Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/26/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern - Drucksache 17/11048 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({0})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es soll hierzu eineinhalb Stunden debattiert werden. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die Bundesregierung der Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. ({1})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Formen des Zusammenlebens der Menschen in unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich verändert. Seit Jahren gibt es eine ansteigende Zahl von Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind. 15 Prozent betrug der Anteil 1995 und 33 Prozent im Jahr 2010. An diese Entwicklung muss auch unser Familienrecht angepasst werden, was die Stellung der nicht verheirateten Eltern, von Mutter und Vater, im Interesse des Kindeswohls angeht. Bisher galt: Mütter haben mit Geburt das alleinige Sorgerecht für ihr nicht eheliches Kind. Väter konnten die Zustimmung der Mutter nicht einklagen, bis das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Schlechterstellung der nicht verheirateten Väter ausdrücklich beanstandet haben. Genau da setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung an. Er orientiert sich an dem Leitbild der gemeinsamen Sorge auch der nicht verheirateten Eltern für ihr Kind. Wir legen zugrunde, dass es das Beste ist, wenn sich beide Elternteile, auch wenn sie nicht verheiratet sind, um ihr Kind oder ihre Kinder kümmern - es sei denn, das Kindeswohl steht dem ausdrücklich entgegen. Der Gesetzentwurf will diese Interessen, die im Raum sind - der Mutter nach der Geburt, des Vaters und natürlich des Kindes -, in Einklang bringen. Damit eines ganz klar ist: Wenn Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, sich einigen, dann brauchen wir eigentlich überhaupt keine gesetzlichen Regelungen. Da, wo man sich verständigt - möglichst früh und vielleicht schon vor der Geburt statt erst nach der Geburt -, hat der Gesetzgeber keine Vorgaben zu machen. Deshalb befasst sich der Gesetzentwurf mit den Lebensgestaltungen und Lebenssituationen - diese sind in unserer Gesellschaft sehr vielfältig -, in denen es nicht zu einer Einigung der beiden Elternteile, von Mutter und Vater, kommt. Wir regeln Folgendes: Es bleibt beim Grundsatz, wie er bis heute gilt: Die Mutter hat mit der Geburt die alleinige Sorge. Natürlich gibt es andere Modelle in der Diskussion und auch in der Beratung dieses Gesetzentwurfes. Bei der Erstellung des Gesetzentwurfes haben wir die verschiedenen Modelle in den Blick genommen. Die gemeinsame Sorge von Geburt an für die nicht verheirateten Eltern ist ein Modell, dem auch wir als FDP einiges abgewinnen konnten. Aber natürlich gibt es auch Argumente dagegen. Denn was ist, wenn eine Beziehung der Eltern nicht besteht oder wenn sie nur ganz lose war und in einem oder mehreren kurzen Treffen bestand, sodass es keine enge Verknüpfung gibt? Soll da immer von Geburt an die gemeinsame Sorge bestehen? Das sind die Argumente, die wir abgewogen haben. Wir haben uns in der Koalition entschieden, zu sagen: Mit Geburt hat die Mutter die alleinige Sorge. Aber der Vater, der in seinen Rechten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden ist, kann natürlich beantragen, die gemeinsame Sorge mit der Mutter auszuüben. Er kann auch sagen, dass es aus sei24540 nem Blickwinkel am besten ist, wenn er derjenige ist, der die alleinige Sorge für das gemeinsame Kind hat. Die Gründe kann er in einer Erklärung niederlegen und einen entsprechenden Antrag stellen. Natürlich hat dann die Mutter die Gelegenheit - das ist doch selbstverständlich und unverzichtbar -, zu sagen, wie sie zu diesem Antrag auf gemeinsame Sorge steht. Wenn es Gründe gibt, dass es aufgrund des Kindeswohles angemessener wäre, das Sorgerecht für das Kind allein bei der Mutter zu belassen, dann kann die Mutter diese nicht nur vortragen, sondern dann sollte sie diese unbedingt vortragen. Dann müssen die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen - immer gemessen am Wohl des Kindes - in einem Verfahren beim Familiengericht geklärt werden. Das Familiengericht wird auf der Grundlage der bestehenden Regelungen zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen kommen. Darüber hinaus ist es den Elternteilen freigestellt, zum Jugendamt zu gehen. Das Jugendamt kann natürlich beraten sowie Anregungen und Hilfestellungen geben. Wir sehen aber nicht vor, dass das in jedem Fall zwingend zu erfolgen hat. Ich glaube, wir müssen den Elternteilen nicht vorschreiben, dass sie sich in jeder Situation immer und zuallererst an das Jugendamt wenden müssen. Es ist aber gut, wenn sie diese Anlaufstelle und die dort vorhandene Kompetenz und vorhandenen Erfahrungen meinen, für sich in Anspruch nehmen zu wollen. Das ist ihnen, wie gesagt, freigestellt. Auch in Debatten im Deutschen Bundestag zu anderen rechtspolitischen Anträgen ging es um die Frage, warum mit diesem Gesetzentwurf ein zügigeres Verfahren vorgesehen werden soll, ein vereinfachtes und ein beschleunigtes Verfahren zur Entscheidung über die Frage, ob das Sorgerecht beiden Elternteilen und damit auch dem Vater übertragen wird. Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass dieses Verfahren nur für eine ganz bestimmte Situation gilt, wenn nämlich die Mutter bezüglich des Antrags des Vaters keine Gründe vorträgt, warum dieser Antrag auf gemeinsame Sorge sich gegen das Kindeswohl richtet, sie sich in der Sache also überhaupt nicht einlässt. Dazu sagen wir: Wenn dem Gericht nicht sowieso schon andere Gründe vorliegen, die selbstverständlich zu berücksichtigen sind, dann hat es in einem schriftlichen Verfahren, in dem man natürlich wiederum alle Gründe vorbringen kann, zu entscheiden. Wenn sich in diesem schriftlichen Verfahren herausstellt, dass die Situation doch eine andere ist, als sie sich im Antrag des Vaters darstellt, dann - das ist ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs und in den Verweisen dargelegt - kann natürlich unter Einhaltung einer bestimmten Frist in einer Anhörung alles erörtert werden, was wichtig ist. Ich glaube, damit tragen wir den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, die Rechte der Väter im Falle nicht verheirateter Eltern eindeutig zu stärken. Wir belassen es bei der alleinigen Sorge der Mutter mit der Geburt. Im Verfahren muss dann aber den Rechten der Väter Rechnung getragen werden. Wir verbinden die unterschiedlichen Interessenlagen in einer angemessenen Weise miteinander. Dem Vater wird mit dem Verfahren für den Fall eine Möglichkeit eröffnet, seine Situation darzulegen, dass sich die Mutter nicht mit der Nennung von Gründen, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, einbringt. Ich freue mich auf spannende und angeregte Beratungen im Rechtsausschuss und in den anderen Ausschüssen. Das ist ein wichtiges Thema, das viele Menschen in unserer Gesellschaft berührt. Deshalb ist der heutige Tag ein guter Tag, an dem wir erstmals nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über gesetzliche Regelungen beraten. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bundesjustizministerin, es ist in der Tat ein wichtiges Thema. Das Thema, über das wir heute Morgen debattieren, brennt vielen Hunderttausend Vätern, Müttern und auch Kindern auf den Nägeln. Sie haben es gesagt: In Deutschland wird inzwischen jedes dritte Kind nicht ehelich geboren. In den ostdeutschen Bundesländern sind es sogar über 60 Prozent der Kinder. Das Ganze ist also überhaupt kein Randthema. In diesen Zahlen spiegelt sich gesellschaftlicher Wandel wider, der in den letzten Jahren und Jahrzehnten stattgefunden hat. Vor etwa 40 Jahren hatten wir in Deutschland eine komplett andere Rechtslage. Nicht eheliche Kinder waren sogenannte Niemandskinder. Sie waren mit ihrem Vater nicht einmal verwandt. Sie waren von der Erbfolge ausgeschlossen. Sie hatten nicht einmal einen Anspruch auf einen Pflichtteil. Sie hatten keinen eigenen Unterhaltsanspruch. Auf der anderen Seite hatte der Vater keinen durchsetzbaren Anspruch auf Umgang mit dem Kind, geschweige denn die Möglichkeit, überhaupt eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das alles hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. Das ist auch gut so. ({0}) Denn Kinder haben ein Recht auf liebevollen Umgang mit beiden Elternteilen, egal ob sie einen Trauschein haben oder nicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor etwa drei Jahren und das Bundesverfassungsgericht vor zweieinhalb Jahren hatten uns die Aufgabe gegeben, dieses Sorgerecht weiterzuentwickeln. Gesetzliches Leitbild soll die gemeinsame Sorge sein. Es soll nicht mehr prinzipiell an dem Veto eines Elternteils scheitern. Auch das ist gut so. Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Ursprünglich war ein solcher Gesetzentwurf für das Jahr 2010 angekündigt. Da ist nichts passiert. Dann kam die Ankündigung für 2011. Auch da ist nichts passiert. Jetzt haben wir Ende 2012. Obwohl sich die Bundesregierung zweieinhalb Jahre Zeit gelassen hat: Der ganz große Wurf - das sage ich vorweg - ist es nicht geworden. Ich will nicht verkennen, dass eine gesetzliche Neuregelung vor allen Dingen mit drei Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Erste Schwierigkeit. Die Debatte über die Ausgestaltung der elterlichen Sorge - das wissen wir alle - wird sehr emotional, sehr leidenschaftlich und teilweise auch sehr verbissen geführt. Es gibt im Wesentlichen zwei Lösungsmodelle, die seit Jahren diskutiert werden. Das eine ist die sogenannte Antragslösung, bei der der Vater vor Gericht gehen muss, um eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das andere ist die Widerspruchslösung, die beiden Eltern zunächst einmal das Sorgerecht zuweist. Wenn dies dann aber nicht sachgerecht ist, weil sich beispielsweise der Vater schon vor der Geburt aus dem Staub gemacht hat, dann muss die Mutter zum Gericht gehen, um daran etwas zu ändern. Diese beiden Lösungsmodelle stehen sich sehr unversöhnlich gegenüber. Der eine zeigt auf den anderen und fragt: Warum muss bei deinem Modell der Vater zum Gericht laufen? Dieser wiederum fragt zurück: Warum muss das bei deinem Modell die Mutter tun? Ich glaube, dass eine gesetzliche Neuregelung im Sinne der Kinder Brücken bauen muss. Die Kinder leiden am meisten darunter, wenn sich ihre Eltern über das Sorgerecht streiten, was zu der misslichen Situation führen kann, dass ein Elternteil den anderen verklagt. Eine gesetzliche Regelung muss die Gemeinsamkeiten der Eltern fördern und nicht den Streit. Das ist in diesem Gesetzentwurf noch nicht richtig gelungen. ({1}) Zweite Schwierigkeit. Hinter dem Thema Sorgerecht für nicht verheiratete Eltern - Sie haben das angesprochen verbergen sich ganz unterschiedliche Fallgruppen: angefangen bei den Eltern, die auch ohne Trauschein ein Leben lang zusammenbleiben und sich gemeinsam rührend um ihre Kinder kümmern bis hin zu den flüchtigen Bekanntschaften, bei denen der Vater schon lange vor der Geburt verschwunden ist. Eine gesetzliche Neuregelung muss das Kunststück fertigbringen, all diesen Fallgruppen gerecht zu werden. Das ist kein leichtes Unterfangen. Schließlich die dritte Schwierigkeit. Jede noch so gut gemeinte gesetzliche Regelung auf dem Papier ist darauf angewiesen, dass die Eltern sie vor Ort im Alltag verantwortungsbewusst und einvernehmlich umsetzen. Wenn die Eltern das nicht tun, wenn sie beispielsweise ihre Konflikte auf dem Rücken der Kinder austragen, dann läuft jede noch so gute Regelung vollkommen ins Leere. Deshalb muss es doch das Ziel einer gesetzlichen Regelung sein, die Eltern zu unterstützen und da, wo Konflikte vorhanden sind, diese Konflikte mit den Eltern zu bereden und sie nicht alleine zu lassen. ({2}) Den Eltern muss gesagt werden: Ihr habt ein gemeinsames Kind. Seid für euer Kind da. Es braucht Vater und Mutter. Lasst uns einmal gemeinsam schauen, wie wir hier zu einer vernünftigen Lösung kommen. Aber was bewirkt dieser Gesetzentwurf, zumindest in Teilen? Ich sage es ganz offen: Die Eltern werden im Regen stehen gelassen. Sie haben es bereits angesprochen: In einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren soll beispielsweise ein Familienrichter über das Sorgerecht in Konfliktfällen entscheiden. Der Pferdefuß dabei ist: Er soll das tun, ohne jemals Vater oder Mutter gesehen, geschweige denn mit ihnen gesprochen zu haben. Auch das Jugendamt ist außen vor. Der Richter entscheidet nur nach Aktenlage. Die Eltern sind außen vor. Sie werden zu Zaungästen des gesamten Verfahrens. Das ist doch ein Unding. ({3}) So löst man keine bestehenden Konflikte, sondern man verschärft sie nur. Da Sie so mit Hunderttausenden von Vätern und Müttern umspringen, sprechen Sie in diesem Zusammenhang in Zukunft bitte nicht mehr von starken Familien und starken Eltern. ({4}) Auch die Familienrichter stöhnen schon und fragen: Wie sollen wir in diesem vereinfachten Verfahren eigentlich entscheiden? Wie sollen wir in Zukunft solche schwerwiegenden Entscheidungen über die Ausübung des Sorgerechts über die Köpfe der Betroffenen - der Väter, der Mütter, der Kinder - hinweg treffen können? Meine Damen und Herren, hier geht es um das Wohl vieler nicht ehelicher Kinder in unserem Land. Über das Kindeswohl entscheidet man nicht nach Aktenlage. ({5}) Das Kindeswohl eignet sich nicht für schwarz-gelbe Experimente. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf in den kommenden Wochen sehr kritisch begleiten. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben vor einem knappen Jahr unsere Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam schauen: Was sind die besten Lösungen für die betroffenen Väter, für die Mütter, aber vor allen Dingen auch für die betroffenen Kinder? Recht herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion ergreift jetzt die Kollegin Andrea Voßhoff das Wort. ({0})

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, heute liegt der Gesetzentwurf der christlich-liberalen Koalition zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern endlich vor. Wir haben dieses Thema in diesem Hause schon oft genug diskutiert, zuletzt noch bei der Haushaltsberatung. Ich glaube, wir sind uns, auch wenn wir später hinsichtlich der Ausgestaltung sicherlich noch streiten werden, dem Grunde nach sicherlich einig: Das Sorgerecht ist im Bereich des Familienrechts immer eine besondere Herausforderung für den Gesetzgeber. Es muss nämlich höchst unterschiedlichen Lebens- und Beziehungssituationen, in die Kinder heutzutage hineingeboren werden, gerecht werden. Auch aus diesem Grund haben wir in der Koalition die Vorlage des heutigen Entwurfs sehr ausführlich, sehr intensiv und sehr zeitaufwendig beraten, und zwar, wie ich finde, mit einem guten Ergebnis. Wir haben - dies ist schon betont worden - eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungsmodelle miteinander diskutiert. Herr Lischka, Sie und auch die Ministerin haben es erwähnt: Ob Widerspruchslösung oder Sorgerecht ab Geburt - es müssen sehr divergierende Interessen austariert werden. Sie haben unsere Überlegungen und auch die Erarbeitung des heutigen Entwurfs als Opposition begleitet, im Wesentlichen sachlich. Ich glaube, das gebietet das Thema auch. Es eignet sich nicht für parteipolitische Präsentation und Darstellung. Vielmehr sollten wir im Interesse der Kinder, der Eltern und der Familie eine sachgerechte Diskussion darüber führen. Ich freue mich darüber, dass das bisher weitgehend gelungen ist. ({0}) Könnte man diesem Gesetzentwurf eine Überschrift geben, die das Leitmotiv treffend zum Ausdruck bringt, so müsste die Überschrift dieses Gesetzentwurfes eigentlich lauten: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Wir implantieren die gemeinsame elterliche Sorge als Leitbild ins Sorgerecht, und zwar in den Fällen, in denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind und über das Sorgerecht keine Einigung finden können. Wir alle wissen: Nach bisherigem Recht - das ist heute schon gesagt worden - erhielten Eltern, die nicht miteinander verheiratet waren, das gemeinsame Sorgerecht nur, wenn sie heirateten oder sich übereinstimmend für die gemeinsame elterliche Sorge entschieden haben. Wir wissen auch: Neben dem EGMR hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 festgestellt, dass der Gesetzgeber dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes eingreift, dass er ihn generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab des Kindeswohls eingeräumt wird. Der Gesetzgeber war daher gefordert, diesen nach der bestehenden Rechtslage möglichen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht des Vaters zu korrigieren. Das tun wir heute mit diesem Gesetzentwurf. Es ist bereits gesagt worden: Die gesellschaftliche Entwicklung auch der Familien ist seit der letzten großen Kindschaftsrechtsreform nicht stehen geblieben. Der Prozentsatz der nicht ehelich geborenen Kinder hat, gemessen an der Gesamtzahl der Geburten, stetig zugenommen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Heutzutage wird etwa jedes dritte Kind nicht ehelich geboren, in den neuen Bundesländern liegt die Zahl der nicht ehelich geborenen Kinder sogar bei über 61 Prozent. Der weit überwiegende Teil dieser Kinder lebt dabei durchaus in stabilen Verhältnissen. Viele Eltern sehen zwar - was ich bedaure - keinen Grund für eine Heirat, wollen sich aber - und das ist sehr zu begrüßen - gemeinsam um ihr Kind kümmern und geben entsprechende Sorgerechtserklärungen ab. Die Statistik besagt, dass dies in über 50 Prozent der Fälle geschieht. Das ist gut so. Wir alle würden uns sicherlich darüber freuen, wenn dieser Prozentsatz steigen würde. Ebenso ist erfreulich, dass immer mehr nicht verheiratete Väter eine echte Vaterrolle übernehmen und deshalb mitsorgeberechtigt sein wollen. Es muss daher unser Ziel sein, möglichst viele Eltern dazu zu bewegen, sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden, die elterliche Sorge gemeinsam tragen zu wollen. Darin sind wir uns vielleicht auch noch einig: Eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Eltern ist um ein Vielfaches besser als ein gesetzlicher Automatismus oder ein Gerichtsurteil, durch welches das Sorgerecht zwangsweise geregelt wird. Das ist für uns als Union auch vom christlichen Menschenbild her eine wichtige Zielvorgabe. Es ist immer besser, wenn der Staat etwas nicht regeln muss, weil die Familie es selbst regeln kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine gesetzliche Neuregelung aber eindeutig für die Fälle, in denen die Eltern sich eben nicht einvernehmlich über die Sorge verständigen können. Ich sagte es bereits: Nach der bisherigen Gesetzeslage hatte es die Mutter in der Hand, darüber zu entscheiden, ob auch der Vater an der elterlichen Sorge beteiligt werden sollte oder nicht. Der Gesetzgeber hatte seinerzeit bei der Kindschaftsrechtsreform gute Gründe, dies so zu regeln. Wir erinnern uns: Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 anerkannt, indem es sagte, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass eine Verweigerungshaltung der Mutter von schwerwiegenden Gründen mit Blick auf die Wahrung des Kindeswohls getragen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Wertung in seiner Entscheidung von 2010 jedoch geändert: Es könne nicht angenommen werden, dass die Zustimmungsverweigerung in aller Regel auf Gründen beruht, die mit der Wahrung des Kindeswohls zusammenhängen. - Wir wissen auch aus einem vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben, dass in vielen Fällen eine gemeinsame Sorge aus Gründen verweigert wird, die vielleicht verständlich sind, aber nicht unbedingt einen Bezug zum Kindeswohl haben. Wir alle kennen auch die vielen Zuschriften von Väterinitiativen, die seit Jahren um eine Beteiligung an der elterlichen Sorge kämpfen. Mit der Entscheidung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts haben sie ihrem Anliegen nicht nur Gehör verschafft; durch die Entscheidung der genannten Gerichte ist der Gesetzgeber nunmehr gezwungen, eine Reform des Sorgerechts vorzunehmen. Wir haben Ihnen diesen Gesetzentwurf heute in erster Lesung vorgestellt. Ich glaube, wir haben einen ausgewogenen und die Interessen aller Beteiligten durchaus berücksichtigenden Entwurf vorgelegt. Er soll den nicht mit der Kindesmutter verheirateten Vätern im Lichte der zwischenzeitlich eingetretenen gesellschaftlichen Entwicklungen auch bei fehlender Zustimmung der Mutter den Zugang zur elterlichen Sorge ermöglichen. Wir haben uns dabei von drei zentralen Gesichtspunkten leiten lassen: Erstens. Für uns gilt der Grundsatz - ich sagte es -: Jedes Kind braucht Vater und Mutter. Das ist ein Leitmotiv, das für uns von der Union auch im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von besonderer Bedeutung ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung festgestellt, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen. Das bedeutet, dass Väter am Sorgerecht beteiligt werden müssen, ohne dass dies ausschließlich vom Willen der Mutter abhängen darf. Die gemeinsame elterliche Sorge soll, wenn möglich, der Regelfall sein, weil es nach unserer Überzeugung das Beste fürs Kind ist. Ich komme damit zum zweiten Punkt. Wir wollen, dass in den Fällen, in denen sich die Eltern uneinig sind und um die Sorge streiten, ein Familiengericht eingeschaltet wird. Es gibt verschiedene Entwurfsmodelle aus den Oppositionsfraktionen, die zum Teil vorsehen - beim Modell der Grünen ist das der Fall -, dass das Jugendamt entscheidet. Das halten wir für falsch. Wir wollen, dass das Familiengericht eingeschaltet wird und prüft, ob das Kindeswohl Schaden nehmen würde. ({1}) Drittens. Wir wollen, dass für die Beteiligten möglichst früh Klarheit geschaffen wird, wie sich die sorgerechtliche Verantwortung verteilt. Jetzt komme ich zur Ausgestaltung. Ich will es nicht in aller epischen Breite darstellen; das werden die nachfolgenden Redner sicherlich noch im Detail tun. Herr Kollege Lischka, ich weiß - auch uns erreichen Zuschriften -: Das vereinfachte Verfahren wird kritisch betrachtet. Ich finde es nur nicht angemessen, wenn Sie hier sagen, dass wir die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als „Zaungäste“ betrachten. Sie vergessen bei dieser Argumentation immer, dass die Mutter aufgefordert wird, Stellung zu nehmen, innerhalb von sechs Wochen nach der Geburt - schriftlich, mündlich. Der Normalfall wird doch sein, Herr Kollege Lischka, dass die Mutter von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, wenn sie Gründe nennen kann - Sie muss sie künftig vortragen -, die das Kindeswohl betreffen. ({2}) Deshalb ist es falsch, die Behauptung aufzustellen, wir würden die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als „Zaungäste“ betrachten. Nur in dem Fall, dass sich die Mutter gar nicht äußert und das Gericht keine Erkenntnisse hat, kommt das beschleunigte Verfahren zum Zuge. Warum soll es das? Weil es auch im Interesse der Beteiligten, der Eltern und des Kindes, ist - das gehört zum dritten Punkt, den ich vorhin genannt habe -, dass diese Entscheidung schnell gefällt wird, wenn es keine Gründe dafür gibt, das Verfahren mit Anhörung aller Beteiligten einschließlich Jugendamt in extenso durchzuführen. Ich kenne und höre die kritischen Anmerkungen, die es dazu gibt. Wir werden eine Anhörung haben und uns mit den Argumenten sehr wohl noch einmal auseinandersetzen. Die Vorschläge aus der Opposition in dieser Frage bedeuten für die Eltern, insbesondere für den Vater, enorme Hürden. ({3}) Der Vater hätte sozusagen mit sämtlichen Behörden zu tun, vom Standesamt über das Jugendamt bis hin zum Gericht. Das sind enorme Hürden für den Vater, der das Sorgerecht möchte; es ist letztendlich auch für die Mutter belastend, die sich mit ihm darüber nicht einigen kann. Meine Damen und Herren, ich finde, es ist aller Mühen wert, dass wir uns in der Anhörung sehr intensiv mit diesem Entwurf befassen. Er ist ein gelungener Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen. Die Überschrift des Gesetzes hätte eigentlich lauten müssen - ich sagte es eingangs -: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Ich finde, dieser Gesetzentwurf leistet einen guten Beitrag. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Jörn Wunderlich das Wort. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich bin Vater, aber habe kein Recht, für mein Kind zu sorgen.“ So oder so ähnlich lautete die Beschwerde, die Anlass für eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009 und für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 war, um die bis dahin geltende Regelung der elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern neu zu regeln. Die Rechtslage bis dato war: Mutter wurde man durch Geburt des Kindes, sorgeberechtigter Vater durch eine gemeinsame Sorgerechtserklärung oder durch Heirat der Kindesmutter. Der ledige Vater hatte keinerlei Möglichkeiten, das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Kindesmutter zu erlangen. Zur gesamten familienrechtlichen Historie hat der geschätzte Kollege Lischka schon ausführlich gesprochen. Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet wie folgt: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Was sagt dieser Art. 6 aus? Inwieweit bezieht sich das Bundesverfassungsgericht darauf? Ich zitiere aus der Entscheidung vom 21. Juli 2010, in der es heißt: Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gebietet es auch nicht, Väter nichtehelicher Kinder generell mit wirksamer Anerkennung ihrer Vaterschaft … kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen. Allerdings heißt es in den Gründen drei Absätze weiter: Dies hindert den Gesetzgeber allerdings nicht daran, angesichts des Umstandes, dass immerhin für die Hälfte der nichtehelichen Kinder eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern begründet wird, den Vater eines nichtehelichen Kindes mit der rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft zugleich kraft Gesetzes in die Sorgetragung für das Kind mit einzubeziehen … Das heißt, wir als Gesetzgeber sind nicht gehindert, es gleichwohl so zu regeln, auch wenn es gegenwärtig nicht geboten ist. Nun gibt es verschiedene Lösungsansätze: die gemeinsame Sorge per Gesetz; die Widerspruchslösung, das heißt, man kann Widerspruch gegen die gemeinsame Sorge einlegen; die Antragslösung, das heißt, gemeinsame Sorge nur auf Antrag des Vaters. Für jede Lösungsvariante kann jeder zum Teil extreme Beispiele anführen, sowohl positive als auch negative. Welche ist die beste? Welche kommt den Interessen des Kindes am nächsten? Welche benachteiligt keinen Elternteil? Jetzt liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Das ist so eine Art modifiziertes Antragsmodell; wir haben schon gehört: ein Kompromissvorschlag, über den lange beraten worden ist, wobei ich das Ergebnis als nicht unbedingt sehr gelungen betrachte. ({0}) - Danke, Frau Voßhoff, ich finde es toll, dass Sie so viel Wert auf mein Urteil legen. Das freut mich. ({1}) - Das auch. ({2}) Es ist und bleibt allerdings problematisch - das ist schon dargelegt worden -, dass im Falle der Nichteinigkeit der Eltern Familiengerichte unter gewissen Voraussetzungen im Schnellverfahren ohne Anhörung der Beteiligten über die elterliche Sorge entscheiden können. Das FamFG soll dahin gehend geändert werden, dass ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendamtes entschieden werden kann, wenn keine Gründe vorgetragen werden oder ersichtlich sind, die dem Kindeswohl entgegenstehen. Nun ist richtig: Justitia soll ohne Ansehen der Person entscheiden. Aber von „ohne Anhören“ habe ich nichts gelesen. ({3}) Kindeswohlfragen nach Aktenlage zu entscheiden, halte ich aus meiner Sicht als Familienrichter für völlig neben der Sache. Wir haben im Familienrecht bereits ein beschleunigtes Verfahren; das hat sich bewährt. Warum bleiben wir nicht dabei? Es gibt noch die Anträge der anderen Fraktionen. Die Mehrheit meiner Fraktion hat sich für Folgendes ausgesprochen: Soweit sich die Eltern einig sind, sollte sich der Staat in Familien nicht einmischen. Familien als kleinste soziale Gemeinschaft dieses Staates sollten möglichst wenig von staatlichen Eingriffen tangiert sein. ({4}) Wenn der Vater die Vaterschaft anerkennt und zusätzlich erklärt, dass er die gemeinsame Sorge mit der Mutter tragen will, dann soll diese gemeinsame Sorge auch begründet sein. Ich habe es eingangs gesagt: Sorgeberechtigt wird man, wenn man die Kindesmutter ehelicht, oder man ist per se, wenn man verheiratet ist und ein Kind in dieser Ehe geboren wird, sorgeberechtigter Vater, unabhängig davon, ob man der biologische Vater ist oder nicht; man ist sorgeberechtigter Vater lediglich aus der Tatsache des Ehelebens heraus. Bezogen auf das Kind ist eine solche Vaterschaftsanerkennung mit der Erklärung „Ich will mich um dieses von mir anerkannte Kind sorgen“ ein deutliches Mehr als der Trauschein mit der Mutter. Den Sorgewillen und die Sorgeerklärung des Vaters darf man nicht vom Willen der Kindesmutter abhängig machen. Wenn beide dann letztlich sorgeberechtigt sind, dann ist das Kind rechtlich einem ehelichen Kind gleichgestellt; beide Elternteile haben Anfechtungsmöglichkeiten nach § 1671 BGB. Aber egal, für welches Modell man sich am Ende entscheidet: In jedem Fall sollten eine Mediation und eine Beratung der Eltern vorgeschaltet sein, im Interesse der Kinder und im Interesse der Eltern. Eine Gerichtsentscheidung sollte nur Ultima Ratio sein. Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und auf die Berichterstattergespräche, danke schon einmal für das Lob und hoffe, dass wir dann im Ergebnis wirklich zur besten Lösung für unsere Kinder und auch für die Eltern kommen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger für Bündnis 90/Die Grünen.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verbriefen die Grundüberzeugung, dass Recht diskriminierungsfrei gestaltet werden muss. Das ist ein hoher, aber in einem Rechtsstaat notwendiger Anspruch. Diskriminierungsfrei muss auch die Rechtsstellung von Müttern und Vätern gegenüber ihren Kindern sein. Alle Kinder müssen vom Recht gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob ihre Eltern verheiratet, verpartnert oder keines von beidem sind; denn für Kinder ist es egal, ob ihre Eltern in einer rechtlich formalisierten Beziehung leben oder nicht. Wichtig ist, dass die Beziehung des Kindes zu seinen Eltern und die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind in Ordnung ist. Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die bisherige deutsche Regelung zum Sorgerecht unverheiratete Väter unangemessen benachteiligt, und zwar gegenüber Müttern und verheirateten Vätern. Dieser Rechtsauffassung hat sich im Juli 2010 auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen. Auf dieser Grundlage haben wir Grünen im Oktober 2010 unseren Antrag zum Sorgerecht vorgelegt. In den vergangenen zwei Jahren haben wir hier im Bundestag wiederholt über eine Neuregelung des Sorgerechts debattiert. Alle diese Initiativen kamen zustande, weil die Oppositionsfraktionen sie beantragt haben. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass Sie sich innerhalb der Regierung nun endlich auf eine Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern verständigen konnten. Darauf haben nicht nur wir Grünen, darauf haben auch sehr viele unverheiratete Väter sehr lange gewartet. Dieser Entwurf war längst überfällig, meine Damen und Herren. ({0}) Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, stelle ich mit großer Freude viele Parallelen zu unserem Grünen-Antrag von 2010 fest. Das zeigt zwei Dinge: Erstens. Gutes setzt sich durch. Zweitens. Bei manchen dauert es halt länger. Wichtig ist uns Grünen, dass beide Elternteile möglichst frühzeitig Verantwortung für ihr gemeinsames Kind übernehmen. Das schafft eine wechselseitige Verbindlichkeit sowohl im Eltern-Kind- als auch im Elternverhältnis. Wir möchten den Vätern, die nicht mit der Mutter ihres Kindes verheiratet sind, über ein Antragsmodell Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht ermöglichen; denn das Antragserfordernis trägt dazu bei, dass die Väter, die Interesse an ihrem Kind haben - davon ist im Regelfall auszugehen -, auch die elterliche Mitverantwortung erhalten können. Allerdings sprechen wir uns im Gegensatz zur Bundesregierung dafür aus, dass der Vater den Antrag beim Jugendamt stellen kann und nicht beim Familiengericht stellen muss; auch die Mutter soll einem Sorgerechtsantrag des Vaters niedrigschwellig widersprechen können. Meine Damen und Herren, auch hierfür sollten wir praktikable Lösungen suchen. Der Weg zum Jugendamt ist für die meisten Menschen niedrigschwelliger als der Weg zum Gericht. Er beinhaltet weniger Konfliktpotenzial, ist kostengünstiger und schneller. Erst dann, wenn die Mutter dem Antrag des Vaters widerspricht und der Vater weiterhin Mitinhaber der elterlichen Sorge sein will, soll der Weg zum Gericht beschritten werden können. Der Vater muss dann eine Entscheidung des Familiengerichts herbeiführen. Das Familiengericht wiederum überträgt den Eltern die gemeinsame Sorge, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Vor diesem Hintergrund sollten Sie in Ihren Gesetzentwurf noch folgende Verbesserungen aufnehmen: Der Weg über das Gericht sollte so spät wie möglich erfolgen. Die Widerspruchsfrist für die Mutter sollte auf acht Wochen nach der Geburt des Kindes verlängert werden; diese Frist ist in Ihrem Gesetzentwurf mit sechs Wochen zu kurz bemessen. Außerdem sollten Regelungen für den Konfliktfall wie Beratungs- und Mediationsangebote implementiert werden. An diesem Gesetzgebungsverfahren werden wir Grünen uns konstruktiv beteiligen. Weitere Schritte müssen aber folgen. Unser Rechtssystem ist insbesondere im Bereich des Familienrechts noch lange nicht frei von Diskriminierungen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Leider zeigt die jetzige CDU/CSU-FDP-Regierung wenig Elan und setzt gesellschaftliche Realitäten nur sehr verzögert um. Nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr wird auch die Rechts- und Justizpolitik bei einer neuen Regierung mit anderen Prioritäten einen Modernisierungsschub erhalten. ({1}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kinder haben ein Recht auf beide Eltern. Kinder haben einen Anspruch darauf, dass beide Elternteile für sie sorgen. Die Eltern sollen die gemeinsame Verantwortung für das Kind übernehmen. Deswegen muss das Gesetz den Rahmen so ziehen, dass die gemeinsame Verantwortung der Eltern für das Kind der Normalfall ist und immer mehr wird. Deswegen ist unsere Aufgabe, Hindernisse zu beseitigen; Herr Kollege Lischka hat es so genannt: Brücken zu bauen. Der Regierungsentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, beseitigt zwei entscheidende Hindernisse. Erstens senkt er die Zugangsschwelle für die Väter. Bislang müssen nach geltender Rechtslage die Väter darlegen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Die Väter sind also darlegungs- und eventuell auch beweispflichtig. Künftig wird es nach dem Regierungsentwurf so sein, dass das Familiengericht, wenn der Fall zu ihm kommt, die gemeinsame Sorge schon dann zuspricht, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist also eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Deswegen werden Väter künftig leichter zur gemeinsamen Sorge zusammen mit der Mutter für das gemeinsame Kind kommen können. Das ist das erste Hindernis, das wir abbauen, die erste Brücke, die wir bauen. Das zweite Hindernis ist, dass die Einwendungen gegen die gemeinsame Sorge künftig auf das Kindeswohl Bezug nehmen müssen. Es müssen kindeswohlrelevante Einwände vorgebracht werden. Es genügt also nicht, sich nur auf Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern zu berufen. Das soll nicht mehr ausreichend sein; denn Kinder dürfen erwarten, dass ihre Eltern Kommunikationsprobleme, wenn sie denn bestehen, eben ausräumen. ({0}) Insofern formen wir das Gesetz nach dem Kindeswohl. Nun gibt es Kritik an dem Verfahren, wie es hier von Rednern der Opposition auch schon vorgetragen worden ist. Diese Kritik betrifft den neuen § 155 a FamFG. Dazu ist zum einen Kritik am vereinfachten Verfahren vorgetragen worden. Es ist schon gesagt worden: Falls nun die Mutter gar keine Stellungnahme gegen den Antrag des Vaters auf die gemeinsame Sorge abgibt oder aber in ihrer Stellungnahme keine kindeswohlrelevanten Gründe vorträgt, dann kann das Gericht zunächst einmal einfach im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendamtes zu einer Entscheidung kommen. Das ist das, was Sie, Herr Kollege Wunderlich, kritisiert haben. ({1}) Ihre Kritik und auch die Kritik von Ihnen, Herr Kollege Lischka, hat zum Ziel, dass das Jugendamt immer beteiligt sein soll. Aber es ist doch ganz normal, dass das Jugendamt immer nur dann eingeschaltet und beteiligt wird, wenn es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Kindeswohl in Gefahr ist. Nach Ihrer Vorstellung ist offenbar - so muss ich das verstehen - das Kindeswohl immer schon dann in Gefahr, wenn das Jugendamt nicht beteiligt ist und wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. ({2}) In meinen Augen ist es aber keine sehr moderne, keine sehr zeitgemäße Vorstellung, zu sagen: Immer dann, wenn Eltern nicht verheiratet sind, ist das Kindeswohl in Gefahr. ({3}) Was ist denn das für eine rückständige Vorstellung? Das ist eine Vorstellung, die ich nicht zu teilen vermag. ({4}) Im Übrigen gilt: Wenn das Jugendamt oder andere Beteiligte irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kindeswohl in Gefahr ist, steht es ihnen frei, dies dem Gericht bekannt werden zu lassen. Damit sind wir bei dem neuen § 155 a Abs. 4 FamFG, sozusagen bei der Notbremse: Wenn dem Gericht irgendwelche entgegenstehenden Gründe bekannt werden, dann kann es einen mündlichen Termin anberaumen und dann sind wir im ganz normalen mündlichen Verfahren. Die Vorstellung, dass man bei allen nicht ehelichen Kindern immer die Behörde zur Kontrolle ins Kinderzimmer schicken muss, die halten wir für antimodern. ({5}) Der zweite Kritikpunkt, den Sie, Frau Kollegin Hönlinger, gerade angesprochen haben, bezieht sich auf die Sechswochenfrist, die Sie verlängert wissen wollen. Üblich sind in gerichtlichen Verfahren Zweiwochenfristen und Vierwochenfristen. Wir sagen schon: Diese Frist darf nicht innerhalb der ersten sechs Wochen nach Geburt des Kindes ablaufen. Wir erhöhen also die Schutzfrist für die Mutter, weil wir das für angemessen halten, auch wenn der Antrag schon kurz nach der Geburt zugestellt wird. ({6}) Die Mutter braucht aber nicht schon im Wochenbett seitenlange Schriftsätze zu verfassen, sondern sie muss zunächst einmal nur auf den Antrag des Vaters reagieren. ({7}) Sie braucht dem Gericht nur in einfachen Worten zu sagen, dass die gemeinsame Sorge dem Kind schadet, und schon kommt man in das normale Verfahren hinein. Diese Schwelle ist denkbar niedrig. ({8}) Deswegen meine ich, dass die Kritik am Verfahren dramatisiert ist. Uns allen ist das Kindeswohl wichtig. Für uns alle gilt der Grundsatz, dass sich beide Elternteile um das Kind sorgen sollen. Wir meinen aber: Der Vater muss das Sorgerecht leichter zusammen mit der Mutter erhalten können. Die Mütter haben auch nach unserem Entwurf immer noch genügend Möglichkeiten, ihre Einwände vorzutragen. Dies ist ein gelungener Entwurf. Ich freue mich schon auf die Beratungen in den Ausschüssen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Sonja Steffen das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis vor einiger Zeit hat unser Familienrecht zwischen verheirateten und nicht miteinander verheirateten Eltern beim Sorgerecht einen großen Unterschied gemacht. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass diese Regelung die nicht ehelichen Kinder gegenüber den ehelichen Kindern diskriminierte; die Kollegin Hönlinger hat das vorhin schon ausgeführt. Das Kind hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass beide Eltern an der Sorge teilhaben dürfen. Wir haben es eben schon gehört: Mutter und Vater sind gut für das Kind. Das ist richtig so. ({0}) Seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts ist im Bundestag, bei den Betroffenen, bei Verbänden, Familiengerichten, Rechtsanwälten und Jugendämtern viel über das Sorgerecht gesprochen worden. Gegenwärtig verfahren die Familiengerichte so - das ist eine Übergangslösung -, dass die gemeinsame Sorge für nicht eheliche Väter dann beschlossen wird, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Meine Damen und Herren, wahrscheinlich haben die meisten von Ihnen Kinder und erinnern sich noch gerne an die Zeit nach der Geburt. Gleich nach der Geburt wartet eine turbulente Zeit auf Mama und Papa. Sie müssen sich von der Entbindung erholen - die Mütter sind oft geschwächt, krank; sie müssen also erst einmal ihre Gesundheit wiederherstellen -, gleichzeitig rund um die Uhr für das Neugeborene sorgen und sich in ihre neue Familienrolle einfinden. In einer guten Beziehung werden sich die Eltern schon vorher für eine gemeinsame Sorgeerklärung entschieden und diese vielleicht auch schon abgegeben haben. Spätestens jedoch nach der Geburt des Kindes werden sie diese Erklärung abgeben. Es gibt aber auch die Fälle, in denen die Eltern nie eine Beziehung hatten oder sich bereits vor der Geburt getrennt haben. Manchmal ist es so, dass der Vater gar keine gemeinsame Sorgeverantwortung übernehmen will. Deshalb halten wir die Lösung „automatisch gemeinsame Sorge bei Anerkennung der Vaterschaft“ für problematisch; deshalb lehnen wir sie ab. Im Regierungsentwurf ist dieses automatische Sorgerecht nicht vorgesehen, aber auch er geht nach unserer Auffassung an einer lebensnahen Lösung derzeit völlig vorbei. ({1}) Denn von den Müttern soll verlangt werden, dass sie innerhalb von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes dem Antrag des Vaters auf gemeinsame elterliche Sorge widersprechen, wenn sie diese nicht wollen. Tun sie dies nicht, so soll das Familiengericht ohne weitere Prüfung, ohne Anhörung des Jugendamtes und der Eltern entscheiden dürfen. Im Klartext heißt das Folgendes: Die junge Mutter, die noch voll und ganz mit ihrem Säugling beschäftigt ist, muss sich innerhalb einer unglaublich kurzen Frist von sechs Wochen mit der schwierigen Frage des gemeinsamen Sorgerechts beschäftigen. Diese Frage ist wirklich nicht leicht zu beantworten; denn das gemeinsame Sorgerecht bindet die Eltern sehr eng und sehr lange, und zwar auch in den Fällen, in denen die Eltern auf der Erwachsenenebene überhaupt nicht miteinander sprechen können. Hier sind eine umfangreiche Beratung durch Jugendämter und eine sorgfältige Abwägung erforderlich. Die Kindesmütter sind in der Regel nicht juristisch geschult. Sie werden sich daher in den meisten Fällen einen Termin beim Anwalt holen müssen, und zwar nach erfolgter Erkundigung darüber, zu wem man am besten geht. Dort wird die Mutter eine überzeugende Begründung für die Ablehnung des gemeinsamen Sorgerechts vorbringen müssen. Diese muss der Anwalt dann mit ihrer Hilfe zu Papier bringen. Jeder Familienrechtler und insbesondere jeder Anwalt weiß, wie - im wahrsten Sinne des Wortes - sorgeintensiv Sorgerechtsverfahren sind. Hier geht es nämlich nicht nur um Geld oder sonstige materielle Dinge, sondern es geht auch um Lebensmodelle, Enttäuschungen, Versagensängste und Verlustängste. Nicht ohne Grund räumt übrigens das Mutterschutzgesetz der jungen Mutter eine achtwöchige Arbeitspause nach der Geburt ein, damit sie sich voll und ganz auf ihr Baby konzentrieren kann. Nun wollen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, der Frau innerhalb dieser Zeit diese ganzen Behörden-, Anwalts- und Gerichtsgänge zumuten. Möglicherweise hält sie sich auch gar nicht zu Hause auf. Sie ist immerhin alleinerziehende Mutter und verbringt vielleicht die ersten Wochen - dies tun übrigens viele - bei ihrer Familie, damit sie dort Hilfe erhält. Die Frist ist tatsächlich viel zu kurz gedacht. Ich behaupte einmal: Jede Mutter mit ihren ganz eigenen Erfahrungen nach einer Geburt würde Ihren Gesetzentwurf in der gegenwärtigen Fassung bei einer Befragung rundweg ablehnen. ({2}) Herr Wunderlich, ich gebe Ihnen da völlig recht. ({3}) Es bedarf dieses Schnellverfahrens gar nicht. Denn seit der letzten Familienrechtsreform 2008 besteht in Kindschaftssachen schon ein beschleunigtes Verfahren inklusive der notwendigen mündlichen Verhandlung. Dieses Verfahren hat sich nach der Aussage aller Beteiligten bewährt. In der mündlichen Verhandlung kommen nicht nur die Eltern, sondern auch die Jugendämter und gegebenenfalls der Verfahrensbeistand, der Anwalt des Kindes, zu Wort. Gerade Jugendamt und Verfahrensbeistand haben einen besonderen Fokus auf das Kindeswohl. Es ist daher nicht zu verstehen, dass Sie dem Gericht zukünftig die alleinige Entscheidungsverantwortung übertragen wollen, ohne mündliche Verhandlung, ohne Anhörung der betroffenen Eltern und ohne Anhörung der Jugendämter. Das geht nach unserer Auffassung am Interesse des Kindeswohls völlig vorbei. ({4}) Denn Regelungen zum Sorgerecht - darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig - sind allein aus der Sicht des Kindes und unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu treffen. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen anderen Aspekt anführen, der mir sehr wichtig erscheint. Nach der schon erwähnten vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie können viele Eltern mit dem Begriff des Sorgerechts oftmals wenig anfangen. Viele meinen, es gehe um das Recht, über die Belange des Kindes zu entscheiden. Darum geht es jedoch nicht. Es geht tatsächlich darum, dass die gemeinsame elterliche Sorgeverantwortung übernommen wird, dass man sich also gemeinsam um das Kind kümmern will. Viele nicht miteinander verheiratete Paare haben in der Vergangenheit die gemeinsame Sorge schlichtweg nicht erklärt, weil sie nicht informiert waren und oftmals gar nicht wussten, dass diese gemeinsame Sorge nicht automatisch besteht. Da setzt unser Vorschlag an. Der erste Gang junger Eltern nach der Geburt ist der Gang zum Standesamt. Hier sollen sie über die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgeerklärung beraten werden. Sie sollen informiert werden, und sie sollen hier schon zu einer Äußerung über die gemeinsame Sorge aufgefordert werden. Das heißt, sie werden an dieser Stelle informiert und für dieses Thema sensibilisiert. Sie können auch schon auf dem Standesamt die gemeinsame Erklärung über das Sorgerecht abgeben. Wenn sie sich an dieser Stelle nicht über das gemeinsame Sorgerecht entscheiden, dann soll das Jugendamt zwischen den Eltern vermitteln. In dem Fall, dass man zu keiner gemeinsamen Lösung kommt, kann das Jugendamt einen Antrag auf Entscheidung beim Familiengericht stellen. Das kommt allen Beteiligten zugute, auch den Vätern. Es werden keine Hürden aufgebaut, es werden Hürden abgebaut. Der Vater, der sich ebenfalls in einer schwierigen Situation befindet, wird entlastet. Unser Vorschlag ist gut durchdacht, praktikabel und ausgewogen. Vor allem - das ist ganz entscheidend - ist er in allererster Linie am Kindeswohl orientiert. Ich hoffe daher, dass wir im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens konstruktiv zusammenarbeiten und dass möglichst viele unserer wirklich guten Ideen zum Sorgerecht Eingang in das Gesetz finden werden. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Ute Granold. ({0})

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Kinder brauchen Mutter und Vater; hierüber sind wir uns in diesem Haus einig, denke ich. Aber nach den bisherigen Beiträgen und gerade bei dem letzten Debattenbeitrag, Frau Kollegin, ist aufgefallen, dass die Väter ein Stück weit zu kurz kommen. Das hat die Union aufgegriffen. Die Bundesregierung hat zusammen mit der Koalition einen Entwurf vorgelegt, der genau dem entspricht, was an Bedarf da ist. Wir haben gehört: Heute wird jedes dritte Kind nicht ehelich geboren. In den letzten 15 Jahren ist dieser Anteil um über 100 Prozent gestiegen, und er wird weiter steigen. 2010 wurden 43 Prozent der Kinder nicht ehelich geboren, und die Zahl nicht ehelicher Lebensgemeinschaften nimmt zu. Das ist - das haben wir alle erkannt - gesellschaftliche Realität. Wir haben bereits in der letzten Wahlperiode darauf reagiert, indem wir die Reform des Unterhaltsrechts auf den Weg gebracht haben. Sie ist sehr gut gelungen und sehr praktikabel. Wir haben nicht eheliche und eheliche Kinder bei der Unterhaltsberechtigung im Rang gleichgestellt. Wir haben auch die betreuenden Elternteile gleichgestellt und nicht zwischen ehelichen und nicht ehelichen Kindern unterschieden. Alle Kinder sind gleich. Jetzt müssen wir das Sorgerecht überarbeiten. Das Bundesverfassungsgericht hatte noch 2003 die Rechtslage, die bislang gegolten hatte, für verfassungskonform erklärt. Das bedeutete, die Mutter eines nicht ehelichen Kindes hatte die Alleinsorge. Eine gemeinsame Sorge erforderte eine Erklärung beim Jugendamt. Verweigerte die Mutter diese Erklärung, hatte der Vater keine Möglichkeit, gemeinsam mit ihr das Sorgerecht zu bekommen. Wie mehrfach erwähnt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009 - gefolgt vom Bundesverfassungsgericht 2010 - entschieden, dass die Rechtslage, die ich gerade erläutert habe, nicht verfassungskonform sowie unverhältnismäßig ist und überarbeitet werden muss. Vor diesem Hintergrund haben wir nach langen Beratungen einen Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Bis zur Änderung der Gesetzeslage haben Väter nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit, direkt das Gericht anzurufen und eine Regelung herbeizuführen. Wenn man sich mit der Rechtsprechung in den darauffolgenden Jahren befasst, sieht man, dass quer durch die Republik erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen getroffen wurden, die sehr unterschiedlich sind. Die Hürden für den Vater, zu einer gemeinsamen Sorge zu kommen, sind relativ hoch, weil er die Darlegungs- und Beweislast trägt. Es gibt also eine große Rechtsunsicherheit. Die Entscheidungen der Justiz haben sich in unserer Debatte, in der wir uns um eine gesetzliche Neuregelung bemüht haben, widergespiegelt. Wir haben für die Neuregelung Zeit gebraucht; das ist nicht von der Hand zu weisen. Das Thema eignet sich aber nicht für Hektik, hier braucht es gründliches Arbeiten. Dem sind wir nachgekommen: Wir haben uns bei unseren Beratungen unzählige Male getroffen und die Argumente der Opposition - teilweise lagen Entwürfe vor ({0}) in unsere Beratungen einbezogen. Beim Abwägen haben wir immer den Maßstab angelegt: Das Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater, egal ob ehelich oder nicht ehelich geboren. Mit diesem Maßstab und mit dem Ziel, den Vätern einen effektiven und niedrigschwelligen Zugang zur gemeinsamen Sorge zu geben, haben wir uns für die nun vorliegende Regelung entschieden. Schon heute erklären 50 Prozent der nicht miteinander verheirateten Eltern beim Jugendamt die gemeinsame Sorge, 50 Prozent aber eben nicht, und genau um diese geht es bei der gesetzlichen Neuregelung. Das Forschungsprojekt, das vom Justizministerium auf den Weg gebracht wurde, zeigt, dass in vielen Fällen die gemeinsame Sorge aus Gründen verweigert wird, die keinen Bezug zum Kindeswohl haben. Aus der Lebenssituation heraus hatten die Mütter Argumente dafür vorgetragen, warum sie keine gemeinsame Sorge wollten. Wir haben diese Fälle zu regeln. Es gibt verschiedene Lösungsmodelle. Da ist ein breites Spannungsfeld: von gemeinsamer elterlicher Sorge ab Geburt kraft Gesetzes bis hin zur Widerspruchslösung. Wir haben uns für die Lösung entschieden, bei der die gemeinsame Sorge durch gerichtliche Entscheidung erfolgt, wenn der Vater einen Antrag stellt. Der Maßstab ist, wie bereits mehrfach gesagt, allein das Kindeswohl. Unser Vorschlag ist ein Kompromissvorschlag, der allen Interessen, denken wir, gerecht wird. Wir haben eine Regelung im materiellen Recht, im BGB, und auch eine im Verfahrensrecht getroffen; dies wurde bereits mehrfach angesprochen. Unser Wille ist es, dass der Vater frühestmöglich die Chance hat, eine gemeinsame Sorge zu erreichen, und zwar durch die Sorgerechtserklärung oder aber durch den Weg zum Gericht. Dabei ist eine sogenannte negative Kindeswohlprüfung vorzunehmen. Das heißt, Grundsatz ist: Die gemeinsame elterliche Sorge entspricht dem Wohl des Kindes. Wenn dem nicht so ist, dann muss ein Vortrag dazu erfolgen. Gerade in der frühkindlichen Phase, in der viele Entscheidungen getroffen werden, benötigt das Kind auch den Vater für eine gedeihliche Entwicklung. Deshalb sind Modelle, die lange Fristen vorsehen, um dem Vater die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge zu geben, für uns nicht akzeptabel. ({1}) Man denke nur daran, dass eine Operation vorzunehmen ist, die zwar keine Eilsache ist, die aber vorgenommen werden muss, oder dass eine Regelung über die Religion getroffen werden sollte. Das sind schwerwiegende Entscheidungen für das Kind, die, wenn es keinen Grund gibt, den Vater auszuschließen, von beiden Elternteilen getroffen werden sollten. Wir sollten bei der Diskussion auch daran denken, dass es möglich ist, Teilbereiche der elterlichen Sorge zu übertragen, wie die Gesundheitssorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Vermögenssorge und auch die Religion. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für jeden einzelnen Fall eine Entscheidung zu treffen, die ausschließlich am Kindeswohl orientiert ist. Es bleibt mit der Neuregelung dabei - das wurde bereits mehrfach gesagt; deshalb möchte ich es abkürzen -, dass mit der Geburt des Kindes zunächst die alleinige Sorge bei der Mutter liegt. Der Vater hat aber die Möglichkeit, entweder beim Jugendamt einen Sorgerechtsantrag zu stellen oder aber direkt bei Gericht eine gerichtliche Regelung herbeizuführen. Hier müssen wir - ich habe es schon einmal gesagt den Weg für den Vater niedrigschwellig machen. Er hat lediglich die Gründe anzugeben, weshalb er eine gemeinsame Sorge begehrt, wobei wir, was das Verfahren angeht, der Meinung sind, dass ein Schweigen der Mutter im gerichtlichen Verfahren - wir haben das lange diskutiert - nicht automatisch als gemeinsame Sorge wirken sollte; vielmehr sagen wir, das Schweigen der Mutter reicht nicht aus, weil sie nach der Geburt in einer besonderen Situation ist. Es muss dann eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, und das in einem sogenannten vereinfachten beschleunigten Verfahren. Wir haben ja vor einiger Zeit hier in diesem Hause das Familienverfahrensgesetz beschlossen, ein sehr gutes Verfahrensgesetz. Darin gibt es das Gebot des Vorrangs der Beschleunigung in Kindschaftssachen. Das heißt, wenn ein Antrag bei Gericht eingeht, muss binnen Monatsfrist terminiert werden - terminiert, aber nicht entschieden. Diese Verfahren können sich auch hinziehen, wenn Sachverständige angehört werden usw. usf. Im Hinblick darauf, dass das Kind auch ein Recht auf seinen Vater hat, ist es schon angemessen, zu sagen, dass in den Fällen, in denen die Mutter schweigt und keine Gründe vorgetragen wurden oder dem Gericht bekannt sind, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, auf Antrag des Vaters die gemeinsame Sorge dann im vereinfachten Verfahren auf beide Elternteile übertragen wird. Wenn auch nur ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Kindeswohl in Gefahr sein könnte, wird das Gericht - ich denke, so viel Vertrauen haben wir in unsere Justiz - natürlich nicht das vereinfachte Verfahren auf den Weg bringen, sondern das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG einleiten. Das ist auch angemessen. Insofern denken wir, dass man mit dieser Verfahrensregelung wirklich beiden Elternteilen gerecht wird. ({2}) Insofern bin ich auch etwas unglücklich und enttäuscht über diese Onlinekampagne, die teilweise ja auch gesteuert ist - man muss sich nur ansehen, wer unterschrieben hat - und in der es heißt: Es kann doch nicht sein, dass über das Kindeswohl, um das es zuallererst geht, gerade in Streitfällen ausschließlich nach Aktenlage entschieden wird. Das ist überhaupt nicht der Fall. In Streitfällen wird das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG auf den Weg gebracht. Nur da, wo kein Streit herrscht, wo einfach keine Äußerung der Mutter vorliegt und auch keine Gründe ersichtlich sind, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen, wird das vereinfachte Verfahren auf den Weg gebracht. Ich denke, da sollten wir ein Stück weit auch bei den Tatsachen bleiben. ({3}) Ich empfehle jedem, einfach noch einmal einen Blick in unseren Gesetzentwurf, insbesondere in die Begründung zu werfen, in der es genau heißt, dass dann, wenn dem Gründe entgegenstehen, das normale Verfahren auf den Weg gebracht wird. Nur dann, wenn das nicht der Fall ist, bedarf es keiner gerichtlichen Entscheidung mit allen Verfahrensbeteiligten; dann kann nach Aktenlage, nach den Erkenntnissen des Gerichts entschieden werden. Wir werden in der Anhörung, die ansteht, sicherlich noch einmal darüber sprechen, ob vielleicht das Jugendamt doch eingebunden werden sollte oder nicht. Das kann man ja besprechen und mit den Sachverständigen diskutieren. Aber es sollte ein niedrigschwelliges zügiges Verfahren sein, das dazu führt, dass der Vater die Mitsorge hat. Lassen mich noch in einigen wenigen Sätzen auf die Vorschläge der Opposition eingehen. Hier ist zu honorieren, dass wir uns - alle Fraktionen in diesem Haus wirklich miteinander um Regelungen zum Wohl des Kindes bemüht haben. Das war in Teilen der SPD-Fraktion zum Beispiel auch nicht immer so ganz einfach, wie man gehört hat, da die Interessen der Familienpolitiker und der Rechtspolitiker ein Stück weit nicht konform sind. ({4}) Wir haben das auch bei uns in der Koalition sehr ausführlich besprochen. Bei dem Vorschlag der SPD stört uns die Tatsache, dass Sie ein sehr langes Verfahren vorschlagen: Registrierung beim Standesamt, Aufklärung beim Standesbeamten, Abwarten der Äußerungen des Jugendamtes und Stellen eines Antrags durch das Jugendamt auf gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge. ({5}) Das halten wir für einen sehr langwierigen bürokratischen Weg. Ich muss sagen: Wenn zunächst einmal eine Entscheidung des Jugendamtes ansteht, dann hat das Jugendamt wirklich sehr viel Macht in Bezug auf die Entscheidung über die gemeinsame elterliche Sorge. Für den Vater, der einen Antrag bei Gericht stellen will, weil er mit der Entscheidung des Jugendamtes nicht einverstanden ist, ist das eine sehr hohe Hürde, weil die Entscheidung des Jugendamtes doch schon ein Stück weit präjudiziert. Diese Hürde sehen wir auch vor der Maßgabe, was uns das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer gesetzlichen Neuregelung mit auf den Weg gegeben hat. Dieser Weg ist für uns also nicht praktikabel. ({6}) Lassen Sie mich auch noch einige Sätze zu dem sagen, was Sie, Frau Kollegin Hönlinger, als das Modell der Grünen hier vorgestellt haben. Die Mutter soll nach unserem Vorschlag bis sechs Wochen nach der Geburt eine Entscheidung darüber treffen, ob sie die gemeinsame Sorge befürwortet oder nicht. Sie sagen: Sechs Wochen sind zu kurz. Sicherlich ist es eine besondere Situation, wenn ein Kind auf die Welt kommt - ich habe auch zwei Kinder -, aber wenn man sich die sonstigen Gerichtsfristen von zwei und vier Wochen ansieht, dann erkennt man, dass die Frist von sechs Wochen aus Rücksicht darauf gewählt wurde, dass die Mutter gerade ein Kind geboren hat. Ich möchte aber auch noch zu bedenken geben, dass das Kind nicht vom Himmel fällt. Es gibt ja noch die Schwangerschaft, eine Zeit, in der man weiß, dass ein Kind auf die Welt kommt. Ich denke, in dieser Zeit macht man sich schon Gedanken darüber, wie es mit der Beziehung und dem Sorgerecht für die Kinder aussieht. Insofern meine ich schon: Nach Abwägung der Interessen und nach Abwägung zwischen dem Schutz der Mutter und dem Recht des Vaters auf Mitsorge, sind die sechs Wochen angemessen. ({7}) Ihr Entwurf enthält eine Karenzzeit von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. Diese Frist soll dann noch einmal um acht Wochen verlängert werden. In dieser Zeit ist der Vater ausgeschlossen. Das halten wir für nicht praktikabel - immer unter dem Gesichtspunkt, dass wir beide Elternteile frühestmöglich in die elterliche Sorge möglichst ohne Spannungen einbinden wollen. Alles, was außerhalb des Gerichts praktiziert wird, findet natürlich unsere Zustimmung. Wenn das aber nicht geht, dann muss es möglich sein, in einem Gerichtsverfahren zügig und sorgfältig zu einer Entscheidung zu kommen, damit auch der Vater die Möglichkeit hat, an der gemeinsamen elterlichen Sorge teilzuhaben. Ich denke, dass wir den Gesetzentwurf, der heute in erster Lesung in diesem Haus beraten wird, in der Anhörung, die ja schon für Ende November terminiert ist, noch einmal ein Stück weit intensiver beraten können und dann hoffentlich zu einer Lösung kommen, die, wie das auch bei anderen Verfahren in Familiensachen der Fall ist, vom ganzen Hause getragen werden kann. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Granold, wenn wir hier über das Sorgerecht debattieren, dann geht es nicht an, dass Sie die vielen Millionen Alleinerziehenden in der Bundesrepublik de facto diskriminieren: ({0}) Ein Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater. Es ist gut, wenn Mutter und Vater Verantwortung übernehmen, aber Millionen Kinder wachsen derzeit bei dem alleinerziehenden Vater oder der alleinerziehenden Mutter auf bzw. sind dort gut und gedeihlich aufgewachsen. Diese haben sicher oftmals mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber sie haben auch ihre jeweiligen sozialen Netze gebildet. Das war eine gedeihliche Entwicklung. Das darf man hier also nicht einfach diskriminieren. Es ist nicht defizitär. ({1}) Ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht angehen kann, dass die Übernahme des Sorgerechts durch den Vater am Veto der Mutter scheitert. Hier herrscht eine wirkliche Einigkeit im Hause. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Frage, wie trotz der Konfliktsituation, dass Mutter und Vater sich nicht einigen, tatsächlich eine gemeinsame Verantwortungsübernahme organisiert werden kann. Klar ist: Es ist eine Schwierigkeit - vielleicht die Hauptschwierigkeit - für alleinerziehende Väter und Mütter, dass sie bei aller Beratung, die man sich suchen kann, letztendliche Entscheidungen stets allein treffen müssen. Trotzdem finde ich es richtig, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, dass das Sorgerecht nach der Geburt grundsätzlich erst einmal der Mutter zuzuordnen ist, wenn die Aufteilung unklar ist, wenn also keine Einigkeit zwischen den Eltern erzielt wird; denn die Mutter ist ab Geburt nun einmal eine zuverlässige und sichere Bezugs- und Entscheidungsperson. Das braucht das Kind. Der vorliegende Entwurf enthält aus meiner Sicht die ebenfalls richtige Regelung, dass der Vater aktiv werden muss, wenn er die elterliche Verantwortung für das Kind übernehmen will; denn schließlich setzt die gemeinsame Sorge bei beiden Elternteilen die tatsächliche Bereitschaft voraus, nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung im Juni 2010 festgelegt, dass zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung das geltende Recht mit Maßgaben so umzuändern ist, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass das dem Kindeswohl entspricht. Hier sind Sie eindeutig von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewichen. Sie als Gesetzgeber schlagen jetzt vor, dass eine negative Kindeswohlprüfung ausreichend ist, das heißt also: wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das, finde ich, ist ein großer Unterschied. Es ist mir bisher auch in den Beiträgen nicht klar geworden, warum Sie das als Vereinfachung empfinden. Kinder sind das höchste Gut, das wir haben. Wir müssen alles dafür tun, um Bedingungen für eine gute Entwicklung des Kindes zu schaffen, dass die Situation also dem Kindeswohl entspricht. Eine Negativdefinition ist einfach zu wenig. Das schriftliche Schnellverfahren, welches Sie jetzt einführen wollen, hat bereits zu sehr viel Bewegung geführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einfach nur einige Abgeordnete der Meinung sind, dass eine Entscheidung des Gerichtes ohne Beratung, einfach aufgrund der Aktenlage, nicht im Interesse der Kinder ist. Ich möchte auf die Massenpetition verweisen, die vom Aktionsbündnis der Katholischen Frauengemeinschaft, des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Arbeitsgemeinschaft für allein erziehende Mütter und Väter im Diakonischen Werk der EKD, des Deutschen Juristinnenbundes, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, des Familienbundes der Katholiken gemeinsam getragen wird. Breit über gesellschaftliche Schichten hinweg gibt es äußerst große Bedenken gegen dieses Schnellverfahren, weil wir über Situationen reden, in denen Menschen erst einmal nicht miteinander klarkommen. Bedenken Sie bitte Folgendes: Schwangerschaft und Entbindung sind natürliche Vorgänge. Die Mutter ist nach der Entbindung nicht krank. Aber sie hat damit zu tun, ihr Leben neu zu organisieren. In sechs Wochen justiziabel nachzuweisen, warum die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ist einfach für viele eine Überforderung. Ich weiß nicht, ob wir hier im Haus alle in der Lage sind, sofort einen justiziablen Schriftsatz aufzusetzen. Ich denke, da wären wir überfordert. Was ist denn das Kindeswohl? Ich finde, das ist wirklich problematisch: Wir reden hier über das Sorgerecht. Die daraus erwachsenden Pflichten sind aber im Weiteren nicht definiert. ({2}) Es gibt das Recht auf Unterhalt, der gezahlt werden muss. Gut. Aber es ist nirgends einklagbar, dass zum Beispiel ein Vater den Umgang wahrnimmt, dass er tatsächlich zu einer verlässlichen Bezugsperson für sein Kind wird. Das kann auch eine alleinerziehende Mutter derzeit nicht einklagen. ({3}) Deshalb ist es richtig, hier die Vorschläge aufzunehmen, nach denen es in solchen Konfliktsituationen absolut notwendig ist, dass erst einmal eine Aufklärung erfolgt: Was ist einerseits mit der Übernahme des Sorgerechts verbunden? Wie kann man das andererseits gestalten? Das ist hier noch nicht erwähnt worden. Was heißt das denn ganz praktisch? Sie wollen für das Kind ein Sparbuch anlegen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des zweiten Sorgeberechtigten. Die 17-jährige Tochter will den Führerschein vor Vollendung des 18. Lebensjahres machen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des anderen Sorgeberechtigten. Das Kind soll auf Klassenfahrt gehen. Dafür brauchen Sie die zweite Unterschrift. ({4}) Bei Situationen des täglichen Lebens muss man sich doch einig sein und wissen: Ich übernehme diese Sorge. Das heißt aber auch: Ich muss im Zweifelsfall zur Verfügung stehen, um zum Beispiel eine Unterschrift zu leisten. Der andere verhält sich noch nicht einmal unbedingt böswillig, aber er muss einfach da sein. Ein gemeinsames Sorgerecht soll im besten Fall so sein, dass man auch dann, wenn man als Elternteile vielleicht nichts mehr miteinander zu tun hat, gemeinsam berät und gemeinsam entscheidet: Was ist für die Entwicklung des Kindes richtig? Diese Entscheidung sollte man in dem Bewusstsein treffen, dass es durchaus Probleme geben kann, zum Beispiel bei der Schulwahl. Auch wenn es in meiner Fraktion, was die Ansätze betrifft, unterschiedliche Auffassungen gibt, ob es eine automatische Übertragung des Sorgerechts bei Vaterschaftsanerkennung geben sollte oder nicht

