:
Es muss alles für eine Waffenruhe getan werden. Es
kann keinen Zweifel daran geben, dass Israel das Recht
hat, seine Bürger zu schützen. Gleichzeitig führen wir
die Debatte - sie wird auch in Israel geführt -, ob das
militärische Vorgehen, das sich im Moment andeutet,
diesem Ziel wirklich am besten dient.
Wenn wir über die aktuelle Lage reden, dann müssen
wir bei der Analyse ansetzen, die hier schon angeklungen ist: Die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt
hat sich verändert. Es wird mehr auf uns geschaut; es ist
wichtiger geworden, wie sich Deutschland verhält.
({2})
Wenn ich die aktuelle Debatte von heute früh aus der
Perspektive eines Außenpolitikers betrachte, dann muss
ich sagen: Wenn aus den Reihen der Koalition immer
wieder solche Debatten wie jene zu Griechenland und
zum Euro losgetreten werden, kann die Bundesregierung
diesem neuen Bild von Deutschland in der Welt nicht gerecht werden.
({3})
Dazu gehört nicht, dass sich eine Oppositionsfraktion
immer sehr genau überlegt, wie sie sich verhält. Ich kann
sagen: Bei vielen Abstimmungen machen wir es uns
wirklich schwer. Wer weiß, wie ich in Bezug auf Afghanistan abstimmen werde? Dass wir uns die Entscheidung
schwer machen, sieht man ja, wenn man das mit anderen
Kollegen vergleicht, die hier schon gesprochen haben.
Wir haben das Recht, genau zu prüfen, was uns vorgelegt wird. Wir sehen ein Risiko in Bezug auf den Einsatz
von Patriots. Wir werden uns unsere Entscheidung genau
überlegen, weil wir wollen, dass Risiken ausgeschlossen
werden. Das ist der Stand der Dinge.
Herr Mißfelder, Sie haben die Türkei angesprochen.
Es ist schon lustig: Für Sie bedeutet privilegierte
Partnerschaft Patriot-Partnerschaft. Ich möchte darauf
hinweisen, dass die Bundesregierung in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Rahmen der Erweiterung der Europäischen Union dadurch, wie sich die
Koalition in dieser Sache aufstellt - ich meine nicht das
Wording im Koalitionsvertrag -, eine riesige Chance in
dieser Region verpasst hat, und das nur aus rein parteipolitischen Erwägungen und Interessen. Das wird der
Rolle Deutschlands in der Europäischen Union und in
der Welt nicht gerecht.
({4})
Herr Mißfelder hat Herrn Sikorski zitiert, der ganz
deutlich gesagt hat: Er wünscht sich als Mitglied einer
Partei der Mitte, der Platforma Obywatelska, für Polen
als wichtiges, relativ neues Mitgliedsland in der Europäischen Union mehr Engagement der Bundesregierung
und angesichts der aktuellen Krise in der Europäischen
Union mehr klare Worte Deutschlands. Er wünscht sich,
dass Deutschland mehr tut, um die 27 europäischen
Staaten zusammenzuhalten. Stattdessen habe man eher
das Gefühl, der Euro-Klub sei exklusiv und die Staaten,
die 2004 im Zuge der Erweiterung der Europäischen
Union beigetreten sind, spielten keine Rolle mehr.
Deutschland muss seine Rolle wahrnehmen; man schaut
auf uns. Die Bundesregierung muss hier mehr tun.
({5})
Herr Erler hat dargestellt, dass das Auswärtige Amt
für immer weniger Bereiche zuständig ist. Lassen Sie
mich dazu ein Beispiel nennen. Bei den eigentlich federführenden Verhandlungen des Außenministeriums zum
EU-Haushalt ist es inzwischen Frau Aigner, die die deutsche Rolle definiert. Es gibt innerhalb der Bundesregierung immer noch keine abgestimmte Position in Bezug
auf den siebenjährigen Finanzrahmen. Dabei beginnt
morgen der EU-Gipfel.
Wir müssen uns doch die Frage stellen: Was sind die
Herausforderungen, denen sich Europa in der Krise gegenübersieht? Welche Leitideen, gerade in finanzieller
Hinsicht, brauchen wir jetzt in Europa? Die Position der
Bundesregierung wird jedoch schlichtweg dazu führen,
dass der Bedeutungsverlust Europas in der Welt in finanzieller Hinsicht untermauert wird.
Liebe Kollegen von der liberalen Fraktion, hier geht
es nicht einfach nur um einen Streit zwischen der Agrar25282
politik und einem anderen Politikfeld. Es geht darum,
dass die Axt an die Bereiche Forschung, Innovation,
Wachstum und Beschäftigung in Südeuropa gelegt wird.
Gleichzeitig werden agroindustrielle Strukturen verfestigt, was dazu führt, dass die künftige Agrarwirtschaft in
Deutschland und in der Europäischen Union nicht tragfähig sein wird.
Ich weiß, dass die FDP eine lange europapolitische
Tradition hat. Deshalb bin ich maßlos enttäuscht, dass
unter der Federführung eines liberalen Außenministers
ein solcher MFR verhandelt wird und Sie auch noch die
Verhandlungsbox von Van Rompuy loben.
({6})
Mein Schlussbild ist: Die Europa- und Außenpolitik
dieser Bundesregierung ist vergleichsweise gestaltfrei.
Das wird der Rolle Deutschlands in Europa und in der
Welt nicht gerecht. Das ist einer von vielen guten Gründen, diesen Einzelplan abzulehnen.
Danke.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Stübgen von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in
dieser Debatte auf ein Thema zu sprechen kommen, das
zwar den Bundeshaushalt 2013 nicht direkt betreffen
wird, dafür aber die Haushalte 2014 bis 2020. Der deutsche Nettobetrag wird dabei im höheren zweistelligen
Milliardenbereich liegen. Das betrifft den mittelfristigen
Finanzrahmen, zu dem auf dem Sondergipfel des Europäischen Rates, der morgen Abend beginnt, hoffentlich
eine Einigung erzielt werden kann. Es handelt sich in
diesem Bereich um einen - man kann das so sagen Billionenhaushalt; denn um ungefähr diese Summe geht
es beim europäischen Finanzrahmen von 2014 bis 2020.
Die Vorstellungen dazu liegen teilweise etwas darüber,
teilweise etwas darunter.
Wir als Koalition sowie die Bundesregierung haben
von Anfang an deutlich gemacht, dass es für uns wichtig
ist, dass sich die in ganz Europa notwendigen Sparbemühungen auch ein wenig im künftigen europäischen Haushalt niederschlagen. Das bedeutet eine Orientierung an
1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Bedauerlicherweise hat die Europäische Kommission darauf bislang
nicht gehört. Sie hat schon vor einem Jahr einen
Vorschlag vorgelegt, der deutlich über der Grenze von
1 Billion Euro und auch deutlich über der 1-ProzentGrenze liegt, obwohl - deswegen haben wir das schon
damals deutlich kritisiert - alle europäischen Länder
mittlerweile stark konsolidieren bzw. sparen müssen.
Die Kommission meint, mit ihrer Politik über den Wolken schweben zu können, nach dem Motto: Das alles
geht uns nichts an.
Das Europäische Parlament war so clever, diesen Ansatz noch zu toppen. Es hat in seiner Entschließung
schlichtweg alle Sonderwünsche aller Ausschüsse zusammengerechnet. Damit kommt es mit seinem Ansatz
noch einmal auf eine höhere Summe.
Leider konnte selbst die dänische Ratspräsidentschaft
trotz starker Bemühungen mit ihren Vorlagen noch nicht
einmal zu einer Zielorientierung für den mittelfristigen
Finanzrahmen kommen. Die Zeit läuft uns aber davon.
Die Bedingungen für einen vernünftigen Abschluss dieses gemeinsamen Rahmens werden aber im nächsten
Jahr - ob am Anfang oder am Ende des Jahres - nicht
besser.
Die zypriotische Ratspräsidentschaft hat einen Vorschlag vorgelegt. Ich glaube, Herr Kollege Sarrazin hat
mit seiner großen Kritik an der Bundesregierung vor
allem diesen im Blick gehabt.
({0})
Es wurde versucht, ein Sparprogramm vorzulegen. Das
war aber sehr einseitig taktisch motiviert, nach dem
Motto: Wie umgehe ich bei den Einsparungen starke Interessengruppen? Für Frankreich beispielsweise ist der
europäische Agrarhaushalt eine Art Teil der Staatsräson - vor allem, da die Sozialisten regieren. Auf der anderen Seite haben Polen und „die Freunde der Kohäsion“, wie sie sich selber nennen, zu Recht gefordert,
dass ihr Anteil an den Kohäsionsmitteln und Strukturfondsmitteln steigen muss. Das wird im Übrigen seit
Jahren von uns unterstützt. Mit ihren Vorstellungen aber,
wie hoch die Steigerungen sein müssen, gehen sie über
das Maß des Finanzierbaren in der Europäischen Union
hinaus.
Das Ergebnis des zypriotischen Vorschlages war, dass
es starke Kürzungen in den so wichtigen Zukunftsbereichen dieses Haushaltes wie Forschung und Entwicklung,
Connecting Europe etc. gab. Diese Ausrichtung ist nach
Ansicht der Bundesregierung und meiner Fraktion nicht
akzeptabel. Wir waren immer der Meinung, dass die großen traditionellen Ausgabenblöcke, die Agrarfonds und
die Strukturfonds, einen Beitrag leisten müssen, um den
künftigen europäischen Haushalt zukunftsfähiger zu
machen.
Wir haben seit einigen Tagen einen Vorschlag des europäischen Ratspräsidenten Van Rompuy vorliegen.
Dieser Vorschlag ist nach Einschätzung meiner Fraktion
eine arbeitsfähige Verhandlungsgrundlage. Möglicherweise wird mit diesem Vorschlag das Fenster einen
Spaltbreit hin zu einer möglichen Einigung in den nächsten Tagen geöffnet.
Ich will auf einzelne wesentliche Punkte dieses Vorschlages eingehen. Im Rompuy-Vorschlag sind im Ausgabenblock „Gemeinsame Agrarpolitik“ Einsparungen
in Höhe von ungefähr 26 Milliarden Euro vorgesehen.
({1})
Das ist relativ viel. Ich bin aber der Auffassung, dass
Kürzungen in diesem Bereich für die europäische Landwirtschaft und letztlich auch für die deutsche Landwirtschaft durchaus erträglich sind. Wenn wir in diesem
Zusammenhang in der Lage sind, die Modulationspflicht
etwas offener zu gestalten, ist das ein durchaus verhandelbarer Grundsatz. Des Weiteren ist es, wie gesagt,
auch ein Kürzungsbeitrag in einem traditionellen Ausgabenblock, den die Grünen am liebsten ganz streichen
würden.
Ich komme zum zweiten Bereich, zu den Strukturmitteln. Hier schlägt Van Rompuy eine Kürzung von
29 Milliarden Euro vor. Das ist etwas mehr als beim
Agrarsektor. Hierzu muss man allerdings feststellen,
dass dieser Bereich für Deutschland in Bezug auf zwei
Punkte in besonderer Weise ziemlich sensibel ist.
Zum einen haben wir in den ostdeutschen Bundesländern eine ganze Reihe von Ziel-1-Gebieten. Wir haben
die berechtigte Forderung, dass die Ziel-1-Gebiete, die
aus dieser Strukturförderung herauswachsen - das gilt
übrigens nicht nur für die Ziel-1-Gebiete in Deutschland,
sondern für alle Ziel-1-Gebiete -, sozusagen mit einem
Sicherheitsnetz davor bewahrt werden, dass die Förderung auf null abstürzt. Diese Forderung ist von Van
Rompuy im Wesentlichen aufgenommen worden. Ich
halte es für möglich, dass man sich auf ein Sicherheitsnetz - 60 Prozent von den Mitteln, die in der vergangenen Finanzperiode im Durchschnitt gezahlt worden sind einigt.
Wir haben aber noch ein weiteres Problem. Es betrifft
die Phasing-out-Hilfen. Ich will das kurz erklären: Wir
haben drei Regionen in Deutschland, Lüneburg, Leipzig
und Brandenburg-Süd, für die die Phasing-out-Regelung
schon jetzt gilt. Ab 2014 erhalten diese Regionen im
Prinzip null Förderung. Problematisch ist, dass diese Regionen nicht aufgrund der Tatsache, dass sie sich toll
entwickelt haben, in der letzten Finanzperiode in die
Phasing-out-Regelung einbezogen wurden, sondern als
Folge des statistischen Effekts, der sich aus dem Beitritt
der zwölf neuen Mitgliedsländer der Europäischen
Union ergab. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir
versuchen - das müssen wir fordern -, für diese Länder
ein Sicherheitsnetz zu spannen, das ungefähr 60 Prozent
der vorherigen Förderung entspricht.
({2})
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch kurz Folgendes sagen: Wichtig ist, dass wir den Nettosaldo Deutschlands im Auge behalten; denn das müssen wir den
Bürgern gegenüber verantworten. Der alte Kommissionsvorschlag sah vor, dass unsere Bruttoüberweisungen an die Europäische Union jährlich um 8 Milliarden Euro steigen. Das ist deutlich zu viel. Ich akzeptiere,
dass es aufgrund der Entwicklung in der Europäischen
Union zu einem Aufwuchs des Nettosaldos kommt. Dieser Aufwuchs muss aber finanzierbar sein. Ich glaube,
dass der Van-Rompuy-Vorschlag diesbezüglich eine gute
Grundlage bietet. Ich wünsche mir, dass es noch in dieser Woche zu einer Einigung kommt. Ich möchte den
Verhandlungsführern vom Auswärtigen Amt, insbesondere Staatsminister Michael Link, für die bisherige Verhandlungsführung danken. Diese Verhandlungen haben
die Tür zu einem vernünftigen, für alle tragbaren und
trotzdem zukunftsorientierten europäischen Haushalt
2014 bis 2020 geöffnet.
Danke schön.
({3})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Edelgard
Bulmahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte auf ein Kernanliegen deutscher
Außenpolitik zurückkommen - zumindest sollte dies immer ein Kernanliegen deutscher Außenpolitik sein -:
Friedensförderung und Konfliktvermeidung.
Gerade in diesen Tagen erleben wir im Nahen Osten,
wie wichtig Frieden für Menschen ist, wie sehr Menschen unter militärischen Angriffen, unter gewalttätigen
Auseinandersetzungen leiden. Ich glaube, wir können
uns nur annähernd vorstellen, was es heißt, jeden Tag,
jede Nacht Angst um das Leben der Familie zu haben,
Angst um das Leben der Freunde, der Bekannten und der
Nachbarn zu haben, Angst um das eigene Leben zu haben. Deshalb wünschen wir uns - ich glaube, das gilt für
alle in diesem Saal -, dass die deutsche Bundesregierung
wirklich alles Mögliche dafür tut und ihren gesamten
Einfluss nutzt, um eine Waffenruhe und möglichst auch
einen Waffenstillstand zu erreichen. Meine Vorredner
haben es bereits gesagt: Dafür wünschen wir Ihnen, Herr
Außenminister, viel Erfolg. Wir wünschen uns, dass wir
dieses Ziel gemeinsam mit unseren Partnern möglichst
schnell erreichen.
({0})
In Ländern wie Mali, Somalia und an anderen Orten
destabilisieren nichtstaatliche Akteure, Terroristen, Rebellen, Extremisten, Clans oder ethnische Gruppen,
ganze Regionen. Sie tragen ihre Konflikte mit Gewalt
aus. Sie terrorisieren die Zivilbevölkerung. Überall zeigt
sich, dass diese Konflikte mit militärischen Mitteln allein nicht zu lösen sind. Militärische Mittel sind und dürfen immer nur Ultima Ratio sein, um Menschenleben zu
schützen, wenn alle anderen politischen Mittel versagt
haben.
Die Wissenschaft verzeichnet für 2011 weltweit fast
400 Konflikte. Davon werden 38 mit massiver Gewaltanwendung ausgetragen. Viele dieser Konflikte werden
- das ist das Erschreckende - bereits seit Jahrzehnten
ausgetragen. Das ständige Wiederaufflammen dieser
Konflikte zeigt, dass die zugrundeliegenden Konflikt25284
ursachen niemals gelöst worden sind, dass es kein wirksames Konfliktmanagement gegeben hat und dass kein
wirksamer Friedensförderungsprozess stattgefunden hat.
Diese Konflikte zeigen ebenfalls nachdrücklich, dass
eine militärische Intervention noch keinen Frieden
schafft, sondern dass es notwendig ist, dass wir alle
Möglichkeiten der Konfliktvermeidung und des Konfliktmanagements nutzen, um Konflikte mit zivilen Mitteln zu transformieren. Zuallererst in der Außenpolitik,
aber auch auf anderen Politikfeldern, in der Wirtschaftspolitik, der Entwicklungspolitik oder der Umweltpolitik.
Die Bundesregierung legt mit ihrem Haushalt für
2013 leider offen, dass sie über einen solchen Ansatz
nicht verfügt; denn man kann feststellen, dass wichtige
Entwicklungen einfach nicht zur Kenntnis genommen
werden. Man muss leider auch zur Kenntnis nehmen,
dass gerade dieser Bereich der deutschen Außenpolitik
unter Schwarz-Gelb immer mehr dem Rotstift zum Opfer fällt. Für den Bereich der zivilen Krisenprävention
und der Friedenserhaltung sollen im Jahr 2013 nur noch
95 Millionen Euro - ich wiederhole: 95 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. In diesem Jahr waren es
noch 120 Millionen Euro. Ich persönlich fand das schon
- ich glaube, das sage ich im Namen vieler hier - viel zu
wenig.
({1})
Aber diesen kleinen Betrag noch einmal so massiv zu
kürzen, ist - das sage ich Ihnen ganz klar - nicht verantwortbar.
Wenn Konflikte nicht so eskalieren sollen, dass sie in
militärische und gewalttätige Auseinandersetzungen umschlagen, und wenn Konflikte nicht immer wieder aufflammen sollen, dann muss es ein echtes Commitment
dieser Regierung für zivile Krisenprävention und Friedensförderung geben. Das kann ich aber nicht feststellen, wenn ich mir den Haushalt anschaue.
({2})
Da nutzen keine verbalen Erklärungen. Es reicht nicht,
sich hinzustellen und zu sagen, dass man das möchte. Es
ist notwendig, dass man dies auch in den finanziellen
Entscheidungen untermauert und damit das klare Signal
gibt, dass man es ernst meint.
Letztendlich zeichnet sich ab, dass dieser Bereich in
der Außen- und der Entwicklungspolitik zum Verschiebebahnhof verkommt. Ich will ein Beispiel nennen.
15 Millionen Euro werden aus dem Bereich der zivilen
Krisenprävention im Rahmen der Kooperationsvereinbarung vom AA ins BMZ transferiert; verbunden ist das
mit der Wahrnehmung der sogenannten Katastrophenprävention. Aber auf meine Anfrage an das BMZ erhalte
ich die Antwort, dass es dort noch keine Überlegungen
gebe, was Katastrophenprävention überhaupt sei und
was sie leisten könne. Genau das ist der falsche Weg.
Der mühsame Weg eines erfolgversprechenden Konfliktmanagements hin zu echtem Frieden braucht Zeit
und verlässliche Unterstützung. Eine wirksame zivile
Krisenpräventionspolitik erfordert langen Atem. Kurzatmig die Mittel herauf- und herunterzufahren oder Bewilligungen nur für ein Jahr auszusprechen, wie es im
Bereich des Auswärtigen Amtes üblich ist, ist nicht der
richtige Weg. Damit werden wichtige Chancen zu
Friedenssicherung und Konfliktlösung vertan. Die Verlässlichkeit gegenüber unseren Partnern leidet. Sie gefährden damit auch die wichtige Arbeit der zivilgesellschaftlichen Organisationen; denn diese können ihre
Arbeit nur auf der Grundlage zuverlässiger finanzieller
Rahmenbedingungen leisten. Deshalb sage ich ausdrücklich: Das ist leider auch ein Zeichen dafür, dass das
Commitment seitens der Bundesregierung nicht da ist.
Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bundesregierung
hier Einsicht zeigte, wenn sie hier mehr investierte und
Transparenz herstellte - das ist auf anderen Politikfeldern beispielsweise durch die Einrichtung von Förderdatenbanken seit Jahrzehnten üblich
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
- und wenn Friedensförderung und ziviles Konfliktmanagement zu einem echten Schwerpunkt in der Politik
der Bundesregierung würden. Ich befürchte, dass wir darauf noch ein Jahr warten müssen. Wir werden das auf
jeden Fall verändern.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Bundesaußenminister
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund,
dass wir uns am Anfang der Debatte mit dieser Frage befasst haben und ich auch im Interesse des Umgangs der
Bundesregierung mit dem Parlament nicht möchte, dass
ich nachher zu hören bekomme, man habe bei der Debatte zu diesem Haushalt schon Informationen gehabt,
die dann in der Debatte zurückgehalten worden sind,
möchte ich Ihnen sagen: Im Laufe dieser Debatte ist der
Antrag der Türkei für den Einsatz von defensiven Patriot-Systemen zum Schutz der Türkei bei uns eingegangen. Mir liegt der Antrag jetzt vor.
Ich möchte Ihnen sagen, dass ich nach der ersten Lektüre dieses Antrages den Eindruck habe, dass die Kriterien, die wir selber gesetzt haben, erfüllt sind. Insbesondere heißt es in diesem Antrag, dass der Einsatz, dass die
Stationierung ausschließlich defensiv sein wird.
({0})
In keiner Weise wird damit an einer Flugverbotszone
mitgewirkt oder irgendeine offensive Operation unterBundesminister Dr. Guido Westerwelle
stützt. Das wurde ja auch vorher in den Ausschüssen diskutiert. In dem Antrag steht natürlich noch mehr, Herr
Kollege.
Im Interesse des Umgangs miteinander und aus Respekt vor dem Deutschen Bundestag möchte ich Ihnen
vor Ende dieser Debatte sagen: Wenn sich das Ergebnis
meiner ersten Prüfung bestätigt - ich habe den Antrag
eben erst in die Hände bekommen; Sie haben es gesehen -,
dass die Bedingungen, die wir gestellt haben, erfüllt
sind, dann wird die Bundesregierung dem Deutschen
Bundestag eine Zustimmung hierzu empfehlen. Das ist
selbstverständlich.
Es hat Tote in der Türkei gegeben. Es hat Granateneinschläge und Gewalttaten vom syrischen Staatsgebiet
aus zulasten der Türkei und türkischer Staatsangehöriger
gegeben. Natürlich ist in der Türkei dadurch eine große
Sorge über die eigene Sicherheit entstanden; denn Weiteres seitens dieses Unrechtsregimes Assad von Syrien
aus kann nicht ausgeschlossen werden. Wenn ein NATOPartner, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, die
Unterstützung unseres Bündnisses anfordert, dann müssen wir schon sehr gute Gründe haben, einer solchen
Bitte nicht zu entsprechen. Diese Gründe sehe ich nicht.
Hier gilt zuerst die Bündnissolidarität.
Erlauben Sie noch eine Frage der Kollegin Zapf?
Wenn es gewünscht ist, bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Minister, trifft es zu, dass Sie bereits zugestimmt
haben, oder dürfen wir Ihre Ausführungen, die Sie jetzt
gemacht haben, anders verstehen, als es in einer Meldung von Spiegel Online steht?
Ich kann nicht zu einzelnen Artikeln Stellung nehmen; da bitte ich um Nachsicht. Aber ich weiß nicht:
Waren Sie nicht dabei? Ich habe doch hier gesprochen.
Sie waren doch am Anfang der Debatte anwesend. Jeder
von Ihnen hat gehört, was ich gesagt habe. Ich würde Sie
bitten, dort keine Dinge hineinzugeheimnissen. Ich habe
heute eine einzige öffentliche Äußerung dazu gemacht,
und zwar hier vor dem Deutschen Bundestag. Dazu, wie
das bei Nachrichtenagenturen oder Nachrichtenmagazinen verbreitet wird, kann ich hier nichts sagen. Ich
würde sagen: Noch gilt das, was hier gesprochen worden
ist. Noch sollten wir uns an dem orientieren, was die
Bundesregierung hier vorträgt.
({0})
Wenn wir nur noch Zeitungswissen austauschen, können
wir uns die Debatten sparen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Gauweiler.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Nach dieser wichtigen Information
des Herrn Außenministers möchte ich zur zentralen Behandlung unseres Haushaltes zurückkommen. Mir obliegt es, einige Anmerkungen zur auswärtigen Kulturund Bildungspolitik zu machen.
Der Minister hat in seinem ersten Redebeitrag heute
die zentrale Frage wie folgt gestellt: Ist es gelungen, das
Ansehen Deutschlands zu mehren, oder nicht? Ich
komme gerade von der Mitgliederversammlung des
Goethe-Instituts, die sich in einer Bilanz - bei kritischen
Anmerkungen zur Haushaltshöhe; selbstverständlich genau damit beschäftigt hat. Ich möchte Ihnen vier
Punkte vortragen, die die Antwort auf die Frage nach
dem Ansehen Deutschlands und seiner Mehrung bestimmen:
Erstens. Wir stellen überall ein großes Interesse an
der deutschen kulturellen Präsenz fest - weltweit. Zweitens. Deutschland definiert sich mehr und mehr nicht nur
im Streit um politische Tagesfragen, sondern auch kulturell. Drittens. In diesem Diskurs entsteht keine denunziatorische Situation zu unseren Lasten mehr. Viertens. Es
ist durch diese Kulturarbeit ein Vertrauen gewachsen,
das auch durch politische Tagesereignisse nicht so
schnell zu erschüttern ist.
Herr Lehmann hat, ausgehend von diesem Obersatz
und auf der Basis der Zahlen dieses Jahres bis heute, bis
zum November 2012, gesagt: Das Jahr 2012 wird das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des Goethe-Instituts
sein. - Dies halte ich für eine zentrale Information, was
diesen Teil der Debatte betrifft. Ich denke, dafür muss
man als Deutscher Bundestag allen Beteiligten ein Wort
des Dankes sagen.
({0})
Alle Veranstaltungen des Goethe-Instituts sind überbucht. Die deutschen Schulen im Ausland haben lange
Wartelisten. Vor wenigen Wochen ist eine Forderung erfüllt worden, die der Deutsche Bundestag einstimmig erhoben hat: Die Bundesregierung hat ein eigenes Gesetz
über die deutschen Auslandsschulen vorgelegt. Die Stipendienpolitik und die Stipendienvergaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes - Mitglieder
aller Fraktionen haben sich vorgestern lange mit Stipendiaten unterhalten - werden immer attraktiver.
In den Jahren 2012 und 2013 wird es, vom Deutschen
Bundestag begleitet, drei große internationale Deutschland-Jahre geben: in Indien, in Russland, in Brasilien. In
Indien ist vor kurzem ein Vertrag geschlossen worden,
nach dem in den nächsten drei Jahren an 1 000 weiteren
Schulen Deutsch unterrichtet wird. Wenn dieser Vertrag
erfüllt sein wird, werden 1 Million Menschen in Indien
zusätzlich Deutsch sprechen. In Russland bzw. Moskau
ist gerade ein großer - auf Neudeutsch - Workshop mit
1 000 Deutschlehrern durchgeführt worden. Nur nebenbei zu Ihrer Information: Russland ist weltweit das Land
mit den meisten Schülern und Studenten, die Deutsch
lernen.
In Brasilien werden, beginnend 2013, wiederum vom
Deutschen Bundestag vorbereitet, im Rahmen des
Deutschland-Jahres über die ganze Nation verteilt zwei
große Ausstellungen zum Erlernen der deutschen Sprache stattfinden, verbunden mit einem mobilen Projekt
auf dem Lande. Dies ist - für Außenstehende - keine Orchideenvorstellung, keine Arabeske. Vielmehr ist Sao
Paulo der größte Standort der deutschen Industrie außerhalb Deutschlands.
Es gibt eine explodierende Zahl von Deutschlernern.
Der Durchbruch - das können Sie Herrn Steinmeier sagen; das wird ihn freuen - begann mit dem PASCH-Projekt; heute ist es in Asien und Osteuropa der Brenner.
Wenn wir uns diese großen Erfolge, die sich der Deutsche Bundestag selber ans Portepee heften kann, anschauen, dann sehen wir: Sie gehen zurück auf einen Beschluss, den wir im letzten Jahr einstimmig gefällt
haben, und zwar zum Sonderprogramm „Bildungsoffensive Deutsch“.
Wir haben mit 8 Millionen Euro begonnen, waren
dann bei 6 Millionen Euro und sind jetzt bei 5 Millionen
Euro. Wir haben dazu vom Haushaltsausschuss eine
Sperre auferlegt bekommen, allerdings mit der festen
Zusicherung, dass diese Sperre bei klarer Bekanntgabe
von Inhalt und Programm sofort aufgehoben werden
wird.
Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kindler? Das würde Ihre Redezeit,
die eigentlich abgelaufen ist, verlängern.
Das ist eine Riesenidee. Ja. Danke.
({0})
Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen,
Herr Gauweiler. Wir sind gleich am Ende der Debatte;
dann müssen wir über den Einzelplan 05 des Haushaltes
abstimmen. Sie sind Vorsitzender des Unterausschusses
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“. Können Sie
uns sagen, welches Votum der Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ zu diesem Haushalt
abgegeben hat? Sollen wir ihm zustimmen, oder sollen
wir ihn ablehnen?
Können Sie bitte bei Gelegenheit sagen, verehrter
Herr Kollege, dass diese Zwischenfrage von Ihnen nicht
mit mir abgesprochen war?
({0})
Ich kann jetzt darauf hinweisen, dass der von mir vertretene Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ diesem Etat, weil er ihm zu klein war,
nicht zugestimmt hat. Es haben sich zwei Mitglieder der
Koalition enthalten. Ich war es nicht, ich habe zugestimmt; ich hätte es mich gar nicht getraut, anders abzustimmen.
({1})
Das heißt aber nicht, dass das Bessere nicht der Feind
des Guten ist. Nachdem Sie mich aus der Mitte der Grünen-Fraktion fragen, darf ich Ihnen sagen - nicht als
Frage, sondern als Feststellung -: Ist Ihnen bekannt, dass
seit dem Jahre 2006 - seit dem Ende der Zeit des allergrößten Außenministers, den wir je hatten ({2})
der Etat der auswärtigen Kulturpolitik von 548 Millionen Euro - das war die Zeit, wo die meisten Goethe-Institute überhaupt geschlossen wurden - dem jetzigen
Entwurf nach auf 787 Millionen Euro angestiegen ist?
Sind wir uns nicht einig - bei allem, was wir manchmal
auskabbeln müssen -, dass das ein großer Erfolg ist, über
den auch Sie sich freuen werden?
Vielen Dank.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Herbert
Frankenhauser.
({0})
Kollege Fricke, das ist keine München-Versammlung.
Die Rednerabfolge wurde auch nicht abgesprochen. Ob
das bei der vorherigen zutreffend ist, weiß ich nicht. Gleichwohl meine besten Glückwünsche zu deinem Geburtstag, lieber Otto.
({0})
Ich habe einmal nachgedacht. Peter Gauweiler ist ein
alter Weg- und Kampfgefährte von mir. Es ist jetzt vierzig Jahre her, dass wir, Peter, gemeinsam für den Stadtrat
der Landeshauptstadt München kandidiert haben. Ich
habe das Revue passieren lassen, als der Bundesaußenminister - der den von dir zitierten noch leicht übertreffen kann - über die Türkei berichtete.
Soweit ich mich zurückerinnern kann - ich bin schon
in einem gewissen fortgeschrittenen Alter, kann mich
aber noch relativ gut zurückerinnern -, hieß es immer:
Die Sicherheit Deutschlands garantiert das Bündnis. Ich
bin der Meinung: Wer sich über Jahrzehnte auf das
Bündnis verlassen konnte, kann nicht, wenn ein anderes
Bündnismitglied Solidarität einfordert, das Bündnis verlassen.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Einzelplan 05 ist ein kleiner, aber doch feiner. Entgegen vielen Behauptungen und Mutmaßungen
ist er nicht immer kleiner geworden, sondern ist von
2,1 Milliarden Euro 2004 kontinuierlich auf nunmehr
3,485 Milliarden Euro gewachsen. Der Anteil für die
Kultur stieg im selben Zeitraum von 557 Millionen Euro
auf 787 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung von immerhin 41,2 Prozent - obwohl ich in der ganzen Zeit
Hauptberichterstatter war und mir immer vorgeworfen
wird, ich sei ein Kulturbanause und würde zu wenig für
die Kultur tun. Das Gegenteil werde ich gleich unter Beweis stellen.
Zunächst aber noch zu den sonst durchaus sehr geschätzten Kollegen der SPD und der Grünen: Die haben
noch bei der Einzelplanberatung Anträge für Mehrausgaben gestellt, nämlich die SPD - bescheiden - mit
74 Millionen Euro, die Grünen mit 168 Millionen Euro
und die Linken - Spitzenreiter - mit 179 Millionen Euro.
Bemerkenswert war, dass für nichts, auch nicht für einen
Cent eine Gegenfinanzierung vorhanden war.
({2})
- Sie wollten es vielleicht, aber Sie haben es nicht getan.
({3})
Dass Sie gemerkt haben, dass der alte Spruch Ihres früheren Außenministers „Ohne Moos nix los“ stimmt, hat
sich darin gezeigt, dass Sie in der Bereinigungssitzung
überhaupt keinen Antrag mehr gestellt haben.
({4})
Jedenfalls haben die Berichterstatter der Koalition - wobei ich auch die Zusammenarbeit mit den Berichterstattern der Opposition durchaus zu schätzen weiß - notwendige und auch vernünftige Korrekturen zum
Regierungsentwurf gemacht.
Wir haben auch nicht gekürzt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wie jetzt dauernd erzählt wird. Wir haben bei
der Haushaltsposition zur Pflege der deutschen Sprache
im Ausland lediglich eine Sperre verhängt, weil wir wissen möchten, welche Institutionen mit welchen Maßnahmen betraut werden sollen. Wer es noch nicht wissen
sollte: Eine Sperre ist keine Kürzung.
Das Goethe-Institut - auch da werden mir immer
Kürzungen vorgeworfen - hat seinerzeit, als die von mir
betriebene Budgetierung des Goethe-Instituts umgesetzt
worden ist, von sich aus eine sogenannte Effizienzrendite angeboten. In den letzten Jahren ist sie nicht eingefordert worden, weil das Goethe-Institut gesagt hat, mit
der neuen Arbeitsweise und Buchhaltung müsse es erst
einmal zurechtkommen. Aber nun hat der Rechnungshof
das noch einmal beanstandet. Deswegen haben wir uns
daran gehalten - man soll ja Zusagen einhalten - und
jetzt diese Effizienzrendite im Haushalt vorgesehen.
({5})
Wir haben die Mittel für die Stiftungen, speziell für
die Arbeit in Griechenland und die Verbreitung der Blasmusik dort,
({6})
um 1 Million Euro erhöht. Wir haben die Mittel für das
Minenräumen noch einmal um 1,5 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Mittel für Krisenprävention und
Friedenserhaltung um eine weitere Million Euro erhöht.
Wir haben das Hospiz der Borromäerinnen in Jerusalem
mit 1 Million Euro bedacht, damit diese besondere Einrichtung im Osten Jerusalems erhalten werden kann. Wir
haben Beträge für die Berufsbildung in Ägypten etatisiert - Kollege Brandners Initiative. Und wir haben
nach 15 Millionen Euro im Haushalt 2012 nun zusätzlich zum Regierungsentwurf 20 Millionen Euro für die
deutschen Schulen im Ausland eingesetzt.
({7})
Die Schulen im Ausland liegen uns besonders am Herzen. Sie sind eine ganz wesentliche Säule des Bildes
Deutschlands im Ausland. Ob wir wirklich ein Auslandsschulgesetz brauchen, vor allen Dingen eines, bei
dem die Mitwirkung des Parlaments eingeschränkt wird,
bedarf noch weiterer Überlegungen und Beratungen.
({8})
Wir haben die Ansätze für den DAAD, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, um 5 Millionen,
für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung um 2 Millionen Euro und für die Deutsche Schule in Istanbul um
1 Million Euro erhöht. Ich denke, auch dies gehört zur
Ausstattung unserer auswärtigen Kulturpolitik.
Mit diesem Haushalt, Herr Bundesminister, können
Sie Ihre erfolgreiche Politik ohne Weiteres fortsetzen.
Ich bin gespannt, ob die Grünen dort, wo es rot-grüne
Landesregierungen gibt, jetzt endlich eine finanzielle
Beteiligung an den deutschen Auslandsschulen wahr
machen, die ja über Jahre hinweg eingefordert worden
ist.
({9})
Es ist mir auch heute nicht möglich, irgendjemanden auf
der Bundesratsbank zu begrüßen. Herr Kollege Kindler,
es wäre doch schön, wenn Sie Ihre Kollegen entsprechend animieren würden. Das wäre zum Vorteil unserer
deutschen Auslandsschulen.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05
- Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/11538? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges
Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 17/10813, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bartholomäus Kalb
Bernhard Brinkmann ({0})
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke einen
Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPDFraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 14, Verteidigung, umfasst für das Haushaltsjahr
2013 Ausgaben von rund 33,3 Milliarden Euro. Diese
Größenordnung - lassen Sie mich das zu Beginn meiner
Ausführungen feststellen und einen Blick in die Zukunft
wagen - wird gerade auch wegen der begonnenen Neuausrichtung der Bundeswehr auch in den nächsten Jahren benötigt.
Wie schnell uns vollmundige, in der Kabinettsklausur
im Sommer 2010 beschlossene Sparmaßnahmen wieder
einholen können, hat meine Fraktion bei den Beratungen
der Haushaltspläne 2011 und 2012 und auch bei der ersten Lesung des Haushalts für das Jahr 2013 deutlich gemacht. Auf eine Anfrage des Kollegen Lindner von den
Grünen - ich gehe einmal davon aus, dass er das in seinen Ausführungen noch zum Ausdruck bringen wird wurde uns ein Papier geliefert, mit dem deutlich gemacht werden soll, dass das Einsparziel von rund
8,3 Milliarden Euro, gestreckt um ein Jahr, erreicht wird.
Dazu sage ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit:
Dem ist nicht so.
({0})
Dafür gibt es ganz einfache Gründe: Die Kosten für das
Einheitliche Liegenschaftsmanagement, für die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes und für die Tarif- und
Besoldungserhöhungen kamen doch nicht über Nacht
auf uns zu. Daneben gibt es noch einige andere Kostensteigerungen, die man in der Vergangenheit nicht als
Vorsorge berücksichtigt hat. Auch in der mittelfristigen
Finanzplanung für die Folgejahre haben Sie dafür keine
Vorsorge getroffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Neuausrichtung der Bundeswehr ist die größte Herausforderung, der sich unsere Bundeswehr jemals zu stellen
hatte. Sie wurde begonnen; aber sie läuft noch ein wenig
holprig. Dafür gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe.
Dass Reformen nicht ohne Reibungsverluste und Zukunftsängste zu realisieren sind, ist eine Selbstverständlichkeit; das weiß jeder. Das gilt auch für die Neuausrichtung unserer Bundeswehr.
Wenn allerdings Studien vorliegen, nach denen ein
hoher Prozentsatz der Soldatinnen und Soldaten und der
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unzufrieden ist,
Herr Minister de Maizière, dann darf man darüber nicht
so einfach hinweggehen, sondern dann muss man handeln. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns in den
nächsten Wochen und Monaten - es kommen ja die Adventszeit, die Weihnachtszeit, der Jahreswechsel und
dann das Frühjahr - darauf verständigen könnten, dass
die Bearbeitungszeit von bestimmten Personalvorgängen
massiv verkürzt wird. Eine lange Bearbeitungszeit ist
kein Einzelfall, sondern scheint bei dieser Reform ein
großes Problem zu sein.
Gestern und heute ist viel über Sparen gesprochen
worden. Es gibt ja auch noch das Liberale Sparbuch. Der
Kollege Fricke - lieber Otto Fricke, herzlichen GlückBernhard Brinkmann ({1})
wunsch zu deinem Geburtstag - hat sich auch beim Einzelplan 14 entsprechend geäußert. Allerdings hat er in
diesem Bereich nicht ganz die Wahrheit zum Ausdruck
gebracht, weil meine Fraktion in der Bereinigungssitzung und auch davor sehr wohl Einsparvorschläge in die
Beratung eingebracht hat. Sie haben sie abgelehnt. Demzufolge konnten sie nicht wirksam werden.
({2})
Ihre pauschale Aussage, lieber Herr Fricke, und die Ihres
Fraktionsvorsitzenden, Herrn Brüderle, wir würden immer nur mehr Geld ausgeben wollen, stimmt also zumindest für diesen Bereich nicht. Diesen Vorwurf weise ich
hier in aller Deutlichkeit zurück.
({3})
Wenn man sich die Struktur des Zivilpersonals noch
einmal intensiv anschaut - dabei ist noch nicht alles umgesetzt, was mit der Reform von Verteidigungsminister
Struck beschlossen worden ist -, dann wird man feststellen: Die bestehenden Anforderungen sind mit den
55 000 Mitarbeitern, wie von der Koalition vorgesehen,
nicht zu leisten. Wir als SPD-Fraktion haben daher beantragt, die Zahl der Zivilbeschäftigten von 75 000 nicht
auf 55 000 zu reduzieren, sondern nur auf 62 500. Dieser
Antrag ist ebenfalls von der Koalition abgelehnt worden.
Dass wir damit aber nicht ganz falsch liegen, kann man
schon daran erkennen, dass Sie in der Bereinigungssitzung einen Antrag eingebracht haben, der die Versetzung des Personals in andere Ministerien regelt. Wo dabei etwas eingespart wird, ist mir bis heute schleierhaft
geblieben.
Lassen Sie mich zum Schluss meinen Dank an die
Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, aber auch
hier im Land richten. Sie verrichten einen gefährlichen
Dienst. Jede Soldatin und jeder Soldat setzt sich an ihrem bzw. seinem Ort für unser Land ein. Die Soldatinnen
und Soldaten inklusive der zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter und auch die Reservisten haben die Anerkennung des Parlaments verdient.
({4})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich mit einem
Dank beginnen. Unsere sehr intensive Diskussion des
Einzelplans ist durch Ihr Haus begleitet worden. Herr
Minister de Maizière, ich möchte Ihnen und Ihrem
Ministerium für die harmonischen und effizienten Beratungen ganz herzlich danken. Unseren Bitten um Auskunft wurde, so wie wir uns das vorgestellt haben,
prompt und umfangreich nachgekommen. Die Zusammenarbeit ist exzellent.
