Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/24/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 10. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Guido Westerwelle. Bitte, Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf darauf aufmerksam machen, dass das Kabinett heute einen sehr umfangreichen 10. Bericht der Bundesregierung über die gemeinsame Menschenrechtspolitik verabschiedet hat. Es ist Ihnen bekannt, dass dieser nicht der Bericht eines Ressorts ist, sondern dass es natürlich eine Querschnittsaufgabe ist. Das heißt, dass auch die unterschiedlichen Ressorts sowohl innen- als auch außenpolitisch zu Haltung, den Aktionen und den notwendigen Maßnahmen zur Menschenrechtspolitik beigesteuert haben und wir vom Auswärtigen Amt dies koordiniert haben. Der Menschenrechtsbericht stellt die zentralen Entwicklungen in der deutschen und in der internationalen Menschenrechtspolitik für den Zeitraum vom 1. März 2010 bis zum 29. Februar 2012 dar. Er verdeutlicht die zentrale Rolle der Menschenrechte in der Außen- und in der Innenpolitik der Bundesregierung. Die Bundesregierung betrachtet den Einsatz für Menschenrechte als ein zentrales Politikanliegen, innen- wie außenpolitisch. Wir wollen eine interessengeleitete, vor allen Dingen aber auch eine werteorientierte Außenpolitik. Es gibt aus unserer Sicht keine menschenrechtsfreien Politikbereiche. Das ergibt sich schon aus den vorgestellten Aktivitäten: Einsatz für die Religionsfreiheit - Sie alle wissen, dass das leider in den letzten Jahren an Dringlichkeit und an Bedeutung zugenommen hat -, aber auch der Einsatz für Kinder- und Frauenrechte, der Schutz von Menschenrechtsverteidigern - das sehe ich selber als besonders wichtig an; wenn man etwas für Menschenrechte tun will, muss man gerade auch die Menschenrechtsverteidiger schützen und ihre Arbeit unterstützen -, die Verhinderung von Menschenhandel, der Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Bekämpfung von Diskriminierungen. Der Bericht greift auch aktuelle politische Entwicklungen auf, zum Beispiel den Umbruch in der arabischen Welt - ich habe auf das Thema der religiösen Pluralität bereits hingewiesen -, aber auch das deutsche Engagement im Sicherheitsrat zu dem wichtigen Anliegen „Kinder in bewaffneten Konflikten“, das heißt, den besseren Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten durch die internationale Staatengemeinschaft zu gewährleisten. Hinzu kommt - hier darf ich mich beim Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg bedanken die Unterstützung für die von Deutschland aus initiierte Kampagne für ein universelles Menschenrechtslogo. Es ist sehr verbreitet - ich sehe, Herr Kollege Strässer, Sie haben es angesteckt - und hat international eine erfolgreiche Bewegung und Unterstützung ausgelöst. Der Bericht wird ergänzt durch ein Länderkapitel. Dort werden die menschenrechtlichen Entwicklungen in circa 70 Staaten aufgezeigt und die Maßnahmen zur Förderung von Menschenrechten vor Ort vorgestellt. Es ist uns allen bekannt, dass Menschenrechtspolitik Ausdauer und Hartnäckigkeit verlangt, manchmal ein klares Auftreten in der Öffentlichkeit, sehr oft auch ein leises, aber deswegen nicht minder engagiertes Vorgehen. Der Einsatz für Menschenrechte erfordert gelegentlich schmerzhafte, aber unvermeidbare Abwägungen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Ein integraler Bestandteil des Berichts ist der Aktionsplan Menschenrechte der Bundesregierung. Das ist ein Aktionsplan, der auf eine Initiative des Deutschen Bundestages zurückgeht. Sie finden ihn jetzt hier umgesetzt. Er zeigt die Prioritäten für die Arbeit der Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren auf. Der Entwurf dieses Aktionsplans wurde mit Vertretern des Deutschen Instituts für Menschenrechte und des Dachverbandes der deutschen Menschenrechtsorganisationen, Forum Men24170 schenrechte, erörtert. Dieser Austausch hat sich - das hat mir Markus Löning als Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe bestätigt - als sehr nützlich erwiesen. Wir wissen, dass die Menschenrechtspolitik nicht nur von der Regierung, sondern auch von vielen Institutionen, national wie international, wahrgenommen und getragen wird. Dazu zählen die Ministerien, die Parlamente, rechtsstaatliche Träger, natürlich auch die Menschenrechtsinstitutionen bis hin zu Gewerkschaften, Unternehmen und Interessenverbänden, vor allem aber auch die Zivilgesellschaften. Dass wir die Zivilgesellschaften durch unsere Politik stärken, ist ganz offensichtlich. Mit diesem Menschenrechtsbericht wollen wir zum Dialog einladen. Frau Präsidentin, das soll als Einführung - wie ich hoffe, in der von Ihnen gesetzten Zeit - genügen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, auch für die Einhaltung der Zeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Die erste Frage stellt der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, ich komme gerade - genauso wie die Vizepräsidentin - von der Einweihung des Denkmals für die unter dem nationalsozialistischen Regime ermordeten Sinti und Roma. In dem UPR-Bericht für Deutschland gibt es mehrere Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Roma in Deutschland. Bei meiner kursorischen Überprüfung Ihres Berichts, der uns erst seit wenigen Minuten vorliegt, habe ich zwar gelesen, dass sich Deutschland dafür einsetzt, dass in der EU die Programme zur Verbesserung der Situation der Roma unterstützt werden. Im nationalen Teil habe ich jedoch keine Silbe darüber gefunden, inwieweit die Bundesregierung bislang den Forderungen aus Genf an die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf eine Umsetzung nachgekommen ist. Die Bundeskanzlerin hat anlässlich der Einweihung eine sehr gute Rede zu den Konsequenzen gehalten, die ein solches Gedenken an die Sinti und Roma für die Politik haben muss. Vielleicht ist auch deshalb der Bundesinnenminister zu der Gedenkveranstaltung gar nicht erst gekommen. Hoffentlich haben diese guten Worte irgendeine Konsequenz, zum Beispiel was die Situation von Roma-Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien betrifft. Wir müssen endlich begreifen: Wenn Menschen fliehen, weil sie nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen, weil sie kein Dach über dem Kopf, kein Wasser, keinen Strom, keine Heizung haben und weil die Lebensmittelversorgung nicht gesichert ist, dann kann das nicht einfach mit Abschottungs- und Abschiebungsrhetorik abgehandelt werden, wie das der Bundesinnenminister in den letzten Wochen getan hat. Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen: Welche Empfehlungen aus dem UPR-Bericht zur Verbesserung der Situation der Roma hat die Bundesregierung seit 2009 umgesetzt, und welche wird sie in dieser Wahlperiode noch umsetzen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Kollege, zunächst einmal teile ich Ihre Einschätzung, dass die Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute Rede gehalten hat. Ich habe sie zwar nicht verfolgt, bin aber generell dieser Auffassung. ({0}) - Lassen Sie es doch gut sein. Das war doch erkennbar eine ironische Bemerkung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Überwiegend hat jetzt der Herr Minister das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin - das ist doch auch eine Freude -, ich fange noch einmal von vorne an. ({0}) Zunächst einmal teile ich Ihre Auffassung, dass die Frau Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute Rede gehalten hat. Zum Zweiten, Herr Kollege, kann ich Ihren auch von Sorge getragenen Äußerungen mit allem Ernst zustimmen, was die Lage von Roma und Sinti angeht. Wie Sie wissen, habe ich mich als Außenminister damit in Gesprächen vor allen Dingen mit zwei EU-Mitgliedstaaten befasst. Es ist aber nicht so, als reagierte die Bundesregierung auf die zum Teil sehr schwierige Lage von Roma und Sinti lediglich mit Abschieberhetorik, wie Sie es formuliert haben. Das kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil: Unsere Politik ist umfassend angelegt. Die Verbesserung von Bildungschancen und die Integration von Roma und Sinti sind zentrale Anliegen der Innenpolitik der Bundesregierung, zu der ich als Außenminister nicht weiter Stellung nehmen kann. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir in jedem Fall auf eine sorgfältige Prüfung von einzelnen Familienschicksalen Wert legen. Was aber nicht geht, ist, dass Menschen unter dem Vorwand, Asyl zu beantragen, nach Deutschland kommen und damit uns, aber auch die Länder, aus denen sie kommen, in erhebliche Schwierigkeiten bringen, obwohl diese Menschen, wie die Anerkennungsquote zeigt, offenkundig nur sehr geringe Aussichten haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Insofern denke ich, dass die Art und Weise, wie wir mit Roma und Sinti verfahBundesminister Dr. Guido Westerwelle ren, verantwortungsvoll und auch angemessen ist. Wir nehmen die Belange der Menschen, aber auch die außenund innenpolitischen Belange unseres Landes wahr.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Beck, ich nehme Ihren Wunsch nach einer weiteren Frage in die bereits sehr umfangreiche Liste von Fragestellern auf. Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, würde ich mich gerne bei Herrn Löning, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, für seine Arbeit bedanken, insbesondere für seine Stellungnahmen, die wir größtenteils unterstützen. Herr Minister, ich möchte Ihnen gerne die Gelegenheit geben, kurz präzisere Ausführungen zum Stellenwert der Menschenrechte und insbesondere zu ihrer Berücksichtigung bei Rüstungsexporten zu machen; denn die Bundeskanzlerin hat am Wochenende nach meiner Einschätzung eine kleine Veränderung vorgenommen. Es soll nun offensichtlich ermöglicht werden, mehr Rüstungsgüter an Länder zu liefern, selbst wenn diese keine Sicherheitsleistungen erbringen können. Da würde ich schon gerne die Frage der Menschenrechte ansprechen. Der zweite Aspekt betrifft die Situation der Menschenrechte in Russland: Welche Bedeutung hat das Thema ganz konkret bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen Anfang nächsten Monats? Vielleicht können Sie sich auch dazu einlassen - die Bundeskanzlerin hat es über ihren Sprecher schon getan -, wie Sie die Äußerungen des Koordinators für die deutschrussische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Schockenhoff, bewerten. Der dritte Aspekt in diesem Zusammenhang: Wir alle machen uns riesengroße Sorgen um die humanitäre Situation und damit auch um die Menschenrechte in Syrien bzw. in den Flüchtlingslagern. Wie kann insbesondere die Situation der betroffenen Menschen verbessert werden, vielleicht im Rahmen einer breiteren Flüchtlingspolitik der EU unter Beteiligung der Bundesregierung? Vielen Dank.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin, wie viel Zeit habe ich denn?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine Minute. - Mit Ihrer Frage geben Sie mir die Gelegenheit, Herr Minister, auf Folgendes hinzuweisen: Die erste Frage des Kollegen Beck ist etwas ausführlicher ausgefallen, da durch ein Versehen im Präsidium das Lichtsignal nicht eingeschaltet wurde. Ansonsten gilt - das als Erklärung für diejenigen, die dem folgen, was wir hier im Moment diskutieren -, dass es in dem Moment, in dem begonnen wird, eine Frage zu stellen, ein optisches Signal gibt. Wenn das Signal auf Rot umschaltet, dann ist die Minute für die Fragestellung abgelaufen. Gleiches gilt für die Antwort: Wir lassen dem Herrn Minister und den nachfolgenden Mitgliedern der Bundesregierung bei der Beantwortung Unterstützung durch das optische Signal zuteilwerden. Sollten sie dies nicht beachten, erlaube ich mir, nach einer gewissen Zeit einzuschreiten.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für diesen technischen Hinweis. - Herr Kollege Mützenich, ich betrachte es allerdings als Ding der Unmöglichkeit, Ihre Frage zu Waffenexporten, zur Russlandpolitik und zu Syrien innerhalb von zwei Minuten befriedigend zu beantworten. Deswegen werde ich Sie, wie ich befürchte, an einigen Stellen ratlos zurücklassen müssen. Was Ihre erste Frage zu den Waffenexporten angeht, Herr Kollege: Es gibt keine Veränderung der Waffenexportpolitik der Bundesregierung. Es bleibt dabei, dass wir unsere Waffenexportpolitik natürlich nach den Regeln betreiben, die es nicht erst seit kurzem gibt, sondern die sich seit langen Jahren bewährt haben und von vielen Bundesregierungen befolgt wurden. Was das zweite Thema angeht, zu Russland: Hierzu hat sich bereits der Sprecher meines Amtes geäußert, und zwar noch am selben Tag, als die infrage stehenden Äußerungen aus dem russischen Außenministerium über die Nachrichtenagenturen gelaufen sind. Ich kann dazu nur noch einmal sagen: Herr Kollege Schockenhoff ist ein bewährter und anerkannter Kollege des Deutschen Bundestages, und es gibt aus unserer Sicht keinen Grund für derartig zugespitzte Vorwürfe, wie sie über Agenturen verbreitet worden sind. Herr Kollege Schockenhoff wird seine Tätigkeit fortsetzen, und er hat dabei die Rückendeckung nicht nur der Bundesregierung, sondern selbstverständlich auch des Auswärtigen Amtes. So hat sich der Regierungssprecher bereits geäußert, und so hat sich auch - bereits vor dem Wochenende - der Sprecher meines Hauses dazu eingelassen. Die Frage zu Syrien ist - wie ich sehe, blinkt das Signal bereits rot, Frau Präsidentin - am schwierigsten zu beantworten. Dieses Thema hat zumindest zwei große bedeutungsvolle Aspekte: zum einen die Lage der Menschen in Syrien und zum anderen die schwierige Abwägung im Hinblick auf die Gefahr eines Flächenbrandes für die gesamte Region. So beklagenswert und traurig die Menschenrechtslage in Syrien ist, so wichtig es ist, den Menschen in Syrien zu helfen, so notwendig ist es auch, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern alles in der Außenpolitik dafür tun, dass aus dem syrischen Konflikt kein Flächenbrand in der gesamten Region entsteht. Diese Gefahr ist sehr real und ist in den letzten Wochen und Tagen noch einmal deutlich gestiegen. Das bezieht sich nicht nur auf die Konfliktlage an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien - Sie sind Außenpolitiker und kennen das sehr genau -, sondern auch auf die Lage, die durch die große Zahl von Flüchtlingen entstehen kann, die dankenswerterweise in Jordanien versorgt werden, und leider darauf, dass dieser Konflikt durch Gewalt auch in den Libanon gebracht werden kann. Deswe24172 gen ist beides notwendig: der Schutz der Menschen und ihrer Menschenrechte, aber auch nach besten Kräften die Verhütung und die Verhinderung eines Flächenbrandes, bei dem ein Land nach dem anderen in Brand gesetzt werden könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Christoph Strässer.

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für die sehr zeitnahe Vorlage des Berichts. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Ich möchte mich dem Dank an Herrn Löning ausdrücklich anschließen, auch für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren. Wir haben seit 2008 ein Thema auf der Tagesordnung, das etwas mit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Menschenrechtsschutz zu tun hat. Es geht um die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Bei erster Durchsicht des Berichts finde ich - auch in Teil D, in dem es um den nationalen Aktionsplan geht - hierzu keinerlei Äußerungen. Wir sind 2009 - das war auch verständlich - von Ihnen informiert worden, das brauche alles seine Zeit, damit es gut werde. Jetzt sind weitere drei Jahre ins Land gegangen, und wir sehen keinerlei Fortschritte. Ich bitte Sie, darzulegen, welche Position die Bundesregierung zu diesem Thema hat und wann mit der Vorlage eines Ratifizierungsvertrages hier im Deutschen Bundestag zu rechnen ist.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen derzeit keine zeitlichen Angaben oder Ankündigungen machen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir unverändert um eine Lösung bemüht sind. Aber ich kann Ihnen heute keinen Zeitpunkt dazu ankündigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Annette Groth.

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Minister, Sie haben kurz den Menschenhandel erwähnt. Als Berichterstatterin des Europarats für Menschenhandel liegt mir dieses Thema sehr am Herzen. Als ich den Bericht der Bundesregierung gelesen habe, habe ich eine Region vermisst. Das ist der Sinai. UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat neulich im Ausschuss für Menschenrechte und im AwZ die Situation auf dem Sinai als das größte weltweite Flüchtlingsdrama bezeichnet. Mir liegt ein erschütternder Bericht über Menschenhandel auf dem Sinai vor - hier ist die Rede von Flüchtlingen zwischen Leben und Tod -, der auch in Ihrem Haus diskutiert wird; ich habe eben mit einem Beamten aus dem AA gesprochen. Ich habe diesen Bericht Herrn Löning zugeleitet. Die Lage ist sehr dramatisch. Menschen werden aus Flüchtlingslagern im Sudan gekidnappt, auf den Sinai gebracht, teilweise mehrmals verkauft, um dann von Verwandten Lösegeld zu erpressen. Bei uns spielt dieses Thema leider nur eine marginale Rolle. In Norwegen zum Beispiel wird fast jeden Tag in sämtlichen Medien darüber berichtet. Beispielsweise gibt es einen eritreischen Flüchtling, dessen vier Kinder sich auf dem Sinai befinden. Jetzt wird Geld gesammelt, um sie freizukaufen. Es ist fürchterlich, über die Folterungen zu lesen. Ich möchte wissen: Ist Ihnen das bekannt? Was wird die Bundesregierung tun, um Menschenrechtsverletzungen wie Folter zu stoppen?

