Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
- Drucksache 17/11048 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({0})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es soll hierzu eineinhalb Stunden debattiert werden. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für
die Bundesregierung der Bundesministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Formen des Zusammenlebens der Menschen
in unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren
und Jahrzehnten deutlich verändert. Seit Jahren gibt es
eine ansteigende Zahl von Kindern, deren Eltern nicht
miteinander verheiratet sind. 15 Prozent betrug der Anteil 1995 und 33 Prozent im Jahr 2010.
An diese Entwicklung muss auch unser Familienrecht
angepasst werden, was die Stellung der nicht verheirateten Eltern, von Mutter und Vater, im Interesse des Kindeswohls angeht. Bisher galt: Mütter haben mit Geburt
das alleinige Sorgerecht für ihr nicht eheliches Kind. Väter konnten die Zustimmung der Mutter nicht einklagen,
bis das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Schlechterstellung der nicht verheirateten Väter ausdrücklich beanstandet haben.
Genau da setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung an. Er orientiert sich an dem Leitbild der gemeinsamen Sorge auch der nicht verheirateten Eltern für ihr
Kind. Wir legen zugrunde, dass es das Beste ist, wenn
sich beide Elternteile, auch wenn sie nicht verheiratet
sind, um ihr Kind oder ihre Kinder kümmern - es sei
denn, das Kindeswohl steht dem ausdrücklich entgegen.
Der Gesetzentwurf will diese Interessen, die im Raum
sind - der Mutter nach der Geburt, des Vaters und natürlich des Kindes -, in Einklang bringen.
Damit eines ganz klar ist: Wenn Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, sich einigen, dann brauchen
wir eigentlich überhaupt keine gesetzlichen Regelungen.
Da, wo man sich verständigt - möglichst früh und vielleicht schon vor der Geburt statt erst nach der Geburt -,
hat der Gesetzgeber keine Vorgaben zu machen. Deshalb
befasst sich der Gesetzentwurf mit den Lebensgestaltungen und Lebenssituationen - diese sind in unserer Gesellschaft sehr vielfältig -, in denen es nicht zu einer Einigung der beiden Elternteile, von Mutter und Vater,
kommt.
Wir regeln Folgendes: Es bleibt beim Grundsatz, wie
er bis heute gilt: Die Mutter hat mit der Geburt die alleinige Sorge. Natürlich gibt es andere Modelle in der Diskussion und auch in der Beratung dieses Gesetzentwurfes. Bei der Erstellung des Gesetzentwurfes haben wir
die verschiedenen Modelle in den Blick genommen. Die
gemeinsame Sorge von Geburt an für die nicht verheirateten Eltern ist ein Modell, dem auch wir als FDP einiges
abgewinnen konnten. Aber natürlich gibt es auch Argumente dagegen. Denn was ist, wenn eine Beziehung der
Eltern nicht besteht oder wenn sie nur ganz lose war und
in einem oder mehreren kurzen Treffen bestand, sodass
es keine enge Verknüpfung gibt? Soll da immer von Geburt an die gemeinsame Sorge bestehen? Das sind die
Argumente, die wir abgewogen haben.
Wir haben uns in der Koalition entschieden, zu sagen:
Mit Geburt hat die Mutter die alleinige Sorge. Aber der
Vater, der in seinen Rechten durch die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden ist, kann
natürlich beantragen, die gemeinsame Sorge mit der
Mutter auszuüben. Er kann auch sagen, dass es aus sei24540
nem Blickwinkel am besten ist, wenn er derjenige ist,
der die alleinige Sorge für das gemeinsame Kind hat.
Die Gründe kann er in einer Erklärung niederlegen und
einen entsprechenden Antrag stellen.
Natürlich hat dann die Mutter die Gelegenheit - das
ist doch selbstverständlich und unverzichtbar -, zu sagen, wie sie zu diesem Antrag auf gemeinsame Sorge
steht. Wenn es Gründe gibt, dass es aufgrund des Kindeswohles angemessener wäre, das Sorgerecht für das
Kind allein bei der Mutter zu belassen, dann kann die
Mutter diese nicht nur vortragen, sondern dann sollte sie
diese unbedingt vortragen. Dann müssen die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen - immer gemessen am Wohl des Kindes - in einem Verfahren beim
Familiengericht geklärt werden. Das Familiengericht
wird auf der Grundlage der bestehenden Regelungen zu
einer Entscheidung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen kommen.
Darüber hinaus ist es den Elternteilen freigestellt,
zum Jugendamt zu gehen. Das Jugendamt kann natürlich
beraten sowie Anregungen und Hilfestellungen geben.
Wir sehen aber nicht vor, dass das in jedem Fall zwingend zu erfolgen hat. Ich glaube, wir müssen den Elternteilen nicht vorschreiben, dass sie sich in jeder Situation
immer und zuallererst an das Jugendamt wenden müssen. Es ist aber gut, wenn sie diese Anlaufstelle und die
dort vorhandene Kompetenz und vorhandenen Erfahrungen meinen, für sich in Anspruch nehmen zu wollen.
Das ist ihnen, wie gesagt, freigestellt.
Auch in Debatten im Deutschen Bundestag zu anderen rechtspolitischen Anträgen ging es um die Frage,
warum mit diesem Gesetzentwurf ein zügigeres Verfahren vorgesehen werden soll, ein vereinfachtes und ein
beschleunigtes Verfahren zur Entscheidung über die
Frage, ob das Sorgerecht beiden Elternteilen und damit
auch dem Vater übertragen wird.
Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass dieses
Verfahren nur für eine ganz bestimmte Situation gilt,
wenn nämlich die Mutter bezüglich des Antrags des Vaters keine Gründe vorträgt, warum dieser Antrag auf gemeinsame Sorge sich gegen das Kindeswohl richtet, sie
sich in der Sache also überhaupt nicht einlässt. Dazu sagen wir: Wenn dem Gericht nicht sowieso schon andere
Gründe vorliegen, die selbstverständlich zu berücksichtigen sind, dann hat es in einem schriftlichen Verfahren,
in dem man natürlich wiederum alle Gründe vorbringen
kann, zu entscheiden. Wenn sich in diesem schriftlichen
Verfahren herausstellt, dass die Situation doch eine andere ist, als sie sich im Antrag des Vaters darstellt, dann
- das ist ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs und in den Verweisen dargelegt - kann natürlich
unter Einhaltung einer bestimmten Frist in einer Anhörung alles erörtert werden, was wichtig ist.
Ich glaube, damit tragen wir den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, die Rechte der Väter
im Falle nicht verheirateter Eltern eindeutig zu stärken.
Wir belassen es bei der alleinigen Sorge der Mutter mit
der Geburt. Im Verfahren muss dann aber den Rechten
der Väter Rechnung getragen werden. Wir verbinden die
unterschiedlichen Interessenlagen in einer angemessenen Weise miteinander. Dem Vater wird mit dem Verfahren für den Fall eine Möglichkeit eröffnet, seine
Situation darzulegen, dass sich die Mutter nicht mit der
Nennung von Gründen, die gegen eine gemeinsame
Sorge sprechen, einbringt.
Ich freue mich auf spannende und angeregte Beratungen im Rechtsausschuss und in den anderen Ausschüssen. Das ist ein wichtiges Thema, das viele Menschen in
unserer Gesellschaft berührt. Deshalb ist der heutige Tag
ein guter Tag, an dem wir erstmals nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über gesetzliche
Regelungen beraten.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bundesjustizministerin, es ist in der Tat ein wichtiges
Thema. Das Thema, über das wir heute Morgen debattieren, brennt vielen Hunderttausend Vätern, Müttern und
auch Kindern auf den Nägeln. Sie haben es gesagt: In
Deutschland wird inzwischen jedes dritte Kind nicht
ehelich geboren. In den ostdeutschen Bundesländern
sind es sogar über 60 Prozent der Kinder. Das Ganze ist
also überhaupt kein Randthema.
In diesen Zahlen spiegelt sich gesellschaftlicher Wandel wider, der in den letzten Jahren und Jahrzehnten
stattgefunden hat. Vor etwa 40 Jahren hatten wir in
Deutschland eine komplett andere Rechtslage. Nicht
eheliche Kinder waren sogenannte Niemandskinder. Sie
waren mit ihrem Vater nicht einmal verwandt. Sie waren
von der Erbfolge ausgeschlossen. Sie hatten nicht einmal
einen Anspruch auf einen Pflichtteil. Sie hatten keinen
eigenen Unterhaltsanspruch. Auf der anderen Seite hatte
der Vater keinen durchsetzbaren Anspruch auf Umgang
mit dem Kind, geschweige denn die Möglichkeit, überhaupt eine gemeinsame Sorge zu bekommen. Das alles
hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert.
Das ist auch gut so.
({0})
Denn Kinder haben ein Recht auf liebevollen Umgang
mit beiden Elternteilen, egal ob sie einen Trauschein haben oder nicht.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor
etwa drei Jahren und das Bundesverfassungsgericht vor
zweieinhalb Jahren hatten uns die Aufgabe gegeben, dieses Sorgerecht weiterzuentwickeln. Gesetzliches Leitbild soll die gemeinsame Sorge sein. Es soll nicht mehr
prinzipiell an dem Veto eines Elternteils scheitern. Auch
das ist gut so.
Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Ursprünglich war ein solcher Gesetzentwurf für das Jahr 2010
angekündigt. Da ist nichts passiert. Dann kam die Ankündigung für 2011. Auch da ist nichts passiert. Jetzt haben wir Ende 2012. Obwohl sich die Bundesregierung
zweieinhalb Jahre Zeit gelassen hat: Der ganz große
Wurf - das sage ich vorweg - ist es nicht geworden. Ich
will nicht verkennen, dass eine gesetzliche Neuregelung
vor allen Dingen mit drei Schwierigkeiten zu kämpfen
hat.
Erste Schwierigkeit. Die Debatte über die Ausgestaltung der elterlichen Sorge - das wissen wir alle - wird
sehr emotional, sehr leidenschaftlich und teilweise auch
sehr verbissen geführt. Es gibt im Wesentlichen zwei Lösungsmodelle, die seit Jahren diskutiert werden. Das
eine ist die sogenannte Antragslösung, bei der der Vater
vor Gericht gehen muss, um eine gemeinsame Sorge zu
bekommen. Das andere ist die Widerspruchslösung, die
beiden Eltern zunächst einmal das Sorgerecht zuweist.
Wenn dies dann aber nicht sachgerecht ist, weil sich beispielsweise der Vater schon vor der Geburt aus dem
Staub gemacht hat, dann muss die Mutter zum Gericht
gehen, um daran etwas zu ändern. Diese beiden Lösungsmodelle stehen sich sehr unversöhnlich gegenüber.
Der eine zeigt auf den anderen und fragt: Warum muss
bei deinem Modell der Vater zum Gericht laufen? Dieser
wiederum fragt zurück: Warum muss das bei deinem
Modell die Mutter tun?
Ich glaube, dass eine gesetzliche Neuregelung im
Sinne der Kinder Brücken bauen muss. Die Kinder leiden am meisten darunter, wenn sich ihre Eltern über das
Sorgerecht streiten, was zu der misslichen Situation führen kann, dass ein Elternteil den anderen verklagt. Eine
gesetzliche Regelung muss die Gemeinsamkeiten der Eltern fördern und nicht den Streit. Das ist in diesem Gesetzentwurf noch nicht richtig gelungen.
({1})
Zweite Schwierigkeit. Hinter dem Thema Sorgerecht für
nicht verheiratete Eltern - Sie haben das angesprochen verbergen sich ganz unterschiedliche Fallgruppen: angefangen bei den Eltern, die auch ohne Trauschein ein Leben lang zusammenbleiben und sich gemeinsam rührend
um ihre Kinder kümmern bis hin zu den flüchtigen Bekanntschaften, bei denen der Vater schon lange vor der
Geburt verschwunden ist. Eine gesetzliche Neuregelung
muss das Kunststück fertigbringen, all diesen Fallgruppen gerecht zu werden. Das ist kein leichtes Unterfangen.
Schließlich die dritte Schwierigkeit. Jede noch so gut
gemeinte gesetzliche Regelung auf dem Papier ist darauf
angewiesen, dass die Eltern sie vor Ort im Alltag verantwortungsbewusst und einvernehmlich umsetzen. Wenn
die Eltern das nicht tun, wenn sie beispielsweise ihre
Konflikte auf dem Rücken der Kinder austragen, dann
läuft jede noch so gute Regelung vollkommen ins Leere.
Deshalb muss es doch das Ziel einer gesetzlichen Regelung sein, die Eltern zu unterstützen und da, wo Konflikte vorhanden sind, diese Konflikte mit den Eltern zu
bereden und sie nicht alleine zu lassen.
({2})
Den Eltern muss gesagt werden: Ihr habt ein gemeinsames Kind. Seid für euer Kind da. Es braucht Vater und
Mutter. Lasst uns einmal gemeinsam schauen, wie wir
hier zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Aber was bewirkt dieser Gesetzentwurf, zumindest in
Teilen? Ich sage es ganz offen: Die Eltern werden im Regen stehen gelassen. Sie haben es bereits angesprochen:
In einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren
soll beispielsweise ein Familienrichter über das Sorgerecht in Konfliktfällen entscheiden. Der Pferdefuß dabei
ist: Er soll das tun, ohne jemals Vater oder Mutter gesehen, geschweige denn mit ihnen gesprochen zu haben.
Auch das Jugendamt ist außen vor. Der Richter entscheidet nur nach Aktenlage. Die Eltern sind außen vor. Sie
werden zu Zaungästen des gesamten Verfahrens. Das ist
doch ein Unding.
({3})
So löst man keine bestehenden Konflikte, sondern man
verschärft sie nur. Da Sie so mit Hunderttausenden von
Vätern und Müttern umspringen, sprechen Sie in diesem
Zusammenhang in Zukunft bitte nicht mehr von starken
Familien und starken Eltern.
({4})
Auch die Familienrichter stöhnen schon und fragen:
Wie sollen wir in diesem vereinfachten Verfahren eigentlich entscheiden? Wie sollen wir in Zukunft solche
schwerwiegenden Entscheidungen über die Ausübung
des Sorgerechts über die Köpfe der Betroffenen - der
Väter, der Mütter, der Kinder - hinweg treffen können?
Meine Damen und Herren, hier geht es um das Wohl vieler nicht ehelicher Kinder in unserem Land. Über das
Kindeswohl entscheidet man nicht nach Aktenlage.
({5})
Das Kindeswohl eignet sich nicht für schwarz-gelbe Experimente. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf in
den kommenden Wochen sehr kritisch begleiten.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben vor einem
knappen Jahr unsere Lösungsvorschläge auf den Tisch
gelegt. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam schauen: Was
sind die besten Lösungen für die betroffenen Väter, für
die Mütter, aber vor allen Dingen auch für die betroffenen Kinder?
Recht herzlichen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion ergreift jetzt die Kollegin
Andrea Voßhoff das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, heute liegt der Gesetzentwurf der christlich-liberalen
Koalition zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern endlich vor. Wir haben dieses
Thema in diesem Hause schon oft genug diskutiert, zuletzt noch bei der Haushaltsberatung.
Ich glaube, wir sind uns, auch wenn wir später hinsichtlich der Ausgestaltung sicherlich noch streiten werden, dem Grunde nach sicherlich einig: Das Sorgerecht
ist im Bereich des Familienrechts immer eine besondere
Herausforderung für den Gesetzgeber. Es muss nämlich
höchst unterschiedlichen Lebens- und Beziehungssituationen, in die Kinder heutzutage hineingeboren werden,
gerecht werden. Auch aus diesem Grund haben wir in
der Koalition die Vorlage des heutigen Entwurfs sehr
ausführlich, sehr intensiv und sehr zeitaufwendig beraten, und zwar, wie ich finde, mit einem guten Ergebnis.
Wir haben - dies ist schon betont worden - eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungsmodelle miteinander
diskutiert. Herr Lischka, Sie und auch die Ministerin haben es erwähnt: Ob Widerspruchslösung oder Sorgerecht
ab Geburt - es müssen sehr divergierende Interessen
austariert werden. Sie haben unsere Überlegungen und
auch die Erarbeitung des heutigen Entwurfs als Opposition begleitet, im Wesentlichen sachlich. Ich glaube, das
gebietet das Thema auch. Es eignet sich nicht für parteipolitische Präsentation und Darstellung. Vielmehr sollten wir im Interesse der Kinder, der Eltern und der Familie eine sachgerechte Diskussion darüber führen. Ich
freue mich darüber, dass das bisher weitgehend gelungen
ist.
({0})
Könnte man diesem Gesetzentwurf eine Überschrift
geben, die das Leitmotiv treffend zum Ausdruck bringt,
so müsste die Überschrift dieses Gesetzentwurfes eigentlich lauten: „Mutter und Vater sind gut fürs Kind“. Wir
implantieren die gemeinsame elterliche Sorge als Leitbild ins Sorgerecht, und zwar in den Fällen, in denen die
Eltern nicht miteinander verheiratet sind und über das
Sorgerecht keine Einigung finden können.
Wir alle wissen: Nach bisherigem Recht - das ist
heute schon gesagt worden - erhielten Eltern, die nicht
miteinander verheiratet waren, das gemeinsame Sorgerecht nur, wenn sie heirateten oder sich übereinstimmend
für die gemeinsame elterliche Sorge entschieden haben.
Wir wissen auch: Neben dem EGMR hat auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus
dem Jahr 2010 festgestellt, dass der Gesetzgeber dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters
eines nicht ehelichen Kindes eingreift, dass er ihn generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt,
wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung am Maßstab
des Kindeswohls eingeräumt wird. Der Gesetzgeber war
daher gefordert, diesen nach der bestehenden Rechtslage
möglichen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht des Vaters zu korrigieren. Das tun wir heute mit
diesem Gesetzentwurf.
Es ist bereits gesagt worden: Die gesellschaftliche
Entwicklung auch der Familien ist seit der letzten großen
Kindschaftsrechtsreform nicht stehen geblieben. Der
Prozentsatz der nicht ehelich geborenen Kinder hat, gemessen an der Gesamtzahl der Geburten, stetig zugenommen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Heutzutage wird etwa jedes dritte Kind nicht ehelich geboren,
in den neuen Bundesländern liegt die Zahl der nicht ehelich geborenen Kinder sogar bei über 61 Prozent.
Der weit überwiegende Teil dieser Kinder lebt dabei
durchaus in stabilen Verhältnissen. Viele Eltern sehen
zwar - was ich bedaure - keinen Grund für eine Heirat,
wollen sich aber - und das ist sehr zu begrüßen - gemeinsam um ihr Kind kümmern und geben entsprechende Sorgerechtserklärungen ab. Die Statistik besagt,
dass dies in über 50 Prozent der Fälle geschieht. Das ist
gut so. Wir alle würden uns sicherlich darüber freuen,
wenn dieser Prozentsatz steigen würde.
Ebenso ist erfreulich, dass immer mehr nicht verheiratete Väter eine echte Vaterrolle übernehmen und deshalb mitsorgeberechtigt sein wollen. Es muss daher unser Ziel sein, möglichst viele Eltern dazu zu bewegen,
sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden, die elterliche Sorge gemeinsam tragen zu wollen. Darin sind wir
uns vielleicht auch noch einig: Eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Eltern ist um ein Vielfaches
besser als ein gesetzlicher Automatismus oder ein Gerichtsurteil, durch welches das Sorgerecht zwangsweise
geregelt wird. Das ist für uns als Union auch vom christlichen Menschenbild her eine wichtige Zielvorgabe. Es
ist immer besser, wenn der Staat etwas nicht regeln
muss, weil die Familie es selbst regeln kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine
gesetzliche Neuregelung aber eindeutig für die Fälle, in
denen die Eltern sich eben nicht einvernehmlich über die
Sorge verständigen können. Ich sagte es bereits: Nach
der bisherigen Gesetzeslage hatte es die Mutter in der
Hand, darüber zu entscheiden, ob auch der Vater an der
elterlichen Sorge beteiligt werden sollte oder nicht. Der
Gesetzgeber hatte seinerzeit bei der Kindschaftsrechtsreform gute Gründe, dies so zu regeln. Wir erinnern uns:
Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner
Entscheidung aus dem Jahr 2003 anerkannt, indem es
sagte, der Gesetzgeber dürfe davon ausgehen, dass eine
Verweigerungshaltung der Mutter von schwerwiegenden
Gründen mit Blick auf die Wahrung des Kindeswohls
getragen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Wertung in
seiner Entscheidung von 2010 jedoch geändert: Es
könne nicht angenommen werden, dass die Zustimmungsverweigerung in aller Regel auf Gründen beruht,
die mit der Wahrung des Kindeswohls zusammenhängen. - Wir wissen auch aus einem vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben, dass in vielen Fällen eine gemeinsame Sorge aus
Gründen verweigert wird, die vielleicht verständlich
sind, aber nicht unbedingt einen Bezug zum Kindeswohl
haben.
Wir alle kennen auch die vielen Zuschriften von Väterinitiativen, die seit Jahren um eine Beteiligung an der
elterlichen Sorge kämpfen. Mit der Entscheidung des
EGMR und des Bundesverfassungsgerichts haben sie ihrem Anliegen nicht nur Gehör verschafft; durch die Entscheidung der genannten Gerichte ist der Gesetzgeber
nunmehr gezwungen, eine Reform des Sorgerechts vorzunehmen.
Wir haben Ihnen diesen Gesetzentwurf heute in erster
Lesung vorgestellt. Ich glaube, wir haben einen ausgewogenen und die Interessen aller Beteiligten durchaus
berücksichtigenden Entwurf vorgelegt. Er soll den nicht
mit der Kindesmutter verheirateten Vätern im Lichte der
zwischenzeitlich eingetretenen gesellschaftlichen Entwicklungen auch bei fehlender Zustimmung der Mutter
den Zugang zur elterlichen Sorge ermöglichen. Wir haben uns dabei von drei zentralen Gesichtspunkten leiten
lassen:
Erstens. Für uns gilt der Grundsatz - ich sagte es -:
Jedes Kind braucht Vater und Mutter. Das ist ein Leitmotiv, das für uns von der Union auch im Zusammenhang
mit diesem Gesetzentwurf von besonderer Bedeutung
ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung festgestellt,
dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich
den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu
beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht,
dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das
Kind Verantwortung zu tragen.
Das bedeutet, dass Väter am Sorgerecht beteiligt werden
müssen, ohne dass dies ausschließlich vom Willen der
Mutter abhängen darf. Die gemeinsame elterliche Sorge
soll, wenn möglich, der Regelfall sein, weil es nach unserer Überzeugung das Beste fürs Kind ist.
Ich komme damit zum zweiten Punkt. Wir wollen,
dass in den Fällen, in denen sich die Eltern uneinig sind
und um die Sorge streiten, ein Familiengericht eingeschaltet wird. Es gibt verschiedene Entwurfsmodelle aus
den Oppositionsfraktionen, die zum Teil vorsehen
- beim Modell der Grünen ist das der Fall -, dass das Jugendamt entscheidet. Das halten wir für falsch. Wir wollen, dass das Familiengericht eingeschaltet wird und
prüft, ob das Kindeswohl Schaden nehmen würde.
({1})
Drittens. Wir wollen, dass für die Beteiligten möglichst früh Klarheit geschaffen wird, wie sich die sorgerechtliche Verantwortung verteilt.
Jetzt komme ich zur Ausgestaltung. Ich will es nicht
in aller epischen Breite darstellen; das werden die nachfolgenden Redner sicherlich noch im Detail tun. Herr
Kollege Lischka, ich weiß - auch uns erreichen Zuschriften -: Das vereinfachte Verfahren wird kritisch betrachtet. Ich finde es nur nicht angemessen, wenn Sie
hier sagen, dass wir die Eltern „im Regen stehen lassen“
oder als „Zaungäste“ betrachten. Sie vergessen bei dieser
Argumentation immer, dass die Mutter aufgefordert
wird, Stellung zu nehmen, innerhalb von sechs Wochen
nach der Geburt - schriftlich, mündlich. Der Normalfall
wird doch sein, Herr Kollege Lischka, dass die Mutter
von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, wenn sie
Gründe nennen kann - Sie muss sie künftig vortragen -,
die das Kindeswohl betreffen.
({2})
Deshalb ist es falsch, die Behauptung aufzustellen, wir
würden die Eltern „im Regen stehen lassen“ oder als
„Zaungäste“ betrachten. Nur in dem Fall, dass sich die
Mutter gar nicht äußert und das Gericht keine Erkenntnisse hat, kommt das beschleunigte Verfahren zum Zuge.
Warum soll es das? Weil es auch im Interesse der Beteiligten, der Eltern und des Kindes, ist - das gehört zum
dritten Punkt, den ich vorhin genannt habe -, dass diese
Entscheidung schnell gefällt wird, wenn es keine Gründe
dafür gibt, das Verfahren mit Anhörung aller Beteiligten
einschließlich Jugendamt in extenso durchzuführen. Ich
kenne und höre die kritischen Anmerkungen, die es dazu
gibt. Wir werden eine Anhörung haben und uns mit den
Argumenten sehr wohl noch einmal auseinandersetzen.
Die Vorschläge aus der Opposition in dieser Frage bedeuten für die Eltern, insbesondere für den Vater,
enorme Hürden.
({3})
Der Vater hätte sozusagen mit sämtlichen Behörden zu
tun, vom Standesamt über das Jugendamt bis hin zum
Gericht. Das sind enorme Hürden für den Vater, der das
Sorgerecht möchte; es ist letztendlich auch für die Mutter belastend, die sich mit ihm darüber nicht einigen
kann.
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist aller Mühen wert, dass wir uns in der Anhörung sehr intensiv mit
diesem Entwurf befassen. Er ist ein gelungener Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen. Die
Überschrift des Gesetzes hätte eigentlich lauten müssen
- ich sagte es eingangs -: „Mutter und Vater sind gut
fürs Kind“. Ich finde, dieser Gesetzentwurf leistet einen
guten Beitrag.
Vielen Dank.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Jörn Wunderlich
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Ich bin Vater, aber habe kein Recht, für mein
Kind zu sorgen.“ So oder so ähnlich lautete die Beschwerde, die Anlass für eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr
2009 und für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 war, um die bis dahin geltende Regelung der elterlichen Sorge nicht verheirateter
Eltern neu zu regeln.
Die Rechtslage bis dato war: Mutter wurde man durch
Geburt des Kindes, sorgeberechtigter Vater durch eine
gemeinsame Sorgerechtserklärung oder durch Heirat der
Kindesmutter. Der ledige Vater hatte keinerlei Möglichkeiten, das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen
der Kindesmutter zu erlangen. Zur gesamten familienrechtlichen Historie hat der geschätzte Kollege Lischka
schon ausführlich gesprochen.
Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet wie folgt:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft.
Was sagt dieser Art. 6 aus? Inwieweit bezieht sich das
Bundesverfassungsgericht darauf? Ich zitiere aus der
Entscheidung vom 21. Juli 2010, in der es heißt:
Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gebietet es
auch nicht, Väter nichtehelicher Kinder generell
mit wirksamer Anerkennung ihrer Vaterschaft …
kraft Gesetzes das Sorgerecht für ihr Kind gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen.
Allerdings heißt es in den Gründen drei Absätze weiter:
Dies hindert den Gesetzgeber allerdings nicht daran, angesichts des Umstandes, dass immerhin für
die Hälfte der nichtehelichen Kinder eine gemeinsame Sorgetragung der Eltern begründet wird, den
Vater eines nichtehelichen Kindes mit der rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft zugleich kraft
Gesetzes in die Sorgetragung für das Kind mit einzubeziehen …
Das heißt, wir als Gesetzgeber sind nicht gehindert, es
gleichwohl so zu regeln, auch wenn es gegenwärtig nicht
geboten ist.
Nun gibt es verschiedene Lösungsansätze: die gemeinsame Sorge per Gesetz; die Widerspruchslösung,
das heißt, man kann Widerspruch gegen die gemeinsame
Sorge einlegen; die Antragslösung, das heißt, gemeinsame Sorge nur auf Antrag des Vaters. Für jede Lösungsvariante kann jeder zum Teil extreme Beispiele anführen, sowohl positive als auch negative. Welche ist die
beste? Welche kommt den Interessen des Kindes am
nächsten? Welche benachteiligt keinen Elternteil?
Jetzt liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung
vor. Das ist so eine Art modifiziertes Antragsmodell; wir
haben schon gehört: ein Kompromissvorschlag, über den
lange beraten worden ist, wobei ich das Ergebnis als
nicht unbedingt sehr gelungen betrachte.
({0})
- Danke, Frau Voßhoff, ich finde es toll, dass Sie so viel
Wert auf mein Urteil legen. Das freut mich.
({1})
- Das auch.
({2})
Es ist und bleibt allerdings problematisch - das ist
schon dargelegt worden -, dass im Falle der Nichteinigkeit der Eltern Familiengerichte unter gewissen Voraussetzungen im Schnellverfahren ohne Anhörung der Beteiligten über die elterliche Sorge entscheiden können.
Das FamFG soll dahin gehend geändert werden, dass
ohne Anhörung der Eltern und ohne Anhörung des Jugendamtes entschieden werden kann, wenn keine
Gründe vorgetragen werden oder ersichtlich sind, die
dem Kindeswohl entgegenstehen. Nun ist richtig: Justitia soll ohne Ansehen der Person entscheiden. Aber von
„ohne Anhören“ habe ich nichts gelesen.
({3})
Kindeswohlfragen nach Aktenlage zu entscheiden, halte
ich aus meiner Sicht als Familienrichter für völlig neben
der Sache. Wir haben im Familienrecht bereits ein beschleunigtes Verfahren; das hat sich bewährt. Warum
bleiben wir nicht dabei?
Es gibt noch die Anträge der anderen Fraktionen. Die
Mehrheit meiner Fraktion hat sich für Folgendes ausgesprochen: Soweit sich die Eltern einig sind, sollte sich
der Staat in Familien nicht einmischen. Familien als
kleinste soziale Gemeinschaft dieses Staates sollten
möglichst wenig von staatlichen Eingriffen tangiert sein.
({4})
Wenn der Vater die Vaterschaft anerkennt und zusätzlich
erklärt, dass er die gemeinsame Sorge mit der Mutter tragen will, dann soll diese gemeinsame Sorge auch begründet sein.
Ich habe es eingangs gesagt: Sorgeberechtigt wird
man, wenn man die Kindesmutter ehelicht, oder man ist
per se, wenn man verheiratet ist und ein Kind in dieser
Ehe geboren wird, sorgeberechtigter Vater, unabhängig
davon, ob man der biologische Vater ist oder nicht; man
ist sorgeberechtigter Vater lediglich aus der Tatsache des
Ehelebens heraus. Bezogen auf das Kind ist eine solche
Vaterschaftsanerkennung mit der Erklärung „Ich will
mich um dieses von mir anerkannte Kind sorgen“ ein
deutliches Mehr als der Trauschein mit der Mutter.
Den Sorgewillen und die Sorgeerklärung des Vaters
darf man nicht vom Willen der Kindesmutter abhängig
machen. Wenn beide dann letztlich sorgeberechtigt sind,
dann ist das Kind rechtlich einem ehelichen Kind gleichgestellt; beide Elternteile haben Anfechtungsmöglichkeiten nach § 1671 BGB.
Aber egal, für welches Modell man sich am Ende entscheidet: In jedem Fall sollten eine Mediation und eine
Beratung der Eltern vorgeschaltet sein, im Interesse der
Kinder und im Interesse der Eltern. Eine Gerichtsentscheidung sollte nur Ultima Ratio sein.
Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und auf die Berichterstattergespräche, danke
schon einmal für das Lob und hoffe, dass wir dann im
Ergebnis wirklich zur besten Lösung für unsere Kinder
und auch für die Eltern kommen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unser Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verbriefen die Grundüberzeugung, dass
Recht diskriminierungsfrei gestaltet werden muss. Das ist
ein hoher, aber in einem Rechtsstaat notwendiger Anspruch. Diskriminierungsfrei muss auch die Rechtsstellung von Müttern und Vätern gegenüber ihren Kindern
sein. Alle Kinder müssen vom Recht gleichbehandelt
werden, unabhängig davon, ob ihre Eltern verheiratet,
verpartnert oder keines von beidem sind; denn für Kinder
ist es egal, ob ihre Eltern in einer rechtlich formalisierten
Beziehung leben oder nicht. Wichtig ist, dass die Beziehung des Kindes zu seinen Eltern und die Beziehung der
Eltern zu ihrem Kind in Ordnung ist.
Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte in Straßburg entschieden, dass die
bisherige deutsche Regelung zum Sorgerecht unverheiratete Väter unangemessen benachteiligt, und zwar gegenüber Müttern und verheirateten Vätern. Dieser
Rechtsauffassung hat sich im Juli 2010 auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.
Auf dieser Grundlage haben wir Grünen im Oktober
2010 unseren Antrag zum Sorgerecht vorgelegt. In den
vergangenen zwei Jahren haben wir hier im Bundestag
wiederholt über eine Neuregelung des Sorgerechts debattiert. Alle diese Initiativen kamen zustande, weil die
Oppositionsfraktionen sie beantragt haben. Deshalb
freue ich mich umso mehr, dass Sie sich innerhalb der
Regierung nun endlich auf eine Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern verständigen konnten. Darauf haben nicht nur wir Grünen, darauf haben auch sehr viele unverheiratete Väter sehr
lange gewartet. Dieser Entwurf war längst überfällig,
meine Damen und Herren.
({0})
Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, stelle
ich mit großer Freude viele Parallelen zu unserem Grünen-Antrag von 2010 fest. Das zeigt zwei Dinge: Erstens. Gutes setzt sich durch. Zweitens. Bei manchen dauert es halt länger.
Wichtig ist uns Grünen, dass beide Elternteile möglichst frühzeitig Verantwortung für ihr gemeinsames
Kind übernehmen. Das schafft eine wechselseitige Verbindlichkeit sowohl im Eltern-Kind- als auch im Elternverhältnis. Wir möchten den Vätern, die nicht mit der
Mutter ihres Kindes verheiratet sind, über ein Antragsmodell Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht ermöglichen; denn das Antragserfordernis trägt dazu bei, dass
die Väter, die Interesse an ihrem Kind haben - davon ist
im Regelfall auszugehen -, auch die elterliche Mitverantwortung erhalten können.
Allerdings sprechen wir uns im Gegensatz zur Bundesregierung dafür aus, dass der Vater den Antrag beim
Jugendamt stellen kann und nicht beim Familiengericht
stellen muss; auch die Mutter soll einem Sorgerechtsantrag des Vaters niedrigschwellig widersprechen können.
Meine Damen und Herren, auch hierfür sollten wir praktikable Lösungen suchen. Der Weg zum Jugendamt ist
für die meisten Menschen niedrigschwelliger als der
Weg zum Gericht. Er beinhaltet weniger Konfliktpotenzial, ist kostengünstiger und schneller. Erst dann, wenn
die Mutter dem Antrag des Vaters widerspricht und der
Vater weiterhin Mitinhaber der elterlichen Sorge sein
will, soll der Weg zum Gericht beschritten werden können. Der Vater muss dann eine Entscheidung des Familiengerichts herbeiführen. Das Familiengericht wiederum überträgt den Eltern die gemeinsame Sorge, wenn
dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie in Ihren Gesetzentwurf noch folgende Verbesserungen aufnehmen: Der
Weg über das Gericht sollte so spät wie möglich erfolgen. Die Widerspruchsfrist für die Mutter sollte auf acht
Wochen nach der Geburt des Kindes verlängert werden;
diese Frist ist in Ihrem Gesetzentwurf mit sechs Wochen
zu kurz bemessen. Außerdem sollten Regelungen für
den Konfliktfall wie Beratungs- und Mediationsangebote implementiert werden. An diesem Gesetzgebungsverfahren werden wir Grünen uns konstruktiv beteiligen.
Weitere Schritte müssen aber folgen.
Unser Rechtssystem ist insbesondere im Bereich des
Familienrechts noch lange nicht frei von Diskriminierungen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun. Leider zeigt
die jetzige CDU/CSU-FDP-Regierung wenig Elan und
setzt gesellschaftliche Realitäten nur sehr verzögert um.
Nach den Bundestagswahlen im kommenden Jahr wird
auch die Rechts- und Justizpolitik bei einer neuen Regierung mit anderen Prioritäten einen Modernisierungsschub erhalten.
({1})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kinder haben ein
Recht auf beide Eltern. Kinder haben einen Anspruch
darauf, dass beide Elternteile für sie sorgen. Die Eltern
sollen die gemeinsame Verantwortung für das Kind
übernehmen. Deswegen muss das Gesetz den Rahmen
so ziehen, dass die gemeinsame Verantwortung der Eltern für das Kind der Normalfall ist und immer mehr
wird. Deswegen ist unsere Aufgabe, Hindernisse zu beseitigen; Herr Kollege Lischka hat es so genannt: Brücken zu bauen.
Der Regierungsentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, beseitigt zwei entscheidende Hindernisse.
Erstens senkt er die Zugangsschwelle für die Väter. Bislang müssen nach geltender Rechtslage die Väter darlegen, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Die Väter sind also darlegungs- und eventuell
auch beweispflichtig. Künftig wird es nach dem Regierungsentwurf so sein, dass das Familiengericht, wenn
der Fall zu ihm kommt, die gemeinsame Sorge schon
dann zuspricht, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist also eine Umkehr der Darlegungs- und
Beweislast. Deswegen werden Väter künftig leichter zur
gemeinsamen Sorge zusammen mit der Mutter für das
gemeinsame Kind kommen können. Das ist das erste
Hindernis, das wir abbauen, die erste Brücke, die wir
bauen.
Das zweite Hindernis ist, dass die Einwendungen gegen die gemeinsame Sorge künftig auf das Kindeswohl
Bezug nehmen müssen. Es müssen kindeswohlrelevante
Einwände vorgebracht werden. Es genügt also nicht,
sich nur auf Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern zu berufen. Das soll nicht mehr ausreichend sein;
denn Kinder dürfen erwarten, dass ihre Eltern Kommunikationsprobleme, wenn sie denn bestehen, eben ausräumen.
({0})
Insofern formen wir das Gesetz nach dem Kindeswohl.
Nun gibt es Kritik an dem Verfahren, wie es hier von
Rednern der Opposition auch schon vorgetragen worden
ist. Diese Kritik betrifft den neuen § 155 a FamFG. Dazu
ist zum einen Kritik am vereinfachten Verfahren vorgetragen worden. Es ist schon gesagt worden: Falls nun die
Mutter gar keine Stellungnahme gegen den Antrag des
Vaters auf die gemeinsame Sorge abgibt oder aber in ihrer Stellungnahme keine kindeswohlrelevanten Gründe
vorträgt, dann kann das Gericht zunächst einmal einfach
im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung der Eltern
und ohne Anhörung des Jugendamtes zu einer Entscheidung kommen. Das ist das, was Sie, Herr Kollege
Wunderlich, kritisiert haben.
({1})
Ihre Kritik und auch die Kritik von Ihnen, Herr Kollege Lischka, hat zum Ziel, dass das Jugendamt immer
beteiligt sein soll. Aber es ist doch ganz normal, dass das
Jugendamt immer nur dann eingeschaltet und beteiligt
wird, wenn es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt,
dass das Kindeswohl in Gefahr ist. Nach Ihrer Vorstellung ist offenbar - so muss ich das verstehen - das Kindeswohl immer schon dann in Gefahr, wenn das Jugendamt nicht beteiligt ist und wenn die Eltern nicht
miteinander verheiratet sind.
({2})
In meinen Augen ist es aber keine sehr moderne, keine
sehr zeitgemäße Vorstellung, zu sagen: Immer dann,
wenn Eltern nicht verheiratet sind, ist das Kindeswohl in
Gefahr.
({3})
Was ist denn das für eine rückständige Vorstellung? Das
ist eine Vorstellung, die ich nicht zu teilen vermag.
({4})
Im Übrigen gilt: Wenn das Jugendamt oder andere
Beteiligte irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben, dass
das Kindeswohl in Gefahr ist, steht es ihnen frei, dies
dem Gericht bekannt werden zu lassen. Damit sind wir
bei dem neuen § 155 a Abs. 4 FamFG, sozusagen bei der
Notbremse: Wenn dem Gericht irgendwelche entgegenstehenden Gründe bekannt werden, dann kann es einen
mündlichen Termin anberaumen und dann sind wir im
ganz normalen mündlichen Verfahren. Die Vorstellung,
dass man bei allen nicht ehelichen Kindern immer die
Behörde zur Kontrolle ins Kinderzimmer schicken muss,
die halten wir für antimodern.
({5})
Der zweite Kritikpunkt, den Sie, Frau Kollegin
Hönlinger, gerade angesprochen haben, bezieht sich auf
die Sechswochenfrist, die Sie verlängert wissen wollen.
Üblich sind in gerichtlichen Verfahren Zweiwochenfristen und Vierwochenfristen. Wir sagen schon: Diese Frist
darf nicht innerhalb der ersten sechs Wochen nach Geburt des Kindes ablaufen. Wir erhöhen also die Schutzfrist für die Mutter, weil wir das für angemessen halten,
auch wenn der Antrag schon kurz nach der Geburt zugestellt wird.