Ich will an die erste Lesung anknüpfen. Damals hatte
ich mich bei den Berichterstattern insgesamt für die gute
Zusammenarbeit bedankt. Der Kollege Jürgen Koppelin
rief dazwischen, dass das natürlich an der Qualität des
Hauptberichterstatters liegt. Jürgen, das will ich sehr
gerne konzedieren. Ganz herzlichen Dank für die Zusammenarbeit! Ich will das aber auch zum Anlass nehmen, Bernhard Brinkmann für die Zusammenarbeit zu danken. Beide, Bernhard Brinkmann und Jürgen Koppelin,
haben aus eigenem Entschluss klargestellt, dass sie nicht
mehr für den nächsten Bundestag kandidieren und deshalb natürlich auch keine Berichterstattung für den Einzelplan 14 mehr wahrnehmen werden. Ganz herzlichen
Dank für die Zusammenarbeit! Jürgen Koppelin hat das
seit 1994 gemacht. Er ist im Jahr der Wiedervereinigung
in den Bundestag gekommen und war in der Folge für
sechs Verteidigungsminister Berichterstatter bzw. Hauptberichterstatter für den Verteidigungsetat. Das ist eine
beachtliche Leistung. Vielen Dank für diese Zusammenarbeit, ich denke, im Namen aller.
({0})
Es ist angesprochen worden: Wir befinden uns im
größten Wandlungsprozess, im größten Prozess der Umstrukturierung der Bundeswehr. Dabei sind innerhalb der
Truppe täglich erhebliche Veränderungen im Hause zu
spüren und zu verkraften. Dass so etwas Unsicherheit
mit sich bringt, Kollege Brinkmann, und sich zunächst
auch in Umfragen niederschlägt, halte ich für nachvollziehbar und natürlich. Ich habe aber den Eindruck, dass
das Wichtigste, was seitens der Führung des Hauses zu
tun war, die klare Definition der Terminvorgaben war,
wann was geschieht, wann welche Entscheidung getroffen wird, wer wann wie endgültig eingeplant wird und
welche Standorte in welchem Umfang erhalten bleiben.
Dadurch, dass das Punkt für Punkt abgearbeitet wird, besteht für die Soldaten Klarheit, wie der Prozess abläuft.
Das ist der wichtigste Punkt bei diesem Umbau, und den
setzt das Haus nach unserer Auffassung hervorragend
um.
({1})
Die Diskussion über die Einsparvorgabe von 8,3 Milliarden Euro im Bereich des Einzelplans 14 können wir
gerne führen. Denn so, wie Sie es dargestellt haben, lieber Kollege Brinkmann, nämlich dass alles absehbar
war, trifft nicht zu. Wir haben die Einsparvorgabe im
Rahmen der Regierungsklausur bekommen - ein Jahr
später wurde eine Verlängerung bis 2015 gewährt -, und
sie ist im Rahmen der Finanzplanung eindeutig dargestellt. Natürlich ist eine Bereinigung nötig, um Effekte,
die separat zu betrachten sind, zu berücksichtigen. Die
Tarifsteigerung wie auch die Wiedergewährung des
Weihnachtsgeldes
({2})
ist vom Finanzminister im gesamten Bundeshaushalt
einbezogen worden. Insofern muss man die Finanzplanung um einen solchen Posten bereinigen, um den Saldo
ermitteln zu können.
({3})
Das Gleiche gilt für das Thema BImA. Das sollte man
vielleicht für die Öffentlichkeit und die Kameraden auf
der Tribüne ansprechen, damit das auch verstanden wird:
Dadurch, dass wir die Liegenschaften alle miteinander
der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben unterstellen,
haben wir eine Bilanzverlängerung erfahren. Wir hatten
mehr Ausgaben für diesen Bereich und müssen Miete
zahlen. Das ist aber sozusagen ergebnisneutral und muss
saldiert werden, wenn man den wirklichen Effekt errechnen möchte. Ich glaube, dass wir uns auch hier mit dem,
was wir auf den Weg gebracht haben, sehen lassen können.
Ich will noch eine kurze Bemerkung zu dem Antrag
der Linken machen. Sie fordern im Wesentlichen: Wir
schaffen alles ab, was wir an Waffen haben, und stellen
die Rüstungsindustrie dann um. - Sie wollen also Konversion. Das kann man zwar so sehen; aber wir sehen
das anders. Wir glauben, dass es die erste und vornehmste Pflicht eines Staates ist, die Freiheit und Sicherheit eines Landes nach außen zu sichern. Dafür brauchen
wir eine Armee, und sie muss einsatzfähig sein. Wir sehen gerade heute an dem Antrag der Türkei, dass wir
keinesfalls in einer sich auf einen ewigen Frieden hin
entwickelnden Welt leben, sondern dass es notwendig ist
und bleibt, die Freiheit und Sicherheit des Staatsterritoriums sicherstellen und Bündnisverpflichtungen erfüllen
zu können. Deshalb braucht man gar nicht weiter auf den
Antrag der Linken einzugehen.
({4})
- Sie haben ein völlig anderes Weltbild. Bleiben Sie ruhig dabei. Wir müssen uns nicht weiter darüber auseinandersetzen.
Angesichts der Diskussion, die wir heute schon beim
Einzelplan des Auswärtigen Amtes geführt haben, nämlich wie wir mit dem Begehren der Türkei, sie bei der Sicherung der Grenze zu Syrien zu unterstützen, umgehen,
muss die SPD, so glaube ich, noch einmal darüber nachdenken, was sie in ihrem Strategiepapier niedergelegt
hat. Darin geht es im Wesentlichen um die Weiterentwicklung hin zu einer europäischen Armee, die Waffen
gemeinsam entwickelt und beschafft. Da muss jedoch
noch ein Satz hinzukommen: Es geht auch um eine Armee, die unter gemeinsam festzulegenden Bedingungen
eingesetzt werden kann. Hinter die Frage, ob wir es auf
europäischer Ebene hinbekommen, ein so weitreichendes Mandat durch das Parlament, wie es in Deutschland
der Fall ist, festzulegen, mache ich etliche Fragezeichen.
Das ist ein noch offener Punkt in Ihrem Antrag.
Ich will noch einige Kleinigkeiten ansprechen, die wir
in Einzelanträgen aufgegriffen und als Koalition im Rahmen der Haushaltsberatungen umgesetzt haben. Angesichts der Tatsache, dass die Einsparvorgabe, wie ich
dargelegt habe, eingehalten wurde, war für zusätzliche
Einsparungen nicht mehr viel Luft. Wir haben uns darauf
konzentriert, einige Akzente zu setzen. Wir legen Wert
darauf, dass der leichte Unterstützungshubschrauber für
die Spezialkräfte jetzt angeschafft wird. Wir haben entsprechende Signale vom Haus bekommen. Wir haben
das Kapital für die Härtefallstiftung für die Opfer von
Kriegseinsätzen und anderen militärischen Einsätzen um
3 Millionen Euro erhöht. Dabei ist anzumerken, dass alle
Stiftungen momentan ein Problem mit der derzeitigen
Zinslage haben.
Wir haben festgestellt, dass wir beim Thema „Infanterist der Zukunft“ stolz darauf sein können, dass unsere
Industrie dieses System entwickelt hat, das sich im Einsatz bewährt. Unsere Partnerarmeen sind geradezu neidisch auf die Ausstattung unserer Soldaten. Es ist ganz
wichtig, dass die weitere Einführung nach Plan verläuft.
Wir müssen unseren Soldaten die Gewissheit geben,
dass wir sie bestens vorbereitet und ausgerüstet in einen
Einsatz schicken, damit sie ihren Auftrag erfüllen können und im Feld überleben.
Die Ereignisse in Mali bereiten uns große Sorgen. Ich
kann aber meine Ausführungen abkürzen, weil darüber
schon im Rahmen der Debatte über den Einzelplan des
Auswärtigen Amtes diskutiert wurde. Wir können es
nicht zulassen, auch nicht in Mali, dass sich der Terror
erneut einer staatlichen Struktur bemächtigt und sich in
einem Staat festsetzt. Deshalb halten wir es für richtig,
dass Mali geholfen wird.
Ich will abschließend noch kurz das Thema Rüstungsexport streifen, weil dieses Thema auch von der Bundeskanzlerin kürzlich bei der Bundeswehrtagung in Strausberg angesprochen worden ist. Bei allen Diskussionen,
die wir darüber führen, sollten alle, die es ernst mit der
Landesverteidigung meinen - die Linken lassen wir
einmal außen vor -, noch einmal nachdenken. Wenn wir
nicht auf der ganzen Welt intervenieren wollen, dann
müssen wir befreundete Länder und Partner ertüchtigen,
damit sie die militärische Sicherung selbst durchführen
können. Dazu gehört natürlich, dass wir ihnen als Lieferant zur Verfügung stehen und ihnen mit der Lieferung
von Waffen und Systemen zur Seite stehen. Ein weiterer
Effekt ist, dass es uns nur so möglich sein wird, dass wir
im eigenen Lande eine wehrtechnische Industrie erhalten, die sich weiter an der Spitze der technologischen
Entwicklung befindet. Unser eigener Markt ist viel zu
klein. Deshalb halte ich prinzipielle Diskussionen
darüber für nicht angezeigt. Über Details kann man sich
immer unterhalten; aber wir sollten versuchen, den relativ breiten Konsens, den wir insgesamt in Fragen der
Verteidigungspolitik im ganzen Hause haben, auch auf
dieses Technologiefeld auszudehnen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche der Debatte weiterhin einen guten Verlauf.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Krieg ist kein Gesellschaftsspiel, … Nur die bedingungslose Abkehr vom Krieg überhaupt kann da
helfen.
({0})
Das sagte niemand anderes als Albert Einstein nach dem
Zweiten Weltkrieg. Dies sollte uns auch heute noch Verpflichtung sein. Leider erleben wir in Deutschland in den
letzten 20 Jahren das genaue Gegenteil, nämlich eine
Militarisierung der Außenpolitik. Die jüngste Bundeswehrreform hat das Ganze noch befeuert. Inzwischen
werden Auslandseinsätze endgültig zum wesentlichen
Aufgabenfeld der Bundeswehr erklärt. Das ist aus Sicht
der Linken ein ganz gefährlicher Irrweg.
({1})
Im Rahmen von Haushaltskürzungen wurde bereits
2010 erklärt - Herr Willsch erwähnte es eben -, dass
auch die Bundeswehr sparen solle, nämlich 8,3 Milliarden Euro. Die Umsetzung wurde bis heute Jahr für Jahr
verschoben, immer auf das nächste Jahr. Auch in diesem
Haushalt finden wir nichts, was auch nur annähernd mit
Sparen zu tun hat. Stattdessen wurde der Militäretat
erneut um 1,6 Milliarden Euro erhöht. Betrachtet man
einen längeren Zeitraum, ist die Steigerung noch sehr
viel deutlicher. Für 2012 sind Militärausgaben in Höhe
von 33,3 Milliarden Euro eingeplant; im Jahr 2000 waren es noch 10 Milliarden Euro weniger. Das entspricht
einer Steigerung von über 40 Prozent in zwölf Jahren.
Nach den etwas ehrlicheren NATO-Zahlen plant die
Bundesregierung im nächsten Jahr Militärausgaben in
Höhe von 37 Milliarden Euro. Dieses Geld würde dringend für Bildung und Soziales oder Entwicklungshilfe
gebraucht.
({2})
Die Steigerungen lassen sich nicht mit steigenden
Personalausgaben und Kosten für die Altersversorgung
begründen. Im Jahr 2000 wurden mit 23 Milliarden Euro
circa 300 000 Soldaten und 600 Bundeswehrstandorte
finanziert. Heute wird für eine deutlich kleinere Armee
mit 190 000 Soldaten und 390 Standorten deutlich mehr
Geld gezahlt. Leider hat diese Verkleinerung der Bundeswehr nichts mit Friedenspolitik zu tun; sonst würden
wir das sehr begrüßen. Wir erleben aber das genaue Gegenteil. Zukünftig sollen Auslandseinsätze die Priorität
haben. Statt bisher circa 7 000 sollen mehr als 10 000
Soldatinnen und Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen. Genau diese Kriegs- und Besatzungseinsätze machen die Bundeswehr so teuer.
({3})
Ich halte wenig von der europäischen Rüstungsagentur. Es wäre besser, diese Institution abzuschaffen.
Sie sollte durch eine Abrüstungsagentur ersetzt werden.
Die europäische Rüstungsagentur hat aber interessante
Zahlen gesammelt. Sie hat dokumentiert: Die Zusatzkosten für die Kriegs- und Besatzungseinsätze für jeden
eingesetzten Soldaten haben sich allein in den vier Jahren von 2006 bis 2010 in etwa verdoppelt. Auch hier
waren nicht die Personalkosten die wesentlichen Preistreiber. Es waren die immer teurere Ausrüstung, die
entsprechend steigenden Wartungskosten, der höhere
Munitions- und Treibstoffverbrauch.
({4})
- Das ist alles im Einzelplan 14.
({5})
Die deutsche Militärpolitik produziert zahlreiche Verliererinnen und Verlierer:
({6})
die Menschen in den Einsatzgebieten, die Soldaten, die
für diese Politik verheizt werden, aber auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die diesen Wahnsinn
bezahlen müssen. Gleichzeitig produziert diese Politik
aber auch Gewinner: Die Rüstungsindustrie profitiert
massiv von der intensiveren und stärker technisierten
Kriegsführung. Wenn zukünftig verstärkt Drohnen und
weiteres Hightechkriegsgerät auch von der Bundeswehr
beschafft und eingesetzt werden, sind weitere Kostenexplosionen zu befürchten. Statt immer neue Waffen zu
beschaffen, fordert die Linke Frieden durch Abrüstung.
({7})
Die Rüstungsproduktion für deutsche Streitkräfte und
der Rüstungsexport hängen eng zusammen. Export
macht die deutsche Kriegsführung preiswerter, da die
Stückkosten für neues Kriegsgerät sinken. Der Ruf nach
deutscher Kriegsbeteiligung in aller Welt, egal ob humanitär oder mit anderen Lügen begründet, fördert auch die
entsprechende Rüstungsproduktion und den Rüstungsexport. So kann die Rüstungsindustrie weitere Profite
machen. Auf der Gegenseite entstehen neue Krisen und
Spannungen in aller Welt. Die neuesten Rüstungsexportzahlen sind erschreckend. Im letzten Jahr wurden deutsche Rüstungsexporte in Höhe von 5,4 Milliarden Euro
genehmigt. 42 Prozent der Kriegswaffen werden in Länder außerhalb von EU und NATO exportiert. Ich bin
erschrocken über die Rechtfertigung solcher Genehmigungen. Kanzlerin Merkel erklärte im letzten Jahr:
Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu
engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein.
Diese Merkel-Doktrin stützt sich entweder auf deutsche
Soldaten oder auf deutsche Waffen. Dies hat katastrophale Konsequenzen. Gerade in der Nahostregion brau25292
chen wir nicht noch mehr Waffen. Wir brauchen Abrüstungsinitiativen und eine Rückkehr der Diplomatie.
({8})
Deutsche Waffen kommen auf dem Umweg über die
Golfstaaten in den syrischen Bürgerkrieg. Deutsche
Waffen befähigen die saudische Armee, bei Protesten in
Bahrain zu intervenieren. Deutsche Waffen bestärken die
israelische Regierung in ihrer Politik, die in erster Linie
auf militärische Stärke setzt. Die verheerenden Folgen
sehen wir zurzeit in Gaza. Wer andere Länder aufrüstet,
der ist auch verantwortlich für die katastrophalen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn Öl ins Feuer gekippt
wird.
Die Linke fordert eine Rückkehr zu einer Politik der
Deeskalation und Versöhnung. Wir fordern ein Ende der
Auslandseinsätze der Bundeswehr, den sofortigen
Abzug aus Afghanistan und einen Ausstieg aus der
Rüstungsproduktion sowie ein Ende der Rüstungsexporte. Frieden lässt sich nicht herbeibomben.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf als Hauptberichterstatter den Dank an meine
Mitberichterstatter weitergeben. Ich sage ausdrücklich:
Ich schließe die Kollegin Lötzsch - sie ist heute, glaube
ich, nicht da - in diesen Dank mit ein. Wir haben in diesem Team eine ganz hervorragende Zusammenarbeit an
den Tag gelegt; das muss ich sagen.
({0})
Kollege Brinkmann, da wir beide aus diesem Hause ausscheiden wollen, können wir jetzt besonders viel Lob
verteilen.
Kollegin Höger, es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie
außer dem Neuen Deutschland noch einige andere
Zeitungen lesen würden.
({1})
Vielleicht bekämen Sie dann ein anderes Bild.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Debatte
heute zog sich - der Außenminister und die Bundeskanzlerin haben dazu Stellung genommen - die Anforderung
von Patriot-Raketen und NATO-Unterstützung seitens
der Türkei. Ich finde, das bewegt schon. Genauso hat
mich übrigens damals, in der Zeit der rot-grünen
Koalition, bewegt, dass wir Israel Patriot-Raketen zur
Verfügung gestellt haben. Das geschah allerdings ohne
Personal und ohne Parlamentsbeteiligung; das will ich
ausdrücklich sagen. Dass wir diese Raketen zur Verfügung gestellt haben, habe ich für selbstverständlich gehalten. Auch jetzt halte ich es für selbstverständlich, dass
wir unserem NATO-Partner Türkei helfen.
({2})
Warum erwähne ich das? Ich erwähne es auch, weil
sich manche in den letzten Tagen, wie ich finde, sehr
vorlaut geäußert haben, und zwar bevor die Anforderung
aus der Türkei überhaupt vorlag. Wenn ich das sage,
schaue ich ein bisschen auf einen Kollegen von den
Grünen, der im hinteren Bereich sitzt.
({3})
- Lieber Kollege! - Wenn wir uns als Politiker äußern,
sollten wir gleichzeitig immer daran denken - in der
Nähe meines Wahlkreises gibt es einen Bundeswehrstandort, dessen Soldaten von unserer Entscheidung
wahrscheinlich betroffen sind: Husum -, wie die
Menschen darauf reagieren, wie sehr sie durch die Meldungen - der eine sagt dies und der andere das verängstigt werden. Man sollte mit diesem Thema also
ein bisschen sensibler umgehen. Wenn wir uns öffentlich
äußern, sollten wir vor allem an die Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr denken, die diesen Einsatz
durchführen müssen.
({4})
Das gilt grundsätzlich. Von Berlin aus lässt sich alles
wunderbar kommentieren, Dinge in Afghanistan wie
solche, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun
hatten, oder dieser Einsatz. Aus der warmen Stube lässt
sich das alles ganz leicht kommentieren. Aber man sollte
immer an die Menschen denken.
Ich sage mit Blick auf den Haushalt: Wir haben mit
dem Haushalt 2012 und auch jetzt erneut dazu beigetragen, den Beförderungsstau erheblich abzubauen. Wir
haben 100 weitere A-12-Planstellen geschaffen. Ich
glaube, das ist ein gutes Signal an unsere Soldaten.
Natürlich wissen wir, dass die Bundeswehr attraktiver
werden muss, auch was die Besoldung angeht. Wir wollen gutes Personal und stehen im Wettbewerb mit der
Wirtschaft. Insofern, glaube ich, haben wir die richtigen
Entscheidungen getroffen.
Es gibt einen weiteren Punkt. Ich bleibe bei den Angehörigen oder den ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr und der NVA. Herr Kollege Willsch hat es
schon angesprochen. Wir haben den Fonds für Strahlengeschädigte von NVA und Bundeswehr noch einmal um
3 Millionen Euro aufgestockt. Ich finde, auch das war
ein richtiges Signal. An dieser Stelle möchte ich Staatssekretär Schmidt für sein Engagement in diesem Bereich
ausdrücklich danken.
({5})
Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, wir hätten
keine Einsparungen vorgenommen. Ich verweise hier
noch einmal auf den Haushalt. Sie sollten einmal hineingucken. Ich habe den Eindruck, Sie haben gar nicht hinDr. h. c. Jürgen Koppelin
eingeguckt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Das wird
im Jahr 2013 noch nicht wirksam, aber für die Zeit ab
2014 haben wir Verpflichtungsermächtigungen in Höhe
von 650 Millionen Euro gestrichen. Das ist doch kein
Pappenstiel.
({6})
Sie hätten nur einmal in den Haushalt gucken sollen. So
einfach ist das.
Früher habe ich auch bei Veranstaltungen der Bundeswehr gesagt, dass der Bundeswehretat 10 Prozent des
Bundeshaushaltes ausmachen müsste. Heute liegen wir
bei etwa 11 Prozent. Das ist ein ausgesprochen gutes Signal.
({7})
Da ich wahrscheinlich das letzte Mal in einer Haushaltsdebatte rede, erlauben Sie mir, liebe Kolleginnen
und Kollegen, den einen oder anderen Wunsch zu äußern. Die Kosten für unsere Einsätze im Ausland liegen
bei etwa 900 Millionen Euro. Es war immer mein
Wunsch, dass diese Kosten im Einzelplan 60 ausgewiesen werden und nicht aus dem Verteidigungsetat bestritten werden müssen. Das wäre ehrlicher und offener.
({8})
Ein Steckenpferd von mir betraf die Flugbereitschaft
der Bundeswehr. Diese arbeitet hervorragend. Aber jeder
Minister, einschließlich der Bundeskanzlerin, der die
Flugbereitschaft bestellt, sollte anschließend abrechnen,
und dieses sollte sich im jeweiligen Etat widerspiegeln
und nicht allein auf Kosten der Bundeswehr gehen. Was
die Kosten angeht, wäre auch das ehrlicher; denn auch
dieses steigert den Etat des Verteidigungsministeriums.
({9})
Wir haben Diskussionen gehabt über die Frage: Bekommen wir, wenn wir eine Freiwilligenarmee haben,
genug junge Leute zusammen, die sich melden? Ich
finde, die Zahlen sehen sehr gut aus. Darüber können wir
alle froh sein. Ich sage noch einmal und wiederhole
mich: Wir müssen attraktiv sein, auch bei der Besoldung. Wir müssen attraktive Standorte haben. Es muss
ein Beruf sein, bei dem man sagt: Ja, ich bin bereit, dorthin zu gehen. - Wir konkurrieren mit der Wirtschaft. Insofern finde ich die Zahl der freiwillig Wehrdienstleistenden ausgesprochen gut.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch sagen: Ich
wünsche mir, dass wir in nächster Zeit, auch aus dem
Ministerium, Vorschläge bekommen, wo weitere Einsparungen möglich sind. Das ist nicht die Aufgabe der
Haushälter, Herr Minister. Ich weiß, dass Sie hier auf
dem richtigen Wege sind. Wenn ich mir anschaue, welche Beschaffungsmaßnahmen wir beschlossen haben
- alles Dinge, die wir heute in dieser Stückzahl nicht
mehr brauchen -: Es ist dringend geboten, mit der Industrie zu sprechen. Das ist nicht gegen die Industrie gerichtet, aber wir brauchen modernes Gerät. Ich nenne Ihnen
als Beispiel die Stückzahl der Eurofighter. Hier tragen
wir Verantwortung, auch meine Partei. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass es einen Luftkrieg wie anno Tobak
geben wird. Wir brauchen heute weniger Eurofighter.
Beim Transportflugzeug haben wir das gemacht. Hier erwarte ich aber auch, dass Firmen wie EADS ihre Verträge einhalten und es nicht schon wieder Verzögerungen
gibt. Schauen Sie sich die einzelnen Beschaffungsmaßnahmen an! Ich glaube, da wären noch Einsparungen
möglich.
Herr Minister, schauen Sie sich bitte auch einmal das
Bekleidungsmanagement an! Das sind alles Entscheidungen, die unter rot-grüner Regierung getroffen wurden. Man wollte privatisieren. Das waren keine Entscheidungen der FDP. Ich hätte längst nicht alles
privatisiert. Man muss nicht um jeden Preis privatisieren.
Nehmen Sie den Bundeswehrfuhrpark! Der Rechnungshof sagt, allein beim Bundeswehrfuhrpark könnte
über 1 Milliarde Euro eingespart werden. Schauen Sie
sich das für die nächsten Haushalte an! Ich glaube, das
käme der Bundeswehr zugute.
Ansonsten ist dieser Haushalt ein sehr guter Haushalt.
In Richtung Bundeswehr sage ich: Sie haben einen guten
Verteidigungsminister.
Herzlichen Dank.
({10})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Koppelin, Sie haben sich auf die
Anfrage der Türkei zu Patriot-Systemen bezogen und in
diesem Zusammenhang, ich finde, durchaus zu Recht
von einer gewissen Sensibilität gegenüber den betroffenen Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Meine Fraktion hält es aber dann, wenn wir das mit der Sensibilität
gegenüber den betroffenen Soldatinnen und Soldaten
ernst meinen, auch für geboten, dass wir die Fragen, die
im Raum stehen, bei denen einige Mitglieder dieses Hohen Hauses skeptisch sind, in aller Sachlichkeit und der
Reihe nach klären, bevor wir zu einer Entscheidung
kommen, und dass wir - wenn wir über „Entscheidung“
reden - diese Entscheidung an diesem Ort und an dieser
Stelle treffen.
Ich bin den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen
sehr dankbar, die sich in den letzten Tagen ausdrücklich
für eine Parlamentsbeteiligung ausgesprochen haben.
Ich bin Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar, dass Sie an
dieser Stelle klare Worte gefunden haben, weil wir überzeugt sind: An keiner anderen Stelle als hier im Deutschen Bundestag kann und sollte diese Entscheidung getroffen werden.
({0})
Wir haben in dieser Debatte bereits viel über diese
mysteriöse Einsparvorgabe von 8,3 Milliarden Euro gesprochen, die Ihr Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg
bei der Kabinettsklausur ausgegeben hat. Ihr Haus hat
mir auf meine Nachfrage hin eine - das will ich zugestehen - durchaus sehr kreative Rechnung präsentiert, nach
der, würde man dieser Rechnung glauben, diese Einsparvorgabe erbracht werden würde.
Ich will in diesem Zusammenhang über drei Dinge reden: Es war nicht unbekannt, als die Kabinettsklausur
stattfand, dass es in diesem Land ein Einheitliches Liegenschaftsmanagement gibt, in das die Liegenschaften
der Bundeswehr überführt werden. Es war richtig und
wichtig - Herr Kollege Koppelin hat über die finanzielle
Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten gesprochen -,
dass es Gehaltssteigerungen bei der Bundeswehr gibt.
({1})
Aber die Tatsache, dass es in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu Gehaltssteigerungen kommt, ist
ähnlich überraschend wie Weihnachten im Dezember.
Ein weiterer Punkt. Es ist im Grunde ein Treppenwitz,
dass sich ausgerechnet die Linke auf die NATO-Kriterien für Verteidigungsausgaben bezieht. Nehmen wir
diese einmal ernst! Dabei muss man die 1 Milliarde Euro
berücksichtigen, die in den Einzelplan 60 für Personalausgaben verlagert wurde. Wenn man berücksichtigt,
dass die veranschlagten 8,3 Milliarden Euro mittelfristig
über vier Jahre zu erbringen waren, dann erkennt man
schon an dieser Stelle, dass allein die Hälfte dieser Einsparung von 8,3 Milliarden Euro durch die Personalkosten im Einzelplan 60 sozusagen aufgefressen werden.
Das sind ja keine virtuellen Kosten; diese Kosten fallen
real an.
Welche Schlussfolgerungen muss man daraus ziehen?
Herr Minister, sagen Sie den Soldaten an dieser Stelle
die Wahrheit! Die Sparvorgabe, die Ihr Vorgänger ausgebracht hat, kann mit dieser Reform nicht erbracht werden. Die Soldatinnen und Soldaten in unserem Land haben doch keine Angst vor der Wahrheit. Sie haben Angst
davor, dass man ihnen etwas vormacht und dass dann
eine weitere Reform die Konsequenz wäre. Deswegen
müssen wir uns an dieser Stelle ehrlich machen.
({2})
Ein anderer Punkt. Die Konsolidierung eines Haushalts, das Erfüllen einer Sparvorgabe sind kein Selbstzweck. Wenn wir in diesem Land - darüber wurde heute
Morgen in der Elefantenrunde viel gesprochen - andere
Prioritäten setzen wollen, wenn wir mehr Geld für Bildung und Forschung und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wollen, wenn wir in diesem
Bundeshaushalt zugleich die Risiken abbilden wollen,
die sich aus der Schuldenkrise in Europa ergeben, und
wenn wir der Schuldenbremse gerecht werden wollen,
dann müssen wir auch - in der vorangegangenen Debatte
zum Einzelplan 05 ist darauf hingewiesen worden - sagen, wo dieses Geld herkommen soll.
Wenn wir an dieser Stelle so ehrlich sind, dann müssen wir auch sagen: Wenn ein Konsolidierungsbeitrag
erbracht werden soll, dann muss die Bundeswehr wegkommen vom Konzept „Breite vor Tiefe“. Sie braucht
vielmehr ein Fähigkeitsprofil, das einer modernen Armee in einem Land entspricht, das nicht mehr bedroht
ist, einer Armee, die in Bündnisse eingebunden ist. Ein
solches Fähigkeitsprofil muss definiert werden. Hierauf
muss man sich konzentrieren. Und das tun Sie gerade
nicht.
Ich fand, dass diese Debatte heute in einer sehr angemessenen Tonlage verlaufen ist. Daher möchte ich zum
Schluss Ihnen, Herr Kollege Koppelin, für die Hauptberichterstattung danken. Ein Dank gilt auch meinen Kollegen Mitberichterstattern und der Kollegin Mitberichterstatterin.
Viele von Ihnen wissen es: Ich bin ein Mensch, der
den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert hat, der nach
der Prüfung seines Gewissens zum Ergebnis kam, dass
er nicht in der Lage ist, in der Bundeswehr einen Dienst
zu leisten. Das hindert mich aber nicht daran, den Soldatinnen und Soldaten Respekt entgegenzubringen, die ihren Dienst tun und Einsätze erfüllen, in die wir, der
Deutsche Bundestag - gleich wie wir einzeln abgestimmt haben und wie wir morgen darüber denken -, sie
geschickt haben. Ich finde, diese Debatte ist dieser
schweren Aufgabe angemessen. Auch die Gespräche der
Berichterstatter im letzten Jahr waren ihr angemessen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Thomas de Maizière.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte den Dank der Berichterstatter im Namen
meines Ministeriums und in meinem Namen gern zurückgeben. Die Zusammenarbeit war im Hinblick auf
Qualität, Klima, Tonlage und Ergebnis bemerkenswert.
Das finde ich gut; das ist der Sache angemessen.
Herr Lindner, jedes Mal, wenn wir uns treffen, reden
wir über diese 8,3 Milliarden Euro. Sie haben gesagt, wir
sollten uns in dieser Debatte jetzt ehrlich machen. Es
gibt nichts Ehrlicheres als das Zahlenwerk des Haushaltes: Im Haushalt stehen alle Zahlen, steht das Ergebnis.
({0})
Daneben gibt es die mittelfristige Finanzplanung. Die
Zahlen sind so, wie sie sind. Ich kann nur sagen - ich
habe es hier gesagt, ich habe es bei der Bundeswehrtagung gesagt -: Mit diesem Zahlenwerk und der mittelfristigen Finanzplanung ist die Neuausrichtung der Bundeswehr solide finanziert. Das ist gut und richtig so. Ich
finde es interessant, dass die Opposition immer nach diesen 8,3 Milliarden Euro sucht. Das basiert auf der 43. FiBundesminister Dr. Thomas de Maizière
nanzplanung. Die Dinge stellen sich jetzt so dar, wie es
die Zahlen hergeben. Sie müssen sich einmal einig werden, ob Sie das kritikwürdig finden oder nicht. Jedenfalls: Der Haushalt ist so, wie er ist, auskömmlich.
Wir haben in der Bereinigungssitzung einen kleinen
Schlag mitbekommen. Wir haben allerdings auch etwas
Gutes mitbekommen: Die Mittel für die Höhergruppierung helfen bei der Anpassung an das Personalstrukturmodell und damit der Bundeswehr. So ist es im Leben;
so ist es beim Haushalt. Ich habe das Ergebnis nicht weiter zu beanstanden.
In der ersten Lesung haben wir sehr intensiv über die
Neuausrichtung der Bundeswehr gesprochen, auch, Herr
Brinkmann, über die Studie, die damals gerade frisch
vorlag. Natürlich hat sie Konsequenzen; wir haben das
bei der Bundeswehrtagung erörtert und werden das weiter tun. In der Tat ist jetzt das Hauptthema bei den Soldaten: Wie kommt es schnell zu Personalsicherheit? Selbst wenn es hier eine schlechte Nachricht gäbe, wäre
dies besser als die derzeitige Unsicherheit. Es dauert ein
bisschen, bis das geklärt ist. Es wird vorangehen. Ich
kümmere mich darum; die Verantwortlichen kümmern
sich darum. Das ist ein zentrales Thema.
Ich glaube, es ist angemessen - das erwarten Sie von
mir -, dass ich in der heutigen Debatte keine größeren
Ausführungen zur Neuausrichtung mache, sondern ein
paar Anmerkungen zur Sicherheitspolitik, insbesondere
zum Antrag der Türkei.
({1})
Der Außenminister konnte Ihnen nur mitteilen, dass der
Antrag, während die Debatte stattfand, eingegangen ist.
Ich will den Antrag ein bisschen erläutern.
Ich will allerdings eines vorab sagen. Es gehört zur
Debatte hier und heute; es gehört zur Beschreibung des
Nahen Ostens. Ich bedanke mich für die große Einmütigkeit, die es in der Debatte über die Etats des Kanzleramts und des Außenministeriums bei diesem Thema
gab. Das, was der türkische Ministerpräsident in diesen
Tagen zu Israel gesagt hat, ist indiskutabel und es findet
meine Zustimmung überhaupt nicht. Das sage ich vorweg.
({2})
- Nein. Ich will sagen: Man kann öffentlich verurteilen,
dass ein Bündnispartner, dem wir jetzt helfen werden, in
solch einer Weise über den Staat Israel und das, was Israel gemacht hat, geredet hat. Um es ganz klar zu sagen:
Ich tue es hiermit.
({3})
- Möglicherweise haben nicht alle verstanden, worauf
sich meine Äußerung bezog. Der türkische Ministerpräsident hat Israel in diesem Zusammenhang „ethnische
Säuberung“ und anderes vorgeworfen. Um es klar zu sagen: Das ist in der Sache und in der Tonlage total daneben.
({4})
Hier geht es um den Antrag der Türkei, der jetzt vorliegt. Wir haben über die Frage diskutiert, insbesondere
der Abgeordnete Nouripour: Was heißt das für die Debatte über Flugverbotszonen? Gibt es hier einen Rutschbahneffekt? Inwieweit wird Deutschland da hineingezogen? - Ich hoffe, ich kann das, wenn ich das jetzt
erläutere, glasklar ausräumen.
In dem Antrag selbst - also nicht in unserer Antwort bittet die Türkei um Hilfe beim Schutz der Bevölkerung
und des Territoriums, um einen Beitrag zur Deeskalation
der Krise entlang der Südostgrenze des NATO-Gebietes
zu leisten und um die Solidarität und die Entschlossenheit der Allianz zu demonstrieren. Das ist der erste
Punkt.
Die Türkei selbst schreibt in ihrem Antrag: Diese Stationierung - ich habe hier den Text nur auf Englisch, ich
übersetze ihn mit meinen eigenen Worten - wird ausschließlich defensiv sein, sie wird - in no way support in keiner Weise unterstützen eine Flugverbotszone oder
irgendeine offensive Operation. - Das ist bereits im Antrag der Türkei enthalten.
Die Sozialdemokraten haben darauf hingewiesen,
dass sie eine schriftliche Erklärung von der Türkei wollen, dass es keinen Schritt zu einer No-fly-Zone gibt.
Diese Erklärung liegt jetzt vor, sodass jede Verdächtigung gegenüber diesem Antrag in Bezug auf eine Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg gegenstandslos geworden ist. Deswegen werde ich, Herr Außenminister,
empfehlen, diesem Antrag zuzustimmen.
({5})
Herr Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des
Kollegen Nouripour?
Eine Bemerkung darf ich, glaube ich, nicht gestatten,
nur eine Frage.
Doch, nach Geschäftsordnung ist beides möglich. Ich
kann aber nicht erkennen, was es sein wird.
Er kann sagen, was er für richtig hält. - Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. Ich will eine Frage stellen. Herr Minister, Sie haben gerade dargelegt, was die Türkei für eine No-fly-Zone beantragt hat.
({0})
In Bezug auf die No-fly-Zone.
Ich habe Sie gerade so verstanden, dass die Türkei in
ihrer Request ausschließt, dass es eine No-fly-Zone mit
den Mitteln der NATO geben wird.
Ja.
Mich treibt am meisten die Frage um, ob wir Instrumente geben an Personen oder Gruppen auf der anderen
Seite der Grenze, die etwas davon hätten, wenn die
NATO Teil des Konflikts wäre und damit das Gleichgewicht der Kräfte aushebeln würde. Meine Frage ist:
Wenn Sie noch nicht genau sagen können - so war zumindest mein Stand heute Morgen im Ausschuss -, wo
genau stationiert werden soll, wie können Sie das Szenario, das Risiko, das ich gerade beschrieben habe, ausschließen?
Zunächst kann ich Ihnen mitteilen, dass in der nächsten Woche eine Besichtigung der Stationierungsorte
stattfinden wird. Wenn schon der Antrag darauf abzielt,
dass die Stationierung defensiv ist, wird von uns technisch, rechtlich und politisch, faktisch auch genau so gehandelt. In der Antwort werden wir das genau so niederlegen.
Man kann in Sorge weiter herumsuchen. Am Wochenende wurden verständlicherweise Debatten geführt.
Heute wurde der Antrag in aller Klarheit vorgelegt. Dadurch sind, glaube ich, sämtliche möglichen kritischen
Anmerkungen gegenüber dieser Operation erledigt.
Trotzdem kann man ihn ablehnen. Trotzdem kann man
kritische Fragen stellen. Aber ob damit dieses oder jenes
gemeint sein könnte, alles, was in den vergangenen Tagen diskutiert wurde, ist negativ beantwortet, und das ist
gut so.
Ich will ein Wort zu AWACS sagen, weil das heute
Morgen eine Rolle spielte. Ich kann für die Bundesregierung sagen, dass eine zusätzliche Verlegung von
AWACS zu diesem Zweck nicht beantragt, nicht beabsichtigt ist und auch nicht stattfindet. Das ist ein klarer
Punkt. Dass das, was ohnehin im Rahmen der NATO
routinemäßig - „routinely“ wird es in diesem Antrag
heißen - da ist, selbstverständlich weiterhin genutzt werden kann, das versteht sich, glaube ich, von selbst. Das
wird auch der Fall sein. Wenn Sie den Antrag im Einzelnen lesen, werden Sie das genau bewerten können. Wir
werden im Ausschuss sicher noch darüber beraten.
Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen - Herr
Westerwelle hat es vorhin gesagt -: Wir sind entschlossen, den Antrag positiv zu beantworten und ihn, wenn
die Voraussetzungen vorliegen, auch schnellstmöglich
positiv zu bescheiden.
Das bedeutet auch - damit komme ich zur Mandatspflicht -, dass wir in der Bundesregierung so schnell wie
möglich ein Mandat dazu erarbeiten und dem Deutschen
Bundestag vorlegen werden. Ich möchte allerdings den
Deutschen Bundestag bitten, das so zu beraten - wir geben uns alle Mühe, was die zeitlichen Abläufe angeht -,
dass wir spätestens in der Dezembersitzung in zweiter
Lesung ein Ergebnis haben. Das wäre, glaube ich, angemessen.
Ich will noch etwas zur Mandatspflicht sagen, weil
wir ein paar Tage mit der Entscheidung zu dieser Frage
gewartet haben. Ich will Ihnen kurz mein Motiv dazu offenlegen. Es kann nicht sein, dass man - das habe ich
schon heute Morgen im Ausschuss gesagt - die Frage
der Mandatspflicht nach politischer Opportunität entscheidet: Da passt es mal; dann sind wir für Mandatspflicht. Da passt es mal nicht; dann machen wir es mal
lieber nicht. Wir definieren das so, wie es gerade politisch passt. - Das wollen wir nicht. Deswegen musste ein
bisschen klarer sein, worum es geht.
Man könnte durchaus argumentieren, dass eine rein
defensive Maßnahme, von der wir überzeugt sind, dass
sie die Gefahr einer Eskalation vermindert und nicht erhöht, gerade deswegen die Mandatspflicht nicht begründet, weil sie die Einbeziehung in militärische Auseinandersetzungen vielleicht unwahrscheinlicher macht. Aber:
Es kommt hier nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr stark auf die zeitliche und inhaltliche Nähe sowie auch auf die Einsatzart an. Danach ist es
völlig eindeutig - nach meiner Überzeugung; das ist die
Überzeugung der Bundesregierung -, dass dieser Vorgang ein Mandat erfordert. Deswegen wird es ein Mandat
geben.
({0})
Ich wollte nur einmal begründen, wo im Einzelnen die
Argumentationslinie verläuft.
So weit zur Türkei. Ich hoffe sehr, dass wir nach einer
ruhigen Debatte dazu auch zu einer gemeinsamen Auffassung kommen. Bei allen Fraktionen möchte ich sehr
dafür werben, dass wir durch öffentliche Äußerungen
- ich sage es einmal ganz schnörkellos - die SPD und
die Grünen nicht auf frühere Äußerungen festnageln,
sondern völlige Freiheit und Offenheit haben. Ich
möchte dafür werben, dass die SPD und die Grünen im
Lichte der jetzigen Entwicklung dem Antrag im Ergebnis zustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu Afghanistan sagen. Wir werden darüber ausführlich debattieren. Die Bundesregierung wird ein neues Mandat beschließen. Das Mandat wird - mit Blick auf die
Regierungsneubildung; es gibt auch einige taktische und
fachliche Gründe, die dafür sprechen - eine etwas längere Laufzeit - 13 Monate - haben. Wir haben dieses
Mandat gemeinsam erarbeitet. Wir haben es auch konsentiert. Wir sind der Überzeugung, dass dieses Mandat
international passfähig, militärisch lageorientiert und
politisch verantwortbar ist.
International haben wir gesagt: together in, together
out. Zusammen sind wir nach Afghanistan hineingegangen; wir gehen auch zusammen heraus. Das ist die internationale Botschaft. Bisher ist es - jedenfalls überwiegend - gelungen, das auch national so zu sehen. Ich
hoffe sehr, dass es dabei bleibt. Das ist im Interesse der
Soldaten.
Nach alledem bitte ich im Interesse der Bundeswehr
um eine breite Zustimmung zu diesem Haushalt.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wenn es um die Parlamentsarmee geht, bedeutet das
mehr, als hier gelegentlich bei Entsendeentscheidungen
Ja oder Nein zu sagen. Es ist eine besondere Verantwortung, die alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag tragen. Dies wissen wir, und diese Verantwortung nehmen
wir auch als Oppositionspartei wahr. Deshalb brauchen
wir diesbezüglich auch keine Belehrungen von Herrn
Mißfelder und vom Kollegen Schockenhoff.
({0})
Diese Verantwortung bedingt aber auch, dass die Regierung ihren Informationspflichten gegenüber dem Parlament nachkommt. Herr Minister, bei Patriot haben Sie
das eben nicht getan. Wenn Sie zuerst mit der Presse reden und wir das dann aus der Zeitung erfahren, haben
Sie unserem eigentlich gemeinsamen Anliegen, eine
gute Debatte zu führen, wirklich keinen Gefallen getan.