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Kollegin, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, an welcher Stelle des fast 300 Seiten umfassenden Berichts der Bundesregierung genau das Problem des Menschenhandels, das natürlich alle Regionen betrifft, aufgeführt wird. Das erwarten Sie sicherlich auch nicht von mir. Natürlich ist es ein zentrales Anliegen. Deswegen habe ich es in den wenigen Bemerkungen meiner Einführung angesprochen. Ansonsten muss ich Ihnen sagen - ohne auf Einzelheiten Ihrer Hinweise einzugehen -: Die Situation auf dem Sinai beunruhigt uns in vielerlei Hinsicht einschließlich der Gefahr, dass dort Terroristen geschult und ausgebildet werden bzw. Rückzugsgebiete finden. Es hat Berichte über Organhandel gegeben. Menschenrechtsrelevante Themen wie Menschenhandel, den Sie zu Recht ansprechen, spielen eine Rolle. Es gibt Entführungen. Ich kann Ihnen versichern, dass das Thema Lage auf dem Sinai von mir persönlich in zentralen Gesprächen mit den betreffenden Regierungen und Präsidenten der Region angesprochen wurde. Ich werde in der Öffentlichkeit nicht über alles berichten können - Sie wissen, dass diese Gespräche eine gewisse Vertraulichkeit verlangen -, aber ich kann Ihnen versichern, Frau Kollegin, dass dieses Thema von mir persönlich an relevanter Stelle angesprochen worden ist; denn wir haben ein massives gemeinsames Interesse daran, dass sich die Lage auf dem Sinai stabilisiert. Wir werden vielleicht nicht in politischen Bewertungen, was die gesamte Region angeht, übereinstimmen - das ist in Bezug auf den Nahostfriedensprozess oder die gesamte Politik im Mittleren und Nahen Osten nicht zu erwarten -, aber ich kann Ihnen versichern: Das Thema wurde von mir an relevanter Stelle angesprochen. Ich nenne hier aber weder Ross noch Reiter, weil es sich gegenüber den Gesprächspartnern als unklug erweisen würde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Erika Steinbach hat das Wort zur nächsten Frage.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Außenminister, zunächst einmal bedanke ich mich dafür, dass sich die Bundesregierung des Themas Menschenrechte so intensiv annimmt. Das haben uns die letzten Jahre deutlich gemacht. Auch ich möchte den Bereich Menschenhandel ansprechen; denn in diesem Bereich wird heutzutage mehr Geld verdient als mit dem Drogenhandel. Deutschland ist nicht nur Transitland, sondern auch Zielland von Menschenhändlern. Inwieweit verzahnen Sie auf Regierungsebene Außen- und Innenpolitik? Mir scheint eine solche Verzahnung nötig zu sein.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Kollegin, wir belegen mit diesem ressortübergreifenden Menschenrechtsbericht, vor allen Dingen aber mit dem Aktionsplan, dass es sich dabei um eine vernetzte Politik handelt. Ich danke Ihnen für die freundlichen, anerkennenden Worte. Ich sage das in aller Bescheidenheit: Die Menschenrechtspolitik hat für diese Bundesregierung eine sehr hohe Bedeutung, und zwar nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in allen anderen Bereichen. Wir sind bei diesem Thema ressortübergreifend sehr sensibel, vor allen Dingen natürlich in den Bereichen, in denen Außen- und Innenpolitik zusammentreffen. Ich habe, wie ich es dem Kollegen Beck bereits gesagt habe, nur Gutes über die Zusammenarbeit zwischen dem Innen- und dem Außenministerium zu berichten, gerade beim Thema Menschenrechte. Es gibt natürlich immer Fragen - das liegt in der Natur des Zuschnitts dieser Ämter -, bei denen das eine Ressort qua Amt ganz besonderen Wert auf die Sicherheit legen muss und zu denen das andere Ressort Vorschläge einbringen kann. Mein Eindruck ist, dass diese vernetzte Politik so betrieben wird, wie man das von der Regierung erwarten kann. Der vorliegende Bericht ist ein fast 300 Seiten starkes Dokument, das zeigt, dass es eine vernetzte Menschenrechtspolitik gibt und es keinen Unterschied zwischen dem Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte im Ausland und der Menschenrechtspolitik im Inland gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich möchte an dieser Stelle nahtlos anschließen. Ich war gestern Abend beim Festakt des Behandlungszentrums für Folteropfer hier in Berlin. Dieses Zentrum leistet seit 20 Jahren eine sehr segensreiche Arbeit, was die Behandlung von Menschen betrifft, die aufgrund von Folter traumatisiert sind. Ich habe mir den Bericht, so schnell es ging, auf genau dieses Thema hin angeschaut. Ich habe herausgefunden, dass sich die Ausführungen zur Bekämpfung der Folter im 9. und 10. Bericht im Wesentlichen gleichen. Sie sind, denke ich, ernüchternd, was den nationalen Präventionsmechanismus betrifft. Im 9. Bericht stand dazu, dass Sie die personelle und finanzielle Ausstattung prüfen wollen. Jetzt, zwei Jahre später, heißt es, dass die Praxisberichte vorliegen und die Ausstattung überprüft wird. Ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie zugelassen haben, dass der Leiter der Bund-Länder-Kommission zurückgetreten ist. Er ist aus Protest zurückgetreten, weil er die für seine Arbeit erforderliche Ausstattung nicht bekommen hat. Ich frage Sie als Minister: Warum wird ein bekannter Missstand überprüft, wenn keine Konsequenzen aus dem Missstand gezogen werden? Welche Erklärung haben Sie als Außenminister dafür, dass wir in anderen Ländern gegen die Folter kämpfen und diese auffordern, Mechanismen gegen Folter einzurichten, im eigenen Land aber keinen Schwerpunkt auf dieses Thema legen?

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Kollegin, in Ihrer Frage schwingt ein Vorwurf an die Bundesregierung mit, den ich nicht teile. Ich glaube, dass die Bundesregierung kohärent verfährt: Engagement im Ausland und Unterstützung der Kräfte im Inland, die sich zum Beispiel zivilgesellschaftlich gegen Folter engagieren. Ich kann hier keine Defizite erkennen. Ich lege großen Wert darauf, dass dies beim Aktionsplan berücksichtigt wird. Sie haben gesagt, dass Sie die Berichte verglichen haben. Ich kann jetzt nicht mit Ihnen darüber diskutieren, ob sich die Worte oder Formulierungen gegen Folter ähneln. Es spricht aber vieles dafür, dass sich die Formulierungen zum Thema Kampf gegen Folter weltweit ähneln; denn das ist ein Anliegen, das sich nicht von Regierung zu Regierung oder von Periode zu Periode verändert. Deshalb spricht viel dafür, dass bei diesem Thema die Kontinuität gewahrt wird. Ich kann keine Defizite seitens der Bundesregierung erkennen, auch nicht, was die Politik gegen Folter angeht, weder im Inland noch im Ausland. Ich kann das nicht erkennen. ({0}) - Nein, ich kann dazu keine Erklärungen abgeben. Das tue ich hier auch nicht. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich das Wort der Kollegin Katrin Werner gebe, ein Hinweis an alle Kolleginnen und Kollegen: Im Augenblick habe ich noch zehn Wortmeldungen vorliegen. Es ist mir möglich, wenn großes Interesse an diesem Thema besteht - das ist zweifellos der Fall -, die Dauer der Befragung zu verlängern. Dann wird die nachfolgende Fragestunde verkürzt. Ich habe vor, alle zehn Wortmeldungen zuzulassen. Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Werner.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Minister, ich möchte an das anschließen, was meine Vorrednerin gesagt hat. In Teil A des Berichts, also dem Abschnitt zu Deutschland, findet sich die Erkenntnis, dass zu wenig Mittel bereitgestellt werden. Wir hatten im Ausschuss Änderungsanträge zu diesem Haushaltstitel eingebracht, in denen wir um eine Erhöhung der Mittel gebeten haben. Diese wurden abgelehnt. Insofern stellt sich, wenn Sie es sogar im Bericht festhalten, die Frage: Wie wollen Sie daran etwas ändern, außer dem mit Programmen entgegenzuwirken? Ein weiterer Abschnitt - ich möchte mich nur auf Teil A beschränken; der Bericht wurde uns ja erst vor zwei Stunden vorgelegt - befasst sich mit Menschenrechten in Deutschland. Ich habe beim Überfliegen des Berichts gesehen, dass Sie dem Thema Armut in Deutschland zwei Seiten widmen. Kein einziges Mal wird Altersarmut erwähnt. Sie kündigen den vierten Armuts- und Reichtumsbericht an, der zumindest als Entwurf schon seit Wochen vorliegt. Aus diesem geht ja klar hervor, dass jeder fünfte Deutsche von Armut und Ausgrenzung bedroht ist. Insofern fehlen mir präzisere Angaben in Ihrem Bericht dazu. Sie gehen auf einer Seite auf die Alleinerziehenden ein - auch ein sehr wichtiges Thema, wie ich finde. Weiter hinten im Bericht steht, dass Sie eine Initiative starten wollen und die Ämter bei der Anwendung des Kinder- und Jugendhilferechts in Menschenrechtsfragen unterstützen wollen. Über die Situation der Länder und Kommunen haben wir ja schon im Ausschuss gesprochen: Die Länder und Kommunen - die Kommunen sind die kleinste, aber wichtigste Einheit - sind immer mehr von Finanzproblemen bedroht und mussten in den letzten Monaten gerade im sozialen Bereich Kürzungen vornehmen, weil sie dem Entschuldungsfonds beigetreten sind. Vor diesem Hintergrund ist doch die Umsetzung Ihrer Erkenntnisse überhaupt nicht mehr möglich. Wie wollen Sie das also schaffen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Zunächst einmal, Frau Kollegin, möchte ich auf eines hinweisen: Es wurde jetzt zum zweiten Mal gesagt, dass Sie den Bericht erst vor zwei Stunden bekommen haben. Das ist kein Wunder; denn wir haben ihn erst vor zweieinhalb Stunden in der Regierung beschlossen. Es handelt sich natürlich um einen umfangreichen Bericht. Dieser muss von Ihnen erst einmal im Detail gelesen werden. ({0}) - Das ist auch völlig in Ordnung. - Ich stelle nur fest, dass das Thema - ich glaube, für uns alle - wichtig ist und dass hier nichts zurückgehalten wird. Wir haben den Bericht also heute Morgen im Kabinett beschlossen, und wir haben ihn Ihnen dann unverzüglich zugeleitet. Natürlich handelt es sich um ein sehr komplexes Thema. Daher ist es für Sie, aber auch für alle anderen schwierig, schon jetzt alle Details des Berichts, der etwa 300 Seiten umfasst, zu kennen. Ich will dies nur sagen, weil ich sehr viel Wert darauf lege, dass hier nicht der Misston einer Missachtung Ihrer Arbeit stehen bleibt. Dafür habe ich dem Deutschen Bundestag viel zu lange als Abgeordneter auf der Oppositionsseite angehört. Nun zu Ihrer Frage. Sie sagen, es würden zu wenig Mittel eingesetzt. Das kann ich nicht erkennen. Ich glaube, dass die im Haushaltsansatz vorgesehenen Mittel ausreichend sind, um unsere Menschenrechtspolitik vernünftig fortzusetzen. Wenn man in einem bestimmten Bereich tätig ist, hat man immer das Bedürfnis, dass dort noch mehr Mittel eingesetzt werden. Das ist verständlich. Das geht auch mir in meinem Ressort gelegentlich so. Aber wir alle haben einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Staatsfinanzen in Deutschland wieder ausgeglichen werden bzw. stabil bleiben. Deswegen ist dies immer in einem Zusammenhang zu betrachten. Das kann ich Ihnen dazu antworten. Vielleicht noch ein Nachsatz. Bitte erlauben Sie mir eines: Ich würde Ihnen gerne meine Gedanken zum Thema Altersarmut vortragen - ich hätte dazu eine ausführliche Meinung -, aber als Außenminister bitte ich Sie um Verständnis, dass Sie diese Fragen im Ausschuss, wenn Sie den Bericht beraten, mit dem zuständigen Kollegen besprechen. Ich bin immer in der Versuchung, dass ich gewissermaßen universell zu Themen antworte, die nicht zu meinem Geschäftsbereich gehören. Aber wie sagt man so schön? Diese Zeit ist für mich vorbei.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Granold.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Ich möchte zwei Punkte ansprechen: die Religionsfreiheit und den Menschenhandel. Im Zusammenhang mit dem Thema Religionsfreiheit bedanke ich mich ausdrücklich für Ihr Engagement für den Schutz der religiösen Minderheiten, insbesondere der Christen. Sie waren mehrfach in den Staaten des arabischen Frühlings, in Ägypten, im Irak. Herzlichen Dank dafür. Meine Frage bezieht sich auf Syrien; Sie hatten ja vorhin darüber gesprochen. Von dort gehen tagtäglich erschreckende Meldungen über verfolgte und ermordete Christen ein. Die Situation dort ist ganz schlimm. Vielleicht können Sie angesichts dieser Meldungen sagen, wie man hier sofort und konkret vonseiten der Bundesregierung, aber auch der EU helfen könnte. Das Zweite ist das Thema Menschenhandel; hier geht es mir insbesondere um die Zwangsprostitution. Sie haben sich im Menschenrechtsrat in Genf diesem Thema gewidmet. Es ist ja aufgrund der Blockbildung des Menschenrechtsrates sehr schwierig, gemeinsame Entscheidungen und Resolutionen auf den Weg zu bringen. Diese Blockbildung wurde, was das Thema Menschenhandel und gerade auch Zwangsprostitution angeht, durch die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den Philippinen aufgebrochen. Wie wir von der Kollegin Steinbach gehört haben, ist Ziel- und Transitland Deutschland. Meine Frage: Kann Deutschland das eingeschlagene Vorgehen auf weitere Staaten erweitern, um diesem Problem des Menschenhandels besser gerecht zu werden? Auch an dieser Stelle herzlichen Dank für das Engagement im Menschenrechtsrat und auch dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Löning; er ist ganz wichtig für uns.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Vielen Dank, Frau Kollegin, auch für die anerkennenden Worte an Herrn Löning. Ich möchte Ihnen auch von meiner Seite aus sagen: Die Zusammenarbeit ist hervorragend, und ich bin sehr froh, wie Herr Löning als Menschenrechtsbeauftragter diese Arbeit macht. Das, was ich in Genf gesagt habe - ich glaube, Sie waren damals dabei, als ich meine Rede gehalten habe -, gilt unverändert; das ist ein ganz zentrales Anliegen für uns. Man stellt sich das bei uns gelegentlich nicht so ernst und so dramatisch vor, weil wir weit weg von solchen Fragen sind, jedenfalls was die unmittelbare Betroffenheit angeht; aber sie sind dringlich. Dieses gesamte Thema - vielleicht haben Sie es verfolgt - ist uns auch während der Zeit unserer Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sehr wichtig gewesen. Ich komme nun zu dem ersten Thema, das Sie angesprochen haben. Hinsichtlich der Dringlichkeit, die Sie in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht haben, sehe ich es genauso. Ich wünschte, ich könnte Ihnen widersprechen und Ihnen eine andere Lagebeurteilung geben. Wir haben nicht nur in Syrien, sondern auch in vielen Ländern, in denen ein Umbruch bereits stattgefunden hat, ein Kernanliegen, nämlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber wir sagen: Zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zählt ausdrücklich auch die religiöse Pluralität. Der Schutz von Religionen ist ein ganz zentrales Anliegen nicht nur dieses Hauses, sondern auch der Bundesregierung. In Syrien finden wir folgende Situation vor: Es gibt in diesem Land eine große Mehrheit an Sunniten - sie machen mehr als zweit Drittel der Bevölkerung aus -, es gibt ungefähr 13, 14 Prozent Alawiten - vielleicht etwas mehr - und eine etwas geringere Zahl von Christen, vielleicht 12 Prozent. Darüber hinaus gibt es dann noch ungefähr 2 Prozent Schiiten, die nicht Alawiten sind. Dies muss man wissen, wenn man verstehen will, warum die Bundesregierung die Oppositionskräfte in Syrien so drängt - das habe ich auch am vorletzten Wochenende getan, als ich in Istanbul gewesen bin -, eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Die Opposition muss sich auf eine gemeinsame Plattform verständigen. Diese gemeinsame Plattform sollte nicht nur das berechtigte Verlangen nach der Ablösung des Assad-Regimes verbinden, sondern eben auch das Eintreten für und das klare Bekenntnis zur religiösen Pluralität, zur Gewährleistung religiöser Toleranz. Übrigens wird es nur möglich sein, den Erosionsprozess in Syrien zu beschleunigen, wenn diejenigen, die im Augenblick noch zögern, ob sie sich an der Transformation beteiligen sollen, das Gefühl und die Gewissheit haben, dass auch sie und ihre Familie mit ihrem Glauben in einem neuen Syrien einen geschützten und geachteten Platz haben. Das ist ein zentrales Anliegen. Wenn Sie so wollen, ist das auch ganz harte Realpolitik, um die es hier geht. Der Schutz der religiösen Pluralität muss deutlich gewährleistet werden, weil nur so ein Erosionsprozess in dem Regime beschleunigt werden kann. Frau Präsidentin, wenn ich das noch sagen darf, weil es sich wirklich um eine Kernfrage handelt: Die Christen dort - Sie wissen, dass ich selber Christ bin - haben große Angst und große Sorge. Deswegen achte ich auch sehr genau darauf, mit wem von der Opposition wir zusammenarbeiten. Mehr will ich dazu nicht sagen, ich will es nur andeuten: Ich möchte nicht, dass wir - egal wo; ich sage das ganz allgemein - Kräfte unterstützen, die am Schluss, nachdem sie vielleicht erfolgreich gewirkt haben, ihrerseits religiöse Pluralität missachten und eher fundamentalistische, extremistische Einstellungen in ihrem Land verankern. Das ist eine Kernfrage, die, denke ich, uns alle bewegt. Deswegen - das ist manchmal nicht so klar verständlich - gehen wir bei der Zusammenarbeit mit bestimmten Oppositionskräften, nicht nur in Syrien, sehr maßvoll und sehr überlegt vor. Der Schutz der religiösen Pluralität ist ganz entscheidend. Ich spreche übrigens ungern von religiösen Minderheiten; für mich sind das Teile der Gesellschaft, gewachsene Teile der Gesellschaft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Ullrich Meßmer.

Ullrich Meßmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erlauben Sie mir, Herr Minister, dass ich noch einmal auf die Frage der WSK-Rechte zurückkomme und auf die Umsetzung der VN-Richtlinien zur Einhaltung der Menschenrechte auch in der Wirtschaft, und zwar konkret die Umsetzung der Ruggie-Richtlinien. Die Europäische Kommission hat - das liegt wohl in Ihrem Zuständigkeitsbereich - die Mitgliedstaaten aufgefordert, bis Ende 2012, also noch dieses Jahr, einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung vorzulegen. Ich weiß nicht, ob ich das übersehen habe; deshalb frage ich: Ist damit zu rechnen, dass dieser nationale Aktionsplan in diesem Jahr noch kommt, dann entsprechend beraten wird und in Kraft gesetzt werden kann? Oder wie stellt sich das Außenministerium die Umsetzung dieser Vorgabe vor?

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Kollege, ich danke Ihnen zunächst einmal für Ihre Frage. Aus dem Stegreif kann ich sie Ihnen nicht beantworten, ich kann Ihnen keine Auskunft zum genauen Stand der Verhandlungen geben. Ich bin aber gerne bereit, das schriftlich nachzutragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun stellt der Kollege Volker Beck seine angekündigte zweite Frage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In gewisser Weise ist es die erste Frage. Sie, verehrter Herr Minister, haben nämlich nicht wirklich in der Sache geantwortet. ({0}) - Mit Verlaub: Keine Zwischenrufe von der Regierungsbank! - Sie haben nicht darauf geantwortet, was sich aufgrund des UPR-Berichts an der Roma-Politik ändern wird. Ich bitte Sie auch, zu beantworten, warum sich Deutschland als einziges Land der Europäischen Union weigert, die von der Kommission geforderte Roma-Strategie für Deutschland aufzulegen. Zum Schluss eine Frage - Sie können sie eigentlich mit Ja oder Nein beantworten -: Sind Sie meiner Auffassung, dass man Roma - unabhängig von der Frage einer politischen Verfolgung - nicht zurückschieben kann in eine Situation ohne Heizung, ohne Dach über dem Kopf, in der die Grundlagen einer menschenwürdigen Existenz also definitiv nicht gegeben sind? ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich befrage die Bundesregierung. Sie können Herrn Bergner einspringen lassen.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Ich kann die Frage gerne auch weitergeben. Die Usancen sind aber doch eigentlich so, dass man versucht, auch etwas zu seinem Bereich zu sagen. Ich verstehe ja, dass Sie die Debatte heute noch einmal bringen möchten. Aber ich habe den Eindruck, dass der Hintergrund Ihrer Frage ein sehr innenpolitischer ist. ({0}) Ich muss Ihnen zum Ersten sagen: Ich teile die Unterstellungen nicht, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen. Zum Zweiten kann ich Ihnen nur sagen: Dass die Bundesregierung sich weigern würde, die Rechte und die Umstände für Roma und Sinti entsprechend zu gestalten und zu verbessern, das kann ich beim besten Willen nicht erkennen, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. So viel sei mir gestattet zu sagen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind in der Fragestunde. Weiteren Vertretern der Bundesregierung steht es frei, zu antworten, wenn sie es wollen.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Ich bin gerne bereit. - Ich kann auch nichts zu den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern in solchen Fragen sagen. Es gehört sich nicht, dass der Außenminister dazu Stellung bezieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich stelle jetzt die Frage: Gibt es auf der Regierungsbank weiteren Bedarf, zu antworten? Ansonsten fahren wir fort.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Ich gebe es gerne weiter.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Herr Kollege Beck, ich bin etwas verwundert, dass Sie hier behaupten, die Bundesregierung hätte sich an der Roma-Strategie der Europäischen Union überhaupt nicht beteiligt. ({0}) Wir haben eine sogenannte Paketlösung vertreten, und es besteht Übereinstimmung - übrigens auch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma -, dass wir Sinti und Roma bei unseren Bemühungen um eine Integration von Zuwanderern nicht selektiv behandeln, sondern hier die Instrumente der allgemeinen Integrationspolitik anwenden. Insofern ist mir der Hintergrund Ihrer Frage, ehrlich gesagt, nicht verständlich. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage an den Außenminister stellt nun die Kollegin Marina Schuster.