({6})
Die Mutter braucht aber nicht schon im Wochenbett seitenlange Schriftsätze zu verfassen, sondern sie muss zunächst einmal nur auf den Antrag des Vaters reagieren.
({7})
Sie braucht dem Gericht nur in einfachen Worten zu sagen, dass die gemeinsame Sorge dem Kind schadet, und
schon kommt man in das normale Verfahren hinein.
Diese Schwelle ist denkbar niedrig.
({8})
Deswegen meine ich, dass die Kritik am Verfahren
dramatisiert ist. Uns allen ist das Kindeswohl wichtig.
Für uns alle gilt der Grundsatz, dass sich beide Elternteile um das Kind sorgen sollen. Wir meinen aber: Der
Vater muss das Sorgerecht leichter zusammen mit der
Mutter erhalten können. Die Mütter haben auch nach unserem Entwurf immer noch genügend Möglichkeiten,
ihre Einwände vorzutragen.
Dies ist ein gelungener Entwurf. Ich freue mich schon
auf die Beratungen in den Ausschüssen.
({9})
Jetzt hat Sonja Steffen das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis vor einiger Zeit hat unser Familienrecht zwischen verheirateten
und nicht miteinander verheirateten Eltern beim Sorgerecht einen großen Unterschied gemacht. Sehr wichtig
ist in diesem Zusammenhang, dass diese Regelung die
nicht ehelichen Kinder gegenüber den ehelichen Kindern
diskriminierte; die Kollegin Hönlinger hat das vorhin
schon ausgeführt. Das Kind hat grundsätzlich ein Recht
darauf, dass beide Eltern an der Sorge teilhaben dürfen.
Wir haben es eben schon gehört: Mutter und Vater sind
gut für das Kind. Das ist richtig so.
({0})
Seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts ist im Bundestag, bei den Betroffenen, bei
Verbänden, Familiengerichten, Rechtsanwälten und Jugendämtern viel über das Sorgerecht gesprochen worden. Gegenwärtig verfahren die Familiengerichte so
- das ist eine Übergangslösung -, dass die gemeinsame
Sorge für nicht eheliche Väter dann beschlossen wird,
wenn dies dem Kindeswohl entspricht.
Meine Damen und Herren, wahrscheinlich haben die
meisten von Ihnen Kinder und erinnern sich noch gerne
an die Zeit nach der Geburt. Gleich nach der Geburt wartet eine turbulente Zeit auf Mama und Papa. Sie müssen
sich von der Entbindung erholen - die Mütter sind oft
geschwächt, krank; sie müssen also erst einmal ihre Gesundheit wiederherstellen -, gleichzeitig rund um die
Uhr für das Neugeborene sorgen und sich in ihre neue
Familienrolle einfinden. In einer guten Beziehung werden sich die Eltern schon vorher für eine gemeinsame
Sorgeerklärung entschieden und diese vielleicht auch
schon abgegeben haben. Spätestens jedoch nach der Geburt des Kindes werden sie diese Erklärung abgeben.
Es gibt aber auch die Fälle, in denen die Eltern nie
eine Beziehung hatten oder sich bereits vor der Geburt
getrennt haben. Manchmal ist es so, dass der Vater gar
keine gemeinsame Sorgeverantwortung übernehmen
will. Deshalb halten wir die Lösung „automatisch gemeinsame Sorge bei Anerkennung der Vaterschaft“ für
problematisch; deshalb lehnen wir sie ab.
Im Regierungsentwurf ist dieses automatische Sorgerecht nicht vorgesehen, aber auch er geht nach unserer
Auffassung an einer lebensnahen Lösung derzeit völlig
vorbei.
({1})
Denn von den Müttern soll verlangt werden, dass sie innerhalb von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes
dem Antrag des Vaters auf gemeinsame elterliche Sorge
widersprechen, wenn sie diese nicht wollen. Tun sie dies
nicht, so soll das Familiengericht ohne weitere Prüfung,
ohne Anhörung des Jugendamtes und der Eltern entscheiden dürfen.
Im Klartext heißt das Folgendes: Die junge Mutter,
die noch voll und ganz mit ihrem Säugling beschäftigt
ist, muss sich innerhalb einer unglaublich kurzen Frist
von sechs Wochen mit der schwierigen Frage des gemeinsamen Sorgerechts beschäftigen. Diese Frage ist
wirklich nicht leicht zu beantworten; denn das gemeinsame Sorgerecht bindet die Eltern sehr eng und sehr
lange, und zwar auch in den Fällen, in denen die Eltern
auf der Erwachsenenebene überhaupt nicht miteinander
sprechen können. Hier sind eine umfangreiche Beratung
durch Jugendämter und eine sorgfältige Abwägung erforderlich.
Die Kindesmütter sind in der Regel nicht juristisch
geschult. Sie werden sich daher in den meisten Fällen einen Termin beim Anwalt holen müssen, und zwar nach
erfolgter Erkundigung darüber, zu wem man am besten
geht. Dort wird die Mutter eine überzeugende Begründung für die Ablehnung des gemeinsamen Sorgerechts
vorbringen müssen. Diese muss der Anwalt dann mit ihrer Hilfe zu Papier bringen. Jeder Familienrechtler und
insbesondere jeder Anwalt weiß, wie - im wahrsten
Sinne des Wortes - sorgeintensiv Sorgerechtsverfahren
sind. Hier geht es nämlich nicht nur um Geld oder sonstige materielle Dinge, sondern es geht auch um Lebensmodelle, Enttäuschungen, Versagensängste und Verlustängste.
Nicht ohne Grund räumt übrigens das Mutterschutzgesetz der jungen Mutter eine achtwöchige Arbeitspause
nach der Geburt ein, damit sie sich voll und ganz auf ihr
Baby konzentrieren kann. Nun wollen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, der Frau innerhalb dieser Zeit
diese ganzen Behörden-, Anwalts- und Gerichtsgänge
zumuten. Möglicherweise hält sie sich auch gar nicht zu
Hause auf. Sie ist immerhin alleinerziehende Mutter und
verbringt vielleicht die ersten Wochen - dies tun übrigens viele - bei ihrer Familie, damit sie dort Hilfe erhält.
Die Frist ist tatsächlich viel zu kurz gedacht. Ich behaupte einmal: Jede Mutter mit ihren ganz eigenen Erfahrungen nach einer Geburt würde Ihren Gesetzentwurf
in der gegenwärtigen Fassung bei einer Befragung rundweg ablehnen.
({2})
Herr Wunderlich, ich gebe Ihnen da völlig recht.
({3})
Es bedarf dieses Schnellverfahrens gar nicht. Denn seit
der letzten Familienrechtsreform 2008 besteht in Kindschaftssachen schon ein beschleunigtes Verfahren inklusive der notwendigen mündlichen Verhandlung. Dieses
Verfahren hat sich nach der Aussage aller Beteiligten bewährt. In der mündlichen Verhandlung kommen nicht
nur die Eltern, sondern auch die Jugendämter und gegebenenfalls der Verfahrensbeistand, der Anwalt des Kindes, zu Wort. Gerade Jugendamt und Verfahrensbeistand
haben einen besonderen Fokus auf das Kindeswohl.
Es ist daher nicht zu verstehen, dass Sie dem Gericht
zukünftig die alleinige Entscheidungsverantwortung
übertragen wollen, ohne mündliche Verhandlung, ohne
Anhörung der betroffenen Eltern und ohne Anhörung
der Jugendämter. Das geht nach unserer Auffassung am
Interesse des Kindeswohls völlig vorbei.
({4})
Denn Regelungen zum Sorgerecht - darüber sind wir
uns, glaube ich, alle einig - sind allein aus der Sicht des
Kindes und unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu
treffen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen anderen Aspekt anführen, der mir sehr wichtig erscheint. Nach der
schon erwähnten vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie
können viele Eltern mit dem Begriff des Sorgerechts oftmals wenig anfangen. Viele meinen, es gehe um das
Recht, über die Belange des Kindes zu entscheiden. Darum geht es jedoch nicht. Es geht tatsächlich darum, dass
die gemeinsame elterliche Sorgeverantwortung übernommen wird, dass man sich also gemeinsam um das
Kind kümmern will.
Viele nicht miteinander verheiratete Paare haben in
der Vergangenheit die gemeinsame Sorge schlichtweg
nicht erklärt, weil sie nicht informiert waren und oftmals
gar nicht wussten, dass diese gemeinsame Sorge nicht
automatisch besteht. Da setzt unser Vorschlag an. Der
erste Gang junger Eltern nach der Geburt ist der Gang
zum Standesamt. Hier sollen sie über die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgeerklärung beraten werden. Sie
sollen informiert werden, und sie sollen hier schon zu einer Äußerung über die gemeinsame Sorge aufgefordert
werden. Das heißt, sie werden an dieser Stelle informiert
und für dieses Thema sensibilisiert. Sie können auch
schon auf dem Standesamt die gemeinsame Erklärung
über das Sorgerecht abgeben. Wenn sie sich an dieser
Stelle nicht über das gemeinsame Sorgerecht entscheiden, dann soll das Jugendamt zwischen den Eltern vermitteln. In dem Fall, dass man zu keiner gemeinsamen
Lösung kommt, kann das Jugendamt einen Antrag auf
Entscheidung beim Familiengericht stellen. Das kommt
allen Beteiligten zugute, auch den Vätern. Es werden
keine Hürden aufgebaut, es werden Hürden abgebaut.
Der Vater, der sich ebenfalls in einer schwierigen Situation befindet, wird entlastet.
Unser Vorschlag ist gut durchdacht, praktikabel und
ausgewogen. Vor allem - das ist ganz entscheidend - ist
er in allererster Linie am Kindeswohl orientiert. Ich
hoffe daher, dass wir im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens konstruktiv zusammenarbeiten und dass möglichst viele unserer wirklich guten Ideen zum Sorgerecht
Eingang in das Gesetz finden werden.
Vielen Dank.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort die
Kollegin Ute Granold.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin! Kinder brauchen Mutter und Vater; hierüber sind wir uns in diesem Haus einig, denke ich.
Aber nach den bisherigen Beiträgen und gerade bei
dem letzten Debattenbeitrag, Frau Kollegin, ist aufgefallen, dass die Väter ein Stück weit zu kurz kommen. Das
hat die Union aufgegriffen. Die Bundesregierung hat zusammen mit der Koalition einen Entwurf vorgelegt, der
genau dem entspricht, was an Bedarf da ist.
Wir haben gehört: Heute wird jedes dritte Kind nicht
ehelich geboren. In den letzten 15 Jahren ist dieser Anteil um über 100 Prozent gestiegen, und er wird weiter
steigen. 2010 wurden 43 Prozent der Kinder nicht ehelich geboren, und die Zahl nicht ehelicher Lebensgemeinschaften nimmt zu. Das ist - das haben wir alle erkannt - gesellschaftliche Realität.
Wir haben bereits in der letzten Wahlperiode darauf
reagiert, indem wir die Reform des Unterhaltsrechts auf
den Weg gebracht haben. Sie ist sehr gut gelungen und
sehr praktikabel. Wir haben nicht eheliche und eheliche
Kinder bei der Unterhaltsberechtigung im Rang gleichgestellt. Wir haben auch die betreuenden Elternteile
gleichgestellt und nicht zwischen ehelichen und nicht
ehelichen Kindern unterschieden. Alle Kinder sind
gleich.
Jetzt müssen wir das Sorgerecht überarbeiten. Das
Bundesverfassungsgericht hatte noch 2003 die Rechtslage, die bislang gegolten hatte, für verfassungskonform
erklärt. Das bedeutete, die Mutter eines nicht ehelichen
Kindes hatte die Alleinsorge. Eine gemeinsame Sorge
erforderte eine Erklärung beim Jugendamt. Verweigerte
die Mutter diese Erklärung, hatte der Vater keine Möglichkeit, gemeinsam mit ihr das Sorgerecht zu bekommen.
Wie mehrfach erwähnt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2009 - gefolgt vom
Bundesverfassungsgericht 2010 - entschieden, dass die
Rechtslage, die ich gerade erläutert habe, nicht verfassungskonform sowie unverhältnismäßig ist und überarbeitet werden muss. Vor diesem Hintergrund haben wir
nach langen Beratungen einen Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Bis zur Änderung der Gesetzeslage
haben Väter nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit, direkt das Gericht anzurufen und eine Regelung herbeizuführen.
Wenn man sich mit der Rechtsprechung in den darauffolgenden Jahren befasst, sieht man, dass quer durch
die Republik erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen
getroffen wurden, die sehr unterschiedlich sind. Die
Hürden für den Vater, zu einer gemeinsamen Sorge zu
kommen, sind relativ hoch, weil er die Darlegungs- und
Beweislast trägt. Es gibt also eine große Rechtsunsicherheit.
Die Entscheidungen der Justiz haben sich in unserer
Debatte, in der wir uns um eine gesetzliche Neuregelung
bemüht haben, widergespiegelt. Wir haben für die Neuregelung Zeit gebraucht; das ist nicht von der Hand zu
weisen. Das Thema eignet sich aber nicht für Hektik,
hier braucht es gründliches Arbeiten. Dem sind wir
nachgekommen: Wir haben uns bei unseren Beratungen
unzählige Male getroffen und die Argumente der Opposition - teilweise lagen Entwürfe vor ({0})
in unsere Beratungen einbezogen. Beim Abwägen haben
wir immer den Maßstab angelegt: Das Kind braucht für
eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater, egal ob
ehelich oder nicht ehelich geboren. Mit diesem Maßstab
und mit dem Ziel, den Vätern einen effektiven und niedrigschwelligen Zugang zur gemeinsamen Sorge zu geben, haben wir uns für die nun vorliegende Regelung
entschieden.
Schon heute erklären 50 Prozent der nicht miteinander verheirateten Eltern beim Jugendamt die gemeinsame Sorge, 50 Prozent aber eben nicht, und genau um
diese geht es bei der gesetzlichen Neuregelung. Das Forschungsprojekt, das vom Justizministerium auf den Weg
gebracht wurde, zeigt, dass in vielen Fällen die gemeinsame Sorge aus Gründen verweigert wird, die keinen
Bezug zum Kindeswohl haben. Aus der Lebenssituation
heraus hatten die Mütter Argumente dafür vorgetragen,
warum sie keine gemeinsame Sorge wollten. Wir haben
diese Fälle zu regeln. Es gibt verschiedene Lösungsmodelle. Da ist ein breites Spannungsfeld: von gemeinsamer elterlicher Sorge ab Geburt kraft Gesetzes bis hin
zur Widerspruchslösung. Wir haben uns für die Lösung
entschieden, bei der die gemeinsame Sorge durch gerichtliche Entscheidung erfolgt, wenn der Vater einen
Antrag stellt. Der Maßstab ist, wie bereits mehrfach gesagt, allein das Kindeswohl.
Unser Vorschlag ist ein Kompromissvorschlag, der allen Interessen, denken wir, gerecht wird. Wir haben eine
Regelung im materiellen Recht, im BGB, und auch eine
im Verfahrensrecht getroffen; dies wurde bereits mehrfach angesprochen. Unser Wille ist es, dass der Vater
frühestmöglich die Chance hat, eine gemeinsame Sorge
zu erreichen, und zwar durch die Sorgerechtserklärung
oder aber durch den Weg zum Gericht. Dabei ist eine sogenannte negative Kindeswohlprüfung vorzunehmen.
Das heißt, Grundsatz ist: Die gemeinsame elterliche
Sorge entspricht dem Wohl des Kindes. Wenn dem nicht
so ist, dann muss ein Vortrag dazu erfolgen.
Gerade in der frühkindlichen Phase, in der viele Entscheidungen getroffen werden, benötigt das Kind auch
den Vater für eine gedeihliche Entwicklung. Deshalb
sind Modelle, die lange Fristen vorsehen, um dem Vater
die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge zu geben, für
uns nicht akzeptabel.
({1})
Man denke nur daran, dass eine Operation vorzunehmen ist, die zwar keine Eilsache ist, die aber vorgenommen werden muss, oder dass eine Regelung über die Religion getroffen werden sollte. Das sind schwerwiegende
Entscheidungen für das Kind, die, wenn es keinen Grund
gibt, den Vater auszuschließen, von beiden Elternteilen
getroffen werden sollten.
Wir sollten bei der Diskussion auch daran denken,
dass es möglich ist, Teilbereiche der elterlichen Sorge zu
übertragen, wie die Gesundheitssorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Vermögenssorge und auch die
Religion. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für jeden
einzelnen Fall eine Entscheidung zu treffen, die ausschließlich am Kindeswohl orientiert ist.
Es bleibt mit der Neuregelung dabei - das wurde bereits mehrfach gesagt; deshalb möchte ich es abkürzen -,
dass mit der Geburt des Kindes zunächst die alleinige
Sorge bei der Mutter liegt. Der Vater hat aber die Möglichkeit, entweder beim Jugendamt einen Sorgerechtsantrag zu stellen oder aber direkt bei Gericht eine gerichtliche Regelung herbeizuführen.
Hier müssen wir - ich habe es schon einmal gesagt den Weg für den Vater niedrigschwellig machen. Er hat
lediglich die Gründe anzugeben, weshalb er eine gemeinsame Sorge begehrt, wobei wir, was das Verfahren
angeht, der Meinung sind, dass ein Schweigen der Mutter im gerichtlichen Verfahren - wir haben das lange diskutiert - nicht automatisch als gemeinsame Sorge wirken sollte; vielmehr sagen wir, das Schweigen der
Mutter reicht nicht aus, weil sie nach der Geburt in einer
besonderen Situation ist. Es muss dann eine gerichtliche
Entscheidung herbeigeführt werden, und das in einem
sogenannten vereinfachten beschleunigten Verfahren.
Wir haben ja vor einiger Zeit hier in diesem Hause
das Familienverfahrensgesetz beschlossen, ein sehr gutes Verfahrensgesetz. Darin gibt es das Gebot des Vorrangs der Beschleunigung in Kindschaftssachen. Das
heißt, wenn ein Antrag bei Gericht eingeht, muss binnen
Monatsfrist terminiert werden - terminiert, aber nicht
entschieden. Diese Verfahren können sich auch hinziehen, wenn Sachverständige angehört werden usw. usf.
Im Hinblick darauf, dass das Kind auch ein Recht auf
seinen Vater hat, ist es schon angemessen, zu sagen, dass
in den Fällen, in denen die Mutter schweigt und keine
Gründe vorgetragen wurden oder dem Gericht bekannt
sind, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen, auf
Antrag des Vaters die gemeinsame Sorge dann im vereinfachten Verfahren auf beide Elternteile übertragen
wird.
Wenn auch nur ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass
das Kindeswohl in Gefahr sein könnte, wird das Gericht
- ich denke, so viel Vertrauen haben wir in unsere Justiz - natürlich nicht das vereinfachte Verfahren auf den
Weg bringen, sondern das ganz normale Verfahren nach
§ 155 FamFG einleiten. Das ist auch angemessen. Insofern denken wir, dass man mit dieser Verfahrensregelung
wirklich beiden Elternteilen gerecht wird.
({2})
Insofern bin ich auch etwas unglücklich und enttäuscht über diese Onlinekampagne, die teilweise ja
auch gesteuert ist - man muss sich nur ansehen, wer unterschrieben hat - und in der es heißt:
Es kann doch nicht sein, dass über das Kindeswohl,
um das es zuallererst geht, gerade in Streitfällen
ausschließlich nach Aktenlage entschieden wird.
Das ist überhaupt nicht der Fall. In Streitfällen wird
das ganz normale Verfahren nach § 155 FamFG auf den
Weg gebracht. Nur da, wo kein Streit herrscht, wo einfach keine Äußerung der Mutter vorliegt und auch keine
Gründe ersichtlich sind, die der gemeinsamen elterlichen
Sorge entgegenstehen, wird das vereinfachte Verfahren
auf den Weg gebracht. Ich denke, da sollten wir ein
Stück weit auch bei den Tatsachen bleiben.
({3})
Ich empfehle jedem, einfach noch einmal einen Blick
in unseren Gesetzentwurf, insbesondere in die Begründung zu werfen, in der es genau heißt, dass dann, wenn
dem Gründe entgegenstehen, das normale Verfahren auf
den Weg gebracht wird. Nur dann, wenn das nicht der
Fall ist, bedarf es keiner gerichtlichen Entscheidung mit
allen Verfahrensbeteiligten; dann kann nach Aktenlage,
nach den Erkenntnissen des Gerichts entschieden werden.
Wir werden in der Anhörung, die ansteht, sicherlich
noch einmal darüber sprechen, ob vielleicht das Jugendamt doch eingebunden werden sollte oder nicht. Das
kann man ja besprechen und mit den Sachverständigen
diskutieren. Aber es sollte ein niedrigschwelliges zügiges Verfahren sein, das dazu führt, dass der Vater die
Mitsorge hat.
Lassen mich noch in einigen wenigen Sätzen auf die
Vorschläge der Opposition eingehen. Hier ist zu honorieren, dass wir uns - alle Fraktionen in diesem Haus wirklich miteinander um Regelungen zum Wohl des
Kindes bemüht haben. Das war in Teilen der SPD-Fraktion zum Beispiel auch nicht immer so ganz einfach, wie
man gehört hat, da die Interessen der Familienpolitiker
und der Rechtspolitiker ein Stück weit nicht konform
sind.
({4})
Wir haben das auch bei uns in der Koalition sehr ausführlich besprochen.
Bei dem Vorschlag der SPD stört uns die Tatsache,
dass Sie ein sehr langes Verfahren vorschlagen: Registrierung beim Standesamt, Aufklärung beim Standesbeamten, Abwarten der Äußerungen des Jugendamtes und
Stellen eines Antrags durch das Jugendamt auf gerichtliche Entscheidung über die elterliche Sorge.
({5})
Das halten wir für einen sehr langwierigen bürokratischen Weg.
Ich muss sagen: Wenn zunächst einmal eine Entscheidung des Jugendamtes ansteht, dann hat das Jugendamt
wirklich sehr viel Macht in Bezug auf die Entscheidung
über die gemeinsame elterliche Sorge. Für den Vater, der
einen Antrag bei Gericht stellen will, weil er mit der Entscheidung des Jugendamtes nicht einverstanden ist, ist
das eine sehr hohe Hürde, weil die Entscheidung des Jugendamtes doch schon ein Stück weit präjudiziert. Diese
Hürde sehen wir auch vor der Maßgabe, was uns das
Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer gesetzlichen Neuregelung mit auf den Weg gegeben hat. Dieser
Weg ist für uns also nicht praktikabel.
({6})
Lassen Sie mich auch noch einige Sätze zu dem sagen, was Sie, Frau Kollegin Hönlinger, als das Modell
der Grünen hier vorgestellt haben.
Die Mutter soll nach unserem Vorschlag bis sechs
Wochen nach der Geburt eine Entscheidung darüber treffen, ob sie die gemeinsame Sorge befürwortet oder nicht.
Sie sagen: Sechs Wochen sind zu kurz. Sicherlich ist es
eine besondere Situation, wenn ein Kind auf die Welt
kommt - ich habe auch zwei Kinder -, aber wenn man
sich die sonstigen Gerichtsfristen von zwei und vier Wochen ansieht, dann erkennt man, dass die Frist von sechs
Wochen aus Rücksicht darauf gewählt wurde, dass die
Mutter gerade ein Kind geboren hat.
Ich möchte aber auch noch zu bedenken geben, dass
das Kind nicht vom Himmel fällt. Es gibt ja noch die
Schwangerschaft, eine Zeit, in der man weiß, dass ein
Kind auf die Welt kommt. Ich denke, in dieser Zeit
macht man sich schon Gedanken darüber, wie es mit der
Beziehung und dem Sorgerecht für die Kinder aussieht.
Insofern meine ich schon: Nach Abwägung der Interessen und nach Abwägung zwischen dem Schutz der Mutter und dem Recht des Vaters auf Mitsorge, sind die
sechs Wochen angemessen.
({7})
Ihr Entwurf enthält eine Karenzzeit von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. Diese Frist
soll dann noch einmal um acht Wochen verlängert werden. In dieser Zeit ist der Vater ausgeschlossen. Das halten wir für nicht praktikabel - immer unter dem Gesichtspunkt, dass wir beide Elternteile frühestmöglich in
die elterliche Sorge möglichst ohne Spannungen einbinden wollen. Alles, was außerhalb des Gerichts praktiziert
wird, findet natürlich unsere Zustimmung. Wenn das
aber nicht geht, dann muss es möglich sein, in einem Gerichtsverfahren zügig und sorgfältig zu einer Entscheidung zu kommen, damit auch der Vater die Möglichkeit
hat, an der gemeinsamen elterlichen Sorge teilzuhaben.
Ich denke, dass wir den Gesetzentwurf, der heute in
erster Lesung in diesem Haus beraten wird, in der Anhörung, die ja schon für Ende November terminiert ist,
noch einmal ein Stück weit intensiver beraten können
und dann hoffentlich zu einer Lösung kommen, die, wie
das auch bei anderen Verfahren in Familiensachen der
Fall ist, vom ganzen Hause getragen werden kann.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile Barbara Höll für die Fraktion Die Linke
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Granold, wenn wir hier über das Sorgerecht debattieren, dann geht es nicht an, dass Sie die vielen Millionen Alleinerziehenden in der Bundesrepublik de facto
diskriminieren:
({0})
Ein Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater.
Es ist gut, wenn Mutter und Vater Verantwortung
übernehmen, aber Millionen Kinder wachsen derzeit bei
dem alleinerziehenden Vater oder der alleinerziehenden
Mutter auf bzw. sind dort gut und gedeihlich aufgewachsen. Diese haben sicher oftmals mit Schwierigkeiten zu
kämpfen, aber sie haben auch ihre jeweiligen sozialen
Netze gebildet. Das war eine gedeihliche Entwicklung.
Das darf man hier also nicht einfach diskriminieren. Es
ist nicht defizitär.
({1})
Ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht angehen
kann, dass die Übernahme des Sorgerechts durch den
Vater am Veto der Mutter scheitert. Hier herrscht eine
wirkliche Einigkeit im Hause.
Unterschiede gibt es hinsichtlich der Frage, wie trotz
der Konfliktsituation, dass Mutter und Vater sich nicht
einigen, tatsächlich eine gemeinsame Verantwortungsübernahme organisiert werden kann. Klar ist: Es ist eine
Schwierigkeit - vielleicht die Hauptschwierigkeit - für
alleinerziehende Väter und Mütter, dass sie bei aller Beratung, die man sich suchen kann, letztendliche Entscheidungen stets allein treffen müssen.
Trotzdem finde ich es richtig, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, dass das Sorgerecht nach
der Geburt grundsätzlich erst einmal der Mutter zuzuordnen ist, wenn die Aufteilung unklar ist, wenn also
keine Einigkeit zwischen den Eltern erzielt wird; denn
die Mutter ist ab Geburt nun einmal eine zuverlässige
und sichere Bezugs- und Entscheidungsperson. Das
braucht das Kind.
Der vorliegende Entwurf enthält aus meiner Sicht die
ebenfalls richtige Regelung, dass der Vater aktiv werden
muss, wenn er die elterliche Verantwortung für das Kind
übernehmen will; denn schließlich setzt die gemeinsame
Sorge bei beiden Elternteilen die tatsächliche Bereitschaft voraus, nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung zu tragen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung im Juni 2010 festgelegt, dass zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung das geltende Recht
mit Maßgaben so umzuändern ist, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche
Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam
überträgt, soweit zu erwarten ist, dass das dem Kindeswohl entspricht.
Hier sind Sie eindeutig von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewichen. Sie als Gesetzgeber
schlagen jetzt vor, dass eine negative Kindeswohlprüfung ausreichend ist, das heißt also: wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das, finde ich, ist ein großer
Unterschied. Es ist mir bisher auch in den Beiträgen
nicht klar geworden, warum Sie das als Vereinfachung
empfinden. Kinder sind das höchste Gut, das wir haben.
Wir müssen alles dafür tun, um Bedingungen für eine
gute Entwicklung des Kindes zu schaffen, dass die Situation also dem Kindeswohl entspricht. Eine Negativdefinition ist einfach zu wenig.
Das schriftliche Schnellverfahren, welches Sie jetzt
einführen wollen, hat bereits zu sehr viel Bewegung geführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einfach
nur einige Abgeordnete der Meinung sind, dass eine Entscheidung des Gerichtes ohne Beratung, einfach aufgrund der Aktenlage, nicht im Interesse der Kinder ist.
Ich möchte auf die Massenpetition verweisen, die vom
Aktionsbündnis der Katholischen Frauengemeinschaft,
des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Arbeitsgemeinschaft für allein erziehende Mütter und Väter im
Diakonischen Werk der EKD, des Deutschen Juristinnenbundes, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für
Familienfragen, des Familienbundes der Katholiken gemeinsam getragen wird. Breit über gesellschaftliche
Schichten hinweg gibt es äußerst große Bedenken gegen
dieses Schnellverfahren, weil wir über Situationen reden, in denen Menschen erst einmal nicht miteinander
klarkommen.
Bedenken Sie bitte Folgendes: Schwangerschaft und
Entbindung sind natürliche Vorgänge. Die Mutter ist
nach der Entbindung nicht krank. Aber sie hat damit zu
tun, ihr Leben neu zu organisieren. In sechs Wochen justiziabel nachzuweisen, warum die gemeinsame Sorge
dem Kindeswohl widerspricht, ist einfach für viele eine
Überforderung. Ich weiß nicht, ob wir hier im Haus alle
in der Lage sind, sofort einen justiziablen Schriftsatz
aufzusetzen. Ich denke, da wären wir überfordert.
Was ist denn das Kindeswohl? Ich finde, das ist wirklich problematisch: Wir reden hier über das Sorgerecht.
Die daraus erwachsenden Pflichten sind aber im Weiteren nicht definiert.
({2})
Es gibt das Recht auf Unterhalt, der gezahlt werden
muss. Gut. Aber es ist nirgends einklagbar, dass zum
Beispiel ein Vater den Umgang wahrnimmt, dass er tatsächlich zu einer verlässlichen Bezugsperson für sein
Kind wird. Das kann auch eine alleinerziehende Mutter
derzeit nicht einklagen.
({3})
Deshalb ist es richtig, hier die Vorschläge aufzunehmen, nach denen es in solchen Konfliktsituationen absolut notwendig ist, dass erst einmal eine Aufklärung erfolgt: Was ist einerseits mit der Übernahme des
Sorgerechts verbunden? Wie kann man das andererseits
gestalten? Das ist hier noch nicht erwähnt worden. Was
heißt das denn ganz praktisch? Sie wollen für das Kind ein
Sparbuch anlegen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift
des zweiten Sorgeberechtigten. Die 17-jährige Tochter
will den Führerschein vor Vollendung des 18. Lebensjahres machen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des anderen Sorgeberechtigten. Das Kind soll auf Klassenfahrt
gehen. Dafür brauchen Sie die zweite Unterschrift.
({4})
Bei Situationen des täglichen Lebens muss man sich
doch einig sein und wissen: Ich übernehme diese Sorge.
Das heißt aber auch: Ich muss im Zweifelsfall zur Verfügung stehen, um zum Beispiel eine Unterschrift zu leisten. Der andere verhält sich noch nicht einmal unbedingt
böswillig, aber er muss einfach da sein.
Ein gemeinsames Sorgerecht soll im besten Fall so
sein, dass man auch dann, wenn man als Elternteile vielleicht nichts mehr miteinander zu tun hat, gemeinsam
berät und gemeinsam entscheidet: Was ist für die Entwicklung des Kindes richtig? Diese Entscheidung sollte
man in dem Bewusstsein treffen, dass es durchaus Probleme geben kann, zum Beispiel bei der Schulwahl.
Auch wenn es in meiner Fraktion, was die Ansätze betrifft, unterschiedliche Auffassungen gibt, ob es eine automatische Übertragung des Sorgerechts bei Vaterschaftsanerkennung geben sollte oder nicht
Frau Kollegin.
- mein letzter Satz -, sind für uns tatsächlich Beratung, Mediation, die unbedingt notwendige Einschaltung
des Jugendamtes und die Anhörung der Eltern entscheidend.
Danke.
({0})
Die Kollegin Katja Dörner hat jetzt das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich möchte vorab sagen, dass ich einige
Beiträge in der Debatte heute Morgen schon als einigermaßen verwunderlich und verwirrend empfunden habe.
({0})
Wie passt beispielsweise der Beitrag von Frau Dr. Höll
zu dem uns vorliegenden Antrag der Linken,
({1})
in dem ein automatisches gemeinsames Sorgerecht der
nicht miteinander verheirateten Eltern gefordert wird?
Wie kann man denn gleichzeitig kritisieren, dass, so wie
es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, am
Ende eines Verfahrens per Aktenlage entschieden wird
- wohlgemerkt am Ende eines Verfahrens -, wenn man
selber ein solches Verfahren per se für überflüssig und
unsinnig hält? Wie diese etwas wirren Positionen zusammenpassen, sollten Sie noch einmal erklären.
({2})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich finde grundsätzlich, dass dieses Thema und der Gesetzentwurf der
Bundesregierung, der uns heute vorliegt, kein Anlass
sind, in den typischen Opposition-versus-RegierungModus zu verfallen. Wir haben es schon gehört: Wir
brauchen keine Regelung für nicht miteinander verheiratete Paare, die sich gut verstehen oder sich zumindest so
gut verstehen, dass sie bereit sind, von sich aus die gemeinsame Sorge zu beantragen; es ist ja auf unkomplizierte Weise möglich, eine gemeinsame Sorgeerklärung
abzugeben. Wir brauchen eine Regelung für die Fälle, in
denen die Mütter kein gemeinsames Sorgerecht wollen;
hierfür kann es bekanntlich vielfältige Gründe geben.
Das bedeutet, dass wir in erster Linie eine Regelung für
nicht miteinander verheiratete Eltern brauchen, bei denen durchaus gravierende Konflikte vorliegen können.
Ich bin der Meinung, dass in einem Entwurf eines Gesetzes zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinander
verheirateter Eltern widerstreitende und gegenläufige
Interessen gut unter einen Hut gebracht werden müssen.
Das ist mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
durchaus gut gelungen. Meine Kollegin Ingrid
Hönlinger hat bereits einige Anmerkungen dazu gemacht, wie man den Regierungsentwurf weiterqualifizieren könnte. Ich hoffe, dass wir darüber ins Gespräch
kommen. Ich finde allerdings, dass er eine gute Grundlage für die Diskussion darstellt.
({3})
- Da darf auch vonseiten der Regierungsfraktionen geklatscht werden.
({4})
Das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern
bietet sich nicht als Zankapfel zwischen den Fraktionen
an - das ist heute Morgen schon sehr deutlich geworden -,
weil die Diskussionen in den verschiedenen Fraktionen
und Parteien sehr ähnlich verlaufen. Überall gibt es Kolleginnen und Kollegen, denen die Regelung, die vorgeschlagen worden ist, nicht weit genug geht,
({5})
die in Richtung eines automatischen gemeinsamen Sorgerechts mit der Vaterschaftsanerkennung denken. Hierfür spricht das Recht des Kindes auf beide Elternteile,
hierfür sprechen die guten Erfahrungen, die wir mit dem
gemeinsamen Sorgerecht geschiedener Eltern gemacht
haben, und hierfür spricht auch die grundsätzliche Erwägung, dass es keinen Grund geben sollte, Ehepaare und
nicht miteinander verheiratete Eltern per se unterschiedlich zu behandeln.
Andere stellen die häufig schwierige Situation der
Mutter bzw. der werdenden Mutter in den Vordergrund.
Sie weisen hin auf ausbleibende Unterhaltszahlungen
und auf Väter, die ihr Sorgerecht nur nutzen, um den
Müttern den Alltag mit ihren Kindern schwer zu machen.
Ich finde, beide Argumentationen haben etwas für
sich und sind nachvollziehbar. Deshalb ist das im Gesetzentwurf vorgesehene niedrigschwellige Antragsverfahren, insbesondere verbunden mit dem Prüfmaßstab
der negativen Kindeswohlprüfung, der deutlich macht,
dass der Gesetzgeber vom gemeinsamen Sorgerecht als
Regelfall ausgeht, wie ich finde, ein vernünftiger Vorschlag. Wie gesagt, wir werden den Gesetzentwurf im
parlamentarischen Verfahren durchaus wohlwollend begleiten.
({6})
Ich will mit einem Augenzwinkern sagen: Wir wollen
hier zwar keine Plagiatsaffäre anzetteln. Da die Regierung aber 95 Prozent der Eckpunkte, die wir schon vor
zwei Jahren vorgelegt haben, aufgegriffen hat, wäre ein
kleiner Hinweis auf das Copyright in den Reden der Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen an
dieser Stelle durchaus fair und angebracht gewesen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz die
Gelegenheit nutzen, über den Tellerrand zu gucken.
Denn mit der Neuregelung des Sorgerechts sollten wir
noch lange nicht am Ende der Fahnenstange sein, was
die Modernisierung unseres Familienrechts angeht. Es
wäre beispielsweise wichtig, die Regelung der Stiefkindadoption bei lesbischen Paaren zu überwinden.
({8})
Sie kann nur ein Behelfskonstrukt sein. Denn sie ist
nicht im Sinne der Kinder, weil das Adoptionsverfahren
rund zwei Jahre dauern kann und die Kinder in dieser
Zeit nur eine unterhaltspflichtige sorgeberechtigte Mutter haben. Wir sind der Meinung, dass die Stiefkindadoption durch eine Regelung analog der gesetzlichen Fiktion
ersetzt werden sollte.
Gestern habe ich der Presse entnommen, dass das Justizministerium der Niederlande prüft, drei oder mehr
Mütter oder Väter als Eltern desselben Kindes anzuerkennen. Damit sollen die Rechte von Familien mit homosexuellen Eltern gestärkt werden. Solche Nachrichten
würde ich mir auch aus unserem Justizministerium wünschen.
({9})
Mehrelternkonstellationen, ob Regenbogenfamilien
oder Patchworkfamilien, nehmen bekanntlich zu. Sie
sind gesellschaftliche Realität. Damit alle Kinder in unserem Land unabhängig von der Familienform, in der sie
aufwachsen, den gleichen Schutz und die gleiche Förderung und Unterstützung erfahren, bleibt noch viel zu tun.
Wir haben Ideen dazu. Bei den Regierungsfraktionen
sieht es in diesem Bereich eher mau aus.
({10})
Auch wenn wir den heutigen Gesetzentwurf durchaus
positiv begleiten, erkennt man doch deutlich, wer wie
die Koalition der gesellschaftlichen Entwicklung hinterhertapert und vom Verfassungsgericht zum Jagen getragen werden muss, und wer wie wir gesellschaftspolitisch
nach vorne denkt.
Vielen Dank.
({11})
Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich schließe mich dem Lob der Frau Dörner an.
Es ist in der Tat ein gelungener Gesetzentwurf. Das heißt
nicht, dass wir nicht - auch nach der Anhörung - in den
parlamentarischen Beratungen da und dort andere Gewichte setzen sollten. Es sind viele Aspekte genannt
worden, die Anlass dazu geben, über den einen oder anderen Punkt im parlamentarischen Verfahren nachzudenken.
Mit dem Gesetzentwurf bleibt es dabei, dass eine der
wichtigsten Aufgaben der Eltern die Sorge für das Kind
ist. Diese zuwendende Sorge ist Voraussetzung für eine
gute Entwicklung des heranwachsenden Kindes.
Es bleibt auch dabei, dass das rechtliche Fundament
der Ehe zunächst einmal die Voraussetzung dafür ist,
dass von vornherein ab Geburt beiden Elternteilen die elterliche Sorge zugesprochen wird. Ich halte das für
wichtig, weil ich meine, dass eine solche Voraussetzung
- entschiedene, auch von beiden Seiten rechtlich entschiedene Grundlagen - für eine so wichtige Stelle, die
das Sorgerecht innerhalb unserer Rechtsordnung haben
muss, notwendig ist. Ich halte es für wichtig, dass die
rechtliche Grundlage Ehe erhalten bleibt.
Natürlich weiß jeder von uns, dass sich die Realität
geändert hat. Es gibt viele alleinerziehende Eltern, meist
Mütter, und damit viele Kinder, deren Eltern eben nicht
zusammenleben und diese rechtliche Grundlage fehlt.
({0})
Hier muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass
auch der Vater zu seinem Sorgerecht kommt.
Zunächst war es so - das haben wir 1997 im Kindschaftsrechtsreformgesetz so entschieden -, dass in einem solchen Fall, wenn ein Kind geboren wird und die
Mutter nur eine kurzfristige Bekanntschaft mit dem Vater hatte oder die Mutter mit dem Vater zwar zusammenlebt, sich aber nicht zu einer rechtlichen Bindung in
Form der Ehe entschließen kann, die Mutter das alleinige Sorgerecht hat. Das haben wir noch 1997 so entschieden.
Der Grundgedanke dabei war - ich kann mich noch
gut an die Debatten erinnern -, dass der Vater nicht das
Recht haben soll, sich, wenn die Mutter das nicht will, in
das Leben der Mutter und damit auch in das Leben des
Kindes, das bei der Mutter wohnt, einzumischen. Dies
haben aber das Verfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht für richtig
gehalten. Deswegen ist eine Neuregelung notwendig,
und dieser Neuregelung stellt sich der Gesetzentwurf.