({1})
Heute früh hat der Bundestag seine Rechte deutlich
eingefordert. Die Debatte war hilfreich. Das, was Sie
jetzt erklärt haben, ist nötig und hilfreich, vor allen Dingen auch die Absicht der Türkei, schriftlich zu fixieren,
dass diese Raketensysteme keinesfalls eine Veränderung
ihrer - das muss man sagen - bisher sehr verantwortungsvollen Politik an dieser schwierigen Grenzsituation
herbeiführen werden.
Herr Minister, wenn Sie jetzt auch noch sagen würden, dass nicht die Deutschen allein, sondern auch noch
andere Partner, die Patriot-Raketen haben, mit beteiligt
sind, und Sie, Herr Minister, sich am Ende - vielleicht
auch, wenn es um AWACS geht - das Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2008 einmal genau anschauen und auch hier eine Lernkurve haben und feststellen, dass man AWACS mit mandatieren muss, wird
meine Fraktion, glaube ich, vor dem Hintergrund der
Bündnisloyalität über diesen Einsatz verantwortungsvoll
diskutieren und dann verantwortungsvoll entscheiden.
Sie haben heute überhaupt nicht über die Reform gesprochen. Ich glaube, wir müssen trotzdem darüber reden, und zwar vor dem Hintergrund der Türkei-Debatte,
der Mali-Debatte und vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass 16 UNO-Missionen in der Welt dringend technische, infrastrukturelle und logistische Unterstützung von
den Industriestaaten benötigen. Die Debatte der jüngsten
Monate zeigt doch, Herr Minister, dass Sozialdemokraten mit ihrer Einschätzung recht hatten, dass die zukünftigen Einsätze der Bundeswehr eher nicht wie der Afghanistan-Einsatz aussehen werden, sondern es in Zukunft
viele kleine Einsätze geben wird, bei denen es um infrastrukturelle und logistische Unterstützung geht. Herr
Minister, die Reform bildet diese zukünftigen Anforderungen nicht ausreichend ab. Wir haben die Debatte
„Breite vor Tiefe“ schon oft geführt.
Es bleibt richtig, dass man angesichts der veränderten
Welt andere Prioritäten setzen müsste. Doch was machen
Sie? Wir diskutieren über den Einsatz von Patriot-Raketen. In Wirklichkeit wird diese Fähigkeit aber halbiert.
Das ist ein Schmuckstück, über das nur drei Länder in
der NATO verfügen. Wir diskutieren über Hubschrauber.
Und was machen Sie? Statt ein paar in den Südsudan zu
schicken, werden die Hubschrauberfähigkeiten reduziert. Wir reduzieren auch logistische Fähigkeiten, die
wir in Mali gebrauchen könnten.
Herr Minister, Sie haben auf der Kommandeurtagung
die Weizsäcker-Kommission zitiert: Die Bundeswehr ist
zu groß, sie ist falsch zusammengesetzt, sie ist unmodern. - Ja, sie ist zu groß. Sie wird jetzt kleiner. Aber Sie
reduzieren die Bundeswehr mit dem Rasenmäher, wo
der Rasentrimmer angesagt wäre. Die Truppe ist falsch
aufgestellt, falsch strukturiert. Sie bleibt aber falsch aufgestellt, weil Sie alles nur reduzieren, aber die Verhältnisse nicht ändern. Es wurde auch gesagt, die Truppe sei
unmodern. Ich glaube, die Truppe ist nicht unmodern.
Fakt ist aber: Der Etat für Investitionen ist in diesem
Jahr so gering wie nie. Damit schafft man keine modernen Streitkräfte.
({2})
Herr Minister, mich wundert, dass Sie entgegen Ihrem
eigentlichen Politikstil angefangen haben, Ihre Reform
kommunikativ ein bisschen zu überhöhen. Sie reden
nicht mehr von einer Reform oder einer Transformation.
Sie reden von einer Neuausrichtung, als ob man das Rad
neu erfinden würde. Wahr ist doch: Es gibt neue Strukturen im Ministerium und in den nachgeordneten Behörden. Das ist in Ordnung. Das kann man so machen. Bei
der Truppe selbst ist aber überhaupt nichts Neues angekommen. Es kommt nur weniger an, aber nichts Neues.
Das heißt, diese Reform ist konzeptionell nicht auf der
Höhe der Zeit.
Was genauso schlimm ist, Herr Minister: Sie ist auch
handwerklich zumindest in Teilen sehr schlecht. Das ist
dann besonders schlimm, wenn Menschen bei der Bundeswehr vom schlechten Handwerk betroffen sind. Sie
erzählen, die Reform sei erfolgreich. Herr Minister, die
Reform ist so erfolgreich, dass die aktiven Soldaten erklären, dass sie ihren Kindern eigentlich nicht mehr
empfehlen können, den Soldatenberuf zu wählen.
({3})
Die schlechte Stimmung in der Truppe hat auch etwas
mit Unsicherheiten zu tun; Herr Minister, da haben Sie
recht. An der Spitze des Hauses haben Sie die Erwartung
geweckt, dass im Herbst dieses Jahres alle Soldatinnen
und Soldaten Klarheit über ihre Zukunft bekommen
würden. Das ist aber nicht der Fall. Dies zerstört Vertrauen. Dabei ist Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten
die wichtigste Basis, die die Politik schützen muss.
Herr Minister, Sie haben ein Attraktivitätsprogramm
geschrieben, aber am Ende wird nur ein Drittel davon
umgesetzt. Das Schlimmste ist, dass Sie gerade dort, wo
es besonders wichtig ist - es geht um die bessere Vereinbarkeit des Soldatenberufs mit der Familie -, nur das
Türschild austauschen. Sie schreiben statt „Büro XY“
„Familienzimmer“ oder „Mutter-Kind-Zimmer“ darauf.
Wenn man sich die Sache genau anschaut, stellt man
fest, dass eine junge Mutter, die nicht von Bayern nach
Norddeutschland versetzt werden kann - ich habe viele
solche Fälle auf dem Schreibtisch -, einen kaltherzigen
Bescheid bekommt, der besagt, dass familiäre Belange
nicht interessieren und sie ihrem Truppenteil folgen
muss. Zivilbeschäftigte, die vor Jahren ihre Arbeitszeit
reduziert haben, weil sie kleine Kinder hatten, und jetzt,
da die Kinder groß sind, wieder mehr arbeiten wollen,
erhalten allesamt eine Absage: Sie können ihre Arbeitszeit nicht mehr erhöhen. Das ist genau das Gegenteil von
einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
({4})
Die Zivilbeschäftigten bestrafen Sie sowieso mehrfach. Sie reduzieren ihre Zahl ohne entsprechende Aufgabenkritik. Sie verschieben einen Teil zu anderen
Ressorts und nehmen den Zivilbeschäftigten die Freiheit
- eines der wenigen Attraktivitätsmittel -, zwischen
Trennungsgeld und Umzugsgeld zu wählen. Am
schlimmsten ist: Sie nehmen deren Sorgen nicht ernst
und sagen nicht ehrlich, dass einige Hundert Zivilbeschäftigte nachher unter einen anderen Tarifvertrag fallen, der möglicherweise eine Abqualifizierung um zwei
Stufen zur Folge hat. Wie Sie das heilen wollen, sagen
Sie nicht. Aber den Vertrag mit den anderen Ressorts haben Sie schon unterschrieben. So darf man mit Menschen bei der Bundeswehr nicht umgehen.
Dass Sie uns das nicht glauben, kann ich verstehen.
Wenn aber Ihre eigenen Haushälter einen Antrag einbringen, der deutlich macht, dass Sie bei der Verlagerung
des Personals nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ verfahren, und in dem sie sagen, dass sie gegen
diese Verlagerung sind, dann sollten Sie, Herr Minister,
vielleicht doch einmal innehalten und prüfen, ob bei dieser Reform alles richtig ist, und nicht starr an Vorgaben
festhalten.
({5})
Herr Minister, wir appellieren an Sie: Justieren Sie
diese Reform nach! Machen Sie das bitte jetzt und nicht
erst dann, wenn sich die neuen Strukturen verfestigt haben. Die Soldaten machen sich viele Sorgen. Wenn die
Struktur nicht trägt - es gibt, wie wir wissen, Bereiche,
die nicht zukunftsfähig sind -, muss eine kommende
neue Regierung das sofort wieder angehen. Justieren Sie
jetzt nach, bevor sich eine falsche Struktur verfestigt!
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Verzichten Sie auf die
Auslagerung von Zivilpersonal in andere Ressorts! Warten Sie zumindest so lange ab, bis der Bundesrechnungshof klar sagt, ob diese Reform etwas bringt oder ob sie
- das sage ich Ihnen voraus - mehr kostet.
Herr Minister, machen Sie noch eines: Lassen Sie die
Sorgen der Soldaten ein bisschen näher an sich heran! Es
ist nicht so, dass die Spitze entscheidet und dann die
Nachgeordneten für die Umsetzung verantwortlich sind.
Lassen Sie die Probleme an sich heran, und zeigen Sie,
dass es sich wirklich um Ihren Verantwortungsbereich
handelt und Sie da Verantwortung wahrnehmen.
Die Bundeswehr wirbt mit dem Satz - das ist ja Ihr
Lieblingsslogan, Herr Minister, und es ist nicht schlecht,
an das Verantwortungsgefühl von Bürgern und Soldaten
zu appellieren -: „Wir.Dienen.Deutschland.“ Herr
Minister, ergänzen Sie diesen Slogan durch einen etwas
abgewandelten Slogan: „Wir.Dienen.Den Menschen bei
der Bundeswehr.“ Das ist die Aufgabe der Ressortspitze.
Recht herzlichen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich freue mich besonders über die große
Harmonie, die wieder einmal in der Debatte über den
Einzelplan 14 herrscht.
({0})
Ich möchte mich als Verteidigungspolitikerin dem Dank
an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss anschließen. Sie haben gemeinsam die Bundeswehr in schwieriger Zeit, in der der Einspardruck auf
alle Ressorts erheblich ist, in die Lage versetzt, in den
nächsten Jahren solide zu wirtschaften. Das ist vor dem
Hintergrund, dass die Mittel im Bundeshaushalt insgesamt gesenkt wurden, eine Leistung, die auf das Konto
der Haushälter geht. Dafür danken wir Ihnen als Verteidigungspolitiker sehr herzlich.
Verehrter Kollege Arnold, Sie haben auf die Reform
abgestellt und an den Minister appelliert, die Sorgen der
Soldaten näher an sich herankommen zu lassen. Erinnern wir uns daran, dass Thomas de Maizière seit seinem
Amtsantritt vor der Aufgabe steht, die Aussetzung der
Wehrpflicht, die Umsetzung der Bundeswehrreform, die
Umsetzung von Auslandseinsätzen und die Rückverlegung der Truppe aus Afghanistan zu managen. Ich
glaube, wir hätten uns keinen besseren Minister und
keine bessere Persönlichkeit wünschen können, um all
diese Dinge auf den Weg zu bringen.
({1})
Es war auch vernünftig und klug, im Rahmen des Reformbegleitgesetzes eine Evaluation vorzusehen. Aber
eine Evaluation macht erst dann Sinn, wenn es einen
Zeitraum gibt, über den man tatsächlich befinden kann.
Wir sollten der Reform schon eine gewisse Zeit geben,
damit sie greifen kann. Dann können wir gegebenenfalls
im Rahmen des Evaluationsauftrages Änderungen Rechnung tragen.
Ich möchte an dieser Stelle auch auf die aktuellen Ereignisse eingehen, über die wir hier heute schon diskutiert haben. Eine ganz wesentliche Erkenntnis ist - das
ist selbstverständlich -: Die Welt wird nicht friedlicher.
Das Ende des Kalten Krieges führt nicht sozusagen zum
Ende der Geschichte, was seinerzeit viele in einem
Überschwang der Freude formuliert haben.
({2})
Vielmehr werden wir in Zukunft mit vielen kleinen Konflikten konfrontiert werden, die Auswirkungen auf die
Stabilität von Regionen haben und durch die globale
Vernetzung auch auf uns. So wie viele Kollegen, die sich
häufig in diesen Krisenregionen bewegen, glaube auch
ich, dass gerade dort Ansprüche an die Bundesrepublik
Deutschland im Hinblick auf die Herstellung von Sicherheit gestellt werden. Man erwartet von uns eben nicht,
dass wir uns hinsetzen und die Hände in den Schoß legen, sondern man erwartet, dass wir mit den Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen, dort in der Welt, wo
wir glauben, tätig sein zu können und zu müssen - vor
allen Dingen auch im Rahmen des Bündnisses -, unseren Beitrag leisten.
Es war insofern sehr klug und richtig, dass die Bundesregierung auf die Anfrage des türkischen Bündnispartners zur Entsendung von Patriots positiv reagiert hat.
Welchen Sinn hat ein Bündnis überhaupt, wenn nicht
den, dass ein Mitglied, das in eine Lage gerät, in der es
den Eindruck hat, dass seine Sicherheit gefährdet ist, an
die anderen Bündnispartner appellieren kann? Die jetzt
angeforderten Fähigkeiten hat die Türkei nicht, aber die
Amerikaner, die Niederländer und die Deutschen haben
sie. Ich finde es sehr klug, dass die Bündnispartner, die
die Fähigkeit haben, dann auch in so einem Fall zusammenarbeiten.
Meine Hoffnung ist, dass wir endlich mit dem Mythos
bezüglich der Parlamentsbeteiligung aufräumen. Häufig
hört man die Frage: Kann sich ein Partner mit Parlamentsbeteiligung - das wird immer als Parlamentsvorbehalt bezeichnet - innerhalb eines Bündnisses überhaupt
an solchen Aktionen beteiligen? Selbstverständlich kann
er das. Ich glaube, dass die Haltung dieses Parlaments,
die hier in der Kürze der Zeit dargestellt worden ist - mit
allen berechtigten Fragen, die zu beantworten sind -,
deutlich macht, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Herr Minister, wenn die Bundesregierung jetzt zügig ein tragfähiges Mandat formuliert, dieses auch kommuniziert und uns vorlegt, ist es nach meiner festen
Überzeugung selbstverständlich leistbar, dass dieses Parlament noch in diesem Jahr unter Beweis stellt, dass es
die Bündnisverpflichtung unseres Landes mitträgt. Für
mich ist das überhaupt keine Frage.
({3})
Ich wünsche mir dann aber auch, dass angesichts
möglicherweise wieder auftretender Konflikte in den
Verhandlungen - wir wünschen uns natürlich alle, dass
diese nicht mehr auftreten - vonseiten der Bundesregierung proaktiv auf NATO-Ebene gesagt wird: Liebe
Freunde, eurem Eindruck, dass der Parlamentsvorbehalt
in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Störung der
Abläufe im Bündnis führt, widersprechen wir mit Vehemenz.
({4})
Wir können bei den Truppenbesuchen, die wir machen, feststellen - das finde ich sehr gut; den Kollegen
geht es sicherlich genauso -, dass inzwischen viele Soldatinnen und Soldaten sagen: Gott sei Dank haben wir
diesen Parlamentsvorbehalt. Dadurch wissen wir und
unsere Familien zu Hause, dass wir, wenn wir in einen
Einsatz geschickt werden, eine breite politische Rückendeckung haben und nicht permanent Gegenstand politischer Debatten sind. Ich wäre als Regierung froh, wenn
die Debatte vorher geführt wird und sich nicht im Nachhinein über einen Zeitraum von einem halben Jahr, einem oder mehreren Jahren hinzieht. Denn dann wissen
unsere Soldatinnen und Soldaten nicht, wer sie unterstützt. Wir führen die Debatte jetzt, also vorher, und räumen hoffentlich alle Fragen aus. Dann wissen unsere
Soldatinnen und Soldaten, dass sie mit der breiten Rückendeckung aller Verfassungsorgane dieses Landes in
ihren schwierigen Einsatz gehen.
Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion - dies gilt aber wohl für uns alle - allen Soldatinnen
und Soldaten höchste Anerkennung für das übermitteln,
was sie für uns unter schwierigen Bedingungen, aber
auch, ich nenne es einmal so, im normalen Dienstbetrieb
- auch diese Kameradinnen und Kameraden sollten wir
nicht vergessen - leisten, und ihnen sagen, dass wir als
Parlament hinter ihnen stehen. Über den Haushalt und
über die Parlamentsbeteiligung stellen wir unter Beweis,
dass sie sich auf die Parlamentarier in diesem Hause verlassen können.
Vielen Dank.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Christine Buchholz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
fürchte, ich muss an dieser Stelle die traute Harmonie in
diesem Haus - von SPD bis FDP - etwas eintrüben.
({0})
Das betrifft sowohl die aktuelle Zuspitzung im türkischsyrischen Grenzkonflikt als auch die Kritik am sogenannten Verteidigungshaushalt. Über 33 Milliarden Euro
sollen in einen Etat gesteckt werden, der eine global
agierende Interventionsarmee finanziert. Es geht nicht
um Verteidigung. Es geht darum, dass die Bundeswehr
in immer mehr Auslandseinsätze geschickt werden soll.
({1})
Kosovo, Afghanistan, Sudan, Somalia - die Liste wird
immer länger. Nun kommen auch noch der türkisch-syrische Grenzkonflikt und Mali hinzu.
Zu Ersterem. Jetzt ist es amtlich: Die Bundesregierung ist entschlossen, die Bundeswehr an die türkischsyrische Grenze zu verlegen. Sie behaupten, es geht um
die Verteidigung des NATO-Bündnispartners Türkei.
({2})
Herr de Maizière, Sie können doch nicht ignorieren, dass
die türkische Regierung eine eigene Agenda in dem
Grenzkonflikt verfolgt. Ankara fordert seit langem die
Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien. Sie beziehen sich jetzt darauf, dass in der Anfrage davon nicht
die Rede ist. Aber natürlich geht die Entwicklung weiter.
Was machen Sie, wenn die Entwicklung tatsächlich weitergeht und auf politischer Ebene die Flugverbotszone
umgesetzt werden sollte?
({3})
Das Ziel ist meines Erachtens klar: Die Erdogan-Regierung will die NATO in eine militärische Auseinandersetzung mit hineinziehen. Mit der Stationierung der Patriot-Raketen kommt sie dabei einen entscheidenden
Schritt voran. Es ist schlimm, dass die Bundesregierung
das auch noch unterstützen will.
({4})
Sie riskieren, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen wird. Dabei gibt es doch erste Warnzeichen:
Das türkische Parlament hat Anfang Oktober dieses Jahres einer Gesetzesvorlage zugestimmt, die einen Einsatz
der Armee in Syrien ermöglicht. Die türkische Armee
hat 250 Panzer an die syrische Grenze verlegt. Die Zeitung Hürriyet berichtet unter Berufung auf Militärkreise
- ich zitiere -:
Die Planungen für eine mögliche Intervention im
Nachbarland laufen auf Hochtouren, … die Überlegungen sehen vor, einen Panzereinsatz durch Luftangriffe auf syrische Stellungen vorzubereiten.
Aber Sie, Herr de Maizière, reden hier von Verteidigung.
Nein, meine Damen und Herren, die Stationierung der
Patriot-Raketen ist nicht geeignet, um Menschen in der
syrischen-türkischen Grenzregion vor Mörserbeschuss
zu schützen. Sie ist auch keine Unterstützung für die syrische Demokratiebewegung.
({5})
Wir sagen: Es gibt keine Bündnisverpflichtung zur
Unterstützung der türkischen Kriegsvorbereitungen. Dafür dürfen kein Cent und kein Soldat bereitgestellt werden.
({6})
Unsere Solidarität gilt der syrischen Demokratiebewegung und der türkischen Friedensbewegung.
({7})
Was in aller Welt soll die Bundeswehr in Mali? Die
Bundesregierung hat entschieden, die Entwicklungszusammenarbeit mit Mali auszusetzen, nachdem die dort
gewählte Regierung im März dieses Jahres weggeputscht wurde. Aber nun soll die aus diesem Putsch hervorgegangene Regierung bei der militärischen Rückeroberung der Tuareg-Gebiete unterstützt werden.
Die Tuareg-Rebellen bieten seit Monaten Verhandlungen an. Aber anstatt darauf einzugehen, unterstützen EU
und Bundesregierung die abenteuerlichen Angriffspläne
der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS.
Das kann nur zu einem fürchterlichen und langwierigen
Krieg führen, der noch mehr Leid und Zerstörung bringen
wird. Die Bundeswehr darf für solch einen Krieg nicht
zur Verfügung stehen, weder als kämpfende Truppe noch
durch Entsendung von Ausbildern.
({8})
Die Bundesregierung verpulvert das Steuergeld der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine Politik,
die deutsche Soldaten an immer mehr Fronten in dieser
Welt schickt. Für 2013 sind dafür direkt über 1 Milliarde Euro eingeplant. Aber indirekt sind die Kosten
noch viel höher.
Nehmen wir als Beispiel die Beschaffung des
A400M. Dieser Airbus hat nur einen Zweck: Er soll Soldaten und Material in alle Welt verfrachten. Im neuen
Haushalt schlägt allein das mit 725 Millionen Euro zu
Buche. In den kommenden Jahren ist mit weiteren 7 Milliarden Euro zu rechnen.
Es kann doch nicht angehen, dass Sie hier einen Fiskalpakt „durchstimmen“, der Deutschland und Europa
ein Kürzungsdiktat aufzwingt, wenn es um Soziales
geht, dass aber für die Entsendung von Truppen Jahr um
Jahr immer neue Milliarden bereitstehen.
Holen Sie lieber die Soldaten aus Afghanistan und
den anderen Auslandseinsätzen zurück! Schicken Sie
keine weiteren Soldaten ins Ausland! Es gibt unzählige
Möglichkeiten, dieses Geld für soziale und humanitäre
Zwecke in Afghanistan und anderen Ländern auszugeChristine Buchholz
ben, beispielsweise für Flüchtlinge, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen sind. Hören Sie aber endlich
auf, dieses Geld für das Militär zu verpulvern!
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Agnes Brugger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, nein, es sind noch nicht alle Fragen beantwortet,
({0})
weder nach der heutigen Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, die wir Grüne beantragt haben, noch
nach Ihrem Beitrag in dieser Debatte. Sie haben einige
Fragen beantwortet; aber viele wichtige Fragen sind
noch offen. Man muss sich damit auseinandersetzen, bevor man eine Zusage gibt.
({1})
So konnten Sie uns heute Morgen nicht erklären, Herr
Minister, inwiefern ausgerechnet Patriot-Raketen, die
gegen Mittelstreckenraketen, aber auch gegen Flugzeuge
und Hubschrauber eingesetzt werden können, ein geeignetes Mittel darstellen sollen, um auf die Spannungen im
türkisch-syrischen Grenzgebiet zu reagieren. Gegen den
Beschuss durch Mörser - das ist das, was gerade passiert - können sie nämlich nichts ausrichten.
Sie konnten auch noch nichts dazu sagen, wo genau
die Patriot-Raketen und damit auch die Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr stationiert werden sollen. Das
ist auch eine wichtige Frage.
Außerdem gibt es bisher auch keine Antwort darauf,
was denn passiert, wenn die NATO, zum Beispiel durch
einen Beschuss der Stellungen, in diesen bewaffneten
Konflikt hineingezogen wird.
({2})
Sie können sich doch nicht einer offenen und ehrlichen Diskussion über das Eskalationsrisiko und über die
Gefahr, Konfliktpartei in einem schweren regionalen bewaffneten Konflikt zu werden, verweigern.
({3})
Auch ich finde, dass wir die Türkei in dieser schwierigen Situation unterstützen müssen. Meine Damen und
Herren von der Koalition, Sie reden von Bündnissolidarität.
({4})
Deshalb frage ich zurück: Wo ist Ihre Solidarität mit unseren Partnern, wenn es darum geht, zum Beispiel die
Winterprogramme der UN für die Flüchtlingslager in
den Nachbarstaaten zu finanzieren?
({5})
Wo ist Ihre Solidarität, wenn es darum geht, durch die
Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien in Deutschland
die Türkei zu entlasten?
({6})
Da kann ich nur feststellen, dass Sie keine Ahnung davon haben, was Solidarität und Verantwortung bedeuten.
Wir Grüne wissen das sehr wohl. Wir haben hier im
Bundestag beantragt, dass Deutschland syrische Flüchtlinge aufnimmt. Schwarz-Gelb hat das leider kaltherzig
abgelehnt.
({7})
Verantwortungslos, aber auch kopflos: das ist die
schwarz-gelbe Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Unverantwortlich und kopflos: Das ist auch der Verteidigungshaushalt. Große Teile des Geldes werden für unsinnige Projekte oder unsinnige Beschaffungen ausgegeben; der Kollege Lindner hat dazu schon einiges gesagt.
Damit meine ich in erster Linie gar nicht die Luftkissenfahrzeuge und die bundeswehreigene Sonnencreme, die
nicht nur in der heute-show für Lacher gesorgt haben.
Viele wichtige Fragen, die gerade im Reformprozess
eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Vereinbarkeit
von Familie und Dienst, packen Sie gar nicht erst an.
Falsche Schwerpunkte, falsche Entscheidungen in der
Sache, kaum Einsparungen - deshalb nenne ich Ihren
Haushaltsentwurf plan- und kopflos.
Wenn Sie, Herr Minister de Maizière, mit einem
zufriedenen Schmunzeln dem Verteidigungsausschuss
berichten, wie Sie im Rahmen der Haushaltsverhandlungen bei Finanzminister Schäuble noch mehr Geld herausschlagen konnten, dann muss ich sagen: Herr de
Maizière, ich kann Ihre Zufriedenheit nicht nachvollziehen, nicht als Mitglied des Verteidigungsausschusses
und insbesondere nicht als junge Politikerin, deren Generation mit den finanziellen Entscheidungen von heute
noch lange wird leben müssen. Sie vergrößern heute den
Schuldenberg - wie mit dem gesamten Haushalt -; die
Zeche zahlen die jungen Menschen dann morgen. Das
nenne ich eine verantwortungslose Politik.
({8})
Gerade wenn man schaut, wofür Sie das Geld ausgeben wollen, wird einem deutlich, dass Sie eindeutig Verantwortungsgefühl vermissen lassen. Das betrifft zum
Beispiel die Pläne zum Kauf bewaffneter Drohnen für
die Bundeswehr. Ohne zu erklären, wofür genau sie
diese neuen Waffensysteme einsetzen will, holt die Bundesregierung schon einmal Angebote für die Beschaffung waffenfähiger Kampfdrohnen ein. Der zunehmende
Einsatz solcher Systeme hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Kriegsführung. Dies zeigen nicht zuletzt
die Drohnen, die von den USA im Rahmen der Terrorismusbekämpfung zu gezielten Tötungen eingesetzt wurden und deren Einsatz in den letzten Jahren zahlreiche
zivile Opfer gekostet hat. Nicht umsonst heißen diese
Drohnen übersetzt „Raubtier“ und „Sensenmann“.
Wir alle müssen uns doch die Frage stellen, ob der
Einsatz solch ferngesteuerter Systeme nicht dazu führt,
dass die Hemmschwelle zum Einsatz militärischer
Gewalt sinkt, und das sowohl bei politischen Entscheidungsträgern als auch bei den Militärs im Einsatz.
Darüber hinaus besteht beispielsweise auch die Gefahr
eines Rüstungswettlaufs. Um genau diese Fragen zu prüfen und zu diskutieren, haben wir Grünen im April einen
Antrag eingebracht. Im Ausschuss haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diesen Antrag abgelehnt.
Es ist doch schockierend, wie Schwarz-Gelb aus dem
bloßen Drang, technologisch mithalten zu wollen, die
Risiken, die mit neuen Waffensystemen einhergehen
bzw. verbunden sein können, konsequent ignoriert.
Für meine Fraktion kann ich Ihnen sagen: Wir werden
nicht nachlassen, Ihnen diese Diskussion abzuringen.
Denn ohne eine solche ehrliche ethische, friedenspolitische, völkerrechtliche und abrüstungspolitische Debatte
kann es aus unserer Sicht auch keine Beschaffung solcher Drohnen geben.
({9})
Deshalb: Hören Sie endlich auf mit dieser kopflosen
und verantwortungslosen Sicherheitspolitik, und fangen
Sie endlich an, Ihre Sparversprechen mit Verantwortung
umzusetzen!
Vielen Dank.
({10})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Henning
Otte das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte um den Verteidigungshaushalt geht es
um Zahlen, aber eben nicht nur um Zahlen. Hier geht es
um Männer und Frauen, die oftmals einen schwierigen
und gefährlichen Dienst für unser Land leisten. Ihnen
gebühren unsere ungeteilte Wertschätzung und unser
Dank, auch und insbesondere in der Phase der großen
Veränderungen im Rahmen der Neuausrichtung unserer
Bundeswehr. Man kann ja von der Linken sagen, was
man will. Aber dass die Leistungen unserer Soldatinnen
und Soldaten verunglimpft werden, ist nicht in Ordnung.
({0})
Die Neuausrichtung ist notwendig. Man kann über die
besten Mittel und Wege streiten. Das ist Ausdruck demokratischer Kultur und kann im besten Fall zu einem
konstruktiven Miteinander führen. Schade nur, lieber
Kollege Arnold, dass Sie die Kritikpunkte, die Sie hier
in öffentlicher Sitzung mit Inbrunst vorgetragen haben,
nicht auch in der sachorientierten Sitzung des Verteidigungsausschusses vorgetragen haben.
({1})
Diese Koalition hat in den letzten Jahren für die Versorgung und Ausstattung unserer Soldaten viel getan.
Liebe Kollegin Brugger, wenn wir von Ausstattung sprechen - wir sagen ja, wir haben Verantwortung für die
Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten -, sehen
Sie dahinter offensichtlich nur ein Wettrüsten. Das ist
genau der Unterschied zwischen uns beiden. Deswegen
ist es gut, dass wir die Verantwortung tragen.
Lassen Sie mich kurz bilanzieren, was wir in der
christlich-liberalen Koalition in dieser Legislaturperiode
bereits umsetzen konnten.
Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Brugger?
Ja.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Kollege Otte, dass Sie meine Frage zulassen. Ich habe
im Vorfeld einer Beschaffung von Drohnen eine ehrliche
und kritische Debatte über die Auswirkungen gefordert,
die eine solche Beschaffung haben kann. Sie haben mir
gerade unterstellt, ich würde generell die Ausstattung
der Bundeswehr ablehnen.
Ich möchte Sie nur fragen, ob Ihnen jenseits der
ganzen Versorgungsverbesserungsgesetze, die wir hier
gemeinsam beschlossen haben, bekannt ist, dass der Antrag zur Verbesserung der Betreuungskommunikation für
die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, der sogenannte
Skype-Antrag, ursprünglich ein grüner Antrag war?
({0})
Es gibt Dinge, die wir gemeinsam für unsere Soldatinnen und Soldaten beschließen. Dabei hat deren Wohl
Vorrang. Wir waren jüngst im Einsatz und haben uns
davon überzeugt, dass ({0})
- im Gebiet des Einsatzes; Frau Höger, es wäre vielleicht
auch für Sie ganz gut, einmal da hinzufahren - das eine
Maßnahme ist, die bei den Soldatinnen und Soldaten gut
ankommt. Von daher spricht nichts dagegen, wenn wir
hier gemeinsam entsprechende Entscheidungen treffen.
({1})
Ich möchte zur Bilanz zurückkommen:
Der Schutzstatus der Fahrzeuge ist dem Auftrag angepasst worden. Das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz ist eine ganz wichtige Maßnahme. Wir werden in
der nächsten Sitzungswoche die notwendige ISAF-ManHenning Otte
datsverlängerung beschließen. Wir entsenden Soldatinnen und Soldaten in dem Wissen um ihre Pflichterfüllung und ihre gefährlichen Einsätze.
Hinsichtlich der Fürsorgepflicht und der sozialen
Verantwortung haben wir mit dem schon genannten
Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz viel erreicht.
Wir konnten die Versorgung der im Dienst Geschädigten
sowie der Hinterbliebenen maßgeblich verbessern. Die
Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes und die Gehaltserhöhung sind ganz wichtige Maßnahmen, die wir
in der christlich-liberalen Koalition durchgesetzt haben.
Mit der Verabschiedung des BundeswehrreformBegleitgesetzes haben wir die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen für Bundeswehrangehörige und - ich sehe
den Kollegen Hochbaum - auch für diejenigen mit
NVA-Vordienstzeit aufgehoben. Das war eine wichtige
Note.
Das alles war ein wichtiger, von uns herbeigeführter
Paradigmenwechsel. Damit haben wir weiterhin Richtiges und Wichtiges auf den Weg gebracht.
Ich danke an dieser Stelle dem Ministerium und allen
voran Herrn Verteidigungsminister Dr. de Maizière
sowie allen Kolleginnen und Kollegen dafür, dass wir
dieses gemeinsam erreichen konnten.
({2})
Ich bin zuversichtlich, dass wir auch die weiteren
Aufgaben gemeinsam bewältigen werden. Die Vereinbarkeit von Dienst und Familie sehe ich dabei durchaus
als einen ganz wichtigen Punkt an - auch für die Zufriedenheit unserer Soldaten und zur Attraktivitätssteigerung.
Eine asymmetrische Sicherheitslage, eine entsprechende Einsatzrealität, die Finanzierbarkeit und die
demografische Entwicklung: Das sind Faktoren, die
nicht nur eine Veränderung unserer Bundeswehr, sondern auch eine Neuausrichtung erforderlich machen.
Diese Neuausrichtung ist die richtige Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen. Ich freue mich,
mit wie viel Interesse diese Neuausrichtung auch außerhalb der Politik und der Streitkräfte wahrgenommen
wird.
Gerade auch im Hinblick auf den Haushalt ist die
Frage grundlegend, welches Fähigkeitsspektrum die
Bundeswehr vorhalten sollte. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien steht als Grundlage der Neuausrichtung der Grundsatz „Breite vor Tiefe“. Das bedeutet,
dass unsere Streitkräfte ein möglichst breites Fähigkeitsspektrum beherrschen sollen, um sowohl die politischen
wie auch die militärischen Handlungsoptionen nutzen zu
können. Das wird durch den Einzelplan 14 und auch
durch die mittelfristige Finanzplanung abgebildet.
Wer die sicherheitspolitischen Entwicklungen aufmerksam betrachtet, wird feststellen, dass die Aufgaben
offensichtlich nicht weniger werden. Gerade darum müssen wir über benötigte Fähigkeiten vor dem Hintergrund
unserer Verantwortung innerhalb unseres Bündnisses
sprechen. In der heutigen Zeit kann kein europäischer
Einzelstaat alle Fähigkeiten vollumfänglich wie bisher
vorhalten.
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit, das Teilen
von Aufgaben und das Streben nach integrativen europäischen Prozessen und internationalen Strukturen sind
grundlegende Aspekte im Miteinander einer guten
Bündnispolitik. Wie Bündnispolitik aussieht, erleben wir
hochaktuell. Die Frage ist: Soll Deutschland die Türkei
durch die Entsendung von Patriot-Abwehrraketen unterstützen? Erstens. Ein NATO-Partner bittet um Unterstützung. Zweitens. Wir haben diese Fähigkeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
jeder Einsatz unserer Bundeswehr wird grundlegend diskutiert und geprüft. Das ist für uns selbstverständlich.
Unverständlich ist allerdings, wie man einerseits übereilt
immer den vollständigen Beitritt der Türkei in die EU
fordert und andererseits ebenso übereilt, beinahe reflexartig, eine Unterstützung eben dieses Landes infrage
stellt. Entweder das passt nicht zusammen, oder dahinter
steht eine Doppelmoral.
({3})
Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt
ein verlässlicher Partner innerhalb unseres Bündnisses.
Ich bin Verteidigungsminister de Maizière dankbar
dafür, dass er an dieser Verlässlichkeit von Anfang an
keinen Zweifel gelassen hat, uns schon vor Eingang der
offiziellen Anfrage heute in der Sitzung des Verteidigungsausschusses frühzeitig informiert
({4})
und sehr deutlich dargestellt hat, dass es sich hier um ein
defensives Vorgehen handelt.
({5})
Deutschland steht zu seiner Verantwortung und zu
seiner Bundeswehr. Der vorliegende Haushalt zeigt
diesen politischen Rückhalt für unsere Streitkräfte auf.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Einzelplan 14 daher selbstverständlich zu.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zum Ende dieser Debatte noch zwei Bemerkungen machen, die eine zu einem haushaltspolitischen Fachthema und die andere zur Debattenpolitik des
Verteidigungsministers.
Als Fachthema kann man sich ein Thema aussuchen;
ich habe mich für die Beschaffung der Hubschrauber für
unsere Bundeswehr entschieden. Seit 1990 planen wir
die Einführung des Marinehubschraubers MH-90. Dabei
haben wir die unterschiedlichsten Phasen der Nichtbeschaffung dieses Hubschraubers unter verschiedensten
Regierungen erlebt. Auch Sozialdemokraten waren beteiligt, aber die drei Verteidigungsminister der letzten
sieben Jahre gehörten einer anderen Fraktion an. Wir
warten immer noch auf die ersten einsatzfähigen Hubschrauber.
({0})
- Wunderbar. Also einen hält er aus.
({1})
Jetzt ist nach Jahren der Verschiebung, Veränderung,
Streckung beschlossen worden, nicht mehr 122, sondern
nur noch 80 Hubschrauber anzuschaffen. Ich habe einmal nachgefragt, wie jetzt der Sachstand ist. Die Antwort des Staatssekretärs Beemelmans: Es wird weiterhin
intensiv an einer für beide Seiten akzeptablen Lösung
gearbeitet. - Auch das kommt nicht voran. Eigentlich
kommt da gar nichts voran.
Wir sind im Übrigen der Meinung: Wir brauchen eher
mehr als weniger Hubschrauber, also keine Reduzierung. Wir brauchen Hubschrauber, um die regionalen
Bündnisse, die wir stärken wollen, besser unterstützen
zu können. Hier soll nicht systematisch reduziert werden, wie das bei dem Rest der Bundeswehr gemacht
wird, sondern es müssen Schwerpunkte gesetzt werden.
Für die Anschaffung des Kampfhubschraubers Tiger
gilt Ähnliches. Deren Zahl soll von 80 auf 40 reduziert
werden. Die Antwort ist die gleiche. Auch da gibt es
noch keine Lösung. Wir sind allerdings damit einverstanden, dass hier die Anzahl reduziert wird. Wir brauchen nicht mehr ganz so viele Kampfhubschrauber wie
zu der Zeit der Bedrohung durch Panzer.
Noch eines zu den Einsätzen in Afghanistan, die jetzt
geplant werden. Es macht Freude, die Antworten des
Staatssekretärs Beemelmans zu lesen. Frage: Wie oft ist
der Einsatz in Afghanistan verschoben worden? Antwort: Für den UH-Tiger wurden die Planungen zweimal
verschoben. Für den MH-90 ist der Einsatz insgesamt
dreimal verschoben worden. - Auch die jüngere Geschichte ist, was die Hubschrauber angeht, also keine Erfolgsgeschichte. Sie müssen sich da besonders anstrengen. Sie sind nicht der Erste, der sich anstrengen muss,
aber vielleicht erreichen Sie wirklich ein Ergebnis hinsichtlich des Einsatzes in Afghanistan im nächsten Jahr.
Der MH-90 ist der Ersatz für „Sea King“ und „Sea
Lynx“, ein Marinehubschrauber, welchen Musters auch
immer. Die erste Auslieferung war einmal für 1999 geplant, dann für 2011, dann für 2015. Im Moment gibt es
noch kein neues Datum, weil es keinen Vertrag gibt. Bis
heute gibt es keinen Beschaffungsvertrag für einen
neuen Marinehubschrauber. So können Sie mit den Anforderungen unserer - zugegeben - kleinsten, aber nicht
unwichtigsten Teilstreitkaft nicht umgehen.
Ich habe Ihnen einmal ein wunderschönes Foto mitgebracht, das in einer regionalen Tageszeitung zu sehen
war. Darauf sehen Sie fünf „Sea-King“-Hubschrauber,
nicht flugfähig, auf einem Ponton, der auch nicht von
selbst fährt, gezogen von einem Schlepper durch den
Nord-Ostsee-Kanal bei der Verlegung von Kiel nach
Nordholz. Das soll nicht die Zukunft der Marine oder
der Hubschrauberei werden.
({2})
Aber es ist ein Sinnbild dafür, dass hier etwas nicht funktioniert. Reformieren Sie das Beschaffungswesen so,
dass die Maschinen zulaufen. Dies ist alles schon lange
geplant und muss jetzt kommen.
({3})
Bezüglich des leichten Unterstützungshubschraubers
haben wir im Verteidigungsausschuss relativ einhellig
beschlossen: Wir wollen ihn haben. Dafür ist im Verteidigungshaushalt für nächstes Jahr Geld eingestellt. Jetzt
bin ich gespannt, ob Sie das hinbekommen. Der Beschluss ist da, das Geld ist da, jetzt müssen Sie ihn
nächstes Jahr beschaffen. Versuchen Sie das einmal!
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Debattenpolitik. Wir haben in der Frankfurter Rundschau in
einem Aufsatz vom Verteidigungsminister gelesen, dass
er sich Gedanken darüber macht, wie die Debatte zu
Auslandseinsätzen in Deutschland befeuert werden
kann. Er schreibt zu den Auslandseinsätzen:
Welche Überzeugungen leiten uns Deutsche dabei?
Welche Ansprüche stellen wir dabei an uns selbst?
Diskussionen? Fehlanzeige!
Nun gibt es eine Diskussion, die der Verteidigungsminister selbst angestoßen hat: Das ist die über Veteranen. Da bin ich nicht so ganz sicher, dass das die Diskussion ist, die wir in Deutschland am dringendsten zu
führen haben. Es soll auch eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr geben, die besagt:
Das ist in Deutschland nicht von zentralem Interesse. Ich
glaube, auch die Soldaten, die aus einem Einsatz zurückgekehrt sind, interessiert nicht, ob man sie als Veteranen
bezeichnet. Das ist für einen 34-jährigen Industriemeister, der als Hauptfeldwebel in Afghanistan im Einsatz
war, sicherlich nicht der richtige Begriff, um sich damit
identifizieren zu können. Sie können diese Debatte gerne
zu einem guten Ende bringen, aber es ist nicht die wichtigste Debatte, die wir zu führen haben.
Wir sollten vielmehr eine andere Debatte führen - ich
bin auch dankbar dafür, dass das schon zweimal angeklungen ist -, aber wir müssten sie separat führen. Sie
betrifft das, was Frau Bundeskanzlerin bei der Bundeswehrtagung in Strausberg auf den Punkt gebracht hat ich zitiere -:
Um aber unsere sicherheitspolitischen Ziele erfolgreich verfolgen zu können, sind wir als EU oder als
NATO-Partner auch darauf angewiesen, dass in Zukunft auch andere Länder - insbesondere die, die
wirtschaftspolitisch an Bedeutung gewinnen - VerDr. Hans-Peter Bartels
antwortung übernehmen. Das sage ich ganz besonders im Hinblick auf Schwellenländer.
Sie fügt dann hinzu:
Oftmals reicht es aber nicht, neue Partner nur zu ermutigen. Vielmehr geht es auch um Ertüchtigung.
Ertüchtigung setzt bereits bei guter Regierungsführung an. Sie kann ebenso Ausbildung wie auch Unterstützung bei der Ausrüstung bedeuten.