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Zunächst einmal möchte ich ganz persönlich Ihnen für die Vorlage des Berichts und auch für den Einsatz für Menschenrechte und Markus Löning für seine Arbeit danken. Schon der Entwurf des Aktionsplans wurde mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte und mit dem Dachverband, dem Forum Menschenrechte, diskutiert. Zu diesem Aktionsplan möchte ich eine Frage stellen. Wir erleben bei vielen Reisen, dass Menschenrechtsverteidiger - Sie haben sie auch in Ihrer Einführung erwähnt - sehr bedroht sind. Ich möchte gerne wissen, was sich die Bundesregierung vornimmt, um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu verbessern - auch an den deutschen Botschaften. Zum zweiten Bereich. Deutschland kandidiert für einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Ich begrüße das sehr. Mich würde interessieren, was man sich vornehmen und welche Schwerpunkte man setzen würde, sollte es mit dem Sitz klappen. Vielen Dank.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Kollegin, das Thema Menschenrechtsverteidiger ist ganz erheblich. Ich habe entsprechende Gespräche schon geführt, bevor ich in die Regierung gekommen bin. Das Allerwichtigste ist dabei in bestimmten Ländern, offen gestanden, dass diese Gespräche so geführt werden, dass sie nicht öffentlich werden. Das wird in einer parlamentarischen Demokratie, wo alles öffentlich sein und öffentlich besprochen werden sollte, manchmal schwer verstanden. Es ist aber offensichtlich wichtig, mit Menschenrechtsverteidigern zusammenzuarbeiten, ohne sie gleich in eine größere Öffentlichkeit zu bringen, weil das ihre Arbeit in ihren eigenen Ländern sehr erschweren würde. Überall da, wo es nötig ist, also nicht nur in einigen Ländern, die aufgeführt worden sind - Sie finden in dem Bericht übrigens zum Teil detaillierte Ausführungen dazu -, haben wir zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger wirklich eine Menge getan. Ich kann Ihnen versichern - das wissen auch die Kollegen -: Manche Lösung ist möglich geworden, weil wir es nicht öffentlich gemacht haben. Das ist immer die Krux: Wenn Sie Regierungsmitglied sind, dann müssen Sie mit bestimmten öffentlichen Äußerungen zurückhaltend sein, um die Sicherheit von Einzelnen und die Sicherheit ihrer Familien nicht zu gefährden. Ich kann Ihnen aber sagen: Es gibt einen klaren, umfassenden Ansatz und eine klare Priorität für alle Auslandsvertretungen, die es betrifft. Zum zweiten Teil Ihrer Frage, der Kandidatur für den UN-Menschenrechtsrat. Über diese Kandidatur wird am 12. November 2012 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen entschieden. Es gibt fünf Kandidaten für drei Plätze. Deutschland ist ein Kandidat, und wir haben wirklich starke Mitbewerber. Wir waren einmal, nämlich unmittelbar nach der Gründung, im Menschenrechtsrat vertreten. Danach haben wir ausgesetzt, weil wir gesagt haben: Es sollen auch andere einmal diese Aufgabe übernehmen. Jetzt bewerben wir uns erneut. Das ist ein Wettbewerb, den man nicht unterschätzen darf. Wir betrachten das für uns - ich denke, wir alle im ganzen Land - natürlich als eine Sache, bei der wir ein gutes Profil haben und auch sehr viel Respekt und ein großes Ansehen genießen. Das gilt für die anderen Länder, um die es hier geht, aber auch. Ich will jetzt keine einzelnen Länder nennen, aber es handelt sich um auch bei der internationalen Gemeinschaft angesehene Kandidaten. Das wird eine schwierige Sache. Wir haben mit zwei Initiativen, glaube ich, etwas gezeigt, was viele in der Welt überzeugt hat. In Deutschland nicht viel beachtet worden ist unser Einsatz für die Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten. Darüber hat es hier wenig öffentliche Diskussionen gegeben; das ist aber ein Meilenstein gewesen, auch für die Arbeit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dieser Einsatz ist hoch anerkannt worden, auch von Völkern und von Staaten außerhalb unseres europäischen Kontinents. Das ist eine ganz wichtige Sache. Vielleicht haben einige Kollegen bei dieser Aktion mitgemacht, bei der wir Kinder ermunterten, etwas für ihre Altersgenossen zu tun; denn es ist zum Teil unvorstellbar, welche Schilderungen man in diesem Zusammenhang zu hören bekommt. Dann geht es auch um die Erweiterung unseres Menschenrechtsbegriffs. Auf den ersten Blick denken wir bei Menschenrechten an die politischen Rechte. Aber zu den Menschenrechten gehört zum Beispiel auch das Recht auf Wasser. Der Zugang zu Wasser, die Wasserversorgung - in unseren Breitengraden kaum vorstellbar - ist auch ein Menschenrecht. Sie sehen also: Wir gehen mit einem sehr breiten Verständnis von Menschenrechten an diese Debatte heran. Weil wir ein sehr umfassendes, breites Verständnis haben, das weit über das, was bisher besprochen worden ist, hinausgeht, glauben wir, sind wir ein guter Kandidat für einen Sitz im Menschenrechtsrat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, auch ich möchte vor allen Dingen dem Beauftragten danken. Ich weiß, dass das Leben von Beauftragten nicht immer sehr angenehm ist. Es stehen nicht nur die deutsch-russischen Regierungskonsultationen an, sondern zeitgleich auch der Petersburger Dialog. Ihr Haus finanziert diesen Petersburger Dialog mit einer beträchtlichen Summe. Wir alle wissen, dass der Abbau von Bürgerrechten in Russland in einer dramatischen Geschwindigkeit zunimmt. Erst gestern ist das Hochverratsgesetz verschärft worden. Es gibt im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs eine Differenz über die Frage, wie Russland gegenüberzutreten sei, ob eher in einer offenen Kontroverse oder eher an der Haltung orientiert, dass man die russische Seite nicht kränken bzw. so stark kritisieren, weil man sie damit überfordert, also nicht demütigen oder beleidigen dürfe. Ist Ihr Haus bereit, als gestaltender Teil des Lenkungsausschusses diejenigen, die für eine kontroverse Haltung eintreten - es soll ja um die Begegnung der Zivilgesellschaften gehen -, zu stärken und Ihre Mitarbei24178 Marieluise Beck ({0}) ter und Ihr Haus auch in dieser Weise im Lenkungsausschuss arbeiten und Vorgaben machen zu lassen?

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Kollegin, ich will hier nicht zu einer Diskussion im Lenkungsausschuss Stellung beziehen. Aber ich nehme Ihre Frage zum Anlass, Ihnen eine allgemeine Antwort darauf zu geben, weil ich auf die konkreten Diskussionen im Lenkungsausschuss hier nicht Bezug nehmen möchte, auch weil ich nicht alle Diskussionsbeiträge im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs kenne, nicht kennen kann. Meine allgemeine Bemerkung lautet: Bei diesem Dialog kommt es darauf an, um was es sich handelt und in welcher konkreten Situation bestimmte Sachen beschlossen werden. Ich bin bei meinem letzten Besuch in Moskau im Sommer, bei dem es überwiegend um die Frage von Syrien gegangen ist und bei dem wir versucht haben, eine Politikänderung Russlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen herbeizuführen, natürlich auch auf andere Themen eingegangen: die Lage von Nichtregierungsorganisationen, auch von ausländischen, sowie die Lage von Stiftungen und ihr Wirken in Russland. Die Auseinandersetzung darüber hat in der Pressekonferenz mit Sergej Lawrow öffentlich stattgefunden, weil ich das für notwendig erachtet habe. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich habe die Urteile in dem Verfahren gegen die Mitglieder der Gruppe Pussy Riot öffentlich kritisiert. Das ist in solchen Fällen nicht die Regel, aber in diesem Fall hielt ich das für angemessen. Selbst wenn man akzeptiert, akzeptieren wollte, dass dies ein Verstoß gegen russisches Recht ist, so sind doch das Strafmaß und die Urteilsfindung sicherlich nicht über jeden Zweifel erhaben. Diese Fragen haben wir öffentlich angesprochen. Generell - das kann ich Ihnen sagen - geht es darum, dass wir die Balance halten: Auf der einen Seite müssen wir nachdrücklich für die Interessen der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte in Russland eintreten, auch durch den Rechtsstaatsdialog, der Teil der Modernisierungspartnerschaft zwischen Russland und Deutschland ist; darauf lege ich großen Wert. Auf der anderen Seite muss man sich vor Augen führen, dass man nichts erreicht, wenn man sich im Inland, weil es dort entsprechenden Beifall gibt, öffentlich so scharfkantig äußert, dass man dann als Gesprächspartner nicht mehr angenommen wird und nichts mehr wirklich bewegen kann. Das ist die Balance, um die es geht. Es ist leider - das habe ich am Anfang gesagt - eine schwer zu findende Balance, eine schwer zu treffende Abwägung zwischen der Öffentlichkeit und der Diskretion. Beides muss man zur rechten Zeit tarieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Tom Koenigs.

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich habe gerade gelesen, was Sie im Bericht, der ja dankenswerterweise in ausführlicher Form pünktlich vorliegt, zum Kosovo schreiben. Da schreiben Sie, dass die Strategien zur Integration von Roma, Ashkali und der sogenannten Ägypter noch einer engagierten Umsetzung bedürfen. Jeder, der dort war, weiß, das ist in der Tat der Fall.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Sie meinen, im Kosovo?

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Kosovo, ja. - Sie sagen, WSK-Rechte sind dort nicht gegeben, und zwar am allerwenigsten für Roma, Sinti und Ashkali. Ich möchte den heutigen Tag, an dem sehr schöne Reden gehalten worden sind, doch dazu nutzen, Sie zu bitten - das liegt auch in Ihrer Zuständigkeit -, die Bewertung des Kosovo bezüglich der Rücksendemöglichkeiten von Roma und Sinti noch einmal zu überprüfen. Von diesen befinden sich noch 12 000 in Deutschland; davon sind mehr als die Hälfte Kinder. Die sind sechs, sieben oder zwölf Jahre in Deutschland und schulisch integriert. Sie fallen dort ins Nichts. Der Protest dagegen in Form eines Zwischenrufs wurde übrigens auch bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, das nicht weit vom Reichstag entfernt ist, mit Beifall bekundet. All das passt nicht zusammen. Wir haben da eine größere Verantwortung. Ich würde Sie bitten, diesem etwas geschönten Länderbericht noch einmal nachzugehen und ihn vielleicht so abzufassen, dass die Bundesländer Roma und Ashkali nicht mehr in den Kosovo abschieben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Minister.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Das ist ja eine Bitte oder ein Appell an die Bundesregierung gewesen. Ich nehme diesen Appell und Ihre Bitte oder Ihre Aufforderung natürlich auch mit. Sie wissen aufgrund Ihrer Erfahrung aber auch - Sie sind ja nicht erst seit gestern in diesem Hause -, dass dies eine sehr, sehr schwierige Frage ist. Auf der einen Seite haben wir berechtigte Interessen wahrzunehmen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch humanitäre Interessen und Anliegen entsprechend abwägen. Ich kann und will hier nicht zum Vorgehen einzelner Bundesländer Stellung beziehen. Ich kann Ihnen, was Außenpolitik angeht, nur sagen: Sie können ganz sicher sein - wenn Sie sich bei den Kollegen des Auswärtigen Ausschusses informieren, die sich mit diesem Bereich ja auch besonders befassen, wird man Ihnen das bestätigen -, dass das Thema Roma und Sinti und deren Schicksal von mir in all diesen Gesprächen immer angesprochen wird bzw. mit eingebracht wird; denn wir haben ein ähnliches Interesse daran. Erinnern Sie sich bitte einmal an die Debatte, die zwar nicht den Kosovo betroffen hat, aber die im letzten Jahr noch vor den französischen Präsidentschaftswahlen stattgefunden hat. Sie wissen, dass wir uns entsprechend eingebracht haben. Deswegen nehme ich das jetzt als Appell mit, möchte aber zu den einzelnen Gesprächen mit den Bundesländern nicht Stellung beziehen. Sie können sicher sein, dass dies ein ganz zentrales Anliegen ist, um das wir uns außenpolitisch kümmern. Sie wissen, dass ich selbst im Kosovo gewesen bin und auch Gespräche dort geführt habe. Das ist ein Thema, das immer auf der Tagesordnung steht. Da können Sie ganz sicher sein. Das betrifft übrigens nicht nur den Kosovo; das will ich noch einmal betonen. Jeder hier weiß, dass es auch um Länder geht, die der Europäischen Union angehören.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Minister. - Ich habe noch zwei Wortmeldungen, bei denen mir signalisiert wurde, dass es um andere Themen geht. Also, voraussichtlich sind Sie im Moment nicht mehr gefragt. - Herzlichen Dank.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Das halte ich für eine Zuspitzung, die ich zurückweise. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Schauen wir mal.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich mache aber gleich darauf aufmerksam, liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank: Ich habe im Angesicht des sehr wichtigen Themas alle unsere Regeln außer Kraft gesetzt, was Restriktionen bezüglich der Frage- als auch der Antwortzeit betrifft. Ich denke, das war im Interesse aller. Ab jetzt sollten wir wieder auf die verabredeten Zeiträume zurückkommen. Das Wort zu einer Frage hat der Kollege Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung vom heutigen Tag stand auch das Thema Nebentätigkeiten und die daraus erzielten Einkünfte, wobei natürlich auch das Thema Ehrenamt insbesondere im Sportbereich zu berücksichtigen ist. Meine Frage an die Bundesregierung ist: Zu welchen guten Ergebnissen bzw. Beschlüssen ist man beim Thema Ehrenamtspauschale und Übungsleiterpauschale gekommen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister.

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Frau Präsidentin! Herr Kollege Grund, das ist zutreffend. Die Bundesregierung hat heute einen Gesetzentwurf zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts verabschiedet. Dieser Gesetzentwurf soll die Rahmenbedingungen für steuerbegünstigte Institutionen und bürgerschaftliches Engagement deutlich verbessern. Dazu gehören Änderungen im Einkommensteuerrecht, bei der Abgabenordnung und im Zivilrecht. Zu den von Ihnen angeführten Punkten will ich nur sagen, dass die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro und die Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro angehoben werden soll. Sozialrechtliche Regelungen sollen entsprechend angepasst werden. Weiter ist vorgesehen, die Umsatzgrenze für sportliche Veranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro zu erhöhen. Das entlastet insbesondere Sportvereine mit einem hohen Anteil Ehrenamtlicher. Dazu gehört die Ausdehnung einer ganzen Reihe von Zeiträumen, in denen Zuschüsse, Beiträge, Spenden und sonstige Einnahmen verwandt werden können. Das gilt sowohl für Stiftungen als auch für Vereine. Denn die häufig zu eng gefasste Verpflichtung, die Mittel zeitnah einzusetzen, führt dazu, dass den Vereinen und Stiftungen die Möglichkeit genommen wird, diese Mittel sinnvoll einzusetzen. Auch dazu hat es eine entsprechende Lockerung gegeben. Ich will die Gelegenheit nicht versäumen, dem Bundestag und insbesondere den Koalitionsfraktionen ganz herzlich für diese Initiative zu danken, die von der Bundesregierung jetzt umgesetzt worden ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage in diesem Teil der Tagesordnung stellt der Kollege Steffen Bockhahn.

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. - Ich möchte die Bundesregierung zu Folgendem fragen: Wir wissen seit Anfang dieses Jahres, dass 27 Mitglieder dieses Hohen Hauses durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in ihrer Arbeit besonders sorgfältig beobachtet werden. Es war zugesichert worden, dass bereits vor einem halben Jahr eine neue Richtlinie zum Verfahren vorgelegt werden sollte. Diese ist bisher nicht vorgelegt worden. Es hätte letzte Woche die Möglichkeit gegeben, sie dem zuständigen Gremium zur Kenntnis zu geben, was wiederum nicht erfolgt ist. Stattdessen habe ich dann am Wochenende und auch am Anfang dieser Woche vom Bundesinnenminister Äußerungen zu diesem Thema wahrnehmen dürfen. Nun frage ich mich: Handelt es sich um eine Einzelmeinung des Ministers, was ich mir kaum vorstellen kann, oder gibt es etwa doch eine abgestimmte Position der Bundesregierung, und, wenn ja, wann soll sie dem Bundestag bzw. den zuständigen Gremien des Bundestages endlich zur Kenntnis gegeben werden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer antwortet für die Bundesregierung? - Bitte, Herr Staatsminister.