Zunächst einmal bleibt es dabei, dass es möglich sein
kann, dass beide Elternteile gemeinsam das Sorgerecht
beanspruchen. Sie gehen dann zum Jugendamt und sagen: Auch wenn wir getrennt leben, wollen wir trotzdem
gemeinsam das Sorgerecht ausüben. - Diese Möglichkeit wird mit diesem Gesetzentwurf eröffnet. Ich finde,
das ist richtig so; denn diese gemeinsame Erklärung
schafft die beste Grundlage für eine vernünftige Regelung des Sorgerechts im praktischen Leben. Das wollen
wir nach wie vor unterstreichen.
Es gibt aber natürlich auch den Fall, dass sich die
Mutter dagegen wehrt. Die Frau will nichts mit dem
Mann zu tun haben. Sie wehrt sich ganz entschieden dagegen, dass dem Vater auch das Sorgerecht zugesprochen wird. Diesen Fall haben wir auch, und diesen Fall
müssen wir regeln.
Für einen solchen Fall sieht der Entwurf vor, dass der
Vater dann einen Antrag stellen muss. Wenn sich die
Mutter dagegen wehrt, muss dieser Antrag gerichtlich
entschieden werden. Deshalb muss man sich überlegen,
welches der Maßstab dieser gerichtlichen Entscheidung
ist. Das geht aus dem Gesetzentwurf auch hervor: Der
Maßstab ist immer das Wohl des Kindes.
Dabei bleibt aber zu überlegen, ob der Maßstab des
Wohls des Kindes nur das negativ festgestellte Kindeswohl sein kann, wie es hier heißt. Wenn die Mutter widerspricht, wird dem Vater dennoch das Sorgerecht zugesprochen, wenn es dem Kindeswohl nicht
widerspricht. Das ist die negative Feststellung des Kindeswohls.
Man muss sich überlegen - das sollte man auch im
Laufe des Verfahrens und nach der Anhörung tun -, ob
nicht auch die positive Feststellung des Kindeswohls angezeigt ist. Jedenfalls ist dies ein Gedanke, der mit überlegt werden muss. Es ist ja immer so, dass, wenn sich die
Mutter emotional ganz entschieden gegen den Sorgerechtsanspruch des Vaters, den dieser kraft des Grundgesetzes hat, wehrt, unmittelbar auch immer das Wohl des
Kindes mit betroffen ist. Man muss sich diese Spannung
einmal vorstellen.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht recht, ob es richtig
ist, sich dann auf die negative Feststellung des Kindeswohls zu beschränken, ob es nicht richtiger wäre, zu sagen: Dem Vater wird das Sorgerecht zugesprochen, aber
das muss dem Kindeswohl förderlich sein. - Das ist also
die positive Feststellung.
Ich meine, dass dies ein Gedanke ist, der berücksichtigt werden sollte, wenn man wirklich das Kindeswohl
zum Maßstab nimmt. Ich weiß, dass das Widerspruch
auslöst, weil zunächst einmal der Gedanke war, dem Vater genauso wie dem verheirateten Vater von vornherein
das Sorgerecht zuzusprechen. Das widerspricht natürlich
dieser Überlegung. Meiner Auffassung nach muss aber
zumindest einmal darüber nachgedacht werden, ob nicht
die positive Feststellung des Kindeswohls in einem solchen Fall - dabei geht es um Gerichtsverfahren, dabei
werden Gutachten eingeholt, dabei wird dieses und jenes
gemacht, und es kommt zu einem riesigen Verfahren angezeigt ist, um zu einer anderen Lösung zu kommen.
Wir werden darüber nachdenken, Herr Staatssekretär, sobald die Anhörung stattgefunden hat.
Eine weitere Frage bezieht sich auf das Schnellverfahren. Ich will das einmal so abqualifizierend sagen,
obwohl das wirklich abqualifizierend ist. Frau Granold
hat mit Recht gesagt, dass das Kind nicht vom Himmel
herunterfällt, sondern dem ist eine neunmonatige
Schwangerschaft vorausgegangen. Im Übrigen weiß die
Mutter, wer der Vater ist, und der Vater weiß in der Regel auch, dass er der Vater ist. Wenn man sich vorher
nicht zusammensetzen und überlegen kann, wie das Sorgerecht geregelt werden soll, wenn dann die Mutter nach
der Geburt nicht auf die Zustellung des Antrags durch
das Gericht antwortet, kann man natürlich sehr schnell
dazu kommen, zu sagen: Wenn die Mutter nicht antwortet, dann muss eben nach Aktenlage - ich nenne das
Wort einmal, Herr Lischka - entschieden werden.
Ich glaube aber, dass ihre Argumentation durchaus
Gewicht hat. Ich glaube, dass es notwendig ist, in einem
solchen Verfahren das Jugendamt zumindest anzuhören.
Es wäre auch besser, wenn in einem solchen Verfahren
die Mutter aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen,
({1})
und wenn der Vater aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen. Nach meiner bescheidenen Meinung ist das so;
denn ich komme aus der Praxis - ich habe immer noch
die Praxis als Rechtsanwalt - und habe solche Verfahren
bereits durchgeführt. Es ist besser, wenn die Parteien vor
Gericht eine Klärung herbeiführen bzw. das Gericht eine
solche Klärung herbeiführt. Ich meine, man sollte überlegen, ob die Sechswochenfrist ausreicht.
({2})
- Ich bekomme von der falschen Seite Beifall. - Man
kann vielleicht eine längere Frist ansetzen. Irgendwann
muss natürlich entschieden werden. Es geht nicht, dass
sich die Mutter überhaupt nicht meldet. Wir sollten uns
in der Anhörung ganz in Ruhe anhören, was die SachNorbert Geis
verständigen dazu sagen, ob sechs Wochen reichen oder
ob es zwölf Wochen sein sollen, wie es vom Bayerischen
Staatsministerium der Justiz - das will ich nicht verschweigen; es ist ein gutes Staatsministerium - vorgeschlagen wird. Dann werden wir entscheiden.
Diese Debatte zeigt, dass dies ein Kapitel in unserer
Rechtspolitik ist, das am besten gemeinsam zu regeln ist.
Ich habe heute auch kein polemisches Wort gehört, mit
Ausnahme vielleicht des letzten Redebeitrages.
({3})
- Entschuldigung, es war nicht so schlimm. Ich nehme
es gleich wieder zurück.
Ich glaube, dass wir nach der Anhörung im Rechtsausschuss, der in der Lage ist, Themen ruhig aufzugreifen und Argumente sachlich abzuwägen, im parlamentarischen Verfahren zu einer gemeinsamen Regelung
kommen. Ich wünsche mir das sehr.
Ich danke Ihnen.
({4})
Der Kollege Sönke Rix hat das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Situation unverheirateter Eltern ist - denn
wir haben das Gesetz noch lange nicht beschlossen nicht zumutbar. Die Situation unverheirateter Eltern ist,
wenn es um die Frage des Sorgerechts geht - wir alle
kennen Briefe von Betroffenen und Schilderungen aus
unseren Wahlkreisen -, unbefriedigend. Diese Situation
war schon vor den Gerichtsurteilen so. Seit den Gerichtsurteilen hat sich die Situation nicht stark verändert.
Daher ist es sehr bedauerlich, dass erst jetzt ein Gesetzentwurf vorliegt.
({0})
Wir haben den Konflikten leider zu lange Raum gegeben.
Die Gemeinsamkeiten, die wir an dieser Stelle festgestellt haben, sind darin begründet, dass uns die Gerichte
einen eindeutigen Auftrag gegeben haben, in welche
Richtung wir das Sorgerecht ändern sollen. Wir sollen
gesetzlich festlegen, dass der Vater nach der Geburt des
Kindes von Anfang an die gleichen Rechte bekommt wie
die Mutter. Nun ist es so, dass immer dann ein Konflikt
entsteht, wenn entschieden werden muss. An welcher
Stelle wird es entschieden? Wie läuft dieses Verfahren
ganz genau ab? Wenn Unterschiede vorhanden sind und
wenn es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern kommt, dann unterscheiden sich die Vorlagen, die
wir hier im Hause beraten. Bei unserem Vorschlag spielt
das Standesamt eine zentrale Rolle. Wir sagen: Es muss
eine Stelle geben, die die Eltern über die Bedeutung des
Sorgerechts aufklärt.
({1})
- Aufgeklärt in Sachen des Sorgerechtes. Vorher müssen
sie schon längst aufgeklärt sein; das hoffe ich zumindest.
An dieser Stelle muss klargestellt werden, wie die Situation ist. Wenn es dann zum Konflikt kommt, dann soll
sich nach unserer Auffassung das Jugendamt vermittelnd
einschalten. Ein schnelles Verfahren, wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, halten wir für
nicht richtig. Ein schnelles Verfahren würde bedeuten,
dass Eltern und Jugendämter nicht ausreichend zu Wort
kämen und das Kindeswohl zu wenig berücksichtigt
würde. Ein schnelles Verfahren bedeutet nicht unbedingt
immer eine Entscheidung zugunsten der Kinder. Aber
eine solche Entscheidung wollen wir herbeiführen.
({2})
Lieber Kollege Geis, Sie haben mehrfach darauf aufmerksam gemacht, welche Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal einem
Ihrer Redebeiträge applaudieren würde.
({3})
Das wird sich spätestens bei der nächsten Debatte über
das Betreuungsgeld wahrscheinlich wieder ändern. Sie
haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal über Kurzfristigkeit der
Sechswochenfrist sprechen und darauf hören sollten, wie
die Sachverständigen die Praxis bewerten. Ich finde es
sehr gut, dass Sie das an dieser Stelle gesagt haben. Ich
würde mich freuen, wenn Sie die Sachverständigenmeinung auch beim Betreuungsgeld so ernst nehmen würden wie in dieser Frage. Es gibt schließlich Sachverständige und Experten, die hier Kritik geübt haben. Deshalb
hätten wir uns gewünscht, dies nicht erst im Verfahren
ändern zu müssen. Wenn aber eine gewisse Bereitschaft
besteht, darüber zu reden, dann sind wir Ihnen an dieser
Stelle natürlich dankbar.
Auch müssen wir klarstellen, dass die Situation von
unverheirateten Eltern aktuell nicht zufriedenstellend ist,
wenn es um die Frage des Sorgerechts geht. Das hat
auch etwas damit zu tun, dass sich das Bild, das wir normalerweise von Familie haben, gewandelt hat. Ich
glaube noch immer, dass Herr Geis und ich in diesem
Zusammenhang unterschiedliche Bilder haben. Aber wir
haben eben erkannt, dass Väter und Mütter, also Männer
und Frauen, in der Kindererziehung gleichberechtigt
sein müssen. Deshalb ist es gut, dass wir an dieser Stelle
jetzt etwas verändern und vom alten, konservativen Bild
Abstand nehmen.
Ich hoffe, dass sich im Gesetzgebungsverfahren auf
Ihrer Seite das eine oder andere noch ändert und dass wir
noch mehr zugunsten des Kindes erreichen.
Danke schön.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11048 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin
Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen
und Männern in Führungsgremien ({0})
- Drucksache 17/11139 Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({1})Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache eine Zeit von eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Renate
Künast für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
kein wirklich gutes Argument gegen eine Frauenquote,
({0})
solange die Chefetagen zum Gutteil noch frauenfreie Zonen sind. Es hat sich nämlich nichts geändert. Nichts hat
sich in 63 Jahren Grundgesetz geändert. Nichts hat sich
seit der letzten Änderung des Grundgesetzes geändert.
Nichts hat sich seit der freiwilligen Selbstverpflichtung
geändert. Deshalb will ich, ehrlich gesagt, keine Gegenargumente mehr hören, die ein gewisses Niveau nicht
überschreiten.
Man hört zum Beispiel, bei der Personalauswahl gehe
es um Qualifikation und nicht um Geschlecht. Meine
Herren, wenn es nach Qualifikation ginge, dann wären
die Vorstände voller Frauen.
({1})
Frauen haben die besseren Schulabschlüsse und die besseren Universitätsabschlüsse. Aber sie sind eben nicht
durch die Glasdecke gestoßen; denn Männer finden offensichtlich immer Männer. Das ist doch komisch, oder?
Frauen sind zuhauf im mittleren Management vertreten,
stoßen aber nicht durch die Glasdecke. Wahr ist, dass mit
einer sogenannten Frauenquote eine 100-prozentige
Männerquote verhindert wird.
({2})
Ich will auch nicht mehr hören, dass eine Frauenquote
Männer benachteiligt. Das finde ich ein bisschen unlauter. Solange es faktisch Männerquoten von 100, 90 oder
80 Prozent gibt, erhebt kein Mann seine Stimme. Wenn
der Männeranteil aber auf 80 oder 60 Prozent sinkt, dann
meinen Sie plötzlich nach 2 000 Jahren Männerdominanz, jetzt seien die Männer benachteiligt. Dass auch
noch unsere Frauenministerin solche Argumente bringt,
spottet eigentlich jeder Beschreibung.
({3})
- Wo ist sie? Fragen Sie mich, oder wen fragen Sie? Es
ist ja wohl typisch, dass Frau Schröder an dieser Stelle
nicht anwesend ist.
({4})
Ich glaube nicht, dass es mehr als zwei, drei Frauen in
der Bundesrepublik Deutschland gibt, die sich von dieser Ministerin irgendeine Verbesserung der Situation der
Frauen erwarten.
({5})
Fakt ist: Die Geduld der Frauen ist zu Ende. Wir wollen nicht länger warten. Wir wissen, dass Deutschland
hinterherhängt. Unter dieser Bundesregierung ist
Deutschland im internationalen Gleichstellungsranking
vom elften auf den dreizehnten Platz abgerutscht, weil es
erstens immer noch große Lohnunterschiede gibt und
weil zweitens den Frauen in Deutschland nicht der Zugang zu Karriere und besser bezahlten Jobs eröffnet
wird. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Wir haben das
Schröder/von-der-Leyen-Theater unter tatkräftiger Anführung von Angela Merkel satt.
({6})
Die eine ist dagegen, die andere ist dafür, und Frau
Merkel lässt es zu, dass sich die Zeitungen ausführlich
damit beschäftigen. Wir haben als Abgeordnete dieses
Hauses den aktuellen Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes zu erfüllen. Dieser besagt: Wir müssen so lange
aktiv Maßnahmen ergreifen, bis die Gleichstellung erreicht ist. Deshalb bringen wir heute unseren Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag ein.
({7})
Wenn ich ehrlich bin, ist das auch der Versuch, das
Versagen der Europäischen Kommission in dieser Woche bei der Regelung der Frauenquote ein wenig wettzumachen. Dass die Europäische Kommission das Thema
auf einen späteren Termin vertagt hat, ist ein Affront geRenate Künast
gen die Frauen in Europa und eine Blamage für die
Gleichstellungspolitik der Europäischen Kommission.
Deutschland hat die Aufgabe, einen gewissen Druck
auszuüben.
Wir Grünen haben alles versucht. Wir haben in dieser
Legislaturperiode einen eigenständigen Gesetzentwurf
eingebracht. Er ist von Ihnen abgelehnt worden. Daraufhin haben wir uns entschieden, sozusagen auf Knien zu
den Frauen der anderen Fraktionen zu rutschen und für
die Abfassung einer Berliner Erklärung zu werben. Wir
haben uns auf den Kompromiss eingelassen, dass in den
Führungsgremien, zum Beispiel in den Aufsichtsräten,
der Frauenanteil nicht mindestens 40 Prozent, sondern
mindestens 30 Prozent betragen soll. Wir haben es geschafft, dass die Frauen dieses Hauses eine Berliner Erklärung unterschrieben haben. Diese Erklärung wurde
des Weiteren unterschrieben von vielen anderen Frauen
in der Republik, aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft und aus den Medien. Selbst Friede Springer, die
mit ihrem Konzern bislang sicherlich nicht die Speerspitze der Frauengleichstellungsbewegung bildete, hat
diese Erklärung unterschrieben. Nun wollen wir auch
eine Abstimmung im Deutschen Bundestag mit einem
entsprechenden Ergebnis herbeiführen. Es ist meine
Bitte an die Frauen der Union, sich jetzt nicht kleinkriegen zu lassen.
({8})
Die Frauen in diesem Land warten auf uns.
Ich glaube, wir haben als Fraktion durchaus eine Leistung erbracht. Wir Grüne fordern: mindestens 40 Prozent Frauen, und das in einem viel kürzeren Zeitraum.
Nachdem nun der Bundesrat unter Führung von Frau
Kramp-Karrenbauer und Herrn Haseloff, also zweier
CDU-Ministerpräsidenten, Frau Merkel die Gefolgschaft versagt und einen Kompromiss angenommen hat,
haben wir beschlossen, uns auf diesen Kompromiss einzulassen, der auf den Vorschlag von Hamburg zurückgeht und der einen Anteil von nur 20 Prozent Frauen
vorsieht.
({9})
Wir lassen uns auf diesen Kompromiss ein. Das ist an
dieser Stelle unser Angebot an Sie. Ich sage Ihnen: Die
Zeit drängt. Was ich nicht sehen und lesen möchte, Herr
Grosse-Brömer, ist, dass Sie sich im nächsten CDUoder CSU-Wahlprogramm - dem Seehofer trauen wir ja
alles zu - in Formulierungen ergehen wie etwa „Frauen
müssen gleichberechtigt sein“.
Das Jahr 2013 ist sozusagen ein Superwahljahr für
Aufsichtsräte. Mehr als 80 Aufsichtsratssitze in den
DAX-30-Unternehmen werden im Jahr 2013 besetzt. Ich
möchte, dass dieses Haus vorher dafür Sorge trägt, dass
mindestens 20 Prozent Frauen in die Aufsichtsräte gewählt werden müssen.
({10})
Die Entscheidung hierüber ist in diesem Jahr zu treffen.
Mein letzter Punkt. Wir strecken mit unserem Kompromissangebot die Hand aus. Anders als Herr Fuchs
heute in einem Interview bin ich jedoch der Meinung:
Was beim Thema „Patientenverfügung“ oder beim
Thema „Beschneidung“ möglich ist - die Annahme, dass
es sich hierbei um eine Gewissensfrage handelt, bei der es
keine Fraktionsdisziplin gibt -, das muss dann bitte schön
auch bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung
von Frauen“ möglich sein. Rita Pawelski hat im September dieses Jahres gesagt: Die Hamburger Hürde liegt mit
20 Prozent nun wirklich sehr niedrig. Weniger zu fordern,
das geht nicht. Es kann keine Kollegen, also Männer, geben, die jetzt noch Nein sagen.
Frau Kollegin!
An dieser Stelle kann ich nur sagen: Wir bitten um
Ihre Stimmen. Die Frauen dieses Landes bitten um Ihre
Stimmen, damit sie endlich gleiche Chancen haben.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben
heute erneut Gelegenheit, uns mit dem wichtigen Thema
einer Frauenquote zu befassen. Frau Künast, ich habe eines in Ihrer Rede ein wenig vermisst: Sie haben über die
Aufgabe, den Anteil von Frauen in Führungspositionen
der Wirtschaft auszubauen, überhaupt nichts gesagt. Sie
haben über die Aufsichtsräte, aber nicht über die Vorstände gesprochen, erst recht nicht über die nachgeordneten Führungsebenen.
({0})
Der perspektivisch verengte Ansatz, nur den Aufsichtsrat herauszupicken, wird der Unternehmenswirklichkeit
und den Interessenlagen der Frauen in unserem Land
nicht gerecht.
({1})
Sie haben im Jahr 2001 zunächst einmal eine Selbstverpflichtung der Unternehmen auf den Weg gebracht.
In der Tat hat man nach dem großen Showeffekt des Jah24558
res 2001, also in der Zeit, in der auch Sie der Bundesregierung angehört haben, nicht mehr darauf geachtet, ob
diese Selbstverpflichtung eingehalten wird. Das ist das
Ergebnis Ihrer Regierungspolitik. Das Ergebnis unserer
Regierungspolitik ist, dass sich in dieser Frage noch nie
so viele Veränderungen ergeben haben wie in den letzten
zwei oder drei Jahren. Das ist der Unterschied.
({2})
Ich glaube, über den Ausgangspunkt sind wir über
alle Fraktionsgrenzen hinweg einer Auffassung. Wir
sind der Auffassung, dass der Anteil der Frauen in Vorständen, in Aufsichtsräten und in den nachgeordneten
Managementebenen bei weitem zu gering ist. Wer sich
die Unternehmenswirklichkeit vor Augen führt, der stellt
aber auch fest, dass in der jüngeren Vergangenheit mehr
in Bewegung gekommen ist als jemals zuvor. Es gibt seit
einem Jahr eine Selbstverpflichtung der Dax-30-Unternehmen; sie haben sich durchgängig für die kommenden
Jahre Ziele gesetzt, die schon deshalb ambitioniert sind,
weil die Belegschaftsanteile der Frauen teilweise gering
sind.
Ich nenne nur zwei Beispiele. ThyssenKrupp mit einem Frauenanteil von 13 Prozent hat sich das Ziel gesetzt, den Frauenanteil auf 15 Prozent auszubauen. VW
mit einem Frauenanteil an der Belegschaft von 16 Prozent hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil auf
30 Prozent zu erhöhen. Das zeigt: Im Augenblick ist viel
in Bewegung. Deshalb denke ich, dass man die augenblicklichen Entwicklungen nicht mit staatlichen Vorgaben abwürgen sollte.
({3})
Es geht im Kern um die Fragen: Wie erreichen wir,
dass mehr Frauen in den Führungsebenen der deutschen
Wirtschaft sitzen? Setzen wir auf starre Quotenvorgaben, oder setzen wir im Sinne des Stufenplans und der
Flexiquote auf für die Unternehmen maßgeschneiderte,
passgenaue Lösungen? - Zur Wirklichkeit gehört eben
auch - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen -, dass der
Frauenanteil an den Belegschaften unterschiedlich hoch
ist. Man stellt fest, dass der Frauenanteil in der Dienstleistungssparte über 50 Prozent liegt.
({4})
In vielen anderen Sparten liegt der Frauenanteil teilweise
unter 20 Prozent. Da müssen Sie den Menschen doch
einmal erklären, warum eigentlich ein Unternehmen mit
einem Frauenanteil an der Belegschaft von 60 oder
70 Prozent auf den Führungsebenen die gleichen Frauenquoten erfüllen soll wie ein Unternehmen mit 10 oder
20 Prozent Frauenanteil.
({5})
Wir haben zu konstatieren: Ihr Gesetzentwurf ist verengt, weil er sich - ganz anders als die Überlegungen
etwa zur Flexiquote - überhaupt nicht mit der Frage befasst: Was tun wir auf den nachgeordneten Unternehmensebenen? Wenn man bei den Dax-30-Unternehmen
eine Frauenquote von 20 Prozent einführen würde, dann
würde man feststellen, dass sich in der Summe die Zahl
der Frauen, die zusätzlich in den Aufsichtsräten säßen,
nur geringfügig erhöhte, weil der Anteil schon heute bei
nahezu 20 Prozent liegt. Wenn man bei den Dax-30-Unternehmen eine Frauenquote von 40 Prozent zugrunde
legte, dann würde man ungefähr 100 zusätzliche Frauen
in den Aufsichtsräten dieser Dax-Unternehmen benötigen.
({6})
Wenn man unterstellt, dass manche der 100 Frauen mehrere Aufsichtsratsmandate wahrnehmen, dann läge die
Zahl der Frauen, für die man etwas täte, unter 100. Wenn
Sie aber die Managementverpflichtungen der deutschen
Wirtschaft übernähmen,
({7})
würden Sie etwas für über 5 000 Frauen tun.
({8})
Das zeigt, dass Ihr Modell wenig weiterhilft.
({9})
Sie sprechen von der gläsernen Decke. Sie machen die
gläserne Decke aber nicht durchlässig. Sie setzen auf die
gläserne Decke quasi ein paar Frauen obendrauf und behaupten, damit sei Durchlässigkeit erreicht.
({10})
Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf eine Mogelpackung.
({11})
Ihren auf Aufsichtsräte begrenzten Ansatz könnten
wir nachvollziehen, wenn wir eine Chance sähen, dass
mehr Frauen in Aufsichtsräten zu einem höheren Frauenanteil auf nachgeordneten Führungsebenen führen. Sie
führen häufig Norwegen als Beispiel an. Schauen Sie
sich die Untersuchungen des Osloer Instituts für Unternehmensvielfalt an. Natürlich ist der Anteil von Frauen
in Aufsichtsräten in Norwegen angewachsen. Aber das
hat nicht dazu geführt, dass auch der Anteil von Frauen
auf nachgeordneten Führungsebenen angestiegen ist.
Das zeigt, dass Ihre perspektivische Verengung falsch
ist.
({12})
Wir konstatieren, dass der Anwendungsbereich, den
Sie vorsehen, in vielerlei Hinsicht zu weit gefasst ist. Sie
führen gerne die Situation in den Dax-30-Unternehmen
an. Der Anwendungsbereich in Ihrem Gesetzentwurf ist
aber viel weiter gefasst. Es geht um die Einführung von
Frauenquoten in über 2 000 Unternehmen. Sie sprechen
medienwirksam immer von den Dax-30-Unternehmen.
Aber Ihre Vorgaben betreffen auch die mittelständischen
Betriebe, die, offen gestanden, andere Sorgen haben, als
sich jeden Morgen zu überlegen: Was können wir gegen
Frauen tun?
({13})
Die Realität ist doch, dass es in Familienbetrieben als
normal angesehen wird, dass die Tochter anstelle des
Sohns die Geschäftsführung übernimmt. Es ist deshalb
nicht nachvollziehbar, warum Sie einen derart weiten
Anwendungsbereich vorschlagen.
({14})
Sie wollen, dass die Frauenquote für alle börsennotierten Unternehmen gelten soll. Börsennotierte Unternehmen sind aber nicht nur die Dax-30-Unternehmen. Wir
haben in Deutschland - je nach Sichtweise - 700 bzw.
1 500 börsennotierte Unternehmen. Viele dieser Unternehmen haben 100, 150 oder 200 Mitarbeiter.
({15})
Erklären Sie doch einmal, warum die Börsennotierung
als Anknüpfungspunkt für die Einführung der Frauenquote taugen soll. Das ist mitnichten so. Eine Börsenzulassung ist sehr wohl ein tauglicher Anknüpfungspunkt
für eine Reihe schärferer Vorschriften, etwa im Bereich
der Bilanzierung. Aber warum ein börsennotiertes Unternehmen, das 100 Mitarbeiter beschäftigt, allein aufgrund seiner Börsennotierung eine Frauenquote einführen soll, während das nicht börsennotierte Unternehmen
mit 300 Mitarbeitern keine einführen soll, ist doch in
keinen Kopf zu bekommen.
({16})
Auch für den Bereich der mitbestimmten Unternehmen möchten Sie die Quote gelten lassen. In Deutschland gibt es über 2 000 Unternehmen, die mitbestimmt
sind. Einige fallen unter das Mitbestimmungsgesetz,
weil sie über 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Sehr
viele Unternehmen, ungefähr 1 500, fallen unter das
Drittelbeteiligungsgesetz, weil sie mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Ich bitte Sie: Führen Sie sich die
Realität vor Augen! Wie läuft das bei einem mittelständischen Betrieb mit 500 Mitarbeitern in der Praxis ab?
Die Familie, die das Unternehmen führt, überlegt, wer
das Unternehmen in der nächsten Generation übernehmen kann; dann wird pragmatisch entschieden. Solche
Unternehmer haben jeden Tag ganz andere Sorgen. Sie
kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Produktion,
die Erhöhung der Marktanteile und die Sicherung von
Arbeitsplätzen. Ich glaube nicht, dass sie sich von Ihnen
und Ihrer Frauenquote gängeln lassen wollen.
({17})
Wir müssen vermehrt darüber sprechen, wie wir es
gewährleisten können, den Frauenanteil in vielen Ausbildungszweigen zu erhöhen. Wenn wir wollen, dass in
einigen Jahren der Anteil an Managerinnen etwa im
deutschen Maschinenbau anwächst, dann wird es nicht
ausreichen, nur auf die Aufsichtsräte zu schauen und irgendeinen Antrag für das Schaufenster zu produzieren.
Es wird darauf ankommen, mehr Schülerinnen davon zu
überzeugen, etwa Ingenieurwissenschaften zu studieren.
Wenn wir uns die heutigen Zahlen anschauen, dann stellen wir fest, dass wir dort leider noch nicht so weit sind,
wie wir es eigentlich sein sollten. Deshalb appelliere ich
nachdrücklich an Sie, uns in den Beratungen darüber
auszutauschen, welche wirklich wirksame Maßnahmen
wir ergreifen können, um den Anteil an Frauen in den
Führungsgremien zu erhöhen. Wir sollten uns mit der
Thematik in ihrer Gesamtheit und nicht isoliert, nur mit
dem Blick auf den Aufsichtsrat, befassen. Wir sollten
insbesondere die Fragen in den Blick nehmen, was wir
auf den nachgeordneten Managementebenen tun können, was wir in puncto Vereinbarkeit von Familie und
Beruf tun können und was wir hinsichtlich der Steigerung des Anteils von Studentinnen in vielen wichtigen
Ausbildungsfeldern tun können.
({18})
Für uns ist das, was Sie machen, zu kurz gegriffen.
({19})
Sie wollen, dass sich im Aufsichtsrat als Schaufenster
der Unternehmen etwas ändert. Aber tatsächlich bleibt
alles beim Alten. Das lehnen wir ab, und deshalb werden
wir Ihrem Gesetzentwurf auch in den weiteren Beratungen nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({20})
Jetzt hat Ingo Egloff das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Harbarth, es war wirklich ein starkes Stück, was Sie hier vorgetragen haben.
({0})
Sie stellen sich hierhin und sagen, es greife zu kurz, in
Aufsichtsräten Frauenquoten einzuführen. Wir haben
eine andere Vorlage in die Ausschüsse eingebracht, die
auch die Vorstände berücksichtigt. Sie können dieser zustimmen.
({1})
Wir werden Sie daran messen; denn das, was Sie hier
vorgetragen haben, ist einfach verlogen gewesen, meine
Damen und Herren.
({2})
Der hier vorliegende Gesetzentwurf, der ursprünglich
auf die Hamburger SPD-Senatsfraktion zurückgeht, bietet Ihnen eine weitere Chance, meine Damen und Herren
von der Koalition, sich endlich zu besinnen und mit dafür zu sorgen, dass die Ungerechtigkeit bei der Besetzung von wirtschaftlichen Führungsgremien aufhört. Sie
sollten sich ein Beispiel an einigen Ihrer Landesregierungen nehmen, die im Bundesrat dieser Regelung zugestimmt haben. Der Entwurf ist moderat. Er sieht zu
Beginn eine Quote von 20 Prozent vor, die dann schrittweise auf 40 Prozent angehoben wird, und er lässt begründete Ausnahmen zu. Sie hätten sich das genau anschauen sollen, bevor Sie hier auf diese Art und Weise
argumentierten.
Natürlich hat sich meine Fraktion auch etwas anderes
vorstellen können. Deswegen haben wir den Gesetzentwurf hier eingebracht. Da haben Sie die Chance, sich
noch einmal zu beweisen. Sie sagen, die Aufsichtsräte
allein reichten nicht aus. Wir sind gerne bereit, auch die
Vorstände einzubeziehen. Das ist überhaupt kein Problem.
({3})
Das können wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gerne tun.
Ich habe schon in der letzten Debatte darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit
ist, an dieser Stelle für geschlechtergerechte Verhältnisse
zu sorgen. Vielmehr ist es ein Akt wirtschaftlicher Klugheit. Wenn Frauen bereits im Jahre 2008 zu 67 Prozent
über einen Hochschulabschluss verfügten, die Männer
jedoch nur zu 62 Prozent, und dass die Frauen darüber
hinaus die besseren Examina haben, dann müssten die
Unternehmen doch mit dem Klammerbeutel gepudert
sein, diese Potenziale im Bereich der Führungskräfte
nicht zu nutzen.
({4})
Insofern ist es ein Akt wirtschaftlicher Vernunft, auch
angesichts des Fachkräftemangels, der auf uns zukommt.
Ihrer Argumentation, Herr Kollege, dass es zu wenige
Absolventinnen im technischen Bereich gibt, halte ich
Folgendes entgegen: In den Naturwissenschaften sind es
40 Prozent, in den Ingenieurwissenschaften sind es
22,6 Prozent. Aber schauen Sie sich doch die Vorstände
der Dax-Unternehmen an. Zu ungefähr 60 Prozent sitzen
dort Juristen und Volkswirte. Das, was Sie hier vortragen, ist doch ein vorgeschobenes Argument.
({5})
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen belegen,
dass Unternehmen, in denen Frauen gleichberechtigt in
Führungspositionen tätig sind, aufgrund höherer Profitabilität und höheren Wachstums erfolgreicher sind und
bessere Kapitalmarkterfolge erzielen. Das haben so unverdächtige Firmen bzw. Organisationen wie McKinsey
und die OECD festgestellt.
({6})
Da aber in einem Bereich wie der Wirtschaft, von dem
man ja gemeinhin annimmt, dass dort immer rational geprägte Entscheidungen getroffen werden, die Führungsebenen anscheinend nicht bereit sind, diese Tatsachen zu
berücksichtigen, muss man sie zu ihrem Glück zwingen.
Die 2001 vereinbarte freiwillige Selbstverpflichtung,
mehr Frauen in Aufsichtsgremien und in andere Führungspositionen zu bringen, hat jedenfalls nicht zum Erfolg geführt.
Zum Thema Verfassungsmäßigkeit. Es sind in der
Vergangenheit auch immer wieder einmal Zweifel angemeldet worden, dass hier möglicherweise ein Verstoß
gegen Art. 14 vorliegt, das geschützte Recht der Anteilseigner, die innere Organisation der Unternehmen selbst
zu regeln. Aber das, was wir hier beschließen wollen, ist
eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz zulässige
Inhalts- und Schrankenbildung. Da gilt nämlich genau
das Gleiche wie bei der Mitbestimmungsregelung. Dazu
hat das Verfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass sie
verfassungsgemäß ist. Hier geht es nur darum, die Aufsichtsgremien anders zu besetzen.
({7})
Die Mindestquote verfolgt den Zweck, die Unterrepräsentation von Frauen in Aufsichtsräten zu beseitigen.
Dieser Zweck - darauf hat die Kollegin Künast hingewiesen - ist durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz geboten, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördert
und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken muss. Das ist 1994 in die Verfassung hineingeschrieben worden, und das gilt nicht nur für den Bereich der
öffentlichen Verwaltung, sondern auch für den privatrechtlichen Sektor. Wir sind verpflichtet, hier die Gleichberechtigung durchzusetzen, meine Damen und Herren.
({8})
Halten wir also fest: Mit diesem Gesetz verfolgen wir
einen Verfassungsauftrag. Wir versuchen, ihn in die Realität umzusetzen. Nehmen wir uns ein Beispiel an anderen europäischen Ländern wie Norwegen, Island, Frankreich oder Spanien. Die Entwicklung dort zeigt, dass die
Umsetzung einer solchen Regelung ohne Probleme möglich ist.
Wir sollten hier gemeinsam diese für die deutsche
Wirtschaft bedeutsame und positive Regelung treffen.
Ich finde, dass insbesondere die Kolleginnen aus den
Koalitionsfraktionen jetzt ihren Worten Taten folgen lassen müssen, sonst nimmt ihnen niemand mehr ab, dass
sie es wirklich wollen.
({9})
Wenn das aus Ihrer Sicht zu kurz greift, was wir hier
vorgelegt haben, dann machen Sie einen Vorschlag, wie
wir beispielsweise die Vorstände mit einbeziehen können. Wir sind an Ihrer Seite, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen.
({10})
Seien Sie gewiss, meine Damen und Herren von der
Koalition, wenn Sie hier mit fadenscheinigen Argumenten wieder verhindern, dass ein solches Gesetz beschlossen wird: Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung
herauslassen. Wir werden das dann eben nach der Bundestagswahl im Interesse der Wirtschaft, im Interesse der
Gesellschaft und im Interesse der Gleichberechtigung regeln.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Marco Buschmann für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gleichen Karrierechancen für Männer und
Frauen sind ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen. Daher bin ich ein Stück weit entsetzt darüber, auf
welch niedrigem Niveau hier insbesondere SPD und
Grüne die Sache debattieren.
({0})
Man hat den Eindruck, Sie wollen gar nichts gegen die
gläserne Decke tun, sondern reine Schaufensterpolitik
betreiben. Wenn der Kollege Harbarth hier als Lügner
bezeichnet wird oder die Kollegin Künast sagt, sie wolle
uns gar nicht mehr zuhören: Wofür dann überhaupt noch
eine Debatte?
({1})
- Sie haben gesagt, Sie wollen nichts mehr hören, Sie
wollen keine Argumente mehr hören.
({2})
Wer eine parlamentarische Debatte auf ein solches Niveau zieht, dem geht es nicht um Maßnahmen gegen die
gläserne Decke, sondern um rein symbolische Schaufensterpolitik für den Bundestagswahlkampf und den
grünen Kandidatenwahlkampf.
({3})
Was den parlamentarischen Stil angeht, möchte ich
hier mit gutem Beispiel vorangehen
({4})
und Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie einen
konkreten Gesetzentwurf vorgelegt haben - dies verdient Respekt, weil es immer große Mühe erfordert -,
auch wenn er bürokratisch ist, auch wenn er sich auf
Kosten Dritter einigt, nämlich der kleinen und mittleren
Unternehmen, und auch, wenn er im Ergebnis untauglich
ist. Sie wissen das; diese Argumente haben wir Ihnen
hier schon vorgetragen.
({5})
Erstens. Wir haben empirische Studien, die belegen,
dass eine rein symbolische Frauenquote für die Aufsichtsräte in den Führungsebenen darunter nichts bewirkt. Catherine Hakim, eine exzellente Soziologin der
London School of Economics, hat die Entwicklung in
Norwegen untersucht und belegt, dass der Anteil an
Frauen in der zweiten und dritten Führungsebene sogar
noch niedriger als in Deutschland ist. Das kann doch
nicht das richtige Vorbild sein. Ihre Quote ist untauglich,
wenn es darum geht, die Karrierechancen insgesamt für
eine relevante Zahl von Frauen zu erweitern.
({6})
Dafür in die Rechte der Hauptversammlung und in die
Rechte der Aktionäre einzugreifen, ist schlichtweg unverhältnismäßig.
Zweitens. Tun Sie bitte nicht so, als ob wir nichts bewirkt hätten.
({7})
Ich sage es noch einmal: Ihre alte Selbstverpflichtung
hat nichts gebracht; das ist völlig richtig. Die Änderung
des Corporate Governance Kodex hat aber dazu geführt,
dass sich der Anteil von Frauen in der Gruppe der Neubesetzungen gegenüber der Gruppe der Amtsinhaber
mittlerweile vervielfacht hat.
({8})
Wir können einen Faktor Vier konstatieren. Das ist mehr
als nichts. Das ist mehr als das, was Sie bewirkt haben.
Deshalb sollten Sie aufhören, uns an Ihren untauglichen
Maßnahmen von 2001 zu messen. Messen Sie uns bitte
an den zwar noch kleinen, aber deutlich messbaren Erfolgen. Wir haben in einem Jahr mehr bewirkt als Sie in
vielen Jahren. Tun Sie nicht so, als gäbe es nichts zu
konstatieren.
({9})
Drittens. Der Kollege Egloff hat dem Kollegen
Harbarth vorhin eine Umkehrung der Argumente vorgeworfen. Das finde ich, Frau Künast, sehr bemerkenswert.
Bislang haben Sie uns immer gesagt: Ihr müsst die
Quote einführen, weil uns die Europäische Kommission
dazu zwingen wird.
({10})
Jetzt haben unsere sachlichen Argumente offenbar Gehör bei der Kommission gefunden.
({11})
Die Kommission hat jetzt gesagt: „Das ist kein vernünftiges Mittel“, und sich dagegen entschieden.
({12})
Und jetzt sagen Sie: Jetzt müssen wir Deutsche die
Kommission vor uns hertreiben. Also, wenn hier Argumente verdreht werden, dann gilt das insbesondere für
Sie.
({13})
Abgesehen von diesen grundsätzlichen Argumenten
gegen eine solche Zwangsquote ist Ihr konkreter Gesetzgebungsvorschlag mit sehr vielen Problemen verbunden.
Ich konstatiere - dafür bedanke ich mich auch -, dass
Sie unsere Kritik, was die kleinen Gremien angeht, aufgenommen haben. Das zeigt, dass die sachliche Kritik,
die wir hier vorgetragen haben, nicht ganz falsch war.
Sonst wären Sie ja nicht darauf eingegangen.
Ich kritisiere aber, dass Sie damit ein bürokratisches
Monstrum schaffen. Sie wollen demnächst nämlich jede
der 16 000 deutschen Aktiengesellschaften verpflichten,
sich Bescheide beim Bundesamt für Justiz einzuholen.
