Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur 206. Sitzung des Deutschen
Bundestages in der laufenden Legislaturperiode und damit zum Beginn der Haushaltswoche. Ob diese Woche
der Höhepunkt der parlamentarischen Debatten dieses
Jahres wird, mögen andere zu einem späteren Zeitpunkt
entscheiden. Dass dies ein wesentlicher, zentraler Teil
der Arbeit dieses Parlamentes ist, daran kann schon
vorab kein Zweifel bestehen. Deswegen will ich die Gelegenheit gerne nutzen, mich im Namen des ganzen
Hauses bei den Kolleginnen und Kollegen besonders zu
bedanken, die uns die beschlussreifen Vorlagen pünktlich und vollständig geliefert haben, über die wir uns im
Laufe der Woche mit besonderer Sorgfalt beugen werden. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass auch der
eine oder andere kritische Einwand gegenüber den Empfehlungen des Haushaltsausschusses hier vorgetragen
wird, sollten wir vorab unseren gemeinsamen Dank an
die Kolleginnen und Kollegen für die geleistete Arbeit
zu Protokoll nehmen.
({0})
Leider müssen wir vor Eintritt in die Tagesordnung
wieder einmal eine Schriftführerwahl durchführen.
({1})
- Was heißt „leider“, Frau Enkelmann? Ich muss die
regelmäßige Abmeldung von Schriftführerinnen und
Schriftführern aus Ihrer Fraktion als eine auf Dauer abgegebene Misstrauenserklärung gegenüber dem Parlamentspräsidenten verstehen. Eine andere Erklärung fällt
mir jedenfalls nicht ein.
({2})
Jedenfalls schlägt die Fraktion Die Linke vor, für den
Kollegen Ralph Lenkert, von dem mir bis heute keine
schriftliche Entschuldigung für seinen Rückzug vorliegt,
den Kollegen Harald Weinberg als Schriftführer zu wählen. Sind Sie damit einverstanden? ({3})
- Nein, Herr Kollege Schirmbeck, eine Vorstellung ist
nach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen, ist
aber eine der denkbaren Innovationen für die nächste Legislaturperiode. Wir kommen darauf zurück.
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege
Harald Weinberg damit als neuer Schriftführer gewählt.
({4})
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es
eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, von der Frist für
den Beginn der heutigen Beratungen, soweit erforder-
lich, abzuweichen. Dazu würde ich gern Ihr Einverneh-
men feststellen. - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({5})
- Drucksachen 17/10200, 17/10202 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({7})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({8})
Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, und
zwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe zunächst den Einzelplan 01 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 17/10801, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider ({9})
Dr. Dietmar Bartsch
Omid Nouripour
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Einzelplan 01 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der SPD und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 02 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 17/10802, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Johannes Kahrs
Roland Claus
Priska Hinz ({10})
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11517 vor,
über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag mehrheitlich
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 02 in der Ausschussfassung. Wer stimmt diesem
Einzelplan zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Cajus Caesar
Klaus Brandner
Heinz-Peter Haustein
Dr. Tobias Lindner
Wir stimmen über den Einzelplan 03 in der Aus-
schussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 03 ist ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 17/10808, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Brackmann
Carsten Schneider ({11})
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Kruse
Bernhard Brinkmann ({12})
Dr. Claudia Winterstein
Sven-Christian Kindler
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags
zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 ({13})
- Drucksachen 17/10900, 17/10901 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({14})
- Drucksachen 17/11290, 17/11291 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({15})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({16})
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2013 ({17})
- Drucksachen 17/10588, 17/10864 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({18})
- Drucksache 17/11477 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({19})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({20})
e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags
- Drucksachen 17/10976, 17/11011 Präsident Dr. Norbert Lammert
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({21})
- Drucksache 17/11504 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({22})
Roland Claus
Priska Hinz ({23})
Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprache von
zwei Stunden verständigt. Gibt es dazu Einwände? - Das
ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
({24})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt 2013 für die Bundesrepublik Deutschland wird
Ende dieser Woche beschlossen werden. Die Bürger dieses Landes haben ihr Urteil über diese Regierung schon
gefällt. 70 Prozent der Deutschen sagen, die Regierung
Merkel betreibe nur Klientelpolitik.
({0})
65 Prozent sagen, die Regierung Merkel kümmere
sich nicht um die Zukunftsprobleme dieses Landes.
({1})
Vielleicht sollten Sie sich bei der Bundesregierung informieren. Diese Angaben stammen aus einer Umfrage, die
für die Bundesregierung von der Forschungsgruppe
Wahlen erstellt wurde. Die Menschen in diesem Lande
liegen richtig mit ihrer Einschätzung.
({2})
Chaos, Verantwortungslosigkeit, Blindheit für die
großen Aufgaben, Verschleudern der Zukunftsreserven
für irrsinnige Wahlgeschenke, finanzpolitische Trickserei und offensichtlicher Wählerbetrug - das ist der Haushalt 2013, den Sie uns hier vorlegen.
({3})
So taumeln Sie in die Haushaltswoche.
Zu Recht hat sich nicht nur der Sachverständigenrat
der Bundesregierung Ihre Politik vorgeknöpft. Sie wollten ihn im Haushaltsausschuss nicht hören. Sie wollten
an dem Tag, an dem der Bericht der Bundesregierung
übergeben wurde, nicht, dass wir mit Mitgliedern des
Sachverständigenrats im Haushaltsausschuss debattieren. Angesichts der Ergebnisse, die Ihnen die fünf Wirtschaftsweisen präsentiert haben, kann ich nur sagen: Ich
hätte an Ihrer Stelle lieber die Ohren aufgemacht, anstatt
auf Durchzug zu stellen.
({4})
Sie haben eine Legislaturperiode hinter sich, die mit
Klientelpolitik begonnen hat - Stichwort „MövenpickSteuer“ - und die mit dem bildungspolitischen Irrsinn
des Betreuungsgeldes endet.
({5})
Es war bislang eine Legislaturperiode mit Rekordsteuereinnahmen und den geringsten Ausgaben für den Arbeitsmarkt, in der Herr Schäuble seiner Verantwortung
als Finanzminister nicht gerecht wurde. Er hat in dieser
Legislaturperiode 112 Milliarden Euro neue Schulden
gemacht, und das, obwohl es die höchsten Steuereinnahmen gab, die es in der Bundesrepublik jemals gegeben
hat. Die Schuldenlast führt dazu, dass am Ende des Finanzplans die Zinsausgaben in Höhe von bislang 31 Milliarden Euro auf 41 Milliarden Euro steigen werden. Das
entzieht uns Gelder, um die Zukunft zu gestalten.
Warum ist das so? Nehmen Sie nur - stilbildend - den
letzten Koalitionsausschuss.
({6})
Er fand am Sonntag der Woche statt, in der wir den
Haushalt im Haushaltsausschuss - vielen Dank, Herr
Präsident, für die Anerkennung unserer Arbeit - beschlossen haben. Es ging um viel Geld für Aufgaben, die
brachliegen. Sie konnten sich aber nicht einigen, weil
Sie keine Kraft mehr haben. Ich zitiere da nur die
Süddeutsche Zeitung: Im Endeffekt gebaren Sie eine
Maus. - Sie haben sich auf einen Kuhhandel geeinigt:
({7})
Das Betreuungsgeld wurde gegen die Abschaffung der
Praxisgebühr getauscht. Der Finanzminister zog es vor,
nach Mexiko zu reisen und Vorträge über Konsolidierung zu halten,
({8})
anstatt sich darum zu kümmern, Deutschland vor irrsinnigen Maßnahmen zu beschützen.
Meine Damen und Herren, Bundesfinanzminister
Schäuble hat in der Finanzpolitik die Hände in den
Schoß gelegt. Drei innenpolitische Aufgaben stehen an:
erstens Steuerpolitik, zweitens Haushaltskonsolidierung,
drittens Schaffung von Ordnung auf den Finanzmärkten.
In allen drei Punkten komme ich zu dem Schluss, dass
Sie die Hände in den Schoß gelegt haben oder, wie im
Steuerbereich, Schlimmeres angerichtet haben.
({9})
Carsten Schneider ({10})
Nehmen wir als Erstes den Haushaltsbereich als Beispiel. Angesichts der höchsten Steuereinnahmen, die wir
jemals hatten,
({11})
und der niedrigsten Zinsausgaben, die daraus resultieren,
dass wir die Krisengewinnler Europas sind, und die zu
einer Entlastung des Haushalts gegenüber der Planung
um 11 Milliarden Euro führen, wäre es Ihre Aufgabe gewesen, die Neuverschuldung schon längst auf null zu
fahren. Sie haben das nicht geschafft, und das ist Ihr Versagen.
({12})
Ich will Ihnen nur zwei Zahlen nennen. Sie beschließen für 2013 neue Schulden von 17,1 Milliarden Euro.
Das haben Sie - ich komme noch darauf zu sprechen mit Trickserei geschönt; eigentlich wären es sogar mehr.
Im Jahr 2011, als die Steuereinnahmen geringer und die
Sozialausgaben höher waren, haben Sie 17,3 Milliarden
Euro Schulden gemacht. Das heißt, es ist Ihnen, obwohl
die Einnahmen explodieren und sich die Sozialausgaben
um 10 Milliarden Euro verringert haben, weil Sie im Sozialbereich kürzen und die Sozialkassen plündern - das
ist der einzige Bereich, in dem Sie zugreifen; Subventionsabbau kennen Sie nicht -, nicht gelungen, die
Schuldenlast zu senken. Im Gegenteil: 2012 ist die Neuverschuldung noch einmal explodiert. Jetzt geht die
Neuverschuldung wieder auf das Niveau von 2011 zurück.
({13})
Das heißt, dieses Land ist in den letzten zwei Jahren, in
denen Sie die Verantwortung für den Bundeshaushalt getragen haben, in die Stagnation regiert worden. Das liegt
in Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren. Ich
würde mich an Ihrer Stelle eher schämen.
({14})
- Sie können ja einfach nachschauen. Vergleichen Sie
die Zahlen von 2011 und 2013!
Nehmen Sie zwei entscheidende Punkte zur Kenntnis:
12 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und um
9,8 Milliarden Euro geringere Sozialausgaben. Das
macht zusammen fast 22 Milliarden Euro. Die Zinsen
sind in etwa gleich geblieben. Die Kreditaufnahme
bleibt aber bei 17 Milliarden Euro. Ich frage mich: Wo
sind die 22 Milliarden Euro hin?
({15})
Sie haben es nicht geschafft, Kraft aufzubringen,
({16})
um die Aufgabe zu meistern, die Sie wirklich hätten erledigen sollen, nämlich die Neuverschuldung in
Deutschland endlich auf null zu fahren; stattdessen
schulmeistern Sie in Europa. Sie sind an Ihrer Aufgabe
gescheitert.
({17})
Herr Kauder, soll ich Ihnen einmal sagen, was Sie im
Haushalt 2013 alles beschlossen haben? Ich weiß gar
nicht, ob Sie davon Kenntnis haben.
({18})
- Ich nenne Ihnen einmal ein paar Punkte, an denen Sie
Kürzungen vornehmen können, drei Punkte, die Ihre
Kollegen durchgesetzt haben:
Erstens, ein kleines Beispiel dafür, womit Sie sich beschäftigen. Im Verteidigungsbereich geben Sie für ein
Bundeswehrmuseum 1 Million Euro mehr aus. Sie kürzen aber einen gleich hohen Betrag bei den Betriebskosten, das heißt beim Sprit. Wenn Sie für die Panzer kein
Benzin mehr bereitstellen, können Sie sie auch ins Museum stellen. Das ist Ihre Art von Zukunftspolitik.
({19})
Zweitens. Für den Schaufelraddampfer „Kaiser
Wilhelm“ haben Sie Geld, aber beim Goethe-Institut
kürzen Sie 8 Millionen Euro. Dabei ist es doch wichtig,
dass wir die Kulturpolitik im Ausland und damit die
deutsche Sprache fördern.
({20})
Was machen Sie stattdessen? In einer Nacht-und-NebelAktion werden 10 Millionen Euro für den Neubau eines
sudetendeutschen Museums in München bereitgestellt.
({21})
Das ist Ihre Zukunftspolitik. Da kann ich nur sagen:
Gute Nacht!
({22})
Zukunftsweisend wäre es gewesen, wenn Sie in der
Hochphase der Konjunktur die Schulden gesenkt hätten,
um Reserven für schlechte Zeiten aufzubauen. Dass
schlechte Zeiten eventuell kommen, sieht man an der Situation im Euro-Raum. Schauen Sie sich die Wachstumsaussichten für Deutschland an: 0,7 Prozent!
({23})
Sie haben sie höher eingeschätzt und 1 Prozent zugrunde
gelegt. Schon darin besteht ein hohes Haushaltsrisiko.
Sie lagen daneben, und nun plündern Sie die Sozialkassen.
Man hätte im Zuge der Beratungen zum Haushaltsbegleitgesetz über eine einmalige Absenkung des Gesundheitszuschusses um 2 Milliarden Euro reden können,
Carsten Schneider ({24})
wenn gemeinsame Gespräche aufgenommen worden
wären. Aber da Sie für die Beglückungsaktion der Kleinpartei in der Koalition Geld brauchen - ich erinnere an
die Sonntagsnummer Betreuungsgeld -, haben Sie weiter wild in die Sozialkassen und in den Gesundheitsfonds
gegriffen. Dabei geht es um einen Betrag von fast
6,5 Milliarden Euro, der dem Gesundheitsfonds entzogen wird. So verfahren Sie auch in der Rentenversicherung. Sie haben die vorhandenen Überschüsse, die wir
aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und der gerechtfertigten guten Lohnabschlüsse erzielen konnten,
geplündert. Wenn Sie sich die Regeln für die Schuldenbremse genauer anschauen, dann stellen Sie fest, dass
Sie diese Defizite in der Sozialversicherung in den Haushalten ab 2014 auffangen müssen. Aber da werden Sie
nicht mehr regieren.
Mein Fazit Ihrer Haushaltspolitik ist: Nach mir die
Sintflut!
({25})
Sie sehen nur noch zu, dass Sie über den Wahltag kommen; danach können die anderen
({26})
den Scherbenhaufen wieder aufkehren. Das ist keine zukunftsweisende Politik.
({27})
Herr Schäuble, ich frage mich: Wo stehen Sie eigentlich innenpolitisch? Das fragt sich nicht nur die SPD,
sondern die gesamte deutsche Presselandschaft. Ich habe
ein paar Zitate mitgebracht. Das Handelsblatt titelte:
„Das erschöpfte Bündnis“, „Sparen? Fehlanzeige“. Die
Süddeutsche Zeitung schrieb: „Eine sogenannte Koalition“. Es gab Streit darüber, wann der Haushalt strukturell ausgeglichen sein wird: 2013 oder 2014? Ist das eine
rote oder eine schwarze Null? Die FDP mit Herrn Rösler
an der Spitze hat sich groß mokiert, im Endeffekt gebaren Sie aber eine Maus. Daher titelte die Frankfurter
Rundschau:
({28})
„Die Null soll stehen - nur welche? Bundesregierung
verspricht ausgeglichenen Haushalt - und macht weiter
Schulden“. - So ist es!
({29})
Lassen Sie mich als Letztes eine Überschrift des Handelsblatts zitieren: „Wo steckt Schäuble?“ In der deutschen Innenpolitik ist er, zumindest aktiv, nicht mehr zu
erkennen.
({30})
In Europa gebärden Sie sich als Schulmeister. In
Deutschland hingegen schaffen Sie es nur durch einen
Buchungstrick, eine niedrigere Neuverschuldung auszuweisen als im Jahre 2011. Dabei handelt es sich um die
Einnahmen aus der Privatisierung der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft. Gestern wurden viele Wohnungen in
Ostdeutschland an einen Finanzinvestor verkauft. Wir
als SPD wollten angesichts der angespannten Mietsituation, des Bedarfs an Wohnraum gerade im städtischen
Bereich, nicht, dass die Wohnungen verkauft werden.
Sie haben es getan. Das ist meines Erachtens ein großer
Fehler, weil Sie dem Bund damit den letzte Möglichkeit
zur Einflussnahme auf Wohnungspolitik und Städtebau
genommen haben. Die erzielten Einnahmen verschieben
Sie einfach in das nächste Jahr, um den Haushalt noch
irgendwie zu retten. Das zeugt nicht gerade von einer
klaren Linie, sondern von einem Schlingerkurs, und das
ist eines Bundesfinanzministers unwürdig.
({31})
Im Steuerbereich ist ebenfalls nichts passiert. Das
Einzige war die milliardenschwere, zusätzliche Subvention für die Hoteliers. Herr Rösler, Sie sind nicht nur
Vorsitzender der FDP, sondern auch Bundeswirtschaftsminister und verfügen damit über den größten Subventionsetat des Bundes. Hieran hat sich kein Cent geändert.
Die Subventionen sind geblieben, wie sie waren. Da, wo
es um Finanzpolitik bzw. um einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz geht, haben Sie sogar noch einen oben
draufgelegt. Das ist nicht gerecht.
({32})
- Da ich gerade die Zurufe der Kollegen von der FDP
höre: Ich warte immer noch, dass Sie endlich einmal Ihr
Liberales Sparbuch - diese 8 Milliarden Euro - dem
Bundestag zur Abstimmung vorlegen. Das ist aber genauso versenkt worden wie Ihre Überzeugung beim
Thema „Betreuungsgeld“. Sie stimmen nur noch über
das Überleben Ihrer Partei im nächsten Jahr ab. Meine
Damen und Herren, seien Sie aber sicher: Dies wird ein
Ende haben.
Wir Sozialdemokraten setzen dem einen klaren Kurs
entgegen: ausgeglichene Haushalte so schnell wie möglich. Wir wollen nicht, dass sich die Deutschen, wenn sie
der Bundesrepublik Deutschland Kredit geben wollen,
nur noch an Banken wenden können. Was bedeutet das?
Sie haben beschlossen, dass der Bundesschatzbrief abgeschafft wird, dass es nicht mehr möglich ist, persönlich
und direkt bei seinem Staat Geld anzulegen. Man muss
nun immer automatisch den Weg über die Banken gehen.
({33})
Das, meine Damen und Herren, ist ein großer Fehler.
({34})
Es zeigt aber, unter welcher Fuchtel und unter welchem
Lobbyeinfluss Sie hier stehen.
({35})
Das trifft ebenso auf den Finanzsektor zu. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier - ich glaube, es war im Jahr
2010 - gestanden und gesagt, es werde nie wieder pas25108
Carsten Schneider ({36})
sieren, dass der Staat für die Banken in diesem Land haftet. Dann gebaren Sie wieder eine Maus: Eine Bankenabgabe soll nun dafür sorgen, dass, wenn eine Bank
pleitegeht, der Staat nicht zahlen muss. Wie hoch sind eigentlich die Einnahmen aus dieser Abgabe? - 500 Millionen Euro pro Jahr! Meine Damen und Herren, damit
können Sie vielleicht eine mittlere Sparkasse retten, aber
nicht einmal eine mittlere Großbank.
({37})
Das heißt, aufgrund Ihrer Politik wird der Steuerzahler
in der Haftung bleiben. Sie schaffen kein Recht und
keine Ordnung im Finanzsektor, im Gegenteil.
Wenn ich mir nur die gestrigen Empfehlungen zu den
Schattenbanken anschaue, sehe ich, dass da mittlerweile
eine richtige Krake entstanden ist, die gefährlicher als alles ist, was wir bisher gesehen haben. Da frage ich mich:
Wo sind Ihre Initiativen hier im Deutschen Bundestag,
um diesen Schattenbanksektor zu regulieren? Nichts ist
passiert. Auch bei der Bankenregulierung haben Sie versagt.
({38})
Zum letzten Punkt. Herr Minister, Sie fahren heute
zur Euro-Gruppe nach Brüssel, um über Griechenland zu
entscheiden. Ich hoffe, dass Sie endlich entscheiden. Vor
allen Dingen hoffe ich, dass Sie endlich Ihre Position
korrigieren und nicht mehr nur den Wahltag im September 2013 im Blick haben, sondern dass Sie eine Lösung
für Europa vorschlagen, die dauerhaft tragfähig ist. Das
bedeutet, dass Sie mit Ihrer Vernebelungs- und Verschleierungstaktik aufhören müssen. Sie haben hier im
Jahr 2010 gesagt: Für Griechenland gibt es 22,4 Milliarden Euro, keinen Cent mehr. - Wir haben immer gesagt:
Auch Wirtschaftswachstum wird benötigt, und es ist eine
Beteiligung der Reichen in Griechenland an der Sanierung erforderlich. Das haben Sie negiert. Sie haben, innenpolitisch begründet, auf den Applaus zu Hause gesetzt, ohne das Große im Blick zu haben.
({39})
Ich sage Ihnen: Kommen Sie nun mit einer dauerhaft
tragfähigen Lösung zurück, aber nicht mit einer, die verschleiert. Wir sind mittlerweile in einer Situation, wo es
sich eher - egal, ob Sie das Kredit nennen - um einen
Transfer als um einen Kredit handelt. Ich finde, das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit klar sagen; denn wir
brauchen diese Sicherheit, damit es in Europa auch zukünftig weitergeht.
Vielen Dank.
({40})
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Präsident! Liebe Damen und Herren!
Ich will mich zunächst für den Dank des Bundestagspräsidenten bedanken. Ich gebe ihn gerne an die Kolleginnen und Kollegen weiter, die diese Haushaltsberatungen
mit großem Durchhaltevermögen und teilweise mit bis
an die Grenze gehendem persönlichen Einsatz geführt
haben. Wir sind jetzt so weit, dass wir dies dem Deutschen Bundestag vorlegen können.
In dieser Woche werden wir nicht nur das Haushaltsgesetz, sondern noch einige andere Gesetze - das Haushaltsbegleitgesetz, den Nachtragshaushalt, das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz - beraten. Lassen Sie mich
aber als Allererstes sagen: Die Kassandrarufe und
Schimpfkanonaden der Opposition werden sich, wie in
den vergangenen Jahren auch, in Schall und Rauch auflösen. Nichts von dem, was Sie hier dargestellt haben,
wird eintreten. So war das in den vergangenen Jahren,
und so wird es auch sein, wenn wir 2014 über den Haushalt reden.
({0})
- Wenn der Kollege Carsten Schneider von Buchungstricks redet,
({1})
dann muss man eines festhalten: Wenn Buchungstricks
zur Anwendung gekommen wären, dann dürften Sie in
dieser Woche an keiner einzigen Stelle Kritik daran
üben, dass wir gespart haben;
({2})
denn wenn es sich tatsächlich um Buchungstricks handeln würde, dann hätte kein Mensch etwas davon gemerkt. Das ist so falsch und doppelzüngig wie nur irgendwas. Ich werde das noch belegen.
({3})
Mit den Gesetzentwürfen, die wir in dieser Woche
vorlegen, zeigen wir, dass die christlich-liberale Koalition ihren Kurs einer wachstumsgerechten Konsolidierung konsequent fortsetzt. Dabei bewegen wir uns in
einem europäischen Umfeld, das immer noch von Instabilitäten auf den Finanzmärkten und einer schwelenden
Vertrauenskrise in Sachen Euro geprägt ist. Die gerade
erfolgte Herabstufung Frankreichs durch Moody’s zeigt,
dass diese Vertrauenskrise noch nicht endgültig bekämpft ist. Deshalb ist es gut, dass Deutschland nach wie
vor der Stabilitätsanker in Europa ist. Wir haben an dieser Stelle eine besondere Verantwortung. Wir setzen auf
Solidität, und wir setzen auf Stabilität. Das sind die
Grundpfeiler unserer Politik. Solidität erzeugt Vertrauen,
und letztendlich geht es um Vertrauen. Deshalb, lieber
Kollege Carsten Schneider, haben wir seit 2010 kontinuierlich, Jahr um Jahr, das strukturelle Defizit gleichmäßig abgebaut bzw. zurückgeführt. Wir werden in diesem
Jahr bei etwa 15 Milliarden Euro landen. Mit dem HausNorbert Barthle
halt 2013 senken wir das strukturelle Defizit auf 8,8 Milliarden Euro ab. Es wird kontinuierlich zurückgeführt.
Damit erreichen wir das Ziel der Schuldenbremse, die
uns für 2016 ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent
des BIP vorschreibt, bereits drei Jahre früher. Diese
Leistung sollten Sie einmal würdigen; denn sie ist wirklich aller Anerkennung wert. Mit dem Haushalt 2013 erreichen wir bereits das Ziel der Schuldenbremse drei
Jahre früher als vorgeschrieben.
({4})
2014 werden wir, wenn wir bereit sind, uns entsprechend anzustrengen - es bedarf noch einiger Anstrengungen -, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt
vorlegen. Strukturelle Defizite sind das entscheidende
Merkmal, wenn es um die Frage geht, ob ein Staat solide
wirtschaftet oder über seine Verhältnisse lebt; denn das
strukturelle Defizit zeichnet sich dadurch aus, dass konjunkturelle Effekte, finanzielle Transaktionen und Privatisierungserlöse herausgerechnet werden. Insofern verdeutlicht das strukturelle Defizit die Kernprobleme eines
Staatshaushaltes. Deshalb orientieren wir uns am strukturellen Defizit. Ein ausgeglichener Haushalt 2014 in
Deutschland ist das richtige Signal, nicht nur für unsere
Bundesländer, sondern vor allem auch für Europa.
({5})
Ein zweites Instrument, auf das ich hinweisen
möchte, ist der Fiskalvertrag. Der Fiskalvertrag schreibt
die Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor. Das ist
ein Paradigmenwechsel in der europäischen Politik. Das
kann man nicht oft genug betonen. Mit der Umsetzung
der Richtlinien des Fiskalvertrages - auf nationaler
Ebene gibt es eine Begleitung durch einen Stabilitätsrat erhalten wir Vorgaben, wie wir sie bisher nicht hatten.
Deshalb ist es wichtig, dass wir in dieser Woche über die
innerstaatliche Umsetzung dieses Fiskalvertrages diskutieren.
({6})
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis, dass wir das Kontrollkonto - das ist ein Spezialbegriff, den eigentlich nur Insider kennen - ab dem Jahr
2016 auf null setzen werden. Das heißt, um kontrollieren
zu können, inwiefern die Vorgaben der Schuldenbremse
eingehalten werden, führen wir ein Kontrollkonto, auf
dem die Überschüsse addiert werden, die wir im Übergangszeitraum erwirtschaften, weil wir besser wirtschaften, als die Schuldenbremse es vorschreibt. Im Jahr 2016
setzen wir dieses Kontrollkonto auf null, machen es sozusagen sauber. Die 2016 amtierende Regierung - wir
werden sicherlich weiterregieren - kann dann also mit
einem gesäuberten Kontrollkonto weiterarbeiten.
({7})
Auch dies ist ein wichtiges Signal für unsere europäischen Partner und die deutschen Bundesländer. Dort gibt
es noch einiges zu tun, weil noch einiges im Argen liegt,
was die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse
anbelangt. In unserer Anhörung an diesem Montag hat
einer der Sachverständigen mein geliebtes Heimatland
Baden-Württemberg genannt und gesagt: Baden-Württemberg missbraucht den Abbaupfad. - Das ist leider
wahr.
Deshalb sage ich nochmals: Solidarität und Solidität
sind die Grundpfeiler unserer nationalen Haushalts- und
Fiskalpolitik und auch unserer europäischen Strategie.
Solidarität und Solidität gehören immer zusammen. Entsprechend verhalten wir uns, wenn es um unseren nationalen Haushalt geht.
Ich komme jetzt zu dem Vorwurf, den Kollege
Schneider hier vorgetragen hat.
({8})
Beachten Sie bitte, dass wir im vergangenen Jahr und in
diesem Jahr - zweimal! - je 8,7 Milliarden Euro in den
Kapitalstock des ESM eingezahlt haben und einzahlen.
Da stimmen Sie zu. Beachten Sie bitte, dass wir 1,6 Milliarden Euro in den Kapitalstock der Europäischen Investitionsbank einzahlen. Da stimmen Sie zu. Wenn Sie
das addieren, kommen Sie auf 19 Milliarden Euro. Diese
treiben die Nettokreditaufnahme selbstverständlich in
die Höhe bzw. mindern die Absenkung. Aber das hat
nichts mit dem strukturellen Defizit zu tun. Wenn Sie
uns vorwerfen, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme für 2013 nur knapp unter dem Niveau
von 2011 liegen, dann ist das an Doppelzüngigkeit nicht
zu überbieten.
({9})
Einerseits stimmen Sie dem zu, andererseits kritisieren
Sie. Was wollen Sie eigentlich?
({10})
Da blickt kein Mensch mehr durch.
({11})
Ich sage nochmals klar: Unsere Strategie zur Stabilisierung des Euro ist in unserem ureigensten Interesse.
ESM und Fiskalvertrag sind unsere wesentlichen Fundamente zur Stabilisierung der Währungsunion. Dass wir
die Nettokreditaufnahme daher nicht so weit absenken
konnten, ist klar und verständlich. Aber das dort eingezahlte Geld ist sozusagen ein Guthaben auf einem anderen Konto. Deshalb bewirkt es hinsichtlich der strukturellen Verschuldung nichts. Das ist das wesentliche
Kennzeichen.
Dennoch ist es eine hervorragende Leistung, denke
ich, dass wir die Nettokreditaufnahme auf 17,1 Milliarden Euro absenken konnten, also unter das Niveau von
2011, was das Ist-Ergebnis anbelangt. Ich habe dem Kollegen Carsten Schneider von der SPD immer gesagt: Es
ist Blödsinn, Soll und Ist zu vergleichen. - Aber wenn
Sie es schon tun, Herr Kollege, dann gestehen Sie uns
zu, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro unter dem Ist des
Jahres 2011 liegen, also eine klar absinkende Linie selbst
bei der Nettokreditaufnahme aufweisen. Das Jahr 2012
muss man herausrechnen. Da haben wir einen Nachtragshaushalt mit Sondereffekten.
({12})
Was ist der wesentliche Grund für die Tatsache, dass
wir dies schaffen? Die Antwort ist ganz einfach. Hier
hilft ein Blick auf die Ausgaben. Wenn Sie sich anschauen, wie sich die Ausgaben in den Haushalten dieser
Koalition seit 2010 entwickelt haben, dann stellen Sie
fest: Wir hatten im Jahr 2010 Ausgaben des Bundes von
303,7 Milliarden Euro. Im Jahre 2013 werden es
302 Milliarden Euro sein. Das ist weniger als im Jahr
2010.
({13})
Die Ausgaben gehen zurück.
Nun zeigen Sie mir eine von der SPD geführte Bundesregierung, zeigen Sie mir eine von den Grünen oder
der SPD geführte Gebietskörperschaft oder Landesregierung, die es schafft, bei steigenden Einnahmen, bei
verbesserter Situation aufgrund der Konjunktur das Ausgabenniveau kontinuierlich zu senken! Zeigen Sie mir
eine, dann gestehe ich Ihnen tatsächlich zu, Sparanstrengungen zu unternehmen. Wenn Sie das nicht können,
müssen Sie zugeben: Die Einzigen, die wirklich konsequent und über Jahre hinweg konsolidieren, sind CDU/
CSU und FDP. Dafür steht diese bürgerliche Koalition.
({14})
Das ist aus meiner Sicht eine einmalige Leistung dieser
Koalition. Das muss erst einmal jemand nachmachen.
({15})
Dennoch schaffen wir es, politische Schwerpunkte zu
setzen. Wir geben von 2010 bis 2013 nicht nur, wie versprochen, 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und
Forschung aus; inzwischen sind es bereits 13,3 Milliarden Euro. Das sind die richtigen und wichtigen Zukunftsinvestitionen. Gleichzeitig schaffen wir es, für den
Verkehr nochmals deutlich mehr auszugeben. 2012 und
2013 investieren wir 1,75 Milliarden Euro mehr in die
Verkehrsinfrastruktur. Das ist nicht nur ein Impuls für
die Konjunktur, sondern das ist auch Standortsicherung
und Zukunftsvorsorge. Deshalb machen wir das.
Was macht die Opposition? Schauen Sie sich die Vorschläge an, die die SPD im Zuge der Haushaltsberatungen gemacht hat! Dann sehen Sie: 6 Milliarden Euro
Mehrausgaben. Ausgabendisziplin sieht anders aus,
meine Damen und Herren. 6 Milliarden Euro Mehrausgaben, finanziert durch Steuererhöhungen, etwa bei der
Einkommensteuer, durch die Abschaffung des Ehegattensplittings und durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer, also durch Steuererhöhungen, die die Bürger belasten und die Wirtschaft abwürgen. Das ist der
falsche Weg.
({16})
Dass daneben im Bundesrat noch die notwendige Bekämpfung der kalten Progression verweigert wird und
die CO2-Gebäudesanierung behindert wird, will ich an
dieser Stelle nur erwähnen.
Und die Grünen? Die Grünen haben bei der Einbringung des Haushalts noch kritisiert, dass wir den Entwicklungshilfeetat gegenüber dem Finanzplan um über
670 Millionen Euro aufstocken; das haben die Grünen,
liebe Kollegin Priska Hinz, kritisiert.
({17})
Bei den Beratungen haben die Grünen eine Erhöhung
dieses Etats um über 900 Millionen Euro beantragt - natürlich völlig ohne Gegenfinanzierung. Auch das ist kein
Ausweis seriöser Haushaltspolitik.
({18})
Über die Linken will ich gar nicht lange reden; sie
sind jenseits von Gut und Böse.
({19})
Jeweils 60 Milliarden Euro mehr Ausgaben und mehr
Einnahmen, das ist ein Wünsch-dir-was-Konzert. Sie
fordern das Blaue vom Himmel. Das hat mit der Realität
nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, abschließend: Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes können darauf vertrauen:
({20})
Diese Koalition kämpft verlässlich und kontinuierlich
für stabile Verhältnisse in Europa, und diese Koalition
kämpft verlässlich und kontinuierlich in Deutschland für
mehr Wachstum, für mehr Beschäftigung und für mehr
Wohlstand.
({21})
Ich bedanke mich.
({22})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dietmar
Bartsch nun das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer
wenn ich zu vergessen drohe, was Erfolgspropaganda
ist, höre ich Herrn Barthle, und dann weiß ich wieder,
wie das geht:
({0})
Es gibt keine Fehler; alles ist gut. - Das kenne ich aus einer anderen Zeit. Wenn Sie hier von wachstumsgerechter
Konsolidierung sprechen, dann glaube ich, Sie sprechen
über einen anderen Haushalt. Dieser Haushalt ist unsolide, er setzt die Spaltung der Gesellschaft fort, und er ist
letztlich eine Gefährdung Europas.
Herr Schäuble fährt heute zu einem Finanzministertreffen. Wir haben in Europa wieder einmal eine dramatische
Situation. Die Aussagen, die Sie hier im Parlament gemacht haben, und auch die Aussagen der Kanzlerin haben eine erschreckend kurze Halbwertszeit. Es wurde
einmal gesagt, dass es keine Hilfen mehr gibt. Jetzt haben wir wieder eine andere Situation. In der CDU
herrscht offensichtlich das völlige Chaos.
({1})
Herr Oettinger fordert einen Schuldenschnitt. Jeder erzählt etwas anderes. Niemand weiß, wie die Situation
wirklich ist. Sie beschönigen, Sie beruhigen, Sie beteuern Absichten. Aber in der Regel sind es Fehleinschätzungen; es sind Fehlinformationen. Das alles soll nur der
Beruhigung dienen. Der Preis aber, den die Euro-Länder
und die Krisenstaaten zahlen, ist riesig. Ihr Europa-Kurs,
Ihr Euro-Kurs ist gescheitert. Er ist genauso falsch wie
das gesamte Szenario der bisherigen Krisenbewältigung.
({2})
Vor allen Dingen: Sie haben in diesen Haushalt
nichts, aber auch gar nichts dazu eingestellt. Das ist angesichts der aktuellen Situation unverantwortlich.
Schauen Sie sich die Lage in den betroffenen Ländern
an! In der letzten Woche gab es in mehreren Ländern
Generalstreiks. In den letzten fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt in Griechenland um 20 Prozent gesunken; das gibt es sonst eigentlich nur im Krieg. Es kommt
in den Ländern zu sozialen Verwerfungen. In Spanien
und in Griechenland liegt die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen bei über 50 Prozent. Das alles ist auch
Ergebnis Ihrer Politik. Die Grundursache ist im Übrigen,
dass Sie eine Währungsunion geschaffen haben, ohne
eine Sozialunion zu schaffen. Das ist der Grundmangel.
({3})
Ich will Sie eines fragen: Was haben Sie von der Großen Koalition damals in Deutschland gemacht, als das
Wirtschaftswachstum um 5 Prozent eingebrochen ist?
Sie haben gesagt: Wir müssen investieren, wir müssen
die Abwrackprämie einführen, wir müssen die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes verlängern. - Das geschah
übrigens auch mit Zustimmung der Linken. Das waren
die richtigen Maßnahmen.
Was machen Sie in Griechenland? Was machen Sie in
Spanien? Das pure Gegenteil: Sie fordern Kürzungsarien, eine nach der anderen. Sie wollen, dass bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den Rentnerinnen und Rentnern und bei den Studentinnen und Studenten gespart wird. Das ist Ihre Politik in diesen Ländern. Diese Politik ist falsch. Sie muss zu einer solchen
Situation führen. Warum werden nicht auch einmal den
Reichen in diesen Gesellschaften Auflagen gemacht, den
Millionären in Griechenland, Spanien und Portugal?
({4})
Warum werden diese nicht einmal zur Kasse gebeten?
Sie haben im Hinblick auf diese europapolitischen Risiken nichts - nichts! - in den Haushalt eingestellt.
Es sind noch zehn Minuten - - zehn Monate bis zu
den Bundestagswahlen.
({5})
- Es sind leider nicht zehn Minuten; es sind noch zehn
Monate; das ist eine ganze Menge Zeit.
({6})
Diese Koalition ist eine Koalition des gebrochenen Koalitionsvertrages. Ich will daran erinnern, was vor Tische
gesagt wurde: einfach, niedrig und gerecht. - Wo haben
Sie eigentlich eine Vereinfachung durchgesetzt? Wo haben Sie für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft gesorgt? Nirgendwo!
Ein ganz konkretes Beispiel. Im Koalitionsvertrag
steht: Die Ostrenten werden in dieser Legislatur angehoben. - Was machen Sie? Sie brechen Ihren Koalitionsvertrag. Sie haben die Leute in den neuen Ländern letztlich wieder einmal - auf gut Deutsch muss man sagen verarscht. Das ist Ihre Politik: Sie brechen Ihren eigenen
Koalitionsvertrag.
Mit Blick auf 2013 gibt es wieder einen Wettlauf der
Parteien darin, zu versprechen, dass die Angleichung in
der nächsten Legislatur durchgeführt wird. Sie hatten
den Leuten das versprochen; doch Sie haben es nicht realisiert.
Diese Koalition ist die Koalition mit der zweithöchsten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie haben in dieser Koalition die Umverteilung von
unten nach oben fortgesetzt. Letztlich gefährden Sie die
Zukunftschancen Deutschlands. Der Kitt aus MövenpickSteuer und Herdprämie ist zu schwach, um darauf erfolgreiches Regierungshandeln aufzubauen.
({7})
In einer zentralen Frage handeln Sie völlig falsch: Das
ist das Thema Investitionen. Nun soll Herr Ramsauer
noch einmal 750 Millionen Euro bekommen. Das ist sicherlich richtig. Trotzdem bleiben Sie hinter den Anforderungen zurück. Wir müssen investieren in Deutschland, in Städtebauförderung und in energetische
Gebäudesanierung. Wir müssen mehr tun für Kitas. Wir
müssen mehr tun bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Wir müssen in Krankenhäuser investieren. Das wäre notwendig.
Hier bleiben Sie hinter allen Anforderungen zurück.
Sie reden von Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau. Nach den Zahlen, die dargestellt wurden,
müssten wir in einer hervorragenden Situation sein. Das
ist aber nicht der Fall. Diese Koalition wird in den vier
Jahren über 100 Milliarden Euro neue Schulden machen 106 Milliarden Euro. Und dann reden Sie von Konsolidierung und Schuldenabbau!
Alle Risiken blenden Sie aus. Schauen Sie sich die
Konjunkturentwicklung an: Für Europa wird von einem
Nullwachstum ausgegangen, für Deutschland von weniger als 1 Prozent Wachstum. Das ist in Ihrem Haushalt in
keiner Weise abgebildet. Die Situation in Frankreich
letzte Nacht, wo spiegelt sich das im Haushalt wider?
Was ist mit der Zinsentwicklung? Nur 1 Prozentpunkt
höhere Zinsen, und wir haben 10 Milliarden Euro mehr
Ausgaben. Auch das spiegelt sich nicht wider.
({8})
Die Koalition macht diesen Haushalt wirklich nur mit
Blick auf die Bundestagswahl.
Deutschland ist in puncto Haushaltsdisziplin wahrhaftig kein Vorbild in Europa: Schauen Sie sich die
Staatsverschuldung an! Sie ist unter dieser Koalition auf
82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Nach
den Maastricht-Kriterien dürften es maximal 60 Prozent
sein. Den Vertrag von Maastricht müssen doch auch Sie
einhalten. Wir liegen bei 82 Prozent!
Eines ist ganz klar: Durch Ausgabenreduzierung werden wir dieser Situation nicht Herr werden. Sicherlich
lässt sich auf der Ausgabenseite etwas machen; das ist
überhaupt keine Frage. Das Kernproblem ist aber, dass
wir in Deutschland ein Einnahmeproblem haben.
({9})
Wir müssen endlich dazu kommen, dass die Vermögenden, die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden,
meine Damen und Herren.
({10})
Das ist das Gebot der Stunde. Nur dann wird die Gesellschaft funktionieren. Es ist doch nicht zu akzeptieren,
dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland
bei unter 1 Prozent liegen. In Frankreich, in Großbritannien, da liegen sie bei 4 Prozent. Warum wird bei uns in
dieser Richtung nichts getan?
Warum ist es so absurd, in Deutschland eine Millionärsteuer einzuführen? Im letzten Jahr ist die Zahl der
Vermögensmillionäre wieder gestiegen: In Deutschland
gibt es inzwischen 952 000 Vermögensmillionäre. Die
Zahl derjenigen, die Grundsicherung im Alter empfangen, ist ebenfalls gestiegen; das ist die andere Seite der
Medaille. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist in den
letzten beiden Jahren um 10 Prozent gestiegen, die Zahl
der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter ebenfalls um 10 Prozent. Schauen Sie sich
die Einkommensentwicklung an: Die untersten 10 Prozent hatten in den letzten zehn Jahren einen Einkommensverlust von 9,6 Prozent zu beklagen. Die obersten
10 Prozent haben eine Einkommenssteigerung um
16,9 Prozent erzielt. Das ist doch eine Entwicklung, die
wir allesamt nicht akzeptieren können.
({11})
Da müssen wir eingreifen: durch Steuerpolitik. In der
Steuerpolitik muss gesteuert werden, meine Damen und
Herren.
Warum ist es so abwegig, die Erbschaftsteuer zu erhöhen? In den nächsten Jahren werden in Deutschland
2,6 Billionen Euro vererbt.
({12})
- Herr Fricke, ich weiß, dass die Erbschaftsteuer nicht in
den Bundeshaushalt geht, sondern in die Haushalte der
Länder. Ist das nicht auch etwas Vernünftiges? Also, das
ist auch etwas Vernünftiges.
({13})
Schauen Sie sich die Situation in den Ländern und Kommunen an! Sagen Sie doch nicht, dass das keine Maßnahme ist, über die man nachdenken kann.
In einer Sache, Herr Schäuble, will ich Sie ausdrücklich loben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass
Sie zusammen mit einigen Ländern in Europa bei der
Finanztransaktionsteuer wirklich etwas hinbekommen.
Das finde ich gut. Da haben Sie eine Idee der Linken,
von Attac und anderen aufgenommen. Nehmen Sie mehr
Vorschläge von den Linken an! Ich sage Ihnen: Das ist
für das Land nur gut. Es bringt unser Land voran, wenn
Sie das, was wir vorschlagen, umsetzen.
Ein wesentlicher Punkt - Kollege Carsten Schneider
hat auch darauf hingewiesen - ist der: Wenn wir nicht
endlich die Finanzmärkte regulieren, die Banken regulieren und dafür sorgen, dass nicht wieder neue Spekulationen stattfinden, wird diese Finanzmarktkrise jeden
Haushalt ad absurdum führen.
Deswegen: Es ist notwendig, Ihre Politik der Spaltung
der Gesellschaft und der Ungleichbehandlung von Ost
und West sowie der Schwächung des Zusammenhalts in
der Gesellschaft zu beenden. Ein Politikwechsel in unserem Land ist notwendig.
Danke schön.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzter Herr Bundestagspräsident! Meine Damen
und Herren! Es ist immer wieder schön, zu sehen, dass
es im Endeffekt einen grundsätzlichen Unterschied im
Staatsverständnis zwischen der linken Seite des Hauses
und der Mitte der deutschen Politik gibt.
({0})
Sie alle auf der linken Seite des Hauses wollen mehr
Staat.
({1})
Sie wollen dem Bürger weismachen, dass Sie mit mehr
Staat am Ende weniger Verschuldung machen. Was Sie
wollen, ist nichts anderes, als zu sagen: Bürger, ihr
braucht den Staat. Dann müsst ihr dafür auch mehr
bezahlen. Wir verraten euch aber nicht, wie.
Ich sage Ihnen voraus: Das nächste Mal, wenn einer
von Ihnen an der Regierung sein wird, wird es wieder
eine Mehrwertsteuererhöhung geben, weil Sie nicht
anders haushalten können, als durch ständige Mehreinnahmen Ihren ständigen Mehrausgaben hinterherzurennen.
({2})
- Man merkt jetzt an Ihrer Reaktion, dass genau das zutrifft.
({3})
Die Koalition hingegen hat es anders gemacht. Der
Kollege Barthle hat das bereits gesagt. Der Bürger kann
für sich selbst überlegen: Wenn ich als Bürger sparen
muss, folge ich dann linker Ideologie und frage: „Wer
gibt mir mehr Geld?“, oder folge ich einem grundsätzlich wirtschaftlich vernünftigen Ansatz und frage mich:
Auf was kann ich, auf was soll ich und auf was muss ich
verzichten? Diese unangenehme Frage wollen Sie nicht
stellen und auch nicht beantworten. Man hat es wieder
bei allen Wortbeiträgen gemerkt: Wenn es um die Frage
geht, wo Sie konkret einsparen wollen, bleiben Sie verschwiegen.
({4})
Dann ergehen Sie sich in allgemeinen Verschwurbelungen. Nichts, gar nichts Konkretes kommt von Ihnen.
Wollen Sie im Sozialbereich einsparen? Wollen Sie
das? - Nein, Sie wollen das nicht. Wollen Sie wirklich
bei der Bundeswehr einsparen? - Wenn Ihre Verteidigungspolitiker im Laufe der Woche reden, dann werden
sie sicherlich von Mehrausgaben sprechen. Wollen Sie
bei Verkehr und Wohnungsbau einsparen? - Nein, das
wollen Sie nicht. Wenn Ihre Politiker auf diesen Bereich
zu sprechen kommen, dann sagen sie, dass sie mehr ausgeben wollen.
({5})
Es ist doch immer dasselbe: Sie tun heute hier so, als
wären Sie bereit, zu sparen, und werden den Rest der
Woche wie immer sagen: mehr, mehr, mehr.
({6})
Anschließend kommen ein paar Leute von Ihnen und
sagen: Wir würden gerne noch dafür sorgen, dass das
Ehegattensplittung abgeschafft wird. - Mit anderen Worten - das kann man dann auch den Bürgern sagen -:
Liebe Eheleute, wenn ihr eure Kinder großgezogen habt
und danach arbeitet, wird derjenige von euch, der weniger verdient, weniger Steuern zahlen, und derjenige von
euch, der mehr verdient, wird weit mehr Steuern bezahlen. - Das wird dann verschwurbelt. Aber am Ende wollen Sie mehr Geld vom Bürger holen, um es an anderer
Stelle zu verteilen und zu sagen, wie toll Sie sind.
Wir jedoch glauben an den Bürger und gehen deswegen an die Ausgabenseite heran. Kollege Barthle hat
das bereits gesagt: Das ist die Kernbotschaft dieser Koalition. Dies ist die einzige Koalition der Bundesrepublik
Deutschland, die am Ende einer Legislatur weniger ausgibt als am Anfang. Daran kann man uns messen. Das
kann man ablesen - viel besser als allgemeine Steuererhöhungsversprechungen und Mehrausgaben, die Sie
haben wollen.
({7})
Dann kommt immer noch der Vorwurf, dass wir ganz
schlecht agieren. Die Opposition sagt: Die Koalition ist
schlecht. - Die Koalition sagt: Wir sind gut.
({8})
Ich bin der Meinung: Fragen Sie doch einmal die Leute,
die ihr Geld für das Alter sicher anlegen wollen. Wo lege
ich denn dann mein Geld in Europa an? Lege ich das
etwa beim Land Berlin - Rot geführt - an? Lege ich das
beim Land Bremen - Rot geführt - an, oder lege ich das
im europäischen Ausland an? - Nein. Was ist der Hort
der Sicherheit und Stabilität? - Die Bundesrepublik
Deutschland, geführt von einer schwarz-gelben Koalition!
({9})
Liebe Leute, stellen Sie nicht einfach nur irgendwelche Behauptungen auf, sondern schauen Sie, wie die
Bürger entscheiden, wenn sie sich fragen: Wo ist mein
Geld sicher?
Auch der nächste Vorwurf ist ein richtig schönes Vorurteil, nämlich wir seien unsozial. Sie sagen: Wenn die
FDP dabei ist, kann das gar nicht sozial sein.
({10})
Da sieht man wieder, wie einfach strukturiert die linke
Seite des Hauses ist. Ich empfehle der linken Seite des
Hauses, doch einmal in die Zahlen zu gucken. Die Frage,
wie sozial ein Haushalt ist, muss ich doch daran messen,
wie viel Prozent des Haushaltes ich für Soziales ausgebe.
({11})
- Jetzt kommt die Platte wieder. Mit anderen Worten:
getroffene Hunde. So ist es an der Stelle.
Diese Koalition gibt auch im Haushalt 2013 mehr für
Soziales aus, als es Rot-Grün in seiner Zeit geschafft hat.
({12})
Daran können Sie sehen: Dies ist ein Haushalt, der einerseits die Frage berücksichtigt: „Wie spare ich?“, ohne
andererseits die Frage der sozialen Verantwortung aus
dem Auge zu lassen.
Damit komme ich zu dem nächsten Vorwurf, das sei
ein Wahlkampfhaushalt. Ich erinnere mich daran, dass in
Wahlkampfhaushalten unter SPD-Finanzministern die
Ausgaben immer stiegen, damit im Wahlkampfjahr mehr
Geld ausgegeben werden konnte. Wir haben jetzt gerade
aber gelernt, dass diese Koalition im Wahlkampfjahr weniger ausgeben wird.
({13})
Ist das ein Wahlkampfhaushalt, wenn man weniger ausgibt?
Das ist ein Sparhaushalt, mit dem wir an die Vernunft
der Leute appellieren. Wir glauben nicht daran, dass man
mit Geschenken irgendeinen Wähler dazu bewegt,
irgendetwas zu wählen. Ihre alte Theorie mag funktionieren, unsere ist, dass wir an die Vernunft der Wähler
glauben,
({14})
die wissen, dass ein Staat, der sich auf das Wesentliche
konzentriert, der Staat ist, den sie als Bürger haben wollen.
({15})
Meine Damen und Herren, wir setzen auch Schwerpunkte. Ich habe den Verkehrsminister eben lächeln
sehen, als Herr Bartsch hier noch mehr Milliarden für
Infrastruktur und Gebäude gefordert hat.
({16})
Herr Verkehrsminister, ich gebe ehrlich zu, ich würde
dafür auch gerne mehr ausgeben, aber es gibt Grenzen.
Ich weiß auch, dass sich der Verteidigungsminister nicht
freut, dass wir bei den Personalverstärkungsmitteln noch
einmal etwas gekürzt haben, und ich weiß, dass wir im
Bereich der außenwirtschaftlichen Zusammenarbeit
Mittel gekürzt haben, was auch nicht allen gefällt.
Das Interessante ist: All diese Kürzungen nimmt die
Opposition zwar wahr. Aber was ist die Antwort der
Opposition? Sie lautet nicht etwa: „Ja, Sie sparen; das ist
okay“, sondern: Es ist falsch, dass Sie sparen; wir wollen
höhere Ausgaben.
({17})
Das ist der Unterschied: Wir haben die Verantwortung
übernommen und die Bürde des Sparens und der Kritik,
die wir für das Sparen bekommen, auf uns genommen.
Ich darf auch den Koalitionären und den Haushältern der
CDU und der CSU ausdrücklich sagen: Das war nicht
immer einfach, aber ich finde, das waren sehr gute Haushaltsberatungen, bei denen von beiden Seiten Zugeständnisse gemacht werden mussten.
({18})
So gehört sich das meiner Meinung nach in einer funktionierenden Koalition auch.
({19})
Meine Damen und Herren, in einem Bereich sparen
wir weiterhin nicht. Der Bürger sei versichert, diese
Koalition guckt in die Zukunft. Sie
({20})
weiß, dass das Thema Bildung und Forschung für die
Zukunft essenziell ist,
({21})
weil sich die Rohstoffe eben nicht, wie es CDU, CSU,
SPD, FDP, Grüne und Linke weiland dachten, nur in der
Erde befinden. Wir als Koalition haben erkannt: Der
wesentliche Rohstoff befindet sich zwischen unseren
Ohren.
({22})
Deswegen werden wir den Bereich Bildung und
Forschung auch weiterhin ganz besonders vom Sparen
ausnehmen. Für diesen Bereich müssen wir sehr viel tun,
gerade weil wir erkennen müssen, dass in einer globalisierten Welt nur der vorne sein wird, der mehr weiß, der
schneller lernt und der besser an der Stelle ist, wo die
Anforderungen eines Marktes sind. Das tut die Koalition, und das ist auch vorausschauend.
Ein anderer netter Vorwurf vonseiten der Opposition
ist, wir würden die Sozialkassen plündern.
({23})
Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob Sie nicht
auch hier einmal die Zahlen gelten lassen sollten? Ich
greife jetzt nur einmal das Beispiel Gesundheit heraus:
Kann es sein, dass die letzte Gesundheitsministerin, als
sie am Ende einer Legislatur aus ihrem Amt geschieden
ist, Schulden im Bereich Gesundheit hinterlassen hat?
Kann es sein, dass der Gesundheitsminister, der hier,
glaube ich, eine sehr gute Arbeit geleistet hat - das gilt
auch für seinen Vorgänger im Amte -, einen zweistelliOtto Fricke
gen Milliardenbetrag als Puffer in den Sozialkassen
lässt? Das ist der Unterschied.
({24})
- „Das ist doch die Konjunktur!“ Wissen Sie, was Sie
gemacht hätten, wenn Sie auch nur 1 Milliarde gefunden
hätten? Sie hätten dann wieder überlegt, wo Sie diese
Milliarde noch ausgeben können, um sich lieb Kind zu
machen. Das ist der Unterschied: Wir erhalten die Puffer, Sie geben das Geld aus, wundern sich am Ende, dass
kein Geld da ist, und erhöhen die Steuern.
({25})
Meine Damen und Herren, das Liberale Sparbuch ist
hier angesprochen worden. Sie alle wissen, dass man den
Haushalt vom Jahre 2009 nicht mit dem Haushalt vom
Jahre 2013 vergleichen kann. Ich will Ihnen aber einmal
ein paar Punkte nennen: Einsparung eines Staatssekretärs. - Macht ihr nie! - Haben wir gemacht! Elterngeld
für Hartz-IV-Empfänger. - Macht ihr nie! - Haben wir
gemacht.
({26})
- Wir können an dieser Stelle gerne darüber reden, aber
es ist so. Das tut euch sehr weh. - Reduzierung der
Mittel für den Arbeitsmarkt. - Haben wir gemacht, weil
wir durch unsere Politik dazu in der Lage waren. Zuschuss zur GKV - haben wir gekürzt.
Guckt euch das Sparbuch an dieser Stelle bitte schön
einmal in Ruhe an! Ihr werdet dann feststellen, dass der
Grundgedanke des Liberalen Sparbuchs, dort Ausgaben
zu reduzieren, wo es möglich ist, mit dieser Koalition am
Ende dieser Legislaturperiode umgesetzt worden ist,
({27})
was mich mit einer großen Befriedigung und Sie, wie ich
höre, mit großem Ärger erfüllt.
Meine Damen und Herren, in Bezug auf den Haushalt
gibt es zudem noch Zusatzanforderungen. Ich habe es
beim letzten Mal schon gesagt: Die größte Gefahr des
Haushaltes sitzt nicht auf den Bänken der Opposition,
weil sie dafür einfach zu schwach ist, sondern auf der
Bundesratsbank.
Wir werden auch im Jahre 2013 wiederum 10 Milliarden Euro zusätzlich für Länder und Kommunen ausgeben. Wir helfen den Kommunen bei der Finanzierung
der Grundsicherung im Alter. Wir sorgen dafür, dass wir
unseren Anteil am ESM bezahlen.
({28})
Trotz alledem können wir die Neuverschuldung senken.
Herr Steinbrück, um es klar zu sagen: Von 86 Milliarden Euro, die Sie am Ende der Legislaturperiode in
Ihrem Entwurf für den Haushalt 2010 vorgesehen hatten,
auf 17 Milliarden Euro herunterkommen und die
Neuverschuldung in vier Jahren um 70 Milliarden Euro
senken, und zwar trotz der Belastungen für Europa, trotz
der Anforderungen der Länder, trotz der Anforderungen
von den Kommunen, ohne den Bürger zusätzlich zu
belasten, das kann nur Schwarz-Gelb.
Herzlichen Dank.
({29})
Nun hören wir dazu die grüne Version der Kollegin
Priska Hinz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war
jetzt wieder einmal eine Rede für fast 3 Prozent.
({0})
Deswegen kann man davon ausgehen, dass dies der
vierte und letzte Haushalt von Schwarz-Gelb ist.
({1})
Die Herausforderungen waren klar und lagen auf der
Hand: Die Energiewende musste in den letzten Jahren
vorangetrieben werden, die soziale Spaltung überwunden werden, Steuergerechtigkeit hergestellt werden, und
die Neuverschuldung musste abgebaut werden. - Das
Fazit ist: Sie haben kläglich versagt!
({2})
In keinem Bereich haben Sie irgendetwas hinbekommen. Die Energiewende ist nicht ausfinanziert. Die soziale Schere geht weiter auseinander. In der Steuerpolitik
gibt es nur etwas für die eigene Klientel, lieber Otto
Fricke. Der Schuldenstand wird in den vier Jahren um
100 Milliarden Euro gestiegen sein, obwohl es in diesem
Zeitraum bei den Steuereinnahmen einen Zuwachs von
33 Milliarden Euro gibt. Das ist die Bilanz von SchwarzGelb.
({3})
Der Haushalt fügt sich in eine lange Reihe vergebener
Chancen ein. Sie haben selten so gute Rahmenbedingungen wie in diesem Jahr gehabt, um das strukturelle Defizit im Haushalt dauerhaft zu senken. Aber statt vorzusorgen, haben Sie das Gegenteil gemacht: Allein durch die
Mehreinnahmen aufgrund der konjunkturellen Effekte
und durch Ihre schlechten Buchungstricks bei den Priva25116
Priska Hinz ({4})
tisierungserlösen - dabei sind wir Ihnen sofort auf die
Schliche gekommen - hätte die Nettokreditaufnahme um
2,8 Milliarden Euro gesenkt werden können. Aber Sie
haben die Neuverschuldung nur um 1,7 Milliarden Euro
abgesenkt, weil Sie nämlich immer wieder die Ausgaben
erhöhen.
Dabei nützt es gar nichts, dass Sie die Einführung des
Betreuungsgeldes verschieben, weil Sie es am Ende
trotzdem ausfinanzieren müssen. Dass Sie sich dafür
rühmen, mehr Mittel für den Straßenbau bereitzustellen,
damit Herr Ramsauer Spatenstiche in Bayern machen
kann, ist an Frechheit wirklich kaum noch zu überbieten.
({5})
Ansonsten greift die Koalition bei der Bundesagentur
für Arbeit, beim Gesundheitsfonds und bei der Rentenversicherung zu. Mit 5,5 Milliarden Euro aus den
Taschen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler soll
der Haushalt 2013 saniert werden. Da sage ich ganz klar,
Otto Fricke: Wir halten es nicht für gerecht, gerade die
Leute zu schröpfen, die in den gesetzlichen Kassen versichert sind.
({6})
Wir sind für Steuergerechtigkeit und dafür, dass Menschen mit hohen Einnahmen und hohem Einkommen
diesen Staat mitfinanzieren. Dabei geht es nicht um einen starken Staat oder um mehr Staat, sondern es geht
um einen funktionierenden Staat.
({7})
Deutschland ist auch noch Krisengewinner. Deswegen ist es Ihnen möglich, den Haushalt so gut aussehen
zu lassen. Allein 400 Millionen Euro verdienen wir an
Griechenland, an dem ärmsten Land in der Euro-Zone.
({8})
Auch bei den Zinsen für unsere eigenen Schulden profitiert Deutschland massiv. Teilweise bekommen wir noch
Geld dafür, wenn wir Staatsanleihen ausgeben.
({9})
Gegenüber dem Haushaltsentwurf sind die Zinsausgaben
um fast eine halbe Milliarde gesunken. Langfristig betrachtet haben wir Einsparungen in Milliardenhöhe.
({10})
- Nein, zurzeit ist das nicht schlimm. Nur müsste man
das nutzen, um im Haushalt Vorsorge zu betreiben, was
Sie aber versäumen.
({11})
Man muss Vorsorge betreiben, weil das nicht so bleibt.
Griechenland wird uns demnächst Geld kosten. Sie
sollten sich endlich einmal hier hinstellen, der Bevölkerung reinen Wein einschenken, Frau Kanzlerin, und sagen: Wenn wir die politische Entscheidung treffen, Griechenland in der Euro-Zone zu halten - was wir Grünen
immer wollten und auch gesagt haben -, dann kostet uns
das auch Geld. Das geht nicht aus der Portokasse, und
das geht nicht allein aus Bürgschaften.
({12})
Das wäre wirklich wichtig; und es wäre auch ehrlich,
wenn Sie es vor der Wahl sagen würden
({13})
und nicht erst nach der Wahl, wenn eine andere Regierung dran ist.
({14})
Meine Damen und Herren, die Grünen können das
besser.
({15})
Unsere Haushaltspolitik orientiert sich an den gesellschaftlichen Herausforderungen und Erfordernissen, und
wir können auch noch besser haushalten als SchwarzGelb. Das werde ich Ihnen jetzt zeigen.
({16})
Wir wollen insgesamt 1 Milliarde Euro mehr in die
Kinderbetreuung investieren. Da ist es besser angelegt
als beim Betreuungsgeld, das nur Herrn Seehofer retten
soll.
({17})
Kommunen mit besonderem Bedarf sollen hier besonders profitieren. Bei Erwachsenen wollen wir mehr
Engagement für Teilhabe und Chancengerechtigkeit.
Wir wollen - natürlich - das Existenzminimum verbessern und den Regelsatz erhöhen, aber wir setzen auch
konsequent auf Bildung und Qualifizierung, sowohl bei
Arbeitslosen als auch bei Studierenden wie auch bei der
beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern. Allein
von Fachkräften zu reden, hilft nämlich nicht weiter.
({18})
Man muss auch etwas dafür tun, und man muss dafür
auch investieren.
({19})
Priska Hinz ({20})
Die Energiewende muss sich auch im Haushalt so
wiederfinden, dass sie gelingt. Andere Staaten schauen
nämlich auf uns und darauf, ob wir nicht nur den Atomausstieg, sondern auch die Energiewende schaffen. Das
gelingt nicht mit einem Sondervermögen, das von Zertifikatspreisen abhängig ist, und das gelingt vor allen Dingen nicht mit einem Umweltminister, dem 25 Prozent erneuerbare Energien zu viel sind, und das gelingt schon
gar nicht mit einem Wirtschaftsminister, der das Erneuerbare-Energien-Gesetz schleifen will.
({21})
Nein, hier braucht es starke Grüne. Nur so können wir
künftig den Haushalt mitbestimmen.
({22})
Nun komme ich zur Rückwärtsrolle bei der ODAQuote. Lieber Norbert Barthle, du hast hinsichtlich des
0,7-Prozent-Ziels bei der ODA-Quote irgendwas missverstanden.
({23})
Wir haben kritisiert, dass nicht genügend Geld im Haushaltsentwurf enthalten war, um das Ziel tatsächlich so zu
erreichen, wie es international vereinbart ist. Was aber
die Koalition jetzt gemacht hat, ist, dass sie die Erreichung des Ziels aufgegeben hat.
({24})
- Ihr habt das Ziel aufgegeben. Denn es wurden
124 Millionen Euro gestrichen. Damit ist der Haushalt
erstmalig abgesenkt worden.
({25})
Damit lasst ihr auch die Kanzlerin im Regen stehen. Um
sie tut es mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig leid.
({26})
Aber um die Staaten, die unsere Unterstützung brauchen,
und um die Menschen, die dort leben, tut es mir leid.
({27})
Wir Grünen haben deutlich gemacht, dass wir das Ausbauziel mit 1,2 Milliarden Euro mehr in diesem und in
den nächsten Haushalten erreichen können.
({28})
Natürlich kosten die Zukunftsinitiativen, die ich gerade benannt habe, auch Geld. Das ist logisch. Dafür
wollen wir ökologisch schädliche Subventionen abbauen. Dafür brauchen wir aber auch mehr Steuergerechtigkeit.
({29})
Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb, die in die Taschen der
Beitragszahler greifen, sagen wir das ehrlich.
({30})
Ich glaube, dass Ehrlichkeit am längsten währt und dass
die Bevölkerung wissen will, wie Politik agiert, und das
entsprechend honoriert.
Wenn wir „Mehr Steuergerechtigkeit“ sagen, dann
meinen wir auch Entlastung von unteren Einkommen.
Außerdem wollen wir eine Vermögensabgabe; die Einnahmen daraus sollen ganz gezielt zum Schuldenabbau
eingesetzt werden. Damit haben wir ein Alleinstellungsmerkmal; denn ansonsten hat niemand in diesem Saal
und keine von den Parteien ein Konzept, um einen tatsächlichen Schuldenabbau zu betreiben.
({31})
Wir Grüne wollen mutige Strukturentscheidungen
treffen und damit den Haushalt zusätzlich um 4,6 Milliarden Euro entlasten. Jeder kann das nachrechnen. Das,
was wir auf den Tisch gelegt haben, ist ganz seriös. Daran muss man den Haushalt der Koalition politisch und
faktisch messen. Wenn man ihn daran misst, lautet das
Fazit: Schwarz-Gelb hat erstens nichts gespart und zweitens nichts in die Zukunft investiert. Grün kann es besser. Wir sind gut auf den Herbst 2013 vorbereitet.
Herzlichen Dank.
({32})
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe während der Debattenbeiträge
der Redner der Opposition ein bisschen darüber nachgedacht, ob unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger im
Augenblick wirklich nichts anderes interessiert als die
Tatsache, dass in einem Jahr Bundestagswahl ist. Möglicherweise ist unsere Wirtschaft in einer schwierigen
Lage. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Um
eine glückliche Entwicklung fortzusetzen, bedarf es großer Anstrengungen. Die Wahl ist in einem Jahr, aber anstatt uns gegenseitig Umfrageergebnisse und Zeitungskommentare vorzuhalten, sollten wir uns vielleicht doch
ein bisschen mehr mit dem beschäftigen, was auch die
Menschen in diesem Lande interessiert, nämlich wie wir
eine erfolgreiche Politik in schwierigen Zeiten für die
Zukunft unseres Landes fortsetzen.
({0})
- Ich weiß, dass Sie gerade Ihren Parteitag gehabt und
die Wahl Ihrer Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl durchgeführt haben. Ich will das auch gar
nicht, Frau Künast, mit irgendwelchen von Ihnen dann
eher als hämisch empfundenen Bemerkungen kommentieren.
({1})
Ich wünsche mir vielmehr, dass wir diese Haushaltsdebatte auch dazu nutzen, uns mit der Substanz der Probleme unseres Landes in Sachen Wirtschaft und Finanzen zu beschäftigen.
({2})
Ich will es an einem einfachen Beispiel deutlich machen. Wenn Sie sagen, wir hätten in dieser Legislaturperiode insgesamt 100 Milliarden Euro neue Schulden
gemacht, dann will ich daran erinnern, dass zunächst
Herr Steinbrück und ich gemeinsam in der Großen Koalition und dann ich als sein Nachfolger für das
Jahr 2010 einen Haushaltsentwurf mit 86 Milliarden
Euro Neuverschuldung vorlegen mussten. Wenn wir also
in vier Jahren insgesamt auf eine Neuverschuldung von
100 Milliarden Euro gekommen sind, kann es, ausgehend von dieser Ausgangslage, nicht ganz so schlecht
gewesen sein. Auch das muss man einmal sagen.
({3})
- Nein, aber es reicht jedenfalls dazu, zu veranschaulichen, Herr Bartsch, dass man über Probleme nur dann
ernsthaft reden kann, wenn man mit den Zahlen einigermaßen korrekt umgeht.
Mit unserer Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik sind
wir in die Bemühungen eingebettet, Europa stabil zu halten, und nehmen Verantwortung für die Entwicklung der
Weltwirtschaft wahr. Wir haben Absprachen und Verabredungen seit 2008, seit der mit der Insolvenz von Lehman Brothers verbundenen Krise, im Rahmen der G 20,
im globalen Rahmen und mit dem Internationalen Währungsfonds. Diese Absprachen besagen, dass wir nachhaltig, aber maßvoll unsere Defizite reduzieren müssen,
dass die zu hohe Staatsverschuldung überall reduziert
werden muss und wir das in einer Weise machen müssen, die unserer Verantwortung für die Entwicklung
nachhaltigen Wachstums in der ganzen Welt, in den Industrieländern, in den Schwellenländern und in den Entwicklungsländern, gerecht wird. Das ist die internationale Absprache, die wir gemeinsam getroffen haben und
zu der wir mit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik
unseren Beitrag leisten.
({4})
Deswegen sollte man unseren Mitbürgerinnen und
Mitbürgern bei aller Verunsicherung doch einmal sagen:
In allen Berichten von der EU-Kommission - hier geht
es um die länderspezifischen Empfehlungen und die
Überwachung nach der Verschärfung des Sekundärrechts -, von der OECD, vom Internationalen Währungsfonds wird wieder und wieder bestätigt, dass
Deutschland seine europäischen und globalen Verpflichtungen erfüllt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn alle
anderen das auch täten, wäre es gut. Ich will jetzt aber
nicht über andere reden. Ich will auch nicht behaupten,
dass wir Musterschüler sind, sondern ich sage: Wir bemühen uns, unserer europäischen und globalen Verantwortung gerecht zu werden. Das tun wir in diesen Tagen
und Wochen, und damit sind wir ganz erfolgreich.
({5})
Nach dem Debattenverlauf möchte ich auch noch folgende Bemerkung machen: Natürlich kann man zu hohe
Verschuldung auf unterschiedliche Weise zurückführen.
Man kann auch darüber streiten, was das richtige Tempo
ist. Ich glaube, wir haben in der letzten Legislaturperiode
mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse die
richtige Entscheidung getroffen, nämlich uns, wie
Norbert Barthle erläutert hat, im Wesentlichen auf das
strukturelle Defizit zu konzentrieren. Das ist schließlich
die entscheidende Größenordnung in Bezug darauf, ob
eine Finanzpolitik in die richtige Richtung geht oder
nicht. Wenn wir in einem Jahr anteilig Kapital in die Europäische Investitionsbank oder auch in den Europäischen Stabilitätsmechanismus einzahlen, hat das ja mit
der langfristigen Linie unserer Finanzpolitik relativ wenig zu tun. Entscheidend ist also das strukturelle Defizit.