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Herr Kollege, ich kann den in Ihrer Frage enthaltenen Sachverhalt jetzt so nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren, und bitte Sie, die Frage schriftlich beantworten zu dürfen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann halten wir das so fest, dass die Antwort schriftlich nachgereicht wird. Ich beende die Befragung der Bundesregierung und mache darauf aufmerksam, dass wir diese um 27 Minuten verlängert haben. Diese Zeit wird mit der folgenden Fragestunde verrechnet, sodass wir in dem für die Tagesordnung vorgesehenen Zeitplan bleiben. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/11094 Die Geschäftsbereiche werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Ralph Lenkert auf: Warum wird der Beschluss des Deutschen Bundestages auf Bundestagsdrucksache 14/7840 zu Abschnitt IV achter Absatz, „nationaler Entsorgungsplan“ der Bundesregierung, nicht umgesetzt? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Präsidentin! Herr Kollege Lenkert, nach Beschluss des Bundestages vom 14. Dezember 2001 soll in jeder Legislaturperiode ein nationaler Entsorgungsplan vorgelegt werden. Darin sollen der Sachstand, das weitere Vorgehen und ein Zeitplan für die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle dargestellt werden. Bislang wurde noch kein Entsorgungsplan vorgelegt. Grund dafür war die ausstehende Klärung der Frage des langfristigen Verbleibs der abgebrannten Brennelemente und hochradioaktiven Abfälle. Den aktuellen Sachstand zur Entsorgung hat die Bundesregierung bereits im Bericht zum „Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle“ dargestellt. Dieser Bericht wurde am 31. August 2011 dem Präsidenten des Bundestages übersandt und ist auf den Internetseiten des Bundesumweltministeriums veröffentlicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. - Ist es nicht so, dass man, wenn man radioaktive Abfälle sicher verwahren will, einige Punkte im Vorfeld klären muss, die in einem Plan enthalten sein sollen? Ich nenne zum Beispiel: Rückholbarkeit bzw. Nichtrückholbarkeit, die Kriterien für Lagerstandorte, Klärung der Frage, ob wärmeentwickelnder radioaktiver Müll zusammen mit anderem Müll, zum Beispiel mit gasentwickelndem radioaktiven Müll, in einem Lager gelagert werden soll. Diese Fragen zu beantworten, sollte doch zumindest seit 2001 für die aktuelle und die bisherigen Bundesregierungen möglich sein; denn das ist die Grundlage für die Planung des Baus eines Endlagers. Sie sollen immer den aktuellen Stand der Planung vorlegen. Deshalb meine Nachfrage: Wie weit sind Ihre Überlegungen in diesem Fall gediehen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Lenkert, die Bundesregierung hat sich längst dafür entschieden, schwach wärmeentwickelnde und stark wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle getrennt zu lagern. Wie Sie wissen, befinden wir uns gerade gemeinsam mit den Bundesländern in einem Prozess, ein Verfahren zur ergebnisoffenen Erkundung zu entwickeln und ein Endlagersuchgesetz auf den Weg zu bringen, das sich an wissenschaftlichen Kriterien orientiert. Ich erhoffe mir von diesem Prozess nicht nur die Klärung eines über Jahrzehnte umstrittenen Sachverhalts, sondern auch die Klärung einer wichtigen Frage für unser Land.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage betrifft das parlamentarische Verständnis. Es gibt einen gültigen Beschluss des Deutschen Bundestages. Dieser gültige Beschluss des Deutschen Bundestages muss nach meinem Verständnis von der Bundesregierung umgesetzt werden. Sie selbst haben gesagt, Sie hätten diesen Beschluss bisher nicht umgesetzt. Ich stelle jetzt hier die Frage: Wann will die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber dem Parlament und gegenüber der Bevölkerung nachkommen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Lenkert, ich weise noch einmal darauf hin, dass der Beschluss aus dem Jahr 2001 stammt ({0}) und weder in der 15. noch in der 16. Legislaturperiode ein Konzept vorgelegt wurde. Das resultiert daraus, dass bislang kein abgestimmtes Konzept zur Entsorgung entwickelt werden konnte. Wir legen den Bericht dann vor, wenn wir das neue Endlagersuchgesetz tatsächlich auf den Weg bringen können; denn dann liegt tatsächlich ein vernünftiges Konzept vor. Wir sind allerdings von der Europäischen Union gehalten, bis 2015 der Europäischen Union zu berichten. Wir werden diesen Termin selbstverständlich einhalten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dorothée Menzner das Wort.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie sprachen eben an, dass dieses offensichtlich sich in Arbeit befindende Endlagersuchgesetz auch zu einer Befriedung eines Konflikts beitragen soll, der den meisten hier im Hause hinlänglich bekannt ist. Ich stelle in dem Zusammenhang die Frage, was der Bundesregierung die Sicherheit gibt, dass solch ein Gesetz, das nicht mit der Bevölkerung, nicht mit Bürgerinnen und Bürgern und nicht mit Sachverständigen diskutiert wird, zu einer Befriedung des Konfliktes führen wird, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die in Rede stehenden Verpflichtungen der Bundesregierung nicht abgearbeitet werden.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Menzner, das ganze Verfahren ist so angelegt, dass wir ein neues, transparentes und partizipatives Suchverfahren für Endlager anstreben. Jeder einzelne Schritt wird mit dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat abgestimmt. Es gibt also eine Einbeziehung des Parlamentes und des Bundesrates sowie - bei jedem Schritt - der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und transparente Kommunikation. Niemand kann am Ende des Tages sicher sein. Sicher ist momentan nur, dass die Opposition einen gemeinsamen Konsens verweigert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen dann zur Frage 2 des Kollegen Lenkert: Wann ist in der 17. Legislaturperiode mit der Vorlage des nationalen Entsorgungsplans zu rechnen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Lenkert, die Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates fordert, dass die Bundesregierung bis zum 23. August 2015 ein nationales Entsorgungsprogramm vorlegt. Die Arbeiten hierzu haben begonnen und können erst in der nächsten Legislaturperiode abgeschlossen werden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ich entnehme jetzt Ihrer Antwort, dass Sie Anforderungen der Europäischen Union höher einstufen als Anforderungen des Deutschen Bundestages; denn Sie halten den Termin, den die Europäische Union setzt, für wichtiger als den Termin, den die Mehrheit des Deutschen Bundestages gesetzt hat, und zwar 2001. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie der Meinung sind, dass es wichtiger ist, den Behörden in der Europäischen Union zu folgen als den Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Diese Unterstellung, Herr Lenkert, weise ich zurück. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal feststellen: Seit über 40 Jahren wird in der Bundesrepublik Deutschland Atomkraft zur Energiegewinnung genutzt. Ich stelle jetzt anhand Ihrer Antworten fest: 40 Jahre lang wurde diese Technik genutzt, und man hat sich keine Gedanken darüber gemacht, wie eine Entsorgung aussehen soll und aussehen könnte. Im Gegenteil: Man produziert noch bis 2022 in diesen Anlagen atomaren Müll und hat bis heute noch nicht einmal einen Plan oder ein abgestimmtes Konzept, wie man damit umgehen will. Aus meiner Sicht ist das verantwortungsloses Handeln. Ich frage Sie nochmals: Wann wollen Sie diesen verantwortungslosen Zustand endlich definitiv beenden und mit einer Energiegewinnung Schluss machen, die ein solches Problem hervorruft? Wenn Sie dieses Ende nicht herbeiführen könnten, müssten Sie eigentlich alle Atomkraftwerke schließen, weil Sie keinen Entsorgungsnachweis haben.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Lenkert, die Mehrheit des Deutschen Bundestages und des Bundesrates hat ganz klar beschlossen, dass die Nutzung der Kernenergie in Deutschland mit dem Jahr 2022 beendet ist. Aber noch weit über das Jahr 2022 hinaus wird uns die Problematik der Entsorgung von atomaren Abfällen beschäftigen. ({0}) Selbst wenn wir heute abschalten würden, müssten wir dieses Problem lösen. Diese Bundesregierung ist die erste, die ein Konzept und ein Gesetz vorgelegt hat, diskutiert mit allen Beteiligten, auch den Ländern, in denen ja irgendwann einmal irgendwo ein Standort für die Lagerung von Atommüll sein muss. Diese Bundesregierung hat ein Verfahren angestrebt, das es so nicht gab, um in einem ganz breiten Konsens eine große energiepolitische und am Ende auch gesellschaftliche Frage nicht nur zu beantworten, sondern auch zu befrieden. ({1}) Ich hoffe sehr, dass die Tür zu einem gemeinsamen Endlagersuchgesetz noch nicht zugeschlagen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Dorothée Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstehe, nimmt diese Bundesregierung für sich in Anspruch, die erste zu sein, die sich auf den Weg macht, sich Gedanken über die dauerhafte Verwahrung des in 40 Jahren angefallenen Mülls zu machen. Sie sprachen eben von „irgendwann irgendwo ein Standort“. Verstehe ich es richtig, dass Sie damit implizieren, dass der Entsorgungsnachweis für bereits bestehende Anlagen, die seit teilweise 40 Jahren Müll verursachen, nicht geführt werden kann? Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass wir erleben mussten, dass eine Anlage, die teilweise für die Genehmigung Grundlage war, nämlich die Asse, nach Meinung aller Fraktionen, zumindest im Niedersächsischen Landtag, havariert ist. Sehe ich es also richtig, dass Genehmigungen wegen fehlendem Entsorgungsnachweis zurückgezogen werden müssten?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Menzner, frühere Bundesregierungen haben sich auch mit der Frage beschäftigt, mal mehr und mal weniger intensiv und vor allem bislang ohne Erfolg; denn es ist so, dass wir für hochradioaktive Abfälle bislang keinen Standort haben, wo wir ohne massive Proteste, Unterstellungen und hochpolitische Begleitung ein Endlager überhaupt bauen und nutzen könnten. Dies hat die Bundesregierung zum Anlass genommen, mit den Beteiligten ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu eruieren, welche Schritte denn überhaupt akzeptiert würden, um ergebnisoffen und transparent zu verfahren, am Ende des Tages aber auch mit einer Lösung vor die Bürgerinnen und Bürger treten zu können. Wir gehen hier von einer wirklich weißen Landkarte aus. Wir wollen wissenschaftlich untersuchen. Wir haben dafür viele Vorschläge gemacht - bis hin zu Institutionen. Es ist jetzt auch an der Opposition und an den Bundesländern, zu sagen, ob sie diesen Weg gemeinsam gehen wollen. Ich hielte es für verantwortungsvoll, wenn man nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch den Einstieg in eine sichere Entsorgung, wie gesagt, des hochradioaktiven Abfalls endlich schaffen würde; für „Konrad“ sind die Dinge ja so weit geklärt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat nun die Kollegin Vogt das Wort.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass mit dem ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin und dem ehemaligen Umweltminister Sigmar Gabriel zwei Vertreter der derzeitigen Oppositionsparteien zugesichert haben, dass es weitere Gespräche gibt, und dass wir auf Arbeitsebene bereits mit diesen Gesprächen zum Endlagersuchgesetz begonnen haben, und sind Sie bereit, Ihre Vorwürfe, die Opposition würde dieses Vorhaben blockieren, zurückzunehmen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich bin nicht bereit, das zurückzunehmen, weil, nachdem es schon ein persönliches Gespräch des Bundesumweltministers mit den von Ihnen genannten Personen gegeben hatte, auch die Arbeitsebene nicht weitergekommen ist; denn all das, was dann seitens der Regierung verändert wurde, wurde am Ende wieder infrage gestellt. Es ist wirklich bedauerlich, dass es doch nicht - zumindest kann man sich des Eindrucks nicht völlig erwehren - um eine Lösung des Problems, sondern ums Hinhalten geht. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Kotting-Uhl das Wort.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, erstens zur Kenntnis zu nehmen, dass sich bis zu der Initiative aus Baden-Württemberg - abgesehen von Niedersachsen nie ein Bundesland, auch kein CDU-geführtes Bundesland, bereit erklärt hat, sein Land für eine Endlagersuche zu öffnen, und dass von daher eine vergleichende Endlagersuche erstmals möglich wurde mit der Initiative aus Baden-Württemberg, nachdem dort ein Regierungswechsel stattgefunden hatte und ein grüner Ministerpräsident diese Initiative starten konnte? Sind Sie bereit, zweitens zur Kenntnis zu nehmen, dass für einen Konsens eine abstimmungsfähige Vorlage da sein muss, dass Umweltminister Altmaier es den Sommer über versäumt hat, eine solche Vorlage vorzulegen, um mit einer abstimmungsfähigen Grundlage zu einem weiteren Gespräch einladen zu können, und diese Sache so lange verzögert hat, bis sie in greifbarer Nähe des niedersächsischen Landtagswahlkampfs war? ({0}) Wir alle wissen und auch ein ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer weiß ganz genau, wie schwierig es in einer solchen Gemengelage ist, Fragen wie die in einem Endlagersuchgesetz ergebnisoffen und sachlich zu diskutieren.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich freue mich darüber, dass der baden-württembergische Ministerpräsident nicht nur einen deutlichen Schritt auf uns zugekommen ist, sondern auch gesprächsbereit war. Umso bedauerlicher war es dann, dass offenbar andere handelnde Führungspersonen bei den Grünen den schon versprochenen Konsens wieder gelöst haben. Deshalb dringe ich darauf, dass es dazu kommt, dass man die Papiere, die vorliegen, die ausformuliert sind, bei denen immer wieder auch im Sinne der Wünsche von SPD und Grünen nachgearbeitet wurde, zumindest abnickt; die Beschlussfassung findet ja dann im Deutschen Bundestag mit all seinen Verfahren und dann auch im Bundesrat mit all seinen Verfahren statt. Aber das kann ich nicht erkennen, weil - da wiederhole ich das, was ich der Frau Kollegin Vogt gesagt habe - auch die letzte Runde leider ergebnislos verlief. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Bockhahn hat das Wort.