Künftig soll jede AG sich einmal pro Jahr, weil man das
für die Körperschaftsteuererklärung brauchen soll, einen
Bescheid über die geschlechtergerechte Besetzung des
Aufsichtsrats besorgen. 16 000 Unternehmen sollen
dazu verpflichtet werden. Das sind 16 000 Anträge, die
im Verlauf des ersten Halbjahres eines jeden Jahres im
Bundesamt für Justiz bearbeitet werden müssen. Wenn
man das herunterbricht und nur eine Stunde Zeit für die
Bearbeitung eines solchen Antrages ansetzt, stellt man
fest, dass man in den 100 Arbeitstagen, die bis zum
31. Mai eines Jahres anfallen - das ist die Frist, die Sie
setzen -, 160 Bescheide pro Tag bearbeiten müsste. Bei
60 Minuten für einen Bescheid und bei acht Arbeitsstunden pro Tag wären das 20 neue Planstellen, die man im
Bundesamt für Justiz allein für die Realisierung dieses
einen Details Ihres Gesetzentwurfs vorsehen müsste.
Meine Damen und Herren, seien Sie ehrlich! Sie
schreiben in der Einleitung Ihres Gesetzentwurfs, die
Bürokratiekosten und der Bürokratieaufwand für die
Umsetzung Ihres Vorschlages seien gering und zu vernachlässigen. Das ist schlichtweg die Unwahrheit. Allein
die Umsetzung dieses Details würde dazu führen, dass
sich im Bundesamt für Justiz 20 Leute mit nichts anderem mehr beschäftigen könnten oder 20 neue Planstellen
geschaffen werden müssten.
({14})
Im Übrigen wäre es auch rechtspolitisch ein falsches
Signal, wenn man private Unternehmen wieder unter
staatliche Aufsicht stellen würde, was ihre internen Gremienbesetzungen angeht. Als Rechtshistoriker fühlt man
sich ein wenig an die Ideen des Reichs-Aktienamtes erinnert. Wir sind weg davon! Überall im Gesellschaftsrecht gehen wir weg von der staatlichen Aufsicht, was
die internen Verhältnisse angeht. Sie wollen jetzt den
umgekehrten Weg gehen, zurück zum Beginn des letzten
Jahrhunderts, in dem diese Ideen noch modern waren.
Heute sind sie gänzlich unmodern.
Zum Schluss will ich noch eines sagen: Jetzt konzediere ich einmal, es gebe diese Fortschrittsverweigerer,
es gebe jene, die sich hartnäckig verweigern und obstruieren.
({15})
Gegen diese Fortschrittsverweigerer hilft Ihr Entwurf
nicht, weil Sie ausschließlich Aktiengesellschaften in
den Fokus nehmen. Auch bei der grenzüberschreitenden
Verschmelzung nehmen Sie ausschließlich Aktiengesellschaften in den Blick. Dann machen die Unternehmen
eben einen Formwechsel. Das ist auch in Norwegen
geschehen. Dort haben die Unternehmen - Familienbetriebe, kleine Betriebe und vor allem die Maschinenbauunternehmen -, die Probleme hatten, weibliche Ingenieure in der erforderlichen Anzahl und mit der
notwendigen Berufserfahrung zu finden, schlichtweg die
Rechtsform gewechselt.
({16})
Das wird dann bei Verschmelzungen auch passieren.
Selbst wenn wir unterstellen, dass Ihre Auffassung richtig ist, dass es renitente Fortschrittsverweigerer gibt, so
bleibt festzuhalten: Ihr Gesetzentwurf macht das Scheunentor für Umgehungstransaktionen ganz weit auf.
Wir halten im Ergebnis fest: Ihr Vorschlag wird in der
gesellschaftlichen Breite nichts bringen. Er ist kein Beitrag gegen die gläserne Decke, sondern nur Schaufensterpolitik. Umgehungsmöglichkeiten stehen sperrangelweit offen.
({17})
Man kann aus guten Gründen, gerade wenn man für effektive Frauenförderung ist, gerade wenn man für gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen in diesem
Land ist, in diesem Vorschlag kein taugliches Instrument
erkennen. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat nun Frau Cornelia Möhring für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Buschmann, das müssen Sie uns zugestehen: Angesichts der vielen guten Argumente für die Quote, die wir
hier in gefühlten 150 Debatten schon ausgetauscht haben, werden Sie sicherlich verstehen, dass wir an Ihrer
Lernfähigkeit langsam erhebliche Zweifel haben.
({0})
Die Quote bedeutet deutlich mehr als eine Verbesserung von Karrierechancen für Frauen. Die Quote ist ein
Instrument für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern an den Entscheidungen und den Ressourcen in unserer Gesellschaft. Die Linke steht dazu und
sagt es immer wieder: Wir sind für eine geschlechtergerechte Gesellschaft, und wir sind auch für eine geschlechtergerechte Besetzung von Vorständen und Aufsichtsratsgremien. Wenn es nach uns ginge, würde sich
dies auch in Zahlen ausdrücken. Der Hälfte der Bevölkerung steht auch die Hälfte zu.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schlicht nicht
hinnehmbar, dass Frauen mit einem Anteil von lediglich
15,6 Prozent in Aufsichtsräten und von nur 4,2 Prozent
in Vorständen vertreten sind.
({2})
- Herr Kauder, auf Ihre Zwischenrufe gehe ich gerne an
anderer Stelle ein. Jetzt kümmere ich mich um das Wesentliche.
({3})
Der Gesetzentwurf, den wir heute behandeln, weckt
in mir trotzdem, ehrlich gesagt, zwiespältige Gefühle,
weil er, wie ich finde, Ausdruck eines aussichtslosen
taktischen Spielchens ist. Sie glauben doch nicht allen
Ernstes, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und von den Grünen, dass CDU/CSU und FDP sich darauf einlassen? Die zeigen heute wieder deutlich, dass
sie so blockiert sind, dass sie schlicht keine geschlechtergerechte Gesellschaft wollen.
({4})
Ich muss aber auch deutlich sagen: Ich hatte schon bei
der Einbringung der Bundesratsinitiative zur Festschreibung einer verbindlichen Quote zwiespältige Gefühle.
Einerseits verstehe ich es natürlich: Angesichts der Unbeweglichkeit dieser Regierungskoalition in der Frage
der gesetzlichen Quote wäre es natürlich erfreulich,
wenn wir auch mit den Stimmen von CDU-regierten
Ländern tatsächlich erstmals eine verbindliche Quote
festschreiben könnten. Andererseits - das finde ich bedauerlich - waren Grüne und SPD in ihren Forderungen
schon einmal erheblich weiter,
({5})
sowohl in ihren eigenen parlamentarischen Initiativen
als auch im Rahmen des überparteilichen Bündnisses der
Berliner Erklärung.
In diesem Bündnis haben wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen - auch mit einigen aus den Koalitionsfraktionen - als ersten Schritt
gefordert, dass alle börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen verpflichtet
werden, in ihren Aufsichtsräten bis zum Jahr 2018 - ich
betone das; denn 2013 finden die entscheidenden Wahlen statt - eine Mindestquotierung von 30 Prozent zu erreichen und diesen Anteil dann zügig weiterzuentwickeln. Weil wir alle wissen, dass Freiwilligkeit zu
keinem Erfolg führt, haben wir spürbare Sanktionen vorgesehen: So sollten, wenn die Zusammensetzung eines
Aufsichtsrates dieser Regelung widerspricht, die Beschlüsse unwirksam werden.
Jetzt, wo sogar der Entwurf eines entsprechenden
fraktionsübergreifenden Gruppengesetzes auf dem Tisch
liegt, verlassen ausgerechnet SPD und Grüne den Konsens dieses Bündnisses und legen den vorliegenden Gesetzentwurf vor, einen Gesetzentwurf, der deutlich hinter
den bisherigen Eckpunkten der Berliner Erklärung zurückbleibt. In welchen Punkten gibt es Abweichungen?
Diese möchte ich hier nennen, weil ich darauf aufmerksam machen möchte, dass wir entsprechende Änderungsanträge einbringen werden.
Erstens. Für Unternehmen gibt es in diesem Gesetzentwurf viel zu viele Ausnahmen.
Zweitens. Erst ab 2018 soll die erste Stufe mit 20 Prozent Frauen in Aufsichtsräten erreicht werden.
Drittens. Sie haben ein paar butterweiche Sanktionen
eingebaut, nämlich die Namensnennung von Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen, und die Streichung
der steuerlichen Absetzbarkeit von Aufsichtsratsvergütungen. Ich sehe schon, wie alle Angst bekommen.
({6})
Warum weichen also SPD und Grüne von den gemeinsam ausgehandelten und breit getragenen Forderungen der Berliner Erklärung kampflos ab? Weil Ihnen der
Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach?
Oder aus wahltaktischen Gründen?
({7})
Sollte Ihnen damit tatsächlich die Meisterleistung gelingen, die Regierungskoalition auf den Weg einer gesetzlichen Quote zu bringen, werde ich die Erste sein, die
sagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein
Glanzstück.
Sie werden wahrscheinlich erwidern, dass die Einbringung des Bundesratsentwurfs durch die Bundesregierung dauern würde, bis wir hier alle Moos ansetzen.
({8})
Das glaube ich auch. In den letzten 22 Jahren hat nämlich keine Bundesregierung - im Übrigen auch nicht die
rot-grüne - etwas Substanzielles geleistet, um den
Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes im Hinblick
auf die Vertretung von Frauen in Führungspositionen
umzusetzen. An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei. Das hätten wir alles auf Grundlage der Berliner Erklärung diskutieren können.
Ich sehe, meine Zeit hier geht langsam dem Ende zu,
({9})
deswegen abschließend noch zwei Bemerkungen:
Für die Linke bleibt es dabei: Wir wollen, dass es in
diesem Land geschlechtergerecht zugeht. Wir halten uns
an die im Bündnis „Berliner Erklärung“ getroffenen Vereinbarungen.
({10})
Wir wissen: Es gibt genug qualifizierte Frauen, um
schon 2013 Gremien wie Aufsichtsräte anders zu besetzen. Deshalb werden wir entsprechende Änderungsanträge in die weiteren Beratungen einbringen.
Ich vermute, dass sich CDU/CSU und FDP diesen
Änderungsanträgen wie Ihrem Gesetzentwurf, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nicht anschließen werden. Deswegen will ich Sie schon jetzt ermuntern, sich dann unseren Änderungsanträgen anzuschließen, damit wir konstruktiv vorankommen.
({11})
In diesem Sinne wünsche ich uns weitere konstruktive
Debatten und endlich einen Schritt in Richtung mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
dieser Woche die Situation der Frauen unter verschiedenen Aspekten in den Blick genommen: Minijobs standen
auf der Tagesordnung; über den Unterhaltsvorschuss
wurde debattiert; um die Finanzierung von Frauenhäusern geht es heute noch. Aktuelle Themen sind darüber
hinaus die Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei
der Rente, Altersarmut und, vor allem, die allgemeine
Entgeltungleichheit.
Für all das gibt es Pro und Kontra, auch unter Frauen
werden diese Themen differenziert diskutiert. Häufig
kann man erkennen, dass die persönliche Lebenserfahrung oder auch das Alter zu unterschiedlichen Einschätzungen führen. Mir geht es in diesem Zusammenhang
darum, zu zeigen, dass das alles Facetten desselben Themas sind. Bei all diesen Punkten spielt es eine Rolle,
dass alle Frauen eine andere Lebenssituation haben, die
sich in einem je anderen Zugang zu eigener sozialer Sicherheit, zu eigener beruflicher Karriere und eigenem
Einkommen äußert.
Es gibt Ursachen, die auf freiwillige Entscheidungen
zurückgehen - die Berufswahl zum Beispiel; auch wenn
man daran sicherlich einiges ändern könnte -, aber auch
Ursachen, die in den Strukturen liegen: traditionelle Unterschiede in der Beteiligung an der Arbeit in der Familie; Erwartungshaltungen, die sich auswirken; andere
Prioritäten. Es gibt auch strukturelle Ursachen, die kaum
zu beeinflussen sind. Gerade beim Thema Quote haben
wir es mit Strukturen zu tun, die sich individuell nicht
beeinflussen lassen. All diese Dinge greifen ineinander,
und all diese Dinge haben ihre Auswirkungen darauf,
dass Frauen in höheren Positionen so stark unterrepräsentiert sind.
({0})
Weshalb sage ich das? Ich will zeigen, dass „Frauen
in Führungspositionen“ kein Luxusthema ist, das eine
zwei- bzw. maximal dreistellige Zahl von Frauen betrifft. Vielmehr handelt es sich um die Ausprägung einer
allgemeinen Problematik. Das betrifft Kassiererinnen bei
Edeka ganz genauso wie Alleinerziehende oder Frauen,
die über Jahre in einem Minijob festhängen und ihren ursprünglichen Beruf nicht weiter betreiben können, oder
Wissenschaftlerinnen, die keine angemessene Professur
bekommen. All das sind Ausprägungen desselben Themas, dass sich unterschiedliche Lebenserwartungen, unterschiedliche Traditionen in der gleichen Weise auswirken.
Es gibt noch einen Grund, weshalb „Frauen in Führungspositionen“ kein Thema ist, das nur einige wenige
Frauen in einer privilegierten Situation betrifft. Wie
viele Frauen wir sichtbar in Führungspositionen haben,
wird nämlich weit über diese Funktionen hinauswirken,
weil Frauen in Führungspositionen Vorbilder schaffen,
die in die Struktur der Unternehmen hineinwirken und
ein Umdenken bewirken, nicht nur in den Unternehmen,
sondern in der gesamten Gesellschaft.
({1})
In Deutschland wird man nie wieder infrage stellen,
ob eine Frau auch Kanzlerin sein kann. Damit ist zugleich auch die Frage beantwortet, ob eine Frau Abteilungsleiterin einer Behörde sein, ob sie Filialleiterin einer Bank sein kann, ob sie Leiterin eines Supermarktes
sein kann.
({2})
Genauso wird zum Beispiel in den USA nie wieder die
Frage gestellt werden, ob ein Schwarzer Präsident sein
kann. Das sind Fragen, die dadurch beantwortet worden
sind, dass diese besonders herausgehobene Position einmal von einer entsprechenden Person wahrgenommen
worden ist. Deshalb ist es auch ein Beitrag zur Lösung
des ganzen Problems an allen Stellen in der beruflichen
und in der gesellschaftlichen Hierarchie. Wenn wir mehr
Frauen in Führungspositionen haben, wird das auch
Auswirkungen auf die unteren Hierarchieebenen haben.
({3})
Deshalb ist der Einwand, den wir häufig hören:
„Kümmert euch doch nicht um so ein Luxusproblem,
sondern kümmert euch darum, wie die Frauen über die
Runden kommen, die in ganz anderen Lebenssituationen
sind“, nicht berechtigt. Wir dürfen das eine nicht gegen
das andere stellen, sondern alle Themen gehören zusammen.
({4})
Heute ist das Thema die Quote, über das wir uns
schon oft ausgetauscht haben, wenn jetzt allerdings auch
schon ein paar Monate nicht mehr. Von daher noch einmal die wichtigsten Punkte für Sie alle, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen.
Brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen? Ja, klar.
({5})
Das ist mittlerweile Allgemeingut. Da kriegen wir
Applaus aus dem ganzen Haus.
({6})
Der Grund ist doch auch klar: Wer nach guten Leuten
nur in der Hälfte der Bevölkerung sucht, der schöpft das
Potenzial an Intelligenz, Kreativität, Qualifikationen und
Ideen nicht aus. Deshalb ist es schon aus der egoistischen Sicht der Unternehmen wichtig, nach Talenten unter den Frauen Ausschau zu halten.
Ein weiterer Aspekt ist folgender: Gemischte Teams
haben die besseren Ergebnisse. Wo unterschiedliche Lebenserfahrungen zusammenkommen, da wird an alle Aspekte gedacht, und die Entscheidung ist am Ende besser.
Dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen.
Ich will auch auf den Aspekt der Chancengleichheit
hinweisen. Wo Frauen die gleichen Qualifikationen haben - gerade in den entscheidenden Ausbildungsgängen,
Jura, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, haben sie
längst gleich gute Qualifikationen -, da müssen ihnen
auch die gleichen Chancen gegeben werden.
({7})
Nur, brauchen wir dazu eine gesetzliche Quote?
({8})
Ja! Denn von allein wird sich wenig ändern. Das zeigt
uns doch die Erfahrung.
({9})
Gerade die Sinus-Studie des Frauenministeriums hat gezeigt: Es bestehen stark verfestigte Strukturen und Rituale, die sich selbst reproduzieren, die sich perpetuieren
und das Nachrücken von Frauen behindern.
Wir können zwar Fortschritte erkennen; die gibt es im
Moment. Aber die vollziehen sich vor dem Hintergrund
unserer momentanen Debatte, wodurch das Thema alle
paar Monate auf der Tagesordnung steht und den Unternehmen auch signalisiert wird, dass sich etwas tut. Im
Vorgriff darauf oder auch, um eine gesetzliche Regelung
zu verhindern, strengen sie sich jetzt besonders an.
Aber 70 Prozent und mehr der Entscheidungsträger in
den Unternehmen selber - das zeigt die empirische Studie des Frauenministeriums von Carsten Wippermann glauben nicht, dass das bereits ein selbsttragender Effekt
ist und dass sich ohne verbindliche Vorgaben etwas tun
wird. Die wissen, wovon sie sprechen.
Wir sehen also, die abstrakte Erkenntnis „Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen“ endet da, wo
es die eigene Situation, die eigene Position im Aufsichtsrat, im Vorstand betrifft. Im eigenen Umfeld soll doch
bitte alles so bleiben, wie es ist. Wir fangen einmal ganz
unten an und schauen in 30 Jahren weiter.
({10})
Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Sie
kann durchaus vernünftige Ausnahmen vorsehen. Wenn
ein Familienunternehmen von den Mehrheitseignern
selbst geführt wird, da kann eine Ausnahme in Ordnung
sein, weil man natürlich die Positionen in der Familie
weitergibt. Wer mit fünf Söhnen oder - wie meine Eltern
- mit fünf Töchtern gesegnet ist, der wird auch darunter
seine Nachfolger suchen. Wo es trotz ernsthafter Suche
keine geeignete Kandidatin gibt, da kann es auch Ausnahmen geben; das ist in Ordnung.
Eines steht aber fest: Wir brauchen eine gesetzliche
Regelung. „Gesetzlich“ bedeutet „verbindlich“. Es reicht
nicht, wenn „Gesetz“ draufsteht, dieses aber nur freiwillige Regelungen enthält.
({11})
Es hat auch nichts mit den Grenzen vielleicht sinnvoller Flexibilität zu tun, wenn der Adressat der Regelung
selber entscheidet, welche Vorgaben er sich gibt, ohne
dass ihm irgendwelche Kriterien vorgegeben werden.
Flexibilität gibt es in gesetzlichen Regelungen an vielen
Stellen: Nicht jeder zahlt die gleichen Steuern, das Tempolimit ist an unterschiedlichen Stellen, je nach Straßenlage, unterschiedlich. Dass sich aber der Adressat der
Regelung, die sein Verhalten ausrichten soll, selber ohne
besondere objektive Kriterien aussucht, zu was er sich
verpflichten will: Das hat noch nie funktioniert. Auf die
Idee kommt man an anderen Stellen nicht.
({12})
Sollten wir es nicht allein der Bestenauslese überlassen?
({13})
Das ist auch ein häufig gehörtes Argument. Es wäre ja
schön, wenn es die Bestenauslese gäbe. Dass alle bisherigen Aufsichtsräte und Vorstände durch einen harten
Prozess knallharter Bestenauslese gegangen seien, glauben allenfalls sie selber.
({14})
Das ist ein Mythos. So hat es uns auch die neue Personalchefin der Telekom, Frau Professor Schick, diese Woche noch einmal erklärt. Gleiches haben wir vorher von
Herrn Sattelberger gehört. Gleiches bestätigt auch die
Wippermann-Studie des Frauenministeriums. Hier kommen eben andere Strukturen zum Tragen: die Loyalitäten, die Rituale, die Closed-Shop-Situation. Es ist teilweise schon bitter, von wem man sich erklären lassen
muss, dass es doch nur die Besten sind, die sich durchsetzen.
({15})
Sollten wir uns mehr um andere Rahmenbedingungen
kümmern? Natürlich müssen wir uns auch um andere
Rahmenbedingungen kümmern. Wir tun das auch. Die
Betreuungssituation und die Ermunterung an Frauen,
sich mehr für MINT-Berufe zu entscheiden, ist wichtig.
All das alleine reicht aber auch nicht. Schauen wir nach
Frankreich. Dort ist zum Beispiel die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf seit vielen Jahren deutlich einfacher.
Trotzdem hat es auch dort erst der Quote bedurft, um
Frauen stärker in Führungspositionen zu platzieren. Wir
müssen also beides tun. Lasst uns doch nicht immer nur
das Entweder-oder bedenken, sondern wir müssen in
cumulo alles zusammentun, um an den wirklichen Verhältnissen in Führungspositionen etwas zu verändern.
Ich freue mich, dass ich hier sehr viel Bereitschaft erlebt habe, konstruktiv daran mitzuwirken, zu Regelungen zu kommen, die auch wirklich funktionieren. Hier
wurden einige Dinge kritisiert. Das kann man sich bestimmt noch einmal im Einzelnen anschauen. Im Dezember haben wir ja eine Anhörung dazu. Wir müssen
dann aber auch zu konstruktiven Vorschlägen dafür
kommen, wie das klappen kann.
({16})
Der Antrag hat natürlich auch eine taktische Seite. Es
gibt noch einen anderen Antrag der SPD im Verfahren.
Sie müssen jetzt schon einmal sagen, was denn nun gelten soll. Geht es auch um Vorstände? Ja oder nein? Welche Sanktionen sollen es denn nun sein?
({17})
- Nein, das zeigt leider - das ist dann doch ein Stück
weit Kritik -, dass es Ihnen auch sehr viel um Taktik
geht.
({18})
Ich finde das auch schade vor dem Hintergrund, dass
ein Antrag aus dem Bundesrat kommt, ohne ein eindeutiges ausschließliches Parteisiegel zu tragen. Er kommt
aus Hamburg, das ist klar, aber er wird von der Ministerpräsidentin des Saarlandes und vom Ministerpräsidenten
aus Sachsen-Anhalt unterstützt. Ich weiß nicht, wer das
schon mitbekommen hat: Mittlerweile hat sich auch unsere Landtagsfraktion des Landtages Baden-Württemberg diesen Antrag zu eigen gemacht.
({19})
Sie wissen, dass es nicht ohne Bedeutung ist, dass Sie
diesem Antrag Ihr parteipolitisches Siegel jetzt noch einmal zusätzlich aufgedrückt haben. Wir brauchen darüber
heute aber noch nicht zu entscheiden. Ich hoffe, dass wir
auch aufgrund dieses Antrages in eine weiterhin konstruktive Beratung eintreten werden.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Frau Winkelmeier-Becker, ich gratuliere Ihnen zu dieser
mutigen Rede.
({0})
Ihre mutige Rede zeigt aber auch, dass ich Ihnen eine
Quote in Ihrer Partei gewünscht hätte. Dann hätten Sie in
Ihrer Fraktion mehr Unterstützung, und wir wären sicherlich gemeinsam schneller zu einem Konsens gekommen.
„Willkommen in der Macho-AG.“ In Sachen weibliches Topmanagement sei Deutschland ein Entwicklungsland. - Das war vor einigen Jahren die Feststellung
in der Zeitschrift Wirtschaftswoche. Die Süddeutsche
Zeitung schrieb, das deutsche Topmanagement sei so
frauenfreundlich wie Saudi-Arabien.
({1})
In der Tat, 2006 gab es in den Vorständen der
200 größten Unternehmen nur 1 Prozent Frauen, und in
den Aufsichtsräten waren sie mit 8 Prozent vertreten.
Herr Harbarth, Sie behaupten, es habe sich in den letzten
Jahren sehr viel getan. Schauen wir doch einmal genau
hin, was sich in der Macho-AG geändert hat.
Der Anteil der Frauen in Vorständen ist von 1 Prozent
auf sage und schreibe 3 Prozent gestiegen und der in
Aufsichtsräten von 8 auf 12 Prozent. Das ist den Arbeitnehmerinnen auf der Arbeitnehmerbank zu verdanken.
({2})
Dieses Schneckentempo, Herr Harbarth, wollen wir
nicht mehr haben; denn dann würden wir 120 Jahre warten, bis wir einen Anteil von 40 Prozent in den Vorständen erreicht hätten, und 60 Jahre, bis wir einen Anteil
von 40 Prozent in den Aufsichtsräten hätten. Es ist
höchste Zeit für eine verbindliche Quote.
({3})
Dabei gibt es doch schon in der Gesellschaft - Frau
Winkelmeier-Becker hat es aufgezeigt - einen breit angelegten Konsens von Männern und Frauen über alle
politischen Lager und gesellschaftlichen Schichten hinweg. Das haben die Nürnberger Resolution von 2009,
die Berliner Erklärung von 2011, die Initiative der Journalistinnen „Pro Quote“, der aktuelle Vorstoß der Medizinerinnen „Pro Quote in der Medizin“ und schließlich
der Bundesratsbeschluss zusammen mit der CDU am
21. September 2012 deutlich gemacht. Der Druck im
Kessel wird doch immer größer. Es ist Zeit, dass sich
auch parteiübergreifend im Bundestag etwas bewegt.
({4})
Die feste Quote von 40 Prozent ist das Ziel der SPD. Wir
wollen nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.
Wir wollen Taten sehen und in der Gleichstellung einen
Schritt vorwärtskommen.
Erst diese Woche hat Deutschland vom World Economic Forum wieder einmal den Spiegel vorgehalten bekommen: Deutschland ist im Gleichstellungsranking von
Platz 11 im letzten Jahr auf Platz 13 abgerutscht.
({5})
Vor fünf Jahren, 2007, waren wir als eine der größten
Volkswirtschaften auf Platz 6. Mittlerweile haben uns
alle skandinavischen Länder, Island, Irland, die Niederlande und die Schweiz überholt. Die Gründe für diese
schlechte Note sind im Wesentlichen zwei Dinge: erstens die geringe Beteiligung der Frauen in Führungspositionen und zweitens die unglaublich große Lohnlücke
von 22 Prozent.
Ich glaube, mit dieser Regierung drohen wir weiter
abzurutschen. Warum? In der Quotenfrage ist sie zerstritten. Zum Thema „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
gibt es noch nicht einmal im Ansatz einen Vorschlag.
Das ist schwarz-gelbe Realität. Es reicht nicht, am Equal
Pay Day Klagelieder anzustimmen oder über mangelnde
Frauenbeteiligung zu jammern. Es reicht nicht, sich vor
konkreten Entscheidungen zu drücken, weil Sie immer
noch dem Irrglauben verfallen sind, Sie schadeten damit
der Wirtschaft, Herr Buschmann und Herr Harbarth.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mit gemischten Teams
- auch Frau Winkelmeier-Becker hat das betont -, mit
Frauen in der Führung sind Unternehmen eindeutig erfolgreicher.
({6})
Ich bedauere, dass die Kommissarin Reding mit ihrem Vorstoß zur Einführung einer festen Quote bis jetzt
gescheitert ist. Mal sehen, was im November kommt. Es
gab Vorbehalte, auch von der deutschen Regierung. Vor
allem von der FDP wird bezweifelt, ob Europa so weitreichende Einflüsse auf das Wirtschaftsgeschehen haben
darf.
({7})
Ich frage Sie von der FDP: Darf es möglich sein, dass
die Gleichstellung vor den Toren der Betriebe haltmacht? Ich sage: Sicher nicht! Welchen Wert hätte sonst
Art. 3 des Grundgesetzes - das wurde vorhin schon von
Herrn Egloff zitiert -, in dem der Staat aufgefordert
wird, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen
durchzusetzen? Ich wünsche Frau Reding viel Kraft.
Hoffentlich bleibt sie bei der verbindlichen Quote und
verwässert ihren Gesetzentwurf nicht nach dem Konzept
wirkungsloser Schröder’scher Flexiquote. Dann sollte
sie es besser bleiben lassen.
({8})
Herr Harbarth, Sie haben völlig recht: Die feste Quote
alleine wird in Deutschland keine Gleichstellung garantieren. Sie wird ein Baustein sein müssen, ein Baustein
in einem umfassenden gleichstellungspolitischen Konzept. Sie wäre allerdings - das wäre sie mit Sicherheit ein Signal dafür, wie ernst es uns mit der Gleichstellung
von Frauen und Männern ist.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion hat ein umfassendes gleichstellungspolitisches Konzept.
({9})
Wir wollen eine 40-Prozent-Quote für Aufsichtsräte und
Vorstände; der entsprechende Gesetzentwurf liegt dem
Bundestag zurzeit zur Beratung vor. Frau Möhring, darüber werden wir sicherlich noch diskutieren. Wir wollen gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit. Wir wollen
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dafür
wollen wir das Elterngeld weiterentwickeln und die
Ganztagsbetreuung ausbauen, aber sicherlich kein Betreuungsgeld. Wir wollen das Ehegattensplittung reformieren und Minijobs in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse umwandeln. Sie sehen: Die
SPD hat mehr in ihrem Konzept als nur die Quote. Es
geht um ein konsequentes gleichstellungspolitisches
Konzept und nicht, wie Sie behaupten, nur um die Quote
und um sonst nichts.
({10})
Ich sage Ihnen auch: Bedauerlicherweise ist die Regierung - mit einer Frau als Bundeskanzlerin, mit einer
Frau als Arbeitsministerin und mit einer vermeintlichen
Frauenministerin - von solch einem Konzept meiner Ansicht nach meilenweit entfernt - und mit Herrn Kauder
auch.
({11})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nächstes Jahr finden viele Aufsichtsratswahlen statt. Lassen Sie uns im
Parlament ein Zeichen setzen und gemeinsam eine gesetzliche Quotenregelung auf den Weg bringen! Dafür
gibt es ab heute eine reale Chance. Das ist ein Angebot
an Sie, Herr Kauder, dem auch Sie zustimmen können.
Wer die verbindliche gesetzliche Quote nicht vernünftig
regeln will, der nimmt die Frauen nicht ernst. Gleichstellungspolitisch wird man so auch in anderen Bereichen
scheitern.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
haben in den letzten Monaten hier im Plenum schon sehr
häufig über die Frage diskutiert, wie wir den Anteil
weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der
deutschen Wirtschaft steigern können. Wir sind uns einig: Dieser Anteil ist noch viel zu gering und passt nicht
zum Ausbildungsstand der Frauen, da der Anteil der
Hochschulabsolventinnen über dem Anteil männlicher
Akademiker liegt. Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, und zwar nicht nur in Vorständen und
Aufsichtsräten, sondern überall dort, wo Entscheidungen
gefällt werden.
Allerdings halten wir Liberale - da sage ich Ihnen
nichts Neues - eine Zwangsquote für den denkbar
schlechtesten Weg. Der Staat hat sich aus unternehmerischen Entscheidungen herauszuhalten. Wie wir gerade
am Beispiel der EU-Kommission erleben durften, stehen
wir damit keineswegs alleine da. Ich bin nicht überrascht, dass Frau Reding am Dienstagabend mit ihrer
EU-Quoten-Forderung für Aufsichtsräte gescheitert ist.
Es ist bezeichnend, dass es ausgerechnet drei Kommissarinnen waren, die das Projekt Zwangsquote verhindert
haben.
Aus der Kommission ist zu hören, dass der Begriff
„Quote“ im neuen Vorschlag von Frau Reding gar nicht
mehr auftauchen darf. Das finde ich sehr interessant. Es
geht laut einem FAZ-Bericht eher darum, Unternehmen
zu bewegen, den geringen Frauenanteil in Führungspositionen auszubauen, und zwar durch ein - ich zitiere „faires, transparentes Verfahren“. Das entspricht genau
dem, was wir als FDP-Fraktion seit langem fordern.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, aus diesem Grund wird die FDPFraktion Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass ich
Ihrem Gesetzentwurf, was die relativ langen Übergangsfristen betrifft, durchaus etwas Positives abgewinnen
kann. Dazu, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf mehr
als einer Seite das Grundgesetz auslegen, muss ich Ihnen
allerdings sagen: Hier habe ich eine ganz andere Auffassung. Da können Sie, Frau Künast - sie hört leider nicht
zu -, wie beim letzten Mal auch heute gerne wieder mit
dem Grundgesetz wedeln und Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz
vortragen.
({1})
Für mich zählt die unmissverständliche Aussage in
Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, in dem es heißt:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,
({2})
seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Wenn das Thema Quote für Aufsichtsräte wieder einmal auf der Tagesordnung steht, wird automatisch das
Beispiel Norwegen als vorbildlich herausgestellt. Das
war auch heute schon der Fall. Aber auch in Norwegen
hat die Quote nicht das bewirkt, was sie sollte, nämlich
dass die Zahl der Frauen in Aufsichtsräten insgesamt
steigt.
({3})
In Wirklichkeit ist es doch so, dass eine Elite von rund
70 Topmanagerinnen 300 Aufsichtsratsmandate auf sich
vereint.
Warum Sie im Bundestag nicht schon zu rot-grünen
Zeiten eine Quote gefordert haben, sondern ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sich etwas bewegt, einen
Gesetzentwurf dazu vorlegen, erschließt sich mir nicht.
Laut einer neuen Untersuchung wurden rund 40 Prozent
aller neu zu besetzenden Führungspositionen im vergangenen Jahr an Frauen vergeben. Das ist immer noch
nicht der große Wurf - das gestehe ich ein -, aber es ist
ein klarer Trend. Wir brauchen keine gesetzlichen Quotenregelungen. Das sage nicht nur ich, sondern das ist
die Meinung der meisten Menschen, auch der überwiegenden Zahl der Frauen.
Wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Diese lässt
sich nicht per Gesetz verordnen. Ich bin sicher, dass wir
hier auf einem guten Weg sind.
({4})
Die FDP-Fraktion hat im vergangenen Jahr ein Positionspapier für mehr Frauen in Führungspositionen
vorgelegt, und zwar unter dem Motto „Rahmenbedingungen für mehr Teilhabe verbessern“. Einige Stichworte hieraus sind:
Erstens. Grundlagen für mehr Frauen in Führungspositionen schaffen. Dazu gehört der Führungskräftenachwuchs. Hier müssen unbedingt die Bedingungen
verbessert werden. Nicht die oberste Hürde ist die
schwerste, sondern die darunter: Auf der zweiten Ebene
müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert
werden.
({5})
Zweitens. Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Das ist
erklärtermaßen ein häufig genannter Wunsch von Müttern und Vätern, auch von solchen in Führungspositionen.
Drittens. Verbindliche Berichtspflichten und transparente Selbstverpflichtungen. Das sind sozusagen Quoten,
die sich die Unternehmen selbst geben. Wenn das auf
freiwilliger Basis geschieht, sind auch wir Liberalen für
eine Quote.
({6})
Meine Damen und Herren, beim Thema gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien konzentrieren wir uns meiner Meinung nach viel
zu sehr auf die börsennotierten DAX-Unternehmen. In
den mittelständischen Unternehmen sind Frauen sowohl
als Unternehmerinnen als auch in leitender Position
längst keine Exoten mehr. Weit über 20 Prozent beträgt
der Anteil von Chefinnen und leitenden Mitarbeiterinnen.
Warum funktioniert das im Mittelstand viel besser?
Diese Frage sollten wir uns häufiger stellen.
({7})
Wenn es nach den Erfahrungen von Personalberatern
geht, stehen die Zeichen gut, dass auch große Unternehmen nachziehen. Bei allen Führungspositionen, für die
Bewerber gesucht werden, heißt es: Es sind explizit
Kandidatinnen erwünscht.
Ich gebe zu: Dieser Wandel ist zum Teil vermutlich
auf die öffentliche Debatte über eine staatliche Frauenquote zurückzuführen. Das ist auch gut so. Dann hätte
dieser unerträgliche Streit aus meiner Sicht wenigstens
etwas Gutes bewirkt.
({8})
Ich möchte zum Schluss noch auf eines hinweisen,
das mir in jeder Quotendiskussion extrem missfällt. Gesetzlich verordnete Quoten sind auf Ergebnisgleichheit
ausgerichtete Vorgaben, also nichts anderes als Planwirtschaft.
({9})
Dieser unsägliche Kollektivismus steht in krassem Widerspruch zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
({10})
Die FDP-Fraktion bleibt dabei: Wir wollen keine
Quote für die Aufsichtsräte.
({11})
Wir sind sicher, dass wir es auch ohne eine Quote hinbekommen und dass die Zeiten, in denen dezentes Grau
das Bild der Aufsichtsräte und Vorstände prägt, auch
ohne eine Zwangsquote ein Ende haben.
({12})
Danke.
({13})
Das Wort hat nun Yvonne Ploetz für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, in der Debatte wurde eines klar: Wir sind uns alle
einig, dass Frauen ein strukturelles Karriere-Handicap
haben und dass wir dringend etwas dagegen tun müssen.
Umso unerträglicher ist es für mich, dass es bei diesem Gezerre um die Frauenquote immer noch kein Ende
gibt. Umso unerträglicher ist für mich auch, dass die
Quote auf EU-Ebene diese Woche wieder ausgebremst
wurde.
({0})
Deutschland hat sich nur zu einer sehr mutigen Enthaltung durchgerungen, und das, obwohl wir gerade jetzt
ein sehr couragiertes Signal in Richtung Quote dringend
gebraucht hätten.
2013 ist das Superwahljahr der Aufsichtsräte. Viele
Posten werden neu besetzt. Ich frage mich ernsthaft:
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen,
männliche Machtzirkel zu knacken?
({1})
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, die
Türen für Frauen in Spitzenjobs zu öffnen? Wann, wenn
nicht jetzt, wollen Sie mit sozialer Gerechtigkeit und
Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt beginnen?
({2})
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie Frauen die Möglichkeit eröffnen, andere Frauen nachzuziehen und zu fördern? Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie damit beginnen, in den Unternehmen die Weichen in Richtung
Gleichberechtigung zu stellen?
Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dazu. Um all
das geht es, wenn wir über die Quote reden. Es geht aber
nicht etwa darum, dass das eventuell der Wirtschaft
dient.
Dennoch möchte ich heute einen Satz dazu verlieren.
Seit der letzten Woche wissen wir, dass die Quote unter
anderem auch volkswirtschaftliche Vorteile mit sich
bringt. 100 Milliarden Euro mehr in der Staatskasse ist
schon etwas, über das man reden sollte. Ich finde, dass
man auch darüber nachdenken sollte, die Krise als frauenpolitische Chance zu nutzen.
Das ist dank der schwarz-gelben Blockade reine Zukunftsmusik. Ich beschäftige mich gerade mit etwas
ganz anderem, nämlich mit den vorläufigen Ergebnissen
des 4. Armuts- und Reichtumsberichts. Diese belegen
nämlich, dass die ungleichen Chancen von Frauen und
Männern auf dem Arbeitsmarkt mit dafür verantwortlich
sind, dass auf der einen Seite privater Reichtum rasant
zunimmt und auf der anderen Seite das öffentliche Vermögen rasant abnimmt.
Ein Forschungsprojekt der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, bestätigte, dass die Entgeltungleichheit und der hohe Anteil von Frauen in Minijobs mit verantwortlich dafür sind, dass die Schere zwischen Arm
und Reich in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Sie befeuern das aktuell auch noch, indem Sie die
Minijobs ausweiten, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste aufseiten der Frauen, die bewiesenermaßen heute
Armutslöhne und morgen Armutsrenten beziehen. Ich
denke, beides ist völlig unerträglich.
({3})
Ich muss Ihnen von der Union recht geben, wenn Sie
sagen, dass die Forderung nach mehr Frauen in Aufsichtsräten nicht weit genug geht. Das sehe ich genauso.
Darüber sollten Sie aber auch einmal mit Ihrer Frauenministerin reden, die seit Beginn ihrer Amtszeit als frauenpolitische Mottenkugel unterwegs ist und alles zur
Seite schiebt, was mit Frauenpolitik zu tun hat.
({4})
Unterm Strich bleibt stehen: Die Armutsfalle Minijobs, Niedriglöhne und Lohnunterschiede zwischen
Mann und Frau müssen zurückgedrängt werden. Altbackene Unternehmenskulturen müssen verändert werden.
Wir brauchen ein Entgeltgleichheits- und ein Wahlarbeitszeitengesetz. Wir brauchen eine Mindestquotierung
von 50 Prozent für Aufsichtsrats- und auch für Vorstandsposten; das sehe ich als vordringlich an. Wir brauchen aber auch eine Individualbesteuerung anstatt eines
Ehegattensplittings. Wir brauchen Kitaplätze statt Betreuungsgeld.
Außerdem brauchen wir endlich eine Aufwertung der
sogenannten Care-Tätigkeiten, also der Sorgearbeit.
({5})
Pflege und Erziehung bleiben seit jeher sehr versteckt in
familiären Kreisen und werden von Frauen - meistens
unentgeltlich - erledigt. Wenn diese Tätigkeit dann doch
beruflich ausgeübt wird, zum Beispiel als Krankenschwester, als Hebamme, als Sozialarbeiterin oder als
Altenpflegerin, dann leben diese Frauen oftmals existenziell am Rande der Gesellschaft.