Das sind bedeutungsschwere Ankündigungen. Es ist
sozusagen eine Art Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Da geht es
nicht mehr um Bündnisse, sondern um einzelne Länder
in anderen Regionen, in denen wir nicht selbst sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen wollen. Das
ist vielleicht keine Erfindung dieser Regierung, sondern
wir haben schon bei dem von Rot-Grün beschlossenen
Einsatz in Osttimor festgestellt, dass es nicht immer
sinnvoll ist, dass Deutschland sich überall auf der Welt
militärisch engagiert.
Sicherlich sollten wir Partner haben, aber wir müssen
auch die Debatte führen, welche Partner wir haben wollen und welche Unterstützung wir ihnen geben wollen.
Ausrüstungsunterstützung ist sicherlich nicht das Erste,
was einem dazu einfällt. Vielleicht fangen wir besser mit
politischer Unterstützung an und kommen dann zur Ausbildungsunterstützung, Herr Minister. Jetzt haben Sie
noch die Chance, bei der Bundeswehrreform nachzusteuern und die Schulkapazitäten der Bundeswehr nicht
ganz so stark zu reduzieren. Statt sie nur auf den eigenen
Bedarf zu reduzieren, sollten Sie eher zusätzliche Kapazitäten für internationale Lehrgänge schaffen.
Wenn Sie diese Politik machen wollen, brauchen Sie
Ausbildungskapazitäten - vielleicht auch in Mali, aber
zunächst einmal bei uns in Deutschland. Das kann man
systematisch tun, wenn man eine solche Politik verfolgen will.
Rüstungsexporte in Länder, die für uns bisher nicht
infrage gekommen sind, fallen uns nicht an erster Stelle
ein. Natürlich ist Indien für uns ein Partner in diesem
Bereich. Das ist richtig. Ob das auch für Indonesien gilt,
wäre diskussionswürdig. Saudi-Arabien ist es ganz sicher nicht, Herr Minister. Diese Diskussion müssen wir
führen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Reinhard
Brandl das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin ein junger Abgeordneter, und weil
Frau Kollegin Brugger das Thema Generationengerechtigkeit angesprochen hat, möchte auch ich etwas dazu
sagen.
Als ich vor drei Jahren die erste Haushaltsdebatte mitgemacht habe, lag der letzte Haushalt der Großen Koalition mit 80 Milliarden Euro Neuverschuldung vor.
({0})
Jetzt sind wir bei 17 Milliarden Euro, mit der schwarzen
Null in Sichtweite. Das sind immer noch 17 Milliarden
Euro zu viel, Frau Brugger. Aber der Schritt von 80 Milliarden auf 17 Milliarden Euro ist schon eine Riesenleistung dieser christlich-liberalen Koalition.
({1})
- Ich habe bewusst gesagt: Große Koalition. Nichtsdestotrotz: Ich bin 2009 gewählt worden. Das war keine einfache Zeit, so einem Haushalt zustimmen zu müssen.
({2})
- Ich gebe zu: Die CDU/CSU war mit dabei, angesichts
der schweren Situation. Aber ich rede jetzt als junger
Abgeordneter, der 2009 gewählt wurde. Uns ist dieser
Schritt gelungen, ohne dass wir irgendetwas kaputtgespart haben.
Nehmen wir einmal den Verteidigungshaushalt. Wir
haben die Bundeswehr in den letzten Jahren verkleinert
und die frei werdenden Ressourcen nicht nur genutzt,
um zu sparen, sondern auch dafür, die Truppe strukturell
besser aufzustellen und den Dienst für die Soldaten attraktiver zu machen.
Zum Thema Attraktivitätsmaßnahmen hat Herr
Arnold von der SPD dankenswerterweise im Oktober
eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Das BMVg hat dann auf 20 Seiten ausführlich geantwortet und insgesamt 46 Einzelmaßnahmen aufgeführt, die bereits umgesetzt sind oder kurz vor der
Umsetzung stehen. Da geht es um soziale Maßnahmen,
materielle Verbesserungen, Verbesserungen der Ausund Fortbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung. Man kann sagen: In diesem Bereich passiert
wirklich viel im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten, und das ist auch gut so.
({3})
Bei den Strukturen ist das Leitmotiv „Breite vor
Tiefe“. Herr Lindner, Sie haben das vorhin kritisch hinterfragt, und das wurde auch von der SPD in der Vergangenheit immer wieder kritisch betrachtet, freilich ohne
dass benannt würde, an welcher Stelle wir denn Fähigkeiten einsparen sollen,
({4})
damit wir uns an anderen Stellen - Stichwort Tiefe mehr spezialisieren können. Ich stimme Herrn Arnold in
dem Punkt zu, dass eine Fähigkeit, für die sich Tiefe anbieten würde, die Raketenabwehr ist. Das ist eine Fähigkeit, über die fast nur Deutschland verfügt. Nur die Niederlande und - außerhalb von Europa - die USA haben
ebenfalls solche Fähigkeiten.
Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder
über die Frage debattiert, warum wir überhaupt ein Raketenabwehrsystem brauchen und wer uns denn angreifen solle. Es wurde gesagt, das sei viel zu teuer. Damals
gab es kein Einsatzszenario. Jetzt ist ein solches Szenario da, und wir brauchen diese Fähigkeit. Wir brauchen
sie aber nicht für uns selbst, sondern für einen unserer
Partner im Bündnis. Jetzt bestünde doch eigentlich eine
gute Chance, Kooperation im Bündnis praktisch zu leben. Was passiert aber plötzlich bei uns? Diejenigen, die
vorher noch mehr Kooperation und eine weitere Vertiefung der europäischen Sicherheitspolitik gefordert haben, eiern herum und fragen: Ist die Türkei aus deutscher
Perspektive genügend bedroht, sodass sie die Patriot-Raketen wirklich braucht, oder ist sie es nicht?
Eine Bedrohungslage kann man natürlich je nach Perspektive immer unterschiedlich einschätzen. Es weiß
keiner genau, wie sich ein solcher Konflikt weiterentwickeln wird.
({5})
Aber entscheidend ist in diesem Fall gar nicht einmal,
wie wir die Bedrohungslage einschätzen, sondern entscheidend ist vor allem, wie der Bündnispartner das
sieht, der sich bedroht fühlt und uns deswegen um Hilfe
bittet.
({6})
Es mag sein, dass Sie als Opposition sich nicht rechtzeitig und vollständig informiert fühlen, aber das ist eine
innenpolitische Frage. Das außenpolitische Signal, das
Sie senden, indem Sie zuerst einmal Nein und dann
„vielleicht“ sagen, ist im Hinblick auf eine vertiefte Kooperation fatal. Was soll denn der Partner von uns denken, der die öffentliche Debatte, die über das Wochenende geführt worden ist, verfolgt? Wenn Sie von der
Opposition Ihre eigenen Forderungen ernst nähmen,
dann müssten Sie in einem solchen Fall sagen: Ja, wir
stellen die Fähigkeit zur Verfügung, aber nur unter bestimmten Bedingungen. - Sie können aber nicht zuerst
Nein und dann „vielleicht“ sagen.
({7})
Auch ich bin für eine vertiefte europäische Kooperation, aber dafür ist ein langer Weg der Vertrauensbildung
notwendig. Das schaffen wir nur, wenn wir uns in solchen Situationen als vertrauenswürdig erweisen und
nicht unserem jeweiligen Partner bzw. demjenigen, der
die Fähigkeit braucht, Hintergedanken unterstellen und
ihn damit öffentlich brüskieren.
Nichtsdestotrotz sind wir heute im Jahr 2012, und die
Reform der Bundeswehr und der Haushalt der Bundeswehr sind für die Jetztzeit gedacht. Wir müssen feststellen, dass wir nicht in allen Bereichen diese vertiefte Kooperation, die wir uns wünschen, strukturell verankert
haben und mit ihr planen können. Deswegen ist der
strukturelle Ansatz der Bundesregierung „Breite vor
Tiefe“ in diesem Haushalt und bei dieser Reform richtig,
und wir tragen ihn mit. Angesichts dessen, was unter den
finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist, ist dieser
Ansatz der Regierung im Haushalt gut finanziert.
Ich habe heute in der gesamten Debatte nicht ein einziges Mal den Vorwurf gehört, wir würden zu wenig für
die Bundeswehr ausgeben.
({8})
Als Verteidigungspolitiker meiner Koalition stelle ich
fest: Damit können wir eigentlich ganz gut leben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 14 ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.12 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Klein
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Priska Hinz ({0})
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der
SPD, ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und
ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen.
Des Weiteren hat die Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion.
Vizepräsidentin Petra Pau
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren nun den Einzelplan 23, den Etat für
Entwicklungszusammenarbeit. Eines muss man ganz am
Anfang feststellen: Dieser Etat bleibt weit hinter den Erfordernissen und den Notwendigkeiten einer internationalen Armutsbekämpfung zurück.
({0})
Von diesem Einzelplan und von dieser Beratung geht
ein fatales Signal aus, nämlich das Signal, dass Deutschland nicht zu seinen internationalen Verpflichtungen zu
stehen bereit ist, dass Deutschland sich nicht weiter an
einer soliden und verlässlichen, gemessen an seiner
Wirtschaftskraft berechneten Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit beteiligt. Wir haben uns leider mit
diesem Haushalt genau davon verabschiedet
({1})
- sehr richtig: wir nicht; die Regierung hat sich davon
verabschiedet -,
({2})
und das, obwohl der Minister bei seiner letzten Rede im
September 2012 den Etat des Einzelplans 23 als Rekordhaushalt bezeichnet hat.
Damals hat er gesagt, dass man sich dem Ziel der sogenannten ODA-Quote verpflichtet sieht, dass wir also
0,7 Prozent von unserem Reichtum abgeben wollen, um
den Ärmsten der Armen zu helfen. Im September dieses
Jahres hat der Herr Minister gesagt - ich zitiere -:
Mit dem Haushalt 2013 behalten wir diese Prioritätensetzung des Koalitionsvertrags bei.
Wo stehen wir jetzt, zwei Monate später? Mittlerweile
muss sogar Herr Niebel zugeben, dass das damals eine
bewusste Täuschung des Parlaments und der Öffentlichkeit war.
({3})
Herr Minister, ich habe Sie vor zwei Monaten gefragt,
mit welchen Maßnahmen Sie es schaffen wollen, dieses
Ziel zu erreichen - angesichts der bekannten Tatsache,
dass der Haushalt seit Beginn Ihrer Regierungsübernahme jährlich um mindestens 1 Milliarde Euro hätte
steigen müssen, um bis zum Jahr 2015 das 0,7-ProzentZiel zu erreichen.
({4})
Sie sind die Antwort schuldig geblieben. Die Steigerungen der letzten Jahre waren verschwindend gering. Mit
diesem Haushalt wird zum ersten Mal - seit vielen Jahren von Ihren Regierungshaushältern befördert und vorangetrieben - der Entwicklungsetat sinken. Ich halte
das für einen Skandal.
({5})
Die Absenkung des Entwicklungsetats um 124 Millionen Euro ist eine fatale Fehlentscheidung. Was aber
nicht geht, ist das, was Sie, Herr Minister, nun gegenüber der Presse praktizieren: Sie tun so, als hätte man
ohne diese Absenkung das 0,7-Prozent-Ziel erreichen
können. Nein, auch das wäre nicht gegangen. Ich wiederhole: Wir hätten über Jahre hinweg deutliche Mittelaufwüchse im Milliardenbereich benötigt, um unseren
Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung weltweit wirklich nachkommen zu können.
({6})
Verstecken Sie sich an dieser Stelle also nicht hinter den
Haushältern - obwohl sie falsch entschieden haben und nicht hinter dem Parlament. Es wäre schön gewesen,
wenn Sie den Drive, das Engagement des Parlaments der
letzten Jahre genutzt hätten, das sich fraktionsübergreifend für eine Erhöhung des Entwicklungsetats eingesetzt
hat.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal - auch mit
Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, die diesen Aufruf unterschrieben haben - an den entwicklungspolitischen Konsens erinnern.
372 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen haben diesen Aufruf unterschrieben. Damals haben wir formuliert - dahinter konnten sich viele aus allen
Fraktionen, die hier heute sitzen, versammeln -:
Ob die notwendigen Finanzmittel aufgebracht werden, ist vor allem eine Frage der Prioritätensetzung.
Ob wir auf die gebotene Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit verweisen, auf christliche Nächstenliebe, internationale Solidarität oder weltweite Gerechtigkeit - wir fühlen uns moralisch dazu verpflichtet,
auf die Einhaltung der 0,7-%-Zusage zu drängen,
und fordern das Bundeskabinett und den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf, die dafür notwendigen Weichen zu stellen.
Das war der Aufruf, hinter dem sich über 370 Parlamentarierinnen und Parlamentarier versammelt haben.
Ich äußere an dieser Stelle noch einmal den dringenden Appell, wenigstens darüber nachzudenken, ob wir
die Kürzung von 124 Millionen Euro im Entwicklungsetat heute zurücknehmen und damit unserer Verantwortung als Parlamentarier gerecht werden können.
({7})
Warum? Wir brauchen uns doch nur vor Augen zu
führen, was VENRO, der Dachverband aller entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, in seinem Schreiben auf den Punkt bringt: Diese Gelder sind
nötig. Ob es um Gesundheitsbildungsprogramme geht,
ob es um die Zusammenarbeit für soziale Dienste im
ländlichen Bereich geht, ob es um Frauenförderung geht,
ob es um Programme des Zivilen Friedensdienstes geht
- wir haben eben erst über alle möglichen Fragen, auch
über die von Krieg und Frieden, diskutiert; mit dem Zivilen Friedensdienst könnte man gerade für ein friedliches Miteinander etwas tun - oder ob es um die grundsätzlichen Ausrichtungen unserer Entwicklungspolitik
geht: Gerade jetzt, wo auf UN-Ebene die Weltgesundheitsorganisation beginnt, sich dafür einzusetzen, dass
wir weltweit zum Beispiel die Basiskrankenversorgung
in den Mittelpunkt stellen, können wir wirklich etwas
tun, um Menschen nachhaltig aus der Armutsfalle zu befreien. Doch ausgerechnet in dieser Zeit senden wir ein
fatales Signal in die Welt, indem wir die Mittel für die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit senken.
({8})
Dasselbe gilt für den Bereich des Klimawandels. Es
ist schön, wenn Herr Niebel den Bericht der Weltbank
jüngst als „klimapolitischen Weckruf“ bezeichnet hat.
Ich frage mich, ehrlich gesagt: Wo waren Sie die letzten
Jahre? Dieses Weckrufs bedarf es eigentlich nicht bei all
denen, die wissen, was für dramatische Folgen gerade in
den Ländern, auf die Entwicklungszusammenarbeit abzielt - dort leben die Ärmsten der Armen -, durch den
Klimawandel ausgelöst werden. Diesem klimapolitischen Weckruf muss aber auch ein finanzpolitischer
Weckruf folgen. Die Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels müssen doch insbesondere denjenigen gegeben
werden, die selbst die Mittel nicht aufbringen können,
um mit den Folgen des Klimawandels - den sie selbst
nicht verursacht haben - zurechtkommen zu können.
Weil ich weiß, dass vonseiten der Regierung immer
„Finanzierung, Finanzierung“ gerufen wird: Was Fragen
des Klimawandels angeht, kann man nur Nicholas Stern
zitieren, der schon 2006 gesagt hat: Wenn wir nicht handeln, wird uns das, volkswirtschaftlich betrachtet, das
Fünffache von dem kosten, was es uns kostet, wenn wir
jetzt vernünftig Mittel einsetzen.
Ich bin schon erstaunt - das muss ich wirklich sagen -, dass ein Ministerium, das für Entwicklungszusammenarbeit, für Armutsbekämpfung zuständig ist,
sich in den letzten Jahren als Bremser bei solch innovativen Finanzinstrumenten wie der Finanztransaktionsteuer
gezeigt hat, dass der Minister das Gegenteil dessen getan
hat, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre: neue,
innovative Finanzierungsinstrumente in den Mittelpunkt
zu stellen.
({9})
Kollegin Kofler, Sie können selbstverständlich weiterreden. Ich muss Sie aber darauf aufmerksam machen,
dass das zulasten der folgenden Kollegen aus Ihrer Fraktion geht.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Auch zur Finanzierung kann man nur sagen: Schließen Sie sich den vielen guten Ideen an, die aus der Bevölkerung kommen,
zum Beispiel der Kampagne „Steuer gegen Armut“.
Dann haben wir vernünftige Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auch in unserem Haushalt.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. h. c. Jürgen Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe noch einmal nachgesehen: Die Kollegin Kofler
ist in der dritten Legislatur hier im Deutschen Bundestag. Deshalb hätte sie eigentlich eins sagen müssen: Bei
uns, bei den Sozialdemokraten, hat es mit dem Etat für
Entwicklungshilfe nicht so gut geklappt. Jetzt muss ich
feststellen, dass wir mit Schwarz und Gelb nach den
USA an zweiter Stelle in der Welt stehen.
({0})
Das ist die entscheidende Botschaft: Wir sind nach
den USA der zweitgrößte Geber in der Welt. Das ist das
Verdienst unter anderem von Minister Niebel und seiner
Politik. Das muss man einmal festhalten, und das sollten
Sie anerkennen. In der Opposition fordern Sie alles
Mögliche, aber als Sie regiert haben, waren Sie unfähig.
Das ist das Entscheidende.
({1})
Sie haben die Organisation VENRO angesprochen.
Das finde ich sehr interessant. Ich schätze die Arbeit von
NGOs.
({2})
Aber von VENRO bekommt man laufend hektografierte
Blätter, die nicht einmal unterschrieben sind. Ich habe
am 16. November ein Blatt bekommen, auf dem stand,
man solle mehr entwicklungspolitische Bildungsarbeit
machen. Mein Kollege Klein und ich haben das gemacht. Wir haben in den Etat - das können Sie sich im
Einzelplan 23 anschauen; ich nenne ihn noch einmal,
weil Sie sich den Etat wahrscheinlich gar nicht mehr angesehen haben, weil Sie Ihr Manuskript schon vorher
fertig hatten ({3})
zusätzlich 5 Millionen Euro für die berufliche Ausbildung eingestellt, 2 Millionen Euro für den DAAD, zudem Mittel für die Humboldt-Stiftung, und auch die
Deutsche Welle bekommt etwas für die Ausbildung. Ich
könnte Ihnen noch weitere Beispiele nennen: Die politiDr. h. c. Jürgen Koppelin
schen Stiftungen, die Kirchen, 10 Millionen Euro für die
Zusammenarbeit mit dem Büro für Nachhaltige Entwicklung usw. Also, auch das haben wir erfüllt. Aber dafür bekommt man kein Dankesschreiben, sondern gleich
das nächste Schreiben mit der nächsten Forderung. Das
ist leider die Wahrheit; die muss man hier auch einmal
sagen.
({4})
Die Kollegin Koczy möchte eine Frage stellen oder
eine Bemerkung machen.
Ja, ich möchte gerne meine Redezeit verlängern.
Dazu bin ich gerne bereit.
Herr Kollege Koppelin, wollen Sie leugnen, dass
durch die Kürzung von 124 Millionen Euro in der Bereinigungssitzung des Haushalts der Aufwuchs der ODAQuote in der Bundesrepublik gesenkt wird und Sie damit
mit der schwarz-gelben Koalition dem Aufwuchs ein
Minus beschert haben und dass die Kürzung um 87 Millionen Euro, die unter dem Strich herauskommt, bedeutet,
({0})
dass die Kanzlerin ihr Versprechen, auf dem Weg zum
0,7-Prozent-Ziel jährlich eine Steigerung zu erreichen,
nicht halten kann?
Ja, das will ich leugnen, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens. Den Etat des Auswärtigen Amtes - ich weiß
nicht, ob Sie gerade hier waren; ich bin schon den ganzen Tag hier - haben wir um zusätzlich 20 Millionen
Euro erhöht für Minenräumung, für humanitäre Hilfe
usw. Sie können das nachrechnen. Auch das dient der
ODA-Quote.
Jetzt sage ich Ihnen etwas, weil Sie bei Bündnis 90/
Die Grünen sind. Ich habe mir vom Sekretariat des
Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages Folgendes heraussuchen lassen: Das Abstimmungsergebnis
zu dem Antrag von der Koalition, über den wir uns hier
streiten, lautete damals: Diesem Antrag haben die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt.
({0})
So ist es. Sie haben unserem Antrag zugestimmt.
({1})
- Dann müssen Sie das mit Ihrer Kollegin Hinz klären.
Das war genau so.
Jetzt stellen Sie einen Änderungsantrag, über den namentlich abgestimmt werden soll. Das ist wieder typisch. Man kann einen solchen Änderungsantrag stellen;
({2})
aber Sie werden damit die Neuverschuldung anheben,
oder Sie müssen eine Gegenfinanzierung machen. Das
haben Sie nicht gemacht. Sie haben auch nicht berücksichtigt, dass wir den Etat des Auswärtigen Amtes aufgestockt haben. Auch bei der Entwicklungshilfe haben
wir nicht alles gestrichen, sondern einiges wieder aufgestockt. Das ist die Wahrheit.
({3})
Hier wird von der ODA-Quote gesprochen. Ich finde,
das ist ein ehrenwertes Ziel. Ich vermisse hier die Kollegin Göring-Eckardt. Der hätte ich nämlich gerne eine
Frage gestellt. Die EKD beschloss vor vielen, vielen Jahren, dass 2 Prozent aller Kirchensteuereinnahmen in die
Entwicklungshilfe gehen sollten. 2 Prozent! Ich kann Ihnen genau sagen, wann das beschlossen wurde: schon
1986.
({4})
Jetzt würde ich gerne einmal wissen, was davon verwirklicht worden ist. Ich hätte gerne von der Kollegin
Göring-Eckardt gehört, ob dieser Beschluss durchgesetzt
wurde. Nein, die Kirchen haben das auch nicht hinbekommen. Das ist alles nicht erfreulich, aber es ist die
Wahrheit. Ich finde, das sollte man auch einmal zur
Kenntnis nehmen.
Ich sage nach wie vor: Wir sind zweitgrößter Geber.
Damit kann sich diese Koalition sehen lassen. Es wird
viel gemacht. Die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben
- Bildung, aber auch andere Schwerpunkte, die Minister
Niebel gesetzt hat, nachdem er das Amt von Frau
Wieczorek-Zeul übernommen hat -, können sich durchaus sehen lassen. Wir sind stolz darauf, dass wir auch andere Richtungen eingeschlagen haben. Sie hatten einen
Sammelkorb, Sie hatten null Richtung in der Entwicklungspolitik.
({5})
- Melden Sie sich doch nachher noch einmal zu einer
Zwischenfrage oder zu einer Kurzintervention. Es ist
nicht meine Art, so gegen Frauen anzureden.
({6})
Minister Niebel hat von Frau Wieczorek-Zeul einen
Sammelkorb übernommen, der null Linie enthielt. Endlich ist im Haushalt dieses Ministeriums eine Linie erkennbar. Es ist erkennbar, was wir in der Entwicklungshilfe bewirken wollen.
({7})
Das ist lobenswert. Das hat Minister Niebel geschafft,
und dafür verdient er Anerkennung. Daran geht kein
Weg vorbei.
({8})
Wenn Sie von den Sozialdemokraten hier schon so
auftreten und uns kritisieren: Das können Sie alles machen.
({9})
Wir sind hier ja im Deutschen Bundestag. Aber wie sieht
es denn eigentlich aus: Sie fahren nach der Wahl des Präsidenten alle nasenlang nach Frankreich, vorher schon
die Troika. Fahren Sie doch auch einmal zu Ihrem Präsidenten da in Frankreich
({10})
und fragen ihn einmal, warum er seine Entwicklungshilfe eingefroren hat, warum er nicht mehr macht.
({11})
- Frau Kollegin, Sie müssen sich einfach einmal angewöhnen, zuzuhören. Ich habe es gerade gesagt: Wir sind
im Deutschen Bundestag. Aber fahren Sie trotzdem noch
einmal hin. Das kann doch nicht schaden. Das ist meine
Empfehlung.
Also, dieser Haushalt kann sich sehen lassen. Ich
weiß, der Minister ist vielleicht nicht zufrieden, wenn es
ein bisschen weniger ist, als er sich vorgenommen hat.
({12})
Der Verteidigungsminister hat vorhin gesagt, er sei auch
nicht ganz zufrieden, weil wir ihm etwas weggenommen
haben. Der Wirtschaftsminister war auch nicht ganz zufrieden. Dem Gesundheitsminister haben wir eine halbe
Milliarde Euro weggenommen. Das ist so. Denn wir
wollten die Neuverschuldung senken. Die geplante Nettokreditaufnahme liegt bei 17,1 Milliarden Euro. Hier
hat jeder seinen Beitrag zu leisten.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit. Ich bin ganz sicher, der Minister wird mit diesem Etat wunderbar klarkommen.
({13})
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Bartsch für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 23 hat es in diesem Jahr geschafft - ich bin
schon ein paar Tage im Parlament -, dass er bereits bei
der Einbringungsdebatte eine sehr umfangreiche Rolle
gespielt hat. Das schafft man natürlich nur, wenn etwas
ganz besonders toll ist oder etwas ganz besonders im Argen liegt. Hier ist eines ganz klar: Dieser Etat liegt im
Argen.
({0})
Alle vorliegenden Anträge, die Entschließungsanträge,
die heute zur namentlichen Abstimmung stehen, beweisen, dass hier etwas im Argen liegt.
Jürgen Koppelin hat gesagt, es sei alles so gut. Ich
will nur eines konstatieren: Laut Ergebnis der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist der Etat des
Einzelplans 23 gesunken; der Etat des Einzelplans 23 ist
niedriger als im Vorjahr.
({1})
Die ODA-Quote liegt unter 0,4 Prozent. Das sind Ergebnisse, die überhaupt nicht zu akzeptieren sind, denn,
Herr Minister, Sie haben sich drei Jahre lang hier hingestellt und behauptet, der Etat werde im nächsten Jahr höher ausfallen, trotz schwieriger Finanzlage. Das ist ad
absurdum geführt. Sie haben noch am Tag der Bereinigungssitzung verkündet, dass der Etat um 37,5 Millionen Euro gegenüber 2012 steigen würde. Das ist nicht
der Fall. Die Koalitionäre haben Ihrer ursprünglich stolzen Botschaft - Steigerung des Etats in schwieriger Finanzlage - abrupt ein Ende bereitet. So sieht es bei diesem Etat wirklich aus.
({2})
Was hat denn Frau Merkel heute Vormittag im Hinblick auf die internationalen Konflikte dargelegt? Sie hat
gesagt: Na ja, mit militärischen Maßnahmen alleine geht
es nicht, wir müssen viel mehr tun für wirtschaftliche
Zusammenarbeit. - Ich dachte, ich höre nicht richtig.
Kannte die den Etat nicht? Das ist ein Widerspruch in
sich. Entweder wir machen hier mehr zur Verhinderung
von militärischen Konflikten, wir tun etwas für die Armutsbekämpfung, oder aber nichts von dem, was vorhin
erzählt worden ist, entspricht der Wahrheit.
({3})
Die Linke hat schon in den Etatberatungen im Haushaltsausschuss sehr viele Änderungsanträge eingebracht,
und jetzt stellen wir wieder einen Änderungsantrag. Da
wird gesagt, das seien ja so viele Änderungsanträge, das
sei doch typisch für die Linke. Ich will nur eines sagen:
Nur dann, wenn all unsere Anträge realisiert würden,
würden wir die Schritte in Richtung einer höheren ODAQuote gehen, die wirklich notwendig sind. Deswegen
stellen wir die Anträge.
({4})
Es ist noch viel mehr machbar; da sind wir uns doch sicherlich einig. Wenn wir könnten, dann würden wir in
diesem Sektor mehr gegen Armut in der Welt tun. Nur
wenn wir hier wirklich etwas drauflegen, ist es realistisch, unser Ziel bei der ODA-Quote zu erreichen.
Die Koalition hat ihren Minister mit einem Friendly
Fire schwer beschädigt. Sie hat sich ein weiteres Mal
von Wahlversprechen verabschiedet;
({5})
das für 2015 gesetzte Ziel ist damit erledigt. Die Schützen werden zufrieden sein; aber die Leidtragenden sind
vor allem die Ärmsten in der Dritten Welt, meine Damen
und Herren. Das ist die Situation.
({6})
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Organisationsreform bei der GIZ machen; mein Kollege Movassat
wird darauf noch eingehen. Ja, wir von der Opposition
haben da Druck gemacht und konnten das eine oder andere erreichen, zum Beispiel, dass mehr Frauen an der
Spitze der GIZ vertreten sind. Ich will in diesem Zusammenhang auf einen Punkt eingehen. Sie haben sinnvollerweise ein Evaluierungsinstitut gegründet. Das ist vernünftig. Nur sind hier zwei Dinge wichtig: Erstens muss
das Institut wirklich Freiheiten haben und darf kein Instrument des Ministers oder des Ministeriums werden.
Zweitens muss das Parlament eingebunden werden. Ein
Beirat ist gut; aber wir hier im Parlament müssen Rechenschaft abgelegt bekommen und selber etwas tun
können, damit das Institut wirklich evaluiert und nicht
zu einem Instrument des Ministeriums wird.
({7})
Ich will eine weitere Bemerkung machen. Es gibt in
der Entwicklungspolitik weiterhin ein Gerangel zwischen den Ministerien um einzelne Posten und einzelne
Etats. Das hat zur Folge, dass Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf die Etats der unterschiedlichsten Ministerien verteilt sind: auf das Auswärtige Amt,
das Wirtschaftsministerium, das Justizministerium, das
Umweltministerium usw. Das alles geht querbeet; jeder
macht ein bisschen seine eigene Entwicklungspolitik.
Ich finde, das geht so nicht.
Die Entwicklungszusammenarbeit darf sich nicht als
zweites Standbein der Wirtschaftspolitik sehen.
({8})
Sie darf auch nicht als Außenwirtschaftspolitik verstanden werden. Hier geht es wirklich um etwas anderes. Es
ist doch völlig klar, dass mit den Mitteln verantwortungsbewusst umgegangen werden muss. Wenngleich es
unterstellt wird: Niemand aus der Opposition will etwas
anderes. Mit jedem Euro muss ein möglichst hoher Nutzen für die Menschen erzielt werden. Auch das ist völlig
unbestritten. Da dürfen Sie niemandem etwas anderes
unterstellen. Es darf aber nicht zuerst ins Auge genommen werden, welche positive Rückwirkung die Entwicklungshilfe auf die deutsche Wirtschaft hat. Das wäre
nämlich die falsche Richtung. Es geht eben wirklich um
die Menschen in den anderen Ländern; es geht um die
Entwicklungshilfe, die in diesen Ländern anzustreben
ist. Das müssen wir in den Blick nehmen.
Mein Appell, mein Aufruf ist: Sorgen Sie dafür, dass
hier wirklich Politik aus einer Hand gemacht wird! Setzen Sie sich in der Regierung durch, auch im Hinblick
auf eine Steigerung des Etats! Es gibt heute bei der namentlichen Abstimmung die Möglichkeit, zumindest einen Teil zu korrigieren. Das würde niemandem wehtun.
Im Übrigen würde es Ihnen niemand vorwerfen, wenn
das ein Stück weit zu einer höheren Neuverschuldung
führen würde; das würde niemand hier im Saal kritisieren.
({9})
Im Übrigen haben wir genügend andere Ideen.
({10})
Herr Minister, damals, als Sie in der Opposition waren, haben Sie verkündet, dass Sie das Entwicklungsministerium abschaffen wollen.
({11})
- Ja, das ist lange her. Es gibt einen Erkenntniszuwachs
beim Minister. Das ist völlig in Ordnung. Man lernt
dazu. So geht es allen, auch mir und Ihnen. Das ist wunderbar. - Jetzt ist angesichts des Friendly Fire, das Sie
von der Koalition organisiert haben, aber zu konstatieren, dass letztlich wohl doch in diese Richtung gearbeitet
wird. Denn Sie, Herr Niebel, können sich nicht wehren.
Das Entscheidende ist: Sie können sich in der Regierung
nicht durchsetzen, wenn es darum geht, das wirklich
Notwendige zu realisieren.
({12})
In der Koalition hat man offensichtlich übersehen, dass
es sich hier inzwischen um einen FDP-Minister handelt.
All das, meine Damen und Herren, wäre eigentlich nicht
weiter tragisch; aber das Schlimme ist, dass es zulasten
der Ärmsten dieser Welt geht und letztlich dem Ansehen
Deutschlands in der Welt schadet. Also, ändern Sie das!
Zum Schluss möchte ich mich ausdrücklich bei den
vielen Engagierten bedanken, die auf diesem Feld arbeiten.
Danke schön.
({13})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Volkmar
Klein das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Diskussion sind schon viele Zahlen
und Behauptungen umhergeschwirrt. Richtig ist - das ist
schade -, dass die üblichen und auch erwarteten Steigerungen im Haushalt des BMZ für 2013 nicht zu vermelden sind.
({0})
Nach den Beschlüssen gibt es im Einzelplan 23 auf dem
Papier sogar eine kleine Absenkung. Auch das ist richtig
- das ist auch nicht schön -, aber diese Absenkung gibt
es vor allen Dingen auf dem Papier.
Der Einzelplan 23 schrumpft gegenüber dem Jahr
2012 um 80 Millionen Euro. Aber diese 80 Millionen
Euro haben sozusagen nur ihren Heimathafen gewechselt. Auf Wunsch der beiden Minister sind die Mittel für
entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe vom
Einzelplan 23 in den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt,
verschoben worden.
({1})
Das kann man im Haushaltsentwurf nachvollziehen.
Deswegen ist es ehrlich, wenn wir von einer Stagnation
im Einzelplan 23 und nicht von einer Absenkung reden.
({2})
Die Befürchtungen, dass die deutsche ODA-Quote
unter die für 2011 festgestellten 0,4 Prozent sinken
könnte, scheinen mir voreilig zu sein,
({3})
denn im Jahre 2011, als die OECD-Statistik eine ODAQuote von 0,4 Prozent festgestellt hat, lag der Einzelplan 23 noch bei 6,0 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr enthält der Einzelplan trotz der gerade beschriebenen Verhältnisse 6,3 Milliarden Euro, also
300 Millionen Euro mehr.
Der Europäische Entwicklungsfonds fordert von uns,
von Deutschland, im kommenden Jahr nicht wie ursprünglich angekündigt 838 Millionen Euro, sondern
144 Millionen Euro weniger. Das ist eine extern vorgegebene Zahl. Wenn der Europäische Entwicklungsfonds
nicht Teil unseres Haushaltes, sondern - wie von der
EU-Kommission gefordert - Teil des EU-Haushaltes
wäre, dann würde sich durch dieses Revirement bei uns
gar nichts niederschlagen. So beträgt die Forderung an
Deutschland 144 Millionen Euro weniger. Deshalb reduziert sich der Einzelplan 23 um diesen Betrag.
Es ist kein Geheimnis, dass ich mir persönlich gut
hätte vorstellen können, einen größeren Teil des wegfallenden Geldes für Erhöhungen im eigentlichen BMZHaushalt zu nutzen. Angesichts der Gesamtsituation des
Haushalts unseres Landes und auch der europäischen Situation ist der Beschluss ein anderer. Aber - darauf
möchte ich mit allem Nachdruck hinweisen - wir haben
20 Millionen Euro des wegfallenden Geldes zusätzlich
auf andere Titel im BMZ-Haushalt verteilt. Es wird dafür verwendet, die von uns gestaltete deutsche Entwicklungszusammenarbeit zusätzlich zu stärken.
({4})
Wir stehen ständig vor der Frage: Wie können wir die
verschiedenen Aufgaben miteinander in Einklang bringen? Was ist mit der Verantwortung für die Nächsten
jenseits unserer Grenzen? Ich bin sehr dafür, dass wir im
Interesse des Nächsten jenseits unserer räumlichen
Grenzen - das ist ein ethisches Gebot - viel Geld einsetzen. Ich bin aber auch dafür, dass wir an den Nächsten
jenseits unserer zeitlichen Grenzen denken und deshalb
die gesamte Haushaltssituation im Blick behalten.
({5})
Wenn wir die Entwicklung des Haushalts über die gesamten vier Jahre der Wahlperiode hinweg vergleichen,
dann stellen wir fest, dass wir 2009 einen Gesamthaushalt hatten,
({6})
der 309 Milliarden umfasste. Jetzt liegt er bei 302 Milliarden Euro, das heißt, insgesamt gibt es ein Abschmelzen der Ausgaben. Gleichzeitig ist festzustellen: Wir haben damals im Einzelplan 23 5,7 Milliarden Euro für
Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gehabt,
heute sind es, trotz der beschriebenen Zusammenhänge,
6,3 Milliarden Euro. Das sind fast 10 Prozent mehr als
damals vor vier Jahren.
({7})
Mit dieser Erhöhung von 20 Millionen Euro für die eigentliche Entwicklungszusammenarbeit - das hat eben
schon einmal kurz eine Rolle gespielt - haben wir, denke
ich, wichtige Akzente gesetzt. Einerseits haben wir damit wichtige Akzente im Bereich der Bevölkerungsentwicklung gesetzt, indem wir zusätzliche Gelder für die
UN-Organisationen in diesem Bereich bereitstellen, und
wir geben mehr Geld für Bildung im Bereich der
Humboldt-Stiftung, des DAAD und der Deutschen
Welle aus. Weiter setzen wir Akzente, indem wir die
Verpflichtungsermächtigungen gerade im Bereich der
nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit deutlich
erhöhen. Das bedeutet langfristig Verlässlichkeit der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Koczy zulassen?
Aber gern.
Bitte schön.
Herr Klein, ist Ihnen der Koalitionsvertrag bekannt,
in dem die Koalition von FDP und CDU/CSU von einem
jährlichen Aufwuchs der ODA-Quote redet? Wie bewerten Sie den Zustand, dass diese ODA-Quote jetzt unter
0,4 Prozent sinkt?
({0})
Auf das Letzte habe ich Sie eben hingewiesen. Das
kann man heute überhaupt noch nicht prognostizieren.
Da 2011 auf der Basis eines deutlich niedrigeren Entwicklungshilfehaushaltes eine ODA-Quote von 0,4 Prozent ausgerechnet wurde, sind derartige Befürchtungen
gegenwärtig völlig gegenstandslos. Im Übrigen habe ich
doch gerade noch einmal dargestellt, welch große Bedeutung dieser Bereich der internationalen Verantwortung, gemessen am Gesamthaushalt, in den letzten Jahren für uns gewonnen hat. Genau das unterstreicht diese
Verpflichtung.
Dabei müssen wir insgesamt aufpassen, dass wir nicht
viel zu viel nur über das eingesetzte Geld reden. Wissen
wir denn überhaupt genug über die Wirkungen? Ich
glaube, wir haben da Nachholbedarf. Das spiegeln gerade die neuen Geber - die Schwellenländer, aber auch
die großen privaten Fonds - wider. Die wollen - unter
dem Schlagwort: „value for money“ - in viel höherem
Maße wissen, wie die Wirksamkeit der eingesetzten
Instrumente ist.
Ich denke, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen ausgesprochen guten Ruf hat. Das wird
an vielen Stellen deutlich. Zum Beispiel wurde es vor einigen Wochen beim Besuch des Weltbankchefs Jim
Yong Kim hier in Berlin unterstrichen. Ich hatte jetzt die
Gelegenheit - auch dadurch wurde das deutlich -, ein
Gespräch mit dem Chef der thailändischen Entwicklungsorganisation zu führen. Die möchte gerne Deutschland als Partner für deren Entwicklungszusammenarbeit
mit ihren Nachbarländern haben, nicht weil Deutschland
das meiste Geld mitbringt, sondern das beste Knowhow
hat. Das ist eine Frage der Wirksamkeit.
An vielen Stellen ist es offenkundig, dass man mit
wenig Geld eine große Wirkung erzielen kann. Ich nenne
in diesem Zusammenhang beispielsweise die AFI, die
Allianz für finanzielle Inklusion. Sie wurde ursprünglich
von der Gates Foundation gegründet und wird heute von
unserem Geld mit unterstützt. Weiter nenne ich das
Netzwerk von Notenbanken, die in den Entwicklungsländern auch regulatorisch die Grundlagen dafür legen,
dass zum Beispiel in Westafrika Mobile Banking gemacht werden kann. Die Menschen dort können Kleinstguthaben transaktionskostenfrei per Handy übermitteln.
Das sind tolle Dinge.
Bei vielen anderen Sachen ist es wesentlich schwerer,
zu bewerten, was denn nun wirklich wirksam ist. Deswegen ist die Evaluierung - die wir in viel größerem Maße
in den Vordergrund stellen werden, als wir es bisher getan haben - ganz wichtig. Dafür wird dieses Institut
künftig arbeiten. Sicherlich müssen wir alle gemeinsam
als Parlament darauf achten, dass es auch wirklich die
von uns gewollte Unabhängigkeit hat. Diese Evaluierung aber wird anschließend garantieren, dass das von
uns investierte Geld in den entsprechenden Ländern kontinuierlich eine größere Wirksamkeit entfalten kann.
Ich glaube, dass wir hier insgesamt - deswegen empfehle ich auch die Zustimmung - einen Haushalt als guten Rahmen vorlegen, den der Minister, der seinen Job
im Übrigen ganz hervorragend macht, ganz sicher auch
in hervorragender Weise ausfüllen wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Priska Hinz das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der heutige Beitrag von Jürgen Koppelin war unterirdisch; das muss ich sagen.
({0})
Volkmar Klein hat hier
({1})
eine Vernebelungstaktik versucht, um schlechte Buchhaltungstricks zu verbergen. Damit kann man vielleicht
Abgeordnete beeindrucken, die nichts vom Haushalt
verstehen, aber selbst die will ich in Schutz nehmen.
({2})
- Nein, deswegen sage ich ja, dass ich sie in Schutz
nehme. - Das, was Volkmar Klein hier gesagt hat, war
ein durchschaubares Manöver: Sie haben die 80 Millionen Euro, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vom
BMZ zum Auswärtigen Amt verschoben wurden, genutzt, um zu sagen: Es wurde ja gar nicht gekürzt. - Für
so dumm kann man uns schlicht und einfach nicht verkaufen. So dumm ist niemand!
({3})
Diese 80 Millionen Euro hätten im Haushalt des BMZ
eigentlich draufgesattelt werden müssen. Hinzu kommen
müssten noch die insgesamt 144 Millionen Euro, die aus
dem Europäischen Entwicklungsfonds zurückgeflossen
Priska Hinz ({4})
sind. Das wäre dann eine reelle Zahl. Alles andere ist
eine Kürzung des Haushalts des BMZ.
({5})
Darüber können auch viele Worte nicht hinwegtäuschen.
Frau Kollegin Hinz, der Kollege Heiderich würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, gerne.
Sehr geehrte Frau Kollegin, wir haben eben der Rede
von Herrn Koppelin zugehört. Ich habe von Herrn
Koppelin erfahren, dass dem Antrag, die Mittel für den
EEF um 144 Millionen Euro zu kürzen, auch die Grünen
zugestimmt haben.