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass diese neue Debatte in einem breiten konsensualen und partizipativen Verfahren geführt werden soll. Das kann ich natürlich nur begrüßen. Die Kollegin Vogt hat dann auf den auf Arbeitsebene bereits begonnenen Dialog hingewiesen, der durch die Bundesregierung nach meiner Kenntnis auch initiiert worden ist. Nun frage ich mich ganz besorgt, ob meine Informationen stimmen, dass dieser partizipative breite Dialog ohne die Linke geführt wird. Das frage ich mich nicht nur, weil wir immer gerne mitspielen wollen und auch etwas zu sagen haben und auch von 5 Millionen Menschen in diesem Land gewählt sind, sondern auch deswegen, weil eine Landesumweltministerin in der Bundesrepublik Deutschland von der Linken gestellt wird, nämlich in Brandenburg, wie Sie wissen. Auch Brandenburg müsste doch diesem Verfahren zustimmen, damit es tatsächlich das ist, was Sie vorhin beschrieben haben. Wenn dem so ist, wie ich befürchte, würde ich mich natürlich darum sorgen, warum das so ist. Dazu hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich kann Ihren Anlass zur Sorge deshalb nicht verstehen, weil ich an den Gesprächen teilgenommen habe und mehrfach Frau Kollegin Tack auch höchstpersönlich im BMU begrüßt habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann hat der Kollege Kelber das Wort.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der Fragestunde darf man sicherlich ausweichend antworten, aber nicht falsch antworten. ({0}) Ist es nicht vielmehr so, dass es seit Ende Juni, als das Treffen zwischen Bundesumweltminister Peter Altmaier und der Opposition stattgefunden hatte, bei dem zugesagt wurde, alternative Formulierungen für vier umstrittene Punkte in der Endlagersuche zu finden, bis Anfang Oktober weder neue Formulierungen noch Treffen gab? Oder können Sie an dieser Stelle, an der Sie gerade gesagt haben, es sei auf der Arbeitsebene nicht weitergegangen, ein einziges Gespräch oder eine einzige E-Mail oder ein einziges Telefonat konkret benennen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Kelber, wir haben sehr wohl eruiert, was möglich ist. Wir haben permanent Gespräche geführt. ({0}) Herr Kollege Kelber, das Treffen, das dann stattgefunden hat - zunächst haben sich Herr Altmaier, Herr Trittin und Herr Gabriel persönlich getroffen -, hat keine Lösung gebracht, ebenso das letzte Treffen nicht. Die Zwischenzeit haben wir genutzt, um die Texte so auszuformulieren, wie es gefordert war. Jetzt liegt etwas auf dem Tisch, Herr Kollege Kelber. Jetzt ist es tatsächlich an Ihnen, entweder Ja zu sagen oder aber sich in den Wahlkampf zurückzuziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Nachfrage zur Frage 2 des Kollegen Lenkert stellt nun der Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben wieder ausweichend geantwortet. Ich will Sie fragen, ob Sie bestätigen können, dass drei Monate lang keinerlei Gespräche stattgefunden haben, dass Sie am letzten Mittwoch von dieser Stelle aus auf meine Frage, wann denn mit etwas zu rechnen sei, geantwortet haben, Sie könnten nicht bestätigen, dass es noch in diesem Jahr sei, und dass parallel dazu das BMU eine Entwurfsfassung übersendet hat, bei der zu 98 Prozent nichts verändert worden ist, also in keiner Weise auf die Forderung der Opposition, die seit langer Zeit bekannt war, eingegangen worden ist.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Miersch, dann haben wir offensichtlich eine unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse. Sie haben in der letzten Woche gefordert, wir sollten endlich etwas schicken. Das haben wir nicht nur gemacht; das ist Ihnen sogar ausformuliert zugegangen. Das Ergebnis war, dass auch die Ausformulierungen und das, was auf expliziten Wunsch von Rot-Grün neu hineingekommen ist, wieder nicht ausgereicht haben und wieder infrage gestellt wurden. Knackpunkte sind zum Beispiel das infrage kommende Institut und die Frage, wer welche Verantwortung übernehmen soll. Ich kann hier nicht erkennen, dass es ernsthaft einen Versuch der Einigung gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl auf: Wann genau ({0}) fanden laut den heute noch vorhandenen - insbesondere digitalen - Informationen im Kalendersystem, in den Wochenplänen etc. der Abteilung RS im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, im Jahr 2010 Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwischen dem BMU-Abteilungsleiter RS und den zuständigen Abteilungsleitern der Atomaufsichtsbehörden der damals noch fünf Bundesländer mit in Leistungsbetrieb befindlichen Atomkraftwerken zu Sicherheits-, Nachrüstfragen, Laufzeiten oder Ähnlichem statt, und welche Kalenderdaten derartiger Telefonkonferenzen im Jahr 2010 lassen sich aufgrund anderer noch vorhandener digitaler Informationen in der Abteilung RS, wie beispielsweise Einladungsschreiben, E-Mail-Verkehr etc., eruieren? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Kotting-Uhl, aus den in der Frage aufgelisteten noch vorhandenen Informationsquellen ergeben sich für das Jahr 2010 neben dem bereits genannten Termin am 8. September 2010 keine weiteren Termine von Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwischen dem Bund und den zu diesem Zeitpunkt fünf Bundesländern mit im Leistungsbetrieb befindlichen Kernkraftwerken zu den in der Frage genannten Themen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann frage ich: Gab es persönliche Gespräche statt Telefonkonferenzen? Es wäre relativ ungewöhnlich, wenn vor einer so wichtigen Entscheidung, wie sie damals im Herbst 2010 anstand, nämlich die Laufzeitverlängerung, keinerlei Gespräche stattgefunden hätten.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Das kann ich weder bestätigen noch dementieren. Ich kann Ihnen auch die Teilnehmer an möglichen Gesprächen nicht sagen. Das müsste ich nachreichen. Es wird gesprochen, wir führen aber keine Auflistungen jeglicher Treffen und Besprechungen. Das kann ich Ihnen aber gerne nachreichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt es im BMU schriftliche Vermerke über solche Gespräche oder über die besagte Telefonkonferenz, die einzige, die stattgefunden hat?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir haben keine systematische Erfassung von Telefonkonferenzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl: Sieht die Bundesregierung die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben, VSG, aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für Gorleben zuständigen Referatsleiters und BMU-Abteilungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauftragnehmer Dr. Bruno Thomauske im ersten Halbjahr 2010 mit einem Glaubwürdigkeitsproblem behaftet ({0}), und hat das BMU vor dem Hintergrund der oben genannten nicht dokumentierten Vorgespräche jemals die vergaberechtliche Korrektheit der Unterauftragsvergabe an Dr. Bruno Thomauske geprüft ({1})?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich möchte in meiner Antwort auf die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage vom 22. August 2011 auf Bundestagsdrucksache 17/6817 verweisen, insbesondere auf die Antworten zu Ihren Fragen 9, 10 und 17. Wir meinen, dass wir alles ausführlichst beantwortet und nichts hinzuzufügen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde es nicht befriedigend, wenn Sie meinen, Sie hätten nichts hinzuzufügen. In dieser Frage haben Sie mir damals den Teil, ob die Bundesregierung die VSG aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für Gorleben zuständigen Referatsleiters und BMU-Abteilungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauftragsnehmer, Dr. Bruno Thomauske, mit einem Glaubwürdigkeitsproblem behaftet sieht, nicht beantwortet. Deswegen erlaube ich mir, Ihnen diese Frage heute noch einmal zu stellen. Ich wollte sicherstellen, dass ich persönlich anwesend sein kann; denn bei einer mündlich gegebenen Antwort kann man - und diese Gelegenheit nehme ich jetzt wahr - noch einmal nachfragen, was mir schriftlich nicht möglich war.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich verstehe den Kern Ihrer Frage nicht. Fragen Sie nach der Glaubwürdigkeit von Herrn Thomauske?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit, das der Frau Staatssekretärin zu erklären.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich möchte das ganz gerne präzisiert haben.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Sache ist relativ einfach. Im Februar, März 2010 gab es informelle, nicht dokumentierte Gespräche - das habe ich von der Bundesregierung bestätigt bekommen zwischen Abteilungsleiter Hennenhöfer, aber auch anderen Mitarbeitern der Abteilung RS, und Herrn Thomauske. Damals war von der vorläufigen Sicherheitsanalyse für Gorleben offiziell noch nichts bekannt. Sie war sozusagen im Entstehen. Dann wurde am 22. Juni 2010, also drei Monate später, die Firma von Herrn Thomauske gegründet. Am 1. Juli 2010 erhält Herr Thomauske den Unterauftrag, ungefähr die Hälfte der Aufträge für die VSG zu übernehmen. Der Eindruck drängt sich auf, dass in diesen informellen Gesprächen die Vorlagen für die VSG, die Überlegungen, überhaupt erst geboren wurden bzw. daran gearbeitet wurde und sozusagen Herr Thomauske seinen eigenen Auftrag schon einmal vorbereitet hat. Dieser Eindruck drängt sich auf. Deshalb frage ich nach der Glaubwürdigkeit.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Zwei Dinge dazu. Zum einen dienen informelle Gespräche auch der Meinungsbildung in einem Ministerium. Daran ist tatsächlich nichts Außergewöhnliches. Zum anderen hätte sich die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben dann überholt, wenn wir zu einem Endlagersuchgesetz kämen ({0}) - doch, das ist es schon -, ({1}) weil wir dann ergebnisoffen erkunden wollen. Noch einmal: Zu informellen Gesprächen können wir keine Auskunft geben und geben wir keine Auskunft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann frage ich anders: Können Sie denn ausschließen, dass Herr Thomauske die VSG zusammen mit den BMU-Beamten konzipiert hat und anschließend dem BMU über die GRS, die beteiligt ist, zu verstehen gegeben hat, dass er einen Unterauftrag an der VSG erhalten soll?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, an der Erarbeitung dieser Analyse waren insgesamt 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die GRS und viele Projektpartner beteiligt. Ihre Vermutung kann ich so nicht bestätigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Ute Vogt das Wort.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass Herr Bruno Thomauske in sach- und fachkundigen Kreisen im Bereich der Atomwirtschaft und -forschung den Beinamen „Pannen-Bruno“ trägt? Halten Sie es vor diesem Hintergrund tatsächlich für verantwortbar, ihn mit der vorläufigen Sicherheitsanalyse zu betrauen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Vogt, ich kann nur schwer nachvollziehen, was Sie hier vortragen. Herr Thomauske war immerhin von 1983 bis 2003 im Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter beschäftigt. Ich halte Herrn Thomauske für einen anerkannten Experten. Die von Ihnen vorgebrachten Bezeichnungen finde ich in der Tat beleidigend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, mich würde in diesem Zusammenhang Folgendes interessieren: Hat es denn eine BMU-interne Überprüfung zur Vergabe der VSG-Verträge gegeben und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ich kann Ihnen hier nur allgemein mitteilen, dass wir uns an die Vergaberichtlinien halten und dass mir nichts Gegenteiliges bekannt ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Gerd Bollmann auf: Wie will die Bundesregierung auf die in der „Bekanntmachung der Erhebung der Bundesregierung bezüglich des Anteils der in Mehrweggetränkeverpackungen sowie ökologisch vorteilhaften Einweggetränkeverpackungen abgefüllten Getränke in den Jahren 2004 bis 2010 gemäß § 1 Abs. 2 der Ver24186 Vizepräsidentin Petra Pau packungsverordnung“ ({0}) veröffentlichte Erhebung, nach der die Mehrwegquote für Getränkeverpackungen erneut gesunken ist, reagieren?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher zu erhöhen und so die ökologische Konsumentenverantwortung zu stärken. Insbesondere muss die Unterscheidbarkeit von bepfandeten Ein- und Mehrweggetränkeverpackungen verbessert werden. Damit soll es den Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtert werden, eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen, die ihre ökologischen Ansprüche zum Ausdruck bringt. Nachdem sich der vom damaligen Bundesumweltminister Gabriel verfolgte Ansatz einer Kennzeichnung der Getränkeverpackung selbst mit den Begriffen „Einweg“ und „Mehrweg“ als europarechtlich problematisch erwiesen hat, prüft die Bundesregierung derzeit Möglichkeiten einer Regelung, die Hinweispflichten am Ort der tatsächlichen Abgabe vorsieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, dies wird jetzt aber schon seit drei Jahren geprüft. Es gibt eigentlich niemanden, der gegen diese Kennzeichnungspflicht wäre. Warum kommt man also hier überhaupt nicht weiter? Sieht die Bundesregierung über die Kennzeichnungspflicht hinaus weitere Möglichkeiten, den Mehrweganteil zu stabilisieren?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Bollmann, dem ist nicht ganz so. In der Tat hatte Bundesumweltminister Gabriel seinerzeit noch im Wahlkampf angekündigt, für eine solche Regelung einzutreten. Die von ihm vorgeschlagene Regelung ist dann aber in einem langwierigen Verfahren von der Kommission zurückgewiesen worden. Wir haben dann wiederum ausgelotet, was von der Kommission im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs und auf die Warenverkehrsfreiheit überhaupt als zulässig angesehen wird. Daraufhin haben wir einen modifizierten Vorschlag entwickelt, um den Mehrweganteil zu steigern. Jetzt sind wir im Gespräch mit den beteiligten Kreisen, zum Beispiel dem Handel, aber auch den Umweltverbänden, um eine solche Kennzeichnung am Point of Sale, also am Abgabepunkt, zu eruieren. Ich halte es für richtig, alle beteiligten Kreise zu informieren und für eine solche Lösung zu gewinnen. Hier wäre wiederum nicht der Hersteller eines Getränks derjenige, der die letzte Verantwortung trägt, sondern der Handel. Daher muss man mit dem Handel darüber sprechen, welche Möglichkeiten es hier gibt. Den Gesprächen habe ich allerdings auch entnommen, dass die Umweltverbände mit einer solchen möglichen Lösung ebenfalls sehr gut leben könnten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage ging noch weiter: Sehen Sie über die Kennzeichnungspflicht hinaus weitere Möglichkeiten, den Mehrweganteil zu stabilisieren? Denn dies wäre dringend notwendig.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ja, da haben Sie recht, Herr Kollege Bollmann. Wir sind bei Bier und Biermischgetränken nun zwar bei einer Mehrwegquote von 88 Prozent, nachdem sie zuvor auf 68 Prozent gefallen war. Aber insbesondere bei den Erfrischungsgetränken geht der Mehrweganteil zurück. Ich habe den Gesprächen - übrigens auch mit den Verbraucherschutzorganisationen - entnommen, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch wenn sie sich das Etikett auf der Flasche genau ansehen, nicht sicher sind, was sie tatsächlich in der Hand haben bzw. kaufen: Einweg oder Mehrweg. Deshalb glauben wir: Man sollte direkt am Verkaufsort darauf hinweisen und damit dem Kunden die Möglichkeit geben, sich für eine Verpackungsart zu entscheiden. Zu welchem Produkt der Kunde am Ende greift, können wir nicht beeinflussen. Aber er soll zumindest wissen, welches Produkt er in der Hand hält. Ob man darüber hinaus weitere Dinge machen kann, bleibt abzuwarten. Wir würden gern versuchen, erst einmal diesen Schritt zur Verbesserung der Transparenz, der noch von Bundesumweltminister Gabriel angekündigt war, umzusetzen. Dann können wir die Wirksamkeit dieser Maßnahme überprüfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, nachdem Sie gerade erläutert haben, welches Verfahren Sie in den letzten drei Jahren geprüft haben und dass Sie nun in Gespräche eingetreten sind, frage ich Sie: Haben Sie einen Zeitplan, der festlegt, bis wann Sie eine Regelung verabschieden und in Kraft setzen wollen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir würden gerne bis zum Ende des Jahres zu einem Abschluss kommen und sind deshalb mit den Ländern in Gesprächen, inwieweit sie einer solchen Regelung zustimmen könnten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun die Kollegin Wolff.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, es stimmt mich ein wenig skeptisch, dass Sie vorhin dem Kollegen Bollmann gesagt haben, Sie seien dabei, zu prüfen, ob an der letzten Abgabestelle, sprich: Handel, die Kennzeichnung von Mehrwegverpackungen erfolgen soll. Wenn der Handel dafür verantwortlich ist, dann werden Mehrkosten auf den Handel zukommen, und ich befürchte, dass die Kosten dann wieder auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abgewälzt werden. ({0}) Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Wolff, jetzt amüsiert mich Ihre Sorge doch ein wenig. Ja, am Ende des Tages muss jemand etwas tun, wenn die Mehrwegquote erhöht werden soll. Da der Weg der Kennzeichnung auf der Flasche bzw. Verpackung EU-rechtlich nicht zulässig ist - das wurde im Verfahren und in Schriftwechseln dokumentiert -, braucht es sozusagen einen anderen Ort des Geschehens. Das ist am Ende der Ort, wo der Verbraucher das Produkt erwirbt. Wir wollen die Belastungen für den Handel schon so gering wie möglich halten. Deswegen sprechen wir auch mit dem Handel. Es kann aber nicht sein, dass die Hinweise so gestaltet werden, dass letztlich niemand wahrnimmt, ob er nun zu Einweg oder Mehrweg greift. Es muss am Ende einen klugen Kompromiss geben; aber hier scheint eine Bereitschaft zu bestehen, das Problem gemeinsam anzugehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Gerd Bollmann: Wie soll eine mögliche Verordnung über Hinweispflichten des Handels aussehen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Bollmann, Ziel einer möglichen Verordnung sollte sein, die Verbraucherinnen und Verbraucher am Ort ihrer Kaufentscheidung klar und eindeutig zu informieren, ohne den Handel mehr als unbedingt nötig zu belasten; das habe ich gerade schon in der Antwort auf die Frage von Frau Wolff gesagt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage dazu: Wie soll eine mögliche Verordnung über Hinweispflichten aussehen? Wie will man ihre Durchsetzung handhaben? Will man also den Handel praktisch zwingen, Mehrweg- und Einweggetränkeverpackungen getrennt aufzustellen? Und wenn so etwas geplant ist: Wann sollte eine solche Verordnung verabschiedet werden?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Die genaue Ausgestaltung, Herr Kollege, besprechen wir gerade mit dem Handel. Aber unser Ziel ist es, die Kennzeichnung „Einweg“ und „Mehrweg“ unübersehbar nahe bei den entsprechenden Produkten anzubringen. Ob dies im Supermarkt durch eine Kennzeichnung am Regal oder durch eine getrennte Aufstellung geschieht, das wird sich zeigen. Für uns ist wichtig: Die Kennzeichnung muss deutlich und unmissverständlich sein, und am Ende muss die Verordnung auch durchgesetzt werden. Sprich: Man wird am Ende des Tages auch darüber sprechen müssen, wie man reagiert, wenn nichts geschieht. Es ist nämlich mehr als eine freundliche Empfehlung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage? - Sie verzichten. Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Ott werden schriftlich beantwortet, wie auch die Frage 9 der Kollegin Bärbel Höhn. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Frank Schwabe auf: Wie hoch sind die Mitnahmeeffekte, Windfall Profits, der Energieversorgungsunternehmen seit dem Beginn des Emissionshandels in Deutschland, und um welchen Betrag könnte der Preis pro Kilowattstunde Strom in den vergangenen Jahren und aktuell im Jahr 2012 niedriger sein, falls diese kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate nicht dem Stromkunden in Rechnung gestellt worden wären? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Schwabe, die Bundesregierung führt selbst keine Berechnung von Mitnahmeeffekten oder theoretisch möglichen Strompreisen durch. Eine solche Berechnung würde eine umfassende Kenntnis aller jeweils preissetzenden Grenzkraftwerke sowie aller sonstigen den aktuellen Strompreis bildenden Faktoren voraussetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wäre es nicht notwendig, sich in eine solche Richtung zu bewegen und in diesem Bereich bessere Kenntnisse zu erlangen? Denn wir führen ja eine Debatte darüber, welche Belastung es für die Menschen in diesem Lande aufgrund der steigenden Energiepreise gibt, und wir denken darüber nach, wie man für eine Entlastung sorgen kann. Der Herr Umweltminister hat RWE durchaus gelobt und andere Unternehmen aufgefordert, die Erhöhung der EEG-Umlage und andere Erhöhungen nicht weiterzugeben. Wäre es da nicht sinnvoll, zu wissen, was es in den letzten Jahren an Zusatzgewinnen durch den Emissionshandel gegeben hat, um die Argumentationskraft des Ministers zu stärken?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Schwabe, es gibt durchaus Institute, die mit Zahlen operieren und Schätzungen abgeben. Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung führt keine Berechnungen dieser Art durch. Dass es Mitnahmeeffekte gegeben hat, haben wir übrigens auch schon damals gemeinsam in der Großen Koalition festgestellt. Ich kann Ihnen, wie gesagt, keine konkreten Zahlen nennen; sie würden im Schätzbereich liegen. Das können Institute machen; die Bundesregierung will dies aber nicht tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ganz zweifellos hat es diese Mitnahmeeffekte schon vorher gegeben. Sie haben Institute angesprochen, die entsprechende Untersuchungen vorgenommen haben. Mir liegen zum Beispiel Zahlen vor, die zeigen, dass es für die Jahre 2005 bis 2012 Mitnahmeeffekte in Höhe von 35 Milliarden Euro gegeben hat. Hätte man diesen Betrag als Entlastung an die Stromkunden weitergereicht, hätte der Strompreis in dieser Zeit um 1 Cent pro Kilowattstunde niedriger gelegen. Auch für dieses Jahr gibt es einen Mitnahmeeffekt in Höhe von etwa 2,9 Milliarden Euro, was ungefähr 0,6 Cent ausmacht. Sieht die Bundesregierung diese Zahlen als plausibel an? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Zahlen einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen und damit den Druck auf Energieversorger zu erhöhen, Mitnahmeeffekte auch an die Stromkunden weiterzugeben? Das würde die Strompreise entsprechend erträglicher gestalten.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Die Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2011 ist der Bundesregierung bekannt. Das Öko-Institut hatte die vier großen Energieversorger plus Evonik untersucht. Man ist auf diese Größenordnung gekommen. Allerdings ging es dort nicht - so habe ich es verstanden - um die Zusatzerträge aufgrund der kostenlosen Zuteilung der Zertifikate, sondern um den Vergleich mit einer Situation ohne Emissionshandel. Da wir aber den Emissionshandel haben, handelt es sich hierbei nur um eine theoretische Diskussion. Sie haben aber völlig recht: Windfall Profits - in welcher Höhe auch immer; aber vermutlich mehr, als uns allen lieb ist - sind generiert worden, was zu einer Erhöhung des Strompreises geführt hat. Insofern ist Ihre Analyse vollkommen richtig.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Miersch das Wort.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wir sind uns doch einig, dass die Windfall Profits zu unnötigen Erhöhungen der Energiepreise für Verbraucher und Unternehmen in unserem Land geführt haben. Ist es angesichts dieser Tatsache nicht Aufgabe des Bundesumweltministeriums, schleunigst und spätestens in diesen Wochen an einer Gegenstrategie zu arbeiten und Vorschläge zu unterbreiten, damit solche ungerechtfertigten Gewinne nicht mehr gemacht werden?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Die Gegenstrategien sind eingeleitet. Gegenstrategie Nummer eins ist, dass es keine kostenlose Zuteilung mehr für die Erzeuger geben wird. Gegenstrategie Nummer zwei ist, aus dem Emissionshandel überhaupt wieder einen Handel zu machen, also der Tonne CO2 wieder einen Preis zu geben, der marktrelevant ist. Auch daran wird gearbeitet. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie hatten völlig zu Recht berichtet, dass Sie in Ihrer früheren Funktion als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gemeinsam mit mir beklagt hatten, Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das waren noch Zeiten, Herr Kollege.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- dass die Energiekonzerne die kostenlos zugeteilten Zertifikate ihren Kundinnen und Kunden trotzdem in Rechnung gestellt haben. Gedenkt die Bundesregierung denn beim Übergang in den Emissionshandel ab 2013 - ab dann müssen die Zertifikate von den Energiekonzernen bezahlt werden - in irgendeiner Form, zum Beispiel durch die Beauftragung des Bundeskartellamtes, eine Überprüfung durchzuführen und dafür zu sorgen, dass den Kundinnen und Kunden diese Kosten nicht ein zweites Mal in Rechnung gestellt werden, was durchaus zu befürchten ist, mit der Begründung, man müsse diese Zertifikate ja jetzt bezahlen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Kelber, Sie wissen so gut wie ich, dass eine direkte Einflussnahme nicht möglich ist. Was aber möglich ist, ist eine offensive Kommunikation in Bezug auf dieses Phänomen. Da die Zertifikate beim ersten Mal kostenlos zugeteilt und die Verbraucher trotzdem belastet wurden, können die beim zweiten Mal anfallenden Kosten nicht eingepreist werden. Unsere Anstrengung richtet sich vor allem darauf, die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger in erträglichem Rahmen zu halten. Nicht umsonst hat Bundesumweltminister Altmaier eine Stromsparinitiative gestartet, die eine erste kleine Antwort darauf sein soll. ({0}) - Mir ist nicht bekannt, dass eine derartige Prüfung geplant ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Frank Schwabe auf: Wie bewertet der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, die Umsetzung seines am 16. August 2012 vorgelegten 10-Punkte-Plans bis zum heutigen Tag? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Schwabe, Bundesumweltminister Peter Altmaier hat am 16. August 2012 unter dem Titel „Mit neuer Energie - 10-Punkte-Programm für eine Energieund Umweltpolitik mit Ambition und Augenmaß“ sein Arbeitsprogramm vorgelegt. Er benennt, unterteilt in zehn Schwerpunkte aus dem gesamten Spektrum der Ressortzuständigkeit, die aus Sicht des Ministers vordringlichen Aufgaben und Projekte bis zum Ende der Wahlperiode. Das Bundesumweltministerium und die anderen beteiligten Ressorts arbeiten intensiv an der Umsetzung des Programms, die schon nach zwei Monaten auf einem guten Weg ist. Die folgenden Beispiele mögen dies belegen. So hat das Bundesumweltministerium seine personelle Kompetenz mit Blick auf die Energiewende verstärkt. Erstmals wurden sämtliche Fragen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, in einer eigenen Unterabteilung zusammengefasst. Darüber hinaus macht Bundesminister Altmaier die Themen Bürgerbeteiligung und Transparenz zu einem Schwerpunkt der politischen Arbeit. Er hat daher im Bundesumweltministerium eine eigene Unterabteilung „Gesellschaftspolitische Grundsatzfragen, Bürgerbeteiligung“ eingerichtet, die sich intensiv mit allen damit zusammenhängenden Fragen beschäftigt. Dem Bundesumweltminister geht es weiterhin um eine stärkere Koordinierung der Energiewende, um die damit verbundenen Maßnahmen und beteiligten Akteure. Die laufenden Aktivitäten sollen besser aufeinander abgestimmt werden, um so gezielt, schrittweise und anhand von klaren Prioritäten den Umstieg der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien zu gestalten und dabei eine sichere und bezahlbare Stromversorgung zu gewährleisten. Diesem Ziel dient auch sein Verfahrensvorschlag zur Neuregelung des EEG, den der Minister am 11. Oktober vorgelegt hat. Ende August 2012 haben sich das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam auf eine Haftungsregelung bei der Anbindung von Offshorewindparks und die Einführung eines verbindlichen Offshorenetzplans verständigt. Die Bundesregierung hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen und in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Bundesumweltminister Altmaier hat außerdem die Stromsparinitiative „Klimaschutz - Energieeffizienz zahlt sich aus“ gestartet, um die Energieeffizienz zu fördern. Am 9. Oktober 2012 trafen sich auf seine Einladung hin im Rahmen dieser Initiative alle relevanten Akteure zu einem Runden Tisch. Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium, dem DIHK und dem ZDH wurde am 1. Oktober 2012 die „Mittelstandsinitiative Energiewende“ der Öffentlichkeit vorgestellt und auf den Weg gebracht. Minister Altmaier bemüht sich zudem intensiv um eine fraktions- und länderübergreifende Lösung hinsichtlich der Auswahl eines Endlagerstandortes für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle; das haben wir gerade ausführlich behandelt. Hierzu hat er am 17. Oktober seinen Vorschlag für ein Standortauswahlgesetz an alle Beteiligten versandt. Das ist ein Ausschnitt der bisherigen Bilanz des 10Punkte-Programms. Es tut mir leid, dass die Antwort länger gedauert hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur ersten Nachfrage.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, ob auch ich jetzt mehr Zeit habe, um die Dinge aufzuführen, die alle nicht umgesetzt worden sind. ({0})