Ich verlange heute nicht mehr und nicht weniger, als
dass wir gemeinsam eine Care-Revolution vorantreiben.
Die Arbeit am Menschen darf niemals weniger wert sein
als die Arbeit beispielsweise mit Geld.
Anstatt sich den zahlreichen Aufgaben zu stellen, fuhr
Frau Schröder zum Beispiel in der letzten Woche zur
Konferenz „Männerpolitik“.
({6})
Ich finde, es war sehr peinlich, dass ihr dort vom österreichischen Arbeitsminister Hundstorfer gesagt wurde,
dass er sehr wohl eine feste Quote bevorzuge. Ich zitiere
ihn: Dies sei ein Anstoß zur Veränderung. Damit erntete
er begeisterten Applaus. Das ist ein wichtiges Signal, das
wir brauchen.
({7})
Die selbstverpflichtende Flexiquote hat bis heute keinen Beifall bekommen. Ich glaube, das ist ein ebenso
wichtiges Signal.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer! Nur um das klarzustellen: Wir debattieren heute den Gesetzentwurf des Bundesrates, der am
21. September mit den Stimmen der Grünen, der SPD,
der Linken und der CDU angenommen wurde und somit
die Mehrheit im Bundesrat gefunden hat.
({0})
Liebe Kollegin Möhring, natürlich geht uns das nicht
weit genug. In unserem Gesetzentwurf fordern wir eine
Quote von 40 Prozent. Wir werden auch sehr wohlwollend Ihre Änderungsvorschläge unterstützen. Wir werden auch den Gesetzentwurf der SPD unterstützen. Wir
wollen viel mehr.
Aber wir dürfen in diesem Haus doch nicht zulassen,
dass das Signal, das uns der Bundesrat hierher entsandt
hat, sang- und klanglos untergeht.
({1})
Wenn wir uns auf diese Regierung verlassen hätten, dann
wären wir doch in dieser Frage verlassen. Das zeigen
uns die Reden, die hier gehalten werden.
({2})
Weil wir uns auf diese Spielchen nicht einlassen wollen,
bringen wir jetzt den heute vorliegenden Gesetzentwurf
ein.
Im Bundesrat haben mutige CDU-Ministerpräsidenten - Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Haseloff - gesagt: Unsere Überzeugung, unser politisches Mandat ist
uns wichtiger als jede Parteiräson. Das müssen wir anerkennen; denn hier geht es um die Sache.
({3})
Ich weiß sehr genau, dass wir in den Reihen des Bundestages eine politische Mehrheit hätten. Mindestens
40 Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen würden hier sofort mit Ja stimmen, wenn sie es denn
dürften. Geben Sie endlich an dieser Stelle den Zwang
auf! Geben Sie die Abstimmung zu diesem Punkt frei!
({4})
Ich sage meinen Kolleginnen auch: Ja, ich höre zwar
Ihre Reden, ich höre Ihren Ruf. Aber es liegt auch in der
Verantwortung jedes Mandatsträgers, frei nach seinem
Gewissen zu entscheiden. Dazu sind wir gezwungen.
Wenn Sie von unserem Vorhaben überzeugt sind, dann
stimmen Sie einfach mit Ja. Das ist relativ einfach. Ich
kann es Ihnen gerne vormachen.
Liebe Kolleginnen von der Koalition, Sie haben in
dieser Woche eine Anhörung gehabt. Sie haben vier
Leute eingeladen. Drei haben Ihnen eindrücklich gezeigt, Sie müssen an dieser Stelle für eine feste Quote
stimmen. Wir haben Expertisen ohne Ende. Wir haben
Zahlen, wir haben Argumente. Selbst das Auswärtige
Amt gibt inzwischen interne Papiere heraus und sagt:
Wenn wir nicht mehr Frauen in die Führungsetagen bekommen, wird dies in Deutschland zu einem Wettbewerbsnachteil führen. Wir werden die Aufträge verlieren.
({5})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch zumindest Ihrem eigenen Haus. Die sagen es doch.
({6})
Schon im Jahre 2001 haben wir über eine Selbstverpflichtung gesprochen. Es waren meine Fraktion und die
Fraktion der SPD, die damals die Selbstverpflichtung in
diesem Land durchgesetzt haben. Es hat uns nichts gebracht. Wir haben dazugelernt. Warum sind nicht auch
Sie in der Lage, dazuzulernen?
({7})
Es geht nicht um einen Selbstzweck. Es geht darum,
dass wir die bestqualifizierte Frauengeneration aller Zeiten haben, dass Frauen nicht mehr stille Teilhaber in der
Gesellschaft sein wollen, wenn es um Verantwortung in
diesem Land geht.
({8})
Es geht darum, dass nur 16 Prozent - ich möchte diese
Zahl betonen - der Aufsichtsratsmandate nach Qualifikation besetzt werden. Alle anderen werden nach Netzwerken besetzt. In diesen Netzwerken heißt es für
Frauen: Ihr müsst von draußen zugucken. - Das lassen
wir uns nicht mehr gefallen.
({9})
Es geht auch darum, dieses Land moderner zu machen.
Die französischen Ministerinnen und Minister haben
einen Brief geschrieben. Sie haben gesagt: Wir brauchen
die Quote; denn wenn wir es bei der derzeitigen Geschwindigkeit belassen, dann ist der Fortschritt langsamer als eine Schnecke. Ich wünschte mir an dieser Stelle
in diesem Land etwas mehr französischen Mut - von
dieser Regierung, von diesem Parlament. Lassen Sie uns
mutig sein. Modernisierung lässt sich nicht aufhalten.
Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Fortschritt geht nur
mit Frauen.
({10})
Das Wort hat nun Carsten Linnemann für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gebe
zu: Ich rede zum ersten Mal in diesem Hause zu diesem
Thema. Es ist sehr viel Emotionalität und Schärfe im
Spiel. Das wundert mich, weil wir alle das gleiche Ziel
haben: Mehr Frauen in Führungspositionen.
({0})
Es gibt unterschiedliche Wege. Diese Debatte führen
wir auch in unserer Fraktion. Ich persönlich bin gegen
eine starre Quote. Es gibt Kollegen, die dafür sind. Es
gibt diese Debatte.
({1})
- Herr Oppermann, der Unterschied zwischen Ihnen und
uns ist, dass Sie diesen Gesetzentwurf einbringen.
({2})
Sie halten Vorträge, sind im Lande unterwegs und reden
über die Frauenquote. Ihre Fraktion hat zwar den Gesetzentwurf eingebracht. Ihr Fraktionsvorsitzender aber
ist noch nicht einmal hier im Parlament, wenn darüber
entschieden wird. Unser Fraktionsvorsitzender, Volker
Kauder, sitzt hier. Sie sehen, wie ernst wir dieses Thema
nehmen und wie ernst Sie es nehmen.
({3})
- Herr Oppermann, wir verstehen uns doch beim Fußball
gut, dann verstehen wir uns auch hier.
({4})
Zunächst einmal zu den Argumenten. Wir müssen
über die Ursachen sprechen, übrigens auch über die
Wirklichkeit. Wenn man sich das hier anhört, muss man
den Eindruck gewinnen, dass wir in Deutschland flächendeckend ein Problem haben. Diesen Eindruck muss
man gewinnen, wenn man Sie hört.
({5})
- Nein. - Sie erwecken den Eindruck, dass das, was in
Dax-Unternehmen abgeht, die Lebenswirklichkeit in
diesem Land ist, und das ist falsch.
({6})
Sie reden - das muss man sich einmal vorstellen über 1 800 Unternehmen. Wir haben in Deutschland
3,6 Millionen Unternehmen. Das heißt, Sie reden über
0,05 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Aber Sie
reden überhaupt nicht über die 99 Prozent Mittelstand in
Deutschland.
({7})
Kümmern Sie sich doch auch einmal um den Mittelstand, nicht nur um die großen Unternehmen!
({8})
Im Mittelstand ist nämlich die Zahl der Frauen in Führungspositionen signifikant höher als in den Großunternehmen. Im Durchschnitt liegt die Quote bei 30, teilweise sogar 35 Prozent.
Die zweite Wirklichkeit: Ich höre von Ihnen nichts
zur Demografie, die erst jetzt voll durchschlägt. Die
Menschen der Babyboomergeneration - das sind die
Leute, die zwischen 1950 und 1965 geboren wurden; das
waren 1,3 Millionen in der Spitze; heute ist es nur noch
die Hälfte - gehen ab 2015 in Rente. Das heißt, der Effekt kommt ab 2015 bis 2030 mit voller Wucht.
({9})
Die BA hat ausgerechnet, dass das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2025 um 6,5 Millionen sinken
wird. Das heißt, wir brauchen die Frauen; das ist Realität.
({10})
- Das ist keine Prognose, das ist Demografie. Sie können
nichts daran ändern.
Ich möchte Sie gerne einmal in fünf oder zehn Jahren
hier erleben, wenn Sie über die Frauenquote reden. Erinnern Sie sich noch? Sie haben im Jahr 2004 hier gesessen und wollten auch eine Quote einführen - Sie haben
dies sogar beschlossen -, nämlich eine Ausbildungsquote. Das hieß damals Ausbildungsplatzabgabe. Demnach müssten die Unternehmen im Rahmen einer Quote
beachten, wie viele Auszubildende sie einstellen. Wenn
sie diese nicht beachten, gibt es eine Sanktion. Davon
sprechen Sie heute nicht mehr, weil heute das Gegenteil
richtig ist. Heute werden nämlich händeringend Leute
gesucht.
({11})
Herr Oppermann, Sie haben das damals verabschiedet. Herr Clement ist seinerzeit hinausgerannt und hat es
nicht mit verabschiedet. Gott sei Dank hat es dann der
Bundesrat kassiert. Das ist die Lebenswirklichkeit in
Deutschland.
({12})
- Nein.
({13})
Sie selbst haben doch damals den Ausbildungspakt
auf den Weg gebracht, den wir konstruktiv begleitet haben. Das war ein freiwilliger und erfolgreicher Ansatz.
Deswegen ist der Weg, den Frau Schröder geht, richtig.
({14})
Sie wollen - das müssen Sie sich einmal vorstellen eine Behörde mit 20 Planstellen besetzen. Sie wollen
Bürokatie, Sie wollen Sanktionen usw. Aber damit kommen Sie nicht weiter. Mit staatlichem Dirigismus hat in
diesem Land noch nie etwas funktioniert.
({15})
Selbst bei der EU-Kommission ist das angekommen.
Sie hat sich die Argumente angehört. Die Quote wurde
abgelehnt - meinetwegen: verschoben -, weil die Realität auch bei der Kommission angekommen ist.
Ich nenne Ihnen nur einmal zwei, drei Zahlen, was
sich in Deutschland bereits geändert hat: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 40 Prozent der neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten in Dax-Unternehmen an
Frauen gegangen. Da gibt es einen Geisteswandel. 2011
haben fast alle 30 Dax-Unternehmen freiwillige Zielquoten vereinbart, einige sogar höher als die von Ihnen anvisierte Quote: Telekom 30 Prozent, Allianz 30 Prozent,
Adidas 35 Prozent, Commerzbank 30 Prozent, schon ab
2015.
({16})
Natürlich gibt es auch Unternehmen, die gar keine
Frauen in Führungspositionen haben; das gebe ich zu. Es
gibt die einen, die sagen, das liege daran, dass es verkrustete männliche Strukturen gibt. Ja, die muss man
aufbrechen. Es gibt die anderen, die sagen: Die Frauen
sind die Menschen, die die Kinder bekommen. Auch das
ist richtig. Daran will ich nichts ändern; das ist Biologie.
Insofern müssen wir etwas an den Rahmenbedingungen
ändern; da sind wir doch einer Meinung.
Flexibilität ist richtig. Warum brauchen wir beispielsweise in Großunternehmen oder sonst wo nach 17 Uhr
noch Besprechungen? Warum kann man das nicht eher
machen?
({17})
- Den Frauenversteher bekommen Sie jetzt zum Schluss.
({18})
- Ich meine das ernst, das ist mir in der Sache wichtig.
({19})
Ich bin der festen Überzeugung, dass Frauen - übrigens nicht nur demografisch betrachtet - Eigenschaften
besitzen, die wir Männer gar nicht haben.
({20})
Gehen Sie einmal in eine Sitzung, in der nur Männer
sind. Das ist eine Katastrophe, weil jeder nur auf sich fixiert ist. Die Frau hat eher den Teamgedanken. Das gilt
auch beim Kundenkontakt.
({21})
- Frau Künast, mit einer starren Quote schaffen Sie das
nicht; da bin ich mir sicher. Ich möchte gerne sehen, wie
Sie in fünf oder zehn Jahren über starre Quoten sprechen.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Carsten Linnemann - ({0})
- Ja, ich habe ihn schon gesehen. Wir spielen ja auch zusammen Fußball.
({1})
Lieber Carsten Linnemann, das war jetzt wirklich
eine tolle kabarettistische Leistung, die wir sicherlich
heute Abend in der heute-show sehen können.
Zur Frage, wo unser Fraktionsvorsitzender sei: Darüber können wir hier natürlich ausführlich diskutieren.
Wir können hier aber auch darüber diskutieren, wie oft
denn Ihre Ministerinnen bei ganz wichtigen Themen gefehlt haben, unter anderem bei einer Diskussion zum gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben mehrfach versucht,
die Ministerin herbeizuzitieren. Sie war jedoch nicht da.
Insofern können wir diese Diskussion gerne miteinander
führen.
({2})
Wir führen heute sowieso eine recht seltsame Diskussion.
Herr Kollege Rebmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken? - Ja oder Nein?
({0})
Ja, mache ich.
Verehrter Herr Kollege Rebmann, können Sie mir erklären, warum bei dieser wichtigen frauenpolitischen
Debatte - es geht immerhin um Frauen in Führungsgremien - nur sechs Kolleginnen der SPD anwesend sind das sind etwa 12 Prozent aller Frauen in der SPD-Fraktion -, während weit über 25 Prozent der Frauen der
CDU/CSU-Fraktion anwesend sind?
({0})
Das hebt sich insofern positiv ab, als es zeigt, dass man
daran interessiert ist, einen Dialog zu führen, und dass
man um ein vernünftiges Ergebnis besorgt ist.
Lieber Herr Kollege, gehen Sie einmal davon aus,
dass unsere Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion ihre Arbeit in diesem Deutschen Bundestag so verrichten, wie es sich gehört, und dass sie derzeit ihrer Tätigkeit nachgehen. Sie allerdings haben dafür Sorge zu
tragen, dass genügend Mitglieder Ihrer Fraktion anwesend sind, um den Gesetzentwurf, über den wir gleich
abstimmen werden, ablehnen zu können. In Ihren eigenen Reihen sind nämlich genügend Fürsprecherinnen
und Fürsprecher für unseren Gesetzentwurf.
({0})
Um eine Abstimmungsniederlage zu verhindern, ist Ihre
Fraktion hier so zahlreich vertreten.
({1})
- Ach, Herr Kauder, jetzt lassen Sie es doch gut sein.
({2})
- Genau. Dann dreht es sich noch um Qualität.
Noch einmal: Wir führen heute doch wirklich eine
seltsame Debatte. Praktisch jeder hier in diesem Haus
hat erklärt: Wir brauchen mehr Frauen in Führungsgremien, wir müssen etwas tun. - Das war auch in den letzten Debatten immer so. Wenn wir uns die Debatten der
letzten Jahre noch einmal vor Augen führen, dann stellen
wir fest: Immer wieder bestand quer durch dieses Haus
Übereinstimmung darüber, dass man etwas tun müsse.
Ich frage mich dann schon allen Ernstes: Wenn in diesem Hause ein derart breiter Konsens besteht, warum ist
dann noch nichts geschehen? Sind das alles nur Lippenbekenntnisse? Warum sind wir noch nicht vom Reden
zum Handeln gekommen?
({3})
Wir hätten diese Debatte schon längst abschließen und
ein entsprechendes Gesetz vorlegen können.
Ich weiß, jetzt kommen - das haben wir schon gehört - die üblichen Einwände aus den Reihen der Koalition. Es heißt, dieser Antrag, der auf die Initiative Hamburgs zurückgeht und - auch das ist schon gesagt
worden - von der CDU im Saarland, in Berlin, in Sachsen-Anhalt und, wie wir gerade eben erfahren haben, offensichtlich auch von der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg mitgetragen wird
({4})
- das ist aber gesagt worden - und der offensichtlich
auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe von Fürsprecherinnen und Fürsprechern findet, sei nicht umsetzbar, er
sei ein bürokratisches Monster und überdies nicht zielführend. Außerdem sei das alles im Grunde eine Gängelung der Wirtschaft, es sei staatliche Bevormundung,
und überhaupt sei eine freiwillige Lösung die bessere
Alternative. Idealerweise wird diese freiwillige Lösung
mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Wirtschaft
und einer unverbindlichen Sanktionierung kombiniert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit ist doch: Mit solchen
Ideen täuscht man Aktivitäten vor, ohne wirklich etwas
tun zu müssen.
({5})
Diese Regierung rührt keinen Finger, wenn es um
Gleichstellungsthemen geht.
Sie wissen ganz genau, dass 70 Prozent der Menschen
im Niedriglohnsektor in Deutschland Frauen sind, und
dennoch bleibt diese Regierung bei ihrem Nein zum flächendeckenden Mindestlohn. Sie wissen ganz genau,
dass Frauen bei gleicher Arbeit 23 Prozent weniger bekommen als Männer, in Führungspositionen sogar
30 Prozent weniger als Männer; aber auch da kommt
nichts aus Ihren Reihen. Nein, Sie setzen mit Ihrem Betreuungsgeld sogar noch einen drauf. Sie ignorieren dabei alle, die Ihnen sagen: Das Betreuungsgeld ist gegen
Frauen gerichtet, beschäftigungsfeindlich, falsch und für
die deutsche Wirtschaft alles andere als sinnvoll.
Meine Damen und Herren, in Vorstandsetagen haben
wir ein Verhältnis von 3 Frauen zu 97 Männern. Unter
10 Aufsichtsräten befindet sich nur eine einzige Frau.
({6})
Ein Drittel der 160 DAX-Unternehmen hat keine Frau
im Führungsgremium. Wenn es stimmt, dass Frauen
- bedauerlicherweise im Gegensatz zu uns Männern mit beiden Hirnhälften denken können und damit die Fähigkeit besitzen, Wissen und emotionale Intelligenz zu
kombinieren,
({7})
dann bedeutet das: Ein Drittel der Dax-Unternehmen
verzichtet auf zusätzliche Fähigkeiten und zusätzliches
Wissen. Das bedeutet auch: In diesen Dax-Unternehmen
wird faktisch zu 100 Prozent mit nur einer Gehirnhälfte
Geschäftspolitik betrieben.
({8})
Und trotzdem kommt von der rechten Seite des Hauses
der Hinweis: Die Wirtschaft hat andere Probleme; das
regelt die Wirtschaft schon selbst; das machen die auf
freiwilliger Basis.
Unser Grundgesetz ist da schon wesentlich weiter. Es
wurde heute schon mehrfach auf Art. 3 GG hingewiesen.
Ich sage: Wir sind von seiner tatsächlichen Durchsetzung, von der Beseitigung bestehender Nachteile weiter
entfernt, als wir denken und es uns lieb sein kann. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie schon nicht auf die
Opposition und auch nicht auf die Frauen in Ihren eigenen Reihen hören, dann nehmen Sie zumindest das
Grundgesetz zur Hand und schauen einmal hinein.
Die Begründung, Sie seien gegen staatliche Zwänge
und deshalb auch gegen eine Quotenregelung, nehme ich
Ihnen nicht ab. Ihnen liegen dieselben Daten und Fakten
vor wie auch uns.
({9})
Wir haben doch die bestqualifizierten Frauen aller Zeiten. Sie wissen doch, dass Frauen im Durchschnitt die
besseren Abschlüsse machen. Frauen sind in vielen Bereichen meist besser qualifiziert als Männer. Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, und trotzdem
sind sie in den Führungsetagen kaum aufzufinden. Das
kann nicht daran liegen, dass die Frauen nicht wollen;
vielmehr lasst ihr sie einfach nicht. Deshalb brauchen
wir jetzt endlich eine gesetzliche Lösung.
({10})
Wer eine gesetzliche Lösung ablehnt, kann das nur aus
einem Grund tun: Er hat gar kein Interesse daran, dieses
Problem tatsächlich anzugehen. Sie verteilen Beruhigungspillen und wollen keine wirkliche Verbesserung für
Frauen. Allen Kollegen hier im Haus, die wirklich für
Verbesserungen stehen, sage ich: Gleichstellungspolitik
ist nicht nur Sache der Frauen. Das geht uns Männer genauso an. Deshalb gilt es, heute hier in diesem Hause
Farbe zu bekennen.
Ich hätte gerne gesehen, dass sich mehr Männer aus
den Reihen der Koalition wie Herr Klimke für eine gesetzliche Quote ausgesprochen hätten und sich mehr
Frauen so mutig zu Wort gemeldet hätten wie Frau
Pawelski oder wie Frau Winkelmeier-Becker eben gerade; sie hat es schon im Dezember und im März bei der
Debatte hier in diesem Haus getan. Meinen hohen Respekt, Frau Winkelmeier-Becker, vor Ihrer Position und
vor Ihrem Mut, sich hierhinzustellen und gegen Ihre eigene Fraktion zu reden.
({11})
Vielleicht haben die Männer in der Koalition aber auch
nur Angst davor, dass Frauen wie Sie den Männern irgendwelche Posten streitig machen oder etwas wegnehmen.
({12})
So oder so: Blockieren und Ausweichen als Aktivitäten
zu verstehen, ändert nichts an - ({13})
- Wie bitte? Sie reden hier von „geistiger Tiefflieger“?
Oder habe ich das jetzt gerade falsch verstanden, Herr
Kauder?
({14})
- Ich diskreditiere mich selber? Ich diskreditiere mich
nicht selber, Herr Kauder. Ich sage Ihnen: Sie diskreditieren sich selber mit Ihren Äußerungen, mit Ihrer Verweigerungshaltung. Ich rate Ihnen: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.
Natürlich müssen wir noch vieles machen; wir haben
auch noch eine andere Vorlage. Ich sage Ihnen: Wenn
Sie nicht zustimmen, wenn Sie den Frauen weiterhin die
kalte Schulter zeigen, dann gehören Sie abgewählt.
({15})
Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür.
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({16})
Noch einen Satz. Herr Kauder - ({17})
Sie müssen Schluss machen, Herr Kollege.
Gut.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kauder.
({0})
Ich wollte nur darauf hinweisen: Wenn man hier mit
einem solchen Anspruch antritt, wie Sie ihn gerade formuliert haben, dann muss man sich auch an der Realität
messen lassen, die Grüne und SPD in Baden-Württemberg geschaffen haben.
({0})
Dort sind gerade einmal 4 von 27 neu geschaffenen B-3Stellen - nicht alte, sondern neu geschaffene - an Frauen
gegangen.
({1})
27 neu geschaffene B-3-Stellen, 4 Frauen! Ich sage Ihnen: Nehmen Sie den Mund nicht so voll.
({2})
Kollege Rebmann, wollen Sie darauf erwidern? Nein.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11139 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die
Federführung beim Rechtsausschuss liegen soll. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 45 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes ({0})
- Drucksache 17/11138 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({1})RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke noch ein bisschen darüber nach, wer von
den drei Troikanern bei der SPD für die Frauenförderung
zuständig war.
({0})
Aber das war Thema der letzten Debatte.
Wir beschäftigen uns mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Es gilt, ein auf den Finanzmärkten verloren
gegangenes wichtiges und knappes Gut zurückzugewinnen: das Gut Vertrauen. Gerade das Kreditwesen ist von
Vertrauensbeziehungen geprägt. Die Wortbedeutung
macht dies deutlich.
({1})
Ich will meine Rede dazu nutzen, um deutlich zu machen, dass die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, aber insbesondere auch der Finanzminister, Wolfgang Schäuble,
nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers
und den Festlegungen des Gipfels von Pittsburgh auf nationaler und internationaler Ebene dafür gesorgt haben,
dass sich der Finanzkapitalismus immer stärker am Leitbild der sozialen Marktwirtschaft orientiert. Das halte ich
angesichts der Größe der Herausforderung für eine respektable Bilanz.
Ich will auf einige Punkte hinweisen, die zur Einordnung des heute hier vorgelegten Gesetzentwurfes wichtig und notwendig sind. Es ist uns gelungen, mehr Verantwortung im Finanzwesen zu mobilisieren, indem wir
Schritt für Schritt dort, wo es geboten ist, mehr haftendes
Eigenkapital vorgesehen haben. Schon Walter Eucken
hat festgestellt: Nur wer haftet, handelt verantwortlich.
In diesem Eucken’schen Sinne bauen wir das Finanzsystem um.
Neben der abstrakten, auf Kapital basierenden Verantwortung wollen wir, dass denjenigen, die im Kreditwesen tätig sind, eine stärkere persönliche Verantwortung
zukommt. Beispielsweise haben wir erstmals durchgesetzt, dass in Europa Hedgefonds-Manager in den Markt
nicht einfach eintreten können, sondern dass sie dafür
eine Zulassung brauchen. Gegen den teilweise nachvollziehbaren Widerstand der deutschen Anlageberater
konnten wir in diesem Bereich unsere Forderung nach
höherer persönlicher Qualifikation durchsetzen.
Wir konzentrieren uns in unseren Aktivitäten nicht
nur auf die Anbieter von Finanzdienstleistungen; darüber hinaus haben wir durch den verstärkten Schutz der
Menschen, die in Deutschland bei einer Bank Geld anlegen, erhebliche Verbesserungen erreicht.
Hinzuweisen ist auch darauf, dass wir die Regulierung des Handels mit Finanzmarktprodukten erheblich
verbessert, intensiviert und in wesentlichen Bereichen
auch verschärft haben. Den Handel mit bestimmten Produkten, deren Sinnhaftigkeit keiner mehr zu begründen
wusste, haben wir - wie die Leerverkäufe - eingeschränkt und letztendlich verboten.
Wir haben in diesen Tagen eine Initiative gestartet,
um den sogenannten Hochfrequenzhandel stärker zu regulieren. Der graue Kapitalmarkt ist ebenfalls GegenParl. Staatssekretär Steffen Kampeter
stand unserer Regulierungsbemühungen. Wir wollen
weg vom regellosen Kapitalismus, und wir wollen für
die Finanzindustrie die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft durchsetzen. Das ist das Anliegen der christlich-liberalen Koalition.
({2})
Dazu gehört im Übrigen auch eine verbesserte Aufsicht.
National bekommt sie mehr Kompetenzen. International
ist sie stärker als zuvor verzahnt.
Aber all diese Aktivitäten können Unfälle nicht verhindern, wie auch gute Brandschutzvorschriften einen
Brand nicht immer verhindern werden. Wir brauchen daher auch so etwas wie Feuerwehrmaßnahmen. Zwei davon haben wir im nationalen Regelungsrahmen verankert: zum einen das sogenannte Restrukturierungsrecht
und zum anderen den Soffin, eine abgestufte, maßgeschneiderte Möglichkeit der Reaktion auf die Unbill von
Banken- und Finanzmarktkrisen. Der Entwurf des Dritten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, den wir heute
beraten, zielt auf eine Verlängerung dieser Maßnahmen
ab.
Auch wenn all die Schritte, die ich beschrieben habe,
richtig und zielführend waren, glaube ich, dass wir auf
die Finanzmarktfeuerwehr, den Soffin, noch nicht verzichten können. Diese Feuerwehr muss so lange in Betrieb bleiben, bis wir auch diese Dinge in Europa - wahrscheinlich mit Beginn des Jahres 2015 - gemeinsam
angehen werden. Insofern lautet unser Vorschlag, die
Dauer der Möglichkeit, beim Soffin Mittel zu beantragen, bis zum Ende des Jahres 2014 zu verlängern, um
auch vor dem Hintergrund der europäischen Einigungsbemühungen voranzuschreiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die stärkere Inanspruchnahme des Finanzmarktsektors. Unser Vorschlag
dazu lautet, dass wir die Finanzindustrie durch die Verzahnung der beiden parallel laufenden Bereiche - Banken, Restrukturierung - stärker in die Pflicht nehmen.
Die Finanzindustrie stärker in die Pflicht zu nehmen,
heißt auf der anderen Seite, den Steuerzahler stärker zu
entlasten und das Risiko bei den Eigentümern dieser Unternehmen und damit dort zu belassen, wo es eigentlich
hingehört. Denn der Eigentümer eines Finanzinstituts ist
der vorrangige Ansprechpartner, wenn sein Institut in
Schwierigkeiten ist und zusätzliches Kapital braucht. Eigentümerverantwortung ist Trumpf. Auch das ist ein
Markenzeichen in diesem Bereich.
({3})
In diesem Kontext ist auch unser dritter Vorschlag zu
sehen: ein klarer Vorrang des Restrukturierungsrechts.
Eine Bank, die kein Geschäftsmodell hat, soll durch eine
Maßnahme des Soffin nicht künstlich am Leben erhalten
werden; vielmehr soll es möglich sein, die Instrumente
des Restrukturierungsrechts, das ja europaweit vorbildlich ist und als Blaupause für weitere Bereiche in diesem
Kontext genommen wird, einzusetzen. Somit würde der
Vorrang der Restrukturierung im Grundsatz klargestellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bestreben
der Bundesregierung war es, in diesem Verbund einen
neuen Bauplan für die Finanzindustrie im Hinblick auf
soziale Marktwirtschaft vorzulegen, aber gleichzeitig
nicht zu ignorieren, dass man trotz guter präventiver
Vorschriften auch eine Finanzmarktfeuerwehr braucht,
die dann, wenn ein Unfall passiert, eingreifen kann. Von
diesen beiden Momenten, soziale Marktwirtschaft und
Finanzmarktfeuerwehr, ist dieser Gesetzentwurf getragen.
Die Bundesregierung bedankt sich bei den Koalitionsfraktionen, dass sie diese Initiative aufgegriffen haben. Wir glauben, dass Deutschland damit ein Stück weit
stabiler wird und dass die Menschen, die ihr Geld bei
Sparkassen, Volksbanken und anderen Finanzinstitutionen anlegen, auch ein Stück mehr Vertrauen in dieses
Kreditwesen haben können. Das ist das Kernanliegen
des Gesetzentwurfs.
({4})
Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese dritte Fortschreibung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist sicherlich nicht einzig und allein die
vertrauensbildende Maßnahme, auf die Kollege
Kampeter eben hingewiesen hat; denn zwingend notwendig wäre neben dieser Verlängerung - vor einem
Jahr waren Sie ja noch der Auffassung, Sie bräuchten
das nur noch für ein Jahr -, dass wir eine stärkere Regulierung auf den Finanzmärkten dahin gehend zustande
bringen, dass große Banken den Staat künftig nicht mehr
erpressen können, indem sie gefährliche Geschäfte machen, ihre Gewinne privatisieren und im Verlustfall den
Steuerzahler haften lassen. Das ist nicht akzeptabel.
({0})
Herr Kollege Kampeter, darauf gibt dieser Gesetzentwurf aber keine Antwort. Ihre Maßnahmen zur Abwicklung von Banken sind eine Fortsetzung oder ein Aufgreifen eines Gesetzentwurfs von Peer Steinbrück und
Brigitte Zypries, der Restrukturierungs- und Abwicklungsmöglichkeiten enthielt, die Sie nun in einen Gesetzentwurf gegossen haben. Das ist in Ordnung. Nicht
in Ordnung ist, dass dann, wenn eine Bank einmal abgewickelt werden sollte, was in einem Markt möglich sein
muss, dafür der Steuerzahler haftet, nicht aber der Bankensektor selbst.
({1})
An diesem Punkt bleiben Sie einfach deutlich zurück,
und dies auf zwei Ebenen: Die erste ist die europäische
Ebene, und die zweite ist die nationale Ebene. Zur nationalen Ebene kann man ganz klar sagen: Ihnen ist es nicht
gelungen, den Bankensektor in Deutschland neu zu
strukturieren.
({2})
Carsten Schneider ({3})
Herr Kampeter, nehmen wir einmal als Beispiel die Landesbanken. Sie selbst haben zu einem großen Gipfel eingeladen - ich glaube, das war im Jahre 2010 -, bei dem
es darum ging, wie denn der Landesbankensektor - der
grundsätzlich ein Problem ist - neu strukturiert werden
soll. Ergebnis: Fehlanzeige. Dies wird Ihnen auch von
der Europäischen Kommission bestätigt. Es ist in der Tat
richtig, dass es hier eine Lücke, gibt. Sie haben sich
nicht darum gekümmert.
({4})
Der zweite Fehler betrifft die ganz zentrale Frage, wer
hier eigentlich dafür zahlt. Sie korrigieren sich hier in
diesem Gesetzentwurf erstmals. Wenn eine Bank abgewickelt wird, soll die Verluste also der Bankenhaftungsfonds tragen. In diesen Fonds kommt pro Jahr aber nur
eine halbe Milliarde Euro hinein, weil Sie die Banken
schonen. Ich nehme die Deutsche Bank als Beispiel: Dafür, dass sie so groß und systemrelevant ist, hat sie in der
Refinanzierung gegenüber Sparkassen und Kleinbanken
einen Zinsvorteil von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ich
finde, diese 2,5 Milliarden Euro müsste man abschöpfen.
({5})
- Dies müssten Sie korrigieren, ja.
({6})
- Lesen Sie die Studie des Internationalen Währungsfonds von Frau Weder di Mauro, einem ehemaligen Mitglied im Sachverständigenrat, in der sie ganz klar sagt:
Weil die Deutsche Bank so groß ist, dass sie nicht pleitegehen kann, der Staat sie nicht pleitegehen lassen darf,
was natürlich auch alle anderen Partner wissen, bekommt sie so günstige Zinsen, um sich zu refinanzieren. Ihr Wettbewerbsvorteil macht in Summe 2,5 Milliarden
Euro aus. Dafür sind wir Garantiegeber. Wir bekommen
nur nichts. Ich finde, da müssten Sie handeln, damit unsere Leistung auch bezahlt wird.
({7})
Hier in Deutschland schöpfen Sie mit diesem Restrukturierungsgesetz die Vorteile, die der Bankensektor hat,
tatsächlich nicht ab, sondern lassen mehr oder weniger
die Steuerzahler haften.
Der zweite Punkt betrifft die europäische Dimension.
Auf der europäischen Ebene ist zwingend notwendig,
dass wir zu dem von Herrn Draghi am Mittwoch vor
dem Haushalts- und Finanzausschuss skizzierten Konzept einer stärkeren Bankenunion, eines gemeinsam
strukturierten Bankenmarktes mit klaren Regeln kommen. Nun hat Ihre Bundeskanzlerin auf dem EU-Gipfel
am 29. Juni 2012 zugesagt, eine Bankenaufsicht einzuführen; das ist so weit in Ordnung. Aber dass die von
denjenigen Ländern, die in der Vergangenheit Schindluder mit ihren Banken getrieben haben, deren Bankenaufsicht schlecht war, die sich nicht gekümmert haben und
die zu große Banken hatten - für deren Risiken müssen
jetzt andere einstehen; ich denke hier an Irland und Spanien - verursachten Kosten vom Euro-Rettungsfonds,
das heißt, vom deutschen Steuerzahler und von anderen
europäischen Steuerzahlern, getragen werden müssen,
ohne dass die Banken einen Cent dafür bezahlen, ist
nicht akzeptabel.
({8})
Sie haben vorhin das Thema Vertrauen angesprochen.
Wir haben jetzt durch die Maßnahmen der EZB ein bisschen Ruhe. Es ist eine Scheinruhe; ich glaube nicht, dass
sie lange anhält. Zwingend notwendig ist, dass wir auf
europäischer Ebene zu einem klaren Rechtsrahmen im
Bankensektor kommen. Jetzt zögern Sie das aber immer
weiter hinaus. Sie tun das nicht, weil Sie die Bankenaufsicht nicht wollten, sondern deswegen, weil Sie vor der
Bundestagswahl keine Entscheidung wollen, dass europäische Banken durch deutsches Steuergeld rekapitalisiert werden. Das haben Sie aber zugesagt. Ich finde,
dazu müssen Sie auch stehen. Das müssen Sie jetzt auch
durchführen, zumindest hinsichtlich der Bankenaufsicht.
Das sollten Sie nicht auf die lange Bank schieben; denn
das würde letztendlich zu einem Verlust an Vertrauen
und höheren Gemeinkosten führen.
({9})
Eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Die Bankenrettung in Deutschland war nicht umsonst. Für die Hypo
Real Estate, für Teile der WestLB und für andere Bereiche fallen Kosten an. Wir haben schon 2008, bei der ersten Lesung - Kollege Kampeter, das wissen Sie ganz genau -, vorgeschlagen, dass die Banken dafür haften. Die
CDU/CSU hat dies damals verhindert. Sie sind jetzt zu
einer anderen Einsicht gelangt. Das ist gut. Nur: Ihre
Nichteinsicht vor vier Jahren hat dazu geführt, dass jetzt
die Steuerzahler und nicht die Banken einen zweistelligen Milliardenbetrag finanzieren müssen; das ist nicht in
Ordnung.
({10})
Der Haushaltsausschuss hat beschlossen, nochmals
Experten zu diesem Thema anzuhören, zumindest
schriftlich. Wir werden konstruktiv an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten. Die zentralen Fragen sind unseres
Erachtens noch nicht beantwortet. Erstens: Wie kann
verhindert werden, dass eine Bank einen Staat erpressen
kann? Zweitens: Wie kann dafür gesorgt werden, dass
die Kosten einer Bankenpleite, auch rückwirkend, nicht
vom Steuerzahler, sondern vom Bankensektor selbst getragen werden?
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich gedanklich in das Jahr 2008 zurückversetzt, als hier das Erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz
beschlossen worden ist, wenn man sich noch einmal vor
Augen führt, wie die Stimmung hier damals war, wie
groß auch die Unsicherheit darüber war, wie es weitergehen werde, dann muss man insgesamt feststellen, dass
die Einrichtung des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung, des sogenannten Soffin, eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. Der Markt in Deutschland konnte stabil gehalten werden. Teilweise gab es auch eine Konsolidierung.
Bestimmte Schwächen wurden abgestellt.
Wichtige Teile werden abgewickelt: Große Teile der
Hypo Real Estate werden abgewickelt, verschwinden
vom Markt; ein großer Teil der WestLB wird abgewickelt, verschwindet vom Markt; die Commerzbank baut
einen ganz großen Teil der Problemposten ab. Der Soffin
hat eine solche Konsolidierung möglich gemacht. Das
war die Voraussetzung dafür, dass sich die Wirtschaft erholen konnte. Dass wir heute so ausgezeichnet dastehen,
dass Deutschland in Europa ein Anker der Stabilität ist,
das hat auch damit zu tun.
Die Mitarbeiter der Behörde, die dafür zuständig ist
- die Finanzmarktstabilisierungsanstalt in Frankfurt -,
leisten im täglichen Geschäft eine ganz ausgezeichnete
Arbeit. Dafür sollten wir ihnen einmal einen Dank aussprechen.
({0})
Das Konzept, das 2008 beschlossen worden ist, hatte
natürlich auch Schwächen. Zum Teil kam es auch zu
Fehlern. Banken hatten das Gefühl, dass sie sich darauf
verlassen können, dass schon jemand kommt und ihnen
hilft, dass der Staat bzw. der Steuerzahler mit Steuergeldern einspringt, selbst dann, wenn sie Fehler gemacht
haben. Entsprechend teuer war die Lösung an einigen
Stellen für den Steuerzahler. Insbesondere bei der Hypo
Real Estate hat der Staat eine ganze Menge Geld verloren. Das war ein teures Unterfangen.
Das hatte auch mit politischen Fehleinschätzungen zu
tun. Ich glaube, dass der Steuerzahler sowohl bei der
Hypo Real Estate als auch bei der Commerzbank eher zu
viel Geld gezahlt hat. Das ist bemerkenswert, weil der
Finanzminister, der das zu verantworten hatte, Peer
Steinbrück hieß.
({1})
- Doch, er hat das damals gemacht, Kollege Binding.
Die Hypo Real Estate wurde übernommen, als Herr
Steinbrück Finanzminister war. Wenn Sie mir eine Zwischenfrage stellen würden, könnte ich Ihnen ausführlich
erklären, welche Fehler er dabei gemacht hat.
({2})
Wenn Sie das wissen wollen, fragen Sie mich. Ich bin
gerne bereit, ins Detail zu gehen.
Ich finde, das ist bemerkenswert, nicht weil ich der
Meinung bin, dass in einem so komplexen Umfeld kein
Fehler passieren kann, sondern weil Herr Steinbrück immer wieder den Eindruck erweckt, er sei der Einzige in
Deutschland, der etwas von Finanzen versteht. Ich finde,
diese Beispiele zeigen, dass man diese Vorstellung getrost ad acta legen kann. Es sind einige Fehler gemacht
worden.
Wir haben in dieser Koalition die Schwächen, von denen ich gerade gesprochen habe, benannt und abgestellt.