({0})
Ich habe mir das so notiert. Ich glaube, das ist eine ganz
wesentliche Aussage. Ich würde von Ihnen gerne wissen: Haben Sie zugestimmt oder nicht? Vernebeln Sie
das jetzt, indem Sie hier andere Dinge in die Diskussion
einbringen?
({1})
Es freut mich, dass meine Antwort nicht auf die Redezeit angerechnet wird; denn das wollte ich eh sagen. Vielen herzlichen Dank! - Ja, wir waren der Meinung, dass
es keinen Sinn macht, die 144 Millionen Euro, die beim
Europäischen Entwicklungsfonds nicht gebraucht werden, dort verfallen zu lassen. Dass die Mittel da gekürzt
werden müssen, ist völlig logisch.
({0})
- Darf ich bitte ausreden? - Das Ministerium hat Vorschläge unterbreitet, wo die Mittel etatisiert werden können. Ihre Koalition hat diese Vorschläge als Berichterstattervorschläge aber nicht gelten lassen und nicht als
Anträge eingebracht. Wir Grünen haben einen ODAAufholplan vorgelegt, mit dem wir 900 Millionen Euro
zusätzliche Mittel für das BMZ beantragt haben.
({1})
Zusätzlich 900 Millionen Euro! - Sie können ruhig stehen bleiben, bis ich Ihnen eine vollständige Antwort gegeben habe. - Hinzu kommen 300 Millionen Euro für
weitere Etats. Das macht 1,2 Milliarden Euro
({2})
plus 600 Millionen Euro zusätzlich für den internationalen Klimaschutz.
({3})
Sie können uns also nicht vorwerfen, dass wir für Entwicklungszusammenarbeit nicht genügend Geld ausgeben wollen. Im Gegenteil: Wir halten am 0,7-ProzentZiel fest. Wir würden mit diesem Aufholplan das BMZ
stärken. Mit diesem Aufholplan würden wir auch das
0,7-Prozent-Ziel erreichen, zwar nicht 2014, aber 2017.
({4})
Diese Kürzung im Haushalt des BMZ erfolgte wohl
auf Wunsch eines einzelnen Abgeordneten im Haushaltsausschuss, der derselben Fraktion angehört wie der
Minister.
({5})
Das ist eine ganz besonders pikante Sache. Dass die
CDU, die ihre Kanzlerin immer aufs internationale Parkett schickt, da mitmacht, finde ich besonders erstaunlich. Sie haben ja auch offensichtlich Probleme, hier zu
argumentieren. Deswegen hat Volkmar Klein ja auch so
virtuos eine Vernebelungstaktik angewandt.
({6})
Ich weiß, dass viele von Ihren Kolleginnen und Kollegen
das Ganze nicht mittragen wollen. Wir sind gespannt,
wie nachher die Abstimmung über unseren Änderungsantrag ausgeht.
({7})
Ich halte es für notwendig, noch einmal deutlich zu
machen, dass die entwicklungspolitische Strategie der
Bundesregierung und der Koalition auch jenseits der
Tatsache, dass das ODA-Ziel aufgegeben wurde und der
Koalitionsvertrag zumindest in diesem Bereich überhaupt nicht mehr gilt, nicht richtig erkennbar ist. Es gibt
zwar eine Vereinbarung, die festlegt, wie die Not- und
Übergangshilfe in das Auswärtige Amt überführt werden
soll. Die Glaubwürdigkeit wurde aber schon bei der ersten Nagelprobe erschüttert, als es darum ging, wer für
die Not- und Übergangshilfe sowie die Strukturhilfe eigentlich verantwortlich ist. Da haben Sie schon versagt.
Es gab wieder keine Koordination zwischen den Ministerien. Es mussten erst Zeitungsberichte erscheinen, bevor die Minister klärten, wer bei der Hungersnot in
Dadaab zuständig ist, wer künftig die Mittel ausgibt und
wer die Verträge weiter gestaltet. Das ist doch wirklich
ein Armutszeugnis.
({8})
Das zeigt, dass wir mit unserer Auffassung richtigliegen,
dass es nicht sinnvoll ist, die entsprechenden Mittel zu
Priska Hinz ({9})
verschieben, und dass es notwendig ist, die Not- und
Übergangshilfe im BMZ zu belassen.
Zu der Frage, ob das BMZ die Federführung im Lenkungsausschuss haben soll, haben wir noch gar nichts
gehört. Wir wissen überhaupt nicht, wer die Federführung besitzt und wie die Koordination innerhalb der
Bundesregierung aussieht. Es ist schlecht für die Entwicklungszusammenarbeit, wenn es hier kein federführendes Ressort gibt, das mit den anderen Ressorts
Kooperationen und Ausgaben vereinbart. Die vielbeschworene Kohärenz gibt es nicht.
Wir haben, wie gesagt, 900 Millionen Euro zusätzlich
beantragt.
({10})
- Nein, die sind nicht ungedeckt, lieber Kollege Barthle.
Sie wissen genau, dass wir in der Bereinigungssitzung
einen entsprechenden Deckungsvorschlag gemacht haben, aus dem hervorgeht, wie das Ganze finanziert wird
und wie gleichzeitig die Nettokreditaufnahme stärker gesenkt werden kann als jetzt durch die Koalition.
({11})
Jenseits der Quantität setzen wir deutliche Schwerpunkte bei Klimaschutz, Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern sowie bei Grund- und Sekundarbildung. Außerdem müssen die multilateralen Hilfen
gestärkt werden; denn im Rahmen der internationalen
Zusammenarbeit muss man die Kooperation mit anderen
Geberländern und internationalen Organisationen suchen.
Ein letzter Satz. Wir Grüne hätten sicherlich auch
1,2 Milliarden Euro mehr beantragen können,
({12})
um die Umsetzung unseres Aufholplans bei der ODAQuote zur forcieren. Wir haben nun einen Änderungsantrag vorgelegt, der zum Ziel hat, wenigstens den ursprünglichen Ansatz für das BMZ wiederherzustellen.
Frau Kollegin.
Ich hoffe sehr, dass Sie sich ein Herz fassen und unserem Änderungsantrag zustimmen.
({0})
Helga Daub hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Selten hat ein Haushalt schon im Vorfeld solch eine mediale Begleitmusik erfahren wie dieser Einzelplan. Das
ist auch gut so. Endlich ist der zweitgrößte Investitionshaushalt, der sonst eher unter Nichtbeachtung leidet,
auch einmal im Fokus.
({0})
Es gibt überhaupt keinen Grund, unsere Erfolge kleinzureden.
Wenden wir uns den Tatsachen zu. Bei wichtigen
Schwerpunkten tun wir heute mehr als zuvor. Multilateral stocken wir die Mittel für die Vereinten Nationen um
10,4 Millionen Euro auf. Kollege Koppelin hat die Zahlen schon erwähnt, aber das kann man nicht oft genug
machen.
({1})
Das Gleiche machen wir bei der internationalen
Zusammenarbeit mit den Regionen. Da beträgt die Aufstockung insgesamt 10 Millionen Euro.
({2})
Entwicklungspolitische Vorhaben der Stiftungen und der
Kirchen erhalten mit jeweils 2 Millionen Euro mehr einen größeren finanziellen Spielraum. Durch dieses Geld
für die Zivilgesellschaft stärken wir das bürgerschaftliche Engagement; dies ist ein wichtiger Aspekt.
({3})
Im Übrigen ist das ein Kernanliegen liberaler Politik.
Im Koalitionsvertrag wird nicht grundlos auf die wichtige Rolle von Kirchen und Stiftungen hingewiesen.
Diese Institutionen sind unverzichtbar für den Aufbau
und die Festigung demokratischer und rechtstaatlicher
Strukturen in Entwicklungsländern. Wir alle erleben ja
die Dynamik der Veränderungen in diesen Ländern.
Insofern ist es folgerichtig, dass wir in unserem Haushalt
einen entsprechenden Aufwuchs haben. Stiftungen und
Kirchen können auch gerade in den Ländern arbeiten, in
denen sich staatliche Organisationen nicht oder noch
nicht etablieren können. Dort leisten sie unverzichtbare
Arbeit.
Wir wollen eine intensive Einbindung aller Beteiligten in die Entwicklungspolitik. Das heißt für uns: Wir
setzen auf den Dreiklang von Staat, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft. Da ich gerade die Wirtschaft erwähne
- ich weiß, einige mögen jetzt vielleicht Pickel bekommen -, möchte ich sagen: Durch jeden Euro, den wir
ausgeben - das Ministerium heißt ja auch Ministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung -,
kommen 3 bis 4 Euro zurück. Es ist also ein Geben und
Nehmen. Wir erschließen neue Märkte. Wir schaffen
auch Arbeitsplätze. Mindestens genauso wichtig ist, dass
wir damit auch helfen, unsere Werte und Standards zu
verbreiten.
({4})
- Ja, gut, Sie haben andere Werte und Standards. Das
weiß ich.
({5})
Der Bereich Aus- und Fortbildung - dies wurde schon
mehrmals erwähnt - wird jetzt mit einem Plus von
5 Millionen Euro verstärkt. Der Deutsche Akademische
Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung
und die Deutsche Welle profitieren davon. Damit werden
wichtige Weichen für die Zukunft und für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik gestellt.
Natürlich würden wir alle gerne mehr geben und
mehr helfen. Ich mache an dieser Stelle auch keinen
Hehl aus meiner Enttäuschung, dass der Einzelplan 23
nicht die vollen 144 Millionen Euro bekommt. Ich weiß,
ich habe das mit unterschrieben. Schließlich sind es
nicht abgerufene Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds; das sind Gelder, die wir uns eigentlich erarbeitet haben. Dass ich das so hinnehme - ich spreche
jetzt für mich persönlich -, hat damit zu tun, dass wir
nicht der einzige Haushalt sind, der Kürzungen hinnehmen muss. Das Ganze dient der Haushaltskonsolidierung. Ich habe noch die Worte des haushaltspolitischen
Sprechers der SPD im Ohr - er ist gerade nicht anwesend -, der die ganze Zeit von Haushaltskonsolidierung
gesprochen hat. Daher müsste ihm an dieser Stelle das
Herz höher schlagen.
({6})
Übrigens ist der vorübergehende Minderbedarf der
Europäischen Kommission nicht zuletzt unserer kritischen Haltung zur Budgethilfe geschuldet.
({7})
Auch die Europäische Kommission schaut jetzt im Interesse der Steuerzahler bei der Mittelvergabe genauer hin.
Immerhin gehen noch 20 Millionen Euro dieser 144 Millionen Euro in den Haushalt des BMZ. Die restlichen
124 Millionen Euro werden zur Haushaltskonsolidierung
eingesetzt. Letztlich ist dies ein lobenswertes Ziel.
Jetzt komme ich zur ODA-Quote. Zugegeben, es
wäre in der Tat schöner gewesen, wenn wir schon jetzt
sagen könnten, dass wir 0,4 Prozent erreicht hätten.
({8})
Es wäre ein gutes Signal dafür gewesen, dass wir den
Willen haben, eine Quote von 0,7 Prozent bis 2015 zu
erreichen. Dass dies gewaltiger Anstrengungen bedarf,
wissen wir, Herr Hoppe. Dafür wären 1,5 Milliarden
Euro pro Jahr bis 2015 notwendig. Das ist nicht zu machen; aber es wäre ein gutes Symbol gewesen.
({9})
Dazu bedarf es aber auch eines Prioritätenkatalogs - so
nenne ich es einmal - des Parlaments und des Haushaltsausschusses. Ich sage an dieser Stelle: Bündnis 90/Die
Grünen haben dem im Haushaltsausschuss zugestimmt.
({10})
Nun könnten es - eine Nachrechnung wird das ergeben 0,39 Prozent werden; eventuell ist auch eine Quote von
0,4 Prozent möglich. Zum Vergleich: Beim Amtsantritt
dieser Regierung betrug die ODA-Quote 0,35 Prozent.
Vielleicht sollte man die Vorgaben zur Berechnung
der ODA-Quote, die immerhin - es ist vorhin schon einmal erwähnt worden - 30 Jahre alt sind, einmal überdenken. Ohne die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit zu mindern, sollte man überprüfen, ob sie noch
zeitgemäß sind. Um deutlich zu machen, was sich in den
letzten 30 Jahren alles verändert hat, braucht man nur
auf die Informationstechnologie und auf all die Veränderungen zu verweisen, die sie mit sich gebracht hat.
Allerdings - das betrifft unseren Bereich ganz besonders - sind aus vielen Entwicklungsländern inzwischen
Schwellenländer geworden.
({11})
Wollen Sie die Frage von Herrn Kekeritz zulassen?
Nein. - Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich sage
ganz nebenbei: Wenn wir in Europa und in Deutschland
nicht aufpassen, sind wir eines Tages diejenigen, die der
Entwicklungszusammenarbeit mit anderen Ländern
bedürfen.
({0})
Das ist jedoch eine Diskussion, die man an anderer
Stelle und unter anderen Gesichtspunkten führen muss.
Noch einmal: Wir stellen die ODA-Quote nicht infrage. Aber man sollte vielleicht über eine Anpassung
der Kriterien zu ihrer Berechnung nachdenken.
({1})
Bevor von der Opposition allzu sehr gebarmt wird,
muss ganz deutlich festgestellt werden: Seit 2009 entspricht der Aufwuchs der ODA-Quote einem Betrag von
immerhin 1,3 Milliarden Euro, und die Bundesrepublik
ist nach wie vor zweitgrößter bilateraler Geber weltweit.
Da meine Redezeit fortgeschritten ist,
({2})
komme ich zum Schluss.
({3})
Fakt ist: Seit Amtsantritt dieser Regierung ist der BMZEtat um gut 600 Millionen Euro gestiegen. Entwicklungszusammenarbeit ist eine Investition in eine bessere
Zukunft für die Entwicklungsländer. Diesem Ziel ist
diese Regierung weiterhin verpflichtet.
({4})
Danke.
({5})
Sascha Raabe hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegin Daub, im Fachausschuss
schätze ich Sie ja durchaus.
({0})
Aber wenn Sie in einer Situation, in der Deutschland,
was die Steuereinnahmen angeht, bedingt durch viele
Faktoren so gut dasteht wie nie - wenn Sie heute
Morgen die Generaldebatte verfolgt haben, konnten Sie
das hören -, sagen: „Wir müssen aufpassen, dass
Deutschland nicht irgendwann einmal zu einem Entwicklungsland wird“, und wenn ausgerechnet in einem
Jahr, in dem wir eine so gute finanzielle Basis haben, der
Entwicklungsetat gekürzt wird,
({1})
dann ist das ein Schlag ins Gesicht der 900 Millionen
Menschen, die hungern. Das ist schäbig, und das weise
ich hier in aller Schärfte zurück, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({2})
Deutschland ist ganz weit davon entfernt, ein Entwicklungsland zu werden. Aber in der Tat verspielen wir
unsere Zukunft, wenn wir nicht über den eigenen Tellerrand blicken und nicht verstehen, dass wir in einer Welt
leben, in der wir die bestehenden Herausforderungen nur
gemeinsam mit anderen Ländern bewältigen können.
Das gilt gerade im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum. Bis zum Jahr 2050 werden 9 Milliarden Menschen
auf der Welt leben. Mit all diesen Menschen sitzen wir
sozusagen in einem Boot; wir müssen sie mitnehmen.
Wir können uns nicht ausklinken und so tun, als würden wir nicht wahrnehmen, was um uns herum geschieht. Wir erleben gerade in sehr vielen Staaten
Kriege, Konflikte, Hunger, Armut, Chaos und Terror. In
einer solchen Situation können wir doch nicht einfach
den Entwicklungsetat kürzen und dann noch sagen: Das
müssen wir machen, weil Deutschland sonst selbst ein
Entwicklungsland wird. - So geht das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({3})
Die Probleme sind nicht erst seit heute bekannt, sondern sie kamen schon in der ersten Debatte zu diesem
Haushalt zur Sprache. Der Aufwuchs in Höhe von
37,5 Millionen Euro, der im Haushalt enthalten ist, hätte
- das wissen wir doch alle - nie im Leben gereicht, um
unserem internationalen Versprechen, bis 2015 eine
ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen, auch nur ansatzweise nachzukommen. Spätestens jetzt werden Sie
zu Vertragsbrechern. Wir haben heute schon mehrmals
festgestellt: Dieser Koalitionsvertrag ist wirklich das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist; er ist genauso
hinfällig wie Ihre gesamte Koalition.
({4})
Das Ergebnis der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses lag im Morgengrauen vor. Der Begriff
„Grauen“ trifft es ziemlich genau. Das Geld, das dringend gebraucht wird für den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen, für Bildung, für Gesundheit, für Ernährungssicherung, für Bewässerungsprojekte, all das Geld
fehlt jetzt. Deswegen haben viele Organisationen der
Zivilgesellschaft uns Abgeordnete heute noch einmal angeschrieben und an uns appelliert, diese Kürzungen
nicht hinzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, hören Sie die Signale! Haben Sie den
Mut, auch einmal gegen Ihre Fraktionsoberen zu stimmen! Stimmen Sie diesen Kürzungen nachher nicht zu!
({5})
Zu verantworten, Herr Minister Niebel, hat diese Kürzungen keineswegs das Parlament, wie Sie es in einer
Pressemitteilung und in der Haushaltssitzung behauptet
haben. In diesem Haus gab es einen entwicklungspolitischen Konsens. Die Mehrheit der Abgeordneten hat einem Aufwuchs um 1,2 Milliarden Euro pro Jahr zugestimmt. Sie haben daraus nie etwas gemacht. Wenn
Sie auftreten, ob hier oder in aller Welt, dann tun Sie das
breitbeinig und am liebsten mit Feldjägermütze.
({6})
Letztes Mal, bei der ersten Debatte, haben Sie - großspurig, wie Sie sind - etwas von einem Rekordhaushalt
erzählt. Und jetzt lassen Sie sich von Ihrem eigenen
Haushälter, von Herrn Koppelin, am Nasenring durch
die Manege ziehen.
({7})
Das ist doch lächerlich. Kein Wunder, dass Sie am Kabinettstisch nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt
durchgesetzt haben. Wie wollen Sie gegenüber der Bundeskanzlerin 1 Milliarde Euro durchsetzen, wenn Sie
nicht einmal in der Lage sind, 37 Millionen Euro gegenüber Ihrem eigenen Haushälter durchzusetzen? Das ist
eine Lachnummer.
({8})
Herr Minister, Sie sollten einmal Ihr Verhältnis zu den
Kollegen Ihrer eigenen Partei überprüfen. Auch als Sie
damals einen Sonderfonds für Haiti forderten, hat Ihnen
Herr Koppelin den herausgestrichen. Es kann doch nicht
sein, dass jedes Mal, wenn Herr Koppelin „Sitz!“ sagt,
der Bundesminister für Entwicklung, der Wuffi Dirk,
wie ein kleiner Hund mit dem Schwänzchen wackelt.
({9})
Das ist doch ein wichtiges Thema, Herr Minister. Da
reicht es nicht, sich aufzuplustern. Sie müssen wenigstens Ihren eigenen Haushälter mit Autorität von Ihrer
Sache überzeugen. Sonst werden Sie mit Ihren Anliegen
im Kabinett keine Glaubwürdigkeit haben.
Herr Minister, ich habe schon mehrmals Ihre Vetternwirtschaft kritisiert. Das mache ich jetzt nicht noch einmal. Bemerkenswert ist aber, dass die Personalpolitik im
BMZ - das spiegelt sich im Haushalt wider - immer
mehr in Richtung Wahlkampf geht. Die Abteilung „Planung und Kommunikation“ wird mit Stellen aufgebläht.
Der Personalrat spricht davon, dass - ich zitiere - „in
den operativen Kernbereichen des Hauses Schmalhans
Küchenmeister ist“, weil immer mehr gute Leute aus den
Fachabteilungen abgezogen werden, sodass letztlich nur
noch Propaganda gemacht wird.
Man muss sich dann schon die Frage stellen, ob mit
diesem Haushalt für das Jahr 2013 nicht eher das Ziel
verfolgt wird, den Bundestagswahlkampf statt im
Dehler-Haus im BMZ mit dem Geld der deutschen Steuerzahler planen zu können. Nachdem Sie die Servicestelle „Engagement Global“ gegründet haben, werden
Sie demnächst wahrscheinlich auch noch eine Servicestelle „Engagement Liberal“ gründen. Wenn es um Ihre
Partei geht, Herr Minister, ist Ihnen nichts zu teuer. Das
trifft aber auf die Menschen, die es nötig hätten, leider
nicht zu.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem Haus seit 2010,
wenn ich richtig gezählt habe, mehr als 20 Strategiepapiere schreiben lassen. Selbst wir als Fachpolitiker
haben Mühe, da die Übersicht zu behalten.
({10})
Ständig werden uns neue Konzepte präsentiert. In der
Chefetage des BMZ wird so viel heiße Luft produziert,
dass man schon Angst vor Wüstenbildung haben muss.
Dazu passt, dass Sie uns neulich ein entwicklungspolitisches Weißbuch vorgelegt haben, in dessen zehn Hauptbotschaften auf der ersten Seite Sie eigentlich nur sich
selbst feiern. Die Begriffe „Hunger“ und „Armut“ tauchen in dieser Gliederung kein einziges Mal auf.
Ich kann nur sagen: Wir Sozialdemokraten haben eine
Strategie vorgelegt, in der die Bekämpfung von Hunger
und Armut an allererster Stelle steht. Sie hingegen machen in erster Linie Außenwirtschaftsförderung. Sie haben eine Ressortvereinbarung mit dem Auswärtigen Amt
geschlossen, die angeblich zu einer besseren Abstimmung
und mehr Effizienz - Sie nehmen ja immer das Wort „Effizienz“ in den Mund - führten sollte. Dann werfen Sie Ihrem ehemaligen besten Freund Westerwelle aber vor:
Es kann nicht sein, dass Menschen in der von Krisen geschüttelten Region am Horn von Afrika unter
der Untätigkeit des Auswärtigen Amtes leiden.
Das kommt dabei heraus, wenn man die Kernzuständigkeit des BMZ, nämlich humanitäre Hilfe zu leisten, auslagert, um einen Kuhhandel zu machen. Anschließend
klagen Sie öffentlich in der Presse Westerwelles Untätigkeit an. Da kann natürlich eine Männerfreundschaft
schon einmal auf der Strecke bleiben. Noch schlimmer
ist aber, dass Zehntausende Flüchtlinge in der Krisenregion am Horn von Afrika darunter leiden.
Herr Raabe!
Ich komme zum Schluss. - Ich kann Ihnen nur sagen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition:
Wenn Sie heute so abstimmen, wie Sie abstimmen wollen, dann müssen Sie den Menschen erklären, warum Sie
an diesem trüben Novembertag das 0,7-Prozent-Ziel zu
Grabe getragen haben. Ich appelliere an Ihr Gewissen:
Stimmen Sie dem nicht zu!
({0})
Johannes Selle hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Das Ziel der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung ist es, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das ist eine ehrenvolle Aufgabe, die aber riesengroß
ist und die durch Bevölkerungswachstum, Klimaveränderungen und Ressourcenverknappung wächst. Zusätzlich erfordern Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Dürren unsere Hilfe. Dort, wo Not herrscht,
muss auch in Zukunft schnell geholfen werden. Deutschland hat auf die Hungersnot in Ostafrika zum Beispiel
unmittelbar mit Hilfen in Höhe von 33,5 Millionen Euro
reagiert - zusätzlich zu den Leistungen im Rahmen unserer multilateralen Zusammenarbeit.
Die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, wird
wohl leider nicht ganz gelingen. Gerade bei Hunger und
Unterernährung sind die Zahlen - erst von 20 Prozent
auf 16 Prozent gefallen und jetzt wieder auf 19 Prozent
gestiegen - ganz wesentlich verursacht durch die steigenden Lebensmittelpreise.
Wir werden zunehmend damit konfrontiert, durch
fehlende Entwicklung verursachte kriegerische Auseinandersetzungen und terroristische Bedrohungen zu
bewältigen. Ich darf an Mali, Sudan, Südsudan und ganz
aktuell an Kongo erinnern. Deshalb ist es wichtig, dass
wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit Konfliktprävention fördern und vor allem in fragilen Staaten mit
unserem Engagement nicht nachlassen.
({0})
Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, dem Gedanken eines stärkeren, dauerhaften Engagements in einem Land
näherzutreten. Dadurch könnte langfristig der Verwaltungsaufbau und damit eine gute Regierungsführung
schneller vorangebracht werden. Der Südsudan zum
Beispiel braucht das. Ganzheitliche Konzepte fehlen einfach. Zudem würden die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft in Deutschland viel stärker motiviert.
Mit Minister Niebel hat es einen Paradigmenwechsel
gegeben.
({1})
Die Entwicklungszusammenarbeit hat ihre Wirksamkeit
im Inland erhöht. Die Vorfeldreform, an der sich die Vorgängerin des Ministers elf Jahre lang erfolglos versucht
hat,
({2})
ist eine große Erfolgsgeschichte.
({3})
Die Integration von WZ-Referenten an den deutschen
Botschaften kommt voran und wird von unseren Partnern sehr geschätzt. Für den Umgang mit fragilen Staaten wurde ein schlüssiges und anerkanntes Konzept vorgelegt.
Wenn Jobs wichtig für die Bekämpfung der Armut
sind, dann heißt das, die Wirtschaft einzubeziehen.
Nachhaltige Beschäftigung und selbsttragender Aufschwung brauchen Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe. Die Förderung der Privatwirtschaft in Entwicklungsländern hat eine größere Bedeutung bekommen.
90 Prozent aller neugeschaffenen Stellen entstehen nämlich durch privatwirtschaftliche Initiativen.
({4})
„Der Privatsektor ist Wachstumsmotor“, so Staatssekretärin Gudrun Kopp. In dieser Linie steht auch der
Haushaltsentwurf der Regierung mit einer Erhöhung von
37,5 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt 6,4 Milliarden Euro.
({5})
Wir Entwicklungspolitiker wünschen uns mehr, aber wir
stehen in der Verpflichtung, den Haushalt zu konsolidieren. Das ist auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit
sehr wichtig, damit wir weiter helfen können.
Alle wesentlichen Positionen im Haushalt steigen
nach diesem Entwurf. Ich rede dabei von den Positionen,
deren Mittel an Institutionen gehen, die direkt für die
Menschen arbeiten.
({6})
Der Ansatz für den Europäischen Entwicklungsfonds betrug 838 Millionen Euro. Wegen fehlender sinnvoller Projekte meldete die Kommission einen um 144 Millionen
Euro geringeren Bedarf an. Niemand hat bisher hinterfragt, warum der Europäische Entwicklungsfonds seine
Ziele wiederholt nicht erreicht hat. Daran hat auch die
Opposition keine Kritik geübt. Wir hätten das nicht benötigte Geld gerne in andere Projekte gesteckt. Dazu haben wir auch Vorschläge vorbereitet.
Entwicklung, Hilfe und Arbeit zugunsten der
Schwächsten in der Welt: Das ist unsere tägliche Beschäftigung und wird dadurch zu einer Angelegenheit
des Herzens, weil wir eben so dicht dran sind. Im Haushaltsausschuss wurden nun Tatsachen geschaffen.
({7})
Von den 144 Millionen Euro wurden 22,9 Millionen
Euro dem Einzelplan 23 für die Verstärkung der Projekte
belassen. 121 Millionen Euro wurden zur Reduzierung
der Kreditaufnahme verwendet. Das mag vor dem Hintergrund der Verschuldung plausibel erscheinen, wäre
von den Entwicklungspolitikern aber nicht unterstützt
worden. Im weiteren parlamentarischen Verfahren ist
aber eine Änderung nicht so einfach möglich.
Die Projekte, die im Entwurf des Haushaltes vorgesehen waren, haben darunter nicht gelitten. Die Mittel dafür wurden teilweise erhöht. Das darf man auch einmal
sagen. Ich möchte auch auf die Gefahr hinweisen, dass
der Europäische Entwicklungsfonds die Gelder, die er
nicht gebraucht hat, noch einfordern kann, wie es in der
Finanzierungsvereinbarung steht.
Noch einige Worte zu den Anträgen, über die heute
abgestimmt werden muss:
Die SPD verlangt ganz locker 1,4 Milliarden Euro
mehr
({8})
und legt natürlich keine Gegenfinanzierung vor, obwohl
Kollege Steinbrück gerade heute früh eine Nullverschuldung für möglich hielt.
({9})
Das ist im Vergleich zu den gut 2,25 Milliarden Euro,
die die Linken in ihren Anträgen fordern,
({10})
bescheiden. Vielleicht gilt auch hier der Satz: Je weiter
weg von einer Regierungsbeteiligung man ist, desto
leichter fallen die Forderungen.
({11})
Für Ausgaben von 2,25 Milliarden Euro reichen der
Linken eineinhalb Seiten. Wenn man die Mittel für die
Schwerpunkte addiert, die nach Ihrer Meinung mehr Unterstützung benötigen, dann sieht man, dass 800 Millionen Euro gar nicht untersetzt sind, nach dem Motto: Das
Ministerium wird die restlichen Gelder schon vernünftig
einsetzen. - Meine Kollegen von den Linken, diese eineinhalb Seiten sprechen ganze Bände, wie seriös Sie mit
der knappen Ressource Steuergeld umgehen.
Aber auch die nicht untersetzten Forderungen der
SPD sind groß genug, dass man annehmen kann, dass sie
ebenfalls nicht mit einer Regierungsbeteiligung rechnet.
({12})
Bleibt der Antrag der Grünen, der es zwar in sich hat,
aber aufgrund der Zustimmung im Haushaltsausschuss
in einem ganz anderen Licht erscheint. Der Antrag trifft
auch den Nerv der Unionsabgeordneten, die als Fachpolitiker von dem Beschluss im Haushaltsausschuss
überrascht wurden. Ich habe die Initiative unterstützt,
das 0,7-Prozent-Ziel verstärkt anzustreben.
({13})
„Wir wollen nicht die Union …“, hat Ihr Vorsitzender
auf dem Parteitag der Grünen unter Beifall gerufen,
({14})
den Sie anschließend wiedergewählt haben. Was Sie
heute wollen, ist aber, unser gemeinsames Ziel politisch
auszunutzen. Ich mag mich aber nicht auf diesen klebrigen Fliegenfänger setzen.
({15})
Dass wir mit einem Anteil am Gesamthaushalt von
2 Prozent mit über 10 Prozent zum Sparen im Gesamthaushalt beitragen, macht uns nicht glücklich. Ich und
meine Kollegen geben das Ziel nicht auf, für eine effiziente Entwicklungszusammenarbeit die dafür nötigen
Mittel aufzubringen. Dabei wissen wir die Kanzlerin an
unserer Seite. Für die nächsten Beratungen sind wir jedenfalls sensibilisiert.
({16})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege
Niema Movassat.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Niebel, ich bin guter Dinge, dass dies heute der letzte
entwicklungspolitische Haushalt unter Ihrer Verantwortung ist, den wir uns antun müssen. Ihre Bilanz als Entwicklungsminister ist verheerend.
({0})
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben,
dass Sie 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für
Entwicklungszusammenarbeit aufbringen wollen. Damit wollten Sie ein vor über 40 Jahren abgegebenes völkerrechtlich verbindliches Versprechen einlösen. Aber
seit Ihrem Amtsantritt dümpelt die deutsche Entwicklungshilfequote bei mageren 0,4 Prozent oder weniger
herum. Das zeigt, wie viel Ihnen Entwicklungszusammenarbeit praktisch wert ist: so gut wie nichts.
({1})
Um wie versprochen die 0,7 Prozent bis 2015 zu
schaffen, bräuchten wir eine Steigerung des Entwicklungshaushalts von etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr.
Deshalb, Herr Selle, haben wir diesen Antrag hier eingebracht. Machbar ist das. Wer 33,3 Milliarden Euro für
den Verteidigungshaushalt ausgibt wie diese Regierung,
aber nur 6,3 Milliarden Euro für Entwicklung, setzt falsche Prioritäten. Mit einem Bruchteil des Geldes, das Sie
für Rüstung und Krieg ausgeben, ließen sich Armut und
Elend auf dieser Welt bekämpfen.
({2})
Nun soll das Volumen des Entwicklungshaushalts sogar noch schrumpfen. Das besonders Pikante ist, dass
Sie diese Haushaltskürzungen laut Presseberichten Ihrem Parteikollegen Koppelin zu verdanken haben, der
Sie damit offensichtlich schwächen möchte. Da stimmt
dann wohl bei der FDP der Satz: Die Steigerung von
Feind ist Parteifreund.
({3})
Eines Ihrer Ziele war die Fusion der staatlichen technischen Entwicklungszusammenarbeit. Sie haben dafür
GTZ, DED und InWEnt zur GIZ, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, zusammengefügt. Damit
sollte die Entwicklungsarbeit effektiver werden. Die
Idee war gut, die Realität ist ein Trauerspiel. Viele Beschäftigte sind frustriert. Laut der jüngsten Mitarbeiterbefragung ist fast die Hälfte der GIZ-Belegschaft mit
dem Fusionsprozess und der Arbeit des Vorstands unzufrieden. Da Sie, Herr Niebel, das Projekt immer als
Chefsache behandelt haben, ist das auch für Sie ein vernichtendes Urteil.
({4})
Verheerend ist auch die politische Umorientierung,
die Sie in der GIZ vorantreiben. Sie bauen das Unternehmen zu einem weltweiten Dienstleistungsunternehmen
für Aufgaben aller Art um. Die Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, die Armutsreduzierung, fällt dabei
hinten runter. Im neuen Leitbild der GIZ steht dazu kein
Wort mehr.
Während für uns im globalen Norden eine ausreichende Ernährung, fließend Wasser und Strom meist
selbstverständlich sind, kämpfen unzählige Menschen
im Süden täglich ums nackte Überleben. 1,4 Milliarden
Menschen weltweit leben in extremer Armut. Die Teller
bleiben leer, Schulen sind unerreichbar, sauberes Wasser
ist Luxusgut. Angesichts dessen ist Armutsbekämpfung
wichtiger denn je.
({5})
Stattdessen bietet die GIZ Dienstleistungen an, die
mit Menschenrechten und Entwicklungszusammenarbeit
nichts zu tun haben. So bildet die GIZ saudische GrenzNiema Movassat
polizisten aus. Ich frage Sie, Herr Niebel: Ist Saudi-Arabien, in dem Frauen gesteinigt, Menschen zur Bestrafung Gliedmaßen abgehackt werden, ein Beispiel für
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit? Wir als Linke
sagen klar Nein.
({6})
Für Sie ist Entwicklungspolitik nichts anderes als Außenwirtschaftsförderung im Interesse deutscher Unternehmen. Diese profitieren von Ihrem Kurs, nicht kleine
und mittelständische Unternehmen in den Ländern des
Südens.
({7})
Dazu passen auch Ihre Renditeerwartungen. Vor kurzem
sprachen Sie im Entwicklungsausschuss davon, dass jeder Euro in der Entwicklungszusammenarbeit zu einer
Erhöhung des deutschen Exports um 3 bis 4 Euro führt.
Aus 1 Euro mach 4 Euro, 300 Prozent Rendite: Da erblasst ja selbst ein Herr Ackermann vor Neid.
({8})
Herr Niebel, Ihnen fällt Ihr eigener ideologischer Widerspruch nicht einmal mehr auf. Ich dachte, Liberale
lehnen Subventionen für Unternehmen ab. Nun bauen
Sie zum Beispiel mit öffentlich-privaten Partnerschaften
das Entwicklungsministerium zu einem Förderinstitut
für deutsche Unternehmen um. Mit liberaler Lehre hat
das nichts zu tun.
({9})
Aber all das ist letztlich nur die Spitze des Eisbergs.
Wir brauchen eine grundlegend andere entwicklungspolitische Strategie. Die globale soziale Ungerechtigkeit
muss beendet werden.
Heute besitzen weltweit 63 000 Menschen ein Vermögen von 40 Billionen Dollar. Das ist mehr als die Hälfte
des jährlichen Bruttoinlandsprodukts aller Staaten auf
der Welt zusammengenommen. 63 000 Menschen - das
sind gerade einmal 0,00009 Prozent der Weltbevölkerung.
({10})
Gleichzeitig hat die Hälfte der Menschheit keinerlei Vermögen. Gleichzeitig verhungert alle fünf Sekunden ein
Kind. Überall auf der Welt sterben Menschen an Hunger,
ob in Guatemala, Kongo oder Indien.
Auf der einen Seite gibt es grenzenlosen Reichtum,
auf der anderen Seite ungeheure Armut. Bei einer gerechten Verteilung des weltweiten Reichtums müsste
heute niemand mehr an Hunger und Armut sterben.
({11})
Deshalb müssen wir umverteilen - in Deutschland und
weltweit. Das wäre tatsächliche Entwicklungspolitik.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Thilo Hoppe hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will jetzt nicht die großen Linien der Entwicklungspolitik beschreiben, sondern uns nur noch einmal vor
Augen führen, um was es gleich in der namentlichen Abstimmung gehen wird. Es geht allein darum, eine Fehlentscheidung des Haushaltsausschusses zu korrigieren
und zu dem Entwurf zurückzukehren, den diese Bundesregierung vorgelegt hat.
Um es klarzustellen: Wir stehen nach wie vor zu unserer Position, die Entwicklungsausgaben und die Ausgaben für humanitäre Hilfe, also die ODA-Leistungen,
Jahr für Jahr um 1,2 Milliarden Euro zu steigern. Denn
das wäre notwendig, um dem 0,7-Prozent-Ziel nahezukommen und es 2017 erreichen zu können. Das hätten
wir wieder beantragen können, aber es wäre wieder abgelehnt worden. Das ist eine sinnlose Übung.
Das, was wir jetzt vorlegen, ist nur die Streichung einer Streichung. Was ist geschehen? Der Regierungsentwurf sah eine zwar geringfügige, aber immerhin noch
eine Steigerung des Entwicklungshaushaltes vor. Dann
kam die überraschende Sitzung des Haushaltsausschusses, in der im Endeffekt 124 Millionen Euro herausgestrichen wurden. Auch wenn hier mit vielen Zahlen jongliert wurde: Das lässt sich nicht wegreden. Das haben
auch andere Kolleginnen und Kollegen zugegeben und
bestätigt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine reale
Kürzung um 86,5 Millionen Euro. Das hat der Kollege
Klein auch zugegeben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Jahren immer engagiert diskutiert und gestritten,
wie hoch die Aufwüchse sein müssten. Wenn wir das
heute Abend durchgehen lassen, dann wird es zum ersten Mal nach langer Zeit in die falsche Richtung gehen.
Bisher ging die Fieberkurve noch nach oben. Jetzt wird
es den Knick nach unten geben. Das wäre ein absolut fatales Signal für die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der
Welt.
({1})
Das wäre eine schlechte Nachricht. Bitte seien Sie
sich der fatalen internationalen Wirkung dieses Signals
bewusst. Es ist doch kein Geheimnis - ich plaudere
keine Interna aus -, dass sich der Entwicklungsminister,
die Staatssekretärin und viele Kolleginnen und Kollegen
aus dem Entwicklungsausschuss sehr über diese Streichaktion geärgert haben.
({2})
Herr Selle, ich nehme das Ganze sehr ernst. Ich hatte
versprochen, den Text des entwicklungspolitischen Konsenses über die zusätzlichen 1,2 Milliarden Euro, den
viele von Ihnen dankenswerterweise unterschrieben haben, niemals zum Anlass einer namentlichen Abstimmung zu machen und Sie nicht in Schwierigkeiten zu
bringen. Aber darum geht es heute nicht. Es geht heute
nur darum, eine Kürzung zu verhindern bzw. sie zu korrigieren.
Was wir jetzt machen, klingt paradox: Ich verteidige
den Regierungsentwurf, den Entwurf dieser Bundesregierung gegenüber einer einsamen Kürzungsaktion auf
Betreiben hauptsächlich eines Haushälters.
({3})
Darüber bitte ich jetzt nachzudenken und in sich zu gehen. Nehmen Sie den Parlamentarismus ernst!
({4})
Denn er sieht vor, dass das Plenum dieses Bundestages
das letzte Wort behält.
({5})
Er sieht nicht vor, was leider Gewohnheitsrecht geworden ist: dass immer der Haushaltsausschuss das letzte
Wort behalten soll.
({6})
Ich will jetzt nicht die Gewissensdimension ins Spiel
bringen; es geht um Ihre Überzeugung. Wie gesagt, wir
haben gemeinsam für Aufwüchse gekämpft und uns nur
darüber gestritten, wie hoch die Aufwüchse sein müssen.
Aber Kürzungen waren überhaupt nicht in Sicht, weder
im Entwicklungsministerium noch bei den Kolleginnen
und Kollegen, mit denen wir im AwZ gut zusammenarbeiten.
Wir haben jetzt die Möglichkeit, das noch zu korrigieren. Es stimmt auch nicht, dass damit der ganze Haushalt
kippen würde. Wir haben uns nach der Verfahrensweise
erkundigt. Es wäre möglich, diese Rücknahme der Kürzung noch am Freitag in dritter Lesung einzuarbeiten.
Das würde ein winziges Stückchen mehr Schuldenaufnahme bedeuten. Aber sagen Sie jetzt bitte nicht, dass
124 Millionen Euro ein riesengroßes Problem darstellen,
wenn man sieht, dass wir hohe Steuermehreinnahmen
haben, dass wir 750 Millionen Euro für neue Straßen
ausgeben, dass wir Beschlüsse für ein Betreuungsgeld
gefasst haben usw. Es geht hier um Prioritätensetzung,
um die Rückkehr zum Regierungsentwurf. Darüber können wir gleich abstimmen. Ich bitte Sie, Ihrer Überzeugung zu folgen.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege
Helmut Heiderich.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Bundesminister Niebel hat bei der Vorstellung
des Haushalts vor wenigen Wochen darauf hingewiesen,
dass das BMZ zum vierten Mal in Folge einen Rekordhaushalt vorlegt.
({0})
Nun hat ihm der Haushaltsausschuss buchstäblich
und im wahrsten Sinne des Wortes einen Strich durch die
Rechnung gemacht. Meine verehrten Damen und Herren
von den Grünen, eben habe ich erfahren, dass Sie an dieser Streichung aktiv beteiligt waren.
({1})
Deswegen sage ich ganz deutlich: Wenn Sie jetzt mit Ihrem Antrag kommen und das, was Sie gestrichen haben,
wieder aufsetzen wollen, dann ist das wirklich eine Kapriole besonderer Art.
({2})
Möchten Sie die Zwischenfrage von Herrn Hoppe zulassen?
Jetzt nicht, später bitte.
({0})
Was aus der technischen Sicht der Haushälter sicherlich ein Korrekturposten unter vielen gewesen sein mag,
war für die Gesamtdarstellung der Entwicklungspolitik
in der Öffentlichkeit leider ein Desaster; denn in Relation zum Haushalt 2012 - das ist jetzt schon ein paarmal
gesagt worden - bleibt unter dem Strich ein Minus,
wenn auch ein kleines, von 86 Millionen Euro.
Natürlich haben sich alle Journalisten und Entwicklungsorganisationen, von Agro Action bis World Vision,
darauf gestürzt und sich zu Wort gemeldet. Ich will nur
einige Überschriften nennen: „Deutschland kürzt Entwicklungshilfe“, „Deutschland begräbt ein Stück globaler Verantwortung“, „Deutschland verabschiedet sich
aus seiner internationalen Verantwortung“, „Sparen auf
Kosten der Ärmsten“ usw.