Im Grundgesetz haben wir uns verpflichtet - diese Regelung, die wir gemeinsam getroffen haben, ist übrigens
Vorbild für alle Länder in Europa im Fiskalvertrag geworden; sie kann wohl nicht so dumm sein -, dass wir
das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt bis spätestens
2016 auf maximal 0,35 Prozent zurückführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt, den
der Haushaltsausschuss jetzt zur Verabschiedung vorlegt, sieht vor, dass bereits im kommenden Jahr das
strukturelle Defizit im Bundeshaushalt auf 0,35 Prozent
bzw. genau 0,34 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird. Wir schaffen das also drei Jahre vor dem
Zeitpunkt, den wir uns im Grundgesetz selber vorgegeben haben. Genau diese Linie werden wir in den kommenden Jahren konsequent fortsetzen. Das entspricht
unserer Verantwortung für die Zukunft.
({6})
Nun kann man zwischen den verschiedenen politischen Lagern immer darüber streiten, wie man eine zu
hohe Verschuldung zurückführt. Die einen fordern höhere Steuern, während die anderen dafür plädieren, eher
bei den Ausgaben kürzerzutreten. Das ist im Kern die
Alternative. Jetzt will ich Ihnen einmal die Ausgaben im
Bundeshaushalt nennen. Die Istausgaben betrugen 2010
303 Milliarden Euro und 2011 296 Milliarden Euro. Im
Jahr 2012 sind die Ausgaben durch die zwei Nachtragshaushalte mit den Kapitaleinzahlungen in ESM und EIB
noch einmal auf 311 Milliarden Euro gestiegen. Nach
dem zu verabschiedenden Haushalt werden sie 2013
302 Milliarden Euro betragen und nach der mittelfristigen Finanzplanung 2014 bei 302,9 Milliarden Euro und
2015 bei 303,3 Milliarden Euro liegen. Das heißt: Von
2010 bis 2015 halten wir die Ausgaben im Bundeshaushalt konstant - bei steigendem Bruttoinlandsprodukt und
bei steigenden Steuereinnahmen. So reduzieren wir unser Defizit. Das ist die Finanzpolitik der christlich-liberalen Koalition. Sie ist erfolgreich, und sie sichert unsere
Zukunft.
({7})
Wir müssen das vor dem Hintergrund machen, dass
sich die wirtschaftliche Lage eher abschwächt. Das ist
weltweit so. Es ist alles gar nicht nur auf Europa beschränkt. Was Europa angeht, haben wir heute Nacht die
Nachricht bekommen, dass unser wichtigster Partner
von einer Ratingagentur eine ein kleines bisschen mahnende Beurteilung bekommen hat. Noch immer ist das
Rating für Frankreich sehr stabil. Das sage ich ganz
deutlich, damit man da auch jede Dramatisierung meidet. Wir haben jedes Interesse daran, dass wir alle in Europa unsere Aufgaben wahrnehmen und unserer Verantwortung gerecht werden.
Wir müssen allerdings sehen, dass wir im kommenden Jahr nur mit verringertem Wachstum rechnen können. Damit ist eine gewisse Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung zu verzeichnen - in unserem
Land, in Europa und in der globalen Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund haben wir dennoch Vorsorge getroffen.
Es ist ja völlig unbestritten, Deutschland ist in Europa
Stabilitätsanker und zugleich Wachstumslokomotive.
Ohne Deutschland wäre Europa insgesamt, die EU und
die Euro-Zone, in der Rezession. Wir sichern mit unserer
Politik, dass es zwar auf einem niederen Niveau, aber
nachhaltig weiterhin aufwärts geht. Das ist die entscheidende Frage. Dieser Herausforderung wird unser Haushalt gerecht.
Jetzt haben Sie gesagt, man müsse auch in der Steuerpolitik mehr machen, und eine entsprechende Diskussion angeregt. Diese Argumentation ist allerdings ein
bisschen unglaubwürdig; das muss ich in aller Freundlichkeit sagen. Man kann nicht auf der einen Seite über
den Bundesrat jede noch so sinnvolle Maßnahme aus
parteipolitischen Gründen blockieren und gleichzeitig
sagen: Es geschieht in der Steuerpolitik nichts. Das ist
die Methode „Haltet den Dieb!“, und die wird vom
Strafrecht längst erkannt.
({8})
Es ist völlig inakzeptabel, wenn der Bundesrat - in
dem wir keine Mehrheit haben; für Steuergesetze brauchen wir seine Zustimmung; so ist es nach dem Grundgesetz - noch nicht einmal bereit ist, die kalte Steuerprogression zu korrigieren,
({9})
also dem Zusammenwirken von - wenn auch maßvoller Preissteigerung bzw. Geldentwertung und Steuerprogression entgegenzuwirken. Wir wollen den Steuerpflichtigen nichts zurückgeben, sondern nur verhindern,
dass durch das Zusammenwirken von Steuerprogression
und Preissteigerungen Steuereinnahmen erzielt werden,
die der Gesetzgeber so gar nicht beschlossen hat. Wenn
Sozialdemokraten und Grüne dies im Bundesrat blockieren, dann sollten sie aufhören, noch irgendeine Kritik an
unserer Steuerpolitik zu erheben.
({10})
Weil wir gerade bei diesem Thema sind, will ich mit
allem Nachdruck sagen: Wir haben nicht nur für den
Bund Verpflichtungen, unseren Haushalt in Ordnung zu
bringen - wir machen das -, sondern wir haben auch
eine gesamtstaatliche Verantwortung, Stichwort „Fiskalvertrag“. Auch das hat Norbert Barthle sehr präzise beschrieben. Wir haben uns verpflichtet - das ist auch richtig und notwendig -, das gesamtstaatliche Defizit, also
das von Bund, Ländern, Kommunen und gesetzlichen
Sozialversicherungen, auf maximal 0,5 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Insofern geht es
auch um die Haushalte von Ländern und Gemeinden.
Wir haben übrigens in dieser Legislaturperiode für die
Kommunalhaushalte mehr getan, als die Präsidenten der
kommunalen Spitzenverbände selbst auch nur zu hoffen
gewagt hätten. Auch das ist die Wahrheit.
({11})
- Doch, natürlich. Allein die Übernahme der Kosten für
die Grundsicherung im Alter, die Rot-Grün zu einem
großen Teil auf die Kommunen übertragen hat, in voller
Höhe macht einen rasch ansteigenden Milliardenbetrag
aus. Darüber brauchen wir nicht lange zu reden.
({12})
- Na ja, Herr Steinmeier, es hilft nichts. Sie haben es eingeführt unter Rot-Grün. Sie haben einen großen Teil dieser Kosten auf die Kommunen übertragen, und wir
haben es zurückgenommen. Selbst der Präsident des
Deutschen Städtetages war wirklich hocherfreut und
überrascht. Da er ein fleißiger Sozialdemokrat ist, hat er
es am nächsten Tag - ({13})
- Sie haben es doch eingeführt, und wir haben es zurückgenommen. Es macht keinen Sinn, uns jetzt zu sagen,
Sie hätten uns dazu gezwungen, Ihre eigenen Fehler zu
korrigieren. Hätten Sie diese Fehler nicht gemacht, hätten wir sie auch nicht zu korrigieren brauchen.
({14})
Jedenfalls haben wir eine kommunalfreundliche Politik
betrieben.
Sie, Herr Steinmeier, werden mich auch nicht davon
abhalten, folgenden Satz noch zu sagen: Vor dem Hintergrund, dass Bund, Länder und Kommunen knappe Einnahmen haben, fände ich es völlig inakzeptabel, wenn
der Bundesrat seine Zustimmung zu dem Steuerabkommen mit der Schweiz verweigern sollte.
({15})
Es gibt kein rational nachvollziehbares Argument, es
gibt ausschließlich ein parteipolitisch zu begründendes
Motiv dafür, dass man mit billiger Polemik dieses Abkommen zu verhindern versucht. Es ist klar: Wenn die25120
ses Abkommen nicht zustande kommen sollte, dann
wird sich ab dem 1. Januar der Zustand fortsetzen, dass
Vermögensanlagen in der Schweiz steuerlich nicht so
wie Vermögensanlagen in Deutschland erfasst werden.
Kommt dieses Abkommen zustande, wird ab 1. Januar
2013 jede Anlage in der Schweiz genauso behandelt wie
eine Anlage in Deutschland.
({16})
Es wird dann keinen Unterschied mehr geben.
Im Falle von Erbschaften wird immer der deutsche
Fiskus profitieren. Und da die Erbschaftsteuer ausschließlich an die Länder geht, können Sie über die Erbschaftsteuer überhaupt nicht reden, wenn Sie dieses Abkommen aus parteipolitischen Gründen blockieren.
({17})
Im Falle einer Erbschaft wird entweder die reguläre Besteuerung durchgeführt, oder es kommt der höchstmögliche Steuersatz zur Anwendung. Darüber hinaus treffen
wir eine Regelung für Fälle der Vergangenheit. Niemand
kann rückwirkend belangt werden, weil auch die
Schweiz ein Rechtsstaat ist. Das Schweizer Bankengeheimnis kann man nicht rückwirkend außer Kraft setzen.
Das ist auch im Hinblick auf das Bankengeheimnis der
USA der Fall. Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, die
USA hätten gegenüber der Schweiz rückwirkend etwas
erreicht.
({18})
Ich sage noch einmal mit großer Klarheit: Das ist eine
Lüge.
Wir haben im Hinblick auf die Vergangenheit eine
Regelung formuliert, die diejenigen, die von der Anonymität Gebrauch machen, steuerlich schlechterstellt, als
wenn bei ihnen die Regelbesteuerung durchgeführt
würde. Wenn Sie dieses Abkommen aber verhindern,
wird das Ergebnis sein, dass Einnahmen in Milliardenhöhe für Bund und Länder auf Dauer verloren sind; denn
Steueransprüche verjähren innerhalb von zehn Jahren,
und was verjährt ist, ist nicht mehr zu erheben. Also:
Wenn Sie sich für die Einnahmen von Bund und Ländern
verantwortlich fühlen, geben Sie die ausschließlich parteipolitisch motivierte Blockade auf.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um zum Kern der
Haushaltsdebatte zurückzukehren: Natürlich haben wir
bei dem heute Abend stattfindenden Treffen der Staatsund Regierungschefs der Euro-Gruppe über die mittelfristige Finanzplanung in der Europäischen Union
schwierige und wichtige Entscheidungen vor uns. Wir
alle wissen, dass der Wohlstand der Deutschen auf Gedeih und Verderb von einer erfolgreichen Fortsetzung
der Entwicklung in Europa und auch von einer gemeinsamen europäischen Währung entscheidend abhängt.
Deswegen engagieren wir uns dafür, nachhaltige Lösungen zu finden. Die Lösungen müssen aber so sein, dass
alle in Europa den Anreiz haben, ihren Verpflichtungen
als Mitglied einer Wirtschafts- und Währungsunion gerecht zu werden. Das ist die Herausforderung. Wir werden uns alle Mühe geben, ihr gerecht zu werden. Über
die Ergebnisse der Beratungen werden wir in den nächsten Tagen zu diskutieren haben.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister
Schäuble hat gerade gesagt, es gehe darum, dass die
Finanzpolitik in die richtige Richtung geht. Können Sie
sich vorstellen, wie verzweifelt eine Opposition ist,
wenn sie nach einer finanzpolitischen Richtung sucht?
({0})
Das ist eine richtige Strafe für eine Opposition, weil es
keine Richtung gibt.
({1})
Herr Schäuble hat noch etwas Interessantes gesagt,
was ich nicht richtig zusammenbringe. Er hat gesagt:
Deutschland ist eine Wachstumslokomotive auf niedrigem Niveau.
({2})
Wie das funktionieren soll, muss man erst einmal erklären.
Er hat auch gesagt: Der Bundesrat blockiert das Abkommen mit der Schweiz. Gott sei Dank blockiert er
dieses.
({3})
Es würde in den nächsten Jahren zu einer Anonymisierung illegaler Einnahmen führen. Der Gauner wird anonymisiert. Der Ehrliche zahlt Steuern. Das ist ungerecht,
und das wollen wir nicht. So einfach ist das.
({4})
Wenn Sie das wollen, wollen Sie eine ungerechte Politik.
Die kalte Progression ist eine Chimäre, ein Märchen.
Das beweise ich nicht unter Rückgriff auf die SPD-Fraktion, sondern auf das Bundesministerium der Finanzen.
Es hat uns mitgeteilt, dass die Wirkung der kalten ProLothar Binding ({5})
gression in den vergangenen 15 Jahren nie zur Geltung
gekommen ist durch Steuersenkungen und durch Verschiebungen der Grenzsteuersatzkurve. Es ist ein Projekt
von Ihnen, das zum Scheitern verurteilt ist, weil es ein
Problem löst, das es nicht gibt.
({6})
Otto Fricke hat vorhin gesagt, wenn ich es richtig verstanden habe:
({7})
Wir - er meint die FDP - haben die Bürde des Sparens
auf uns genommen.
({8})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel klarmachen. Was
passiert, wenn zum Beispiel der FDP-Kollege Koppelin
und der FDP-Kollege Niebel ein persönliches Problem
miteinander haben und sich miteinander fetzen? Wie
wirkt sich die genannte Bürde des Sparens aus? Sie wirkt
sich so aus, dass die Gelder im Einzelplan 23, also dem
für Entwicklungspolitik und für Entwicklungszusammenarbeit, gekürzt werden. Das Kürzen dieser Gelder
findet aber auf dem Rücken der Ärmsten dieser Welt
statt, weil sich zwei Leute in der FDP nicht verstehen.
Was sollen wir in der Opposition machen, wenn ihr euch
so fetzt? Dann ist doch alles, was wir kritisieren, nur ein
kleiner Tropfen auf den heißen Stein.
({9})
Man muss sagen: Ihr nehmt der Opposition die
Chance, eine gute Politik zu machen.
({10})
- Das ist klar. Mehr muss ich gar nicht sagen.
Was braucht ein gesunder Haushalt? Er muss die notwendigen Ausgaben -
Herr Kollege Binding, darf der Kollege Koppelin eine
Zwischenbemerkung machen oder Zwischenfrage stellen?
Der Kollege Koppelin darf eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Binding, abgesehen davon, dass Ihre
Darstellung völlig falsch ist:
({0})
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass laut Protokoll des Haushaltsausschusses auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diesem Antrag zugestimmt hat? Das
hätte ich auch der Kollegin Hinz vorhin gerne gesagt.
Ich bin bereit, vieles zur Kenntnis zu nehmen. Allerdings bin ich nicht derjenige, der für oder gegen die Grünen argumentiert, sondern ich argumentiere für unsere
Position. Es ist völlig klar, dass wir der Entwicklungspolitik eine große Bedeutung beimessen
({0})
und sogar dabei geholfen haben, dass der Haushalt von
Minister Niebel etwas angehoben wird. Allerdings hat
die Regierungskoalition der von uns geforderten Anhebung um 1,2 Milliarden Euro, um so die ODA-Quote
langsam erreichen zu können, nicht zugestimmt. Insofern ist unsere Politik sehr konsistent im Zeitverlauf.
({1})
Was Sie gemacht haben, stellt einen krassen Bruch aller internationalen Versprechen dar, die Sie seit 2000 gegeben haben.
({2})
Herr Niebel hat an dieser Stelle gravierend versagt, weil
er diese Kürzung nicht verhindert hat.
({3})
Wie kann man denn so etwas machen? Drei Jahre lang
hebt man an, weil die Politik gut ist, und im vierten Jahr
hakt einer dazwischen, der ein persönliches Problem hat.
Man kann persönliche Probleme haben, aber die darf
man im Haushaltsbereich nicht auf dem Rücken anderer
austragen. Erst recht darf man dann nicht sagen, die FDP
trage die Bürde des Sparens. Das passt überhaupt nicht
zusammen.
({4})
Wir schauen in den Haushalt und nehmen die notwendigen Ausgaben in den Blick. Was finden wir? Wir finden das Betreuungsgeld, wir finden die Hotelsteuer.
({5})
Wir finden einen Schlingerkurs in der Energiewende.
Was das einmal kosten wird, können wir jetzt noch gar
nicht projektieren. Was für ein finanzpolitisches Desaster das Hin und Her in der Atomkraft bedeuten wird,
wage ich noch gar nicht auszurechnen - von ökologisch
schädlichen Subventionen ganz zu schweigen.
Wir nehmen aber auch die Einnahmeseite in den
Blick. Was haben Sie gemacht? Schlupflöcher für Konzerne aufgerissen, ganz eindeutig. Ich nenne hier nur das
Stichwort „Funktionsverlagerung“. Aber auch zulasten
der Kommunen haben Sie gehandelt. Hier gibt es Riesenprobleme. Sie haben mit einem wahnsinnigen Pomp
die Gewerbesteuerreform angekündigt, sogar eine eigene Arbeitsgruppe gegründet. Was passiert nach zwei
Jahren? Sie ist eingeschlafen, Fehlanzeige, keine Leistung in dieser Arbeitsgruppe. Das ist ein typisches Kennzeichen dieser Regierung.
({6})
Lothar Binding ({7})
Sie haben groß eine Reform zur Umsatzsteuer angekündigt. Was ist übrig geblieben? Abgesehen von der
Hotelsteuer nichts. Sie haben die Reform der Einkommensteuer groß angekündigt. Im Hinblick auf die Einnahmeseite ist nichts passiert. Hinzu kommt der leichtfertige
Umgang mit der Besteuerung der Streubesitzdividenden
kürzlich. Das, was diese Regierung macht, ist einfach
ein Desaster.
Es gibt allerdings auch Lerneffekte. Das will ich gar
nicht bestreiten. Damals, 2004, wollten Sie die Gesundheitsreform eigentlich verhindern. Wir wollten, dass der
Hausarzt als Lotse fungiert. Das war eine kluge Idee. Die
CSU hat im Gegenzug im Bundesrat die Einführung der
Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro erpresst. Das war im
Jahr 2004; vor zwei Wochen haben wir sie nun abgeschafft.
({8})
Ich würde sagen: Wer nach acht Jahren darauf kommt,
dass die SPD-Position richtig war, der hat etwas gelernt.
Es hätte schneller gehen können, aber immerhin!
({9})
Die Studiengebühren in Bayern, 2007 von der CSU
eingeführt, sollen nun abgeschafft werden. Die FDP allerdings will sie gerne erhalten. Noch 2008 haben beide
Fraktionen die Studiengebühren in der Koalitionsvereinbarung bekräftigt. Ich würde sagen: Wenn jemand nach
fünf Jahren zu dem Erkenntnisstand kommt, den die
SPD schon immer hatte, ist das ein gewisser Lerneffekt.
Jetzt stellt sich die Frage nach dem Betreuungsgeld:
eingeführt 2012, beschlossen auf Druck der CSU. Jetzt
erhebt sich natürlich der Verdacht, dass das nur deshalb
passiert ist, weil man plant, es zum richtigen Zeitpunkt
wieder abzuschaffen.
({10})
Ich glaube, das ist eine supergute Politik. Man kann daran das erkennen, was der Minister - wie hat er gesagt? „Richtung“ nannte. Das ist wirklich super: erst hin und
dann her. Hin ist zwar eine Richtung, und Her ist auch
eine Richtung, nur: Es gibt dann letztlich keine Richtung.
({11})
Wir können von den Ökonomen Giovanni Callegari
und Giovanni Melina etwas sehr Interessantes lernen.
Hierbei handelt es sich nicht um Ökonomen der SPDFraktion - obwohl sie vielleicht hineinpassen würden -,
sondern um Ökonomen vom IWF. Von diesen können
wir lernen, dass Sparpolitik abhängig vom Zeitpunkt ist
und es deshalb nicht genügt, bloß über das Sparen zu reden. Sie sagen nämlich: Die Klugheit des Sparens hängt
nicht davon ab, ob man spart, sondern wann man spart.
Die Untersuchung vieler internationaler Strategien beim
Schuldenabbau zeigt, dass die Kürzung von Staatsausgaben gut sein kann oder schlecht. Jedenfalls wissen wir:
Wenn wir 100 Euro - ({12})
- Ja, die SPD kennt sich da aus, deshalb trage ich das so
vor. Denn wir machen eine andere Finanz- und Wirtschaftspolitik als die, die wir hier mit der „leeren
Menge“ vorfinden.
({13})
Nun zu einem Beispiel aus der Untersuchung: Die
Kürzung der Staatsausgaben um 100 Euro führt im Abschwung zu einer Verringerung des Bruttoinlandsprodukts um 249 Euro, allerdings nur um 35 Euro im Aufschwung. Die Erhöhung der Steuern, die Sie immer so
verteufeln, die wir jedoch aus Gerechtigkeitsgründen
vornehmen, senkt - das ist ganz interessant - bei einem
Vergleichswert von 100 Euro das Bruttoinlandsprodukt
im Abschwung um 7 Euro. Und da reden Sie immer von
einem großen Drama. Wenn dies jedoch zu Zeiten geschieht, in denen das BIP steigt, dann steigt das BIP um
6 Euro. Jetzt erkennt man Ihren Fehler: Sie haben das
eine zum falschen Zeitpunkt gemacht und das andere
ganz vergessen. Das Problem ist, dass Sie im Aufschwung keine Steuern angehoben haben. Sie können
lernen, dass das notwendig gewesen wäre, um eine echte
Konsolidierung, auch im Sinne der Schuldenbremse,
hinzubekommen. Wer die Wissenschaft so hintanstellt
und sich in Bezug auf unseren Staat so kontraproduktiv
verhält, der braucht sich gar nicht zu wundern, dass die
Regierung da steht, wo sie jetzt steht.
({14})
Ich will Sie daran erinnern, wo Sie angefangen haben,
auf einem Niveau, das Sie fast nie mehr verlassen haben
- in gewisser Weise wirft das ein Schlaglicht auf die vergangenen fast vier Jahre -: Daniel Bahr hat damals gesagt, die CSU sei eine „Wildsau“.
({15})
Christian Lindner hat gesagt, der Seehofer habe ein „persönliches Trauma“. Alexander Dobrindt hat gesagt, die
FDP sei eine „gesundheitspolitische Gurkentruppe“. Ich höre gerade, dass sich Herr Bahr korrigieren will. Da
freue ich mich.
Ich bedanke mich vielmals und hoffe auf eine neue
Regierung.
({16})
Herr Kollege Binding, bevor nun alle von Ihnen zum
Schluss angesprochenen Kollegen der Reihe nach erklären, dass sie das niemals gesagt hätten, jedenfalls nicht
so, nehme ich dies gewissermaßen in cumulo zu Protokoll.
Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kollege Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solide Staatsfinanzen setzen kluge Steuerpolitik voraus.
({0})
Deswegen hat die christlich-liberale Koalition sich zum
klaren Ziel gemacht, steuerpolitisch maßvoll vorzugehen,
({1})
der Versuchung zu widerstehen, Steuern zu erhöhen, und
stattdessen den Haushalt auf der Ausgabenseite zu konsolidieren.
Wir haben zu Beginn unserer Regierungsverantwortung mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz insbesondere Familien in Milliardenhöhe entlastet und dadurch eine spürbare Belebung der Binnennachfrage
erzielt. Wir haben Substanzbesteuerung für den Mittelstand abgebaut und auch deshalb einen europäischen
Wachstumsrekord erzielt. Wir haben Steuervereinfachungen auf den Weg gebracht, wo sie finanzierbar waren: Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht, Reisekostenrecht vereinfacht, einfache Ermittlung der Kosten bei
doppelter Haushaltsführung ermöglicht, das Problem der
Gewinnabführungsverträge bei den Regelungen der
steuerlichen Organschaft in Angriff genommen. All das
sind Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für den
Unternehmensstandort Deutschland.
Wir haben mit dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression etwas ganz Wichtiges auf den Weg gebracht,
nämlich einen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor inflationsbedingten Steuererhöhungen.
Wir verfolgen damit zwei Ziele: Zum einen wollen wir
den Druck von den Tarifpartnern nehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern. Denn dadurch
vermeidet man erhöhte Lohnstückkosten, und die Produkte, die in Deutschland hergestellt werden, sind auf
dem internationalen Markt wettbewerbsfähiger. Zum anderen ist es ein wichtiges Element unserer europäischen
Stabilitätspolitik. Indem wir sagen, dass der Staat nicht
an Inflation verdienen soll, setzen wir auf nationaler
Ebene das um, was wir auf europäischer Ebene fordern:
Wir zeigen uns entschlossen im Kampf gegen Inflation.
({2})
Ich halte es für unverfroren, dass Sozialdemokraten in
diesem Zusammenhang immer von „unnötigen Geschenken“ sprechen. Für uns, für die christlich-liberale Koalition, sind Lohnerhöhungen keine Geschenke, denn die
Menschen haben sie sich hart erarbeitet. Im Gegensatz
zu Rot-Grün wollen wir deswegen nicht, dass die Lohnerhöhungen wegbesteuert werden.
({3})
Es ist traurig, dass Sie im Bundesrat mit Ihrer rot-grünen
Mehrheit nur aus parteitaktischen Gründen Nein dazu
sagen und dass Sie es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausbaden lassen. Aber dass Sozialdemokraten und Grüne bewusst die Verfassung verletzen, indem
sie selbst die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages verweigern, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
skandalös.
({4})
Nun haben die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen, die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die gegen Auflagen verstoßen, abzuschaffen.
({5})
Gleichzeitig sollen die Hartz-IV-Sätze angehoben werden. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was
ist denn das für eine Politik? Die Verstöße gegen Auflagen sind gerade auf Rekordniveau angestiegen, und die
Grünen wollen die Sanktionen abschaffen.
({6})
Für die Grünen gilt: Wer arbeitet, soll kein geschütztes
Existenzminimum haben; wer nicht arbeitet, soll ein höheres geschütztes Existenzminimum haben. Für die Grünen gilt: Wer arbeitet und Steuern zahlt, soll vom Staat
streng kontrolliert werden; dem, der nicht arbeitet, sondern Sozialleistungen erhält, ist Kontrolle nicht zuzumuten. - Das ist die wahre Politik der Grünen, und mit dieser Politik spalten Sie die Gesellschaft, weil Sie die
arbeitende Mitte verhöhnen. Sie machen sich über die
Menschen lustig, die morgens aufstehen und arbeiten gehen.
({7})
Das zeigt auch Ihre Haltung zum deutsch-schweizerischen Steuerabkommen. Sie lehnen das Abkommen ab,
wissen aber genau, dass die Schweiz das Bankgeheimnis
niemals rückwirkend aufheben kann. Rückwirkend belastende Gesetze sind sowohl in Deutschland als auch in
der Schweiz verfassungswidrig.
({8})
Trotzdem erzählen Sie den Menschen - bewusst der
Wahrheit zuwider -, dass man noch nachverhandeln
müsse, erst dann könnten Sie dem Abkommen zustimmen.
({9})
In Wahrheit ist das schäbig, weil Sie damit nur eines bewirken: dass die Steuerforderungen Deutschlands verjähren und die Gelder niemals mehr in die öffentlichen
Haushalte fließen können. Die Wahrheit ist, dass die fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Lücken füllen, die Sie provozieren. Was verjährt, wird niemals
wieder besteuert werden können; das ist die Wahrheit.
Das ist das Schäbige an Ihrer Blockadepolitik im Bundestag.
({10})
Es ist Zynismus pur, wie Sie Ihre politische Verantwortung zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland wahrnehmen.
({11})
Lassen Sie mich auf Ihre Steuerkonzepte zu sprechen
kommen, Herr Kollege Binding und Frau Kollegin Hinz.
({12})
Sie wollen Deutschland mit einer Vermögensabgabe beglücken, Sie wollen die Anhebung des Einkommensteuertarifs, höhere Unternehmensteuern, höhere Erbschaftund Schenkungsteuern und eine Finanztransaktionsteuer.
Sie fordern genau das, was in unserem Nachbarland
Frankreich von der neuen Regierung umgesetzt wurde.
Wir haben noch die Bilder vor Augen, als Herr Gabriel,
Peer Steinbrück und Herr Steinmeier nach Paris gefahren sind, um François Hollande für seine Politik zu bejubeln. Ihre Botschaft damals: Schaut her! Das ist ein
Land, in dem rot-grüne Finanzpolitik umgesetzt wird.
Meine Damen und Herren, heute sehen wir das Ergebnis dieser Politik. Sie ist grandios gescheitert. Frankreich hat beim Wachstum nicht zugelegt, sondern ist zurückgefallen. Die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs ist
nicht gestiegen, sondern gesunken. Die Kreditwürdigkeit
Frankreichs wurde herabgestuft. Wollen Sie das den
Deutschen wirklich zumuten? Gestehen Sie sich doch
endlich ein, dass die rot-grüne Politik, für die Sie die
Franzosen bejubelt haben, dort grandios gescheitert ist!
({13})
Ehrlich wäre es, wenn Herr Gabriel, Herr Steinbrück
und Herr Steinmeier heute nach Paris fahren, Bilder vor
dem Palais de l’Élysée liefern und sagen würden: Ja, die
Politik, die wir für richtig gehalten haben, hat Frankreich
nicht weitergebracht, sondern zurückgeworfen. Ja, diese
Steuererhöhungspolitik ist gescheitert, weil sie zu wirtschaftlichem Rückgang und damit Frankreich in die
Nähe der Rezession geführt hat.
({14})
Richtig wäre es, wenn Sie nicht den gleichen Unsinn
wieder auf Ihrem Grünen-Parteitag beschlossen hätten,
sondern wenn Sie sich Gedanken machen würden, wie
man wirklich Wachstum schafft, nämlich nicht durch
neue Schulden und auch nicht durch massive Steuererhöhungen. Sie sind finanzpolitisch komplett gescheitert;
der Nachweis ist in Frankreich gerade erbracht worden.
({15})
Wir haben gezeigt, dass man mit einer Schuldenbremse und einer soliden Ausgabenpolitik solide Staatsfinanzen schaffen kann. Wir haben die Schuldenbremse
nicht nur im deutschen Grundgesetz verankert, sondern
wir haben sie zum Exportschlager in Europa gemacht.
Wir haben erkannt, dass man bei Rekordsteuereinnahmen nicht die Steuern erhöhen muss, sondern dass man
solide wirtschaften und wachstumsorientiert konsolidieren muss. Diese Bundesregierung ist der Fels in der
Brandung Europas, der Stabilitätsanker für solide Staatsfinanzen.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wird in jeder
Finanzdebatte immer wieder das Märchen erzählt, man
müsse endlich die Finanzmärkte regulieren. Als wir Regierungsverantwortung übernommen haben, haben wir
erkannt: So dereguliert, wie die Finanzmärkte uns von
Rot-Grün und von sozialdemokratischen Finanzministern hinterlassen worden sind, können sie nicht bleiben.
({17})
Deswegen haben CDU/CSU und FDP ein Restrukturierungsgesetz auf den Weg gebracht, damit künftig nicht
die Steuerzahler, sondern die Banken selbst für Bankinsolvenzen geradestehen müssen. Deswegen haben
CDU/CSU und FDP in Deutschland eine Bankenabgabe
eingeführt, damit die Branche an den Kosten der Krise
beteiligt wird. Deswegen haben CDU/CSU und FDP
Leerverkäufe verboten; die deutsche Regierung war damit Vorreiter. Deswegen haben CDU/CSU und FDP Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt. Wir haben ein Anlegerschutzgesetz geschaffen, damit die Menschen vor
den Verwerfungen an den Kapitalmärkten geschützt werden. Wir haben einen Selbstbehalt bei Verbriefung eingeführt, der in Deutschland künftig höher sein wird als
in anderen europäischen Ländern. Wir haben ein Hochfrequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht, um Kontrolle, Transparenz und ein Abbremsen des Hochfrequenzhandels in Krisenzeiten zu gewährleisten. Wir
haben unter dem Stichwort „Basel III“ auf europäischer
Ebene mehr Eigenkapitalvorsorge auf den Weg gebracht.
Wir haben die nationale Bankenaufsicht reformiert und
Fehler von Rot-Grün korrigiert; wir haben sie unabhängiger von der Wirtschaft gemacht. Wir haben ein europäisches Aufsichtssystem auf den Weg gebracht; wir arbeiten daran, dass wir europäische Aufsichtsstrukturen
bekommen.
Die Wahrheit ist, dass uns sozialdemokratische Finanzminister deregulierte Finanzmärkte hinterlassen haben
({18})
und dass CDU/CSU und FDP aus Deutschland das am
stärksten regulierte Land im Bereich der Finanzmärkte
geschaffen haben. Wir sind Vorreiter bei der Regulierung. Ihre Märchen von der mangelnden Finanzmarktregulierung in Deutschland sind nichts als eine Lüge. Die
Wahrheit ist: So, wie Sie es hinterlassen haben, konnte
es nicht bleiben, und so, wie wir es gemacht haben, ist es
die Blaupause für ganz Europa.
Diese Regierung, diese christlich-liberale Koalition
hat solide Finanzpolitik und solide Haushaltspolitik vorzuweisen. Ihre Vorwürfe sind geradezu absurd. Wir wollen diese erfolgreiche Politik für unser Land und für Europa fortsetzen.
({19})
Das braucht Europa, das braucht Deutschland.
({20})
Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege
Steffen Bockhahn das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Freitag war der Vorlesetag. Da sind bestimmt ganz viele von Ihnen auch in Kitas
gewesen und haben Märchen vorgelesen. Das Märchen
aber, das wir eben gehört haben, hätten Ihnen nicht einmal die Dreijährigen abgenommen.
({0})
Im Zusammenhang mit diesem Bundeshaushalt von
Stolz, Verantwortung, Würde und Ähnlichem zu sprechen, ist haarscharf an den Realitäten vorbei. Und wenn
wir von der FDP hören, dass sie sich Sorgen um die kleinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer macht, dann
mache ich mir Sorgen um die FDP; denn sie scheint
nicht zu merken, dass das, was sie tatsächlich macht und
was sie gleichzeitig erzählt, gar nicht zusammenpasst.
({1})
Sie kümmern sich um Banken und Konzerne, aber bestimmt nicht um diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen.
Denn was ist die Realität? Auch unter dieser Koalition ist die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse
und der befristeten Arbeitsverhältnisse gestiegen. Inzwischen ist jedes zweite neue Arbeitsverhältnis einer Frau
ein befristetes Beschäftigungsverhältnis. Damit stärken
Sie die Armutsrisiken und nicht, wie Sie hier immer behaupten, die Chancen. Inzwischen hat die Zahl der Minijobs und Midijobs massiv zugenommen; 20 Prozent aller
Arbeitsverhältnisse sind diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen zuzurechnen. Das ist eine fatale Entwicklung. Im Übrigen ist das auch haushaltspolitisch
nicht sinnvoll. Warum, sage ich Ihnen gleich.
({2})
Was aber machen Sie noch mit Ihrem Haushalt? Ich
möchte zu ein paar konkreten Beispielen kommen. Wir
haben gestern alle lesen können, dass Sie jetzt die TLG
Wohnen verkauft haben. Das hat mich ein Stück weit
überrascht, weil wir vor zwei Wochen in den abschließenden Beratungen des Haushaltes im Haushaltsausschuss gelernt haben, dass daraus dieses Jahr nichts
mehr wird.
({3})
Nun stelle ich mir die Frage, ob Sie so wenig Vertrauen
in die Verwaltung oder so wenig Vertrauen in den Käufer
haben, wenn Sie glauben, dass Sie es innerhalb von
sechs Wochen nicht hinbekommen können, diesen Deal
abzuwickeln. Wenn Sie die TLG Wohnen dieses Jahr
verkaufen, dann muss auch die Kohle dieses Jahr fließen. Sie haben die Gelder aber nicht in den Haushalt für
dieses Jahr eingestellt, sondern sie in den nächsten Haushalt hinübergezogen. Das ist ein Bilanztrick. Es ist unanständig und hat mit Haushaltsklarheit und -wahrheit
nichts zu tun.
({4})
Der Deal zeigt aber auch, dass Sie wenig Ahnung davon haben, was vorsorgende und nachhaltige Haushaltspolitik ist. Die TLG hat in den letzten Jahren Millionensummen in den Staatshaushalt gespült - jedes Jahr. Die
Einnahme, die Sie jetzt durch den Verkauf der TLG erzielen, ist Ihre letzte Einnahme. Zudem haben Sie diesen
Wohnungskonzern an Spekulanten bzw. Finanzinvestoren verkauft, die garantiert vieles vorhaben, aber nicht,
wie vom Finanzminister behauptet, solides Wirtschaften.
Denn dieser Konzern ist börsennotiert und gehört großen
Finanzinvestoren, und ich habe noch nie erlebt, dass
diese auf Rendite verzichten und solide wirtschaften.
Ich darf Ihnen sagen, dass der Vorstandschef des
TAG-Konzerns schon erklärt hat, dass er Mieterhöhungen von über 5 Prozent im Jahr für nicht realistisch hält.
Aha! Aber Erhöhungen von bis zu 5 Prozent im Jahr hält
er offensichtlich für realistisch. Dieser Mann kommt zufällig aus der Nähe von Rostock, aus Mecklenburg-Vorpommern, wo er schon einige Immobilien besitzt. Fragen Sie einmal beim Mieterbund nach, was der für einen
Ruf hat.
Wenn das die Geschäftspolitik ist, die jetzt für die
TLG Wohnen gelten soll, dann gute Nacht, Marie. Dann
zeigt das, dass Sie sich einmal mehr nicht um die Menschen in diesem Staat gekümmert haben und dass Ihnen
die einmalige Einnahme zur Finanzierung von Wahlkampftricks wichtiger ist als das Wohl der Menschen in
diesem Land.
({5})
Was haben Sie nicht alles versprochen? Der Kollege
Fricke - wo auch immer er gerade ist - hat uns erklärt, es
habe keine Kürzungen gegeben und man habe sich auch
nicht an den Sozialausgaben vergangen. Das ist schlicht
und ergreifend nicht wahr; es sei denn, Sie betrachten
Arbeitsmarktpolitik nicht als soziale Maßnahme. Dann
würde es stimmen. Sie haben auch in diesem Jahr Mittel
für die aktive Arbeitsmarktpolitik gestrichen. Sie haben
bereits in den Beratungen des Haushalts 2012 Ihre Zusage, die Arbeitsmarktpolitik mit einem Mehrwertsteuerpunkt zu fördern, zurückgenommen. Das entspricht einer Kürzung um 8 Milliarden Euro in jedem Jahr. Sie
haben die Mittel gekürzt; Sie haben Mittel weggestrichen. Behaupten Sie nicht, dass Sie im sozialen Bereich
nicht die Axt angelegt hätten. Das Gegenteil ist die
Wahrheit.
({6})
- Herr Barthle, wenn Sie jetzt dazwischenrufen, dass Sie
nur noch halb so viele Arbeitslose haben, dann darf ich
Sie daran erinnern, dass die Beschäftigungsverhältnisse,
die geschaffen wurden, nicht vor Armut schützen. Es
wurden keine guten Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Ich darf Ihnen einmal Folgendes sagen: In Mecklenburg-Vorpommern sind 40 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger Aufstocker. Das ist inzwischen der Regelfall in
der Arbeitswelt, und das ist ein Verdienst Ihrer Koalition. Darauf wäre ich an Ihrer Stelle nicht stolz.
({7})
Zur Solidität Ihrer Finanzpolitik nur so viel: An welcher Stelle befindet sich die meiste Luft in Ihrer Finanzpolitik? Sie freuen sich darüber, dass Sie jetzt angeblich
„nur noch“ eine Nettokreditaufnahme von 17 Milliarden Euro haben. Das ist aber nicht die Kreditsumme, die
Sie tatsächlich aufnehmen. Im nächsten Jahr werden
Kredite mit einem Volumen von insgesamt 254 Milliarden Euro neu verhandelt. Zurzeit zahlen wir etwa
2,03 Prozent Zinsen für die Kredite. Die Kredite, die wir
jetzt verlängern bzw. neu aufnehmen, werden mit 0,83 Prozent verzinst. Das bringt eine Ersparnis von 3,06 Milliarden Euro jedes Jahr - einfach so. Dafür haben Sie nichts
gemacht. Das ist keine strukturelle Einsparung. Das ist
Geld, das vom Himmel fällt.
Das dadurch eingesparte Geld verteilen Sie jetzt auf
unnütze Art und Weise. Wofür geben Sie dieses Geld
aus? Für Wahlkreisgeschenke. In der letzten Woche haben wir im Haushaltsausschuss plötzlich eine lange Liste
mit speziellen Maßnahmen auf den Tisch bekommen.
Dabei wurden die Wahlkreise schön bedient. Das war
wirklich ein Traum. Das zeigt, dass wir hier nur, wirklich nur über einen Wahlkampfetat und nicht über einen
anständigen Bundeshaushalt reden.
Gleichzeitig haben Sie an Stellen Kürzungen vorgenommen, an denen es nötig gewesen wäre, mehr Geld
auszugeben. Die aktive Arbeitsmarktpolitik habe ich
vorhin schon genannt. Notwendige Ausbauten in den
Bereichen Schiene und erneuerbare Energien sind andere Punkte. An all diesen Stellen haben Sie gekürzt, um
einmalig Geschenke verteilen zu können. Das ist keine
solide Haushaltspolitik. Dieser Etat bietet viel Grund,
sich zu schämen. Es gibt aber keinen Grund, darauf stolz
zu sein. Man kann ihn nur ablehnen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian
Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Minister Schäuble hat gerade den Bundesrat
für seine steuerpolitischen Vorstellungen kritisiert.
({0})
Dazu will ich nur sagen: Zuständig für die Steuerpolitik
des Bundes ist immer noch Herr Schäuble. Schauen wir
uns einmal an, was im Bereich der Umsatzsteuer passiert
ist: Die Umsatzsteuerreform wurde blockiert, aber es
wurden neue Ausnahmetatbestände geschaffen. Ich erinnere an die Subventionen für die Hoteliers. So sieht
schwarz-gelbe Steuerpolitik aus.
({1})
Es ist schon dreist, den Bundesrat hier zu kritisieren.
Was hat der Bundesrat gemacht? Er hat etwas Sinnvolles
gemacht, indem er die Umsetzung des Koalitionsvorschlags verhindert hat. Die Koalition hat vorgeschlagen,
50 Prozent der vorgesehenen Entlastungen an 20 Prozent
der Bürgerinnen und Bürger zu verteilen. Damit sollen
wieder Besserverdiener entlastet werden. Das machen
wir nicht mit.
({2})
Vor allen Dingen kann man kein Loch von 6 Milliarden Euro in die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen reißen, ohne eine Gegenfinanzierung zu haben.
Wir sagen klar: Wir wollen den Grundfreibetrag stärker
erhöhen als Sie, und zwar auf 8 500 Euro. Im Gegensatz
zu Ihnen haben wir aber eine solide Gegenfinanzierung:
Wir wollen, dass Besserverdienende sich daran beteiligen. Wir wollen alle Menschen mit einem Einkommen
von weniger als 60 000 Euro entlasten und im Gegenzug
den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen. So sieht
eine sinnvolle Steuerpolitik aus, mit der die Haushalte
geschont werden. Das muss man im Bereich der Steuerpolitik machen.
({3})
Minister Schäuble, Sie haben im Zusammenhang mit
dem Steuerabkommen mit der Schweiz von einer parteipolitischen Blockade im Bundesrat geredet. Das finde
ich hanebüchen. Das, was Sie diesbezüglich planen, beSven-Christian Kindler
deutet - damit gehe ich auch auf das ein, was Volker
Wissing gesagt hat -: Die ehrlichen Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler werden benachteiligt, während die Besitzer von Schwarzgeld, während Steuerhinterzieher bevorteilt werden. Das ist schwarz-gelbe Steuerpolitik. Das
macht der Bundesrat zu Recht nicht mit.
({4})
Die Steuer-CDs haben mehr eingebracht, als das Steuerabkommen, das Sie planen, einbringen würde. Es wäre
wirklich bescheuert, das umzusetzen. Das ist nicht im Interesse des Bundes und der Länder. Man muss sich auch
einmal anschauen, wer das nachher umsetzen soll: Die
Schweizer Banken sollen das umsetzen. Gegen die UBS
ermittelt gerade die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen Beihilfe zur organisierten Steuerhinterziehung. Da
macht man den Bock zum Gärtner. Das ist so, als würde
man jetzt den ehemaligen Bauunternehmer Jürgen
Schneider für die Steuereintreibung des Bundes einsetzen. Das ist absurd.
({5})
Ein paar Worte zu Otto Fricke. Otto Fricke hatte im
Sommer angekündigt, die FDP wolle im nächsten Bundeshaushalt 4 Milliarden Euro einsparen und das Betreuungsgeld verhindern. Herzlichen Glückwunsch, Otto
Fricke; es werden keine 4 Milliarden Euro eingespart
- hier ist gar nichts passiert -, und das Betreuungsgeld
kommt. Es gibt neue Klientelgeschenke, neue Subventionen. Kürzungen nehmen Sie vor allen Dingen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit vor. Sie kürzen
die Mittel für Sozialprojekte im Ausland. Was finanzieren Sie damit? Sie finanzieren neue Straßenprojekte,
neue Spatenstiche in Bayern. Da hat die FDP ja wirklich
geliefert.
({6})
Zum letzten Punkt. Es geht bei diesem Haushalt vor allen Dingen auch um die Energiewende. Hier versagen Sie
kläglich. Bundeskanzlerin Merkel und Peter Altmaier,
der Umweltminister, wollen die Windenergie und die Solarenergie ausbremsen. In diesem Haushalt tun Sie nichts
dafür, dass wir die Energiewende und den Klimaschutz
richtig finanzieren können. Sie haben einen Schattenhaushalt, den Energie- und Klimafonds. Diesen haben
Sie, Herr Schäuble, 2012 um die Hälfte gekürzt.
({7})
Es ist ein Schattenhaushalt, und er ist unsolide finanziert.
Wir haben ein Gegenkonzept. Wir haben einen grünen Klimaschutzhaushalt vorgelegt. Wir brauchen einen
Haushalt, mit dem man die Energiewende finanzieren
kann. Es geht dabei auch um Energieeffizienz, Energieeinsparungen und internationalen Klimaschutz. Wir haben eine solide Gegenfinanzierung.
({8})
Wir wollen ökologisch schädliche Subventionen abbauen. Das ist notwendig; denn diese Subventionen sind
wettbewerbsverzerrend. Wir wollen eine nachhaltige
Haushalts- und Umweltpolitik. Das geht nur mit einem
grünen Klimaschutzhaushalt und dem Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen.
({9})
Sie machen immer noch 17 Milliarden Euro Schulden. Sie vergrößern die soziale Spaltung. Sie finanzieren
die Energiewende nicht, und Sie verteilen sinnlose
Klientelgeschenke. Das ist schwarz-gelbe Schulden- und
Haushaltspolitik. Das ist zum Glück der letzte Haushalt
von Schwarz-Gelb.
({10})
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Michael
Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen die Beratungen über den Haushalt für 2013 zu einem
Zeitpunkt, zu dem Deutschland Vorbild ist: Vorbild aufgrund seiner Beschäftigungslage und Arbeitsmarktpolitik in Europa, Vorbild aufgrund seiner wirtschaftlichen
Entwicklung und Vorbild aufgrund der finanzpolitischen
Konsolidierung seines Haushalts. Ich glaube, wir können
in Anbetracht der globalen und der europäischen Lage
mit dem hier vorgelegten Haushalt sehr zufrieden sein.
({0})
Wenn ich die Alternativen der Opposition höre, sage
ich: Wir müssen nicht ins Ausland reisen, und wir müssen auch nicht spekulieren, wie das ausginge, sondern
wir können uns einfach zehn Jahre zurückerinnern. Da
haben wir in Deutschland erlebt, was rot-grüne Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik bedeutet. Jedes Jahr steigende Arbeitslosenzahlen, jedes Jahr steigende Schulden, Nullwachstum unserer Wirtschaft - das
sind die Ergebnisse von Rot-Grün. Die Ergebnisse unserer Politik sind: jedes Jahr geringere Schulden, steigende
Beschäftigungszahlen, niedrige Arbeitslosenzahlen und
trotz international abschwächendem Klima eine positive
Wirtschaftsentwicklung.
({1})
Sie halten uns jetzt vor, dass wir nach wie vor Schulden machen. Auch mich stört das; auch ich würde gerne
auf Schulden verzichten. Aber wir haben uns zu Beginn
der Wahlperiode in einer sehr schwierigen Lage befunden. Seit 1945 gab es kein Jahr, in dem die Wirtschaftskraft so stark zurückgegangen ist wie im Zuge der internationalen Wirtschaftskrise als Folge der Finanzkrise.
Wir hatten ein Defizit von 86 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme vorgefunden; solch ein Haushalt wurde in
der Großen Koalition von Herrn Steinbrück vorgelegt.
Wenn diese Koalition das strukturelle Defizit in nur
einer Wahlperiode unter 10 Milliarden Euro absenkt, ist
das eine riesige Leistung. Wir wären natürlich gern noch
ehrgeiziger, aber, ich glaube, es wäre auch angemessen,
diese Leistung anzuerkennen. Bei Herrn Steinbrück sind
die Ausgaben nie gesunken, sondern von Jahr zu Jahr
gestiegen. Herr Schäuble hat vorgetragen, dass er die
Ausgabenlinie konstant halten möchte. Das ist der Unterschied zwischen CDU/CSU und FDP auf der einen
Seite und Ihnen auf der anderen Seite.
({2})
Wenn ich von wachstumsfreundlicher Konsolidierungspolitik spreche, dann bedeutet das nicht - so habe
ich es vorhin gehört -, dass wir auf Steuersenkungen
verzichtet haben. Wir haben im Jahr 2010 die größten
Steuersenkungen durchgeführt, die es in dieser Republik
je gab. Einen Teil dieser Steuersenkungen haben wir gemeinsam mit Ihnen von der SPD auf den Weg gebracht
- damals haben Sie das noch für richtig gehalten; aber
im Nachgang bekennen Sie sich ja nie zu dem, was Sie
selbst einmal beschlossen haben -,
({3})
einen Teil davon in der Koalition von CDU/CSU und
FDP.
Ich bin der Meinung, angesichts der Abschwungsituation, in der wir uns damals befunden haben, war das
richtig. In der damaligen konjunkturellen Lage war es
richtig, die Steuern zu senken, und zwar nicht etwa verbunden mit der Ankündigung, sie in Zukunft wieder zu
erhöhen, sondern um bei den Menschen Vertrauen zu
schaffen und ihnen Planungssicherheit zu geben. Wir
wollten dafür sorgen, dass die Menschen wissen: Unter
diesen Bedingungen kann man in Deutschland arbeiten
und investieren.
({4})
Da uns hier der Vorwurf gemacht wird, dies sei ein
Wahlkampfetat, will ich nur sagen: Die Nettokreditaufnahme fällt um ungefähr 1,7 Milliarden Euro niedriger
aus, als im Regierungsentwurf vorgesehen war. Ich höre
ja, welche Programmüberlegungen bei SPD und Grünen
angestellt werden.
({5})
- Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen, Frau Hinz;
das haben Sie vorhin selbst formuliert. Sie haben hier
gesagt, der deutsche Staat habe ein Einnahmeproblem.
Gleichzeitig haben wir von Ihnen die Kritik gehört, wir
würden, obwohl der deutsche Staat zunehmend mehr
Steuereinnahmen verzeichne, nicht den Haushalt ausgleichen. Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen. Sie
wollen die Menschen, die Steuerzahler, die Beitragszahler, abkassieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Die kassieren
Sie doch gerade ab! Ich sage nur: 5,5 Milliar-
den Euro für nächstes Jahr! Das gibt es doch
gar nicht!)
Deshalb machen Sie einen Vorschlag nach dem anderen,
der zur Folge hat, dass den Menschen tiefer in die Tasche gegriffen wird. Wir wollen, dass die Menschen in
Deutschland investieren, dass sie aktiv werden und dieses Land voranbringen. Sie sind auf dem falschen Weg.
Uns geht es wirklich ums Sparen und um Ausgabenbegrenzungen. Es darf aber nicht darum gehen, den Menschen das Geld aus der Tasche zu nehmen, meine Damen
und Herren.
({0})
Kommen wir zu Ihrem Vorschlag, eine Vermögensabgabe einzuführen. Es gab in Deutschland schon einmal
eine Vermögensabgabe, und zwar beim Lastenausgleich.
Aber damals, 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, befand sich Deutschland in einer Sondersituation. Schauen Sie sich die heutige Situation in der Bundesrepublik Deutschland einmal an. Ich frage Sie: Sieht
Deutschland zerbombt aus? Suchen Menschen, die vertrieben worden sind, Zuflucht? Nein, Deutschland ist
eine Insel, auf der großer Wohlstand herrscht. Deshalb
gibt es für eine einmalige Vermögensabgabe überhaupt
keine Rechtfertigung.
({1})
- Lieber Herr Binding, Sie wollen ja nicht nur eine einmalige Vermögensabgabe.
({2})
Sie wollen jedes Jahr eine Vermögensabgabe. Sie nennen sie „Vermögensteuer“.
({3})
Sie hätte viel Bürokratie zur Folge. Sie würde für die
Unternehmen eine Substanzbesteuerung darstellen. Sie
würde dazu führen, dass der Staat nicht mehr Geld in der
Kasse hätte, die wirtschaftliche Attraktivität des Standortes Deutschland aber massiv beschädigt würde.
({4})
Das sind Ihre Ideen. So würde es mit Deutschland nach
hinten, aber nicht nach vorne gehen, Herr Binding.
({5})
Wir befinden uns heute in einer tollen Lage. Wir haben diese tolle Lage auch deshalb, weil wir uns in den
letzten zehn Jahren angestrengt haben, Reformen durchzuführen. Wir haben Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes und bei der Rente durchgeführt. Was schlagen
Sie jetzt vor? Wenn ich höre, was auf dem Parteitag der
Grünen beschlossen wurde, stelle ich fest: Sie schlagen
vor, was die Rente betrifft, solle man überlegen, ob das,
was wir vorangebracht haben, rückgängig gemacht wird.
Was den Arbeitsmarkt angeht - Stichwort: Mindestlohn -,
schlagen Sie vor, das, was von uns vorangebracht worden ist, rückgängig zu machen. So führen Sie Deutschland doch nicht in die Zukunft! So würden Sie Deutschland in die Vergangenheit führen. Außerdem bekennen
Sie sich nicht mehr zu dem, was Sie selbst, als Sie die
Mehrheit hatten, hier beschlossen haben.
({6})
Bekennen Sie sich doch einmal zu den Entscheidungen,
die Sie selbst getroffen haben, meine Damen und Herren!
({7})
Herr Kollege Meister, darf Herr Schick Ihnen dazu
eine Zwischenfrage stellen?
Wenn ein solch netter Kollege fragen möchte, sei es
ihm gegönnt.
({0})
Danke für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen, und
für die freundlichen Worte. - Ich will auf die Vermögensabgabe zurückkommen.
Erstens. Würden Sie nicht sagen, dass die Finanzkrise, in der wir uns immer noch befinden, eine Ausnahmesituation ist, da sogar der Finanzminister vor ein paar
Jahren sagen musste: „Wir blickten in einen Abgrund“?
Würden Sie nicht sagen, dass die Überschuldung vieler
Gebietskörperschaften in Deutschland, die die Schuldenbremse nur mit Unterstützung des Bundes einhalten können, eine Ausnahmesituation ist und wir von dem hohen
Schuldenstand dringend herunterkommen müssen?
({0})
Meine zweite Frage ist damit verbunden: Wie lautet
der Vorschlag Ihrer Partei und Fraktion, wer die Kosten
der Finanzkrise tragen soll? Bisher ist es so, dass Sie die
Kosten der Bankenrettung - 22 Milliarden Euro sind
schon aufgelaufen - in einen Schattenhaushalt auslagern
und in die Zukunft verschieben, sodass die nachfolgenden Generationen dafür aufkommen müssen. Das halte
ich nicht für fair. Deswegen die Frage: Wer soll nach der
Vorstellung der Union die Kosten der Finanzkrise, der
Bankenrettung und der Konjunkturprogramme tragen?
({1})
Lieber Kollege Dr. Schick, zunächst einmal möchte
ich sagen: Ja, ich bin der Meinung, dass wir in einer
Ausnahmesituation sind. Eine solche Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise, wie wir sie gegenwärtig erleben, hat es bis jetzt noch nicht gegeben.
In einer solchen Krise ist es notwendig, sich zuerst
der Frage zuzuwenden: Was sind die Ursachen? Die
Ursache war eine weit überzogene Deregulierung der
Finanzmärkte,
({0})
die Sie wesentlich mitgestaltet haben. Unsere erste
Schlussfolgerung ist, diese falsche Deregulierungspolitik zu beenden bzw. sie zu korrigieren. So steht Basel III
zur Umsetzung an. Leerverkäufe haben wir verboten; die
Ratingagenturen haben wir reguliert. Jetzt geht es darum, Maßnahmen im Restrukturierungsgesetz auch auf
Europa auszuweiten. Dabei korrigieren wir die Fehler,
die Sie eingeleitet haben.
Ich bin weiterhin der Meinung, dass man die Kosten
eigentlich nicht dem Steuerzahler aufbürden kann. In der
Not mussten wir dies allerdings tun; es gab keine andere
Möglichkeit. Aber wir haben zwei Korrekturen vorgenommen:
Erstens. Wir haben in Deutschland eine Bankenabgabe eingeführt, damit solche Kosten in Zukunft nicht
mehr auf den Steuerzahler, sondern auf den Bankensektor zukommen.
({1})
Zweitens. Der Finanzminister wirbt in der EU insgesamt für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer.
Leider findet diese Idee nicht genügend Anhänger; nur
neun Länder sind bereit, mitzumachen. Wir sind, glaube
ich, einer Meinung, dass der Bankensektor entsprechend
herangezogen werden sollte, wenn Folgekosten der
Krise zu finanzieren sind.
({2})
Ich war Mitglied der Föderalismuskommission II, in
der es - damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage,
Herr Schick - darum ging, wie man die Verschuldung
der öffentlichen Haushalte in den Griff bekommen kann.
Ein Ergebnis war, dass wir eine Schuldenbremse im
Grundgesetz verankert haben. Das ist ein wirksames
Instrument, um eine künftige Neuverschuldung auszuschließen. Dieses Instrument hat, wie gesagt, Verfassungsrang. Die Aufgabe der Politik ist jetzt, diese Schuldenbremse umzusetzen. Über den Fiskalvertrag haben
wir diese Schuldenbremse nach Europa exportiert. Das
ist eine riesige Leistung. Jetzt werden auch Risiken von
außen abgeschirmt.
Es bleibt der Schuldenstand. In der Verfassung ist formuliert: keine strukturelle Neuverschuldung mehr. Das
ist allerdings kein Ziel, das unsere Höchstleistung markieren sollte; das ist eine Minimalforderung. Deshalb bin
ich der Meinung: Wir können da durchaus etwas ehrgeiziger sein, lieber Norbert Barthle, wir müssen an dieser
Grenze nicht stehen bleiben. Indem wir weiterhin eine
erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik
machen, gewinnen wir die Spielräume, die wir brauchen,
um die Schuldenbremse einzuhalten. Wir müssen die
Spielräume aber auch nutzen, um unseren Schuldenstand
und damit die Lasten, die aus dem Zinsdienst entstehen,
zu reduzieren. - Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege
Schick.
({3})
Wir wollen eine wachstumsfreundliche Konsolidierung. Das bedeutet, wir haben nicht nur gespart, sondern
in einigen Bereichen - ich nenne das Thema „Aufbau
von Forschung und Entwicklung“ - in jedem Jahr dieser
Wahlperiode etwas on top gelegt. Wir meinen: Wenn wir
dauerhaft wettbewerbsfähig sein wollen, dann müssen
wir Forschung und Entwicklung stärken. Es geht darum,
ein Vorbild für Europa zu sein. Wir müssen aber auch
mit unseren Partnern darüber reden, dass überall in Europa mehr für Forschung und Entwicklung getan werden
muss, damit Europa insgesamt leistungsfähiger wird.
Ein weiterer Schwerpunkt, den wir gesetzt haben, ist
der Bereich Infrastruktur. Im Gegensatz zu den Grünen,
Frau Hinz, bin ich der Meinung, dass wir eine funktionierende, qualitativ hochwertige Infrastruktur in
Deutschland benötigen.
({4})
Hier setzen wir im Haushalt trotz aller Konsolidierungsanstrengungen einen Schwerpunkt. Die Grünen wollen,
dass Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen nicht mehr
gebaut werden.
({5})
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Wir wollen Mobilität. Durch diese Mobilität entsteht
auch Wachstum in Deutschland.
({6})
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen zum Thema Europa. Ich glaube, dass all das,
was wir hier mit Blick auf Etatansätze kleinteilig diskutieren, relativ schnell Makulatur werden kann, wenn uns
Europa misslingt. Wenn wir wirklich einen Altschuldenfonds auflegen würden, wie es Herr Trittin vorschlägt,
({7})
oder Euro-Bonds ausgeben würden, wofür sich Herr
Steinbrück im Handelsblatt ausgesprochen hat, dann
kämen wir in eine Gemeinschaftshaftung.
({8})
Man muss sich einmal überlegen, was das für unseren
Zinsansatz im Bundeshaushalt bedeuten würde.
Deshalb bin ich der Meinung: Der Ansatz „Solidarität
mit anderen“ ist richtig, wenn an die Ursachen der Probleme in diesen Ländern herangegangen wird und wenn
Solidität gelebt wird, indem man die Probleme dort löst.
Deshalb darf es keine Vergemeinschaftung der Haftung
und keine Aufgabe der Konditionalität geben. Solidarität
- ja, aber nur wenn die Probleme gelöst werden. Hilfe
sollte nur zeitweise und nicht dauerhaft geleistet werden.
Es werden zum Teil vollkommen falsche Ansätze
zugrunde gelegt. Schauen Sie sich doch einmal den
Länderfinanzausgleich in Deutschland an! Dort wird
derjenige begünstigt, der nicht an seiner Finanzstärke,
der nicht an seiner Wirtschaftskraft arbeitet. Es kann
doch nicht sein, dass wir ein solch falsches Anreizsystem jetzt auch noch nach Europa exportieren.
({9})
Nein, wir brauchen die richtigen Anreize, damit derjenige, der sich anstrengt, am Ende auch finanz- und wirtschaftspolitisch von seiner Anstrengung profitiert.
Eine allerletzte Bemerkung. Der Kollege Schick hat
eben nach den Sonderlasten aufgrund der Finanzkrise
und nach Regulierungsnotwendigkeiten gefragt. Dazu
möchte Ihnen einen Hinweis geben: Woher haben denn
Banken wie etwa die Westdeutsche Landesbank überhaupt das Geld gehabt? Welcher Finanzminister hat dieser Landesbank eigentlich das Geld gegeben, mit dem
sie anschließend auf dem amerikanischen Immobilienmarkt verpackte, strukturierte Produkte kaufen konnte?
({10})
Wenn ich richtig informiert bin, hieß der Finanzminister
von Nordrhein-Westfalen seinerzeit Peer Steinbrück.
({11})
Damals wurde die Grundlage für die Malaise gelegt, in
die diese Bank letztendlich geriet. Deshalb brauchen wir
von Ihrer Seite keine Hinweise, wie man es besser
machen kann. Allerdings sollten wir gelegentlich die eigenen Fehler benennen und korrigieren.
({12})
Vielen Dank, Kollege Dr. Michael Meister. - Nächste
Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Frau Bettina Hagedorn. Bitte schön, Frau
Kollegin Hagedorn.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Minister Schäuble, als wir hier vor zwei Monaten
die erste Lesung des Bundeshaushaltes hatten, haben Sie
in Ihrem Redebeitrag gesagt, der Haushalt sei der Beleg
dafür, dass Deutschland krisenresistent sei.
Wenn wir uns nun einmal anschauen, was in den letzten zwei Monaten im Haushaltsausschuss passiert ist und
was Schwarz-Gelb aus diesem Haushalt gemacht hat, so
kann man nur sagen: Die Regierungskoalition hat in den
letzten zwei Monaten alles nur noch schlimmer gemacht.
In diesem Haushalt wird nach wie vor - das haben wir
Ihnen schon vor zwei Monaten vorgeworfen - keine
Vorsorge für die sich eintrübende Konjunktur getroffen.
Dieser Haushalt weist eine soziale Schieflage auf und
zeugt von Klientelpolitik.
({0})
Man muss eines feststellen: Sie bleiben sich auf eine
erschreckende Weise treu. Vor ungefähr drei Jahren
haben wir über Ihr sogenanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz diskutiert. Dieses Gesetz hat weder das
Wachstum gefördert noch beschleunigt. Es war eigentlich ein Hotelierbegünstigungsgesetz - Stichwort
„Mövenpick-Steuer“.
({1})
Damals haben Sie den Grundstein für eine Klientelpolitik und für eine soziale Schieflage in diesem Land
gelegt, die Sie in den letzten drei Jahren durchgezogen
haben und die mit diesem Haushalt einen traurigen
Höhepunkt erfahren hat.
({2})
Sie haben eigentlich Etikettenschwindel betrieben. Ich
habe gerade ein Beispiel dafür genannt.
Ein halbes Jahr später, im Sommer 2010, erblickte Ihr
sogenanntes Sparpaket das Licht der Welt. Frau Merkel
hat damals verkündet, dies sei ein einmaliger Kraftakt.
Der damalige Vizekanzler Westerwelle hat sekundiert,
dies werde ein ausgewogenes, ein faires und ein gerechtes Sparpaket sein. Aha, ausgewogen, fair und gerecht.
Damals haben Sie vorgegeben, dass die Arbeits- und
Sozialministerin 40 Prozent abliefern sollte. Das hat sie
auch treu und brav getan. Sie hat sogar noch kräftig eine
Schippe obendrauf gelegt, indem sie den Haushalt der
Bundesagentur für Arbeit wie eine Zitrone ausgequetscht hat. Die Mittel für die Langzeitarbeitslosen
sollen im Haushaltsjahr 2013 um 6,5 Milliarden Euro
gekürzt werden. Die Konjunktur hat gar nichts damit zu
tun. Da schlagen Sie einfach zu.
({3})
Eigentlich hatten Sie doch vor, Subventionen abzubauen und für eine gerechtere Belastung von Wirtschaft
und Unternehmen zu sorgen. Vor allen Dingen wollten
Sie Bürokratie abbauen und im eigenen Haushalt sparen.
Was ist eigentlich daraus geworden? Ich kann Ihnen
sagen, was daraus geworden ist: Nichts, gar nichts.
({4})
Ich möchte jetzt nur einmal kurz die für die Bundesagentur für Arbeit relevanten Zahlen vorlesen, damit die
Öffentlichkeit eine Vorstellung davon bekommt, was Sie
hier eigentlich machen: Durch das ominöse Sparpaket
und den Wegfall eines halben Mehrwertsteuerpunkts in
der Steuerfinanzierung haben Sie bei der Bundesagentur
für Arbeit bis 2012 8 Milliarden Euro gekürzt. Was steht
für die Bundesagentur für Arbeit wegen der Fortsetzung
dieser Maßnahmen im Finanzplan? Minus 18 Milliarden
Euro für den Zeitraum von 2013 bis 2016!
Damit sind Sie aber noch nicht fertig. Wir haben jetzt
auch noch ein Haushaltsbegleitgesetz vor der Brust. Sie
sind sich nicht zu schade, der Bundesagentur für Arbeit
mit diesem Haushaltsbegleitgesetz einen weiteren halben Mehrwertsteuerpunkt in der Steuerfinanzierung
wegzunehmen und für eine Verrechnung des Eingliederungsbeitrages zu sorgen, was wiederum zulasten der
Bundesagentur für Arbeit erfolgt. Von welchem Umfang
sprechen wir? Minus 5,2 Milliarden Euro bis 2015!
Was bedeutet das im Ergebnis? Das bedeutet natürlich, dass die angebliche Rücklage von 9,5 Milliarden
Euro, die die BA bis 2016 aufbauen sollte, wie die Butter in der Sonne schmilzt.
({5})
Das heißt, Sie betreiben keine Vorsorge.
Am Himmel zeigen sich leider trübe Konjunkturwolken. Bei der Aufstellung Ihres Haushaltsentwurfs haben
Sie noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent kalkuliert. Wo stehen wir jetzt? Höchstens noch bei
1 Prozent! Wozu führt das? Das führt nicht nur zu Steuermindereinnahmen und dazu, dass die Sozialsysteme
nicht mehr so viel einnehmen werden wie bisher - die
Einnahmen sprudelten nämlich -, sondern es führt auch
dazu, dass die Zahl der Arbeitslosen steigen wird. In Ihrer eigenen Prognose sprechen Sie von einem Anstieg
um 150 000 auf 2,92 Millionen Arbeitslose. Aber im
Haushalt treffen Sie dafür keine Vorsorge.
Auch viele Arbeitgeber fordern längst, dass wir die
Bundesagentur für Arbeit angesichts dieser Situation
wieder in die Lage versetzen müssen - Stichwort „Kurzarbeitergeld“ -, Krisenintervention betreiben zu können.
Das Gegenteil von dem haben Sie gemacht. Sie haben
sogar noch eine Schippe draufgelegt; denn auf dem Koalitionsgipfel vier Tage vor unserer Bereinigungssitzung
wollten Sie noch ein paar Steuergeschenke verteilen,
({6})
indem Sie bei dem angeblich einmaligen Griff in den
Gesundheitsfonds, der vorgesehen war, nicht nur 2 Milliarden, sondern 4,5 Milliarden Euro herausgenommen
haben. Zusätzlich haben Sie auch kräftig in die Rentenkasse gegriffen. Das heißt, Sie plündern die sozialen
Sicherungssysteme zulasten der Beitragszahler und zulasten künftiger Generationen.
({7})
Damit rechnen Sie Ihren Haushalt schön.
Diese Politik ist unverantwortlich. Sie ist gegen die
Menschen gerichtet und nicht zukunftsfähig.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
Bartholomäus Kalb für die Fraktion der CDU/CSU.
Bitte schön, Kollege Bartholomäus Kalb.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Haushalt, den wir in dieser Woche beraten und am Freitag beschließen werden, ist Ausdruck
einer erfolgreichen Haushaltskonsolidierung und einer
finanzpolitischen Linie von Stabilität und Verlässlichkeit, die wir vertreten.
({0})
Dieser Haushalt kann sich wahrlich sehen lassen. Ich
darf noch einmal daran erinnern, dass wir die Nettokreditaufnahme auf 17,1 Milliarden Euro reduzieren und
die verfassungsmäßigen Vorgaben, die ab 2016 einzuhalten sind, bereits 2013 mehr als einhalten können. Das
heißt, die Vorgaben der Schuldenbremse werden bereits
jetzt übererfüllt. Damit geben wir auch ein gutes Beispiel in Europa. Wenn wir andere Länder verpflichten,
den Fiskalpakt einzuführen und einzuhalten, dann ist es
gut, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir werden auch das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpaktes beschließen. Auch hier dürfen
und können wir feststellen, dass wir einen mehr als fairen Umgang mit den Bundesländern an den Tag legen.
Gleichzeitig haben wir mit dem Nachtragshaushalt, der
ebenfalls zur Diskussion und zur Abstimmung steht,
weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Insbesondere für Familien mit Kindern haben wir mit den
580 Millionen Euro, die wir für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen zusätzlich zur Verfügung stellen, das deutliche Zeichen gesetzt, dass wir die Aufgaben zukunftsorientiert wahrnehmen.
Weil gerne so getan wird, als ob Bayern etwas rückständig wäre
({1})
- so geschehen letzte Woche, als wir über das Betreuungsgeld abgestimmt haben -, darf ich sagen: Bayern
liegt auch bei der Errichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen bundesweit an der Spitze. Schon jetzt liegt
die Quote in Bayern bei 43 Prozent. Damit ist sie höher
als die geforderten 37 Prozent.