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Das müssen Sie die Frau Präsidentin fragen.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das, was Sie benannt haben, betrifft in erster Linie Umstrukturierungsmaßnahmen, Treffen, die stattgefunden haben, und Öffentlichkeitskampagnen. Das ist ja alles ganz interessant, aber: Herr Altmaier hat im August einen 10-Punkte-Plan vorgelegt, den er mit dem Titel „Mit neuer Energie“ überschrieben hat. Einige dieser zehn Punkte sind sehr allgemein über24190 schrieben, zum Beispiel mit „Perspektive 2030“. Es ging wohl darum, ein Stück weit Tatkraft zu suggerieren. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Dinge, die dort konkret benannt worden sind - vielleicht war es sehr mutig von ihm, Daten zu nennen -, nicht umgesetzt worden sind. Ich nenne als Beispiel den zweiten Punkt „Neuer Schwung für Klimaschutz“. Dort steht: „Ziel ist eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung bis Ende September“ zu der Reform des Emissionshandels in der Europäischen Union. - Die abgestimmte Haltung kann ich nicht sehen. Den dritten Punkt „Nukleare Entsorgung im Konsens regeln“ haben Sie schon angesprochen. Dort heißt es: Vorlage eines Endlagersuchgesetzes bis Ende September und Verabschiedung bis Ende dieses Jahres. Ich sehe nicht, wie es dazu kommen soll. Zum Thema Wertstofftonne steht dort: Im September werde ich eingehende Gespräche mit allen Beteiligten führen, - die mag es gegeben haben auf deren Grundlage dann im 2. Halbjahr 2012 ein Gesetzentwurf vorgelegt werden soll, dessen Verabschiedung bis Ostern 2013 möglich erscheint. Zu Letzterem: Wird es einen solchen Gesetzentwurf zur Wertstofftonne geben?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Auch an diesem Gesetzentwurf arbeiten wir weiterhin, Herr Kollege Schwabe. Wir brauchen dazu nicht nur den Deutschen Bundestag, sondern auch den Bundesrat. Das 10-Punkte-Papier war nicht so angelegt, dass man in vier Wochen alles erledigen wollte. Der Minister, das Umweltministerium, aber auch die Bundesregierung werden weiter daran arbeiten, alle Punkte möglichst bis zum Ende der Legislaturperiode abzuschließen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte darum, das optische Signal nicht nur wahrzunehmen, sondern auch darauf zu reagieren. - Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das ist ja alles interessant. Mir ist schon klar, dass man das nicht alles in vier Wochen machen kann. Wenn man aber Daten benennt und sich damit öffentlich produziert, dann muss man sich am Ende auch an diesen Daten messen lassen. Ich kann nur feststellen - ich sage das noch einmal -: Die konkreten Festlegungen - davon gab es in diesem 10-PunkteProgramm nur wenige - wurden nicht umgesetzt. Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Im siebten Punkt geht es um das Fracking. Diesbezüglich steht in dem 10-Punkte-Programm: Das BMU, das Bundesumweltministerium, strebt an, „Fracking in Trinkwasserschutzgebieten zu verbieten“ und „eine größtmögliche Beteiligung und Prüfung der Umweltverträglichkeit vorzuschreiben“. Ich habe Sie schon in der letzten Woche danach gefragt - ich weiß nicht, ob es heute eine andere Antwort gibt -: Gibt es eine Vorlage für einen solchen Gesetzentwurf, und wann? Wird es überhaupt eine Vorlage noch bis zum Ende der Legislaturperiode geben?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Der Bundesumweltminister hat klargemacht, dass ihm der Trinkwasserschutz und die Beteiligung der Öffentlichkeit bei Fracking-Projekten wichtig sind. Ich habe Ihnen schon in der letzten Woche gesagt, dass, da jetzt die beiden Gutachten vorliegen, am 3. Dezember 2012 ein großer Workshop mit internationaler Beteiligung stattfinden wird, auf dem Experten zusammenkommen werden, um uns den nötigen Input zu geben. Der Minister hat auch noch einmal klargemacht, dass er zusammen mit dem Wirtschaftsministerium an einer Lösung arbeitet. Der Teil Trinkwasserschutz/Wasserhaushaltsgesetz liegt nur im Bundesumweltministerium. Wir sind diesbezüglich in Gesprächen mit den Koalitionsfraktionen, um eine Lösung zu finden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wenn ich mir die umfassende Aufzählung der Initiativen, Ideen und Konzepte von Herrn Altmaier anschaue, die Sie jetzt gerade sehr plastisch wiedergegeben haben, habe ich fast den Eindruck, dass Herr Altmaier plant, Ilse Aigner als Ankündigungsminister dieser Bundesregierung abzulösen. Denn umgesetzt ist in der Tat sehr wenig. Zum Fracking - Kollege Schwabe hat es angesprochen - macht man jetzt einen Kongress. Seit zwei Jahren hören wir, dass an dem Thema gearbeitet wird. Ich erwarte nicht mehr, dass in dieser Legislaturperiode noch etwas dazu vorgelegt wird. Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen - auch dies hat Herr Altmaier angekündigt -: Herr Altmaier möchte die Bürgerinnen und Bürger finanziell am Netzausbau beteiligen. Auch diese Initiative wurde groß angekündigt. Sein Kabinettskollege Herr Rösler, der fachlich dafür zuständig ist, hat gesagt, dass er eine Bürgerbeteiligung am Netzausbau nicht für erforderlich hält. Deshalb meine Frage: Wann können wir mit einem Konzept von Herrn Altmaier rechnen, das aufzeigt, wie die Bürgerinnen und Bürger am Netzausbau beteiligt werden?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Krischer, ich möchte zuallererst Ihrem Eindruck entgegentreten, von diesen zehn Punkten sei nichts umgesetzt. Ich habe versucht, Ihnen einige der Punkte näherzubringen. Insbesondere die „Mittelstandsinitiative Energiewende“ ist, wie ich finde, ein großer Erfolg. Dabei geht es uns darum, vor allem zusammen mit dem Mittelstand die Energiewende voranzutreiben. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Netzausbau ist, wie ich finde, eine Idee, die es wert ist, weiterverfolgt zu werden. Denn wir merken ja, dass der Netzausbau nicht nur aufgrund langer Genehmigungsverfahren, sondern vor allem aufgrund des Widerstandes der Bürgerinnen und Bürger stockt und nicht in dem notwendigen Maße voranschreitet. Eine grundsätzliche Überlegung, auf welche Art und Weise und mit welchen Instrumenten die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden könnten, finde ich richtig. Aber auch hier ist es so, dass ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der der vertieften Bearbeitung bedarf. Das kann und macht das Bundesumweltministerium nicht allein, das muss am Ende des Tages innerhalb der Regierung geschehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Ihren Ausführungen ist ja zu entnehmen, dass bislang nichts Konkretes vorliegt. Wenn Sie sagen, dass Sie glauben, dass das eine Idee sein könnte, die man weiterverfolgen könnte, dann ist die Häufigkeit des Konjunktivs in Ihrer Antwort nicht mehr zu überbieten. Deshalb lautet meine Frage, die ich in Anknüpfung an die vorherigen Fragen der Kollegen stelle: Wann genau möchte Herr Altmaier zu diesem Thema etwas Konkretes vorlegen, oder beschränkt sich die weitere Arbeit darauf, einen Plan anzukündigen, dann aber innerhalb der Bundesregierung einen Streit zwischen dem Wirtschafts- und Umweltministerium darüber zu führen, wie man in der Frage vorankommt?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Haßelmann, ich finde es wichtig, dass auch Bundesminister eine politische Debatte mit Ideen und Vorschlägen begleiten, um möglicherweise festgefahrene Situationen zu überwinden und überhaupt erst einmal ein Angebot zu machen, über das man diskutieren kann. Bislang verläuft der Netzausbau in Deutschland langsam; es ist ein anstrengender Prozess. Auch Gesetze, die zu einer Beschleunigung hätten führen sollen, hatten nicht den gewünschten Effekt; dies war übrigens schon zu Zeiten der Großen Koalition so. Man muss also konstatieren, dass wir die Beschleunigung bisher nicht in ausreichendem Maße erreicht haben. Ich finde es sehr richtig, dass sich Politiker, Parlamentarier und demzufolge auch Bundesminister mit Ideen zu Wort melden, die eine gesellschaftliche und politische Debatte anstoßen und vielleicht zu Lösungen führen, um den Netzausbau zu beschleunigen. Gleichzeitig machen wir das, was der Gesetzgeber zu tun hat. Der Offshorenetzplan ist eine sehr konkrete Maßnahme, die wir mit Blick auf den Netzausbau auf den Weg gebracht haben. Der Netzentwicklungsplan ist jetzt in Bearbeitung. Das sind sehr konkrete Schritte. Darüber hinaus müssen wir uns aber über zusätzliche Maßnahmen Gedanken machen, um den Netzausbau am Ende des Tages zu beschleunigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen Dr. Matthias Miersch: Wie beurteilt die Bundesregierung die Umgestaltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, weg von festen Einspeisevergütungen hin zu einem Quotenmodell, wie es im Verfahrensvorschlag des Bundesministers Peter Altmaier zur Neuregelung des EEG als Prüfauftrag formuliert wurde, im Hinblick auf die weiteren Prinzipien einer Reform des EEG, insbesondere Technologieoffenheit und Planungssicherheit? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Miersch, ein wesentliches Prinzip für eine Reform des EEG ist die intensivere Integration der erneuerbaren Energien in den Strommarkt und die stärkere Nutzung wettbewerblicher Prozesse. Vor diesem Hintergrund hat Bundesminister Peter Altmaier in seinem Verfahrensvorschlag zur Neuregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes neben der Ausweitung der Marktprämie und der Prüfung weiterer Maßnahmen zur Marktintegration auch eine Prüfung möglicher Reformmodelle in Aussicht gestellt. Dies schließt die Prüfung der Eignung zum Beispiel von Ausschreibungs- und Quotenmodellen mit ein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, meine Frage schließt sich ein bisschen an alle Baustellen an, die wir vorher erörtert haben und bei denen auch nichts passierte. Jetzt gibt es Vorschläge des Bundesumweltministers. Es gibt Rufe aus der Regierungskoalition, das EEG gänzlich infrage zu stellen. Wann beabsichtigen Sie denn, innerhalb der Bundesregierung zu einem Ergebnis zu kommen, wie nun mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter verfahren werden soll?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Miersch, wir haben allein in dieser Legislaturperiode drei Novellen des Erneuerbare-EnergienGesetzes vorgelegt.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte jetzt in die Zukunft fragen, nicht in die Vergangenheit.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Nun ja, der erste Vorwurf war ja, wir hätten hier nichts gemacht. Das weise ich erst einmal zurück. Zweitens haben wir bei kleineren Novellen, die einen bestimmten Bereich betrafen, zum Beispiel die Photovoltaik, lange gebraucht. Am Ende konnten die Ziele, die das Umweltministerium vorgegeben hat, in dem Verfahren von Bundestag und Bundesrat gar nicht erreicht werden. Der Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes versetzt uns in die Situation, mit mittlerweile 25 Prozent erneuerbarem Strom im Netz nicht nur umzugehen, sondern ihn integrieren zu müssen. Es braucht eine umfassende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Diese Novelle ist aber ohne die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat nicht möglich. Deshalb gilt es auch hier, Vorschläge zu unterbreiten und mit allen Beteiligten im Gespräch zu bleiben, um am Ende zu einer Lösung zu kommen; denn eine Lösung anzukündigen und dann zu keiner Lösung zu kommen, treibt am Ende den Ausbau und damit den Strompreis weiter in die Höhe.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Dr. Miersch, Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das ist genau das Problem, das wir die ganze Zeit über in Ihrer Politik beobachten. Deswegen frage ich Sie noch einmal nach der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor dem Hintergrund des vom Bundesumweltminister Altmaier problematisierten Konzepts des Quotenmodells: Beabsichtigt die Bundesregierung, noch in dieser Wahlperiode eine Novelle des EEG vorzulegen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir werden in Absprache mit den Koalitionsfraktionen Vorschläge unterbreiten. Ob es am Ende des Tages tatsächlich zu einer Lösung kommen wird, hängt nicht nur von der Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag ab, sondern auch vom Bundesrat.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir haben hier noch eine weitere Nachfrage. - Kollege Frank Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, die Lage im Hinblick auf Bundestag und Bundesrat als Verfassungsorgane ist uns durchaus bekannt. Das entlässt Sie aber nicht aus einer Antwort auf die Frage, ob Sie als Bundesregierung eine solche Novellierung anstreben. Was der Bundesrat dann machen wird, muss man sehen. Aber streben Sie eine Novellierung in dieser Legislaturperiode an, ja oder nein?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Schwabe, der Bundesumweltminister hat ja gerade einen Verfahrensvorschlag gemacht, um eine Novelle überhaupt in Gang setzen zu können. Eine so umfangreiche Novelle - wir sind uns einig, dass es eben nicht mehr reicht, an kleinen Fördergrößen herumzuschrauben; vielmehr bedarf es einer grundsätzlichen Überlegung, ob man zur reinen Förderung auch eine Verantwortung der erneuerbaren Energien und, wenn ja, auf welchem Wege mit in ein Gesetz schreibt - kann tatsächlich nicht so einfach und auch nur per Vorschlag in den parlamentarischen Raum und in die Diskussion gegeben werden. Der Verfahrensvorschlag des Ministers diente dazu, eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Novelle und über die Schritte zu induzieren. In der Plattform Erneuerbare Energien werden ja parallel zu der Diskussion im Deutschen Bundestag Mittel und Wege erörtert, wie wir erneuerbare Energien markt- und wettbewerbsfähig machen können und in den allgemeinen Strommix im Netz integriert bekommen. Inwieweit am Ende eine Lösung steht, hängt tatsächlich nicht nur von dieser Bundesregierung ab, sondern auch von dem Willen des gesamten politischen Raums, zu einer Lösung zu kommen, die verhindert, dass der Strompreis explodiert.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Es gibt noch die Nachfrage unseres Kollegen Marco Bülow.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Entschuldigung, dass ich noch einmal nachfrage; aber ich möchte das ein bisschen dezidierter haben. Natürlich hängt das, was letztlich beschlossen wird, immer von den verschiedenen Personen und auch vom Bundesrat ab. Aber die Verbände, die Wirtschaft insgesamt muss zukunftsfähig planen können. Sie ist darauf angewiesen, dass der Rahmen für die Gesetze ungefähr wie abgesteckt bleibt. Wenn Sie von einer umfassenden Reform sprechen - und nicht nur von den Reformen, wie sie in den letzten Jahren vonstattengegangen sind -, interessiert es also nicht nur uns als SPD-Fraktion sehr, ob Sie anstreben, in bestimmten Bereichen oder vielleicht sogar umfassend auf ein Quotenmodell umzusteigen. Das wäre ein ganz anderes Modell, das brächte einen vollkommen anderen Geist in das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen wissen, ob das Umweltministerium ein solches Quotenmodell anstrebt und, wenn ja, in welchen Bereichen. Das ist unsere wichtigste Frage.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Bülow, es gibt keine Vorfestlegung auf ein Quotenmodell. Der Minister hat ein mögliches Quotenmodell genannt, weil andere es in die Diskussion eingebracht haben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir haben noch eine weitere Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal nach dem Quotenmodell fragen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass ein Teil der Bundesregierung - der Teil, der hier vorne sitzt - ein Quotenmodell favorisiert. Ihrer Aussage konnte ich entnehmen, dass Herr Altmaier kein Quotenmodell vorschlägt. Nun hat die Bundesregierung etwas mit Steuern zu tun. Was Sie uns erläutert haben, läuft darauf hinaus, dass Sie sagen: Wir diskutieren jetzt mal und schauen dann, was passiert. - Ich hatte bisher immer gedacht, Regierungen machen auch konkrete Vorschläge. In dem Papier von Herrn Altmaier befinden sich gewisse Andeutungen. Unter anderem wird davon gesprochen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien unter den Ländern abgestimmt und dass er gesteuert und begrenzt werden muss. Kann ich davon ausgehen, dass Herrn Altmaier für die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zwar kein Quotenmodell für Deutschland, aber ein Quotenmodell mal 16, also für die 16 Bundesländer, und - so kann man die Ausführungen auch verstehen - je nach Bundesland auch noch für einzelne Energiearten vorschwebt?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war die Frage unseres Kollegen Oliver Krischer. Bitte schön.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Nein, Herr Kollege Krischer, da missinterpretieren Sie den Vorschlag des Ministers. Was mit Koordinierung gemeint ist, ist allerdings offensichtlich: Wenn man die Pläne der einzelnen Bundesländer zum Ausbau der erneuerbaren Energien übereinanderlegt, kommt man insgesamt zu Zielen, die weit jenseits der Planung nicht nur dieser Regierung, sondern auch vorheriger Regierungen, ja sogar sehr ambitionierter Bundestagsfraktionen liegen. Wenn man die reinen Ausbauziele für Windenergie oder Photovoltaik oder die Nutzung von Biomasse betrachtet, muss man sich schon fragen, ob die Rahmenbedingungen, die nötig wären, um diese Menge Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz zu integrieren, zu verbrauchen und ein entsprechendes Lastmanagement und Speicher aufzubauen, in dieser kurzen Zeit überhaupt geschaffen werden können. Unsere Überzeugung ist: Hier braucht es ein gemeinsames Verständnis von Zielen und von Ausbaukorridoren, was keine Quotierung bedeutet. ({0}) Gemeinsame Überzeugung muss beispielsweise sein, dass die Verwirklichung der Pläne für die Windenergie bedeuten würde, dass 60 Prozent über dem Bedarf produziert werden würde. Dass teuer Strom erzeugt wird, der überhaupt nicht gebraucht wird, kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen schon miteinander dafür sorgen, dass das System volkswirtschaftlich in der Balance bleibt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Als Nächstes hat auch unsere Kollegin Frau Britta Haßelmann noch eine Nachfrage. - Bitte schön.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade meinem Kollegen Oliver Krischer beschrieben, dass Sie die unterschiedlichen Ausbaustände in den einzelnen Bundesländern bei den verschiedenen Energieträgern stören. Sie wollen das jetzt ausgleichen. Wie wollen Sie das denn machen, außer durch das, wozu die Kollegen Miersch und Krischer gerade nachgefragt haben, nämlich durch eine Begrenzung und die Vorgabe einer Quote? Sie haben doch gerade den Vorgang umschrieben, ihn nur nicht so genannt.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Einen Vorgang zu umschreiben und am Ende ein Modell vorzuschlagen, Frau Kollegin Haßelmann, sind zwei verschiedene Sachen. Gerade weil wir den Ländern nicht vorschreiben wollen und können, ambitionierte Ziele auf dem einen oder anderen Wege zu erreichen, muss man am Ende des Tages zusammenkommen - das wird beim nächsten Treffen der Bundeskanzlerin mit den Vertretern der Bundesländer ja auch geschehen -, um die Ziele zu harmonisieren; denn alle Beteiligten eint ja wohl der Wille, die erneuerbaren Energien weiter auszubauen und diesen Ausbau ambitioniert fortzusetzen. Dafür ist aber eine gewisse Koordination notwendig. Diese Koordination endet übrigens nicht beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das geht weiter bezogen auf die Stromtrassen und andere Projekte. Ich glaube einfach, dass wir hier lernen müssen, viel intensiver als bisher miteinander zu sprechen und Projekte abzustimmen, um die Energiewende am Ende erfolgreich zu gestalten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Es gibt noch eine Nachfrage unserer Kollegin Frau Ute Vogt.