({1})
Das war die direkte Reaktion auf diese Entwicklung.
Ich denke, all dies wäre leicht zu vermeiden gewesen,
wenn nicht auch Sie, Frau Hinz, die Hand gehoben hätten, sondern sie unten gelassen hätten.
({2})
Ich sage eines dazu ganz deutlich: Wir Entwicklungspolitiker haben diese Situation nicht zu verantworten.
Wir Entwicklungspolitiker - das sage ich genauso deutlich - wollen und werden uns nicht von unserer internationalen Verantwortung verabschieden. Wir werden weiter kämpfen.
({3})
Trotz all dieser Schlagworte, die eben von mir zitiert
worden sind, werden wir für das kommende Haushaltsjahr, auch nach der Veränderung des Etats, niemandem
einen einzigen Euro wegnehmen oder irgendwelche Mittel streichen. Das Gegenteil ist richtig. Auch nach der
Veränderung werden 23 Millionen Euro zusätzlich vergeben. Ich liste auf: 5 Millionen Euro für die berufliche
Aus- und Fortbildung, 4 Millionen Euro für die Vereinten Nationen, 2 Millionen Euro für politische Stiftungen,
2 Millionen Euro für Kirchen und 10 Millionen Euro für
nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz. Das alles
wird zusätzlich im kommenden Haushaltsjahr geleistet.
({4})
Nun werden Sie fragen: Wo ist denn das Problem?
Warum diese Aufregung? Nun, wir haben eben schon
gehört - ich will das ganz kurz machen -, dass für den
Europäischen Entwicklungsfonds 838 Millionen Euro
angesetzt waren. Zwei Tage vor der Verabschiedung gab
es einen neuen Hinweis - ich habe mir das extra aus dem
BMF geben lassen -, dass diese Mittel aus Gründen, die
man in Brüssel zu verantworten hat und nicht bei uns
- ich will das nicht lange ausführen -, reduziert werden.
Das BMF hat interessanterweise in seinen Beurteilungsbogen hineingeschrieben: politische Bedeutung gering. Ich glaube, an dieser Stelle hat man sich ein wenig verschätzt.
({5})
Leider muss ich auch feststellen: Kein Einziger von
denen, die ich eben zitiert habe - wenn man sich die
Stellungnahmen aufmerksam durchliest, ist das eindeutig zu erkennen -, hat sich mit diesen inneren Zusammenhängen beschäftigt. Deswegen ist es auch ganz natürlich, dass sich die Opposition auf dieses Ereignis
einschießt.
Ich halte aber auch fest: Was die Grünen hier heute
beantragen, ist nichts anderes als Bilanzkosmetik.
({6})
Mit der Annahme dieses Antrags - das sage ich ganz
deutlich; Herr Hoppe kann mich ja gleich noch dazu befragen - wird kein Einziger weltweit im nächsten Jahr
auch nur einen einzigen Euro mehr bekommen als jetzt.
({7})
Setzt man diese Veränderung in Relation zu der Entwicklungspolitik, die mit diesem Haushalt insgesamt geleistet wird, ist ganz deutlich zu sagen: Man muss die Kirche im Dorf lassen. Deutschland wird in 2013 insgesamt
über 10 Milliarden Euro an ODA-Leistungen erbringen.
Obwohl wir selbst nur 1,1 Prozent der Weltbevölkerung
darstellen, werden wir international den zweitgrößten
Anteil aller Staaten leisten - direkt hinter den USA. Auch
darauf muss einmal öffentlich hingewiesen werden.
({8})
Im Übrigen hat Frankreich seine ODA-Quote im letzten Jahr um 5,6 Prozent gesenkt. England hat sie um
0,8 Prozent reduziert. Außerdem hat die neue französische Regierung gerade mitgeteilt, dass die ODA-Quote
für die nächsten Jahre bei 0,4 Prozent eingefroren werden soll. Und schauen Sie einmal in die USA: Die ODAQuote beträgt dort 0,2 Prozent.
Deshalb ist dieser Fetischismus, immer auf die Hundertstelstellen nach dem Komma zu schauen und daran
eine erfolgreiche Entwicklungspolitik festzumachen, für
mich kein Maßstab. Für mich ist der Maßstab, ob wir es
schaffen, dass die Menschen in dieser Welt eine bessere
Lebensqualität erreichen.
Ich will einmal einige Beispiele nennen. 3 Milliarden
Menschen weltweit haben nach wie vor weniger als
2 Dollar am Tag zur Verfügung. 1,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Energie. 1 Milliarde
Menschen weltweit muss immer noch Hunger leiden.
An diesen Stellen müssen wir ansetzen und aufhören,
hier über Hundertstelstellen hinter dem Komma zu diskutieren.
Gerade bei der Hungerbekämpfung hat diese Koalition in den letzten Jahren eine Menge enormer Verbesserungen erreicht. Was in rot-grüner Regierungszeit - darüber haben wir uns ja schon einmal unterhalten - fast
aus dem Haushalt herausgestrichen worden war, ist unter
unserer Verantwortung wieder deutlich aufgewachsen.
Wir haben damit international neues Renommee für
Deutschland gewonnen.
({9})
Das Ministerium hat eine Taskforce eingerichtet. Ein
Zehn-Punkte-Programm ist in der Umsetzung. Gemeinsam mit dem Agrarministerium haben wir Vereinbarungen getroffen, um die Schlagkraft der beiden Ministerien
zusammenzufügen. Im Sinne einer modernen Ausrichtung der Hungerbekämpfung haben wir die Deutsche
Initiative für Agrarwirtschaft und Ernährung ins Leben
gerufen. Ich glaube, damit machen wir deutlich, dass wir
das Problem des Hungers weltweit von verschiedenen
Seiten ins Visier nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor dem
Hintergrund, dass wir hier im Detail an Verbesserungen
weltweit arbeiten, sind die 1,4 Milliarden Euro, die nach
dem heute hier gestellten Antrag der SPD auf den Haushalt draufgesattelt werden sollen, wirklich kein Betrag,
der in irgendeiner Weise auch nur annähernd realistisch
wäre.
({10})
Es kann auch nicht sein, dass Ihr haushaltspolitischer
Sprecher gestern erklärt, diese Bundesregierung spare zu
wenig und müsse wesentlich mehr Geld einsammeln,
und Sie heute fordern, 1,4 Milliarden Euro draufzusatteln. Das ist eine Doppelmoral, die man hier nicht so stehen lassen kann.
({11})
Letzter Punkt, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen. Es ist eben schon kurz angesprochen worden:
Sie sollten sich einmal an das erinnern, was uns von den
Fachleuten in der Anhörung im Frühjahr aufgegeben
worden ist. Damals hieß es nicht, wir sollten zusätzliches
Geld über die Welt ausschütten, sondern es hieß, wir
sollten uns darum kümmern, die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik zu verbessern. Ich glaube, auch da haben wir und unsere Regierung einen guten Anfang gemacht. Wir haben zum Beispiel beim Global Fund
gezeigt, wie man die Wirksamkeit verbessert. Wir haben
das Deutsche Evaluierungsinstitut gegründet. Je höher
dessen Wirksamkeit wird, desto mehr können wir mit
dem eingesetzten Geld machen. Das ist allemal besser,
als sich auf eine Hundertstelstelle hinter dem Komma zu
konzentrieren.
Schönen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Thilo Hoppe.
Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, Sie haben behauptet, die grüne Fraktion sei für eine Kürzung des Entwicklungsetats. Ich möchte Sie herzlich bitten, diese Behauptung zurückzunehmen und zur Kenntnis zu nehmen,
dass wir Aufwüchse in Höhe von 900 Millionen Euro für
den Entwicklungshaushalt beantragt haben.
Wenn einer Rückführung von nicht benötigten Mitteln aus dem Europäischen Entwicklungsfonds in Höhe
von 144 Millionen Euro zugestimmt wurde, dann muss
das gegen die Aufwüchse von 900 Millionen Euro gegengerechnet werden. Der von uns gewünschte Aufwuchs ist daher immer noch groß: mehr als 750 Millionen Euro.
Es geht hier nicht um irgendwelche Stellen weit hinter
dem Komma; vielmehr stimmen wir gleich darüber ab
- ich kann es noch einmal in Erinnerung rufen -, ob der
Entwicklungsetat zum ersten Mal seit langer Zeit real
gekürzt wird - gegen den Willen der Bundesregierung,
gegen den Willen des Entwicklungsministers und gegen
den Willen vieler Kolleginnen und Kollegen aus dem
Entwicklungsausschuss - oder ob wir diese Kürzung zurücknehmen und den alten Regierungsentwurf wieder
einsetzen. Darum geht es gleich in der Abstimmung.
Herr Kollege Heiderich, möchten Sie erwidern? Bitte schön.
Herr Kollege Hoppe, wir haben vorhin zweimal gehört, dass im Haushaltsausschuss eine Kürzung von
144 Millionen Euro beschlossen worden ist und dass
dieser Beschluss dazu geführt hat, dass jetzt im Entwicklungsetat unter dem Strich kein Plus steht, wie vorher,
sondern ein Minus. Die Debatte dieser Woche in allen
deutschen Zeitungen und in zahlreichen Institutionen hat
sich darum gedreht, dass die Kürzung von 144 Millionen
Euro unter dem Strich zu einem Minus führt. Diese Kürzung ist - das ist eben von Frau Hinz bestätigt worden mit Ihrer Stimme beschlossen worden.
({0})
Deswegen ist das Ergebnis auch von den Grünen verursacht. Auch Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen,
dass Sie dafür gesorgt haben, dass unter dem Strich ein
Minus herausgekommen ist. Das dürfen Sie nicht anderen vorwerfen.
({1})
Martin Gerster hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Minister Niebel, Sie haben heute um 17.40 Uhr ein
Satirevideo verschickt, „Africa for Norway“, und uns
Abgeordneten dabei vier unterhaltsame Minuten gewünscht. Ich kann in Anbetracht des Verlaufs der Haushaltsberatungen verstehen, dass Sie gute Stimmung machen wollen. Aber gerade heute ist es doch völlig
deplatziert und grenzwertig, uns ein Satirevideo zu schicken.
({0})
Ich muss schon sagen: Ich habe den Minister Niebel
auch als jemanden erlebt, der kämpfen kann, der engagiert auftreten kann.
({1})
Aber es ist schon ziemlich traurig, dass er heute nicht bereit ist, für seinen Etatentwurf noch einmal zu kämpfen.
Das müssen wir an dieser Stelle deutlich kritisieren.
({2})
Heute ist nämlich kein guter Tag für Armutsbekämpfung
und für Entwicklungszusammenarbeit. Das muss deutlich gesagt werden.
({3})
Es ist sogar noch mehr: Es ist blamabel, auch für die
Koalition, die anscheinend nun offen zeigt, was sich
schon damals bei der Regierungsübernahme durch
Schwarz-Gelb angebahnt hat. Es ist blamabel auch für
die Koalitionsfraktionen, weil der Etat des BMZ zum
ersten Mal seit zehn Jahren sinkt - trotz sprudelnder
Steuereinnahmen, trotz niedriger Zinsen und trotz
17 Milliarden Euro Neuverschuldung. Das ist eine Blamage für Schwarz-Gelb.
Ich frage an dieser Stelle: Wo waren eigentlich die
einflussreichen Leute in der Unionsfraktion und in der
FDP-Fraktion, die doch auch das tragen müssten, was
die Bundeskanzlerin und der Minister Niebel auf internationaler Ebene versprechen? Der Entwicklungsminister, Herr Niebel, hat in der ersten Lesung darauf aufmerksam gemacht. Er hat wörtlich gesagt:
Ich danke der Frau Bundeskanzlerin, die wiederholt
das Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels zu ihrer eigenen Sache gemacht hat und die auch ganz persönlich ein großes Engagement in Fragen der Entwicklungspolitik zeigt.
Ich frage jetzt: Warum wird diese Politik von der
Unionsfraktion und der FDP-Fraktion in den Haushaltsberatungen unterlaufen?
({4})
Das können wir doch nicht hinnehmen. Warum hat denn
niemand interveniert? Heute Morgen stellt sich die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, hier hin und sagt:
Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste seit
der Wiedervereinigung.
({5})
Genau in diesem Ressort zeigt sich jetzt, wie wenig
Unterstützung und Rückhalt sie bei der Entwicklungszusammenarbeit hat. Deswegen sage ich: Insgesamt ist das,
was hier passiert, einfach nur peinlich,
({6})
peinlich für das Ansehen Deutschlands auf internationaler Ebene. Es ist peinlich, wie internationale Zusagen unterminiert werden.
Herr Niebel, bei der ersten Lesung habe ich Ihnen gesagt: Es wäre gut, wenn Sie auf dem Teppich bleiben
würden. Diesen Ratschlag hätten Sie befolgen sollen;
denn das, was jetzt passiert, ist wahrlich kein Ruhmesblatt für Sie und Ihre FDP-Fraktion. Das haben wir auch
in den Medien entsprechend lesen können.
An dieser Stelle muss man sagen, dass wir vonseiten
der SPD-Fraktion immer wieder auf die systematischen
Finanzierungslücken hingewiesen haben. Wir haben immer wieder darum gebeten, auch in der Bereinigungssitzung, uns die Schritte aufzuzeigen, die notwendig sind,
damit wir bis 2015 das ODA-Ziel erreichen können. Die
Antwort war: Na ja, wir halten an diesem Ziel fest, aber
konkrete Schritte können wir nicht nennen. - Ich finde,
das ist schwach. Mit dem heutigen Tag wird nun endgültig die Katze aus dem Sack gelassen. Es zeigt sich, dass
die Skepsis, die von Anfang an in der Fachöffentlichkeit,
aber auch in der Öffentlichkeit insgesamt vorhanden
war, mehr als berechtigt war. Die Chance, die ODAQuote tatsächlich zeitnah zu erreichen, ist vertan. Herr
Niebel, Sie können das natürlich auf die Haushälter
schieben; aber ich vermisse, dass Sie wirklich um Ihren
Haushaltsansatz kämpfen. Hier hätte man sich ein bisschen mehr wünschen können.
({7})
Was ist die Folge von dem, was heute offensichtlich
mit den Stimmen der Mehrheit beschlossen werden soll?
Wir sind auf internationaler Ebene nicht mehr glaubwürdig und können dort nicht mehr glaubhaft auftreten. Wen
wollen wir zu mehr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit bewegen, wenn wir selber an dieser Stelle
nicht entsprechend glaubwürdig sind, wenn wir selber an
dieser Stelle hinter unseren Zusagen bleiben? Deswegen
sage ich: Nein, so kann es nicht sein. Wir haben entsprechende Änderungsanträge eingebracht, sowohl in der
Bereinigungssitzung als auch heute im Plenum. Ich kann
nur dazu aufrufen, für unseren Antrag zu stimmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich hier noch ansprechen. Wenn man Ihre Politik sieht, Herr Niebel, dann
drängt sich einem immer wieder eines auf: dass Entwicklungszusammenarbeit benutzt wird, um letztendlich
personalpolitisches Product Placement für die FDP zu
betreiben.
({8})
Immer wieder wurde bei den Haushaltsberatungen gesagt: Dies wird gemacht, um die Visibilität, um die
Sichtbarkeit, zu erhöhen. Man hat den Eindruck, dass
das BMZ die Politik so betreibt, dass man eine Litfaßsäule aufstellt und sie zuplakatiert. Das ist dann Entwicklungszusammenarbeit. Das darf doch wohl nicht
wahr sein.
({9})
Ich will noch einen Punkt anführen, der für das
Selbstverständnis im Ministerium bezeichnend ist. Dies
zeigte sich auch, als Staatssekretär Beerfeltz beim Jahresessen des Waren-Vereins der Hamburger Börse davon
geschwärmt hat, dass auch für Entwicklungsländer
- wörtlich - der „freie Welthandel eine klassische Winwin-Situation“ sei. Ich finde, diese Aussage ist sehr entlarvend, was das Verständnis der Koalition in Bezug auf
diesen Politikbereich anbelangt.
({10})
Denn insgesamt wird man nur wenige Experten finden,
die diesen naiven Automatismus teilen. Noch immer bildet das Mantra der freien Marktwirtschaft die Grenzen
Ihres entwicklungspolitischen Horizonts.
Deswegen will ich an Sie appellieren, diesen Haushalt
abzulehnen und unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Wir können nur hoffen, dass wir bald eine Bundesregierung haben, die das umsetzt, was auf internationaler
Ebene versprochen wurde.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der Tat fällt es mir zum ersten Mal leicht und
schwer zugleich, den Haushalt des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu
verteidigen.
Schwer fällt es mir deshalb, weil auch ich nicht richtig glücklich bin über das, was im Haushaltsausschuss
geschehen ist, dass nämlich ein an sich guter Einzelplan,
in dem die Richtung stimmte, derart deutlich verändert
wurde, sodass es keinen Aufwuchs gibt. Das bedaure ich
persönlich außerordentlich.
({0})
Die Entwicklungspolitiker innerhalb der CDU/CSU
haben intensiv darüber gesprochen, wie man mit dieser
Situation umgehen soll. Wir befinden uns in einer Lage,
in der wir einerseits entwicklungspolitische Glaubwürdigkeit bewahren wollen und andererseits zu einer notwendigen Geschlossenheit in der Abstimmung beitragen
müssen. Das ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, der
aber nicht den Entwicklungspolitikern anzulasten ist; das
möchte ich noch einmal deutlich sagen.
Leicht fällt es mir auf der anderen Seite deshalb, weil
die Entwicklungspolitik in dieser Legislaturperiode zum
ersten Mal in ihrer Geschichte einen ganz umfangreichen Paradigmenwechsel erfahren durfte. Die Koalitionsfraktionen haben zum Beispiel erreicht, dass unsere
Privatwirtschaft und die regionalen wirtschaftlichen
Wachstumskräfte in den Entwicklungsländern und in unseren Partnerländern eine sehr enge Kooperation eingegangen sind.
Wir haben endgültig - und das ist auch wichtig - den
Begriff der Entwicklungshilfe aus unserem Sprachgebrauch gestrichen. Mit diesem Begriff haben wir Schluss
gemacht. Trotzdem will die Opposition noch an den damit verbundenen Inhalten festhalten. Ihre Sehnsucht
nach den überholten Positionen ist eine Sehnsucht nach
veralteten Strukturen. Dafür stehen wir persönlich nicht
mehr. Ideen für die Zukunft haben Sie nicht. Deshalb
kann Deutschland froh sein, dass Sie ab dem nächsten
Jahr weitere vier Jahre auf der Oppositionsbank schmoren werden.
({1})
Es ist klar, liebe Opposition: Wir betreiben keine
Wirtschaftshilfe für den deutschen Mittelstand; es ist
vielmehr eine moderne Entwicklungszusammenarbeit,
eine Kooperation auf Augenhöhe mit den Entwicklungsländern.
({2})
Wir bieten den Staaten Know-how und Wirtschaftsstrukturen an, damit dadurch endlich überall unsere Partner
von dem Tropf der alten Entwicklungshilfe abgekoppelt
werden können.
Wir haben Visionen und Konzepte, die wir in dieser
Legislaturperiode umgesetzt haben. Meine Damen und
Herren, Sie haben das immer bekämpft. Sie haben das
letzte UN-Entwicklungsziel - Wachstum durch Privatwirtschaft - über Jahrzehnte in den Haushaltsansätzen
des BMZ negiert.
Dass die Grünen und die Linken in der Entwicklungspolitik wirtschaftsunfreundliche Positionen vertreten, ist
uns allen klar. Dass jedoch auch die SPD jegliche Verbindungen zwischen Mittelstand, den Infrastrukturprojekten,
den Außenhandelskammern und den Handwerkskammern, die in der Entwicklungszusammenarbeit wesentliche Aufgaben übernehmen, als negativ definiert haben,
das ist bezeichnend für ihre Ideologie in dieser Frage. Das
finde ich sehr erschütternd. Wir konnten in der Entwicklungszusammenarbeit der letzten drei Jahre deutliche Erfolge bürgerlicher Politik verzeichnen; ich habe es eben
gesagt.
({3})
Die SPD hat auch in Zeiten der Großen Koalition immer wieder eine Aufstockung der Mittel für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft verhindert. Zum Beispiel
hat das Ministerium die PPP-Instrumente kaum genutzt.
One-to-one-Shops, Messebeteiligungen, WirtschaftsKnow-how, Verbände bei Regierungsverhandlungen,
Länderkoordinationskreise - all diese Aspekte der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit durften nicht auf der
Tagesordnung stehen. Das sind doch die Fakten. Wir haben einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Das ist
sehr viel bedeutender als ein Rückgang der Mittel für das
kommende Jahr um möglicherweise 83 Millionen Euro.
({4})
Die Grundlage der Arbeit ist verändert worden, in eine
richtige Richtung.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund einer
konsequenten Umsetzung unserer Konzepte im Rahmen
der Förderung der Privatwirtschaft bereiten wir uns auf
das vor, was in der nächsten Regierungszeit, ab 2013,
auf uns zukommt. Da haben wir drei Hauptbereiche im
Auge:
Erstens: Konsequenzen aus den heutigen Leitlinien
für multilaterale Entwicklungsleistungen sowie Entwicklung einer Zukunftsvision im Hinblick auf die
MDG-Ziele.
Zweitens: Verbesserung der Kohärenz der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit.
Drittens: Vernetzung der deutschen Durchführungsorganisationen und der Institutionen unserer Partnerländer.
Meine Damen und Herren, wir müssen in den nächsten Jahren dringend eine deutsche Strategie im Hinblick
auf multilaterale Entwicklungsleistungen entwerfen.
Diese Strategie muss sich auf eine klare Analyse der
Frage stützen, wie diese Form der Finanzierung gefördert werden kann. In der Strategie sollten auch Deutschlands Prioritäten bei der Reform des multilateralen Systems und die Kriterien für die Finanzierung dargelegt
werden.
Wir setzen uns bei den MDG-Zielen für eine Nachfolgekonzeption für den Zeitraum bis 2030 ein. Wir wollen
die Diskussion über eine ODA-Quote von 0,7 Prozent
als Lehre verstehen und Konsequenzen daraus ziehen.
Wir wollen erkennen, was nur wohlfeile Rhetorik ist und
was auch in Zeiten der Wirtschaftskrise tatsächlich
machbar ist. Wir setzen uns bei der Formulierung der
Ziele für den Zeitraum bis 2030 dafür ein, dass die ländliche Entwicklung, die wir bei den Zielen für den
Zeitraum bis 2015 etwas vernachlässigt haben, eine größere Bedeutung erhält. Wir setzen uns weiter dafür ein,
dass die Handelssysteme ausgeweitet werden und die
Privatwirtschaft stärker einbezogen wird, dass Good
Governance eine wesentliche Rolle spielt und das Kriterium der Einhaltung der Menschenrechte, das wir in
unsere Programme implementiert haben, in diesem Zusammenhang noch viel bedeutender wird.
Ich habe es gesagt: Die Kohärenz ist ein wichtiger
Punkt, das heißt die Vernetzung der deutschen Durchführungsorganisationen. Dazu gehört auch die Kohärenz
der Arbeit der Ministerien. In der Zukunft müssen wir
eine stärkere Sensibilisierung für diese Fragen erreichen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Die genannten drei Leitlinien werden die Entwicklungspolitik
der nächsten Jahre bestimmen; dafür werben wir beim
Wähler. Wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere Arbeit
der letzten Jahre goutiert wird und wir unsere Arbeit im
Entwicklungsbereich in der nächsten Legislaturperiode
erfolgreich fortsetzen werden.
Danke sehr.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen uns fünf Änderungsanträge vor. Über
diese werden wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, den Sie auf Drucksache
17/11532 finden. Zu diesem ist namentliche Abstim-
mung verlangt. Es liegen mehrere Erklärungen zur Ab-
stimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Ich
bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht einwerfen konnte? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Abstimmung fort und kommen zu den
drei Änderungsanträgen der Fraktion der SPD. - Herr
Fricke, ich würde gerne abstimmen lassen, aber Sie
lenken die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD
ab. Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
({0})
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11528. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustim-
mung durch die einbringende Fraktion und die Linke,
die Koalitionsfraktionen waren dagegen, Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11529. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei
Zustimmung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die
Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, die Linke
hat sich enthalten.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11530. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Dieser Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei
Zustimmung durch SPD-Fraktion und Linke, die Koali-
1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 25328 C
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
tionsfraktionen waren dagegen, die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen hat sich enthalten.
Schließlich kommen wir zum Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11531. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei
Zustimmung durch die einbringende Fraktion, die
Koalitionsfraktionen waren dagegen, enthalten haben
sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich unterbreche
jetzt die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses der
namentlichen Abstimmung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 561. Mit
Ja haben gestimmt 251, mit Nein haben gestimmt 305.
Es gab 5 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 561;
davon
ja: 251
nein: 305
enthalten: 5
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Willi Brase
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({1})
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({2})
Hubertus Heil ({3})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz ({4})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe ({5})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({6})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({7})
Marlene Rupprecht
({8})
Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({9})
Marianne Schieder
({10})
Werner Schieder ({11})
Ulla Schmidt ({12})
Carsten Schneider ({13})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({14})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({15})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({16})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({17})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({18})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({19})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({20})
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({21})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner ({22})
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({23})
Manfred Behrens ({24})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({25})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({26})
Axel E. Fischer ({27})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({28})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({29})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({30})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({31})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({32})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({33})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({34})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({35})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({36})
Anita Schäfer ({37})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({38})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({39})
Dr. Kristina Schröder
({40})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({41})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({42})
Lena Strothmann
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({43})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({44})
Peter Weiß ({45})
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({46})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({47})
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({48})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner ({49})
Michael Link ({50})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({51})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({52})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({53})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({54})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({55})
Enthalten
CDU/CSU
Frank Heinrich
Dr. Christian Ruck
Sabine Weiss ({56})
Dagmar G. Wöhrl
({57})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Einzelplan bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Schirmbeck
Heinz-Peter Haustein
Roland Claus
Katja Dörner
Zum Einzelplan 10 liegen vier Änderungsanträge der
Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Verabredet ist, neunzig Minuten zu debattieren. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier.
({58})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
deutsche Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft steht
vor großen Herausforderungen. Wir müssen den gesellschaftlichen Anforderungen, die an diesen Sektor gestellt werden, entsprechen. Vor allen Dingen, was eine
nachhaltige Produktion, den Schutz der Biodiversität
und nicht zuletzt die Sicherstellung von viel mehr Tierschutz betrifft, brauchen wir neue Lösungsansätze. Verbraucherinnen und Verbraucher sind durch Lebensmittelkrisen und die Debatte um den Antibiotikagebrauch in
der Tierhaltung zutiefst verunsichert. Obwohl die Lebensmittel heute an und für sich so sicher wie noch nie
sind,
({0})
misstraut man der gesamten Lebensmittelproduktion.
({1})
Aber nicht nur verbraucherseitig ist die Landwirtschaft
gefordert. Auch die Klima- und Klimaschutzpolitik wird
für die Landwirtschaft zu einer großen Herausforderung.
Die Landwirte brauchen langfristige Anpassungsstrategien, vor allen Dingen, um dem Klimawandel begegnen
zu können. Sie müssen sich anpassen, weil sie selber
vom Klimawandel betroffen sind, aber auch, damit wir
CO2 einsparen können. Für die SPD ist klar: Wir lassen
unsere landwirtschaftlichen Unternehmen und Betriebe
angesichts dieser Herausforderungen nicht im Regen stehen. Ich glaube, es ist sinnvoll, mit Haushaltsmitteln,
dem Geld des Steuerzahlers, die Landwirtschaft zu fördern und bei diesem Prozess finanziell zu unterstützen.
({2})
Der von Schwarz-Gelb verantwortete Haushalt bietet
mit seinen 5,26 Milliarden Euro keine besondere Unterstützung bei der Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen.
({3})
Ich glaube, dieser Agrarhaushalt orientiert sich an dem
Prinzip „Weiter so wie bisher“. Er ist fantasielos und eigentlich ohne Gestaltungsanspruch im Hinblick auf die
Zukunft. Wir haben aus diesem Grund mehrere Änderungsanträge eingebracht, über die wir nach der Debatte
abstimmen werden. Ich darf Sie daher schon an dieser
Stelle um Ihre Zustimmung bitten.
({4})
Wir schlagen ein Bundesprogramm „Tierhaltung und
Tierschutz“ vor; denn gerade die Debatte um Tierwohl
und Tierschutz zeigt, wie wichtig die Weiterentwicklung
in diesem Bereich für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung sein wird. Die Leistungen unserer Ernährungsund Landwirtschaft sind beträchtlich. Wir sind weltweit
wettbewerbsfähig. Aufgrund dieser Wettbewerbsfähigkeit werden wir letztendlich die Erneuerung und die Verbesserung von Standards bezahlen müssen. Wenn wir sie
schon bezahlen müssen, dann müssen wir auch dafür
sorgen, dass dieser Sektor wettbewerbsfähig bleibt. Die
gesellschaftliche Akzeptanz darf nicht verloren gehen;
denn an ihr hängt das Einkommen vieler Familienbetriebe in Deutschland.
Wir wollen gezielt die Weiterentwicklung von Haltungssystemen in der Wissenschaft und in der Praxis unterstützen. Deshalb unterstützen wir auch das, was von
der Deutschen Agrarforschungsallianz vorgeschlagen
wurde. Wir halten das für eine sinnvolle Strategie und
hätten uns gewünscht, dass sich das auch in einer Haushaltsposition niederschlägt. Aber Sie waren nicht bereit,
Mittel einzustellen.
({5})
Wir können natürlich keine Wunder versprechen.
Aber wir erreichen unsere wesentlichen Ansätze, die
auch in unseren Anträgen zum Tragen kommen, durch
Umschichtung und Prioritätensetzung in diesem Haushalt. Das ist vernünftig; denn der Gesamthaushalt muss
konsolidiert werden. Sie haben das aber in Ihren Vorlagen nicht entscheidend dargestellt. Aus diesem Grund ist
die Opposition gehalten, hier zu korrigieren und nachzubessern. Streichen Sie doch zum Beispiel die Agrardieselrückvergütung, und machen Sie Geld frei für Zukunftsinvestitionen!
Der Umgang mit dem Tierschutz wird an der gegenwärtigen Debatte über die Novelle zum Tierschutzgesetz
deutlich.
({6})
Statt den Schenkelbrand und die betäubungslose Kastration zu verbieten, kommt bei Ihnen anscheinend der
Tierschutz schon im Gesetzgebungsverfahren unter die
Räder. Frau Ministerin Aigner, Sie dürfen sich an dieser
Stelle auf die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion verlassen.
({7})
Wir werden Sie unterstützen, damit der bisherige Entwurf so bleibt, wie er ist, und nicht verwässert wird. Wir
sind bereit, eine zeitnahe Umsetzung mitzutragen, auch
eventuell gegen Andersdenkende in der Regierungskoalition. Ich mache Ihnen heute dieses Angebot. Vielleicht kommen wir zusammen.
Ich bedauere zutiefst, wie in den letzten Wochen maßgebliche Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben
Koalition mit der Ministerin umgegangen sind. Ich
finde, sie ist öffentlich vorgeführt worden. Das tut dem
Amt nicht gut.
({8})
- Da hier jemand aus Niedersachsen schreit: Er sollte
sich in Acht nehmen; denn dieser Herr aus Niedersachsen übt gleichzeitig eine andere Funktion aus, genauso
wie andere Herren, die einem großen Verband in maßgeblicher Stellung angehören und insofern vielleicht eigene Interessen haben.
({9})
Es ist genau zu unterscheiden, was Sie hier sagen und
was Sie dazwischenrufen. In welcher Funktion rufen Sie
jetzt dazwischen? Diese Frage stelle ich hier an Sie.
Dass die Debatte über das Tierschutzgesetz am letzten
Mittwoch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Tagesordnung genommen wurde, erweckt den Anschein,
dass das Gesetz nicht verbessert, sondern dass bestimmten Lobbyinteressen nachgekommen werden soll und
dass dieser wichtige Gesetzentwurf unter die Räder des
niedersächsischen Wahlkampfes gerät. Es mag sein, dass
der Druck aus Niedersachsen massiv ist. Aber in der Anhörung haben wir erfahren, dass der Schenkelbrand in
keiner Weise geeignet ist, um Pferde dauerhaft erkennbar zu kennzeichnen. Das wissen wir alle. Bei Ihnen geht
es mehr nach dem Motto „Raus aus den Kartoffeln, rein
in die Kartoffeln“. Diese Strategie ist offensichtlich nicht
tragfähig.
({10})
Ich begrüße daher, dass der Kollege Goldmann nun beherzt eingeschritten ist und dafür gesorgt hat, dass die
Debatte über das Tierschutzgesetz doch noch auf die Tagesordnung für die nächste Ausschusssitzung gesetzt
wurde. Ich finde, hier zeigt die FDP endlich einmal klare
Kante.
({11})
Lieber Michael: Standhaft bleiben! Nicht umfallen!
Aber noch ist nicht Mittwoch.
({12})
Wir brauchen endlich Klarheit hier im Hause und
keine taktischen Spielchen mehr. Deshalb kann ich nur
an alle appellieren, dort vernünftig zu verfahren, sodass
wir letztendlich zu einer vernünftigen Novelle kommen.
Ich glaube - meine Redezeit ist leider begrenzt,
({13})
also überspringe ich einige Punkte in meinem Manuskript -, es ist an der Zeit, der strukturkonservativen
Agrarpolitik Ade zu sagen. Wir als SPD scheuen den
Konflikt mit dem Bauernverband und mit den Lobbyisten nicht.
Herr Kollege.
Führende Repräsentanten dieser Verbände lenken offensichtlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Agrarpolitik der CDU. Darum ist ein Regierungswechsel 2013
dringend notwendig.
({0})
Wir kämpfen dafür.
Vielen Dank.
({1})
Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Wilhelm Priesmeier, du brauchst keine
Angst zu haben. Wo Heinz-Peter Haustein und Schorse
Schirmbeck stehen, wird der Ministerin nichts getan.
({0})
Im Übrigen diskutieren wir jetzt nicht - auch wenn es
interessant sein mag - über das Tierschutzgesetz, sondern
wir haben Haushaltsberatungen, und zwar die zweite Beratung. Hier geht es um das, über das wir im Haushaltsausschuss und im Fachausschuss diskutiert haben, und
darum, welche Veränderungen es gibt.
({1})
- Ja, wir reden sicherlich auch darüber. Damit haben wir
überhaupt keine Probleme. - Nicht jeder Antrag, der hier
gestellt wird und in dem es um Geld geht, ist sinnvoll.
Manchmal ist es viel sinnvoller, keine Mittel zur Verfügung zu stellen. Das hier sind nämlich Haushaltsplanberatungen und nicht „Wünsch dir was“ oder etwas Ähnliches.
({2})
Ich habe bei der ersten Beratung angesprochen, dass
die Stiftungen jetzt Probleme haben, weil die Kapitaleinnahmen nicht mehr so hoch sind. Daraufhin hat mein
Freund Heinz-Peter Haustein gesagt, dass die Stiftung
Warentest mehr Geld braucht. Sie bekommt nun
500 000 Euro mehr.
({3})
Im nächsten Jahr begehen wir 300 Jahre nachhaltige
Forstwirtschaft. Wir haben gesagt: Das muss mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Dafür stellen wir 250 000 Euro zur Verfügung.
({4})
Wir haben festgestellt, dass wir bei internationalen
Auftritten unserer Ernährungswirtschaft und auch unserer Landmaschinenproduzenten viel Geld verdienen,
dass da Wertschöpfung stattfindet, die wir für unsere
Volkswirtschaft brauchen. Deshalb haben wir gesagt:
Wir wollen dort zukünftig verstärkt auftreten. - Dafür
stellen wir 1 Million Euro zusätzlich zur Verfügung. Wir
wollen eine Professorenstelle für Verbraucherschutz sichern, und wir wollen langfristig den Praktikantenaustausch sichern, weil auch das für unsere Volkswirtschaft
wichtig ist.
Dann berät man einen Haushalt und glaubt, man hat
diesen Einzelplan fertig. Plötzlich stellt man fest: Hier
fehlen über Nacht 19 Millionen Euro. Woran liegt das?
Die Koalition hat beschlossen, die Praxisgebühr abzuschaffen. Das bedeutet für den Einzelplan 10, dass
19 Millionen Euro zusätzlich zu finanzieren sind. 10 Millionen Euro haben wir über die einzelnen Ansätze für die
soziale Sicherung, die zwei Drittel dieses Haushalts ausmachen, eingespart. Darüber hinaus haben wir an anderen Stellen noch 9 Millionen Euro einsparen müssen.
Diese Dinge sind unabweisbar. Deshalb heißt es „Haushaltsberatungen“.
Im vorigen Jahr gab es das eine oder andere Vorkommnis in der Ernährungswirtschaft und in der Landwirtschaft. Darüber haben wir hier intensiv diskutiert.
Wie das so ist: Der eine fordert da 10 neue Stellen, der
andere fordert dort 20 neue Stellen. Das summiert sich.
Wir haben die Forderungen analysiert und festgestellt,
dass wir bei einigen Punkten ganz konkret korrigieren
und dort in der Tat mehr Stellen zur Verfügung stellen
müssen.
({5})
Deshalb stellen wir 12 neue Stellen für den nachgelagerten Bereich Lebensmittelsicherheit zur Verfügung, und
wir stellen 6 neue Stellen für den Bereich Verbraucherschutz und Energiewende zur Verfügung. Dies sind
18 neue Stellen.
Ich sage Ihnen: Wir können gar nicht so gut sein wie
Sie. Sie fordern 50 oder 150 neue Stellen, und in Ihren
Anträgen, über die wir gleich abstimmen werden, fordern Sie auch neue Ämter. Für jede neue Idee braucht
man neue Ämter. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Diese
brauchen wir nicht; denn wir haben eine sehr gut neu
aufgestellte Ressortforschung, die sich in den nächsten
Jahren an ihren neuen Standorten und mit ihren neuen
Mannschaften finden muss. Zusätzlich ist da nichts zu
tun.
({6})
Wir sind stolz auf diese Mannschaft. Die Arbeit, die dort
geleistet wird, ist Weltspitze. Dazu sollten wir stehen.
In Richtung SPD kann ich nur sagen: Die Ressortforschung haben wir in der Großen Koalition so konzipiert.
Dass Sie diese Institute, bevor sie in ihrer neuen Form
tätig werden können, schon wieder reformieren wollen,
zeigt: Das ist Reformitis und hat mit sachlichen Überlegungen in diesem Zusammenhang gar nichts zu tun.
({7})
Meine Damen und Herren, man kann ja immer nach
mehr Geld rufen. Aber man muss an der einen oder anderen Stelle auch fragen: Ist eigentlich alles, was wir in
der Vergangenheit gemacht haben, überhaupt notwendig
gewesen? Ich sage Ihnen: Der Kollege Schwanitz und
ich sind, was die Notfallvorsorge angeht, in wesentlichen Punkten einer Meinung. Wir denken, dass hier und
da etwas getan werden muss. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 50er- und 60er-Jahren, bis zur deutschen Einheit mag das so richtig gewesen sein. Heute
aber ist das in weiten Teilen überholt. Deshalb glauben
wir, dass wir hier mit Blick auf den nächsten Haushalt
einen fühlbaren Millionenbetrag einsparen können. Wir
haben das vorgeschlagen und werden das auch beschließen. Aber ich sage Ihnen: Daran muss im Detail gearbeitet werden, und zwar möglichst zügig; denn ich glaube,
das, was wir da machen, bringt uns überhaupt nicht weiter.
({8})
Ich nenne Ihnen ein ganz einfaches Beispiel: Stellen
Sie sich vor, irgendwo ist Getreide eingelagert, das in einem Notfall einer Mühle zugeführt werden soll, Sie geben jungen Familien oder jungen Leuten eine Tüte Mehl
und sagen, sie sollen daraus etwas machen. So können
Sie für die Notfallvorsorge nicht viel tun. Hier ist also
ein Umdenken erforderlich. Dafür brauchen wir nicht
mehr Geld, sondern neue Ideen für die Zukunft.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Wilhelm
Priesmeier hat zu Recht darauf hingewiesen: Wir brauchen Aufklärung über die moderne Landwirtschaft. Dass
sie gelingt, ist aber nicht in allen Fällen mit neuen Stellen zu gewährleisten. Daran muss zielgerichtet gearbeitet werden. Es kommt nicht auf die Masse, sondern auf
die Klasse an. Manches, was unter dem Etikett „Verbraucherschutz“ geschieht, ist eher Vernebelung. Die Leute
werden eher dumm gemacht, als dass sie wirklich aufgeklärt werden.
({10})
Wir müssen ehrlich sein und zugeben, dass wir viele
Dinge, die mit der Ernährung zusammenhängen, wissen.
Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht gut ist, zu viel zu
essen und zu viel zu trinken bzw. das Falsche zu trinken.
({11})
Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es
Menschen gibt, die so leben wollen, wie sie leben. Sie
lassen sich das nicht verbieten, auch dann nicht, wenn es
im Einzelnen nicht so gesund ist.
({12})
Meine Damen und Herren, wir können uns hier natürlich darüber streiten, welche Regierung wie gut ist. Ich
sage Ihnen: Das Beste sind objektive Zahlen, beispielsweise zur sozialen Sicherung im ländlichen Raum, mit
4 Milliarden Euro der größte Batzen im Einzelplan 10.
({13})
Wenn Sie die Beträge, die sich über die Jahre angehäuft
haben, zusammenrechnen, dann stellen Sie fest: Die Regierung, für die Heinz-Peter Haustein, Ilse Aigner und
ich stehen, ist um 1 Milliarde Euro besser, als es die Regierung Künast war.
({14})
Das ist gut für den ländlichen Raum. Diese Mittel kommen nämlich nicht nur den Grundbesitzern und den Bauern zugute. Durch diese 1 Milliarde Euro, die für den
ländlichen Raum zur Verfügung gestellt wird, haben dort
viele Leute Aufträge und Arbeit. Das ist Wertschöpfung.
Das ist wirkliches Engagement für den ländlichen Raum.
Darauf sind wir stolz.
({15})
Meine Damen und Herren, manches, was ich jetzt anspreche, habe ich Ihnen schon in der ersten Beratung gesagt; da habe ich Ihnen auch dieses Buch, das Schwarzbuch WWF, schon einmal gezeigt.
({16})
Sie können sich aber auch in Fernsehsendungen, in denen über Themen wie FSC berichtet wird, darüber infor25334
mieren, was für Scharlatane es gibt - bis hin zu Ikea. Sie
haben es bestimmt gehört: Politisch Verfolgte mussten in
der DDR für eine internationale Möbelkette arbeiten; das
ist ja mittlerweile bekannt.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie eine Testzeitschrift - wir
schätzen diese Zeitschriften ja sehr und fördern sie auch
- in Händen halten, dann dürfen Sie nicht nur die Seiten
aufschlagen, auf denen steht, wie viel Strom die Geräte,
die getestet wurden, verbrauchen oder wie die einzelnen
technischen Daten der Geräte sind.