({2})
Bayern hat allein dafür aus eigenen Landesmitteln
611 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und wird aufgrund der günstigen Entwicklung der Steuereinnahmen
nur für diesen Bereich in den nächsten beiden Jahren
über 80 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.
Damit bringen wir zum Ausdruck: Wir treten dafür
ein, dass die Menschen eigenverantwortlich über ihre
Lebensplanung und ihre Zukunftsplanung, was ihre Familie angeht, entscheiden sollen. Das hat auch etwas mit
unserem Grundverständnis, von dem wir zutiefst überzeugt sind, zu tun, nämlich dass jeder Mensch einmalig
und einzigartig ist, dass er im Rahmen der grundgesetzlichen Regeln eigenverantwortlich sein Leben gestalten
soll und dass wir ihm nicht vorzuschreiben haben, wie er
sein Leben zu gestalten hat.
({3})
Wir konsolidieren unseren Haushalt nicht auf der Einnahmeseite, wie das Rot-Grün und die Linken wollen,
sondern auf der Ausgabenseite. Es ist vorhin vom Finanzminister die Ausgabelinie der Haushalte in den zurückliegenden Jahren sehr eindrucksvoll dargestellt worden; ich brauche das nicht zu wiederholen. Wir bleiben
bei der Ausgabenentwicklung unterhalb der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Das ist eine ganz wichtige Marke, und so führen wir die Verschuldung zurück.
Sie von der SPD und neuerdings auch Sie von den
Grünen können nicht genug bekommen, wenn es um
Forderungen nach Mehrbelastungen für den Steuerzahler
geht.
({4})
- Doch.
({5})
- Herr Poß, als Finanzfachmann wissen Sie, dass die
oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher bereits rund
55 Prozent der Einkommensteuerlast tragen.
({6})
Das sei nur nebenbei bemerkt; aber darum geht es an
dieser Stelle gar nicht. Wenn Sie jedoch an das Ehegattensplitting herangehen wollen - Sie und neuerdings
auch die Grünen haben dessen Abschaffung gefordert -,
dann treffen Sie genau die Bezieher kleinerer Einkommen.
({7})
Oft handelt es sich um Familien, bei denen sich ein
Ehepartner dafür entschieden hat, in der Zeit der Kindererziehung zu Hause zu bleiben und keiner Erwerbstätigkeit oder einer anderen versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen.
({8})
Das führt zu geringeren Rentenansprüchen und geringeren Versorgungsansprüchen.
Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden diese Menschen nach der Phase der Kindererziehung so behandelt,
als ob sie durchgehend ein Erwerbseinkommen erzielt
hätten. Damit bestrafen Sie genau diejenigen Menschen,
die sich der Mühe unterzogen haben, Kinder zu erziehen,
zum Teil oft noch kranke Eltern oder Angehörige zu
pflegen, indem Sie ihnen im weiteren Verlauf Ihres Erwerbslebens und im Alter eine enorm hohe Steuerbelastung aufbürden.
({9})
Wenn Sie das wirklich wollen, sagen Sie das den Menschen.
({10})
Mit der Politik, die wir vertreten, haben wir es geschafft, dass wir heute auch im internationalen Vergleich
zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt - noch
vor den USA - gehören. Die Situation ist Gott sei Dank
so: Mit 41,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland
haben wir eine Marke erreicht, die wir nie zuvor erreicht
haben. Mit rund 29 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten haben wir entgegen Ihren Behauptungen eine
Marke erreicht, die nie so hoch war wie jetzt. Das ist im
Übrigen der Grund dafür, dass wir höhere Steuereinnahmen und eine bessere Situation bei den Sozialversicherungen haben. Wir haben aus Leistungsempfängern wieder Leistungserbringer gemacht.
({11})
Das ist der wesentliche Beitrag zur Konsolidierung.
({12})
Wir haben jetzt im Haushalt auch die Investitionsquote gestärkt. Wir sollten uns darüber freuen, dass es
uns in Deutschland gutgeht, auch wenn Sie das nicht
glauben. Warum darf man sich nicht mehr freuen, wenn
es einem gutgeht? Wir müssen schließlich auch die
schwierigen Probleme gemeinsam tragen, einmal in der
einen Konstellation und einmal in der anderen.
Das Handwerk ist so frei, dies so zu sagen, zumindest
bei mir in der Region. Am 23. Oktober war in der Passauer Neuen Presse zu lesen: „Handwerk geht es so gut
wie seit 20 Jahren nicht“.
({13})
Das ist ehrlich; das ist anerkennend. Sie sagen uns auch,
wenn sie Probleme und Wünsche haben. Aber wir freuen
uns, wenn sie dann auch einmal sagen: Es läuft gut; die
Situation ist gut. - Das setzt wieder neue Kräfte für die
wirtschaftliche Entwicklung frei.
Ein solcher Kurs des Konsolidierens, Investierens und
Sparens an der richtigen Stelle, statt das Geld für Konsumausgaben zu verwenden, wird in Bayern bestätigt.
Nicht der Bayernkurier, sondern die Wirtschaftswoche hat
vor wenigen Wochen über den Primus Bayern geschrieben: beste Jobchancen, weniger Hartz-IV-Empfänger,
niedrigere Kriminalitätsrate und solide Finanzen. - So
wird ein Schuh daraus. Das schafft die Bedingungen, dass
sich die Menschen, sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmer, und die Familien wohlfühlen können und dass
junge Menschen Zukunftschancen haben.
({14})
- Ich darf doch mein Heimatland loben. Andere tun das
schließlich nicht. Sie schauen nur neidvoll auf Bayern.
Ich darf aber auch mit ein bisschen Stolz nach Bayern
blicken. Das müssen Sie mir schon zugestehen, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({15})
- Leider geht meine Redezeit zu Ende.
Mit dem Haushalt, den wir jetzt vorgelegt haben und
über den wir am Freitag abstimmen werden, erfüllen wir
die notwendigen Voraussetzungen. Otto Fricke hat vorhin schon auf den Vorwurf, das sei ein Wahlkampfhaushalt, reagiert. Wenn ein Wahlkampfhaushalt so aussieht
wie dieser, dann können wir stolz darauf sein. Es mag
sein, dass es in dem Sinne ein Wahlkampfhaushalt ist,
dass wir mit ihm auch in diesem Jahr unter Beweis stellen, dass wir sparen, konsolidieren und die richtigen Botschaften aussenden,
({16})
nämlich dass wir nichts zu verschenken haben, dass wir
keine Wohlfühlprogramme auflegen und keine Wahl25134
kampfgeschenke verteilen, sondern dass wir den aufgezeigten und bestätigten Kurs der letzten Jahre fortsetzen.
({17})
Wir wirtschaften und arbeiten solide und konsolidieren
die Haushalte. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir mit dem Geld sorgsam umgehen. Damit
schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass auch unsere
Währung weiterhin stabil bleibt.
({18})
Wir werden in den nächsten Wochen dazu noch einige
Diskussionen führen müssen. Wir können nicht ausblenden, dass das konjunkturelle Wetterleuchten in Europa
auch bei uns zu sehen und zum Teil zu spüren ist. Auch
dafür schaffen wir Vorsorge.
Herzlichen Dank.
({19})
Vielen Dank, Kollege Bartholomäus Kalb. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege Andreas
Mattfeldt für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön,
Kollege Andreas Mattfeldt.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Verabredung eines Fiskalpaktes
zwischen den Euro-Ländern ist etwas Einmaliges gelungen. Endlich wird das Übel der Verschuldungskrise an der
Wurzel gepackt. Die treibende Kraft dafür, dass alle
Euro-Länder eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild einführen, war unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel. Dafür sind wir ihr sehr dankbar.
({0})
Um aber die Zustimmung der Bundesländer zu diesem wichtigen Paket zu erhalten, wurde innerstaatlich
ein erhebliches Paket zugunsten der Länder vereinbart.
Als zuständiger Haushälter für das Familienministerium
möchte ich mich deshalb auf den Kitaausbau konzentrieren, über den in diesen Tagen vielfach, leider häufig in
einem falschen Kontext, diskutiert wird.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, wie wichtig der Ausbau der Kinderbetreuung für die jungen Familien ist. Deshalb hat der Bund schon 2007 unter
Ursula von der Leyen die Initiative ergriffen, gemeinsam
mit den Städten und Gemeinden ein ehrgeiziges Ausbauprogramm zu beschließen und umzusetzen.
({1})
Doch während Kommunen und Länder nur zögerlich
mit der Bereitstellung von Geldern begannen, hat der
Bund direkt, und zwar schon 2008, 4 Milliarden Euro
bereitgestellt, und zwar 2,15 Milliarden Euro für Investitionen und sogar 1,85 Milliarden Euro - darüber haben
wir lange diskutiert - für die Betriebskosten der neuen
Plätze. Das haben wir als Bund getan, obwohl die Kinderbetreuung originäre Aufgabe von Ländern und Kommunen ist.
Jetzt haben wir noch einmal 580,5 Millionen Euro Investitions- und jährlich 75 Millionen Euro Betriebskostenzuschüsse für den weiteren Ausbau bereitgestellt,
({2})
und damit können zusätzlich 30 000 Plätze geschaffen
werden.
({3})
Dies kann sich mehr als sehen lassen. Das zeigt, wie
wichtig dem Bund der Kitaausbau ist.
Ich selbst war bis 2009 Bürgermeister und konnte beobachten, wie viele - oder besser gesagt: wie wenige Kollegen den Kitaausbau für die unter Dreijährigen beschleunigt haben. Sichtlich irritiert war ich vor allem
von den Ländern, die nur schleppend Geld für den Ausbau in die Hand genommen haben.
({4})
Deshalb bin ich unserer Familienministerin sehr dankbar, dass sie in den letzten Monaten hartnäckig geblieben
ist und jetzt wieder Schwung in den Kitaausbau gekommen ist.
({5})
Persönlich fand ich es erschreckend, zu sehen, auf
welche Blockadehaltung man bei den Ländern und vor
allen Dingen auf welche Ablenkungsmanöver man bei
Nachfragen zum Ausbaustand in den Bundesländern gestoßen ist. Ganz vorne an die Spitze der Blockierer des
Kitaausbaus hat sich Frau Schwesig von der SPD gestellt. Ich erinnere nur daran, dass sie es war, die gesagt
hat, der Bund würde mit der Forderung nach Berichtspflichten zum Kitaausbau die Gelderfreigabe blockieren.
Das ist schlichtweg Quatsch. Nach den Erfahrungen, die
wir mit dem zögerlichen Ausbau gemacht haben, sage
ich deutlich, dass es doch wohl erlaubt sein muss, die
Verteilung von Mitteln an Bedingungen und auch an eine
gewisse Kontrolle zu knüpfen. Alles andere ist vollkommen unseriös und vor den Steuerzahlern nicht zu verantworten.
({6})
Interessant waren auch die Verhandlungen mit den
Ländern über die Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten der Krippen ab 2013. Der Bund hat - für
mich fast schon zu großzügig - angeboten, für 2013
18,75 Millionen Euro und ab 2015 jährlich die volle
Summe von 75 Millionen Euro zu zahlen. Dies war allerdings den Ländern und, wenn ich mir die Anträge ansehe, anscheinend auch der SPD hier im Hause anfängAndreas Mattfeldt
lich nicht genug. Nun muss man hierzu wissen, dass uns
vorab in den Verhandlungen lang und breit erklärt
wurde, dass der Bau der Kindertagesstätten nicht schnell
zu realisieren sei. Gleichzeitig wurde aber vor allem von
SPD-regierten Ländern gefordert, für noch nicht vorhandene Kitas sofort zu den ohnehin schon vereinbarten
770 Millionen Euro ab 2013 weitere Betriebskostenzuschüsse in voller Höhe von 75 Millionen Euro on top zu
zahlen. Das heißt im Klartext: Wir zahlen Strom- und
Heizkosten für noch nicht gebaute Kindergärten. Das ist
für mich nicht nachvollziehbar. Das sage ich ganz deutlich.
({7})
Wir dürfen mit dem Finger nicht immer nur auf Griechenland zeigen, wir müssen es auch in Richtung Opposition tun. Deshalb mein Rat: Lassen Sie Ihre parteitaktischen Spielchen! Konzentrieren Sie Ihre Arbeit auf das,
was angesagt ist, nämlich die Schaffung von Krippenplätzen!
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Andreas Mattfeldt.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst
zur Abstimmung über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, in der Ausschussfassung. Wer
stimmt dafür? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen.
Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 08 ist angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Das sind alle Fraktionen. Vorsichtshalber: Gegenprobe! Keiner. Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 20 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt I.4 c. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2012. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksachen 17/11290 und 17/11291, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10900
und 17/10901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das
sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt I.4 d. Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Haushaltsbegleitgesetzes 2013. Der Haushaltsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11477, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 17/10588 und 17/10864 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist
angenommen.
Tagesordnungspunkt I.4 e. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/11504, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10976 und 17/11011 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt dagegen? - Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Enthaltungen? Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Die
Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion.
Vorsichtshalber: Enthaltungen? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt I.5 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 17/10806, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Dr. Peter Danckert
Heinz-Peter Haustein
Katja Dörner
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der Sozialdemokraten, ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Vizepräsident Eduard Oswald
Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sie sind
damit einverstanden? - Dann haben wir das so beschlossen.
Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Peter
Danckert. - Bitte schön, Kollege Dr. Peter Danckert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst einmal für die Zusammenarbeit mit den Berichterstattern
und den Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Es
war sehr angenehm.
Ich fange heute ausnahmsweise mit einem Thema an,
das in Haushaltsberatungen immer zu spät und dann
auch noch zu kurz behandelt wird: mit dem Sport. Zum
Einzelplan 06 gehören die Mittel für den Sport. Ich habe
immer das Gefühl, dass dieser Bereich ein bisschen zu
kurz kommt. Man sieht nicht, dass die Kürzungen dort
ein Problem bedeuten. Jetzt haben sich bei den Bundesleistungsstützpunkten usw. und auch bei der NADA
leichte Verbesserungen ergeben. Aber letztlich ist das
eine Angelegenheit, die uns viel länger und intensiver
beschäftigen muss, als es bisher geschehen ist. Ich
denke, es sollte in den nächsten Jahren die Hauptaufgabe
des Innenausschusses und auch des Sportausschusses
sein, hier für Klarheit zu sorgen. Denn die Strukturen
sind nach meinem Eindruck nicht geeignet, um in diesen
Bereichen voranzukommen.
({0})
Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu den Zielvereinbarungen sagen. Wir haben einen sehr unangenehmen
Kampf geführt. Erst durch die Klage eines Journalisten
sind Zahlen veröffentlicht worden. Inzwischen hat es mit
Ihrem Hause, Herr Bundesminister, eine Einigung gegeben. Die Obleute - jedenfalls die im Haushaltsausschuss,
möglicherweise aber auch die in anderen Ausschüssen werden die Gelegenheit haben, Einblick in die Unterlagen zu nehmen, die die Zielvereinbarung einschließlich
des Teils Monitoring - er umfasst die wesentlichen Regelungen - enthalten. Ich finde, das ist der richtige Weg.
Es wäre unangenehm und peinlich gewesen, wenn wir
da hätten klagen müssen.
Ein kurzes Wort zur NADA. Auch da sind die Strukturen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Es gab
ursprünglich eine Übereinkunft zwischen Bund, Ländern, Wirtschaft und Sport, das nötige Stiftungskapital
zusammenzubringen. Das hat nicht geklappt. Diese Stiftung verfügt jetzt über Mittel von rund 13 Millionen
Euro. Angesichts der niedrigen Zinssätze kann man sich
leicht ausrechnen, dass dieses Stiftungskapital als Haushalt für die NADA zu gering ist. Deshalb ist der Bund
der Hauptfinanzier der NADA. Der NADA wird 1 Million Euro mehr zur Verfügung gestellt; das ist auch richtig so. Wir müssen uns langfristig darüber unterhalten,
wie es an dieser Stelle weitergeht. Die Strukturen sind
nicht in Ordnung. Ich glaube, wir sollten uns von dem
Stiftungsmodell verabschieden und neue Finanzierungsformen suchen, damit die NADA in Zukunft auf sicheren Füßen steht.
({1})
Wir haben eine Reihe von Nebenpunkten, die für die
Betroffenen sehr wichtig sind, einvernehmlich geregelt.
Dafür möchte ich mich auch bei der Koalition bedanken.
Die jeweiligen Ansätze sind nicht mehr beim Sport angesiedelt, sondern in anderen Haushaltstiteln verborgen.
Es ist gut, dass wir da zusammengefunden haben.
Ich komme zu weiteren Punkten, die mir besonders
am Herzen liegen. Ein Thema, das ich auch in den Haushaltsberatungen angesprochen habe, Herr Minister, ist
die Situation der Bundespolizei. Die Bundespolizei ist
unser wichtigstes Instrument zur Bewahrung der öffentlichen Sicherheit. Die Bundespolizei wird aus meiner
Sicht sträflich behandelt. Da helfen auch Veränderungen
an ihrer Spitze nichts. Dass es da nach mehr als drei Jahren unionsgeführter Bundesregierung zu einem Wechsel
gekommen ist, darüber will ich mich nicht lange ausbreiten. Das ist jetzt so entschieden.
Wir haben bei der Bundespolizei ein Problem mit der
Altersversorgung der Polizeiobermeister, das uns schon
seit Jahren beschäftigt. Der verstorbene Kollege Herrmann
hat es wie ich zu seinem Thema gemacht. Was ist passiert? Nahezu gar nichts. Im nächsten Jahr gibt es die
letzte Tranche der zusätzlichen Beförderungen. Aber das
ist viel zu wenig. Um es einmal konkret zu benennen:
3 500 Polizeiobermeister müssten befördert werden, damit sie nicht mit A 8 in Pension gehen müssen. Jeder
sollte sich einmal ansehen, was dabei netto herauskommt.
Im Übrigen hat die ganze Entwicklung auch dazu geführt, dass die Belastung der Kollegen bei der Bundespolizei sehr groß ist. Es gibt dort Burn-out-Syndrome in
besorgniserregender Größenordnung. Der allgemeine
Krankenstand, insbesondere aber auch der Krankenstand
verursacht durch das Burn-out-Syndrom ist besorgniserregend. Wir haben einen Krankenstand von nahezu
10 Prozent. Er liegt weit über dem Durchschnitt des
Krankenstandes aller Bundesbeamten. Er ist doppelt so
hoch wie der Krankenstand bei den Arbeitnehmern. Es
muss also etwas passieren.
({2})
Wenn ich dann in der Haushaltsdebatte höre, dass Sie
die Bundesobergrenzenverordnung ändern müssen, dann
frage ich mich: Warum kommen Sie erst jetzt auf diese
Idee? Es ist doch seit 2009 bekannt, dass sie ein wesentliches Hemmnis ist, um den Wünschen der Personalvertreter, der Gewerkschaften bei der Bundespolizei angemessen nachzukommen. Jetzt kommen Sie auf die Idee,
dass sie geändert werden müsse. Daran sind nur das
Bundesfinanzministerium und das Bundesinnenministerium beteiligt. Die Bundesregierung kann dies dann so
beschließen. Ich frage mich wirklich, wer an dieser
Stelle geschlafen hat. Das ist ein nicht akzeptables Ergebnis.
({3})
Wir haben das Thema Digitalfunk in jeder Rede gehört. Nach eingehenden Gesprächen mit den Berichterstattern ist die Situation immer noch sehr unbefriedigend.
({4})
Ich will Herrn Fritsche keine Vorwürfe machen. Er versucht möglicherweise sein Bestes. Hier sind die Länder
beteiligt. Wenn man sieht, was auf diesem Gebiet in den
letzten zehn Jahren - das Bundesinnenministerium war
dabei überwiegend in CDU/CSU-Verantwortung - passiert ist, dann ist das ein erbärmliches Ergebnis.
({5})
Ich bin gerade durch das Haus gegangen und habe einen Bediensteten der Polizei getroffen und ihn gefragt:
Sagen Sie mal, haben Sie schon Digitalfunk? - Ich war
der Meinung, dass es das in diesem Hause schon gibt. Er
antwortete: Nein, so weit sind wir noch lange nicht. Nicht einmal in diesem Hause schaffen wir das.
Wir erleben immer wieder Pleiten bei Großeinsätzen,
sei es bei Stuttgart 21, sei es bei Veranstaltungen rund
um den 1. Mai, sei es bei anderen Veranstaltungen. Bei
diesen Einsätzen werden uns die Fehler offenbar, mit denen wir heute zu tun haben. Der Digitalfunk steckt noch
in den Kinderschuhen. Ich sage voraus, dass uns dieses
Thema noch viele Jahre beschäftigen wird. Ich befürchte
sogar, dass das ein ähnliches Problem wird wie der Flughafen Berlin Brandenburg; aber das ist ein anderes
Thema.
({6})
Es muss mehr getan werden für die IT. Auf der einen
Seite wurden dort Kürzungen in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro vorgenommen, und auf der anderen Seite
wurden zu Beginn Ihrer Regierungszeit 900 Millionen
Euro für Mövenpick und andere Konsorten ausgegeben.
({7})
- Das ist unangenehm, Stephan Mayer. Das ist sehr unangenehm, weil man das immer wieder hört. Ich weiß,
dass viele von Ihnen das längst bedauern.
Jetzt auch noch das Betreuungsgeld. Wir müssen irgendwo Prioritäten setzen. Auf der einen Seite sollen
1,2 Milliarden Euro für die Betreuung ausgegeben werden. Auf der anderen Seite wird die Verbesserung der IT
auf die lange Bank geschoben. Dieses Problem - das
prophezeie ich Ihnen - wird uns in den nächsten Jahren
auf die Füße fallen, weil wir einen Rückstand von inzwischen zehn Jahren aufzuholen haben. Wir haben eine
völlig überholte IT.
Von daher sage ich Ihnen: Dieses Problem werden wir
in Zukunft zu bewältigen haben. Aber wenn das Geld
mit offenen Händen für unnötige, von der Gesellschaft
gar nicht akzeptierte Projekte ausgegeben wird und an
der Sicherheit gespart wird, dann brauchen wir uns über
den Rückstand nicht zu wundern.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Danckert. - Nächste
Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Frau Stefanie Vogelsang. Bitte schön, Frau Kollegin Stefanie Vogelsang.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der
Tribüne sitzen ja wenig Zuschauer.
Dafür sitzen Millionen vor dem Fernseher.
({0})
Also gut: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an
den Fernsehgeräten! Ich möchte meine Ausführungen
zum Ressort des Innenministeriums in fünf Schwerpunkte unterteilen. Am Anfang, Kollege Danckert,
möchte ich etwas zur Personalsituation in Gänze sagen.
Dann konzentriere ich mich auf die Förderung des Ehrenamtes, vor allem beim Technischen Hilfswerk. Die
Bundespolizei als ein großer Träger unserer Sicherheit
wird ein Teil meiner Ausführungen sein, ebenso die Förderung deutscher Minderheiten und die Integrationsförderung in den Integrationskursen.
({0})
Liebe Frau Kollegin, 1989 gab es bei den oberen Bundesbehörden in der Bundesrepublik Deutschland rund
650 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahre
2013 sind es noch 450 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahre 1989 wurden 25 Prozent des Haushalts
der Bundesrepublik Deutschland in Gänze für die Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgegeben. Für den Haushalt 2013 stellen wir die Prognose an,
noch 8,7 Prozent des Bundeshaushaltes für die Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszugeben.
Das ist eine deutliche Konsolidierung, eine deutliche Reduzierung und eine deutliche Rationalisierung in diesem
Bereich.
Als diese Koalition im Jahre 2010 ihre Arbeit begonnen hat, wurde in Meseberg der Beschluss gefasst: Wir
konsolidieren unsere Personalausgaben und den Personalbestand nochmals um 10 000 Stellen. Mit dem Jahr
2012 haben wir bereits eine Konsolidierung um 11 000
Stellen vorgenommen.
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung, den die
Haushälter in den Beratungen im Haushaltsausschuss
bestätigt haben, enthält eine wesentliche und sehr richtige Botschaft: Wir wollen eine Abkehr von der pauschalen Stelleneinsparung vornehmen und das Signal in die
Republik senden, dass wir die Überausstattung an Personal durch Rationalisierungsmaßnahmen angegangen
sind, dass wir nunmehr gut aufgestellt sind und dass es
jetzt darum geht, kluge Entscheidungen für die Zukunft
zu treffen.
({1})
Im Ressort des Innenministeriums haben wir durch
kluge und zukunftsweisende Entscheidungen 50 Stellen
mehr ausgebracht. Damit soll dem Innenministerium ermöglicht werden, schon jetzt Fachkräfte einzustellen,
und zwar vor dem Hintergrund, dass in den Jahren 2017,
2018 und 2019 ein großer Ausstand von Kolleginnen
und Kollegen zu verzeichnen sein wird, die dann in den
Ruhestand gehen.
Deshalb betone ich nochmals: Diese strategische
Schwerpunktsetzung mit dem Ziel einer klugen fachpolitischen Ausrüstung unserer Behörden ist eine richtige
Maßnahme. Das ist nicht nur im Innenressort so, aber
eben auch dort. Darüber freue ich mich sehr.
In den Haushaltsberatungen haben wir 2 Millionen
Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt - und damit wiederum den Ansatz von 2012 bestätigt - für die ehrenamtliche Arbeit der Menschen in unserer Gesellschaft, die
im Technischen Hilfswerk Verantwortung übernehmen
und dort ihre Arbeit einbringen. Ich freue mich sehr darüber, dass es gelingen konnte, hier ein entsprechendes
Signal zu setzen.
({2})
Der Kollege Danckert hat das Thema Bundespolizei
angesprochen. Es ist uns gelungen, über die Ausstattung
im Regierungsentwurf hinaus im Bereich der technischen Ausstattung bzw. der Sachmittel noch einmal
15 Millionen Euro mehr
({3})
für innere Sicherheit, für die IT-Ausstattung und für die
unterschiedlichsten Maßnahmen bei der Bundespolizei
zur Verfügung zu stellen. Herr Kollege Danckert, ich
schätze Ihr Engagement für die Bundespolizei sehr.
({4})
- Andere natürlich auch.
({5})
Ich glaube, dass wir uns im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung für 2014 und die Folgejahre sehr um
die Sachmittelausstattung im Bereich der Bundespolizei
kümmern müssen. Mit der Aufstockung um 15 Millionen Euro haben wir jetzt aber erst einmal das richtige
Signal gesetzt.
Auch bei dem Thema der Polizeiobermeister befinden
wir uns auf dem richtigen Weg. Es geht um die Frage,
wie man es hinbekommen kann, dass diejenigen, die ihren Kopf dafür hinhalten, dass wir alle uns sicher fühlen
können, ein adäquates, also ein in Geld ausgedrücktes
Wertschätzungssignal unserer Gesellschaft erhalten.
Diese Initiative der Bundesregierung ist übrigens einmal
von Otto Schily ausgegangen.
({6})
- Davon zehren wir nicht, sondern wenn es einmal eine
kluge Maßnahme gegeben hat, dann haben wir sie auch
weitergeführt. In diesem Fall ist es einmal so. Die zehnte
Jahresrate hat der Bundesminister Friedrich jetzt eingesetzt, um im Bereich des mittleren Dienstes etwas für die
Bundespolizei zu tun. Das finde ich sehr positiv.
({7})
Wir haben im Bereich der Minderheiten einen
Schwerpunkt gesetzt, mit kleinen Beträgen, die für diese
Volksgruppen aber wichtig sind und dort ankommen.
Wir haben zum einen der Volksgruppe der Sorben einen
Zuschuss von 350 000 Euro gewährt. Das ist für uns
Haushälter kein großer Betrag; aber er sichert die Weitergabe der kulturellen Identität der Volksgruppe der
Sorben. Wir haben auch etwas für die deutsche Minderheit in Dänemark getan.
Wir haben im Bereich der Integrationsmittel
({8})
den Ansatz der Bundesregierung in Höhe von 240 Millionen Euro zum einen flexibilisiert, indem wir gesagt
haben: Im Bereich der Integrationskurse können 10 Millionen Euro draufgesattelt werden.
({9})
Zum anderen haben wir, nachdem wir festgestellt haben,
dass die Mittel in den letzten Jahren zunehmend nicht
mehr abgeflossen sind, beschlossen, die Haushaltsansätze anzupassen.
({10})
Im Bereich der Bezahlung der Lehrkräfte haben wir die
von der Regierung in Angriff genommene Erhöhung der
Honorare mitgetragen;
({11})
das sehen wir sehr positiv. Hier gibt es einen Mehraufwand von 20 Millionen Euro. Auch das ist ein richtiges
Signal. Jeder, der in Deutschland einen Integrationskurs
belegen möchte und dazu berechtigt ist, der bekommt einen Integrationskurs auf hohem Niveau. Darauf können
wir alle hier stolz sein; wir können uns darüber freuen,
dass das in unserem Land gelingt.
({12})
Meine Damen und Herren, ich möchte meine Rede
mit einem Dank abschließen: mit einem Dank an die
Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstatter für die
gute Zusammenarbeit, vor allen Dingen mit einem Dank
an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium.
Ich habe jeden einzelnen Mitarbeiter, mit dem ich mich
in der letzten Zeit in Verbindung gesetzt habe und den
ich hier oder da um eine Einschätzung gebeten habe, als
äußerst engagiert, an der Sache orientiert und interessiert
kennengelernt. Da wir so gute Leute im Ministerium haben, angefangen beim Minister, können wir unsere erfolgreiche Politik weiterführen.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Vogelsang. - Sie haben
gesehen: Während Ihrer Rede sind doch noch einige Besucherinnen und Besucher gekommen.
({0})
- Das Protokoll hat die einzelnen Kommentare, die in
den Fraktionen unterschiedlich waren, aufgenommen.
Nächster Redner ist unser Kollege Steffen Bockhahn
für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Herr Kollege
Bockhahn.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogelsang, Ihre Rede endete
im Wesentlichen mit dem Thema der Integrationskurse
und der Kürzungen, die da vorgenommen worden sind.
Es mag nicht überraschen, aber wir sehen das ein bisschen anders als Sie.
({0})
Ich kann mich sehr genau an die Haushaltsberatungen
für 2010 erinnern. Da wurde die Idee vorgestellt, die
Struktur der Kurse ein bisschen zu verändern und mehr
Ganztagskurse einzurichten. Wir haben sehr intensiv darüber gesprochen, wie man dann das Umfeld gestalten
müsse. Denn wenn man möchte, dass auch eine Migrantin, die Mutter ist, an einem Sprachkurs oder Integrationskurs teilnimmt, muss man sich natürlich Gedanken
darüber machen, wo das Kind bleibt, während die Mutter
im Integrationskurs ist, wahlweise der Vater, wenngleich
das eher selten der Fall ist. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen. Was war das Ergebnis? Es ist gar
nichts passiert. Sie haben zwar die Ganztagskurse zur
Regel gemacht, aber sich blöderweise nicht um die Kinderbetreuung gekümmert. Das wiederum hatte zur
Folge, dass weniger Frauen und Männer diese Kurse in
Anspruch genommen haben. Es ist leicht verständlich,
dass die Mittel nicht abfließen, wenn weniger Leute in
den Kursen sind. Sie betreiben da eine falsche Politik,
die der Integration nicht förderlich ist.
({1})
Sie machen da noch viele andere Sachen. Beispielsweise planen Sie, 2013 Mittel für die Projektförderung
in Höhe von 10 Millionen Euro anders zu verwenden.
Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass diese 10 Millionen Euro eigentlich für etwas anderes gedacht waren,
nämlich für eine erweiterte Sprachförderung über das
Niveau B 1 hinaus, beispielsweise für Qualifizierte oder
Hochqualifizierte, um ihnen eine noch bessere Möglichkeit zur Integration in unsere Gesellschaft zu geben. Das
alles lassen Sie einfach wegfallen. Das ist schlicht und
ergreifend nicht ehrlich.
Noch absurder wird es, wenn wir uns anschauen, was
Sie mit den Einsparungen machen, die durch die geringere Inanspruchnahme von Integrationskursen entstanden sind. Sie nutzen dieses Geld nämlich nicht etwa, um
an anderer Stelle im Bereich der Integration Sinnvolles
zu tun, sondern Sie benutzen es als Puffer, um Mehrausgaben in anderen Bereichen, vorzugsweise bei der Bundespolizei etc., auszugleichen. Bestimmte Bereiche Ihres
Haushalts sind unterfinanziert - Sie wissen das -, und
ausgerechnet aus den nicht ausgeschöpften Mitteln für
Integrationskurse haben Sie einen Puffer geschaffen, mit
dem Sie andere Vorhaben querfinanzieren wollen. Das
ist unredlich, aber das ist Ihre Art der Haushaltspolitik.
({2})
Schauen wir uns an, wie sich der Haushalt in seiner
Struktur verändert hat. Man kann feststellen, dass er sich
wenig verändert hat, dass im Prinzip alles gleich geblieben ist. Sie schaffen Kompetenzzentren, Gemeinsame
Abwehrzentren. Sie verknüpfen das eine mit dem anderen, ohne zu überlegen, ob das sinnvoll ist oder nicht Hauptsache Aktionismus, und davon ganz viel. Sie
schaffen viele neue Stellen in den vermeintlichen Sicherheitsbereichen, lassen aber das, was zwingend notwendig ist, nämlich die Präsenz in der Fläche, komplett außen vor.
({3})
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Das Bundeskriminalamt hat in den letzten zehn Jahren allein im Rahmen der sogenannten Terrorismusbekämpfung und der
Stärkung der inneren Sicherheit zusätzlich 166 Millionen Euro und 732 Stellen bekommen, während in anderen Bereichen stetig Personal abgebaut werden musste.
Ich kann allerdings nicht erkennen, dass der Erfolg so
grandios war, dass ein solcher Zuwachs zu rechtfertigen
gewesen wäre. Wir haben schon viel darüber gesprochen, welche Defizite es bei der Bundespolizei in der
Fläche gibt. Wenn Sie also die Sicherheitsbehörden in
ihrer täglichen Aufgabe stärken wollen, dann sorgen Sie
bitte dafür, dass die Polizei sichtbar ist, und nicht dafür,
dass irgendwelche Leute, die in Hinterzimmern irgendwelche Sachen machen - darüber will ich gleich noch
sprechen -, gestärkt werden. Das ist der falsche Weg.
({4})
Die Sache, über die ich noch sprechen wollte, ist Ihr
Wahn zur Onlineüberwachung und - ich kann das nicht
anders sagen - zur Bespitzelung der Bevölkerung in einer Art und Weise, die wirklich jedes Maß verloren hat.
({5})
Wenn Sie sich anschauen, was Ihre Regierung in Fortsetzung der Vorgängerregierung im Bereich der Onlineüberwachung gemacht hat, dann kann einem wirklich
gruselig werden, Beispiel: der Staatstrojaner.
Wie gehen Sie vor? Sie geben einer privaten Firma
den Auftrag, eine solche Schnüffelsoftware zu entwickeln. Diese private Firma wird also mit Steuergeld bezahlt. Sie benutzen die Software nicht einmal selber,
sondern lassen auch das die private Firma machen. Die
Bespitzelung von Leuten und das Ausspähen von Kommunikationsdaten übernimmt eine private Firma. Sie
nehmen sich noch nicht einmal das Recht, in den Quellcode der verwendeten Software hineinzuschauen. Weder
dem Datenschutzbeauftragten noch dem Innenministerium war der Zugriff möglich. Was ist daran transparent?
Ist das eine angemessene Sicherheitspolitik? Das ist einfach nur Wahnsinn, und es ist nicht besonders schlau,
was Sie da machen.
({6})
Diese Software verstößt gegen das Grundgesetz; das
haben wir inzwischen schriftlich bekommen. Was machen Sie? Sie lassen die Software weiterentwickeln, statt
sich Gedanken darüber zu machen, ob man sie vielleicht
nicht selber entwickeln könnte, wenn man schon meint,
dass sie sein müsse. Wir sehen das anders.
Folgende Maßnahme schlägt allerdings dem Fass den
Boden aus: Sie sichern sich nicht einmal exklusiv die
Rechte an dieser Software. Sie lassen zu, dass ein privates Unternehmen eine Software, die über das rechtlich
Zulässige in Deutschland hinausgeht, weiterverkaufen
darf. Eine auf Staatskosten entwickelte Software wird
von einem Privatunternehmen weiterverkauft. Der Profit
bleibt bei dem privaten Unternehmen. An wen wird die
Software verkauft? An die Diktaturen im arabischen
Raum, um dort die Opposition auszuspionieren und zu
bespitzeln. Wenn das Ihre Form der Zusammenarbeit zur
Stärkung der Sicherheitsapparate ist, dann haben Sie ein
eigenartiges Verständnis von Demokratieförderung;
denn beides passt definitiv nicht zusammen.
({7})
Es ist hochgradig interessant, wie Sie weiterhin mit
dem Bundesamt für Verfassungsschutz verfahren. Leider
darf man darüber nicht so viel sagen,
({8})
weil das alles geheim ist; so viel zur transparenten Kontrolle von Geheimdiensten durch Parlamente.
({9})
Das ist eine schöne Geschichte, an die aber weder ich
noch meine Partei glauben. Deswegen sind wir für die
Abschaffung des Bundesamts und auch der Landesämter
für Verfassungsschutz. Das ist Ihnen nicht neu.
Das Interessante ist - so viel kann man sagen -, dass
auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Stärkung der Prävention von Rechtsextremismus vorgenommen werden soll. Das ist im Grunde zu begrüßen. Zu den
einzelnen Maßnahmen kann man nur sagen: Es ist fragwürdig, ob sie tatsächlich helfen werden. Immerhin haben Sie ein neues Gemeinsames Abwehrzentrum, in dem
die Verfassungsschutzämter und die Polizei weiter miteinander vernetzt werden. Ob das dem Trennungsgebot
noch entspricht, darüber darf man unterschiedlicher
Meinung sein.
({10})
Wir fordern die Abschaffung des Bundesamtes für
Verfassungsschutz. Vor allen Dingen aber fordern wir
ein Ende der Bespitzelung unserer Partei und unserer
Fraktion. Sparen Sie sich das Geld, und nutzen Sie es für
etwas Sinnvolles.
Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen, meine Damen
und Herren, noch den, wie ich meine, politischsten, den
umstrittensten, den unglaublich wichtigen Antrag zu diesem Einzelplan vorstellen. Dabei geht es um 2 Millionen
Euro mehr für das Technische Hilfswerk, die dringend
gebraucht werden, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen,
damit sich Leute freiwillig für die Mitarbeit beim THW
melden. Das unterstützen wir, glaube ich, alle deutlich.
Ich sehe ein, dass das ein so kritischer Punkt ist, dass
man da nicht fraktionsübergreifend agieren kann. Fürs
Protokoll möchte ich nur festgehalten wissen: Auch die
Linke war dafür, wenngleich Sie der Auffassung waren,
dass die Linke nicht mit auf so einem Antrag stehen darf.
Aber das ist Ihre „undogmatische“ Art der Haushaltspolitik und Ihre „undogmatische“ Art der Innenpolitik.
Wir waren offen für praktische Vorschläge. Wenn Sie
das nicht können, dann ist das Ihr Problem.
({11})
Vielen Dank, Kollege Steffen Bockhahn. - Nächste
Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
FDP unsere Kollegin Frau Gisela Piltz. Bitte schön, Kollegin Gisela Piltz.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
In diesem Monat jährt sich die Aufdeckung des rechtsextremen NSU-Trios. Seit einem Jahr wird nun aufgearbeitet, was sicherlich nicht nur meiner Fraktion unfassbar erschien, dass in Deutschland über Jahre hinweg
Rechtsradikale Morde begehen und Banken ausrauben
konnten und es niemand bemerkt hat. Die Generalbundesanwaltschaft hat in der letzten Woche Anklage erhoben - das ist auch gut so.
Die politische Aufarbeitung beschäftigt den Bundestag und viele Landtage. Sie läuft auf Hochtouren. Dabei
wird auch offenbar, wo in den vergangenen Jahren die
Fehler gelegen haben: darin nämlich, dass die Sicherheitsbehörden nicht gut genug zusammengearbeitet haben. Sicherlich ist nicht zu leugnen, dass es Behördenegoismen gegeben hat - in den Ländern, aber sicherlich
auch im Bund. Seit vielen Jahren fordern wir daher eine
Reform bzw. eine Neuordnung der Sicherheitsarchitektur, mit der der Föderalismus nicht aufgegeben wird,
sondern mit welcher die Zusammenarbeit verbessert
wird, eine Reform, die Behördenkompetenzen klar abgrenzbar macht, die Verwischung von Zuständigkeiten
beendet, eine Reform, die aber auch das Trennungsgebot
achtet und es zugleich ermöglicht, dass dort, wo es schon
nach geltendem Recht geboten wäre, Ermittlungen abgegeben werden. Mit dieser Reform soll Kooperation statt
Egoismus einfordert werden. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Es ist gut, dass nun endlich eine Regierungskommission ihre Arbeit aufnimmt. Aus unserer Sicht aber - insoweit muss ich Wasser in den Wein gießen - ist das
nicht der richtige Weg - ohne dass vorher mit den Ländern und dem Bundestag gesprochen worden ist -, ein
neues Zentrum auf den Weg zu bringen.
({0})
Am Ende des Tages muss man sich fragen, welche
Aufgaben all diese Zentren noch haben. Für uns ist es
wichtig, dass das Trennungsgebot geachtet wird und
dass Zusammenarbeit stattfindet. Wenn wir aus allem,
was wir bisher gehört haben, etwas gelernt haben, dann,
dass wir bessere Zusammenarbeit und bessere Kommunikation brauchen. Alleingänge sind aus unserer Sicht,
ehrlich gesagt, nicht der richtige Weg; denn Kommunikation ist - weder unter den Ländern noch zwischen
Ländern und Bund - keine Einbahnstraße.
({1})
Es ist schon gesagt worden: Mehr Mittel erhält auch
die Bundespolizei. Das ist sicherlich sinnvoll.
({2})
Nicht nur steigert sich der Etatansatz um die Erhöhung
der Beamtenbesoldung - das ist selbstverständlich; wir
zahlen ja auch das Weihnachtsgeld wieder; auch das
muss man hier vielleicht sagen -,
({3})
sondern es kommen noch 15 Millionen Euro für dringend benötigte Anschaffungen hinzu.
({4})
- Sie sagen „nur“. Ich kann mich erinnern, dass, als ich
mit über den Einzelplan 06 verhandelt habe, von Ihnen
auch nicht mehr Geld draufgelegt wurde. Angesichts
dessen sind die 15 Millionen Euro schon ein dicker Batzen. Sie haben das nicht hinbekommen, aber wir.
({5})
Man muss das hier der Ehrlichkeit halber auch einmal
sagen. Es ist immer leicht, sich in der Opposition hinzustellen und zu sagen: Es muss mehr Geld geben. - Wenn
man regiert, kommt es darauf an. Wir geben 15 Millionen Euro mehr, und das ist auch dringend notwendig.
Es ist ebenfalls gut, dass die Bundeszentrale für politische Bildung mehr Geld für die Bekämpfung des Extremismus bekommt; denn das, worüber wir hier sprechen und was wir aufarbeiten, welche Konsequenzen wir
daraus für die Sicherheitsarchitektur ziehen, ist eine Sache. Es muss aber auch mehr Geld für die Sensibilisierung von Lehrerinnen und Lehrern und für Projektarbeit
geben. Deshalb ist es gut, dass wir hier Geld ausgeben,
damit diese rechten Rattenfänger nicht mehr Erfolg haben.
Gestaltungskraft haben wir auch bei der Stiftung Datenschutz bewiesen. Wir haben hier noch einmal einen
Zuschuss des Bundes verankern können. Es ist interessant, dass die Kollegen von der SPD und insbesondere
von den Grünen das mit dem Sparen offensichtlich
falsch verstanden haben. Denn es ist eine Sache, dass Sie
an Anwesenheit bei der Stiftung Datenschutz sparen; es
ist eine andere Sache, dass Sie in Nordrhein-Westfalen
dasselbe fordern, was die Stiftung Datenschutz leisten
soll, nämlich ein Gütesiegel, das unter Einbeziehung von
Wirtschaft, Politik und Datenschützern erarbeitet werden
soll, obwohl Sie es hier, in Berlin, verurteilen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD und insbesondere von den Grünen, jeder merkt, wenn die Politik in
Berlin anders aussieht als in Düsseldorf. Damit sind Sie
auf dem Holzweg. Das funktioniert nicht. Das merkt
auch der Letzte. Ich kann Sie nur auffordern, im Sinne
des Datenschutzes mit uns zusammenzuarbeiten.
({6})
Mein letzter Punkt ist der Sport - das Schönste zum
Schluss -: Sport ist am schönsten, wenn er sauber ist.
Deshalb ist es gut, dass es auch in diesem Jahr wieder
1 Millionen Euro mehr für die NADA gibt. Auf der Zielgeraden - um im sportlichen Bild zu bleiben - gibt es
auch mehr Geld für den Leistungssport. Ich glaube, das
ist ein richtiges Zeichen, insbesondere nach so tollen
Olympischen Spielen wie in diesem Jahr.
Unsere Leistung, die Leistung dieser Koalition ist es,
einen Haushalt vorzulegen, der bei aller gebotenen Sparsamkeit die richtigen Akzente setzt. Das haben wir hinbekommen, ganz ohne Finanzspritzen, um beim Bild des
Sportes zu bleiben; denn wir können sparen, und das
wollen wir auch.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Gisela Piltz. - Nächste
Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katja
Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich grüße ausdrücklich auch die weltweite Netzgemeinde vor dem Livestream.
({0})
An die Adresse unserer Kollegin Gisela Piltz gerichtet,
sage ich: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht.
({1})
Insofern unterscheidet sich die Stiftung Datenschutz, die
hier in Berlin auf den Weg gebracht wird, von dem, was
wir in Nordrhein-Westfalen machen.
({2})
Als Grüne sind wir überzeugt: Die Stärke unserer Gesellschaft lässt sich ablesen am Umgang mit Schwächeren, mit Menschen, die Unterstützung brauchen. Warum
sage ich das hier und nicht in einer Rede zum Sozialetat?
Weil es hier natürlich auch um die Flüchtlinge, um die
Asylsuchenden geht, die bei uns Schutz suchen und um
die wir uns besonders bemühen sollten.
Hier gibt es offensichtlich einen großen Graben zwischen den Regierungsfraktionen, ihrem Innenminister
und uns. Am 24. Oktober 2012 wurde einen Steinwurf
von hier das Mahnmal für die ermordeten Sinti und
Roma eingeweiht. Einen Tag später hatte der Innenminister nichts Besseres zu tun, als angesichts der gestiegenen Zahl von Asylanträgen von Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien diesen Menschen Asylmissbrauch
vorzuwerfen,
({3})
Menschen, die in ihren Herkunftsländern durch Verfolgung und Rassismus bedroht sind. Bei ihnen handelt es
sich mehrheitlich um Sinti und Roma. Ich finde ein solches Verhalten absolut unwürdig. Ich hoffe, dass das
kein Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf im
kommenden Jahr ist.
({4})
Der Innenminister konnte das sogar noch toppen. Er
kündigte an, dass die Asylsuchenden aus Serbien und
Mazedonien eine reduzierte Barleistung auf der Grundlage einer Ausnahmeregelung im Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sollen. Auch diesen Vorschlag halte
ich für völlig inakzeptabel.
({5})
Richtig und notwendig wäre es, das Asylbewerberleistungsgesetz in Gänze abzuschaffen.
({6})
Es ist verfassungswidrig. Das ist klar festgestellt worden.
({7})
Selbstverständlich müssen Menschen, die bei uns Schutz
suchen, ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben. Ich erwarte, dass die Bundesregierung
endlich bei der Überwindung des Asylbewerberleistungsgesetzes aktiv wird und nicht nach irgendwelchen
Schlupflöchern sucht, asylsuchenden Menschen, die zu
uns kommen, um Schutz zu finden, noch weniger Geld
auszuzahlen.
Direkt um die Ecke, vor dem Brandenburger Tor,
kämpfen und demonstrieren Flüchtlinge. Mit einem
Hungerstreik wollen sie auf ihre perspektivlose Lebenssituation aufmerksam machen. Ich halte den Protest gegen die aktuellen Asylregelungen für völlig berechtigt.
Neben dem Asylbewerberleistungsgesetz gehört auch
die Residenzpflicht abgeschafft. Auch diese Menschen
brauchen endlich Zugang zum Arbeitsmarkt.
({8})
Asylsuchende zu diffamieren, ist völlig daneben.
({9})
In Integration zu investieren, ist richtig. Bei den Integrationskursen hätte der Innenminister in diesem Jahr sogar
große Spielräume gehabt. Im letzten Jahr - das ist schon
gesagt worden - sind die Gelder nicht vollständig abgeflossen. Aber das darf doch gerade kein Anlass sein, die
Mittel für die Integrationskurse zu kürzen. Genau das hat
die schwarz-gelbe Bundesregierung aber faktisch getan.
({10})
Es ist absolut überfällig - das hätte man aus den vorhandenen Mitteln finanzieren können -, die Honorare
der Lehrkräfte von Integrationskursen endlich deutlich
zu erhöhen. Die jetzige Erhöhung, die hier von Frau
Vogelsang als großartig verkündet worden ist, ist mickrig. Von den derzeitigen Honorarsätzen - auch nach dieser mickrigen Erhöhung - können die Lehrkräfte nicht
anständig leben. Fakt ist, dass viele von ihnen prekär beschäftigt sind. Deshalb plädieren wir Grüne für eine
Mindestvergütung von 30 Euro pro Stunde. Das ist auch
haushälterisch absolut gut darstellbar.
({11})
Wichtig wäre auch, den Kreis der Teilnahmeberechtigten bei den Integrationskursen auf Asylantragstellerinnen
und Asylantragsteller sowie auf erwachsene Geduldete
auszuweiten. Das fordert nicht nur die 7. Integrationsministerkonferenz, sondern auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Wir sollten gemeinsam mehr
für Integration tun. Das ist der richtige Weg in unserer
multikulturellen Gesellschaft.
Wir alle sind geschockt über die Mordserie des NSU
und über das Versagen der Sicherheitsarchitektur. Ich
bin, ehrlich gesagt, auch darüber geschockt, wie wichtige Entscheidungsträger weiterhin nicht bereit sind, ihre
problematische Rolle in diesem Zusammenhang zu reflektieren.
({12})
Ich bin hochgradig alarmiert, dass eine aktuelle Studie
der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Ergebnis kommt,
dass rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft
wieder auf dem Vormarsch ist. Rechtsextremismus beginnt bekanntlich im Kopf. Hier muss der Kampf gegen
rechts ansetzen. Hierzu leistet die Bundeszentrale für
politische Bildung einen entscheidenden Beitrag. Deshalb ist es richtig, dass die Mittel für die Bundeszentrale
für das kommende Jahr um 2 Millionen Euro aufgestockt
werden. Aber - auch das will ich sagen - diese Mittel sind
für neue und zusätzliche Projekte gebunden. Deshalb halten wir Grünen an der Forderung fest, dass die Kürzungen
der Mittel für die Bundeszentrale, die in den vergangenen
Jahren vollzogen worden sind, wieder rückgängig gemacht werden.
({13})
Ich komme zum Schluss. Zum Thema Sport hat unser
Hauptberichterstatter schon einiges Wichtiges gesagt.
Klar ist: Es kann in der Spitzensportförderung des Bundes so nicht weitergehen. Ich denke, dass die große Diskussion, die wir rund um Olympia im Zusammenhang
mit den Zielvereinbarungen hatten und die wir im Zusammenhang mit der Finanzierung der NADA haben,
zeigt, dass hier für die nächsten Haushaltsjahre ganz
große Aufgaben sind. Ich würde mir wünschen, dass wir
diese gemeinsam in Angriff nehmen.
Vielen Dank.
({14})
Wir danken, Frau Kollegin Katja Dörner. - Nächster
Redner für die Bundesregierung ist Bundesminister
Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Herr Bundesminister
Hans-Peter Friedrich.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte als Allererstes zu dem,
was die Kollegin Dörner zum Asylrecht gesagt hat, eine
Bemerkung machen: Es gibt kein Land auf der Welt, das
in vergleichbarer Weise großzügig ist bei der Aufnahme
von Menschen, die - egal wo auf der Welt - verfolgt
werden und Schutz und Hilfe brauchen. Wir sind das
Land, das immer bereit ist, diese Menschen aufzunehmen. Aber wir können sie nur dann aufnehmen, wenn
unsere Kapazitäten nicht überlaufen durch die, die nie
einen Anspruch haben oder erhalten werden, hier im
Land zu bleiben.
({0})
Deswegen sage ich Ihnen: Natürlich weiß ich, dass es
auch Menschen in Serbien und in Mazedonien schlecht
geht. Aber die Europäische Union stellt Millionen und
Abermillionen zur Verfügung, um diesen Menschen zu
helfen. Ich erwarte von den Regierungen in Serbien und
in Mazedonien, dass sie den Menschen diese Hilfe zukommen lassen. Das können wir in Europa auch verlangen. Unsere Kapazitäten müssen für diejenigen offengehalten werden, die verfolgt werden, die unter politischer
Verfolgung leiden. Wir haben hier bei uns Menschen aus
dem Iran, aus Afghanistan und aus dem Irak aufgenommen.
({1})
Herr Bundesminister.
Jetzt keine Zwischenfrage. - Wir stehen vor neuen
Problemen. Man weiß nicht, was in Syrien passieren
wird. Wir müssen auch in der Zukunft, wenn es neue Herausforderungen gibt, in der Lage sein, Hilfe zu leisten.
Deswegen ist es nicht in Ordnung, dass wir jetzt akzeptieren sollen, dass Wirtschaftsflüchtlinge, die natürlich
ein schlechteres Leben haben als wir - keine Frage -, zu
uns kommen. Vielmehr müssen wir denen in ihren Ländern helfen; denn wir brauchen die Kapazitäten und
Hilfsmöglichkeiten für diejenigen, die als politisch Verfolgte unsere Hilfe dringend brauchen.
({0})
Was den Haushalt betrifft, will ich zunächst ganz
herzlich den Berichterstattern danken, die sehr konstruktiv an diesem Haushalt mitgewirkt haben. Wir haben einen Entwurf vorgelegt, der an der einen oder anderen
Stelle nachjustiert wurde bzw. in dem umgeschichtet
wurde. Nicht alles, lieber Herr Kollege Danckert, was
auch ich mir gewünscht hätte, ist finanzierbar. Das ist in
Zeiten, in denen eine Schuldenbremse eingehalten werden muss und in denen uns ein Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, den wir optimal und effizient einsetzen müssen, eben nicht anders möglich.
Alle grundlegenden Weichenstellungen, die wir in
den letzten Jahren vorgenommen haben, laufen auf die
Modernisierung und die Steigerung der Effizienz unserer
Sicherheitsbehörden hinaus; das ist etwas, das sich wie
ein roter Faden durch diesen Haushalt, sofern er die Sicherheitsbehörden betrifft, zieht. Wir haben islamistische Terrorgefahr für unser Land; wir haben rechts- und
linksextremistische Gewaltgefahr in unserem Land.
({1})
Deswegen ist es notwendig, dass wir die Abwehrkraft
dieses Staates gegen kriminelle Angriffe stärken.
({2})
Notwendig ist auch, dass wir diese Abwehrkraft stärken,
indem wir die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden
verbessern, sie mit den neuen Möglichkeiten der Technologie unterstützen und die modernen Informationsund Kommunikationstechnologien einsetzen, um unsere
Behörden gegenüber Kriminellen und Angreifern von allen Seiten abwehrfähig zu machen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
haben wir im letzten Jahr die Antiterrorgesetze verlängert.
Deswegen haben wir als Reaktion auf die Herausforderung
des Rechtsextremismus, die durch den Rechtsterrorismus
im letzten Jahr deutlich geworden ist, ein Gemeinsames
Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auf die Beine
gestellt. Wir haben es um ein GETZ erweitert, das alle
Phänomenbereiche abdeckt und in dem sich die Sicherheitsbehörden allen Phänomenbereichen widmen können. Wir ergänzen dies durch ein Gemeinsames Internetzentrum, in dem insbesondere die Gefahren durch die
Propaganda von Extremisten, die im Netz vor allem jungen Leuten drohen, analysiert werden.
Wir haben, um all das zu unterstützen, eine Rechtsextremismusdatei auf den Weg gebracht, die die Sicherheitsbehörden, Polizeien und Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, in die Lage versetzt, einen
Überblick über Gewalttäter und Extremisten im rechtsextremistischen Bereich im ganzen Land zu bekommen.
Das ist dringend notwendig, und das ist die richtige Antwort auf die NSU-Mordserie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus haben wir eine Visawarndatei eingeführt. Sie soll
sicherstellen, dass Personen, die sich in unserem Land
aufhalten wollen, mit denjenigen, die in den Antiterrordateien aufgeführt sind, abgeglichen werden.
Gestern haben wir ein Nationales Waffenregister auf
den Weg gebracht. Damit gewährleisten wir, dass die für
Waffen zuständigen Behörden in den Kommunen und in
den Ländern einen Überblick über die registrierten legalen Waffen haben; diese gelangen nämlich häufig in den
Untergrund, also in die Illegalität. Deswegen ist dieses
Nationale Waffenregister von entscheidender Bedeutung.
Es geht also nicht nur darum, eine Vernetzung zwischen den Behörden auf Bundesebene herzustellen, sondern auch darum, eine Vernetzung mit den Ländern und
Kommunen zu schaffen; das ist, glaube ich, der richtige
Weg.
Ich werde heute und morgen in London mit den Kollegen der G 6, der großen Länder in Europa, auch darüber sprechen, wie wir darüber hinaus die europäischen
Grenzen besser sichern können. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein freiheitliches Europa
ohne Grenzen macht es erforderlich, dass wir unsere
Grenzen unter Anwendung modernster Möglichkeiten so
überwachen, dass wir in der Lage sind, herauszufinden,
wer eigentlich zu uns kommt bzw. welche Elemente sich
von wo auch immer auf der Welt zu uns bewegen.
Die Behörden zu modernisieren und die Behörden zu
vernetzen, bedeutet aber auch, jede Behörde für sich zu
modernisieren. Lieber Kollege Bockhahn,
({3})
ich frage mich: Wen wollen Sie eigentlich schützen?
({4})
Noch gestern wurde mir - auch von Ihnen, aus dem linken Lager - vorgeworfen, es gebe so viele illegale Waffen in diesem Land.
({5})
Wenn das BKA und andere Sicherheitsbehörden aber gegen illegale Waffenhändler vorgehen wollen, indem sie
auf richterliche Anordnung zum Beispiel im Bereich der
organisierten Kriminalität mit Abhörsoftware Personen
überwachen, dann kommen Sie daher und reden von Bespitzelung. Wir führen einen Kampf gegen organisierte
Kriminalität, weltweit. Deswegen muss auch das BKA
in der Lage sein, sich entsprechend auszurüsten und entsprechend tätig zu werden.
({6})
Meine Damen und Herren, wir stärken ein weiteres
Mal die Bundespolizei. Das Attraktivitätsprogramm ist
bereits genannt worden: 635 Stellen werden aus dem
mittleren Dienst in den gehobenen Dienst überführt. DaBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
durch erhöhen wir die Anziehungskraft unserer Bundespolizei weiter. Wir haben den Anteil des gehobenen
Dienstes am Personalkörper inzwischen auf 40 Prozent
verdoppelt. Ich glaube, das kann sich sehen lassen.
Kollege Danckert, erst im letzten Jahr sind die Spielräume - die Obergrenzen, die in der Verordnung vorgesehen sind - im Haushaltsausschuss voll ausgereizt worden. Ich werde mich bemühen - aber ich weiß, dass das
im Rahmen von finanziell begrenzten Möglichkeiten geschieht -, dass die Obergrenzen in der Stellenobergrenzenverordnung im nächsten Haushalt angehoben werden. Darüber werden wir beim nächsten Haushalt reden.
Zum Thema „Obermeisterbauch“: In den letzten drei
Jahren sind bei den immerhin über 40 000 Bundespolizisten gerade einmal 9 nur mit A 8 in Pension gegangen.
Der „Obermeisterbauch“ ist also eine etwas überzeichnete, überspitzte Darstellung des Problems, dass wir natürlich nur eine begrenzte Zahl an A-9-Stellen zur Verfügung haben. Aber auch da sind wir auf einem guten
Weg. Ich bin, wie gesagt, gerne bereit - auch im Hinblick auf die Aufstellung des nächsten Haushalts -, darüber zu reden, wie wir auch in diesem Bereich Entspannung und Entlastung schaffen und die Attraktivität der
Bundespolizei weiter steigern können.
Es ist wichtig, dass wir die Polizei mit entsprechender
Informations- und Kommunikationstechnologie ausstatten. Ich bin sehr dankbar, dass nicht nur die 33 Millionen
Euro dazukommen, die wir ohnehin als Steigerung vorgesehen hatten, sondern der Haushaltsausschuss darüber
hinaus - ich bedanke mich bei denen, die das auf den
Weg gebracht haben - zusätzliche 15 Millionen Euro für
die Bundespolizei aus dem Bereich Integrationskurse zur
Verfügung stellt. Denn der Nachholbedarf früherer Jahre
bei den Integrationskursen ist abgearbeitet, und die Zahl
der Teilnehmer sinkt jetzt. Gleichwohl haben wir einen
Teil des frei werdenden Geldes dazu verwendet, die
Vergütung der Lehrer zu erhöhen. Dafür werden über
20 Millionen Euro eingesetzt. Ich glaube, das ist der
richtige Weg.
({7})
Ich bin sehr dankbar, dass man sich fraktionsübergreifend dafür ausgesprochen hat, die Mittel für das THW
- diejenigen, die mit ehrenamtlichen Kräften einen hervorragenden Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit unserer Zivilbevölkerung leisten und bei internationalen
Einsätzen ein wunderbares Aushängeschild unseres Landes sind - um 2 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist notwendig und sinnvoll; denn es muss Werbung gemacht
werden: Auch das THW ist darauf angewiesen, Nachwuchs zu gewinnen.
({8})
Der Sport ist genannt worden. Bei der Finanzierung
der NADA werden wir in der Zukunft noch besser werden müssen; aber wenn ich darauf hinweisen darf: Da
haben die Länder auch Nachholbedarf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein großes
und wichtiges Kapitel, dem sich das Bundesinnenministerium zu widmen hat, ist der demografische Wandel.
Hier sind die neuen Länder mit ihrer Innovationskraft
und ihrer Flexibilität vorbildlich. Wir wissen, dass man
das finanziell unterlegen muss.
({9})
Der Solidarpakt II steht bis 2019; das ist überhaupt keine
Frage. Darüber hinaus werden wir, auch was die EUFörderung angeht, hoffentlich eine gute und vernünftige
Anschlussfinanzierung in Brüssel durchsetzen können.
Insgesamt ist der Haushalt des Bundesinnenministeriums, wie ich denke, ein Haushalt, in dem Sparsamkeit,
Effizienz und Zukunftsorientierung an die Spitze gestellt
werden. Dafür darf ich mich bei allen, die daran mitgewirkt haben, noch einmal ganz herzlich bedanken.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter
Friedrich. - Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention
unsere Kollegin Frau Britta Haßelmann.
({0})
Reicht es jetzt mit den Zwischenbemerkungen? Danke. - Herr Präsident, vielen Dank. - Da der Innenminister keine Frage zugelassen hat, möchte ich die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen.
Herr Friedrich, ich finde es ziemlich unverantwortlich, wie Sie damit umgehen, öffentlich den Eindruck zu
erwecken, wir hätten eine Riesenanzahl von Menschen,
die hier Asyl suchen, und von Asylanträgen, die bewilligt werden. Sie sprechen davon, es gebe keine Kapazitäten zur Aufnahme usw.
Ich habe die Erwartung an Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages, dass Sie vor dem Hintergrund der
geringen Anzahl von Asylbewilligungen damit aufhören, öffentlich den Eindruck zu schüren, als würden wir
über massenhafte Asylbegehren reden. Ich finde das
ziemlich unverantwortlich.
({0})
Die Frage der Sinti und Roma muss an Sie gestellt
werden. Ich frage Sie, inwieweit Sie auf der europäischen Innenministerebene bisher auch nur ein einziges
Mal Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen
und die Lebenssituation von Roma thematisiert haben.
Damit treten Sie zumindest öffentlich nicht in Erscheinung. Öffentlich heißt es nur: Es gibt für sie keine Veranlassung, hier zu sein. - Das Stichwort „Wirtschaftsflüchtlinge“ haben Sie gerade in den Mund genommen.
Von Ihnen würden wir gerne wissen: Was tun Sie auf
europäischer Ebene, um die bestehenden Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen Sinti
und Roma endlich einmal zu thematisieren? Da ist doch
bisher Fehlanzeige.
({1})
Das Wort zur Antwort hat Herr Bundesminister
Dr. Friedrich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass die Europäische Union circa 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt hat,
({0})
und zwar Heranführungsmittel unter anderem für Serbien und Mazedonien. Das sind Länder, die später einmal zur Europäischen Union gehören wollen. Damit sollen sie finanziell so ausgestattet werden, dass sie in der
Lage sind, ihren Menschen ein ordentliches Leben zu
gewährleisten.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwarten
von diesen Regierungen, die ihr Land eines Tages in die
Europäische Union führen wollen, dass sie ihre Menschen ordentlich behandeln. Wir haben das auch zum
Ausdruck gebracht.
({2})
Ich kann Ihnen sagen, was wir getan haben: Der
Staatssekretär hat die Botschafter einbestellt, hat mit ihnen darüber gesprochen und klargemacht, dass wir das
so nicht akzeptieren. Deswegen ist der richtige Weg,
dass wir sagen: Wir in Europa erwarten von den Regierungen, dass sie ihre Menschen ordentlich behandeln.
({3})
Wir sind auch bereit, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu denen, die hierherkommen. Die Anerkennungsquote bei Asylbewerbern liegt
bei unter 1 Prozent. Das bedeutet, über 99 Prozent haben
nach unserem Asylrecht kein Recht, hier zu sein. Deswegen habe ich gesagt: Wir müssen die Asylverfahren - jeder Einzelne hat ein Recht auf ein ordnungsgemäßes
Asylverfahren - möglichst schnell durchführen, weil es
in der Vergangenheit Wartezeiten, Stau gab mit der Konsequenz, dass die Schlepperbanden in Mazedonien und
Serbien das nutzen konnten, indem sie den Leuten gesagt haben: Ihr könnt drei, vier, fünf Monate dort bleiben, bis euer Verfahren losgeht. Das dauert lange. Dann
könnt ihr zurückfahren. - Das haben wir abgestellt.
Ich habe dafür gesorgt, dass die Bundespolizei dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behilflich ist
und dass wir die Verfahren möglichst schnell und zügig
durchführen. Am Ende des Verfahrens steht entweder
eine Anerkennung als Asylbewerber - selbstverständlich
darf dann der Mensch mit allen Rechten hierbleiben -,
oder es steht eine Ablehnung. Dann muss er ausreisen.
Das ist unsere Rechtsordnung. Das sind die Gesetze, die
wir gemeinsam hier in diesem Hause verabschiedet haben. Ich sorge dafür, dass sie eingehalten werden.
({4})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Michael
Hartmann. Bitte schön, Kollege Michael Hartmann.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dieses Wortwechsels eben erlauben Sie mir
bitte, sehr geehrter Herr Minister, dass ich mit folgender
Bemerkung beginne: Ohne Frage, das, was die Länder
und auch die Kommunen, die die Flüchtlinge vorübergehend aufnehmen müssen, in besonderem Maße bedrückt,
ist ernst zu nehmen. Wenn man in Zeiten, in denen wir
die NSU-Mordserie aufarbeiten und gegen rechts kämpfen, seine Worte nicht sorgfältig wägt, sondern eine
„Das-Boot-ist-voll-Politik“-Rhetorik an den Tag legt,
bekämpft man zwar einerseits rechts, befördert andererseits aber die Stammtische, an denen genau jene Parolen
gepflegt werden.
({0})
Das ist nicht in Ordnung. Sie haben so manches von sich
gegeben, was nicht stimmig ist, wie vieles nicht stimmig
ist, Herr Minister, was Sie als Innenpolitik zu konstituieren versuchen.
Vor gut eineinhalb Jahren haben Sie nach dem
schmählichen Abgang Ihres unterfränkischen Kollegen
Guttenberg und dem Wechsel von Herrn de Maizière ins
Verteidigungsministerium Verantwortung für dieses Ressort übernommen. Seit dieser Zeit bemühen Sie sich um
einen Kompass; aber Sie finden ihn nicht. Die Innenpolitik in Deutschland - es tut mir leid, dass ich das trotz aller persönlichen Wertschätzung sagen muss - ist bei Ihnen in keinen guten Händen.
({1})
Das könnte uns als Opposition im Zweifelsfalle egal
sein. Das ist es aber nicht, weil wir hier durchaus in Verantwortung für die Stiftung und Bewahrung des innergesellschaftlichen Friedens in unserem Lande agieren.
Michael Hartmann ({2})
Deshalb haben wir auch dieser Regierung nie die Mitarbeit verweigert, zum Beispiel als es darum ging, das Abwehrzentrum gegen rechts und eine auch aus unserer
Sicht sinnvolle Verbunddatei einzurichten. Herr Minister, außer diesen beiden Dingen und der Wiedereinrichtung der Abteilung „Rechtsextremismus“ im Bundesamt
für Verfassungsschutz ist seither nichts Nennenswertes
geschehen. Das Agieren danach war alles andere als
glücklich und richtig. Es liegt zum Beispiel in Ihrer Verantwortung, Herr Minister, dass nach Bekanntwerden
der NSU-Mordserie das Schreddern der Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz nicht ausdrücklich untersagt wurde. Sie hätten sofort den Erlass herausgeben
müssen: Es wird kein Blatt Papier zu diesem Komplex
weggeworfen. - Das Gegenteil ist geschehen.
({3})
Außerdem haben Sie die Länder mehrfach und wiederholt ohne Not brüskiert. So fand beispielsweise im
Sommer mit Ihnen ein Pressehintergrundgespräch darüber statt, wie Sie sich die Zukunft des Verfassungsschutzes in Deutschland denken. Am nächsten Tag sind
Sie in die Innenministerkonferenz gegangen und haben
den dort Anwesenden gesagt, Sie wollten alle Dominanz
beim BfV - das sich ja nun wirklich nicht mit Ruhm bekleckert hat -, und sie sollten Handlanger werden. Das
war doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ohne
die Länder mit im Boot zu haben, sagen Sie jetzt einfach: Wir haben ein Abwehrzentrum gegen rechts eingerichtet; das holpert und ruckelt noch. Aber wenn wir
schon dabei sind, errichten wir gleich auch noch ein Abwehrzentrum gegen Linksextremismus, eines zur Spionageabwehr, eines gegen Ausländerextremismus usw. Sehr geehrter Herr Minister, wir dürfen nicht alles zusammenrühren. Wir brauchen für jeden Extremismusansatz eine eigene Bekämpfungsstrategie und keine überbordenden Zentren, die einfach so, ohne Beteiligung der
Länder, eingerichtet werden.
({4})
Es wäre auch verkürzt und falsch, bei der Behördenorganisation stehen zu bleiben, wenn es um die Aufarbeitung
der NSU-Mordserie geht. Es geht um viel mehr. Wir
müssen die Haltungen in den Sicherheitsbehörden verändern. Hierzu fehlt mir bis zum heutigen Tag ein klares
Wort von Ihnen. Stattdessen rührt man alles Mögliche
zusammen, was in der Tat und zu dieser Zeit nicht zusammengehört.