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Sie haben jetzt bei der Beantwortung verschiedenster Fragen mehrfach die Wendung „am Ende des Tages“ verwendet. Können Sie uns sagen, welchen Zeitraum Sie damit konkret meinen, insbesondere bezogen auf die Antwort auf die letzte Frage?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Vogt, der Zeitrahmen, den ich meine, bemisst sich an den Ausbauzielen - bis 2020, bis 2030 und bis 2050 -, die die Bundesregierung in ihren Szenarien vorgelegt hat. Im Jahre 2050 beispielsweise sollen 80 Prozent des benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen werden und im Netz sein. An diesem Szenario orientieren wir uns.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Ich rufe jetzt die Frage 13 unseres Kollegen Dr. Matthias Miersch auf: Welche Zahlen ({0}) liegen der Bundesregierung zu den einzelnen Bestandteilen der EEG-Umlage 2013 vor, und zu welchem Anteil tragen die Komponenten reine Förderkosten, Rückgang der Börsenstrompreise, besondere Ausgleichsregelung und industrieller Eigenverbrauch, Nachholeffekt 2012, Direktvermarktung und Liquiditätspuffer zum Anstieg der Umlage von 2012 auf 2013 bei? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Miersch, die Antwort ist sehr lang, detailliert und komplex. Ich präsentiere sie Ihnen jetzt und schlage vor, dass ich sie in jedem Fall schriftlich nachreiche. Die Bestandteile sind, grob skizziert, wie folgt: Reine Förderkosten. Die Kernumlage beträgt 4,187 Cent je Kilowattstunde. Hier gibt es einen Anstieg um rund 0,9 Cent je Kilowattstunde. Rückgang des Börsenpreises. Wäre der Börsenpreis konstant geblieben, so ergäbe sich 2013 rechnerisch eine um etwa 0,12 Cent je Kilowattstunde geringere EEGUmlage. Besondere Ausgleichsregelung. Würde auch auf den privilegierten Letztverbrauch eine EEG-Umlage erhoben, so könnte diese um etwa 1 Cent je Kilowattstunde niedriger sein. Gegenüber 2012 ist dies ein Anstieg um 0,37 Cent je Kilowattstunde. Dieser Anstieg ist vor allem auf die steigenden EEG-Differenzkosten zurückzuführen. Industrieller Eigenverbrauch. Auf selbst erzeugten und verbrauchten Strom wird die EEG-Umlage nicht erhoben; das ist bekannt. Das gilt auch unabhängig davon, ob es sich um eine industrielle KWK-Anlage oder um privaten PV-Strom handelt. Würde die EEG-Umlage auch auf die industrielle Eigenstromerzeugung erhoben, so könnte sie etwa 0,6 Cent je Kilowattstunde niedriger sein. Dann haben wir 2012 den Nachholeffekt. Der Umlageanteil aus dem Ausgleich des EEG-Kontos zum 30. September 2012 beträgt 0,67 Cent je Kilowattstunde. Das ist wiederum ein Anstieg um 0,49 Cent je Kilowattstunde. Direktvermarktung. Die Belastung der EEG-Umlage durch die Managementprämie im Rahmen der Marktprämie liegt für die 2013 direkt vermarktete Strommenge unter 0,1 Cent je Kilowattstunde. Das Grünstromprivileg als weitere Direktvermarktungsoption, das die Umlage 2011 noch erheblich belastet hat, hat 2013 keinen nennenswerten Effekt mehr, da sie kaum noch in Anspruch genommen wird. Das Letzte ist die Liquiditätsreserve. Der Umlageanteil der Liquiditätsreserve beträgt 0,418 Cent je Kilowattstunde. Gegenüber 2012 ist das ein Anstieg um 0,319 Cent je Kilowattstunde. - Aber ich sehe, Sie haben die Antwort offenbar schon vorliegen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war eine komplexe Frage. - Die erste Nachfrage, bitte schön, Dr. Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So gut sind meine Drähte in das BMU nicht, dass ich die Antwort schon hätte.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Das glaube ich jetzt nicht.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insofern vielen Dank für diese detaillierte Aufschlüsselung. - Ich habe eine Nachfrage, Frau Staatssekretärin: Würden Sie mir darin recht geben, dass man unter dem Strich sagen kann - das waren jetzt ganz viele Zahlen -, dass die Erhöhung der EEG-Umlage nur zum Bruchteil direkt mit dem Ausbau der Erneuerbaren, also mit der gestiegenen Einspeisevergütung, zu tun hat und dass viele andere Faktoren, von denen Sie eben gesprochen haben, den Anstieg mit beeinflusst haben?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Nein, nicht nur. „Bruchteil“ trifft es nicht, aber „Teil“ trifft es sehr wohl. Die EEG-Umlage besteht aber nun einmal tatsächlich - das ist übrigens auch gewollt - aus diesen vielen kleinen Bestandteilen. Auch über das Thema Liquiditätsreserve kann man sprechen. Hier ist beim letzten Mal offenbar zu wenig angesetzt worden: Die EEG-Ausgleichskonten waren zuletzt mit über 2 Milliarden Euro im Minus. Auch da braucht man einen Ausgleich. Man kann aber schon sagen, dass ein erheblicher Anteil - auch beim Kontenausgleich - auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zurückgeht, gerade auch auf die Photovoltaik, die alle unsere Erwartungen hinsichtlich der erfolgten Ausbauzahlen übertroffen hat.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, diese Frage stelle ich in einer Stunde, in der über den Ticker geht, dass ein Mitglied der Koalitionsfraktionen, Herr Vaatz, den Atomausstieg jetzt auch öffentlich wieder infrage stellt. Er hat auch damals schon nicht mitgestimmt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Ist es nicht angezeigt, dass das Bundesumweltministerium in einer solchen Phase deutlich macht, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien sozial verträglich und ökonomisch sinnvoll gestaltet werden kann, dass die Hebel dafür vorhanden sind und dass die Kosten der alten Technologien Atom, Kohle und Gas nur durch politische Entscheidungen einigermaßen in Schach gehalten werden konnten?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Miersch, der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist beschlossen. Das Datum steht fest: 2022. Das ist Gesetzeslage, und die Bundesregierung hält sich an Gesetze. So viel zum ersten Punkt. Zum zweiten Punkt. Hier nenne ich eine weitere Zahl: Die Photovoltaik hat nach wie vor einen Anteil von über 50 Prozent an der Kernumlage. Wir konnten das durch eine gesenkte Einspeisevergütung abmildern. Aber trotzdem ist der Ausbau immer noch sehr hoch. Das zeigt: Wir müssen neben preisdämpfenden Elementen im EEG auch darauf achten, dass Einzeltechnologien in ihren Korridoren bleiben. Das haben wir unter anderem in der letzten PV-Novelle gemacht, bei der wir gesagt haben: Wenn im Jahr 2020/2022 eine Leistung von 52 Gigawatt durch Photovoltaik erreicht wird, dann ist die PV so weit, ohne Subventionen, ohne die EEG-Förderung klarzukommen. Ich glaube, es sind wichtige Marktsignale, hier dämpfend zu wirken.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zu den weiteren Nachfragen. Zunächst Frau Kollegin Ute Vogt.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, in Bezug auf das ErneuerbareEnergien-Gesetz erleben wir derzeit eine mit sehr hohem Mitteleinsatz gestartete Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und auch des BDEW. Beide haben sich auf das EEG eingeschossen und überziehen nicht nur Abgeordnetenbüros, sondern auch Plakatwände und Werbeseiten der Zeitungen mit viel Geld und unterschiedlichsten Werbemitteln mit einer Kampagne gegen das EEG. Wenn Sie als Ministerium, wie Sie ja erläutert haben, zum EEG stehen: Was tut die Bundesregierung, um solchen polemischen Kampagnen entgegenzutreten?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Vogt, wir können als Bundesregierung - und werden das auch nicht tun - nicht jede Kampagne qualifizieren, bewerten und Einbestellungen vornehmen. Wir haben eine klare politische Botschaft; ich glaube, das ist das Wichtigste. Die klare politische Botschaft lautet: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir halten an unseren Ausbauzielen fest. Die Novelle des EEG dient dazu, eine Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien, die übrigens immer im Gesetz angelegt war, zu erreichen. Bis dahin allerdings, Herr Kollege Miersch - das sage ich gewissermaßen rückwirkend -, braucht es schon noch einen Anteil an anderen Energieträgern, wie zum Beispiel flexiblen Gaskraftwerken; sonst kommen wir da ins Schleudern. Wir brauchen einen klugen Mix. Unsere Positionierung in der Bundesregierung ist klar. Nicht umsonst wollen wir auch einen internationalen Renewables Club gründen. Das ist vielleicht ein weiteres Argument, um noch mehr Länder davon zu überzeugen, dass es richtig ist, auf erneuerbare Energien zu setzen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Nachfrage unser Kollege Frank Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, da es schwierig ist, von Ihnen Auskunft über die Vorhaben für die Zukunft zu bekommen, indem Sie konkret benennen, was Sie dort vorhaben und bis wann Sie es vorhaben, will ich es noch einmal kurz mit der Vergangenheit versuchen. Ich habe gelesen, dass Herr Umweltminister Altmaier in Bezug auf seinen Vorgänger, Herrn Röttgen, irgendwo gesagt hat - ich sage es einmal mit meinen Worten -, dass er im Ministerium kein Konzept zum EEG gefunden hätte. Wie darf man das denn eigentlich verstehen? Ist es so gemeint, dass Herr Altmaier findet, dass Herr Röttgen eigentlich die Aufgabe gehabt hätte, eine solche Weiterentwicklung vorzulegen, und dass Herr Röttgen damit auch ein Stück weit für gestiegene Energiepreise verantwortlich ist?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege Schwabe, Bundesminister Altmaier schätzt die Arbeit, die Kollege Röttgen und auch seine Vorgänger im Amt geleistet haben, und baut auf dieser auf. Er muss die Dinge aber weiterentwickeln, weil dies notwendig ist. Das tut der Umweltminister mit allem Engagement und Gewicht. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Frage 14 unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler: Weshalb ist der Deutsche Bundestag weder institutionell noch personell an der Plattform Erneuerbare Energien beteiligt, und weshalb erhält er keine Protokolle und Berichte aus den Arbeitsgruppen der Plattform? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Kofler, die Plattform Erneuerbare Energien besteht aus drei Arbeitsgruppen und einem Steuerungskreis. Die Beratungen des Steuerungskreises wie der drei Arbeitsgruppen werden auf Fachebene unter der Beteiligung von Wissenschaftlern geführt. Über die Zwischenergebnisse und Ergebnisse wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dem Parlament umfassend berichten. Der Bericht der Plattform soll eine fachliche Basis bilden, auf der der notwendige politische Dialog aufbauen kann. Gegenwärtiges Ziel ist es, auf der Grundlage der Vorarbeiten der Arbeitsgruppen im Steuerungskreis einen Gesamtbericht zu verabschieden, der die Sitzung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am 2. November dieses Jahres vorbereitet. Es ist beabsichtigt, diesen bislang noch nicht fertiggestellten Gesamtbericht vor der Sitzung am 2. November allen Ministerpräsidenten zur Verfügung zu stellen. Die Veröffentlichung dieses Berichtes, der der Meinungsbildung der Ministerpräsidenten dienen soll, wird nach diesem Termin erfolgen. Es ist beabsichtigt, alle abgestimmten Berichte dann auch im Internet zu veröffentlichen. Insgesamt ist es das Ziel von Herrn Minister Altmaier, das gesamte weitere Verfahren zur Weiterentwicklung des EEG unter Einbeziehung aller wesentlichen Akteure zu entwickeln, wie er es in seinem Verfahrensvorschlag ausgeführt hat. Hier spielt das Parlament eine bedeutende Rolle. Nicht zuletzt hat Herr Minister Altmaier die Gründung einer persönlichen Beratergruppe angeregt, in der das Parlament vertreten sein soll.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Kofler.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. - Sind Sie als Parlamentarische Staatssekretärin nicht mit mir der Meinung, dass das Parlament in die laufenden Beratungen der Plattform Erneuerbare Energien einbezogen werden müsste, und können Sie mir sagen, warum diese Transparenz im Bundesumweltministerium nicht hergestellt wird, es aber bei vergleichbaren Vorhaben zum Beispiel im Bundeswirtschaftsministerium zumindest einen Beirat gibt, der die energie- oder wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktionen einbezieht? Sie haben vorhin auf eine Nachfrage des Kollegen Schwabe zu Frage 12 mit einem Bezug auf die Ergebnisse der Plattform Erneuerbare Energien geantwortet. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass zu der nötigen Transparenz auch gehört, Fragen der erneuerbaren Energien mit dem Parlament zu diskutieren?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Auf jeden Fall wird jede Änderung eines Gesetzes nicht nur im Parlament diskutiert, sondern sie muss hier auch nach allen Regeln beraten werden. Das werden wir auch tun. Ungehindert der Parlamentsrechte, die ich gerade auch als Parlamentarische Staatssekretärin noch einmal bekräftigen möchte, ist es einer Regierung unbenommen, sich zusätzliche Beratung zu holen. Noch einmal: Ihrer Anregung - Sie haben gerade dargelegt, was im Wirtschaftsministerium üblich ist - will der Minister mit einer persönlichen Beratergruppe, der Parlamentarier angehören sollen, dann auch nachkommen. Um gleich der Frage vorzubeugen: Ich weiß nicht, wen und wann er einlädt, aber er wird sicherlich in der gebotenen Offenheit auf das Parlament zukommen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Trotzdem hat die Frau Kollegin Dr. Kofler noch weitere Fragen.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das wäre natürlich schon eine Frage gewesen. Aber danke, dass Sie gleich gesagt haben, Sie wissen es nicht. Es wäre schon spannend, zu erfahren, wann diese Beratergruppe tagen soll. Nach den Pressemitteilungen des Bundesumweltministeriums vom Mai dieses Jahres arbeitet die Plattform Erneuerbare Energien ja seit fünf Monaten. Angesichts der Bedeutung dieses Themas ist es nicht ausreichend, nur Ergebnisse bekannt zu geben. Man sollte vielmehr, denke ich, das Parlament aktiv in den Dialog und in den Beratungsprozess einbeziehen. Das ist eigentlich das Problem, um das es geht. Wir warten also nicht nur auf einen Endbericht, sondern auch darauf, in die Arbeit mit einbezogen zu werden. Noch einmal die Frage: Sind Sie als Parlamentarische Staatssekretärin nicht der Meinung, dass die Einbeziehung des Parlaments in die Arbeit das Entscheidende wäre?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Jede Regierung hat das Recht und die Möglichkeit, eigene Beratergremien und Gesprächsforen einzurichten. Am Ende des Tages, Frau Kollegin, bleibt ein Gesetz Parlamentsangelegenheit. Das ist das Wichtige - das hat das Parlament bei der letzten EEG-Novelle auch sehr selbstbewusst gesagt -, und dabei wird es auch bleiben. Den Fraktionen des Deutschen Bundestages ist es unbenommen, sich eigenen Rat zu holen und eigene Foren zu bilden. Auch das ist üblich.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich sehe keine weitere Nachfrage. Damit kommen wir zu Frage 15 ebenfalls unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die von vielen Akteuren aus der konventionellen Energiewirtschaft und von Teilen der Bundesregierung geforderte beschleunigte Direktvermarktung und Marktintegration von Strom aus erneuerbaren Energien nicht notwendigerweise zu einer SystemVizepräsident Eduard Oswald integration dieses Stromes führen und damit unnötige Kosten für die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher generieren, weil die Systemintegration durch zusätzliche Anreize erreicht werden muss, und, wenn nicht, wie begründet sie das? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Präsident! Frau Kollegin, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die durch die Marktprämie geförderte Direktvermarktung die Anlagenbetreiber stärker als in der Vergangenheit an den Markt und seine Preissignale herangeführt hat. Dieses Modell wirkt sich im Grundsatz positiv auf die Bedarfsgerechtigkeit der Bereitstellung von Strom aus erneuerbaren Energien aus, indem die Betreiber Anreize zum Beispiel zur Abriegelung bei stark negativen Strompreisen bzw. zur Nutzung zusätzlicher Flexibilitätsoptionen erhalten. Daneben stehen zusätzliche Vermarktungsoptionen, beispielsweise im Bereich der Regelenergiemärkte, offen. Die Regelung der optionalen Marktprämie ist allerdings erst seit Jahresbeginn in Kraft. Insofern muss den beteiligten Marktakteuren die notwendige Zeit eingeräumt werden, um das Instrument zu erproben, Kommunikationsstrukturen anzupassen und notwendige Lerneffekte zu erzielen. Die konkreten Wirkungen und eventuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Marktprämie werden derzeit wissenschaftlich untersucht. Durch die Managementprämienverordnung wird die Managementprämie als Teil der Marktprämie ab dem Jahr 2013 gegenüber der bislang vorgesehenen Höhe nicht nur abgesenkt, sondern auch im Interesse einer besseren Systemintegration differenziert. Die Absenkung für 2013 beträgt im Falle der Fernsteuerbarkeit der Anlage durch den Direktvermarkter 0,25 Cent je Kilowattstunde gegenüber den sonst geltenden 0,35 Cent je Kilowattstunde. Die differenzierte Absenkung gilt sowohl für Bestandsanlagen als auch für Neuanlagen. 2014 und 2015 wird die Differenzierung dann weiter auf bis zu 0,2 Cent je Kilowattstunde aufgebaut.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Dr. Kofler, bevor Sie zu einer Nachfrage kommen, weise ich darauf hin, dass wir in fünf Minuten zur Aktuellen Stunde überleiten werden. Jetzt die erste Nachfrage.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf zur Managementprämie nachfragen. Ich interpretiere Ihre Worte so, dass Sie die Managementprämie zukünftig absenken wollen, weil Sie als Regierung erkannt haben, dass es bei der Managementprämie zu hohen Mitnahmeeffekten kam. Ist diese Interpretation richtig?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir haben die Anpassung schon im Kabinett vorgenommen.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja oder nein? Ist es richtig?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ja. Es brauchte eine Anpassung. Das haben wir nie bestritten; wir haben vielmehr sehr schnell gehandelt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie haben noch eine zweite Nachfrage, da ich dieses Nachhaken nicht als eigene Frage gezählt habe.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Präsident, danke. Ich verstehe Sie richtig: Sie haben ein Gesetz, das zum Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, bereits korrigiert, weil Sie selbst die Fehlanreize dieser gesetzlichen Vorgabe, zumindest was die Managementprämie betrifft, erkannt haben? Wie ist denn Ihre Einschätzung als Regierung, was die Marktprämie als Ganzes anbelangt? Es ist nicht alles Markt, worauf „Markt“ steht. Inwieweit wird mit der Managementprämie der Wettbewerb gefördert? Oder kommt es nur zu Mitnahmeeffekten, insbesondere von größeren Anbietern?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