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- mein letzter Satz -, sind für uns tatsächlich Beratung, Mediation, die unbedingt notwendige Einschaltung des Jugendamtes und die Anhörung der Eltern entscheidend. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Katja Dörner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte vorab sagen, dass ich einige Beiträge in der Debatte heute Morgen schon als einigermaßen verwunderlich und verwirrend empfunden habe. ({0}) Wie passt beispielsweise der Beitrag von Frau Dr. Höll zu dem uns vorliegenden Antrag der Linken, ({1}) in dem ein automatisches gemeinsames Sorgerecht der nicht miteinander verheirateten Eltern gefordert wird? Wie kann man denn gleichzeitig kritisieren, dass, so wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, am Ende eines Verfahrens per Aktenlage entschieden wird - wohlgemerkt am Ende eines Verfahrens -, wenn man selber ein solches Verfahren per se für überflüssig und unsinnig hält? Wie diese etwas wirren Positionen zusammenpassen, sollten Sie noch einmal erklären. ({2}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich finde grundsätzlich, dass dieses Thema und der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns heute vorliegt, kein Anlass sind, in den typischen Opposition-versus-RegierungModus zu verfallen. Wir haben es schon gehört: Wir brauchen keine Regelung für nicht miteinander verheiratete Paare, die sich gut verstehen oder sich zumindest so gut verstehen, dass sie bereit sind, von sich aus die gemeinsame Sorge zu beantragen; es ist ja auf unkomplizierte Weise möglich, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben. Wir brauchen eine Regelung für die Fälle, in denen die Mütter kein gemeinsames Sorgerecht wollen; hierfür kann es bekanntlich vielfältige Gründe geben. Das bedeutet, dass wir in erster Linie eine Regelung für nicht miteinander verheiratete Eltern brauchen, bei denen durchaus gravierende Konflikte vorliegen können. Ich bin der Meinung, dass in einem Entwurf eines Gesetzes zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern widerstreitende und gegenläufige Interessen gut unter einen Hut gebracht werden müssen. Das ist mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchaus gut gelungen. Meine Kollegin Ingrid Hönlinger hat bereits einige Anmerkungen dazu gemacht, wie man den Regierungsentwurf weiterqualifizieren könnte. Ich hoffe, dass wir darüber ins Gespräch kommen. Ich finde allerdings, dass er eine gute Grundlage für die Diskussion darstellt. ({3}) - Da darf auch vonseiten der Regierungsfraktionen geklatscht werden. ({4}) Das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern bietet sich nicht als Zankapfel zwischen den Fraktionen an - das ist heute Morgen schon sehr deutlich geworden -, weil die Diskussionen in den verschiedenen Fraktionen und Parteien sehr ähnlich verlaufen. Überall gibt es Kolleginnen und Kollegen, denen die Regelung, die vorgeschlagen worden ist, nicht weit genug geht, ({5}) die in Richtung eines automatischen gemeinsamen Sorgerechts mit der Vaterschaftsanerkennung denken. Hierfür spricht das Recht des Kindes auf beide Elternteile, hierfür sprechen die guten Erfahrungen, die wir mit dem gemeinsamen Sorgerecht geschiedener Eltern gemacht haben, und hierfür spricht auch die grundsätzliche Erwägung, dass es keinen Grund geben sollte, Ehepaare und nicht miteinander verheiratete Eltern per se unterschiedlich zu behandeln. Andere stellen die häufig schwierige Situation der Mutter bzw. der werdenden Mutter in den Vordergrund. Sie weisen hin auf ausbleibende Unterhaltszahlungen und auf Väter, die ihr Sorgerecht nur nutzen, um den Müttern den Alltag mit ihren Kindern schwer zu machen. Ich finde, beide Argumentationen haben etwas für sich und sind nachvollziehbar. Deshalb ist das im Gesetzentwurf vorgesehene niedrigschwellige Antragsverfahren, insbesondere verbunden mit dem Prüfmaßstab der negativen Kindeswohlprüfung, der deutlich macht, dass der Gesetzgeber vom gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall ausgeht, wie ich finde, ein vernünftiger Vorschlag. Wie gesagt, wir werden den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren durchaus wohlwollend begleiten. ({6}) Ich will mit einem Augenzwinkern sagen: Wir wollen hier zwar keine Plagiatsaffäre anzetteln. Da die Regierung aber 95 Prozent der Eckpunkte, die wir schon vor zwei Jahren vorgelegt haben, aufgegriffen hat, wäre ein kleiner Hinweis auf das Copyright in den Reden der Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen an dieser Stelle durchaus fair und angebracht gewesen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz die Gelegenheit nutzen, über den Tellerrand zu gucken. Denn mit der Neuregelung des Sorgerechts sollten wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange sein, was die Modernisierung unseres Familienrechts angeht. Es wäre beispielsweise wichtig, die Regelung der Stiefkindadoption bei lesbischen Paaren zu überwinden. ({8}) Sie kann nur ein Behelfskonstrukt sein. Denn sie ist nicht im Sinne der Kinder, weil das Adoptionsverfahren rund zwei Jahre dauern kann und die Kinder in dieser Zeit nur eine unterhaltspflichtige sorgeberechtigte Mutter haben. Wir sind der Meinung, dass die Stiefkindadoption durch eine Regelung analog der gesetzlichen Fiktion ersetzt werden sollte. Gestern habe ich der Presse entnommen, dass das Justizministerium der Niederlande prüft, drei oder mehr Mütter oder Väter als Eltern desselben Kindes anzuerkennen. Damit sollen die Rechte von Familien mit homosexuellen Eltern gestärkt werden. Solche Nachrichten würde ich mir auch aus unserem Justizministerium wünschen. ({9}) Mehrelternkonstellationen, ob Regenbogenfamilien oder Patchworkfamilien, nehmen bekanntlich zu. Sie sind gesellschaftliche Realität. Damit alle Kinder in unserem Land unabhängig von der Familienform, in der sie aufwachsen, den gleichen Schutz und die gleiche Förderung und Unterstützung erfahren, bleibt noch viel zu tun. Wir haben Ideen dazu. Bei den Regierungsfraktionen sieht es in diesem Bereich eher mau aus. ({10}) Auch wenn wir den heutigen Gesetzentwurf durchaus positiv begleiten, erkennt man doch deutlich, wer wie die Koalition der gesellschaftlichen Entwicklung hinterhertapert und vom Verfassungsgericht zum Jagen getragen werden muss, und wer wie wir gesellschaftspolitisch nach vorne denkt. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich dem Lob der Frau Dörner an. Es ist in der Tat ein gelungener Gesetzentwurf. Das heißt nicht, dass wir nicht - auch nach der Anhörung - in den parlamentarischen Beratungen da und dort andere Gewichte setzen sollten. Es sind viele Aspekte genannt worden, die Anlass dazu geben, über den einen oder anderen Punkt im parlamentarischen Verfahren nachzudenken. Mit dem Gesetzentwurf bleibt es dabei, dass eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern die Sorge für das Kind ist. Diese zuwendende Sorge ist Voraussetzung für eine gute Entwicklung des heranwachsenden Kindes. Es bleibt auch dabei, dass das rechtliche Fundament der Ehe zunächst einmal die Voraussetzung dafür ist, dass von vornherein ab Geburt beiden Elternteilen die elterliche Sorge zugesprochen wird. Ich halte das für wichtig, weil ich meine, dass eine solche Voraussetzung - entschiedene, auch von beiden Seiten rechtlich entschiedene Grundlagen - für eine so wichtige Stelle, die das Sorgerecht innerhalb unserer Rechtsordnung haben muss, notwendig ist. Ich halte es für wichtig, dass die rechtliche Grundlage Ehe erhalten bleibt. Natürlich weiß jeder von uns, dass sich die Realität geändert hat. Es gibt viele alleinerziehende Eltern, meist Mütter, und damit viele Kinder, deren Eltern eben nicht zusammenleben und diese rechtliche Grundlage fehlt. ({0}) Hier muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass auch der Vater zu seinem Sorgerecht kommt. Zunächst war es so - das haben wir 1997 im Kindschaftsrechtsreformgesetz so entschieden -, dass in einem solchen Fall, wenn ein Kind geboren wird und die Mutter nur eine kurzfristige Bekanntschaft mit dem Vater hatte oder die Mutter mit dem Vater zwar zusammenlebt, sich aber nicht zu einer rechtlichen Bindung in Form der Ehe entschließen kann, die Mutter das alleinige Sorgerecht hat. Das haben wir noch 1997 so entschieden. Der Grundgedanke dabei war - ich kann mich noch gut an die Debatten erinnern -, dass der Vater nicht das Recht haben soll, sich, wenn die Mutter das nicht will, in das Leben der Mutter und damit auch in das Leben des Kindes, das bei der Mutter wohnt, einzumischen. Dies haben aber das Verfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht für richtig gehalten. Deswegen ist eine Neuregelung notwendig, und dieser Neuregelung stellt sich der Gesetzentwurf. Zunächst einmal bleibt es dabei, dass es möglich sein kann, dass beide Elternteile gemeinsam das Sorgerecht beanspruchen. Sie gehen dann zum Jugendamt und sagen: Auch wenn wir getrennt leben, wollen wir trotzdem gemeinsam das Sorgerecht ausüben. - Diese Möglichkeit wird mit diesem Gesetzentwurf eröffnet. Ich finde, das ist richtig so; denn diese gemeinsame Erklärung schafft die beste Grundlage für eine vernünftige Regelung des Sorgerechts im praktischen Leben. Das wollen wir nach wie vor unterstreichen. Es gibt aber natürlich auch den Fall, dass sich die Mutter dagegen wehrt. Die Frau will nichts mit dem Mann zu tun haben. Sie wehrt sich ganz entschieden dagegen, dass dem Vater auch das Sorgerecht zugesprochen wird. Diesen Fall haben wir auch, und diesen Fall müssen wir regeln. Für einen solchen Fall sieht der Entwurf vor, dass der Vater dann einen Antrag stellen muss. Wenn sich die Mutter dagegen wehrt, muss dieser Antrag gerichtlich entschieden werden. Deshalb muss man sich überlegen, welches der Maßstab dieser gerichtlichen Entscheidung ist. Das geht aus dem Gesetzentwurf auch hervor: Der Maßstab ist immer das Wohl des Kindes. Dabei bleibt aber zu überlegen, ob der Maßstab des Wohls des Kindes nur das negativ festgestellte Kindeswohl sein kann, wie es hier heißt. Wenn die Mutter widerspricht, wird dem Vater dennoch das Sorgerecht zugesprochen, wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist die negative Feststellung des Kindeswohls. Man muss sich überlegen - das sollte man auch im Laufe des Verfahrens und nach der Anhörung tun -, ob nicht auch die positive Feststellung des Kindeswohls angezeigt ist. Jedenfalls ist dies ein Gedanke, der mit überlegt werden muss. Es ist ja immer so, dass, wenn sich die Mutter emotional ganz entschieden gegen den Sorgerechtsanspruch des Vaters, den dieser kraft des Grundgesetzes hat, wehrt, unmittelbar auch immer das Wohl des Kindes mit betroffen ist. Man muss sich diese Spannung einmal vorstellen. Herr Staatssekretär, ich weiß nicht recht, ob es richtig ist, sich dann auf die negative Feststellung des Kindeswohls zu beschränken, ob es nicht richtiger wäre, zu sagen: Dem Vater wird das Sorgerecht zugesprochen, aber das muss dem Kindeswohl förderlich sein. - Das ist also die positive Feststellung. Ich meine, dass dies ein Gedanke ist, der berücksichtigt werden sollte, wenn man wirklich das Kindeswohl zum Maßstab nimmt. Ich weiß, dass das Widerspruch auslöst, weil zunächst einmal der Gedanke war, dem Vater genauso wie dem verheirateten Vater von vornherein das Sorgerecht zuzusprechen. Das widerspricht natürlich dieser Überlegung. Meiner Auffassung nach muss aber zumindest einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht die positive Feststellung des Kindeswohls in einem solchen Fall - dabei geht es um Gerichtsverfahren, dabei werden Gutachten eingeholt, dabei wird dieses und jenes gemacht, und es kommt zu einem riesigen Verfahren angezeigt ist, um zu einer anderen Lösung zu kommen. Wir werden darüber nachdenken, Herr Staatssekretär, sobald die Anhörung stattgefunden hat. Eine weitere Frage bezieht sich auf das Schnellverfahren. Ich will das einmal so abqualifizierend sagen, obwohl das wirklich abqualifizierend ist. Frau Granold hat mit Recht gesagt, dass das Kind nicht vom Himmel herunterfällt, sondern dem ist eine neunmonatige Schwangerschaft vorausgegangen. Im Übrigen weiß die Mutter, wer der Vater ist, und der Vater weiß in der Regel auch, dass er der Vater ist. Wenn man sich vorher nicht zusammensetzen und überlegen kann, wie das Sorgerecht geregelt werden soll, wenn dann die Mutter nach der Geburt nicht auf die Zustellung des Antrags durch das Gericht antwortet, kann man natürlich sehr schnell dazu kommen, zu sagen: Wenn die Mutter nicht antwortet, dann muss eben nach Aktenlage - ich nenne das Wort einmal, Herr Lischka - entschieden werden. Ich glaube aber, dass ihre Argumentation durchaus Gewicht hat. Ich glaube, dass es notwendig ist, in einem solchen Verfahren das Jugendamt zumindest anzuhören. Es wäre auch besser, wenn in einem solchen Verfahren die Mutter aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen, ({1}) und wenn der Vater aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen. Nach meiner bescheidenen Meinung ist das so; denn ich komme aus der Praxis - ich habe immer noch die Praxis als Rechtsanwalt - und habe solche Verfahren bereits durchgeführt. Es ist besser, wenn die Parteien vor Gericht eine Klärung herbeiführen bzw. das Gericht eine solche Klärung herbeiführt. Ich meine, man sollte überlegen, ob die Sechswochenfrist ausreicht. ({2}) - Ich bekomme von der falschen Seite Beifall. - Man kann vielleicht eine längere Frist ansetzen. Irgendwann muss natürlich entschieden werden. Es geht nicht, dass sich die Mutter überhaupt nicht meldet. Wir sollten uns in der Anhörung ganz in Ruhe anhören, was die SachNorbert Geis verständigen dazu sagen, ob sechs Wochen reichen oder ob es zwölf Wochen sein sollen, wie es vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz - das will ich nicht verschweigen; es ist ein gutes Staatsministerium - vorgeschlagen wird. Dann werden wir entscheiden. Diese Debatte zeigt, dass dies ein Kapitel in unserer Rechtspolitik ist, das am besten gemeinsam zu regeln ist. Ich habe heute auch kein polemisches Wort gehört, mit Ausnahme vielleicht des letzten Redebeitrages. ({3}) - Entschuldigung, es war nicht so schlimm. Ich nehme es gleich wieder zurück. Ich glaube, dass wir nach der Anhörung im Rechtsausschuss, der in der Lage ist, Themen ruhig aufzugreifen und Argumente sachlich abzuwägen, im parlamentarischen Verfahren zu einer gemeinsamen Regelung kommen. Ich wünsche mir das sehr. Ich danke Ihnen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Sönke Rix hat das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation unverheirateter Eltern ist - denn wir haben das Gesetz noch lange nicht beschlossen nicht zumutbar. Die Situation unverheirateter Eltern ist, wenn es um die Frage des Sorgerechts geht - wir alle kennen Briefe von Betroffenen und Schilderungen aus unseren Wahlkreisen -, unbefriedigend. Diese Situation war schon vor den Gerichtsurteilen so. Seit den Gerichtsurteilen hat sich die Situation nicht stark verändert. Daher ist es sehr bedauerlich, dass erst jetzt ein Gesetzentwurf vorliegt. ({0}) Wir haben den Konflikten leider zu lange Raum gegeben. Die Gemeinsamkeiten, die wir an dieser Stelle festgestellt haben, sind darin begründet, dass uns die Gerichte einen eindeutigen Auftrag gegeben haben, in welche Richtung wir das Sorgerecht ändern sollen. Wir sollen gesetzlich festlegen, dass der Vater nach der Geburt des Kindes von Anfang an die gleichen Rechte bekommt wie die Mutter. Nun ist es so, dass immer dann ein Konflikt entsteht, wenn entschieden werden muss. An welcher Stelle wird es entschieden? Wie läuft dieses Verfahren ganz genau ab? Wenn Unterschiede vorhanden sind und wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern kommt, dann unterscheiden sich die Vorlagen, die wir hier im Hause beraten. Bei unserem Vorschlag spielt das Standesamt eine zentrale Rolle. Wir sagen: Es muss eine Stelle geben, die die Eltern über die Bedeutung des Sorgerechts aufklärt. ({1}) - Aufgeklärt in Sachen des Sorgerechtes. Vorher müssen sie schon längst aufgeklärt sein; das hoffe ich zumindest. An dieser Stelle muss klargestellt werden, wie die Situation ist. Wenn es dann zum Konflikt kommt, dann soll sich nach unserer Auffassung das Jugendamt vermittelnd einschalten. Ein schnelles Verfahren, wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, halten wir für nicht richtig. Ein schnelles Verfahren würde bedeuten, dass Eltern und Jugendämter nicht ausreichend zu Wort kämen und das Kindeswohl zu wenig berücksichtigt würde. Ein schnelles Verfahren bedeutet nicht unbedingt immer eine Entscheidung zugunsten der Kinder. Aber eine solche Entscheidung wollen wir herbeiführen. ({2}) Lieber Kollege Geis, Sie haben mehrfach darauf aufmerksam gemacht, welche Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einem Ihrer Redebeiträge applaudieren würde. ({3}) Das wird sich spätestens bei der nächsten Debatte über das Betreuungsgeld wahrscheinlich wieder ändern. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal über Kurzfristigkeit der Sechswochenfrist sprechen und darauf hören sollten, wie die Sachverständigen die Praxis bewerten. Ich finde es sehr gut, dass Sie das an dieser Stelle gesagt haben. Ich würde mich freuen, wenn Sie die Sachverständigenmeinung auch beim Betreuungsgeld so ernst nehmen würden wie in dieser Frage. Es gibt schließlich Sachverständige und Experten, die hier Kritik geübt haben. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dies nicht erst im Verfahren ändern zu müssen. Wenn aber eine gewisse Bereitschaft besteht, darüber zu reden, dann sind wir Ihnen an dieser Stelle natürlich dankbar. Auch müssen wir klarstellen, dass die Situation von unverheirateten Eltern aktuell nicht zufriedenstellend ist, wenn es um die Frage des Sorgerechts geht. Das hat auch etwas damit zu tun, dass sich das Bild, das wir normalerweise von Familie haben, gewandelt hat. Ich glaube noch immer, dass Herr Geis und ich in diesem Zusammenhang unterschiedliche Bilder haben. Aber wir haben eben erkannt, dass Väter und Mütter, also Männer und Frauen, in der Kindererziehung gleichberechtigt sein müssen. Deshalb ist es gut, dass wir an dieser Stelle jetzt etwas verändern und vom alten, konservativen Bild Abstand nehmen. Ich hoffe, dass sich im Gesetzgebungsverfahren auf Ihrer Seite das eine oder andere noch ändert und dass wir noch mehr zugunsten des Kindes erreichen. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11048 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien ({0}) - Drucksache 17/11139 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({1})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache eine Zeit von eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt kein wirklich gutes Argument gegen eine Frauenquote, ({0}) solange die Chefetagen zum Gutteil noch frauenfreie Zonen sind. Es hat sich nämlich nichts geändert. Nichts hat sich in 63 Jahren Grundgesetz geändert. Nichts hat sich seit der letzten Änderung des Grundgesetzes geändert. Nichts hat sich seit der freiwilligen Selbstverpflichtung geändert. Deshalb will ich, ehrlich gesagt, keine Gegenargumente mehr hören, die ein gewisses Niveau nicht überschreiten. Man hört zum Beispiel, bei der Personalauswahl gehe es um Qualifikation und nicht um Geschlecht. Meine Herren, wenn es nach Qualifikation ginge, dann wären die Vorstände voller Frauen. ({1}) Frauen haben die besseren Schulabschlüsse und die besseren Universitätsabschlüsse. Aber sie sind eben nicht durch die Glasdecke gestoßen; denn Männer finden offensichtlich immer Männer. Das ist doch komisch, oder? Frauen sind zuhauf im mittleren Management vertreten, stoßen aber nicht durch die Glasdecke. Wahr ist, dass mit einer sogenannten Frauenquote eine 100-prozentige Männerquote verhindert wird. ({2}) Ich will auch nicht mehr hören, dass eine Frauenquote Männer benachteiligt. Das finde ich ein bisschen unlauter. Solange es faktisch Männerquoten von 100, 90 oder 80 Prozent gibt, erhebt kein Mann seine Stimme. Wenn der Männeranteil aber auf 80 oder 60 Prozent sinkt, dann meinen Sie plötzlich nach 2 000 Jahren Männerdominanz, jetzt seien die Männer benachteiligt. Dass auch noch unsere Frauenministerin solche Argumente bringt, spottet eigentlich jeder Beschreibung. ({3}) - Wo ist sie? Fragen Sie mich, oder wen fragen Sie? Es ist ja wohl typisch, dass Frau Schröder an dieser Stelle nicht anwesend ist. ({4}) Ich glaube nicht, dass es mehr als zwei, drei Frauen in der Bundesrepublik Deutschland gibt, die sich von dieser Ministerin irgendeine Verbesserung der Situation der Frauen erwarten. ({5}) Fakt ist: Die Geduld der Frauen ist zu Ende. Wir wollen nicht länger warten. Wir wissen, dass Deutschland hinterherhängt. Unter dieser Bundesregierung ist Deutschland im internationalen Gleichstellungsranking vom elften auf den dreizehnten Platz abgerutscht, weil es erstens immer noch große Lohnunterschiede gibt und weil zweitens den Frauen in Deutschland nicht der Zugang zu Karriere und besser bezahlten Jobs eröffnet wird. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Wir haben das Schröder/von-der-Leyen-Theater unter tatkräftiger Anführung von Angela Merkel satt. ({6}) Die eine ist dagegen, die andere ist dafür, und Frau Merkel lässt es zu, dass sich die Zeitungen ausführlich damit beschäftigen. Wir haben als Abgeordnete dieses Hauses den aktuellen Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes zu erfüllen. Dieser besagt: Wir müssen so lange aktiv Maßnahmen ergreifen, bis die Gleichstellung erreicht ist. Deshalb bringen wir heute unseren Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag ein. ({7}) Wenn ich ehrlich bin, ist das auch der Versuch, das Versagen der Europäischen Kommission in dieser Woche bei der Regelung der Frauenquote ein wenig wettzumachen. Dass die Europäische Kommission das Thema auf einen späteren Termin vertagt hat, ist ein Affront geRenate Künast gen die Frauen in Europa und eine Blamage für die Gleichstellungspolitik der Europäischen Kommission. Deutschland hat die Aufgabe, einen gewissen Druck auszuüben. Wir Grünen haben alles versucht. Wir haben in dieser Legislaturperiode einen eigenständigen Gesetzentwurf eingebracht. Er ist von Ihnen abgelehnt worden. Daraufhin haben wir uns entschieden, sozusagen auf Knien zu den Frauen der anderen Fraktionen zu rutschen und für die Abfassung einer Berliner Erklärung zu werben. Wir haben uns auf den Kompromiss eingelassen, dass in den Führungsgremien, zum Beispiel in den Aufsichtsräten, der Frauenanteil nicht mindestens 40 Prozent, sondern mindestens 30 Prozent betragen soll. Wir haben es geschafft, dass die Frauen dieses Hauses eine Berliner Erklärung unterschrieben haben. Diese Erklärung wurde des Weiteren unterschrieben von vielen anderen Frauen in der Republik, aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft und aus den Medien. Selbst Friede Springer, die mit ihrem Konzern bislang sicherlich nicht die Speerspitze der Frauengleichstellungsbewegung bildete, hat diese Erklärung unterschrieben. Nun wollen wir auch eine Abstimmung im Deutschen Bundestag mit einem entsprechenden Ergebnis herbeiführen. Es ist meine Bitte an die Frauen der Union, sich jetzt nicht kleinkriegen zu lassen. ({8}) Die Frauen in diesem Land warten auf uns. Ich glaube, wir haben als Fraktion durchaus eine Leistung erbracht. Wir Grüne fordern: mindestens 40 Prozent Frauen, und das in einem viel kürzeren Zeitraum. Nachdem nun der Bundesrat unter Führung von Frau Kramp-Karrenbauer und Herrn Haseloff, also zweier CDU-Ministerpräsidenten, Frau Merkel die Gefolgschaft versagt und einen Kompromiss angenommen hat, haben wir beschlossen, uns auf diesen Kompromiss einzulassen, der auf den Vorschlag von Hamburg zurückgeht und der einen Anteil von nur 20 Prozent Frauen vorsieht. ({9}) Wir lassen uns auf diesen Kompromiss ein. Das ist an dieser Stelle unser Angebot an Sie. Ich sage Ihnen: Die Zeit drängt. Was ich nicht sehen und lesen möchte, Herr Grosse-Brömer, ist, dass Sie sich im nächsten CDUoder CSU-Wahlprogramm - dem Seehofer trauen wir ja alles zu - in Formulierungen ergehen wie etwa „Frauen müssen gleichberechtigt sein“. Das Jahr 2013 ist sozusagen ein Superwahljahr für Aufsichtsräte. Mehr als 80 Aufsichtsratssitze in den DAX-30-Unternehmen werden im Jahr 2013 besetzt. Ich möchte, dass dieses Haus vorher dafür Sorge trägt, dass mindestens 20 Prozent Frauen in die Aufsichtsräte gewählt werden müssen. ({10}) Die Entscheidung hierüber ist in diesem Jahr zu treffen. Mein letzter Punkt. Wir strecken mit unserem Kompromissangebot die Hand aus. Anders als Herr Fuchs heute in einem Interview bin ich jedoch der Meinung: Was beim Thema „Patientenverfügung“ oder beim Thema „Beschneidung“ möglich ist - die Annahme, dass es sich hierbei um eine Gewissensfrage handelt, bei der es keine Fraktionsdisziplin gibt -, das muss dann bitte schön auch bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung von Frauen“ möglich sein. Rita Pawelski hat im September dieses Jahres gesagt: Die Hamburger Hürde liegt mit 20 Prozent nun wirklich sehr niedrig. Weniger zu fordern, das geht nicht. Es kann keine Kollegen, also Männer, geben, die jetzt noch Nein sagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

An dieser Stelle kann ich nur sagen: Wir bitten um Ihre Stimmen. Die Frauen dieses Landes bitten um Ihre Stimmen, damit sie endlich gleiche Chancen haben. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute erneut Gelegenheit, uns mit dem wichtigen Thema einer Frauenquote zu befassen. Frau Künast, ich habe eines in Ihrer Rede ein wenig vermisst: Sie haben über die Aufgabe, den Anteil von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft auszubauen, überhaupt nichts gesagt. Sie haben über die Aufsichtsräte, aber nicht über die Vorstände gesprochen, erst recht nicht über die nachgeordneten Führungsebenen. ({0}) Der perspektivisch verengte Ansatz, nur den Aufsichtsrat herauszupicken, wird der Unternehmenswirklichkeit und den Interessenlagen der Frauen in unserem Land nicht gerecht. ({1}) Sie haben im Jahr 2001 zunächst einmal eine Selbstverpflichtung der Unternehmen auf den Weg gebracht. In der Tat hat man nach dem großen Showeffekt des Jah24558 res 2001, also in der Zeit, in der auch Sie der Bundesregierung angehört haben, nicht mehr darauf geachtet, ob diese Selbstverpflichtung eingehalten wird. Das ist das Ergebnis Ihrer Regierungspolitik. Das Ergebnis unserer Regierungspolitik ist, dass sich in dieser Frage noch nie so viele Veränderungen ergeben haben wie in den letzten zwei oder drei Jahren. Das ist der Unterschied. ({2}) Ich glaube, über den Ausgangspunkt sind wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg einer Auffassung. Wir sind der Auffassung, dass der Anteil der Frauen in Vorständen, in Aufsichtsräten und in den nachgeordneten Managementebenen bei weitem zu gering ist. Wer sich die Unternehmenswirklichkeit vor Augen führt, der stellt aber auch fest, dass in der jüngeren Vergangenheit mehr in Bewegung gekommen ist als jemals zuvor. Es gibt seit einem Jahr eine Selbstverpflichtung der Dax-30-Unternehmen; sie haben sich durchgängig für die kommenden Jahre Ziele gesetzt, die schon deshalb ambitioniert sind, weil die Belegschaftsanteile der Frauen teilweise gering sind. Ich nenne nur zwei Beispiele. ThyssenKrupp mit einem Frauenanteil von 13 Prozent hat sich das Ziel gesetzt, den Frauenanteil auf 15 Prozent auszubauen. VW mit einem Frauenanteil an der Belegschaft von 16 Prozent hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil auf 30 Prozent zu erhöhen. Das zeigt: Im Augenblick ist viel in Bewegung. Deshalb denke ich, dass man die augenblicklichen Entwicklungen nicht mit staatlichen Vorgaben abwürgen sollte. ({3}) Es geht im Kern um die Fragen: Wie erreichen wir, dass mehr Frauen in den Führungsebenen der deutschen Wirtschaft sitzen? Setzen wir auf starre Quotenvorgaben, oder setzen wir im Sinne des Stufenplans und der Flexiquote auf für die Unternehmen maßgeschneiderte, passgenaue Lösungen? - Zur Wirklichkeit gehört eben auch - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen -, dass der Frauenanteil an den Belegschaften unterschiedlich hoch ist. Man stellt fest, dass der Frauenanteil in der Dienstleistungssparte über 50 Prozent liegt. ({4}) In vielen anderen Sparten liegt der Frauenanteil teilweise unter 20 Prozent. Da müssen Sie den Menschen doch einmal erklären, warum eigentlich ein Unternehmen mit einem Frauenanteil an der Belegschaft von 60 oder 70 Prozent auf den Führungsebenen die gleichen Frauenquoten erfüllen soll wie ein Unternehmen mit 10 oder 20 Prozent Frauenanteil. ({5}) Wir haben zu konstatieren: Ihr Gesetzentwurf ist verengt, weil er sich - ganz anders als die Überlegungen etwa zur Flexiquote - überhaupt nicht mit der Frage befasst: Was tun wir auf den nachgeordneten Unternehmensebenen? Wenn man bei den Dax-30-Unternehmen eine Frauenquote von 20 Prozent einführen würde, dann würde man feststellen, dass sich in der Summe die Zahl der Frauen, die zusätzlich in den Aufsichtsräten säßen, nur geringfügig erhöhte, weil der Anteil schon heute bei nahezu 20 Prozent liegt. Wenn man bei den Dax-30-Unternehmen eine Frauenquote von 40 Prozent zugrunde legte, dann würde man ungefähr 100 zusätzliche Frauen in den Aufsichtsräten dieser Dax-Unternehmen benötigen. ({6}) Wenn man unterstellt, dass manche der 100 Frauen mehrere Aufsichtsratsmandate wahrnehmen, dann läge die Zahl der Frauen, für die man etwas täte, unter 100. Wenn Sie aber die Managementverpflichtungen der deutschen Wirtschaft übernähmen, ({7}) würden Sie etwas für über 5 000 Frauen tun. ({8}) Das zeigt, dass Ihr Modell wenig weiterhilft. ({9}) Sie sprechen von der gläsernen Decke. Sie machen die gläserne Decke aber nicht durchlässig. Sie setzen auf die gläserne Decke quasi ein paar Frauen obendrauf und behaupten, damit sei Durchlässigkeit erreicht. ({10}) Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf eine Mogelpackung. ({11}) Ihren auf Aufsichtsräte begrenzten Ansatz könnten wir nachvollziehen, wenn wir eine Chance sähen, dass mehr Frauen in Aufsichtsräten zu einem höheren Frauenanteil auf nachgeordneten Führungsebenen führen. Sie führen häufig Norwegen als Beispiel an. Schauen Sie sich die Untersuchungen des Osloer Instituts für Unternehmensvielfalt an. Natürlich ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten in Norwegen angewachsen. Aber das hat nicht dazu geführt, dass auch der Anteil von Frauen auf nachgeordneten Führungsebenen angestiegen ist. Das zeigt, dass Ihre perspektivische Verengung falsch ist. ({12}) Wir konstatieren, dass der Anwendungsbereich, den Sie vorsehen, in vielerlei Hinsicht zu weit gefasst ist. Sie führen gerne die Situation in den Dax-30-Unternehmen an. Der Anwendungsbereich in Ihrem Gesetzentwurf ist aber viel weiter gefasst. Es geht um die Einführung von Frauenquoten in über 2 000 Unternehmen. Sie sprechen medienwirksam immer von den Dax-30-Unternehmen. Aber Ihre Vorgaben betreffen auch die mittelständischen Betriebe, die, offen gestanden, andere Sorgen haben, als sich jeden Morgen zu überlegen: Was können wir gegen Frauen tun? ({13}) Die Realität ist doch, dass es in Familienbetrieben als normal angesehen wird, dass die Tochter anstelle des Sohns die Geschäftsführung übernimmt. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum Sie einen derart weiten Anwendungsbereich vorschlagen. ({14}) Sie wollen, dass die Frauenquote für alle börsennotierten Unternehmen gelten soll. Börsennotierte Unternehmen sind aber nicht nur die Dax-30-Unternehmen. Wir haben in Deutschland - je nach Sichtweise - 700 bzw. 1 500 börsennotierte Unternehmen. Viele dieser Unternehmen haben 100, 150 oder 200 Mitarbeiter. ({15}) Erklären Sie doch einmal, warum die Börsennotierung als Anknüpfungspunkt für die Einführung der Frauenquote taugen soll. Das ist mitnichten so. Eine Börsenzulassung ist sehr wohl ein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Reihe schärferer Vorschriften, etwa im Bereich der Bilanzierung. Aber warum ein börsennotiertes Unternehmen, das 100 Mitarbeiter beschäftigt, allein aufgrund seiner Börsennotierung eine Frauenquote einführen soll, während das nicht börsennotierte Unternehmen mit 300 Mitarbeitern keine einführen soll, ist doch in keinen Kopf zu bekommen. ({16}) Auch für den Bereich der mitbestimmten Unternehmen möchten Sie die Quote gelten lassen. In Deutschland gibt es über 2 000 Unternehmen, die mitbestimmt sind. Einige fallen unter das Mitbestimmungsgesetz, weil sie über 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Sehr viele Unternehmen, ungefähr 1 500, fallen unter das Drittelbeteiligungsgesetz, weil sie mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Ich bitte Sie: Führen Sie sich die Realität vor Augen! Wie läuft das bei einem mittelständischen Betrieb mit 500 Mitarbeitern in der Praxis ab? Die Familie, die das Unternehmen führt, überlegt, wer das Unternehmen in der nächsten Generation übernehmen kann; dann wird pragmatisch entschieden. Solche Unternehmer haben jeden Tag ganz andere Sorgen. Sie kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Produktion, die Erhöhung der Marktanteile und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Ich glaube nicht, dass sie sich von Ihnen und Ihrer Frauenquote gängeln lassen wollen. ({17}) Wir müssen vermehrt darüber sprechen, wie wir es gewährleisten können, den Frauenanteil in vielen Ausbildungszweigen zu erhöhen. Wenn wir wollen, dass in einigen Jahren der Anteil an Managerinnen etwa im deutschen Maschinenbau anwächst, dann wird es nicht ausreichen, nur auf die Aufsichtsräte zu schauen und irgendeinen Antrag für das Schaufenster zu produzieren. Es wird darauf ankommen, mehr Schülerinnen davon zu überzeugen, etwa Ingenieurwissenschaften zu studieren. Wenn wir uns die heutigen Zahlen anschauen, dann stellen wir fest, dass wir dort leider noch nicht so weit sind, wie wir es eigentlich sein sollten. Deshalb appelliere ich nachdrücklich an Sie, uns in den Beratungen darüber auszutauschen, welche wirklich wirksame Maßnahmen wir ergreifen können, um den Anteil an Frauen in den Führungsgremien zu erhöhen. Wir sollten uns mit der Thematik in ihrer Gesamtheit und nicht isoliert, nur mit dem Blick auf den Aufsichtsrat, befassen. Wir sollten insbesondere die Fragen in den Blick nehmen, was wir auf den nachgeordneten Managementebenen tun können, was wir in puncto Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun können und was wir hinsichtlich der Steigerung des Anteils von Studentinnen in vielen wichtigen Ausbildungsfeldern tun können. ({18}) Für uns ist das, was Sie machen, zu kurz gegriffen. ({19}) Sie wollen, dass sich im Aufsichtsrat als Schaufenster der Unternehmen etwas ändert. Aber tatsächlich bleibt alles beim Alten. Das lehnen wir ab, und deshalb werden wir Ihrem Gesetzentwurf auch in den weiteren Beratungen nicht zustimmen. Vielen Dank. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Ingo Egloff das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ingo Egloff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Harbarth, es war wirklich ein starkes Stück, was Sie hier vorgetragen haben. ({0}) Sie stellen sich hierhin und sagen, es greife zu kurz, in Aufsichtsräten Frauenquoten einzuführen. Wir haben eine andere Vorlage in die Ausschüsse eingebracht, die auch die Vorstände berücksichtigt. Sie können dieser zustimmen. ({1}) Wir werden Sie daran messen; denn das, was Sie hier vorgetragen haben, ist einfach verlogen gewesen, meine Damen und Herren. ({2}) Der hier vorliegende Gesetzentwurf, der ursprünglich auf die Hamburger SPD-Senatsfraktion zurückgeht, bietet Ihnen eine weitere Chance, meine Damen und Herren von der Koalition, sich endlich zu besinnen und mit dafür zu sorgen, dass die Ungerechtigkeit bei der Besetzung von wirtschaftlichen Führungsgremien aufhört. Sie sollten sich ein Beispiel an einigen Ihrer Landesregierungen nehmen, die im Bundesrat dieser Regelung zugestimmt haben. Der Entwurf ist moderat. Er sieht zu Beginn eine Quote von 20 Prozent vor, die dann schrittweise auf 40 Prozent angehoben wird, und er lässt begründete Ausnahmen zu. Sie hätten sich das genau anschauen sollen, bevor Sie hier auf diese Art und Weise argumentierten. Natürlich hat sich meine Fraktion auch etwas anderes vorstellen können. Deswegen haben wir den Gesetzentwurf hier eingebracht. Da haben Sie die Chance, sich noch einmal zu beweisen. Sie sagen, die Aufsichtsräte allein reichten nicht aus. Wir sind gerne bereit, auch die Vorstände einzubeziehen. Das ist überhaupt kein Problem. ({3}) Das können wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gerne tun. Ich habe schon in der letzten Debatte darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit ist, an dieser Stelle für geschlechtergerechte Verhältnisse zu sorgen. Vielmehr ist es ein Akt wirtschaftlicher Klugheit. Wenn Frauen bereits im Jahre 2008 zu 67 Prozent über einen Hochschulabschluss verfügten, die Männer jedoch nur zu 62 Prozent, und dass die Frauen darüber hinaus die besseren Examina haben, dann müssten die Unternehmen doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, diese Potenziale im Bereich der Führungskräfte nicht zu nutzen. ({4}) Insofern ist es ein Akt wirtschaftlicher Vernunft, auch angesichts des Fachkräftemangels, der auf uns zukommt. Ihrer Argumentation, Herr Kollege, dass es zu wenige Absolventinnen im technischen Bereich gibt, halte ich Folgendes entgegen: In den Naturwissenschaften sind es 40 Prozent, in den Ingenieurwissenschaften sind es 22,6 Prozent. Aber schauen Sie sich doch die Vorstände der Dax-Unternehmen an. Zu ungefähr 60 Prozent sitzen dort Juristen und Volkswirte. Das, was Sie hier vortragen, ist doch ein vorgeschobenes Argument. ({5}) Alle wissenschaftlichen Untersuchungen belegen, dass Unternehmen, in denen Frauen gleichberechtigt in Führungspositionen tätig sind, aufgrund höherer Profitabilität und höheren Wachstums erfolgreicher sind und bessere Kapitalmarkterfolge erzielen. Das haben so unverdächtige Firmen bzw. Organisationen wie McKinsey und die OECD festgestellt. ({6}) Da aber in einem Bereich wie der Wirtschaft, von dem man ja gemeinhin annimmt, dass dort immer rational geprägte Entscheidungen getroffen werden, die Führungsebenen anscheinend nicht bereit sind, diese Tatsachen zu berücksichtigen, muss man sie zu ihrem Glück zwingen. Die 2001 vereinbarte freiwillige Selbstverpflichtung, mehr Frauen in Aufsichtsgremien und in andere Führungspositionen zu bringen, hat jedenfalls nicht zum Erfolg geführt. Zum Thema Verfassungsmäßigkeit. Es sind in der Vergangenheit auch immer wieder einmal Zweifel angemeldet worden, dass hier möglicherweise ein Verstoß gegen Art. 14 vorliegt, das geschützte Recht der Anteilseigner, die innere Organisation der Unternehmen selbst zu regeln. Aber das, was wir hier beschließen wollen, ist eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz zulässige Inhalts- und Schrankenbildung. Da gilt nämlich genau das Gleiche wie bei der Mitbestimmungsregelung. Dazu hat das Verfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass sie verfassungsgemäß ist. Hier geht es nur darum, die Aufsichtsgremien anders zu besetzen. ({7}) Die Mindestquote verfolgt den Zweck, die Unterrepräsentation von Frauen in Aufsichtsräten zu beseitigen. Dieser Zweck - darauf hat die Kollegin Künast hingewiesen - ist durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz geboten, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken muss. Das ist 1994 in die Verfassung hineingeschrieben worden, und das gilt nicht nur für den Bereich der öffentlichen Verwaltung, sondern auch für den privatrechtlichen Sektor. Wir sind verpflichtet, hier die Gleichberechtigung durchzusetzen, meine Damen und Herren. ({8}) Halten wir also fest: Mit diesem Gesetz verfolgen wir einen Verfassungsauftrag. Wir versuchen, ihn in die Realität umzusetzen. Nehmen wir uns ein Beispiel an anderen europäischen Ländern wie Norwegen, Island, Frankreich oder Spanien. Die Entwicklung dort zeigt, dass die Umsetzung einer solchen Regelung ohne Probleme möglich ist. Wir sollten hier gemeinsam diese für die deutsche Wirtschaft bedeutsame und positive Regelung treffen. Ich finde, dass insbesondere die Kolleginnen aus den Koalitionsfraktionen jetzt ihren Worten Taten folgen lassen müssen, sonst nimmt ihnen niemand mehr ab, dass sie es wirklich wollen. ({9}) Wenn das aus Ihrer Sicht zu kurz greift, was wir hier vorgelegt haben, dann machen Sie einen Vorschlag, wie wir beispielsweise die Vorstände mit einbeziehen können. Wir sind an Ihrer Seite, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen. ({10}) Seien Sie gewiss, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie hier mit fadenscheinigen Argumenten wieder verhindern, dass ein solches Gesetz beschlossen wird: Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung herauslassen. Wir werden das dann eben nach der Bundestagswahl im Interesse der Wirtschaft, im Interesse der Gesellschaft und im Interesse der Gleichberechtigung regeln. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Marco Buschmann für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Marco Buschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004023, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gleichen Karrierechancen für Männer und Frauen sind ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen. Daher bin ich ein Stück weit entsetzt darüber, auf welch niedrigem Niveau hier insbesondere SPD und Grüne die Sache debattieren. ({0}) Man hat den Eindruck, Sie wollen gar nichts gegen die gläserne Decke tun, sondern reine Schaufensterpolitik betreiben. Wenn der Kollege Harbarth hier als Lügner bezeichnet wird oder die Kollegin Künast sagt, sie wolle uns gar nicht mehr zuhören: Wofür dann überhaupt noch eine Debatte? ({1}) - Sie haben gesagt, Sie wollen nichts mehr hören, Sie wollen keine Argumente mehr hören. ({2}) Wer eine parlamentarische Debatte auf ein solches Niveau zieht, dem geht es nicht um Maßnahmen gegen die gläserne Decke, sondern um rein symbolische Schaufensterpolitik für den Bundestagswahlkampf und den grünen Kandidatenwahlkampf. ({3}) Was den parlamentarischen Stil angeht, möchte ich hier mit gutem Beispiel vorangehen ({4}) und Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt haben - dies verdient Respekt, weil es immer große Mühe erfordert -, auch wenn er bürokratisch ist, auch wenn er sich auf Kosten Dritter einigt, nämlich der kleinen und mittleren Unternehmen, und auch, wenn er im Ergebnis untauglich ist. Sie wissen das; diese Argumente haben wir Ihnen hier schon vorgetragen. ({5}) Erstens. Wir haben empirische Studien, die belegen, dass eine rein symbolische Frauenquote für die Aufsichtsräte in den Führungsebenen darunter nichts bewirkt. Catherine Hakim, eine exzellente Soziologin der London School of Economics, hat die Entwicklung in Norwegen untersucht und belegt, dass der Anteil an Frauen in der zweiten und dritten Führungsebene sogar noch niedriger als in Deutschland ist. Das kann doch nicht das richtige Vorbild sein. Ihre Quote ist untauglich, wenn es darum geht, die Karrierechancen insgesamt für eine relevante Zahl von Frauen zu erweitern. ({6}) Dafür in die Rechte der Hauptversammlung und in die Rechte der Aktionäre einzugreifen, ist schlichtweg unverhältnismäßig. Zweitens. Tun Sie bitte nicht so, als ob wir nichts bewirkt hätten. ({7}) Ich sage es noch einmal: Ihre alte Selbstverpflichtung hat nichts gebracht; das ist völlig richtig. Die Änderung des Corporate Governance Kodex hat aber dazu geführt, dass sich der Anteil von Frauen in der Gruppe der Neubesetzungen gegenüber der Gruppe der Amtsinhaber mittlerweile vervielfacht hat. ({8}) Wir können einen Faktor Vier konstatieren. Das ist mehr als nichts. Das ist mehr als das, was Sie bewirkt haben. Deshalb sollten Sie aufhören, uns an Ihren untauglichen Maßnahmen von 2001 zu messen. Messen Sie uns bitte an den zwar noch kleinen, aber deutlich messbaren Erfolgen. Wir haben in einem Jahr mehr bewirkt als Sie in vielen Jahren. Tun Sie nicht so, als gäbe es nichts zu konstatieren. ({9}) Drittens. Der Kollege Egloff hat dem Kollegen Harbarth vorhin eine Umkehrung der Argumente vorgeworfen. Das finde ich, Frau Künast, sehr bemerkenswert. Bislang haben Sie uns immer gesagt: Ihr müsst die Quote einführen, weil uns die Europäische Kommission dazu zwingen wird. ({10}) Jetzt haben unsere sachlichen Argumente offenbar Gehör bei der Kommission gefunden. ({11}) Die Kommission hat jetzt gesagt: „Das ist kein vernünftiges Mittel“, und sich dagegen entschieden. ({12}) Und jetzt sagen Sie: Jetzt müssen wir Deutsche die Kommission vor uns hertreiben. Also, wenn hier Argumente verdreht werden, dann gilt das insbesondere für Sie. ({13}) Abgesehen von diesen grundsätzlichen Argumenten gegen eine solche Zwangsquote ist Ihr konkreter Gesetzgebungsvorschlag mit sehr vielen Problemen verbunden. Ich konstatiere - dafür bedanke ich mich auch -, dass Sie unsere Kritik, was die kleinen Gremien angeht, aufgenommen haben. Das zeigt, dass die sachliche Kritik, die wir hier vorgetragen haben, nicht ganz falsch war. Sonst wären Sie ja nicht darauf eingegangen. Ich kritisiere aber, dass Sie damit ein bürokratisches Monstrum schaffen. Sie wollen demnächst nämlich jede der 16 000 deutschen Aktiengesellschaften verpflichten, sich Bescheide beim Bundesamt für Justiz einzuholen. Künftig soll jede AG sich einmal pro Jahr, weil man das für die Körperschaftsteuererklärung brauchen soll, einen Bescheid über die geschlechtergerechte Besetzung des Aufsichtsrats besorgen. 16 000 Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden. Das sind 16 000 Anträge, die im Verlauf des ersten Halbjahres eines jeden Jahres im Bundesamt für Justiz bearbeitet werden müssen. Wenn man das herunterbricht und nur eine Stunde Zeit für die Bearbeitung eines solchen Antrages ansetzt, stellt man fest, dass man in den 100 Arbeitstagen, die bis zum 31. Mai eines Jahres anfallen - das ist die Frist, die Sie setzen -, 160 Bescheide pro Tag bearbeiten müsste. Bei 60 Minuten für einen Bescheid und bei acht Arbeitsstunden pro Tag wären das 20 neue Planstellen, die man im Bundesamt für Justiz allein für die Realisierung dieses einen Details Ihres Gesetzentwurfs vorsehen müsste. Meine Damen und Herren, seien Sie ehrlich! Sie schreiben in der Einleitung Ihres Gesetzentwurfs, die Bürokratiekosten und der Bürokratieaufwand für die Umsetzung Ihres Vorschlages seien gering und zu vernachlässigen. Das ist schlichtweg die Unwahrheit. Allein die Umsetzung dieses Details würde dazu führen, dass sich im Bundesamt für Justiz 20 Leute mit nichts anderem mehr beschäftigen könnten oder 20 neue Planstellen geschaffen werden müssten. ({14}) Im Übrigen wäre es auch rechtspolitisch ein falsches Signal, wenn man private Unternehmen wieder unter staatliche Aufsicht stellen würde, was ihre internen Gremienbesetzungen angeht. Als Rechtshistoriker fühlt man sich ein wenig an die Ideen des Reichs-Aktienamtes erinnert. Wir sind weg davon! Überall im Gesellschaftsrecht gehen wir weg von der staatlichen Aufsicht, was die internen Verhältnisse angeht. Sie wollen jetzt den umgekehrten Weg gehen, zurück zum Beginn des letzten Jahrhunderts, in dem diese Ideen noch modern waren. Heute sind sie gänzlich unmodern. Zum Schluss will ich noch eines sagen: Jetzt konzediere ich einmal, es gebe diese Fortschrittsverweigerer, es gebe jene, die sich hartnäckig verweigern und obstruieren. ({15}) Gegen diese Fortschrittsverweigerer hilft Ihr Entwurf nicht, weil Sie ausschließlich Aktiengesellschaften in den Fokus nehmen. Auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung nehmen Sie ausschließlich Aktiengesellschaften in den Blick. Dann machen die Unternehmen eben einen Formwechsel. Das ist auch in Norwegen geschehen. Dort haben die Unternehmen - Familienbetriebe, kleine Betriebe und vor allem die Maschinenbauunternehmen -, die Probleme hatten, weibliche Ingenieure in der erforderlichen Anzahl und mit der notwendigen Berufserfahrung zu finden, schlichtweg die Rechtsform gewechselt. ({16}) Das wird dann bei Verschmelzungen auch passieren. Selbst wenn wir unterstellen, dass Ihre Auffassung richtig ist, dass es renitente Fortschrittsverweigerer gibt, so bleibt festzuhalten: Ihr Gesetzentwurf macht das Scheunentor für Umgehungstransaktionen ganz weit auf. Wir halten im Ergebnis fest: Ihr Vorschlag wird in der gesellschaftlichen Breite nichts bringen. Er ist kein Beitrag gegen die gläserne Decke, sondern nur Schaufensterpolitik. Umgehungsmöglichkeiten stehen sperrangelweit offen. ({17}) Man kann aus guten Gründen, gerade wenn man für effektive Frauenförderung ist, gerade wenn man für gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen in diesem Land ist, in diesem Vorschlag kein taugliches Instrument erkennen. Deshalb werden wir ihn ablehnen. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Frau Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Buschmann, das müssen Sie uns zugestehen: Angesichts der vielen guten Argumente für die Quote, die wir hier in gefühlten 150 Debatten schon ausgetauscht haben, werden Sie sicherlich verstehen, dass wir an Ihrer Lernfähigkeit langsam erhebliche Zweifel haben. ({0}) Die Quote bedeutet deutlich mehr als eine Verbesserung von Karrierechancen für Frauen. Die Quote ist ein Instrument für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an den Entscheidungen und den Ressourcen in unserer Gesellschaft. Die Linke steht dazu und sagt es immer wieder: Wir sind für eine geschlechtergerechte Gesellschaft, und wir sind auch für eine geschlechtergerechte Besetzung von Vorständen und Aufsichtsratsgremien. Wenn es nach uns ginge, würde sich dies auch in Zahlen ausdrücken. Der Hälfte der Bevölkerung steht auch die Hälfte zu. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass Frauen mit einem Anteil von lediglich 15,6 Prozent in Aufsichtsräten und von nur 4,2 Prozent in Vorständen vertreten sind. ({2}) - Herr Kauder, auf Ihre Zwischenrufe gehe ich gerne an anderer Stelle ein. Jetzt kümmere ich mich um das Wesentliche. ({3}) Der Gesetzentwurf, den wir heute behandeln, weckt in mir trotzdem, ehrlich gesagt, zwiespältige Gefühle, weil er, wie ich finde, Ausdruck eines aussichtslosen taktischen Spielchens ist. Sie glauben doch nicht allen Ernstes, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, dass CDU/CSU und FDP sich darauf einlassen? Die zeigen heute wieder deutlich, dass sie so blockiert sind, dass sie schlicht keine geschlechtergerechte Gesellschaft wollen. ({4}) Ich muss aber auch deutlich sagen: Ich hatte schon bei der Einbringung der Bundesratsinitiative zur Festschreibung einer verbindlichen Quote zwiespältige Gefühle. Einerseits verstehe ich es natürlich: Angesichts der Unbeweglichkeit dieser Regierungskoalition in der Frage der gesetzlichen Quote wäre es natürlich erfreulich, wenn wir auch mit den Stimmen von CDU-regierten Ländern tatsächlich erstmals eine verbindliche Quote festschreiben könnten. Andererseits - das finde ich bedauerlich - waren Grüne und SPD in ihren Forderungen schon einmal erheblich weiter, ({5}) sowohl in ihren eigenen parlamentarischen Initiativen als auch im Rahmen des überparteilichen Bündnisses der Berliner Erklärung. In diesem Bündnis haben wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen - auch mit einigen aus den Koalitionsfraktionen - als ersten Schritt gefordert, dass alle börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen verpflichtet werden, in ihren Aufsichtsräten bis zum Jahr 2018 - ich betone das; denn 2013 finden die entscheidenden Wahlen statt - eine Mindestquotierung von 30 Prozent zu erreichen und diesen Anteil dann zügig weiterzuentwickeln. Weil wir alle wissen, dass Freiwilligkeit zu keinem Erfolg führt, haben wir spürbare Sanktionen vorgesehen: So sollten, wenn die Zusammensetzung eines Aufsichtsrates dieser Regelung widerspricht, die Beschlüsse unwirksam werden. Jetzt, wo sogar der Entwurf eines entsprechenden fraktionsübergreifenden Gruppengesetzes auf dem Tisch liegt, verlassen ausgerechnet SPD und Grüne den Konsens dieses Bündnisses und legen den vorliegenden Gesetzentwurf vor, einen Gesetzentwurf, der deutlich hinter den bisherigen Eckpunkten der Berliner Erklärung zurückbleibt. In welchen Punkten gibt es Abweichungen? Diese möchte ich hier nennen, weil ich darauf aufmerksam machen möchte, dass wir entsprechende Änderungsanträge einbringen werden. Erstens. Für Unternehmen gibt es in diesem Gesetzentwurf viel zu viele Ausnahmen. Zweitens. Erst ab 2018 soll die erste Stufe mit 20 Prozent Frauen in Aufsichtsräten erreicht werden. Drittens. Sie haben ein paar butterweiche Sanktionen eingebaut, nämlich die Namensnennung von Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen, und die Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit von Aufsichtsratsvergütungen. Ich sehe schon, wie alle Angst bekommen. ({6}) Warum weichen also SPD und Grüne von den gemeinsam ausgehandelten und breit getragenen Forderungen der Berliner Erklärung kampflos ab? Weil Ihnen der Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach? Oder aus wahltaktischen Gründen? ({7}) Sollte Ihnen damit tatsächlich die Meisterleistung gelingen, die Regierungskoalition auf den Weg einer gesetzlichen Quote zu bringen, werde ich die Erste sein, die sagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein Glanzstück. Sie werden wahrscheinlich erwidern, dass die Einbringung des Bundesratsentwurfs durch die Bundesregierung dauern würde, bis wir hier alle Moos ansetzen. ({8}) Das glaube ich auch. In den letzten 22 Jahren hat nämlich keine Bundesregierung - im Übrigen auch nicht die rot-grüne - etwas Substanzielles geleistet, um den Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes im Hinblick auf die Vertretung von Frauen in Führungspositionen umzusetzen. An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Das hätten wir alles auf Grundlage der Berliner Erklärung diskutieren können. Ich sehe, meine Zeit hier geht langsam dem Ende zu, ({9}) deswegen abschließend noch zwei Bemerkungen: Für die Linke bleibt es dabei: Wir wollen, dass es in diesem Land geschlechtergerecht zugeht. Wir halten uns an die im Bündnis „Berliner Erklärung“ getroffenen Vereinbarungen. ({10}) Wir wissen: Es gibt genug qualifizierte Frauen, um schon 2013 Gremien wie Aufsichtsräte anders zu besetzen. Deshalb werden wir entsprechende Änderungsanträge in die weiteren Beratungen einbringen. Ich vermute, dass sich CDU/CSU und FDP diesen Änderungsanträgen wie Ihrem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nicht anschließen werden. Deswegen will ich Sie schon jetzt ermuntern, sich dann unseren Änderungsanträgen anzuschließen, damit wir konstruktiv vorankommen. ({11}) In diesem Sinne wünsche ich uns weitere konstruktive Debatten und endlich einen Schritt in Richtung mehr Geschlechtergerechtigkeit. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche die Situation der Frauen unter verschiedenen Aspekten in den Blick genommen: Minijobs standen auf der Tagesordnung; über den Unterhaltsvorschuss wurde debattiert; um die Finanzierung von Frauenhäusern geht es heute noch. Aktuelle Themen sind darüber hinaus die Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei der Rente, Altersarmut und, vor allem, die allgemeine Entgeltungleichheit. Für all das gibt es Pro und Kontra, auch unter Frauen werden diese Themen differenziert diskutiert. Häufig kann man erkennen, dass die persönliche Lebenserfahrung oder auch das Alter zu unterschiedlichen Einschätzungen führen. Mir geht es in diesem Zusammenhang darum, zu zeigen, dass das alles Facetten desselben Themas sind. Bei all diesen Punkten spielt es eine Rolle, dass alle Frauen eine andere Lebenssituation haben, die sich in einem je anderen Zugang zu eigener sozialer Sicherheit, zu eigener beruflicher Karriere und eigenem Einkommen äußert. Es gibt Ursachen, die auf freiwillige Entscheidungen zurückgehen - die Berufswahl zum Beispiel; auch wenn man daran sicherlich einiges ändern könnte -, aber auch Ursachen, die in den Strukturen liegen: traditionelle Unterschiede in der Beteiligung an der Arbeit in der Familie; Erwartungshaltungen, die sich auswirken; andere Prioritäten. Es gibt auch strukturelle Ursachen, die kaum zu beeinflussen sind. Gerade beim Thema Quote haben wir es mit Strukturen zu tun, die sich individuell nicht beeinflussen lassen. All diese Dinge greifen ineinander, und all diese Dinge haben ihre Auswirkungen darauf, dass Frauen in höheren Positionen so stark unterrepräsentiert sind. ({0}) Weshalb sage ich das? Ich will zeigen, dass „Frauen in Führungspositionen“ kein Luxusthema ist, das eine zwei- bzw. maximal dreistellige Zahl von Frauen betrifft. Vielmehr handelt es sich um die Ausprägung einer allgemeinen Problematik. Das betrifft Kassiererinnen bei Edeka ganz genauso wie Alleinerziehende oder Frauen, die über Jahre in einem Minijob festhängen und ihren ursprünglichen Beruf nicht weiter betreiben können, oder Wissenschaftlerinnen, die keine angemessene Professur bekommen. All das sind Ausprägungen desselben Themas, dass sich unterschiedliche Lebenserwartungen, unterschiedliche Traditionen in der gleichen Weise auswirken. Es gibt noch einen Grund, weshalb „Frauen in Führungspositionen“ kein Thema ist, das nur einige wenige Frauen in einer privilegierten Situation betrifft. Wie viele Frauen wir sichtbar in Führungspositionen haben, wird nämlich weit über diese Funktionen hinauswirken, weil Frauen in Führungspositionen Vorbilder schaffen, die in die Struktur der Unternehmen hineinwirken und ein Umdenken bewirken, nicht nur in den Unternehmen, sondern in der gesamten Gesellschaft. ({1}) In Deutschland wird man nie wieder infrage stellen, ob eine Frau auch Kanzlerin sein kann. Damit ist zugleich auch die Frage beantwortet, ob eine Frau Abteilungsleiterin einer Behörde sein, ob sie Filialleiterin einer Bank sein kann, ob sie Leiterin eines Supermarktes sein kann. ({2}) Genauso wird zum Beispiel in den USA nie wieder die Frage gestellt werden, ob ein Schwarzer Präsident sein kann. Das sind Fragen, die dadurch beantwortet worden sind, dass diese besonders herausgehobene Position einmal von einer entsprechenden Person wahrgenommen worden ist. Deshalb ist es auch ein Beitrag zur Lösung des ganzen Problems an allen Stellen in der beruflichen und in der gesellschaftlichen Hierarchie. Wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen haben, wird das auch Auswirkungen auf die unteren Hierarchieebenen haben. ({3}) Deshalb ist der Einwand, den wir häufig hören: „Kümmert euch doch nicht um so ein Luxusproblem, sondern kümmert euch darum, wie die Frauen über die Runden kommen, die in ganz anderen Lebenssituationen sind“, nicht berechtigt. Wir dürfen das eine nicht gegen das andere stellen, sondern alle Themen gehören zusammen. ({4}) Heute ist das Thema die Quote, über das wir uns schon oft ausgetauscht haben, wenn jetzt allerdings auch schon ein paar Monate nicht mehr. Von daher noch einmal die wichtigsten Punkte für Sie alle, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen? Ja, klar. ({5}) Das ist mittlerweile Allgemeingut. Da kriegen wir Applaus aus dem ganzen Haus. ({6}) Der Grund ist doch auch klar: Wer nach guten Leuten nur in der Hälfte der Bevölkerung sucht, der schöpft das Potenzial an Intelligenz, Kreativität, Qualifikationen und Ideen nicht aus. Deshalb ist es schon aus der egoistischen Sicht der Unternehmen wichtig, nach Talenten unter den Frauen Ausschau zu halten. Ein weiterer Aspekt ist folgender: Gemischte Teams haben die besseren Ergebnisse. Wo unterschiedliche Lebenserfahrungen zusammenkommen, da wird an alle Aspekte gedacht, und die Entscheidung ist am Ende besser. Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen. Ich will auch auf den Aspekt der Chancengleichheit hinweisen. Wo Frauen die gleichen Qualifikationen haben - gerade in den entscheidenden Ausbildungsgängen, Jura, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, haben sie längst gleich gute Qualifikationen -, da müssen ihnen auch die gleichen Chancen gegeben werden. ({7}) Nur, brauchen wir dazu eine gesetzliche Quote? ({8}) Ja! Denn von allein wird sich wenig ändern. Das zeigt uns doch die Erfahrung. ({9}) Gerade die Sinus-Studie des Frauenministeriums hat gezeigt: Es bestehen stark verfestigte Strukturen und Rituale, die sich selbst reproduzieren, die sich perpetuieren und das Nachrücken von Frauen behindern. Wir können zwar Fortschritte erkennen; die gibt es im Moment. Aber die vollziehen sich vor dem Hintergrund unserer momentanen Debatte, wodurch das Thema alle paar Monate auf der Tagesordnung steht und den Unternehmen auch signalisiert wird, dass sich etwas tut. Im Vorgriff darauf oder auch, um eine gesetzliche Regelung zu verhindern, strengen sie sich jetzt besonders an. Aber 70 Prozent und mehr der Entscheidungsträger in den Unternehmen selber - das zeigt die empirische Studie des Frauenministeriums von Carsten Wippermann glauben nicht, dass das bereits ein selbsttragender Effekt ist und dass sich ohne verbindliche Vorgaben etwas tun wird. Die wissen, wovon sie sprechen. Wir sehen also, die abstrakte Erkenntnis „Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen“ endet da, wo es die eigene Situation, die eigene Position im Aufsichtsrat, im Vorstand betrifft. Im eigenen Umfeld soll doch bitte alles so bleiben, wie es ist. Wir fangen einmal ganz unten an und schauen in 30 Jahren weiter. ({10}) Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Sie kann durchaus vernünftige Ausnahmen vorsehen. Wenn ein Familienunternehmen von den Mehrheitseignern selbst geführt wird, da kann eine Ausnahme in Ordnung sein, weil man natürlich die Positionen in der Familie weitergibt. Wer mit fünf Söhnen oder - wie meine Eltern - mit fünf Töchtern gesegnet ist, der wird auch darunter seine Nachfolger suchen. Wo es trotz ernsthafter Suche keine geeignete Kandidatin gibt, da kann es auch Ausnahmen geben; das ist in Ordnung. Eines steht aber fest: Wir brauchen eine gesetzliche Regelung. „Gesetzlich“ bedeutet „verbindlich“. Es reicht nicht, wenn „Gesetz“ draufsteht, dieses aber nur freiwillige Regelungen enthält. ({11}) Es hat auch nichts mit den Grenzen vielleicht sinnvoller Flexibilität zu tun, wenn der Adressat der Regelung selber entscheidet, welche Vorgaben er sich gibt, ohne dass ihm irgendwelche Kriterien vorgegeben werden. Flexibilität gibt es in gesetzlichen Regelungen an vielen Stellen: Nicht jeder zahlt die gleichen Steuern, das Tempolimit ist an unterschiedlichen Stellen, je nach Straßenlage, unterschiedlich. Dass sich aber der Adressat der Regelung, die sein Verhalten ausrichten soll, selber ohne besondere objektive Kriterien aussucht, zu was er sich verpflichten will: Das hat noch nie funktioniert. Auf die Idee kommt man an anderen Stellen nicht. ({12}) Sollten wir es nicht allein der Bestenauslese überlassen? ({13}) Das ist auch ein häufig gehörtes Argument. Es wäre ja schön, wenn es die Bestenauslese gäbe. Dass alle bisherigen Aufsichtsräte und Vorstände durch einen harten Prozess knallharter Bestenauslese gegangen seien, glauben allenfalls sie selber. ({14}) Das ist ein Mythos. So hat es uns auch die neue Personalchefin der Telekom, Frau Professor Schick, diese Woche noch einmal erklärt. Gleiches haben wir vorher von Herrn Sattelberger gehört. Gleiches bestätigt auch die Wippermann-Studie des Frauenministeriums. Hier kommen eben andere Strukturen zum Tragen: die Loyalitäten, die Rituale, die Closed-Shop-Situation. Es ist teilweise schon bitter, von wem man sich erklären lassen muss, dass es doch nur die Besten sind, die sich durchsetzen. ({15}) Sollten wir uns mehr um andere Rahmenbedingungen kümmern? Natürlich müssen wir uns auch um andere Rahmenbedingungen kümmern. Wir tun das auch. Die Betreuungssituation und die Ermunterung an Frauen, sich mehr für MINT-Berufe zu entscheiden, ist wichtig. All das alleine reicht aber auch nicht. Schauen wir nach Frankreich. Dort ist zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit vielen Jahren deutlich einfacher. Trotzdem hat es auch dort erst der Quote bedurft, um Frauen stärker in Führungspositionen zu platzieren. Wir müssen also beides tun. Lasst uns doch nicht immer nur das Entweder-oder bedenken, sondern wir müssen in cumulo alles zusammentun, um an den wirklichen Verhältnissen in Führungspositionen etwas zu verändern. Ich freue mich, dass ich hier sehr viel Bereitschaft erlebt habe, konstruktiv daran mitzuwirken, zu Regelungen zu kommen, die auch wirklich funktionieren. Hier wurden einige Dinge kritisiert. Das kann man sich bestimmt noch einmal im Einzelnen anschauen. Im Dezember haben wir ja eine Anhörung dazu. Wir müssen dann aber auch zu konstruktiven Vorschlägen dafür kommen, wie das klappen kann. ({16}) Der Antrag hat natürlich auch eine taktische Seite. Es gibt noch einen anderen Antrag der SPD im Verfahren. Sie müssen jetzt schon einmal sagen, was denn nun gelten soll. Geht es auch um Vorstände? Ja oder nein? Welche Sanktionen sollen es denn nun sein? ({17}) - Nein, das zeigt leider - das ist dann doch ein Stück weit Kritik -, dass es Ihnen auch sehr viel um Taktik geht. ({18}) Ich finde das auch schade vor dem Hintergrund, dass ein Antrag aus dem Bundesrat kommt, ohne ein eindeutiges ausschließliches Parteisiegel zu tragen. Er kommt aus Hamburg, das ist klar, aber er wird von der Ministerpräsidentin des Saarlandes und vom Ministerpräsidenten aus Sachsen-Anhalt unterstützt. Ich weiß nicht, wer das schon mitbekommen hat: Mittlerweile hat sich auch unsere Landtagsfraktion des Landtages Baden-Württemberg diesen Antrag zu eigen gemacht. ({19}) Sie wissen, dass es nicht ohne Bedeutung ist, dass Sie diesem Antrag Ihr parteipolitisches Siegel jetzt noch einmal zusätzlich aufgedrückt haben. Wir brauchen darüber heute aber noch nicht zu entscheiden. Ich hoffe, dass wir auch aufgrund dieses Antrages in eine weiterhin konstruktive Beratung eintreten werden. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Winkelmeier-Becker, ich gratuliere Ihnen zu dieser mutigen Rede. ({0}) Ihre mutige Rede zeigt aber auch, dass ich Ihnen eine Quote in Ihrer Partei gewünscht hätte. Dann hätten Sie in Ihrer Fraktion mehr Unterstützung, und wir wären sicherlich gemeinsam schneller zu einem Konsens gekommen. „Willkommen in der Macho-AG.“ In Sachen weibliches Topmanagement sei Deutschland ein Entwicklungsland. - Das war vor einigen Jahren die Feststellung in der Zeitschrift Wirtschaftswoche. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, das deutsche Topmanagement sei so frauenfreundlich wie Saudi-Arabien. ({1}) In der Tat, 2006 gab es in den Vorständen der 200 größten Unternehmen nur 1 Prozent Frauen, und in den Aufsichtsräten waren sie mit 8 Prozent vertreten. Herr Harbarth, Sie behaupten, es habe sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Schauen wir doch einmal genau hin, was sich in der Macho-AG geändert hat. Der Anteil der Frauen in Vorständen ist von 1 Prozent auf sage und schreibe 3 Prozent gestiegen und der in Aufsichtsräten von 8 auf 12 Prozent. Das ist den Arbeitnehmerinnen auf der Arbeitnehmerbank zu verdanken. ({2}) Dieses Schneckentempo, Herr Harbarth, wollen wir nicht mehr haben; denn dann würden wir 120 Jahre warten, bis wir einen Anteil von 40 Prozent in den Vorständen erreicht hätten, und 60 Jahre, bis wir einen Anteil von 40 Prozent in den Aufsichtsräten hätten. Es ist höchste Zeit für eine verbindliche Quote. ({3}) Dabei gibt es doch schon in der Gesellschaft - Frau Winkelmeier-Becker hat es aufgezeigt - einen breit angelegten Konsens von Männern und Frauen über alle politischen Lager und gesellschaftlichen Schichten hinweg. Das haben die Nürnberger Resolution von 2009, die Berliner Erklärung von 2011, die Initiative der Journalistinnen „Pro Quote“, der aktuelle Vorstoß der Medizinerinnen „Pro Quote in der Medizin“ und schließlich der Bundesratsbeschluss zusammen mit der CDU am 21. September 2012 deutlich gemacht. Der Druck im Kessel wird doch immer größer. Es ist Zeit, dass sich auch parteiübergreifend im Bundestag etwas bewegt. ({4}) Die feste Quote von 40 Prozent ist das Ziel der SPD. Wir wollen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Wir wollen Taten sehen und in der Gleichstellung einen Schritt vorwärtskommen. Erst diese Woche hat Deutschland vom World Economic Forum wieder einmal den Spiegel vorgehalten bekommen: Deutschland ist im Gleichstellungsranking von Platz 11 im letzten Jahr auf Platz 13 abgerutscht. ({5}) Vor fünf Jahren, 2007, waren wir als eine der größten Volkswirtschaften auf Platz 6. Mittlerweile haben uns alle skandinavischen Länder, Island, Irland, die Niederlande und die Schweiz überholt. Die Gründe für diese schlechte Note sind im Wesentlichen zwei Dinge: erstens die geringe Beteiligung der Frauen in Führungspositionen und zweitens die unglaublich große Lohnlücke von 22 Prozent. Ich glaube, mit dieser Regierung drohen wir weiter abzurutschen. Warum? In der Quotenfrage ist sie zerstritten. Zum Thema „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gibt es noch nicht einmal im Ansatz einen Vorschlag. Das ist schwarz-gelbe Realität. Es reicht nicht, am Equal Pay Day Klagelieder anzustimmen oder über mangelnde Frauenbeteiligung zu jammern. Es reicht nicht, sich vor konkreten Entscheidungen zu drücken, weil Sie immer noch dem Irrglauben verfallen sind, Sie schadeten damit der Wirtschaft, Herr Buschmann und Herr Harbarth. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mit gemischten Teams - auch Frau Winkelmeier-Becker hat das betont -, mit Frauen in der Führung sind Unternehmen eindeutig erfolgreicher. ({6}) Ich bedauere, dass die Kommissarin Reding mit ihrem Vorstoß zur Einführung einer festen Quote bis jetzt gescheitert ist. Mal sehen, was im November kommt. Es gab Vorbehalte, auch von der deutschen Regierung. Vor allem von der FDP wird bezweifelt, ob Europa so weitreichende Einflüsse auf das Wirtschaftsgeschehen haben darf. ({7}) Ich frage Sie von der FDP: Darf es möglich sein, dass die Gleichstellung vor den Toren der Betriebe haltmacht? Ich sage: Sicher nicht! Welchen Wert hätte sonst Art. 3 des Grundgesetzes - das wurde vorhin schon von Herrn Egloff zitiert -, in dem der Staat aufgefordert wird, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen durchzusetzen? Ich wünsche Frau Reding viel Kraft. Hoffentlich bleibt sie bei der verbindlichen Quote und verwässert ihren Gesetzentwurf nicht nach dem Konzept wirkungsloser Schröder’scher Flexiquote. Dann sollte sie es besser bleiben lassen. ({8}) Herr Harbarth, Sie haben völlig recht: Die feste Quote alleine wird in Deutschland keine Gleichstellung garantieren. Sie wird ein Baustein sein müssen, ein Baustein in einem umfassenden gleichstellungspolitischen Konzept. Sie wäre allerdings - das wäre sie mit Sicherheit ein Signal dafür, wie ernst es uns mit der Gleichstellung von Frauen und Männern ist. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion hat ein umfassendes gleichstellungspolitisches Konzept. ({9}) Wir wollen eine 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte und Vorstände; der entsprechende Gesetzentwurf liegt dem Bundestag zurzeit zur Beratung vor. Frau Möhring, darüber werden wir sicherlich noch diskutieren. Wir wollen gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit. Wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dafür wollen wir das Elterngeld weiterentwickeln und die Ganztagsbetreuung ausbauen, aber sicherlich kein Betreuungsgeld. Wir wollen das Ehegattensplittung reformieren und Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln. Sie sehen: Die SPD hat mehr in ihrem Konzept als nur die Quote. Es geht um ein konsequentes gleichstellungspolitisches Konzept und nicht, wie Sie behaupten, nur um die Quote und um sonst nichts. ({10}) Ich sage Ihnen auch: Bedauerlicherweise ist die Regierung - mit einer Frau als Bundeskanzlerin, mit einer Frau als Arbeitsministerin und mit einer vermeintlichen Frauenministerin - von solch einem Konzept meiner Ansicht nach meilenweit entfernt - und mit Herrn Kauder auch. ({11}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nächstes Jahr finden viele Aufsichtsratswahlen statt. Lassen Sie uns im Parlament ein Zeichen setzen und gemeinsam eine gesetzliche Quotenregelung auf den Weg bringen! Dafür gibt es ab heute eine reale Chance. Das ist ein Angebot an Sie, Herr Kauder, dem auch Sie zustimmen können. Wer die verbindliche gesetzliche Quote nicht vernünftig regeln will, der nimmt die Frauen nicht ernst. Gleichstellungspolitisch wird man so auch in anderen Bereichen scheitern. Schönen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDPFraktion. ({0})

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Monaten hier im Plenum schon sehr häufig über die Frage diskutiert, wie wir den Anteil weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft steigern können. Wir sind uns einig: Dieser Anteil ist noch viel zu gering und passt nicht zum Ausbildungsstand der Frauen, da der Anteil der Hochschulabsolventinnen über dem Anteil männlicher Akademiker liegt. Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, und zwar nicht nur in Vorständen und Aufsichtsräten, sondern überall dort, wo Entscheidungen gefällt werden. Allerdings halten wir Liberale - da sage ich Ihnen nichts Neues - eine Zwangsquote für den denkbar schlechtesten Weg. Der Staat hat sich aus unternehmerischen Entscheidungen herauszuhalten. Wie wir gerade am Beispiel der EU-Kommission erleben durften, stehen wir damit keineswegs alleine da. Ich bin nicht überrascht, dass Frau Reding am Dienstagabend mit ihrer EU-Quoten-Forderung für Aufsichtsräte gescheitert ist. Es ist bezeichnend, dass es ausgerechnet drei Kommissarinnen waren, die das Projekt Zwangsquote verhindert haben. Aus der Kommission ist zu hören, dass der Begriff „Quote“ im neuen Vorschlag von Frau Reding gar nicht mehr auftauchen darf. Das finde ich sehr interessant. Es geht laut einem FAZ-Bericht eher darum, Unternehmen zu bewegen, den geringen Frauenanteil in Führungspositionen auszubauen, und zwar durch ein - ich zitiere „faires, transparentes Verfahren“. Das entspricht genau dem, was wir als FDP-Fraktion seit langem fordern. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, aus diesem Grund wird die FDPFraktion Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass ich Ihrem Gesetzentwurf, was die relativ langen Übergangsfristen betrifft, durchaus etwas Positives abgewinnen kann. Dazu, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf mehr als einer Seite das Grundgesetz auslegen, muss ich Ihnen allerdings sagen: Hier habe ich eine ganz andere Auffassung. Da können Sie, Frau Künast - sie hört leider nicht zu -, wie beim letzten Mal auch heute gerne wieder mit dem Grundgesetz wedeln und Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz vortragen. ({1}) Für mich zählt die unmissverständliche Aussage in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, in dem es heißt: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, ({2}) seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Wenn das Thema Quote für Aufsichtsräte wieder einmal auf der Tagesordnung steht, wird automatisch das Beispiel Norwegen als vorbildlich herausgestellt. Das war auch heute schon der Fall. Aber auch in Norwegen hat die Quote nicht das bewirkt, was sie sollte, nämlich dass die Zahl der Frauen in Aufsichtsräten insgesamt steigt. ({3}) In Wirklichkeit ist es doch so, dass eine Elite von rund 70 Topmanagerinnen 300 Aufsichtsratsmandate auf sich vereint. Warum Sie im Bundestag nicht schon zu rot-grünen Zeiten eine Quote gefordert haben, sondern ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sich etwas bewegt, einen Gesetzentwurf dazu vorlegen, erschließt sich mir nicht. Laut einer neuen Untersuchung wurden rund 40 Prozent aller neu zu besetzenden Führungspositionen im vergangenen Jahr an Frauen vergeben. Das ist immer noch nicht der große Wurf - das gestehe ich ein -, aber es ist ein klarer Trend. Wir brauchen keine gesetzlichen Quotenregelungen. Das sage nicht nur ich, sondern das ist die Meinung der meisten Menschen, auch der überwiegenden Zahl der Frauen. Wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Diese lässt sich nicht per Gesetz verordnen. Ich bin sicher, dass wir hier auf einem guten Weg sind. ({4}) Die FDP-Fraktion hat im vergangenen Jahr ein Positionspapier für mehr Frauen in Führungspositionen vorgelegt, und zwar unter dem Motto „Rahmenbedingungen für mehr Teilhabe verbessern“. Einige Stichworte hieraus sind: Erstens. Grundlagen für mehr Frauen in Führungspositionen schaffen. Dazu gehört der Führungskräftenachwuchs. Hier müssen unbedingt die Bedingungen verbessert werden. Nicht die oberste Hürde ist die schwerste, sondern die darunter: Auf der zweiten Ebene müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert werden. ({5}) Zweitens. Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Das ist erklärtermaßen ein häufig genannter Wunsch von Müttern und Vätern, auch von solchen in Führungspositionen. Drittens. Verbindliche Berichtspflichten und transparente Selbstverpflichtungen. Das sind sozusagen Quoten, die sich die Unternehmen selbst geben. Wenn das auf freiwilliger Basis geschieht, sind auch wir Liberalen für eine Quote. ({6}) Meine Damen und Herren, beim Thema gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien konzentrieren wir uns meiner Meinung nach viel zu sehr auf die börsennotierten DAX-Unternehmen. In den mittelständischen Unternehmen sind Frauen sowohl als Unternehmerinnen als auch in leitender Position längst keine Exoten mehr. Weit über 20 Prozent beträgt der Anteil von Chefinnen und leitenden Mitarbeiterinnen. Warum funktioniert das im Mittelstand viel besser? Diese Frage sollten wir uns häufiger stellen. ({7}) Wenn es nach den Erfahrungen von Personalberatern geht, stehen die Zeichen gut, dass auch große Unternehmen nachziehen. Bei allen Führungspositionen, für die Bewerber gesucht werden, heißt es: Es sind explizit Kandidatinnen erwünscht. Ich gebe zu: Dieser Wandel ist zum Teil vermutlich auf die öffentliche Debatte über eine staatliche Frauenquote zurückzuführen. Das ist auch gut so. Dann hätte dieser unerträgliche Streit aus meiner Sicht wenigstens etwas Gutes bewirkt. ({8}) Ich möchte zum Schluss noch auf eines hinweisen, das mir in jeder Quotendiskussion extrem missfällt. Gesetzlich verordnete Quoten sind auf Ergebnisgleichheit ausgerichtete Vorgaben, also nichts anderes als Planwirtschaft. ({9}) Dieser unsägliche Kollektivismus steht in krassem Widerspruch zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. ({10}) Die FDP-Fraktion bleibt dabei: Wir wollen keine Quote für die Aufsichtsräte. ({11}) Wir sind sicher, dass wir es auch ohne eine Quote hinbekommen und dass die Zeiten, in denen dezentes Grau das Bild der Aufsichtsräte und Vorstände prägt, auch ohne eine Zwangsquote ein Ende haben. ({12}) Danke. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Yvonne Ploetz für die Fraktion Die Linke. ({0})