Herr Minister, lassen Sie mich noch eine Anmerkung
machen. Man hört so manches. Wenn ich Ihnen durchaus
in der Bereitschaft zur Mit- und Zusammenarbeit einen
Rat geben dürfte, dann würde er lauten: Versuchen Sie
nicht, die Ergebnisse der Werthebach-Kommission wieder aus der Kiste zu ziehen. Es geht nicht an, dass Bereiche des Bundeskriminalamts und der ohnehin geschundenen Bundespolizei, die gar nicht zusammengehören,
zusammengeführt werden sollen, nämlich die Bereiche
IT-Technik und Ausbildung. Die Bundespolizei und das
BKA müssen bei ihren Leisten bleiben. Alles andere
wird uns nicht bekommen.
({5})
Zumal haben Sie bei der Bundespolizei wahrhaftig
mehr gutzumachen als nur den Abbau des ObermeisterBauches. „Abbau des Obermeister-Bauches“ bedeutet
übrigens nicht, dass es ein Problem mit dem Gewicht
einzelner Polizeibeamtinnen und -beamten gibt. Es geht
hier um eine Truppe mit weit über 40 000 Personen im
mittleren Dienst, während in den Ländern bereits der gehobene Dienst zur Regel geworden ist.
Herr Minister, Sie haben im Sommer, einfach so, einen Enthauptungsschlag gegen die Spitzen der Bundespolizei geführt. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie mit denen nicht zurechtkommen und wenn Ihnen nicht passt,
was die tun, dann dürfen Sie das machen. Aber Sie haben bis zum heutigen Tage nicht ein Wort darüber verloren, wohin bei der Bundespolizei die Reise gehen soll.
Sie zerstören das Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis der Bundespolizei, indem Sie einen willfährigen Handlanger an die Stelle des bisherigen Präsidenten
gesetzt haben. Das ist nicht in Ordnung, und das hat
diese Truppe nicht verdient.
({6})
- Lieber Kollege Hartfrid Wolff, mir ist zu Ohren gekommen, dass der neue Präsident, außer sehr staatstragende Aussagen zu treffen - ohne Zweifel! -, nichts anderes zu tun hat, als der Bundespolizei, die im Moment
Mädchen für alles ist - sie überwacht den Bahnbetrieb;
sie leistet Auslandseinsätze; sie ist Bereitschaftspolizei;
sie begleitet an den Wochenenden Fußballspiele usw. -,
zu sagen: So ganz nebenbei könnt ihr auch noch Terrorbekämpfung machen. - Das ist keine kluge strategische
Ausrichtung. In einem Spiegel-Interview war außerdem
von ihm zu lesen: Die Bundespolizei hat kein Problem
mit dem Rassismus, weil das in den Dienstvorschriften
nicht vorgesehen ist. - Dazu sage ich: Ob das der geeignete Mann auf dieser Stelle ist, darf man zumindest hinterfragen.
({7})
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben wohlweislich
kein Wort zum Thema Vorratsdatenspeicherung gesagt;
vielleicht wird Ihre Kollegin im Justizressort dieses Versäumnis beseitigen. Ganz egal, wie man zu diesem
Thema steht, ob man nun dafür oder dagegen ist: Dass
Sie kein Wort darüber verlieren, während in Brüssel
Klage gegen uns eingereicht wurde und ein Vertragsverletzungsverfahren ansteht, ist ein Versagen des Bundesinnenministers.
({8})
Es wäre gut und richtig, wenn wir eine Innenpolitik
konstituieren würden, die weiß, dass unsere Sicherheitsbehörden dann gut sind, wenn sie alle Menschen und damit auch unsere Verfassung schützen. Es wäre gut, wenn
wir eine Innenpolitik konstituieren würden, die die Menschen durch Prävention auf Grundlage verlässlicher Sicherheitsanalysen stark macht. Es wäre gut, wenn wir
Michael Hartmann ({9})
eine Innenpolitik konstituieren würden, die es nicht länger zulässt, dass die NPD, geschützt durch das Parteienprivileg, durch das Brandenburger Tor marschiert, während wir all jenen, die von ihr bedroht werden, wie
jüngst in Hoyerswerda, sagen: Zieht doch von diesem
Ort weg! - Es ist eine Schande, dass solche Sätze ausgesprochen wurden und die NPD weiterhin geduldet wird.
Herr Minister, auch da wäre Eindeutigkeit das Beste,
was Sie leisten könnten.
({10})
Wir brauchen ein neues NPD-Verbotsverfahren.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Kollege Michael Hartmann. - Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Florian Toncar. Bitte schön, Kollege Dr. Toncar.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist natürlich immer
Anlass, über ein Politikfeld einmal ganz grundsätzlich
zu sprechen. Das ist richtig und gehört dazu. Aber ich
habe schon den Eindruck, dass jedenfalls dieser Haushalt nicht Anlass zu allergrößter Kritik bietet. Er enthält
Dinge, über die man sprechen kann. Aber ich sehe nicht,
dass wir hier sehr weit auseinander liegen. Ich glaube,
dass das auch berechtigt ist, weil wir bei diesem Haushalt wirklich gute Arbeit geleistet haben.
({0})
Wir als Koalition, aber gerade auch als FDP-Fraktion
sind der Meinung, dass innere Sicherheit ein wichtiges
Thema ist und dass unsere Behörden gut ausgestattet
sein müssen, damit sie Verdachtsmomenten nachgehen
können - und dies sind die Polizistinnen und Polizisten,
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden. Um sie haben wir uns mit diesem Haushalt gekümmert. Wir haben nicht nur mehr Geld für die
Besoldung der Beamten eingeplant - das macht in diesem Haushalt 138 Millionen Euro allein bei der Bundespolizei aus - und dafür gesorgt, dass wieder Weihnachtsgeld gezahlt wird. Nein, wir haben auch Ressourcen in
Höhe von 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und
zwar schon bei der Aufstellung des Haushalts, die das
Innenministerium in die Stärkung der inneren Sicherheit
investieren konnte, sodass man wirklich sagen kann:
Hier liegt unser Schwerpunkt der Investitionen. Für uns
als Liberale ist das deshalb erfreulich, weil wir glauben,
dass eine gute Ausstattung der Sicherheitsbehörden viel
wichtiger und effektiver für die Verbrechensbekämpfung
ist als immer neue Gesetze und Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
({1})
Wir konnten im Zuge der Haushaltsberatungen die
Ausstattung der Sicherheitsbehörden nochmals etwas
verbessern und weitere 15 Millionen Euro in diesen Bereich umschichten. Damit werden einige sehr gute und
sinnvolle Ausgaben finanziert. Geplant sind insbesondere auch bei der Bundespolizei die Anschaffung zusätzlicher Fahrzeuge, auch Spezialfahrzeuge, neue Dokumentenprüfgeräte sowie Ausgaben für die IT-Sicherheit,
damit die Netze sicherer werden gegenüber Angriffen
von außen. Insofern tut sich etwas im guten Sinne für die
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben natürlich immer noch ein Problem bei der
Stellenstruktur der Bundespolizei. Das ist aber ein langfristiger Prozess, den man nicht in wenigen Jahren so bewältigen kann, dass alle zufrieden sind. Aber wir wissen
auch - das ist in den Haushaltsberatungen geklärt worden -, dass das Ministerium bzw. Herr Minister
Friedrich Möglichkeiten hat, weitere Beförderungen
vorzunehmen, wenn der Finanzminister mit zustimmt.
Die Stellen sind durchaus vorhanden. Ich denke, dass
sich auf diesem Wege weitere Verbesserungen auch ohne
Änderungen des Stellenplans erreichen lassen, damit die
Motivation unserer Beamten stimmt und sie sich für ihre
wichtige Arbeit wertgeschätzt fühlen.
({2})
Wir haben in diesem Haushalt ein wichtiges Projekt
dieser Koalition zum Laufen gebracht, nämlich die Stiftung Datenschutz. Dafür hatten wir schon vor zwei Jahren rund 10 Millionen Euro als Stiftungskapital in den
Haushalt eingestellt. Die Ertragslage von Stiftungen,
also das, was sie für ihr angelegtes Geld bekommen, hat
sich seitdem sehr schlecht entwickelt; die Erträge waren
zu niedrig. Deshalb haben wir nachgesteuert. Ich freue
mich sehr, dass die Stiftung, die für Datenschutz in der
privaten Wirtschaft sorgen und Bürger darüber aufklären
soll, wie man seine eigenen Daten schützt und sorgsam
damit umgeht, ihre Arbeit aufnehmen kann.
Ich will mich dem Dank an das Technische Hilfswerk,
THW, anschließen, das überwiegend mit Ehrenamtlichen in ganz Deutschland und auch im Ausland eine ausgesprochen wichtige Arbeit leistet.
({3})
Das THW braucht natürlich entsprechende technische
Geräte, aber auch immer wieder gute, ehrenamtlich engagierte Menschen, die das in ihrer Freizeit, am Wochenende oder auch abends, machen wollen. Damit sie,
weil es keinen Wehrersatzdienst mehr gibt, auch weiterhin zum THW kommen, haben wir 2 Millionen Euro
extra in den Haushalt eingestellt.
({4})
So können die Ortsverbände mehr Werbung machen.
Auch wenn gespart werden muss und Geld nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, haben wir, meine ich, einige sehr sinnvolle und richtige Schwerpunkte gesetzt.
Wir tragen mit dazu bei, dass Deutschland eines der sichersten Länder in Europa ist und hoffentlich auch bleiben wird.
({5})
Vielen Dank, Kollege Dr. Toncar. - Nächster Redner
ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jens
Petermann. Bitte schön, Kollege Petermann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Sportsfreund Peter Danckert, du hast
völlig recht: Sport kommt in dieser Bundesregierung zu
kurz. Richtig ist auch: Die Strukturen des Sports sind
nicht in Ordnung.
Passend zur aktuellen Haushaltsdebatte um die Förderung des Spitzensports durch den Bund kommen die Forderungen der Sportministerkonferenz, die Ende letzter
Woche im thüringischen Eisenach getagt hat. Die Forderungen sind nicht ganz neu. Es geht um bessere Absprachen der Bundesländer, mehr Geld und bessere Effizienz, eine hochwertige akademische Trainerausbildung,
die Stärkung des Ehrenamtes und der Zusammenarbeit
mit der Wissenschaft, aber auch um den Kampf gegen
Gewalt und Rechtsextremismus.
Die Antworten der Koalition auf diese Forderungen
sind mehr als einsilbig. Als hätte es die Kritik am Abschneiden der Olympiamannschaft in London und am
völlig verkorksten Engagement im Antidopingkampf
nicht gegeben, geht die Koalition mit dem Haushalt zur
Sportförderung eingefahrene Wege weiter. Daran ändert
übrigens auch die über Nacht noch schnell beschlossene
geringfügige Erhöhung des Sportetats nichts.
({0})
Gelingt es ihr einerseits gerade noch so, den völligen Zusammenbruch des Antidopingkampfes durch einen Zuschuss an die NADA zu verhindern, streicht sie im gleichen Atemzug Mittel für die Trainerausbildung.
Dieser Haushalt ist ein Dokument für drei Jahre
schwarz-gelbe sportpolitische Ideenlosigkeit. Allerdings hat auch der Deutsche Olympische Sportbund einen beträchtlichen Anteil an dieser Lage und steht nun
vor einem Scherbenhaufen seiner konservativen Sportpolitik. „Wir machen alles richtig und deshalb so weiter
wie bisher, nur brauchen wir dafür mehr Geld“, lautet
die kaum nachvollziehbare Schlussfolgerung aus London in Kurzfassung. Dieser verkürzten Sicht schließt
sich auch das BMI an und weicht einer ergebnisoffenen
Debatte über die Sportförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus.
Zum einen ignorieren Sie die Hinweise auf offensichtlich notwendige Veränderungen, die vor allem aus
den Reihen der Sportlerinnen und Sportler sowie der
Trainerinnen und Trainer laut wurden, zum anderen verstecken Sie sich hinter der angeblichen Unzuständigkeit
des Bundes. Aus Sicht der Linken gibt es aber eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für den gesamten
Sport, also den Spitzensport, den Breiten- und Schulsport, aber auch für die Sportanlagen.
({1})
Sie verweisen immer darauf, dass die Länder die
alleinige Verantwortung für den Schulsport haben. Nun
zeigt sich aber, dass es so nicht funktioniert. Die föderalen Unterschiede im Bildungssystem beeinträchtigen
nicht nur den Schulsport, sondern auch den Nachwuchs
im Leistungssport. Hier ist ein dringendes Umdenken
erforderlich.
Die Hauptverantwortung für die Sportstätten haben
bekanntermaßen die Kommunen. Allein hier gibt es einen Sanierungsstau von 40 Milliarden Euro. Die kommunale Agenda ist jedoch übervoll von Aufgaben, und
das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Angesichts der
unterfinanzierten Kommunen ist auch hier ein Umdenken dringend erforderlich.
({2})
Wir brauchen einen offenen Denkwettbewerb zu den
Strukturen der Sportförderung. Eigentlich wäre es an
Ihnen, Herr Minister Friedrich, endlich dafür den Startschuss zu geben. - Er hört gerade nicht zu.
({3})
- Okay, prima. - Was spricht eigentlich gegen ein effizientes Bundessportministerium, um das Geld für den
Sport, das derzeit in neun Ministerien lagert, zu bündeln? Mehr Kreativität ist auch gefragt, wenn es um die
duale Karriere von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern geht. Bundeswehr, Polizei und Zoll reichen als
Berufsperspektiven längst nicht mehr aus. Die Kooperation mit Hochschulen und Wirtschaft aber läuft schleppend. Hier müssen dringend Lösungen gefunden
werden.
({4})
Auf all diese Fragen gibt die Koalition keine richtungsweisende Antwort. Ihr Haushalt verdient damit
leider nur das Prädikat „mangelhaft“.
Ganz zum Schluss noch eine Frage, Herr Minister:
Wie kommen Sie eigentlich angesichts von 180 Toten
durch rechten Terror seit 1990 dazu, immer noch von einer linksextremistischen Gefahr zu fabulieren? Das ist
nicht nur mir völlig schleierhaft. Stellen Sie sich endlich
den Realitäten!
({5})
Vielen Dank, Kollege Petermann. - Nächster Redner
in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/
Vizepräsident Eduard Oswald
Die Grünen unser Kollege Memet Kilic. Bitte schön,
Herr Kollege Memet Kilic.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Bundesinnenminister, Sie haben von der vorhandenen
Flüchtlingsaufnahmekapazität gesprochen. Was Sie Kapazität nennen, sind in der Regel heruntergekommene
Sammelunterkünfte, abgeschieden von jeglicher Zivilisation, im Funkloch, auf dem Berg oder im tiefen Tal.
60 Personen, darunter Kinder, benutzen zwei Duschen
und ein veraltetes Heizgerät. Das sind keine Kapazitäten,
sondern das ist eine Verletzung der Menschenwürde.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da müssen wir
handeln.
({0})
Sie sagen immer wieder in der Öffentlichkeit, dass
das Asylverfahren schnell sein muss. Nein - merken Sie
es sich! -, in einem Rechtsstaat muss ein Verfahren nicht
schnell sein, sondern effektiv und gründlich. Das müssen
Sie in der Öffentlichkeit immer wieder sagen.
({1})
Gucken Sie nicht so grimmig! Das ist doch die Wahrheit.
({2})
Die innere Sicherheit und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig zu gewährleisten, ist die
wichtigste Aufgabe der Innenministerien. Es ist eine
Selbstverständlichkeit, dass bei dieser Aufgabenerfüllung sehr besonnen und reiflich überlegt gehandelt werden muss. Letzte Woche hat der Bundesinnenminister
das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum eröffnet. Viele Bundesländer distanzieren sich
zu Recht davon. Der Bundesinnenminister handelt ohne
Absprachen. Er versucht, von oben herab den Bundesländern seine Regeln zu diktieren. So geht das nicht,
Herr Bundesinnenminister.
({3})
Unter dem Eindruck der schrecklichen Taten der
rechtsextremistischen Terrorbande hat der Innenminister
damit begonnen, ein Zentrum gegen Rechtsextremismus
aufzubauen.
({4})
Jedoch konnte er anscheinend die mit Scheuklappen geführten innerparteilichen Diskussionen nicht bestehen.
So hat er aus dem ursprünglichen Terrorabwehrzentrum
gegen rechts einen Mischmasch gemacht, indem er
Linksextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter das
gleiche Dach gestellt hat. So ist es nicht effektiv. Das
allein zeigt, dass der Bundesinnenminister kein in sich
geschlossenes Konzept für die Abwehr von Rechtsextremismus hat, sondern die alte ideologische Schlacht weiterführt. Das ist nicht zielführend, meine lieben Damen
und Herren.
({5})
Als die rechtsextremistische NSU-Mordserie bekannt
wurde und der Innenausschuss erstmals darüber aufgeklärt wurde, stand für mich fest: Wir haben keinen Überwachungsstaat, was aber nur den Rechtsextremismus
betrifft. Im NSU-Untersuchungsausschuss haben die
bayerischen Sicherheitsbehörden erklärt, wie viele Millionen Daten von Bürgerinnen und Bürgern sie gesichtet
und bewertet haben. Sie haben viele Kreditkarten und
Telefonverbindungen von unbescholtenen Bürgerinnen
und Bürgern überprüft. Gleichzeitig jammern die Sicherheitsbehörden gemeinsam mit Herrn Friedrich, dass
ihnen die Hände gebunden seien, weil sie keine Vorratsdatenspeicherung haben.
Die Sicherheitsbehörden haben schon nach geltendem
Recht viel zu viele Möglichkeiten, in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und
Bürger einzugreifen. Sie können Dönerbuden betreiben,
Geisterbeschwörer beschäftigen und Telefondaten der
Terrorbande löschen lassen, damit sie angeblich nicht
doppelt gespeichert werden. Was sie nicht können, ist
ein vernünftiger Umgang mit den vorhandenen Akten
über Rechtsextremisten. Da müssen sie besser werden.
({6})
Der Verfassungsschutz schreddert zuerst Hunderte Akten und anschließend seine führenden Köpfe weg. Der
Bundesinnenminister hat seinen Laden nicht mehr unter
Kontrolle. Er und seine Behörden müssen qualifizierter
arbeiten und ihrem Haushalt endlich gerecht werden.
Unsere Sicherheitsbehörden werden ideologisch
falsch ausgerichtet. So kontrollieren sie bei einer Demonstration gegen Nazis in Dresden 200 000 Telefonate.
Es gelingt ihnen aber nicht, andere Bereiche zu überwachen.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zum
Schluss. Die Bundeskanzlerin muss erklären, was sie in
ihrer siebenjährigen Kanzlerschaft für die Sicherheitsarchitektur unseres Landes und für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unserer Bürgerinnen und
Bürger getan hat. Wohin Sie auch gucken, gibt es Pleiten, Pech und Pannen - und auch selbstherrliche Geheimdienste. Das ist Ihre innenpolitische Bilanz, meine
Damen und Herren. Die Bundeskanzlerin muss sich öffentlich dazu stellen und das auch verantworten.
Der staatliche Geldbeutel soll nicht für ethnische Rasterfahndung, Nacktscanner, Vorratsdatenspeicherung
oder anderen Überwachungsdrang geplündert werden.
({7})
Stattdessen soll nachhaltig in die personelle und strukturelle Erneuerung der Sicherheitsarchitektur unseres Landes investiert werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Herr Kollege, als Sie „liebe Freundinnen und
Freunde“ gesagt haben, hat sich das Gesicht des Innenministers dann doch aufgehellt.
({0})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Günter
Krings. Bitte schön, Dr. Günter Krings.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn, wie das berühmte Zitat heißt, der Bundeshaushalt das Schicksalsbuch unserer Nation ist, dann
spiegelt der Einzelplan 06 vor allem die Gefahren wider,
vor denen wir die Menschen in unserem Land schützen
wollen. 4 Milliarden Euro geben wir dazu etwa für die
Sicherheitsbehörden aus. Das ist in diesem Bundeshaushalt gut angelegtes Geld.
Eine hohe Priorität innerhalb der Arbeit unserer
Sicherheitsbehörden hat natürlich und vollkommen zu
Recht auch im Jahre 2013 die Aufarbeitung des furchtbaren und unerkannten Treibens der mörderischen NSUGruppe; daraus müssen wir auch Lehren ziehen. Ich bin
froh, dass wir bei dieser Aufarbeitung in den letzten
Tagen - genauer gesagt: am 8. November 2012 - einen
wichtigen Schritt weitergekommen sind. An diesem Tag
hat der Generalbundesanwalt Anklage gegen Beate
Zschäpe und vier weitere Personen erhoben. Jetzt hat
hier vor allem - nicht nur, aber vor allem - die Justiz das
Wort. Ich bin zuversichtlich, dass die Hauptverantwortlichen für die NSU-Morde ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.
Die Aufarbeitung dieser Mordserie ist aber nur eine
Seite der Medaille. Ebenso wichtig ist es, Konsequenzen
zu ziehen, um solche Gräueltaten für die Zukunft
unmöglich zu machen. Das ist dann unsere ureigene
Aufgabe, die Aufgabe des Gesetzgebers.
Es ist an mehreren Stellen darauf hingewiesen worden: Der Bundeshaushalt enthält insgesamt etwa 25 Millionen Euro mehr zur Stärkung des Kampfes gegen den
Rechtsextremismus. Es gibt also zusätzlich zu den vorhandenen Mitteln in verschiedenen Titeln Aufwüchse.
Frühzeitig hat insbesondere der Bundesinnenminister
wichtige Maßnahmen getroffen. Ich nenne die Einrichtung einer Rechtsextremismusdatei und den Aufbau des
Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus.
Darauf dürfen und sollten wir uns aber nicht ausruhen. Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern muss weiter deutlich
verbessert werden. Das gilt insbesondere für die Bekämpfung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten.
Wir haben aber in den letzten Jahren - Jahrzehnten kann
man fast sagen - sehr schmerzhaft lernen müssen, zuletzt beim Thema NSU: Es kann gefährlich, ja, es kann
lebensgefährlich sein, sich immer nur mit den Gefahren
und Anschlagsmustern von gestern zu beschäftigen. Wir
sollten deshalb, wie ich finde, alles daransetzen, künftig
die ganze Bandbreite extremistischer Gefahren hinreichend ernst zu nehmen.
({0})
Der Bundesinnenminister hat daher Unterstützung und
eben keine besserwisserische Kritik aus der Opposition
dafür verdient, dass er vergangene Woche ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum in
Betrieb genommen hat. Das war eine richtige und wichtige Entscheidung.
({1})
Wenn es beim Rechtsextremismus notwendig und
richtig ist, besser zusammenzuarbeiten, dann gibt es kein
sachliches Argument, warum das beim Linksextremismus oder beim Ausländerextremismus schädlich sein
soll.
({2})
Es gibt sehr unsachliche Argumente - die vorzubringen,
das können Sie schon gut -; aber es gibt eben kein sachliches Argument dafür. Trotz all der Gräueltaten, die wir
in den letzten Jahren zur Kenntnis haben nehmen müssen, kann man doch nicht andere Bereiche komplett ausblenden. Das heißt nicht, unangemessene Vergleiche anzustellen; aber man sollte alle Gefahren ernst nehmen.
Schauen wir uns etwa die Ausschreitungen von PKKAnhängern im September in Mannheim an - das ist gar
nicht so lange her -; dabei wurden 80 Polizisten verletzt,
zum Teil schwer. Auch das dürfen wir nicht ignorieren.
Auch Gefahren wie diese müssen wir ernst nehmen, zum
Wohle und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger.
Für die entschlossene Maßnahme, dieses Abwehrzentrum zu gründen, möchte ich unserem Innenminister im
Namen meiner Fraktion ausdrücklich danken. Ich freue
mich, dass immerhin 10 der 16 Bundesländer an diesem
Gemeinsamen Abwehrzentrum aktiv beteiligt sind.
Diese Länder haben erkannt, dass beim Verfassungsschutz und bei der Bekämpfung politischer Straftaten jedes Land alleine nur einen eng begrenzten Ausschnitt
der Wirklichkeit wahrnehmen kann und dass man in
Kooperation einfach mehr erkennt. Ich habe kein Verständnis für die übrigen sechs Länder, die sich dieser
effektiven Zusammenarbeit verweigern. Die sechs Innenminister dieser Länder, SPD-Innenminister, reden
nur über eine bessere Architektur der Sicherheitsbehörden, während der Bundesinnenminister gemeinsam mit
zehn Länderkollegen aktiv handelt. Wenn es einen
Bereich gibt, in dem föderale Eitelkeiten keinen Platz
haben dürfen, dann ist es die Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus.
({3})
Gerade die bestialische Mordserie des NSU mahnt
uns doch, dass wir niemals mehr in die Lage kommen
dürfen, den Angehörigen eines Opfers mitteilen zu müssen, dass die Verhinderung oder zumindest die rasche
Aufklärung einer Bluttat an unterschiedlichen Länderzuständigkeiten gescheitert ist.
({4})
Es reicht eben nicht, wenn Sie, Herr Kollege
Oppermann, fordern - ich zitiere; das war vor einer
Woche -, „dass Extremismusbekämpfung Geschlossenheit braucht“. Die SPD muss sich eben auch dementsprechend verhalten. Selten waren folgenloses Schwadronieren und verantwortliches Handeln so klar voneinander
zu trennen wie in diesen Tagen, als Hans-Peter Friedrich
dieses Abwehrzentrum in Betrieb genommen hat. Vielen
Dank noch einmal dafür!
({5})
Meine Damen und Herren, ich wollte meine Themen
eigentlich in einer anderen Reihenfolge ansprechen.
Aber die zum Teil böswilligen Wortverdrehungen aus
den Reihen der Opposition bewegen mich, schon an dieser Stelle etwas zum Thema Asylrecht zu sagen.
Das Asylrecht ist ein Thema, das viele Städte und Gemeinden - übrigens auch solche, die von SPD- und Grünen-Bürgermeistern geführt werden - derzeit sehr beschäftigt. Wir verzeichnen objektiv seit einigen Monaten
stark ansteigende Asylbewerberzahlen in Deutschland.
Das wird von Teilen der Opposition, nicht von allen, bestritten. Ich habe gerade bei Welt-Online folgende berichtigte Meldung von dapd vom 12. Oktober 2012 gelesen - ich zitiere -:
Nach Berichten über einen starken Zustrom von
Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien fordert der SPD-Innenexperte Michael Hartmann ein
konsequentes Durchgreifen gegen gezielten Asylmissbrauch.
({6})
Hier sollte mit der nötigen Strenge ein Signal gesetzt werden, sagte Hartmann am Freitag im Südwestrundfunk … Der SPD-Politiker sprach von
„gewissenlosen Banden“, die Menschen vom Balkan nach Deutschland locken, um „eine gewisse
Zeit in diesem System zu sein“. Das Bundesamt für
Flüchtlinge in Nürnberg müsse diese Asylbewerber
zügig zurückweisen, forderte Hartmann.
({7})
Man kann sich über manche Wortwahl, Herr
Hartmann, streiten. Ich jedenfalls hätte es nicht so formuliert. Mir ist aber schleierhaft, wie Sie vor dem Hintergrund Ihrer Worte von Oktober den Innenminister in
der Form wie gerade angreifen können.
({8})
Die aktuellen Zahlen für den Oktober sind besorgniserregend. In diesem Monat haben wir einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen. Es wurden ungefähr 10 000 neue
Anträge auf Asyl gestellt. Es ist in der Tat so, dass die
vorhandenen Aufnahmeplätze in vielen Kommunen
längst überfüllt sind. Ich habe vor einigen Wochen in
meinem Wahlkreis Mönchengladbach das Technische
Hilfswerk besucht. Mit viel ehrenamtlichem Engagement hat man dort Flüchtlinge aufgenommen, und zwar,
Herr Kilic, unter menschenwürdigen Bedingungen. Ihre
Aussage finde ich nicht in Ordnung, auch wenn Sie es so
nicht gemeint haben. Ihre Worte können indirekt so verstanden werden, dass Sie das ehrenamtliche Engagement
nicht schätzen. Ich nehme zur Kenntnis, dass es nicht so
gemeint ist. Aber mir ist es wichtig, dieses ehrenamtliche Engagement, auch des THW, noch einmal zu loben.
Dort waren übrigens keine Politiker Ihrer Fraktion zu
Besuch. Ich habe mir angesehen, unter welchen Bedingungen gearbeitet werden muss.
Es war wichtig, dass wir beispielsweise das Personal
im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgestockt haben. Es ist auch wichtig, dass wir klar zum
Asylrecht stehen. Aber jedes Grundrecht hat Tatbestandsvoraussetzungen. Diese erfüllen die Flüchtlinge
aus Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Serbien
nicht. Die Anerkennungsquote liegt zu Recht bei unter
1 Prozent. Es sind Armutsflüchtlinge - ich verwende den
Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ bewusst nicht -, und
diese sind von Asylbewerbern und Asylberechtigten zu
unterscheiden. Eine solche Unterscheidung müssen wir
vornehmen. Wer das nicht tut, missachtet das Asylrecht
und schätzt es gering. Genau diese Unterscheidung
nimmt der Bundesinnenminister vor. Das ist gut und
wichtig für die Debatte in unserem Land.
({9})
Ich muss zum Schluss kommen. Aber ich möchte
noch einen Aspekt nennen. Unsere Aufgabe ist es, mit
der Europäischen Union in den entsprechenden Regionen zu helfen, damit die Menschen dort besser leben
können. Es ist mir aber unerklärlich, wie wir Beitrittsoder Vorverhandlungen mit Ländern führen können, die
wir als nichtsichere Herkunftsstaaten ansehen. Wenn Sie
offenbar davon ausgehen, dass es zu massenhaften politischen Verfolgungen in den erwähnten Ländern kommt,
dann müssen Sie doch sofort fordern, die Beitritts- oder
Vorverhandlungen zu stoppen. Wenn wir das nicht
wollen, müssen wir anerkennen, dass es sich hier nicht
um politische Verfolgung, sondern um wirtschaftliche
Gründe, um Armutsgründe handelt. Das müssen wir unterscheiden.
Kollege Krings, Sie können gerne weitersprechen,
aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht dann
zulasten Ihrer Fraktionskollegen aus der Fraktion.
Das möchte ich nicht. - Ich möchte einen Schlusssatz
sagen. Sie mögen reden, wir aber handeln verantwortlich
in der Innenpolitik. Das war in den letzten drei Jahren
so, das wird im nächsten Jahr und auch in der kommenden Wahlperiode so sein. Diese Koalition wird in diesem
Sinne weiterarbeiten.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Krings, zu Ihren Ausführungen
nur so viel: Wenn sich ein Abgeordneter der Union hier
hinstellt und sich darüber beklagt, dass zu viele Nichtasylberechtigte nach Deutschland kommen und in
Deutschland bleiben, dann ist das eine öffentliche Rüge
Ihres Innenministers; denn er ist für das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge sowie die Asylbewerber zuständig. Sie machen keine Aussage darüber, welche Bedrohung auf unser Land zukommt. Ihre Ausführungen
zeigen nur, dass der zuständige Minister seine Aufgaben
nicht wahrnimmt. Das ist schon ein bezeichnender Vorgang.
({0})
Wir diskutieren nun über den Etat des Bundesinnenministers. Der Etat ist ein Stück weit Ausdruck der Politik dieser Regierung. Auf dem Feld des Innern bewegen
wir uns zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn wir uns
diesen Etat anschauen, dann erkennen wir, dass er genau
das widerspiegelt, was die Politik des Innenministers
und der Koalition in diesem Bereich ausmacht: Konzeptlosigkeit und Orientierungslosigkeit.
Die einzige Orientierung, die diese Koalition kennt,
ist die Klientel- und Lobbybefriedigung.
({1})
Schauen wir uns einmal den Vorgang rund um das
Melderecht an. Da haben die Koalitionsfraktionen auf
Zuruf der entsprechenden Adresshandelswirtschaft
schnell noch einmal den Gesetzentwurf geändert, um
den Adresshändlern möglichst ungehindert Zugang zu
den Daten der Bürger bei den Melderegistern zu verschaffen.
({2})
Das Interessante war, dass dann die Bundeskanzlerin erklärt hat, sie hoffe nun darauf, dass die SPD diesen Unsinn im Bundesrat wieder rückgängig macht.
({3})
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Die Bundeskanzlerin erklärt im Grunde nichts anderes: Ich habe meine Koalition und meine Regierung so
wenig im Griff, dass die SPD im Bundesrat den Unsinn,
der hier verzapft worden ist, wieder rückgängig machen
soll. - Das ist doch das klare Signal an die Bevölkerung:
Lasst doch die SPD gleich regieren, dann passiert so ein
Unsinn im Datenschutzbereich nicht!
({4})
Wenn ich mir den Beschäftigtendatenschutz anschaue, dann kann ich nur sagen: Man kann an dieser
Stelle nur froh sein, dass die Regierung nichts zustande
bringt. Denn das Gesetz, das Sie offensichtlich auf den
Weg bringen wollten und das nun in der Koalitionspipeline klemmt, hat ja mit Beschäftigtendatenschutz nichts
zu tun. Das ist ein Beschäftigtenschnüffelgesetz. Sie räumen den Arbeitgebern mehr Rechte zur Überwachung
ein als der Polizei.
({5})
Und wie sieht es in den anderen Bereichen aus?
Schauen Sie sich doch einmal Ihr Prestigeobjekt an,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie von der FDP haben
eben formuliert, Sie hätten die Stiftung Datenschutz jetzt
endlich über die Rampe gebracht. Nein, Sie haben sie
über die Klippe gestoßen. Die Glaubwürdigkeit und die
Akzeptanz dieser Stiftung sind doch bereits zerschellt,
bevor sie überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat.
({6})
Alle Datenschutzbeauftragten haben erklärt, dass sie in
dieser von der Wirtschaft sowohl in der Finanzierung als
auch in der personellen Besetzung dominierten Stiftung
keinen Sinn sehen.
({7})
Deswegen ist es auch nur konsequent, dass sich keine
Oppositionsfraktion bereit erklärt, als Aushängeschild
für diese Stiftung zu dienen. Werfen wir einen Blick auf
die Fakten: Von 28 Vertretern stammen 14 aus der datenverarbeitenden Wirtschaft. Die Stiftung ist mit einmalig
10 Millionen Euro ausgestattet,
({8})
und davon dürfen gerade einmal 200 000 Euro im Jahr
an die Stiftung gegeben werden. Den Rest muss sie sich
verdienen, indem sie Produkte an die Wirtschaft verkauft, die sie eigentlich zertifizieren soll.
({9})
Hier ist vom Datenschutz nichts mehr übrig geblieben.
Das Einzige, was noch vorhanden ist, Frau Kollegin, ist
eine geringe Finanzausstattung, um eine hauptamtliche
Geschäftsführung mit entsprechendem Apparat unterzubringen.
({10})
- Ich verstehe ja, dass Sie sich aufregen. Aber die Mittel,
die für die Stiftung übrig geblieben sind, bieten eine weitere Möglichkeit, künftig ehemalige Mitarbeiter aus der
FDP und den Koalitionsfraktionen im Staatsdienst auf
Kosten der Steuerzahler unterzubringen.
({11})
Nichts anderes ist von Ihrer Stiftung übrig geblieben.
({12})
Herr Minister, jetzt kommen wir zum Thema „innere
Sicherheit“. Das THW ist bereits angesprochen worden.
Wir alle wissen, was wir an dem Technischen Hilfswerk
haben. Deswegen bedanken wir uns auch. Das aber, was
Sie hier vorgetragen haben, lässt schon auf eine ganz besondere Art der Belohnung schließen. Das Ministerium
streicht dem THW 2 Millionen Euro; im Innenausschuss
bestätigen die Koalitionsfraktionen diese Streichung sogar, mit der rühmlichen Ausnahme des Kollegen Mayer.
Erst in der Haushaltsausschusssitzung werden die 2 Millionen Euro dem THW zurückgegeben, übrigens mit den
Stimmen aller Fraktionen; die SPD hatte dies im Innenausschuss beantragt. Das ist eine seltsame Form der Belohnung. Das ist ungefähr so, als ob ich Ihnen 2 Millionen Euro aus der Tasche klaue, anschließend Ihnen die
2 Millionen Euro wiedergebe und dann sage: Jetzt habe
ich Sie belohnt. ({13})
Es ist seltsam, wie diese Regierung mit dem Ehrenamt
umgeht und ehrenamtlich Tätige fördern will.
Ich nenne ein zweites Beispiel. Sie streichen den Freiwilligen bei den Feuerwehren und den Hilfsorganisationen seit Jahren die Gelder. Jedes Jahr sparen Sie im Bereich der Beschaffung 2 Millionen Euro; in der Summe
haben Sie ihnen bereits über 6 Millionen Euro genommen. Diese Mittel fehlen bei der Finanzierung von Fahrzeugen, die gebraucht werden. Da frage ich mich: Was
ist das für eine Motivation für die Ehrenamtlichen? - Die
Begründung der Koalition lautet: Wir müssen sparen. In der Bereinigungssitzung findet die Koalition aber an
einer anderen Stelle plötzlich 2 Millionen Euro, um damit wiederum Klientelbefriedigung zu betreiben, um
beispielsweise einen Verein mit Mitteln zu versorgen,
obwohl sie in der Haushaltsausschusssitzung nicht einmal erklären konnte, was der Verein denn genau macht.
Und dann sagen Sie hier, Herr Minister, Ihre Aufgabe sei
es, das Geld effizient und zielgerichtet einzusetzen. Da
frage ich mich: Wo wäre das Geld denn besser und effizienter eingesetzt als zur Unterstützung der Ehrenamtlichen bei den Feuerwehren, beim Roten Kreuz und bei
anderen Hilfsorganisationen, die genauso hervorragende
Arbeit leisten wie das THW und bei denen wir uns ebenfalls bedanken müssen? Das Einzige, was diese Regierung beim Thema „innere Sicherheit“ zu bieten hat, ist
das, was sie auch bei den Feuerwehren und anderen
Hilfsorganisationen gemacht hat: Mittel streichen und
Klientel befriedigen. Damit bringen Sie die innere Sicherheit in unserem Lande nicht voran.
({14})
Bei Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit ist es bei dieser Koalition ohnehin zappenduster. Deswegen werden
wir diesen Haushalt mit Fug und Recht ablehnen und
den Bürgern draußen im Lande sagen, was Sie hier im
Bundestag treiben.
({15})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Stephan
Mayer das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Etat des Bundesinnenministeriums kommt wieder einmal deutlich
zum Ausdruck: Die christlich-liberale Regierung und die
CDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktionen sind verlässliche Garanten für die innere Sicherheit und für eine
zeitgemäße, solide und qualitativ hochwertige Innenpolitik in Deutschland.
({0})
Das wird schon allein dadurch deutlich, dass es trotz der
notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen im Bundeshaushalt eine Erhöhung der Haushaltsmittel des BMI
von 5,49 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 5,844 Milliarden im nächsten Jahr geben wird.
Es wurde schon mehrfach erwähnt: Der Schwerpunkt
dieses Haushalts liegt auf der inneren Sicherheit. Ich
glaube, es kann sich wirklich sehen lassen, dass dem
Bundeskriminalamt im kommenden Jahr 29 Millionen
Euro mehr zur Verfügung stehen als in diesem Jahr, der
Bundespolizei sogar 149 Millionen Euro mehr.
({1})
Diese Mittel stehen ausschließlich für eine bessere Ausstattung mit Fahrzeugen und Gerätschaften, für eine bessere EDV-Ausstattung und für die längst überfällige Verbesserung der Liegenschaften zur Verfügung.
({2})
Stephan Mayer ({3})
Wir tragen hier der Notwendigkeit Rechnung, die Bundespolizei und unsere Sicherheitsbehörden besser auszustatten. Ich glaube, das kann sich wirklich sehen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Technische Hilfswerk ist schon einige Male erwähnt worden.
Ich möchte als Präsident der THW-Bundesvereinigung
nicht hintanstehen, hier allen Fraktionen, insbesondere
den Haushaltspolitikern, ganz herzlich zu danken. So
kontrovers die Innenpolitik an sich immer ist, so einig ist
man sich Gott sei Dank, wenn es um die bessere Ausstattung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes in
Deutschland geht. Es stehen in diesem Jahr 2 Millionen
Euro mehr für die Ortsverbände zur Verfügung; diese
Mittel werden im kommenden Jahr verstetigt. Ich muss
aber ehrlich gestehen: Ich finde es schon etwas unglücklich und perfide, dass der Kollege Reichenbach zusammen mit der Kollegin Fograscher am 24. Oktober eine
Pressemitteilung veröffentlicht hat, in der sie sich lauthals darüber beschweren, dass die christlich-liberale Koalition die Mittel für das Ehrenamt, für das THW kürzt.
Das stimmt einfach nicht. Zu diesem Zeitpunkt war es
unter den Berichterstattern schon klar, dass es eine Erhöhung um 2 Millionen Euro geben würde. Ich finde, es ist
einfach eine unredliche und unsägliche Vorgehensweise,
hier die Ehrenamtlichen in den Ortsverbänden unnötigerweise zu verunsichern.
({4})
Es bestand überhaupt kein Grund zu dieser Verunsicherung; im nächsten Jahr wird es wieder 2 Millionen Euro
mehr für das Technische Hilfswerk geben.
({5})
Mir ist sehr wichtig: Diese 2 Millionen Euro stehen ausschließlich den Ortsverbänden zur Verfügung, für eine
verbesserte Öffentlichkeitsarbeit vor Ort, für eine Verbesserung der Fort- und Ausbildung, vor allem auch für
eine Erhöhung der Selbstbewirtschaftungsmittel. Wir
werden hier der Notwendigkeit gerecht, dem THW stärker unter die Arme zu greifen. Das Technische Hilfswerk befindet sich angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht und der demografischen Entwicklung in einer
schwierigen Phase und steht vor einer Zäsur. Hinzu
kommen mehr Einsätze sowohl im Inland als auch im
Ausland. Derzeit ist das THW - auch mit ehrenamtlichen Helfern - zum Beispiel im größten Flüchtlingslager
in Jordanien im Einsatz, in dem syrische Flüchtlinge betreut werden. Auch im Inland kommt das THW hilfreich
zum Einsatz, zum Beispiel wenn Kommunen in Nordrhein-Westfalen mit dem zusätzlichen Ansturm von
Asylbewerbern überfordert sind. Ich nenne nur die Lager
und Einrichtungen in Mönchengladbach, in Dortmund
und auch in Bielefeld als Beispiele. Die Kommunen vor
Ort waren überfordert, und das Technische Hilfswerk ist
eingesprungen. Ich danke allen herzlich, die das ermöglicht haben.
In dieser Debatte wurde deutlich, dass die Innenpolitik bei CDU/CSU und FDP in guten Händen ist.
({6})
Pressemitteilungen von Kolleginnen und Kollegen beispielsweise zum Technischen Hilfswerk sind das Papier
nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Sie können als
Unkenrufe abgetan werden. Apropos Unkenrufe: Gleiches gilt für die Äußerungen der Opposition zur Arbeit
unseres Bundesinnenministers. Wir haben einen Bundesinnenminister, der zuerst überlegt, bevor er sich artikuliert.
({7})
Wir haben einen Bundesinnenminister, der konsequent
handelt. Besonders Sie, Herr Hartmann, haben sich mit
Äußerungen hervorgetan. Sie reichen von „Sie nehmen
das Themenfeld nicht ernst“ über „Es wäre Zeit für einen
entschlossenen Innenminister; wir brauchen da einen anderen Schlag“ bis zu „Profilierungsversuch zur Unzeit“,
als es um die Verbesserung der Zusammenarbeit im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum ging.
({8})
Herr Kollege Hartmann, mir fehlt bei Ihnen der rote Faden. Das ist heute wieder offenkundig geworden. Sie
versuchen auf perfide Art und Weise, dem Bundesinnenminister zu unterstellen, er würde Ressentiments gegen
Ausländer und Asylbewerber schüren. Dabei haben Sie
selbst ausweislich einer Mitteilung von Welt-Online vom
12. Oktober von Asylmissbrauch und gewissenlosen
Banden gesprochen, die Asylbewerber aus Mazedonien
und Serbien nach Deutschland transportieren. In dieser
Debatte ist deutlich geworden, dass es fatal wäre, wenn
die Innenpolitik in Deutschland in andere Hände fiele.
Wir haben einen Innenminister, der zuerst überlegt, bevor er konsequent handelt. Er hat entsprechende Vorschläge unterbreitet, beispielsweise zur Reform des Verfassungsschutzes.
({9})
Ich möchte in aller Offenheit sagen: Mir fehlt das
Verständnis dafür, dass die Länder angesichts der ungeheuerlichen Erkenntnisse über den NSU-Terror nicht bereit sind, enger zusammenzuarbeiten. Wenn ein Rückschluss aus den Schreckenstaten des NSU gezogen
werden kann, dann der, dass unsere Sicherheitsbehörden
trotz Föderalismus enger und intensiver zusammenarbeiten müssen.
({10})
Mir fehlt die notwendige Bereitschaft vonseiten einiger
Länder. Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dass
sich die Landesinnenminister von sechs Bundesländern
der Mitarbeit im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum verweigern. Das ist nicht in
Ordnung. Damit wird die innere Sicherheit in Deutschland ausgehöhlt.
Stephan Mayer ({11})
Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zum Thema
Datenschutz. Wir haben konsequent gehandelt, indem
wir die Stiftung Datenschutz auf den Weg gebracht haben.
({12})
In wenigen Wochen wird diese Stiftung ihre operative
Arbeit aufnehmen. Ich kann mich des Eindrucks nicht
erwehren, dass Sie es einfach nicht ertragen können,
dass wir im Bereich Datenschutz Erfolg haben.
({13})
Ich bin den Haushältern sehr dankbar, dass in der Bereinigungssitzung 205 000 Euro für drei weitere Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden. Ich sage in aller
Deutlichkeit: Ich halte es für hanebüchen, dass sich die
Oppositionsfraktionen durch die Bank der Mitarbeit im
Beirat verweigern. Das ist nicht parlamentarisch. Neun
Bundestagsabgeordnete sind in den Beirat zu berufen.
Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dass die Oppositionsfraktionen ihrer Obliegenheit, Mitglieder zu benennen, nicht nachkommen.
({14})
Die Innenpolitik ist bei Hans-Peter Friedrich, der
CDU/CSU und der FDP in guten Händen. Der Etat des
Einzelplans 06 kann sich wirklich sehen lassen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine große, überwältigende Zustimmung zu diesem Haushalt.
({15})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, wir können sehr zufrieden mit dem sein, was die
Koalition gerade in der Innenpolitik geleistet hat. Lieber
Herr Kollege Reichenbach, die Schreierei gerade zum
Datenschutz ersetzt nicht den Blick in den Haushalt. Sie
sollten einmal schauen, was die Stiftung Datenschutz
tatsächlich bedeutet.
({0})
Wer hat sie denn geschaffen? Diese Koalition hat die
Stiftung Datenschutz geschaffen. Den Sozialdemokraten
fällt dazu an der Stelle nur ein, eine Verweigerungshaltung einzunehmen. Noch nicht einmal im Beirat wollen
Sie mitmachen. Sie haben überhaupt kein Interesse, dass
das ein Erfolg wird.
({1})
Insofern ist es, glaube ich, schon vernünftig, wenn ich
noch einmal darauf hinweise, dass gerade diese Koalition hier im Haushalt zusätzliche Investitionen in die
Stiftung Datenschutz vorgesehen hat. Also, Kollege, ein
Blick in den Haushalt hilft.
Um auf das zurückzukommen, was die Grünen gerade
zum Aufenthaltsrecht gesagt haben: Als weltoffenes
Land brauchen wir Fachkräfte und eine an klaren Kriterien ausgerichtete Zuwanderungssteuerung. Hier sind
wir - ehrlich in der Sache und beharrlich, Herr Kollege in der laufenden Legislaturperiode einen sehr großen
Schritt vorangekommen. Wir haben die Visawarndatei
eingeführt, die rechtlichen Hürden für die Zuwanderung
deutlich gesenkt und entbürokratisiert. Zugleich haben
wir zusätzliche Integrationsanreize geschaffen. Der Paradigmenwechsel dieser Koalition in der Zuwanderungspolitik ist eine Erfolgsgeschichte.
({2})
Wir haben auch im Bereich des humanitären Zuwanderungsrechts Standards gesetzt, die gerade in der Zeit
von Rot-Grün offensichtlich vergessen worden sind. Lieber Herr Kollege Kilic, es gibt erstmals ein Bleiberecht
für Kinder und Jugendliche, und zwar unabhängig vom
Aufenthaltsstatus ihrer Eltern. Wir haben gerade für
zwangsverheiratete Frauen in Not einiges getan. Durch
ein Rückkehrrecht erhalten sie endlich eine Chance, sich
aus dieser Not zu befreien. Wo war da Rot-Grün? Nirgendwo war Rot-Grün.
({3})
Auch bei den Verhandlungen zum Asylbewerberleistungsgesetz werden wir unsere Vorschläge einbringen. Je
früher gearbeitet und je schneller gelernt werden kann,
desto besser - solange keine Anreize für Missbrauch geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, uns alle hier im Haus hat
die Aufdeckung der Mordtaten des NSU ziemlich betroffen gemacht. Mit der Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss setzen wir gemeinsam ein klares Zeichen gegen das Verbergen und Vergessen, gegen Antisemitismus
und Intoleranz und für mehr Demokratie und Rechtsstaat. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass
es so viele Fehler in den Behörden gegeben hat, dass unsere Sicherheitsarchitektur dringend und gründlich auf
den Prüfstand muss. Wie kann es möglich sein, dass die
Naziterroristen 13 Jahre im Untergrund lebten und ungehindert einen Mord nach dem anderen begingen? Wieso
tauchen immer wieder neue Fakten über vernichtete Akten auf? Wurden Kriminelle gar von Sicherheitsbeamten
gedeckt? Dem immensen Vertrauensverlust der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern muss durch eine
gründliche Revision der Behörden selbst und der Strukturen der Zusammenarbeit entgegengetreten werden.
Die Reaktion der Länder auf die nötige Reformdebatte zeugt aber eher von Zuständigkeitsdenken statt von
der Bereitschaft, endlich nach Lösungen zur Schließung
der Sicherheitslücken zu suchen. Die Anzahl und die Art
der Zusammenarbeit der Behörden ist dringend reformbedürftig. Es muss rechtsstaatliche Standards für den
V-Leute-Einsatz geben. Das bedeutet, dass die Aufbewahrung und Löschung von Akten bei Bund und LänHartfrid Wolff ({4})
dern standardisiert werden muss. Weiter brauchen wir
dringend eine bessere Ausbildung für die Dienste, aber
auch für die Sicherheitsbehörden. Gerade bei den Diensten sollte es eine zentrale Abschlussprüfung nach drei
Jahren geben.
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages muss gestärkt werden. Es kann nicht
sein, dass man uns etwas vorenthält, dass einige Informationen bewusst vorenthalten und nicht geliefert werden.
({5})
Mehr Kontrolle, mehr Zusammenarbeit, bessere Strukturen und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis können
wieder Vertrauen schaffen. Nur so kann es auch gelingen, hier die Sicherheitsarchitektur neu aufzustellen.
Meine Damen und Herren, Innenpolitik ist Gesellschaftspolitik. Deutschland ist in der Innenpolitik seit
2009 dank dieser Koalition deutlich vorangekommen,
und die Erfolge sind sichtbar.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen sieben Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit
vier Änderungsanträgen der Fraktion der SPD.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11519. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPDFraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11520. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11521. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 17/11522. Wer stimmt
dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11505. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11518 ({0}). Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den
Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 06 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 17/10807, 17/10823 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Stephan Thomae
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 17/10823, 17/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Dr. Stefan Ruppert
Manuel Sarrazin
Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal, wie auch in der ersten Lesung,
möchte ich dem Ministerium für die gute Vorbereitung
aller Beratungen bis hin zur Bereinigungssitzung am
8. November danken. Ebenso möchte ich den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern für den guten und
sachlichen Dialog danken.
Die Bereinigungssitzung hat noch zu kleineren Änderungen geführt. Insgesamt haben wir in diesem Einzel25158
plan jetzt 484,3 Millionen Euro Einnahmen gegenüber
606,836 Millionen Euro Ausgaben. Das ist erwähnenswert; denn es ist ein Novum bei den Einzelplänen, dass
die Deckungsquote bei knapp 80 Prozent - sprich: bei
vier Fünfteln - der gesamten Ausgaben im Bereich Justiz liegt.
Die notwendigen Änderungen beim Personal wurden
von allen Fraktionen mitgetragen, weil es schließlich
und endlich um die Arbeitsfähigkeit gewisser Funktionsteile des Justizministeriums und seiner nachgelagerten
Behörden ging. Ich denke, das war politisch einsichtig.
Gut ist, dass in 2013 die Einnahmen vor allen Dingen
durch das Bundesamt für Justiz und das Deutsche Patent- und Markenamt der Prognose nach noch einmal um
circa ein Zehntel, also 10 Prozent, steigen werden. Das
ist gut für die Erfüllung und die Finanzierung der Aufgaben.
Gut ist auch - darauf muss man hinweisen -, dass die
bestehenden Ausgabenreste, die wir über viele Jahre in
diesem Einzelplan 07 mitgeschleppt haben, auf ein realistisches Maß zurückgeführt worden sind, um damit vor
allen Dingen die notwendigen Tarifanpassungen im Bereich des Bundesministeriums und seiner Behörden gegenzufinanzieren. Da haben wir handwerklich durchaus
Fortschritte gemacht.
Sehr geehrte Frau Ministerin, auf meine Anregung
hin ist fraktionsübergreifend - danke auch an den Kollegen Funk von der Union! - beschlossen worden, dass
wir den Ansatz bei Titel „Härteleistungen für Opfer
extremistischer Übergriffe“ nicht absenken, sondern aus
evidenten politischen Gründen auf dem bestehenden Niveau belassen, um vor allen Dingen im Zusammenhang
mit den grausamen Morden des NSU zumindest finanziell etwas Linderung zu schaffen. Die Verbrechen selbst
kann man mit finanziellen Mitteln - das wissen wir alle nicht ungeschehen machen. Wir können damit nur versuchen, die gröbste Not der Menschen zu lindern.
In diesem Zusammenhang möchte ich in dieser Debatte zum Justizhaushalt das aufgreifen, was Kollege
Wolff von der FDP gerade zum Haushalt des Innenministeriums gesagt hat. Die Pannen und Unterlassungen im politischen Bereich und bei den verantwortlichen
Instanzen im Zusammenhang mit den NSU-Morden haben sicherlich nicht nur der Öffentlichkeit aufgezeigt,
dass es einen dramatischen Mangel an Koordination
zwischen Bund und Ländern und auch zwischen den
Ländern selbst gab. Diese haben beim größten Justizund Rechtsskandal der letzten Jahrzehnte kein gutes Bild
abgegeben. Das, was gelaufen ist, hat viele Menschen
mittelbar und unmittelbar erschüttert. Deswegen muss
man auch in der Justizdebatte sagen und sagen dürfen,
dass der Verfassungsschutz bei diesem Thema nicht dazu
beigetragen hat, das Vertrauen der Menschen in den
Staat und seine Instanzen, in die Gewaltenteilung zu fördern. Frau Minister, ich sage das in der Erwartungshaltung, dass das BMJ künftig alles Notwendige und Erdenkliche zur Gefahrenabwehr beiträgt und dafür sorgt,
dass Extremismus, vor allen Dingen Rechtsextremismus,
bekämpft werden kann.
Ein weiterer Titel, zu dem ich etwas sagen möchte, ist
die, wie ich finde, begrüßenswerte Ausbringung einer
Verpflichtungsermächtigung, einer VE, für die Jahre
2014 und 2015, bei der es darum geht, in einem wissenschaftlichen Forschungsvorhaben endlich die Rolle des
Justizministeriums in der NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Dies ist eine politisch notwendige Maßnahme, die
eigentlich schon vor Jahrzehnten - da sollten wir alle
selbstkritisch sein - hätte stattfinden müssen und sollen.
Lassen Sie mich ein wichtiges Thema aufgreifen, das
nach meiner Meinung gemeinhin zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, in den Medien aber doch beachtet
wird. Es geht um die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter. Sie vereint die Bundesstelle und die entsprechende Länderkommission. Man muss sich einmal vorstellen: Insgesamt 360 sogenannte Gewahrsamseinrichtungen bei Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll sind
von dieser Stelle zu kontrollieren, zusätzlich 186 Justizvollzugsanstalten, 1 430 Polizeidienststellen in Deutschland und 245 psychiatrische Krankenhäuser. Werte
Kolleginnen und Kollegen, angesichts von fünf ehrenamtlichen Mitgliedern dieser Kommission und drei wissenschaftlichen Mitarbeitern nebst einer Bürokraft lässt
sich nun wirklich nicht von einer ausreichenden bzw.
hinreichenden Amtsausstattung dieser Behörde sprechen.
Folter gibt es leider auch im demokratischen Rechtsstaat - dessen müssen wir uns bewusst sein - und kann
in Einzelfällen bei Bediensteten nie ganz ausgeschlossen
werden. Öffentliche Anschuldigungen via Medien - das
wissen wir alle - sind ausreichend Beleg hierfür. Den
Änderungsantrag von uns Sozialdemokraten, das hierfür
vorgesehene allzu knappe Budget von 300 000 Euro zu
erhöhen, hat die Koalition leider nicht mitgetragen. Das
bedaure ich nachhaltig und sehr.
({0})
Mein letzter großer Punkt ist ganz anders positioniert
und motiviert. Frau Minister, für Millionen von Menschen sind derzeit die Themen „Miete“, „Wohnraumentwicklung“ und „Mietrechtsänderungen“ existenziell.
Das trifft die Leute in Mark und Bein. Die schwarzgelbe Regierung hat am 23. Mai 2012 im Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Mietrechtsänderung
beschlossen. Zwischenzeitlich wurde er nach einer
Expertenanhörung gestoppt. Offensichtlich waren neue
Erkenntnisse vorhanden. Das ist im Grundsatz gut. Wie
diese neuen Erkenntnisse seitens der Regierung umgesetzt werden sollen/wollen/können, ist aber noch nicht
so recht ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Deswegen haben Sie erst einmal die zweite und dritte Lesung
des Entwurfs Ihres Änderungsgesetzes abgesetzt.
({1})
„Gott sei Dank!“ werden viele Menschen denken.
({2})
Das gilt aber nur temporär. Was danach materiell
kommt, wissen wir nämlich noch nicht.
Ich will eines sagen - denn das, Frau Minister, enttäuscht mich schon -: Ich habe von Schwarz-Gelb etwas
mehr soziale Verantwortung erwartet.
({3})
- Vielleicht war das naiv. - Die von Ihnen beabsichtigte
einseitige Lastenverschiebung hin zu den Mieterinnen
und Mietern verschärft vor dem Hintergrund der allseits
bekannten Verteuerung von Wohnraum ohne Zweifel die
soziale Schieflage im Land. Nach der Lehman-Pleite
und angesichts der Wirtschaftskrise investieren heute
viele Menschen in Wohnungen und nicht mehr so sehr in
hochkarätige Zockinstrumente an den Börsen. Das hat
zu einer nachhaltigen Verteuerung des Wohnraums geführt. Alleine die Luxussanierungen in Deutschlands
Metropolen und Großstädten, aber auch in Mittelstädten
- das ist ja keine Konstruktion - bedrohen heute in der
Tat Hunderttausende Familien mit Kindern und Rentnerhaushalte. Dabei geht es um ihre Existenz in den betroffenen Citys. Denn durch Luxusmodernisierungen - das
ist systemimmanent - werden die Wohnungen teuer und
für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unbezahlbar.
({4})
An dieser Stelle, Frau Minister, hat auch diese Regierung - ich sage das nicht mit übermäßiger Polemik eine große soziale Verantwortung für den sozialen Frieden im Lande; das gilt auch für die Rechtspolitik. Mit
der Mietrechtsreform, die Sie planen, tragen Sie eher
dazu bei, dass sich die Verwerfungen zwischen Arm und
Reich vergrößern, statt sie zu vermindern.
({5})
In diesem Sinne bitte ich Sie, Frau Minister, noch einmal in sich zu gehen, nachzudenken und Ihre ursprüngliche Intention, einseitig die Mieter zu belasten, aufzugeben. Das wäre mein großer und dringender Appell an
Sie. Das sollten Sie übrigens noch vor der nächsten Bundestagwahl tun. Sonst müssen wir auch das später rückgängig machen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst dem Dank, den der Kollege Schurer ausgesprochen hat, anschließen. Mein Dank
gilt dem Ministerium, der Ministerin, dem Haushaltsreferat des Ministeriums und natürlich Ihnen, Kollege
Schurer, als Hauptberichterstatter sowie den Kollegen
Mitberichterstattern. Mein Dank gilt auch der Ministerin, die ihre Redezeit abgetreten hat,
({0})
damit zwei Mitglieder unserer Fraktion, Kollege
Ahrendt und ich, heute zum Justizetat sprechen können.
Die Demokratie ist der Körper unseres Staates, und
der Rechtsstaat ist die Krone auf dem Haupt dieses demokratischen Staatskörpers.
({1})
In dem Gebäude, in dem wir uns heute befinden, ging
der Kampf um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor
knapp 80 Jahren schon einmal verloren. Nun droht heute
zwar - Gott sei Dank - keine Gefahr für Demokratie und
Rechtsstaat in Deutschland; aber vielerorts ist eine ganze
Reihe von schweren Entscheidungen zu treffen, um
Grundrechte zu schützen, gerade wenn verschiedene
Grundrechte aufeinanderprallen.
Wir werden diese Woche in diesem Hause noch eine
Debatte über das Thema Beschneidung führen, wo es einerseits um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit
von Kindern und andererseits um den Schutz religiöser
Minderheiten geht. Die Regierung hat hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in dieser - wie ich meine extrem schwierigen Abwägungsfrage einen wirklich gut
gangbaren Weg aufzeigt. Dafür meinen Dank an die Regierung!
({2})
An anderer Stelle geht es um die Freiheit im Netz einerseits sowie um den Schutz geistigen Eigentums und
den Schutz von Verbrauchern vor Abo-Fallen im Internet
andererseits. Auch das ist ein Bereich, wo vieles gegeneinander abzuwägen ist, wo Grundrechte aufeinanderstoßen. Solche netzpolitischen Fragen werden uns noch
viele Jahre beschäftigen. Auf viele Fragen gibt es noch
keine eindeutigen Antworten. Das muss erst wachsen,
das muss erst entstehen, auch deswegen, weil vieles
technisch noch im Fluss ist. Diese Regierung befasst
sich ernsthaft mit diesen Fragen. Die Informations- und
Kommunikationsfreiheit im Netz müssen geschützt werden. Aber etwa auch der Schutz geistigen Eigentums
oder die Verbraucherrechte dürfen nicht unter die Räder
geraten, wenn große Internetkonzerne oder schlaue
Onlineunternehmer mit dem Netz oder im Netz Geschäfte machen. Darum kümmert sich diese Regierung.
Herr Kollege Schurer, Sie haben gerade bemängelt,
dass die Koalition nicht bereit sei, den Änderungsantrag
der SPD auf Erhöhung der Mittel für die Nationale Stelle
zur Verhütung von Folter mitzutragen. Erlauben Sie mir,
an dieser Stelle korrigierend anzumerken, dass die Justizministerkonferenz von Bund und Ländern am 15. November dieses Jahres, also erst vor wenigen Tagen, hier
in Berlin beschlossen hat, dass das Vorsitzland unter Beteiligung des Bundes prüfen soll, ob und gegebenenfalls
in welchem Umfang eine Verbesserung der Ausstattung
der Kommission notwendig erscheint. Man hat beschlos25160
sen, dass der Konferenz der Amtschefs am 24. und
25. April 2013 in Freiburg ein Vorschlag unterbreitet
werden soll. Ihr Vorschlag kommt also einerseits reichlich spät - erst heute Vormittag lag er vor -, andererseits
aber auch viel zu früh, weil erst im April zu entscheiden
sein wird, ob diese Maßnahme durchgeführt wird. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass wir diesem Änderungsantrag heute nicht zu folgen vermögen.
Ein paar Eckdaten haben Sie schon genannt, Herr
Kollege Schurer: Die Einnahmen des Einzelplans 07
- Bundesministerium der Justiz - steigen in diesem Jahr
um knapp 10 Prozent. Wir haben eine hohe Deckungsquote, erfreulicherweise wieder um die 80 Prozent. Die
Ausgaben sind ebenfalls deutlich gestiegen. An dieser
Stelle will ich ganz kurz erläutern, warum der Etat des
Bundesjustizministeriums so stark wächst.
Der erste Grund ist - Sie haben ihn schon genannt,
Kollege Schurer -: Aus früheren Jahre waren noch reichlich Ausgabenreste vorhanden. Das Parlament hat gewünscht, dass zunächst die Ausgabenreste verbraucht
werden. Das hat das Justizministerium getreu dieser
Auflage getan. Das heißt, der Justizhaushalt war in den
letzten Jahren etwas unteretatisiert. Die Ausgabenreste
sind aufgebraucht; deswegen muss der Einzelplan 07,
der Etat des Bundesministeriums der Justiz, jetzt dem eigentlichen Bedarf entsprechend wachsen.
Der zweite Grund ist: Der Justizhaushalt ist fast ein
reiner Verwaltungshaushalt: Etwa drei Viertel davon
sind Personalkosten. Es ist ganz klar, dass Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst da besonders stark zu Buche
schlagen. Das ist mit ein Grund, weshalb in diesem Etat
ein auffälliger Aufwuchs zu verzeichnen ist.
Der dritte Grund ist: Liegenschaften des Bundes, die
das Justizministerium nutzt - vor allem oberste Bundesgerichte wie der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bundespatentgericht, das Bundesverwaltungsgericht -, werden in das Einheitliche Liegenschaftsmanagement des
Bundes, das ELM, überführt. Damit entstehen nun Mietausgaben, die bisher nicht da waren. Bei einem so kleinen Etat wie dem des Bundesjustizministeriums schlägt
das besonders stark zu Buche. Das ist ein Grund, weshalb dieser Etat etwas stärker anwächst als andere Etats.
Lassen Sie mich ein paar Worte zu einigen Programmen des Bundesjustizministeriums verlieren. Eines haben Sie, Kollege Schurer, ebenfalls schon erwähnt: das
Forschungsprojekt zur NS-Vergangenheit des Justizministeriums. Das ist ein, wie ich meine, sehr wichtiges
Vorhaben der Justizministerin. Es geht darum, deutlich
zu machen, dass wir nichts vertuschen wollen, sondern
uns offensiv mit der dunklen Geschichte in Deutschland
befassen wollen.
Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Einrichtung
einer Schlichtungsstelle für den Luftverkehr, die im
Bundesamt für Justiz eingerichtet werden wird. Das ist
ein wichtiges Verbraucherschutzprojekt. Denn wenn
Flüge annulliert werden, wenn sie verspätet eintreffen
oder überbucht sind, wenn Gepäck verloren geht,
beschädigt wird oder verspätet eintrifft, dann können
Verbraucher, dann können Fluggäste künftig diese
Schlichtungsstelle anrufen und dort ihre Ansprüche geltend machen. Das Gesetz ist im Juli im Kabinett verabschiedet worden und gewährleistet eine günstige unbürokratische Erledigung solcher Ereignisse. Die Kosten
hierfür tragen die Airlines. Das ist ein Beweis dafür, dass
diese Regierung dieses lästige Ärgernis für die Fluggäste
angeht und einen effektiven, effizienten und unbürokratischen Verbraucherschutz gewährleistet.
So könnte ich noch eine ganze Reihe weiterer Punkte
vortragen. Aber leider zeigt mir die Uhr an, dass meine
Redezeit zu Ende ist.
Ich danke nochmals dem Ministerium, der Ministerin
sowie allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieses, wie ich
meine, vorbildlichen Etats.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Jens Petermann für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Legislaturperiode geht nun in die letzte
Runde.
({0})
Dieses Ziel vor Augen sollte uns Motivation sein, vielleicht doch noch einen kleinen rechtspolitischen Endspurt hinzulegen. In den verbleibenden Wochen könnten
wichtige Initiativen auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Auch im Bundesjustizministerium hat
die Schlussrunde begonnen. Die Linke wird Sie, Frau
Ministerin, wie gewohnt zuverlässig konstruktiv-kritisch
begleiten und natürlich auch ein paar Vorschläge unterbreiten.
Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz über den
Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren! Vor gut
zehn Jahren hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Gewährleistung eines schnellen Rechtsschutzes für Bürgerinnen und Bürger angemahnt. Auch
die Bundesregierung wurde mehrfach hierzu aufgefordert. Das Ergebnis der gesetzgeberischen Bemühungen
ist indes nicht mehr als ein schwachbrüstiger Kompromiss.
({1})
Die Zahlung einer Entschädigung von 1 200 Euro pro
Jahr Verzögerung kaschiert nur die Symptome, aber
packt das Übel leider nicht an der Wurzel.
({2})
Überlange Gerichtsverfahren sind vermeidbar. Darauf
habe ich bereits in der damaligen Debatte hingewiesen.
Eine bessere finanzielle Ausstattung der Justiz ist eine
grundlegende Voraussetzung, um die Verfahrensdauer zu
verkürzen. Leider ist die Botschaft damals bei Ihnen
nicht angekommen.
Die Auswirkungen dieser Gesetzgebung treiben seitdem einige Blüten. So hat beispielsweise das Land Niedersachsen in den Haushalt für das Jahr 2013 bereits
3,5 Millionen Euro für Entschädigungsleistungen wegen
überlanger Gerichtsverfahren eingestellt. Das ist die falsche Richtung, Frau Ministerin. Motivieren Sie doch lieber die Länder dazu, die Justiz mit genügend Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten
auszustatten! Das wäre der richtige Weg, um das Problem überlanger Verfahren in den Griff zu bekommen.
({3})
Ihre Gesetzgebung hat leider einen anderen Weg vorgegeben. Sie zwingt nämlich dazu, Steuergelder für Entschädigungen zu verschwenden.
Auch unser sehr gut ausgestattetes Bundesverfassungsgericht klagt über hohe Verfahrenszahlen und eine
dadurch bedingte zu lange Verfahrensdauer. Der deswegen bestehende Leidensdruck hat dazu geführt, dass der
Präsident und sein Vize die Fraktionen des Bundestages
aufsuchten, um einen Entlastungsvorschlag zu unterbreiten. Sie haben damit die Suche nach einer Lösung für die
Flut von über 6 000 Verfassungsbeschwerden im Jahr
eröffnet.
Entgegen einer naheliegenden Forderung nach mehr
Personal für das Gericht und einem dritten Senat soll
eine Mutwillensgebühr erhoben werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollen also zahlen, wenn sie das Gericht
mit vermeintlichem Unfug beschäftigen. Ob dieser Vorstoß unterstützenswert ist, Frau Ministerin, muss man
sich wirklich gut überlegen.
Mit dem Konstrukt einer Mutwillensgebühr würde
der Zugang zum Gericht beschnitten. Der Rechtsweg
zum Bundesverfassungsgericht muss allen Bürgerinnen
und Bürgern, auch mit Blick auf den oft schmalen Geldbeutel, offen stehen.
({4})
Den von manchen als Querulanten angesehenen Beschwerdeführern, die als Einzelpersonen mitunter weit
über 100 Verfahren ausgelöst haben, muss anders begegnet werden. Lassen Sie uns das in Ruhe besprechen und
nach einer Lösung für dieses Phänomen suchen, die den
Rechtsstaat nicht schwächt, Kolleginnen und Kollegen!
({5})
Ein Blick in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag
zeigt: Sie haben Ihre dort festgelegten Ziele tatsächlich
fast vollständig umgesetzt. Allerdings gibt es keinen
Grund, darauf besonders stolz zu sein;
({6})
denn wenn man seine rechtspolitische Messlatte bewusst
niedrig ansetzt, ist es natürlich auch nicht sehr schwer,
diese zu überspringen.
Manche Initiative, die zulasten der kleinen Leute
geht, hätten Sie uns besser erspart, zum Beispiel die Reform des Prozesskosten- und Beratungshilferechtes.