Wir haben 2010 das sogenannte Restrukturierungsgesetz
verabschiedet. Das ist ein besonderes Insolvenzrecht für
den Bankensektor. Dabei haben wir die Punkte, die vorher falsch gelaufen sind, aufgegriffen. Seitdem steht
nicht mehr die Frage im Vordergrund, wie der Steuerzahler eine Bank retten kann, die so schwere Fehler gemacht
hat, dass sie eigentlich vom Markt verschwinden müsste.
Der Steuerzahler geht, seitdem das Restrukturierungsgesetz in Deutschland gilt - das ist jetzt seit fast zwei Jahren der Fall -, eben nicht mehr her und rettet Banken,
egal wie das Geschäftsmodell aussieht. Jetzt sind wir in
der Lage, sie abzuwickeln, sie vom Markt zu nehmen,
wenn sie kein entsprechendes Geschäftsmodell haben.
Damit können Banken den Staat nicht mehr unter Druck
setzen. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil. Diesen
wichtigen Schritt haben wir vor zwei Jahren gemacht.
({3})
Ich sage: Die Drohung, dass sich Banken nicht mehr
darauf verlassen können, dass der Staat, dass die Steuerzahler helfen, wirkt. Als das in Kraft war, haben Ratingagenturen sofort das Rating der Banken herabgestuft,
was dazu führte, dass die Banken mehr Zinsen für das
Geld, das sie aufnahmen, zahlen mussten; denn es ist
wahrscheinlicher geworden, dass sie pleitegehen konnten. Die Ratingagenturen haben das also sofort umgesetzt, und die Banken haben das sofort zu spüren bekommen.
Auch beim Fall WestLB, über den im letzten Jahr diskutiert wurde - es musste darüber verhandelt werden,
wie es weitergeht -, war es, glaube ich, gut, dass wir als
Bund sagen konnten: Wenn ihr euch als Eigentümer
nicht einigt, wenn ihr nicht zurande kommt, wenn ihr
schon wieder darauf hofft, dass am Ende Steuergeld
fließt, und wenn sich nichts ändert, dann werden wir mit
diesem Restrukturierungsgesetz die Probleme anders lösen. Einigt euch also! - Ich glaube, auch das hat geholfen.
Das Gesetz führt dazu, dass die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft wieder zum Tragen kommen, dass
die Haftung von Eigentümern wieder durchgesetzt werden kann und dass die Bürger sehen, dass es hier wieder
gerecht zugeht und nicht derjenige, der Fehler macht,
auch noch dadurch belohnt wird, dass er Steuergeld bekommt.
Weil dieses Konzept so gut ist, hat es auch in Europa
eine Diskussion darüber gegeben. Der Binnenmarktkommissar möchte das, was wir in Deutschland im Jahr
2010 als Erste umgesetzt haben, jetzt auch in Europa
einführen. Man muss einmal darauf hinweisen: Wenn
wir über die Frage reden, wie es mit dem Finanzmarkt
und mit unserer Währung in Europa weitergeht, wird
manchmal gesagt, Deutschland sage zu allem Nein. Ich
finde, dies ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass wir nur
zu den falschen Vorschlägen Nein sagen, andererseits
aber eigene Ansätze, eigene Vorschläge einbringen. Mit
unserer Antwort auf die Frage, wie man mit Banken umgeht, die pleite sind, leisten wir einen Beitrag dazu, dass
es auch in Europa in Richtung soziale Marktwirtschaft
geht, dass ihre Grundsätze wieder gelten und dass wieder ein bisschen mehr Gerechtigkeit in diesem Bereich
herrscht.
({4})
Bis dieses europäische Regelwerk gilt, gibt es allerdings immer noch eine hohe Unsicherheit in der Bankenbranche und auch in der Wirtschaft insgesamt, zum einen wegen der Risiken im Euro-Raum, zum anderen
natürlich auch wegen der Frage, wie profitabel einzelne
Geschäftsmodelle von Banken sind. Das hängt auch ein
Stück weit davon ab, welche Regeln in den nächsten
Jahren noch verabschiedet werden.
Deswegen wollen wir als Vorsorgemaßnahme die
Gültigkeit der Instrumentarien des Soffin um knapp zwei
Jahre verlängern. Ich glaube, das ist auch ein psychologisches Signal in Richtung Markt: Wir werden hier
nichts anbrennen lassen, wir werden den Markt weiterhin stabil halten, und wir verfügen auch über die notwendigen Instrumente.
Weil wir allerdings auch sagen, dass die Haftung der
Eigentümer Vorrang hat, gestalten wir die Regeln beim
Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so, dass erst die
Eigentümer zahlen müssen, dass erst privates Kapital
mobilisiert werden muss und dass Banken, deren Geschäftsmodelle nicht tragfähig sind, abgewickelt werden
können. Wir zeigen damit, dass die Restrukturierung, die
Konsolidierung des Bankensektors Vorrang hat vor der
Rettung der Banken mit Steuergeld.
Ich glaube, dass das eine ganz sinnvolle Mischung ist.
Wir haben damit einen guten Instrumentenkasten, und
wir werden auf dieser Grundlage die Konsolidierung im
Bankensektor voranbringen. Es wird noch weitere Veränderungen geben müssen, zum Beispiel bei den Geschäftsmodellen und sicherlich auch bei den Marktanteilen. Der Sektor wird sich in den nächsten Jahren noch
ein bisschen sortieren müssen. Wir werden den Prozess
aufmerksam begleiten.
Finanziert werden soll das in Zukunft nicht wie bisher
über Steuergelder, sondern über die Bankenabgabe.
({5})
Die Branche selber zahlt eine Abgabe dafür, dass dieser
Fonds einspringen kann. Ich glaube, dass auch das deutlich macht, dass wir es ernst meinen. Wir wollen den
Steuerzahler aus der Haftung entlassen. Falsche Geschäftsmodelle werden nicht mehr vom Steuerzahler am
Leben erhalten, sondern verschwinden vom Markt.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worüber
reden wir hier?
({0})
Das muss nach diesem kapitalismuskritischen Auftritt
von Staatssekretär Kampeter einmal klargestellt werden.
({1})
Wir reden nicht über Athen, sondern über die Fortsetzung der Rettung und die Stabilisierung deutscher Banken durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({2})
Wir erinnern uns: Nach der Lehman-Pleite 2008 kamen Banken und internationale Finanzmärkte in Not.
Bankenvorstandschefs und die Aufsicht rufen ihre Regierungschefs und Finanzminister an. Kurz darauf treten
Angela Merkel und Peer Steinbrück vor die Medien und
sagen den legendären Satz: Die Ersparnisse sind sicher.
2008 haben wir im Bundestag binnen einer Woche einen gigantischen Rettungsschirm mit Garantien und Kapitalbeteiligungen in einem Umfang von fast 500 Milliarden Euro beschlossen. Das muss hier gesagt werden,
weil die Rettung deutscher Banken in den Medien kaum
noch ein Thema ist.
Angesichts der Hysterie, die gegenüber Griechenland
und anderen südeuropäischen Staaten verbreitet wird,
und angesichts der Hetze, die zum Teil betrieben wird,
ist es wichtig, heute auch anzusprechen: Wir wenden
- nominell und mit den Instrumenten, die dafür zur Verfügung stehen - einen etwa dreimal so großen Betrag
wie für die Stabilisierung des Euro für die Rettung deutscher Banken auf. Auch das gehört zur Wahrheit.
({3})
Die Stabilisierung des Euro dominiert die öffentliche
Debatte. Wir reden hier aber auch über inzwischen verstaatlichte Banken: über die Hypo Real Estate in MünRoland Claus
chen, die WestLB, die teilverstaatlichte Commerzbank
und andere mehr.
Ich sage der Koalition: Solange Sie als Ursache der
Krise das ausmachen, was Sie in der Begründung Ihres
Gesetzentwurfes geschrieben haben - dass der Kern der
Krise eine anhaltende Staatsschuldenkrise sei -, haben
Sie den wahren Kern des Problems nicht erkannt.
({4})
Wir haben es mit einer Krise der Banken und der internationalen Finanzmärkte zu tun.
Was schlägt die Koalition vor? Sie behauptet zwar, es
sei alles gut, was sie gemacht habe; dennoch soll der
Soffin - Staatsgarantien und Kapitalhilfen - zwei Jahre
länger wirken, also Soffin forever. Ich denke, darin ist
eine Menge Vorsorge für das Wahljahr.
Statt des Bundeshaushalts soll für Neuanträge am
Ende nun der Restrukturierungsfonds haften; seine Mittel kommen aus der Bankenabgabe. Dann muss man
aber weiterlesen. In dem Gesetzentwurf steht auch
- dazu hat mein Vorredner nichts gesagt -, dass der Restrukturierungsfonds nur so lange haften soll, wie der
vorhandene Bestand reicht. Was ist daran zu kritisieren?
Sie feiern die Bankenrettung als Erfolg, spannen aber
dennoch den Rettungsschirm wieder auf. Das passt nicht
zusammen.
({5})
Solange Frau Merkel davon spricht, dass sie - davon
hat sie mehrfach gesprochen - eine finanzmarktkonforme Politik betreiben will, muss ich sagen: Das ist der
falsche Weg.
({6})
Die Politik muss wieder die Dominanz über diese
Märkte erlangen.
Sie sagen: Wir holen uns das Geld der Steuerzahler
vom Bankenfonds zurück. Ich sage Ihnen, Herr Staatssekretär - das richtet sich an die Adresse der Koalition -:
Das ist organisierter Selbstbetrug.
({7})
In dem Fonds ist im Moment nichts drin. Er enthält etwa
5 Prozent dessen, was schon als realer Verlust eingetreten ist. Das Risiko der faulen Papiere, die in die Bad
Banks ausgelagert sind, bleibt beim Steuerzahler.
Ich will daran erinnern, dass es noch vor dem Aufspannen dieses Schirms ein Finanzminister Peer
Steinbrück war, der vor diesem Bundestag immer und
immer wieder erklärt hat, dass auch die IKB Deutsche
Industriebank eine systemrelevante Bank sei. Diese
Bank gehört inzwischen dem Hedgefonds Lone Star.
Das war übrigens in einer Zeit, als Peer Steinbrück die
Finanztransaktionsteuer noch eine linke Spinnerei genannt hat. Daran muss man ihn gelegentlich erinnern;
denn im Moment erweckt er den Eindruck, als wäre er
der Vater der Idee einer Finanztransaktionsteuer.
({8})
Alternativen sind machbar, meine Damen und Herren.
Was schlägt die Linke vor? Wir sind ja in der Pflicht, etwas vorzuschlagen, weil wir als einzige Fraktion dem
Rettungsschirm nicht zugestimmt haben. Die Verursacher müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden, und hohe Vermögen gehören höher besteuert als
bisher. Wir brauchen eine radikale Eindämmung der
Finanzmärkte. Ich will Schattenbanken verdammt noch
mal nicht regulieren, ich will sie schließen.
({9})
Die Linke schlägt vor, eine europäische Bank für öffentliche Anleihen, wenn man so will eine KfW Europe,
zu gründen. Wir brauchen endlich eine gemeinsam abgestimmte europäische Wirtschafts-, Finanz- und auch Sozialpolitik. Daran können deutsche Banken und deren
Großanleger gern mitwirken.
({10})
Den Gesetzentwurf der Koalition lehnen wir ab. Er
folgt der Logik von Frau Merkel, dass Banken gerettet,
Rentnerinnen und Rentner, Geringverdienende und Arbeitsuchende aber betrogen werden.
({11})
Das muss anders werden, und das kann anders werden.
({12})
Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist in der bisherigen Debatte schon deutlich geworden,
dass es bei diesem Gesetzentwurf um eine weitere Notmaßnahme geht. Ich finde es wichtig, sich noch einmal
klarzumachen: Warum brauchen wir das jetzt eigentlich?
Die Begründung der Bundesregierung ist: Wir sind auf
europäischer Ebene noch nicht so weit. - Das klingt erst
einmal plausibel; denn europäische Politik braucht ihre
Zeit, wie auch hier Gesetzgebung und Diskussion ihre
Zeit brauchen.
Trotzdem ist die Geschichte leider für die Bundesregierung nicht ganz so vorteilhaft. Die Europäische
Kommission hat bereits im Oktober 2009, also vor drei
Jahren, eine sehr gute Mitteilung mit dem Titel „Ein EURahmen für das grenzübergreifende Krisenmanagement
auf dem Banksektor“ vorgelegt, in der eigentlich alles
steht, was man hätte tun müssen. Dann kommt ein Dreivierteljahr später, im Juli 2010, im Europäischen Parlament ein Vorschlag für einen europäischen Restrukturierungsfonds - damals Europäischer Stabilitätsfonds
genannt - auf den Tisch, der aus Bankenabgaben zu
finanzieren gewesen wäre.
Kommission und Parlament haben also schon vor
über zwei Jahren die Grundlagen dafür gelegt, dass man
in Europa Banken grenzüberschreitend retten und abwickeln kann, finanziert über Bankabgaben. Warum ist das
immer noch nicht vorangekommen? Weil der Rat - und
in diesem Rat auch diese Bundesregierung - das blockiert hat.
({0})
Genau deswegen ist die Verlängerung in Deutschland
nötig; denn die Bundesregierung hat die notwendigen
Vorbereitungsmaßnahmen auf europäischer Ebene ausgebremst. Deswegen ist die Begründung, wir seien in
Europa noch nicht so weit, nichts anderes als das Eingeständnis, dass die Verweigerung europäischer Lösungen
in der Krise, durch die sich diese Bundesregierung immer wieder auszeichnet, für Deutschland selbst teuer
wird.
({1})
Da muss man dann bitte einmal ehrlich sein: Wenn
jetzt die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin darauf
drängt, es sollte jetzt beschleunigt werden, dann geht das
eigentlich an die eigene Adresse.
Sie haben sich auch bei der Verabschiedung des Restrukturierungsgesetzes in Deutschland leider etwas vorgemacht. Damals schon sprachen die Sachverständigen
- ich zitiere aus dem Jahresgutachten 2010/2011 des
Sachverständigenrates der Bundesregierung - von einer
Problematik nationaler Vorgehen mit unterschiedlichen
Insolvenzverfahren. Ich zitiere:
Lassen sich die vorgesehenen deutschen Regelungen nämlich nicht auf Derivatverträge anwenden,
die unter ausländischem Recht geschrieben wurden,
so würden letztlich dieselben negativen Finanzsystemwirkungen entstehen, die das spezielle Insolvenzverfahren gerade vermeiden will.
Auch das wurde vor über zwei Jahren geschrieben.
Die Bundesregierung hat eben nicht die Konsequenz daraus gezogen, schon 2010 aktiv für eine europäische restrukturierungsrechtliche Grundlage und einen europäischen Restrukturierungsfonds zu werben, sondern sie hat
es immer wieder mit dem Verweis auf die Finanzaufteilung und darauf blockiert, dass es doch teurer für
Deutschland wäre. Heute haben wir den Beweis, dass
diese Strategie ein Fehler war.
({2})
Ich will noch zu zwei Punkten, was den konkreten Inhalt angeht, etwas sagen. Der eine ist ein kurzer Punkt.
Es gibt eine Stärkung des Bundestages. Es gibt nämlich
einen Vorbehalt des Bundestages in der Weise, dass bei
der Auflösung des Finanzmarktstabilisierungsfonds zukünftig wir hier entscheiden. Das ist jetzt allerdings
nicht etwas, was freiwillig geschieht, sondern das ist auf
ein Diktum des Bundesverfassungsgerichts vom Februar
dieses Jahres zurückzuführen. Wir sind natürlich zufrieden, dass es hier eine Stärkung des Bundestages gibt.
Aber es ist schon erschreckend, dass dieses Parlament
immer wieder erst den Hinweis aus Karlsruhe braucht,
bevor es sich selber die nötigen Rechte einräumt.
({3})
Ein weiterer Punkt - man könnte andere nennen, aber
ich will darauf einen Schwerpunkt legen - ist die Frage
der Transparenz bei der Bankenrettung. Wissen Sie, ich
finde eigentlich: Bei den Kosten, um die es da geht
- Milliarden -, besteht die Notwendigkeit, wirklich
Transparenz zu schaffen. Warum steht eigentlich die
Summe, die aufgelaufen ist, warum stehen die Prognosen, welche weiteren Lasten aus der Bankenrettung in
Deutschland zu erwarten sind, nicht klar auf der Homepage der Finanzmarktfonds? Warum muss ich mir das da
und dort zusammensuchen, und warum unterliegt immer
alles Mögliche der Geheimhaltung? Wir sitzen jeden
Freitag einer Sitzungswoche in dem Finanzmarktgremium, und wir müssen doch einmal sagen: Einen ganz
großen Teil dessen, was wir dort diskutieren, könnte man
auch öffentlich machen. Wir haben hier einen viel zu
großen Bereich der Geheimhaltung. Wir Grünen sind bei
der Bankenrettung für mehr Transparenz.
({4})
Ich will das an einem Punkt kurz deutlich machen:
Auf meine Initiative hin ist wenigstens eine rudimentäre
Teilfassung des Jahresabschlusses des Soffin öffentlich
gemacht worden. Entscheidende Informationen fehlen
aber noch immer.
Es ist doch nicht einzusehen, dass ein börsennotiertes
Unternehmen seinen Jahresabschluss und das Testat des
Wirtschaftsprüfers veröffentlichen muss und damit umfassende Transparenz geschaffen wird, während wir
dort, wo die Steuerzahler betroffen sind, keine entsprechende Transparenz haben.
Wir werden das noch einmal in die Beratungen einbringen; denn wenn die Bürger zur Kasse gebeten werden, haben sie auch einen Anspruch auf die relevanten
Informationen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Georg Schirmbeck für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Carsten Schneider, ich habe eben gehört: Die
CDU/CSU und die FDP sind das Problem. Wenn sie weg
wären, wäre alles klar und die Welt heile.
({0})
Dazu muss ich sagen: Wir leben in einem demokratischen Staat. 70 Prozent der Leute glauben, dass die
Merkel das gar nicht so schlecht macht, um nicht zu saGeorg Schirmbeck
gen, dass sie es gut macht, und wir als Koalition unterstützen sie. Das ist der Auftrag, den wir aus der Bevölkerung haben.
({1})
Sie müssen sich jetzt nicht selber schlechter machen,
als Sie sind, aber es waren doch nicht Steinbrück und
Zypries - Frau Zypries mag als Justizministerin ihre
Aufgabe ja sogar gut wahrgenommen haben -, sondern
in der Tat, wie das eben schon gesagt wurde, die Bundeskanzlerin und der Finanzminister, die durch ihre legendäre Fernsehansprache versucht haben, wieder Vertrauen
zu schaffen und Ruhe in die Bevölkerung zu bringen. Es
ist uns dann in Wochenfrist ohne kleinkarierte Geschäftsordnungsanträge und dem, was es sonst immer
gibt, gelungen, hier im Deutschen Bundestag Beschlüsse
zu fassen. Danach gab es wieder eine gewisse Stabilisierung. Was wäre denn gewesen, wenn wir das in dieser
Wochenfrist nicht hinbekommen hätten? Darauf können
wir doch gemeinsam stolz sein!
Es wird hier immer so getan, als seien die einen die
Guten und die anderen die Bösen. Wir müssen aber fragen, warum es die eine oder andere Entwicklung gegeben hat. Haben Sie schon einmal den Namen Neuber gehört? Es gab einmal eine WestLB in NordrheinWestfalen, und es gab da auch einen Ministerpräsidenten
Rau und einen Ministerpräsidenten Steinbrück. Regiert
hat aber eigentlich ein Mann namens Neuber. Weil das
viele gar nicht mehr wissen: Er war TUI- und RWE-Aufsichtsratsboss.
Warum ist es denn zu dieser Entwicklung gekommen?
Wer hat denn das große Rad gedreht und drittrangige
Werte irgendwo in der Welt gekauft? Jetzt heißt es: Die
Eigentümer sollen eintreten. - Die Überlegung, dass die
Eigentümer in erster Linie haften sollen, ist ja richtig.
Aber wer waren denn die Eigentümer?
({2})
Das waren das Land Nordrhein-Westfalen und die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen. Wer musste nach Düsseldorf fahren und die entsprechenden Gespräche über
die Abwicklung führen? Das war der hier anwesende
Staatssekretär Kampeter. Wer musste das Geld zur Verfügung stellen? Das waren wir! Wir, der Haushaltsausschuss, mussten es aus der Bundeskasse nehmen. Das ist
doch die Wahrheit!
({3})
So viel zu den Eigentümern. Da, wo Sie Verantwortung
getragen haben, hätten Sie die Verantwortung wahrnehmen können.
({4})
Sie kritisieren die Fristverlängerung für den staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin, sie kritisieren Soffin III. Stellen Sie in der abschließenden Beratung doch
den Antrag, dass wir Soffin III nicht machen sollen.
Vielleicht bekommen Sie eine Mehrheit. Aber schauen
Sie sich einmal im Land um. Wer schützt die Sozialdemokraten eigentlich vor sich selber?
({5})
Ich kenne Ministerpräsidenten, die Ihnen dann aufs
Dach steigen und fragen würden: Seid ihr verrückt geworden? - Das ist doch die Wahrheit!
({6})
Ich höre, dass wir die Schulden in Europa vergemeinschaften sollen. Das sei die Lösung des Problems. Wenn
wir dem, was Sie hier sagen, nachgeben würden
({7})
- Sie sprechen doch in jeder Rede über Euro-Bonds
usw.; das ist doch Ihre tägliche Aussage -, dann müsste
ich mich fragen, welche Reformen in Europa überhaupt
noch in Angriff genommen würden. Wenn der Druck
vom Kessel genommen wird: Bewegt sich dann noch irgendwo etwas?
({8})
Die Wahrheit ist, dass es zu dieser Politik keine Alternative gibt. In geschlossenen Räumen bestätigen Sie das
auch, aber wenn die Türen auf und die Fernsehkameras
da sind, dann erzählen Sie auf einmal tolle Dinge. Die
aber sind wirkungslos, führen in die falsche Richtung
und bewirken das Gegenteil dessen, was wir brauchen.
Was wir in der Vergangenheit gemeinsam falsch gemacht haben, nicht nur wir Politiker, sondern die ganze
Gesellschaft, ist: Wir haben nicht nachhaltig gelebt. Das
zeigt sich in den kommunalen Haushalten, aber in weiten Teilen auch im privaten Bereich.
Wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Die Merkel
soll mir mein Geld wiedergeben und für die Zinsen aufkommen, die mir entgangen sind“, dann kann ich nur
sagen: Wenn man bei einer Geldanlage für sein Geld wesentlich mehr Zinsen als bei der Sparkasse bekommt
- das weiß schon jeder Grundschüler -, dann ist diese
Geldanlage riskanter. Dann kann man auch nicht sagen:
Das ist jahrelang gut gegangen. - Irgendwann ist die
Blase so groß geworden, dass sie geplatzt ist. Diejenigen, die in der Vergangenheit viel an den Zinsen verdient
haben, haben dafür zahlen müssen. Das ist zum Schluss
der Bürger und in vielen Fällen auch der ganz einfache
Bürger.
Ich gehöre zu denen, die sich für die deutsche Forstwirtschaft interessieren. Hans Carl von Carlowitz hat vor
299 Jahren seine Gedanken zur Nachhaltigkeit aufgeschrieben. Das sollten Sie einmal nachlesen. Was da
steht, gilt nämlich nicht nur für die Forstwirtschaft, sondern das gilt auch für die Finanzwirtschaft.
Jetzt kann man natürlich immer einen Prügelknaben
finden, auf den man einschlagen kann, in diesem Fall die
Deutsche Bank. Seien wir doch zufrieden - darauf können wir an der einen oder anderen Stelle vielleicht stolz
sein -, dass die Deutsche Bank unsere Hilfe noch nicht
gebraucht hat.
({9})
Sollen wir denen, die ihren Karren noch halbwegs am
Laufen halten, einfach in den Rücken fallen und ihnen
sagen, was sie machen sollen?
Ich sage Ihnen eines voraus: Mit diesem Thema werden wir uns in den nächsten 20 Jahren noch zu beschäftigen haben; denn dieses Problem ist nicht in einem Jahr,
nicht in kurzer Zeit zu beheben. Ehrlicherweise muss
man auch sagen, dass es lange Zeit gut gelaufen ist und
es gedauert hat, bis die Blase geplatzt ist.
Sie haben ja wirklich ganz billige Argumente angeführt. Wenn es nach Ihnen geht, sollen wir das Gegenteil
von dem machen, was ökonomisch und finanzpolitisch
richtig ist. Dadurch lösen wir diese Aufgabe nicht. Zu
dem, was die Bundeskanzlerin in Europa und auch hier
mit unserer Unterstützung beschließen lässt, gibt es
keine Alternative.
Deshalb sage ich nur: Wir haben wieder Vertrauen zurückgewonnen. Dieses Vertrauen sollten wir hier nicht
zerreden. Ich glaube, wir können auf die gemeinsame
Arbeit in den vergangenen Jahren stolz sein.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
erlaube mir, die Damen und Herren, die zuhören oder
zuschauen, eingangs darauf aufmerksam zu machen,
dass der aktuelle Tagesordnungspunkt heißt: Fortschreibung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Ich möchte
gerade vor dem Hintergrund der letzten Rede daran erinnern: Darüber reden wir. Es geht hier um einen Rahmen
von bis zu 500 Milliarden Euro. Wir haben eine gewichtige Entscheidung zu treffen. Da verbietet sich in diesem
Haus jedes Geklimper und Getöse.
({0})
Ich will in diesem Zusammenhang - zu Ihnen werde
ich gleich noch etwas sagen, Herr Staatssekretär - etwas
zur Einordnung sagen: Dies ist das Dritte Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Es ist ein Dokument der Kontinuität der Politik dieser Kanzlerin Angela Merkel. Es ist
deshalb ein Dokument der Kontinuität, weil sich in allen
drei Gesetzen eine Regel nicht verändert hat: Für die
Folgen der Finanzmarktkrise 2008/2009 haftet im Kern
der Staat, und es zahlt der Steuerzahler. Hieran ändert
sich auch mit diesem Gesetzentwurf nichts.
({1})
Er ist die Fortsetzung einer Notmaßnahme, die im
Grundsatz nichts korrigiert. Aber die Rednerinnen und
Redner der Koalition, auch der Staatssekretär, haben natürlich versucht, hier den Eindruck zu vermitteln, alles
würde sich verändern, weil jetzt erstmalig über das großartige Konstrukt der deutschen Bankenabgabe, die außerordentlich hoch sein soll, der Bankensektor selber herangezogen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will den Blick
auf diesen zentralen Punkt lenken und sagen: Das ist
eine Mogelpackung, die Sie uns an dieser Stelle vorlegen.
Erstens. Ausweislich des Gesetzentwurfs wird der
Restrukturierungsfonds erst für Maßnahmen ab 2013 herangezogen. Die großen Kosten von 2008/2009, das, was
im Soffin schon an Mitteln gebunden ist, werden nicht
vom Finanz- und Bankensektor getragen.
({2})
Hier gilt weiterhin, dass der Steuerzahler haftet; das ist
der Kern.
Kollege Toncar, da Sie gerade einen Zwischenruf gemacht haben, will ich Ihnen sagen: Natürlich war das
beim ersten Mal eine Rettungsmaßnahme, die schnell ergriffen werden musste. Aber die Korrektur in Richtung
Haftung des Sektors, der Finanzinstitute und der Spekulanten hätte man schon beim zweiten Stabilisierungsgesetz vornehmen können. Das haben Sie aber versäumt.
Das war damals nämlich Ihr Gesetz.
({3})
Wenn Sie jetzt sagen: „Mittlerweile ist doch alles
strukturiert; schauen wir uns nur einmal die HRE an“,
dann muss ich Ihnen entgegnen: Das ist die größte Gefahr, die in Sachen Bad Bank eventuell noch auf uns zukommt. Wir wissen noch lange nicht, wie wir das finanzieren sollen. Dieses Risiko verbleibt beim Steuerzahler.
Zweiter Punkt. Ab 2013 wird für alle Maßnahmen auf
die Bankenabgabe und den Restrukturierungsfonds zurückgegriffen. Aber was bedeutet das? Mehrere meiner
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen: Bisher flossen jährlich etwa 500 Millionen Euro in diesen Fonds.
Ich möchte gerne wissen, was man mit diesen Mitteln
finanzieren will, wenn es ernst wird.
Carsten Schneider hat deutlich gemacht: Die Deutsche Bank hat aufgrund der Staatshaftung einen Vorteil
im Umfang von 2,5 Milliarden Euro. Das ist nichts anderes als Fallobst, das die Bank aufgrund der Staatshaftung
einfach ernten kann. Das sind Windfall Profits, nichts
anderes. Hier würde man erwarten, dass eine stärkere
Heranziehung stattfindet. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und solider Politik.
({4})
Man fragt sich auch: Was passiert eigentlich, wenn
ein großes Geldinstitut - ich will gar nicht unbedingt die
Deutsche Bank nennen; es kann auch ein anderes großes
Institut sein - in Probleme gerät? Dann werden die
500 Millionen Euro nicht ausreichen.
({5})
Insofern ist das, was Sie uns hier bieten, ein Potemkin’sches Dorf. Das ist eine Fassade, aber nichts, was zu
einer wirklichen Stabilisierung beiträgt.
({6})
An dieser Stelle will ich sagen: Herr Staatssekretär,
das, was Sie vorgetragen haben, ist, jedenfalls für mich,
die eigentliche Überraschung dieser Debatte; das höre
ich von christdemokratischen Politikern nämlich selten.
Ich höre selten, dass christdemokratische Politiker in ihren Reden vom Finanzkapitalismus sprechen
({7})
und sagen: Wir werden die zügellosen Entwicklungen
stoppen und den Kapitalismus bändigen.
({8})
Da ist man fast geneigt, „Bravo!“ zu rufen - wenn man
sich nicht an den guten alten Spruch erinnern würde: Die
größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Wer hat das Ganze denn durch die eigene Politik mit
ausgelöst, liebe Kolleginnen und Kollegen?
({9})
Sie müssen geeignete Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung ergreifen, und die Bankenabgabe so regeln, dass
sie ihren Sinn erfüllt. Um das Risiko zu bündeln, müssen
die Geschäftsbereiche der großen Banken getrennt werden. Was die Bankenrettung betrifft, brauchen wir einen
Too-big-to-fail-Bereich. Darum müssen wir einen
Schritt in Richtung Trennbankensystem machen.
Der letzte Punkt. Bei der Finanzmarktregulierung
müssen endlich auch die Schattenbanken in den Blick
genommen werden. Ich wäre froh, wenn Sie beim G-20Gipfel Ende November dieses Jahres ein ordentliches
Ergebnis mit nach Hause bringen würden. Damit würden
Sie einen größeren Beitrag zur Finanzmarktstabilisierung leisten als mit Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Sieling, in einem
Punkt muss ich Ihnen widersprechen. Staatssekretär
Kampeter hat recht: Es war diese Bundesregierung, insbesondere Finanzminister Dr. Schäuble und Staatssekretär Kampeter, die die entscheidenden Maßnahmen zur
Regulierung der bis dahin hemmungslos agierenden Finanzmärkte eingeleitet hat. Ich erinnere an das Verbot
von Leerverkäufen, die Einführung einer Bankenabgabe,
die Einschränkung des Hochfrequenzhandels und viele
andere Maßnahmen, die auf europäischer und internationaler Ebene ergriffen worden sind. In Ihrer Regierungszeit hingegen herrschte der Glaube: Wenn man dem Beispiel Londons und seiner unregulierten Märkte
bedingungslos folgt, wird alles gut.
({0})
- Nein, nein, nein.
({1})
Die Zulassung von Hedgefonds ist erst unter der Regierung Schröder erfolgt.
({2})
Ich will auf den eigentlichen Gegenstand unserer heutigen Beratungen zurückkommen. Einige meiner Vorredner haben es bereits angesprochen: Diejenigen, die dem
Parlament schon damals angehört haben, werden sich
sehr genau daran erinnern, wie sehr uns dieses Thema
umgetrieben hat. Es war eine unheimlich schwierige
Entscheidung, die in sehr kurzer Zeit getroffen werden
musste. Wir konnten uns damals nicht sicher sein, dass
all das, was wir beschließen, richtig ist und gut geht. Wir
haben seinerzeit auch ein hohes Risiko auf uns genommen, und wir sind von viel Kritik begleitet worden.
Heute können wir sagen, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ein Erfolgsmodell geworden ist und sich
als absolut richtig erwiesen hat. Alle, die in den zuständigen Gremien vertreten sind, wissen auch, dass die Probleme, die wir früher als sehr viel größer einschätzen
mussten, sich Gott sei Dank als sehr viel geringer darstellen. Was die gesamte Finanzmarktstabilisierung kosten wird, kann man erst nach Ablauf der Tätigkeit des
Soffin, also des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung,
feststellen.
Deswegen haben wir aus guten Gründen im Februar
dieses Jahres das zweite Finanzmarktstabilisierungsge24586
setz aufgelegt, um auch die Stoßwellen aus dem europäischen Raum, die wir befürchten mussten, mit abfedern
zu können. Der Kollege Claus, glaube ich, hat gesagt,
die Schirme würden neu aufgespannt. Nein, wir sind zu
der Überzeugung gekommen, dass wir diesen Schirm,
der sich als absolut erfolgreich erwiesen hat, jetzt nicht
zumachen sollten, sondern ihn im Hinblick auf weitere
Entwicklungen zumindest bis zum Ende des Jahres 2014
offenhalten sollten. Dann können wir davon ausgehen,
dass auch die Entwicklungen und Initiativen auf europäischer Ebene - der Kollege Dr. Schick ist darauf eingegangen - weiter vorankommen.
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass mit diesen Maßnahmen, die wir jetzt weiter ermöglichen, auch ein Signal an den Bankensektor und die Finanzmärkte insgesamt ausgeht und dass damit von uns unterstrichen wird:
Uns liegt in besonderer Weise daran, dass der Bankensektor und der Finanzmarkt insgesamt stabil bleiben
können. Das liegt im Interesse der Sparer, der Kreditkunden und der Wirtschaft insgesamt und damit insbesondere im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung
und der Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Deutschland.
({3})
Wir sollten auch dafür Sorge tragen - auch das ist von
meinen Vorrednern, dem Kollegen Toncar und dem
Herrn Staatssekretär, schon gesagt worden -, dass die
Stabilisierungsmaßnahmen noch besser miteinander verzahnt werden und dass, wo immer möglich, auch die
Verantwortung der Beteiligten und der Eigentümer gestärkt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mit
dem schließen, was Staatssekretär Kampeter zu Beginn
seiner Rede gesagt hat: Das Gesetz, das wir jetzt auf den
Weg bringen, dient dazu, das Vertrauen zu stärken. Vertrauen ist das wichtigste Kapital für uns Politiker, aber
auch für die Banken und den Finanzsektor insgesamt.
Das wollen wir mit dem Gesetzentwurf erreichen, und
das werden wir mit dem Gesetzentwurf erreichen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11138 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Alleinerziehende besser unterstützen
- Drucksache 17/11032 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) -
Finanzausschuss-
Ausschuss für Arbeit und Soziales-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung-
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neue Strategien für eine bessere Förderung
von Alleinerziehenden in der Grundsicherung
- Drucksache 17/11038 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend-
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Alleinerziehende entlasten - Unterhaltsvorschuss ausbauen
- Drucksache 17/11142 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Keine andere Familienform hat in Deutschland in
den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen wie die
Einelternfamilie. Wir reden hier von 1,6 Millionen Alleinerziehenden und insgesamt 2,2 Millionen Kindern
und Jugendlichen.
Alleinerziehende sind zu 90 Prozent Frauen. Alleinerziehende leisten täglich Enormes zur Bewältigung ihres
Alltags. Das verdient zu Beginn dieser Debatte zunächst
einmal Anerkennung und ganz viel Respekt,
({0})
und es verdient, dass Alleinerziehende in besonderer
Weise von Staat und Gesellschaft unterstützt werden.
Wir brauchen auch hier in Deutschland gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die die Lebenssituation der
Alleinerziehenden und ihrer Kinder verbessern und
wirkliche Chancengleichheit ermöglichen. Davon sind
wir auch deshalb noch ein gutes Stück entfernt, weil
diese schwarz-gelbe Bundesregierung - es sind leider
nicht viele Mitglieder der Bundesregierung bei dieser
Debatte anwesend - zwar viel redet - auch bei diesem
Thema am liebsten durcheinander -, aber leider nicht
handelt. Diese schwarz-gelben Regierungsjahre sind
auch für Alleinerziehende verlorene Jahre.
({1})
So ist - auch das ist eine Tatsache - mehr als ein Drittel
aller Einelternfamilien arm. Daher haben auch Transferleistungen für Alleinerziehende eine wichtige Bedeutung. Diesen Aspekt wird meine Kollegin Gabriele
Hiller-Ohm nachher noch näher beleuchten.
Meine Kolleginnen und Kollegen, Alleinerziehende
müssen stärker in den Blick der Arbeitsmarkt-, der Bildungs-, der Sozial- und der Familienpolitik rücken und
dürfen hier nicht singulär schubladenmäßig betrachtet
werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion will Alleinerziehende
besser unterstützen und Antworten auf neue gesellschaftliche Herausforderungen geben. Dabei ist ein
Maßnahmenbündel notwendig, das sich an den Wünschen, den Bedürfnissen und auch an den zeitlichen Ressourcen von Alleinerziehenden orientiert. Vorschläge
hierzu finden Sie in unseren beiden Anträgen. Auf vier
Handlungsfeldern - Betreuung und Infrastruktur, Arbeitsvermittlung und gute Arbeit, Bildung und Qualifizierung sowie gezielte finanzielle Unterstützung - machen wir Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen der
Regierungskoalition, ganz konkrete Vorschläge, wie
man Alleinerziehende wirklich besser unterstützen kann.
Gute, verlässliche und auch zeitlich flexible Bildungs- und Betreuungsangebote in Kitas, aber auch in
Schulen sind eine ganz wichtige Grundvoraussetzung
dafür, dass Alleinerziehende erwerbstätig sein können.
Nur so kommen sie aus der Armutsfalle heraus.
({2})
Das geplante Betreuungsgeld hingegen steht einer eigenständigen Existenzsicherung von Alleinerziehenden entgegen. Das ist nur einer von vielen Gründen, die dafür
sprechen, dieses unsinnige Vorhaben endlich zu beerdigen.
({3})
Meine Kolleginnen und Kollegen, für eine gelingende
Vereinbarkeit von Familie und Beruf benötigen Alleinerziehende neben einer verlässlichen Infrastruktur neue
gesetzlich verankerte Arbeitszeitmodelle, die auch eine
verbesserte Durchsetzbarkeit des Rechts auf Teilzeit enthalten. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Dazu zählen
auch geschlechtergerechte Arbeitszeitmodelle wie die
sogenannte große Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden; denn nach wie vor haben Alleinerziehende bisher nur eingeschränkte Möglichkeiten,
einer existenzsichernden Arbeit nachzugehen und damit
auch eine eigenständige Alterssicherung zu betreiben.
Daher würden vor allem Alleinerziehende von einem
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn profitieren.
({4})
Was Alleinerziehende allerdings nicht brauchen, ist
die von Schwarz-Gelb gestern beschlossene Ausweitung
der Minijobs. Minijobs und prekäre Beschäftigungsverhältnisse reichen heute für die Familien nicht zum Leben
und führen insbesondere Frauen direkt in die Altersarmut.
({5})
Ebenso notwendig ist es, die in unserem Land bestehende Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und
Frauen endlich zu beenden.
({6})
Die vorhandene Lohnlücke von 23 Prozent muss endlich
geschlossen werden. Richtig, Herr Kollege: Zeit wird’s.
({7})
Weil es Zeit wird, diese Lohnlücke endlich zu schließen,
appellieren wir an Schwarz-Gelb: Sie brauchen nur dem
Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zuzustimmen, dann wird dieses Problem gelöst.
({8})
Einen besonderen Blick müssen wir auch auf junge
Alleinerziehende ohne Schul- und Berufsabschluss richten. Diese benötigen einen Rechtsanspruch auf Teilzeitausbildung und auf das Nachholen eines Schulabschlusses. Es sollte für junge Eltern und insbesondere für
Alleinerziehende möglich sein, in Teilzeit zu studieren.
Wir brauchen auch dringend eine Anpassung des BAföG
an die Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden.
Es ist auch wichtig, ehe- und familienbezogene Leistungen auf den Prüfstand zu stellen, auch im Hinblick
auf Alleinerziehende. Der Unterhaltsvorschuss ist sinnvoll weiterzuentwickeln. Das gestern von der Regierung
eingebrachte Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz geht genau in die falsche Richtung.
({9})
Abschließend, meine Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich Ihnen sagen: Dies war nur ein Ausschnitt
unseres umfassenden Konzepts für eine bessere Unterstützung von Alleinerziehenden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, haben den Anspruch, Alleinerziehende umfassend zu unterstützen. Vorschläge sind gemacht. Es ist
an der Zeit, dass diese Bundesregierung und auch die Familienministerin endlich aufwachen und handeln. Die
Alleinerziehenden mit ihren Kindern haben es verdient.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegen der Opposition, Ihre Anträge
und auch die Debatte heute sind der untaugliche Versuch, Alleinerziehenden zu suggerieren, dass man nur
SPD und Linke wählen müsse, und dann sei alles gut.