({17})
Sie sollten auch die Seiten aufschlagen, auf denen beschrieben wird, unter welch menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen diese Güter zur Steigerung unseres
Wohlstandes in den Entwicklungsländern der Welt produziert werden.
({18})
Es hilft nämlich überhaupt nichts, sich hier über den Einzelhaushalt Entwicklungshilfe aufzuregen und ein großes Theater zu veranstalten, wenn es darum geht, wie
viele Planstellen wir mit Blick auf die Verbraucheraufklärung schaffen werden. Man muss auch durch das eigene Kaufverhalten einen konkreten Beitrag leisten.
({19})
Ich sage Ihnen: Wer erwartet, dass er ein halbes
Hähnchen, braun gegrillt, für 1,98 Euro kaufen kann, der
muss gewisse Konsequenzen bei der Tierhaltung ertragen.
({20})
Die Bauern haben kein Problem damit, wenn die Besatzstärke in den Ställen um die Hälfte reduziert wird.
({21})
Wenn die Einnahmen entsprechend erhöht werden, dann
ist das alles machbar. Schizophren ist nur,
({22})
zu sagen: Das darf alles nichts kosten, das muss noch
billiger werden, wir müssen noch mehr konsumieren
können. - Das ist der falsche Weg; das kann nicht richtig
sein.
({23})
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nicht langweilen, aber darauf hinweisen, dass - mir liegt eine Aufstellung vor - Ilse Aigner und ihr Ministerium in den
vergangenen Jahren über 60 verschiedene Initiativen ergriffen und umgesetzt haben. Sie behaupten immer, wir
hätten nichts auf den Weg gebracht. Da sehen Sie, was
wir alles auf den Weg gebracht haben. Wir können darauf stolz sein, glaube ich.
Wir dürfen im Ergebnis feststellen, dass wir in
Deutschland mit die gesündesten Lebensmittel haben, zu
Preisen, die man sich in der Vergangenheit gar nicht hat
vorstellen können. Auf das, was unsere Ernährungswirtschaft, unsere Landwirtschaft zustande gebracht haben,
können wir stolz sein. Andere in der Welt beneiden uns
darum.
Last, but not least darf ich feststellen, dass ich in diesen Tagen zehn Jahre im Haushaltsausschuss bin. Ich
hätte mir in jungen Jahren gar nicht vorstellen können,
dass ich diese Ehre habe. Ich habe sehr gerne im Haushaltsausschuss gearbeitet und werde das auch im nächsten Jahr sehr gerne tun. Ich darf mich bedanken bei
Heinz-Peter Haustein, meinem Freund aus dem Erzgebirge, und bei der Bundesministerin, genauso bei ihrem
Vorgänger, Herrn Seehofer. Vor allen Dingen aber darf
ich mich bei der ganzen Mannschaft, die in den vergangenen Jahren mit mir zusammengearbeitet hat, herzlich
bedanken. Es war eine tolle Zusammenarbeit, nicht nur
in den Wochen, in denen wir über den Haushaltsplan beraten haben. Wir haben eine ganze Reihe von Dingen auf
den Weg gebracht. Darauf können wir über den Tag hinaus stolz sein.
Herzlichen Dank und schönen Abend.
({24})
Alexander Süßmair hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich versuche es jetzt einmal ein bisschen ruhiger
und fachlicher.
({0})
Wir sprechen heute abschließend über den Haushaltsentwurf zu unserem Ressort Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz für 2013. Ich möchte mich vor
allem mit dem Aspekt Landwirtschaft befassen.
Was erwartet diese Gesellschaft von der Landwirtschaft? Welche Anforderungen werden heute und in der
Zukunft an sie gestellt? Die Landwirtschaft soll den
Menschen in Deutschland, aber auch in Europa ausreichend Lebensmittel zur Verfügung stellen, und zwar zu
bezahlbaren Preisen für alle. Die Lebensmittel sollen
eine hohe Qualität haben. Umwelt und Ressourcen müssen geschont werden. Die Artenvielfalt, die Biodiversität, muss erhalten werden, und es muss in einer Weise
produziert werden, die man auch auf lange Sicht fortsetzen kann, Stichwort „Nachhaltigkeit“.
({1})
Nutztiere, die zur Herstellung von Lebensmitteln dienen,
sollen artgerecht gehalten werden, und ihnen sollen unnötiges Leid und Qualen erspart werden. Die Landwirtschaft soll nachwachsende Rohstoffe für die Industrie
herstellen und einen Beitrag zur Energieerzeugung und
damit zum Klimaschutz leisten.
({2})
Die Landwirtschaft soll es ermöglichen, den Lebensunterhalt zu verdienen, damit die Menschen in den ländlichen Räumen bleiben und eine lebenswerte Zukunftsperspektive haben, und das nicht nur in Europa, sondern
weltweit.
Frau Aigner, Sie betonen in Ihrer Presseerklärung von
heute Mittag zum morgigen Europäischen Rat die Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht. In
der Analyse sind wir uns durchaus in vielen Punkten einig. Aber die Schlussfolgerungen, die Sie ziehen, und
die Politik, die Sie machen, passen mit der Analyse nicht
zusammen.
Wird der Haushalt der Regierung den Anforderungen
gerecht? Die Linke sagt: Er wird den Anforderungen leider nicht gerecht. Ich möchte einige Beispiele nennen,
zu denen wir von der Linken Anträge gestellt haben.
Fangen wir mit dem Themenbereich Ernährungssicherung an. Wir von der Linken lehnen die Förderung
von Agrarexporten ab. Billigexporte verhindern den
Aufbau regionaler Märkte, vor allem in den Ländern des
Südens auf unserem Globus.
({3})
Der Haushaltstitel „Maßnahmen zur Verstärkung der
Außenhandelsbeziehungen im Agrar- und Ernährungsbereich“ muss daher gestrichen werden. Stattdessen
sollte die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung nachkommen und mit 500 000 Euro den Weltagrarbericht unterstützen.
({4})
Zum Thema „Umwelt- und Ressourcenschutz“. Besonders im Bereich Ökolandbau gibt es einen Aufholbedarf, und zwar sowohl für die Forschung als auch für die
bewirtschafteten Flächen. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wird ein Anteil von 20 Prozent
ökologischen Landbaus in Deutschland bis 2020 angestrebt. Allerdings werden lediglich 3 Prozent des Forschungsbudgets für die Forschung zum Ökolandbau ausgegeben, und die bewirtschaftete Fläche verharrt seit
längerem bei etwa 5 Prozent der gesamten Nutzfläche.
Die Linke will die Förderung um 8 Millionen Euro auf
25 Millionen Euro erhöhen, damit endlich ernst gemacht
werden kann mit dem Ziel 20 Prozent ökologisch nachhaltiger Landwirtschaft bis 2020.
({5})
Zum Thema „Förderung ländlicher Räume und Einkommenssicherung“. Einen kleinen, aber wirksamen Beitrag hätte das BMELV selbst liefern können, und zwar mit
der Ansiedlung der Außenstelle des Bundesinstituts für
Risikobewertung in Neuruppin. Hier hat die Koalition
wieder einmal frühere Zusagen gebrochen. Es soll nämlich keine Außenstelle des Bundesinstituts in Neuruppin
geben. Das schwächt nicht nur Neuruppin, sondern ist
eine Entscheidung gegen den ländlichen Raum.
({6})
Um die ländlichen Räume zu stärken, brauchen wir
auch mehr Wertschöpfung vor Ort. Die Linke beantragt
deshalb ein Förderprogramm zur Markteinführung und
Umrüstung von Landmaschinen, die mit reinem Pflanzenöl betrieben werden können.
({7})
Früher wurden ungefähr 10 Prozent Hafer für die Ernährung der Pferde angebaut. Heute könnte man 10 Prozent
Raps für Traktoren und Mähdrescher anbauen. Die Folge
wären innerbetriebliche, lokale, maximal regionale
Kreisläufe. Aber die Steuerpolitik der Bundesregierung
hat viele kleine Ölmühlen kaputt gemacht. Die Linke
will ihnen unter die Arme greifen. Wir möchten eine Finanzierung über die Absenkung der Agardieselerstattung
um einen halben Cent pro Liter. Das wäre sinnvoll.
({8})
Wir Linke sind der Meinung: Wir brauchen eine wirtschaftlich tragfähige, aber eben auch ökologisch nachhaltige und nicht zuletzt soziale Landwirtschaft für die
Zukunft. Aber die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft
ist in Gefahr. Die Bundesregierung will nämlich die
Pläne zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der
EU-Kommission kippen und beharrt auf der Festlegung,
nicht mehr als 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens
als Beitrag zum EU-Haushalt zu leisten. Gleichzeitig
aber fordert Frau Aigner, dass die Landwirtschaft nicht
einseitig belastet werden darf. Wenn Sie eine solche
Sparpolitik durchsetzen, wird das letzten Endes zulasten
der gestaltenden Agrarpolitik in Europa gehen. Damit vergibt die Bundesregierung die Möglichkeit, den Herausforderungen von Klimawandel, Erhalt der Biodiversität,
Ressourcenschutz und Tierschutz in einer gestaltenden
Förderpolitik zu begegnen. Damit macht die Bundesregierung letztlich eine Politik gegen die ländlichen
Räume.
({9})
Die Linke ist für eine solidarische Landwirtschaft und
für lebenswerte ländliche Räume. Wir haben konkrete
Vorschläge gemacht, wie die Landwirtschaft sozialer
und auch nachhaltiger hätte werden können.
Vielen Dank.
({10})
Heinz-Peter Haustein hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen! Sehr geehrte Herren! Deutschland ist ein schönes Land,
({0})
und wir leben in einer guten Zeit. Niemand muss hungern.
Ich stehe hier als Berichterstatter der FDP-Fraktion
für den Einzelplan 10, den Einzelplan des Ministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich bedanke mich bei der Hauptberichterstatterin Katja
Dörner, bei Rolf Schwanitz sowie bei Roland Claus für
die gute Zusammenarbeit und natürlich ganz besonders
bei meinem lieben Freund und gefühlten Zwillingsbruder Schorsch Schirmbeck.
({1})
Die Landwirtschaftspolitik ist von einem sozialen
Engagement dieser Regierung geprägt. So sind wir eben
als liberale Koalition mit der CDU: sozial geprägt.
({2})
70 Prozent von diesen 5,26 Milliarden Euro, nämlich genau 3,65 Milliarden Euro, gehen in den Sozialbereich
dieses Haushalts.
({3})
Das kann sich sehen lassen. Wir machen das deshalb,
weil unsere Bauern auch Unternehmer sind. Sie müssen
unterstützt werden; sie müssen wettbewerbsfähig bleiben. Deshalb, lieber Wilhelm Priesmeier, stützen wir
auch den Agrardiesel. Wir entlasten unsere Bauern um
430 Millionen Euro, damit sie in diesem harten Wettbewerb in Europa und auf der Welt wettbewerbsfähig bleiben.
({4})
Wir haben die Verbraucherpolitik gestärkt, indem wir
auch dort einen Aufwuchs erreicht haben. Die Mittel für
den Bereich „Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher“ werden von 20 auf 25 Millionen Euro erhöht, und für die Stiftung Warentest stehen 5 Millionen
Euro zur Verfügung.
({5})
Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ bei 600 Millionen Euro belassen, obwohl in Europa
und auf der Welt, wie bekannt, eine Finanz- und Wirtschaftskrise wütet. Dieses Geld plus das Geld der Länder
macht über 1 Milliarde Euro für diesen Bereich aus.
Auch das kann sich sehen lassen.
({6})
Wir haben insgesamt 494 Millionen Euro in den Bereich „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ eingestellt. Darin enthalten sind 14 Millionen Euro für Modellvorhaben mit dem Schwerpunkt Tierschutz - das ist
ein Plus von 5 Millionen Euro - und zusätzliche Mittel
für den Energie- und Klimafonds, und auch einen Waldklimafonds haben wir aufgelegt.
Weitere Bereiche des Haushaltes - als Haushälter
muss man ja einmal die Zahlen vortragen - sind „Internationale Maßnahmen“ und „Forschung für Innovationen, Hightech-Strategie“. Dafür haben wir 60,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, was einen Aufwuchs
von immerhin 1,2 Millionen Euro bedeutet. Schließlich
gibt es noch die Verwaltung, also das Ministerium, das
etwas mehr Geld braucht, weil es umstrukturiert wurde
und wird. Dafür stehen insgesamt 93,2 Millionen Euro
zur Verfügung.
Da ich schon einmal bei diesem Ministerium bin: Wir
können froh sein, dass das so gut läuft und dass wir eine
kompetente Ministerin haben.
({7})
Deshalb richte ich meinen Dank an das Ministerium, an
Sie, liebe Ilse Aigner,
({8})
an Gerd Müller, an Peter Bleser und natürlich auch an
Uli Kuhlmann und an Albert Wulff. Mit euch gibt es ein
gutes Zusammenarbeiten. Wir kämpfen für unsere Bäuerinnen und Bauern. - Ihr, liebe Bäuerinnen und Bauern,
seid bei dieser christlich-liberalen Koalition gut aufgehoben. Wir kämpfen für euch.
In diesem Sinne ein herzliches „Glück auf!“ aus dem
Erzgebirge.
({9})
Damit der Süden den Osten ablösen kann, hat jetzt
Harald Ebner das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Soll ich das wiederholen?
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Schirmbeck, ich empfehle, Bücher
vor dem Lesen aus der Verpackung zu nehmen.
({1})
Nun aber zu etwas anderem: Ich war entsetzt, mit
welcher Kaltschnäuzigkeit die Kollegen Holzenkamp
und Co. bei der ersten Lesung des Haushalts ein Landwirtschaftsmodell mit Billigfleischproduktion und allen
Folgen schöngeredet haben, nach dem Motto: Hauptsache billig! Eine Landwirtschaft, die Billiglebensmittel
produziert, ist erfolgreich und damit auch gut. - Aber
ohne den Import von 3 Millionen Hektar Gensoja aus
Südamerika, wo Mensch und Umwelt unter massivem
Pestizideinsatz leiden, funktioniert Ihr Modell doch
überhaupt nicht. Gleichzeitig klagen Sie über mangelnde
Wertschätzung für Lebensmittel. Sie müssen sich hier
schon entscheiden: Billigfleisch oder Wertschätzung?
Beides zusammen geht nicht.
({2})
Sie setzen im Haushalt die falschen Schwerpunkte,
weil Sie in ein falsches Agrarmodell investieren, das
bäuerliche Betriebe verdrängt und nur industrielle Großbetriebe fördert. Warum verhandelt denn die Bundesregierung bei der GAP-Reform in Brüssel nicht auf Basis
der Beschlüsse der Agrarministerkonferenz, sondern
vertritt dort die Positionen vom Deutschen Bauernverband und vom Industrieverband Agrar?
In Ihrem Agrarmodell hat auch der Tierschutz keinen
Platz - wir haben das vorhin schon gehört -, nur in den
Reden - ich zitiere -:
Nutztierhaltung in der Landwirtschaft kann nur erfolgreich sein, wenn sich die Tiere wohlfühlen und
wenn es genügend Akzeptanz in der Gesellschaft
gibt.
({3})
Das war Ministerin Aigner in der letzten Haushaltsrede. - Wie können Sie dann ein derart mickriges Tierschutzgesetz vorlegen und die wenigen Verbesserungen
wie das Verbot von Schenkelbrand oder die betäubungslose Ferkelkastration von den eigenen Leuten wieder
einkassieren lassen?
({4})
Jetzt verstehe ich auch Ihren Satz, Frau Ministerin:
„Außerdem gehen Union und FDP das Tierschutzgesetz
an.“ - „Angegangen“ sind Sie das Gesetz wirklich, und
zwar so lange, bis nichts mehr übrig geblieben ist.
({5})
Statt konkret etwas für das Tierwohl zu tun, geben Sie
5 Millionen Euro für Akzeptanzförderung aus. Da muss
etwas anderes passieren. Wir fordern 5 Millionen Euro
für ein Zentrum für Tierschutz, das dann Standards entwickelt.
Auch bei der Fütterung mit Gensoja ändern Sie:
nichts! Große Ankündigungen von Frau Aigner: Wir
wollen eine Eiweißstrategie! Im Haushalt: Nichts! Fehlanzeige! Wir fordern dafür 5 Millionen Euro.
Im Bayernwahlkampf inszeniert sich Ministerin
Aigner gerne als Gentechnikgegnerin. Schon im Bundestag aber ist damit Schluss und in Brüssel erst recht.
Nicht ein einziges Mal hat sich die Bundesregierung in
den EU-Gremien gegen Importzulassungen für GentechPflanzen gewehrt. Das ist beschämend.
({6})
Kein Wunder: Außer den Statements der Ministerin hört
man aus der Koalition nur einhellige Begeisterung für
diese Risikotechnologie. Die FDP möchte hier mehr
Chancen als Risiken sehen. Dabei werden die Risiken zu
wenig bewertet. Was tun Sie denn, Frau Ministerin, wenn
die EU-Kommission, wie angekündigt, in den nächsten
Monaten Anbauzulassungen für Gentechpflanzen erteilt
und damit auch das deutsche Anbauverbot für MON 810
fällt? Was tun Sie dann für die Wahlfreiheit und den
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, für die
gentechnikfrei wirtschaftenden Landwirte, Imker und Lebensmittelhersteller? Kein Wort haben wir von Ihnen bisher dazu gehört. Kein Cent geht in die Bekanntmachung
Ihres eigenen „Ohne Gentechnik“-Siegels. Da lassen Sie
sich vom kleinen Koalitionspartner offenbar durch die
Manege führen.
({7})
Wir wollen 2 Millionen Euro für die Bekanntmachung
dieses Zeichens bereitstellen und damit endlich die gentechnikfreie Land- und Ernährungswirtschaft unterstützen.
Auch beim chemischen Pflanzenschutz bleibt die Koalition ihrem industriellen Agrarmodell treu. In Ihren
Augen ist es kein Problem, dass im letzten Jahr 58 Prozent aller untersuchten Lebensmittel mit Pestizidrückständen belastet waren. Das ist ein Skandal. Das
muss sich ändern, lieber Kollege Goldmann.
({8})
- Der Kollege Gerig hat gesagt: Der Bericht ist gut. - Ihr
Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz ist so unverbindlich, dass die Umweltverbände frustriert ausgestiegen
sind.
({9})
Für Projekte zur Reduktion des chemischen Pflanzenschutzes geben Sie immerhin 2 Millionen Euro aus.
Aber das ist nicht genug. Das ist aus unserer Sicht mehr
als schwach.
({10})
Das Bundesprogramm Ökolandbau will die Koalition
weiterhin für „andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft“ zweckentfremden. So kann man auch den Importanteil am Biomarkt steigern.
Kollege Holzenkamp hat bei der ersten Lesung von
der hervorragenden Interessenvertretung der Landwirtschaft durch die Bundesregierung gesprochen. Der tiefere Sinn der Formulierung „Interessenvertretung“ hat
sich mir erst nach der Lektüre der Frankfurter Rundschau erschlossen, in der es um die Art und Vielzahl Ihrer bezahlten Nebentätigkeiten in der Agrarindustrie
ging.
({11})
Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss.
({12})
Die Politik, die mit diesem Haushalt zum Ausdruck
kommt, ist gerade keine Interessenvertretung für die
bäuerlichen Familienbetriebe.
({13})
Deren Zahl halbiert sich nämlich dank Ihrer ach so erfolgreichen Politik - da sind wir dann bei den objektiven
Zahlen, Kollege Schirmbeck - nach wie vor alle zwanzig Jahre.
Herr Kollege.
Wir lehnen deshalb diesen Haushalt ebenso ab wie
Ihre abstruse Agrarpolitik; denn dieses Agrarmodell hat
keine Zukunft, genauso wenig wie die Bundesregierung.
Danke schön.
({0})
Für die Bundesregierung hat jetzt Ilse Aigner das
Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Vortrag
hat wieder einmal gezeigt, wie schön ein Wünsch-dirwas-Konzert bei den Haushaltsberatungen ist.
({0})
Gerade die Grünen sind diejenigen, die einfach so
35 Millionen Euro zusätzlich gefordert haben, und zwar
ohne Gegenfinanzierung.
({1})
Das zeigt wieder einmal, dass in Sachen Haushaltsfinanzen die Nachhaltigkeit offensichtlich nicht gilt.
({2})
Herr Süßmair, glaube ich, hat von der sozialen Komponente in der Landwirtschaftspolitik gesprochen. Ja,
die gibt es bei uns. Die Kollegen Schirmbeck und
Haustein haben das angesprochen. 70 Prozent des Haushaltes gehen in Sozialpolitik; sie fließen direkt in die
landwirtschaftlichen Betriebe zur Unterstützung unter
anderem auch des Strukturwandels. Das ist konkrete Sozialpolitik, und die wollen wir nicht europäisch, sondern
national gestalten.
({3})
Damit bin ich schon bei Europa. Was ist die Aufgabe
von Europa? Heute früh war die Debatte zum Kanzleretat oder auch die Aussprache zur großen Politik. Wir
wissen, dass wir große Verantwortung haben. Morgen
beginnt die Debatte der Regierungschefs zu der mittelfristigen Finanzplanung für die nächsten Jahre bis 2020.
Das werden schwierige Verhandlungen; das ist keine
Frage. Ich sage ausdrücklich und betone dies noch einmal, weil es angesprochen worden ist: Ja, wir stehen als
großer Nettozahler dazu, dass wir die Ausgaben wie in
anderen Bereichen auch hier begrenzen müssen. Trotzdem glaube ich, dass die Landwirtschaft in diesem Bereich schon viel getan hat. Unser Gesamtetat ist schon
deutlich abgesunken, was den Anteil an den europäischen Finanzen betrifft. Hier brauchen wir aber weiter
Unterstützung, weil die Zahlungen, die letztendlich über
die europäische Ebene erfolgen, oft direkt einkommenswirksam und nicht national zu kompensieren sind. Deshalb ist es wohl selbstverständlich, dass die zuständige
Landwirtschaftsministerin auch weiter für einen großen
Anteil kämpfen wird. Ich glaube, das müsste mir zugestanden werden.
({4})
Das ist auch wichtig, meine sehr geehrten Damen und
Herren, weil in Europa immerhin 14 Millionen Betriebe
von der Landwirtschaft leben; das sind 9 Prozent aller
Beschäftigten. Das ist eine große Zahl, und um das auf
Deutschland herunterzubrechen: Es sind 4,8 Millionen
Menschen, die in der Landwirtschaft oder in den vorund nachgelagerten Bereichen Arbeit finden. Dafür
brauchen sie Unterstützung, und die haben sie mit der
christlich-liberalen Regierung.
({5})
Es geht um Jobs und Ausbildungsplätze gerade auch in
den ländlichen Regionen. Dafür brauchen wir aktive
Landwirtinnen und Landwirte. Wir brauchen sie aber in
erster Linie - und das ist keine Selbstverständlichkeit für die Produktion von Lebensmitteln, also von unseren
Nahrungsmitteln. Vor fünfzig Jahren war das nicht
selbstverständlich - um noch einmal auf die Ursprünge
der Gemeinsamen Agrarpolitik zurückzugehen -: Es hat
in Deutschland und in Europa Hunger gegeben.
({6})
Es ist die Leistung unserer Landwirtschaft und der Bäuerinnen und Bauern, dass sich heute keiner mehr in
Deutschland darüber Gedanken machen muss, ob er genug zu essen hat. Das ist eine große Leistung. Herzlichen
Dank dafür an unsere Landwirtinnen und Landwirte!
({7})
Ich glaube, dass es sich lohnt, für diese Schlüsselbranche weiter zu kämpfen. Natürlich geht es auch um
die inhaltliche Ausgestaltung. Meine Damen und Herren
auch von der Opposition, dazu gibt es unterschiedliche
Meinungen. Damit meine ich ausdrücklich nicht die
Fachpolitiker. Aber die Spitze der SPD zum Beispiel hat
ganz klar gesagt, dass sie will, dass die Direktzahlungen
gekürzt werden.
({8})
Das will ich nicht. Ich sage ausdrücklich: Ich differenziere hier, lieber Kollege Wilhelm Priesmeier; aber das
hilft nichts. Deshalb ist unser Bekenntnis klar und deutlich: Wir wollen eine starke erste Säule, und wir wollen
auch eine starke zweite Säule weiter erhalten.
({9})
Wir wollen natürlich auch eine vernünftige und zukunftsfähige Agrarpolitik.
Weil ich auch gerne näher auf die Strukturen eingehe,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen: Mir wäre es
lieb, wenn Sie den Blick mehr auf die anderen europäischen Länder richten würden, um zu sehen, welche
Strukturen es dort noch gibt. In Deutschland gibt es
keine Produktionsförderung und keine gekoppelten Zahlungen mehr. In Deutschland gibt es keine historischen
Zahlungen mehr, bei denen der eine Hektar 5 000 Euro
wert ist und der andere nur 75 Euro.
({10})
Das gibt es in anderen europäischen Ländern noch. Deshalb sage ich mit voller Überzeugung: Es muss einer der
Hauptansatzpunkte sein, dass die europäischen Nachbarn erst einmal auf das Niveau Deutschlands kommen,
bevor wir weitere Maßnahmen ergreifen.
({11})
Das Nächste ist: Ja, natürlich wollen wir Umweltschutz und eine nachhaltige Produktion, aber wir wollen
auch, dass bisherige Leistungen anerkannt werden.
({12})
Ich bleibe dabei: Es kann nicht sein, dass am Schluss nur
die Bürokratie blüht. Das hilft uns auch nicht.
({13})
Ich halte mich an den Agrarministerbeschluss. Das ist
überhaupt keine Frage. Deshalb sagen wir ganz deutlich,
und zwar einhellig: Keine Stilllegung von Flächen. Denn das können wir uns nicht leisten. Diese Forderung
halte ich eins zu eins aufrecht.
({14})
Frau Ministerin, der Kollege Priesmeier möchte Ihnen
gern eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich, gerne.
Verehrte Frau Ministerin, stimmen Sie mit mir dahin
gehend überein, dass in den letzten zehn Jahren die
Pachtpreise in Deutschland um etwa 40 Prozent gestiegen sind? Wenn Sie diese Steigerung mit den Zahlungen
vergleichen, die an die Betriebe geflossen sind, dann
stellen Sie fest, dass die Pachtpreise etwa in Höhe der
Größenordnung dieser Zahlungen gestiegen sind. Sehen
Sie einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen aus
Brüssel für die Flächenprämie und dem Steigen der
Pachtpreise oder auch der Preise für den Erwerb von
Flächen?
Sehr geehrter, lieber Kollege Priesmeier, zuerst einmal: Wenn dem so wäre, dann gäbe es keinen Grund für
die Absenkung. Das wäre unlogisch. Zweitens. Ich
glaube nicht, dass das der Grund ist; sonst müsste es in
anderen europäischen Ländern ähnlich sein. Die
Preissteigerung hat andere Ursachen. Das wissen wir.
Deshalb haben wir zum Beispiel beim ErneuerbareEnergien-Gesetz Korrekturen vorgenommen; denn die
Konkurrenz zwischen der Biogasproduktion, der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und der Futtermittelherstellung ist in manchen Regionen größer geworden.
Insgesamt werden die Flächen nicht mehr. Deshalb
macht es keinen Sinn, Flächen aus der Produktion zu
nehmen. Das ist ganz klar.
({0})
Ich möchte noch etwas hinzufügen, was mir sehr
wichtig ist. Das betrifft die Diskussion über die benachteiligten Gebiete in Deutschland. Ich muss auf europäischer Ebene dagegenhalten, dass ein neues System eingeführt wird, welches in Deutschland dazu führt, dass
viele benachteiligte Gebiete, die jetzt noch vom System
erfasst sind, über Nacht herausfallen. Um es konkret zu
machen: In Mecklenburg-Vorpommern käme es zu einer
kompletten Umkehrung der jetzigen Verhältnisse. Das
kann kein Mensch verstehen.
({1})
Deshalb lohnt es sich, auf dieser Ebene für die benachteiligten Gebiete zu kämpfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Flächen brauchen und dass auch
diejenigen, die nicht so gute Bedingungen haben, eine
Chance haben müssen, anständig zu produzieren. Deshalb brauchen wir die Unterstützung in diesem Bereich.
({2})
- Es wäre schön, wenn es mehr würden. Aber das verdrießt mich nicht. Trotzdem lohnt es sich, dafür zu
kämpfen, sehr geehrter Herr Ostendorff.
({3})
Ich habe schon oftmals auf verlorenem Posten gekämpft;
aber meine Überzeugung werde ich deshalb nicht verlieren. Das ist vielleicht der Unterschied.
({4})
Ich will noch ein paar Punkte zur Verbraucherpolitik
sagen. Ich kann wegen der Kürze der Redezeit nicht alle
Bereiche heute abdecken.
({5})
Eines aber möchte ich ansprechen: Wir haben viel über
Banken, die Regulierung von Banken und darüber diskutiert, in welche Schwierigkeiten wir durch die Banken
gekommen sind. Wir haben wieder viel reguliert, was
die Vorgängerregierung dereguliert hat, und das ist richtig so. Wir haben auch im Bankenbereich - da bin ich
der Überzeugung, dass es richtig war - eine Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen auf den Weg gebracht.
Wir gehen einen Schritt nach dem anderen: Beratungsprotokoll, Produktinformationsblatt, Meldung der Berater bzw. - falls sie Schwierigkeiten gemacht haben Registrierung der Angelegenheit bis hin zu Regelungen
zu einer Honorarberatung, die wir demnächst ins Kabinett einbringen wollen. Ein Schritt nach dem anderen
wird umgesetzt.
({6})
Dafür brauchen wir natürlich mehr Geld. Man kann
sich immer mehr wünschen; das ist keine Frage. Aber
wir haben uns gerade für die Verbraucherinformation
5 Millionen Euro zusätzlich sozusagen erarbeitet; wir
haben das Geld an anderer Stelle eingespart, um weitere
Schwerpunkte setzen zu können. Das halte ich für richtig. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich deshalb ganz herzlich bei den gefühlten
Zwillingen Schorse Schirmbeck und Peter Haustein. Ich
bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die
im Haushaltsausschuss mitgewirkt haben, aber selbstverständlich auch bei den Fachpolitikern. Ich sage das,
weil ich vor ziemlich genau zehn Jahren das erste Mal
als Haushälterin zu diesem Bereich sprechen durfte, also
wie auch heute zum Einzelplan 10 - damals als Berichterstatterin, heute als Ministerin. Es wird wohl das letzte
Mal sein, dass ich zum Haushalt spreche. Deshalb bedanke ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ganz
besonders herzlich für die gute Zusammenarbeit.
Danke schön.
({7})
Rolf Schwanitz hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Aigner, Sie haben es gerade angesprochen: Das ist der letzte Etat für das Ministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, für
den Sie Verantwortung haben.
Ich will zunächst einmal grundsätzlich feststellen,
dass sich an diesem Einzelplan 10 gegenüber dem Entwurf, den wir vor drei Monaten hier schon einmal diskutiert haben, substanziell eigentlich nichts geändert hat.
Ich will mich auf einige Feststellungen konzentrieren.
Erstens. Frau Aigner, mit diesem Einzelplan 10 sind
Sie sich in Ihrer Leidenschaft als Subventionsministerin
treu geblieben. Es ist bei den zusätzlichen Subventionen
von 50 Millionen Euro für die landwirtschaftliche
Unfallversicherung geblieben. Zugleich liegt vieles im
Argen, insbesondere beim alten Spitzenverband der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Es besteht die
Gefahr, dass die Problemlagen, die beim Spitzenverband
existieren, sich fehlerhaft in die neue Bundesträgerstruktur, die entstehen soll, hinein fortsetzen.
Sie haben dazu nichts gesagt. Der Bundesrechnungshof hat die Ministerin aber gerügt. Deswegen will ich
das einmal ansprechen. Der Bundesrechnungshof hat erklärt, das Ministerium habe seine Einflussmöglichkeiten
zur Kostendämpfung nicht genutzt. Dazu haben wir von
Ihrer Seite kein Wort gehört. Der Bundesrechnungshof
hat in seinen Bemerkungen 2012, vor wenigen Tagen
vorgelegt, festgestellt, dass der Spitzenverband den Personalbedarf immer noch nicht sachgerecht etatisiert und
haushaltsrechtlich nicht ordentlich begründet.
({0})
Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass Stellen und
Personalkosten im Spitzenverband explosionsartig um
30 Prozent nach oben gegangen sind. Er sagt: Die jährlichen Personalausgaben dieses Spitzenverbandes von
43 Millionen Euro sind haushaltsrechtlich nicht begründet.
({1})
Dieser Befund steht im krassen Gegensatz zu dem zusätzlichen Subventionsausbau von 50 Millionen Euro.
({2})
Deswegen sage ich Ihnen: Verantwortliche Sozialpolitik
sieht anders aus, meine Damen und Herren.
({3})
Zweitens. Als Verbraucherschutzministerin, Frau
Aigner, werden Sie in 2013 wahrscheinlich wiederum
ein ziemlicher Ausfall sein. Unsere seit längerer Zeit auf
dem Tisch liegenden Vorschläge, die Deutsche Stiftung
Verbraucherschutz nachhaltig aufzustellen, verursachergerecht zu finanzieren und zu einer nachhaltigen Struktur mit Marktwächterfunktion auszubauen, haben Sie
zwar entgegengenommen. Sie wurden aber durch die
Koalition abgelehnt. Sie haben sie auch nicht aufgegriffen. Von früheren Ankündigungen - ursprünglich kam
so etwas ja von Ihnen - wollen Sie nichts mehr hören.
An dieser Stelle also: große Worte, keine Taten. Das ist
die Bilanz.
({4})
Bei der Stiftung Warentest - Kollege Haustein hat es
angesprochen - hinterlassen Sie ein echtes Fiasko, Frau
Aigner. Das Flaggschiff der deutschen Verbraucherschutzarbeit in Deutschland mit dem höchsten Ansehen
und dem höchsten Stellenwert im Bewusstsein der
Menschen ist in einer finanziellen Schieflage. Diese finanzielle Schieflage ist eine direkte Folge der schwarzgelben Kürzungen aus den Jahren 2011 und 2012. Das
ist so.
({5})
Nachdem die Stiftung Warentest in 2011 nur noch
durch einen Bilanztrick schwarze Zahlen ausweisen
konnte, hat der Stiftungsvorstand, Herr Primus, vor kurzem für 2012 erklärt, dass ein Minus von 1,35 Millionen
Euro in der Bilanz angekündigt werden muss. Sie, Frau
Aigner, haben die Stiftung 2011 zu einer finanztechnischen Mogelpackung gezwungen. Das ist eigentlich eine
Rufschädigung für die Stiftung, die an sich gerade gegen
so etwas Front machen soll. Sie haben sie dazu veranlasst, indem Sie dafür gesorgt haben, dass 2011 gar kein
anderer Weg mehr bestand. 2012 haben Sie sie dann völlig im Stich gelassen. Unter Verbraucherschutzgesichtspunkten müsste das für die Verbraucherschutzministerin
eigentlich ein Rücktrittsgrund sein.
({6})
Aber Sie werden das durch Öffentlichkeitsarbeit kaschieren; da bin ich mir ganz sicher.
Apropos Öffentlichkeitsarbeit: Ich habe den Eindruck, da brechen Sie alle Rekorde. Nach dem Einzelplan 10 werden die Ausgaben für Öffentlichkeits- und
Fachinformationen 2013 mit 21,4 Millionen Euro einen
neuen Höchststand erreichen. 21,4 Millionen Euro!
({7})
Das ist im Wahljahr 2013 20 Prozent mehr als im Jahr
davor, konkret: 3,5 Millionen Euro mehr. Ein Schelm,
wer Böses dabei denkt!
({8})
Übrigens hat das Bundesverfassungsgericht schon vor
vielen Jahren gesagt, dass das Anwachsen der Mittel für
Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe unzulässig ist.
Es hat gesagt, dass in Vorwahlzeiten - ich zitiere - „das
Gebot äußerster Zurückhaltung“ durch die Ministerien
zu beachten ist. Die Vorwahlzeit beträgt im nächsten
Jahr vielleicht maximal sechs Monate. Danach sind wir
schon unmittelbar in der Wahlkampfzeit. Und da erhöhen Sie die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit im
Vergleich zu diesem Jahr um 20 Prozent. Das ist etwas,
was mit Sitte und Anstand eigentlich gar nichts mehr zu
tun hat.
({9})
Das größte Versagen aber, Frau Ministerin Aigner, ist,
dass Sie ein massives Unvermögen - das hat die Haushaltsberatung bestätigt - im Bereich von Innovation,
Forschung und Entwicklung in Ihrem Etat zu verbuchen
haben.
({10})
Die Vorschläge, die wir dazu gemacht haben - Kollege
Priesmeier hat sie im Zusammenhang mit den Bundesprogrammen angesprochen; sie stehen heute ebenfalls
zur Abstimmung -, haben Sie bisher abgelehnt, und die
Mittel, die in den Einzelplänen für 2010, 2011 und 2012
veranschlagt worden sind, haben Sie nicht ausgeschöpft.
Ich will diese Zahlen noch einmal nennen - sie sind von
Ihrem Haus mittlerweile bestätigt -: 2010 17,8 Millionen Euro Innovationsmittel nicht ausgeschöpft;
2011 32,1 Millionen Euro Innovationsmittel nicht ausgeschöpft. Nach der Kalkulation für 2012 - das haben
Sie noch nicht bestätigt; aber da bin ich mir ziemlich
sicher - 41 Millionen Euro nicht ausgeschöpft.
({11})
Das Finanzministerium hat jahrelang zusätzliche
Innovationsmittel in diesen Einzelplan gepumpt. Das
Einzige, was bei Ihnen anwächst, sind die Ausgabenreste: In drei Jahren wurden 90 Millionen Euro für Innovationen nicht ausgeschöpft. Das sind verlorene Perspektiven.
Frau Aigner, Sie können im nächsten Herbst nach
Bayern gehen. Die Bauern, die Landwirte, die im
Umbruch stehen und die auf Innovationen setzen müssen
und Hilfe brauchen, können dem Umbruchdruck nicht
ausweichen, und sie werden darüber noch ihr Urteil
fällen.
Herzlichen Dank.
({12})
Die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan hat jetzt
das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute Morgen in der Debatte um den Kanzlerhaushalt
hat ein Kanzlerkandidat der SPD hier gesagt: „Sagen Sie
einfach, was ist! Damit beginnt jede Politik.“
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, ich zitiere ihn. - Aber wer sagt hier, was ist?
Das hat zum Beispiel mein Kollege Haustein gesagt:
Deutschland ist schön.
({1})
Das hat ebenfalls Herr Brüderle in der Haushaltsdebatte
gesagt. Die christlich-liberale Regierung hält Kurs:
niedrigster Stand der Arbeitslosigkeit, mehr Geld für
Forschung und Bildung, die Entlastung der Kommunen.
Die Agrarpolitik der christlich-liberalen Koalition hat
daran ihren Anteil.
„Sagen, was ist“, das heißt in Deutschland auch: Die
Bedeutung der Agrarwirtschaft ist deutlich größer, als
dies von den meisten Menschen eingeschätzt wird.
({2})
5 Millionen Menschen finden Arbeit in der Land- und
Forstwirtschaft und in der Fischerei, in den vor- und
nachgelagerten Bereichen. Das heißt, dass der gesellschaftliche Stellenwert von Landwirtschaft, von Ernährungswirtschaft, von Forstwirtschaft, von Fischerei deutlich höher ist, als dies gemeinhin angenommen wird.
Die Land- und Forstwirtschaft mit der Ernährungswirtschaft macht einen ausgesprochen guten Job. Sie
produziert sichere Lebensmittel. Sie produziert gesunde
Lebensmittel. Sie trägt dazu bei, dass wir in Deutschland
eine erhebliche Biodiversität haben, dass wir lebenswerte ländliche Räume haben. Es lohnt sich, bei uns in
Deutschland Urlaub zu machen, und das liegt an den
guten ländlichen Räumen.
({3})
„Sagen, was ist“, das heißt auch: Deutschland ist
drittgrößter Agrarexporteur. Volumen: 50 Milliarden
Euro. Das sichert in erheblichem Umfang Arbeitsplätze
in den ländlichen Räumen. Das trägt zur Wertschöpfung
in den ländlichen Räumen bei. Deswegen ist es gut, dass
wir nicht Agrarexportförderung betreiben, sondern dass
wir die Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Chancen auf den Exportmärkten auch tatsächlich zu nutzen.
Die FDP steht für eine unternehmerische, eine marktorientierte Landwirtschaft. Das heißt, wir wollen Freiheit für die Landwirte, eigene Entscheidungen zu treffen.
Wir wollen ihnen verlässliche Rahmenbedingungen
schaffen.
({4})
Landwirte nutzen diese Chancen, indem sie nicht nur
in die klassische Landwirtschaft investieren, sondern
gleichzeitig in den Bereich der Energie durch Produktion
von Biomasse für die energetische und die rohstoffliche
Verwertung, in den Bereich des Tourismus, in den Bereich der Direktvermarktung investieren. Landwirte sind
kreativ. Diese Chancen wollen wir ihnen erhalten.
„Sagen, was ist“, heißt auch: Wir haben in Europa,
eine anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise. Wer dieses ernst nimmt, muss auch sagen: Wir brauchen eine
Begrenzung des EU-Haushalts auf 1 Prozent des EUBruttonationaleinkommens. Das ist eine richtige Politik,
und diese wird von der FDP getragen.
({5})
- Nicht zögerlich, sondern sehr konsequent.
({6})
- Einfach einmal zuhören!
Wir sind aber auch der Meinung, dass die dafür notwendigen Einsparungen nicht allein vom Agrarhaushalt
zu leisten sind, sondern dass andere Haushalte mitmachen müssen.
({7})
Wir sind der Auffassung, dass wir eine Gemeinsame
Agrarpolitik der Europäischen Union brauchen, die den
Landwirten Einkommensmöglichkeiten schafft. Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir keine Kappung,
keine Degression wollen. Ich will ganz deutlich sagen:
Uns ist bewusst, dass wir in den neuen Bundesländern
größere Betriebe haben. Diesen die Förderung zu erhalten, gehört auch dazu, um die Lebensfähigkeit ländlicher
Räume in den neuen Bundesländern zu erhalten.
({8})
Wir wollen den Erhalt eines Sicherheitsnetzes, aber keinen Ausbau der Intervention. Deswegen darf Greening
keine Flächenstilllegung sein. Wir brauchen die Flächen
zur Produktion.
({9})
Wir sind für die Abschaffung der Exporterstattung,
weil wir meinen, dass wir nicht mit dem Geld der Steuerzahler in Märkte eingreifen wollen.
„Sagen, was ist“, heißt aber auch, dass wir gerade im
Bereich der Tierhaltung einen erheblichen Forschungsbedarf haben. Deswegen gehen die Investitionen und die
neuen Prioritäten in diesem Haushalt insbesondere in
Forschung und Entwicklung, insbesondere in die Erforschung besserer Haltungsbedingungen für Nutztiere. Wir
haben es gemeinsam erlebt: Wir haben als Folge der
Globalisierung neue Krankheiten: Blauzungenvirus,
Schmallenberg-Virus. Darauf müssen wir reagieren. Wir
haben in den nordwestdeutschen Räumen, in SchleswigHolstein und in Niedersachsen insbesondere, die sogenannte Faktorenerkrankung bei Rindern. Wir müssen erforschen: Was ist die Ursache? Wir müssen außerdem erforschen: Wie können wir Landwirte beraten, damit ihre
Tiere von dieser Krankheit nicht befallen werden?