({7})
Sie unterstellen damit den Rechtsuchenden eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Rechtsweges. Ein anderes Beispiel ist die Reform des Mietrechts, mit der Sie
gegen sogenannte Mietnomaden vorgehen wollen. Mit
dem vorgelegten Entwurf bekommen Sie die tatsächlichen Probleme nicht in den Griff. Herr Kollege Schurer,
Ihren Ausführungen ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Sie haben das wirklich ausführlich dargelegt.
({8})
Mit dem fragwürdigen Argument, es fände sonst eine
Flucht in fremdes Recht statt, rechtfertigen Sie zudem
die zunehmende Europäisierung des materiellen Rechts.
Dies offenbart letztlich nur die Kraft und den Einfluss
von Wirtschaftslobbyisten, die nicht die kleinen und mittelständischen Unternehmen vertreten, sondern vorrangig die Interessen der Großkonzerne wahrnehmen.
In letzter Zeit häufen sich dahin gehende Initiativen
und Gesetzentwürfe, zum Beispiel die Einführung von
englischsprachigen Kammern für Handelssachen oder
die Einführung der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung.
({9})
In keiner der bisherigen Debatten konnten Sie mit
schlüssigen Argumenten davon überzeugen, dass diese
Initiativen gerechtfertigt sind.
({10})
Dafür ist etwas anderes schlüssig belegbar: Müsste
die Bundesrepublik Deutschland heute einen Antrag auf
Aufnahme in die Europäische Union stellen, würde
Brüssel die Aufnahme verweigern. Eigentlich unvorstellbar! Grund dafür ist ein Justizsystem, das aus dem
19. Jahrhundert stammt.
Das wissen Sie, Frau Ministerin, sehr genau und
haben darum eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit
dieser Thematik befasst. In der Regierungskoalition interessiert das allerdings niemanden wirklich. Frau Ministerin, wir haben uns allerdings zwischenzeitlich gekümmert und das naheliegende Ergebnis Ihrer Arbeitsgruppe
bereits gefunden. Meine Fraktion bringt in Kürze zwei
Gesetzentwürfe zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ein.
({11})
Der preußische Justizminister Leonhardt - dem einen
oder anderen wird er vielleicht bekannt sein - sagte
einst:
Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin
ich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren.
Das Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert,
({12})
ist aber leider noch immer aktuell.
({13})
An der Stellung der Richterinnen und Richter sowie der
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hat sich seither
nämlich kaum etwas geändert.
({14})
Was in einem Rechtsstaat nach dem Prinzip der Gewaltenteilung selbstverständlich sein sollte, nämlich eine
unabhängige, selbstverwaltete dritte Gewalt, ist in
Deutschland leider keine Realität. Damit bleibt die Gewaltenteilung ein Mythos.
({15})
Unsere europäischen Nachbarn, außer Tschechien
und Österreich, haben sich von diesem Mythos längst
verabschiedet und ihre Justiz durch Stärkung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung von staatlichen Einflüssen verselbstständigt sowie diesbezügliche Hinweise des
Europarates umgesetzt. Das sind die Realitäten, Kollege
Krings.
Der hierarchische Aufbau der Justiz und das Richteramtsrecht beruhen historisch auf dem Beamtenrecht.
Das Beamtenrecht ist aber auf die Bedürfnisse der
Staatsgewalt zugeschnitten und mit einer unabhängigen
Justiz nicht vereinbar.
Wir haben die Vorschläge des Deutschen Richterbundes und der Neuen Richtervereinigung für die Stärkung
der Unabhängigkeit der Justiz und die Herstellung der
Gewaltenteilung aufgegriffen. Zur Umsetzung sind
Änderungen des Grundgesetzes und einzelgesetzlicher
Regelungen auf Bundes- und Landesebene erforderlich.
Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt,
also die gesamte Ordnung der Justiz, den Richterinnen
und Richtern anvertraut. Tatsächlich aber werden die
Gerichte als nachgeordnete Behörden der Ministerien
betrachtet. Sie sind personell und sachlich von der Regierung abhängig und werden sozusagen wie eine Bauverwaltung gesteuert.
Der politische Einfluss der Ministerien ist bekanntermaßen vorhanden und unbestritten erheblich. Er findet
statt bei der Auswahl der einzustellenden Bewerberinnen
und Bewerber, bei der Steuerung der Karrieren von
Richterinnen und Richtern - besonders durch Entscheidungen über die Beurteilung, Beförderung und andere
Personalmaßnahmen -, bei den Berichtspflichten der
Staatsanwaltschaften und entsprechenden Weisungsmöglichkeiten sowie bei der Entscheidung über die sächliche Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften.
Das wollen wir ändern. Die Justiz soll von der Ministerialbürokratie organisatorisch unabhängig werden.
({16})
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen sich
selbst verwalten, entscheiden eigenständig über benötigtes Personal, dessen Einstellung und über erforderliche
Sachmittel. Richterwahlausschüsse sichern die demokratische Legitimation der Auswahl der Richterinnen und
Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die interne Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften
soll das Präsidium übernehmen. Die bisherigen Aufgaben der Ministerien übernimmt ein demokratisch legitimierter Justizrat des Landes bzw. des Bundes.
({17})
Das hierarchisch geprägte, veraltete Laufbahnprinzip
und Beförderungsämter auf Lebenszeit sollen abgeschafft werden. Eine moderne und unabhängige Justiz
erfordert die grundgesetzlich verankerte Einheitlichkeit
der Richterämter. Alle Richter- und Staatsanwaltsämter
sollen die gleiche Besoldungsgruppe erhalten. Für die
Übernahme von Sonder- und Leitungsfunktionen kann
eine zeitlich begrenzte höhere Besoldung gezahlt
werden.
({18})
Mit diesen Gesetzentwürfen, die übrigens auch liberaler Politik gut zu Gesicht stehen würden, können wir unsere Justiz fit für die Anforderungen einer modernen Gesellschaft machen
({19})
und die auf den Gerichten und Staatsanwaltschaften liegende Staubschicht des 19. Jahrhunderts wegwischen.
({20})
Nebenbei würde die Bundesrepublik die im europäischen Einigungsprozess postulierte Vorbildfunktion
auch im Bereich der Justiz umsetzen und die Aufnahmekriterien der Europäischen Union erfüllen.
({21})
Ich weiß, dass es der Koalition schwerfällt, über ihren
Schatten zu springen
({22})
und einer Initiative der Linken zuzustimmen; das ist ja
nicht neu. Hier geht es aber nicht um eine Doktorarbeit,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist die
Tastenkombination „copy and paste“ ausdrücklich erwünscht.
({23})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({24})
Es gelingt gelegentlich, die Präsidentin zu überraschen: Ihre Redezeit war noch gar nicht abgelaufen. Gut. Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Funk für
die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe selten so viel Unsinn über unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften gehört wie von Ihnen,
Herr Petermann.
({0})
Ja, ich halte es geradezu für eine Unverschämtheit, dass
Sie unseren Gerichten im Zusammenhang mit Beförderungen pauschal Käuflichkeit unterstellen. Wir haben
eine unabhängige Justiz. Darauf können wir stolz sein.
Deshalb weisen wir diesen Vorwurf mit aller Entschiedenheit zurück.
({1})
Ich danke als Hauptberichterstatter für das Bundesverfassungsgericht dem Direktor des Bundesverfassungsgerichtes, Herrn Weigl, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch hier ist es uns in gewohnt
einhelliger Weise gelungen, den Neubezug des Dienstgebäudes angemessen zu finanzieren und die Organisationsstruktur des Gerichtes zu stärken und auszubauen.
Ich bedanke mich hier für die gute Zusammenarbeit insbesondere bei meinen Kollegen Danckert, Ruppert,
Sarrazin, aber auch bei dem Kollegen der Linken, Herrn
Bartsch. Es war wie immer eine sehr konstruktive Diskussion.
Auf der Grundlage des Zahlenwerks, das wir von der
Regierung bekommen haben, konnten wir im Haushaltsausschuss, vor allem auch in der Bereinigungssitzung,
noch einige Weichen stellen, um den Zug nicht aufs Abstellgleis fahren zu lassen. Es ist uns beim Einzelplan 07
gelungen, einen Etat aufzustellen, der wie alle Vorgängerhaushalte von unverrückbaren Ausgabeposten, besonders bei den Personalkosten, bestimmt und zudem
vom generellen Spardiktat gekennzeichnet ist. Dennoch
gab es Freiräume, die wir genutzt haben, um uns wichtige Akzente zu setzen. Der Etat des Bundesministeriums der Justiz für das kommende Jahr zeigt erneut,
dass es möglich ist, mit relativ geringen Mitteln gesellschaftspolitische Ziele zu formulieren und umzusetzen.
Dafür braucht man nicht immer Millionen- oder gar Milliardenbeträge.
Lassen Sie mich einige wenige Punkte herausgreifen,
die gerade von hoher Aktualität sind und den Justizetat
direkt berühren. Uns alle beschäftigt die Mordserie der
rechtsextremistischen Organisation NSU sowie die Aufklärung dieser Verbrechen. So, wie wir über die Morde
erschüttert sind, sind wir entsetzt über die zahlreichen
Pannen, die es bei der Aufklärung gegeben hat. So sehr
uns die Existenz rechtsextremistischer Gruppierungen in
unserem Land auch erschüttert, dürfen wir darüber die
ganz konkreten Opfer und deren Angehörige nicht vergessen.
Seit einiger Zeit gibt es im Justizetat den Titel „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ zur
Entschädigung von Opfern links- und rechtsextremistischer Gewalt, der in den vergangenen Jahren kaum in
Anspruch genommen wurde. Im Zusammenhang mit
den NSU-Verbrechen hat sich nun der Mittelabruf massiv erhöht. Bis Anfang November dieses Jahres gingen
rund 150 Anträge auf Härteleistungen ein. Dieser Situation haben wir Rechnung getragen und den Ansatz für
den Titel, der eigentlich gesenkt werden sollte, auf
1 Million Euro verdoppelt und damit auf dem Niveau
von 2012 festgeschrieben.
Werfen wir einen Blick auf das, was wir im vergangenen Jahr noch euphorisch den arabischen Frühling genannt haben. Inzwischen sind im Hinblick auf die demokratische Entwicklung in Tunesien, Libyen und auch in
Ägypten manche Blütenträume zerstoben. Der Nahe Osten ist nur in Grenzen demokratischer geworden. Stattdessen droht dieses Pulverfass zu explodieren. Die
Stichworte „Israel“, „Gazastreifen“ sowie „Bürgerkrieg
in Syrien“ deuten auf das Ausmaß der Gefährlichkeit
hin.
Gerade deshalb aber ist es wichtig, dass wir den
Demokratisierungsprozess in der Region nachhaltig unterstützen. Ein bedeutsames Instrument hierfür ist die
Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, IRZ, die eine vorbildliche Arbeit beim Export
deutschen Rechts in andere Länder und nun speziell in
den arabischen Raum leistet.
({2})
Es ist uns gelungen, den Mittelansatz gegenüber dem
Etatentwurf um weitere 364 000 Euro auf nunmehr
4,1 Millionen Euro aufzustocken. Damit bekennen wir
uns zu unserer Verantwortung und leisten einen international anerkannten konkreten Beitrag zur Unterstützung
der jungen und durchaus noch gefährdeten Demokratien
im arabischen Raum.
Nicht zu vernachlässigen ist dieser Aspekt: Die Beratung und Aufbauhilfe sind kein Selbstzweck, sondern für
viele international aufgestellte Unternehmen ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Engagement im Ausland.
Nur kurz erwähne ich einige andere Punkte, die nach
meiner Überzeugung von erheblichem Nutzen für die
Bürgerinnen und Bürger sind. Wir haben das schon im
Koalitionsvertrag formulierte Ziel umgesetzt, eine unabhängige und übergreifende Schlichtungsstelle für den
Luftverkehr einzurichten. Das Bundesamt für Justiz bekommt im nächsten Jahr Personal- und Sachmittel in
Höhe von 330 000 Euro. Damit kann nun diese Schlichtungsstelle eingerichtet werden. Sie kann in allen Fällen
angerufen werden, in denen Airlines beteiligt sind, die
nicht an privatrechtlichen Schlichtungen teilnehmen.
Ein anderes Beispiel. Den wenigsten von uns werden
die sogenannten weißen Karteikarten etwas sagen. Standesämter haben sie bis 2008 bei der Eintragung von
nichtehelichen und einzeladoptierten Kindern angelegt.
Mit Aufhebung einer Dienstanweisung fehlte eine
Rechtsgrundlage zum Umgang mit diesen weißen Karteikarten. Es entstand ein langer Streit zwischen Bund
und Ländern darüber, wer zuständig sei und wer für die
Kosten aufkommen müsse. Wir haben nun Mittel für die
Umsetzung eines sachgerechten und für den Steuerzahler günstigen Modells bereitgestellt. Mit 245 000 Euro
finanziert der Bund die Vorhaltung und Sammlung der
Karteikarten bei der Bundesnotarkammer. Eine Lösung,
die allein die Länder in die Pflicht genommen hätte,
wäre um ein Vielfaches teurer geworden.
({3})
- Ja, aber es geht auch darum, dass wir uns sinnvoll für
den Bürger und Steuerzahler einsetzen und dass nicht
der Streit zwischen Bund und Ländern im Vordergrund
steht, sondern eine kostengünstige Lösung für den Steuerzahler. Auch dafür setzt sich die Koalition ein.
({4})
Besonders am Herzen liegt mir, dass wir beim Thema
Vorratsdatenspeicherung möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen.
({5})
Bekanntermaßen droht der Bundesrepublik seitens der
EU ein Bußgeld in Höhe von 315 036 Euro, und zwar pro
Tag, wenn Deutschland nicht bald EU- und grundgesetzkonforme Regelungen beschließt. Lassen Sie uns hier
doch, da bekanntlich jedem Anfang ein Zauber innewohnt, einen echten Neuanfang wagen. Ich verweise
dazu auf die Arbeit meiner Kollegen im Rechtsausschuss.
Lösungsvorschläge, die verfassungskonform umsetzbar
sind, gibt es. Ich bin mir sicher, dass einzelne Kritikpunkte rasch geklärt werden können, guten Willen bei allen Beteiligten vorausgesetzt.
({6})
Dazu gehören zum Beispiel die bisher fehlende Einbindung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik und das Fehlen einer weitergehenden Erlaubnis
für den Zugriff auf Internetprotokolladressen.
Lassen Sie uns gemeinsam diese Themen unverzüglich und zum Wohle der Allgemeinheit angehen. Lassen
Sie uns die berechtigten Mahnungen und Warnungen aus
der alltäglichen Praxis nicht einfach überhören. Das
schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern.
Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass es
sich beim Justizetat keinesfalls um eine staubtrockene
Materie handelt. Der Justizhaushalt berührt vielmehr alle
Ebenen unserer Gesellschaft. Er hat Auswirkungen auf
das Leben jedes Einzelnen und auf die Stellung der Bundesrepublik im internationalen Rahmen.
Ich bitte Sie herzlich, dem Einzelplan 07 Ihre Zustimmung zu geben.
({7})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jens
Petermann das Wort.
Herr Kollege Funk, Sie haben mir unterstellt, ich
hätte den Begriff „Käuflichkeit“ benutzt. Ich verwahre
mich ausdrücklich dagegen. Den Begriff habe ich nicht
benutzt, den würde ich auch nie benutzen. Sie können
das in meiner Rede nachlesen.
Wenn Sie zugehört hätten, dann wüssten Sie genau,
worum es geht. Es geht darum, dass ein Hinweis des Europarates umzusetzen ist, der eine justizielle Unabhängigkeit, eine Selbstverwaltung der Justiz in allen Mitgliedsländern fordert. Das bedeutet also im Kern, eine
Selbstverwaltung der Justiz einzuführen. Um nichts anderes geht es. Das können Sie gerne noch einmal nachlesen.
Ich empfehle Ihnen auch, sich einmal mit Vertretern
der Richterverbände zusammenzusetzen. Die werden Ihnen nichts anderes als das erzählen, was ich Ihnen eben
erzählt habe.
Danke.
({0})
Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Ich habe Ihnen sehr wohl zugehört. Sie haben das
Wort „käuflich“ nicht benutzt, aber Sie haben die Gerichte und Staatsanwaltschaften generell als nicht unabhängig betrachtet und das in einen Zusammenhang mit
Beförderungen gestellt. Das weisen wir in aller Entschiedenheit zurück. Die Richterschaft ist nicht käuflich
und auch nicht durch Beförderungen beeinflussbar. Wir
haben eine unabhängige Justiz. Insofern weisen wir auch
diesen Vorwurf von Ihnen zurück.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Herr Jean-Claude
Mignon, mit seiner Delegation Platz genommen.
({0})
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich.
Der Deutsche Bundestag ist in der Versammlung des
Europarates mit einer Delegation vertreten und unterstützt in vielfältiger Weise den Einsatz des Europarates
und seiner Versammlung für den Schutz der Menschenrechte sowie für die Förderung von parlamentarischer
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Wir wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken alles Gute.
({1})
In der Debatte hat nun die Kollegin Ingrid Hönlinger
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, eine Haushaltsrede hat immer mit Geld
und mit Finanzen zu tun.
({0})
Ich rede heute über 250 Milliarden Euro. 250 Milliarden
Euro - so hoch ist der Schaden, den Korruption im
Jahr 2012 für die deutsche Wirtschaft verursacht. Diese
Schadenssumme hat der Wirtschaftswissenschaftler
Friedrich Schneider aus dem österreichischen Linz errechnet. Der Schaden besteht vor allem darin, dass bei
der Vergabe von Aufträgen nicht immer derjenige Anbieter zum Zug kommt, der das beste und günstigste Angebot macht. Hierdurch wird das Wirtschaftswachstum
gehemmt, und die Steuereinnahmen sinken.
Was können wir dagegen tun? Bereits im Jahr 2003
hat die Bundesrepublik - wir hatten damals eine rotgrüne Regierung - die UN-Konvention gegen Korruption unterzeichnet. 161 Staaten dieser Welt haben die
Konvention inzwischen ratifiziert. Nur wenige Staaten
haben sie noch nicht gesetzlich umgesetzt. Dazu gehört
auch Deutschland.
({1})
Das, meine Damen und Herren, ist blamabel.
({2})
Bei dieser Frage bleibt die schwarz-gelbe Regierung auf
dem Niveau von Sudan und Nordkorea; denn diese Regierung verweigert noch immer die Ratifikation der
UN-Konvention - und das, obwohl sogar führende Vertreter der deutschen Wirtschaft die Bundesregierung zur
Ratifikation auffordern.
({3})
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,
für diese Verweigerungshaltung haben Sie nur einen einzigen Grund. Sie müssten nämlich die Strafbarkeit der
Abgeordnetenbestechung ausweiten. Das wollen Sie offenbar um jeden Preis vermeiden.
({4})
Dabei ist ein Gesetz, das Abgeordnetenbestechung im
Sinne der UN-Konvention unter Strafe stellt, kein Ding
der Unmöglichkeit. Wir Grüne haben hierzu schon
längst unsere Vorschläge vorgelegt. Auch Bundestagspräsident Lammert hat jüngst einen eigenen Vorschlag
zur Umsetzung der Konvention unterbreitet.
({5})
Es ist Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir
international endlich klare Kante gegen Korruption zeigen.
({6})
Korruption ist nicht nur ein monetäres Problem. Korruption untergräbt unseren Rechtsstaat und damit unsere
Demokratie.
({7})
Es gibt noch weitere Initiativen, die das Bundesjustizministerium dringend anstoßen müsste. So brauchen wir
in Deutschland endlich ein bundesweites Korruptionsregister. Dieses Register soll Unternehmen benennen, die
wirtschaftskriminell auffällig geworden sind. Das ist
dann gewissermaßen eine Liste der schwarzen Schafe
auf der grünen Wiese der deutschen Unternehmenswelt.
({8})
Bund, Länder und Gemeinden vergeben jährlich Aufträge im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro an
private Unternehmen. Hiervon profitieren auch korrupte
Unternehmen, weil die Vergabebehörden keine Kenntnis
von deren Aktivitäten haben.
({9})
Die ehrlichen, integren Konkurrenzunternehmen haben
das Nachsehen. Das kann nicht sein, meine Damen und
Herren. Das ehrliche Unternehmen, der ehrliche Familienbetrieb, darf nicht der Verlierer bei öffentlichen Aufträgen sein. Öffentliche Auftraggeber müssen besser erkennen und steuern können, welche Unternehmen sie
beauftragen. Ein Korruptionsregister würde dazu beitragen, den fairen Wettbewerb zu erhalten. Hiervon profitieren wir alle.
({10})
Doch auch hier verweigert diese Bundesregierung, die
sich doch sonst so gerne als wirtschaftskompetent preisen lässt, eine ordentliche gesetzliche Regelung.
({11})
Noch ein Weiteres ist mir wichtig: Menschen, die
Korruption aufdecken, verdienen den Schutz und den
Respekt unseres Staates. Wir brauchen endlich ein Gesetz, das Whistleblower besser schützt.
({12})
Die Bundesregierung hat im Herbst 2010 im Rahmen der
G-20-Staaten vollmundig angekündigt, sie werde bis
Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz erlassen
und auch umsetzen.
({13})
Heute haben wir den 20. November 2012, und von einem Gesetz zum Schutz von Whistleblowern ist weit
und breit nichts zu sehen.
({14})
Das zeigt: In der Rechtspolitik nimmt es diese Bundesregierung mit der Umsetzung von Zusagen und Versprechen, die sie auf internationaler Ebene gegeben hat,
nicht so genau.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank,
mit Ihrer Blockadehaltung in Sachen Korruptionsbekämpfung gefährden Sie das Ansehen Deutschlands in
der Welt. Sie haben bei der juristischen Bekämpfung der
Korruption nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Damit fügen Sie Wirtschaft und Staat Schaden zu. Außerdem lassen Sie couragierte Bürgerinnen und Bürger, die
Korruptionsskandale aufdecken, im Stich.
Es wird höchste Zeit, dass wir nächstes Jahr mit einer
rot-grünen Regierung die Bekämpfung der Korruption
energisch in die Hand nehmen.
({15})
Das werden wir tun. Darauf können Sie sich verlassen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin
Hönlinger, vielen Dank für Ihre Erinnerung daran, dass
Sie die UN-Konvention gegen Korruption im Jahr 2003
als Regierungsverantwortliche unterzeichnet haben.
Dann haben Sie es aber nicht geschafft, sie umzusetzen.
Heute halten Sie uns nun vor, dass wir die Arbeit machen müssen, die Sie 2003 nicht vollendet haben.
Das Entscheidende ist aber, dass Sie an der Rechtspolitik, die diese Koalition macht, nichts auszusetzen haben. So scheint es mir jedenfalls, nachdem ich die Debattenbeiträge der Opposition gehört habe.
({0})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist: Von den
Vorhaben, die wir, diese Koalition, 2009 im Koalitionsvertrag festgehalten haben, haben wir 76 Prozent umgesetzt. 24 Prozent dieser Vorhaben sind noch nicht verwirklicht. Deren Umsetzung liefern wir Ihnen nächstes
Jahr. Hierbei handelt es sich um gute Politik. Deswegen
haben Sie hier wirklich nichts Sinnvolles zu kritisieren.
({1})
Warum Sie nicht sinnvoll kritisieren können, will ich
Ihnen einfach einmal anhand eines kleinen Potpourris
dessen, was wir geleistet haben, darstellen.
2007 ist erstmals eine Bank in Deutschland aufgefangen worden - dieser Vorgang war ein Vorläufer der
Finanzkrise -; das war die IKB. Sie haben es damals
nicht geschafft, verehrte Kollegen von der SPD, mit der
Justizministerin und dem Finanzminister ein Restrukturierungsgesetz für Banken auf den Weg zu bringen. Wir
haben es 2010 ganz am Anfang dieser Koalition gemacht, und Deutschland steht heute in Europa als das
Land da, das in diesem Bereich ein vernünftiges Gesetz
hat. Das muss man als Erstes festhalten.
Zweitens. Wir haben ein Gesetz zur Erleichterung
von Unternehmenssanierungen verabschiedet. Wir wollten den Mittelstand vor der Krise schützen bzw. einem
mittelständischen Unternehmen, das von der Krise betroffen ist, einen Weg aufzeigen, wieder aus ihr herauszukommen. Auch dies war ein erfolgreiches Gesetz.
Auch dort haben wir geliefert.
({2})
Drittens. Wir haben Ihnen jetzt einen Gesetzentwurf
vorgelegt, mit dem wir etwas erreichen wollen, was
ebenfalls im Koalitionsvertrag steht: die Verbesserung
der zweiten Chance. Wir legen eine zweite Stufe der Insolvenzrechtsreform vor. Damit geben wir Menschen,
die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und bereit
sind, ihren Gläubigern 25 Prozent ihres Geldes zurückzuzahlen, die Möglichkeit, früher aus dem Restschuldbefreiungsverfahren herauszukommen, sodass sie früher
wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und
wirtschaftlich erfolgreich sein können. Das ist eine vernünftige Politik für den Mittelstand, die diese Koalition
betreibt.
({3})
Ein weiterer Punkt. Diese Koalition hat in den letzten
Jahren den Rechtsschutz verstärkt. Sie haben 2002/2003
das Berufungsrecht faktisch abgeschafft. Wir haben
§ 522 ZPO in dieser Legislaturperiode reformiert. Wir
haben ein Gesetz zur Reduzierung überlanger Gerichtsverfahren auf den Weg gebracht und 2011 verabschiedet.
Warum? Die schnelle Verkündung eines Urteils ist Ausdruck eines vernünftigen Rechtsschutzes. Insofern hat
die Justizministerin hier ein erfolgreiches Gesetz vorgelegt. Der Kollege Petermann hat zu Recht gefordert, die
Justiz vernünftig auszustatten. Das ist auch Sache der
Länder. Wir haben mit diesem Gesetz für mehr Rechtsschutz gesorgt. Außerdem haben wir hier gemeinsam,
und zwar einstimmig -, das ist etwas, wofür wir uns alle
loben können - das Mediationsgesetz auf den Weg gebracht, um Menschen außergerichtlichen Rechtsschutz
vor dem Gericht zu ermöglichen. Auch das ist ein Beispiel für erfolgreiche Rechtspolitik, die in der Zeit der
schwarz-gelben Koalition betrieben worden ist.
({4})
Wir liefern beim Rechtsschutz. Zum Rechtsschutz gehört auch eine vernünftige Politik für Verbraucher. Da
will ich nur ein Beispiel bringen: Wir haben zur Bekämpfung von Kostenfallen im Internet durch die Buttonlösung, die die Justizministerin auf den Weg gebracht
hat, ein wirksames Instrument geschaffen. So stellen wir
sicher, dass man im Internet einkaufen kann, ohne betrogen zu werden. Auch das ist Teil einer vernünftigen
Rechtsschutz- und Verbraucherpolitik, wie sie diese
Koalition in den letzten Jahren betrieben hat.
({5})
Auch in den schwierigen Fragen sind wir gut vorangekommen. Wir haben das Zeugnisverweigerungsrecht
für Anwälte gestärkt. Dem voraus ging eine Diskussion,
die nicht einfach war. Es kann aber doch nicht sein, dass
ein Strafverteidiger ein Zeugnisverweigerungsrecht hat,
aber ein Anwalt, der in Zivilsachen berät, nicht. Auch da
sind wir mit der Änderung des § 160 a StPO weitergekommen.
Wir haben die Pressefreiheit gestärkt, indem wir den
Quellen- und Informationsschutz strafrechtlich ausgebaut haben.
Darüber hinaus haben wir - das haben wir in der letzten Sitzungswoche diskutiert - die Sicherungsverwahrung mit den Reformen 2010 und 2012 auf ein vernünftiges Fundament gestellt.
({6})
Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung
der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs werden
wir das abschließen, was uns der Runde Tisch mit auf
den Weg gegeben hat. Auch dieses Gesetz steht demnächst zur Beratung an. Wir haben also auch hier einen
kompletten, vernünftigen und erfolgreichen Ansatz in
der Rechtspolitik.
Diesen Ansatz werden wir auf einem weiteren Gebiet
verfolgen. Da Rechtspolitik und Rechtsleben ohne eine
starke Anwaltschaft nicht möglich sind, wollen wir ein
Rechtsregime schaffen, das das anwaltliche Berufsrecht
verbessert. Dazu wollen wir zum einen in Deutschland
die Rechtsform Partnergesellschaft mit beschränkter
Haftung auf den Weg bringen. Es kann nicht sein, dass
mittelständische Kanzleien das tun, was wir früher schon
einmal bei GmbHs erlebt haben: Sie sind in die Rechtsform „ltd.“ geflohen. Heute sind viele Kanzleien darauf
angewiesen, in eine englische Gesellschaft namens LLP
zu fliehen.
({7})
Wir werden mit dem Gesetz zur Partnergesellschaft mit
beschränkter Haftung eine vernünftige deutsche Alternative anbieten.
Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz werden
wir dafür sorgen, dass die Anwaltschaft weiterhin vernünftig, auskömmlich den Menschen den Rechtsschutz
verschaffen kann, der ihnen zuteilwerden muss, wenn sie
sich gegen Urteile und andere Dinge wehren müssen.
({8})
Das ist eine Rechtspolitik, die erfolgreich ist. Das ist
eine Rechtspolitik, die hier kaum kritisiert worden ist.
Ich habe Ihnen vorgetragen, warum das so ist. Sie ist erfolgreich. Sie glänzt. Das ist an dieser Stelle mein Lieblingsbeispiel.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundesministerin! Herr Ahrendt, meine Bewertung
Ihrer Bilanz der Rechtspolitik der Koalition fällt anders
aus. Das wird Sie nicht überraschen. Sie verraten mir bei
Gelegenheit noch einmal, wie Sie zu den 76 Prozent
kommen. Das ist letztendlich aber auch egal; denn es
geht gar nicht darum, was Sie aus dem Koalitionsvertrag
umgesetzt haben, sondern viel wichtiger ist, welche
rechtspolitischen Themen überzeugend geregelt und
welche wichtigen Themen einer Lösung zugeführt worden sind. Hier muss ich sagen: Zehn Monate vor der
nächsten Bundestagswahl und drei Jahre nach der letzten
Wahl komme ich zu keiner überzeugenden Bewertung.
Sie haben keine überzeugende Bilanz aufzuweisen. Anhand von einigen Themen, an denen die Handlungs- und
Entscheidungsunfähigkeit im Bereich der Justiz ganz
deutlich wird, will ich Ihnen anführen, warum ich ge25168
meinsam mit der Fraktion der SPD dieser Auffassung
bin.
Ich greife ein Thema auf, das die Kollegin Hönlinger
bereits dargestellt hat und das uns im Parlament ganz
besonders beschäftigen muss, weil es für das Ansehen
dieses Parlaments sehr wichtig ist. Es ist das Thema Abgeordnetenbestechung. Frau Ministerin, bei diesem
wichtigen Thema hätte ich mir insbesondere von Ihnen
mehr Engagement, mehr juristische Kreativität und mehr
Engagement bei der Entwicklung von guten Regelungen
gewünscht. Ich finde es peinlich, dass wir die UN-Konvention zur Bekämpfung von Korruption immer noch
nicht umgesetzt haben und dass wir offensichtlich nicht
in der Lage sind, hier vernünftige Regelungen zu beschließen.
({0})
Wir wissen, wir sind nicht bestechlich, meine Damen
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber
schon den Anschein, der dadurch erweckt wird, dass wir
diese Konvention nicht umsetzen, müssen wir dringend
bekämpfen und beseitigen, und zwar wir hier im Parlament. Es schadet unserem Ansehen. Deswegen müssen
wir das regeln. Es sollte uns zu denken geben - auch das
hat Frau Hönlinger bereits gesagt -, wenn uns führende
Wirtschaftsvertreter im Sommer darauf hinweisen, dass
dringender Handlungsbedarf besteht.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen hervorragenden Gesetzentwurf vorgelegt. Er ist praktikabel und eine
hervorragende Grundlage für die weitere Diskussion. Es
zeichnet uns aus, dass sich auch der Bundestagspräsident
Lammert, der hier sehr engagiert ist, weil er um die
Wichtigkeit und die Bedeutung dieses Themas sehr gut
Bescheid weiß, an unseren Vorschlägen orientiert. Ich
bleibe weiter optimistisch - das habe ich schon bei der
ersten Lesung unseres Gesetzentwurfes gesagt -, dass
wir doch noch zu vernünftigen Regelungen und zu einer
Lösung kommen. Wir brauchen dazu juristische Kreativität; diese ist hier im Parlament vorhanden. Wir brauchen dazu auch Mehrheiten. Das sollten wir auf den Weg
bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Frau
Ministerin, ich frage direkt an Sie gewandt: Was ist das
für ein Gezerre beim Thema Frauenquote in der Bundesregierung und in der Koalition? Was ist das für ein unwürdiges Gezerre? Auch das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, schadet unserem Ansehen. Wir haben es bei
dem Thema „Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft“ mit einem elenden Hin und Her zu tun. Dieses Thema hätten wir, wie
ich finde, längst angehen und dringend regeln müssen.
({2})
Es gibt Gremien, die fähig sind, sich zu einigen; der
Bundesrat hat das bewiesen. Nachdem sich die CDU-regierten Länder Thüringen und Saarland der Auffassung
angeschlossen hatten, dass hier Handlungsbedarf besteht, haben sie dem Gesetzentwurf von Hamburg zugestimmt und am 21. September im Bundesrat einen Gesetzentwurf mit der Forderung verabschiedet, 40 Prozent
der Aufsichtsratspositionen mit Frauen zu besetzen. Das
ist eine dringend notwendige Forderung. Wir finden, sie
ist nicht weitgehend genug, aber wenigstens ist es ein
Beginn der Debatte.
Gerade erst am 14. November hat sich die Justizkommissarin aus der Familie der CDU, Viviane Reding, eine
engagierte Frau - Frau Ministerin, Sie kennen sie gut -,
durchgesetzt und in der EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag auf den Weg gebracht. Es geht also. Man
kann sich einigen; man kann etwas regeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir im Deutschen
Bundestag sollten uns nicht treiben lassen, weder vom
Bundesrat noch von der EU-Kommission, sondern wir
sollten im Hinblick auf das Thema „Führungspositionen
für Frauen in deutschen Unternehmen“ selbst etwas beschließen.
Die SPD-Fraktion hat auch hier einen hervorragenden
Gesetzentwurf vorgelegt: praktikabel, gut anwendbar,
mit umfassenden Regeln, die auch Vorstände einbeziehen. Sie alle haben bei den weiteren Beratungen demnächst die Chance, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen
und dieses wichtige Thema endlich auf den Weg zu bringen. Ich wünsche mir hier eine breite Mehrheit; denn ich
weiß, dass auch in Ihren Fraktionen viele der Auffassung
sind, dass wir dieses Thema endlich regeln müssen und
dass Frauen eine faire und gerechte Chance auf Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft erhalten
sollen.
({3})
Das sind zwei Themen, bei denen die Koalition weder
in der Lage war, sich zu entscheiden, noch zu handeln.
Wenn sie dann etwas vorlegt - das hat mein Kollege
Schurer schon angesprochen -, kann man meist nur sagen: Das Ganze ist so unsozial und so unpraktikabel,
dass es den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger
nicht gerecht wird.
Das Mietrechtsänderungsgesetz wird zum Beispiel
den Mieterinnen und Mietern überhaupt nicht gerecht.
Wir befinden uns in Berlin. Sie alle wissen es, Kolleginnen und Kollegen: Hier gibt es drastische Mietsteigerungen. Es gibt viele Menschen, die sich Sorgen machen
über Verdrängung, die von überhöhten Mietpreisen bedroht sind, auch durch die Nebenkosten und die Stromkosten. Wir müssen im Bereich des Mietrechts ganz
dringend Regelungen finden, die die Mietsteigerungen
bei Neuvermietungen in Grenzen halten. Was Sie jedoch
hier vorgelegt haben, Frau Ministerin und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ging genau in
die andere Richtung, nämlich in die Richtung, die Mieterinnen und Mieter noch viel stärker zu belasten, und
zwar mit den Kosten, die bei einer energetischen GebäuDr. Eva Högl
desanierung, die ja an sich richtig ist, auf sie zukommen.
Das können wir überhaupt nicht mitmachen. Deswegen
bin ich froh, dass dieser Gesetzentwurf gestoppt wurde
und wir die Chance haben, ihn im Laufe der weiteren
Beratung noch zu verbessern.
({4})
Ich habe noch eine allerletzte Bitte, Frau Ministerin,
und zwar zu den Stichworten „NSU“ und „rechtsextremer Terror“. Wir haben jetzt ein Jahr lang im Untersuchungsausschuss gearbeitet und aufgeklärt und überlegen uns nun Vorschläge. Ich wünsche mir von Ihnen,
Frau Ministerin, dass Sie bei der Diskussion über Reformen weiterhin engagiert bleiben. Bisher haben wir von
der Bundesregierung wenig an Vorschlägen zu Veränderungen gehört. Das alles reicht noch nicht, um dieser besonderen Herausforderung gerecht zu werden. Wir müssen hier ganz grundsätzlich reformieren, und zwar auch
- Frau Ministerin, deshalb spreche ich Sie an - bei der
Justiz in den Bundesländern. Wir sollten vor diesem
Hintergrund keine weitere Zeit verstreichen lassen, sondern bereits jetzt Vorschläge dazu erarbeiten, was wir
machen müssen, um rechtsextremen Terror nicht nur
aufzuklären, sondern vor allen Dingen für die Zukunft
zu verhindern.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - - Moment,
da stimmt etwas nicht. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hatte Redner getauscht, deswegen war das
Ganze hier etwas durcheinander geraten.
Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei meinem Beitrag hätten Sie relativ schnell mitbekommen, dass ich kein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen
sein kann.
Frau Kollegin Högl, Sie haben ja gerade ansatzweise
versucht, Kritik an der Rechtspolitik der christlich-liberalen Koalition zu üben. Sie haben, wie es vorhin auch
schon angeklungen ist, auch wieder die Peinlichkeit der
noch nicht erfolgten Umsetzung der UN-Korruptionsrichtlinie aufgegriffen.
Frau Kollegin Högl, Sie waren doch auch in der umfassenden Anhörung, die wir im Rechtsausschuss zu diesem Thema durchgeführt haben. Diejenigen, die sich
loben, hier einen Gesetzentwurf vorgelegt zu haben,
sollten zumindest sehr kritisch zur Kenntnis nehmen,
dass die überwiegende Zahl auch der von Ihnen benannten Sachverständigen diese Gesetzentwürfe mehr als
nachhaltig inhaltlich kritisiert hat.
({0})
Ich denke, die Sachverständigen haben insgesamt in aller Deutlichkeit klargemacht, wie komplex und schwierig die Materie ist. Es ist schlicht und einfach nicht in
Ordnung, immer so zu tun, als ob auf der rechten Seite
des Parlaments nur Abgeordnete säßen, die Maßnahmen
zur Bekämpfung von Korruption bei Abgeordneten mit
aller Gewalt vermeiden wollten.
({1})
Da die rot-grüne Regierung im Jahr 2003 - der Kollege
Ahrendt hat es gesagt - das Übereinkommen unterzeichnet hat, müssen Sie sich fragen lassen, warum Rot-Grün
es nicht auch umgesetzt hat.
({2})
Meine Damen und Herren, die Bundesjustiz kostet
den Bürger jedes Jahr ganze 1,36 Euro - ein mehr als
überschaubarer Betrag, wenn man ihn in Relation zum
breiten Aufgabenspektrum der Bundesjustiz betrachtet.
Wir sagen im Rahmen der Haushaltsdebatten zu den
Einzelplänen der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts immer wieder: Es handelt sich um einen kleinen,
feinen Haushaltsetat, der von den Zahlen her immer gut
dasteht; bei den Einnahmen liegt er unter allen Ressorts
des Bundeshaushalts an vierter Stelle, bei den Ausgaben
an letzter Stelle. Wir kriegen also von den Haushältern
immer gute Noten, und das ist sehr schön.
Wir Rechtspolitiker, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wissen aber - und das sollte man auch immer wieder
sagen -: Die Rechtspolitik hat ein sehr breites Aufgabenspektrum abzudecken. Sie ist im gesellschaftlichen Geflecht der Gesetzgebung von fundamentaler Bedeutung.
Rechtspolitik ist schon lange mehr als nur klassische
Justizpolitik - die Kollegen wissen es aus der aktiven
Arbeit -: Wir haben eine Vielzahl von Gesetzesvorlagen,
die an uns zur Federführung überwiesen werden, manchmal auch eine schier endlos erscheinende Liste der Mitberatung im Rahmen anderer Gesetzgebungsvorhaben.
({3})
Es kommt hinzu - ich habe es auch in meiner letzten
Haushaltsrede gesagt -: In der Rechtspolitik gewinnt das
Thema Europa immer mehr an Bedeutung; das wissen
wir schon lange. Ich denke, es ist immer wieder gut,
richtig und beispielhaft für die Arbeit dieses Hohen Hauses, dass der Rechtsausschuss mit seinem Unterausschuss Europarecht einen sehr wertvollen Beitrag zur
Begleitung der europäischen Rechtspolitik leistet. Ich
möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir mit
der kürzlich stattgefundenen Konferenz mit Vertretern
anderer nationaler Parlamente, die sich auf Initiative des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum ers25170
ten Mal überhaupt in dieser Konstellation getroffen haben, ein gewisses Novum im Bereich der europäischen
Zusammenarbeit mit anderen Parlamenten geschaffen
haben. Die Kollegen, die da waren, wissen: Es ging um
das Vorhaben der Europäischen Kommission im Bereich
des europäischen Kaufrechts und die Subsidiaritätsverantwortung der nationalen Parlamente. Ich darf an dieser
Stelle nicht nur dem Bundestagspräsidenten Lammert
ausdrücklich für die uneingeschränkte Unterstützung des
Vorhabens danken, sondern auch dem Vorsitzenden des
Rechtsausschusses, dem Kollegen Siegfried Kauder, und
dem Sekretariat des Rechtsausschusses sehr herzlich für
die Organisation danken.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dieser Veranstaltung Neuland betreten. Wenn auch die Zahl
der teilnehmenden Kollegen aus den europäischen Nachbarparlamenten und im Übrigen auch aus unserem
Hause durchaus hätte höher sein können, waren sich alle
Anwesenden einig: Das Experiment war ein Erfolg. Die
Teilnehmer waren übereinstimmend der Auffassung:
Eine intensivere Koordinierung der gemeinsamen Arbeit
zur Bewältigung der europäischen Aufgabenstellungen
der nationalen Parlamente, wie sie uns durch den Lissabonner Vertrag zugewachsen sind, ist sinnvoll und erstrebenswert.
Getreu der Devise „Ceterum censeo Carthaginem
esse delendam“ pflege ich an dieser Stelle immer wieder
zu sagen - ich gebe nie die Hoffnung auf -, dass ich es
für notwendig erachte, hier, in der öffentlichen Debatte
dieses Hohen Hauses, häufiger und intensiver die Themen der europäischen Rechtspolitik zu debattieren.
({5})
Wir alle sollten uns im Rahmen unserer Möglichkeiten
dafür einsetzen, dass das verstärkt geschieht. Ich weiß:
Im nationalen parlamentarischen Alltagsgeschäft ist das
manchmal ein Wunsch, der sich nicht realisieren lässt.
Trotzdem werde und will ich die Hoffnung an der Stelle
nicht aufgeben.
Ich rede hier vom nationalen Alltagsgeschäft der
Rechtspolitik, weil Haushaltsdebatten - das ist hier angeklungen - nicht nur eine Bilanz der Zahlen beinhalten,
sondern auch eine Bilanz der Rechtspolitik. Ich finde,
dass der Kollege Ahrendt sehr richtig, sinnvoll und umfassend dargelegt hat, welche Erfolge die schwarz-gelbe
Koalition in der Rechtspolitik inzwischen zu verzeichnen hat und dass sich das Genörgel der Opposition selektiv auf einige wenige Punkte beschränkt.
({6})
Herr Petermann, ich gehe jetzt gar nicht auf Ihre für
mich bemerkenswerten Gedanken zur Reform der Justiz
ein. Sie haben das Gesetz über den Rechtsschutz bei
überlangen Gerichtsverfahren als „schwachbrüstigen
Kompromiss“ kritisiert, sinngemäß als etwas, was nicht
helfe. Sie sagten, man müsse das Übel an der Wurzel
packen. Ich habe mir bei der Beschäftigung mit der
Frage, wie das Gesetz wirkt, die - das ist blanker Zufall statistischen Zahlen des Landes Brandenburg, in dem ein
Justizminister Ihrer Partei seit 2009 zusammen mit der
SPD regiert, zu Gemüte geführt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von SPD und Linken, hören Sie gut zu: Seit
dem Regierungsantritt hat sich die Verfahrensdauer in allen Bereichen leider zunehmend verlängert, manchmal
um einen Monat. Betrug die Verfahrensdauer im Jahr
2009 bei allgemeinen Zivilsachen der Landesgerichte
noch durchschnittlich 9,4 Monate, so sind es mittlerweile 10,4 Monate. Ich könnte Ihnen noch mehr Zahlen
nennen, die belegen, dass die Verfahrensdauer kontinuierlich ansteigt.
Verehrter Herr Petermann, Sie machen uns Vorhaltungen. Mein Vorschlag ist: Nehmen Sie mit Ihren Kollegen
in Brandenburg Kontakt auf. Sie könnten mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass es mit einem linken
Justizminister auch anders geht. Es wäre schön, wenn
Sie im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehen
würden.
({7})
Wir werden auf Bundesebene in dieser Woche ein
sehr wichtiges und auch emotional schwieriges Gesetzgebungsvorhaben beraten, nämlich das Gesetz zur Regelung der Beschneidung. Ich will den Beratungen aber
nicht vorgreifen.
Wir haben eine Vielzahl weiterer Themen auf der Tagesordnung; meine Kollegen haben schon darauf hingewiesen. Das zeigt, dass sich schwarz-gelbe Rechtspolitik
bewährt. Wir werden das Patientenrechtegesetz verabschieden. Endlich werden die Informationsrechte von Patienten transparent in einem gesonderten Gesetz geregelt.
Wir werden die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Sterbehilfe auf die Tagesordnung setzen. Es wurden Bereiche
aus dem Wirtschaftsrecht angesprochen, zum Beispiel
Kleinstkapitalgesellschaften im Zuge der Umsetzung einer EU-Richtlinie von bürokratischen Bilanzierungspflichten zu entlasten. Auch das Leistungsschutzrecht
und das Mietrechtsreformgesetz sind genannt worden.
Bei Letzterem kritisieren Sie immer wieder, dass es sozial
unausgewogen ist, was schlicht nicht stimmt. Wir werden
das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern neu
regeln. Auch das haben wir hier bereits diskutiert.
Das Spektrum der Rechtspolitik ist breit gefächert.
Lassen Sie mich deshalb auch erwähnen, dass wir das
Seehandelsrecht grundsätzlich reformieren. Wir Juristen
haben mit dieser Materie zugegebenermaßen nicht allzu
viel zu tun. Trotzdem enthält es für die maritime Branche
notwendige Regelungen. Wir werden das Patentrecht entbürokratisieren. Das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz ist
ebenfalls erwähnt worden. Auch das Insolvenzrecht
Teil II wird in Angriff genommen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, bei all
den guten gesetzgeberischen Vorhaben fällt es Ihnen
schwer, kritische Ansätze zu finden. Ich habe nichts gegen Kritik; die dürfen Sie ruhig anbringen. Im Ergebnis
kann man jedoch feststellen: Die bisher verabschiedeten
Gesetze belegen, dass wir gute und kluge Arbeit geleisAndrea Astrid Voßhoff
tet haben. Bei einer Vielzahl der Gesetze haben Sie im
Ergebnis dankenswerterweise zugestimmt.
Abschließend sei mir noch erlaubt, auf ein Anliegen
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einzugehen. Wir
schauen hin und wieder auch in die Länder hinein. Auf
der JuMiKo der Länder ist unter anderem ein Beschluss
gefasst worden, der aus unserer Sicht sinnvoll und richtig ist. Es geht darum, Schüler in den Schulen stärker vor
sexuellen Übergriffen durch Lehrer zu schützen. Aufgrund zweier Entscheidungen des OLG Koblenz wissen
wir, dass es eine Schutzlücke gibt. Es kann nicht sein,
dass das Gesetz nicht zur Anwendung kommt, nur weil
der Lehrer nicht der Klassenlehrer, sondern ein Vertretungslehrer war. Die Strafbarkeit der Handlung darf
nicht davon abhängen. Aus Sicht der Union ist das eine
Schutzlücke.
({8})
Ich bin den Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalz
dankbar, dass sie eine Gesetzesinitiative auf den Weg
bringen wollen. Aus unserer Sicht ist das ein unterstützenswertes Vorhaben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Nun hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit
drei Bemerkungen machen. Alle haben mit Geld und
dem Justizhaushalt zu tun.
Erstens. Sie haben dankenswerterweise die Mittel für
den Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe wieder erhöht. Ich darf daran erinnern, wann dieser Fonds eingerichtet worden ist. Er ist eingerichtet
worden, als in Deutschland die Häuser brannten, als
Asylbewerber um ihr Leben bangen mussten, als es in
Mölln und Solingen Tote gegeben hat, Opfer rechtsextremen Terrors. Deswegen haben die damalige rotgrüne Bundesregierung und die Koalition aus Rot-Grün
einen Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt eingerichtet. Seitdem ist das - bis zum heutigen
Tage - ein Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt
geblieben. Wir haben praktisch keine Abflüsse für andere Opfer, insbesondere keine für Opfer linksextremistischer Gewalt, obwohl es auch die gibt. Jetzt aber
- nach den NSU-Morden - ist evident klar, dass wir
auch in dieser Frage handeln müssen. Es ist damals
- Frau Voßhoff, das ist mein Ceterum Censeo - ein Fehler gewesen, und es bleibt ein Fehler, dass Sie diesen
Fonds seines Namens entkleidet haben und versteckt haben, worum es hier gesellschaftlich geht.
({0})
Deswegen: Mit der Erhöhung sind wir einverstanden,
mit dieser Camouflage nicht.
Zweitens komme ich zur Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Dazu möchte ich eines sagen, Herr
Kollege Thomae: Im Mai nächsten Jahres wird mit den
Ländern verhandelt. Die Bundesregierung muss verhandeln; das ist richtig. Es ist aber ein Fehler, dass der Bund
hier und heute diesen skandalösen Zustand nicht auch
dadurch behebt, dass er seinen eigenen Anteil aufstockt.
Dass Sie sich da verweigert haben, ist ein großer Fehler.
({1})
Nun zu meinem dritten Punkt, liebe Kolleginnen und
Kollegen: der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Diese Kommission ist
notwendig. Es ist richtig, dass es sie gibt. Es ist gesagt
worden, sie hätte viel früher kommen müssen. Jetzt ist
sie da. Das wird von uns befürwortet. Sie ist auch finanziell ausgestattet.
Was ist ihre Aufgabe? Ihre Aufgabe - ich zitiere da immer Verlautbarungen des Justizministeriums - ist die folgende: Es soll erforscht werden, wie groß der Personenkreis ist, der in der NS-Zeit bereits im Sinne des Systems
aktiv war und nach 1949 im Bundesjustizministerium tätig war. Es soll herausgefunden werden, inwieweit ideologisches nationalsozialistisches Gedankengut bei der
Reform des Strafrechts und der Ausgestaltung des politischen Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland
fortgewirkt hat. - So weit, so gut.
Dann lese ich in einer Antwort auf eine Anfrage von
uns - ich darf zitieren -: Ausgangspunkt der Arbeit dieser Kommission ist „der im Nürnberger Juristenprozess
entwickelte Maßstab für das Verhalten von Ministerialbeamten, Richtern und Staatsanwälten“. Da habe ich gestutzt und mich gefragt: Was bedeutet das? Das ist immerhin eine schriftliche Aussage Ihres Hauses.
Ich fasse zusammen: Grundlage dieses Juristenprozesses war das Recht der Besatzungsmächte. Der
Chefankläger hat zu Beginn dieses Prozesses gesagt: Es
geht nicht um Täter im letzten Glied, es geht nur um die,
die für Morde, Misshandlungen und Gräueltaten verantwortlich sind. - Angeklagt wurden Kriegsverbrechen,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Zugehörigkeit zu Organisationen wie der NSDAP, der Gestapo
oder des SD.
Interessant ist, dass das Bundesjustizministerium als
ein herausragendes Beispiel für die Kontinuität des
Nationalsozialismus in die Bundesrepublik hinein den
Namen Massfeller genannt hat. Ich habe nachgeschaut,
wer der Herr Massfeller war. Er war Kommentator des
Blutschutz- und Eheschutzgesetzes und dann bis 1960
Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium. Er war
aber nie Mitglied der NSDAP, und er war nie Mitglied
der SS. Deswegen stellt sich für mich die Frage: Was bedeutet „Ausgangspunkt für diese Arbeit sind die Maßstäbe des Nürnberger Juristenprozesses“?
Ich bitte Sie an dieser Stelle ganz deutlich: Klären Sie
das auf! Sagen Sie, ob wir befürchten müssen, dass tatsächlich nur ein sehr kleiner Teil von Mördern und
Haupttätern ins Visier dieser Untersuchung kommt, oder
ob tatsächlich in dem versprochenen Umfang eine unabhängige und vollständige Aufklärung wissenschaftlich
überprüft wird. Mir ist das ein echtes Anliegen. Deswegen habe ich die Bitte, dass Sie das klarstellen, Frau
Ministerin.
({2})
Der Kollege Norbert Geis hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Rechtspolitik ist unwahrscheinlich facettenreich. Kaum ein Thema wurde in den einzelnen Wortbeiträgen wiederholt angesprochen. Ein Thema hat sich
aber doch durchgesetzt. Es ist die Frage, wie wir mit der
Datenspeicherung umgehen. Wir brauchen so bald wie
möglich eine Vorratsdatenspeicherung.
({0})
Wir brauchen sie, damit Polizei und Staatsanwaltschaft
besser Straftaten verfolgen können, und wir brauchen sie
aus präventiven Gründen. Vor allen Dingen deshalb
brauchen wir sie. Es ist erwiesen, dass aufgrund der Datenspeicherung Interventionen seitens der Polizei und
der Staatsanwaltschaft möglich sind. Deswegen müssen
wir uns dazu durchringen. Wir müssen so schnell als
möglich zu einem Ergebnis kommen. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil ganz klar dargelegt, wie man
das machen muss. Ich meine, wir sollten auf diesem Weg
voranschreiten und zu einem guten Ergebnis kommen.
({1})
- Sie von der Opposition brauchen sich gar nicht so zu
echauffieren.
Lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Punkt
nennen.
({2})
Herr Funk, Sie haben uns in Ihrem Schreiben zu Wochenbeginn mitgeteilt, dass es in der Bereinigungssitzung gelungen ist, die Mittel für die Deutsche Stiftung
für internationale rechtliche Zusammenarbeit um
364 000 Euro auf 4,1 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist
eine gute Nachricht. Diese gute Nachricht müssen wir
laut verkünden; denn die Stiftung für internationale
rechtliche Zusammenarbeit hat die Aufgabe, unser deutsches Rechtssystem bzw. unser Verständnis vom Recht
in anderen Ländern bekannt zu machen. Die Stiftung soll
sogar dazu beitragen, dass die Rechtssysteme, die jetzt in
den Ländern des arabischen Frühlings mit neuen Demokratien entstehen, den Charakter des deutschen Rechtssystems annehmen. Das wäre von großem Vorteil.
Natürlich wäre das von Vorteil für die deutschen Investoren, für die Produzenten, überhaupt für all diejenigen,
die in diesen Ländern geschäftlich tätig sind.
Ich weiß aber nicht, ob das gelingen wird, insbesondere in den Ländern, die vom Islam beherrscht werden.
({3})
Sie haben eine andere Vorstellung vom Recht. Sie messen dem Recht und dem Gesetz eine andere Bedeutung
bei als wir. Das Gesetz hat dort dem Islam zu folgen. Wir
hingegen leben in einer freien Demokratie, in einem säkularen Staat. Wir können stolz darauf sein, dass wir
eine Rechtsordnung haben, die frei ist von religiösen
Bindungen.
({4})
Das ist Ergebnis der Aufklärung. Das ist eine Errungenschaft, die wir natürlich erhalten müssen.
Damit habe ich nicht gesagt, dass nicht auch unser
Recht auf Grundlagen aufbauen muss. Unsere Gesetze
müssen eine Grundlage haben. Auch das müssen wir
diesen Ländern, diesen Völkern sagen. Grundlage unseres Rechts ist zunächst einmal unsere Verfassung. In der
Verfassung sind die grundlegenden Strukturen benannt,
nach denen sich unsere Gesetze zu richten haben. Richtet sich ein Gesetz nicht danach, dann ist es verfassungswidrig. Selbst unsere Verfassung ist positives Gesetzesrecht. Die Verfassung muss auch - lassen Sie mich das
ruhig sagen - mit dem der Verfassung vorausgehenden
Naturrecht übereinstimmen. Das Naturrecht kann jeder
Mensch bei Gebrauch seines Verstandes, mit seiner Vernunft erkennen. Immer dann, wenn ein Recht nicht mit
dieser Grundlage übereinstimmt, dann läuft es sehr
schnell Gefahr, gegen die Menschen zu agieren. Wir haben das in der Zeit zwischen 1933 und 1945 erfahren. Da
hatten wir Gesetze, die sich nach dem Wind gerichtet haben. Diese Gesetze haben Millionen von Menschen das
Leben gekostet. Gerade diese Erfahrung sollten wir im
Rahmen der internationalen Zusammenarbeit weitergeben.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich ein für Sie vielleicht nur am Rande liegendes
Thema ansprechen. Für uns ist es sehr erfreulich, dass es
nun die Konzentration der Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaft für die Verfolgung von Straftaten, die Bundeswehrsoldaten beim Einsatz im Ausland begangen haben, in Kempten gibt. Wir freuen uns darüber.
({6})
- Ich weiß nicht, was Sie dagegen haben. - Wir meinen,
dass damit keine Militärgerichtsbarkeit geschaffen
wurde. Wir meinen auch, dass damit keine Sondergerichtsbarkeit geschaffen wurde. Hier ist vielmehr eine
Konzentration auf ein Gericht und eine Staatsanwaltschaft erfolgt
({7})
und damit eine Konzentration auf Kompetenz. Ich
meine, dass dadurch schneller, präziser und unter Umständen mit mehr Sachkenntnis geurteilt werden kann.
({8})
- Nein, es ist kein Sondergericht. Das ist es wirklich
nicht. Der gemeinsame Gerichtsstand ist noch kein Sondergericht. Das wissen doch auch Sie.
Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen: die
Modernisierung des Kostenrechts. Wir haben beim Kostenrecht Schwierigkeiten mit den Ländern. Ich bin sehr
damit einverstanden, dass die Anwaltschaft durch die
Modernisierung des Kostenrechts besser gestellt wird.
Das ist gut. Wir brauchen die Anwaltschaft. Das sage ich
nicht, weil ich selber Anwalt bin, sondern weil wir die
Anwaltschaft als Rechtspflegeorgan brauchen. Sie muss
vernünftig dotiert sein.
Aber wir werden Schwierigkeiten mit den Ländern
bekommen. Die Länder kritisieren an den vorliegenden
Vorschlägen insbesondere, dass so nicht einmal annähernd die Selbstkosten der Justiz gedeckt werden. Das
ist auch nicht das Ziel der Länder. Das Ziel der Länder
ist - dafür müssen wir, glaube ich, ein offenes Ohr haben -,
dass im Rahmen der Modernisierung des Kostenrechts
zumindest ein Inflationsausgleich erfolgt. Seit 1994 wurden die Gerichtskosten nicht verändert. Inzwischen sind
18 Jahre vergangen. Wir haben eine Inflationssteigerung
von 22 Prozent, während wir eine Steigerung der Gerichtskosten um lediglich 4 Prozent planen. Das ist zu
wenig. Deswegen werden die Länder darauf pochen
- dafür müssen wir ein offenes Ohr haben -, dass hier
noch eine Verbesserung stattfindet.
Allerdings sollte man die Länder auch darauf hinweisen, dass sie die Wichtigkeit der Justiz oft verkennen.
Die Bedeutung der Justiz für unseren Rechtsstaat wird
meiner Meinung nach in den Ländern nicht richtig gewürdigt. Die Justiz kostet Geld, aber andere Dinge kosten auch Geld. Die Justiz leistet einen wichtigen Beitrag.
Sie sorgt dafür, dass das Rechtsleben in unserer Gesellschaft funktioniert. Daher sollten die Länder auch ein
wenig mehr Mittel für die eigene Justiz bereitstellen.
({9})
Der Anteil der Justiz am Bundeshaushalt ist sehr gering.
Wir von der Justiz sind wirklich sparsam.
Lassen Sie mich noch ein Letztes ansprechen. Wir beschäftigen uns seit geraumer Zeit mit der Frage, wie wir
mit der Sterbehilfe umgehen. Die Justizministerin hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dafür sind wir sehr dankbar. Dieser Gesetzentwurf sieht aber nur die Strafbarkeit
der Sterbehilfe bei gewerbsmäßiger Betätigung vor. Wir
meinen, dass dies unter Umständen zu wenig ist. Ich will
jetzt nicht über die Traditionen in anderen Ländern sprechen, die die Beihilfe zum Suizid insgesamt ablehnen
und unter Strafe stellen, zum Beispiel Österreich.
Man muss immer bedenken: Der, der sich umbringt,
bringt sich nur selbst um, aber der, der Beihilfe leistet,
bringt einen anderen Menschen um. Deswegen sollte
man sich fragen, ob man eine solche Beihilfe nicht generell unter Strafe stellen sollte, wie es in anderen Ländern
der Fall ist. Dies ist nicht unbedingt unser Ziel. Aber wir
sollten das bedenken, was uns viele Organisationen sagen, die sich mit der Suizidvermeidung beschäftigen. Sie
sagen: Es geht nicht allein um die gewerbsmäßige Beihilfe, sondern es müsste auch um diejenigen gehen, die
organisiert oder geschäftsmäßig eine solche Beihilfe betreiben.
({10})
Das müssen wir, glaube ich, bei diesem Thema bedenken.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Geis, nur eine Anmerkung zu Ihren
Einlassungen zum Rechtsstaat und zum Staatsverständnis in anderen Kulturen: Natürlich haben wir andere
Auffassungen davon, was einen Rechtsstaat ausmacht,
wie man mit einem Rechtsstaat umzugehen hat und für
was er die Grundlage ist. Aber ich empfehle bei der Auseinandersetzung mit sich entwickelnden Staaten auch ein
Stück weit Demut; das sage ich ganz offen. Denn der
Weg, den wir hinter uns gebracht haben, der Weg von
der Aufklärung bis zur Schaffung einer funktionierenden
Justiz, hat 300 Jahre gedauert. Das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir von anderen Staaten erwarten,
dass sie sich innerhalb von zehn Jahren so entwickeln,
wie wir es für richtig halten. Ich finde, das ist nicht der
richtige Umgang mit diesen Staaten. Das wird auch der
Situation in diesen Ländern nicht gerecht.
({0})
Ich möchte zwei Themen ansprechen, von denen eines heute schon genannt worden ist. Für ganz zentral
- nicht nur für die Rechtspolitik und die Menschenrechtspolitik in unserem Land, sondern auch für unser
internationales Ansehen - halte ich die schon mehrfach
angesprochene Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Herr Kollege Thomae, es tut mir leid; aber ich kann
Ihnen nicht folgen, wenn Sie sagen: Da muss geprüft
werden. - Wir wissen alles. Ich zitiere aus einer Unterrichtung der Bundesregierung vom 2. April dieses Jahres, unter anderem unterschrieben vom Leiter der Bundesstelle, Herrn Lange-Lehngut. In Klammern: Ich
möchte dem Mann und auch den vier Personen, die die
Länderstelle koordinieren, zumindest im Namen meiner
Fraktion ganz herzlich und ausdrücklich für das danken,
was sie unter unwürdigen Bedingungen tun, um das Renommee unseres Landes zu stärken.
({1})
In der Unterrichtung der Bundesregierung steht - ich
zitiere -:
Mit den vorhandenen personellen und finanziellen
Mitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzlichen
Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativprotokoll ergibt, nicht erfüllen. Mit nur fünf ehrenamtlichen
Mitgliedern und Mitteln für nur drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einer
Fachangestellten für Bürokommunikation sind die
Kapazitäten für die regelmäßige Prüfung mehrerer
tausend Gewahrsamseinrichtungen absolut unzureichend. Gerade weil die Nationale Stelle sich nicht
als Feigenblatt betrachten will und nach ihrem gesetzlichen Aufrag einen wirksamen Beitrag zur Prävention von Folter und Misshandlung leisten muss,
ist eine erhebliche personelle und finanzielle Aufstockung erforderlich.
Da ist nicht die Rede von einem Prüfauftrag. Das schreiben Praktiker, die das jeden Tag umsetzen und sich von
uns ein bisschen auf den Arm genommen fühlen.
Kollege Strässer, gestatten Sie eine Frage?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. - Da dieses Thema schon mehrfach zur Sprache
kam, würde ich Sie bitten, mir Folgendes zu erklären:
Wenn es so ist, wie Sie gerade vorgetragen haben, warum konnten sich die SPD-Justizminister der Länder in
der besagten Sitzung nicht entscheiden, den Beitrag der
Länder, nämlich zwei Drittel, selber aufzustocken, und
warum haben auch die SPD-Justizminister gesagt - das
war nämlich ein einstimmiger Beschluss aller Landesjustizminister in der JuMiKo -, dass erst eine Prüfung
erfolgen müsse?
({0})
Ich muss reklamieren, dass die Uhr mitgelaufen ist;
das war nicht der Sinn der Geschichte.
({0})
- Dafür können Sie nichts.
Das ist richtig; das können Sie nicht beeinflussen. Diese Zeit wird die Präsidentin draufschlagen. Entschuldigung!
Wir befinden uns im Deutschen Bundestag und beraten den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz. In
diesem Etat ist für die Nationale Stelle zur Verhütung
von Folter ein Betrag von 100 000 Euro eingeplant. Das
ist ein Betrag, dessen Höhe der Deutsche Bundestag ändern kann.
Wir haben etwas getan, was ich auch von Ihnen erwartet hätte: Wir haben alle Landesregierungen, an denen wir beteiligt sind, angeschrieben und aufgefordert,
sich einer entsprechenden Regelung nicht zu verschließen. Aber das hindert den Deutschen Bundestag doch
nicht daran, im Hinblick auf den Teil, für den er den
Haushalt aufstellt, autonom die Entscheidung zu treffen:
Wir erhöhen unseren Anteil und setzen damit auch die
Länder unter Druck. - Herr Kollege, ich verstehe Sie an
dieser Stelle nicht.
({0})
Wir machen uns auf internationaler Ebene absolut lächerlich. Lesen Sie bitte einmal den Bericht des UNAusschusses gegen Folter, den fünften Staatenbericht.
Darin wird Deutschland ohne Ende kritisiert, weil wir
das nicht ordentlich umsetzen. Das wäre aber unsere
Aufgabe. Wir können sie nicht auf wen auch immer abschieben. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Deshalb haben wir einen maßvollen Antrag eingebracht. Ich wiederhole, was der Kollege Funk gesagt hat:
Es ist Geld da. - Sie setzen allerdings andere Prioritäten;
das sollten Sie sagen. An dieser Stelle machen Sie einen
politischen Fehler. Wir brauchen für diese Stelle mehr
Geld; sonst sind wir international nicht konkurrenzfähig.
({1})
Man sollte sich auch einmal die Situation in unseren
Nachbarstaaten anschauen; ich glaube, dass das sinnvoll
ist. Da wir ja gerne über unsere kleineren Nachbarstaaten, zum Beispiel über die Schweiz, reden, will ich Ihnen
einmal die Zahlen nennen, die bei der Umsetzung dieses
Abkommens in der Schweiz eine Rolle spielen.
Wir haben fünf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, ein kleines Land wie die Schweiz hat zwölf.
Die Schweiz hat in ihrem Etat umgerechnet 290 000
Euro zur Finanzierung einer solchen Präventionsstelle
eingestellt, bei uns sind es insgesamt 300 000 Euro. Da
können Sie mir nicht ernsthaft erzählen, dass wir in einer
schwierigen Situation wären, wenn wir diese Haushaltstitel umsetzen würden. Noch eine Zahl zu Frankreich:
Dort gibt es 16 Teilzeitmitarbeiter, und der Etat beträgt
mehr als 3 Millionen Euro. Lassen Sie uns zumindest im
nächsten Haushaltsjahr gemeinsam für eine ordentliche
Ausstattung sorgen. Alles andere ist aus meiner Sicht
nicht in Ordnung.
({2})
Was den Justizhaushalt im eigentlichen Sinne betrifft,
möchte ich, auch wenn wir heute letztendlich keine Zahlen infrage stellen wollen, an dieser Stelle die Arbeit und
die Zukunft des Deutschen Instituts für Menschenrechte
thematisieren. Dieses Institut ist eine nationale Menschenrechtsorganisation, die gemäß den internationalen
Kriterien in der Stufe A - das ist die höchste Stufe - geratet worden ist. Es besteht allerdings die Gefahr, dass das
Institut diesen Status verliert. Der Hintergrund ist ganz
einfach: Den Pariser Kriterien zufolge müssen die nationalen Menschenrechtsinstitute eine unabhängige Grundlage bekommen. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Regelung, die der Deutsche Bundestag verabschieden muss.
Frau Ministerin, ich weiß, dass daran, wie es mit diesem Institut weitergeht, ein Stück weit Ihr Herz hängt.
Wenn Deutschland im Menschenrechtsrat demnächst
seinen UPR-Bericht präsentiert, wird das Deutsche Institut für Menschenrechte möglicherweise nicht mehr mitdiskutieren dürfen, weil es nicht mehr A-geratet ist.
Insbesondere in der Fraktion der CDU/CSU gibt es leider keine Bereitschaft - wir haben es versucht; Sie haben
mir auf eine Anfrage geantwortet -, einen Gesetzentwurf
einzubringen, der eine solche gesetzliche Grundlage
schafft. Deshalb meine herzliche Bitte: Legen Sie den
Fraktionen des Deutschen Bundestages einen entsprechenden Vorschlag vor! Ich kann Ihnen versichern: Er
wird in diesem Hause eine Mehrheit bekommen. Wenn
das nicht passiert, dann kommt es international zu einem
absoluten Desaster für die Menschenrechtspolitik der
Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland.
Kommen Sie bitte in die Puschen und legen Sie etwas
vor! Wir sorgen für Mehrheiten.
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Geis.
Herr Kollege Strässer, ich weiß nicht, ob Sie mich rügen wollten. In meiner Rede, in der ich auf die Aufgabe
der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit eingegangen bin, habe ich ausdrücklich
gesagt, dass ich Bedenken habe, ob es gelingt, unser
Rechtssystem in die Länder des arabischen Frühlings zu
übertragen, und zwar aus den Gründen, die Sie selber genannt haben. Ich bin der Meinung, dass das ein schwieriges Unterfangen ist.
Die Stiftung nimmt sich dieser Aufgabe an. Dazu gehört - da kann ich mit Ihnen übereinstimmen - Demut;
es gehört aber auch Mut dazu und natürlich auch das Bekenntnis zur eigenen Rechtsordnung. Wir sollten da
nicht ausweichen. Aber man kann das - Sie haben das
richtig erwähnt, und da stimme ich mit Ihnen überein nicht mit dem Holzhammer machen, sondern man muss
versuchen, es im Gespräch und mit Überzeugung durchzusetzen.
Danke schön.
Herr Strässer, möchten Sie reagieren? - Bitte sehr.
Dieser Interpretation des Kollegen Geis habe ich
nichts entgegenzusetzen.
Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas
Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Koalitionsausschuss hat sich Anfang November darauf verständigt, dass wir bereits im Jahr 2013 und nicht
erst 2016 die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten werden
({0})
und dass wir 2014 einen strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt, also eine schwarze Null, erreichen wollen.
Dazu müssen alle mit spitzem Bleistift rechnen und ihren Beitrag zur Konsolidierung leisten.
Als Rechtspolitiker sind wir uns darüber im Klaren,
dass der Justizetat mit etwa 0,2 Prozent des Gesamthaushalts nur einen geringen Anteil daran haben kann. Allerdings geht der Justizhaushalt, was die Kostendeckung
angeht, mit sehr gutem Beispiel voran: 80 Prozent des
Justizetats sind selbst erwirtschaftet. Das liegt insbesondere an der guten Bilanz des Deutschen Patent- und Markenamtes in München. Dies ist im Übrigen ein dezenter
Hinweis darauf, welche Werte hinter geistigem Eigentum stecken, ganz anders als das manche Verfechter einer Kostenlos-Mentalität im Internet zu propagieren versuchen.
Auch fachlich kann sich die Bilanz der Rechtspolitiker sehen lassen. Viele Gesetzesvorhaben sind bereits
abgeschlossen, einige liegen noch vor uns.
Wir haben, wenn ich das Mediationsgesetz herausgreifen darf, die Quadratur des Kreises geschafft, indem
wir mit einem solchen Gesetz sowohl den Bürgern als
auch der Verwaltung Erleichterung verschaffen. Wir ermöglichen es den Beteiligten, bei rechtlichen Streitigkeiten nicht sofort den Klageweg beschreiten zu müssen.
Vielmehr haben wir einen Rahmen dafür geschaffen,
dass die Parteien vorab außergerichtlich in einem strukturierten Verfahren, eben mit Unterstützung eines Mediators, eine einvernehmliche Lösung erzielen können.
Diese neue Art der Streitkultur kann die Kosten in erheb25176
lichem Maße senken. Sie wird die Gerichte entlasten. Sie
wird vor allem die Nerven aller Beteiligten schonen.
({1})
Natürlich kann eine gütliche Einigung immer auch im
Gerichtsverfahren erreicht werden. Deshalb bin ich sehr
froh darüber, dass wir mit dem Modell des Güterichters
die Möglichkeit geschaffen haben, dass die Richter, die
schon bisher gerichtliche Mediation betreiben, ihre
Kenntnisse, ihre Erfahrungen als Güterichter künftig
weiterhin einsetzen können. Im Übrigen haben wir es
den Ländern ermöglicht, durch eine Ermäßigung der Gebühren bei einvernehmlichem Abschluss eines Gerichtsverfahrens Anreize zu setzen. Auch das zeigt, dass wir
flexibel in unserer Gesetzgebung sind und unterschiedlichen Bedürfnissen der Länder Rechnung tragen.
Das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist schon angesprochen worden. Es geht uns darum, dass wir eine
angemessene Ausstattung der Justizhaushalte gewährleisten und auch den hohen Standard unserer Rechtsprechung in Deutschland erhalten können. Aus der Kostenordnung wird ein Gerichts- und Notarkostengesetz, und
aus der Justizverwaltungskostenordnung wird ein Justizverwaltungskostengesetz. Im Detail geht es darum, dass
wir bestehende Normen vereinfachen, dass wir sie an
übrige Kostengesetze angleichen und dass wir insbesondere für die Bürger ein gehöriges Maß an Transparenz
schaffen. Ich sage aber auch: Es geht bei diesem Gesetz
auch darum, dass Gebühren, Honorare und Entschädigungen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung
angepasst werden.
Der Bundesrat hat nun eine Fülle von Änderungswünschen eingereicht. Wir sind in enger Abstimmung mit
den Ländern. Frau Justizministerin, ich plädiere durchaus dafür, dass wir den spezifischen Gegebenheiten der
Länder dort entgegenkommen, wo wir Spielräume haben
und wo die Länder ihre eigene Praxis fortführen wollen.
Das Mietrechtsänderungsgesetz ist ein zentrales Vorhaben der Rechtspolitiker. Dies zeigt, dass wir mit
Rechtspolitik grundlegende Weichenstellungen auch an
anderer Stelle, nämlich bei der Energiewende, unterstützen. Wir brauchen erhebliche Anstrengungen bei der
Energieeinsparung und bei der Energieeffizienz in unserem Land.
({2})
Deswegen ist es wichtig, dass veraltete Heizungsanlagen
modernisiert und der Missstand von fehlenden Wärmeschutzdämmungen beseitigt wird; denn diese Defizite
sind dafür verantwortlich, dass Wohngebäude einen hohen Anteil am Gesamtenergieverbrauch in unserem
Land ausmachen. 40 Prozent des Energieverbrauchs und
ein Drittel aller CO2-Emissionen entfallen auf den Gebäudebereich.
Das Gesetz zur Änderung des Mietrechts setzt genau
da an. Die Zielsetzung ist, die energetische Sanierung
leichter zu ermöglichen als bisher. Wir fassen diesen Tatbestand genauer, sodass Modernisierungsmaßnahmen
klar bestimmt sind. Wir haben durchaus darauf geachtet,
dass die Interessen von Vermietern und Mietern in einem
ausgeglichenen Verhältnis stehen.
Dass wir das Mietminderungsrecht für drei Monate
ausschließen, was vonseiten der Opposition besonders
kritisiert wird, ermöglicht durchaus einen angemessenen
Ausgleich.
({3})
Ich darf daran erinnern, dass wir im Koalitionsvertrag
noch den vollständigen Ausschluss des Mietminderungsrechts vorgesehen hatten. Wir sind davon abgekommen
und haben einen Kompromiss erarbeitet, der den Ausschluss des Mietminderungsrechts auf drei Monate befristet. Das soll einerseits ein Anreiz für die Vermieter
sein, die energetische Sanierung tatsächlich anzugehen.
Andererseits bietet es auch die Chance, dass energetische Modernisierungsmaßnahmen durch den Vermieter
zügig durchgeführt werden. Für den Mieter ist das aus
meiner Sicht keine unzumutbare Beeinträchtigung; denn
die Mieter selbst profitieren ja von der energetischen Sanierung durch niedrigere Nebenkosten.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf zur Änderung des Mietrechts sieht endlich auch
eine Regelung dafür vor, der Unsitte des Mietnomadentums zu begegnen.
({5})
Dabei empfinde ich den Begriff Mietnomadentum als einen Euphemismus. Dies ist eine Diskriminierung von
Nomaden. Wir haben es hier schlichtweg mit Mietbetrügern zu tun. Es geht um Betrug.
({6})
Es sind vor allem private Vermieter, die solchen Betrügereien hilflos ausgeliefert sind und nicht selten vor dem
finanziellen Ruin stehen.
({7})
Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Vermietern
wirksame Instrumente an die Hand geben, um Einmietbetrügern das Handwerk zu legen.
In Bezug auf die gemeinsame elterliche Sorge sind
wir mit unserem Gesetzentwurf sehr weit gekommen. In
der nächsten Woche findet die Sachverständigenanhörung statt. Mir ist wichtig, dass wir das Kindeswohl in
das Zentrum unseres Interesses stellen. Wir werden dafür sorgen, dass die gemeinsame elterliche Sorge künftig
als Regelfall angesehen wird, die dem Wohl des Kindes
am besten dient.
Lassen Sie mich zur Sicherungsverwahrung nur anführen, dass wir die Gesetze, die es den Ländern ermöglichen, die neue Form der Therapieunterbringung zu realisieren, jetzt rechtzeitig auf den Weg gebracht haben.
Damit stellen wir sicher, dass keine gefährlichen Straftäter mehr in die Öffentlichkeit entlassen werden, wenn sie
nach Verbüßung der Haftstrafe noch eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben unserer Bürger darstellen. Dass
ein kleiner Wermutstropfen aus Sicht der Union bleibt,
darf ich anführen. Die nachträgliche Therapieunterbringung hätten wir gerne realisiert. Aber wir sind immerhin
zu einem guten Abschluss gekommen.
({8})
Lassen Sie mich zuletzt die Vorratsdatenspeicherung
ansprechen. Sie ist nicht nur notwendig, weil es eine europäische Vorgabe dafür gibt, sondern sie ist auch deshalb notwendig, damit unsere eigenen Sicherheits- und
Ermittlungsbehörden tätig werden können. Es geht dabei
nicht um eine anlasslose Speicherung von Daten,
({9})
und es geht auch nicht um die Speicherung von Kommunikationsinhalten auf Vorrat, sondern es geht ausschließlich um die Sicherung von Verkehrsdaten,
({10})
um schwerste Straftaten zu verhindern und die Verfolgung von schwersten Straftaten zu ermöglichen.
({11})
Herr Kollege.
Ich würde mir wünschen, dass wir das Stigma „Vermeintliche Datenspeicherung auf Vorrat“ überwinden
und uns bei der etwas irregeleiteten öffentlichen Debatte
auf das Interesse an der Verkehrsdatensicherung konzentrieren würden; denn, Frau Justizministerin, wir wollen
ja schließlich auch nach der nächsten Bundestagswahl
weiter regieren.
({0})
Gestatten Sie mir einen abschließenden Satz, Frau
Präsidentin.
Das waren jetzt schon fast zwei abschließende Sätze.
Das Justizressort geht mit gutem Beispiel voran. Wir
haben einige wegweisende Gesetze auf den Weg gebracht. Das, was noch aussteht, werden wir bis zur Wahl
liefern, damit wir 2013 ein bestelltes Haus an uns selbst
weitergeben können.
Vielen Dank.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung.
Es liegt Ihnen ein Änderungsantrag der SPD auf
Drucksache 17/11523 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und durch die
Fraktion Die Linke. Die Koalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Wir kommen nun zu dem Einzelplan 07 in der Ausschussfassung. Wir stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 07 in
der Ausschussfassung angenommen. Zugestimmt haben
CDU/CSU und FDP, dagegen gestimmt haben SPD,
Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Einzelplan 19 einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.7 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 17/10823, 1710824 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Stephan Thomae
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der
SPD sowie fünf Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Verabredet ist es, über diesen Einzelplan eineinhalb
Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Haushalt 2013 des Umweltressorts ist heute
unser Thema. Doch ich denke, er ist unauflösbar mit
dem Thema „Energiewende in Deutschland“ verbunden.
Hier hat unser Land allerdings kein Alleinstellungsmerkmal. Wir lernen aus den Medien, dass in China, in den
USA, in Japan, in Brasilien und anderswo ebenfalls über
eine Energiewende diskutiert wird. Man sieht: Deutschland befindet sich auch hier in harter internationaler
Konkurrenz. Auch deshalb kann die Antwort dieser
Bundesregierung nicht lauten: Energiewende vertagt.
Doch diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich
die aktuellen Beschlüsse von Union und FDP zum Bundeshaushalt anschaut. Auch das Gegeneinander der verantwortlichen Minister, ehemals Röttgen, jetzt Altmaier
sowie Rösler und Aigner, signalisiert der Wirtschaft
Chaos und schafft vor allen Dingen Planungsunsicherheit. Doch statt diese konfuse Politik der schwarz-gelben
Regierungskoalition durch klare Entscheidungen zu beenden, schaut die Kanzlerin nur zu.
({0})
Warten wir einmal ab, was der Anfang November angekündigte nationale Dialog wirklich bringt. Seit der Ankündigung der neuerlichen Energiewende im Juni 2011
sind bereits eineinviertel Jahre verloren.
Um was geht es? Wir brauchen eine sozial verantwortliche Energiepolitik. Was heißt das? Wir Sozialdemokraten wollen, dass die Energiewende bezahlbar
bleibt und dass dabei das Potenzial der erneuerbaren
Energien genutzt wird, aber auch, dass die Lasten gerecht verteilt werden.
Es wird in letzter Zeit in Deutschland viel zu wenig
über die Chancen der erneuerbaren Energien gesprochen.
({1})
Statt langfristige Umweltschäden und hochgefährliche
Abfälle zu produzieren, sparen sie Kosten für den Import
von Brennstoffen, und wir werden weniger abhängig
von schwankenden Rohstoffpreisen. Die Energiewende
bedeutet zudem hohe Wertschöpfung im eigenen Land.
Die Alternative ist, viele Milliarden auf die Konten von
Ölscheichs und in die Gasländer zu überweisen. Doch
schon allein im Jahr 2011 sind dank der Ökoenergie Importe von Öl, Kohle und Gas in Höhe von 7,1 Milliarden
Euro vermieden worden.
Nach dem Scheitern von Herrn Röttgen sind Sie, Herr
Minister Altmaier, als neuer Bundesumweltminister im
Mai mit hehren Zielen im Zusammenhang mit dem Megathema Energiewende angetreten. Doch Sie müssen
aufpassen; denn die Debatte dreht sich gerade: Ihre Koalition spricht inzwischen eine andere Sprache. Da wollen die BDI-Spitze und die FDP das EEG sturmreif
schießen und die Energiewende ausbremsen.
({2})
„Altmaier zwischen allen Stühlen“, titelt der Stern. Die
Energiewende scheint in der Prioritätenliste der Regierung Merkel nicht mehr sehr weit oben zu stehen. Man
will das zunehmend unangenehme Thema irgendwie abmoderieren. So fehlen auch klare Prioritäten in dem
heute vorliegenden Bundeshaushalt 2013. Um die Energiewende voranzubringen, brauchen wir Zukunftsinvestitionen in erneuerbare Energien und in den nationalen
und internationalen Umwelt- und Klimaschutz.
Herr Minister, dieser Bundesregierung und damit
auch Ihnen läuft die Energiewende aus dem Ruder. Sie
ernten überwiegend harsche Kritik für Ihre Energiepläne. Die Energiewirtschaft ist unzufrieden. Die Länder
werten Ihr Quotenmodell als falsches Signal. Sie erreichen nur noch - das ist schlimm - eine gewaltige Verunsicherung bei vielen Investoren, insbesondere bei denen,
die sich im Bereich der erneuerbaren Energien engagieren wollen.
({3})
Die Energiepolitik ist eine andere Liga und lässt sich
nicht durch Küchendiplomatie voranbringen.
Warum lassen Sie es zu, dass Herr Rösler und Frau
Aigner sich in diesem Feld tummeln? Ihr politischer
Partner greift Sie immer unverhohlener an. Wenn es
richtig ist, dass es zu viele Steuerbefreiungen bei den sogenannten energieintensiven Unternehmen gibt - und es
ist richtig -, warum handeln Sie dann nicht? Wo sind
Ihre Vorschläge für härtere Stromsparauflagen bei ebendiesen energieintensiven Unternehmen?
Die Energiewende ist ohne Frage ein gesamtgesellschaftliches Projekt; doch sie obliegt Ihrer Verantwortung als Ressortchef. Leider ist diese Regierung ohne
überzeugenden Plan. Aber die Deutschen lassen sich
nicht täuschen. Sie verlieren zu Recht das Vertrauen in
die Regierung Merkel. 70 Prozent der Deutschen werfen
der Regierung vor, sie bediene nur die Interessen einzelner Gruppen. Richtig! 75 Prozent meinen, das Gemeinwohl stehe bei dieser Bundesregierung nicht im Mittelpunkt. Auch richtig! 65 Prozent der Deutschen sind der
Überzeugung, dass sich Merkels Regierung gar nicht
oder nicht sehr stark um die Zukunftsprobleme dieses
Landes kümmert. Ebenfalls richtig! Die Energiepolitik
ist dafür das beste Beispiel.
({4})
Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Akteure in die Lage versetzt werden, flexibel und mit zielgerichteten Instrumenten auf die Herausforderungen des
Klimawandels zu reagieren. Ausreichend ausgestattete
Programme sind dafür entscheidend. Was aber passiert
mit dem Marktanreizprogramm und der nationalen Klimaschutzinitiative? Alle diesbezüglichen Anträge unsererseits sind abgeschmettert worden. Ich denke, der Klimaschutz ist ein Bereich, in dem auch die Wirtschaft im
Grunde nur dann verlässlich agieren kann, wenn sie Planungssicherheit hat. Die Energiewende ist somit auch
eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen wir in der Zukunft stehen. Sie vertun gegenwärtig partout die Chance, die sich daraus ergibt.
Wenn wir über Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland reden, sollten wir, denke ich, auch etwas zu dem
Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ sagen. Bei
dem, was wir zurzeit erleben, verdient es dieser Fonds
eigentlich gar nicht, dass über ihn gesprochen wird.
Denn Transparenz, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit
bei der Finanzierung sind aufgrund der Einnahmerisiken
absolut nicht gegeben. Insofern sind Liquiditätsdarlehen,
die Auflösung von Rücklagen oder Umschichtungen allein kein Weg, um Mindereinnahmen auszugleichen und
für Planungssicherheit zu sorgen. Dieses Sondervermögen ist nicht geeignet, die Zukunftsaufgaben der Energiewende zu bewältigen.
({5})
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist ein
Haushalt ohne Ehrgeiz. Wir Sozialdemokraten werden
ihn ablehnen. Auch die drei neuen Unterabteilungen im
Ministerium werden es nicht richten. Die Flickschusterei
von Schwarz-Gelb verfängt sich erneut in verkrusteten
Strukturen.
Es zeigt sich, dass seit dem Beginn der Energiewende
durch Rot-Grün die politisch Verantwortlichen bei CDU/
CSU und FDP in diesem Hause zunächst alles unternommen haben, um diese Energiewende über ein Jahrzehnt
zu blockieren. Nun erleben wir ein ähnliches Theater, indem erneut Kräfte in dieser Regierung das Thema verstolpern und ausbremsen und damit wieder wichtige Zeit
verspielen.
Wir müssen jetzt für alle diese verlorenen Jahre bezahlen. Insofern kann man nur sagen: Es ist Zeit, dass
diese Regierung Merkel abgelöst wird. Denn sie ist die
schlechteste Regierung, die wir in der Bundesrepublik
Deutschland jemals hatten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat unser Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt nichts zu Ihrer Bewertung über Frau
Merkel sagen.
({0})
Dass Ihre Bemerkung nicht gut war, wissen Sie selber.
Ich habe einmal einen zutreffenden Spruch gelesen.
Er lautet: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Das
fand ich irgendwie toll. Aber ich glaube, das ist nur die
halbe Wahrheit. Denn auch erneuerbare Energien haben
ihren Preis. Der Komplettumbau des Systems hier in
Deutschland kostet Geld, und in den Haushaltsberatungen sprechen wir jetzt über Geld. Es kostet das Geld der
Steuerzahler und natürlich auch der Stromverbraucher.
({1})
- Lassen Sie mich doch erst einmal weiter ausführen.
Ich will etwas Positives zur Sonnenenergie sagen. In
Mitteleuropa, um einmal eine Zahl zu nennen, kommt
80-mal mehr Energie von der Sonne, als hier verbraucht
werden kann. Das ist auch im manchmal verregneten
Deutschland so. Selbst im November geht die Sonne auf.
Darin liegt ein ganz großes Potenzial; das will ich betonen.
Aber die Ausnutzung dieser Sonnenenergie funktioniert noch nicht richtig. Wir können diese Energie noch
nicht voll ausschöpfen. Das ist das Problem. Wenn wir
die Mittel und die Methoden anwenden, die jetzt zur
Verfügung stehen, dann wird es teuer. Damit sind wir
wieder bei den Kosten für die Industrie - Sie haben diesen Punkt vorhin angesprochen -; aber wir müssen auch
die Kosten für den Verbraucher sehen, die angestiegen
sind. Deutschland läuft Gefahr, durch hohe Strompreise
Arbeitsplätze in Industrie und Handwerk zu gefährden.
Es besteht zudem die Gefahr, dass Haushalte mit geringen Einkünften die Strompreise nicht mehr bezahlen
können.
Gleichwohl hat der Bundestag die Energiewende beschlossen. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Beckmeyer, es
gerade gesagt haben. Die Energiewende wird nicht vertagt. Sie ist beschlossen worden, und sie wird auch umgesetzt. Ich will das deutlich hier sagen.
({2})
Der vorliegende Haushalt und auch die Entwicklung des
Energie- und Klimafonds zeigen das. Ich will Folgendes
herausstellen: Im Haushalt für 2013 sind deutliche Verstärkungen in Sach- und Personaltiteln vorgenommen
worden.
({3})
Hinzu kommen die Gelder aus dem Energie- und Klimafonds.
Ich möchte auch die Tatsache ansprechen, dass 40 zusätzliche Stellen zur Bewältigung der Energiewende geschaffen worden sind. Sie wissen, es werden nur Stellen
in Bereichen mit hoher Bedeutung geschaffen.
({4})
40 neue Stellen für die Energiewende - ansonsten haben
wir uns in den Haushaltsberatungen zurückgehalten, was
die Schaffung neuer Stellen angeht - sind ein Hinweis
darauf, welche Bedeutung wir diesem Bereich beimessen.
({5})
Aber es ist völlig klar, dass das auch bezahlbar sein
muss. Die Energieversorgung muss verlässlich, sicher
und auch bezahlbar sein. Das sind die drei Ziele, die wir
uns gesetzt haben.
({6})
Ich möchte unseren Minister zitieren. Er hat es so auf
den Punkt gebracht:
Wir müssen dafür sorgen, dass der Ausbau in einem
stetigen und berechenbaren Rahmen stattfindet.
({7})
Das ist eine wichtige Aussage, und das muss man sich
wirklich durch den Kopf gehen lassen. Darüber muss
man einmal nachdenken.
({8})
Die Energiewende - auch das wurde gerade vom Kollegen Beckmeyer gesagt - birgt enorme Chancen, Chancen für die Industrie, Chancen im Bereich der neuen
Technologien und vor allen Dingen Chancen im Bereich
der Effizienztechnologie. Es ist ein erhebliches Potenzial, das unsere Industrie hier in Deutschland hat.
Ich möchte noch einen Missstand ansprechen: Der
eine sagt dieses, und der andere sagt jenes. Die Energiewende gelingt aber nur dann, wenn die Akteure in Bund
und Ländern einigermaßen zusammenarbeiten. Vorhin
wurde zumindest indirekt das Gemeinwohl angesprochen. Eine solche Umstellung der Energiepolitik eines
Staates funktioniert nur, wenn die Akteure wirklich zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig behindern.
Ein hoffnungsvolles Zeichen war der Dialog im November, der gerade angesprochen worden ist. Es ist notwendig, dass die Ausbaupläne den nationalen Erfordernissen angepasst werden. Es muss eine Steuerung geben.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Steuerungskreis auf der Ebene der Staatssekretäre. Auch der
Bundestag hat verlangt, dass ein regelmäßiges Monitoring stattfindet. Das soll im November kommen; das
müssen wir uns genau anschauen. Dann sehen wir auch
die Fortschritte und können bewerten, wie erfolgreich
die Energiewende ist.
({9})
Ich möchte noch einen weiteren Punkt erwähnen. Die
Energiewende ist nicht nur ein deutsches Projekt. Wir
dürfen dabei die europäische Dimension nicht vergessen.
Wir können nicht so tun, als ob wir auf einer Strominsel
lebten. Das geht nicht. Ich möchte den deutschen Energiekommissar Günther Oettinger zitieren, der gesagt hat,
dass wir uns stärker mit den europäischen Nachbarn abstimmen müssen:
Spätestens bei der Stromspeicherung sind wir auch
auf Kapazitäten in Pumpspeicherwerken in Norwegen, Österreich und der Schweiz angewiesen.
({10})
Eine Koordinierung empfiehlt er aber nicht nur bei den
Starkstromtrassen, sondern auch bei den Fördersystemen. Auch da müssen sich die europäischen Staaten besser abstimmen.
Unser zentrales Förderinstrument - das wurde gerade
angesprochen - ist das Marktanreizprogramm.
({11})
- Da es sich um das entscheidende Förderinstrument
handelt, muss ich es immer wieder erwähnen. - Im laufenden Jahr stehen dafür 250 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld reicht aus, wie die Mittelabflüsse zeigen; denn es stehen noch Ausgabenreste in Höhe von
116 Millionen Euro zur Verfügung.
({12})
Lassen Sie mich diese Zahlen einmal nennen; schließlich
führen wir hier eine Haushaltsdebatte. Im nächsten Jahr
sinkt der Betrag zwar auf 235 Millionen Euro; das
stimmt. Aus dem Energie- und Klimafonds kommen
aber 172 Millionen Euro dazu.
({13})
So hängt das zusammen. Damit wird unter dem Strich
mehr Geld zur Verfügung stehen als in diesem Jahr. Das
ist auch eine gute Maßnahme.
({14})
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entsorgung radioaktiver Stoffe. Es ist völlig klar: Wenn Kernkraftwerke abgeschaltet werden, muss auch eine Lösung für
die Endlagerung gefunden werden.
({15})
- Das ist doch ganz einfach, oder nicht? Wenn es bei der
Energiewende einen Konsens gegeben hat - schön, dass
ihr so fröhlich seid -, dann muss es auch bei der Endlagerfrage einen Konsens geben.
({16})
Fröhlichkeit finde ich gut, Taktieren aber nicht. Wenn
man jetzt herumtaktiert, um keine vernünftigen Lösungen zu finden, dann können die Menschen das nicht verstehen. Sie wollen in diesem Bereich eine Lösung.
({17})
Herr Minister Altmaier hat immer wieder betont, dass
er einen Konsens will. Das ist auch richtig.
({18})
Selbst Ministerpräsident Kretschmann, der ja den Eindruck erweckt,
({19})
er wolle wirklich einen solchen Konsens finden, hat die
Gespräche abgelehnt. Ich finde das außerordentlich bedauerlich; denn wir müssen da eine Lösung finden.
Was ich nicht so bedauerlich finde, sind die Beschlüsse der Grünen auf ihrem Parteitag am letzten
Wochenende.
({20})
- Ich lobe das nicht, sondern warte erst einmal ab, was
dabei herauskommt. Eine gewisse Grundvorsicht darf
man bei den Grünen doch wohl haben.
({21})
Ich möchte aber noch einen Punkt ansprechen. Neben
einer Lösung zur Entsorgung hochradioaktiver Stoffe
- darum geht es ja im Augenblick - muss man auch eine
Regelung für die schwachradioaktiven Stoffe finden.
Seit 2007 wird daran gearbeitet, den Schacht Konrad
nutzbar zu machen. Die Fertigstellungsdaten werden immer weiter nach hinten verschoben. Im Augenblick wird
von 2019 gesprochen. Dass das immer weiter verschoben wird, ist nicht überzeugend, meine ich. Da muss eine
Lösung gefunden werden. Es kann durchaus auch effektiver gearbeitet werden.
({22})
Wenn ich schon beim Stichwort „arbeiten“ bin, dann
darf ich mich als Berichterstatter am Schluss dieses
Beitrags für die durchaus kollegiale Beratung im Haushaltsausschuss bedanken. Ich bedanke mich außerdem,
wie es gute Sitte ist, beim Ministerium und bei den Bundesoberbehörden für die schnellen Informationen. Auch
der Bundesrechnungshof hat die Beratungen mit zusätzlichen Informationen begleitet. Mein besonderer Dank
geht an Uwe Beckmeyer - mit ihm fange ich an, weil er
vor mir gesprochen hat -, Stephan Thomae, Sven
Kindler und Michael Leutert als Mitberichterstatter für
die gute Zusammenarbeit.
Danke schön.
({23})
Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin
Dorothée Menzner.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Haushaltsberatungen finden im Zeichen einer angekündigten Endlagersuche und eines Endlagersuchgesetzes sowie im Zeichen einer Lex Asse, die alle Fraktionen
im Moment gemeinsam beraten, statt. Lex Asse meint,
einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Bergung
des atomaren Inventars in der Asse beschleunigen soll.
Da schauen wir als Niedersachsen, als von den ganzen
Anlagen Betroffene, natürlich ganz genau hin und nehmen das Motto der Initiativen in der Region Wolfenbüttel - „aufpASSEn“ - sehr ernst.
Wie ernst - oder besser: wie unernst - es der Bundesregierung mit einer ergebnisoffenen Endlagersuche ist,
kann man schon am Haushaltsansatz sehr genau erkennen: Für 2013 sind für die Endlagersuche 3,5 Millionen
Euro eingeplant. 2009 waren es noch über 9 Millionen
Euro und 2010 über 8 Millionen Euro. Deswegen fordern wir ganz klar, die Mittel für eine ergebnisoffene
Endlagersuche auf 5 Millionen Euro aufzustocken.
({0})
Wir haben es aber in Niedersachsen mit diversen
Standorten zu tun. Ich möchte zu allen wenigstens einige
Worte verlieren.
Zuallererst haben wir es dort mit Gorleben zu tun. Der
Untersuchungsausschuss hat in den letzten Jahren gezeigt: Gorleben war wissenschaftlich nie erste Wahl,
sondern eher ein Standort, der politisch gesundgebetet
wurde.
({1})
Nun finden sich im Haushaltsplan wieder 82 Millionen
Euro für Gorleben - deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Von diesen 82 Millionen Euro entfallen 41 Millionen Euro auf die weitere Erkundung Gorlebens. Sollen
weiter Fakten geschaffen werden? Was heißt „ergebnisoffene Endlagersuche“, wenn weiter in Gorleben Geld
verbaut wird, wo doch eigentlich allseits bekannt ist,
dass Gorleben als Atommüllendlagerstandort ungeeignet
ist.
({2})
Ohne einen glaubhaften Verzicht auf Gorleben werden wir keine gesellschaftliche Diskussion zustande
bringen, werden wir diesen jahrzehntelangen gesellschaftlichen Konflikt um die Frage „Wohin mit dem
Atommüll?“ nicht lösen.
({3})
Nächstes Lager: Asse. Die Fraktionen arbeiten an der
Lex Asse; das habe ich eben schon deutlich gemacht.
Der Mittelaufwuchs an dieser Stelle - auf 142 Millionen
Euro - ist positiv zu vermerken; da hat die Bundesregierung nachgelegt. Dazu muss ich aber schon sehr deutlich
sagen: Zur Vorbereitung der Rückholung und der Bergung des atomaren Inventars ist das immer noch deutlich
zu wenig - und das wissen Sie genauso gut wie wir. Es
geht aus dem Haushaltsplan auch nicht hervor, welche
Mittel für Maßnahmen wie Notfall- und Gefahrenabwehr, sprich - im schlimmsten Fall -: Flutung, vorgesehen sind und wann die Notfall- und Gefahrenabwehr
abgeschlossen sein soll.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern: Für 2011
war dafür eine Kostenprognose vorgesehen und uns an25182
gekündigt. Sie liegt bis heute nicht vor. Ich hätte doch
gerne einmal eine Antwort auf die Frage, wann wir damit rechnen können.
({5})
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: Das
Bundesamt für Strahlenschutz, das mit der Umsetzung
beauftragt ist, hat für die Bewältigung der Asse 82 neue
Stellen beantragt, wohlbegründet. Das Ministerium hat
nur 50 Stellen genehmigt. Das halte ich für ein ernsthaftes Problem, wenn wir, wie es alle Fraktionen hier immer wieder fordern, zu einer Beschleunigung kommen
wollen.
Last, but not least: Schacht Konrad. Ich sage ganz
deutlich: Das Geld, das für den Schacht Konrad vorgesehen ist, sollten wir gemeinsam sparen. Schacht Konrad
- da hält es die Linke mit den Initiativen, mit den Belegschaften, mit den Betriebsräten, mit den Menschen vor
Ort - ist nicht geeignet, Stichworte - um nur ein paar
Punkte zu nennen -: Langzeitsicherheit, Grundwasserschutz, keine ausreichende Produktkontrolle, Risiken im
Einlagerungsbetrieb, weil die Einlagerung über das
Werksgelände eines Stahlwerkes laufen soll. Wir haben
es mit einer Region zu tun, in der Vertrauen grundlegend
verloren gegangen ist. Die Asse und Schacht Konrad
sind genau 24 Kilometer voneinander entfernt. Ohne
über Schacht Konrad neu zu diskutieren und dabei
Transparenz herzustellen, wird es nicht gehen.
({6})
Fazit: Die Regierung betont fortlaufend einen Neustart in der Frage der Endlagersuche. Aber bei genauer
Betrachtung zeigt sich: Es kommt außer vielen schönen
Worten nichts. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Im Gesamthaushalt findet sich für Atomenergie/
Atomtechnik 1 Milliarde Euro. Wenn man alle Einzelpläne nebeneinanderlegt, finden sich für alle erneuerbaren Energien nur 790 Millionen Euro. Um es noch deutlicher zu machen: In all den Jahren sind inklusive EEG
54 Milliarden Euro in erneuerbare Energien geflossen.
Dagegen sind seit 1970 177 Milliarden Euro in die
Steinkohle geflossen,
Frau Kollegin.
- 65 Milliarden Euro in die Braunkohle und ganze
187 Milliarden Euro in die Atomenergie.
Frau Kollegin.
So viel zur Behauptung,
({0})
Atomenergie sei so billig, oder dazu, wir steuerten um
und führten eine Energiewende durch. Das, was Sie hier
mit diesem Haushalt vorlegen, zeigt, dass Sie keine Lehren aus Fukushima gezogen haben.
Ich danke.
({1})
Der Kollege Stephan Thomae hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will auch ich meinen Dank dem Ministerium, dem Bundesminister, Herrn Altmaier, vor allem
dem Haushaltsreferat des Hauses, dem Bundesrechnungshof und den Bundesoberbehörden, die diese Haushaltsentscheidung begleitet haben, aussprechen. Gleichfalls danke ich dem Kollegen Schulte-Drüggelte als
Hauptberichterstatter und meinen Kollegen Beckmeyer,
Kindler und Leutert als Mitberichterstatter für die sachliche und konstruktive Beratung dieses Haushaltes.
Ein paar Eckdaten sind schon genannt worden. Der
Haushalt des Bundesumweltministeriums ist ein vergleichsweise kleiner Haushalt mit einem Volumen von
etwa 1,6 Milliarden Euro. Die Ausgaben steigen maßvoll um 3,4 Prozent. Die Schwerpunkte im Umwelthaushalt liegen vor allem bei der Endlagersuche und dem Bereich der erneuerbaren Energien. Die gewaltigen
Aufgaben, die in diesen Bereichen unserer harren, rechtfertigen diesen maßvollen Aufwuchs in diesem Etat.
Umweltpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die auch
in vielen anderen Einzelplänen des Bundeshaushaltes
enthalten ist, zum Beispiel im Entwicklungshaushalt.
Insgesamt sind im Bundeshaushalt 7,4 Milliarden Euro,
also etwa ein Fünffaches dieses Etats, für die Umweltpolitik eingeplant.
({0})
Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zum Energie- und Klimafonds sagen. Bei meinen Vorrednern ist
es schon angeklungen: Der Energie- und Klimafonds gehört eigentlich zum Einzelplan 60. Es wurde kritisiert,
dass er als Sondervermögen aus dem Bundeshaushalt
ausgegliedert und - auch das war ein Vorwurf - unteretatisiert sei. Die finanzielle Ausstattung hängt natürlich
mit dem Verkauf von Zertifikaten, dem Zertifikatehandel, zusammen. Derzeit sind die Einnahmen niedriger als
ursprünglich angesetzt, weil es ein Überangebot an Zertifikaten auf dem Markt gibt. Das ist deshalb so, weil der
Preis so niedrig ist.
({1})
Ein Überangebot, Frau Kollegin, ist zunächst einmal
eine gute Nachricht; denn ein Überangebot zeigt, dass
die Nachfrage geringer ist als das Angebot auf dem
Markt. Das heißt, die Emissionsmengen gehen zurück,
man braucht heute weniger Zertifikate als früher. Das ist
zunächst einmal eine gute Nachricht. Jetzt müsste man,
um den Preis stabil zu halten, die Zertifikatemenge begrenzen. Das muss geschehen. Dann werden sich die
Einnahmen des EKF konsolidieren. Nur, das können wir
nicht in den Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene, regeln, das muss auf europäischer Ebene getan werden.
Darauf muss man hinwirken.
({2})
Die Ausgaben für die Endlager steigen ebenfalls maßvoll um knapp 40 Millionen Euro, also um etwa 8,4 Prozent, auf 501 Millionen Euro.
Meine Vorrednerin hat gerade die Asse angesprochen.
Vom Bundesamt für Strahlenschutz bin ich dankenswerterweise eingeladen worden, mir die Asse persönlich anzusehen und mir ein eigenes Bild zu machen. Ich bin
dieser Einladung gern gefolgt. In der Asse herrschen besonders schwierige Bedingungen, weil das Grundwasser
bekanntlich in die Schachtanlage eindringt. Um die gewaltigen Herausforderungen, die sich aus der Sicherung
der Asse und aus der Bergung des atomaren Mülls ergeben, zu bewältigen, haben wir den Einzeltitel „Stilllegung Schachtanlage Asse“ um 42 Millionen Euro aufgestockt. Ich glaube, das ist eine richtige Maßnahme
gewesen.
({3})
Der Schwerpunkt der Aufgaben liegt ganz klar beim
Thema Energiewende. Nach außen wird manchmal ein
etwas verzerrtes Bild dergestalt vermittelt: Der eine
Minister, der gute, sei zuständig für die Verteilung von
Wohltaten. Der andere Minister, der böse, müsse aufpassen, dass der Strompreis für Wirtschaft und Verbraucher
nicht durch die Decke geht.
({4})
Aber die Energiewende ist nicht nur ein staatliches
Vorhaben der öffentlichen Verwaltung. Es ist ein Vorhaben von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies hat übrigens
überhaupt nichts damit zu tun, ob man die Energiewende
will oder nicht; das ist völliger Unfug. Natürlich stehen
wir zu unseren Entscheidungen.
({5})
Wir sehen darin in erster Linie große Chancen für unser Land. Aber deswegen müssen natürlich auch die Belange von Wirtschaft und Gesellschaft Berücksichtigung
finden.
({6})
Bei den erneuerbaren Energien geht es nämlich nicht nur
um Mengenwachstum. Die Energiewende ist, musikalisch ausgedrückt, ein Vierklang. Dabei geht es natürlich
um die Energieerzeugung; es geht aber auch um Energietransport, Energieeinsparung und Energiespeicherung.
({7})
Eine Zeit lang hat man geglaubt: Wenn man in ganz
kurzer Zeit möglichst viel Zubau an Kapazitäten bei den
erneuerbaren Energien schafft, dann ist die Energiewende so gut wie gemeistert. Wir alle haben heute erkennen müssen, dass die Sache deutlich komplexer ist.
Erneuerbare Energien sind zu einem großen Teil eben
nicht grundlastfähig, außer vielleicht Biomasse.
({8})
Deshalb müssen wir auch im Bereich der Energiespeicherung Geld in Forschung und Entwicklung stecken.
Das tun wir auch.
({9})
Die Energieerzeugung wird dezentraler. Deswegen müssen auch die Netze anders strukturiert werden.
Es geht also nicht einfach nur darum, möglichst
schnell möglichst viele Energieanlagen, also Solaranlagen und Windkrafträder, zu bauen, sondern es geht um
ein integriertes Konzept. Wir müssen auch bei der Gebäudesanierung vorankommen. Wir müssen im Bereich
der Speichertechnologien in die Forschung investieren,
und wir müssen die Netze umbauen.
({10})
All das muss eingepasst werden in die Kulisse einer im
internationalen Wettbewerb stehenden Industrienation.
({11})
Die Energiewende ist nun einmal - das ergibt sich aus
dem Gesagten - nicht nur eine idyllisch-romantische
Angelegenheit, sondern das Ganze ist auch eine technische Herausforderung. Die Erzeugung von Energie aus
erneuerbaren Energieträgern und die Leitungsnetze müssen gemeinsam wachsen, sonst hinkt die Energiewende.
Genau um dieses gemeinsame Wachsen im Rahmen
eines integrierten Konzepts kümmert sich diese Bundesregierung mit diesen Bundesministern, mit den Ministern Altmaier und Rösler. Die Energiewende ist in den
Händen dieser Regierung gut aufgehoben. Deswegen ist
es auch sehr gut, dass wir diesen Etat mit einer Anhebung um rund 3,5 Prozent besser ausstatten. Ich blicke
daher zuversichtlich in die Zukunft der Energiewende in
Deutschland.
({12})
Vielen Dank.
({13})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Dorothea Steiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eine zentrale Aufgabe des
Umweltministeriums ist es, die Energiewende erfolgreich voranzutreiben. Das hatte sich bekanntlich auch
Minister Altmaier bei seinem Amtsantritt auf die Fahne
geschrieben. Aber ich muss feststellen: Diesem Anspruch wird der Haushalt 2013 nicht gerecht.
({0})
Wir brauchen einen konsequenteren Ausbau der Erneuerbaren, einen an die Potenziale der Erneuerbaren
angepassten Netzausbau, höhere Investitionen in Energieeffizienz und nachhaltige Initiativen zur Energieeinsparung. In den Ankündigungen von Herrn Altmaier und
denen der Kollegen von CDU/CSU und FDP hören wir
das zwar; im Umwelthaushalt finden wir das aber leider
nicht. Die Reden sind der schöne Schein; der Haushalt
zeigt die bittere Wahrheit: Die Energiewende ist nur lückenhaft finanziert.
({1})
Wichtige Maßnahmen der Energiewende werden aus
dem Energie- und Klimafonds, dem EKF, finanziert. Die
Einnahmen für diesen EKF sind aber abhängig vom
CO2-Preis im Rahmen des Emissionshandels, und dieser
liegt aktuell mit unter 7 Euro pro Tonne deutlich unter
den Erwartungen. Damit ist die Finanzierung wichtiger
Projekte ungewiss.
Bisher zeigen der Bundesumweltminister und der
Bundesminister für Wirtschaft, der Herr Rösler, keine
Initiative, um den europäischen Emissionshandel zu
stützen und den CO2-Preis zu stabilisieren.
({2})
Das heißt, bei Ihnen steht die Energiewende unter dem
Preisschwankungsvorbehalt. Ich zeige Ihnen an einem
Beispiel, wie das aussieht: 2012 wurden aufgrund von
Mindereinnahmen aus den Emissionszertifikaten die
Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare
Wärme komplett gestrichen.
({3})
Wir Grüne würden es anders machen: Wir würden
zum Beispiel das Marktanreizprogramm wie auch die
Nationale Klimaschutzinitiative aus dem unsicheren
EKF herausnehmen, sie in den Gesamthaushalt einsetzen und den Ansatz erhöhen.
({4})
407 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm sollten uns dem Ziel näher bringen, bis 2020 den Anteil der
Erneuerbaren am Energieverbrauch für Wärme von
heute knapp 8 Prozent auf 14 Prozent zu erhöhen.
({5})
Das würde sich auch für Wirtschaft und Arbeitsplätze
auszahlen; denn Investitionen in die Nutzung erneuerbarer Wärme sind eine wichtige Unterstützung mittelständischer Unternehmen und des Handwerks. Das sage ich
den Kollegen von der CDU/CSU besonders gern.
Meine Damen und Herren, wir erleben seit Monaten
eine Kampagne. Es wird behauptet, die Energiewende,
die erneuerbaren Energien würden den Strom für die
Verbraucher teuer machen. Es gibt entsprechende Attacken von bekannter Seite. Aber allmählich ist doch deutlich geworden: Es sind die Ungerechtigkeiten bei der
Anrechnung der EEG-Umlage, die den Strompreis für
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine Unternehmen verteuern.
({6})
Zu viel wird auf die privaten Stromkunden und auf die
kleinen und mittelständischen Unternehmen abgewälzt,
während die Anzahl der angeblich energieintensiven Unternehmen steigt, die eine Absenkung der EEG-Umlage
in Anspruch nehmen wollen. Ich höre, Herr Kollege
Meierhofer, dass schon bis zu 5 000 Anträge auf Befreiung auf dem Weg sind.
({7})
Das ist doch ein Skandal. So kann man die Akzeptanz
der Energiewende gefährden.
({8})
Das werden wir Grüne nicht hinnehmen, meine Damen
und Herren von der schwarz-gelben Koalition.
Angesichts der steigenden Strom- und Energiepreise
sind Maßnahmen zur Entlastung einkommensschwacher
Haushalte unverzichtbar.
({9})
Die FDP hat neuerdings ihr Herz für die Einkommensschwachen entdeckt,
({10})
die unter den hohen Strompreisen leiden. Sie reagieren
leider nur mit populistischen Sprüchen, tun aber nichts.
Stattdessen fordern Sie eine Senkung der Stromsteuer,
von der Haushalte mit höheren Einkommen überproportional profitieren; das ist natürlich die Klientel der FDP.
({11})
Wir treten dagegen für die Einführung eines Energiesparfonds ein, mit dem wir die Energiewende sozial
abfedern wollen. Wir wollen den Austausch alter
Stromfresser gegen energieeffiziente Elektrogeräte subventionieren, und wir wollen einen Klimazuschuss zum
Wohngeld. Dafür würden wir sage und schreibe 3 Milliarden Euro in die Hand nehmen.
({12})
Die brauchen wir auch, um die Finanzierung der Maßnahmen sicherzustellen.
Jetzt komme ich zu den Endlagerfragen. Ich glaube,
zur Asse braucht man nicht viel zu sagen. Die Erhöhung
der entsprechenden Mittel auf 142 Millionen Euro war
richtig. Ich möchte dazu nur eines sagen: Wir brauchen
die Mittel nicht nur 2013, sondern auch 2014 und 2015.
Zu Gorleben kann man nur eines sagen: Uns wird der
gleiche Ansatz wie letztes Jahr präsentiert;
({13})
76 Millionen Euro werden für das Projekt Gorleben eingesetzt. Wie erklären Sie mir, Herr Altmaier, dass Sie
diese Zahl nicht geändert haben, wenn Sie doch gleichzeitig einen Neustart bei der Endlagersuche ankündigen?
({14})
Wir sehen eine Kürzung dieses Ansatzes von 76 Millionen auf 20,9 Millionen Euro vor; das reicht für die Offenhaltung. Logischerweise möchten wir die Summe für
die Erkundung weiterer Standorte verdoppeln: von
3,5 Millionen auf 7 Millionen Euro. Ich sage Ihnen: Das
ist nur der Anfang. Falls wir den Neustart bei der Standortsuche tatsächlich gemeinsam hinbekommen, brauchen wir dafür in einer zweiten Phase 10 Millionen bis
20 Millionen Euro.
Herr Minister Altmaier, wenn Sie es mit dem Neustart
bei der Endlagersuche ernst meinen - das unterstelle ich
jetzt erst einmal -, wenn Sie eine ergebnisoffene Endlagersuche in Angriff nehmen wollen, dann machen Sie
doch Nägel mit Köpfen und nehmen die Mittel für den
Ausbau von Gorleben schon jetzt aus dem Haushalt für
2013.
Frau Kollegin.
Mein letzter Satz. - Stellen Sie das Geld tatsächlich
schon jetzt für eine ergebnisoffene Endlagersuche und
die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit bereit.
Vielen Dank.
({0})
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Bundesminister Peter Altmaier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man die letzten sechs Monate Revue passieren lässt, dann kann man ohne Übertreibung sagen,
dass die Themen der Umwelt- und Energiepolitik auf der
politischen Agenda endlich wieder dort angekommen
sind, wo sie seit vielen Jahren hingehören.
({0})
Wir haben schon lange nicht mehr so intensiv und so
konstruktiv darüber diskutiert. Sie sollten sich freuen,
dass es so ist; denn hier geht es um unser gemeinsames
Anliegen. Machen Sie es nicht mies, machen Sie es nicht
schlecht, sondern freuen Sie sich darüber, dass überall in
Deutschland über die Energiewende und ihre Erfolgsvoraussetzungen diskutiert wird.
({1})
Ein Zweites ist klar geworden, trotz oder vielleicht
gerade wegen der aufgeregten Debatte über den Anstieg
der EEG-Umlage: Wir nehmen die Probleme sehr ernst
- ich komme darauf noch zurück -, und wir wollen sie
lösen. Es ist so, dass die Energiewende von allen wichtigen politischen Kräften dieses Landes gewollt wird. Sie
wird gewollt von vielen Aktivisten und Idealisten vor
Ort, die dafür eintreten, dass die Energiewende stattfindet, sie wird gewollt von den Fraktionen des Deutschen
Bundestages, und sie wird gewollt von der Bundesregierung und den beiden zuständigen Ministern. Das ist die
entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Energiewende gelingt; denn wir haben dadurch die Klarheit, in
welche Richtung die Reise geht.
({2})
Seit meiner Amtsübernahme habe ich immer wieder,
orchestriert von vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen,
gehört - ich unterstelle Ihnen keine bösen Absichten; Sie
wollen halt irgendwie erreichen, dass man nicht nur über
Ihren Kanzlerkandidaten diskutiert -: Das ist falsch, da
hat Altmaier einen Fehler gemacht, das hätte er nicht sagen sollen, so kann man nicht vorgehen.
Ich habe Anfang Oktober einen Verfahrensvorschlag
vorgelegt, in dem ich darauf hingewiesen habe: Wir
brauchen einen nationalen Konsens, wir brauchen eine
nationale Ausbaukonzeption, wir brauchen eine grundlegende Reform des EEG, wir brauchen eine Abstimmung
des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Ausbau
der Netze sowie der konventionellen Energien und der
erneuerbaren Energien untereinander, und zwar in geografischer und regionaler Hinsicht. All diese Punkte
haben Sie kritisiert. Als vier Wochen später die Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer bei der Bundeskanzlerin waren, bestand in all den genannten Punkten einstimmiger Konsens darüber, dass wir eine nationale Ausbaukonzeption und eine grundlegende Reform des EEG
brauchen.
({3})
Ihre Ministerpräsidenten zeigen mehr Einsicht als Sie.
({4})
Nehmen Sie sich ein Beispiel. Fragen Sie Herrn Albig,
fragen Sie Frau Kraft, fragen Sie Herrn Kretschmann in
Baden-Württemberg.
Wenn Sie ehrlich sind ({5})
das meine ich nicht kontrovers; das ist etwas, auf das wir
gemeinsam schauen können -, dann müssen Sie zugeben: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland war noch nie so dynamisch und so stark wie in den
letzten zwölf Monaten. Wir werden in diesem Jahr
25 Prozent unseres Stroms mit erneuerbaren Energien
produzieren.
({6})
Die Leistung der Photovoltaikanlagen in Deutschland
wird der Leistung von etwa 20 Kernkraftwerken entsprechen. Wir sind das Land in der Welt, in dem der Ausbau
der erneuerbaren Energien am dynamischsten vorangeht.
Wer versucht, das schlechtzureden und infrage zu stellen, der tut der Energiewende keinen Gefallen, der leistet
ihr einen Tort.
({7})
Ich bitte Sie: Konzentrieren Sie sich in Ihrer Rhetorik
darauf, dass eine Energiewende mehr ist als nur der volumenmäßige Ausbau. Es ist nun einmal so, dass man
eine Photovoltaikanlage schneller auf dem Dach installiert hat als die Stromleitung, die nötig ist, um gewonnenen Strom abzutransportieren.
({8})
Es ist leichter, ein Windrad zu bauen, als eine 900 Kilometer lange Gleichstromleitung quer durch Deutschland
zu verlegen.
({9})
Wir müssen die Probleme und die Chancen der Energiewende gemeinsam in den Griff bekommen. Die Energiewende ist nicht dann ein Erfolg, wenn wir bestimmte
Ausbauziele erreicht haben, sondern dann, wenn wir am
Ende mindestens 80 Prozent unseres Strombedarfs aus
erneuerbaren Energien gewinnen und die Stromversorgung in Deutschland trotzdem bezahlbar und das Land
wettbewerbsfähig bleibt.
({10})
Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien auszubauen.
Gleichzeitig sollten wir dafür sorgen, dass Strom bezahlbar bleibt und wettbewerbsfähige Preise während der
ganzen Dauer der Energiewende gewährleistet werden
können.
({11})
Wir haben in diesem Hause noch etwas erreicht - Sie
sollten den gefundenen Konsens nicht kleinreden -: Wir
haben im Sommer gemeinsam - die 16 Bundesländer
und alle Fraktionen im Deutschen Bundestag - eine Reform der Photovoltaikförderung beschlossen. Diese Reform beginnt zu greifen. Die Zahlen für Juli, August,
Oktober und auch November - September war ein Ausnahmefall wegen großer Freiflächenanlagen in Ostdeutschland - belegen: Wir haben uns auf einen vernünftigen Ausbaukorridor für erneuerbare Energien im
Bereich der Photovoltaik geeinigt. Auf ein Jahr hochgerechnet soll er künftig nicht bei 7 500 oder 8 000 Megawatt liegen, sondern im nächsten Jahr aller Voraussicht
nach bei 3 500 oder 4 000 Megawatt. Das heißt, wir sind
immer noch Weltmeister im Bereich der Photovoltaik.
Wir verhindern aber eine Blasenbildung, die am Ende zu
einer harten Landung und zu negativen Folgen für alle
Beteiligten führen würde.
Genauso engagiert werden wir in den nächsten Wochen dafür sorgen, dass die Offshoreproblematik einer
Lösung nähergeführt wird.
({12})
Wir haben hierzu ein Gesetz im Deutschen Bundestag
vorgelegt, das auch von den Politikern in Norddeutschland aus Ihrer Partei unterstützt wird und zu dem alle
Beteiligten sagen: Das ist notwendig. - Deshalb würde
ich mir wünschen, dass Sie das auch einmal öffentlich
sagen; denn es gehört dazu, dass man gemeinsam Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen übernimmt.
Es haben sich viele hinsichtlich der Herausforderungen des Offshoreausbaus getäuscht; aber es ist richtig,
dass wir die technischen und finanziellen Probleme lösen.
({13})
Auch deshalb haben alle 16 Ministerpräsidenten - einschließlich Herrn Kretschmanns - gesagt, dass sie wollen, dass der Offshoreausbau weitergeht und genau diese
Probleme gelöst werden.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen
- es ist noch gar nicht so lange her, dass Sie den Umweltminister gestellt haben -,
({15})
mit dem Thema „Strom- und Energieeffizienz“ zum ersten Mal ernst.
({16})
Wir haben mit dem DIHK und mit dem ZDH eine Mittelstandsinitiative verabredet.
({17})
Im Zusammenhang mit dem Spitzenausgleich haben wir
die Einführung von Energiemanagementsystemen in der
Wirtschaft vorgesehen. Wir werden morgen die zweite
Tagung des Runden Tisches für Stromeffizienz durchführen. Das heißt, wir haben zum ersten Mal auf allen
Ebenen - vom kleinen Einkommen über die mittelständische Wirtschaft bis hin zu den großen Betrieben - das
Bewusstsein, dass es möglich ist, Kosten auch dadurch
zu senken, dass man mit Strom und Energie verantwortlich umgeht.
({18})
Wir werden sehen, dass man damit auch für die deutsche
Wettbewerbsfähigkeit sehr viel erreichen kann.
({19})
Ferner machen wir mit dem Thema „Bürgerbeteiligung und Netzausbau“ ernst. In den nächsten Jahren
werden wir sehr viele Leitungen verlegen müssen. Es ist
doch kein Ruhmesblatt, dass wir von den Leitungen
nach dem EnLAG, die vorgesehen waren, gerade einmal
200 Kilometer gebaut haben; aber es ist eben auch so,
dass Sie zu Ihrer Regierungszeit dafür weder die planerischen noch die Beteiligungsinstrumente geschaffen
haben, die notwendig sind. Wir schaffen mit diesem
Haushalt zum ersten Mal Stellen im Bundesumweltministerium, damit wir Bürgerbeteiligung bei umweltrelevanten Großprojekten ernst nehmen können. Denn
wir wollen mit den Leuten reden, und wir wollen, dass
sich die Leute eingebunden fühlen.
({20})
Wir werden auch die Belange des Naturschutzes ernst
nehmen. Am Ende werden wir aber dafür sorgen, dass
die notwendigen Netzanschlüsse hergestellt werden. Wir
lassen nicht zu, dass dezentraler gegen zentralen oder
zentraler gegen dezentralen Ausbau ausgespielt wird,
weil wir in Deutschland beides brauchen: Wir brauchen
große Stromtrassen, um die Windenergie aus dem Norden dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wird.
Umgekehrt brauchen wir gute regionale Verteilnetze, um
Photovoltaik- und dezentrale Erneuerbare-Energie-Anlagen abzufedern.
Wir werden dafür sorgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir uns international gut aufstellen.
({21})
In Doha haben wir eine ganz schwierige Klimakonferenz
vor uns. Wir haben auf der internationalen Ebene zwar
einen Erkenntnisfortschritt dahin, dass Klimaschutz notwendig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das 2-GradZiel nicht erreichen, wächst; auch das muss man sagen.
Aber es wäre falsch, aufzugeben. Deshalb wünsche ich
mir, dass wir in Doha - wir sehen uns in dieser Woche
zum gemeinsamen Frühstück - die Kraft haben, eine gemeinsame deutsche Position zu formulieren und zu vertreten, eine Position, die auch den Druck erzeugt, dass
sich andere Länder dem anschließen. Ich wünsche mir,
dass wir einen Konsens über eine zweite Verpflichtungsperiode nach dem Kioto-Protokoll erreichen. Weiter
wünsche ich mir, dass die übrigen Länder bei ihren nationalen Kraftanstrengungen endlich vorankommen und
wir ein klares Verhandlungsmandat für das allgemeine
Klimaschutzabkommen bekommen werden.
Ich möchte mich bei den Fraktionen des Deutschen
Bundestages bedanken, die durch ihre Berichterstatter
quer über alle Parteien hinweg dazu beigetragen haben,
dass wir einer Lösung für die „Lex Asse“ in den letzten
Wochen und Monaten einen großen Schritt näher gekommen sind. Das ist eine Frage der Vertrauensbildung
vor Ort. Ich habe von Anfang an Wert darauf gelegt, dass
wir dies überparteilich tun.
Ich werde in dieser Woche erneut zu den Menschen
an der Asse fahren und dort mit den Mitgliedern der Begleitgruppe diskutieren, weil ich zugesagt habe, dass wir
diesen Dialog auf oberster politischer Ebene führen.
({22})
Ich komme zum Schluss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ein Problem - Sie können noch
so viel filibustern -, das gelöst werden muss: Das ist die
gemeinsame Endlagersuche. Wir haben vor einem Jahr
die Kraft gefunden, gemeinsam einen Endpunkt der
friedlichen Nutzung der Kernenergie festzulegen.
({23})
Wir haben uns gemeinsam zur Energiewende verpflichtet. Ich meine, dazu gehört auch, dass wir die Kraft zu einem überparteilichen Konsens bei der Endlagersuche
finden. Nur, wir haben auch in dieser Frage schon sehr
viel Zeit verloren.
({24})
Wissen Sie, ich habe ja den Grünen-Parteitag vom
letzten Wochenende gelobt. Ich habe das ja öffentlich
anerkannt. Nur, wir diskutieren ein ganzes Jahr darüber.
Bereits im Frühsommer haben wir einen Gesetzentwurf
vorgelegt.
({25})
Wir haben informelle und formelle Verhandlungen geführt. Ich habe im Herbst einen neuen Gesetzentwurf
vorgelegt. Und erst jetzt diskutieren Sie als Bündnis 90/
Die Grünen über Ihre Position. Bis heute habe ich auch
noch nichts von einer gemeinsamen Position der A-Länder im Bundesrat gehört.
({26})
Ich meine, wir können dieses Thema nicht auf die lange
Bank schieben. Deshalb appelliere ich an Sie: Schielen
Sie nicht auf Wahlkämpfe, sondern tragen Sie dazu bei,
dass wir eine überparteiliche Regelung finden, die in
diesem Bereich Frieden und Rechtsfrieden schafft!
({27})
Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Unterstützung, die es bei wichtigen und schwierigen Themen gegeben hat. Der Haushalt des Bundesumweltministeriums
ist nicht der größte von allen Bundeshaushalten. Lieber
Norbert Barthle, wir werden das im Laufe der nächsten
Jahre gemeinsam sicherlich schrittweise ändern und den
Haushalt in die richtige Richtung fortentwickeln. Die
Wichtigkeit dieses Politikbereichs hängt aber nicht an
der einen oder anderen Haushaltszahl; sie hängt daran,
was wir aus den Herausforderungen machen. Da sind
wir in den letzten Monaten einen guten Schritt vorangekommen.
Vielen Dank.
({28})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Matthias
Miersch.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister, wie sehr muss Ihnen das
Wasser bis zum Halse stehen, wenn Sie hier als erste
Worte sagen: Endlich, nach dreieinhalb Jahren schwarzgelber Politik, hat die Energiepolitik den Stellenwert,
den sie verdient. - Was für eine Klatsche für Herrn
Röttgen! Was für eine Klatsche für diese Kanzlerin, die
diesen Schlamassel zu vertreten hat!
({0})
Herr Minister Altmaier, die Kanzlerin hat es auch zu
vertreten, dass Ihren Worten, wenn Sie beispielsweise
um Endlagerung ringen, keiner von denen, die auf diesen
Bänken sitzen und guten Willens sind, glaubt. Vor wenigen Wochen habe ich die Kanzlerin im Untersuchungsausschuss selbst gefragt: Wie ist das eigentlich mit der
Endlagersuche und Gorleben? - Die Kanzlerin höchstselbst hat gesagt, sie versteht es bis heute nicht, warum
Gorleben nicht zu Ende erkundet wird. Diese Worte zeigen, dass Sie ein Gorleben-Findungsgesetz schaffen
wollen. Die „vertrauensbildenden“ Maßnahmen, die Sie
hier unternommen haben, sind keine. Legen Sie ein ordentliches Gesetz vor, über das wir dann diskutieren
können, Herr Minister!
({1})
Die Haushaltspolitik im Bereich Umwelt- und Energiepolitik ist ein Beispiel dafür, dass bei dieser Regierung Klientelpolitik und Unfähigkeit zusammenkommen. Herr Altmaier, da Sie früher Parlamentarischer
Geschäftsführer waren, kommen Sie aus der Verantwortung nicht heraus. Jeder kann nachlesen, dass Sie die
Laufzeitverlängerungen hier gerechtfertigt haben. Sie
haben den Haushalt des Umweltministeriums an den Ablasshandel mit den Energiekonzernen, den Atomkonzernen gekoppelt. Diese sollten für die Laufzeitverlängerung Ablasszahlungen an den Bund leisten. Das ist das
erste Ding, das Ihnen um die Ohren geflogen ist, als Sie
nach Fukushima die taktische Wende vollzogen haben.
Ich behaupte nach wie vor: bei vielen von Schwarz-Gelb
in diesem Hause aus rein taktischen Überlegungen und
nicht aus Überzeugung.
({2})
Das zweite Ding, das Ihnen um die Ohren fliegen
wird, ist der Energie- und Klimafonds - Herr Thomae,
das verwundert mich schon etwas -; denn auch er ist auf
Sand gebaut. Sie rechneten ursprünglich mit 23 Euro für
ein Zertifikat. Augenblicklich gehen Sie in Ihren Planungen von 10 Euro aus. Aktuell liegt der Zertifikatspreis
aber bei 6,04 Euro. Herr Thomae, Ihr Bundeswirtschaftsminister ist dafür verantwortlich, dass wir in
Deutschland und der Europäischen Union nicht sprechfähig sind und die Doha-Konferenz wahrscheinlich ohne
die Bundesrepublik Deutschland stattfindet.
({3})
Herr Altmaier, wenn Sie hier eine „Alles ist gut“Rede halten, dann sage ich Ihnen als Niedersachse: Ich
war in der letzten Woche in Cuxhaven. Dort sind über
Jahre hinweg Hunderte von Arbeitsplätzen im Offshorebereich entstanden. Augenblicklich sind Tausende von
Arbeitsplätzen an der Küste in Gefahr, weil Sie zur Verunsicherung beitragen, weil Sie die Weichen nicht stellen und nicht die Investitionssicherheit gewähren, die
man bräuchte, um eine neue Technologie zu fördern. Das
ist Ihre Verantwortung. Sie können sich hier nicht hinstellen und so tun, als ob alles in Butter wäre. Nichts ist
in Butter; alles ist im Unklaren.
({4})
Ein Hauptproblem - das haben Sie hier angesprochen,
aber Sie machen nichts dagegen - ist die Frage der
Netze. Wenn Sie weiterhin diese vier Betreiber herumwursteln lassen und Haftungsregeln nach dem Motto:
„Alle Gewinne werden privatisiert, aber die Haftung
bzw. die Risiken werden sozialisiert“ aufstellen, dann
werden Sie das Problem nicht lösen. Wir müssen endlich
verstehen, dass die Energiewende mit der notwendigen
Infrastruktur eine Frage der Daseinsvorsorge ist. Insofern sage ich Ihnen: Die Übertragungsnetze gehören
mehrheitlich in staatliche Hand. Wir brauchen eine
Netz AG.
({5})
Hinter vorgehaltener Hand sagen das auch Ihre eigenen Parteikollegen, zum Beispiel die an der Küste. Nur,
sie setzen sich nicht durch, möglicherweise weil die FDP
nach wie vor an den Markt glaubt. Wenn Sie in diesem
Zusammenhang um Bürgerbeteiligung ringen, dann
frage ich Sie: Warum haben wir jetzt die Situation, dass
die Bundesnetzagentur Netzplanungen macht, aber Ihr
eigenes Haus davor warnt, dass elementare Bereiche des
Umweltrechts verletzt sind, weil es keine Alternativplanung gibt, Herr Altmaier? Das ist Ihre Verantwortlichkeit. Ihr Haus merkt dies an. Im Moment droht, dass Sie
durch Untätigkeit und durch stümperhaftes Vorgehen
eine Netzplanung machen, die auf Sand gebaut ist. Damit ist ein elementarer Bereich der Energiewende gefährdet.
({6})
Ich will einen weiteren Bereich ansprechen: die Solarindustrie. Letzte Woche sagte mir ein Projektierer:
Herr Miersch, alles schön und gut, wir bekommen noch
Bankdarlehen, aber wenn die Bank hört, dass unser Projekt mit einer deutschen Firma, die Solarmodule herstellt, verbunden ist, bekommen wir die Zusage nicht
mehr; wenn wir mit einer chinesischen Staatsfirma zusammenarbeiten, bekommen wir die Zusage. - Liebe
Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie sind
angetreten, die Wirtschaft zu stärken. Im Bereich der Erneuerbaren haben Sie bewiesen, dass Sie es nicht können.
Die von Ihnen verursachte Investitionsunsicherheit
führt dazu, dass die Menschen in diesem Bereich verunsichert sind und sich fragen, ob sie diesen Weg weitergehen sollen. Sie können dankbar und hoffnungsfroh sein,
dass Bürgerinnen und Bürger, kleine und große Genossenschaften und Firmen sich von Ihnen nicht haben unterkriegen lassen, sondern dort weitergemacht haben, wo
Rot-Grün im Jahre 1998 mit dem Ausbau der Erneuerbaren angesetzt hat.
({7})
- Das müssen Sie sich gefallen lassen.
Meine Anmerkungen zu einem anderen Bereich müssen Sie sich ebenso gefallen lassen. Herr Thomae und
Herr Schulte-Drüggelte, Sie haben unter anderem darauf
hingewiesen: Es kostet auch. - Gestern hat die Weltbank
vor der Klimaerwärmung gewarnt. Lesen Sie es einmal
nach. Es geht um die Fragen: Wie teuer wird es eigentlich für uns, wenn wir nichts tun? Wann begreifen wir in
diesem Haus endlich, dass jeder Euro, den wir jetzt für
die Energiewende ausgeben, viel stärkere volkswirtschaftliche Folgekosten vermeiden hilft? Das müssen
Sie verstehen. Sie haben es bis jetzt nicht verstanden.
({8})
Das Grundproblem, mit dem Sie gestartet sind - Herr
Altmaier, Sie haben heute das Zeugnis dafür geliefert;
das können wir immer wieder nachlesen -, ist, dass Sie
nie an die Energiewende geglaubt haben. Dreieinhalb
Jahre - das haben Sie heute gesagt - haben Sie die Energiepolitik vernachlässigt. Jetzt merken Sie, dass Sie es
nicht können, dass Sie es nicht schaffen, und Sie wollen
den Schwarzen Peter zu Ministerpräsidenten und anderen schieben. Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben
die Energiewende vermurkst. Wir können nur hoffen,
dass Ihre Regierungszeit schnell vorbei ist.
({9})
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit einer guten Nachricht beginnen: Am Montag
haben der Umwelt- und der Verkehrsausschuss getagt,
und die Koalition hat ihren Gesetzentwurf durch die
Ausschüsse bekommen. Der sogenannte Schienenbonus
wird abgeschafft.
({0})
Damit wird endlich der Lärmrabatt der Bahn abgeschafft. Die Oppositionsfraktionen haben Verbesserungsanträge eingebracht
({1})
und sich dann kraftvoll enthalten. Ich sage nur: Als Sie
regiert haben, haben Sie die Anträge der FDP-Fraktion
zum Schutz der Bürger vor Bahnlärm abgeschmettert.
({2})
Jetzt sollten Sie anerkennen, dass Schwarz-Gelb für
mehr Lärmschutz an der Bahn sorgt.
({3})
Meine Damen und Herren, interessant war die Aussage von Herrn Miersch, dass die SPD plötzlich für eine
Verstaatlichung der Stromnetze ist.
({4})
Man hat also einen Kanzlerkandidaten Steinbrück, der
ein bisschen die Mitte bespielen soll. Aber wenn es um
reale Politik geht, dann spielen Sie Linkspartei.
({5})
Das ist eine Anerkennung für uns. Damit sagen Sie nämlich, dass es die FDP ist, die in dieser Republik für den
Markt steht, nämlich dafür, dass die Bürgerinnen und
Bürger ihre Innovationskraft nutzen, die Energiewende
gestalten und die Herausforderungen bewältigen und
dass nicht alles von Beamten und Politikern gemacht
wird. Vielen Dank dafür!
({6})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein.
({0})
Ich möchte als Nächstes zum Endlagersuchgesetz
kommen. Darüber haben wir am Wochenende auf dem
Parteitag der Grünen eine interessante Diskussion erlebt.
({1})
Ich finde es gut, dass es Mitglieder der Grünen gibt, die
sich zu einem ergebnisoffenen Verfahren bekannt haben,
({2})
so wie es auch die Koalitionsfraktionen wollen. Wir wollen, dass das Problem der Endlagerung endlich im Interesse kommender Generationen gelöst wird. Die Generationen, die von der Atomkraft profitiert haben, müssen
jetzt auch dafür sorgen, dass das Müllproblem gelöst
wird. Da kann sich keiner einen schlanken Fuß machen.
Es muss danach gehen, welcher Standort tatsächlich am
geeignetsten ist.
Jetzt gibt es einen Beschluss der Grünen, der das aufgreift, was die einen gesagt haben, nämlich dass es ein
ergebnisoffenes Verfahren geben muss, und der auch das
aufgreift, was die anderen gesagt haben, nämlich: Gorleben darf nie Endlager werden. - Wie bekommen die
Grünen das zusammen?
({3})
Sie sagen: Wir führen ein ergebnisoffenes Verfahren
durch; aber die Kriterien werden so definiert, dass Gorleben herausfällt. - Das ist nicht ergebnisoffen, und das
ist auch nicht konsensorientiert. Sie versuchen doch nur,
sich für die nächste Bundestagswahl ein Wahlkampfthema zu erhalten, um von Ihrer Klientel bloß nicht in
die Verantwortung dafür genommen zu werden, dass Sie
in diesem Land vielleicht einmal eine Entscheidung treffen müssen, wenn es darum geht, dass ein Standort gefunden wird. Sie haben ein Interesse daran, dass kein
Standort gefunden wird, meine Damen und Herren von
den Grünen.
({4})
Wir müssen also genau hinschauen, wer was sagt und
wer was tut.
Diese Koalition hat die Energiewende trotz aller Probleme auf den Weg gebracht und wird sie zum Erfolg
führen. Wir haben einen so starken Ausbau der erneuerbaren Energien wie noch nie. Wir haben einen schnelleren Netzausbau auf den Weg gebracht, mit einer stärkeren Kompetenz des Bundes. Jetzt müssen wir dafür
sorgen, dass wir die Kosten im Griff behalten und die
Versorgungssicherheit in der Übergangsphase gewahrt
bleibt.