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, in der Debatte wurde eines klar: Wir sind uns alle einig, dass Frauen ein strukturelles Karriere-Handicap haben und dass wir dringend etwas dagegen tun müssen. Umso unerträglicher ist es für mich, dass es bei diesem Gezerre um die Frauenquote immer noch kein Ende gibt. Umso unerträglicher ist für mich auch, dass die Quote auf EU-Ebene diese Woche wieder ausgebremst wurde. ({0}) Deutschland hat sich nur zu einer sehr mutigen Enthaltung durchgerungen, und das, obwohl wir gerade jetzt ein sehr couragiertes Signal in Richtung Quote dringend gebraucht hätten. 2013 ist das Superwahljahr der Aufsichtsräte. Viele Posten werden neu besetzt. Ich frage mich ernsthaft: Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, männliche Machtzirkel zu knacken? ({1}) Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, die Türen für Frauen in Spitzenjobs zu öffnen? Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie mit sozialer Gerechtigkeit und Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt beginnen? ({2}) Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie Frauen die Möglichkeit eröffnen, andere Frauen nachzuziehen und zu fördern? Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, in den Unternehmen die Weichen in Richtung Gleichberechtigung zu stellen? Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dazu. Um all das geht es, wenn wir über die Quote reden. Es geht aber nicht etwa darum, dass das eventuell der Wirtschaft dient. Dennoch möchte ich heute einen Satz dazu verlieren. Seit der letzten Woche wissen wir, dass die Quote unter anderem auch volkswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. 100 Milliarden Euro mehr in der Staatskasse ist schon etwas, über das man reden sollte. Ich finde, dass man auch darüber nachdenken sollte, die Krise als frauenpolitische Chance zu nutzen. Das ist dank der schwarz-gelben Blockade reine Zukunftsmusik. Ich beschäftige mich gerade mit etwas ganz anderem, nämlich mit den vorläufigen Ergebnissen des 4. Armuts- und Reichtumsberichts. Diese belegen nämlich, dass die ungleichen Chancen von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt mit dafür verantwortlich sind, dass auf der einen Seite privater Reichtum rasant zunimmt und auf der anderen Seite das öffentliche Vermögen rasant abnimmt. Ein Forschungsprojekt der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, bestätigte, dass die Entgeltungleichheit und der hohe Anteil von Frauen in Minijobs mit verantwortlich dafür sind, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Sie befeuern das aktuell auch noch, indem Sie die Minijobs ausweiten, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste aufseiten der Frauen, die bewiesenermaßen heute Armutslöhne und morgen Armutsrenten beziehen. Ich denke, beides ist völlig unerträglich. ({3}) Ich muss Ihnen von der Union recht geben, wenn Sie sagen, dass die Forderung nach mehr Frauen in Aufsichtsräten nicht weit genug geht. Das sehe ich genauso. Darüber sollten Sie aber auch einmal mit Ihrer Frauenministerin reden, die seit Beginn ihrer Amtszeit als frauenpolitische Mottenkugel unterwegs ist und alles zur Seite schiebt, was mit Frauenpolitik zu tun hat. ({4}) Unterm Strich bleibt stehen: Die Armutsfalle Minijobs, Niedriglöhne und Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau müssen zurückgedrängt werden. Altbackene Unternehmenskulturen müssen verändert werden. Wir brauchen ein Entgeltgleichheits- und ein Wahlarbeitszeitengesetz. Wir brauchen eine Mindestquotierung von 50 Prozent für Aufsichtsrats- und auch für Vorstandsposten; das sehe ich als vordringlich an. Wir brauchen aber auch eine Individualbesteuerung anstatt eines Ehegattensplittings. Wir brauchen Kitaplätze statt Betreuungsgeld. Außerdem brauchen wir endlich eine Aufwertung der sogenannten Care-Tätigkeiten, also der Sorgearbeit. ({5}) Pflege und Erziehung bleiben seit jeher sehr versteckt in familiären Kreisen und werden von Frauen - meistens unentgeltlich - erledigt. Wenn diese Tätigkeit dann doch beruflich ausgeübt wird, zum Beispiel als Krankenschwester, als Hebamme, als Sozialarbeiterin oder als Altenpflegerin, dann leben diese Frauen oftmals existenziell am Rande der Gesellschaft. Ich verlange heute nicht mehr und nicht weniger, als dass wir gemeinsam eine Care-Revolution vorantreiben. Die Arbeit am Menschen darf niemals weniger wert sein als die Arbeit beispielsweise mit Geld. Anstatt sich den zahlreichen Aufgaben zu stellen, fuhr Frau Schröder zum Beispiel in der letzten Woche zur Konferenz „Männerpolitik“. ({6}) Ich finde, es war sehr peinlich, dass ihr dort vom österreichischen Arbeitsminister Hundstorfer gesagt wurde, dass er sehr wohl eine feste Quote bevorzuge. Ich zitiere ihn: Dies sei ein Anstoß zur Veränderung. Damit erntete er begeisterten Applaus. Das ist ein wichtiges Signal, das wir brauchen. ({7}) Die selbstverpflichtende Flexiquote hat bis heute keinen Beifall bekommen. Ich glaube, das ist ein ebenso wichtiges Signal. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Nur um das klarzustellen: Wir debattieren heute den Gesetzentwurf des Bundesrates, der am 21. September mit den Stimmen der Grünen, der SPD, der Linken und der CDU angenommen wurde und somit die Mehrheit im Bundesrat gefunden hat. ({0}) Liebe Kollegin Möhring, natürlich geht uns das nicht weit genug. In unserem Gesetzentwurf fordern wir eine Quote von 40 Prozent. Wir werden auch sehr wohlwollend Ihre Änderungsvorschläge unterstützen. Wir werden auch den Gesetzentwurf der SPD unterstützen. Wir wollen viel mehr. Aber wir dürfen in diesem Haus doch nicht zulassen, dass das Signal, das uns der Bundesrat hierher entsandt hat, sang- und klanglos untergeht. ({1}) Wenn wir uns auf diese Regierung verlassen hätten, dann wären wir doch in dieser Frage verlassen. Das zeigen uns die Reden, die hier gehalten werden. ({2}) Weil wir uns auf diese Spielchen nicht einlassen wollen, bringen wir jetzt den heute vorliegenden Gesetzentwurf ein. Im Bundesrat haben mutige CDU-Ministerpräsidenten - Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Haseloff - gesagt: Unsere Überzeugung, unser politisches Mandat ist uns wichtiger als jede Parteiräson. Das müssen wir anerkennen; denn hier geht es um die Sache. ({3}) Ich weiß sehr genau, dass wir in den Reihen des Bundestages eine politische Mehrheit hätten. Mindestens 40 Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen würden hier sofort mit Ja stimmen, wenn sie es denn dürften. Geben Sie endlich an dieser Stelle den Zwang auf! Geben Sie die Abstimmung zu diesem Punkt frei! ({4}) Ich sage meinen Kolleginnen auch: Ja, ich höre zwar Ihre Reden, ich höre Ihren Ruf. Aber es liegt auch in der Verantwortung jedes Mandatsträgers, frei nach seinem Gewissen zu entscheiden. Dazu sind wir gezwungen. Wenn Sie von unserem Vorhaben überzeugt sind, dann stimmen Sie einfach mit Ja. Das ist relativ einfach. Ich kann es Ihnen gerne vormachen. Liebe Kolleginnen von der Koalition, Sie haben in dieser Woche eine Anhörung gehabt. Sie haben vier Leute eingeladen. Drei haben Ihnen eindrücklich gezeigt, Sie müssen an dieser Stelle für eine feste Quote stimmen. Wir haben Expertisen ohne Ende. Wir haben Zahlen, wir haben Argumente. Selbst das Auswärtige Amt gibt inzwischen interne Papiere heraus und sagt: Wenn wir nicht mehr Frauen in die Führungsetagen bekommen, wird dies in Deutschland zu einem Wettbewerbsnachteil führen. Wir werden die Aufträge verlieren. ({5}) Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch zumindest Ihrem eigenen Haus. Die sagen es doch. ({6}) Schon im Jahre 2001 haben wir über eine Selbstverpflichtung gesprochen. Es waren meine Fraktion und die Fraktion der SPD, die damals die Selbstverpflichtung in diesem Land durchgesetzt haben. Es hat uns nichts gebracht. Wir haben dazugelernt. Warum sind nicht auch Sie in der Lage, dazuzulernen? ({7}) Es geht nicht um einen Selbstzweck. Es geht darum, dass wir die bestqualifizierte Frauengeneration aller Zeiten haben, dass Frauen nicht mehr stille Teilhaber in der Gesellschaft sein wollen, wenn es um Verantwortung in diesem Land geht. ({8}) Es geht darum, dass nur 16 Prozent - ich möchte diese Zahl betonen - der Aufsichtsratsmandate nach Qualifikation besetzt werden. Alle anderen werden nach Netzwerken besetzt. In diesen Netzwerken heißt es für Frauen: Ihr müsst von draußen zugucken. - Das lassen wir uns nicht mehr gefallen. ({9}) Es geht auch darum, dieses Land moderner zu machen. Die französischen Ministerinnen und Minister haben einen Brief geschrieben. Sie haben gesagt: Wir brauchen die Quote; denn wenn wir es bei der derzeitigen Geschwindigkeit belassen, dann ist der Fortschritt langsamer als eine Schnecke. Ich wünschte mir an dieser Stelle in diesem Land etwas mehr französischen Mut - von dieser Regierung, von diesem Parlament. Lassen Sie uns mutig sein. Modernisierung lässt sich nicht aufhalten. Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Fortschritt geht nur mit Frauen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Carsten Linnemann für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gebe zu: Ich rede zum ersten Mal in diesem Hause zu diesem Thema. Es ist sehr viel Emotionalität und Schärfe im Spiel. Das wundert mich, weil wir alle das gleiche Ziel haben: Mehr Frauen in Führungspositionen. ({0}) Es gibt unterschiedliche Wege. Diese Debatte führen wir auch in unserer Fraktion. Ich persönlich bin gegen eine starre Quote. Es gibt Kollegen, die dafür sind. Es gibt diese Debatte. ({1}) - Herr Oppermann, der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass Sie diesen Gesetzentwurf einbringen. ({2}) Sie halten Vorträge, sind im Lande unterwegs und reden über die Frauenquote. Ihre Fraktion hat zwar den Gesetzentwurf eingebracht. Ihr Fraktionsvorsitzender aber ist noch nicht einmal hier im Parlament, wenn darüber entschieden wird. Unser Fraktionsvorsitzender, Volker Kauder, sitzt hier. Sie sehen, wie ernst wir dieses Thema nehmen und wie ernst Sie es nehmen. ({3}) - Herr Oppermann, wir verstehen uns doch beim Fußball gut, dann verstehen wir uns auch hier. ({4}) Zunächst einmal zu den Argumenten. Wir müssen über die Ursachen sprechen, übrigens auch über die Wirklichkeit. Wenn man sich das hier anhört, muss man den Eindruck gewinnen, dass wir in Deutschland flächendeckend ein Problem haben. Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man Sie hört. ({5}) - Nein. - Sie erwecken den Eindruck, dass das, was in Dax-Unternehmen abgeht, die Lebenswirklichkeit in diesem Land ist, und das ist falsch. ({6}) Sie reden - das muss man sich einmal vorstellen über 1 800 Unternehmen. Wir haben in Deutschland 3,6 Millionen Unternehmen. Das heißt, Sie reden über 0,05 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Aber Sie reden überhaupt nicht über die 99 Prozent Mittelstand in Deutschland. ({7}) Kümmern Sie sich doch auch einmal um den Mittelstand, nicht nur um die großen Unternehmen! ({8}) Im Mittelstand ist nämlich die Zahl der Frauen in Führungspositionen signifikant höher als in den Großunternehmen. Im Durchschnitt liegt die Quote bei 30, teilweise sogar 35 Prozent. Die zweite Wirklichkeit: Ich höre von Ihnen nichts zur Demografie, die erst jetzt voll durchschlägt. Die Menschen der Babyboomergeneration - das sind die Leute, die zwischen 1950 und 1965 geboren wurden; das waren 1,3 Millionen in der Spitze; heute ist es nur noch die Hälfte - gehen ab 2015 in Rente. Das heißt, der Effekt kommt ab 2015 bis 2030 mit voller Wucht. ({9}) Die BA hat ausgerechnet, dass das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2025 um 6,5 Millionen sinken wird. Das heißt, wir brauchen die Frauen; das ist Realität. ({10}) - Das ist keine Prognose, das ist Demografie. Sie können nichts daran ändern. Ich möchte Sie gerne einmal in fünf oder zehn Jahren hier erleben, wenn Sie über die Frauenquote reden. Erinnern Sie sich noch? Sie haben im Jahr 2004 hier gesessen und wollten auch eine Quote einführen - Sie haben dies sogar beschlossen -, nämlich eine Ausbildungsquote. Das hieß damals Ausbildungsplatzabgabe. Demnach müssten die Unternehmen im Rahmen einer Quote beachten, wie viele Auszubildende sie einstellen. Wenn sie diese nicht beachten, gibt es eine Sanktion. Davon sprechen Sie heute nicht mehr, weil heute das Gegenteil richtig ist. Heute werden nämlich händeringend Leute gesucht. ({11}) Herr Oppermann, Sie haben das damals verabschiedet. Herr Clement ist seinerzeit hinausgerannt und hat es nicht mit verabschiedet. Gott sei Dank hat es dann der Bundesrat kassiert. Das ist die Lebenswirklichkeit in Deutschland. ({12}) - Nein. ({13}) Sie selbst haben doch damals den Ausbildungspakt auf den Weg gebracht, den wir konstruktiv begleitet haben. Das war ein freiwilliger und erfolgreicher Ansatz. Deswegen ist der Weg, den Frau Schröder geht, richtig. ({14}) Sie wollen - das müssen Sie sich einmal vorstellen eine Behörde mit 20 Planstellen besetzen. Sie wollen Bürokatie, Sie wollen Sanktionen usw. Aber damit kommen Sie nicht weiter. Mit staatlichem Dirigismus hat in diesem Land noch nie etwas funktioniert. ({15}) Selbst bei der EU-Kommission ist das angekommen. Sie hat sich die Argumente angehört. Die Quote wurde abgelehnt - meinetwegen: verschoben -, weil die Realität auch bei der Kommission angekommen ist. Ich nenne Ihnen nur einmal zwei, drei Zahlen, was sich in Deutschland bereits geändert hat: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 40 Prozent der neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten in Dax-Unternehmen an Frauen gegangen. Da gibt es einen Geisteswandel. 2011 haben fast alle 30 Dax-Unternehmen freiwillige Zielquoten vereinbart, einige sogar höher als die von Ihnen anvisierte Quote: Telekom 30 Prozent, Allianz 30 Prozent, Adidas 35 Prozent, Commerzbank 30 Prozent, schon ab 2015. ({16}) Natürlich gibt es auch Unternehmen, die gar keine Frauen in Führungspositionen haben; das gebe ich zu. Es gibt die einen, die sagen, das liege daran, dass es verkrustete männliche Strukturen gibt. Ja, die muss man aufbrechen. Es gibt die anderen, die sagen: Die Frauen sind die Menschen, die die Kinder bekommen. Auch das ist richtig. Daran will ich nichts ändern; das ist Biologie. Insofern müssen wir etwas an den Rahmenbedingungen ändern; da sind wir doch einer Meinung. Flexibilität ist richtig. Warum brauchen wir beispielsweise in Großunternehmen oder sonst wo nach 17 Uhr noch Besprechungen? Warum kann man das nicht eher machen? ({17}) - Den Frauenversteher bekommen Sie jetzt zum Schluss. ({18}) - Ich meine das ernst, das ist mir in der Sache wichtig. ({19}) Ich bin der festen Überzeugung, dass Frauen - übrigens nicht nur demografisch betrachtet - Eigenschaften besitzen, die wir Männer gar nicht haben. ({20}) Gehen Sie einmal in eine Sitzung, in der nur Männer sind. Das ist eine Katastrophe, weil jeder nur auf sich fixiert ist. Die Frau hat eher den Teamgedanken. Das gilt auch beim Kundenkontakt. ({21}) - Frau Künast, mit einer starren Quote schaffen Sie das nicht; da bin ich mir sicher. Ich möchte gerne sehen, wie Sie in fünf oder zehn Jahren über starre Quoten sprechen. In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Carsten Linnemann - ({0}) - Ja, ich habe ihn schon gesehen. Wir spielen ja auch zusammen Fußball. ({1}) Lieber Carsten Linnemann, das war jetzt wirklich eine tolle kabarettistische Leistung, die wir sicherlich heute Abend in der heute-show sehen können. Zur Frage, wo unser Fraktionsvorsitzender sei: Darüber können wir hier natürlich ausführlich diskutieren. Wir können hier aber auch darüber diskutieren, wie oft denn Ihre Ministerinnen bei ganz wichtigen Themen gefehlt haben, unter anderem bei einer Diskussion zum gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben mehrfach versucht, die Ministerin herbeizuzitieren. Sie war jedoch nicht da. Insofern können wir diese Diskussion gerne miteinander führen. ({2}) Wir führen heute sowieso eine recht seltsame Diskussion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Rebmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken? - Ja oder Nein? ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, mache ich.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Rebmann, können Sie mir erklären, warum bei dieser wichtigen frauenpolitischen Debatte - es geht immerhin um Frauen in Führungsgremien - nur sechs Kolleginnen der SPD anwesend sind das sind etwa 12 Prozent aller Frauen in der SPD-Fraktion -, während weit über 25 Prozent der Frauen der CDU/CSU-Fraktion anwesend sind? ({0}) Das hebt sich insofern positiv ab, als es zeigt, dass man daran interessiert ist, einen Dialog zu führen, und dass man um ein vernünftiges Ergebnis besorgt ist.

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, gehen Sie einmal davon aus, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion ihre Arbeit in diesem Deutschen Bundestag so verrichten, wie es sich gehört, und dass sie derzeit ihrer Tätigkeit nachgehen. Sie allerdings haben dafür Sorge zu tragen, dass genügend Mitglieder Ihrer Fraktion anwesend sind, um den Gesetzentwurf, über den wir gleich abstimmen werden, ablehnen zu können. In Ihren eigenen Reihen sind nämlich genügend Fürsprecherinnen und Fürsprecher für unseren Gesetzentwurf. ({0}) Um eine Abstimmungsniederlage zu verhindern, ist Ihre Fraktion hier so zahlreich vertreten. ({1}) - Ach, Herr Kauder, jetzt lassen Sie es doch gut sein. ({2}) - Genau. Dann dreht es sich noch um Qualität. Noch einmal: Wir führen heute doch wirklich eine seltsame Debatte. Praktisch jeder hier in diesem Haus hat erklärt: Wir brauchen mehr Frauen in Führungsgremien, wir müssen etwas tun. - Das war auch in den letzten Debatten immer so. Wenn wir uns die Debatten der letzten Jahre noch einmal vor Augen führen, dann stellen wir fest: Immer wieder bestand quer durch dieses Haus Übereinstimmung darüber, dass man etwas tun müsse. Ich frage mich dann schon allen Ernstes: Wenn in diesem Hause ein derart breiter Konsens besteht, warum ist dann noch nichts geschehen? Sind das alles nur Lippenbekenntnisse? Warum sind wir noch nicht vom Reden zum Handeln gekommen? ({3}) Wir hätten diese Debatte schon längst abschließen und ein entsprechendes Gesetz vorlegen können. Ich weiß, jetzt kommen - das haben wir schon gehört - die üblichen Einwände aus den Reihen der Koalition. Es heißt, dieser Antrag, der auf die Initiative Hamburgs zurückgeht und - auch das ist schon gesagt worden - von der CDU im Saarland, in Berlin, in Sachsen-Anhalt und, wie wir gerade eben erfahren haben, offensichtlich auch von der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg mitgetragen wird ({4}) - das ist aber gesagt worden - und der offensichtlich auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe von Fürsprecherinnen und Fürsprechern findet, sei nicht umsetzbar, er sei ein bürokratisches Monster und überdies nicht zielführend. Außerdem sei das alles im Grunde eine Gängelung der Wirtschaft, es sei staatliche Bevormundung, und überhaupt sei eine freiwillige Lösung die bessere Alternative. Idealerweise wird diese freiwillige Lösung mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Wirtschaft und einer unverbindlichen Sanktionierung kombiniert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit ist doch: Mit solchen Ideen täuscht man Aktivitäten vor, ohne wirklich etwas tun zu müssen. ({5}) Diese Regierung rührt keinen Finger, wenn es um Gleichstellungsthemen geht. Sie wissen ganz genau, dass 70 Prozent der Menschen im Niedriglohnsektor in Deutschland Frauen sind, und dennoch bleibt diese Regierung bei ihrem Nein zum flächendeckenden Mindestlohn. Sie wissen ganz genau, dass Frauen bei gleicher Arbeit 23 Prozent weniger bekommen als Männer, in Führungspositionen sogar 30 Prozent weniger als Männer; aber auch da kommt nichts aus Ihren Reihen. Nein, Sie setzen mit Ihrem Betreuungsgeld sogar noch einen drauf. Sie ignorieren dabei alle, die Ihnen sagen: Das Betreuungsgeld ist gegen Frauen gerichtet, beschäftigungsfeindlich, falsch und für die deutsche Wirtschaft alles andere als sinnvoll. Meine Damen und Herren, in Vorstandsetagen haben wir ein Verhältnis von 3 Frauen zu 97 Männern. Unter 10 Aufsichtsräten befindet sich nur eine einzige Frau. ({6}) Ein Drittel der 160 DAX-Unternehmen hat keine Frau im Führungsgremium. Wenn es stimmt, dass Frauen - bedauerlicherweise im Gegensatz zu uns Männern mit beiden Hirnhälften denken können und damit die Fähigkeit besitzen, Wissen und emotionale Intelligenz zu kombinieren, ({7}) dann bedeutet das: Ein Drittel der Dax-Unternehmen verzichtet auf zusätzliche Fähigkeiten und zusätzliches Wissen. Das bedeutet auch: In diesen Dax-Unternehmen wird faktisch zu 100 Prozent mit nur einer Gehirnhälfte Geschäftspolitik betrieben. ({8}) Und trotzdem kommt von der rechten Seite des Hauses der Hinweis: Die Wirtschaft hat andere Probleme; das regelt die Wirtschaft schon selbst; das machen die auf freiwilliger Basis. Unser Grundgesetz ist da schon wesentlich weiter. Es wurde heute schon mehrfach auf Art. 3 GG hingewiesen. Ich sage: Wir sind von seiner tatsächlichen Durchsetzung, von der Beseitigung bestehender Nachteile weiter entfernt, als wir denken und es uns lieb sein kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie schon nicht auf die Opposition und auch nicht auf die Frauen in Ihren eigenen Reihen hören, dann nehmen Sie zumindest das Grundgesetz zur Hand und schauen einmal hinein. Die Begründung, Sie seien gegen staatliche Zwänge und deshalb auch gegen eine Quotenregelung, nehme ich Ihnen nicht ab. Ihnen liegen dieselben Daten und Fakten vor wie auch uns. ({9}) Wir haben doch die bestqualifizierten Frauen aller Zeiten. Sie wissen doch, dass Frauen im Durchschnitt die besseren Abschlüsse machen. Frauen sind in vielen Bereichen meist besser qualifiziert als Männer. Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, und trotzdem sind sie in den Führungsetagen kaum aufzufinden. Das kann nicht daran liegen, dass die Frauen nicht wollen; vielmehr lasst ihr sie einfach nicht. Deshalb brauchen wir jetzt endlich eine gesetzliche Lösung. ({10}) Wer eine gesetzliche Lösung ablehnt, kann das nur aus einem Grund tun: Er hat gar kein Interesse daran, dieses Problem tatsächlich anzugehen. Sie verteilen Beruhigungspillen und wollen keine wirkliche Verbesserung für Frauen. Allen Kollegen hier im Haus, die wirklich für Verbesserungen stehen, sage ich: Gleichstellungspolitik ist nicht nur Sache der Frauen. Das geht uns Männer genauso an. Deshalb gilt es, heute hier in diesem Hause Farbe zu bekennen. Ich hätte gerne gesehen, dass sich mehr Männer aus den Reihen der Koalition wie Herr Klimke für eine gesetzliche Quote ausgesprochen hätten und sich mehr Frauen so mutig zu Wort gemeldet hätten wie Frau Pawelski oder wie Frau Winkelmeier-Becker eben gerade; sie hat es schon im Dezember und im März bei der Debatte hier in diesem Haus getan. Meinen hohen Respekt, Frau Winkelmeier-Becker, vor Ihrer Position und vor Ihrem Mut, sich hierhinzustellen und gegen Ihre eigene Fraktion zu reden. ({11}) Vielleicht haben die Männer in der Koalition aber auch nur Angst davor, dass Frauen wie Sie den Männern irgendwelche Posten streitig machen oder etwas wegnehmen. ({12}) So oder so: Blockieren und Ausweichen als Aktivitäten zu verstehen, ändert nichts an - ({13}) - Wie bitte? Sie reden hier von „geistiger Tiefflieger“? Oder habe ich das jetzt gerade falsch verstanden, Herr Kauder? ({14}) - Ich diskreditiere mich selber? Ich diskreditiere mich nicht selber, Herr Kauder. Ich sage Ihnen: Sie diskreditieren sich selber mit Ihren Äußerungen, mit Ihrer Verweigerungshaltung. Ich rate Ihnen: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Natürlich müssen wir noch vieles machen; wir haben auch noch eine andere Vorlage. Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht zustimmen, wenn Sie den Frauen weiterhin die kalte Schulter zeigen, dann gehören Sie abgewählt. ({15}) Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Noch einen Satz. Herr Kauder - ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie müssen Schluss machen, Herr Kollege.

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte nur darauf hinweisen: Wenn man hier mit einem solchen Anspruch antritt, wie Sie ihn gerade formuliert haben, dann muss man sich auch an der Realität messen lassen, die Grüne und SPD in Baden-Württemberg geschaffen haben. ({0}) Dort sind gerade einmal 4 von 27 neu geschaffenen B-3Stellen - nicht alte, sondern neu geschaffene - an Frauen gegangen. ({1}) 27 neu geschaffene B-3-Stellen, 4 Frauen! Ich sage Ihnen: Nehmen Sie den Mund nicht so voll. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rebmann, wollen Sie darauf erwidern? Nein. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11139 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Rechtsausschuss liegen soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 45 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes ({0}) - Drucksache 17/11138 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({1})RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke noch ein bisschen darüber nach, wer von den drei Troikanern bei der SPD für die Frauenförderung zuständig war. ({0}) Aber das war Thema der letzten Debatte. Wir beschäftigen uns mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Es gilt, ein auf den Finanzmärkten verloren gegangenes wichtiges und knappes Gut zurückzugewinnen: das Gut Vertrauen. Gerade das Kreditwesen ist von Vertrauensbeziehungen geprägt. Die Wortbedeutung macht dies deutlich. ({1}) Ich will meine Rede dazu nutzen, um deutlich zu machen, dass die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, aber insbesondere auch der Finanzminister, Wolfgang Schäuble, nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers und den Festlegungen des Gipfels von Pittsburgh auf nationaler und internationaler Ebene dafür gesorgt haben, dass sich der Finanzkapitalismus immer stärker am Leitbild der sozialen Marktwirtschaft orientiert. Das halte ich angesichts der Größe der Herausforderung für eine respektable Bilanz. Ich will auf einige Punkte hinweisen, die zur Einordnung des heute hier vorgelegten Gesetzentwurfes wichtig und notwendig sind. Es ist uns gelungen, mehr Verantwortung im Finanzwesen zu mobilisieren, indem wir Schritt für Schritt dort, wo es geboten ist, mehr haftendes Eigenkapital vorgesehen haben. Schon Walter Eucken hat festgestellt: Nur wer haftet, handelt verantwortlich. In diesem Eucken’schen Sinne bauen wir das Finanzsystem um. Neben der abstrakten, auf Kapital basierenden Verantwortung wollen wir, dass denjenigen, die im Kreditwesen tätig sind, eine stärkere persönliche Verantwortung zukommt. Beispielsweise haben wir erstmals durchgesetzt, dass in Europa Hedgefonds-Manager in den Markt nicht einfach eintreten können, sondern dass sie dafür eine Zulassung brauchen. Gegen den teilweise nachvollziehbaren Widerstand der deutschen Anlageberater konnten wir in diesem Bereich unsere Forderung nach höherer persönlicher Qualifikation durchsetzen. Wir konzentrieren uns in unseren Aktivitäten nicht nur auf die Anbieter von Finanzdienstleistungen; darüber hinaus haben wir durch den verstärkten Schutz der Menschen, die in Deutschland bei einer Bank Geld anlegen, erhebliche Verbesserungen erreicht. Hinzuweisen ist auch darauf, dass wir die Regulierung des Handels mit Finanzmarktprodukten erheblich verbessert, intensiviert und in wesentlichen Bereichen auch verschärft haben. Den Handel mit bestimmten Produkten, deren Sinnhaftigkeit keiner mehr zu begründen wusste, haben wir - wie die Leerverkäufe - eingeschränkt und letztendlich verboten. Wir haben in diesen Tagen eine Initiative gestartet, um den sogenannten Hochfrequenzhandel stärker zu regulieren. Der graue Kapitalmarkt ist ebenfalls GegenParl. Staatssekretär Steffen Kampeter stand unserer Regulierungsbemühungen. Wir wollen weg vom regellosen Kapitalismus, und wir wollen für die Finanzindustrie die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft durchsetzen. Das ist das Anliegen der christlich-liberalen Koalition. ({2}) Dazu gehört im Übrigen auch eine verbesserte Aufsicht. National bekommt sie mehr Kompetenzen. International ist sie stärker als zuvor verzahnt. Aber all diese Aktivitäten können Unfälle nicht verhindern, wie auch gute Brandschutzvorschriften einen Brand nicht immer verhindern werden. Wir brauchen daher auch so etwas wie Feuerwehrmaßnahmen. Zwei davon haben wir im nationalen Regelungsrahmen verankert: zum einen das sogenannte Restrukturierungsrecht und zum anderen den Soffin, eine abgestufte, maßgeschneiderte Möglichkeit der Reaktion auf die Unbill von Banken- und Finanzmarktkrisen. Der Entwurf des Dritten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, den wir heute beraten, zielt auf eine Verlängerung dieser Maßnahmen ab. Auch wenn all die Schritte, die ich beschrieben habe, richtig und zielführend waren, glaube ich, dass wir auf die Finanzmarktfeuerwehr, den Soffin, noch nicht verzichten können. Diese Feuerwehr muss so lange in Betrieb bleiben, bis wir auch diese Dinge in Europa - wahrscheinlich mit Beginn des Jahres 2015 - gemeinsam angehen werden. Insofern lautet unser Vorschlag, die Dauer der Möglichkeit, beim Soffin Mittel zu beantragen, bis zum Ende des Jahres 2014 zu verlängern, um auch vor dem Hintergrund der europäischen Einigungsbemühungen voranzuschreiten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stärkere Inanspruchnahme des Finanzmarktsektors. Unser Vorschlag dazu lautet, dass wir die Finanzindustrie durch die Verzahnung der beiden parallel laufenden Bereiche - Banken, Restrukturierung - stärker in die Pflicht nehmen. Die Finanzindustrie stärker in die Pflicht zu nehmen, heißt auf der anderen Seite, den Steuerzahler stärker zu entlasten und das Risiko bei den Eigentümern dieser Unternehmen und damit dort zu belassen, wo es eigentlich hingehört. Denn der Eigentümer eines Finanzinstituts ist der vorrangige Ansprechpartner, wenn sein Institut in Schwierigkeiten ist und zusätzliches Kapital braucht. Eigentümerverantwortung ist Trumpf. Auch das ist ein Markenzeichen in diesem Bereich. ({3}) In diesem Kontext ist auch unser dritter Vorschlag zu sehen: ein klarer Vorrang des Restrukturierungsrechts. Eine Bank, die kein Geschäftsmodell hat, soll durch eine Maßnahme des Soffin nicht künstlich am Leben erhalten werden; vielmehr soll es möglich sein, die Instrumente des Restrukturierungsrechts, das ja europaweit vorbildlich ist und als Blaupause für weitere Bereiche in diesem Kontext genommen wird, einzusetzen. Somit würde der Vorrang der Restrukturierung im Grundsatz klargestellt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bestreben der Bundesregierung war es, in diesem Verbund einen neuen Bauplan für die Finanzindustrie im Hinblick auf soziale Marktwirtschaft vorzulegen, aber gleichzeitig nicht zu ignorieren, dass man trotz guter präventiver Vorschriften auch eine Finanzmarktfeuerwehr braucht, die dann, wenn ein Unfall passiert, eingreifen kann. Von diesen beiden Momenten, soziale Marktwirtschaft und Finanzmarktfeuerwehr, ist dieser Gesetzentwurf getragen. Die Bundesregierung bedankt sich bei den Koalitionsfraktionen, dass sie diese Initiative aufgegriffen haben. Wir glauben, dass Deutschland damit ein Stück weit stabiler wird und dass die Menschen, die ihr Geld bei Sparkassen, Volksbanken und anderen Finanzinstitutionen anlegen, auch ein Stück mehr Vertrauen in dieses Kreditwesen haben können. Das ist das Kernanliegen des Gesetzentwurfs. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPDFraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese dritte Fortschreibung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist sicherlich nicht einzig und allein die vertrauensbildende Maßnahme, auf die Kollege Kampeter eben hingewiesen hat; denn zwingend notwendig wäre neben dieser Verlängerung - vor einem Jahr waren Sie ja noch der Auffassung, Sie bräuchten das nur noch für ein Jahr -, dass wir eine stärkere Regulierung auf den Finanzmärkten dahin gehend zustande bringen, dass große Banken den Staat künftig nicht mehr erpressen können, indem sie gefährliche Geschäfte machen, ihre Gewinne privatisieren und im Verlustfall den Steuerzahler haften lassen. Das ist nicht akzeptabel. ({0}) Herr Kollege Kampeter, darauf gibt dieser Gesetzentwurf aber keine Antwort. Ihre Maßnahmen zur Abwicklung von Banken sind eine Fortsetzung oder ein Aufgreifen eines Gesetzentwurfs von Peer Steinbrück und Brigitte Zypries, der Restrukturierungs- und Abwicklungsmöglichkeiten enthielt, die Sie nun in einen Gesetzentwurf gegossen haben. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dass dann, wenn eine Bank einmal abgewickelt werden sollte, was in einem Markt möglich sein muss, dafür der Steuerzahler haftet, nicht aber der Bankensektor selbst. ({1}) An diesem Punkt bleiben Sie einfach deutlich zurück, und dies auf zwei Ebenen: Die erste ist die europäische Ebene, und die zweite ist die nationale Ebene. Zur nationalen Ebene kann man ganz klar sagen: Ihnen ist es nicht gelungen, den Bankensektor in Deutschland neu zu strukturieren. ({2}) Carsten Schneider ({3}) Herr Kampeter, nehmen wir einmal als Beispiel die Landesbanken. Sie selbst haben zu einem großen Gipfel eingeladen - ich glaube, das war im Jahre 2010 -, bei dem es darum ging, wie denn der Landesbankensektor - der grundsätzlich ein Problem ist - neu strukturiert werden soll. Ergebnis: Fehlanzeige. Dies wird Ihnen auch von der Europäischen Kommission bestätigt. Es ist in der Tat richtig, dass es hier eine Lücke, gibt. Sie haben sich nicht darum gekümmert. ({4}) Der zweite Fehler betrifft die ganz zentrale Frage, wer hier eigentlich dafür zahlt. Sie korrigieren sich hier in diesem Gesetzentwurf erstmals. Wenn eine Bank abgewickelt wird, soll die Verluste also der Bankenhaftungsfonds tragen. In diesen Fonds kommt pro Jahr aber nur eine halbe Milliarde Euro hinein, weil Sie die Banken schonen. Ich nehme die Deutsche Bank als Beispiel: Dafür, dass sie so groß und systemrelevant ist, hat sie in der Refinanzierung gegenüber Sparkassen und Kleinbanken einen Zinsvorteil von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ich finde, diese 2,5 Milliarden Euro müsste man abschöpfen. ({5}) - Dies müssten Sie korrigieren, ja. ({6}) - Lesen Sie die Studie des Internationalen Währungsfonds von Frau Weder di Mauro, einem ehemaligen Mitglied im Sachverständigenrat, in der sie ganz klar sagt: Weil die Deutsche Bank so groß ist, dass sie nicht pleitegehen kann, der Staat sie nicht pleitegehen lassen darf, was natürlich auch alle anderen Partner wissen, bekommt sie so günstige Zinsen, um sich zu refinanzieren. Ihr Wettbewerbsvorteil macht in Summe 2,5 Milliarden Euro aus. Dafür sind wir Garantiegeber. Wir bekommen nur nichts. Ich finde, da müssten Sie handeln, damit unsere Leistung auch bezahlt wird. ({7}) Hier in Deutschland schöpfen Sie mit diesem Restrukturierungsgesetz die Vorteile, die der Bankensektor hat, tatsächlich nicht ab, sondern lassen mehr oder weniger die Steuerzahler haften. Der zweite Punkt betrifft die europäische Dimension. Auf der europäischen Ebene ist zwingend notwendig, dass wir zu dem von Herrn Draghi am Mittwoch vor dem Haushalts- und Finanzausschuss skizzierten Konzept einer stärkeren Bankenunion, eines gemeinsam strukturierten Bankenmarktes mit klaren Regeln kommen. Nun hat Ihre Bundeskanzlerin auf dem EU-Gipfel am 29. Juni 2012 zugesagt, eine Bankenaufsicht einzuführen; das ist so weit in Ordnung. Aber dass die von denjenigen Ländern, die in der Vergangenheit Schindluder mit ihren Banken getrieben haben, deren Bankenaufsicht schlecht war, die sich nicht gekümmert haben und die zu große Banken hatten - für deren Risiken müssen jetzt andere einstehen; ich denke hier an Irland und Spanien - verursachten Kosten vom Euro-Rettungsfonds, das heißt, vom deutschen Steuerzahler und von anderen europäischen Steuerzahlern, getragen werden müssen, ohne dass die Banken einen Cent dafür bezahlen, ist nicht akzeptabel. ({8}) Sie haben vorhin das Thema Vertrauen angesprochen. Wir haben jetzt durch die Maßnahmen der EZB ein bisschen Ruhe. Es ist eine Scheinruhe; ich glaube nicht, dass sie lange anhält. Zwingend notwendig ist, dass wir auf europäischer Ebene zu einem klaren Rechtsrahmen im Bankensektor kommen. Jetzt zögern Sie das aber immer weiter hinaus. Sie tun das nicht, weil Sie die Bankenaufsicht nicht wollten, sondern deswegen, weil Sie vor der Bundestagswahl keine Entscheidung wollen, dass europäische Banken durch deutsches Steuergeld rekapitalisiert werden. Das haben Sie aber zugesagt. Ich finde, dazu müssen Sie auch stehen. Das müssen Sie jetzt auch durchführen, zumindest hinsichtlich der Bankenaufsicht. Das sollten Sie nicht auf die lange Bank schieben; denn das würde letztendlich zu einem Verlust an Vertrauen und höheren Gemeinkosten führen. ({9}) Eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Die Bankenrettung in Deutschland war nicht umsonst. Für die Hypo Real Estate, für Teile der WestLB und für andere Bereiche fallen Kosten an. Wir haben schon 2008, bei der ersten Lesung - Kollege Kampeter, das wissen Sie ganz genau -, vorgeschlagen, dass die Banken dafür haften. Die CDU/CSU hat dies damals verhindert. Sie sind jetzt zu einer anderen Einsicht gelangt. Das ist gut. Nur: Ihre Nichteinsicht vor vier Jahren hat dazu geführt, dass jetzt die Steuerzahler und nicht die Banken einen zweistelligen Milliardenbetrag finanzieren müssen; das ist nicht in Ordnung. ({10}) Der Haushaltsausschuss hat beschlossen, nochmals Experten zu diesem Thema anzuhören, zumindest schriftlich. Wir werden konstruktiv an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten. Die zentralen Fragen sind unseres Erachtens noch nicht beantwortet. Erstens: Wie kann verhindert werden, dass eine Bank einen Staat erpressen kann? Zweitens: Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Kosten einer Bankenpleite, auch rückwirkend, nicht vom Steuerzahler, sondern vom Bankensektor selbst getragen werden? Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich gedanklich in das Jahr 2008 zurückversetzt, als hier das Erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz beschlossen worden ist, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, wie die Stimmung hier damals war, wie groß auch die Unsicherheit darüber war, wie es weitergehen werde, dann muss man insgesamt feststellen, dass die Einrichtung des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung, des sogenannten Soffin, eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. Der Markt in Deutschland konnte stabil gehalten werden. Teilweise gab es auch eine Konsolidierung. Bestimmte Schwächen wurden abgestellt. Wichtige Teile werden abgewickelt: Große Teile der Hypo Real Estate werden abgewickelt, verschwinden vom Markt; ein großer Teil der WestLB wird abgewickelt, verschwindet vom Markt; die Commerzbank baut einen ganz großen Teil der Problemposten ab. Der Soffin hat eine solche Konsolidierung möglich gemacht. Das war die Voraussetzung dafür, dass sich die Wirtschaft erholen konnte. Dass wir heute so ausgezeichnet dastehen, dass Deutschland in Europa ein Anker der Stabilität ist, das hat auch damit zu tun. Die Mitarbeiter der Behörde, die dafür zuständig ist - die Finanzmarktstabilisierungsanstalt in Frankfurt -, leisten im täglichen Geschäft eine ganz ausgezeichnete Arbeit. Dafür sollten wir ihnen einmal einen Dank aussprechen. ({0}) Das Konzept, das 2008 beschlossen worden ist, hatte natürlich auch Schwächen. Zum Teil kam es auch zu Fehlern. Banken hatten das Gefühl, dass sie sich darauf verlassen können, dass schon jemand kommt und ihnen hilft, dass der Staat bzw. der Steuerzahler mit Steuergeldern einspringt, selbst dann, wenn sie Fehler gemacht haben. Entsprechend teuer war die Lösung an einigen Stellen für den Steuerzahler. Insbesondere bei der Hypo Real Estate hat der Staat eine ganze Menge Geld verloren. Das war ein teures Unterfangen. Das hatte auch mit politischen Fehleinschätzungen zu tun. Ich glaube, dass der Steuerzahler sowohl bei der Hypo Real Estate als auch bei der Commerzbank eher zu viel Geld gezahlt hat. Das ist bemerkenswert, weil der Finanzminister, der das zu verantworten hatte, Peer Steinbrück hieß. ({1}) - Doch, er hat das damals gemacht, Kollege Binding. Die Hypo Real Estate wurde übernommen, als Herr Steinbrück Finanzminister war. Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen würden, könnte ich Ihnen ausführlich erklären, welche Fehler er dabei gemacht hat. ({2}) Wenn Sie das wissen wollen, fragen Sie mich. Ich bin gerne bereit, ins Detail zu gehen. Ich finde, das ist bemerkenswert, nicht weil ich der Meinung bin, dass in einem so komplexen Umfeld kein Fehler passieren kann, sondern weil Herr Steinbrück immer wieder den Eindruck erweckt, er sei der Einzige in Deutschland, der etwas von Finanzen versteht. Ich finde, diese Beispiele zeigen, dass man diese Vorstellung getrost ad acta legen kann. Es sind einige Fehler gemacht worden. Wir haben in dieser Koalition die Schwächen, von denen ich gerade gesprochen habe, benannt und abgestellt. Wir haben 2010 das sogenannte Restrukturierungsgesetz verabschiedet. Das ist ein besonderes Insolvenzrecht für den Bankensektor. Dabei haben wir die Punkte, die vorher falsch gelaufen sind, aufgegriffen. Seitdem steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, wie der Steuerzahler eine Bank retten kann, die so schwere Fehler gemacht hat, dass sie eigentlich vom Markt verschwinden müsste. Der Steuerzahler geht, seitdem das Restrukturierungsgesetz in Deutschland gilt - das ist jetzt seit fast zwei Jahren der Fall -, eben nicht mehr her und rettet Banken, egal wie das Geschäftsmodell aussieht. Jetzt sind wir in der Lage, sie abzuwickeln, sie vom Markt zu nehmen, wenn sie kein entsprechendes Geschäftsmodell haben. Damit können Banken den Staat nicht mehr unter Druck setzen. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil. Diesen wichtigen Schritt haben wir vor zwei Jahren gemacht. ({3}) Ich sage: Die Drohung, dass sich Banken nicht mehr darauf verlassen können, dass der Staat, dass die Steuerzahler helfen, wirkt. Als das in Kraft war, haben Ratingagenturen sofort das Rating der Banken herabgestuft, was dazu führte, dass die Banken mehr Zinsen für das Geld, das sie aufnahmen, zahlen mussten; denn es ist wahrscheinlicher geworden, dass sie pleitegehen konnten. Die Ratingagenturen haben das also sofort umgesetzt, und die Banken haben das sofort zu spüren bekommen. Auch beim Fall WestLB, über den im letzten Jahr diskutiert wurde - es musste darüber verhandelt werden, wie es weitergeht -, war es, glaube ich, gut, dass wir als Bund sagen konnten: Wenn ihr euch als Eigentümer nicht einigt, wenn ihr nicht zurande kommt, wenn ihr schon wieder darauf hofft, dass am Ende Steuergeld fließt, und wenn sich nichts ändert, dann werden wir mit diesem Restrukturierungsgesetz die Probleme anders lösen. Einigt euch also! - Ich glaube, auch das hat geholfen. Das Gesetz führt dazu, dass die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft wieder zum Tragen kommen, dass die Haftung von Eigentümern wieder durchgesetzt werden kann und dass die Bürger sehen, dass es hier wieder gerecht zugeht und nicht derjenige, der Fehler macht, auch noch dadurch belohnt wird, dass er Steuergeld bekommt. Weil dieses Konzept so gut ist, hat es auch in Europa eine Diskussion darüber gegeben. Der Binnenmarktkommissar möchte das, was wir in Deutschland im Jahr 2010 als Erste umgesetzt haben, jetzt auch in Europa einführen. Man muss einmal darauf hinweisen: Wenn wir über die Frage reden, wie es mit dem Finanzmarkt und mit unserer Währung in Europa weitergeht, wird manchmal gesagt, Deutschland sage zu allem Nein. Ich finde, dies ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass wir nur zu den falschen Vorschlägen Nein sagen, andererseits aber eigene Ansätze, eigene Vorschläge einbringen. Mit unserer Antwort auf die Frage, wie man mit Banken umgeht, die pleite sind, leisten wir einen Beitrag dazu, dass es auch in Europa in Richtung soziale Marktwirtschaft geht, dass ihre Grundsätze wieder gelten und dass wieder ein bisschen mehr Gerechtigkeit in diesem Bereich herrscht. ({4}) Bis dieses europäische Regelwerk gilt, gibt es allerdings immer noch eine hohe Unsicherheit in der Bankenbranche und auch in der Wirtschaft insgesamt, zum einen wegen der Risiken im Euro-Raum, zum anderen natürlich auch wegen der Frage, wie profitabel einzelne Geschäftsmodelle von Banken sind. Das hängt auch ein Stück weit davon ab, welche Regeln in den nächsten Jahren noch verabschiedet werden. Deswegen wollen wir als Vorsorgemaßnahme die Gültigkeit der Instrumentarien des Soffin um knapp zwei Jahre verlängern. Ich glaube, das ist auch ein psychologisches Signal in Richtung Markt: Wir werden hier nichts anbrennen lassen, wir werden den Markt weiterhin stabil halten, und wir verfügen auch über die notwendigen Instrumente. Weil wir allerdings auch sagen, dass die Haftung der Eigentümer Vorrang hat, gestalten wir die Regeln beim Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so, dass erst die Eigentümer zahlen müssen, dass erst privates Kapital mobilisiert werden muss und dass Banken, deren Geschäftsmodelle nicht tragfähig sind, abgewickelt werden können. Wir zeigen damit, dass die Restrukturierung, die Konsolidierung des Bankensektors Vorrang hat vor der Rettung der Banken mit Steuergeld. Ich glaube, dass das eine ganz sinnvolle Mischung ist. Wir haben damit einen guten Instrumentenkasten, und wir werden auf dieser Grundlage die Konsolidierung im Bankensektor voranbringen. Es wird noch weitere Veränderungen geben müssen, zum Beispiel bei den Geschäftsmodellen und sicherlich auch bei den Marktanteilen. Der Sektor wird sich in den nächsten Jahren noch ein bisschen sortieren müssen. Wir werden den Prozess aufmerksam begleiten. Finanziert werden soll das in Zukunft nicht wie bisher über Steuergelder, sondern über die Bankenabgabe. ({5}) Die Branche selber zahlt eine Abgabe dafür, dass dieser Fonds einspringen kann. Ich glaube, dass auch das deutlich macht, dass wir es ernst meinen. Wir wollen den Steuerzahler aus der Haftung entlassen. Falsche Geschäftsmodelle werden nicht mehr vom Steuerzahler am Leben erhalten, sondern verschwinden vom Markt. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worüber reden wir hier? ({0}) Das muss nach diesem kapitalismuskritischen Auftritt von Staatssekretär Kampeter einmal klargestellt werden. ({1}) Wir reden nicht über Athen, sondern über die Fortsetzung der Rettung und die Stabilisierung deutscher Banken durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. ({2}) Wir erinnern uns: Nach der Lehman-Pleite 2008 kamen Banken und internationale Finanzmärkte in Not. Bankenvorstandschefs und die Aufsicht rufen ihre Regierungschefs und Finanzminister an. Kurz darauf treten Angela Merkel und Peer Steinbrück vor die Medien und sagen den legendären Satz: Die Ersparnisse sind sicher. 2008 haben wir im Bundestag binnen einer Woche einen gigantischen Rettungsschirm mit Garantien und Kapitalbeteiligungen in einem Umfang von fast 500 Milliarden Euro beschlossen. Das muss hier gesagt werden, weil die Rettung deutscher Banken in den Medien kaum noch ein Thema ist. Angesichts der Hysterie, die gegenüber Griechenland und anderen südeuropäischen Staaten verbreitet wird, und angesichts der Hetze, die zum Teil betrieben wird, ist es wichtig, heute auch anzusprechen: Wir wenden - nominell und mit den Instrumenten, die dafür zur Verfügung stehen - einen etwa dreimal so großen Betrag wie für die Stabilisierung des Euro für die Rettung deutscher Banken auf. Auch das gehört zur Wahrheit. ({3}) Die Stabilisierung des Euro dominiert die öffentliche Debatte. Wir reden hier aber auch über inzwischen verstaatlichte Banken: über die Hypo Real Estate in MünRoland Claus chen, die WestLB, die teilverstaatlichte Commerzbank und andere mehr. Ich sage der Koalition: Solange Sie als Ursache der Krise das ausmachen, was Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes geschrieben haben - dass der Kern der Krise eine anhaltende Staatsschuldenkrise sei -, haben Sie den wahren Kern des Problems nicht erkannt. ({4}) Wir haben es mit einer Krise der Banken und der internationalen Finanzmärkte zu tun. Was schlägt die Koalition vor? Sie behauptet zwar, es sei alles gut, was sie gemacht habe; dennoch soll der Soffin - Staatsgarantien und Kapitalhilfen - zwei Jahre länger wirken, also Soffin forever. Ich denke, darin ist eine Menge Vorsorge für das Wahljahr. Statt des Bundeshaushalts soll für Neuanträge am Ende nun der Restrukturierungsfonds haften; seine Mittel kommen aus der Bankenabgabe. Dann muss man aber weiterlesen. In dem Gesetzentwurf steht auch - dazu hat mein Vorredner nichts gesagt -, dass der Restrukturierungsfonds nur so lange haften soll, wie der vorhandene Bestand reicht. Was ist daran zu kritisieren? Sie feiern die Bankenrettung als Erfolg, spannen aber dennoch den Rettungsschirm wieder auf. Das passt nicht zusammen. ({5}) Solange Frau Merkel davon spricht, dass sie - davon hat sie mehrfach gesprochen - eine finanzmarktkonforme Politik betreiben will, muss ich sagen: Das ist der falsche Weg. ({6}) Die Politik muss wieder die Dominanz über diese Märkte erlangen. Sie sagen: Wir holen uns das Geld der Steuerzahler vom Bankenfonds zurück. Ich sage Ihnen, Herr Staatssekretär - das richtet sich an die Adresse der Koalition -: Das ist organisierter Selbstbetrug. ({7}) In dem Fonds ist im Moment nichts drin. Er enthält etwa 5 Prozent dessen, was schon als realer Verlust eingetreten ist. Das Risiko der faulen Papiere, die in die Bad Banks ausgelagert sind, bleibt beim Steuerzahler. Ich will daran erinnern, dass es noch vor dem Aufspannen dieses Schirms ein Finanzminister Peer Steinbrück war, der vor diesem Bundestag immer und immer wieder erklärt hat, dass auch die IKB Deutsche Industriebank eine systemrelevante Bank sei. Diese Bank gehört inzwischen dem Hedgefonds Lone Star. Das war übrigens in einer Zeit, als Peer Steinbrück die Finanztransaktionsteuer noch eine linke Spinnerei genannt hat. Daran muss man ihn gelegentlich erinnern; denn im Moment erweckt er den Eindruck, als wäre er der Vater der Idee einer Finanztransaktionsteuer. ({8}) Alternativen sind machbar, meine Damen und Herren. Was schlägt die Linke vor? Wir sind ja in der Pflicht, etwas vorzuschlagen, weil wir als einzige Fraktion dem Rettungsschirm nicht zugestimmt haben. Die Verursacher müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden, und hohe Vermögen gehören höher besteuert als bisher. Wir brauchen eine radikale Eindämmung der Finanzmärkte. Ich will Schattenbanken verdammt noch mal nicht regulieren, ich will sie schließen. ({9}) Die Linke schlägt vor, eine europäische Bank für öffentliche Anleihen, wenn man so will eine KfW Europe, zu gründen. Wir brauchen endlich eine gemeinsam abgestimmte europäische Wirtschafts-, Finanz- und auch Sozialpolitik. Daran können deutsche Banken und deren Großanleger gern mitwirken. ({10}) Den Gesetzentwurf der Koalition lehnen wir ab. Er folgt der Logik von Frau Merkel, dass Banken gerettet, Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende und Arbeitsuchende aber betrogen werden. ({11}) Das muss anders werden, und das kann anders werden. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der bisherigen Debatte schon deutlich geworden, dass es bei diesem Gesetzentwurf um eine weitere Notmaßnahme geht. Ich finde es wichtig, sich noch einmal klarzumachen: Warum brauchen wir das jetzt eigentlich? Die Begründung der Bundesregierung ist: Wir sind auf europäischer Ebene noch nicht so weit. - Das klingt erst einmal plausibel; denn europäische Politik braucht ihre Zeit, wie auch hier Gesetzgebung und Diskussion ihre Zeit brauchen. Trotzdem ist die Geschichte leider für die Bundesregierung nicht ganz so vorteilhaft. Die Europäische Kommission hat bereits im Oktober 2009, also vor drei Jahren, eine sehr gute Mitteilung mit dem Titel „Ein EURahmen für das grenzübergreifende Krisenmanagement auf dem Banksektor“ vorgelegt, in der eigentlich alles steht, was man hätte tun müssen. Dann kommt ein Dreivierteljahr später, im Juli 2010, im Europäischen Parlament ein Vorschlag für einen europäischen Restrukturierungsfonds - damals Europäischer Stabilitätsfonds genannt - auf den Tisch, der aus Bankenabgaben zu finanzieren gewesen wäre. Kommission und Parlament haben also schon vor über zwei Jahren die Grundlagen dafür gelegt, dass man in Europa Banken grenzüberschreitend retten und abwickeln kann, finanziert über Bankabgaben. Warum ist das immer noch nicht vorangekommen? Weil der Rat - und in diesem Rat auch diese Bundesregierung - das blockiert hat. ({0}) Genau deswegen ist die Verlängerung in Deutschland nötig; denn die Bundesregierung hat die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen auf europäischer Ebene ausgebremst. Deswegen ist die Begründung, wir seien in Europa noch nicht so weit, nichts anderes als das Eingeständnis, dass die Verweigerung europäischer Lösungen in der Krise, durch die sich diese Bundesregierung immer wieder auszeichnet, für Deutschland selbst teuer wird. ({1}) Da muss man dann bitte einmal ehrlich sein: Wenn jetzt die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin darauf drängt, es sollte jetzt beschleunigt werden, dann geht das eigentlich an die eigene Adresse. Sie haben sich auch bei der Verabschiedung des Restrukturierungsgesetzes in Deutschland leider etwas vorgemacht. Damals schon sprachen die Sachverständigen - ich zitiere aus dem Jahresgutachten 2010/2011 des Sachverständigenrates der Bundesregierung - von einer Problematik nationaler Vorgehen mit unterschiedlichen Insolvenzverfahren. Ich zitiere: Lassen sich die vorgesehenen deutschen Regelungen nämlich nicht auf Derivatverträge anwenden, die unter ausländischem Recht geschrieben wurden, so würden letztlich dieselben negativen Finanzsystemwirkungen entstehen, die das spezielle Insolvenzverfahren gerade vermeiden will. Auch das wurde vor über zwei Jahren geschrieben. Die Bundesregierung hat eben nicht die Konsequenz daraus gezogen, schon 2010 aktiv für eine europäische restrukturierungsrechtliche Grundlage und einen europäischen Restrukturierungsfonds zu werben, sondern sie hat es immer wieder mit dem Verweis auf die Finanzaufteilung und darauf blockiert, dass es doch teurer für Deutschland wäre. Heute haben wir den Beweis, dass diese Strategie ein Fehler war. ({2}) Ich will noch zu zwei Punkten, was den konkreten Inhalt angeht, etwas sagen. Der eine ist ein kurzer Punkt. Es gibt eine Stärkung des Bundestages. Es gibt nämlich einen Vorbehalt des Bundestages in der Weise, dass bei der Auflösung des Finanzmarktstabilisierungsfonds zukünftig wir hier entscheiden. Das ist jetzt allerdings nicht etwas, was freiwillig geschieht, sondern das ist auf ein Diktum des Bundesverfassungsgerichts vom Februar dieses Jahres zurückzuführen. Wir sind natürlich zufrieden, dass es hier eine Stärkung des Bundestages gibt. Aber es ist schon erschreckend, dass dieses Parlament immer wieder erst den Hinweis aus Karlsruhe braucht, bevor es sich selber die nötigen Rechte einräumt. ({3}) Ein weiterer Punkt - man könnte andere nennen, aber ich will darauf einen Schwerpunkt legen - ist die Frage der Transparenz bei der Bankenrettung. Wissen Sie, ich finde eigentlich: Bei den Kosten, um die es da geht - Milliarden -, besteht die Notwendigkeit, wirklich Transparenz zu schaffen. Warum steht eigentlich die Summe, die aufgelaufen ist, warum stehen die Prognosen, welche weiteren Lasten aus der Bankenrettung in Deutschland zu erwarten sind, nicht klar auf der Homepage der Finanzmarktfonds? Warum muss ich mir das da und dort zusammensuchen, und warum unterliegt immer alles Mögliche der Geheimhaltung? Wir sitzen jeden Freitag einer Sitzungswoche in dem Finanzmarktgremium, und wir müssen doch einmal sagen: Einen ganz großen Teil dessen, was wir dort diskutieren, könnte man auch öffentlich machen. Wir haben hier einen viel zu großen Bereich der Geheimhaltung. Wir Grünen sind bei der Bankenrettung für mehr Transparenz. ({4}) Ich will das an einem Punkt kurz deutlich machen: Auf meine Initiative hin ist wenigstens eine rudimentäre Teilfassung des Jahresabschlusses des Soffin öffentlich gemacht worden. Entscheidende Informationen fehlen aber noch immer. Es ist doch nicht einzusehen, dass ein börsennotiertes Unternehmen seinen Jahresabschluss und das Testat des Wirtschaftsprüfers veröffentlichen muss und damit umfassende Transparenz geschaffen wird, während wir dort, wo die Steuerzahler betroffen sind, keine entsprechende Transparenz haben. Wir werden das noch einmal in die Beratungen einbringen; denn wenn die Bürger zur Kasse gebeten werden, haben sie auch einen Anspruch auf die relevanten Informationen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Georg Schirmbeck für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Carsten Schneider, ich habe eben gehört: Die CDU/CSU und die FDP sind das Problem. Wenn sie weg wären, wäre alles klar und die Welt heile. ({0}) Dazu muss ich sagen: Wir leben in einem demokratischen Staat. 70 Prozent der Leute glauben, dass die Merkel das gar nicht so schlecht macht, um nicht zu saGeorg Schirmbeck gen, dass sie es gut macht, und wir als Koalition unterstützen sie. Das ist der Auftrag, den wir aus der Bevölkerung haben. ({1}) Sie müssen sich jetzt nicht selber schlechter machen, als Sie sind, aber es waren doch nicht Steinbrück und Zypries - Frau Zypries mag als Justizministerin ihre Aufgabe ja sogar gut wahrgenommen haben -, sondern in der Tat, wie das eben schon gesagt wurde, die Bundeskanzlerin und der Finanzminister, die durch ihre legendäre Fernsehansprache versucht haben, wieder Vertrauen zu schaffen und Ruhe in die Bevölkerung zu bringen. Es ist uns dann in Wochenfrist ohne kleinkarierte Geschäftsordnungsanträge und dem, was es sonst immer gibt, gelungen, hier im Deutschen Bundestag Beschlüsse zu fassen. Danach gab es wieder eine gewisse Stabilisierung. Was wäre denn gewesen, wenn wir das in dieser Wochenfrist nicht hinbekommen hätten? Darauf können wir doch gemeinsam stolz sein! Es wird hier immer so getan, als seien die einen die Guten und die anderen die Bösen. Wir müssen aber fragen, warum es die eine oder andere Entwicklung gegeben hat. Haben Sie schon einmal den Namen Neuber gehört? Es gab einmal eine WestLB in NordrheinWestfalen, und es gab da auch einen Ministerpräsidenten Rau und einen Ministerpräsidenten Steinbrück. Regiert hat aber eigentlich ein Mann namens Neuber. Weil das viele gar nicht mehr wissen: Er war TUI- und RWE-Aufsichtsratsboss. Warum ist es denn zu dieser Entwicklung gekommen? Wer hat denn das große Rad gedreht und drittrangige Werte irgendwo in der Welt gekauft? Jetzt heißt es: Die Eigentümer sollen eintreten. - Die Überlegung, dass die Eigentümer in erster Linie haften sollen, ist ja richtig. Aber wer waren denn die Eigentümer? ({2}) Das waren das Land Nordrhein-Westfalen und die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen. Wer musste nach Düsseldorf fahren und die entsprechenden Gespräche über die Abwicklung führen? Das war der hier anwesende Staatssekretär Kampeter. Wer musste das Geld zur Verfügung stellen? Das waren wir! Wir, der Haushaltsausschuss, mussten es aus der Bundeskasse nehmen. Das ist doch die Wahrheit! ({3}) So viel zu den Eigentümern. Da, wo Sie Verantwortung getragen haben, hätten Sie die Verantwortung wahrnehmen können. ({4}) Sie kritisieren die Fristverlängerung für den staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin, sie kritisieren Soffin III. Stellen Sie in der abschließenden Beratung doch den Antrag, dass wir Soffin III nicht machen sollen. Vielleicht bekommen Sie eine Mehrheit. Aber schauen Sie sich einmal im Land um. Wer schützt die Sozialdemokraten eigentlich vor sich selber? ({5}) Ich kenne Ministerpräsidenten, die Ihnen dann aufs Dach steigen und fragen würden: Seid ihr verrückt geworden? - Das ist doch die Wahrheit! ({6}) Ich höre, dass wir die Schulden in Europa vergemeinschaften sollen. Das sei die Lösung des Problems. Wenn wir dem, was Sie hier sagen, nachgeben würden ({7}) - Sie sprechen doch in jeder Rede über Euro-Bonds usw.; das ist doch Ihre tägliche Aussage -, dann müsste ich mich fragen, welche Reformen in Europa überhaupt noch in Angriff genommen würden. Wenn der Druck vom Kessel genommen wird: Bewegt sich dann noch irgendwo etwas? ({8}) Die Wahrheit ist, dass es zu dieser Politik keine Alternative gibt. In geschlossenen Räumen bestätigen Sie das auch, aber wenn die Türen auf und die Fernsehkameras da sind, dann erzählen Sie auf einmal tolle Dinge. Die aber sind wirkungslos, führen in die falsche Richtung und bewirken das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Was wir in der Vergangenheit gemeinsam falsch gemacht haben, nicht nur wir Politiker, sondern die ganze Gesellschaft, ist: Wir haben nicht nachhaltig gelebt. Das zeigt sich in den kommunalen Haushalten, aber in weiten Teilen auch im privaten Bereich. Wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Die Merkel soll mir mein Geld wiedergeben und für die Zinsen aufkommen, die mir entgangen sind“, dann kann ich nur sagen: Wenn man bei einer Geldanlage für sein Geld wesentlich mehr Zinsen als bei der Sparkasse bekommt - das weiß schon jeder Grundschüler -, dann ist diese Geldanlage riskanter. Dann kann man auch nicht sagen: Das ist jahrelang gut gegangen. - Irgendwann ist die Blase so groß geworden, dass sie geplatzt ist. Diejenigen, die in der Vergangenheit viel an den Zinsen verdient haben, haben dafür zahlen müssen. Das ist zum Schluss der Bürger und in vielen Fällen auch der ganz einfache Bürger. Ich gehöre zu denen, die sich für die deutsche Forstwirtschaft interessieren. Hans Carl von Carlowitz hat vor 299 Jahren seine Gedanken zur Nachhaltigkeit aufgeschrieben. Das sollten Sie einmal nachlesen. Was da steht, gilt nämlich nicht nur für die Forstwirtschaft, sondern das gilt auch für die Finanzwirtschaft. Jetzt kann man natürlich immer einen Prügelknaben finden, auf den man einschlagen kann, in diesem Fall die Deutsche Bank. Seien wir doch zufrieden - darauf können wir an der einen oder anderen Stelle vielleicht stolz sein -, dass die Deutsche Bank unsere Hilfe noch nicht gebraucht hat. ({9}) Sollen wir denen, die ihren Karren noch halbwegs am Laufen halten, einfach in den Rücken fallen und ihnen sagen, was sie machen sollen? Ich sage Ihnen eines voraus: Mit diesem Thema werden wir uns in den nächsten 20 Jahren noch zu beschäftigen haben; denn dieses Problem ist nicht in einem Jahr, nicht in kurzer Zeit zu beheben. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass es lange Zeit gut gelaufen ist und es gedauert hat, bis die Blase geplatzt ist. Sie haben ja wirklich ganz billige Argumente angeführt. Wenn es nach Ihnen geht, sollen wir das Gegenteil von dem machen, was ökonomisch und finanzpolitisch richtig ist. Dadurch lösen wir diese Aufgabe nicht. Zu dem, was die Bundeskanzlerin in Europa und auch hier mit unserer Unterstützung beschließen lässt, gibt es keine Alternative. Deshalb sage ich nur: Wir haben wieder Vertrauen zurückgewonnen. Dieses Vertrauen sollten wir hier nicht zerreden. Ich glaube, wir können auf die gemeinsame Arbeit in den vergangenen Jahren stolz sein. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erlaube mir, die Damen und Herren, die zuhören oder zuschauen, eingangs darauf aufmerksam zu machen, dass der aktuelle Tagesordnungspunkt heißt: Fortschreibung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Ich möchte gerade vor dem Hintergrund der letzten Rede daran erinnern: Darüber reden wir. Es geht hier um einen Rahmen von bis zu 500 Milliarden Euro. Wir haben eine gewichtige Entscheidung zu treffen. Da verbietet sich in diesem Haus jedes Geklimper und Getöse. ({0}) Ich will in diesem Zusammenhang - zu Ihnen werde ich gleich noch etwas sagen, Herr Staatssekretär - etwas zur Einordnung sagen: Dies ist das Dritte Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Es ist ein Dokument der Kontinuität der Politik dieser Kanzlerin Angela Merkel. Es ist deshalb ein Dokument der Kontinuität, weil sich in allen drei Gesetzen eine Regel nicht verändert hat: Für die Folgen der Finanzmarktkrise 2008/2009 haftet im Kern der Staat, und es zahlt der Steuerzahler. Hieran ändert sich auch mit diesem Gesetzentwurf nichts. ({1}) Er ist die Fortsetzung einer Notmaßnahme, die im Grundsatz nichts korrigiert. Aber die Rednerinnen und Redner der Koalition, auch der Staatssekretär, haben natürlich versucht, hier den Eindruck zu vermitteln, alles würde sich verändern, weil jetzt erstmalig über das großartige Konstrukt der deutschen Bankenabgabe, die außerordentlich hoch sein soll, der Bankensektor selber herangezogen würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will den Blick auf diesen zentralen Punkt lenken und sagen: Das ist eine Mogelpackung, die Sie uns an dieser Stelle vorlegen. Erstens. Ausweislich des Gesetzentwurfs wird der Restrukturierungsfonds erst für Maßnahmen ab 2013 herangezogen. Die großen Kosten von 2008/2009, das, was im Soffin schon an Mitteln gebunden ist, werden nicht vom Finanz- und Bankensektor getragen. ({2}) Hier gilt weiterhin, dass der Steuerzahler haftet; das ist der Kern. Kollege Toncar, da Sie gerade einen Zwischenruf gemacht haben, will ich Ihnen sagen: Natürlich war das beim ersten Mal eine Rettungsmaßnahme, die schnell ergriffen werden musste. Aber die Korrektur in Richtung Haftung des Sektors, der Finanzinstitute und der Spekulanten hätte man schon beim zweiten Stabilisierungsgesetz vornehmen können. Das haben Sie aber versäumt. Das war damals nämlich Ihr Gesetz. ({3}) Wenn Sie jetzt sagen: „Mittlerweile ist doch alles strukturiert; schauen wir uns nur einmal die HRE an“, dann muss ich Ihnen entgegnen: Das ist die größte Gefahr, die in Sachen Bad Bank eventuell noch auf uns zukommt. Wir wissen noch lange nicht, wie wir das finanzieren sollen. Dieses Risiko verbleibt beim Steuerzahler. Zweiter Punkt. Ab 2013 wird für alle Maßnahmen auf die Bankenabgabe und den Restrukturierungsfonds zurückgegriffen. Aber was bedeutet das? Mehrere meiner Vorredner haben bereits darauf hingewiesen: Bisher flossen jährlich etwa 500 Millionen Euro in diesen Fonds. Ich möchte gerne wissen, was man mit diesen Mitteln finanzieren will, wenn es ernst wird. Carsten Schneider hat deutlich gemacht: Die Deutsche Bank hat aufgrund der Staatshaftung einen Vorteil im Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Das ist nichts anderes als Fallobst, das die Bank aufgrund der Staatshaftung einfach ernten kann. Das sind Windfall Profits, nichts anderes. Hier würde man erwarten, dass eine stärkere Heranziehung stattfindet. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und solider Politik. ({4}) Man fragt sich auch: Was passiert eigentlich, wenn ein großes Geldinstitut - ich will gar nicht unbedingt die Deutsche Bank nennen; es kann auch ein anderes großes Institut sein - in Probleme gerät? Dann werden die 500 Millionen Euro nicht ausreichen. ({5}) Insofern ist das, was Sie uns hier bieten, ein Potemkin’sches Dorf. Das ist eine Fassade, aber nichts, was zu einer wirklichen Stabilisierung beiträgt. ({6}) An dieser Stelle will ich sagen: Herr Staatssekretär, das, was Sie vorgetragen haben, ist, jedenfalls für mich, die eigentliche Überraschung dieser Debatte; das höre ich von christdemokratischen Politikern nämlich selten. Ich höre selten, dass christdemokratische Politiker in ihren Reden vom Finanzkapitalismus sprechen ({7}) und sagen: Wir werden die zügellosen Entwicklungen stoppen und den Kapitalismus bändigen. ({8}) Da ist man fast geneigt, „Bravo!