Wir wollen eine Verbesserung der Tiergesundheit
durch Zucht, durch bessere tiergerechte Haltung. Ich
halte es für einen sinnvollen Ansatz, über ein TierwohlLabel die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Verantwortung für die Tierhaltung mit einzubeziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, im
Fordern an die Landwirte seid ihr immer gut. Aber ihr
verschweigt jedes Mal, dass höhere Standards in der
Tierhaltung Geld kosten, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher eine Mitverantwortung haben. Höhere Standards in der Tierhaltung müssen bezahlt werden. Deswegen ist tierschutzgerechte Politik nur dann glaubhaft,
wenn gesagt wird, wer dafür aufkommt.
({10})
Es wird auch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bezahlen sein müssen. Wir wollen ein freiwilliges Tierwohl-Label mit tierbasierten Tierschutzindikatoren - Indikatoren wie „Mortalität“, wie „Klauen- und
Fußballengesundheit“ - sowie eine Auswertung der
Schlachtergebnisse.
Die Landwirtschaft sagt: Wir können beides. Wir
können sowohl für die Ernährung produzieren als auch
Biomasse für die energetische Verwertung erzeugen. Das
geht aber nur dann, wenn wir, wie ich gesagt habe, das
Greening nicht als Flächenstilllegung auffassen. Das
geht nur dann, wenn wir die Empfehlung des Bioökonomierats unterstützen und ein Konzept einer nachhaltigen
Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion vorantreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, der
sogenannte Weltagrarbericht ist jetzt fünf Jahre alt.
({11})
Er gehört in die Mottenkiste. Er hat sich nicht bewährt.
({12})
Die Forderung des britischen Regierungsreports The
Future of Food and Farming ist, glaube ich, wesentlich
aktueller und zukunftsgerichteter als das, was der sogenannte Weltagrarbericht festgeschrieben hat.
Wenn wir tatsächlich die Energiewende wollen - und
diese Bundesregierung ist angetreten, um eine Energiewende durchzuführen -, dann müssen wir dafür auch die
Rahmenbedingungen schaffen. Das bedeutet, den Leitungsbau voranzubringen. Wenn wir den Leitungsbau
voranbringen wollen, dann müssen wir hierfür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das heißt,
es muss eine faire Entschädigung für diejenigen Grundeigentümer geben, die davon betroffen sind, und zwar
nicht nur ein kleines Taschengeld, sondern eine Entschädigung entsprechend den Renditeerwartungen der Netzbetreiber.
({13})
Außerdem brauchen wir eine Kompensationsverordnung, die es möglich macht, nicht nur landwirtschaftliche Fläche aus der Nutzung zu nehmen, sondern über
Geldausgleich Natur in Wert zu setzen. Eine solche Verordnung muss es möglich machen, Versiegelungen aufzuheben, um damit einen echten Mehrwert für die Natur
zu erhalten, statt nur landwirtschaftliche Fläche aus der
Nutzung zu nehmen. In diesem Bereich müssen wir vorangehen.
({14})
2007 lag bereits das Gutachten des BMELV zum
Thema „KUP“, Kurzumtriebsplantagen, vor. Ich erwarte, dass wir auf diesem Gebiet besser vorankommen.
In einigen Bundesländern laufen Programme, die zum
Ziel haben, dass Grünland, das nicht mehr für die Tierhaltung genutzt wird, in KUP umgewandelt wird. Ich
glaube, das ist ein richtiger Weg. Auf diesem Weg sollten wir vorangehen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit war abgelaufen.
Ich komme zum Schluss. - Gerade was Ernährungssicherheit angeht, haben wir in diesem Jahr eine schlechte
Erfahrung gemacht: Noroviren haben dazu beigetragen,
dass 11 000 Kinder und Jugendliche erkrankt sind. Im
vergangenen Jahr sind an Ehec durch Sprossen, die von
einem Biohof stammten, 53 Menschen gestorben.
Frau Kollegin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wenn man Agrarpolitik und Ernährungspolitik macht,
reicht es nicht, einfach gegen Gentechnik zu sein. Man
muss auch konkrete Projekte für die Zukunft unserer
Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland haben.
({0})
Das hat der ländliche Raum verdient.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Karin Binder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Moderner Verbraucherschutz lebt auch von Glaubwürdigkeit und vom Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher.
({0})
Dazu gehört, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
gehört und beteiligt werden, dass ihre Anregungen oder
ihre Kritik ernst genommen werden. Moderner Verbraucherschutz soll wirken. Dazu gehört, Verbraucherinnen
und Verbraucher vor Täuschung und Irreführung der Unternehmen zu schützen - im Discounter ebenso wie in
der Bank oder im Internet.
({1})
Moderner Verbraucherschutz bedarf aber einiger Anstrengungen mehr, als uns hier vom Aigner-Ministerium
serviert werden. Aus Zeitgründen muss ich meine Bewertung und meine Kritik auf wenige Punkte beschränken.
Erstens. Das erfolgreiche Portal der Verbraucherzentralen „lebensmittelklarheit.de“ ist das erste unabhängige Medium, das Kritik und Haltung der Verbraucherinnen und Verbraucher aufnimmt und wiedergibt.
({2})
Hier kommen die Marketingtricks und Täuschungsmanöver der Unternehmen ans Licht. Deshalb ist dieses
Portal den Angriffen und Anfeindungen der Lebensmittelindustrie und der Lebensmittellobby ausgesetzt.
({3})
Als Abgeordnete sollten wir uns schützend davor stellen.
({4})
Dieses Portal muss ausgebaut, verstetigt und finanziell
gesichert werden. Dafür müssten in diesem Haushalt
Mittel bereitgestellt werden.
({5})
Zweitens. Die Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher im Ernährungsbereich muss bereits bei den
kleinen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Kindergärten und Schulen ansetzen. 90 Prozent der hierzulande
angebotenen Schulverpflegung ist mangelhaft.
({6})
Schlechte Qualität und kaum Abwechslung sorgen für
Ablehnung bei den Kindern und Jugendlichen.
({7})
Die Vernetzungsstellen Schulverpflegung hätten hier
viel zu tun. Mehr Beratung und mehr Unterstützung der
Schulträger könnte das Angebot und die Akzeptanz wesentlich verbessern.
({8})
Dazu müssten die Vernetzungsstellen ausgebaut und personell sowie materiell besser ausgestattet werden. Aber
das Aigner-Ministerium lässt die Förderung auslaufen.
Da kann einem der Appetit vergehen.
({9})
Frau Kollegin, möchten Sie die Zwischenfrage des
Kollegen Schweickert zulassen?
Gern.
Frau Kollegin Binder, vielen Dank für das Ermöglichen einer Zwischenfrage. - Sie haben gerade ausgeführt, dass es wichtig sei, das Portal weiterzuführen und
auszubauen. Stimmen Sie mit mir überein, dass es die
Aufgabe der Politik ist, dafür zu sorgen, dass tatsächliche Missstände zum Beispiel durch Änderungen auf
Vorschlag der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission beseitigt werden? Sollte nicht tatsächlich etwas passieren, anstatt auf Dauer nur ein Meckerportal zu haben?
Lieber Kollege Schweickert, da stimme ich voll und
ganz mit Ihnen überein. Nur behaupte ich: In diesem Bereich wird immer kreativer für neue Produkte geworben.
Es werden immer mehr Produkte auf den Markt geworfen. Das heißt, es wird uns noch lange nicht der Stoff
ausgehen, um dieses Portal zu bestücken. Bis wir Abgeordnete tatsächlich die Maßnahmen ergriffen haben, die
nötig sind, um einen langfristigen Schutz vor Täuschungen aufzubauen, wird es dauern.
({0})
Mein dritter Punkt. Nach den Lebensmittelskandalen
und den Erkenntnissen der letzten Jahre
({1})
sollte Lebensmittelsicherheit beim zuständigen Ministerium endlich in den Mittelpunkt der Arbeit rücken. Der
letzte Vorfall, bei dem mehr als 11 000 Kinder aufgrund
des Verzehrs tiefgekühlter, verunreinigter Erdbeeren erkrankten, machte die Versäumnisse nochmals deutlich.
({2})
Die geforderte Neuaufstellung der staatlichen Lebensmittelkontrolle sucht man im Haushaltsplan vergeblich; denn auch dazu müssten Frau Aigner und die Bundesregierung bereit sein, mehr Geld in die Hand zu
nehmen, für mehr Personal, für bessere und laufende
Qualifizierungsmaßnahmen und für eine bessere Ausstattung.
({3})
Viertens. Die Kürzungspolitik der Bundesregierung in
unseren Sozialsystemen zwingt Menschen in die private
Vorsorge. Sie sollen selbst mit Verkäufern von Banken
und Versicherungen über ihre Alterssicherung und ihre
Pflege verhandeln. Die Verluste, die Verbraucherinnen
und Verbraucher durch schlechte Finanzberatung schon
hinnehmen mussten, gehen in die Milliarden Euro. Deshalb hat die Linke einen Antrag auf Bereitstellung von
20 Millionen Euro für die Einrichtung eines Finanzwächters und eines Finanz-TÜV gestellt. Der Finanzwächter soll bei den Verbraucherzentralen angesiedelt werden. Der Finanz-TÜV soll in einer neu zu
schaffenden Verbraucherschutzbehörde als Zulassungsstelle eingerichtet werden und alle neuen Produkte prüfen, bevor sie auf den Markt kommen. Nur so wird finanzieller Verbraucherschutz wirklich möglich und
werden schwarze Schafe aussortiert werden.
({4})
Nur so können undurchsichtige Finanzmärkte wirksam
kontrolliert werden. Aber auch dazu müsste Frau Aigner
bereit sein, die Anschubfinanzierung zu gewährleisten,
die über Einnahmen aus Kartellstrafen refinanziert werden könnte.
({5})
Damit würden das Verursacherprinzip angewendet und
die Finanzbranche zur Kasse gebeten werden.
Mein fünfter und letzter Punkt. Viele Beschäftigte im
Aigner-Ministerium und in den nachgelagerten Forschungseinrichtungen und Instituten leisten hervorragende Arbeit.
({6})
Aber fast 3 000 der Beschäftigten in diesen Einrichtungen sitzen auf befristeten Stellen, und das ist für mich als
Gewerkschafterin und als MdB der Linken ein untragbarer Zustand.
({7})
Wir reden hier in diesem Hohen Hause oft genug über
gute Arbeit oder auch über alternsgerechte Arbeit. Als
Gewerkschafterin sage ich Ihnen: Es ist nichts so schädlich für gute Arbeit und gute Leistung wie ein ungesichertes Beschäftigungsverhältnis. Wenn jemand ständig
Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben muss
oder dem Druck einer jahrelangen Probezeit ausgesetzt
ist, ist das alles andere als gesundheitsförderlich. Die eigene Lebens- und Familienplanung werden durch diese
unsichere Beschäftigung massiv eingeschränkt. Vor allem junge Frauen haben dann rasch ein Problem: Werden sie schwanger, sind sie ihren Job los.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende bitte.
Ja, gerne. - Angeblich setzen wir doch auf die hohe
Qualifikation gutausgebildeter junger Frauen. Deshalb
müsste sich die Bundesregierung als Vorbild und als
Vorreiter betätigen und existenzsichernde, gute Arbeit
schaffen.
Frau Kollegin.
Alles andere ist nicht hinnehmbar. Wir werden uns
zusammen mit den Gewerkschaften dafür einsetzen,
dass sich das ändert.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nicole Maisch hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt vor allen
Dingen eines, nämlich wie konzept- und ambitionslos
die schwarz-gelbe Bundesregierung ins Wahljahr gehen
wird.
({0})
Sicher, Sie stellen in einigen Bereichen mehr Mittel
ein, Sie kippen ein bisschen mehr Geld in bewährte
Strukturen - einiges davon wird sich sicher für hübsche
PR-Aktionen eignen -, aber das verdeckt nicht, dass wir
es hier mit einer strategischen Leere sondergleichen zu
tun haben.
Sicher, nicht alles, was den Konsumenten nutzt, muss
viel Geld kosten.
({1})
Nehmen wir die Gesetze gegen unlautere Geschäftspraktiken: Inkassobetrug, Telefonwerbung, Abmahnunwesen. Diese gammeln allerdings bei der FDP in der
Schublade.
({2})
Die siamesischen Zwillinge aus CDU und FDP könnten
sich da doch einmal zusammentun
({3})
und diese Gesetzespakete aus der Versenkung holen. Wir
warten schon sehr lange darauf.
In den zentralen strategischen Feldern der Verbraucherpolitik, wo durch Fehlentwicklungen auf den Märkten hohe individuelle und volkswirtschaftliche Schäden
verursacht werden, müssen Sie investieren, dort müssen
Sie die Mittel auch konzentrieren. Man kann nicht an der
einen Stelle 1 Million und an anderer Stelle 5 Millionen
ausgeben, sondern man muss sich finanziell auf bestimmte inhaltliche Schwerpunkte konzentrieren.
({4})
Wir schlagen Ihnen zwei Schwerpunkte vor. Punkt
eins: die Verbesserung der Ernährung von Kindern und
Jugendlichen. Punkt zwei: den finanziellen Verbraucherschutz. Wir haben diese Vorhaben - unsere Kollegin
Katja Dörner hat das mit Ihnen im Haushaltsausschuss
verhandelt - auch mit Haushaltsanträgen unterlegt.
Ich beginne mit dem Thema Ernährung. Übergewicht
und Fehlernährung sind gesundheitspolitische Megathemen. Individuelles Leid und gesellschaftliche Folgekosten von ernährungsbedingten Krankheiten zwingen
uns zum politischen Handeln. Wann kann man Ernährungskultur und Essverhalten am besten beeinflussen,
am besten zum Guten wenden? Das ist natürlich im Kinder- und Jugendalter. Deshalb fordern wir ein
Ernährungsprogramm, das die Gießkannenstruktur der
schwarz-gelben Ernährungspolitik beendet und sinnvolle
Projekte in langfristige strukturelle Verbesserungen
überführt.
({5})
Unser Problem ist: Wir haben viele nette Einzelprojekte, die auch alle gut sind, aber nach zwei Jahren
sind sie vorbei. Das kann es auf Dauer nicht sein.
Wir wollen die Schulvernetzungsstellen zu Kompetenzzentren Gemeinschaftsverpflegung ausbauen und
langfristig die Strukturen fördern. Frau Aigner, Sie können doch nicht sagen: Wir lassen die Finanzierung aufbauen, mit der Schulverpflegung ist alles in Ordnung.
Dazu haben die Kollegen, die vor mir gesprochen haben,
schon einiges gesagt.
Wir wollen ein Bundesprogramm zur Umsetzung der
DGE-Standards in der Gemeinschaftsverpflegung.
Wir wollen den Umbau bestehender Förderprogramme, zum Beispiel in der Absatzförderung. Sie soll
anwendbar werden für die regionale Gemeinschaftsverpflegung.
Der zweite Punkt, den ich strategisch sehr wichtig
finde, weil er so hohe individuelle, aber auch volkswirtschaftliche Kosten verursacht, ist das Thema finanzieller
Verbraucherschutz. Trotz unzähliger Debatten hier im
Plenum hat sich in den vergangenen Jahren in diesem
Bereich wenig verändert. Deshalb brauchen wir neben
einer verbraucherorientierten Finanzaufsicht dringend
die ergänzende sektorspezifische Verstärkung der Anlegerinteressen. Dass Sie der Stiftung Warentest 1,5 Millionen Euro zweckgebunden geben wollen, finden wir
nicht falsch. Die sollen sie bekommen. Aber das reicht
natürlich nicht.
Daneben brauchen wir dringend den Aufbau eines
Marktwächters, der als Ergänzung zur staatlichen Aufsicht verbraucherorientierte Marktbeobachtung leisten,
Initiativrecht gegenüber der BaFin haben und Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung wahrnehmen
soll. Ich weiß, das Thema Wächter ist bei Ihnen negativ
besetzt - Sie mögen das Wort nicht -, aber wenn Sie den
Marktwächter nicht wollen, dann erklären Sie mir, wie
Sie die unbestritten notwendigen Aufgaben, zum Beispiel verbraucherorientierte Marktbeobachtung, wahrnehmen wollen. Die Verbraucherzentralen leisten bereits
heute einen Teil dieser Aufgaben, aber es fehlen Ihnen
sowohl die finanziellen Mittel als auch die rechtlichen
Voraussetzungen, um diese Funktion wirklich wahrzunehmen.
Nicht nur der Haushaltsposten in diesem Bereich ist
mager, sondern auch die regulatorische Bilanz dieser
Regierung im Bereich finanzieller Verbraucherschutz.
({6})
Wir fragen Sie: Wo bleibt der Verbraucherschutz als
Kernaufgabe der BaFin? Wo bleibt die Rechtsgrundlage
für versteckte Testkäufer? Die Schaffung einer Rechtsgrundlage für versteckte Testkäufer hat Frau Aigner wiederholt in Pressemeldungen angekündigt, gekommen ist
sie leider nicht. Als wir das hier im Plenum gefordert
haben, waren Sie nicht bereit, es zu unterstützen. Wo
sind die verbesserten Rahmenbedingungen für Sammelklagen von geprellten Anlegern? Wo ist die Deckelung
für Dispozinsen? Wo ist das im Koalitionsvertrag angekündigte gleiche Schutzniveau über alle Produkte, über
alle Vertriebswege hinweg? Das ist ein Versprechen, das
Sie als FDP und Union im Koalitionsvertrag den Anlegerinnen und Anlegern gegeben haben. Sie haben es
nicht eingeführt.
({7})
Frau Aigner, Sie haben den Grünen vorgeworfen, wir
hätten ein „Wünsch dir was“ zusammengepackt und
keine Ahnung, wie wir es finanzieren sollen. Das stimmt
nicht. Wir haben Gegenvorschläge gemacht.
({8})
Es ist klar, wir als Fachpolitiker wären da vielleicht nicht
so pingelig gewesen; aber wir haben Haushaltspolitiker,
die uns im Nacken sitzen, und diese haben natürlich
Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht. Klar, Herr
Schirmbeck, Sie finden die vielleicht gut,
({9})
aber wir sagen: Wir müssen die Agrarsubventionen auslaufen lassen, dann ist genug Geld für all das da, was ich
hier vorgeschlagen habe.
({10})
Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende.
Damit komme ich auch zum Ende. - Das sind ein paar
Sparvorschläge, die Sie sich merken sollten. Dann wird
vielleicht aus Ihrer strukturellen Null irgendwann auch
eine richtige schwarze Null.
({0})
Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute in der Haushaltsdebatte
über unseren Einzelplan 10 und damit auch über die
Schwerpunkte unserer Verbraucherpolitik. Wir sprechen
darüber, was wir machen, und auch darüber, warum wir
die Positionen der Opposition ablehnen. In der Debatte
zur ersten Lesung wurde und in den täglichen Diskussionen mit Ihnen wird mir immer wieder sehr deutlich,
worin sich unsere Politik von der Ihren unterscheidet.
({0})
Grundlage unserer Verbraucherpolitik ist die Entscheidungsfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher oder, wie unsere Bundeskanzlerin es heute Morgen
treffend formuliert hat: Wir trauen den Menschen in unserem Land etwas zu.
({1})
Wir wollen keine Welt, in der Verbraucher ihre Entscheidungen nach Farben der Nährwert- oder der Hygieneampel treffen: In dem grün markierten Restaurant darf ich
essen, weil es dort bei der letzten Kontrolle sauber war.
({2})
Die rot gekennzeichnete Butter soll ich stehen lassen,
weil sie zu viel Fett enthält, obwohl das eigentlich bei
Butter normal ist. Ich verstehe schon, dass die Opposition an solch einer Welt Spaß hätte und sich in ihr
wohlfühlen würde; denn zumindest dort würde Rot-Grün
dominieren. In der realen Welt ist das nämlich nicht so.
({3})
Die Welt lässt sich nicht so einfach in Rot und Grün
bzw. in Gut und Böse einteilen, also in Rot gleich
schlecht und Grün gleich gut. Lebensmittel sind nicht
einfach entweder gesund oder ungesund. Eine Bäckerei
ist auch nicht einfach nur deshalb dreckig, weil dort ein
Protokoll nicht korrekt ausgefüllt wurde. Die Welt, vor
allem unsere Konsumlandschaft, ist komplexer als all
das. Sie verliert ihre Komplexität auch nicht, indem man
sie auf drei Farben reduziert. Solche Markierungen sind
vielleicht in einer Tiefgarage hilfreich, damit man den
Ausgang findet, aber sicherlich gehören sie nicht in ein
Lebensmittelregal.
({4})
Wir sprechen nämlich von selbstbestimmten Menschen. Ich finde es unerträglich und anmaßend, dass die
linke Seite dieses Hauses meint, man müsse den Menschen in Deutschland die Welt mundgerecht servieren,
({5})
weil sie komplexe Informationen sonst nicht verdauen
könnten. Wir bevormunden die Verbraucher nicht, und
wir werden sie auch nicht zu Sklaven eines Farbleitsystems machen. Wir wollen nicht staatlich definieren,
was am besten für die Menschen ist, weil wir den Menschen etwas zutrauen.
({6})
Diese unsere Grundhaltung gilt für alle Bereiche.
Deshalb gängeln wir die Verbraucher nicht, sondern
schaffen Rahmenbedingungen, damit Verbraucher den
Produkten am Markt wieder vertrauen können.
({7})
Wir haben kostenfreie Warteschleifen eingeführt, um
die Verbraucher vor Abzocke am Telefon zu schützen.
({8})
Wir haben das verbindliche Bestätigungsfeld bei Vertragsabschlüssen im Internet, den sogenannten Button,
eingeführt.
({9})
Wir geben der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, mehr Kompetenzen bei der Kontrolle
der Banken. Ich sage nur: Register für Anlageberater.
({10})
Auch das Portal lebensmittelklarheit.de läuft unglaublich gut, Frau Binder. Wir haben es eingeführt.
({11})
Frau Binder, es liegt eben noch kein Antrag für eine
Fortsetzung dieses Programms vor, was nicht heißt, dass
wir es ablehnen. Aber wir kennen Sie so. Sie verdrehen
die Tatsachen und die Wahrheit immer so.
({12})
Neben den Verbesserungen der Rahmenbedingungen
stärken wir mit Informationen und Aufklärung die Position der Verbraucher auf den Märkten. Wenn es um Information und Aufklärung geht, gilt - das wissen wir
alle -: Viel hilft nicht immer viel, im Gegenteil. Was wir
statt einer Informationsflut brauchen, sind verständliche
und zielgruppenspezifische Informationen. Wir brauchen Transparenz, damit die Verbraucher ohne Schwierigkeiten vergleichen und optimal entscheiden können.
Deswegen haben wir das Verbraucherinformationsgesetz
novelliert.
({13})
Jetzt erhalten die Verbraucher Behördenauskünfte zu
Produkten schneller, unbürokratischer und sogar meist
kostenlos. Außerdem haben wir die Produktinformationsblätter sowie die Protokollpflichten eingeführt und
damit für mehr Durchblick bei Finanzanlagen gesorgt.
({14})
Die App „Zu gut für die Tonne!“, die seit gestern
online abrufbar ist, steht heute auf Platz eins. Auch das
ist eine Idee von uns. Das ist gute, zielgruppenspezifische Information.
({15})
Mit dem Markttransparenzgesetz geben wir den
Verbrauchern die Möglichkeit, ihre Marktmacht an den
Tankstellen tatsächlich zu nutzen.
({16})
Aus einem Bürokratiemonster haben wir ein wirksames
Instrument gemacht, das den Autofahrern beim Sparen
hilft. Ab Mitte 2013 müssen die Tankstellen jede Änderung ihrer Kraftstoffpreise in Echtzeit an eine Datenbank
beim Bundeskartellamt melden. Diese Daten werden den
Kunden über Internetportale, eine Handy-App oder
Navigationsgeräte zur Verfügung gestellt.
({17})
Das ist echte Preistransparenz. Jeder Autofahrer - auch
Sie - kann auf einen Blick die günstigste Tankstelle in
seiner Umgebung oder auf seiner Strecke finden. So
können die Verbraucher mit ihrem Tankverhalten den
Wettbewerb ankurbeln und dadurch die Benzinpreise
beeinflussen.
({18})
Die beste Nachricht ist: Unsere Verbraucherpolitik
wirkt.
({19})
Die Lage und die Zufriedenheit der Verbraucher in
Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Das Vertrauen der Bürger in die Märkte
ist viel stärker ausgeprägt als das Misstrauen. Das ist
eine Bestätigung für die christlich-liberale Verbraucherpolitik.
({20})
Die große Herausforderung für uns besteht nun darin,
die Verbraucherpolitik an die gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen ist der demografische Wandel.
Auch deshalb wurde der Titel „Verbraucherinformation“
mit zusätzlichen 5 Millionen Euro ausgestattet. Ziel ist
es unter anderem, älteren Menschen Hilfe bei der Suche
nach einem geeigneten ambulanten Pflegedienst zu
geben.
Die Stiftung Warentest bzw. deren Zeitschrift Finanztest soll mit zusätzlich 2 Millionen Euro ausgestattet
werden. Dieses Geld wird die Stiftung nutzen, um
Finanzdienstleistungen zu prüfen, zu bewerten und ihr
Informationsangebot auszubauen. Damit haben wir ein
weiteres wirksames Instrument zur Überwachung des
Finanzmarktes neben der BaFin und der Verbraucherzentrale Bundesverband eingeführt. Wir sind in diesem
Bereich sehr gut aufgestellt. Wir wollen keine Doppelstruktur durch die Einrichtung eines Finanzmarktwächters schaffen.
({21})
Bessere und gut aufbereitete Informationen führen zu
besseren Entscheidungen. Das wollen wir fördern.
Verbraucherpolitik ist aber nie fertig. Die Arbeit ist
nie ganz getan. Fortwährend kommen neue Produkte auf
den Markt, vom einfachen Lebensmittel bis zum komplexen Finanzprodukt. Die Gesellschaft ändert sich ständig, und damit ändern sich natürlich auch die Bedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher und
schlussendlich auch die Verbraucherpolitik. Wir erkennen diese Veränderungen frühzeitig und gestalten sie mit
den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinsam.
Die Verbraucherpolitik der christlich-liberalen Koalition ist hervorragend aufgestellt. Wir machen erfolgreiche Verbraucherpolitik. Das wissen die Menschen im
Land. Das spiegelt sich auch in dem heute vorliegenden
Haushaltentwurf wider. Ich lade Sie also ein: Stimmen
Sie zu, dann werden Sie Teil unserer Erfolgsgeschichte!
Vielen Dank.
({22})
Kerstin Tack hat jetzt das Wort für die Fraktion der
SPD.
({0})
Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sagen, was ist, das möchten wir auch. Wir sind in der
Verbraucherpolitik mindestens mangelhaft, wenn nicht
ungenügend aufgestellt.
({0})
- Schön, dass Sie noch aufgewacht sind. Das ist ja ein
erster Anfang.
Wenn ich sage, wir in Deutschland sind in der Verbraucherpolitik mindestens mangelhaft, wenn nicht ungenügend aufgestellt, dann meine ich beispielsweise den
Anlegerschutz.
({1})
- Regen Sie sich nicht auf! Jetzt rede ich. Sie sind heute
nicht dran. Zumindest haben Sie keine Redezeit bekommen.
({2})
Frau Aigner, was Sie zu den Dispozinsen vorgelegt
haben, ist nicht genug für eine Ministerin, die noch im
Frühjahr der Meinung war, sie müsste die Verbraucherinnen und Verbraucher an dieser Stelle schützen. Das
reicht nicht.
Beim Thema Honorarberatung hat Ihnen Ihre eigene
Koalition die Zuständigkeit entzogen. Das ist ein Affront
gegenüber der eigenen Ministerin. Das haben wir interessiert zur Kenntnis genommen.
({3})
Die Vorlage, die von Herrn Schäuble kommt, ist auch
ungenügend. Dieses Verfahren ist leider einer Verbraucherministerin in Deutschland nicht würdig, und in der
Vorlage ist nichts enthalten, was die Anleger und Verbraucher schützen würde.
({4})
Statt Vorschläge für ein modernes Datenschutzrecht
vorzulegen, haben Sie es vorgezogen, ausschließlich
persönliche Konsequenzen zu ziehen. Das ist einer
Ministerin, die für den Schutz von Verbraucherinnen und
Verbrauchern auch in der digitalen Welt zuständig ist,
unwürdig.
({5})
Die Idee einer Stiftung Datenschutz ist gleich ganz gescheitert.
Die Stiftung Finanzdienstleistung ist eine Mogelpackung. Jetzt geben Sie der Stiftung Warentest zurück,
was Sie ihr vorher genommen haben.
({6})
Die Hygieneampel an Restauranttüren, Frau Heil, ist
keine Idee der Opposition, sondern geltende Beschlusslage aller Verbraucherminister in Deutschland, auch der
der Union. Mit dem, was Sie hier machen, erweisen Sie
den Verbraucherministerinnen und -ministern einen Bärendienst. Wenn die Hygieneampel an Restauranttüren
auf Rot steht, dann bedeutet das nicht, dass man nicht hineingehen darf. Vielmehr hat man Wahlfreiheit und kann
trotzdem die entsprechende Lokalität aufsuchen. Es ist
sehr arm, Frau Ministerin, dass Sie diese Idee nicht aufgreifen.
({7})
Ähnlich verhält es sich mit der Plattform „lebensmittelklarheit.de“. Weil sie noch nie das Kind der Koalition
war, ist verständlich, warum im Moment so sehr darüber
diskutiert wird, wie man am besten einstampfen kann,
was man sowieso noch nie wollte. Seien Sie doch ehrlich
und sagen Sie, dass Sie das nicht wollen, anstatt zu behaupten, dass das Ganze nicht funktioniert.
({8})
In Bayern ist Frau Aigner zwar ganz klar für gentechnikfreie Regionen, in Brüssel aber stimmt sie allem zu,
was der Zulassung von GVO dient. Auch das ist einer
Verbraucherministerin, die den Verbraucherwillen in
Deutschland im Blick haben sollte, nicht würdig.
({9})
Im Gesundheitsbereich gibt es Frau Aigner nicht. Sie
kommt schlicht und ergreifend nicht vor, obwohl auch
hier Verbraucherpolitik betrieben werden muss. Die Patientinnen und Patienten sind bei ihr nicht gut aufgehoben.
Die Inkassounternehmen können weiterhin irrwitzige
Abmahngebühren verlangen, weil die Koalition seit
Frühjahr dieses Jahres nicht in der Lage ist, ein Anti-Abzocke-Gesetz auf den Weg zu bringen. Sie nimmt damit
in Kauf, dass Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin täglich mit Abmahngebühren hochgradig
belastet werden. Wir halten das für einen Skandal. Ich
finde, auch eine deutsche Verbraucherministerin muss
dies skandalisieren, selbst wenn es Schwierigkeiten mit
der eigenen Koalition gibt.
({10})
Nun sollen 25 Millionen Euro mehr zur Information
der Verbraucher ausgegeben werden. Frau Heil sagt
gleichzeitig, man wolle keine Informationsflut. Es erschließt sich nicht wirklich, wie das zusammenpasst.
Mehr Information schadet zwar nicht, aber es muss doch
auch klar sein, was man damit will.
Wir wollen den Ausbau von Forschung. Wir wollen,
dass man sich mit der Effektivität all unserer politischen
Entscheidungen für die Verbraucherpolitik auseinandersetzt. Wir wollen, dass klar ist, welche Instrumente zum
Ziel führen. Wir wollen, dass durch qualifizierte Forschung bessere finanzielle Anreize gegen bessere Kontrollen abgewogen werden. Wir wollen, dass klar ist, ob
Produktinformationen verständlich sind oder nicht. Dazu
brauchen wir entsprechende Bedingungen und vor allen
Dingen Forschungsvorhaben, die uns das dokumentieren.
Last, but not least: Ja, wir wollen einen Marktwächter.
Wir wollen ihn starkmachen. Wir wollen ihn nicht irgendwie. Ich denke, dass wir da nicht weit auseinanderliegen; denn wir haben die Einführung dieses Marktwächters in der Großen Koalition 2008 gemeinsam
beschlossen. Sie wollen das nicht wahrhaben, aber es ist
nun einmal so. Wir wollen ihn, weil nach unserer Ansicht die Verbraucherinnen und Verbraucher ein Recht
darauf haben, dass ihre Interessenvertretung bei einem
sehr starken Markt ein Gewicht bekommt. Deshalb wollen wir neben dem Finanzmarktwächter auch einen
Marktwächter für Gesundheit, für digitale Welt und für
Energie. Denn wir glauben, dass dies Bereiche sind, in
denen starke Verbraucherstimmen, und zwar kollektiv,
gegenüber einer starken Anbieterseite von Nutzen sein
können. Wir wollen damit der Aufsicht die Chance geben, effektiv tätig zu werden, indem sie gezielten Hinweisen, die sie durch das System der Marktwächter erhalten, nachgehen können.
Wir glauben, dass das allemal sinnvoll eingesetztes
Geld für gelingende und gute Verbraucherpolitik in
Deutschland ist. Wir stellen unsere Vorschläge heute zur
Abstimmung und freuen uns auf Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({11})
Der Kollege Franz-Josef Holzenkamp hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Bei aller Kritik von der Opposition - das gehört in der
Haushaltswoche dazu - bleibt es dabei: Wir haben im
Kern einen richtig guten Haushalt vorgelegt. Ich möchte
den Haushältern für unseren Einzelplan, Herrn
Schirmbeck und auch Herrn Haustein, und auch dem
BMELV mit Ilse Aigner an der Spitze ein herzliches
Dankeschön sagen. Dieser Haushalt steht für Verlässlichkeit und Perspektive. In diesem bescheidenden
Haushalt leisten wir einen Beitrag - auch wenn er übersichtlich ist - für die Konsolidierung. Gleichzeitig haben
wir bei wirklich knappem Budget - das ist unstreitig; das
wissen wir alle hier - zukunftsweisende Schwerpunkte
gesetzt.
({1})
Was macht die Opposition? Ich unterstreiche das, was
Ilse Aigner gesagt hat: Bei der Opposition geht es nach
dem Motto „Wünsch dir was“. Bundesprogramme sollen
finanziert und Fachgremien eingerichtet werden. Die
SPD will erforschen lassen, wie lange technische Geräte
leben. Das kann man machen, aber damit muss der
Haushalt doch wirklich nicht belastet werden. Wir als
Koalition sagen dazu Nein.
({2})
Wenn die Opposition mal mit Sparvorschlägen
kommt, dann geht es gleich ums Ganze: Grüne und
Linke fordern - der Punkt wurde mehrfach angesprochen -, die Exportförderung auf Null zu setzen. Ich habe
schon häufiger daran erinnert: Welthandel ist Voraussetzung für Welternährung.
({3})
Es geht nicht um Billigexporte. Wir sind für eine Abschaffung von Exporterstattungen. Ich unterstreiche das
noch einmal ausdrücklich.
({4})
Aber wir sind für Wertschöpfung im ländlichen Raum
durch kleine und mittelständische Unternehmen; um
diese geht es nämlich. Es geht um Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Die Großen helfen sich sowieso selber.
({5})
Aber das ist ja bei Ihnen Programm: Gegen die Großen wettern und die Kleinen treffen.
({6})
Einmal abgesehen von den inhaltlichen Irrungen und
Wirrungen in Ihren Anträgen: Was kostet denn dieses
Wunschkonzert? Die SPD bewegt sich mit ihren Weihnachtswünschen in einem Bereich um 50 Millionen
Euro. Ich muss loben, dass dies gegenfinanziert ist. Aber
wo? Die Zuschüsse bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sollen um 50 Millionen Euro abgesenkt
werden. Meine Damen und Herren, die landwirtschaftlichen Familien sollen die Wünsche der SPD über Beitragssatzerhöhungen bei der Unfallversicherung bezahlen!
({7})
Es ist für sie schon schwer genug, mit der alten Last des
Strukturwandels fertigzuwerden. Mit uns ist das nicht zu
machen. Wir finden das sogar schäbig. Das zeigt Ihr geringes Interesse an der deutschen Landwirtschaft, meine
Damen und Herren von der SPD.
({8})
Es geht weiter - diesmal ohne Gegenfinanzierung;
Frau Aigner hat das angerissen -: Die Grünen wollen
Mehrausgaben von 35 Millionen Euro,
({9})
die Linken - beim Geldausgeben sind Sie ja unangefochten Spitze ({10})
Mehrausgaben von 72 Millionen Euro. Wer bezahlt das?
Das bezahlt der Steuerzahler. Das sind die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb haben wir Ihre Anträge
aus Überzeugung abgelehnt. Das ist Verbraucherschutz.
Verbraucherschutz bedeutet auch Entlastung der Menschen, meine Damen und Herren. Das sollte man irgendwann einmal begreifen!
({11})
Da wir gerade beim Verbraucherschutz sind:
({12})
Schauen Sie sich das Gutachten von Prognos, das schon
zitiert wurde, an - ein glänzendes Zeugnis für die christlich-liberale Koalition.
({13})
Wir ruhen uns aber nicht aus. Wir erhöhen die Mittel und
setzen sie effizient und effektiv ein.
({14})
Frau Tack, Sie haben die Kennzeichnung durch Ampel und Smileys angesprochen. Sie haben mit Ihrer Aussage zur Position der Verbraucherschutzminister und
-ministerinnen der Länder in Deutschland recht. Aber
der Vollständigkeit halber müssen Sie dazusagen: Alle
Wirtschaftsminister sind dagegen, auch die von der SPD.
Sie müssen sich einmal entscheiden. So einig sind Sie
sich nämlich nicht.
({15})
Noch einmal zur Agrarsozialpolitik, meine Damen
und Herren. Die deutschen Bauern, die Bauernfamilien
in Deutschland, können sich bei der Sozialversicherung
auf uns als christlich-liberale Koalition verlassen. Alle
sind uns wichtig.
({16})
Deshalb unterstützen wir auch gern den Umbau unserer
Sozialversicherung hin zu einem Bundesträger, verteilt
über drei Jahre, mit 150 Millionen Euro, damit das Tragen der alten Last verträglich bleibt.
Meine Damen und Herren, wir wollen Innovation und
Forschung. Die Herausforderungen - ich glaube, da sind
wir uns alle einig - sind gewaltig. Wir müssen 2050 fast
doppelt so viele Lebensmittel erzeugen wie heute. Bis
dahin sind es nur noch knapp vierzig Jahre. Das geht nur
mit einer modernen und zukunftsorientierten Landwirtschaft - die EuroTier hat das übrigens in besonderer
Form deutlich gemacht -,
({17})
in Deutschland, in Europa, aber gerade auch in den
Schwellen- und Entwicklungsländern.
({18})
Dafür braucht es mehr Forschung und mehr Innovation.
Deshalb haben wir diese Mittel um 27 Millionen Euro
erhöht,
({19})
auf insgesamt 0,5 Milliarden Euro.
Da sonst immer so viel gemeckert wird, will ich an
dieser Stelle endlich einmal den vielen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern dieser Institute - Schorse Schirmbeck
hat darauf hingewiesen - ein Dankeschön für ihre hervorragende Leistung und die hervorragende Arbeit, die
sie leisten, sagen.
({20})
Auch im Jahr 2012 ist bisher eine ganze Menge auf sie
zugekommen.
({21})
Ich will auf das Modell- und Demonstrationsvorhaben hinweisen. Hier stellen wir für den Tierschutz
21 Millionen Euro zusätzlich bereit. Meine Damen und
Herren, Sie haben viele Wünsche zum Thema Tierschutz
geäußert. Wir unterlegen ihn mit konkreten Haushaltsmitteln. Das ist auch nicht neu. Wir tun nämlich bereits
etwas. Es gibt schon solche Versuche, beispielsweise in
meinem Heimatbundesland Niedersachsen; ich kann Ihnen entsprechende landwirtschaftliche Betriebe nennen.
Wir wollen den Tierschutz praktikabel und letztendlich
bezahlbar gestalten.
({22})
Wenn Sie so einfach sagen: „Von heute auf morgen
soll mit der betäubungslosen Ferkelkastration Schluss
sein; wir wollen sie verbieten“, dann frage ich Sie: Was
für Folgen hat das eigentlich, gerade für die kleinen
landwirtschaftlichen Betriebe?
({23})
Sie befeuern den Strukturwandel in einer Art und Weise,
die vollkommen unangemessen ist.
({24})
Wissen Sie eigentlich, was Sie den Bauernfamilien antun? Ihnen ist das offensichtlich egal. Uns als christlichliberaler Koalition ist das aber nicht egal, meine Damen
und Herren.
({25})
Im Übrigen sage ich an die Adresse der SPD: Wenn
ihr bei diesem Thema sagt: „Sofort verbieten!“, gleichzeitig aber einen Änderungsantrag zum Haushalt einbringt, in dem ihr mehr Forschung zu diesem Bereich
fordert, ist uns nicht ganz klar, was ihr wirklich wollt. Ihr
müsst euch einmal entscheiden.
({26})
Noch einige Ausführungen zum Thema Verlogenheit.
({27})
Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht von den Grünen anhören müssen, wie schlimm dieser Export ist und
dass man den Menschen vor Ort helfen müsse. Bei Letzterem sind wir einer Meinung. Das ist uns tatsächlich
wichtig. Deshalb haben wir die Mittel für die Bilaterale
Technische Zusammenarbeit um 2 Millionen Euro aufgestockt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Sie haben vorgeschlagen, das wieder zurückzunehmen
und davon eine Kampagne gegen Gentechnik zu machen.
({28})
Das steht so in Ihrem Antrag. Das ginge auf Kosten der
Armen. Das ist nicht zu verantworten; das kann nicht
sein.
({29})
Ich komme abschließend zum Thema „Gemeinsame
Agrarpolitik“. In dieser Woche finden Verhandlungen
über den mehrjährigen Finanzrahmen statt. Meine Damen und Herren, eines wünsche ich mir von uns allen:
Lasst uns die Diskussion nicht nur auf Umverteilung reduzieren! Verfolgen wir doch gemeinsam deutsche Interessen!
({30})
Wir würden unseren Bauern etwas Gutes tun.
Wir haben einen Superhaushalt entwickelt, einen
Haushalt mit Perspektive für Verbraucherschutz, für die
Landwirtschaft. Wenn Sie ehrlich sind, können Sie ihm
nur zustimmen.
({31})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - in der Ausschussfassung.
Sie haben vier Änderungsanträge der Fraktion der
SPD vorliegen, über die wir zuerst abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11533. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
durch SPD und Linke. CDU/CSU und FDP waren dagegen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11534. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion. Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11535. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei Zustimmung durch SPD und Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11536. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Ablehnung durch CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. SPD und Linke waren dafür.
Weiterhin liegt uns ein Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/11537 vor. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die
Fraktion Die Linke. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 10 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 10 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
der Ausschussfassung angenommen bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. November 2012, 9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.