({0})
Dieser Versuch ist leicht zu durchschauen, und dem wird
keiner auf den Leim gehen.
Alleinerziehende brauchen erstens einen fairen Umgang auf Augenhöhe und zweitens Hilfe, die dort ankommt, wo sie benötigt wird. Was meine ich mit fairem
Umgang auf Augenhöhe? Damit meine ich, dass man
Alleinerziehende nicht immer als hilflose Opfer darstellen sollte. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bestreite nicht, dass es schwierig ist, in weitestgehend eigener Verantwortung ein Kind oder mehrere Kinder
großzuziehen. Dazu kommen die Belastungen durch die
Trennung oder vielleicht durch den Tod des Partners, das
Einstellen auf eine neue Lebenssituation, Ängste und
Befürchtungen. Das ist nicht einfach.
Viele Alleinerziehende leben auch in schwierigen finanziellen Situationen. Oft sind es die Frauen - nämlich
in neun von zehn Fällen -, die sich anschließend um die
Kinder kümmern. Wenn vorher der Mann der Haupterwerber war, ist es für die betroffene Frau besonders
schwierig, mit der Situation umzugehen.
Die Probleme und Schwierigkeiten, die es gibt, können nicht als Rechtfertigung dienen, dass Alleinerziehende allzu oft in den Medien, aber auch in der politischen Diskussion als bemitleidenswerte Menschen, die
einsam und verlassen sind, dargestellt werden. Das wird
der Lebenssituation und vor allem der Selbstwahrnehmung der Mehrheit der Alleinerziehenden nicht gerecht.
({1})
Wie ist die Selbstwahrnehmung? Interessante Ergebnisse dazu liefert eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus diesem Jahr. Man kann sehr gut
erkennen, dass die Eigenwahrnehmung und die Lebenswirklichkeit viel facettenreicher sind, als wir es annehmen. Die Unterschiede zwischen dem, was die offizielle
Definition von Alleinerziehenden bedeutet, und dem,
was die Betroffenen selbst unter alleinerziehend verstehen, sind sehr groß.
Nach der amtlichen Statistik oder auch nach der politischen Definition ist man dann alleinerziehend, wenn
man ein Kind unter 18 Jahren erzieht und in einem
Haushalt ohne Ehe- oder Lebenspartner lebt. Die Haushaltssituation ist also maßgeblich bei der Definition von
Alleinerziehenden. Spricht man aber mit Alleinerziehenden selbst, dann kommt man zu ganz anderen Schlüssen.
Sie sehen weniger die Haushaltssituation als maßgeblichen Anknüpfungspunkt, sondern die Frage, wie die
Verantwortung verteilt ist oder ob sie allein für die Erziehung ihres Kindes verantwortlich sind. So kann es zum
Beispiel sein, dass man sich als alleinerziehend ansieht,
obwohl man schon mit einem neuen Partner zusammenlebt. Umgekehrt kann es sein, dass man sich nicht als alleinerziehend ansieht, obwohl man mit keinem Partner
zusammenlebt. Das ist dann der Fall, wenn es funktionierende Netzwerke, Freunde, Familie und ein Umfeld
gibt, das Unterstützung leistet. Dann fühlen sich die Betroffenen nämlich gerade nicht als alleinerziehend. Deswegen ist der Eindruck von der hilflosen Einsamkeit, der
sich immer aufdrängt, wenn man über Alleinerziehende
spricht, falsch und trifft auf die meisten nicht zu.
Kollegin Marks, ich habe mich darüber gefreut, dass
Sie am Anfang Ihrer Rede von Einerzieherfamilien gesprochen haben.
({2})
- Einelternfamilien. Ich denke, da gibt es keinen großen
Unterschied. - Genauso unterschiedlich und facettenreich wie die Selbstwahrnehmung und die Lebenssituation ist auch die finanzielle Situation. Auch hier störe ich
mich daran, dass Sie von der SPD immer suggerieren,
dass erst einmal die SPD kommen müsse, damit Alleinerziehende endlich anständig finanziell unterstützt werden. Damit verkennen Sie erstens, dass nicht alle Alleinerziehenden in prekären Situationen sind. Sie verkennen
zweitens, dass es für Alleinerziehende mit geringem
oder auch ohne eigenes Einkommen bereits ganz viele
Unterstützungsleistungen gibt. Vieles, was Sie mit Ihrem
Antrag fordern, gibt es bereits. Was Sie alles fordern,
hört sich zwar gut an und ist auch sehr umfangreich, aber
die Realität ist doch eine andere.
Sie verschweigen viele Dinge, etwa dass es das Elterngeld für Alleinerziehende 14 Monate gibt statt
12 Monate. Sie verschweigen auch, dass wir gerade in
dieser Legislaturperiode den Unterhaltsvorschuss erhöht
haben. Auch das Bildungs- und Teilhabepaket haben Sie
verschwiegen, das gerade Familien mit geringem Einkommen zugutekommt. Sie haben nicht nur komplett
verschwiegen, dass es bereits Unterstützungsnetzwerke
für Alleinerziehende gibt, sondern Sie fordern sie in Ihrem Antrag sogar noch. In meinem Wahlkreis gibt es
eine solche Initiative, ein Netzwerk für Alleinerziehende. Genau das brauchen Alleinerziehende, nämlich
dass man bei der Koordination von Beruf und Familie
und bei der Gestaltung des Alltags hilft. Das leisten
diese Netzwerke. Dort wird eine hervorragende Arbeit
gemacht.
({3})
Alleinerziehende brauchen in erster Linie Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, ein möglichst unabhängiges und selbstständiges Leben zu führen. Dazu
gehört in erster Linie ein auskömmliches Einkommen,
also ein Job.
({4})
Nadine Schön ({5})
Eine Arbeitsstelle ist die beste Antwort auf Risiken, die
mit der alleinigen Erziehung eines Kindes auf das Elternteil zukommen.
Gerade wenn es um Arbeitsmöglichkeiten für Alleinerziehende geht, ist ein Punkt besonders wichtig, der ein
Schwerpunkt der Familienpolitik in dieser Legislaturperiode war, und zwar der Ausbau der Kinderbetreuung.
Insbesondere für Alleinerziehende ist es ungemein wichtig, dass sie ihr Kind gut betreut wissen, wenn sie einer
Arbeit nachgehen, und dass es flexible Öffnungszeiten
der Kitas gibt. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir
von Bundesseite zusätzlich 580 Millionen Euro in die
Hand nehmen, um zusätzlich 30 000 neue Kitaplätze zu
fördern. Sie wissen, das ist eigentlich Aufgabe der Länder und Kommunen. Wir haben bereits über 4 Milliarden
Euro investiert.
({6})
Wie gesagt: Wir werden jetzt noch einmal 580 Millionen
Euro investieren. Da nimmt der Bund seine Verantwortung wahr, und das ist gerade im Sinne der Alleinerziehenden.
({7})
Um Alleinerziehenden wirklich zu helfen, müssen
keine großartigen Anträge geschrieben werden. Was Sie
direkt machen können, ist: Sprechen Sie mit den Regierungen in den Ländern, in denen Ihre Parteifreunde Regierungsverantwortung haben, damit der Ausbau der Kitas und der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
dort vorankommt. Damit können Sie Alleinerziehenden
ganz konkret helfen. Das empfehle ich Ihnen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte heute den Schwerpunkt meiner Rede auf den
Antrag der Linken legen, da die Zeit nicht reicht, um auf
alle Forderungspunkte der SPD einzugehen.
Der Unterhaltsvorschuss soll die finanzielle Situation
von Alleinerziehenden und ihren Kindern verbessern,
wenn der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen kann. Der Unterhaltsvorschuss kommt damit
unmittelbar den Kindern von Alleinerziehenden zugute
und unterstützt alleinerziehende Elternteile vorübergehend. - So heißt es sinngemäß in der Begründung des
von der Regierung eingebrachten Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetzes, welches wir gestern hier
im Bundestag behandelt haben.
Die Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist eine besondere Hilfe für alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder. Sie hilft den Alleinerziehenden,
wenn sie wegen des Ausfalls der Unterhaltszahlungen des
anderen Elternteils nicht selbst für die Betreuung und Erziehung des Kindes sorgen können, sondern auch für den
ausfallenden Barunterhalt aufkommen müssen.
Alleinerziehende Elternteile und ihre Kinder sind in
dieser Lebenssituation besonders zu unterstützen.
… Deshalb … wird eine Erhöhung der Altersgrenze
um zwei Jahre geprüft.
Auch das ist ein Zitat, und zwar aus einer Antwort der
Bundesregierung vom 29. März 2010 - also fast drei
Jahre alt - auf eine Kleine Anfrage der Linken. Des Weiteren wird dort ausgeführt:
Eine Anhebung der Altersgrenze für UVG-Leistungen auf die Vollendung des 18. Lebensjahrs … entspräche nicht dem Sinn und Zweck … dieser Vorschrift. Die Unterhaltsleistung nach dem UVG hilft,
wenn die Kinder aufgrund ihres Alters eine besonders intensive Fürsorge und persönliche Betreuung
durch den alleinerziehenden Elternteil brauchen.
Da erstaunt es schon, dass nach der Düsseldorfer Tabelle der Unterhalt für die Altersstufe von 0 bis 5 Jahren
am geringsten ist, dann für die Altersstufe von 6 bis
11 Jahren steigt und in der Altersklasse von 12 bis
17 Jahren nochmals um circa 20 Prozent erhöht wird.
Das heißt doch im Klartext, dass laut diesen Empfehlungen die Bedarfe von Kindern steigen, unabhängig vom
Fürsorge- und Betreuungsbedarf. Frau Schröder - es ist
heute wieder einmal bezeichnend, wie sehr sie sich für
die Sache interessiert; Herr Kues, ich weiß, dass Sie sich
dafür interessieren, aber Ihre Ministerin wie immer nicht dreht sich halt die Welt, wie sie ihr gefällt.
Schon im Koalitionsvertrag steht unter der Überschrift „Unterhaltsvorschuss“ geschrieben:
Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahin
gehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eines Kindes gewährt wird.
({0})
Ich betone: „Wir werden“, nicht: wir wollen. Aus diesem
„Wir werden“ wurde dann ein Prüfauftrag, wie wir 2010
ja gehört haben. Warum wird das Versprechen nicht eingelöst? Die FDP schreit hier immer: „Vertragstreue! Vertragstreue! Koalitionsvertrag!“ Die wissen schon nicht
einmal mehr, wie der Einband aussieht.
Dieses Versprechen einzulösen, wäre ein Leichtes.
Stattdessen soll den Alleinerziehenden ein Monatsbeitrag vom Unterhaltsvorschuss im Rahmen der Entbürokratisierung abgezogen werden. Fünf Minuten Zeitersparnis, wie es im Gesetzentwurf heißt - und dafür
verlieren Alleinerziehende einen Monatsbeitrag Unterhalt. Das ist ein „Sieg“ auf ganzer Linie, wie auch immer
die Koalition dies bezeichnen mag. Und dafür klopfen
Sie sich gegenseitig auf die Schultern. Das ist schwarzgelbe Familienpolitik, wie sie im Buche steht.
Das geschieht ja nicht das erste Mal. Das Ganze - das
regt mich als Lutheraner maßlos auf ({1})
wird von dieser Regierung selbst immer als „christlichliberal“ bezeichnet.
({2})
Ich weiß nicht, wie oft diese Bezeichnung hier im Laufe
einer Woche fällt. Nach meinem Dafürhalten grenzt das
schon an Blasphemie.
({3})
Diese Politik ist nicht christlich. Erklären Sie doch einmal einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater, warum das Jugendamt ab dem 13. Lebensjahr den Barunterhalt einstellt. Braucht das Kind
kein Essen mehr? Braucht es keine Bücher, keine Kleidung, keine Teilhabe mehr? Erklären Sie das doch einmal. Das versteht keiner.
Der Unterhaltsvorschuss ist zwingend auszubauen.
Das habe ich schon mehrfach gesagt. Das erste Mal habe
ich es 2006 gesagt - die Vorsitzende des Familienausschusses wird sich vielleicht noch daran erinnern können -, da waren Sie ja noch in der Opposition. Seit sechs
Jahren fordere ich also den Ausbau des Unterhaltsvorschusses.
Die maximale Bezugsdauer von sechs Jahren ist mit
nichts zu rechtfertigen, ebenso wenig die Altersobergrenze von zwölf Jahren. Fragen Sie vor Ort doch einmal die Familienrichter, die Rechtspfleger, die Anwälte,
die Jugendämter, die Jugendamtsmitarbeiter und vor allem die Betroffenen. Wann kommt diese Regierung endlich in der Realität an?
({4})
Kürzungen zulasten der Familien sind jedenfalls keine
Familienpolitik, wie sie die Familien brauchen, und
keine Familienpolitik, die von der Linken unterstützt
wird.
({5})
Zu den Anträgen der SPD lässt sich konstatieren, dass
in dem Maßnahmepaket mit seinen umfangreichen Forderungen viele gute Vorschläge enthalten sind, wie auch
in den bereits gestellten Anträgen der Linken und der
Grünen. Wir werden in den Beratungen - so hoffe ich
wirklich - fraktionsübergreifend zu einem guten Ergebnis kommen, was den Familien in Gänze und insbesondere den Alleinerziehenden endlich wirklich hilft.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Thema Alleinerziehende beschäftigt uns zum Ende dieser Sitzungswoche. Ich denke, es wäre gut, wir würden
es mehr in den Fokus stellen; denn es geht hier mittlerweile um eine große Bevölkerungsgruppe.
({0})
Insofern freue ich mich, die ich selber Kinder alleine
großgezogen habe, dass wir uns damit zumindest einmal
auseinandersetzen. Ich glaube, dieses wichtige Thema,
das die Veränderung unserer Gesellschaft betrifft, wird
in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren auf der
Tagesordnung stehen.
Die klassische Familienvorstellung von Vater, Mutter
und Kindern ist immer seltener Realität. Scheidungen
sind an der Tagesordnung. Familien brechen auseinander, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind
oder nicht. Heute Morgen haben wir den Gesetzentwurf
zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern beraten. Da ist die Regierungskoalition
gut auf dem Weg. Wir kümmern uns durchaus um die Situation von Alleinerziehenden, gerade auch um die Situation der Kinder. Ich möchte das hier doch betonen,
weil es ein bisschen unterzugehen scheint: Heute Morgen ist eine wirklich zentrale Reform im Familienrecht
auf den Weg gebracht worden. Väter sind in Zukunft
- das ist absehbar -, auch wenn sie nicht verheiratete
Väter sind, sorgeberechtigt und auch sorgeverpflichtet.
Ich glaube, da kommen wir zu einem Punkt, der beim
Thema Alleinerziehende zentral ist: In dem Wort „Alleinerziehende“ steckt etwas drin, was wir uns vielleicht
zu wenig bewusst machen, nämlich dass die Erziehung
in einem solchen Fall die Aufgabe von nur einem Elternteil ist. Dazu gehören die tägliche Sorge, das Kümmern
und das Organisieren des Alltags ohne die Hilfe eines
Partners.
In der Regel sind es Frauen, die alleinerziehend sind,
auch wenn es zunehmend - das ist absolut zu begrüßen alleinerziehende Väter gibt. Die Situation ist häufig finanziell schwierig, weil die Väter oftmals keinen Unterhalt zahlen. Das ist meiner Ansicht nach kein Kavaliersdelikt. Das ist, wenn man es genau nimmt, sogar strafbar.
({1})
Aber in der Realität wird es hingenommen. Man stopft
die Löcher dann zum Beispiel mit dem Unterhaltsvorschuss. Das ist aber nur die zweitbeste Lösung. Die beste
Lösung wäre, die Väter würden sich kümmern.
({2})
Gerade in dieser Hinsicht - zumindest an dieser Stelle
gibt es Einvernehmen mit den Bundesländern - wollen
wir den Unterhaltsvorschuss verbessern: Wir wollen die
Vorgehensweisen und die Verfahren entbürokratisieren.
Ich bin weiterhin hoffnungsvoll, dass wir eine Aufstockung des Unterhaltsvorschusses erreichen können; das
ist ein erklärtes Ziel. Aber man muss da Geduld haben.
Wir sind noch nicht am Ende der Diskussion; wir haben
die Gesetzesberatungen noch vor uns.
Alleinerziehende brauchen meiner Ansicht nach ganz
dringend bessere Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit. Da
ist nicht nur ein Ausbau der Kinderbetreuung notwendig
- das ist sicherlich ein zentrales Thema -; Alleinerziehende brauchen auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten
in der Wirtschaft. Es ist beispielsweise möglich, Halbtagsausbildungen anzubieten. Alleinerziehende brauchen
auch bessere Umschulungsmöglichkeiten. Gerade wenn
sie jung ein Kind bekommen haben und eventuell eine
Ausbildung oder ein Studium abbrechen mussten, ist die
wirtschaftliche Situation oftmals schwierig. Ich glaube,
auch in dieser Hinsicht ist noch einiges zu tun.
Ich freue mich auf die kommenden Debatten im Ausschuss.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Katja Dörner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Große Töne spucken, nichts dahinter:
So lässt sich die Politik der Bundesregierung auch mit
Blick auf Alleinerziehende charakterisieren; leider ist es
so. Im Koalitionsvertrag wurde so einiges angekündigt.
Aber in der an sich schon ziemlich mickrigen kinderund familienpolitischen Bilanz von Schwarz-Gelb fällt
auf, dass gerade die Umsetzung der Maßnahmen, die
sich auf die Lebenssituation der Alleinerziehenden unmittelbar positiv ausgewirkt hätten, nicht angegangen
wird.
Beispiel Unterhaltsvorschuss - das ist eben schon genannt worden -: Angekündigt wurde, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten und bis zum 14. Lebensjahr eines
Kindes zu gewähren. Das ist eine wichtige und sinnvolle
Maßnahme. Es gab sogar schon einen Gesetzentwurf.
Die Umsetzung hat dann aber nicht stattgefunden; denn
plötzlich war kein Geld mehr da. Ich wage mal, zu sagen: Das Geld wird jetzt wohl für das Betreuungsgeld
gebraucht. Das ist völlig unsinnig und absolut inakzeptabel.
({0})
Beispiel „Abzug von der Steuerschuld“. Selbstverständlich wäre es im Interesse der Alleinerziehenden,
den bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrag in einen
Abzug von der Steuerschuld umzugestalten. Von dieser
Ankündigung im Koalitionsvertrag will aufseiten der
Regierungsfraktionen niemand mehr etwas wissen.
Für Alleinerziehende wichtige Maßnahmen werden
nicht umgesetzt. Dafür hat die Regierung flott an Stellen
gespart, die Alleinerziehende ganz besonders treffen,
beispielsweise durch die Anrechnung des Sockelbetrages beim Elterngeld auf die Leistungen nach dem
ALG II. Klar ist: Unterstützung können Alleinerziehende von dieser Regierung nicht erwarten.
Das wundert auch nicht, wenn man sich anschaut,
welches Bild Abgeordnete der Koalitionsfraktionen von
Alleinerziehenden haben.
({1})
„Alleinerziehende bevorzugt“ heißt eine Kolumne von
Norbert Geis,
({2})
die er im Februar 2010 in der Jungen Freiheit veröffentlicht hat. Leider ist der Kollege, der seine exponierte
Meinung hier im Deutschen Bundestag immer wieder
sehr gerne darlegt, jetzt nicht hier.
({3})
In seiner Kolumne kritisiert er, der Staat gebe den Alleinerziehenden den Anreiz - Zitat -: „weder eine reguläre Arbeit anzunehmen noch eine neue Partnerschaft
einzugehen“. Er rechnet ganz genau aus, was eine Alleinerziehende den Staat kostet und kommt zu dem
Schluss - Zitat -: „Da fällt es schwer, dem Sinn und
Zweck der staatlichen Hilfe noch Vertrauen zu schenken.“
Alleinerziehende werden aus Sicht von Herrn Geis
also so gepampert, dass sie sich begeistert in ihrem Leben als Hartz-IV-Beziehende einrichten. Ich finde, das
ist eine Unverschämtheit
({4})
angesichts der vielen Alleinerziehenden, die unter
schwierigsten Bedingungen den Lebensunterhalt für sich
und ihre Kinder verdienen, die mangels Kinderbetreuung nicht berufstätig sein können oder in Teilzeit oder
gar in Minijobs arbeiten müssen.
({5})
Fakt ist, dass knapp zwei Drittel der Alleinerziehenden ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten. Über die Hälfte der Alleinerziehenden arbeitet Vollzeit. Damit liegt die Erwerbsquote deutlich höher als die
verheirateter Frauen. Trotzdem ist das Armutsrisiko von
Alleinerziehenden - zu 90 Prozent sind es bekanntlich
Frauen - besonders hoch. Fakt ist auch, dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in einem Haushalt
mit Kindern unter drei Jahren bei etwa 1 230 Euro liegt;
eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind unter drei
Jahren kommt gerade einmal auf rund 750 Euro, also
rund ein Drittel weniger. Das besagt der UNICEFBericht zur Lage der Kinder in Deutschland.
Alleinerziehende sind häufig gesundheitlich besonders belastet. Der Anteil alleinerziehender Mütter, die
von ihren Krankenkassen zu Mutter-Kind-Kuren geschickt werden, liegt mit 34 Prozent deutlich über der Inanspruchnahme solcher Kuren durch Mütter, die in einer
Partnerschaft leben. Auch das muss uns doch deutlich
machen, dass Alleinerziehende bessere Rahmenbedingungen brauchen.
({6})
Diffamierung von Alleinerziehenden ist also völlig
fehl am Platz. Es ist absolut notwendig, Alleinerziehende besser zu unterstützen. Hierzu gehört nicht nur die
Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, es gehört der bedarfsgerechte Kitaausbau dazu mit Öffnungszeiten, die
sich am Bedarf der Eltern orientieren. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die Eltern mehr Mitsprache bei
Umfang und Einteilung ihrer Arbeitszeiten ermöglichen,
auch hiervon würden insbesondere Alleinerziehende
profitieren.
Wir brauchen eine Kinder- und Familienförderung,
die endlich mit dem unbegreiflichen Zustand Schluss
macht, dass die Familien, die sowieso ein hohes Einkommen haben, über die Freibeträge besonders von der
staatlichen Förderung profitieren, während Familien im
ALG-II-Bezug in die Röhre gucken. Wir Grüne finden:
Eine Kindergrundsicherung wäre ein wichtiger und richtiger Schritt.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von dieser Bundesregierung ist leider bei alldem nichts zu erwarten. Es ist
absolut bitter, dass Alleinerziehende bei Ihnen, bei
Schwarz-Gelb, keine Lobby haben. Wenn wir 2013 hier
eine andere Regierungsmehrheit bilden, dann wird das
ein Ende haben. Das können wir versprechen.
({8})
- Genau.
Vielen Dank.
({9})
Der Kollege Frank Heinrich hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich halte es für ein Gerücht, dass die
Alleinerziehenden bei uns keine Lobby haben. Ich sage
das nur, um diesen Vorwurf einmal kurz aufzunehmen.
Wir hören hier immer wieder und stimmen an dieser
Stelle auch überein, dass Politik immer mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt. Ich bin froh über die
ersten beiden Rednerinnen, weil sowohl von Ihnen, Frau
Marks, als auch von meiner Kollegin Schön herausgearbeitet worden ist, dass es Respekt ist, den wir denjenigen
entgegenbringen, die aus unterschiedlichen Gründen alleinerziehend sein müssen.
Zwei Drittel aller Alleinerziehenden in Deutschland
sind erwerbstätig. Das hat mich sehr überrascht, als ich
mich damit noch einmal neu auseinandergesetzt habe.
Ja, Sie haben recht: Eine der Ursachen für Ihren Antrag
ist, dass fehlende oder nicht ausreichende Erwerbstätigkeit einer der Gründe ist, warum die Hilfequote in diesem Bereich so hoch ist, ganz ohne Frage. Das ist die
eine Seite. Auf der anderen Seite sind relativ viele Alleinerziehende tatsächlich beschäftigt, wovor ich den
Hut ziehe. Da liegt ein Berg von Arbeit vor uns. Sie haben angeboten, in den Ausschüssen dann auch wirklich
konstruktiv zusammenzuarbeiten, und da sind wir ganz
Ohr.
Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt - aus Arbeitslosigkeit und SGB-II-Bezug in diesem Fall - hat
sich allerdings in den letzten Jahren verbessert. Ja, das
hat auch mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun, die
wiederum allerdings mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun hat: Schwarz-Gelb in den letzten drei Jahren, vorher in der Großen Koalition.
Seit 2008 geht die Zahl der Bedarfsgemeinschaften
von Alleinerziehenden in diesem Bereich tatsächlich zurück. Ich hatte hier die Worte „allmählich zurück“ stehen. Ja, das ist auch kritisch zu verstehen; diese Zahl ist
immer noch viel zu hoch. Aber es wird ja schon eine
ganze Menge gemacht. Zur Darstellung der Realität gehört auch - eine entsprechende Bemerkung fiel vorhin
schon einmal -, dass Sie eine Menge von den Dingen,
die tatsächlich bereits unterwegs sind und schon passieren, in Ihrem Antrag verschweigen. Vieles von dem, was
Sie in Ihren Anträgen an Aufträgen beschreiben, gibt es
schon.
So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in die Zielvereinbarung aufgenommen, dass die Integrationsquote Alleinerziehender einen besonderen Stellenwert hat. Das heißt, da ist erkannt worden, dass da ein
Mangel ist, dass da ein Problemfeld besteht, und dies hat
eine hohe Priorität bekommen. Neu ist, dass sich die
Bundesagentur in der Zielvereinbarung für dieses Jahr
auf die Steigerung der Integrationsquote dieser Personengruppe verpflichtet hat. Ja, es ist nachdenkenswert,
dass das fortgeschrieben wird.
({0})
Zu nennen ist, dass seit 2010/11 die „Erschließung
von Beschäftigungschancen für Alleinerziehende“ ein
geschäftspolitischer Schwerpunkt der Bundesagentur ist.
Das steht auch in Ihrem Antrag, Sie gehen darauf ein;
das verschweigen Sie nicht.
Ihr Antrag besagt außerdem, dass die Förderung von
Alleinerziehenden aus Mitteln des SGB II auch ihrem
Anteil an den Arbeitslosen im SGB II entspricht; also
keine explizite Benachteiligung der Personengruppe,
keine Unterrepräsentierung.
Ferner wurden seit 1. Januar letzten Jahres Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt gesetzlich
eingeführt, die zum einen bei Gleichstellungsfragen unterstützen und beraten sollen, zum anderen aber auch zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wobei der besondere Fokus auf der Situation von Alleinerziehenden
liegt. Diese Beauftragten sind bei der Erarbeitung von
örtlichen Arbeitsmarkt- und Integrationsprogrammen
beteiligt bzw. sollen beteiligt werden. Das ist ihr Auftrag. Ich denke, sie sorgen bei der Ausübung dieser Aufgabe auch dafür, dass die Gleichstellung in den Köpfen
der Mitarbeiter der Jobcenter tatsächlich präsent ist.
Das ist die erste Forderung Ihres Antrags; das ist etwas, was eingeführt und jetzt schon mehr als anderthalb
Jahre unterwegs ist. Dann kann man prüfen, ob das in
den einzelnen Ämtern tatsächlich passiert. Aber es ist
bereits beauftragt.
({1})
Das Bundesministerium flankiert verstärkte Aktivierungs- und Integrationsbemühungen insbesondere durch
zwei ESF-finanzierte Bundesprogramme. In dem Programm „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ gibt es
77 Projekte, die angeschoben wurden, um ganz besonders Erwerbs- und Verdienstchancen zu erhöhen und somit dieser Personengruppe danach ein Leben unabhängig von staatlichen Leistungen zu ermöglichen.
Dazu zählt auch das Netzwerk, das vorhin von einem
Kollegen genannt wurde. Die „Netzwerke wirksamer
Hilfen für Alleinerziehende“ gibt es seit April letzten
Jahres; die Laufzeit reicht bis Mitte nächsten Jahres. Das
Programm umfasst Mittel in Höhe von 25 Millionen
Euro. Dieses Förderprogramm zielt darauf, effektive
Verknüpfungen von Unterstützungsangeboten und die
dauerhafte Verbesserung der Kooperationsstrukturen vor
Ort zu ermöglichen
({2})
mit dem Ziel, herauszufinden, mit welchen Projekten in
welchen Netzwerken am besten gearbeitet wird, um solche Ansätze dann in die Regelorganisation insbesondere
der Jobcenter zu überführen.
Kollege Heinrich, gestatten Sie eine Frage?
Einen kleinen Moment! Ich möchte zuvor gern noch
mit diesem Punkt zu Ende kommen.
Die Arbeitgeberansprache nimmt 2012 und 2013 eine
zentrale Rolle unter dem Dach der Fachkräfteoffensive
ein. Die Teilkampagne „Beschäftigungschancen für Alleinerziehende erschließen“ ist dafür ein Beispiel und
wird dort besonders genannt. Das Ziel ist eine möglichst
hohe Quote der Vermittlung von Alleinerziehenden in
Arbeits- und Ausbildungsstellen. Meine Erfahrung in
Chemnitz ist - ich habe die beiden letztgenannten Projekte bei mir vor Ort besucht -, dass diese Projekte tatsächlich Fuß fassen und wahrgenommen werden.
Die Zwischenfrage könnte jetzt gestellt werden.
Dann ist jetzt eine Frage oder eine Bemerkung nach
unserer Geschäftsordnung möglich.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Sie haben ja
sehr richtig erklärt, dass die Armut bei alleinerziehenden
Elternteilen - natürlich zu 80 Prozent Frauen - am besten durch die Integration in den ersten Arbeitsmarkt beseitigt werden könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass
Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass als Voraussetzung dazu die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werden muss. Sie erinnern sich sicher - es ist ja
nicht lange her - an die gestrige Diskussion um das unsägliche Betreuungsgeld - Geld, das ja nicht dazu da
sein soll, Kindergartenplätze auszubauen. Dieser Ausbau
scheitert daran, dass die Kommunen kein Geld haben,
Erzieherinnen zu bezahlen,
({0})
und dass die Kommunen nicht genügend Erzieherinnen
ausbilden können, weil dafür die finanziellen Möglichkeiten nicht vorhanden sind.
Können Sie mir zustimmen, dass die Netzwerke zur
Betreuung der Alleinerziehenden oder auch die Mittel,
die man für das Betreuungsgeld ausgibt, sicherlich besser in der Ausbildung von Erzieherinnen aufgehoben
wären, um die Voraussetzung zu schaffen, dass Alleinerziehende sich auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt
bewerben können?
Danke, Frau Kollegin. - Ich kann Ihnen in der Folgerung dessen, was Sie in dieser Frage implizieren, nicht
folgen, dass nämlich das Betreuungsgeld und die Ausbildung von Erzieherinnen gegeneinander ausgespielt werden. Die Frage allerdings, ob die Förderung und die Ausbildung von zum Beispiel Erzieherinnen tatsächlich eine
höhere Priorität haben soll, kann ich klar mit Ja beantworten. Das ist aber nicht nur ein Regelungsbedarf in der
Bundespolitik, sondern da sind tatsächlich die Netzwerkstrukturen vor Ort und damit auch die Kommunen
und die Bundesländer mit verantwortlich. Aber dass sich
dies gegen das Betreuungsgeld ausspielen ließe, diese
Verbindung sehe ich nicht; ich würde sie auch klar verneinen.
Ich komme nun zu den Forderungen Ihres Antrags. In
der siebten und achten Forderung geht es um die Flexibilisierung der Kinderbetreuung und den Zusammenhang
von Kinderbetreuung und Arbeitsplatz. Sie stellen in Ihrem Antrag einen zwingenden Zusammenhang her. Einen solchen Zusammenhang gibt es tatsächlich an vielen
Stellen; aber man kann auch genau das Gegenteil belegen. In einer Stadt, die nicht weit von meiner Stadt
Chemnitz entfernt ist, in Gera, ist man zwar bei der Kitaausstattung ganz vorne in der Statistik - das bezieht sich
auch auf Ihre Frage von eben -, aber es gibt trotzdem
eine überdurchschnittliche Anzahl arbeitsloser Alleinerziehender. Dies ist also nicht direkt miteinander verknüpft. Hier spielen also sehr viel mehr Faktoren als nur
diese beiden mit.
Für definitiv richtig halte ich die Forderung nach einer Flexibilisierung der Kinderbetreuung, die allerdings
nicht nur eine politische Angelegenheit ist, sondern die
die gesellschaftlichen Kräfte eher als uns hier im Bundestag betrifft.
({0})
Ja, ich unterstütze, dass es nachdenkenswert ist, die
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auch mehr im Bereich Teilzeit anzuwenden, aber ich sage Nein, wenn Sie
das von Ihnen immer wieder genannte Allheilmittel „gesetzlicher Mindestlohn“ in Ihrer neunten Forderung
ansprechen. Es ist aber nicht ein generelles Nein; Sie
kennen unsere Haltung dazu: branchenspezifisch und
ausgehandelt im freien Spiel der Kräfte bei der Entwicklung von Tarifen. Da sind wir ja unterwegs. Flächendeckende Mindestlöhne bewirken vielmehr, dass Geringqualifizierte mit ihren Familien dauerhaft vom
Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.
Zum Schluss ein grundsätzlicher Gedanke, um vielleicht in moralischer Hinsicht den Faden aufzunehmen:
Das Klima in Gesellschaft und Beruf ist leider immer
noch nicht überall so positiv, was den Umgang mit Kindern angeht, wie das in Ihrem Antrag unterstellt wird.
Das spüren nicht nur Alleinerziehende. Selten finden vor
allem Frauen durchgehend Unterstützung bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen. Mein Plädoyer: Nicht nur der
Gesetzgeber muss das Problem stärker in den Fokus nehmen und handeln, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte,
die da sind: Familien, Betriebe, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine und am Schluss auch wir als Politik. Deshalb gehen wir auch mit Ihren Gedanken und Vorschlägen in die Debatte in den Ausschüssen und hoffen auf
eine konstruktive Auseinandersetzung, die Sie, Frau
Marks, angekündigt haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich immer
weniger Frauen in unserer Gesellschaft für Kinder entscheiden. Das Risiko, in Armut zu fallen, ist für Mütter
enorm hoch. Ganz besonders betroffen sind Frauen in
Einelternfamilien. Bei ihnen ist das Risiko fünfmal höher als bei Frauen, die einen Partner haben.
Schauen wir uns einmal an, wie viele alleinerziehende
Frauen sehr schnell in Langzeitarbeitslosigkeit, also in
den Hartz-IV-Bezug, fallen: Von den alleinerziehenden
Frauen mit einem Kind sind es vier von zehn. Haben sie
mehrere Kinder, dann sind es schon acht von zehn. Diese
Zahlen müssen uns alarmieren. Das ist eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die wir unbedingt bekämpfen
müssen. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt.
({0})
Herr Kollege Heinrich und Frau Kollegin Schön, dieser Antrag ist auch dringend nötig. Wenn alles so toll, so
gut und in Ordnung wäre, wie Sie es beschrieben haben,
({1})
dann hätten wir diese katastrophalen Zahlen nicht. Wir
brauchen Maßnahmen, damit sich in unserer Gesellschaft etwas ändert, damit Alleinerziehende eine starke
Lobby in unserem Land haben.
({2})
Wie sieht die Wirklichkeit für alleinerziehende
Frauen in unserer Gesellschaft aus? Sie üben häufig eine
prekäre Beschäftigung aus, wenn sie überhaupt Arbeit
haben. Sie verdienen weniger, sind öfter befristet beschäftigt und arbeiten, obwohl die Quote der vollzeitbeschäftigten Mütter unter den Alleinerziehenden besonders hoch ist, häufiger unfreiwillig Teilzeit als Mütter
aus Paarhaushalten.
Nun müssen wir schauen: Was tun die Bundesagentur
für Arbeit und die Jobcenter, um diese Situation zu verbessern? Fakt ist: Jahrelang wurde dort für Alleinerziehende auf Sparflamme gekocht. Sie mussten zugunsten
Arbeitsloser und Arbeitsuchender, die leichter zu vermitteln sind, hinten anstehen. Das belegt eine Studie, die
das Bundesministerium für Arbeit auf unsere Initiative
hin in Auftrag gegeben hatte. Unser damaliger Arbeitsminister Olaf Scholz hat diese Benachteiligung aufgegriffen und zum Thema gemacht.
2010 klingelte es dann auch bei der Ministerin von
der Leyen. Die Förderung von Alleinerziehenden ist seit
2010 einer von sechs Geschäftsschwerpunkten der Bundesagentur für Arbeit. Das ist ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Immer mehr Alleinerziehende sitzen
nun in Maßnahmen der BA und der Jobcenter. Eine neue
Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA sagt, dies erhöhe die ansonsten sehr niedrige Chance auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung enorm. Das ist ein hoffnungsvolles Ergebnis.
Tatsache ist aber auch: Noch immer werden anteilsmäßig zu wenig Alleinerziehende überhaupt gefördert.
Leider belegt die Studie auch: Die Chance, aus Hartz IV
heraus innerhalb der nächsten anderthalb Jahre eine bedarfsdeckende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden, liegt bei Müttern aktuell bei unter 8 Prozent. Das muss man sich einmal vorstellen.
Es bedarf also noch sehr großer Anstrengungen, um
Frauen gerechte Chancen einzuräumen. Solche Anstrengungen müssen dann aber auch unternommen werden.
({3})
Damit dies gelingt, müssen BA und Jobcenter die
richtigen Instrumente und vor allem das nötige Geld für
Maßnahmen bekommen. Was aber machen Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb?
({4})
Was macht Ihre Arbeitsministerin? Sie dampfen die
dringend benötigten Gelder für eine erfolgreiche Arbeitsvermittlung rigoros zusammen. Sie weiten die Minijobs aus und rauben damit gerade Alleinerziehenden
Möglichkeiten, in reguläre Beschäftigung zu kommen.
Sie führen ein Betreuungsgeld ein, das Alleinerziehende
in ihren beruflichen Perspektiven massiv benachteiligen
wird. Diesen Ungerechtigkeiten muss ein Riegel vorgeschoben werden.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, nehmen Sie die Wirklichkeit von Alleinerziehenden endlich wahr und richten Sie die Arbeitsmarktpolitik
darauf aus! Denn hier liegt einiges im Argen. Nur zwei
Beispiele dazu: Geforderte Arbeits- und Wegzeiten sind
für arbeitslose Alleinerziehende oft viel zu lang. Gehen
Alleinerziehende eine neue Partnerschaft ein und gründen einen gemeinsamen Haushalt, ist der neue Partner
sogar für die Kinder sofort einstandsverpflichtet. Paare
ohne Kinder haben ein Jahr Zeit, sich zu beschnuppern.
Das ist eine hanebüchene Ungleichbehandlung mit fataler Konsequenz.
({6})
Alleinerziehende im Leistungsbezug bleiben meist alleinerziehend. Das dürfen wir nicht länger zulassen.
({7})
Wir fordern deshalb in unserem Antrag: Gleichstellungspolitik im SGB II endlich gesetzlich verankern!
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und das Nachholen
von Schulabschlüssen in Teilzeit anbieten! Fördermaßnahmen auch für Mütter in Elternzeit! Flexible Kinderbetreuung sicherstellen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verstößt gegen
Grundwerte unserer Demokratie, dass Frauen benachteiligt und vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, nur
weil sie ihre Kinder allein betreuen und großziehen müssen.
Kollegin Hiller-Ohm, das Minus vor der Zeitangabe
zeigt Ihnen, dass Ihre Redezeit bereits entsprechend
überschritten ist.
Ich komme zum Schluss. - Wir können uns so etwas
auch überhaupt nicht leisten, wenn wir wollen, dass unser Land wettbewerbsfähig bleibt. Wir brauchen Fachkräfte. Wir brauchen diese tollen, hochmotivierten
Frauen. Setzen Sie sich endlich für Alleinerziehende ein!
Diese brauchen eine starke Lobby.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Wunderlich, Sie haben sich hier in der Debatte als
bekennender Lutheraner gezeigt. Das finde ich gut.
({0})
Dann wissen Sie aber auch, dass die Heilige Schrift davor warnt, dass Propheten auftreten werden, die falsche
Wunder und Zeichen versprechen.
({1})
Herr Wunderlich, wenn ich mir Ihre Politik und die
Anträge, die Sie Woche für Woche in den Deutschen
Bundestag einbringen, anschaue, dann muss ich sagen:
Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken,
als könne Politik Manna vom Himmel regnen lassen. Als
Lutheraner sollten Sie aber wissen, dass das den Menschen und der Politik nicht möglich und Gott selbst vorbehalten ist.
({2})
Deshalb sollten Sie sich hier lieber mit realistischer Politik auseinandersetzen und den Menschen nicht Sand in
die Augen streuen.