“ zu rufen - wenn man sich nicht an den guten alten Spruch erinnern würde: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Wer hat das Ganze denn durch die eigene Politik mit ausgelöst, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({9}) Sie müssen geeignete Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung ergreifen, und die Bankenabgabe so regeln, dass sie ihren Sinn erfüllt. Um das Risiko zu bündeln, müssen die Geschäftsbereiche der großen Banken getrennt werden. Was die Bankenrettung betrifft, brauchen wir einen Too-big-to-fail-Bereich. Darum müssen wir einen Schritt in Richtung Trennbankensystem machen. Der letzte Punkt. Bei der Finanzmarktregulierung müssen endlich auch die Schattenbanken in den Blick genommen werden. Ich wäre froh, wenn Sie beim G-20Gipfel Ende November dieses Jahres ein ordentliches Ergebnis mit nach Hause bringen würden. Damit würden Sie einen größeren Beitrag zur Finanzmarktstabilisierung leisten als mit Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Sieling, in einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen. Staatssekretär Kampeter hat recht: Es war diese Bundesregierung, insbesondere Finanzminister Dr. Schäuble und Staatssekretär Kampeter, die die entscheidenden Maßnahmen zur Regulierung der bis dahin hemmungslos agierenden Finanzmärkte eingeleitet hat. Ich erinnere an das Verbot von Leerverkäufen, die Einführung einer Bankenabgabe, die Einschränkung des Hochfrequenzhandels und viele andere Maßnahmen, die auf europäischer und internationaler Ebene ergriffen worden sind. In Ihrer Regierungszeit hingegen herrschte der Glaube: Wenn man dem Beispiel Londons und seiner unregulierten Märkte bedingungslos folgt, wird alles gut. ({0}) - Nein, nein, nein. ({1}) Die Zulassung von Hedgefonds ist erst unter der Regierung Schröder erfolgt. ({2}) Ich will auf den eigentlichen Gegenstand unserer heutigen Beratungen zurückkommen. Einige meiner Vorredner haben es bereits angesprochen: Diejenigen, die dem Parlament schon damals angehört haben, werden sich sehr genau daran erinnern, wie sehr uns dieses Thema umgetrieben hat. Es war eine unheimlich schwierige Entscheidung, die in sehr kurzer Zeit getroffen werden musste. Wir konnten uns damals nicht sicher sein, dass all das, was wir beschließen, richtig ist und gut geht. Wir haben seinerzeit auch ein hohes Risiko auf uns genommen, und wir sind von viel Kritik begleitet worden. Heute können wir sagen, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ein Erfolgsmodell geworden ist und sich als absolut richtig erwiesen hat. Alle, die in den zuständigen Gremien vertreten sind, wissen auch, dass die Probleme, die wir früher als sehr viel größer einschätzen mussten, sich Gott sei Dank als sehr viel geringer darstellen. Was die gesamte Finanzmarktstabilisierung kosten wird, kann man erst nach Ablauf der Tätigkeit des Soffin, also des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung, feststellen. Deswegen haben wir aus guten Gründen im Februar dieses Jahres das zweite Finanzmarktstabilisierungsge24586 setz aufgelegt, um auch die Stoßwellen aus dem europäischen Raum, die wir befürchten mussten, mit abfedern zu können. Der Kollege Claus, glaube ich, hat gesagt, die Schirme würden neu aufgespannt. Nein, wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass wir diesen Schirm, der sich als absolut erfolgreich erwiesen hat, jetzt nicht zumachen sollten, sondern ihn im Hinblick auf weitere Entwicklungen zumindest bis zum Ende des Jahres 2014 offenhalten sollten. Dann können wir davon ausgehen, dass auch die Entwicklungen und Initiativen auf europäischer Ebene - der Kollege Dr. Schick ist darauf eingegangen - weiter vorankommen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass mit diesen Maßnahmen, die wir jetzt weiter ermöglichen, auch ein Signal an den Bankensektor und die Finanzmärkte insgesamt ausgeht und dass damit von uns unterstrichen wird: Uns liegt in besonderer Weise daran, dass der Bankensektor und der Finanzmarkt insgesamt stabil bleiben können. Das liegt im Interesse der Sparer, der Kreditkunden und der Wirtschaft insgesamt und damit insbesondere im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung und der Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. ({3}) Wir sollten auch dafür Sorge tragen - auch das ist von meinen Vorrednern, dem Kollegen Toncar und dem Herrn Staatssekretär, schon gesagt worden -, dass die Stabilisierungsmaßnahmen noch besser miteinander verzahnt werden und dass, wo immer möglich, auch die Verantwortung der Beteiligten und der Eigentümer gestärkt wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mit dem schließen, was Staatssekretär Kampeter zu Beginn seiner Rede gesagt hat: Das Gesetz, das wir jetzt auf den Weg bringen, dient dazu, das Vertrauen zu stärken. Vertrauen ist das wichtigste Kapital für uns Politiker, aber auch für die Banken und den Finanzsektor insgesamt. Das wollen wir mit dem Gesetzentwurf erreichen, und das werden wir mit dem Gesetzentwurf erreichen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 17/11138 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Alleinerziehende besser unterstützen - Drucksache 17/11032 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - Finanzausschuss- Ausschuss für Arbeit und Soziales- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung- Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Strategien für eine bessere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung - Drucksache 17/11038 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehende entlasten - Unterhaltsvorschuss ausbauen - Drucksache 17/11142 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion. ({3})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Keine andere Familienform hat in Deutschland in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen wie die Einelternfamilie. Wir reden hier von 1,6 Millionen Alleinerziehenden und insgesamt 2,2 Millionen Kindern und Jugendlichen. Alleinerziehende sind zu 90 Prozent Frauen. Alleinerziehende leisten täglich Enormes zur Bewältigung ihres Alltags. Das verdient zu Beginn dieser Debatte zunächst einmal Anerkennung und ganz viel Respekt, ({0}) und es verdient, dass Alleinerziehende in besonderer Weise von Staat und Gesellschaft unterstützt werden. Wir brauchen auch hier in Deutschland gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die die Lebenssituation der Alleinerziehenden und ihrer Kinder verbessern und wirkliche Chancengleichheit ermöglichen. Davon sind wir auch deshalb noch ein gutes Stück entfernt, weil diese schwarz-gelbe Bundesregierung - es sind leider nicht viele Mitglieder der Bundesregierung bei dieser Debatte anwesend - zwar viel redet - auch bei diesem Thema am liebsten durcheinander -, aber leider nicht handelt. Diese schwarz-gelben Regierungsjahre sind auch für Alleinerziehende verlorene Jahre. ({1}) So ist - auch das ist eine Tatsache - mehr als ein Drittel aller Einelternfamilien arm. Daher haben auch Transferleistungen für Alleinerziehende eine wichtige Bedeutung. Diesen Aspekt wird meine Kollegin Gabriele Hiller-Ohm nachher noch näher beleuchten. Meine Kolleginnen und Kollegen, Alleinerziehende müssen stärker in den Blick der Arbeitsmarkt-, der Bildungs-, der Sozial- und der Familienpolitik rücken und dürfen hier nicht singulär schubladenmäßig betrachtet werden. Die SPD-Bundestagsfraktion will Alleinerziehende besser unterstützen und Antworten auf neue gesellschaftliche Herausforderungen geben. Dabei ist ein Maßnahmenbündel notwendig, das sich an den Wünschen, den Bedürfnissen und auch an den zeitlichen Ressourcen von Alleinerziehenden orientiert. Vorschläge hierzu finden Sie in unseren beiden Anträgen. Auf vier Handlungsfeldern - Betreuung und Infrastruktur, Arbeitsvermittlung und gute Arbeit, Bildung und Qualifizierung sowie gezielte finanzielle Unterstützung - machen wir Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, ganz konkrete Vorschläge, wie man Alleinerziehende wirklich besser unterstützen kann. Gute, verlässliche und auch zeitlich flexible Bildungs- und Betreuungsangebote in Kitas, aber auch in Schulen sind eine ganz wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass Alleinerziehende erwerbstätig sein können. Nur so kommen sie aus der Armutsfalle heraus. ({2}) Das geplante Betreuungsgeld hingegen steht einer eigenständigen Existenzsicherung von Alleinerziehenden entgegen. Das ist nur einer von vielen Gründen, die dafür sprechen, dieses unsinnige Vorhaben endlich zu beerdigen. ({3}) Meine Kolleginnen und Kollegen, für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf benötigen Alleinerziehende neben einer verlässlichen Infrastruktur neue gesetzlich verankerte Arbeitszeitmodelle, die auch eine verbesserte Durchsetzbarkeit des Rechts auf Teilzeit enthalten. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Dazu zählen auch geschlechtergerechte Arbeitszeitmodelle wie die sogenannte große Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden; denn nach wie vor haben Alleinerziehende bisher nur eingeschränkte Möglichkeiten, einer existenzsichernden Arbeit nachzugehen und damit auch eine eigenständige Alterssicherung zu betreiben. Daher würden vor allem Alleinerziehende von einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn profitieren. ({4}) Was Alleinerziehende allerdings nicht brauchen, ist die von Schwarz-Gelb gestern beschlossene Ausweitung der Minijobs. Minijobs und prekäre Beschäftigungsverhältnisse reichen heute für die Familien nicht zum Leben und führen insbesondere Frauen direkt in die Altersarmut. ({5}) Ebenso notwendig ist es, die in unserem Land bestehende Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen endlich zu beenden. ({6}) Die vorhandene Lohnlücke von 23 Prozent muss endlich geschlossen werden. Richtig, Herr Kollege: Zeit wird’s. ({7}) Weil es Zeit wird, diese Lohnlücke endlich zu schließen, appellieren wir an Schwarz-Gelb: Sie brauchen nur dem Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zuzustimmen, dann wird dieses Problem gelöst. ({8}) Einen besonderen Blick müssen wir auch auf junge Alleinerziehende ohne Schul- und Berufsabschluss richten. Diese benötigen einen Rechtsanspruch auf Teilzeitausbildung und auf das Nachholen eines Schulabschlusses. Es sollte für junge Eltern und insbesondere für Alleinerziehende möglich sein, in Teilzeit zu studieren. Wir brauchen auch dringend eine Anpassung des BAföG an die Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden. Es ist auch wichtig, ehe- und familienbezogene Leistungen auf den Prüfstand zu stellen, auch im Hinblick auf Alleinerziehende. Der Unterhaltsvorschuss ist sinnvoll weiterzuentwickeln. Das gestern von der Regierung eingebrachte Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz geht genau in die falsche Richtung. ({9}) Abschließend, meine Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Ihnen sagen: Dies war nur ein Ausschnitt unseres umfassenden Konzepts für eine bessere Unterstützung von Alleinerziehenden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, haben den Anspruch, Alleinerziehende umfassend zu unterstützen. Vorschläge sind gemacht. Es ist an der Zeit, dass diese Bundesregierung und auch die Familienministerin endlich aufwachen und handeln. Die Alleinerziehenden mit ihren Kindern haben es verdient. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die Unionsfraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der Opposition, Ihre Anträge und auch die Debatte heute sind der untaugliche Versuch, Alleinerziehenden zu suggerieren, dass man nur SPD und Linke wählen müsse, und dann sei alles gut. ({0}) Dieser Versuch ist leicht zu durchschauen, und dem wird keiner auf den Leim gehen. Alleinerziehende brauchen erstens einen fairen Umgang auf Augenhöhe und zweitens Hilfe, die dort ankommt, wo sie benötigt wird. Was meine ich mit fairem Umgang auf Augenhöhe? Damit meine ich, dass man Alleinerziehende nicht immer als hilflose Opfer darstellen sollte. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bestreite nicht, dass es schwierig ist, in weitestgehend eigener Verantwortung ein Kind oder mehrere Kinder großzuziehen. Dazu kommen die Belastungen durch die Trennung oder vielleicht durch den Tod des Partners, das Einstellen auf eine neue Lebenssituation, Ängste und Befürchtungen. Das ist nicht einfach. Viele Alleinerziehende leben auch in schwierigen finanziellen Situationen. Oft sind es die Frauen - nämlich in neun von zehn Fällen -, die sich anschließend um die Kinder kümmern. Wenn vorher der Mann der Haupterwerber war, ist es für die betroffene Frau besonders schwierig, mit der Situation umzugehen. Die Probleme und Schwierigkeiten, die es gibt, können nicht als Rechtfertigung dienen, dass Alleinerziehende allzu oft in den Medien, aber auch in der politischen Diskussion als bemitleidenswerte Menschen, die einsam und verlassen sind, dargestellt werden. Das wird der Lebenssituation und vor allem der Selbstwahrnehmung der Mehrheit der Alleinerziehenden nicht gerecht. ({1}) Wie ist die Selbstwahrnehmung? Interessante Ergebnisse dazu liefert eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus diesem Jahr. Man kann sehr gut erkennen, dass die Eigenwahrnehmung und die Lebenswirklichkeit viel facettenreicher sind, als wir es annehmen. Die Unterschiede zwischen dem, was die offizielle Definition von Alleinerziehenden bedeutet, und dem, was die Betroffenen selbst unter alleinerziehend verstehen, sind sehr groß. Nach der amtlichen Statistik oder auch nach der politischen Definition ist man dann alleinerziehend, wenn man ein Kind unter 18 Jahren erzieht und in einem Haushalt ohne Ehe- oder Lebenspartner lebt. Die Haushaltssituation ist also maßgeblich bei der Definition von Alleinerziehenden. Spricht man aber mit Alleinerziehenden selbst, dann kommt man zu ganz anderen Schlüssen. Sie sehen weniger die Haushaltssituation als maßgeblichen Anknüpfungspunkt, sondern die Frage, wie die Verantwortung verteilt ist oder ob sie allein für die Erziehung ihres Kindes verantwortlich sind. So kann es zum Beispiel sein, dass man sich als alleinerziehend ansieht, obwohl man schon mit einem neuen Partner zusammenlebt. Umgekehrt kann es sein, dass man sich nicht als alleinerziehend ansieht, obwohl man mit keinem Partner zusammenlebt. Das ist dann der Fall, wenn es funktionierende Netzwerke, Freunde, Familie und ein Umfeld gibt, das Unterstützung leistet. Dann fühlen sich die Betroffenen nämlich gerade nicht als alleinerziehend. Deswegen ist der Eindruck von der hilflosen Einsamkeit, der sich immer aufdrängt, wenn man über Alleinerziehende spricht, falsch und trifft auf die meisten nicht zu. Kollegin Marks, ich habe mich darüber gefreut, dass Sie am Anfang Ihrer Rede von Einerzieherfamilien gesprochen haben. ({2}) - Einelternfamilien. Ich denke, da gibt es keinen großen Unterschied. - Genauso unterschiedlich und facettenreich wie die Selbstwahrnehmung und die Lebenssituation ist auch die finanzielle Situation. Auch hier störe ich mich daran, dass Sie von der SPD immer suggerieren, dass erst einmal die SPD kommen müsse, damit Alleinerziehende endlich anständig finanziell unterstützt werden. Damit verkennen Sie erstens, dass nicht alle Alleinerziehenden in prekären Situationen sind. Sie verkennen zweitens, dass es für Alleinerziehende mit geringem oder auch ohne eigenes Einkommen bereits ganz viele Unterstützungsleistungen gibt. Vieles, was Sie mit Ihrem Antrag fordern, gibt es bereits. Was Sie alles fordern, hört sich zwar gut an und ist auch sehr umfangreich, aber die Realität ist doch eine andere. Sie verschweigen viele Dinge, etwa dass es das Elterngeld für Alleinerziehende 14 Monate gibt statt 12 Monate. Sie verschweigen auch, dass wir gerade in dieser Legislaturperiode den Unterhaltsvorschuss erhöht haben. Auch das Bildungs- und Teilhabepaket haben Sie verschwiegen, das gerade Familien mit geringem Einkommen zugutekommt. Sie haben nicht nur komplett verschwiegen, dass es bereits Unterstützungsnetzwerke für Alleinerziehende gibt, sondern Sie fordern sie in Ihrem Antrag sogar noch. In meinem Wahlkreis gibt es eine solche Initiative, ein Netzwerk für Alleinerziehende. Genau das brauchen Alleinerziehende, nämlich dass man bei der Koordination von Beruf und Familie und bei der Gestaltung des Alltags hilft. Das leisten diese Netzwerke. Dort wird eine hervorragende Arbeit gemacht. ({3}) Alleinerziehende brauchen in erster Linie Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, ein möglichst unabhängiges und selbstständiges Leben zu führen. Dazu gehört in erster Linie ein auskömmliches Einkommen, also ein Job. ({4}) Nadine Schön ({5}) Eine Arbeitsstelle ist die beste Antwort auf Risiken, die mit der alleinigen Erziehung eines Kindes auf das Elternteil zukommen. Gerade wenn es um Arbeitsmöglichkeiten für Alleinerziehende geht, ist ein Punkt besonders wichtig, der ein Schwerpunkt der Familienpolitik in dieser Legislaturperiode war, und zwar der Ausbau der Kinderbetreuung. Insbesondere für Alleinerziehende ist es ungemein wichtig, dass sie ihr Kind gut betreut wissen, wenn sie einer Arbeit nachgehen, und dass es flexible Öffnungszeiten der Kitas gibt. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir von Bundesseite zusätzlich 580 Millionen Euro in die Hand nehmen, um zusätzlich 30 000 neue Kitaplätze zu fördern. Sie wissen, das ist eigentlich Aufgabe der Länder und Kommunen. Wir haben bereits über 4 Milliarden Euro investiert. ({6}) Wie gesagt: Wir werden jetzt noch einmal 580 Millionen Euro investieren. Da nimmt der Bund seine Verantwortung wahr, und das ist gerade im Sinne der Alleinerziehenden. ({7}) Um Alleinerziehenden wirklich zu helfen, müssen keine großartigen Anträge geschrieben werden. Was Sie direkt machen können, ist: Sprechen Sie mit den Regierungen in den Ländern, in denen Ihre Parteifreunde Regierungsverantwortung haben, damit der Ausbau der Kitas und der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen dort vorankommt. Damit können Sie Alleinerziehenden ganz konkret helfen. Das empfehle ich Ihnen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute den Schwerpunkt meiner Rede auf den Antrag der Linken legen, da die Zeit nicht reicht, um auf alle Forderungspunkte der SPD einzugehen. Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorübergehend. - So heißt es sinngemäß in der Begründung des von der Regierung eingebrachten Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetzes, welches wir gestern hier im Bundestag behandelt haben. Die Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist eine besondere Hilfe für alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder. Sie hilft den Alleinerziehenden, wenn sie wegen des Ausfalls der Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils nicht selbst für die Betreuung und Erziehung des Kindes sorgen können, sondern auch für den ausfallenden Barunterhalt aufkommen müssen. Alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder sind in dieser Lebenssituation besonders zu unterstützen. … Deshalb … wird eine Erhöhung der Altersgrenze um zwei Jahre geprüft. Auch das ist ein Zitat, und zwar aus einer Antwort der Bundesregierung vom 29. März 2010 - also fast drei Jahre alt - auf eine Kleine Anfrage der Linken. Des Weiteren wird dort ausgeführt: Eine Anhebung der Altersgrenze für UVG-Leistungen auf die Vollendung des 18. Lebensjahrs … entspräche nicht dem Sinn und Zweck … dieser Vorschrift. Die Unterhaltsleistung nach dem UVG hilft, wenn die Kinder aufgrund ihres Alters eine besonders intensive Fürsorge und persönliche Betreuung durch den alleinerziehenden Elternteil brauchen. Da erstaunt es schon, dass nach der Düsseldorfer Tabelle der Unterhalt für die Altersstufe von 0 bis 5 Jahren am geringsten ist, dann für die Altersstufe von 6 bis 11 Jahren steigt und in der Altersklasse von 12 bis 17 Jahren nochmals um circa 20 Prozent erhöht wird. Das heißt doch im Klartext, dass laut diesen Empfehlungen die Bedarfe von Kindern steigen, unabhängig vom Fürsorge- und Betreuungsbedarf. Frau Schröder - es ist heute wieder einmal bezeichnend, wie sehr sie sich für die Sache interessiert; Herr Kues, ich weiß, dass Sie sich dafür interessieren, aber Ihre Ministerin wie immer nicht dreht sich halt die Welt, wie sie ihr gefällt. Schon im Koalitionsvertrag steht unter der Überschrift „Unterhaltsvorschuss“ geschrieben: Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahin gehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eines Kindes gewährt wird. ({0}) Ich betone: „Wir werden“, nicht: wir wollen. Aus diesem „Wir werden“ wurde dann ein Prüfauftrag, wie wir 2010 ja gehört haben. Warum wird das Versprechen nicht eingelöst? Die FDP schreit hier immer: „Vertragstreue! Vertragstreue! Koalitionsvertrag!“ Die wissen schon nicht einmal mehr, wie der Einband aussieht. Dieses Versprechen einzulösen, wäre ein Leichtes. Stattdessen soll den Alleinerziehenden ein Monatsbeitrag vom Unterhaltsvorschuss im Rahmen der Entbürokratisierung abgezogen werden. Fünf Minuten Zeitersparnis, wie es im Gesetzentwurf heißt - und dafür verlieren Alleinerziehende einen Monatsbeitrag Unterhalt. Das ist ein „Sieg“ auf ganzer Linie, wie auch immer die Koalition dies bezeichnen mag. Und dafür klopfen Sie sich gegenseitig auf die Schultern. Das ist schwarzgelbe Familienpolitik, wie sie im Buche steht. Das geschieht ja nicht das erste Mal. Das Ganze - das regt mich als Lutheraner maßlos auf ({1}) wird von dieser Regierung selbst immer als „christlichliberal“ bezeichnet. ({2}) Ich weiß nicht, wie oft diese Bezeichnung hier im Laufe einer Woche fällt. Nach meinem Dafürhalten grenzt das schon an Blasphemie. ({3}) Diese Politik ist nicht christlich. Erklären Sie doch einmal einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater, warum das Jugendamt ab dem 13. Lebensjahr den Barunterhalt einstellt. Braucht das Kind kein Essen mehr? Braucht es keine Bücher, keine Kleidung, keine Teilhabe mehr? Erklären Sie das doch einmal. Das versteht keiner. Der Unterhaltsvorschuss ist zwingend auszubauen. Das habe ich schon mehrfach gesagt. Das erste Mal habe ich es 2006 gesagt - die Vorsitzende des Familienausschusses wird sich vielleicht noch daran erinnern können -, da waren Sie ja noch in der Opposition. Seit sechs Jahren fordere ich also den Ausbau des Unterhaltsvorschusses. Die maximale Bezugsdauer von sechs Jahren ist mit nichts zu rechtfertigen, ebenso wenig die Altersobergrenze von zwölf Jahren. Fragen Sie vor Ort doch einmal die Familienrichter, die Rechtspfleger, die Anwälte, die Jugendämter, die Jugendamtsmitarbeiter und vor allem die Betroffenen. Wann kommt diese Regierung endlich in der Realität an? ({4}) Kürzungen zulasten der Familien sind jedenfalls keine Familienpolitik, wie sie die Familien brauchen, und keine Familienpolitik, die von der Linken unterstützt wird. ({5}) Zu den Anträgen der SPD lässt sich konstatieren, dass in dem Maßnahmepaket mit seinen umfangreichen Forderungen viele gute Vorschläge enthalten sind, wie auch in den bereits gestellten Anträgen der Linken und der Grünen. Wir werden in den Beratungen - so hoffe ich wirklich - fraktionsübergreifend zu einem guten Ergebnis kommen, was den Familien in Gänze und insbesondere den Alleinerziehenden endlich wirklich hilft. Danke schön. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Alleinerziehende beschäftigt uns zum Ende dieser Sitzungswoche. Ich denke, es wäre gut, wir würden es mehr in den Fokus stellen; denn es geht hier mittlerweile um eine große Bevölkerungsgruppe. ({0}) Insofern freue ich mich, die ich selber Kinder alleine großgezogen habe, dass wir uns damit zumindest einmal auseinandersetzen. Ich glaube, dieses wichtige Thema, das die Veränderung unserer Gesellschaft betrifft, wird in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren auf der Tagesordnung stehen. Die klassische Familienvorstellung von Vater, Mutter und Kindern ist immer seltener Realität. Scheidungen sind an der Tagesordnung. Familien brechen auseinander, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Heute Morgen haben wir den Gesetzentwurf zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern beraten. Da ist die Regierungskoalition gut auf dem Weg. Wir kümmern uns durchaus um die Situation von Alleinerziehenden, gerade auch um die Situation der Kinder. Ich möchte das hier doch betonen, weil es ein bisschen unterzugehen scheint: Heute Morgen ist eine wirklich zentrale Reform im Familienrecht auf den Weg gebracht worden. Väter sind in Zukunft - das ist absehbar -, auch wenn sie nicht verheiratete Väter sind, sorgeberechtigt und auch sorgeverpflichtet. Ich glaube, da kommen wir zu einem Punkt, der beim Thema Alleinerziehende zentral ist: In dem Wort „Alleinerziehende“ steckt etwas drin, was wir uns vielleicht zu wenig bewusst machen, nämlich dass die Erziehung in einem solchen Fall die Aufgabe von nur einem Elternteil ist. Dazu gehören die tägliche Sorge, das Kümmern und das Organisieren des Alltags ohne die Hilfe eines Partners. In der Regel sind es Frauen, die alleinerziehend sind, auch wenn es zunehmend - das ist absolut zu begrüßen alleinerziehende Väter gibt. Die Situation ist häufig finanziell schwierig, weil die Väter oftmals keinen Unterhalt zahlen. Das ist meiner Ansicht nach kein Kavaliersdelikt. Das ist, wenn man es genau nimmt, sogar strafbar. ({1}) Aber in der Realität wird es hingenommen. Man stopft die Löcher dann zum Beispiel mit dem Unterhaltsvorschuss. Das ist aber nur die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung wäre, die Väter würden sich kümmern. ({2}) Gerade in dieser Hinsicht - zumindest an dieser Stelle gibt es Einvernehmen mit den Bundesländern - wollen wir den Unterhaltsvorschuss verbessern: Wir wollen die Vorgehensweisen und die Verfahren entbürokratisieren. Ich bin weiterhin hoffnungsvoll, dass wir eine Aufstockung des Unterhaltsvorschusses erreichen können; das ist ein erklärtes Ziel. Aber man muss da Geduld haben. Wir sind noch nicht am Ende der Diskussion; wir haben die Gesetzesberatungen noch vor uns. Alleinerziehende brauchen meiner Ansicht nach ganz dringend bessere Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit. Da ist nicht nur ein Ausbau der Kinderbetreuung notwendig - das ist sicherlich ein zentrales Thema -; Alleinerziehende brauchen auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten in der Wirtschaft. Es ist beispielsweise möglich, Halbtagsausbildungen anzubieten. Alleinerziehende brauchen auch bessere Umschulungsmöglichkeiten. Gerade wenn sie jung ein Kind bekommen haben und eventuell eine Ausbildung oder ein Studium abbrechen mussten, ist die wirtschaftliche Situation oftmals schwierig. Ich glaube, auch in dieser Hinsicht ist noch einiges zu tun. Ich freue mich auf die kommenden Debatten im Ausschuss. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Katja Dörner das Wort.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Große Töne spucken, nichts dahinter: So lässt sich die Politik der Bundesregierung auch mit Blick auf Alleinerziehende charakterisieren; leider ist es so. Im Koalitionsvertrag wurde so einiges angekündigt. Aber in der an sich schon ziemlich mickrigen kinderund familienpolitischen Bilanz von Schwarz-Gelb fällt auf, dass gerade die Umsetzung der Maßnahmen, die sich auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden unmittelbar positiv ausgewirkt hätten, nicht angegangen wird. Beispiel Unterhaltsvorschuss - das ist eben schon genannt worden -: Angekündigt wurde, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten und bis zum 14. Lebensjahr eines Kindes zu gewähren. Das ist eine wichtige und sinnvolle Maßnahme. Es gab sogar schon einen Gesetzentwurf. Die Umsetzung hat dann aber nicht stattgefunden; denn plötzlich war kein Geld mehr da. Ich wage mal, zu sagen: Das Geld wird jetzt wohl für das Betreuungsgeld gebraucht. Das ist völlig unsinnig und absolut inakzeptabel. ({0}) Beispiel „Abzug von der Steuerschuld“. Selbstverständlich wäre es im Interesse der Alleinerziehenden, den bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrag in einen Abzug von der Steuerschuld umzugestalten. Von dieser Ankündigung im Koalitionsvertrag will aufseiten der Regierungsfraktionen niemand mehr etwas wissen. Für Alleinerziehende wichtige Maßnahmen werden nicht umgesetzt. Dafür hat die Regierung flott an Stellen gespart, die Alleinerziehende ganz besonders treffen, beispielsweise durch die Anrechnung des Sockelbetrages beim Elterngeld auf die Leistungen nach dem ALG II. Klar ist: Unterstützung können Alleinerziehende von dieser Regierung nicht erwarten. Das wundert auch nicht, wenn man sich anschaut, welches Bild Abgeordnete der Koalitionsfraktionen von Alleinerziehenden haben. ({1}) „Alleinerziehende bevorzugt“ heißt eine Kolumne von Norbert Geis, ({2}) die er im Februar 2010 in der Jungen Freiheit veröffentlicht hat. Leider ist der Kollege, der seine exponierte Meinung hier im Deutschen Bundestag immer wieder sehr gerne darlegt, jetzt nicht hier. ({3}) In seiner Kolumne kritisiert er, der Staat gebe den Alleinerziehenden den Anreiz - Zitat -: „weder eine reguläre Arbeit anzunehmen noch eine neue Partnerschaft einzugehen“. Er rechnet ganz genau aus, was eine Alleinerziehende den Staat kostet und kommt zu dem Schluss - Zitat -: „Da fällt es schwer, dem Sinn und Zweck der staatlichen Hilfe noch Vertrauen zu schenken.“ Alleinerziehende werden aus Sicht von Herrn Geis also so gepampert, dass sie sich begeistert in ihrem Leben als Hartz-IV-Beziehende einrichten. Ich finde, das ist eine Unverschämtheit ({4}) angesichts der vielen Alleinerziehenden, die unter schwierigsten Bedingungen den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdienen, die mangels Kinderbetreuung nicht berufstätig sein können oder in Teilzeit oder gar in Minijobs arbeiten müssen. ({5}) Fakt ist, dass knapp zwei Drittel der Alleinerziehenden ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten. Über die Hälfte der Alleinerziehenden arbeitet Vollzeit. Damit liegt die Erwerbsquote deutlich höher als die verheirateter Frauen. Trotzdem ist das Armutsrisiko von Alleinerziehenden - zu 90 Prozent sind es bekanntlich Frauen - besonders hoch. Fakt ist auch, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in einem Haushalt mit Kindern unter drei Jahren bei etwa 1 230 Euro liegt; eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind unter drei Jahren kommt gerade einmal auf rund 750 Euro, also rund ein Drittel weniger. Das besagt der UNICEFBericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Alleinerziehende sind häufig gesundheitlich besonders belastet. Der Anteil alleinerziehender Mütter, die von ihren Krankenkassen zu Mutter-Kind-Kuren geschickt werden, liegt mit 34 Prozent deutlich über der Inanspruchnahme solcher Kuren durch Mütter, die in einer Partnerschaft leben. Auch das muss uns doch deutlich machen, dass Alleinerziehende bessere Rahmenbedingungen brauchen. ({6}) Diffamierung von Alleinerziehenden ist also völlig fehl am Platz. Es ist absolut notwendig, Alleinerziehende besser zu unterstützen. Hierzu gehört nicht nur die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, es gehört der bedarfsgerechte Kitaausbau dazu mit Öffnungszeiten, die sich am Bedarf der Eltern orientieren. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die Eltern mehr Mitsprache bei Umfang und Einteilung ihrer Arbeitszeiten ermöglichen, auch hiervon würden insbesondere Alleinerziehende profitieren. Wir brauchen eine Kinder- und Familienförderung, die endlich mit dem unbegreiflichen Zustand Schluss macht, dass die Familien, die sowieso ein hohes Einkommen haben, über die Freibeträge besonders von der staatlichen Förderung profitieren, während Familien im ALG-II-Bezug in die Röhre gucken. Wir Grüne finden: Eine Kindergrundsicherung wäre ein wichtiger und richtiger Schritt. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, von dieser Bundesregierung ist leider bei alldem nichts zu erwarten. Es ist absolut bitter, dass Alleinerziehende bei Ihnen, bei Schwarz-Gelb, keine Lobby haben. Wenn wir 2013 hier eine andere Regierungsmehrheit bilden, dann wird das ein Ende haben. Das können wir versprechen. ({8}) - Genau. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Frank Heinrich hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich halte es für ein Gerücht, dass die Alleinerziehenden bei uns keine Lobby haben. Ich sage das nur, um diesen Vorwurf einmal kurz aufzunehmen. Wir hören hier immer wieder und stimmen an dieser Stelle auch überein, dass Politik immer mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt. Ich bin froh über die ersten beiden Rednerinnen, weil sowohl von Ihnen, Frau Marks, als auch von meiner Kollegin Schön herausgearbeitet worden ist, dass es Respekt ist, den wir denjenigen entgegenbringen, die aus unterschiedlichen Gründen alleinerziehend sein müssen. Zwei Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland sind erwerbstätig. Das hat mich sehr überrascht, als ich mich damit noch einmal neu auseinandergesetzt habe. Ja, Sie haben recht: Eine der Ursachen für Ihren Antrag ist, dass fehlende oder nicht ausreichende Erwerbstätigkeit einer der Gründe ist, warum die Hilfequote in diesem Bereich so hoch ist, ganz ohne Frage. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind relativ viele Alleinerziehende tatsächlich beschäftigt, wovor ich den Hut ziehe. Da liegt ein Berg von Arbeit vor uns. Sie haben angeboten, in den Ausschüssen dann auch wirklich konstruktiv zusammenzuarbeiten, und da sind wir ganz Ohr. Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt - aus Arbeitslosigkeit und SGB-II-Bezug in diesem Fall - hat sich allerdings in den letzten Jahren verbessert. Ja, das hat auch mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun, die wiederum allerdings mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun hat: Schwarz-Gelb in den letzten drei Jahren, vorher in der Großen Koalition. Seit 2008 geht die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Alleinerziehenden in diesem Bereich tatsächlich zurück. Ich hatte hier die Worte „allmählich zurück“ stehen. Ja, das ist auch kritisch zu verstehen; diese Zahl ist immer noch viel zu hoch. Aber es wird ja schon eine ganze Menge gemacht. Zur Darstellung der Realität gehört auch - eine entsprechende Bemerkung fiel vorhin schon einmal -, dass Sie eine Menge von den Dingen, die tatsächlich bereits unterwegs sind und schon passieren, in Ihrem Antrag verschweigen. Vieles von dem, was Sie in Ihren Anträgen an Aufträgen beschreiben, gibt es schon. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in die Zielvereinbarung aufgenommen, dass die Integrationsquote Alleinerziehender einen besonderen Stellenwert hat. Das heißt, da ist erkannt worden, dass da ein Mangel ist, dass da ein Problemfeld besteht, und dies hat eine hohe Priorität bekommen. Neu ist, dass sich die Bundesagentur in der Zielvereinbarung für dieses Jahr auf die Steigerung der Integrationsquote dieser Personengruppe verpflichtet hat. Ja, es ist nachdenkenswert, dass das fortgeschrieben wird. ({0}) Zu nennen ist, dass seit 2010/11 die „Erschließung von Beschäftigungschancen für Alleinerziehende“ ein geschäftspolitischer Schwerpunkt der Bundesagentur ist. Das steht auch in Ihrem Antrag, Sie gehen darauf ein; das verschweigen Sie nicht. Ihr Antrag besagt außerdem, dass die Förderung von Alleinerziehenden aus Mitteln des SGB II auch ihrem Anteil an den Arbeitslosen im SGB II entspricht; also keine explizite Benachteiligung der Personengruppe, keine Unterrepräsentierung. Ferner wurden seit 1. Januar letzten Jahres Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt gesetzlich eingeführt, die zum einen bei Gleichstellungsfragen unterstützen und beraten sollen, zum anderen aber auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wobei der besondere Fokus auf der Situation von Alleinerziehenden liegt. Diese Beauftragten sind bei der Erarbeitung von örtlichen Arbeitsmarkt- und Integrationsprogrammen beteiligt bzw. sollen beteiligt werden. Das ist ihr Auftrag. Ich denke, sie sorgen bei der Ausübung dieser Aufgabe auch dafür, dass die Gleichstellung in den Köpfen der Mitarbeiter der Jobcenter tatsächlich präsent ist. Das ist die erste Forderung Ihres Antrags; das ist etwas, was eingeführt und jetzt schon mehr als anderthalb Jahre unterwegs ist. Dann kann man prüfen, ob das in den einzelnen Ämtern tatsächlich passiert. Aber es ist bereits beauftragt. ({1}) Das Bundesministerium flankiert verstärkte Aktivierungs- und Integrationsbemühungen insbesondere durch zwei ESF-finanzierte Bundesprogramme. In dem Programm „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ gibt es 77 Projekte, die angeschoben wurden, um ganz besonders Erwerbs- und Verdienstchancen zu erhöhen und somit dieser Personengruppe danach ein Leben unabhängig von staatlichen Leistungen zu ermöglichen. Dazu zählt auch das Netzwerk, das vorhin von einem Kollegen genannt wurde. Die „Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerziehende“ gibt es seit April letzten Jahres; die Laufzeit reicht bis Mitte nächsten Jahres. Das Programm umfasst Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro. Dieses Förderprogramm zielt darauf, effektive Verknüpfungen von Unterstützungsangeboten und die dauerhafte Verbesserung der Kooperationsstrukturen vor Ort zu ermöglichen ({2}) mit dem Ziel, herauszufinden, mit welchen Projekten in welchen Netzwerken am besten gearbeitet wird, um solche Ansätze dann in die Regelorganisation insbesondere der Jobcenter zu überführen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heinrich, gestatten Sie eine Frage?

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen kleinen Moment! Ich möchte zuvor gern noch mit diesem Punkt zu Ende kommen. Die Arbeitgeberansprache nimmt 2012 und 2013 eine zentrale Rolle unter dem Dach der Fachkräfteoffensive ein. Die Teilkampagne „Beschäftigungschancen für Alleinerziehende erschließen“ ist dafür ein Beispiel und wird dort besonders genannt. Das Ziel ist eine möglichst hohe Quote der Vermittlung von Alleinerziehenden in Arbeits- und Ausbildungsstellen. Meine Erfahrung in Chemnitz ist - ich habe die beiden letztgenannten Projekte bei mir vor Ort besucht -, dass diese Projekte tatsächlich Fuß fassen und wahrgenommen werden. Die Zwischenfrage könnte jetzt gestellt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann ist jetzt eine Frage oder eine Bemerkung nach unserer Geschäftsordnung möglich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Sie haben ja sehr richtig erklärt, dass die Armut bei alleinerziehenden Elternteilen - natürlich zu 80 Prozent Frauen - am besten durch die Integration in den ersten Arbeitsmarkt beseitigt werden könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass als Voraussetzung dazu die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werden muss. Sie erinnern sich sicher - es ist ja nicht lange her - an die gestrige Diskussion um das unsägliche Betreuungsgeld - Geld, das ja nicht dazu da sein soll, Kindergartenplätze auszubauen. Dieser Ausbau scheitert daran, dass die Kommunen kein Geld haben, Erzieherinnen zu bezahlen, ({0}) und dass die Kommunen nicht genügend Erzieherinnen ausbilden können, weil dafür die finanziellen Möglichkeiten nicht vorhanden sind. Können Sie mir zustimmen, dass die Netzwerke zur Betreuung der Alleinerziehenden oder auch die Mittel, die man für das Betreuungsgeld ausgibt, sicherlich besser in der Ausbildung von Erzieherinnen aufgehoben wären, um die Voraussetzung zu schaffen, dass Alleinerziehende sich auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt bewerben können?