({5})
Herr Kauch, die Frau Kollegin Kotting-Uhl würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
({0})
Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an,
dass wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren.
Neulich habe ich gehört, was Herr Gabriel auf einer
Pressekonferenz gesagt hat. Man hätte meinen können,
da spricht ein FDP-Politiker, wenn man das Bild ausgeblendet hätte;
({1})
die SPD-Bundestagsfraktion äußert sich heute allerdings
mal wieder anders. Herr Gabriel hat interessanterweise
das gesagt, was auch wir sagen: dass das EEG ein effektives Instrument war, um in der Markteinführungsphase
zu möglichst vielen Anlagen zu kommen, dass es aber
kein geeignetes Instrument ist, um einen Markt zu schaffen, in dem die Erneuerbaren die Stromversorgung
mehrheitlich gewährleisten.
({2})
Das Problem der festen Einspeisevergütung, die wir
heute haben, ist das Prinzip „Sell and forget“. Der Produzent kümmert sich um die Finanzierung seiner Anlage, er muss sich aber nicht darum kümmern, wie der
Strom, den er produziert, ins Stromnetz integriert wird
und beim Kunden ankommt.
An diesem Punkt müssen wir bei einer Reform des
EEG ansetzen. Der Weg ist im EEG 2012 bereits angelegt: Große Biogasanlagen müssen ab 2014 in die Direktvermarktung einsteigen. Sie bekommen Unterstützung; aber sie müssen sich einen Kunden suchen. Ich
glaube, das kann man von Stromproduzenten verlangen:
dass sie sich einen Kunden suchen. Das ist das Minimum, was ein Anbieter, der Geld verdienen will, in einer
marktwirtschaftlichen Ordnung machen muss.
({3})
Wir sind dazu bereit, diese Direktvermarktung mit einer
Prämie zu unterstützen; aber einen Kunden müssen sich
die Anlagenbetreiber in Zukunft dann schon suchen.
({4})
Wir müssen auch die Marktprämie reformieren. So,
wie sie heute gestrickt ist, führt das zu Mitnahmeeffekten: Es wird immer dann eingespeist, wenn der Preis
hoch ist; aber ein Anreiz, nicht einzuspeisen, wenn der
Preis niedrig ist, ist nicht gegeben.
({5})
- Liebe Freunde von der SPD, Sie wollten doch gar
keine marktwirtschaftliche Regelung.
({6})
Wir wollen jetzt eine neue Marktprämie, einen Marktzuschlag in Cent pro Kilowattstunde.
({7})
Das ist eine sinnvolle Lösung.
Herr Kollege.
Denn dann speisen die Anlagenbetreiber ein, wenn
der Strom auch gebraucht wird.
Herr Kollege, Ihre Zeit wäre abgelaufen gewesen.
({0})
Frau Präsidentin! - Wir als FDP stehen dafür,
Herr Kollege.
- dass wir die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zügig angehen, und ich freue mich, wenn wir in
diesem Parlament Mitstreiter haben und das auch parteiübergreifend tun können.
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.
({0})
Was heißt hier „keine Redezeit gekriegt“? Die Redezeit wird verteilt unter den Mitgliedern des Umweltausschusses.
({0})
Da können nicht jedes Mal dieselben drankommen - bei
uns ist das jedenfalls nicht so.
Ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf eine Aussage
von Ihnen, Herr Kauch, auf eine Aussage, die einfach
falsch ist. Wenn Sie schon von Anträgen und Beschlüssen eines Grünen-Parteitages reden, dann sollten Sie
diese auch genau lesen. In dem Beschluss zur Frage der
Sicherheitskriterien steht - Herr Altmaier weiß das aus
den Verhandlungen -, dass die Sicherheitskriterien bereits im Gesetz festgelegt werden sollen und nicht anschließend von einem womöglich erst noch zu installierenden Institut. Wir wollen nämlich, dass es mit der
Endlagersuche schneller vorangeht. Wir brauchen dringend ein Endlager. In diesem Beschluss haben wir festgelegt, dass die Sicherheitskriterien so gestaltet sein
müssen, dass geologisch ungeeignete Standorte im Verlauf des Verfahrens ausscheiden.
Wenn Menschen davon überzeugt sind - und das sind
die meisten Grünen -, dass Gorleben ungeeignet ist,
dann wird Gorleben im Verlauf dieses Verfahrens selbstverständlich herausfallen. Das steht aber nicht in diesem
Beschluss. In dem Beschluss steht: Wir werden nur einem Gesetz zustimmen, das Sicherheitskriterien enthält,
nach denen geologisch ungeeignete Standorte im Verlauf
des Verfahrens herausfallen.
Jetzt frage ich Sie, Herr Kauch: Wollen Sie denn ein
Verfahren, in dem geologisch ungeeignete Standorte in
der Auswahl bleiben?
Herr Kauch zur Antwort.
Liebe Kollegin, was Sie fordern - dass geologisch ungeeignete Standorte in einem Stufenverfahren aussortiert
werden -, steht bereits in dem Entwurf des Bundesumweltministeriums.
({0})
Wenn das der Punkt ist, auf den Sie hinauswollen, dann
können wir die Verhandlungen morgen abschließen und
zu einem Ergebnis kommen.
Aber erkennbar wollen Sie das nicht. Was wir bisher
in den Verhandlungen seitens der Grünen erlebt haben,
ist, dass Ministerpräsident Kretschmann sehr kompromissbereit ist, dass aber der Fraktionsvorsitzende Trittin
immer dann auf die Bremse tritt, wenn die Gefahr besteht, dass man zu einer Einigung kommt.
({1})
Die Grünen müssen sich jetzt überlegen, ob sie abschließen wollen oder nicht. Wenn sie nicht abschließen wollen, dann bedeutet das ganz klar: Sie wollen keine Lösung des Problems, sondern ein Wahlkampfthema. Das
ist doch der Punkt, meine Damen und Herren.
({2})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Michael Leutert.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte und die Emotionalität, mit der sie geführt
wird, zeigen, dass das Thema Klima- und Umweltschutz
in der Politik angekommen ist. Dies könnte natürlich etwas damit zu tun haben, dass dieses Thema in der Bevölkerung eine große Beachtung findet, dass es als Zukunftsaufgabe gesehen wird und dass dementsprechend
der Blick auf uns gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund
macht es sich ausgesprochen gut, wenn man für den
Klima- und Umweltschutz viel tut und auch viel Geld
ausgibt. Darum soll es heute gehen.
Wir haben beim Bundesumweltministerium ein Haushaltsvolumen, das im Gegensatz zu anderen Einzelplänen nicht so berauschend ist. Seit dem Antritt von
Schwarz-Gelb stagniert das Volumen bei circa 1,6 Milliarden Euro. Vermutlich um diese Zahl in einem etwas
besseren Licht erscheinen zu lassen, steht in den Vorbemerkungen zu Kapitel 02 eine Zusammenfassung aller
Umwelt- und Klimaschutzausgaben aller Ministerien.
Diese Ausgaben sind in den letzten Jahren tatsächlich
gestiegen, nämlich um circa 2 Milliarden Euro auf
7,6 Milliarden Euro.
Unter Klima- und Umweltschutz kann man viel verstehen. Aber in erster Linie denkt man an erneuerbare
Energien und an Energieeinsparung. Man denkt an Umweltforschungsprogramme, Windräder, Solaranlagen, im
besten Sinne: an grüne Technologie.
Weil mich die Sache auch als Haushälter interessiert,
habe ich um eine detaillierte Aufstellung der Ausgaben
in allen Haushalten gebeten; diese habe ich auch bekommen. Man sieht deutlich, dass das eine Querschnittsaufgabe ist. Ich möchte Ihnen das einmal aufzeigen:
Im Auswärtigen Amt zum Beispiel wird unter dem
Thema Klimaschutz die Unterstützung der Minenbeseitigung nach Konflikten subsumiert.
({0})
Auch wird darunter die Beseitigung ehemaliger sowjetischer Massenvernichtungswaffen subsumiert.
Im Finanzministerium zählt man zu Klima- und Umweltschutz - Sie können das gerne nachlesen, wenn Sie
es mir nicht glauben -: Erstattungen an die Länder und
sonstige Stellen für die Beseitigung ehemals reichseigener Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaften und auch die Abgeltung von Schäden im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte.
Auch das Verteidigungsministerium darf nicht fehlen.
Es meint, zu Klima- und Umweltschutz gehörten Simulatoren und andere Umweltschutzgeräte. Das alles kann
man natürlich im weitesten Sinne unter grüner Technologie subsumieren; das ist klar. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Bevölkerung das ebenfalls als Klimaschutz
anerkennt.
Eine Nachfrage im Verteidigungsministerium hat ergeben, dass zu „Simulatoren und anderen Umweltschutzgeräten“ Folgendes zählt: der Betrieb eines Gefechtsübungszentrums, der Simulator Eurofighter, Tornado,
Phantom usw., ein Truppenentseuchungs- und Entgiftungsplatz, die Umrüstung der Fregatten, wehrtechnische
Studien unter anderem in den Bereichen neue Explosivstoffe.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle
sollten ehrlich zueinander sein und feststellen, dass diese
Maßnahmen eher in andere Kategorien fallen, aber mit
Sicherheit nicht in die Kategorie „Klima- und Umweltschutz“.
({2})
Auf Nachfrage im BMU wurde mir erklärt - weil mir
das etwas unverständlich war -, dass es für die Meldung
dieser Maßnahmen keine Kriterien gäbe. Ich denke allerdings, genau diese Kriterien wären notwendig. Deshalb
können wir als Linke da nur fordern, dass die Bundesregierung das korrigieren muss und somit für mehr Klarheit und auch Nachvollziehbarkeit im Haushalt sorgt.
({3})
Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Ausgaben
unter der Rubrik „Klimaschutz“ erst recht nicht zustimmen können.
Anstatt solche Beschönigungen bei den Ausgaben
vorzunehmen, sollte sich das Ministerium meines Erachtens um zwei sehr wichtige und zentrale Themen kümmern:
Erstens. Die tatsächlich bereitgestellten Gelder im
Bereich Klimaschutz sollten auch wirklich so wie vorgesehen ausgegeben werden, also tatsächlich für Klimaschutz und nicht für Panzerfahrsimulatoren. Es ist nicht
akzeptabel, dass im Jahr 2011 von den im Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ dem BMU zugeteilten
Mitteln lediglich 17 Prozent ausgegeben wurden. Das
heißt, 60 Millionen Euro blieben einfach liegen.
Zweitens. Auch vom Kollegen Schulte-Drüggelte ist
schon die soziale Frage bei der Energiewende angesprochen worden. Privathaushalte stöhnen mittlerweile unter
den Preiserhöhungen. Vattenfall beispielsweise will in
Berlin zum Jahreswechsel seine Strompreise um 13 Prozent erhöhen. Das bedeutet zum Beispiel für einen vierköpfigen Haushalt über 140 Euro mehr im Jahr.
({4})
Aus diesem Grund haben wir einen Vorschlag gemacht.
Wir machen ihn schon seit Jahren. Wir freuen uns darüber, dass die Grünen jetzt ebenfalls einen Vorschlag
für einen Energiesparfonds gemacht haben.
In diesem Energiesparfonds muss auch eine Abwrackprämie für alte Stromfresser, beispielsweise alte
Kühlschränke, enthalten sein. Schön, dass wir uns hier
einig sind. 200 Euro Abwrackprämie schlagen wir vor.
Es ist logisch, dass dies einkommensschwache Haushalte in Anspruch nehmen werden, weil sich bessergestellte Haushalte schon längst mit besseren Modellen
ausgestattet haben werden.
({5})
Strom muss für alle bezahlbar sein. Die Energiewende
kann nur gelingen, wenn sie eine soziale Energiewende
ist.
({6})
Man kann auch über soziale Tarife nachdenken.
Denkbar ist zum Beispiel, dass die ersten Kilowattstunden für einkommensschwache Haushalte frei zur Verfügung stehen. Unser Vorschlag für eine wiederum vierköpfige Familie ist, die ersten 1 100 Kilowattstunden
kostenfrei zu stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einigen Punkten
haben Sie sich durchringen können, unseren Überlegungen zu folgen, zum Beispiel bei der Praxisgebühr. Dazu
haben wir jedes Jahr einen Antrag gestellt; jetzt gab es
einen einstimmigen Beschluss dazu. Wenn Sie sich auch
hier unseren Überlegungen anschließen, könnten wir uns
überlegen, diesem Haushalt zuzustimmen. Unter den jetzigen Voraussetzungen ist das aber nicht möglich.
Danke.
({7})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Hermann Ott das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Umwelthaushalt ist nur einer der
kleineren Posten in unseren Beratungen, doch gleichzeitig einer der wichtigsten. Denn was nützt uns aller materielle Reichtum, wenn das Klima verrückt spielt, wenn
wir unsere Küstenstädte evakuieren müssen oder wenn
unsere Ernährung nicht mehr gesichert ist? Gar nichts,
wie auch ein aktueller Bericht der Weltbank zeigt. Die
diesjährige dramatische Eisschmelze im arktischen
Nordmeer sowie die Verwüstungen von Hurrikan Sandy
in der Karibik und den USA machen überdeutlich, dass
wir nicht lockerlassen dürfen. Der Schutz unserer globalen Ökosysteme ist zentrale Bedingung für das Wohlergehen aller Menschen auf diesem Planeten.
({0})
Man sollte deshalb meinen, dass Bundesregierung
und Koalition mit diesem Haushalt ein deutliches Zeichen setzen, ein Zeichen für die Bedeutung des Umweltund Klimaschutzes, national und international, ein
Zeichen dafür, dass Deutschland eine Vorreiterrolle einnimmt, wie dies gerade auch von John Schellnhuber
gefordert wird, einem der früheren Berater der Bundesregierung in Klimafragen. Stattdessen präsentiert
Schwarz-Gelb einen Umwelthaushalt, der den drängenden Herausforderungen null gerecht wird. Da, wo Sie etwas tun und doch Geld in die Hand nehmen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, tun Sie
auch noch das Falsche und schädigen Umwelt und
Klima. So geht das nicht.
({1})
Es ist doch überdeutlich: Sie haben die rot-grüne
Energiewende nur geerbt; Sie wollen sie eigentlich
nicht. Es fehlt Ihnen der Kompass. Sie wissen gar nicht,
wohin Sie steuern. Deshalb nehmen Sie blindlings das
EEG unter Beschuss. Deshalb verstümmeln Sie wichtige
Klimaschutzprogramme und packen sie in den Energieund Klimafonds, einen Schattenhaushalt, der zu allem
Unglück auch noch unter der Fuchtel des Finanzministers steht. So kann das nichts werden. Da machen Sie
doch den Bock zum Gärtner. Das kann nicht gutgehen.
({2})
Nicht einmal das wirklich Einfache gelingt Ihnen.
Zum Beispiel könnten Sie doch zumindest einen kleinen
Teil der jährlich 48 Milliarden Euro an Subventionen für
klimaschädliche Maßnahmen kappen. Doch es gibt bei
Ihnen kein Umsteuern in der Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik. Selbst der Schutz der biologischen Vielfalt führt ein Schattendasein.
Kurz gesagt: Dieser Haushalt ist die nackte Offenbarung der Bundesregierung für ihre uninspirierte und verfehlte Umwelt- und Klimapolitik.
({3})
Eine Quittung haben Sie ja bereits bekommen; das
kann ich Ihnen leider nicht ersparen. - Der Minister ist
leider schon weg; aber die Staatssekretärin wird ihm das
sicherlich mit Freuden übermitteln. - Es geht um den
Green Climate Fund. Wer die Anhebung des europäischen Klimaschutzziels auf 30 Prozent nur uninspiriert
verfolgt, wer die Rettung des Emissionshandels als zentralen Baustein der europäischen Klimapolitik nicht zur
Chefsache macht, der braucht sich nicht zu wundern,
dass diese fatalen Signale international wahrgenommen
werden und der Sitz des Green Climate Fund nach Seoul
geht und nicht nach Bonn. Das, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist auch ein Ergebnis
Ihrer Politik, und diese verheerende desinteressierte Linie kennzeichnet auch Ihren Haushalt.
({4})
Wir Grünen legen Ihnen stattdessen einen Klimaschutzhaushalt vor, mit dem die Haushalts- und Finanzpolitik nachhaltig ausgerichtet wird
({5})
und der mit rund 4,6 Milliarden Euro den sozial-ökologischen Umbau unterstützt. Wir zeigen, wie durch nachhaltiges Investieren eine Effizienzoffensive gelingen
kann, wie die Verkehrswende gelingen kann
({6})
und wie wir jährlich 500 Millionen Euro für den internationalen Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt
investieren können. Wir machen zudem konkrete Vorschläge, wie diese Maßnahmen gegenfinanziert werden
können, zum Beispiel durch Kürzungen in Höhe von
8,4 Milliarden Euro bei umweltschädlichen Subventionen und Steuervergünstigungen. Damit sind unsere Investitionen bei voller Jahreswirkung mehr als gesichert.
Eines muss doch klar sein: Ein Sponsoring des Klimawandels darf es in Deutschland nicht geben.
({7})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SchwarzGelb, die umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen und insbesondere die Umsetzung der Energiewende
brauchen eine solide und nachhaltige Ausrichtung der
Haushalts- und Finanzpolitik. Mit diesem dürftigen Entwurf des Umwelthaushalts 2013 haben Sie Ihre letzte
Chance verpasst und den Grundstein dafür gelegt, dass
wir ab 2014 den Haushalt endlich wieder umwelt- und
klimagerecht gestalten können.
Ich freue mich darauf und danke Ihnen.
({8})
Marie-Luise Dött hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Haushalt 2013 des Bundes steht im Zeichen eines konsequenten Konsolidierungskurses.
({0})
Er steht aber auch im Zeichen der Energiewende. Genau
deshalb erhöhen wir die Mittel des Umwelthaushaltes
trotz der Sparerfordernisse um 3,4 Prozent bzw. 54,7 Millionen Euro. Das ist ein deutliches politisches Signal für
mehr Umweltschutz, für mehr Klimaschutz und für ein
Gelingen des Umbaus unserer Energieversorgung.
({1})
Darüber sollten wir uns als Umweltpolitiker gemeinsam
freuen.
Ein Blick in den Haushalt des BMU zeigt, dass insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien als eine
der Hauptsäulen unserer Energiepolitik im Zentrum der
Arbeiten steht. Hier geht es um das Erreichen unserer
ambitionierten quantitativen Mindestausbauziele. Ich
will das deutlich sagen: Hier machen wir keine Abstriche. Aber eines wissen wir doch auch alle: Der aktuelle,
auf der Zeitschiene und auch regional unkontrollierte
Ausbau führt zu Kostenproblemen und zu Problemen bei
der Netzintegration des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Wir brauchen eine Verstetigung des Zubaus, und wir
brauchen eine Synchronisation mit dem Netzausbau. Es
ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll und den Bürgern
nicht mehr zu vermitteln, dass Strom bezahlt wird, der
nicht transportiert und damit auch nicht verbraucht werden kann. Das muss in einer Haushaltsdebatte auch einmal gesagt werden.
({2})
Ja, das EEG hat sich als Instrument bei der Markteinführung der Erneuerbaren bewährt. Aber so, wie das
EEG konstruiert ist, kann es die neuen Herausforderungen nicht bewältigen. Genau deshalb brauchen wir eine
grundlegende Reform. Wie diese Reform aussieht, das
müssen wir gemeinsam diskutieren.
({3})
Ich kenne bislang eine Vielzahl von Vorschlägen: das
Quotenmodell, den Energiesoli, den Vorschlag der grundsätzlichen Beibehaltung des EEG oder die Entlassung
der Erneuerbaren in den Markt. Gleichzeitig gibt es Gegenargumentationen zu jeder dieser Ideen. Wem der
Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich am Herzen
liegt, der muss sich Zeit nehmen, alle diese Vorschläge
sehr gründlich zu analysieren und zu diskutieren.
({4})
Nichts wäre für die Energiewende schlimmer, als wenn
wir jetzt mit einem Schnellschuss Fehler machten.
({5})
Das Erreichen unserer Ausbauziele steht auf dem Spiel.
Es geht um die Akzeptanz der Förderung der erneuerbaren Energien bei den Bürgern. Es geht um Sicherheit für
Investoren, und es geht um die sichere Versorgung des
Wirtschaftsstandorts mit bezahlbarer Energie.
Angesichts dieser Herausforderungen ist es richtig,
mit den Arbeiten sofort zu beginnen. Es ist aber auch
richtig, die konkreten Schlussfolgerungen erst auf der
Grundlage sicherer Erkenntnisse und nach einer gesellschaftlichen Diskussion umzusetzen.
({6})
Genau das hat Peter Altmaier mit seinem Verfahren zur
Neuregelung des EEG vorgeschlagen.
({7})
Dafür hat er unsere Unterstützung und unsere Zusage als
Fraktion, dass wir uns konstruktiv in die Diskussion einbringen werden.
Es gibt aber Handlungserfordernisse beim Ausbau der
erneuerbaren Energien jenseits der Weiterentwicklung
des EEG. Dazu gehören zum Beispiel die Entwicklung
und breitere Markteinführung von modernen Speichertechnologien insbesondere für PV-Anlagen. Es ist richtig, dafür umgehend Anreize zu schaffen. Wir unterstützen den derzeit in der Abstimmung befindlichen
Vorschlag des Bundesumweltministers für ein Marktanreizprogramm mit einem Umfang von 50 Millionen
Euro für dezentrale Stromspeicher. Wir brauchen diese
Speicher, um den Strom besser zu verwerten und gleichzeitig die Netze zu entlasten. Zusätzliche Mittel werden
auch bei der Forschung im Bereich der erneuerbaren
Energien bereitgestellt. Dort stehen im nächsten Jahr
158 Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen noch
57 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds.
Damit bleiben die erneuerbaren Energien ein zentraler
Bereich der Förderung von Zukunftstechnologien.
Eine kosteneffiziente Förderung der Erneuerbaren,
die Koordination des Ausbaus zwischen Bund und Ländern und Innovationen sind die Voraussetzungen für das
Erreichen unserer Ziele. Genau da setzen wir die politischen Prioritäten, und genau das zeigt auch der Haushalt
2013.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben im Bereich der
Endlagerung radioaktiver Abfälle zwei zentrale Gesetzesvorhaben, die jetzt zügig umgesetzt werden müssen.
Minister Altmaier hat schon den Sachstand erläutert. Es
gibt aus meiner Sicht keine unüberbrückbaren Probleme
in der Sache.
Einen wichtigen Punkt möchte ich zum Schluss noch
ansprechen, der mir besonders wichtig ist, nämlich die
steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung.
({9})
- Ich bitte darum.
({10})
Ich hatte dieses Thema bereits vor einem Jahr genau an
dieser Stelle angesprochen. Ich hatte Sie, meine Damen
und Herren von SPD, Herr Kelber, und Bündnis 90/Die
Grünen, gebeten, mitzuhelfen, die Blockade Ihrer Bundesländer im Bundesrat aufzulösen. Aber es ist nichts
passiert.
({11})
Ihre Länder haben dafür gesorgt, dass wir ein Jahr verloren haben.
Meine Damen und Herren, die Bürger warten; das
Handwerk und der Mittelstand warten. Morgen tagt erneut der Vermittlungsausschuss zu diesem Thema. Dann
haben die von Ihnen geführten Landesregierungen die
Chance, Ihren Worten für den Klimaschutz und die Energieeffizienz Taten folgen zu lassen.
({12})
Wenn Ihnen Energieeffizienz wirklich am Herzen liegt,
dann greifen Sie zum Telefon und leisten Sie bei Ihren
rot-grün regierten Ländern Überzeugungsarbeit.
({13})
Es wäre übrigens auch für die Kollegen, die zur Klimakonferenz nach Doha fahren, gut, Herr Ott, einen weiteren, sehr konkreten Baustein für unsere anspruchsvolle
Klimapolitik im Gepäck zu haben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Ulrich Kelber hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ungewöhnlich freimütig hat Bundesumweltminister Altmaier zu Beginn seiner Rede vor wenigen
Minuten zugegeben, dass Schwarz-Gelb sich dreieinhalb
Jahre lang nicht für die Energiepolitik interessiert hat.
({0})
Jetzt, mit dem Bundeshaushalt 2013, werden auf einmal
wenige Monate vor der Wahl für diesen Politikbereich
Dutzende neue Stellen beim Umweltministerium und
beim Wirtschaftsministerium geschaffen. Ich habe allerdings keine Hoffnung, dass dies dazu führen wird, dass
der Dauerstreit zwischen den Ministern und den Ministerien aufhört.
Wir haben einen Wirtschaftsminister, der sein Haus
Entwürfe zum Erneuerbare-Energien-Gesetz schreiben
lässt, für das eigentlich der Umweltminister zuständig
ist,
({1})
statt sich um Energieeffizienz, Netzmodernisierung oder
Durchsetzung von Wettbewerb zu kümmern.
Wir haben einen Umweltminister, der versucht, das
als neu zu verkaufen, was sein Vorvorgänger Gabriel
eingeführt und sein Vorgänger Röttgen ausgebaut hat,
nämlich die kostenlose Energieberatung. Außerdem
hofft er noch, dass ihm in den Schoß fällt, dass die Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 sinkt.
Ich habe dem Umweltminister im Netz eine Wette angeboten, die er bisher nicht angenommen hat. Ich habe gesagt: Herr Altmaier, Sie haben so viel Unsinn in das Erneuerbare-Energien-Gesetz - ich rede von der Umlage aufgenommen, dass, wenn Sie keine weiteren Fehler in
Richtung Verteuerung machen, diese Umlage 2014 automatisch sinkt. - Er will sich nur mit fremden Federn
schmücken und vergessen machen, dass er als Minister
für die größte Strompreisanhebung in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland verantwortlich ist, die zum
1. Januar 2013 stattfindet.
({2})
Schwarz-Gelb schafft es nicht, das Chaos in der Energiepolitik abzustellen. Schwarz-Gelb ist nicht dazu bereit, die Investitionen in die Energieversorgung sparsam
und sozial ausgeglichen zu gestalten. Wer soll denn eigentlich nach drei Jahren hü und hott, hin und her, zick
und zack in der Energiepolitik noch investieren? Das
Wahlkampfmanöver der FDP, auf die erneuerbaren Energien einzudreschen in der Hoffnung, es müsse doch in
Deutschland 5 Prozent Gegner der erneuerbaren Energien geben,
({3})
hat jetzt schon dazu geführt, dass es schwierig ist, Kredite für langfristige Programme zu bekommen.
Bei der Bundesregierung ist in Sachen Energieeffizienz Hopfen und Malz verloren. Deutschland ist unter
den 27 EU-Mitgliedstaaten dasjenige Land, das in Brüssel am häufigsten versucht, die EU-Energieeffizienzpläne zu blockieren. Dabei geht Deutschland noch hinter
die eigenen, nationalen Ziele zurück. So sahen die Verhandlungen aus, die zunächst vom Wirtschaftsministerium geführt und vom Umweltministerium unterstützt
wurden.
Es gibt keine Energieeffizienzfonds, die Mittel für die
Gebäudesanierung sind zusammengestrichen worden
- ich werde Ihnen gleich etwas zu den Zahlen sagen -,
und dann kommt der Bankraub bei der Kreditanstalt für
Wiederaufbau dazu. Eine Zwangsdividende von 1 Milliarde Euro wird aus dieser Förderbank herausgezogen.
Wo soll die eigentlich eingespart werden: bei der Gebäudesanierung, bei dem Marktanreizprogramm, beim altersgerechten Umbau, bei den Existenzgründungen oder
bei den Investitionen in erneuerbare Energien? Haushaltszahlen schönen, indem man Gelder, die für Investitionen in die Zukunft gedacht sind, plündert - was für
eine Wahnsinnsidee von Schwarz-Gelb!
({4})
Wo ist denn nach drei Jahren Schwarz-Gelb das
Fundament für die Modernisierung von Verteil- und
Übertragungsnetzen? Etwa bei der Südwestkuppelleitung? 1 Gigawatt zusätzliche Kapazität von Windenergie
aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt soll nach Süddeutschland gebracht werden. Ende nächsten Monats ist
diese Leitung in Sachsen-Anhalt und Thüringen fertig.
In Bayern, lieber Josef Göppel, haben die Genehmigungsbehörden noch nicht einmal mit dem Genehmigungsverfahren begonnen, obwohl es zum gleichen Zeitpunkt wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt beantragt
wurde. Besteht darin die Energiepolitik dieser schwarzgelben Landesregierung?
({5})
Natürlich wären wir mit den Gleichstromleitungen
weiter, wenn nicht Katherina Reiche als Staatssekretärin
und der heutige Umweltminister Altmaier in der Großen
Koalition genau diesen Vorschlag von Sigmar Gabriel in
einem 50 Meter von hier entfernten Raum abgelehnt hätten. Wir brauchen keine Hochspannungs-GleichstromÜbertragungsleitungen - das war die Linie von CDU
und CSU. Heute, sechs Jahre später, hätten wir sie wahrscheinlich schon fertiggestellt und müssten nicht mehr
darüber reden.
({6})
Ich wundere mich auch über das Schweigen des Umweltministers zu so vielen Wortmeldungen. Der Energiekommissar Oettinger, früherer CDU-Ministerpräsident,
und Herr Reul, CDU-Europaabgeordneter, fordern, die
deutschen Energiegesetze durch eine Quotenregelung
für erneuerbare Energien in Europa abzulösen. Was sagt
der Umweltminister dazu? Was sagt er dazu, wenn Frau
Dött, umweltpolitische Sprecherin, Herr Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher, Herr Fuchs, stellvertretender
Fraktionsvorsitzender, und Herr Bareiß, energiepolitischer Sprecher, für einen Stopp der Energiewende in verschiedenen Veranstaltungen werben? Auch dazu
schweigt er.
Die soziale Energiewende ist Schwarz-Gelb egal.
Nach dem Rollgriff in die Sozialkassen - Sie haben auf
dem Koalitionsgipfel 10 Milliarden Euro aus der Renten-, der Arbeitslosen- und der Krankenversicherung in
den Bundeshaushalt umgelenkt - und nach der Verweigerung des Mindestlohns tun Sie nichts gegen steigende
Energiepreise. Ich nenne das Beispiel der Gebäudesanierung. Frau Dött und andere behaupten immer, die Bundesländer seien nicht bereit, ihren Vorschlag mitzutragen. Warum sind die Bundesländer denn nicht bereit
dazu? Weil Sie zwei Sachen gemacht haben: 2009 hat
Schwarz-Gelb 2,25 Milliarden Euro pro Jahr für Gebäudesanierung im Bundeshaushalt vorgefunden und dann
die Mittel auf 500 Millionen Euro im Jahr gekürzt. Bei
der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die die Kredit- und
Förderprogramme finanzieren soll, wird jetzt eine
Zwangsdividende von 1 Milliarde Euro eingeführt. Man
ändert extra ein Gesetz, um dieses Geld dort abziehen zu
können. - Sie nehmen also über 3 Milliarden Euro heraus und sagen: Bundesländer, gleicht aus, was wir als
schwarz-gelbe Bundesregierung zusammenstreichen. Das ist einfach unverschämt.
({7})
Zum Strompreis. Bei der Umlage gibt es Befreiungen
wie aus dem Tollhaus, für die die Privathaushalte und
Gewerbebetriebe zahlen müssen. Werden diese Befreiungen denn jetzt überprüft, Frau Reiche, oder nicht? Im
Morgenmagazin sagte Herr Altmaier: Ja. In der offiziellen Antwort an den Deutschen Bundestag steht, das
Umweltministerium habe eine Studie in Auftrag gegeben, die am 31. Juli 2014 fertig sein solle. Wird das nun
stattfinden, oder nicht?
Es bleibt die Frage, ob die Energiewende nach Meinung von Schwarz-Gelb überhaupt effizient, effektiv
und sozial ausgewogen gestaltet werden soll oder ob es
nicht vielmehr so ist, wie der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU, Joachim Pfeiffer - jetzt leider nicht
anwesend - am 23. August 2012 im Handelsblatt erklärte: Die Bürger wollten die Energiewende; jetzt sollen
sie sie bezahlen. - Das ist nämlich die Haltung, die bei
Schwarz-Gelb aus allen Poren spricht.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Michael Kauch das Wort.
Lieber Kollege Kelber, Ihre Behauptungen werden
nicht besser, wenn Sie sie bei jeder Debatte wiederholen.
({0})
Sie haben heute erneut gesagt, wir hätten die heroischen
Haushaltszahlen der SPD zur Gebäudesanierung zusammengestrichen. Ich halte fest: Der SPD-Minister, der damals für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuständig
war, hat ein Programm zur Konjunkturstabilisierung von
3 mal 1,5 Milliarden Euro bewilligt bekommen. Es war
ein befristetes Programm. Diese Koalition hingegen hat
ein dauerhaftes Programm zur Gebäudesanierung aufgelegt. - Das ist der erste Punkt, lieber Herr Kelber.
Der zweite Punkt ist folgender: Die 2,2 Milliarden
Euro, von denen Sie sprechen, haben Sie sich im Wahljahr zusammengeklaubt, indem Sie Geld aus den Folgejahren in das Wahlkampfjahr gezogen haben, damit Ihr
SPD-Bauminister durchs Land ziehen und zeigen
konnte, was er Tolles für die Gebäudesanierung macht.
Deshalb waren die Töpfe leer, als wir die Regierung
übernommen haben. Das ist die Wahrheit - und nicht
das, was Sie hier immer behaupten.
({1})
Wenn Sie wieder mit den energieintensiven Unternehmen anfangen,
({2})
dann bitte ich Sie, sich einmal anzuschauen, wer alles
von der Umlage befreit ist. Es ist nämlich kein Golfplatz
in Deutschland befreit.
({3})
Auch der Deutsche Wetterdienst, von dem Sie Grüne immer reden, ist nicht befreit. Vielmehr sind es zum einen
mittelständische Unternehmen, Unternehmen des industriellen Mittelstandes,
({4})
und zum anderen zum Beispiel die Deutsche Bahn und
die U-Bahnen in den großen Ballungszentren. Jetzt frage
ich die SPD: Halten Sie es für umweltpolitisch vertretbar, die Fahrpreise in München, in Berlin und im RheinRuhr-Gebiet zu erhöhen, weil Sie die Stromvergünstigungen für die U-Bahnen streichen wollen?
({5})
Sind Sie bereit, die Fahrpreiserhöhungen für die Deutsche Bahn zu übernehmen? Das ist die Frage, der Sie
sich stellen müssen, anstatt den Leuten in Bezug darauf,
wer hier alles von Ausnahmen profitiert, immer Sand in
die Augen zu streuen.
Vielen Dank.
({6})
Herr Kollege Kelber hat das Wort zur Antwort.
Herr Kollege Kauch, ich muss mich manchmal fragen, ob Sie die Dinge wirklich nicht nachgelesen haben
oder ob Sie sie absichtlich verdrehen. Wenn Sie nachlesen würden, könnten Sie feststellen, dass die SPD den
Vorschlag gemacht hat, die Ausnahmen wieder auf den
Stand des Jahres 2009 zurückzuführen. Da im Jahr 2009
die Deutsche Bahn und die U-Bahnen aufgrund einer
Initiative der SPD befreit waren, ist das, was Sie gerade
gesagt haben, also völliger Unsinn.
({0})
Meine Bitte: Man sollte sich informieren, bevor man redet - und nicht umgekehrt.
({1})
Zum Zweiten: Haben Sie eigentlich gemerkt - diejenigen, die Ihnen applaudiert haben, wahrscheinlich
nicht -, dass Sie sich im ersten Teil selbst widersprochen
haben? Sie haben nämlich zwei Dinge gleichzeitig behauptet. Zuerst haben Sie gesagt, die SPD - wir waren
übrigens in einer gemeinsamen Regierung mit CDU und
CSU und konnten gar nichts alleine beschließen - habe
ein befristetes Programm zur Gebäudesanierung nur für
ihre Wahlperiode aufgelegt,
({2})
um danach zu behaupten, der Minister habe die Gelder
aus den Folgejahren dafür verwendet, sodass Sie gar
nichts vorgefunden hätten. Das ist ja schon ein Widerspruch in sich.
In den Weltwirtschaftskrisenjahren ab 2008 hat die
damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD zu Recht
beschlossen: Kein Antrag auf Gebäudesanierung bleibt
ohne Zuschlag. - Das war natürlich alles andere, als, wie
es danach geschehen ist, die Mittel auf 500 Millionen
Euro oder auf null zu reduzieren - Sie haben zwischenzeitlich ja unter 500 Millionen Euro bereitgestellt -;
vielmehr war es eine Aussage mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung in dieser Regierungszeit.
Es bleibt bei den Zahlen: In allen Jahren der damaligen Regierungskoalition sind über 1,5 Milliarden Euro
für dieses Programm ausgegeben worden. Sie streichen
die Mittel auf 500 Millionen Euro. Die ergänzenden Mittel, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau bisher aus eigener Kasse aufbringen konnte, werden Sie durch Ihre
Zwangsdividende von über 1 Milliarde Euro auch noch
abziehen, frei nach dem Motto: Was ist schon ein Bankraub gegen eine Zwangsdividende?
({3})
Der Kollege Josef Göppel hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angesichts des lebhaften Debattenverlaufs will ich kurz
den Blick auf die Mitte des Aufgabenfeldes dieses
Ministeriums richten - an der Wand seitlich hinter mir
erscheint der entsprechende Begriff elektronisch -: Naturschutz. Die Titelgruppe „Naturschutz“ umfasst gerade
einmal so viel wie die Steigerung der Mittel von 2012
auf 2013, nämlich 49 Millionen Euro. Man braucht nicht
viel Geld für den Naturschutz. Die Mitgeschöpfe des
Menschen, die wildlebenden Pflanzen und Tiere, brauchen nur etwas Zurückhaltung des Menschen. Die Tiere
brauchen nur etwas Platz, wo sie Nahrung finden und
ihre Jungen aufziehen können.
Es gibt das Programm „Biologische Vielfalt“, dessen
Finanzierung noch Norbert Röttgen beim Bundesfinanzminister durchsetzen konnte. Ich möchte an dieser Stelle
der Naturschutzabteilung des Umweltministeriums und
auch dem Bundesamt für Naturschutz für die engagierte
Umsetzung dieses Programms danken.
Aber die Musik spielt in der Agrarförderung. Ich
spreche den Europäischen Rat an, der am Donnerstag
dieser Woche stattfinden wird. Dort fallen die Grundsatzentscheidungen über die Agrarförderung, auch im
Hinblick auf die Einrichtung ökologischer Vorrangflächen.
({0})
Der Nutzungsdruck ist in den vergangenen zehn Jahren
gewachsen. Wir haben bei Allerweltsarten wie dem Kiebitz oder der Feldlerche Populationseinbrüche bis auf die
Hälfte. Wenn es nicht gelingt, ein bisschen Fläche für die
Artenvielfalt zu reservieren, dann werden wir dieses Ziel
nicht erreichen können.
({1})
- Warten Sie, was ich noch zu sagen habe, bevor Sie
Beifall spenden. - Dabei ist es wichtig, zu sehen: Wir
brauchen für dieses Ziel keine Stilllegung. Es ist durchaus möglich, Klee oder Luzerne auf den ökologischen
Flächen zuzulassen. Entscheidend ist nur, dass das sogenannte Greening im Rahmen der Agrarförderung verpflichtend durchgeführt wird, weil wir sonst in den
Gunstlagen keine ökologischen Flächen bekommen, obwohl wir sie dort am dringendsten brauchen, während
wir in den Mittelgebirgen umso mehr ökologische Flächen erhalten, obwohl wir dort schon genug haben.
({2})
Insofern ist es wichtig, eine nutzungsorientierte Bewirtschaftung der ökologischen Flächen zuzulassen. Gleichzeitig bitte ich das Umweltministerium in der Ressortabstimmung für den Europäischen Rat in dieser Woche auf
jeden Fall auf dem verbindlichen Greening zu beharren.
({3})
Es gibt noch ein weiteres Thema, das mit Europa zu
tun hat: das EEG und die Frage, wie es in Europa damit
weitergeht. Ich sage hier für die CSU: Wenn der Berichterstatter im Europäischen Parlament Reul oder gar der
EU-Kommissar Oettinger das EEG durch bestimmte
Maßnahmen zugunsten gesamteuropäischer Planungen
wirkungslos machen will, dann machen wir da nicht mit.
({4})
Man darf die Instrumente, die funktionieren, nicht aufgeben in einer Zeit, in der sich Siemens und Bosch von
Desertec zurückziehen und der Emissionshandel seine
Steuerfunktion für den CO2-Ausstoß eingebüßt hat.
Wir hatten gestern das erste Bundestreffen der Deutschen Energiegenossenschaften in Berlin. Peter Altmaier
hat als Hauptredner eine beeindruckende Rede gehalten.
Er hat gespürt, wie viel Aktivität und Herzblut die
500 Teilnehmer, die versammelt waren, in die Energiewende hineinlegen, dass man darauf getrost aufbauen
kann. Natürlich muss das EEG reformiert werden. Das
sogenannte Marktdesign beim Strom muss reformiert
werden, zum Beispiel in Richtung lastnäherer Erzeugung;
({5})
denn das Marktdesign ist immer noch auf wenige große
Erzeuger ausgerichtet und nicht auf die Masse der Kleinerzeuger. Die Kleinerzeuger denken aber heute schon
darüber nach, wie sie am Ende der EEG-Zeit ihre Angebote so mischen, dass sie zu einer verlässlichen Stromversorgung kommen und auf diese Art und Weise marktfähig werden. Das hat sich gestern ganz deutlich gezeigt.
Man konnte sehen, wie die Teilnehmer aus allen Teilen
Deutschlands die Energiewende praktisch vollziehen.
Sie läuft in der Praxis oft besser, als es in den Medien
dargestellt wird.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen acht Änderungsanträge vor, über die wir
zuerst abstimmen. Wir beginnen mit den drei Änderungsanträgen der Fraktion der SPD.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11524? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11525? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11526? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen
bei Enthaltung der Linken.
Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen der
Fraktion Die Linke.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11506? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD bei Zustimmung der
Linken und Enthaltung der Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11507? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11508? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Linken und
der Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11509? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/11510? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei
Enthaltung von SPD und Grünen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 16 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 17/10814, 17/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Karl
Otto Fricke
Katja Dörner
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
für die Aussprache eine und eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner das Wort dem Kollegen Professor Dr. Karl
Lauterbach von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will einsteigen, indem ich versuche, eine Art
Bilanz darüber zu ziehen, was die Regierung vorzuzeigen hat.
({0})
- Hier wird eingeworfen, dann könne meine Rede kurz
sein. Ich glaube aber, dass hier auch kritische Punkte gewürdigt werden müssen. Wenn nur das Positive Erwähnung fände, wäre ich wahrscheinlich schon kurz vor dem
Abspann.
Wir haben zunächst einmal festzuhalten: Es hat eine
deutliche, geradezu historische Beitragssatzerhöhung
gegeben. Diese hat zu Überschüssen bei den Krankenkassen geführt, und diese Überschüsse werden jetzt als
besonders gutes Wirtschaften verkauft, als ob die Reformgesetze dies bewirkt hätten. Im Prinzip war es aber
nichts anderes als eine plumpe Beitragssatzerhöhung.
Diese ist einhergegangen mit der Einführung von Kopfpauschalen für den Bürger. Die Kopfpauschale ist also
beschlossen worden. Man hatte aber so große Angst vor
der Umsetzung der Kopfpauschale, dass man gleichzeitig den Beitragssatz derart stark erhöht hat, um die Einführung der Kopfpauschale möglichst zu verhindern.
({1})
Die Mittel der Versicherten werden großzügig ausgegeben. In der Summe haben wir jetzt folgendes System:
Es gibt einen Einheitsbeitragssatz, der zu hoch ist, und
keinen Wettbewerb. Das wäre ungefähr das Ergebnis einer Reform, das ich erwartet hätte, wenn das Ressort
- bei allem Respekt - von den Kollegen der Linkspartei
geführt worden wäre. Das ist aber nicht das, was ich von
einer wettbewerbsorientierten FDP oder von der Union
erwartet hätte.
({2})
Wenn die Kopfpauschale schließlich kommt, werden
die Rentner natürlich zuerst belastet sein. Unmittelbar
nach Einführung der Kopfpauschale wird die von Frau
von der Leyen derzeit angepriesene Anerkennung der
Lebensleistung geringverdienender Frauen in Höhe von
etwa 10 Euro bei der Rente aufgefressen sein.
({3})
Die Strukturreformen will ich hier im Einzelnen würdigen. Zunächst einmal ist im Bereich der fachärztlichen
Versorgung der niedergelassene Spezialfacharzt eingeführt worden. Das hat dazu geführt, dass den Versorgungsfachärzten, das heißt den Fachärzten, die die Versorgung insbesondere in den Großstädten sicherstellen,
die lukrativen Fälle entzogen werden.
({4})
Diese Reform hat im Prinzip zu einer Verschlechterung
der fachärztlichen Versorgung geführt.
Zum Bereich der Hausarztversorgung genügt es, zu
sagen, dass der Hausärzteverband sehnsüchtig darauf
wartet, dass die Zeiten dieser schwarz-gelben Regierung
zu Ende sind. Die Hausarztverträge wurden abgeschafft.
Die bestehenden Hausarztverträge sind gefährdet. Der
Hausarztberuf ist unattraktiver geworden. Mittlerweile
wird nur noch jede 15. Facharztanerkennung für Hausärzte ausgesprochen. Die Hausärzte überaltern; es gibt
zu wenige Hausärzte. Das Problem ist in dieser Legislaturperiode noch einmal deutlich verschärft worden.
Wir haben außer Lamentieren des Ministeriums über
diesen Zustand nichts gehört. Wir alle erinnern uns an
die peinlichen Vorschläge des damaligen Ministers für
Gesundheit und heutigen - man glaubt es kaum - Vizekanzlers Rösler, dass man die Abiturnote für zukünftige
Hausärzte großzügiger bemessen sollte, als ob der Hausarzt in Zukunft ein schlechteres Abitur brauchte.
({5})
Sonst ist da nichts gekommen. Die Hausarztversorgung
im Land verschlechtert sich stündlich, und es passiert
nichts.
Sie haben im Bereich der Vorbeugung nichts vorzuweisen; die Kollegin Bas wird das nachher noch ausführen. Nur so viel: Der Bereich der Vorbeugung ist einer
der wenigen Bereiche, in denen überhaupt gespart
wurde. Ausgerechnet bei der Vorbeugung wird im Haushalt Geld gespart. Das ist so ähnlich, als ob der Landwirt
die Saat verfüttert. Es gibt kein Präventionsgesetz.
Wir haben im Bereich der Krankenhausversorgung
kein Gesetz, keine Initiative zur Beseitigung des Pflegenotstands. Gegen den Pflegenotstand - immer wieder
eloquent von der Bundesregierung angesprochen - wird
nichts gemacht, als ob Sie nicht regieren würden.
({6})
Sie haben die Spezialisierung der Krankenhäuser ein
Stück weit zum Erliegen gebracht, weil Sie die Mehrerlöse heute schlechter ausgleichen. Im Bereich der
Hilfs- und Heilmittel gibt es keinerlei kostensenkende
Maßnahmen. Lediglich ist eine Regelung eingeführt
worden, nach der sich Hilfsmittelhersteller genauso wie
die Pharmaindustrie an der integrierten Versorgung beDr. Karl Lauterbach
teiligen können, und zwar direkt. Das war eine Einladung zu einer halblegalen Form der Korruption.
({7})
Dieses Gesetz beschäftigt die Staatsanwälte heute mehr
als die Bürger. Wir haben im Bereich der Hilfs- und
Heilmittel eine große Kostendynamik. Die integrierte
Versorgung ist nicht vorangekommen.
Es gibt auch keine echte Vernetzung der Sektoren.
Das ist eines der wichtigsten Themen unseres Gesundheitssystems: Wie sollen Hausarztversorgung, Facharztversorgung und Krankenhausversorgung vernetzt werden? Auf dieser Baustelle ist nichts passiert. Sie haben
nicht eine einzige Initiative auf den Weg gebracht, obwohl dort große Effizienz- und Qualitätsreserven in unserem Gesundheitssystem liegen.
Es gab keine brauchbare Pflegereform, nur eine platte
Beitragssatzerhöhung. Der Pflegebegriff ist nicht verändert worden. Wir haben ein misslungenes Geschenk an
die PKV gesehen: Der Pflege-Bahr ist eingeführt worden. Er wird aber von so gut wie keiner privaten Krankenversicherung angeboten, weil er so bürokratisch ist,
dass selbst die Assekuranz nicht in der Lage ist, dieses
Wahlgeschenk der FDP anzunehmen; man ist ratlos, wie
man das Geschenk auspacken soll.
In der Summe lautet die Bilanz, wenn man ehrlich ist:
Das meiste hat entweder geschadet oder nichts gebracht.
Das ist eine magere Bilanz. Das System - das kann man
festhalten - ist teurer geworden. Der Wettbewerb ist zum
Erliegen gekommen.
({8})
Das hören Sie ungern; aber im Prinzip waren es verlorene Jahre. Es hat ja auch schlecht angefangen: Sie haben sich gegenseitig als „Wildsau“ oder als „Gurkentruppe“ beschimpft. Da konnte man schon erahnen, dass
nicht viel passieren wird. Man ist bei der Fortentwicklung des Gesundheitssystems nicht weitergekommen.
Die Bürger sind aber nicht so dumm, wie FDP und
Union vielleicht glauben. Die Bürger sind zu 70 Prozent
mit Ihrer Arbeit unzufrieden. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis auch die Bundeskanzlerin in den Sog der Unzufriedenheit gezogen wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christine
Aschenberg-Dugnus von der FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Lauterbach, es war schon putzig, was Sie hier vorgetragen haben. Man denkt immer,
Sie leben in einer anderen Welt, irgendwo in einem
Lauterbach-Paralleluniversum. Sonst hätten Sie nicht so
eine Bilanz vorgetragen.
Ich möchte nur kurz auf Punkte eingehen, die Sie
nicht vorgetragen haben. Wir haben das AMNOG verabschiedet. Damit haben wir die Pharmakosten reduziert.
Wir haben das GKV-Versorgungsstrukturgesetz eingebracht. Damit ist die Versorgungssicherheit im ländlichen Raum sichergestellt.
({0})
- Da können Sie schreien, wie Sie wollen. - Wir haben
das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz verabschiedet. Mit
diesem Gesetz haben wir erstmals Leistungen für Demenzerkrankte festgeschrieben. Bei Ihnen gab es einen
Betreuungsbetrag von 100 bzw. 200 Euro für niedrigschwellige Leistungen und Angebote. Wir sehen in den
Pflegestufen 0 bis II ganz konkrete Leistungen vor. Das
können Sie nicht wegdiskutieren.
({1})
Wir fördern alternativen Wohnformen, und wir tun etwas für pflegende Angehörige. Wir haben das Patientenrechtegesetz verabschiedet. Wir tun konkret etwas für
die Patientensicherheit, für die Ärzte und für die Patienten. Sie haben lediglich eine Broschüre aufgelegt. Mehr
können Sie in Ihrer Bilanz - Sie haben zehn Jahre lang
Zeit gehabt - nicht aufweisen. Wir haben eine Nationale
Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik vorgelegt. Das ist
Frau Bätzing während ihrer Amtszeit nicht gelungen.
Wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen. Ich habe nur
einige Punkte angesprochen. Was Sie getan haben, war
mehr als mager. Über den Haushalt haben Sie kein einziges Wort verloren. Das kann nur bedeuten, dass Sie ihn,
so wie er ist, in Ordnung finden. Der Haushalt ist auch in
Ordnung, so wie er ist.
({2})
Der Haushalt, den wir verabschieden werden, ist der
Nachweis dafür, dass wir als christlich-liberale Koalition
die richtigen Schwerpunkte setzen. Einer der beiden
Aufgabenschwerpunkte ist die Gesundheitsförderung
durch gesundheitliche Aufklärung. Hier ist jeder Euro
gut und richtig eingesetzt.
({3})
Die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung sollte
für uns alle ein zentrales Anliegen sein. Wir gehen von
einem Menschenbild des mündigen, aufgeklärten und eigenverantwortlichen Bürgers aus. Statt den Menschen
mit Verboten zu kommen, wie wir sie häufig von Ihrer
Seite hören, oder ihnen Einschränkungen aufzuerlegen,
die zu einem vermeintlich besseren Leben führen sollen,
setzen wir auf die Kraft der freien Entscheidung. Wir
wollen, dass die Menschen einen möglichst hohen Wis25202
sensstand in Bezug auf Gesundheit, Gesunderhaltung
und Krankheitsvermeidung haben. Nur so können wir
gewährleisten, dass das eigene Gesundheitsverhalten
positiv beeinflusst wird.
Die Prävention ist eines der Leitbilder unserer Aktivitäten. Wir erleichtern und unterstützen gesundheitsförderndes Verhalten. Wir fördern gezielt - um nur einen
Punkt zu nennen - die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, die einen besonderen Ansatz wert ist. Diese
Zielgruppe ist besonders relevant bei der Bekämpfung
des Suchtmittelmissbrauchs, aber auch bei der Förderung gesunder Ernährung. Durch zielgruppenspezifische BZgA-Projekte konnte erreicht werden, dass die
Zahl der jugendlichen Raucher so niedrig ist wie noch
nie. Sie sehen: Es wirkt! Gerade im Hinblick auf Suchtmittel ist es von zentraler Bedeutung, dass Kinder und
Jugendliche in ihrer eigenen Welt angesprochen werden;
das ist das Entscheidende. Es geht dabei gerade nicht um
Verbote. Wer Kinder hat, der weiß: Der erhobene Zeigefinger bringt gar nichts. Wir wollen: Vorleben, Aufklären
und Stärkung der Verantwortlichkeit.
({4})
Besonders erfreulich ist die Aufstockung der BZgAMittel zur Finanzierung der Organspendekampagne und
des Druckes von Spenderausweisen. Uns allen ist klar,
dass immer noch viel zu viele Menschen auf ein Spenderorgan warten und versterben, weil das Organ nicht
rechtzeitig zur Verfügung steht. Ziel muss es also sein,
die Organspendebereitschaft zu steigern. Wie wir das
schaffen können, haben wir bereits gesetzlich verankert.
Mit der Finanzierung der Organspendekampagne erfüllen wir nicht nur unsere eigene Forderung, sondern auch
eine Forderung des gesamten Hauses.
Der zweite finanzielle Aufgabenschwerpunkt im
Haushalt ist die Forschung. Im Rahmen der Ressortforschung werden Aufträge zur Vorbereitung und Begleitung von Gesetzgebungsvorhaben des BMG vergeben.
Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Wir fördern die
Forschung zum Nationalen Krebsplan, die Bekämpfung
von Antibiotikaresistenzen und - das ist mir persönlich
ganz besonders wichtig - die Verbesserung der Versorgung von Demenzkranken sowie die Optimierung der
Patientensicherheit. Ebenfalls aus dem Forschungstitel
werden neue Projekte zur Verbesserung der Kindergesundheit gefördert. Daneben sind für Aufgaben im Pflegebereich aus dem Programm zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger Mittel veranschlagt. Auch
Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen werden gefördert.
({5})
Die christlich-liberale Koalition kann und wird mit
diesem Haushalt den Nachweis führen, dass sie sparsam
haushaltet und trotzdem gestaltende, gute Politik macht.
({6})
Man muss es nur wollen und die richtigen Schwerpunkte
setzen. Genau das tun wir mit diesem Haushalt.
Vielen Dank.
({7})
Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Michael
Leutert.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Knapp 12 Milliarden Euro Ausgaben stehen im Haushalt
des Bundesministeriums für Gesundheit. Allerdings sind
11,5 Milliarden Euro davon Zuweisungen an den Gesundheitsfonds. Da wir heute über den letzten Haushalt
sprechen, den die Koalition hier - das trifft insbesondere
auf die FDP zu - vorlegt, lohnt sich einmal - der Kollege
Lauterbach hat sich auch daran versucht - ein Blick auf
die letzten vier Jahre. Dabei muss man feststellen: Es
gibt insgesamt vier Ministerien, die in den letzten vier
Jahren einsparen mussten. Alle anderen Ministerien haben ohne Ausnahme steigende Ansätze zu verzeichnen.
Von den vier Ministerien mussten zwei wirklich relevant
- das heißt, im Milliardenbereich - einsparen. Dabei
handelt es sich zum einen um das Ministerium für Arbeit
und Soziales, bei dem über 24 Milliarden Euro abgeschmolzen wurden, und zum anderen um das Gesundheitsministerium, bei dem über 4 Milliarden Euro abgeschmolzen wurden. Das ist eine vorzeigbare Bilanz von
Schwarz-Gelb - Respekt! -: 28 Milliarden Euro ausschließlich in den Bereichen Arbeit, Soziales und Gesundheit - und zwar nur dort - gespart.
Der Gesundheitsbereich ist ein Bereich, auf den alle
Bevölkerungsschichten angewiesen sind. Aus diesem
Grund sind viele auch bereit, dafür viel Geld zu zahlen.
Deshalb ist es von außerordentlicher Bedeutung, dass
die Bürgerinnen und Bürger großes Vertrauen in das Gesundheitssystem haben. Finanziert wird alles aus drei
Säulen: den Krankenkassenbeiträgen, den steuerlichen
Zuschüssen und den Zuzahlungen der Patientinnen und
Patienten.
({0})
Bei Säule drei, den Zuzahlungen der Patientinnen und
Patienten, hat sich erfreulicherweise etwas getan. Die
nicht gerade populäre Praxisgebühr ist nun endlich abgeschafft worden. Das hätte man im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon viel früher haben können.
Meine Fraktion hat jährlich Anträge dazu gestellt. Allerdings freuen wir uns, dass das Plenum unseren Vorschlägen nun einstimmig gefolgt ist.
({1})
Auch bei der zweiten Finanzierungssäule, den Bundeszuschüssen aus Steuergeldern, tut sich etwas. Angesichts der Rücklagen des Gesundheitsfonds und der
Krankenkassen reduziert der Bund seine Zuzahlungen
für das nächste Jahr um 2,5 Milliarden Euro. Das bedeutet also weitere Kürzungen. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, hat natürlich nichts mit mehr
Netto vom Brutto zu tun. Die Patientinnen und Patienten
haben davon erst einmal überhaupt nichts. Besser wäre
es gewesen, unseren Vorschlägen zu folgen und weitere
Entlastungen einzuführen bzw. weitere Zuzahlungen zu
streichen.
({2})
Bei der dritten Säule, den Beitragssätzen, tut sich derzeit nichts. Die Bürgerinnen und Bürger müssen also
weiterhin dreimal für das Gesundheitswesen zahlen und
darauf vertrauen, dass mit ihren Geldern sorgsam umgegangen wird. Bei der Frage des ordnungsgemäßen Umgangs mit den Geldern hilft uns der Bundesrechnungshof
mit seinen regelmäßigen Prüfungen. Leider sind die Prüfungsergebnisse aber nicht immer erfreulich. So hat der
Bundesrechnungshof schon im letzten Jahr unter der
Überschrift „Millionenverluste bei Krankenkassen durch
hohe Mieten und nicht benötigte Büroflächen“ darüber
berichtet, dass Krankenkassen unwirtschaftliche Mietverträge abgeschlossen haben. Da wurden ganze Bürogebäude - mehr Fläche, als man benötigte -, die zum
Teil noch nicht einmal errichtet gewesen sind, zu einem
überhöhten Mietzins ohne Ausstiegsoption, also ohne
Kündigungsklausel, angemietet.
({3})
- Wir kommen gleich noch dazu, Herr Kollege. - Die
Untervermietung führte zu niedrigeren Einnahmen und
zu Verlusten bei den Krankenkassen. Das trägt nicht unbedingt dazu bei, das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in unser Gesundheitssystem zu stärken.
({4})
Nun habe ich dieses Thema letztes Jahr schon einmal
angesprochen und während der diesjährigen Haushaltsverhandlungen auch den aktuellen Stand abgefragt. Der
Bundesrechnungshof hat eindeutig vorgeschlagen, dass
die Mietverträge vor Abschluss den Aufsichtsbehörden
vorzulegen sind und dass dafür auch die gesetzlichen
Grundlagen geschaffen werden müssen. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat sich dieser Forderung angenommen und eindeutige Beschlüsse dazu gefasst - allerdings
nicht so die Bundesregierung und das FDP-geführte
Ministerium. Im Berichterstattergespräch wurde mir
nämlich auf Nachfrage gesagt, es sei zu viel Aufwand,
von allen 146 Krankenkassen die Mietverträge zu genehmigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich darauf hinweisen darf: Jedes Quartal werden bei allen
4,5 Millionen ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern der Bedarf und auch die Mietverträge kontrolliert.
Angesichts dessen kann es doch nicht zu viel verlangt
sein, lediglich bei neu abgeschlossenen Mietverträgen
bei 146 Krankenkassen eine Kontrolle vorzunehmen.
({5})
- Es interessiert Haushälter, wenn mit Steuergeldern unverantwortlich umgegangen wird.
({6})
Ich bin auch der Meinung, dass die Verantwortlichen
in den Krankenkassen zur Rechenschaft gezogen werden
müssen, weil sie dem Ansehen der Krankenkassen Schaden zugefügt haben.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Gesundheitssystem und damit die Bereitschaft, für das Gesundheitssystem zu zahlen, sind nur dann stabil, wenn
alle wissen, dass mit den Geldern fair und gerecht umgegangen wird. Das heißt, dass die Krankenkassen sorgsam mit den Geldern umgehen müssen und der Bund die
Patientinnen und Patienten entlasten muss, wenn ausreichende Rücklagen vorhanden sind. Beides ist bisher
nicht gewährleistet. Unter anderem diese Versäumnisse
führen dazu, dass wir diesem Haushaltsentwurf nicht zustimmen können.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Alois Karl von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kurze Replik
auf die erste Rede in dieser Debatte: Lieber Herr
Lauterbach, die Debatte über den Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums hätte ein besseres Entree verdient als Ihre Rede.
({0})
Ich muss sagen: Das war ein schwacher Beginn. Ich
kann es mir fast nicht verkneifen, zu sagen: Ihre Rede
war dazu angetan, die Leute hier krank zu machen.
({1})
Vieles von dem, was Sie gesagt haben, ging an der Sache
vorbei. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, nur so
viel: Das war fast schon eine Zumutung. Sie haben zum
Haushalt nichts gesagt. Das bleibt wohl den Haushältern
überlassen.
Wir stehen in der Tat am Beginn einer bedeutsamen
Woche.
({2})
Wir setzen wichtige Meilensteine, um unser Ziel, am
Ende dieses Jahrzehnts einen schuldenfreien Haushalt zu
haben, zu erreichen. Der Einzelplan 15 wird einen ausgezeichneten Beitrag dazu leisten, dass der Bund nach
mehr als 40 Jahren erstmals wieder mit dem Geld auskommt, das er einnimmt.
({3})
Franz Josef Strauß hat Ende der 60er-Jahre das letzte
Mal einen schuldenfreien Haushalt vorgelegt. Ich bin
sehr zuversichtlich, dass wir, wenn wir weiter so diszipliniert arbeiten, wie das in den letzten Wochen der Fall
gewesen ist, mit dem Unfug aufhören, die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder dadurch zu gefährden, dass
wir wie in den letzten Jahrzehnten viel zu viel Geld ausgeben. Die Verschuldung der Haushalte in den 70er- und
80er-Jahren war in keiner Weise geboten. Auch vor 2008
war nichts, aber auch gar nichts zu erkennen, was erklärt, warum Deutschland sich in den Regierungsjahren
von Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis über
beide Ohren verschuldet hat. Bei den Bundesländern bildet Bayern die einzige Ausnahme. Auch die Kommunen
tragen in gewissem Maße Verantwortung dafür, dass die
Finanzen in Unordnung geraten sind.
Im Haushalt 2013 senken wir die Ausgaben um etwa
3 Prozent. Die Einnahmen steigen, und die Nettokreditaufnahme wird auf 17,1 Milliarden Euro gesenkt. „Das
ist immer noch zu viel“, sagen die Pessimisten. Wie Sie
wissen, könnten wir nach der Schuldenregel, die wir uns
vor etlicher Zeit gegeben haben, heuer 41 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Im Vergleich sind
die Zahlen also sehr gut.
Ich danke gerade den Kollegen im Haushaltsausschuss, die in den letzten drei Tagen der Beratungen
1,7 Milliarden Euro eingespart haben. Die Opposition
hätte sich dabei gut in Szene setzen können. Bei den
Olympischen Spielen gibt es die Vorgabe: Höher, weiter
und schneller! Die Opposition hat das abgewandelt. Ihr
Ziel lautet: Mehr, noch mehr und immer noch mehr!
Aber so kann man keinen Haushalt sanieren.
({4})
So kann man nicht zu geordneten finanziellen Verhältnissen zurückkehren.
Wir haben die Neuverschuldung auf 0,34 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zurückgeführt. Dies wollten wir
eigentlich erst 2016 erreichen. Das ist eine überaus
starke Leistung.
({5})
Wir hätten Sie gerne dabeigehabt. Sie hätten daran mitwirken sollen, das haushaltspolitische Desaster, das Sie
hinterlassen haben, wieder in Ordnung zu bringen.
Der griechische Held Odysseus hat, als er nach dem
Trojanischen Krieg nach Hause zurückgekehrt ist, gesagt: „… Töchter des Zeus, niemals glaubte ich, euch
wiederzusehen.“ Er meinte damit seine Heimat. So
könnten wir es auch heute sagen. Viele meinten, wir
würden Zeiten mit konsolidierten Haushalten nie mehr
erleben, aber Minister Schäuble hat mit beinharten Vorgaben die Richtung gewiesen. Gott sei Dank! Wir haben
den Anfang gemacht. Aller Anfang ist leicht, auf das
Durchhalten kommt es an. Wir haben uns dieses Durchhalten auf die Fahnen geschrieben. Wir werden 2016
nicht nur die Grenze „0,35 Prozent strukturelle Neuverschuldung“ einhalten, sondern wir werden bei 0,0 Prozent liegen. Ich denke, dass wir mit diesem finanzpolitischen Credo in dieser Woche beginnen und in den
nächsten Jahren fortsetzen werden. Seien Sie versichert,
lieber Herr Leutert: Wir werden das auch in den nächsten Jahren so machen. Niemand in Deutschland wird Ihnen die Haushalte mehr anvertrauen, nachdem Sie sie
über Jahre ruiniert haben.
({6})
Der Haushalt des Gesundheitsministers trägt entscheidend dazu bei, dass heuer der Gesamthaushalt in
dieser Weise verringert werden kann. Der Gesundheitsfonds ist reichlich ausgestattet. Vor zwei Jahren noch
war mit einem Defizit von 11 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds zu rechnen. Heute haben wir 11 Milliarden Euro Überschuss im Gesundheitsfonds und 12 Milliarden Überschuss bei den gesetzlichen Krankenkassen.
Das ist ein außerordentlicher Grund zur Freude. Wir
wollten Sie in dieser gnadenreichen Vorweihnachtszeit
gerne daran teilhaben lassen,
({7})
aber bis dato habe ich nichts außer Gemäkel gehört.
Unter Minister Rösler haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen. Die Kosten drohten zu explodieren. Aber durch die Erhöhung der Herstellerrabatte der
Pharmaindustrie von 6 auf 16 Prozent und die Heranziehung des pharmazeutischen Großhandels haben wir die
Kosten wieder in Ordnung gebracht. Wir haben die Apotheker mit herangezogen; dadurch wurden über 200 Millionen Euro zur Gesundung des Systems beigetragen.
Auch die Krankenhäuser waren mit etwa 450 Millionen
Euro beteiligt. Der Steuerzahler hat in der Tat ebenfalls
geblutet.
Das, was Sie gesagt haben, Herr Leutert, ist nicht
richtig. Sie haben gesagt, dass der Gesundheitshaushalt
gelitten hätte. Wir haben den Gesundheitsfonds im Jahr
2011 mit einem Zuschuss von 3,9 Milliarden Euro zusätzlich und im Jahr 2012 mit einem Zuschuss von
2 Milliarden Euro zusätzlich stabilisiert.
({8})
Jetzt ist das nicht mehr nötig. Das haben wir gesehen.
Die Situation des Gesundheitsfonds hat sich dramatisch
verbessert. Aus diesem Grunde können wir die Mittel für
den Gesundheitsfonds heuer um 2,5 Milliarden Euro absenken. Dem Bundesgesundheitsminister wird in seinem
operativen Geschäft dadurch nichts, aber auch gar nichts
weggenommen.
Gerade weil wir den Arbeitsmarkt so hervorragend
beflügeln konnten, weil die sozialen Kassen überall gut
gefüllt sind, hat der Gesundheitsfonds mehr Geld, als wir
eigentlich erwartet hätten. Daher sind 2,5 Milliarden
Euro durchaus disponibel. Es gleicht einem Darlehen.
Wir hatten dem Gesundheitsfonds in der Zeit, als wir
vorsichtig operiert haben, dieses Geld gegeben. Heute
können wir es wieder dem Haushalt zur Verfügung stellen. Würden wir dies nicht tun, hätten wir 2,5 Milliarden
Euro mehr Schulden, wofür wir Zinsen zahlen müssten,
und beim Gesundheitsfonds würde das Geld liegen, ohne
dass es gebraucht wird.
({9})
Aus diesem Grunde ist es haushalterisch völlig richtig, dass wir diese Maßnahmen ergreifen. Das Gegenteil
von dem, was die Linken hier vor zwei Jahren dargestellt
haben, ist eingetreten. Sie hatten gesagt, das GKVFinanzierungsgesetz würde die Prinzipien der solidarischen, der paritätischen Finanzierung des Gesundheitswesens zerschlagen. Ähnlich haben Sie es heute ausgedrückt. Welch ein Unsinn, Herr Leutert! Gerade das
Gegenteil ist der Fall. Wenn nicht nur Lügen, sondern
auch politische Torheiten kurze Beine hätten, müssten
Sie alle als Liliputaner herumlaufen.
({10})
Das, was Sie hier gesagt haben, ist völlig abwegig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesundheitsfonds trägt zur Solidarisierung und zur Solidität des
Haushalts bei. Wir haben in der Tat alle Aufgaben, die
sich die Gesundheitspolitiker gewünscht haben, in diesem Haushalt berücksichtigen können. Wir sind Ihnen,
Herr Bundesminister, dankbar, dass gerade Sie mit gutem Beispiel vorangegangen sind. So sind zum Beispiel
die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit auf niedrigem Niveau gehalten worden.
({11})
Die Ausgaben für Prävention werden ansteigen. Die
Ausgaben für die Forschung halten wir konstant. Sie unterscheiden sich von einer Ihrer Vorgängerinnen, von
Ulla Schmidt, deutlich. Sie hat 50 Prozent mehr Mittel
für die Öffentlichkeitsarbeit haben wollen. „Nur Bares
ist Wahres“, hat sie möglicherweise gedacht.
({12})
Sie verdienen großen Respekt dafür, dass Sie sich in dieser vornehmen Weise zurückhalten.
({13})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Bundesgesundheitsminister kann auch mit
dem reduzierten Haushalt - er wurde einzig und allein
im Hinblick auf den Gesundheitsfonds reduziert - alle
seine Vorhaben durchführen, die Fachpolitiker haben
ihre Wünsche erfüllt bekommen, und der Gesundheitshaushalt trägt zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes
bei.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen die Annahme des Haushaltes nur wärmstens empfehlen. Ich
bitte sie, dafür zu stimmen, auch wenn es dem einen
oder anderen schwerfallen sollte.
Ich danke.