({3})
Lieber Herr Wunderlich, zu dieser realistischen Politik gehört es auch, dass die Integration von Menschen in
den Arbeitsmarkt eine schwierige Aufgabe ist. Aber
kaum eine Regierung - vor allen Dingen nicht in den
letzten Jahrzehnten - war bei der Aufgabe, Menschen in
den Arbeitsmarkt zu integrieren, so erfolgreich wie diese
Regierungskoalition. Das betrifft ausdrücklich auch Alleinerziehende im SGB-II-Bezug. Frank Heinrich hat
schon darauf hingewiesen. In den Jahren dieser Regierungskoalition ist es gelungen, über 200 000 Alleinerziehenden in die Erwerbstätigkeit zu verhelfen.
Das ist für jeden Einzelnen, für jede Einzelne ein Riesenerfolg. Darüber sollten wir uns zunächst einmal gemeinsam freuen. Dass dieser Schritt vielen noch nicht
gelungen ist und darüber hinaus weiterer Unterstützungsbedarf besteht, will hier niemand bestreiten. Aber
wir können keine Wunder versprechen, sondern wir
müssen realistisch Politik machen.
Zu dieser realistischen Politik gehört, dass sich die
Regierungskoalition - Frank Heinrich hat schon darauf
hingewiesen - mit einzelnen und klugen Programmen
dieser Aufgabe stellt. „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ ist ein solches Programm, das wir mit insgesamt
60 Millionen Euro fördern. Frank Heinrich hat auf die
25 Millionen Euro hingewiesen, mit denen das Programm „Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerziehende“ unterlegt ist.
Am Ende - das wissen wir alle - ist das Hauptproblem für Alleinerziehende, dass es an Kinderbetreuung
fehlt.
({4})
An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen, muss man auch einmal darauf hinweisen, dass der Bund hier in den vergangenen Jahren in Vorleistung getreten ist.
({5})
Er hat seine Aufgaben erfüllt, wenn es um den Ausbau
von Kinderbetreuung geht. Viele Bundesländer - auch
SPD-regierte Länder - rufen die zur Verfügung gestellten Mittel jedoch nicht in dem Maße ab, wie es möglich
wäre. Trotzdem steht diese Regierungskoalition auch
weiterhin zum Ausbau von Kinderbetreuung. Wir werden den Ausbau von Kinderbetreuung ab dem Jahr 2014
mit 845 Millionen Euro weiter fördern.
({6})
Das sind Riesenleistungen, die diese Gesellschaft erbringt. Ich glaube, dass die Alleinerziehenden in dieser
Regierungskoalition einen guten Anwalt haben.
({7})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/11032, 17/11038 und 17/11142 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Klaus
Ernst, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen
- Drucksachen 17/243, 17/2070 Buchstabe b Berichterstattung:Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Marlene Rupprecht ({1})Nicole Bracht-Bendt Cornelia Möhring Monika Lazar
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Kollegin Winkelmeier-Becker für
die Unionsfraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit meiner zweiten Rede kann ich anschließen an
die erste Rede, die ich heute gehalten habe. Auch hier
geht es wieder um den besonderen Blickwinkel auf die
Situation von Frauen, diesmal von Frauen in einer besonderen Lage, nämlich in einer Gefahren- und Notsituation, in der sie schnell Hilfe brauchen, weil sie zu
Hause einen massiven und gewaltträchtigen Konflikt haben, in der Regel mit dem Partner.
Die Aspekte, die wir vorhin in der Debatte angesprochen haben, spielen auch hier eine Rolle: Die eigene soziale Sicherheit, der eigene Status, die eigene Sicherheit
- auch die Selbstsicherheit - der Frauen sind häufig,
auch in der Entstehungsgeschichte eines solchen Konflikts, mit von Bedeutung. Auch in der Situation der
Hilfsbedürftigkeit macht es einen Unterschied, ob man
auf eine eigene Absicherung zurückgreifen kann oder
nicht.
Bei den Themen, die wir schon behandelt haben, kann
man, wenn man so will, den einen oder anderen Standpunkt kontrovers diskutieren. Bei dem Thema „Gewalt
gegen Frauen“ gibt es ganz klar den gemeinsamen
Standpunkt, dass das ein No-Go ist und wir da ein wirksames Hilfesystem entgegensetzen müssen.
Dieses Hilfesystem ist in Deutschland sehr vielfältig
gewachsen in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Da wird bereits jetzt sehr fachkundige, engagierte und auch wirkungsvolle Hilfe geleistet.
({0})
Trotzdem ist klar - das ist der Befund -, dass der Bedarf
an niedrigschwelliger und erreichbarer Hilfe noch nicht
gedeckt ist.
Wir haben deshalb in dieser Legislaturperiode zwei
Dinge auf den Weg gebracht, um das System gezielt zu
verbessern. Zum einen haben wir für Frauen in Notsituationen eine Helpline organisiert, ein Telefonangebot, das
rund um die Uhr, 24 Stunden, niedrigschwellig und
schnell zu erreichen ist.
Am anderen Ende dieser Helpline sitzen qualifizierte,
gut ausgebildete Beraterinnen mit mehrsprachigem Angebot - denn es richtet sich ja auch an Frauen mit unterschiedlichem Sprachhintergrund -, die dann beraten
können, was in der jeweiligen Situation schnell an Hilfe
verfügbar und erreichbar ist. Das ist ein ganz wichtiges
Hilfsangebot, um die verschiedenen Dinge zu koordinieren und die Frau wirklich dorthin zu lotsen, wo ihr geholfen werden kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es
ein Angebot gibt.
Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob das Angebot reicht. Das ist der zweite Punkt, den wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben hatten, nämlich zunächst
einmal eine gesicherte Faktenbasis über das zu schaffen,
was denn in Deutschland in den verschiedenen Regionen
bisher schon besteht und wo Defizite sind.
Wir haben über 350 Frauenhäuser plus weitere
Schutzwohnungen, die zusammen 6 000 Plätze bieten.
Insgesamt werden diese 6 000 Plätze pro Jahr von etwa
15 000 bis 17 000 Frauen und ihren Kindern, zusammen
etwa 34 000 Personen, in Anspruch genommen. Dazu
kommen 750 Fachberatungsstellen mit verschiedenen
Arbeitsschwerpunkten, Migration, sexueller Missbrauch
usw. Da sind verschiedene Themen von besonderer Bedeutung.
Dieser Bericht konstatiert allerdings auch Zugangsschwierigkeiten. 9 000 Frauen werden bei der Einrichtung, bei der sie zunächst anklopfen, abgewiesen und
müssen weitervermittelt werden, wenn es denn überhaupt gelingt, etwas Angemessenes für sie zu finden.
Klar ist also, dass weiterer Bedarf besteht, dass Defizite ausgemerzt werden müssen. Da stellen sich - wie
immer - zwei Fragen. Das eine ist die Frage: Was soll
passieren, und wie wird es finanziert? Die zweite Frage
ist: Wer ist zuständig, wer soll es machen?
Die Linken schlagen in ihrem Antrag vor, das alles
auf der Bundesebene zu machen und ein Bundesgesetz
zur Regelung der Finanzierung der Frauenhäuser zu
schaffen. Wir haben aber - ich sagte es eingangs - eine
historisch gewachsene Situation, was die Kommunen
und die Länder angeht. Diese haben sich auf der gemeinsamen Frauenministerkonferenz im Jahre 2010 auch festen Willens gezeigt, diese Aufgabe weiter wahrzunehmen. Wir haben konstatiert, dass sie diese Aufgabe sehr
ernst nehmen. Sie haben sich auch den Bericht angesehen und werden jetzt schauen, was für sie daraus für
Schlüsse zu ziehen sind. Daher dürfte es auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehr schwierig
sein, zu sagen: Nein, Länder, ihr macht das alles nicht
gut genug. Der Bund ist zuständig.
Ich sehe auch nicht, dass sich die Hoffnung, die Sie
damit verbinden, erfüllt, nämlich dass der Bund so etwas
per se alles besser machen würde. Wenn der Bund die
Länder aus dieser Aufgabe entlässt, heißt das ja zunächst
auch, dass die Länder das Geld, das sie da bisher hineinstecken, nicht mehr für diese Aufgabe zur Verfügung
stellen würden. Es müsste also der Bund all das substituieren, was die Länder jetzt tun, und er müsste dann, damit sich vielleicht die Erwartung erfüllt, dass es besser
wird, noch etwas obendrauf legen. Es ist zunächst sehr
zweifelhaft, ob das passiert.
Ich sehe, wie gesagt, auch nicht per se einen Vorteil
darin, die Zuständigkeitsebene zu ändern. Die Länder
sind durchaus in der Lage, da, wo es sinnvoll und notwendig ist, zu kooperieren. Das haben sie gerade bei ihrem Plan gezeigt, die Abiturprüfungen über die Länder
hinweg in eigener Zuständigkeit besser zu koordinieren,
weil da durchaus ein Bedarf gesehen wird. Das können
sie auch bei anderen Aufgaben machen, sodass sich
nicht unbedingt die Notwendigkeit ergibt, den Bund in
die Aufgabe eintreten zu lassen und damit die Länder
aus der Aufgabe herauszudrängen.
Das heißt nicht, dass der Bund sich damit automatisch
aus dem ganzen Thema verabschiedet. Der Bund hat
durchaus eigene Möglichkeiten, die Situation der betroffenen Frauen zu verbessern. Viele beziehen Leistungen
nach SGB II oder SGB XII. Genau in diesem Regelungsbereich sind Probleme ausgemacht, zum Beispiel
wenn es um die Situation von Studentinnen, von Migrantinnen geht oder wenn es auch nur darum geht, die
Bewilligungszeiten zu verkürzen, damit die Frau nicht
schon wieder aus dem Frauenhaus weg ist, bevor der bewilligende Bescheid kommt.
Ich würde vorschlagen, wir machen da, wo wir mit
Sicherheit zuständig sind, unsere Hausaufgaben und entlassen die Länder nicht aus der Pflicht, sondern sorgen
dafür, dass auch sie weiterhin für die gemeinsame Aufgabe zuständig sind.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marlene
Rupprecht das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe 20 Jahre lang ein Frauenhaus geführt. Nur ganz
nebenbei: ehrenamtlich, ohne Einkünfte.
({0})
Eigentlich habe ich gedacht, wir könnten uns heute
dem widmen, was die Frauenhäuser derzeit wirklich belastet. Ich habe noch einmal nachgeguckt. Als wir beim
letzten Mal darüber beraten haben, habe ich in meiner
Rede gesagt: Hinsichtlich der Finanzierung sind wir
noch immer am Anfang, wenn es darum geht, die Existenz der Frauenhäuser abzusichern.
Ich kann wirklich nur sagen: Es ist unerträglich, dass
wir so lang dafür brauchen! Wir schaffen es, in Sommerpausen Sondersitzungen durchzuführen und aus dem
Stand über Nacht etwas zu machen, aber wir schaffen
das nicht, wenn es um die Daseinsvorsorge von überwiegend Frauen und Kindern geht, die von Gewalt betroffen
sind. Dahinter steckt doch System. Sonst würden wir etwas tun. So sehe ich das zumindest.
Es gehört ganz eindeutig zur Daseinsvorsorge nach
dem Grundgesetz, dass wir all das vorhalten, was Menschen brauchen, um menschenwürdig am Leben teilhaben zu können, und zwar ohne bedroht oder von Gewalt
betroffen zu sein. Wenn wir das so annehmen, dann
muss man im zweiten Schritt sagen: Die Daseinsvorsorge - hier gebe ich Ihnen recht, Frau WinkelmeierBecker - ist überwiegend Aufgabe der Kommune. Das
gehört ganz selbstverständlich dazu. Jeder würde sich
wehren, wenn die Kommune das nicht machen würde.
Zu ihren Aufgabengebieten gehören: Straßen, Wasser,
Abwasser, Müllabfuhr und Licht. All das gehört dazu. Es
sind übrigens fast alles männliche Gewerke, die hier vergeben werden. Deshalb wird das gemacht. Kein Mann
würde auf die Idee kommen, ehrenamtlich Gräben auszuheben, damit man endlich einen Abfluss bekommt.
Niemand käme auf diese Idee.
({1})
Frauen sagen aber: Wir können es nicht mehr mit ansehen, dass Frauen und deren Kinder von Gewalt betroffen sind, also tun wir etwas dagegen. Wir opfern unsere
Freizeit und schauen, dass wir sie rund um die Uhr versorgen, das heißt, sieben Tage die Woche 24 Stunden
lang einen Dienst vorhalten.
Das tun alle bei uns. Ich musste einmal meinem Vorstand berichten, dass alle Mitarbeiterinnen bis auf eine,
die Urlaub hatte, krank sind. Wir standen also ohne Mitarbeiterinnen dar. Wissen Sie, was die Rechtsanwältinnen, Bankerinnen und Stadträtinnen, die alle einmal im
Vorstand waren, getan haben? Sie haben in ihre Tasche
gegriffen, den Kalender herausgeholt, ihn aufgeschlagen
und gesagt: Da könnte ich in der Firma eine Stunde
freinehmen; da komme ich. Am nächsten Tag nehme ich
halt einen halben Tag Urlaub und komme. - Das hätte
ich gerne in einem Männergremium erleben mögen. Die
hätten gesagt: Ja, gut, dann müssen wir überlegen, ob
wir jemanden einstellen. Wer macht es denn? Bilden wir
vielleicht eine Arbeitsgruppe.
Ich erzähle das bewusst deshalb, weil wir hier so zögerlich verfahren, wenn es um die Finanzierung geht.
Ich bin der Ansicht, dass wir uns endlich daransetzen
müssen. Der Bund hat die ganz wichtige Aufgabe, zu sagen: Es darf nicht wie ein Flickenteppich aussehen und
vom Engagement einzelner Beteiligter abhängen, ob ein
Haus gesichert ist oder nicht. Deshalb hat der Bund die
Verpflichtung, die Rahmenvereinbarungen mit denen zu
treffen, die mit zuständig sind; da gebe ich Ihnen recht.
Wir dürfen die Länder nicht außen vor lassen - aber
auch die Kommunen nicht. Sie müssen sehen: Es ist ihre
Aufgabe, dass sie in ihrem Gebiet etwas vorhalten.
Den Rahmen müssen wir aber setzen. Wir müssen uns
darauf verständigen, nicht über Tagessätze zu finanzieren. Wenn Telefonberatung und Nachsorge angeboten
werden: Wo wollen Sie das denn im Einzelnen abrechnen? Soll ich die Frau fragen, wo ihr Konto ist, von dem
ich abbuchen kann? Das kann ich doch nicht. Das alles
muss mit vorgehalten werden.
Deshalb muss es eine bundeseinheitliche institutionelle Förderung geben, die so ausgestaltet werden muss,
dass nicht die ganze Arbeitskraft damit gebunden wird,
das Geld abzusichern. Das ist der erste wichtige Punkt,
den wir angehen müssen.
Der zweite Punkt. Wir müssen damit beginnen, hier
zu sagen, was wir Frauen gemacht haben und was noch
gemacht werden muss. Wir haben ein relativ vielfältiges
Angebot. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hotline für
Frauen. Das wird uns auch im Europarat bestätigt.
Gleichzeitig heißt es dort: Ihr müsst viele Frauen abweisen, weil nicht genügend Plätze da sind. - Im Raum
Köln/Bonn mussten weit über 2 000 Frauen im Jahr abgewiesen werden, weil kein Platz mehr vorhanden war.
Diese Frauen kommen nirgendwo anders unter. Das
heißt, sie gehen entweder in eine Notschlafstelle, oder
sie müssen bei Verwandten auf der Luftmatratze auf dem
Boden schlafen, wenn sie der Gewalt entfliehen wollen.
Das kann es nicht sein. Also müssen wir auch da sehen: Wie viele Plätze brauchen wir für wie viele Frauen
in den einzelnen Kommunen in unserer Republik? Dass
das der Bund nicht macht, weiß ich. Aber er muss die
Rahmenbedingungen setzen und dafür sorgen, dass alle
an einem Tisch zusammenkommen - wir finden auf anderen Gebieten immer einen Weg, alle zusammenzubringen - und darüber reden, wie wir diese Lücke schließen.
In dem Bericht über die Situation von Frauenhäusern
sind im Wesentlichen all diese Punkte enthalten. Es wird
nicht kooperiert, die Frauenhäuser sind nicht miteinander vernetzt. Wir haben riesige Probleme, wenn Frauen
aus Sachsen nach Bayern gehen oder Frauen aus Bayern
nach Rheinland-Pfalz reisen, weil für die Aufnahme dieser Frauen kein Ausgleich vorgesehen ist. Das heißt, es
ist den Häusern überlassen, wie sie das finanzieren.
Weiterhin haben wir inzwischen einen hohen Migrantinnenanteil aus den EU-Staaten. Diese dürfen einreisen
Marlene Rupprecht ({2})
- das ist im EU-Gebiet natürlich erlaubt -, aber sie haben keinen Rechtsanspruch auf irgendeine Sozialleistung. Ein konkreter Fall aus dem von mir geleiteten
Frauenhaus: Eine Migrantin wird nach Deutschland geholt, wo ihr die Heirat versprochen wird. Sie wird zur
Prostitution gezwungen und so misshandelt, dass sie die
Polizei bei mir abliefert. Soll ich ihr dann sagen: „Damit
Sie hier unterkommen und für Ihre Unterkunft zahlen
können, gehen Sie weiter der Prostitution nach“? Überall
lässt man sie abtropfen. Wie schizophren müssen die
Menschen sein, die sich eine solche Regelung überlegen? Das, finde ich, ist unwürdig für ein Land, das sonst
bei der Suche nach Lösungen immer phantasievoll ist.
({3})
Deshalb kann ich eigentlich den Linken-Antrag, so,
wie er ist, begrüßen, auch wenn er mir nicht weit genug
geht. Ich hätte noch viel mehr aufgenommen; das findet
sich in unserem Antrag. Wenn wir eine umfassende Reform machen - diese müssen wir machen -, dann müssen wir wirklich alles bedenken, dann müssen die Fachmänner und Fachfrauen am Tisch zusammenkommen
und sagen: So sieht es aus.
Das Gutachten liegt jetzt vor. Das wird noch Gegenstand einer Anhörung werden. Deswegen bedauere ich
es, dass heute die Linken ihren Antrag nicht zurückgezogen haben. Die Grünen und wir haben unseren Antrag
zurückgezogen, weil wir gesagt haben: Wir machen Anfang Dezember eine gemeinsame Anhörung zum Bericht
und zum Rechtsgutachten. Dann bündeln wir unsere
Kräfte. Stattdessen beraten wir heute und machen eine
Schlussabstimmung. Ich bedauere, dass ein einzelner
Antrag herausgenommen worden ist. Aber so ist es jetzt.
Ich kann Ihnen sagen: Die Inhalte teile ich. Sie sind
mir nicht weitgehend genug. Ich hätte weitere Forderungen aufgestellt. Aber wenn nicht wenigstens wir Frauen
und die vernünftigen Männer, die wir auch haben, zusammenstehen, um eine Lösung zu finden, dann, würde
ich sagen, bekommen wir das auch in 50 Jahren nicht
hin, wenn ich schon längst am Krückstock gehe. Ich will
dann nicht sagen müssen: Haben wir das immer noch
nicht gelöst?
Ich bitte darum, diese Sache noch in dieser Legislaturperiode zu Ende zu bringen, damit an dieser Front
endlich Ruhe ist und damit die, die in diesen Häusern beschäftigt sind, ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen und
wir Öffentlichkeitsarbeit machen können: gegen Gewalt
in der Familie und im sozialen Nahraum. Das wünsche
ich mir. Herr Staatssekretär, ich wünsche mir auch, dass
Sie das mitnehmen: Packen wir es an!
Danke.
({4})
Die Kollegin Sibylle Laurischk hat für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Thema Frauenhausfinanzierung beschäftigt uns heute.
Wir haben einen Bericht vorgelegt bekommen, der, wie
gerade schon gesagt wurde, noch in einer Anhörung beraten werden wird. Insofern wird mit dem vorliegenden
Antrag eigentlich der zweite vor dem ersten Schritt gemacht. Dennoch will ich nicht verkennen: Das Problem
der Finanzierung von Frauenhäusern beschäftigt uns
ernsthaft, und zwar nicht erst in dieser Legislaturperiode.
Wir hatten schon in der letzten Legislaturperiode eine
Anhörung zu diesem Thema. Damals war die Mehrheit
der Gutachter der Auffassung: Die Finanzierung von
Frauenhäusern ist ausschließlich Aufgabe der Länder. Deswegen gibt es einen Flickenteppich von Finanzierungsmodellen. Da die Länder zuständig sind, sind die
Aufstellung der Finanzierung der Frauenhäuser und die
Situation in den Frauenhäusern je nach Finanzkraft des
Landes unterschiedlich.
Das Thema, um das es geht, ist überall - bundesweit
und weit über Deutschlands Grenzen hinaus - das gleiche, nämlich die Situation von Frauen in Not bzw. von
Frauen mit Kindern, die von Gewalt bedroht sind. Wer
schon einmal ehrenamtlich für ein Frauenhaus gearbeitet
hat, der weiß, wie die Situation dort ist. Oftmals werden
Frauen unter schwerster Traumatisierung stehend dorthin gebracht. Mittlerweile wird es auch und gerade von
der Polizei immer wieder als große Hilfe betrachtet, dass
Opfern von Gewalt in der akuten Situation in einem
Frauenhaus Hilfe und Schutz gewährt werden kann.
Schutz ist das, was ein Frauenhaus bietet: Schutz vor
weiteren Übergriffen, die Möglichkeit zum Aussteigen
aus einer permanenten Gewaltsituation, Schutz vor ständigen Schlägen, vor Alkoholexzessen oder was auch immer. Diese Situationen bekommen auch die Kinder mit,
die oftmals mindestens genauso traumatisiert sind wie
ihre Mütter.
({0})
An dieser Debatte hat mich erstaunt, dass bisher niemand darauf hingewiesen hat, dass es mittlerweile das
Gewaltschutzgesetz gibt; in Baden-Württemberg beispielsweise ist es seinerzeit sehr stark auf Betreiben der
FDP auf den Weg gebracht worden. Das Gewaltschutzgesetz sorgt dafür, dass zumindest bei häuslicher Gewalt
derjenige, der gewalttätig ist, also in vielen Fällen - den
leider viel zu vielen Fällen - der Vater, Ehemann oder
Partner der Frau, gehen muss. Derjenige, der gewalttätig
ist, muss also gehen. Mittlerweile gibt es eine recht klare
Rechtsprechung, die zumindest dies sicherstellt.
Die Situation in den Frauenhäusern hat sich verschoben. Mittlerweile sind die große Anzahl der Betroffenen
Migrantinnen, also Frauen, die nicht so schnell Rechtsrat
einholen oder die Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes in Anspruch nehmen können. Gerade für diese
Frauen wäre es allerdings umso dringlicher - gerade
weil sie in vielen Fällen keine familiäre Rückendeckung
haben und weil sie Verständigungsschwierigkeiten haben -, diese ganz unmittelbare Schutzsituation in Anspruch nehmen zu können. Das müssen wir ernst nehmen; denn strukturell dürfen wir Gewalt, egal in
welchem Zusammenhang, nicht dulden.
Ich denke, es ist dringend notwendig, ernsthaft über
den Frauenhausbericht zu diskutieren. Wir werden das
im Rahmen einer entsprechenden Anhörung im Ausschuss sicherlich tun, und zwar, wie ich hoffe, konsensual. Dieses Thema ist meiner Ansicht nach nämlich
nicht geeignet, parteipolitische Profilierungsversuche zu
unternehmen, sondern es ist wirklich ernst zu nehmen.
Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich
mir eine möglichst einheitliche Finanzierung von Frauenhäusern wünsche. Nur: Die Tendenz der Länder, sich
von ihren Aufgaben, sofern sie Geld kosten, zu verabschieden und zu sagen: „Das kann doch der Bund machen“, wie es beispielsweise beim Betreuungsgeld geschieht, lehne ich ab. Auch da wird versucht, eine
Aufgabe der Länder, die in manchen Bundesländern normiert ist, dem Bund zuzuschieben. Insofern hängen die
Dinge miteinander zusammen, und wir müssen die Situation auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht klären.
Die derzeitige Bewertung ist auch im vorliegenden
Gutachten nicht so eindeutig, dass man sagen kann: Der
Bund ist zuständig. - Ich glaube, dass hier noch einiger
Klärungsbedarf besteht. Die noch offenen Fragen sind
meiner Ansicht nach in einer vorgezogenen Debatte
nicht sauber und abschließend zu beantworten. Damit
sollten wir uns bei der weiteren Facharbeit im Ausschuss
befassen. Ich freue mich auf eine engagierte und hoffentlich zum Konsens führende Debatte.
Danke schön.
({1})
Die Kollegin Yvonne Ploetz spricht nun für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Ich habe heute Nacht richtig gut geschlafen!“: Wenn
ein zehnjähriger Junge, der mit seiner Mutter in ein
Frauenhaus geflohen ist, so etwas sagt, dann ist das
keine Selbstverständlichkeit. Ein Kind, das mit ansehen
muss, wie die Mutter zu Hause verprügelt und gedemütigt wird, kann nachts nicht mehr richtig schlafen. In solchen Notsituationen sind Frauenhäuser oftmals die einzige Schutzeinrichtung, in die Frau und Kind fliehen
können. Oftmals passiert das in Nacht-und-Nebel-Aktionen. Die Frauen werden dann von einer Frauenhausmitarbeiterin aufgenommen, beraten und beschützt. Sie hat
einen großen Anteil daran, dass ein zehnjähriger Junge
wieder schlafen kann.
Ich glaube, man kommt unweigerlich zu dem Schluss
- das geht sicherlich uns allen so -, dass Frauenhäuser
absolut notwendig sind und es ein Desaster ist, wenn an
allen Ecken und Enden Geld fehlt. Schutz können sie
aber nur dann bieten, wenn die Plätze ausreichen. 2011
- wir haben es schon gehört - mussten 9 000 Frauen abgewiesen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns kurz
vor, wir wären die Mitarbeiterin eines Frauenhauses und
müssten eine misshandelte Frau abweisen. Das ist die
reinste Katastrophe, sowohl für die Frauenhausmitarbeiterin als auch für die schutzsuchende Frau. Deshalb
streiten wir heute wieder dafür, dass jeder Frau zeitnah
24 Stunden täglich Schutz gewährt werden kann und
muss, und zwar in allen Lebenslagen.
Das heißt, Frauen und Kinder mit Behinderungen
brauchen barrierefreien Zugang. Schwangere Frauen
brauchen Zugang zu Ärzten und Hebammen. Frauen und
Kinder, die kaum Deutsch sprechen, müssen Übersetzerinnen zur Seite gestellt bekommen, damit sie sich verständlich machen können. Überall fehlen Therapeuten
und Therapeutinnen für traumatisierte Kinder. Auch sie
müssen sich in vielen verschiedenen Sprachen verständlich machen können.
Ich glaube, wir sind uns einig: Wenn hier Hilfe hilfreich sein will, dann muss sie differenzieren. Das kostet
aber Geld, das wir zur Verfügung stellen müssen.
In nicht wenigen Fällen - auch das haben wir schon
gehört - wird die Finanzierung eines Frauenhausplatzes
über sogenannte Tagessätze direkt an die Frauen weitergegeben. Viele Länder und Kommunen finanzieren ihr
Frauenhaus auf diese Weise. Das bedeutet, dass zum
Beispiel eine Frau, die erwerbslos und auf staatliche
Hilfe angewiesen ist, Gelder aus dem SGB II oder
SGB XII beantragen muss, die eigentlich für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Ich glaube, das ist ein unhaltbarer Zustand. Mir liegen
auch Briefe vor, in denen mir zum Beispiel Ursula von
der Leyen recht gibt.
Was machen Frauen, die keinen Cent in der Tasche
haben und keine staatliche Unterstützung bekommen?
Studentinnen, Auszubildende, Schülerinnen, Frauen mit
ungeklärtem Aufenthaltsstatus oder auch Frauen, die
aufgrund der häuslichen Situation nicht an ihr Geld herankommen, können sich den Schutz nicht leisten. Ich
will aber noch einmal daran erinnern: Wir haben den
grundgesetzlichen Auftrag, uns für den Schutz von Leib
und Leben einzusetzen. Ich glaube, wir sind uns darin einig: Darum müssen wir uns zusammen kümmern.
Es ist höchste Zeit für eine ausreichende bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser. Jeder Frau in
Not muss geholfen werden. Das kann aber nur passieren,
wenn die Frauenhäuser nicht selbst um ihre Existenz
kämpfen müssen. Es ist schließlich schon vorgekommen, dass Frauenhäuser ihre Türen schließen mussten.
Das wird in Zeiten der Schuldenbremse keine Seltenheit
bleiben. Hier haben wir eine Aufgabe.
Ich komme noch kurz zum Bericht zur Lage der Frauenhäuser. Darin ist noch ein anderer Aspekt enthalten,
nämlich die Arbeitssituation von FrauenhausmitarbeiteYvonne Ploetz
rinnen. Der Lagebericht beschreibt die Situation als
„Selbstausbeutung“. Ich glaube, das haben wir heute
schon beispielhaft erlebt. Hier muss jeder und jede hellhörig werden und bitte aufhören, auf die Zuständigkeit
von Ländern und Kommunen zu pochen. Ich denke, wir
sollten uns auch als Bund darum kümmern, und zwar
nicht für mich oder die Linke, sondern für die Kinder
und Frauen, die Schutz brauchen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn dieser Wahlperiode haben alle Oppositionsfraktionen Anträge zur Finanzierung der Frauenhäuser
im Parlament eingebracht. Von der Bundesregierung war
zu hören, dass sie erst einmal die Ergebnisse des Berichts abwarten will.
Der Bericht liegt nun endlich vor - zwei Jahre verspätet. Der Zeit des Wartens ist jetzt leider die Zeit des
Schweigens gefolgt. Von der Ministerin hat man seitdem
nichts gehört. Es kann nicht sein, dass da bis jetzt nichts
passiert ist.
Aber ich habe den Eindruck, das ist nicht der einzige
Bericht, der in den Regalen der Ministerin verstaubt. Mit
dem Bundesgleichstellungsbericht scheint es sehr ähnlich zu sein.
({0})
Ich zitiere aus dem Bericht der Bundesregierung:
Das Unterstützungsangebot ist mehrheitlich unterfinanziert. Das Volumen an Personal/Arbeitszeit
reicht oft nicht aus, um spezifische Aufgabenbereiche in gewünschter Qualität umzusetzen.
An anderer Stelle heißt es:
Die Finanzierung der Einrichtungen ist uneinheitlich, abhängig von der Politik auf Landesebene und
in den Städten und Landkreisen.
Weiter liest man:
Nicht nur unterscheidet sich die Politik der Bundesländer, auch kommunal existieren unterschiedliche
Praxen nebeneinander.
Ich glaube, wir haben alle schon von diesen Problemen gehört.
Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser bringt es in ihrer Stellungnahme zu diesem Bericht auf den Punkt:
Dieser Zustand ist kein vorübergehender, sondern
ein seit Jahrzehnten chronischer.
In der Schlussfolgerung der Bundesregierung wird jedoch keine grundsätzliche Neuregelung angedacht. Dabei ist die Situation eigentlich in fast allen Bundesländern dramatisch.
Aus meinem Heimatland Sachsen weiß ich, dass die
Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern bis an ihre Grenzen gehen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Fälle werden immer schwieriger. Immer mehr Frauen kommen
mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen in die
Einrichtungen.
Doch die Finanzierung ihrer Arbeit ist immer nur sehr
begrenzt gesichert; denn dies gehört zu den freiwilligen
Aufgaben der Kommunen.
Bei Ausstattung und Personal für die Frauenschutzhäuser und -wohnungen rangiert Sachsen bundesweit
weit hinten. Hier darf der Bund nicht wegsehen, sondern
muss auch seine Unterstützung zusichern.
({1})
Das Hilfetelefongesetz wurde vorhin schon angesprochen. Dies ist ein richtiger Schritt. Im Übrigen haben wir
dieses Gesetz im Bundestag einstimmig verabschiedet.
Allerdings weisen die in diesem Zusammenhang vorgelegten Informationen immer noch Lücken auf. In meinen
Reden habe ich häufig darauf hingewiesen, dass es nicht
sein kann, dass wir das Hilfetelefon zwar haben, wenn
sich die Frauen dann aber an die Einrichtungen wenden
wollen, stehen sie quasi vor verschlossenen Türen oder
werden abgewiesen, wie wir es vorhin schon gehört haben.
Im Zentrum unserer Überlegungen muss die Unterstützung und der Schutz von Gewaltbetroffenen stehen.
Sowohl bei der Ausgestaltung als auch bei der Finanzierung des Unterstützungsnetzwerkes sehen wir immer
noch sehr deutliche Mängel. Unser Ziel muss sein, jeder
Frau, egal ob sie in der Stadt oder im ländlichen Raum
lebt, einen zeitnahen und niedrigschwelligen Zugang zu
Hilfe zu ermöglichen, dies aber nicht erst dann, wenn es
bereits zu spät ist.
({2})
Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern wenden
vielerorts aufgrund der unsicheren Finanzierung viel
Zeit auf, um Projektanträge zu schreiben und Dokumentationen zu erstellen, statt die Zeit für die wichtige Arbeit mit den Frauen aufzuwenden.
Besorgniserregend ist auch, dass die personellen Ressourcen für den Kinderbereich in den Frauenhäusern viel
zu gering sind, was auch in dem Bericht sehr deutlich
angesprochen wird.
Wir Grünen werden bei der Beratung unseres Vorschlags unsere Landtagsfraktionen und auch die Gutachten einbeziehen, die es über den Bundesbericht hinaus
gibt. Dies ist beispielsweise das Gutachten des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sowie das Gutachten des Bündnisses der Wohlfahrtsverbände. Ich hoffe, dass die Anhörung im Dezember im
Bundestag noch weitere Möglichkeiten aufzeigen wird.
Kollegin Rupprecht hat es schon angesprochen. SPD
und Grüne lassen ihren Antrag noch im Verfahren, weil
wir es durchaus richtig finden, erst das gesamte Verfahren abzuwarten.
Ich glaube, wir sind uns hier alle einig: Wir wollen etwas erreichen. Wir sollten die verbleibenden Monate in
dieser Wahlperiode nutzen, für von Gewalt betroffene
Frauen eine Lösung zu finden, die diese Bezeichnung
auch wirklich verdient.
In diesem Sinne appelliere ich sehr herzlich an Sie, an
die Frauen zu denken, die das betrifft. Helfen wir ihnen
endlich ausreichend.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die
Unionsfraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es war hier in Berlin, als 1976 die Geschichte
der Frauenhäuser für von Gewalt betroffene Frauen begann. Damals wurden die ersten Frauenhäuser gegründet, damals noch als Modellprojekte. Ein Jahr später
wurden die ersten Beratungsstellen für vergewaltigte
Frauen eingerichtet. Es folgten Hilfseinrichtungen für
Mädchen. Heute verfügt Deutschland über ein doch
recht dichtes Netz an Hilfsangeboten und Unterstützungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen.
Insgesamt gibt es im Bundesgebiet 353 Frauenhäuser,
davon die meisten in Städten und Ballungszentren.
Langfristiger Schutz wird Frauen auch gewährt durch
etwa 40 Wohnungen, die teilweise an Frauenhäuser oder
Beratungseinrichtungen angegliedert sind. Insgesamt
stehen damit über 6 000 Plätze zur Verfügung. Jährlich
suchen etwa 15 000 bis 17 000 Frauen und ihre Kinder
in diesen Frauenhäusern und Wohnungen Zuflucht.
Insgesamt sind es etwa 30 000 bis 34 000 Personen,
30 000 bis 34 000 Frauen und Kinder, die unter Gewalt
in ihrer eigenen Familie, Gewalt oft vonseiten des eigenen Partners, leiden, Frauen und Kinder, denen Schlimmes widerfahren ist. Frau Rupprecht hat das vorhin sehr
eindringlich geschildert. Für über 30 000 Menschen sind
die Frauenhäuser der einzig sichere Platz.
Das Schlimme ist: Diese Zahlen spiegeln längst nicht
das tatsächliche Ausmaß der Gewalt gegen Frauen wider. Das tatsächliche Ausmaß ist wesentlich höher; denn
nach wie vor gibt es eine Hemmschwelle, solche Schutzeinrichtungen aufzusuchen. Es erfordert sehr viel Mut,
diese Hemmschwelle zu überwinden. Gerade Frauen aus
religiös-konservativen und von Männern dominierten
Kulturkreisen fällt es besonders schwer, diesen Schritt
zu tun. Daher ist es wichtig, dass wir uns nicht nur heute,
sondern generell mit dem Thema Frauenhäuser im Bundestag beschäftigen. Die Kollegen haben es schon angesprochen: Wir wollen im Dezember mit den Betroffenen,
mit den Verantwortlichen der Frauenhäuser sprechen
und eine Anhörung durchführen. Danach wollen wir entscheiden, was zu tun ist. Obwohl Sie, liebe Kollegen von
der Linken, das wissen, legen Sie schon heute einen Antrag vor. Ich finde, das ist eine Missachtung der Gesprächspartner. Ich schließe mich hier der Kritik der
Kollegen an.
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Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat beschrieben, wie
vielfältig die Thematik und Problematik ist und dass es
keine einfachen Lösungen gibt. Frau Kollegin Ploetz,
Sie haben wortwörtlich gesagt: Wir brauchen einfach
mehr Geld.
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So einfach ist es nicht. Es gibt rechtliche Bedenken, dass
der Bund sich für alle Frauenhäuser zuständig erklärt
und deren Finanzierung übernimmt. Deshalb müssen wir
uns ausführlich im Ausschuss damit beschäftigen und
Lösungen finden, die tragfähig sind.
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Wenn wir über Gewalt gegen Frauen und über Frauenhäuser diskutieren, dann müssen wir den Bogen etwas
weiter spannen. Dann müssen wir auch über andere
Hilfsangebote reden. Dann müssen wir generell darüber
reden, wie die gesellschaftliche Diskussion geführt wird.
Wir müssen uns fragen, warum in den Medien der Fokus
immer noch allzu oft auf den Tätern liegt und nicht mehr
auf den Opfern. Wir müssen uns fragen, wie wir als Gesellschaft mit diesem Thema umgehen und ob wir es
nicht immer noch zu sehr tabuisieren. Ich bin froh, dass
sich in den letzten Jahren vieles getan hat, nicht zuletzt
in den Sicherheitsinstitutionen. Die Kompetenz der Polizei und insbesondere der Bundespolizei sowie der Justiz
beim Thema häusliche Gewalt hat sich durch umfassende Schulungsmaßnahmen erhöht. In meinem Heimatland, dem Saarland, gehört das Thema häusliche Gewalt
zur polizeilichen Grundausbildung. Das sind wichtige
Fortschritte. Damit hilft man Frauen.
Wir haben das Hilfstelefon auf den Weg gebracht; das
ist schon mehrfach gesagt worden. Trotz knapper Kassen
haben wir mehrere Millionen Euro bereitgestellt, um
dieses neue Angebot zu ermöglichen. Hier können Hilfesuchende kostenlos rund um die Uhr und in mehreren
Sprache Hilfe bekommen. Keine Frau muss Bedenken
haben, dass sie wegen dieses Hilfegesuchs zusätzliche
Repressionen erleidet; denn es ist anonym und vertraulich. Auch das ist ein wichtiger Schritt.
Frau Lazar, Sie haben gesagt, ein Manko des Hilfetelefons sei, dass nicht ausreichend Plätze zur Verfügung
stehen würden. Das Telefon soll gerade klären, wo
Plätze zur Verfügung stehen.
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Wir schließen damit eine Lücke im Hilfsangebot.
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Nadine Schön ({5})
In dieser Legislaturperiode haben wir - das ist beim
Thema Gewalt gegen Frauen ebenfalls ein sehr wichtiger
Punkt - die Zwangsheirat zu einem eigenständigen
Straftatbestand im Strafgesetzbuch gemacht. Hier wird
erstmals die Nötigung zur Einigung erfasst. Die Antragsfrist zur Aufhebung der Ehe wird verlängert. Die betroffenen Frauen können nun leichter die Ehe wieder auflösen. Auch das ist eine sehr wichtige Maßnahme, die die
schwarz-gelbe Koalition in den letzten drei Jahren beschlossen hat.
All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur einige Punkte, an denen wir versuchen, die wichtige Arbeit der Frauenhäuser durch Hilfsangebote zu unterstützen, zu ergänzen und zu begleiten. Ich freue mich auf die
Anhörung der Expertinnen und Experten im Ausschuss
und wünsche mir eine gute Diskussion.
Zum Schluss möchte ich mich bei allen bedanken, die
sich ehrenamtlich oder hauptberuflich für Frauen, aber
auch für Männer - es muss einmal gesagt werden, dass
auch Männer unter häuslicher Gewalt leiden - in den
Hilfs- und Beratungsstellen, in den Frauenhäusern sowie
im gesellschaftlichen wie persönlichen Umfeld einsetzen. Herzlichen Dank für dieses Engagement!
Ich denke, damit können wir ins Wochenende starten.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Bundeseinheitliche Finanzierung
von Frauenhäusern sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2070, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/243 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. November 2012, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für das bevorstehende Wochenende.