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Kollegin. - Ich kann Ihnen in der Folgerung dessen, was Sie in dieser Frage implizieren, nicht folgen, dass nämlich das Betreuungsgeld und die Ausbildung von Erzieherinnen gegeneinander ausgespielt werden. Die Frage allerdings, ob die Förderung und die Ausbildung von zum Beispiel Erzieherinnen tatsächlich eine höhere Priorität haben soll, kann ich klar mit Ja beantworten. Das ist aber nicht nur ein Regelungsbedarf in der Bundespolitik, sondern da sind tatsächlich die Netzwerkstrukturen vor Ort und damit auch die Kommunen und die Bundesländer mit verantwortlich. Aber dass sich dies gegen das Betreuungsgeld ausspielen ließe, diese Verbindung sehe ich nicht; ich würde sie auch klar verneinen. Ich komme nun zu den Forderungen Ihres Antrags. In der siebten und achten Forderung geht es um die Flexibilisierung der Kinderbetreuung und den Zusammenhang von Kinderbetreuung und Arbeitsplatz. Sie stellen in Ihrem Antrag einen zwingenden Zusammenhang her. Einen solchen Zusammenhang gibt es tatsächlich an vielen Stellen; aber man kann auch genau das Gegenteil belegen. In einer Stadt, die nicht weit von meiner Stadt Chemnitz entfernt ist, in Gera, ist man zwar bei der Kitaausstattung ganz vorne in der Statistik - das bezieht sich auch auf Ihre Frage von eben -, aber es gibt trotzdem eine überdurchschnittliche Anzahl arbeitsloser Alleinerziehender. Dies ist also nicht direkt miteinander verknüpft. Hier spielen also sehr viel mehr Faktoren als nur diese beiden mit. Für definitiv richtig halte ich die Forderung nach einer Flexibilisierung der Kinderbetreuung, die allerdings nicht nur eine politische Angelegenheit ist, sondern die die gesellschaftlichen Kräfte eher als uns hier im Bundestag betrifft. ({0}) Ja, ich unterstütze, dass es nachdenkenswert ist, die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auch mehr im Bereich Teilzeit anzuwenden, aber ich sage Nein, wenn Sie das von Ihnen immer wieder genannte Allheilmittel „gesetzlicher Mindestlohn“ in Ihrer neunten Forderung ansprechen. Es ist aber nicht ein generelles Nein; Sie kennen unsere Haltung dazu: branchenspezifisch und ausgehandelt im freien Spiel der Kräfte bei der Entwicklung von Tarifen. Da sind wir ja unterwegs. Flächendeckende Mindestlöhne bewirken vielmehr, dass Geringqualifizierte mit ihren Familien dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Zum Schluss ein grundsätzlicher Gedanke, um vielleicht in moralischer Hinsicht den Faden aufzunehmen: Das Klima in Gesellschaft und Beruf ist leider immer noch nicht überall so positiv, was den Umgang mit Kindern angeht, wie das in Ihrem Antrag unterstellt wird. Das spüren nicht nur Alleinerziehende. Selten finden vor allem Frauen durchgehend Unterstützung bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen. Mein Plädoyer: Nicht nur der Gesetzgeber muss das Problem stärker in den Fokus nehmen und handeln, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte, die da sind: Familien, Betriebe, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine und am Schluss auch wir als Politik. Deshalb gehen wir auch mit Ihren Gedanken und Vorschlägen in die Debatte in den Ausschüssen und hoffen auf eine konstruktive Auseinandersetzung, die Sie, Frau Marks, angekündigt haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich immer weniger Frauen in unserer Gesellschaft für Kinder entscheiden. Das Risiko, in Armut zu fallen, ist für Mütter enorm hoch. Ganz besonders betroffen sind Frauen in Einelternfamilien. Bei ihnen ist das Risiko fünfmal höher als bei Frauen, die einen Partner haben. Schauen wir uns einmal an, wie viele alleinerziehende Frauen sehr schnell in Langzeitarbeitslosigkeit, also in den Hartz-IV-Bezug, fallen: Von den alleinerziehenden Frauen mit einem Kind sind es vier von zehn. Haben sie mehrere Kinder, dann sind es schon acht von zehn. Diese Zahlen müssen uns alarmieren. Das ist eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die wir unbedingt bekämpfen müssen. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. ({0}) Herr Kollege Heinrich und Frau Kollegin Schön, dieser Antrag ist auch dringend nötig. Wenn alles so toll, so gut und in Ordnung wäre, wie Sie es beschrieben haben, ({1}) dann hätten wir diese katastrophalen Zahlen nicht. Wir brauchen Maßnahmen, damit sich in unserer Gesellschaft etwas ändert, damit Alleinerziehende eine starke Lobby in unserem Land haben. ({2}) Wie sieht die Wirklichkeit für alleinerziehende Frauen in unserer Gesellschaft aus? Sie üben häufig eine prekäre Beschäftigung aus, wenn sie überhaupt Arbeit haben. Sie verdienen weniger, sind öfter befristet beschäftigt und arbeiten, obwohl die Quote der vollzeitbeschäftigten Mütter unter den Alleinerziehenden besonders hoch ist, häufiger unfreiwillig Teilzeit als Mütter aus Paarhaushalten. Nun müssen wir schauen: Was tun die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter, um diese Situation zu verbessern? Fakt ist: Jahrelang wurde dort für Alleinerziehende auf Sparflamme gekocht. Sie mussten zugunsten Arbeitsloser und Arbeitsuchender, die leichter zu vermitteln sind, hinten anstehen. Das belegt eine Studie, die das Bundesministerium für Arbeit auf unsere Initiative hin in Auftrag gegeben hatte. Unser damaliger Arbeitsminister Olaf Scholz hat diese Benachteiligung aufgegriffen und zum Thema gemacht. 2010 klingelte es dann auch bei der Ministerin von der Leyen. Die Förderung von Alleinerziehenden ist seit 2010 einer von sechs Geschäftsschwerpunkten der Bundesagentur für Arbeit. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Immer mehr Alleinerziehende sitzen nun in Maßnahmen der BA und der Jobcenter. Eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA sagt, dies erhöhe die ansonsten sehr niedrige Chance auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung enorm. Das ist ein hoffnungsvolles Ergebnis. Tatsache ist aber auch: Noch immer werden anteilsmäßig zu wenig Alleinerziehende überhaupt gefördert. Leider belegt die Studie auch: Die Chance, aus Hartz IV heraus innerhalb der nächsten anderthalb Jahre eine bedarfsdeckende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden, liegt bei Müttern aktuell bei unter 8 Prozent. Das muss man sich einmal vorstellen. Es bedarf also noch sehr großer Anstrengungen, um Frauen gerechte Chancen einzuräumen. Solche Anstrengungen müssen dann aber auch unternommen werden. ({3}) Damit dies gelingt, müssen BA und Jobcenter die richtigen Instrumente und vor allem das nötige Geld für Maßnahmen bekommen. Was aber machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb? ({4}) Was macht Ihre Arbeitsministerin? Sie dampfen die dringend benötigten Gelder für eine erfolgreiche Arbeitsvermittlung rigoros zusammen. Sie weiten die Minijobs aus und rauben damit gerade Alleinerziehenden Möglichkeiten, in reguläre Beschäftigung zu kommen. Sie führen ein Betreuungsgeld ein, das Alleinerziehende in ihren beruflichen Perspektiven massiv benachteiligen wird. Diesen Ungerechtigkeiten muss ein Riegel vorgeschoben werden. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, nehmen Sie die Wirklichkeit von Alleinerziehenden endlich wahr und richten Sie die Arbeitsmarktpolitik darauf aus! Denn hier liegt einiges im Argen. Nur zwei Beispiele dazu: Geforderte Arbeits- und Wegzeiten sind für arbeitslose Alleinerziehende oft viel zu lang. Gehen Alleinerziehende eine neue Partnerschaft ein und gründen einen gemeinsamen Haushalt, ist der neue Partner sogar für die Kinder sofort einstandsverpflichtet. Paare ohne Kinder haben ein Jahr Zeit, sich zu beschnuppern. Das ist eine hanebüchene Ungleichbehandlung mit fataler Konsequenz. ({6}) Alleinerziehende im Leistungsbezug bleiben meist alleinerziehend. Das dürfen wir nicht länger zulassen. ({7}) Wir fordern deshalb in unserem Antrag: Gleichstellungspolitik im SGB II endlich gesetzlich verankern! Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und das Nachholen von Schulabschlüssen in Teilzeit anbieten! Fördermaßnahmen auch für Mütter in Elternzeit! Flexible Kinderbetreuung sicherstellen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verstößt gegen Grundwerte unserer Demokratie, dass Frauen benachteiligt und vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, nur weil sie ihre Kinder allein betreuen und großziehen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hiller-Ohm, das Minus vor der Zeitangabe zeigt Ihnen, dass Ihre Redezeit bereits entsprechend überschritten ist.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Wir können uns so etwas auch überhaupt nicht leisten, wenn wir wollen, dass unser Land wettbewerbsfähig bleibt. Wir brauchen Fachkräfte. Wir brauchen diese tollen, hochmotivierten Frauen. Setzen Sie sich endlich für Alleinerziehende ein! Diese brauchen eine starke Lobby. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDPFraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wunderlich, Sie haben sich hier in der Debatte als bekennender Lutheraner gezeigt. Das finde ich gut. ({0}) Dann wissen Sie aber auch, dass die Heilige Schrift davor warnt, dass Propheten auftreten werden, die falsche Wunder und Zeichen versprechen. ({1}) Herr Wunderlich, wenn ich mir Ihre Politik und die Anträge, die Sie Woche für Woche in den Deutschen Bundestag einbringen, anschaue, dann muss ich sagen: Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken, als könne Politik Manna vom Himmel regnen lassen. Als Lutheraner sollten Sie aber wissen, dass das den Menschen und der Politik nicht möglich und Gott selbst vorbehalten ist. ({2}) Deshalb sollten Sie sich hier lieber mit realistischer Politik auseinandersetzen und den Menschen nicht Sand in die Augen streuen. ({3}) Lieber Herr Wunderlich, zu dieser realistischen Politik gehört es auch, dass die Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt eine schwierige Aufgabe ist. Aber kaum eine Regierung - vor allen Dingen nicht in den letzten Jahrzehnten - war bei der Aufgabe, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, so erfolgreich wie diese Regierungskoalition. Das betrifft ausdrücklich auch Alleinerziehende im SGB-II-Bezug. Frank Heinrich hat schon darauf hingewiesen. In den Jahren dieser Regierungskoalition ist es gelungen, über 200 000 Alleinerziehenden in die Erwerbstätigkeit zu verhelfen. Das ist für jeden Einzelnen, für jede Einzelne ein Riesenerfolg. Darüber sollten wir uns zunächst einmal gemeinsam freuen. Dass dieser Schritt vielen noch nicht gelungen ist und darüber hinaus weiterer Unterstützungsbedarf besteht, will hier niemand bestreiten. Aber wir können keine Wunder versprechen, sondern wir müssen realistisch Politik machen. Zu dieser realistischen Politik gehört, dass sich die Regierungskoalition - Frank Heinrich hat schon darauf hingewiesen - mit einzelnen und klugen Programmen dieser Aufgabe stellt. „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ ist ein solches Programm, das wir mit insgesamt 60 Millionen Euro fördern. Frank Heinrich hat auf die 25 Millionen Euro hingewiesen, mit denen das Programm „Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerziehende“ unterlegt ist. Am Ende - das wissen wir alle - ist das Hauptproblem für Alleinerziehende, dass es an Kinderbetreuung fehlt. ({4}) An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, muss man auch einmal darauf hinweisen, dass der Bund hier in den vergangenen Jahren in Vorleistung getreten ist. ({5}) Er hat seine Aufgaben erfüllt, wenn es um den Ausbau von Kinderbetreuung geht. Viele Bundesländer - auch SPD-regierte Länder - rufen die zur Verfügung gestellten Mittel jedoch nicht in dem Maße ab, wie es möglich wäre. Trotzdem steht diese Regierungskoalition auch weiterhin zum Ausbau von Kinderbetreuung. Wir werden den Ausbau von Kinderbetreuung ab dem Jahr 2014 mit 845 Millionen Euro weiter fördern. ({6}) Das sind Riesenleistungen, die diese Gesellschaft erbringt. Ich glaube, dass die Alleinerziehenden in dieser Regierungskoalition einen guten Anwalt haben. ({7}) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11032, 17/11038 und 17/11142 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Klaus Ernst, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen - Drucksachen 17/243, 17/2070 Buchstabe b Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Marlene Rupprecht ({1})Nicole Bracht-Bendt Cornelia Möhring Monika Lazar Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Winkelmeier-Becker für die Unionsfraktion. ({2})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit meiner zweiten Rede kann ich anschließen an die erste Rede, die ich heute gehalten habe. Auch hier geht es wieder um den besonderen Blickwinkel auf die Situation von Frauen, diesmal von Frauen in einer besonderen Lage, nämlich in einer Gefahren- und Notsituation, in der sie schnell Hilfe brauchen, weil sie zu Hause einen massiven und gewaltträchtigen Konflikt haben, in der Regel mit dem Partner. Die Aspekte, die wir vorhin in der Debatte angesprochen haben, spielen auch hier eine Rolle: Die eigene soziale Sicherheit, der eigene Status, die eigene Sicherheit - auch die Selbstsicherheit - der Frauen sind häufig, auch in der Entstehungsgeschichte eines solchen Konflikts, mit von Bedeutung. Auch in der Situation der Hilfsbedürftigkeit macht es einen Unterschied, ob man auf eine eigene Absicherung zurückgreifen kann oder nicht. Bei den Themen, die wir schon behandelt haben, kann man, wenn man so will, den einen oder anderen Standpunkt kontrovers diskutieren. Bei dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ gibt es ganz klar den gemeinsamen Standpunkt, dass das ein No-Go ist und wir da ein wirksames Hilfesystem entgegensetzen müssen. Dieses Hilfesystem ist in Deutschland sehr vielfältig gewachsen in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Da wird bereits jetzt sehr fachkundige, engagierte und auch wirkungsvolle Hilfe geleistet. ({0}) Trotzdem ist klar - das ist der Befund -, dass der Bedarf an niedrigschwelliger und erreichbarer Hilfe noch nicht gedeckt ist. Wir haben deshalb in dieser Legislaturperiode zwei Dinge auf den Weg gebracht, um das System gezielt zu verbessern. Zum einen haben wir für Frauen in Notsituationen eine Helpline organisiert, ein Telefonangebot, das rund um die Uhr, 24 Stunden, niedrigschwellig und schnell zu erreichen ist. Am anderen Ende dieser Helpline sitzen qualifizierte, gut ausgebildete Beraterinnen mit mehrsprachigem Angebot - denn es richtet sich ja auch an Frauen mit unterschiedlichem Sprachhintergrund -, die dann beraten können, was in der jeweiligen Situation schnell an Hilfe verfügbar und erreichbar ist. Das ist ein ganz wichtiges Hilfsangebot, um die verschiedenen Dinge zu koordinieren und die Frau wirklich dorthin zu lotsen, wo ihr geholfen werden kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es ein Angebot gibt. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob das Angebot reicht. Das ist der zweite Punkt, den wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben hatten, nämlich zunächst einmal eine gesicherte Faktenbasis über das zu schaffen, was denn in Deutschland in den verschiedenen Regionen bisher schon besteht und wo Defizite sind. Wir haben über 350 Frauenhäuser plus weitere Schutzwohnungen, die zusammen 6 000 Plätze bieten. Insgesamt werden diese 6 000 Plätze pro Jahr von etwa 15 000 bis 17 000 Frauen und ihren Kindern, zusammen etwa 34 000 Personen, in Anspruch genommen. Dazu kommen 750 Fachberatungsstellen mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten, Migration, sexueller Missbrauch usw. Da sind verschiedene Themen von besonderer Bedeutung. Dieser Bericht konstatiert allerdings auch Zugangsschwierigkeiten. 9 000 Frauen werden bei der Einrichtung, bei der sie zunächst anklopfen, abgewiesen und müssen weitervermittelt werden, wenn es denn überhaupt gelingt, etwas Angemessenes für sie zu finden. Klar ist also, dass weiterer Bedarf besteht, dass Defizite ausgemerzt werden müssen. Da stellen sich - wie immer - zwei Fragen. Das eine ist die Frage: Was soll passieren, und wie wird es finanziert? Die zweite Frage ist: Wer ist zuständig, wer soll es machen? Die Linken schlagen in ihrem Antrag vor, das alles auf der Bundesebene zu machen und ein Bundesgesetz zur Regelung der Finanzierung der Frauenhäuser zu schaffen. Wir haben aber - ich sagte es eingangs - eine historisch gewachsene Situation, was die Kommunen und die Länder angeht. Diese haben sich auf der gemeinsamen Frauenministerkonferenz im Jahre 2010 auch festen Willens gezeigt, diese Aufgabe weiter wahrzunehmen. Wir haben konstatiert, dass sie diese Aufgabe sehr ernst nehmen. Sie haben sich auch den Bericht angesehen und werden jetzt schauen, was für sie daraus für Schlüsse zu ziehen sind. Daher dürfte es auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehr schwierig sein, zu sagen: Nein, Länder, ihr macht das alles nicht gut genug. Der Bund ist zuständig. Ich sehe auch nicht, dass sich die Hoffnung, die Sie damit verbinden, erfüllt, nämlich dass der Bund so etwas per se alles besser machen würde. Wenn der Bund die Länder aus dieser Aufgabe entlässt, heißt das ja zunächst auch, dass die Länder das Geld, das sie da bisher hineinstecken, nicht mehr für diese Aufgabe zur Verfügung stellen würden. Es müsste also der Bund all das substituieren, was die Länder jetzt tun, und er müsste dann, damit sich vielleicht die Erwartung erfüllt, dass es besser wird, noch etwas obendrauf legen. Es ist zunächst sehr zweifelhaft, ob das passiert. Ich sehe, wie gesagt, auch nicht per se einen Vorteil darin, die Zuständigkeitsebene zu ändern. Die Länder sind durchaus in der Lage, da, wo es sinnvoll und notwendig ist, zu kooperieren. Das haben sie gerade bei ihrem Plan gezeigt, die Abiturprüfungen über die Länder hinweg in eigener Zuständigkeit besser zu koordinieren, weil da durchaus ein Bedarf gesehen wird. Das können sie auch bei anderen Aufgaben machen, sodass sich nicht unbedingt die Notwendigkeit ergibt, den Bund in die Aufgabe eintreten zu lassen und damit die Länder aus der Aufgabe herauszudrängen. Das heißt nicht, dass der Bund sich damit automatisch aus dem ganzen Thema verabschiedet. Der Bund hat durchaus eigene Möglichkeiten, die Situation der betroffenen Frauen zu verbessern. Viele beziehen Leistungen nach SGB II oder SGB XII. Genau in diesem Regelungsbereich sind Probleme ausgemacht, zum Beispiel wenn es um die Situation von Studentinnen, von Migrantinnen geht oder wenn es auch nur darum geht, die Bewilligungszeiten zu verkürzen, damit die Frau nicht schon wieder aus dem Frauenhaus weg ist, bevor der bewilligende Bescheid kommt. Ich würde vorschlagen, wir machen da, wo wir mit Sicherheit zuständig sind, unsere Hausaufgaben und entlassen die Länder nicht aus der Pflicht, sondern sorgen dafür, dass auch sie weiterhin für die gemeinsame Aufgabe zuständig sind. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marlene Rupprecht das Wort. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe 20 Jahre lang ein Frauenhaus geführt. Nur ganz nebenbei: ehrenamtlich, ohne Einkünfte. ({0}) Eigentlich habe ich gedacht, wir könnten uns heute dem widmen, was die Frauenhäuser derzeit wirklich belastet. Ich habe noch einmal nachgeguckt. Als wir beim letzten Mal darüber beraten haben, habe ich in meiner Rede gesagt: Hinsichtlich der Finanzierung sind wir noch immer am Anfang, wenn es darum geht, die Existenz der Frauenhäuser abzusichern. Ich kann wirklich nur sagen: Es ist unerträglich, dass wir so lang dafür brauchen! Wir schaffen es, in Sommerpausen Sondersitzungen durchzuführen und aus dem Stand über Nacht etwas zu machen, aber wir schaffen das nicht, wenn es um die Daseinsvorsorge von überwiegend Frauen und Kindern geht, die von Gewalt betroffen sind. Dahinter steckt doch System. Sonst würden wir etwas tun. So sehe ich das zumindest. Es gehört ganz eindeutig zur Daseinsvorsorge nach dem Grundgesetz, dass wir all das vorhalten, was Menschen brauchen, um menschenwürdig am Leben teilhaben zu können, und zwar ohne bedroht oder von Gewalt betroffen zu sein. Wenn wir das so annehmen, dann muss man im zweiten Schritt sagen: Die Daseinsvorsorge - hier gebe ich Ihnen recht, Frau WinkelmeierBecker - ist überwiegend Aufgabe der Kommune. Das gehört ganz selbstverständlich dazu. Jeder würde sich wehren, wenn die Kommune das nicht machen würde. Zu ihren Aufgabengebieten gehören: Straßen, Wasser, Abwasser, Müllabfuhr und Licht. All das gehört dazu. Es sind übrigens fast alles männliche Gewerke, die hier vergeben werden. Deshalb wird das gemacht. Kein Mann würde auf die Idee kommen, ehrenamtlich Gräben auszuheben, damit man endlich einen Abfluss bekommt. Niemand käme auf diese Idee. ({1}) Frauen sagen aber: Wir können es nicht mehr mit ansehen, dass Frauen und deren Kinder von Gewalt betroffen sind, also tun wir etwas dagegen. Wir opfern unsere Freizeit und schauen, dass wir sie rund um die Uhr versorgen, das heißt, sieben Tage die Woche 24 Stunden lang einen Dienst vorhalten. Das tun alle bei uns. Ich musste einmal meinem Vorstand berichten, dass alle Mitarbeiterinnen bis auf eine, die Urlaub hatte, krank sind. Wir standen also ohne Mitarbeiterinnen dar. Wissen Sie, was die Rechtsanwältinnen, Bankerinnen und Stadträtinnen, die alle einmal im Vorstand waren, getan haben? Sie haben in ihre Tasche gegriffen, den Kalender herausgeholt, ihn aufgeschlagen und gesagt: Da könnte ich in der Firma eine Stunde freinehmen; da komme ich. Am nächsten Tag nehme ich halt einen halben Tag Urlaub und komme. - Das hätte ich gerne in einem Männergremium erleben mögen. Die hätten gesagt: Ja, gut, dann müssen wir überlegen, ob wir jemanden einstellen. Wer macht es denn? Bilden wir vielleicht eine Arbeitsgruppe. Ich erzähle das bewusst deshalb, weil wir hier so zögerlich verfahren, wenn es um die Finanzierung geht. Ich bin der Ansicht, dass wir uns endlich daransetzen müssen. Der Bund hat die ganz wichtige Aufgabe, zu sagen: Es darf nicht wie ein Flickenteppich aussehen und vom Engagement einzelner Beteiligter abhängen, ob ein Haus gesichert ist oder nicht. Deshalb hat der Bund die Verpflichtung, die Rahmenvereinbarungen mit denen zu treffen, die mit zuständig sind; da gebe ich Ihnen recht. Wir dürfen die Länder nicht außen vor lassen - aber auch die Kommunen nicht. Sie müssen sehen: Es ist ihre Aufgabe, dass sie in ihrem Gebiet etwas vorhalten. Den Rahmen müssen wir aber setzen. Wir müssen uns darauf verständigen, nicht über Tagessätze zu finanzieren. Wenn Telefonberatung und Nachsorge angeboten werden: Wo wollen Sie das denn im Einzelnen abrechnen? Soll ich die Frau fragen, wo ihr Konto ist, von dem ich abbuchen kann? Das kann ich doch nicht. Das alles muss mit vorgehalten werden. Deshalb muss es eine bundeseinheitliche institutionelle Förderung geben, die so ausgestaltet werden muss, dass nicht die ganze Arbeitskraft damit gebunden wird, das Geld abzusichern. Das ist der erste wichtige Punkt, den wir angehen müssen. Der zweite Punkt. Wir müssen damit beginnen, hier zu sagen, was wir Frauen gemacht haben und was noch gemacht werden muss. Wir haben ein relativ vielfältiges Angebot. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hotline für Frauen. Das wird uns auch im Europarat bestätigt. Gleichzeitig heißt es dort: Ihr müsst viele Frauen abweisen, weil nicht genügend Plätze da sind. - Im Raum Köln/Bonn mussten weit über 2 000 Frauen im Jahr abgewiesen werden, weil kein Platz mehr vorhanden war. Diese Frauen kommen nirgendwo anders unter. Das heißt, sie gehen entweder in eine Notschlafstelle, oder sie müssen bei Verwandten auf der Luftmatratze auf dem Boden schlafen, wenn sie der Gewalt entfliehen wollen. Das kann es nicht sein. Also müssen wir auch da sehen: Wie viele Plätze brauchen wir für wie viele Frauen in den einzelnen Kommunen in unserer Republik? Dass das der Bund nicht macht, weiß ich. Aber er muss die Rahmenbedingungen setzen und dafür sorgen, dass alle an einem Tisch zusammenkommen - wir finden auf anderen Gebieten immer einen Weg, alle zusammenzubringen - und darüber reden, wie wir diese Lücke schließen. In dem Bericht über die Situation von Frauenhäusern sind im Wesentlichen all diese Punkte enthalten. Es wird nicht kooperiert, die Frauenhäuser sind nicht miteinander vernetzt. Wir haben riesige Probleme, wenn Frauen aus Sachsen nach Bayern gehen oder Frauen aus Bayern nach Rheinland-Pfalz reisen, weil für die Aufnahme dieser Frauen kein Ausgleich vorgesehen ist. Das heißt, es ist den Häusern überlassen, wie sie das finanzieren. Weiterhin haben wir inzwischen einen hohen Migrantinnenanteil aus den EU-Staaten. Diese dürfen einreisen Marlene Rupprecht ({2}) - das ist im EU-Gebiet natürlich erlaubt -, aber sie haben keinen Rechtsanspruch auf irgendeine Sozialleistung. Ein konkreter Fall aus dem von mir geleiteten Frauenhaus: Eine Migrantin wird nach Deutschland geholt, wo ihr die Heirat versprochen wird. Sie wird zur Prostitution gezwungen und so misshandelt, dass sie die Polizei bei mir abliefert. Soll ich ihr dann sagen: „Damit Sie hier unterkommen und für Ihre Unterkunft zahlen können, gehen Sie weiter der Prostitution nach“? Überall lässt man sie abtropfen. Wie schizophren müssen die Menschen sein, die sich eine solche Regelung überlegen? Das, finde ich, ist unwürdig für ein Land, das sonst bei der Suche nach Lösungen immer phantasievoll ist. ({3}) Deshalb kann ich eigentlich den Linken-Antrag, so, wie er ist, begrüßen, auch wenn er mir nicht weit genug geht. Ich hätte noch viel mehr aufgenommen; das findet sich in unserem Antrag. Wenn wir eine umfassende Reform machen - diese müssen wir machen -, dann müssen wir wirklich alles bedenken, dann müssen die Fachmänner und Fachfrauen am Tisch zusammenkommen und sagen: So sieht es aus. Das Gutachten liegt jetzt vor. Das wird noch Gegenstand einer Anhörung werden. Deswegen bedauere ich es, dass heute die Linken ihren Antrag nicht zurückgezogen haben. Die Grünen und wir haben unseren Antrag zurückgezogen, weil wir gesagt haben: Wir machen Anfang Dezember eine gemeinsame Anhörung zum Bericht und zum Rechtsgutachten. Dann bündeln wir unsere Kräfte. Stattdessen beraten wir heute und machen eine Schlussabstimmung. Ich bedauere, dass ein einzelner Antrag herausgenommen worden ist. Aber so ist es jetzt. Ich kann Ihnen sagen: Die Inhalte teile ich. Sie sind mir nicht weitgehend genug. Ich hätte weitere Forderungen aufgestellt. Aber wenn nicht wenigstens wir Frauen und die vernünftigen Männer, die wir auch haben, zusammenstehen, um eine Lösung zu finden, dann, würde ich sagen, bekommen wir das auch in 50 Jahren nicht hin, wenn ich schon längst am Krückstock gehe. Ich will dann nicht sagen müssen: Haben wir das immer noch nicht gelöst? Ich bitte darum, diese Sache noch in dieser Legislaturperiode zu Ende zu bringen, damit an dieser Front endlich Ruhe ist und damit die, die in diesen Häusern beschäftigt sind, ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen und wir Öffentlichkeitsarbeit machen können: gegen Gewalt in der Familie und im sozialen Nahraum. Das wünsche ich mir. Herr Staatssekretär, ich wünsche mir auch, dass Sie das mitnehmen: Packen wir es an! Danke. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Sibylle Laurischk hat für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Frauenhausfinanzierung beschäftigt uns heute. Wir haben einen Bericht vorgelegt bekommen, der, wie gerade schon gesagt wurde, noch in einer Anhörung beraten werden wird. Insofern wird mit dem vorliegenden Antrag eigentlich der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. Dennoch will ich nicht verkennen: Das Problem der Finanzierung von Frauenhäusern beschäftigt uns ernsthaft, und zwar nicht erst in dieser Legislaturperiode. Wir hatten schon in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung zu diesem Thema. Damals war die Mehrheit der Gutachter der Auffassung: Die Finanzierung von Frauenhäusern ist ausschließlich Aufgabe der Länder. Deswegen gibt es einen Flickenteppich von Finanzierungsmodellen. Da die Länder zuständig sind, sind die Aufstellung der Finanzierung der Frauenhäuser und die Situation in den Frauenhäusern je nach Finanzkraft des Landes unterschiedlich. Das Thema, um das es geht, ist überall - bundesweit und weit über Deutschlands Grenzen hinaus - das gleiche, nämlich die Situation von Frauen in Not bzw. von Frauen mit Kindern, die von Gewalt bedroht sind. Wer schon einmal ehrenamtlich für ein Frauenhaus gearbeitet hat, der weiß, wie die Situation dort ist. Oftmals werden Frauen unter schwerster Traumatisierung stehend dorthin gebracht. Mittlerweile wird es auch und gerade von der Polizei immer wieder als große Hilfe betrachtet, dass Opfern von Gewalt in der akuten Situation in einem Frauenhaus Hilfe und Schutz gewährt werden kann. Schutz ist das, was ein Frauenhaus bietet: Schutz vor weiteren Übergriffen, die Möglichkeit zum Aussteigen aus einer permanenten Gewaltsituation, Schutz vor ständigen Schlägen, vor Alkoholexzessen oder was auch immer. Diese Situationen bekommen auch die Kinder mit, die oftmals mindestens genauso traumatisiert sind wie ihre Mütter. ({0}) An dieser Debatte hat mich erstaunt, dass bisher niemand darauf hingewiesen hat, dass es mittlerweile das Gewaltschutzgesetz gibt; in Baden-Württemberg beispielsweise ist es seinerzeit sehr stark auf Betreiben der FDP auf den Weg gebracht worden. Das Gewaltschutzgesetz sorgt dafür, dass zumindest bei häuslicher Gewalt derjenige, der gewalttätig ist, also in vielen Fällen - den leider viel zu vielen Fällen - der Vater, Ehemann oder Partner der Frau, gehen muss. Derjenige, der gewalttätig ist, muss also gehen. Mittlerweile gibt es eine recht klare Rechtsprechung, die zumindest dies sicherstellt. Die Situation in den Frauenhäusern hat sich verschoben. Mittlerweile sind die große Anzahl der Betroffenen Migrantinnen, also Frauen, die nicht so schnell Rechtsrat einholen oder die Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes in Anspruch nehmen können. Gerade für diese Frauen wäre es allerdings umso dringlicher - gerade weil sie in vielen Fällen keine familiäre Rückendeckung haben und weil sie Verständigungsschwierigkeiten haben -, diese ganz unmittelbare Schutzsituation in Anspruch nehmen zu können. Das müssen wir ernst nehmen; denn strukturell dürfen wir Gewalt, egal in welchem Zusammenhang, nicht dulden. Ich denke, es ist dringend notwendig, ernsthaft über den Frauenhausbericht zu diskutieren. Wir werden das im Rahmen einer entsprechenden Anhörung im Ausschuss sicherlich tun, und zwar, wie ich hoffe, konsensual. Dieses Thema ist meiner Ansicht nach nämlich nicht geeignet, parteipolitische Profilierungsversuche zu unternehmen, sondern es ist wirklich ernst zu nehmen. Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir eine möglichst einheitliche Finanzierung von Frauenhäusern wünsche. Nur: Die Tendenz der Länder, sich von ihren Aufgaben, sofern sie Geld kosten, zu verabschieden und zu sagen: „Das kann doch der Bund machen“, wie es beispielsweise beim Betreuungsgeld geschieht, lehne ich ab. Auch da wird versucht, eine Aufgabe der Länder, die in manchen Bundesländern normiert ist, dem Bund zuzuschieben. Insofern hängen die Dinge miteinander zusammen, und wir müssen die Situation auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht klären. Die derzeitige Bewertung ist auch im vorliegenden Gutachten nicht so eindeutig, dass man sagen kann: Der Bund ist zuständig. - Ich glaube, dass hier noch einiger Klärungsbedarf besteht. Die noch offenen Fragen sind meiner Ansicht nach in einer vorgezogenen Debatte nicht sauber und abschließend zu beantworten. Damit sollten wir uns bei der weiteren Facharbeit im Ausschuss befassen. Ich freue mich auf eine engagierte und hoffentlich zum Konsens führende Debatte. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Yvonne Ploetz spricht nun für die Fraktion Die Linke. ({0})

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich habe heute Nacht richtig gut geschlafen!“: Wenn ein zehnjähriger Junge, der mit seiner Mutter in ein Frauenhaus geflohen ist, so etwas sagt, dann ist das keine Selbstverständlichkeit. Ein Kind, das mit ansehen muss, wie die Mutter zu Hause verprügelt und gedemütigt wird, kann nachts nicht mehr richtig schlafen. In solchen Notsituationen sind Frauenhäuser oftmals die einzige Schutzeinrichtung, in die Frau und Kind fliehen können. Oftmals passiert das in Nacht-und-Nebel-Aktionen. Die Frauen werden dann von einer Frauenhausmitarbeiterin aufgenommen, beraten und beschützt. Sie hat einen großen Anteil daran, dass ein zehnjähriger Junge wieder schlafen kann. Ich glaube, man kommt unweigerlich zu dem Schluss - das geht sicherlich uns allen so -, dass Frauenhäuser absolut notwendig sind und es ein Desaster ist, wenn an allen Ecken und Enden Geld fehlt. Schutz können sie aber nur dann bieten, wenn die Plätze ausreichen. 2011 - wir haben es schon gehört - mussten 9 000 Frauen abgewiesen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns kurz vor, wir wären die Mitarbeiterin eines Frauenhauses und müssten eine misshandelte Frau abweisen. Das ist die reinste Katastrophe, sowohl für die Frauenhausmitarbeiterin als auch für die schutzsuchende Frau. Deshalb streiten wir heute wieder dafür, dass jeder Frau zeitnah 24 Stunden täglich Schutz gewährt werden kann und muss, und zwar in allen Lebenslagen. Das heißt, Frauen und Kinder mit Behinderungen brauchen barrierefreien Zugang. Schwangere Frauen brauchen Zugang zu Ärzten und Hebammen. Frauen und Kinder, die kaum Deutsch sprechen, müssen Übersetzerinnen zur Seite gestellt bekommen, damit sie sich verständlich machen können. Überall fehlen Therapeuten und Therapeutinnen für traumatisierte Kinder. Auch sie müssen sich in vielen verschiedenen Sprachen verständlich machen können. Ich glaube, wir sind uns einig: Wenn hier Hilfe hilfreich sein will, dann muss sie differenzieren. Das kostet aber Geld, das wir zur Verfügung stellen müssen. In nicht wenigen Fällen - auch das haben wir schon gehört - wird die Finanzierung eines Frauenhausplatzes über sogenannte Tagessätze direkt an die Frauen weitergegeben. Viele Länder und Kommunen finanzieren ihr Frauenhaus auf diese Weise. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine Frau, die erwerbslos und auf staatliche Hilfe angewiesen ist, Gelder aus dem SGB II oder SGB XII beantragen muss, die eigentlich für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ich glaube, das ist ein unhaltbarer Zustand. Mir liegen auch Briefe vor, in denen mir zum Beispiel Ursula von der Leyen recht gibt. Was machen Frauen, die keinen Cent in der Tasche haben und keine staatliche Unterstützung bekommen? Studentinnen, Auszubildende, Schülerinnen, Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus oder auch Frauen, die aufgrund der häuslichen Situation nicht an ihr Geld herankommen, können sich den Schutz nicht leisten. Ich will aber noch einmal daran erinnern: Wir haben den grundgesetzlichen Auftrag, uns für den Schutz von Leib und Leben einzusetzen. Ich glaube, wir sind uns darin einig: Darum müssen wir uns zusammen kümmern. Es ist höchste Zeit für eine ausreichende bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser. Jeder Frau in Not muss geholfen werden. Das kann aber nur passieren, wenn die Frauenhäuser nicht selbst um ihre Existenz kämpfen müssen. Es ist schließlich schon vorgekommen, dass Frauenhäuser ihre Türen schließen mussten. Das wird in Zeiten der Schuldenbremse keine Seltenheit bleiben. Hier haben wir eine Aufgabe. Ich komme noch kurz zum Bericht zur Lage der Frauenhäuser. Darin ist noch ein anderer Aspekt enthalten, nämlich die Arbeitssituation von FrauenhausmitarbeiteYvonne Ploetz rinnen. Der Lagebericht beschreibt die Situation als „Selbstausbeutung“. Ich glaube, das haben wir heute schon beispielhaft erlebt. Hier muss jeder und jede hellhörig werden und bitte aufhören, auf die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen zu pochen. Ich denke, wir sollten uns auch als Bund darum kümmern, und zwar nicht für mich oder die Linke, sondern für die Kinder und Frauen, die Schutz brauchen. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Wahlperiode haben alle Oppositionsfraktionen Anträge zur Finanzierung der Frauenhäuser im Parlament eingebracht. Von der Bundesregierung war zu hören, dass sie erst einmal die Ergebnisse des Berichts abwarten will. Der Bericht liegt nun endlich vor - zwei Jahre verspätet. Der Zeit des Wartens ist jetzt leider die Zeit des Schweigens gefolgt. Von der Ministerin hat man seitdem nichts gehört. Es kann nicht sein, dass da bis jetzt nichts passiert ist. Aber ich habe den Eindruck, das ist nicht der einzige Bericht, der in den Regalen der Ministerin verstaubt. Mit dem Bundesgleichstellungsbericht scheint es sehr ähnlich zu sein. ({0}) Ich zitiere aus dem Bericht der Bundesregierung: Das Unterstützungsangebot ist mehrheitlich unterfinanziert. Das Volumen an Personal/Arbeitszeit reicht oft nicht aus, um spezifische Aufgabenbereiche in gewünschter Qualität umzusetzen. An anderer Stelle heißt es: Die Finanzierung der Einrichtungen ist uneinheitlich, abhängig von der Politik auf Landesebene und in den Städten und Landkreisen. Weiter liest man: Nicht nur unterscheidet sich die Politik der Bundesländer, auch kommunal existieren unterschiedliche Praxen nebeneinander. Ich glaube, wir haben alle schon von diesen Problemen gehört. Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser bringt es in ihrer Stellungnahme zu diesem Bericht auf den Punkt: Dieser Zustand ist kein vorübergehender, sondern ein seit Jahrzehnten chronischer. In der Schlussfolgerung der Bundesregierung wird jedoch keine grundsätzliche Neuregelung angedacht. Dabei ist die Situation eigentlich in fast allen Bundesländern dramatisch. Aus meinem Heimatland Sachsen weiß ich, dass die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern bis an ihre Grenzen gehen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Fälle werden immer schwieriger. Immer mehr Frauen kommen mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen in die Einrichtungen. Doch die Finanzierung ihrer Arbeit ist immer nur sehr begrenzt gesichert; denn dies gehört zu den freiwilligen Aufgaben der Kommunen. Bei Ausstattung und Personal für die Frauenschutzhäuser und -wohnungen rangiert Sachsen bundesweit weit hinten. Hier darf der Bund nicht wegsehen, sondern muss auch seine Unterstützung zusichern. ({1}) Das Hilfetelefongesetz wurde vorhin schon angesprochen. Dies ist ein richtiger Schritt. Im Übrigen haben wir dieses Gesetz im Bundestag einstimmig verabschiedet. Allerdings weisen die in diesem Zusammenhang vorgelegten Informationen immer noch Lücken auf. In meinen Reden habe ich häufig darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass wir das Hilfetelefon zwar haben, wenn sich die Frauen dann aber an die Einrichtungen wenden wollen, stehen sie quasi vor verschlossenen Türen oder werden abgewiesen, wie wir es vorhin schon gehört haben. Im Zentrum unserer Überlegungen muss die Unterstützung und der Schutz von Gewaltbetroffenen stehen. Sowohl bei der Ausgestaltung als auch bei der Finanzierung des Unterstützungsnetzwerkes sehen wir immer noch sehr deutliche Mängel. Unser Ziel muss sein, jeder Frau, egal ob sie in der Stadt oder im ländlichen Raum lebt, einen zeitnahen und niedrigschwelligen Zugang zu Hilfe zu ermöglichen, dies aber nicht erst dann, wenn es bereits zu spät ist. ({2}) Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern wenden vielerorts aufgrund der unsicheren Finanzierung viel Zeit auf, um Projektanträge zu schreiben und Dokumentationen zu erstellen, statt die Zeit für die wichtige Arbeit mit den Frauen aufzuwenden. Besorgniserregend ist auch, dass die personellen Ressourcen für den Kinderbereich in den Frauenhäusern viel zu gering sind, was auch in dem Bericht sehr deutlich angesprochen wird. Wir Grünen werden bei der Beratung unseres Vorschlags unsere Landtagsfraktionen und auch die Gutachten einbeziehen, die es über den Bundesbericht hinaus gibt. Dies ist beispielsweise das Gutachten des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sowie das Gutachten des Bündnisses der Wohlfahrtsverbände. Ich hoffe, dass die Anhörung im Dezember im Bundestag noch weitere Möglichkeiten aufzeigen wird. Kollegin Rupprecht hat es schon angesprochen. SPD und Grüne lassen ihren Antrag noch im Verfahren, weil wir es durchaus richtig finden, erst das gesamte Verfahren abzuwarten. Ich glaube, wir sind uns hier alle einig: Wir wollen etwas erreichen. Wir sollten die verbleibenden Monate in dieser Wahlperiode nutzen, für von Gewalt betroffene Frauen eine Lösung zu finden, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient. In diesem Sinne appelliere ich sehr herzlich an Sie, an die Frauen zu denken, die das betrifft. Helfen wir ihnen endlich ausreichend. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die Unionsfraktion. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war hier in Berlin, als 1976 die Geschichte der Frauenhäuser für von Gewalt betroffene Frauen begann. Damals wurden die ersten Frauenhäuser gegründet, damals noch als Modellprojekte. Ein Jahr später wurden die ersten Beratungsstellen für vergewaltigte Frauen eingerichtet. Es folgten Hilfseinrichtungen für Mädchen. Heute verfügt Deutschland über ein doch recht dichtes Netz an Hilfsangeboten und Unterstützungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen. Insgesamt gibt es im Bundesgebiet 353 Frauenhäuser, davon die meisten in Städten und Ballungszentren. Langfristiger Schutz wird Frauen auch gewährt durch etwa 40 Wohnungen, die teilweise an Frauenhäuser oder Beratungseinrichtungen angegliedert sind. Insgesamt stehen damit über 6 000 Plätze zur Verfügung. Jährlich suchen etwa 15 000 bis 17 000 Frauen und ihre Kinder in diesen Frauenhäusern und Wohnungen Zuflucht. Insgesamt sind es etwa 30 000 bis 34 000 Personen, 30 000 bis 34 000 Frauen und Kinder, die unter Gewalt in ihrer eigenen Familie, Gewalt oft vonseiten des eigenen Partners, leiden, Frauen und Kinder, denen Schlimmes widerfahren ist. Frau Rupprecht hat das vorhin sehr eindringlich geschildert. Für über 30 000 Menschen sind die Frauenhäuser der einzig sichere Platz. Das Schlimme ist: Diese Zahlen spiegeln längst nicht das tatsächliche Ausmaß der Gewalt gegen Frauen wider. Das tatsächliche Ausmaß ist wesentlich höher; denn nach wie vor gibt es eine Hemmschwelle, solche Schutzeinrichtungen aufzusuchen. Es erfordert sehr viel Mut, diese Hemmschwelle zu überwinden. Gerade Frauen aus religiös-konservativen und von Männern dominierten Kulturkreisen fällt es besonders schwer, diesen Schritt zu tun. Daher ist es wichtig, dass wir uns nicht nur heute, sondern generell mit dem Thema Frauenhäuser im Bundestag beschäftigen. Die Kollegen haben es schon angesprochen: Wir wollen im Dezember mit den Betroffenen, mit den Verantwortlichen der Frauenhäuser sprechen und eine Anhörung durchführen. Danach wollen wir entscheiden, was zu tun ist. Obwohl Sie, liebe Kollegen von der Linken, das wissen, legen Sie schon heute einen Antrag vor. Ich finde, das ist eine Missachtung der Gesprächspartner. Ich schließe mich hier der Kritik der Kollegen an. ({0}) Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat beschrieben, wie vielfältig die Thematik und Problematik ist und dass es keine einfachen Lösungen gibt. Frau Kollegin Ploetz, Sie haben wortwörtlich gesagt: Wir brauchen einfach mehr Geld. ({1}) So einfach ist es nicht. Es gibt rechtliche Bedenken, dass der Bund sich für alle Frauenhäuser zuständig erklärt und deren Finanzierung übernimmt. Deshalb müssen wir uns ausführlich im Ausschuss damit beschäftigen und Lösungen finden, die tragfähig sind. ({2}) Wenn wir über Gewalt gegen Frauen und über Frauenhäuser diskutieren, dann müssen wir den Bogen etwas weiter spannen. Dann müssen wir auch über andere Hilfsangebote reden. Dann müssen wir generell darüber reden, wie die gesellschaftliche Diskussion geführt wird. Wir müssen uns fragen, warum in den Medien der Fokus immer noch allzu oft auf den Tätern liegt und nicht mehr auf den Opfern. Wir müssen uns fragen, wie wir als Gesellschaft mit diesem Thema umgehen und ob wir es nicht immer noch zu sehr tabuisieren. Ich bin froh, dass sich in den letzten Jahren vieles getan hat, nicht zuletzt in den Sicherheitsinstitutionen. Die Kompetenz der Polizei und insbesondere der Bundespolizei sowie der Justiz beim Thema häusliche Gewalt hat sich durch umfassende Schulungsmaßnahmen erhöht. In meinem Heimatland, dem Saarland, gehört das Thema häusliche Gewalt zur polizeilichen Grundausbildung. Das sind wichtige Fortschritte. Damit hilft man Frauen. Wir haben das Hilfstelefon auf den Weg gebracht; das ist schon mehrfach gesagt worden. Trotz knapper Kassen haben wir mehrere Millionen Euro bereitgestellt, um dieses neue Angebot zu ermöglichen. Hier können Hilfesuchende kostenlos rund um die Uhr und in mehreren Sprache Hilfe bekommen. Keine Frau muss Bedenken haben, dass sie wegen dieses Hilfegesuchs zusätzliche Repressionen erleidet; denn es ist anonym und vertraulich. Auch das ist ein wichtiger Schritt. Frau Lazar, Sie haben gesagt, ein Manko des Hilfetelefons sei, dass nicht ausreichend Plätze zur Verfügung stehen würden. Das Telefon soll gerade klären, wo Plätze zur Verfügung stehen. ({3}) Wir schließen damit eine Lücke im Hilfsangebot. ({4}) Nadine Schön ({5}) In dieser Legislaturperiode haben wir - das ist beim Thema Gewalt gegen Frauen ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt - die Zwangsheirat zu einem eigenständigen Straftatbestand im Strafgesetzbuch gemacht. Hier wird erstmals die Nötigung zur Einigung erfasst. Die Antragsfrist zur Aufhebung der Ehe wird verlängert. Die betroffenen Frauen können nun leichter die Ehe wieder auflösen. Auch das ist eine sehr wichtige Maßnahme, die die schwarz-gelbe Koalition in den letzten drei Jahren beschlossen hat. All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur einige Punkte, an denen wir versuchen, die wichtige Arbeit der Frauenhäuser durch Hilfsangebote zu unterstützen, zu ergänzen und zu begleiten. Ich freue mich auf die Anhörung der Expertinnen und Experten im Ausschuss und wünsche mir eine gute Diskussion. Zum Schluss möchte ich mich bei allen bedanken, die sich ehrenamtlich oder hauptberuflich für Frauen, aber auch für Männer - es muss einmal gesagt werden, dass auch Männer unter häuslicher Gewalt leiden - in den Hilfs- und Beratungsstellen, in den Frauenhäusern sowie im gesellschaftlichen wie persönlichen Umfeld einsetzen. Herzlichen Dank für dieses Engagement! Ich denke, damit können wir ins Wochenende starten. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2070, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/243 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. November 2012, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für das bevorstehende Wochenende.