({14})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Katja Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Karl, wenn ich
heute Abend krawallig drauf wäre, dann könnte ich sagen: Wir alle können doch gar nichts dafür, dass Sie
heute in der Generaldebatte nicht sprechen durften. Aber ich muss anerkennen: Auf den letzten Metern haben Sie ja doch noch die Kurve zum Gesundheitsetat bekommen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der letzten Sitzungswoche waren wir alle an einem regelrecht historischen Ereignis beteiligt. Alle Abgeordneten aller Fraktionen haben in einer namentlichen Abstimmung
gemeinsam mit Ja gestimmt. Alle fanden die Abschaffung der Praxisgebühr richtig und notwendig. Wir Grünen haben natürlich auch zugestimmt. Es wäre ja absurd
gewesen, wenn wir einer Forderung, die wir selber schon
lange erhoben haben, nicht zugestimmt hätten.
({0})
Es hat sich herausgestellt, dass die Praxisgebühr nicht
den Effekt hat, nicht notwendige Arztbesuche zu vermeiden, sondern dass sie bewirkt, dass Menschen mit
kleinem Geldbeutel einen Arztbesuch tendenziell aufschieben oder eventuell gar nicht zum Arzt gehen. Das
ist natürlich individuell katastrophal und auch mit Blick
auf das Gesundheitssystem nicht ökonomisch.
({1})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es lohnt sich allerdings sehr, dieses gemeinsame Ja zur Abschaffung der
Praxisgebühr genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich
mache mir nämlich ein bisschen Sorgen, dass es verschleiert, dass doch höchst unterschiedliche Konzepte
der Finanzierung unseres Gesundheitssystems dahinterstehen. Ich denke, wenn sich die FDP, die immer für
mehr Selbstbeteiligung ist
({2})
und in den Geldbeutel der Versicherten greift, die die
privaten Krankenversicherungen pampert und auch sonst
mit Solidarität nicht ganz so viel am Hut hat,
({3})
ein soziales Hütchen aufsetzt, dann ist das in der Regel
kein Grund, zu jubeln, sondern eher ein Grund, die
Alarmsirenen einzuschalten.
({4})
Warum ist das so?
({5})
Die FDP will die Kopfpauschale; das ist Fakt. Schon
jetzt wurde bekanntlich der einheitliche Beitragssatz zur
Krankenversicherung eingefroren. Alle kommenden
Kostensteigerungen gehen zulasten der Versicherten,
und zwar in Form eines Zusatzbeitrages. Dieser ist bekanntlich einkommensunabhängig, also eine Art kleine
Kopfpauschale.
({6})
Noch haben wir diese Kopfpauschale nicht; aber sie
kommt mit großen Schritten auf uns zu.
({7})
Genau das ist der Punkt: Die Abschaffung der Praxisgebühr, eingebettet in das unsolidarische Finanzierungskonzept, wie es Union und FDP vorantreiben, ist faktisch ein weiterer Schritt in Richtung Kopfpauschale.
({8})
Aktuell haben die Krankenkassen Geld. Ja, es ist richtig: Krankenkassen sind keine Sparkassen. Deshalb kann
man die Praxisgebühr jetzt auch abschaffen. Aber es ist
auch jetzt schon klar, dass es nicht bei diesem Überschuss bleiben wird. Sehen wir uns nur an, was SchwarzGelb alleine bei diesem Haushalt macht: Erst werden
dem Gesundheitsfonds 2 Milliarden Euro entzogen,
dann werden ihm in der Bereinigungssitzung flott weitere 0,5 Milliarden Euro entzogen, und für 2014 werden
ihm weitere 2 Milliarden Euro entzogen. Die Abschaffung der Praxisgebühr wird ebenfalls mit rund 2 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Wenn wir das sehen, ist
doch klar: Der unsolidarische Zusatzbeitrag kommt mit
großen Schritten.
({9})
Eine entsolidarisierte Finanzierung unseres Gesundheitssystems klopft schon sehr laut an die Tür.
({10})
Die Abschaffung der Praxisgebühr ist richtig. Aber
sie wird nur dann nicht zum Problem, wenn wir eine
Bürgerversicherung bekommen, die mehr Solidarität bedeutet, die die Einnahmeseite der Krankenversicherung
verbreitert und damit gerecht absichert.
({11})
Die Bürgerversicherung muss kommen.
Auf den Pflege-Bahr sollten wir allerdings schnellstmöglich verzichten.
({12})
Er ist ein weiterer Baustein der Entsolidarisierung in unserem Sozialsystem und ein Bonbon für die Versicherungswirtschaft - wie seit neuestem absurderweise auch
das Betreuungsgeld.
({13})
Es ist völlig unverständlich, dass der Haushalt des Gesundheitsministeriums für 2013 eine teure Kampagne für
den unsinnigen Pflege-Bahr vorsieht, während beispielsweise die Mittel für Maßnahmen zur Prävention sexuell
übertragbarer Krankheiten deutlich gekürzt werden.
({14})
Ich will - das wird die Koalition wahrscheinlich eher
freuen - abschließend noch etwas zu den Haushaltsanträgen der Linken sagen. Die Linke hat uns in den
Haushaltsberatungen mit Anträgen beglückt, die in der
Summe ein Volumen von 4 Milliarden Euro haben.
Diese Summe zeigt, dass die Vorschläge schier unmöglich umzusetzen sind.
({15})
Zum Teil handelt es sich durchaus um richtige Forderungen; aber es wird an der falschen Stelle angedockt. Zum
Beispiel fällt die Förderung der nichtkommerziellen
Pharmaforschung tatsächlich in den Aufgabenbereich
des BMAS und eben nicht in den des Gesundheitsministeriums. Auch die Beseitigung des Investitionsstaus bei
den Krankenhäusern ist eine wichtige und richtige
Forderung. Das ist aber eindeutig nicht im Zuständigkeitsbereich des Bundes anzusiedeln, sondern im Zuständigkeitsbereich der Länder. Deshalb lehnen wir
diese Änderungsanträge ab - wie wir den Haushalt des
Gesundheitsministeriums insgesamt ablehnen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Bundesgesundheitsminister Daniel
Bahr.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte mich bedanken bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, des
Bundesministeriums für Gesundheit, für die sehr
konstruktiven, fachlich fundierten, sachlich geführten
Haushaltsberatungen, die, glaube ich, zu einem sehr guten Ergebnis geführt haben.
Der Etat des Bundesministeriums für Gesundheit ist
in seinem Kernbereich der kleinste Etat. Durch den Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung wird er
dann doch zu einem der größeren Etats im Bundeshaushalt. Dieser Haushalt leistet heute für den nächsten Bundeshaushalt den größten Sparbeitrag aller Einzeletats.
Das ist ein klares Zeichen, dass auch das Bundesministerium für Gesundheit einen Beitrag dazu leisten
will, dass wir endlich aus der Verschuldung herauskommen. Auch das Bundesministerium für Gesundheit
möchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts erreichen. Das
Ziel ist, dass die Politik mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger ihr zur Verfügung stellen, auskommt. Ich
glaube, dass das kein schlechtes Signal ist. Deswegen
kann ich die Kritik der Opposition nicht verstehen. Ich
glaube, dass es Lob verdient,
({0})
dass das Bundesministerium für Gesundheit durch eine
Kraftanstrengung in seinem Etat dazu beiträgt, dass wir
den Bürgerinnen und Bürgern endlich einen Haushalt
vorlegen können, der zeigt, dass Politikerinnen und Politiker mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger ihnen zur Verfügung stellen, auch wirklich auskommen
und Nachhaltigkeit eben keine Floskel ist.
({1})
Wissen Sie, Herr Lauterbach, als ich Sie eben gehört
habe, da wurde mir deutlich, dass in dieser Legislaturperiode nicht nur die Regierung durch die FDP besser
geworden ist, sondern dass in der letzten Legislaturperiode auch die Opposition besser war.
({2})
Bei Ihrer Rede hatte ich den Eindruck: Sie finden gar
keinen richtigen Ansatzpunkt.
Schauen wir uns einmal an, wo wir zur Beginn der
Legislaturperiode standen: Die Defizite, die damals
drohten, waren die größten in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung. Frau Dörner und Herr
Leutert, Sie haben der Regierung von Schwarz-Gelb
heute erneut vorgeworfen, die bürgerlich-liberale Politik
sei unsozial.
({3})
Damals, in der Situation dieser drohenden Defizite, hat
die christlich-liberale Koalition entschieden, dass diese
Defizite nicht dadurch vermieden werden, dass Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen
werden oder bei der Vergütung der Ärztinnen und Ärzte
gekürzt wird oder bei den Krankenhäusern oder bei der
Pflege gestrichen wird oder wenigstens eine Nullrunde
stattfindet. Zwar wurden die Zuwächse im ambulanten
Bereich, im Krankenhausbereich, begrenzt; aber trotz
größter Defizite konnten sich die im Gesundheitssystem
Beschäftigten über Zuwächse freuen.
({4})
Das war ein Stabilitätssignal für alle Menschen, die im
Gesundheitswesen arbeiten, und damit auch ein Beitrag,
um Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten.
Dann wird von den Überschüssen gesprochen, die wir
heute haben. Ich hatte letztens anlässlich eines Jubiläums die Gelegenheit, mit ehemaligen Gesundheitsministerinnen - in der Regel bekleiden ja Frauen das Amt - zu
diskutieren. Da sagten die Frauen zu mir, sie beneideten
mich, weil es die Situation, dass ein Gesundheitsminister
Überschüsse verteidigen muss, in der Geschichte der
Bundesrepublik noch nicht gegeben habe. Ich glaube,
bei dieser kleinteiligen Kritik, die Sie eben geäußert
haben,
({5})
sind Sie in Wahrheit doch neidisch, dass wir diese Situation haben.
({6})
Es stimmt doch nicht, dass das nur am Beitragssatz
und an der Konjunktur liegt. Natürlich hat die gute Konjunktur einen wichtigen Beitrag dazu geleistet; das
verhehlt hier doch niemand. Aber offenbar hat diese
Regierung eine Politik betrieben, dass sich diese gute
Konjunktur entfalten konnte. Das scheint ja auch Politik
dieser Bundesregierung gewesen zu sein.
({7})
Lassen Sie uns doch einmal schauen, wie wir diese
Überschüsse erreicht haben. Diese Regierung hat das
ehrgeizigste Arzneimittelsparpaket auf den Weg gebracht, das überhaupt eine Regierung in Deutschland in
der Gesundheitspolitik gemacht hat.
({8})
Im Bereich der Arzneimittelausgaben sparen wir jedes
Jahr bis zu 2 Milliarden Euro ein. Wir haben den Paradigmenwechsel vollzogen, dass der Hersteller eben nicht
mehr den Preis eines Arzneimittels festlegt und die
Kasse ihn bezahlen muss, sondern dass jetzt jedes neue
Arzneimittel beweisen muss, dass es besser ist als die
Arzneimittel, die es schon gibt, und dass dann freie
Preisverhandlungen mit den Krankenkassen zu führen
sind. Das ist im Interesse der Beitragszahler und im Interesse der Patienten und sorgt dafür, dass wir mit begrenzten Beitragsgeldern auch wirklich effizient umgehen. Deswegen ist das ein wichtiger Beitrag der
Regierung zur finanziellen Stabilität.
Die Opposition spricht immer von der Kopfpauschale. Dann muss ich Ihnen einmal etwas erklären: In
dieser Legislaturperiode ist auf Antrag der FDP von der
Koalition beschlossen worden, die Kopfpauschale beim
Arztbesuch abzuschaffen. Sie ist von einer SPD-Gesundheitsministerin eingeführt worden. Die 10 Euro „Mautgebühr“, wenn man in das Wartezimmer einer Arztpraxis
kam, waren doch nichts anderes als eine Kopfpauschale.
Egal wie viel jemand verdiente, unabhängig vom Gesundheitszustand und unabhängig von seinen sozialen
Verhältnissen musste er in der Arztpraxis 10 Euro zahlen. Das ist eine Kopfpauschale, die Sie eingeführt haben
und die wir abgeschafft haben.
({9})
Wir sollten die gute finanzielle Lage, die wir durch
unsere Politik geschaffen haben, beibehalten, sollten
aber auch immer die Gesamtverantwortung für den Bundeshaushalt sehen.
In dieser schwierigen Zeit, wo wir alle einen Beitrag
leisten wollen, um schnell zu einem ausgeglichenen
Haushalt zu kommen, setzen wir Prioritäten. Wir geben
mehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit für die Organspende aus. Herr Kollege Karl hat recht: Schlechte Politik muss man mit mehr Öffentlichkeitsarbeit erklären.
Gute Politik erklärt sich von selbst. Aber im Bereich der
Organspende ist es nötig, dass wir mehr Geld zur Verfügung stellen. Denn wir alle haben gemeinsam entschieden - das ist ein starkes Signal an die Bevölkerung -, die
Menschen über die gesetzlichen und die privaten Krankenversicherungen anzuschreiben und sie aufzufordern,
sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen.
Deswegen ist es wichtig, erst recht aufgrund einzelner
Fälle, die uns alle beschäftigt haben, jetzt mit einer
breitangelegten Öffentlichkeitskampagne die Bürgerinnen und Bürger aufzuklären. Das wird in diesem Haushalt nachgearbeitet. Hierfür stellen wir zusätzliches Geld
zur Verfügung.
Wir stellen auch zusätzliches Geld zur Verfügung, um
die gesetzliche Aufgabe zu erfüllen, größere Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Beim Paul-EhrlichInstitut und beim Bundesinstitut für Arzneimittel werden
zusätzliche Stellen geschaffen. Vielen Dank für die sehr
konstruktiven parteiübergreifenden Beratungen im
Haushaltsausschuss, die das möglich gemacht haben,
damit wir im Sinne der Patienten dem gesetzlichen
Auftrag, eine bessere Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, nachkommen können.
({10})
Nun möchte ich einen letzten Punkt nennen. Ja, der
Zuschuss wird gekürzt. Aber wenn Sie sich einmal die
Geschichte des Zuschusses anschauen, werden Sie sehen, dass er immer wieder infrage gestellt wurde, weil er
unbestimmt ist. So wie er von Rot-Grün seinerzeit eingeführt wurde, war nie klar, wofür die Steuermittel eigentlich sind. Deswegen macht er sich angreifbar.
({11})
- Frau Bender, der Zuschuss ist, wenn ich das richtig
sehe, 2004 mit 1 Milliarde Euro eingeführt worden.
2006 gab es 4,2 Milliarden Euro. Unter rot-grüner
Regierung ist er auf 2,5 Milliarden zurückgeführt worden. Das heißt, Sie haben den Zuschuss genauso gekürzt,
obwohl Sie ihn eingeführt haben. Wenn ich eine pauschale Abgeltung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben vornehme, kann ich denn dann gegenüber der jungen Generation rechtfertigen, dass über 20 Milliarden
Euro Rücklagen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und des Gesundheitsfonds sind?
({12})
Dass diese Kritik ausgerechnet von den Grünen kommt,
ist schon verwunderlich. Können Sie, liebe Politikerinnen und Politiker der Grünen, der jungen Generation erklären, dass wir heute Schulden zu ihren Lasten machen
sollen, obwohl wir das gar nicht müssten, weil wir das
Geld, das im Gesundheitsfonds überschüssig ist, zurückgeben können?
({13})
Ich glaube, mit einem gewissen Augenmaß kann man
diese Entscheidung vertreten, weil sie im Interesse der
jungen Generation und eines ausgeglichenen Haushalts
ist. Ich finde, dem kann sich die Gesundheitspolitik mit
diesem begrenzten Beitrag auch nicht entziehen. Wir als
Gesundheitspolitiker dürfen nicht nur auf unseren Bereich schauen, sondern wir haben auch eine Gesamtverantwortung für die Politik in Deutschland. Deswegen ist
es, glaube ich, vertretbar, den Zuschuss begrenzt zu
reduzieren, um einen Gesamtbeitrag dafür zu leisten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Ewald Schurer.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal habe ich einen Beitrag zu dem Versuch,
positive Stimmung zu erzeugen, zu leisten: Ich bedanke
mich beim Ministerium und bei den Kollegen im Haushaltsausschuss nochmals für das konstruktive Miteinander. Das darf man in der Haushaltsdebatte ja sagen.
Damit komme ich aber schon dazu, zu sagen: Ich
wundere mich.
Erster Punkt. Ich bin Haushälter. Zwar bin ich nicht
der erste Fachpolitiker auf diesem Gebiet, aber ich verstehe, wenn die Kollegin der FDP hier in Bezug auf die
Prävention sagt, dass man rausgehen und aufklären
muss. Aufklärung ist zwar notwendig, aber sie ist nur ein
Stüfchen, also nicht einmal eine Stufe, auf dem Weg zu
einer umfassenden, ganzheitlichen Präventionsstrategie.
Eine solche haben Sie nicht vorgelegt und bringen Sie
auch nicht auf die Reihe. Das ist eine ganz klare Sache.
({0})
Hier dieses Stüfchen zu gehen und zu sagen: „Wir gehen raus und klären in Betrieben und Schulen auf“, ist
schön, aber bei weitem kein Ersatz für eine Präventionsstrategie. Hier haben Sie vollkommen versagt.
({1})
- Auch durch Schreien wird die Prävention nicht verbessert.
Zweiter Punkt. Sie tun hier immer so, als ob Sie im
luftleeren Raum gelebt hätten. 2008 kam es zu einer brutalen Wirtschafts- und Finanzkrise, während der auch in
Deutschland die Wertschöpfung um 5 Prozent eingebrochen ist. Deswegen gab es damals in allen Sozialkassen,
auch in der Gesundheitskasse, brutale Einbrüche.
Wir haben dann für eine sozialdemokratische Variante
gesorgt - das war wichtig für Sie, weil bei uns entsprechende Kompetenz vorhanden ist - und antizyklisch
agiert, indem wir in der Krise Konjunkturprogramme
aufgelegt und Milliarden ausgegeben haben, da wir
wussten: Jede Milliarde induziert eine siebenfache private Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze. Allein deswegen kamen wir so schnell aus dieser Wirtschaftskrise.
Das ist die Wahrheit!
({2})
Dass wir dadurch auch in der GKV wieder Mehreinnahmen hatten, hat uns den Hintern gerettet. Bleiben Sie
einmal ehrlich! Erst dann kann man seriös reden.
Die Krise war brutal. 2009 haben Sie die Regierung
übernommen. Infolge des ökonomischen Kahlschlags
durch die Pleite von Lehman Brothers und die weltweite
Wirtschafts- und Finanzkrise waren die Kassen leer.
Es gab dann einen Herrn Rösler, Herr Bahr, der noch
2009 hier im Hause gesagt hat: Wir stehen vor einem
Milliardengrab GKV. Seine Prognose war, dass wir
11 bis 20 Milliarden Euro Miese machen werden,
({3})
nicht verstehend, dass uns die sozialdemokratische Variante der Krisenbewältigung, zum Beispiel das Managen
der Krise durch verlängerte Zahlung des Kurzarbeitergelds, wodurch wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen
in vielen Branchen gerettet haben, und die Bereitstellung
von Konjunkturmitteln in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Euro nach vorne gebracht hat.
({4})
Das sollten Sie anerkennen. Dafür müssen Sie uns danken, weil das die Sozialkassen wieder gefüllt hat. Das ist
ökonomische Logik.
({5})
Ich muss Ihnen auch sagen, dass Herr Rösler damals
wie heute viele Dinge bei seiner politischen Analyse
falsch eingeschätzt hat und einschätzt.
({6})
- Sehr geehrter Herr Minister Bahr, ich buhle um Ihre
Aufmerksamkeit. Wenn Sie erlauben, will ich versuchen,
Ihnen eine Antwort zu geben.
Für mich ist das ein systemwidriger Denkfehler: Sie
reden über den Sparbeitrag beim Gesundheitsfonds. Erst
einmal geht es um 2 Milliarden Euro, und jetzt kommen
noch einmal 500 Millionen Euro, eine halbe Milliarde,
hinzu. Dabei vergessen Sie, dass die Praxisgebühr, die
wir ja gemeinsam abschaffen wollen, auch noch einmal
2 Milliarden Euro ausmacht.
Was Sie jetzt nicht verstehen oder nicht verstehen
wollen: Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds
wird für die versicherungsfremden Leistungen der GKV
gegeben, sprich: für die pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
({7})
Das ist also familienpolitisch motiviert.
Wenn Sie jetzt einfach sagen: „Wir kürzen den Zuschuss an den Gesundheitsfonds noch einmal um eine
halbe Milliarde Euro“, und die 2 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch Abschaffung der Praxisgebühr
nicht einrechnen, dann schaffen Sie schlechte strukturelle Voraussetzungen für die Zeit, wo die Konjunkturlokomotive nicht mehr so gut laufen wird. Wir haben im
Zuge der europäischen krisenhaften Erscheinungen bereits jetzt - das wissen Sie - leider erste kleine Einbrüche zu verzeichnen, die wir alle nicht wollen. Insofern
sind Sie kein guter Hüter der zukünftigen Möglichkeiten
für die GKV. Sie widersprechen sich in diesem Punkte
selbst.
({8})
Ich nenne Ihnen einen weiteren Aspekt. Ich habe
mich immer gefragt, nach welcher inneren Logik Sie
von der FDP - das sage ich bei aller persönlichen Wertschätzung - versuchen, Politik zu formulieren. Klar, wir
haben völlig unterschiedliche Entwürfe. Wir Sozialdemokraten und die Freundinnen und Freunde der Grünen
- da bin ich zumindest bisher guten Glaubens - wollen
in Richtung einer solidarischen Bürgerversicherung für
Gesundheit und Pflege gehen. Ich bin überzeugt: Wir ha25210
ben ab dem nächsten September die Chance, diese Idee
mit Leben zu erfüllen.
({9})
Ihr Entwurf ist stringent anders. Man kann Ihnen
nicht unterstellen, dass Sie gar keine Solidarität wollen,
aber Sie wollen so wenig wie möglich und so viel Privatisierung wie möglich in diesem Bereich, wie das der
Kollege Lauterbach herausgearbeitet hat.
({10})
Der Bereich, in dem es um das Gut „Gesundheit und
Fürsorge für die Menschen“ geht, dieser solidarische Bereich, wird bei Ihnen kleingeschrieben.
Ich sage Ihnen: Ich habe Ihre Logik nicht gefunden.
Die einzige Logik, die ich entdecken konnte: Die Aufstockung um 6 Millionen Euro im Zusammenhang mit
der Umsetzung des Transplantationsgesetzes war das
einzig Positive, was Sie gemacht haben. Darum ist die
FDP nicht herumgekommen; aufgrund der manifesten
gesellschaftlichen Vorfälle mussten Sie reagieren.
Ansonsten war bei Ihnen nur eines stringent: Sie haben alle Programme mit Modellcharakter, die unter Ulla
Schmidt entstanden sind, in den letzten Jahren geschleift
oder eingestellt.
({11})
Hinter den Programmen stehen aber die Versuche, neue
Wege von Prävention und Gesundheitspolitik auf eine
intelligente Art und Weise zu formulieren, um sie später
in das System zu implementieren. Das haben Sie nicht
verstanden. Sie haben es folgendermaßen gesehen: Das,
was die Vorgängerregierung gemacht hat, ist des Teufels;
das müssen wir alles beseitigen.
({12})
Ich halte das für schlecht.
Ein letzter Punkt. Sie kamen immer mit dem Spruch
daher: mehr Netto vom Brutto. Sie haben damals die
GKV-Beiträge erhöht. Ich sage: weniger Netto vom
Brutto. Sie haben mit Ihrem Pflegekonzept einseitig die
Versicherten belastet. Ich sage: wieder weniger Netto
vom Brutto. Wo ist die Einlösung Ihrer Wahlversprechen? Mittlerweile müssen auch die Versicherten in der
privaten Krankenversicherung feststellen, dass die Beiträge gewaltig steigen. Ich sage: wiederum weniger
Netto vom Brutto.
({13})
Ich verstehe, was Sie damals gesagt haben, merke aber,
dass Sie in der GKV und im Gesundheitswesen allgemein anders gehandelt haben als zugesagt. Ihre Lösungen waren nicht durchdacht und ökonomisch nicht nachvollziehbar.
Ich muss noch dazusagen: Die Zusatzbeiträge, Herr
Minister, gibt es immer noch. Das heißt für mich wiederum: weniger Netto vom Brutto, wenn die Kassen im
Ernstfall Zusatzbeiträge verlangen müssen. Oder habe
ich es falsch verstanden? Vielleicht haben Sie damals gemeint: mehr Brutto vom Netto. Es könnte ja sein, dass
das von Ihnen falsch formuliert wurde.
Ich stelle fest: Ob Pflege, ob Patientenrechte oder Prävention - alle Großaufgaben der künftigen Gesundheitspolitik sind von Ihnen nicht erledigt worden. Da kann
man nur noch auf eine Nachfolgeregierung hoffen. - Ich
bedanke mich für die Aufmerksamkeit und schaue freudig Richtung Grün und Rot, weil ich überzeugt bin: Es
wird ab dem nächsten Herbst ein neuer Wind wehen.
Herzlichen Dank.
({14})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Dr. Rolf Koschorrek.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es freut mich ganz
besonders, heute wieder einmal den Kollegen
Lauterbach in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Das
war in der letzten Zeit, vor allen Dingen im Ausschuss,
eher selten möglich. Damit hängt vielleicht zusammen,
dass die Wahrnehmung unserer Politik aufseiten der
SPD und des Redners nicht ganz den Realitäten entspricht. Das, was Sie geschildert haben, und die Szenarien, die Sie eben entworfen haben, haben mit der politischen Wirklichkeit, gerade in der Gesundheitspolitik,
und der Situation der gesetzlichen Krankenversicherung
schlicht und ergreifend gar nichts zu tun.
({0})
- Das kann man in den Protokollen nachlesen.
Die Gesundheitsausgaben pro Einwohner lagen 1995
in der Bundesrepublik Deutschland bei 2 290 Euro.
({1})
Im Jahre 2010 waren sie bereits auf 3 500 Euro gestiegen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stiegen sie also
seit 1995 von 10,1 auf 11,6 Prozent.
Europa gibt weniger Geld für Gesundheit aus
Staaten fahren in der Krise ihre Budgets zurück.
Nicht so Deutschland
So lautete gestern die Schlagzeile einer sehr großen Tageszeitung, die über die aktuelle OECD-Studie berichtete.
({2})
Während die Gesundheitsausgaben in der Mehrzahl der
europäischen Länder im Jahr 2010 deutlich sanken, blieben sie bei uns nicht nur konstant, sondern wir haben sie
insgesamt um nahezu 2,7 Prozent gesteigert.
Das deutsche Gesundheitssystem steht im internationalen Vergleich außerordentlich gut da. Wir haben mit
unseren gesundheitspolitischen Entscheidungen die Basis dafür geschaffen, dass die medizinische Versorgung
in unserem Land auch im Zuge der demografischen Veränderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte eine der
besten der Welt bleiben wird.
({3})
Das Gesundheitssystem steht heute so gut da wie
noch nie zuvor, und wir haben dafür gesorgt, dass es gut
gerüstet ist, um die hohen und besonderen Anforderungen der älter werdenden Gesellschaft, die mit einer Zunahme an älteren und natürlich auch multimorbiden Patienten verbunden ist, zu erfüllen. Die Tatsache, dass
sich unser Gesundheitswesen nach drei Jahren christlichliberaler Gesundheitspolitik in so guter Verfassung befindet wie kaum jemals zuvor, ist ein Ergebnis kluger,
guter und eben auch weitsichtiger Politik.
({4})
Die finanziellen Überschüsse sind ohne Zweifel ein
glücklicher und erfreulicher Zustand, um den uns extrem
viele beneiden. Aber die Überschüsse sind bei weitem
weder purer Glücksfall noch Zufall. Denn sie sind aufgrund der erfolgreichen Arbeit unserer gesamten Wirtschaft und der daraus resultierenden guten Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt in unserem Land entstanden.
Die Rahmenbedingungen dafür allerdings zählen eindeutig zu den sichtbaren und unbestreitbaren Erfolgen
dieser Bundesregierung.
Wir sind aber auch Realisten und wissen, dass gravierende demografische Veränderungen auf uns zukommen.
Wir wissen, dass die bislang erzielten Zuwachsraten
nicht dauerhaft zu finanzieren sind und dass die derzeitigen finanziellen Reserven nicht auf Dauer bestehen werden.
Wir denken weiter und stellen uns realistisch den voraussehbaren Entwicklungen und Problemen der älter
werdenden Gesellschaft. Wir bereiten unser Gesundheitssystem darauf vor, dass immer weniger Erwerbstätige die medizinische Versorgung einer wachsenden Zahl
von älteren und multimorbiden Patienten mit vielfachen
gesundheitlichen Einschränkungen nicht nur finanziell,
sondern auch im Alltag der medizinischen Versorgung
praktisch zu bewerkstelligen haben werden. Wir stellen
die Weichen dafür, dass in unserem Land auch künftig
noch so, wie wir es gewohnt sind, flächendeckend eine
gute medizinische Versorgung auf hohem Niveau vorhanden sein wird.
Mit den neuen Arzneimittelgesetzen und dem Versorgungsstrukturgesetz haben wir Neuerungen eingeführt
und umgesetzt, die dafür sorgen, dass die gewohnte, gute
ärztliche Betreuung und Versorgung mit Medikamenten
und medizinischen Innovationen auch in Zukunft für
alle, unabhängig von Alter, sozialem Status und Wohnort, verfügbar sein wird.
Im Versorgungsstrukturgesetz haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es für Ärzte auch wieder
interessant wird, sich in ländlichen Regionen niederzulassen, und wir haben dafür gesorgt, dass die niedergelassenen Ärzte in ihren Praxen sich untereinander und mit den
Krankenhäusern vor Ort wesentlich besser vernetzen und
zusammenarbeiten können. Das ist gelebte Überwindung
von Sektorengrenzen, die dringend geboten war
({5})
und auch für die Zukunft eine unserer größeren Aufgaben bleiben wird.
({6})
Die Kassenärztlichen Vereinigungen wie auch die Kommunen ziehen hier mit uns an einem Strang und nutzen
die neuen gesetzlichen Vorgaben.
Auch die grundlegende Reform der ärztlichen Bedarfsplanung, die der Gemeinsame Bundesausschuss als
Teil der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens in unserem Auftrag erarbeitet, steht vor ihrem Abschluss, sodass die neue Richtlinie voraussichtlich fristgerecht zum
Jahreswechsel in Kraft treten wird.
Mit den neuen Regelungen für die Arzneimittelpreise
haben wir nicht nur eine Dämpfung des kontinuierlichen
Anstiegs der Arzneimittelkosten erreicht. Um sicherzustellen, dass neue Medikamente auch künftig zeitnah für
die Patienten zur Verfügung stehen, haben wir festgelegt,
dass neue Medikamente nur um so viel teurer sein dürfen, wie es ihrem verbesserten Nutzen gegenüber bereits
vorhandenen Medikamenten entspricht.
Wir haben den Herstellern deutlich gemacht, dass die
Zeit von Fantasiepreisen auch in Deutschland vorbei ist,
und haben in Verhandlungen und unter Einbeziehung der
Selbstverwaltung, des Gemeinsamen Bundesausschusses, und unter fachlicher Beratung des IQWiG in der
Arzneimittelbewertung und -preisfindung ein System
geschaffen, das mit Einbeziehung aller Beteiligten sicherlich international seinesgleichen sucht und das wir
auch hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen heute
durchaus stolz betrachten können.
({7})
Zwischenzeitlich ist auch die erste Medikamentengruppe aus dem Bestandsmarkt in die frühe Nutzenbewertung gekommen. Das zeigt, dass wir bereit sind, in
diesem Segment in dem einen oder anderen Fall eine
Nutzenbewertung durchzuführen. Wir werden sicherlich
nicht in der Lage sein, den gesamten Bestandsmarkt aufzurufen. Das ist einfach vom Aufwand her nicht möglich. Aber das bei einigen Produkten voranzubringen, ist
sicherlich der richtige Weg.
Das neue Pflegegesetz, das Patientenrechtegesetz und
das Transplantationsgesetz sind weitere Bestandteile unserer Politik und Beispiele dafür, wie schon lange anstehende Probleme im Gesundheitswesen in Angriff zu
nehmen und wie neue zukunftsfähige Regelungen auf
den Weg zu bringen sind.
Zur nachhaltigen Sicherung der leistungsfähigen finanziellen Basis unseres Gesundheitssystems, den Einnahmen der Krankenkassen, bauen wir nicht allein auf
unsere gute Wirtschaftskraft und eine florierende Konjunktur. Deswegen haben wir schon 2011 die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen von den für uns als
Exportnation so wichtigen Lohnkosten abgekoppelt und
dies mit einer Stärkung des Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen untereinander verbunden.
Die zentrale Forderung an ein zukunftssicheres Gesundheitswesen lautet: Alle Bürgerinnen und Bürger
müssen Zugang zu einem bezahlbaren Versicherungsschutz haben, der alle medizinisch notwendigen Leistungen auf hohem Niveau erfasst, der aber auch innovationsoffen und zukunftsfest bleiben muss.
({8})
Dies ist nach unserer festen Überzeugung am besten
zu gewährleisten, wenn wir eine Vielfalt von Krankenversicherungen im Markt haben, die miteinander in einem fairen Wettbewerb um Preis und Qualität stehen.
Davon profitieren die Versicherten und Patienten, und in
einem solchen System ist auch die für unser Gesundheitssystem so elementare freie Arztwahl und die freiberufliche Unabhängigkeit unserer Ärzte beizubehalten
und in Zukunft eher auszubauen, als einzuschränken.
Die Basis für den Wettbewerb der gesetzlichen Krankenversicherungen um die beste Versorgung der Patienten haben wir mit der Einführung des Gesundheitsfonds
und der durch Steuermittel sozial abgefederten Zusatzbeiträge geschaffen. Damit ist zugleich sichergestellt,
dass niemand durch seinen Kassenbeitrag finanziell
überfordert wird.
Alle Diskussionen und alle Stimmungsmache gegen
die private Krankenversicherung, wozu die Opposition
geradezu verbissen jeden vermeintlichen Anlass sucht,
ändern nichts daran, dass sich das Nebeneinander von
GKV und PKV über Jahrzehnte bewährt hat;
({9})
denn dieses System ist die Basis für unser Gesundheitssystem, das international eines der besten ist und um das
uns viele Länder beneiden.
({10})
Gerade in Sachen Innovationsoffenheit spielt die PKV
eine ganz entscheidende Rolle.
({11})
Dieses System gilt es aufrechtzuerhalten, indem wir
es an die neuen Anforderungen anpassen. Dabei setzen
wir, anders als die Opposition sich das vorstellt, ganz bewusst auf die Strukturen und Elemente, die sich bereits
über viele gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Veränderungen in unserem Alltag hinaus erhalten und bewährt haben: die für unser Gesundheitssystem konstitutive Selbstverwaltung.
Nur die Selbstverwaltung ist mit ihrer Kompetenz, ihrer direkten Beteiligung und ihrer Verantwortungsübernahme in der Lage, die Dinge wirklich zu regeln. Wir
haben uns gesundheitspolitisch auf eine Rahmengesetzgebung beschränkt. Wir ziehen sehr deutlich Korsettstangen ein, aber innerhalb dieses Rahmens geben wir
der Selbstverwaltung genügend Freiraum, diesen Rahmen mit fachlichem Know-how und Verhandlungskompetenz vernünftig auszufüllen.
({12})
Indem wir seitens der Politik den gesetzlichen Rahmen vorgeben, müssen die Gremien der Selbstverwaltung ihrer Aufgabe nachkommen, praxisnah über konkrete Regelungen, Leistungen und andere Dinge zu
entscheiden. Wir wollen auch in Zukunft alle Veränderungen mit der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen,
in der Ärzte, Krankenhäuser und gesetzliche Krankenkassen organisiert sind, durchführen und die ärztliche
Diagnose- und Therapiefreiheit ebenso wie die freie
Arztwahl des Patienten erhalten.
Wir sorgen mit unserer Gesundheitspolitik weiter dafür, dass die Patienten die bestmögliche Versorgung erhalten, und wir werden die Einheitsversicherung der Opposition, ohne belebenden Wettbewerb um medizinische
Qualität und ohne effektives Wirtschaften, nicht zulassen.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
ein Positivum hat das Vorgelegte: Für absehbare Zeit
wird das der letzte Haushalt sein, den Schwarz-Gelb vorlegt, und das ist auch gut so.
({0})
Kaum etwas Richtungsweisendes oder Zukunftsweisendes findet sich in diesem Einzelplan 15.
Für Sie ist das Gesundheitssystem in erster Linie ein
Wirtschaftsfaktor, ein Arbeitsmarkt bzw. ein Sektor, der
zur Erhöhung des Bruttosozialprodukts beiträgt. Nur so
wird verständlich, dass Schwarz-Gelb so wenig Interesse
an der Gesundheit der Menschen hat. Wenn die Gesundheit der Menschen Ihnen wirklich wichtig wäre, hätten
Sie längst viel mehr Geld für nichtmedizinische Primärprävention und Gesundheitsförderung eingestellt.
Kollegin Aschenberg-Dugnus, ich kann da ebenfalls
nur ergänzen: Prävention geht nicht nur durch den Kopf
und über Wissen, sondern Prävention muss da ankommen, wo die Lebenswelten sind.
({1})
Sie muss auch diejenigen erreichen, in deren Köpfen es
noch nicht drin ist.
({2})
Stattdessen lassen Sie das Kinder-Gesundheitsprogramm
einfach sang- und klanglos auslaufen.
({3})
Alle in der Gesundheitsförderung Engagierten wissen
- sie sagen es Ihnen auch -: Das Problem ist, dass es an
Verstetigung der Mittel und Verbreitung guter Projekte
fehlt.
({4})
Gesundheitsförderung und Prävention sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss der Bund mit
tätig werden. Daher schlagen wir seit Jahren den Start eines Präventionsfonds mit einem Umfang von 1 Milliarde
Euro vor.
Statt in diese Richtung zu denken, greift der Finanzminister ungeniert in den Topf der Krankenversicherung,
in den Gesundheitsfonds. Das Zugeständnis zur Abschaffung der Praxisgebühr - zum Jagen haben wir Sie
da übrigens alle getragen ({5})
lässt er sich in sonntäglicher Koalitionsrunde vom FDPGesundheitsminister mit 2 Milliarden Euro zur Sanierung des Bundeshaushalts bezahlen. Für 2014 gibt es
gleich noch einen Nachschlag von 500 Millionen Euro.
Das ist ungeheuerlich; denn faktisch zahlen jetzt die
Krankenversicherten Ihr unsägliches Betreuungsgeld.
({6})
Einmal mehr zeigt sich: Schwarz-Gelb hat die Gesundheitspolitik in die Hände des Finanzministers gegeben. Wenn Sie stattdessen, wo die Kassenlage jetzt so
gut ist, ein neues Investitionsprogramm für Krankenhäuser aufgelegt hätten, wäre das Geld wenigstens im Ressort geblieben. Ich habe schon wieder die alte Leier gehört, das wäre Ländersache und ginge ordnungspolitisch
nicht. Der Prototyp und Beweis dafür, dass das Wirkung
zeigt, war der Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes,
wodurch die neuen Bundesländer mit Unterstützung des
Bundes den Nachholbedarf bei den Krankenhausinvestitionen abbauen konnten. Jeder Finanzminister der Länder hat für die Kofinanzierung gesorgt und das gern getan.
({7})
Warum soll das, bitte schön, nicht auch heute beim Abbau des Investitionsstaus, der in der gesamten Krankenhauslandschaft über 50 Milliarden Euro beträgt, funktionieren? Ich frage Sie: Warum nicht?
({8})
Unser diesbezüglicher Antrag auf Beteiligung des Bundes mit 2,5 Milliarden Euro liegt Ihnen heute vor. So
wäre das ganze Problem in zehn Jahren erledigt.
Auch wenn für uns Gesundheitsförderung das Primat
hat, um allen Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen, wollen wir natürlich auch, dass allen Menschen bei
Krankheit geholfen wird. Arzneimittel können das bewirken oder zumindest ihren Anteil dazu leisten. Wer
aber Arzneimittel allein einem profitorientierten Markt
überlässt, riskiert, dass Krankheiten, die selten oder nicht
profitabel sind, nicht beforscht werden. Er riskiert auch,
dass Wechsel- und Nebenwirkungen verschwiegen werden, es also zu einer schlechteren Versorgung kommt.
Hier muss auch der Staat Verantwortung übernehmen;
deshalb unser Antrag zur pharmaunabhängigen Forschung. Das wäre richtungsweisend für eine sozial gerechte Gesundheitspolitik.
({9})
Dieser Haushalt und das Agieren von Finanz- und
Gesundheitsminister im Koalitionsgeschacher zeigen,
wie wichtig es ist, eine stabile, zukunftssichere, ausreichende Finanzierungsgrundlage durch ein beitragsgestütztes Umlagesystem in der Krankenversicherung zu
bekommen.
Sie wissen, dass unser bevorzugtes Modell eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist. Das
ist sehr konsequent. Wir haben ein durchgerechnetes
Konzept. Ich kann Sie nur einladen, uns gemeinsam an
den Tisch zu setzen und das in Bälde umzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin
Elisabeth Scharfenberg das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Sie haben die
Organspendekampagne angesprochen. Daran möchte ich
gerne anknüpfen. Ich möchte gleich den Finger in die
Wunde legen. Seit Monaten erschüttern uns Meldungen
über ungeheure Missstände in der Transplantationsmedizin. Es gab Vorfälle in der Uniklinik Göttingen, in der
Uniklinik Regensburg und in der Uniklinik München.
Genau diese Vorfälle gefährden die wichtigste Ressource, die wir beim Thema Organspende haben - und
diese wichtigste Ressource ist das Vertrauen.
({0})
Wenn sich Menschen für eine Organspende nach ihrem Tod entscheiden, dann müssen sie auch darauf vertrauen können, dass es nicht nur gerecht, sondern auch
mit rechten Dingen zugeht. Daran können wir zweifeln,
wenn Wartelisten ohne größere Probleme manipuliert
werden können. Daran können wir auch zweifeln, wenn
der Aufklärungswille der DSO oder der Überwachungskommission bei der Bundesärztekammer eher überschaubar bleibt. Wir können daran zweifeln, wenn es zu
einer Organentnahme kommt, obwohl nicht alle Hirntodprotokolle vorliegen. Das genau ist 2005 in der
Uniklinik Düsseldorf geschehen. Das alles lässt das Vertrauen vieler Menschen in unser Transplantationssystem
schwinden. Es ist doch nachvollziehbar, dass viele Menschen den Eindruck gewinnen, dass in diesem System
vor allem getrickst und getäuscht wird.
Insofern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es
eine völlig falsche Botschaft, wenn der Bundesgesundheitsminister sagt, die Menschen mögen sich trotz dieser
Skandale bitte nicht von der Bereitschaft zur Organspende abhalten lassen. Es würden sonst weiter Menschen sterben, die dringend auf ein Spenderorgan warten.
({1})
Damit gibt er die Verantwortung an die möglichen Spenderinnen und Spender, die durch ihre Spende Leben retten - oder eben nicht. Das genau ist der falsche Weg.
({2})
Nein, meine Damen und Herren, die Botschaft dieser
Bundesregierung müsste vielmehr lauten, dass sie sich
nun mit aller Kraft für ein gerechtes, für ein unabhängiges und vor allem für ein transparentes Organspendesystem einsetzt.
({3})
Hier passiert aber im Moment leider nichts. Kosmetische
Alibimaßnahmen dieser Koalition beheben die Missstände eben nicht. Was wir hören, ist: Bloß keine staatliche Kontrolle! Bloß die ärztliche Klientel nicht verärgern!
({4})
Ein bisschen am System herumdoktern wollen Sie; aber
am liebsten wollen Sie eigentlich alles so lassen, wie es
ist.
({5})
Nein, diese Koalition ist nicht bereit, das deutsche Organspendesystem komplett auf den Prüfstand zu stellen.
Das ist aber notwendig. Jetzt muss alles offen und ehrlich auf den Tisch - jetzt endlich!
({6})
Ja, es ist richtig: Die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher sowie die zuständigen Fachabgeordneten treffen sich regelmäßig mit Vertretern des Gesundheitsministeriums. Ja, es ist gut, zu versuchen,
fraktionsübergreifend zu agieren.
({7})
Aber es ist jetzt endlich an der Zeit, dass auch Taten folgen. Uns alle haben doch die Vorfälle in Göttingen, in
Regensburg und in München erschüttert.
({8})
Was wir daraus lernen, ist, dass die Koordinierungs- und
Kontrollstrukturen im deutschen Organspendesystem offenbar unzureichend sind. Hier müssen wir doch endlich
die Konsequenzen ziehen. Deswegen müssen wir die
Koordination der Organtransplantation sowie die Aufsicht über die beteiligten Einrichtungen in die Hände einer juristischen Person öffentlichen Rechts legen. Außerdem müssen wir alle Einrichtungen, die an der
Organspende beteiligt sind, verpflichten, schon beim
bloßen Verdacht eines Rechtsverstoßes die zuständigen
Behörden zu informieren.
Die aufgetretenen Skandale zeigen uns auch, dass wir
uns die bestehenden Regeln, nach denen Organe zugeteilt werden, genau anschauen sollten. Dazu sollte eine
unabhängige Bewertung in die Wege geleitet werden.
Immer mehr Spenderorgane werden in dem sogenannten beschleunigten Verfahren an den Wartelisten
vorbei vergeben. Wir müssen genau nachvollziehen können, wo und warum das so geschieht. Nur so können wir
auch hier Manipulationen verhindern. Deshalb brauchen
wir auch ein anonymisiertes Transplantationsregister.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben als grüne Bundestagsfraktion die genannten Forderungen in Form eines Antrags eingebracht. Diesen Antrag sehen wir ganz
klar als Einladung an Sie, nun endlich konkret mit uns
gemeinsam an einer Problemlösung zu arbeiten.
({10})
Der Bundestag hat im Sommer dieses Jahres mit großer Mehrheit die Entscheidungslösung auf den Weg gebracht. Verbunden damit ist doch der Wunsch, dass die
Menschen sich mit dem schwierigen Thema der Organspende beschäftigen. Wenn Sie das wirklich ernst meinen, dann haben Sie auch die Verpflichtung, sich offen
und ehrlich mit dem enormen Reformbedarf zu befassen.
Ich denke, es ist wichtig, hier das verlorene Vertrauen
wieder einzufangen. Es reicht nicht, nur Mittel für OrElisabeth Scharfenberg
ganspendekampagnen im Haushalt einzustellen und Organspendeausweise zu verteilen.
({11})
Frau Kollegin Scharfenberg, erlauben Sie noch eine
Zwischenfrage zum Abschluss?
Ja, gerne.
Bitte schön, Otto Fricke.
Frau Kollegin, unabhängig von der Tatsache, dass Sie
mit Ihrer Rede, die zum Glück außerhalb der Fernsehzeit
stattfindet, gerade dieses Vertrauen, das wir alle langsam
wieder aufzubauen versuchen, wieder zerstören,
({0})
frage ich, da wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befinden: Erstens, welche Anträge haben Sie gestellt, um hier
etwas zu verändern? Zweitens, was ist an der gegenwärtigen Haushaltsvorlage in dem von Ihnen beschriebenen
Bereich falsch?
Wir haben uns alle gemeinsam in diesem Sommer für
die Entscheidungslösung entschieden, weil wir der festen Überzeugung waren, dass eine breite Mehrheit ein
gutes Zeichen ist, die Menschen zur Organspende zu bewegen.
({0})
Wir haben aber schon weit vorher mitbekommen, dass es
leider Probleme bzw. Unregelmäßigkeiten bei der DSO
gibt.
({1})
Wir haben damals versucht, das im Gesetz zu regeln.
Das war nicht möglich.
({2})
Ich denke, es reicht im Moment nicht mehr aus, gemeinsame Gespräche zu führen. Wir erkennen die Unregelmäßigkeiten, wir sehen, wo es Probleme gibt. Wir sehen
doch an den Umfragen, wie die Spendenbereitschaft der
Menschen zurückgeht.
({3})
Das Vertrauen ist letztendlich verspielt. Wir müssen dieses Problem endlich mit offenem Visier anpacken, sonst
ist jeder Euro, der hier investiert wird, ein Euro zu viel.
({4})
Die Redezeit ist zu Ende, Herr Spahn. Die letzte
Frage wurde schon nach Beendigung der Redezeit gestellt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Michalk von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema ist geeignet, in einer separaten Debatte unter dem
Aspekt des Vertrauens behandelt zu werden. Ich kehre
jetzt zum Tagesordnungspunkt zurück.
({0})
Wir reden heute zum Haushalt. Auch aus den Reden der
Opposition habe ich es mehr oder weniger, auch wenn es
manchmal versteckt zwischen den Zeilen war, herausgehört, dass niemanden in diesem Saal bestreitet, dass wir
in Deutschland eine leistungsstarke medizinische Versorgung entwickelt und etabliert haben, um die uns viele
Länder dieser Erde beneiden. Wir haben in der bürgerlichen Koalition zu allen Zeiten eine Politik gemacht, die
die Herausforderungen unserer Zeit betrachtet und auf
sie reagiert. Das betrifft die Einbeziehung des medizinisch-technischen Fortschritts, die demografische Entwicklung, wie schon gehört, die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse und auch die finanziellen
Rahmenbedingungen.
Ob Politik zu allen Zeiten in unterschiedlicher Regierungsverantwortung immer die richtigen Rahmenbedingungen dafür gesetzt hat, darüber kann man wirklich unterschiedlicher Meinung sein, und wir sind es. Frau
Bunge möchte, wie sie schon wieder betont hat, die Bürgerversicherung einführen. Das gilt ja auch für andere.
({1})
Wir halten diese zentralistischen Ansätze für falsch und
setzen auf wettbewerbsrechtliche Elemente im Gesundheitswesen, die sich bewährt haben.
({2})
Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind im
letzten Jahr, wie schon erwähnt, das Problem der drohenden ärztlichen Unterversorgung, die übrigens von
Frau Gesundheitsministerin Schmidt viele Jahre ignoriert wurde, angegangen, wir haben die Abschottung der
einzelnen Leistungsbereiche aufgehoben und die Gesundheitspolitik in die richtige Richtung gelenkt. Was
will ich damit sagen? Wir betrachten in Zukunft die Re25216
gionen nach medizinischen Versorgungsmerkmalen in
kleineren Einheiten und reagieren somit auf die Versorgungswirklichkeit vor Ort. Die entsprechende Umsetzung durch die Selbstverwaltung werden wir natürlich
weiterhin kritisch begleiten. Noch ist nicht alles optimal,
auch wenn die Krankenkassen zum Beispiel Beratungstelefone eingeführt haben, wo sich Versicherte mit Unterstützung der Krankenkassen um zeitnahe Termine bei
den Ärzten bemühen können. Aber wenn keine Ärzte
vor Ort sind, kann die Krankenkasse auch nicht helfen.
Das ist ein Thema, an dem wir weiter arbeiten werden. Aber die Rahmenbedingungen für eine bessere medizinische Versorgung in der Fläche sind gegeben. Die
Länder haben dabei eigene Maßnahmen entwickelt und
Projekte gestartet, um zum Beispiel Medizinstudenten
an die Region zu binden, indem sie das Studium finanzieren oder Niederlassungen durch zinsgünstige Darlehen unterstützen. Jedenfalls sind die Stimuli größer geworden, um Menschen, die medizinisch tätig sind, auch
in die Regionen zu bringen, die nicht so attraktiv sind,
wie manche meinen.
({3})
Wenn in der Fläche in strukturbenachteiligten Regionen keine Fachärzte mehr praktizieren, dann wird es
schwierig. In diesem Zusammenhang will ich noch einmal auf das Thema der integrierten Versorgung zu sprechen kommen. Es war richtig, dass die Bundesregierung
und die Koalition hier im Bundestag der integrierten
Versorgung einen höheren Stellenwert gegeben haben.
Damit haben wir ein Instrument entwickelt, das meines
Erachtens in Zukunft auch unter dem Aspekt der Abschaffung der Praxisgebühr eine größere Rolle spielen
wird und mit dem die Lotsenfunktion des Arztes unterstützt werden kann.
Mit der Förderung sektorübergreifender, interdisziplinär-fachübergreifender Versorgung über die verschiedenen Leistungssektoren hinweg haben wir den Ball in die
richtige Richtung gelenkt. Die Anschubfinanzierung ist
zum Ende des Jahres 2008 ausgelaufen, weil sie zum einen nicht zu der seit 2009 geltenden neuen Vergütungsstruktur der vertragsärztlichen Versorgung passt und
weil sich zum anderen Integrationsprojekte nach einer
gewissen Zeit selber tragen sollten.
Manche Blütenträume wurden geweckt, und manche
Projekte wurden gestartet, die es heute nicht mehr gibt.
Trotzdem ist das Instrument der integrierten Versorgung
richtig; denn damit können die Schnittstellenprobleme
bei der Versorgung besser gelöst werden, können Substitutionsmöglichkeiten über verschiedene Leistungssektoren hinweg genutzt werden, kann die Qualitätssicherung
optimiert werden und können natürlich Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden.
Dass dabei der Aufbau bzw. die Einbeziehung der Telemedizin eine weitere große Chance bedeutet, will ich
nur am Rande erwähnen. Wir haben das Ganze im Versorgungsstrukturgesetz in den richtigen gesetzlichen
Rahmen gesetzt. Wir appellieren an alle Beteiligten, dies
jetzt durchzusetzen und die richtigen Schlussfolgerungen aus dieser gesetzlichen Vervollkommnung zu ziehen.
({4})
Bei der integrierten Versorgung ist inzwischen auch
der Kreis der potenziellen Vertragspartner der Krankenkassen erweitert worden. Die Krankenkassen können
nun auch direkter mit Ärzten sowie mit Trägern von medizinischen Versorgungszentren und mit Trägern, die
nicht Selbstversorger sind, zum Beispiel Managementgesellschaften, Verträge schließen. Auch Pflegekassen
und Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI können in
diese Versorgungsverträge einbezogen werden. Mit der
letzten gesetzlichen Regelung haben wir überdies zugelassen, dass Pharmaunternehmen und Hersteller von Medizinprodukten Vertragspartner sein können. Auch hier
haben wir also eine breitere wettbewerbliche Regelung
geschaffen, die vor Ort gelebt werden muss.
Die Festlegung der Vergütung der integrierten Versorgung liegt in den Händen der Vertragspartner selbst, bis
hin zur Übernahme der Budgetverantwortung. Auch das
ist ein Wettbewerbselement, das gelebt werden muss und
von dem ich denke, dass es das richtige Instrument ist.
So wie bei der integrierten Versorgungsform haben
wir die Möglichkeiten der medizinischen Versorgungszentren optimiert, in denen auch wir eine Chance gerade
für die ländlichen Regionen sehen. Gleichwohl hat sich
bisher die Mehrzahl der insgesamt rund 1 730 MVZ in
Kernstädten oder Ober- und Mittelzentren niedergelassen. Das kann man hinterfragen. Vorwiegend sind die
Gründer nach wie vor Vertragsärzte und Krankenhäuser.
Die am häufigsten beteiligten Facharztgruppen sind
Hausärzte und Internisten.
Meine Damen und Herren: Es funktioniert. Etwa
10 000 Ärzte sind in MVZ tätig, mehr als 8 000 davon
im Anstellungsverhältnis. Das hilft besonders jungen
Männern und Frauen, Familie und ihren Beruf als Arzt
oder Ärztin zu vereinbaren.
In unserer Gesellschaft - es ist mir wichtig, das zu sagen -, in der viele Menschen Gott sei Dank viel älter als
ihre Mütter und Väter werden und trotz hohen Alters
jung im Herzen bleiben, gehen wir leider oberflächlich
davon aus, dass diese Entwicklung mit allgegenwärtiger
und umfassender Fitness von jedem Mann und jeder
Frau in jedem Alter gleichzusetzen ist.
({5})
Beides ist möglich: Junge sehen manchmal ganz schön
alt aus - um es bildlich darzustellen -, Alte manchmal
ganz schön jung.
({6})
Die Wahrheit ist, dass wir uns im Gesundheitswesen
mehr und mehr auf Barrierefreiheit einstellen müssen;
dies muss bei allen Um- und Ausbaumaßnahmen beachtet werden.
Ich denke, dass bei heute 2,4 Millionen Pflegebedürftigen, die in zwei Dritteln der Fälle zu Hause betreut
werden, eine große Leistung vollbracht wird, die wir
- trotz einzelner Beispiele für negative Umgangsweisen hier einmal öffentlich erwähnen sollten. Unser Dank und
unser hoher Respekt gelten den Pflegekräften und den
pflegenden Angehörigen.
({7})
Sie bilden eine wichtige Basis unseres Gesundheitswesens.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir betrachten das zu Ende gehende Haushaltsjahr und sagen:
Wir haben gut gewirtschaftet. Heute werden wir den
Haushalt für diesen Bereich verabschieden.
({8})
Ich will in diesem Zusammenhang auf unser Motto hinweisen: Wer sich nur an den Bedürfnissen der Älteren
orientiert, schließt die Jungen aus; wer sich nur an den
Bedürfnissen der Jüngeren orientiert, schließt die Älteren aus. Deshalb ist es richtig, dass wir an unserem generationsübergreifenden Ansatz in der Gesundheitspolitik
weiterhin festhalten.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Bärbel
Bas das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
in den Haushalt schaut und sich Ihre Bilanz anhört, dann
kann man eigentlich nur sagen: eine Bilanz ohne Glanz.
({0})
- Es tut mir leid. Schauen Sie einmal in Ihren eigenen
Haushalt: Sie sparen dort, wo Sie eigentlich gestalten
sollten, und Sie bedienen sich dort, wo Sie eigentlich
haushalten sollten.
Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben Herrn Lauterbach
vorgeworfen, er würde in einem „Paralleluniversum“ leben.
({1})
In Ihrer Welt möchte ich aber auch nicht leben. Sie reden
hier von einem Schwerpunkt im Bereich der gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung, aber man kann
deutlich sehen, dass Sie diesen Bereich seit drei Jahren
austrocknen wollen: 2013 reduzieren Sie die Mittel wieder um 5 Prozent.
({2})
Deswegen weiß ich nicht, in welcher Parallelwelt Sie
sich für gesundheitliche Aufklärung einsetzen - in meiner jedenfalls nicht.
({3})
Auf der anderen Seite scheinen Sie zu glauben, dass
es ausreicht, wenn Sie über gesunden Lebenswandel und
gesunde Arbeitsbedingungen aufklären, wenn Ihr Minister durch Betriebe läuft und ab und zu den Begriff der
betrieblichen Gesundheitsförderung im Munde führt.
Das scheint Ihnen auszureichen. Denn wir warten heute
immer noch auf Ihre Präventionsstrategie; Sie haben sie
bisher immer noch nicht abgeliefert. Wenn ich in Ihren
Haushaltentwurf schaue, dann erkenne ich, dass dafür
auch keine Mittel vorgesehen sind. Wahrscheinlich
handelt es sich um eine Strategie, die aufgrund Ihrer angeblich so tollen Regierungsarbeit, die Sie vor sich hertragen, oder aber durch Handauflegen zu einem Selbstläufer wird. Das wird aber nicht reichen; das kann ich
Ihnen an dieser Stelle schon einmal prophezeien.
Das Auslaufen der Mittel zur Förderung der Kindergesundheit, die Sie vorhin hervorgehoben haben, ist genauso falsch. Da standen mindestens 1 Million Euro
bereit. Man kann vielleicht sagen: Das ist nicht ausreichend; das war zu wenig. - Aber mit dieser Million hätten Sie neue Akzente setzen können. Das tun Sie aber
nicht, weil Sie keine Konzepte haben.
({4})
Es gibt in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts, was
Sie in diesem Bereich erreichen wollen, geschweige
denn irgendwelche Ziele, die Sie formulieren. Man kann
an dieser Stelle festhalten, dass Sie bei der Prävention,
auf einem der bedeutendsten gesundheitspolitischen Gestaltungsfelder, völlig blank sind, nichts vorlegen und
seit drei Jahren komplett versagen.
({5})
Das erscheint aus Ihrer Sicht konsequent, weil Sie im
Kerngeschäft der Gesundheitspolitik - das kann man an
der Stelle sagen - völlig versagen. Denn anders ist es
nicht zu erklären, wie Sie mit dem Gesundheitsfonds
umgehen. Sie haben nämlich in vielerlei Hinsicht den
Nachweis erbracht, dass Sie keine Ahnung haben, wie
Sie mit diesem wichtigen Element des Gesundheitssystems umgehen wollen. In völliger Verkennung der Realität hat nämlich Ihr damaliger Gesundheitsminister
Rösler bei Amtsantritt ein Milliardenloch bei den Krankenkassen herbeigeredet, wenn nicht sogar erfunden.
({6})
Der Herr Minister - und auch Herr Fricke heute Morgen;
ich habe sehr wohl zugehört - wiederholt diese Erfindung permanent. Ich habe den Eindruck: Je mehr Zeit
vergangen ist, desto größer wird die vermeintliche Lücke.
({7})
- Das sage ich Ihnen jetzt. - Schauen wir uns die Gesamtbilanz 2009 an - die Zahlen habe ich aus dem Gesundheitsministerium -: Die gesetzliche Krankenversicherung hatte mit einem Überschuss von 1,42 Milliarden
Euro abgeschlossen. Ich möchte das Loch, das Sie meinen ausgegraben zu haben, wirklich einmal sehen.
({8})
- Ich sage Ihnen, woher das kommt, was sie heute hat:
Minister Rösler hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt.
Man hat ihm die Krankenversicherung erklärt, dann hat
er plötzlich eine Panikattacke bekommen und mal eben
den Beitragssatz erhöht. Das war völlig unnötig.
Sie haben die Finanzen völlig falsch eingeschätzt.
({9})
Die durchgeführten Konjunkturprogramme haben die
Einnahmeseite deutlich erhöht.
({10})
Die Ausgabenseite haben Sie völlig falsch eingeschätzt.
Von 2004 bis 2009 wurden Sparmaßnahmen durchgeführt, die in allen Bereichen durchaus schmerzhaft waren. Sie haben ein Defizit herbeigeredet, um Angst zu
schüren, damit Sie die Beitragserhöhung durchziehen
können. Das hat dazu geführt, dass jetzt die Versicherten, die eigentlich das Recht auf Beitragsrückerstattung
hätten, herhalten müssen, damit Herr Schäuble seinen
Haushalt sanieren kann.
({11})
2 Milliarden Euro wurden bereits aus dem Fonds herausgenommen. Im nächsten Jahr werden es noch einmal
2,5 Milliarden Euro sein. Das macht 4,5 Milliarden Euro,
die der Haushaltssanierung dienen. Am Ende zahlt das
der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung und sonst niemand.
({12})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie das Gutachten des Sachverständigenrates. Dort heißt es klar und
deutlich: Den Steuerzuschuss für versicherungsfremde
Leistungen zurückzufahren, ist der falsche Weg. Das
entlastet zwar alle Steuerzahler; aber die GKV-Beitragszahler werden dadurch nicht stärker entlastet, weil sie
das Ganze finanziert haben. Mit den Beiträgen finanzieren Sie Ihren politischen Kuhhandel.
({13})
Seien Sie doch so ehrlich und erklären Sie den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung, warum Sie im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro und danach noch einmal 2 Milliarden Euro aus dem Fonds
nehmen. Das machen Sie doch nur, um das Betreuungsgeld und die Autobahn in Bayern, die Sie ausbauen wollen, zu bezahlen und um Ihr Versagen bei der Deckung
des Bundeshaushalts zu kaschieren. Diese Plünderung
der sozialen Sicherungssysteme machen wir nicht mit.
Deshalb werden wir Ihren Haushalt ablehnen.
({14})
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort dem Kollegen Lothar Riebsamen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Nach den schwierigen Jahren zu Beginn dieser Legislaturperiode, als wir leider neue Schulden in einer Größenordnung von über 80 Milliarden Euro machen mussten,
nach schwierigen Jahren auch in der gesetzlichen Krankenversicherung, als wir mit einem Defizit von 11 Milliarden Euro gerechnet haben, macht es Freude, sich mit
diesem Haushalt auseinanderzusetzen.
({0})
Verehrter Herr Lauterbach, es greift deutlich zu kurz,
wenn Sie die Erfolge dieser Regierung auf die Beitragssatzerhöhung reduzieren. Ich darf daran erinnern, dass
wir exakt den gleichen Beitragssatz haben wie zu der
Zeit, als das Gesundheitsministerium noch in sozialdemokratischer Hand war. So können Sie also die Erfolge
und die Zahlen nicht erklären, die wir durch die Rücklagen im Gesundheitsfonds und bei den gesetzlichen Krankenversicherungen vorzuweisen haben.
Es macht mich besonders stolz, dass wir in einer
schwierigen Zeit auf europäischer Ebene zusammen mit
anderen Ländern nicht nur Regeln vorgeben, sondern
diese Regeln selber auch einhalten können. Wir leben
das vor und zeigen, dass es geht.
({1})
Ich sage aber auch, dass dieser Haushalt kein Selbstläufer ist. Wir leben in einer konjunkturellen Phase, die
eher an Dynamik nachlässt. Des Weiteren leben wir mit
den Risiken im europäischen Umfeld. Nach wie vor haben wir es - Gott sei Dank - mit einer sehr positiven demografischen Entwicklung zu tun. Wir leben in einer
Zeit, in der wir alle in Gesundheit älter werden, in einer
Zeit hervorragenden medizinischen Fortschritts. Auch
dafür müssen wir in Zukunft Lösungen finden, und wir
werden sie finden.
Ich frage mich nur, wie man in einer Zeit, in der wir
uns mit der Problematik auseinandersetzen, die gute Situation in Deutschland zu sichern, auf die Idee kommen
kann - wie Verdi es in den vergangenen Tagen getan
hat -, nun auch noch die Vollkaskoversicherung in der
Pflege einzufordern, meine Damen und Herren.
({2})
Das überfordert unser System, das überfordert unsere
Wirtschaft, das überfordert unsere Menschen. So fahren
wir unser Gesundheitssystem im Zweifel tatsächlich an
die Wand. Ich fordere auch die Opposition auf, auf Verdi
einzuwirken, dass sie es zukünftig unterlassen, den Menschen Sand in die Augen zu streuen.
Wir haben die derzeitige Situation erreicht, weil wir
an manchen Stellen mehr Geld in die Hand genommen,
an anderen Stellen eingespart, aber auch strukturelle Verbesserungen erreicht haben.
({3})
Im Bereich der Pflege haben wir mehr Geld - 1,1 Milliarden Euro - in die Hand genommen. Wir haben das
durch eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozent erreicht.
({4})
Das war angesichts der Tatsache, dass von insgesamt
2,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in unserem
Land 1,5 Millionen Menschen zu Hause gepflegt werden, ein wichtiger Schritt. Es ist eine Wertschätzung gegenüber den pflegenden Angehörigen, dass wir Geldleistungen in diesem Bereich deutlich erhöhen sowie zum
ersten Mal im ambulanten Bereich auch Demenz berücksichtigen. Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
sorgen wir dafür, dass zukünftig Menschen, die den
Wunsch haben, ihre letzten Lebensjahre oder Lebensmonate zu Hause zu verbringen, das auch können. Auch darauf dürfen wir stolz sein.
({5})
Vor allem im Arzneimittelbereich haben wir durch
eine Verminderung der Ausgaben in Form von Rabatten
Sofortmaßnahmen ergriffen. Auch hier haben wir mit
dem AMNOG deutliche strukturelle Verbesserungen erreicht. Zum ersten Mal kann die pharmazeutische Industrie ihre Preise für neue Medikamente nicht mehr selber
festlegen, sondern sie muss - wie dies in einer sozialen
Marktwirtschaft normal und in einem Wettbewerb üblich
ist - die Preise mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandeln. Auch dies war ein wichtiger Schritt, der längst
überfällig war.
({6})
Auch im Bereich der Krankenhäuser haben wir Sofortmaßnahmen ergriffen. In der Tat ist es so, dass die
Krankenhäuser für das Jahr 2012 nicht die volle Grundlohnrate erhalten haben, sondern nur eine reduzierte. Die
Tarifverträge für das Jahr 2012 und auch für das Jahr
2013 liegen über dieser zugestandenen Grundlohnrate.
Deswegen haben wir Soforthilfe geleistet. Wir haben mit
über 300 Millionen Euro den Krankenhäusern für das
Jahr 2012 einen Tarifausgleich zur Verfügung gestellt.
Ich verstehe, dass Krankenhäuser, die das bei uns
auch so eingefordert haben, Briefe geschrieben haben.
Ich will noch weiter gehen: Ich verstehe ebenso Krankenhäuser, die das Gleiche jetzt auch für das Jahr 2013
fordern, weil trotz dieser Maßnahmen das eine oder andere Krankenhaus für das Jahr 2012 mit einem Defizit zu
rechnen hat. Ich verstehe aber nicht, dass Bundesländer,
die diese schlimme Situation für viele Krankenhäuser
mit verschuldet haben, nun massiv vom Bund Geld einfordern, weil sie selber ihre Hausaufgaben nicht gemacht
haben.
({7})
Es ist klipp und klar geregelt, dass die Länder für die Investitionen der Krankenhäuser aufzukommen haben.
Noch nicht einmal ansatzweise tun sie das. Deswegen
kann es nicht sein, dass nun ausgerechnet die Länder
kommen und einen Ausgleich für die Krankenhäuser
einfordern.
Ich möchte noch weiter gehen. Was den Krankenhausbedarfsplan anbelangt, waren wir in diesem Hohen
Haus einmal weitgehend der Meinung, dass mit der Einführung der DRG das Ziel verfolgt wurde, die Zahl der
Betten in den Krankenhäusern, in denen es zu viele
Betten gab - heute gibt es zum Teil immer noch zu viele
Betten -, zu reduzieren. Auch die Zahl der Krankenhäuser sollte reduziert werden. Nicht ausgemacht war, dass
sich die Länder mehr oder weniger aus der Krankenhausbedarfsplanung zurückziehen und es der Kommunalpolitik, also den ehrenamtlichen Kreis- und Stadträten ganz allein überlassen, Abteilungen oder sogar ganze
Krankenhäuser zu schließen. Wenn die Conclusio ist,
dass die Länder keine Krankenhausbedarfsplanung mehr
betreiben und nicht in ausreichendem Maße Investitionsmittel zur Verfügung stellen, dann müssen wir uns
fragen, ob es nicht notwendig ist, dass wir uns auf Bundesebene mit strukturellen Fragen der Krankenhausfinanzierung und der Krankenhausbedarfsplanung auseinandersetzen. Vielleicht müssen wir uns die Frage
stellen, ob das, was wir getan haben, richtig war.
Die blinkende Lampe zeigt mir an, dass meine Redezeit zu Ende ist. Daher nur noch ein letzter Satz zum
Thema Psych-Entgelte. Ich weiß, dass die psychiatrischen Krankenhäuser mit der derzeitigen Situation Probleme haben.
({8})
Ich weiß, dass sie die zur Verfügung gestellten Mittel
nicht als ausreichend ansehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass dies ein lernendes System ist, dass die ersten vier Jahre vollkommen
budgetneutral sind und dass die Übernahme des neuen
Entgeltsystems in den ersten beiden Jahren auf freiwilliger Basis erfolgt. Ich möchte an alle Beteiligten appellieren, nicht nur die Probleme zu sehen - auch ich sehe einige Probleme; das ist ja auch kein Wunder, wenn man
erst am Anfang steht -, sondern auch die Chancen. Das,
was wir hier machen, ist nicht nur die überfällige Anpassung des Entgeltsystems. Es liegt im Interesse unserer
Patientinnen und Patienten, dass der ambulante Bereich
gestärkt wird. Wir können ihn aber nur stärken, wenn
wir dieses Entgeltsystem einführen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11511. Wer
stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Linken mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11512. Wer
stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11515. Wer
stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11516. Wer
stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Dieser
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Linken und Enthaltung
von SPD und Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Einzelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 15 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 21. November 2012,
10.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.