In der Tat hat die Nachfrage nach der Prämie die Erwartungen übertroffen. Ziel der Großen Koalition war es aber, nicht nur Instrumente zu finden, um erneuerbare Energien marktfähig zu machen, sondern auch Anreize für die Anbieter zu entwickeln, den Strom selbst zu vermarkten, um aus dem Fördersystem herauszukommen. Wir haben uns am Ende auf die Marktprämie geeinigt, die zwei Elemente, unter anderem die Managementprämie, hat. Bei der Managementprämie haben wir Korrekturen vorgenommen. Den Grundgedanken, dass sich Strom aus Erneuerbaren mithilfe der Marktprämie am Markt bewähren muss, halte ich für richtig. Dieses Ziel wollen wir weiter verfolgen. Gegebenenfalls muss man Anpassungen in der Höhe vornehmen. Ihre Vermutung, dass es sich bei den Mitnahmeeffekten um wenige und große Unternehmen handelt, kann ich nicht teilen; denn der Run auf diese Prämie ist groß. Die Nachfrage nach diesen Modellen ist ebenfalls groß. Das zeigt, dass auch die Produzenten der erneuerbaren Energien die Förderkulisse verlassen und sich dem Markt nähern wollen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Eine Nachfrage unserer Kollegin Ute Vogt.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf den letzten Teil Ihrer Antwort. Können Sie uns sagen, welche Anbieter diese Direktvermarktung nutzen, ob das auch eine Option für die privaten Stromproduzenten ist oder ob diese Option nur von demjenigen in Anspruch genommen werden kann, der eine entsprechende Strommenge produziert?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Das betrifft die Produzenten von Strom aus Windenergie und aus Biomasse, aber auch aus Photovoltaik. Ich kann Ihnen konkrete Unternehmen jetzt nicht nennen. Ich weiß nicht, ob wir entsprechende Unterlagen haben oder ob man das herausfinden kann. Im Bereich der Windenergie und der Biomasse ist das auf jeden Fall ein beliebtes Modell, ich kann das aber auch für die Photovoltaik bestätigen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir ein neues Themenfeld aufmachen, möchte ich mit Blick darauf, dass wir wie angekündigt in einer Minute mit der Aktuellen Stunde beginnen, die Fragestunde schließen. Wir verfahren mit den restlichen Fragen nach der Geschäftsordnung. Ich darf mich bei allen Fragestellern und allen anderen Anwesenden herzlich bedanken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Soziale Situation der Kinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlich-liberaler Regierungspolitik Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU Dr. Peter Tauber. ({0})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, es hat sich etwas verändert in Deutschland. Das gilt ganz besonders für die Situation von Kindern und Jugendlichen in diesem Land. Bei allen Diskussionen, die wir führen - tagtäglich, in den Ausschüssen -, ist es ganz gut, zwischendurch einmal zu schauen: „Wo stehen wir denn?“, um vielleicht auch auf das, was noch nicht gut ist, zu fokussieren. Dazu gehört aber auch, dass man sich die Zeit nimmt, anzuschauen, was sich positiv verändert hat, etwa um Entwicklungen zu bestärken und um Menschen Mut zu machen. Denn darum muss es ganz besonders gehen: dass wir denjenigen, die Kinder haben, Mut machen und ihnen sagen, dass sie nicht alleingelassen werden. Darüber hinaus geht es darum, dass wir denjenigen, die sich die Frage stellen, ob es sich lohnt, in diesem Land Kinder zu kriegen, ein deutliches Zeichen geben: Ja, natürlich; es gibt wenige Länder auf dieser Erde, in denen junge Menschen solche Rahmenbedingungen wie in Deutschland finden. - Wir versuchen in unserer politischen Arbeit alles, damit sich diese Rahmenbedingungen dort, wo sie noch nicht gut sind, weiter verbessern. ({0}) Bei allen spannenden Diskussionen, die wir über Statistiken und Zahlen immer wieder führen, möchte ich eine Zahl nennen, die das aus meiner Sicht besonders veranschaulicht: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren, die auf Hartz IV angewiesen sind, ist von 435 000 auf 367 000 zurückgegangen. Sie ist immer noch viel zu hoch; aber das ist ein Rückgang um 15,6 Prozent. Das ist ein Ergebnis der besseren Situation am Arbeitsmarkt und auch vieler anderer Hilfssysteme, die wir aufgebaut haben. Die geringe Jugendarbeitslosigkeit kann man nennen. Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Während sie andernorts steigt, ist sie in Deutschland um 14 Prozent gesunken. ({1}) Die zurückgegangene Zahl der Schulabbrecher kann man nennen. Sie liegt bei 6 Prozent und hat sich damit fast halbiert. Auch bei Kindern ausländischer Herkunft ist sie von 20 Prozent auf 14 Prozent zurückgegangen. Dazu beigetragen hat zum Beispiel das Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“. Das Bundeskinderschutzgesetz kann man nennen ebenso wie das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, die verbesserte Zusammenarbeit verschiedener staatlicher Institutionen, das Unterbinden von Jugendamt-Hopping, den Einsatz von Familienhebammen - 30 Millionen Euro stellen wir dazu zur Verfügung - und die Hausbesuche zur besseren Einschätzung der Lebenssituation von Kindern. Auch das ist ein echter Erfolg in dieser Legislaturperiode. Übrigens ist auch das ein Punkt, bei dem man sehen kann, dass es ganz gut ist, wenn die Opposition einmal über ihren Schatten springt und an zwei, drei Stellen sagt: Ja, das haben wir zusammen gemacht, und das war vielleicht nicht alles verkehrt. ({2}) Das Bildungs- und Teilhabepaket gehört sicherlich zu den Punkten, die besonders umstritten sind. ({3}) - „Zu Recht“? Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass der rote Senat in Hamburg die eigene Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes explizit lobt. ({4}) Er sagt: Wir machen das richtig gut, das funktioniert auch alles, und das kommt gut an bei den Kindern und Jugendlichen. - Insofern reden wir da nicht so sehr über das Grundsätzliche, sondern vor allem darüber: Wie kann man das Ganze effizient machen? Wie können wir dafür sorgen, dass das, was wir dort an UnterstützungsDr. Peter Tauber leistungen - von Zuschüssen zu Klassenfahrten über die Finanzierung von Nachhilfe - auf den Weg gebracht haben, möglichst bürokratiearm bei den Betroffenen ankommt. Das Thema Kinderbetreuung ist hier und dort, auch in diesem Hohen Hause, durchaus ein kontroverses. Es wird nämlich immer mit einer anderen familienpolitischen Maßnahme verknüpft, über die wir morgen noch diskutieren werden: über das Betreuungsgeld. Trotz Kooperationsverbot hat der Bund hier 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Wir stellen jetzt noch einmal 580 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn Sie die Blockadehaltung an zwei oder drei Stellen mal aufgeben würden - an die Adresse der Sozialdemokraten muss man das immer mal wieder sagen -, würde das noch ein bisschen reibungsloser laufen. ({5}) Ab dem Jahr 2014 werden wir die Kommunen in jedem Jahr mit 845 Millionen Euro unterstützen, um einen dauerhaften Betrieb der Kitas zu ermöglichen. Auch das ist eine Leistung und keine Selbstverständlichkeit. ({6}) Man kann auch die „Offensive Frühe Chancen“ nennen, mit der in über 4 000 Kitas Sprachförderung und Integration verbessert werden können. 400 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Man muss an dieser Stelle aber eines sagen - damit will ich schließen -: Ich habe im Schwerpunkt über materielle Maßnahmen gesprochen, mit denen Kindern und Jugendlichen Teilhabe in dieser Gesellschaft ermöglicht werden soll. Das ist auch richtig und wichtig. Das ist das zentrale Steuerungselement, das wir haben, weil wir Rahmenbedingungen institutioneller und struktureller Art vorgeben. Die Wahrheit ist aber auch - das zeigen aktuelle Umfragen -, dass Kinder sich Eltern als Vorbilder wünschen. Das heißt, wir müssen uns auch darum kümmern, dass wir Menschen befähigen, Kinder an die Hand zu nehmen und ihnen zu helfen, in dieser Gesellschaft selbstbestimmt großzuwerden; denn es gibt auch diese Armut: Mangel an Liebe. ({7}) Diesen Mangel können wir nicht politisch beheben, und die Liebe können wir auch nicht verordnen. Deswegen muss man, wenn man über die Situation von Kindern und Jugendlichen in diesem Land redet, sagen: Man muss vor allem denen danken, die tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten - in Schulen, in Kinderbetreuungseinrichtungen, in Vereinen, im Ehrenamt -, und ganz besonders den Eltern, die ihre Aufgabe so ernst nehmen, dass sie ihren Kindern selbstständig alles mit auf den Weg geben, was diese brauchen, ohne nach dem Staat zu fragen. Herzlichen Dank. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Tauber. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anmeldung der Aktuellen Stunde unter diesem Titel und die Rede meines geschätzten Vorredners kann ich nur mit einem Wort bezeichnen. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn wir über Kinderarmut in Deutschland sprechen und Sie sich hier einen peinlichen Akt der Selbstbeweihräucherung leisten, dann kann ich das nur zynisch finden. ({0}) Was wir hier erleben - ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Kollege Hubertus Heil hat das Wort.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Dann reden wir mal über die Sache! Tatsache ist: Wir haben eine demografische Entwicklung, die dazu führt, dass es weniger Kinder in diesem Land gibt, und Sie feiern sich dafür, dass durch diesen statistischen Effekt weniger Kinder in der Armutsfalle hocken. Tatsache ist: Ja, wir haben drei Jahre Aufschwung gehabt, eine gute konjunkturelle Entwicklung. Dafür haben wir die Grundlagen geschaffen, nicht Sie. Aber Sie können doch nicht so tun, als sei man auf dem besten Weg, Kinderarmut in diesem Land als Problem zu lösen! Wenn Sie für solche Aktuellen Stunden, um sich selbstbeweihräuchernd auf die Schultern zu klopfen, immer irgendwelche Statistiken heranziehen, dann lesen Sie doch auch einmal Ihre eigenen Berichte, zum Beispiel den Bildungsbericht der Bundesregierung! Ich zitiere: In Deutschland gehören 20 Prozent der Jugendlichen zu den Bildungsverlierern. Jeder fünfte Schüler ist ein schwacher Leser und kann Texte nicht ausreichend verstehen. ({0}) Der Bildungsbericht nennt dafür auch Gründe. Fast jedes dritte Kind in Deutschland wächst in sozialer, finanzieller und kultureller Risikolage auf. - Das ist Kinderarmut, meine Damen und Herren! Hubertus Heil ({1}) ({2}) Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht - Ihren eigenen Armuts- und Reichtumsbericht! - und versuchen Sie nicht, den Menschen etwas vorzumachen! Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht! Ja, es ist richtig: Wir reden nicht über die Armut in Bangladesch oder in Afrika, sondern über eine Armut gemessen am mittleren Lebensstandard unserer Gesellschaft in einem reichen Land; gar keine Frage. Wir reden über materielle Armut, vor allen Dingen dadurch, dass Eltern wenig Geld verdienen, obwohl sie arbeiten. Wir reden natürlich auch darüber, dass es eine Armut an Lebenschancen und Perspektiven gibt. Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland stärker als in anderen entwickelten Ländern über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern. Das, meine Damen und Herren, lässt sich auch nicht durch eine noch so schöne Selbstbeweihräucherung dieser Bundesregierung vom Tisch wischen. Deshalb sage ich noch einmal: Sie sollten hier ein Jahr vor der Bundestageswahl nicht Reden halten, mit denen Sie sich selbst beweihräuchern, sondern Sie sollten das tun, was Sie tun können. Sie könnten beispielsweise einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführen, damit Kinder nicht erleben müssen, dass ihre Eltern Vollzeit arbeiten, aber von der Arbeit nicht leben können. ({3}) Herr Präsident, muss man sich in diesem Parlament als Heuchler bezeichnen lassen, wenn man anderer Meinung ist als dieser Kollege?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde, das ist eine Art der Sprache, die nicht in Ordnung ist. Sie zeigt eher Ihre Nervosität und Ihr schlechtes Gewissen, weil Sie nicht das Richtige gegen Kinderarmut tun. ({0}) Jemand, der anderer Meinung ist als Sie, ist ein Heuchler. Das halte ich für ein interessantes Demokratieverständnis einer Partei, ({1}) die gestern noch gesagt hat, dieses unsinnige Betreuungsgeld werde sie nie mitmachen, und heute vor dem Koalitionspartner eingeknickt ist. ({2}) Die Fernhalteprämie von Frauen vom Arbeitsmarkt und von Kindern von den Bildungschancen ist das, was Sie in der Realität organisieren. Sie verschlimmern die soziale Spaltung zulasten von Kindern in diesem Land, ({3}) weil Sie den Mindestlohn verweigern und Maßnahmen gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit verhindern. Ich sage Ihnen eines: Die Armut von Kindern ist in erster Linie der Erwerbsarmut der Eltern geschuldet. Da könnten Sie etwas tun. Das tun Sie aber nicht. ({4}) Sie könnten mehr für die frühe und individuelle Förderung von Kindern tun, indem Sie in die frühe und individuelle Förderung von Kindern mehr investieren, anstatt diese unsinnige Herdprämie auszureichen. ({5}) Meine Damen und Herren, eine Bundesregierung, die in diesem Bereich wirklich nicht vorankommt und eine Statistik heraussucht, die möglicherweise etwas mit konjunkturellen und demografischen Effekten zu tun hat, aber nichts mit der Arbeit dieser Bundesregierung, muss auch im Interesse der Kinder dieses Landes im nächsten Jahr dringend abgelöst werden. Herzlichen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Debatte geht es auch um die Zukunft der Kinder. Das sollten wir bei unserer Diskussion berücksichtigen. Auch bei den Zwischenrufen sollte man immer in sprachlicher Hinsicht Vorbild sein. Dies will ich entsprechend zu manchem Zwischenruf sagen. Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. Bitte schön. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Aktuelle Stunde durch, weil die BertelsmannStiftung festgestellt hat, dass - durchaus als Ergebnis der Arbeit dieser Bundesregierung - die Kinderarmut zurückgeht. Das ist eine Feststellung, die uns eigentlich alle freuen sollte. ({0}) Es gibt überhaupt keinen Anlass, hier zu Polemik zu neigen. Das ist einfach festzustellen. ({1}) Natürlich kann man die Situation von Kindern immer noch weiter verbessern. Daran arbeiten wir. Wir führen hier keinen Wahlkampf, ({2}) wie es mir bei meinem Vorredner zu sein scheint, sondern arbeiten weiter am Thema. Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir bereits das Kindergeld erhöht. Daran denken wir schon nicht mehr. Im Verständnis dieser Bundesregierung war das aber ein Signal, ({3}) das bei den Menschen auch angekommen ist. Mir hat eine Bürgerin gesagt: Das ist ein Signal für uns. Wir können dieses Geld durchaus brauchen. - Es ist für eine Familie ein Unterschied, ob das Kindergeld wie jetzt 184 Euro im Monat beträgt oder wie in den früheren Jahren weniger. Außerdem haben wir die Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten für Kinder im Hartz-IV-Bezug verbessert und damit ebenfalls ein klares Signal gesetzt. Bildung ist uns wichtig; denn Bildung ist der Maßstab dafür, wie eine Gesellschaft ihren Wohlstand entwickeln kann und wie sie Zukunft gerade für Kinder schaffen kann. ({4}) Deswegen ist es für uns auch schmerzlich, festzustellen, dass es in den Bundesländern, die von der SPD und teilweise sogar - ich komme aus Baden-Württemberg von den Grünen regiert werden, ({5}) an der Umsetzung mangelt. Das ist unangenehm. An dieser Stelle müssen wir das aber auch einmal sagen. ({6}) - Ja, wer hat es „reindiskutiert“? Der Bundesrat. Damit schlagen sie sich jetzt aber selber herum. Das ist nicht unsere Schuld. Wir haben hier ein klares Signal gesetzt und das Geld auch zur Verfügung gestellt. ({7}) Entsprechend ist uns die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe auch Verpflichtung. Wir haben das Bundeskinderschutzgesetz initiiert, das Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist. Damit haben wir das deutliche Signal gesetzt, dass das Wohlbefinden von Kindern nicht nur von finanziellen Möglichkeiten abhängt, sondern auch von einem klaren Schutz und einer klaren Hilfestellung, die sie in Bezug auf ihr persönliches Wohlbefinden brauchen. Ein Signal ist ebenfalls das von uns auf den Weg gebrachte ganz neue Modell der Familienhebammen, das sich insbesondere an junge Familien richtet, die mit dem ersten Kind möglicherweise nur schwer umgehen können. Sie sollen mit einem niedrigschwelligen Angebot eine ganz klare und sichere Hilfestellung bekommen. Damit meinen wir der Verwahrlosung von Kindern vorbeugen zu können. Nur die Umsetzung ist eine Problematik, die sich bei den Bundesländern - in der Mehrzahl sind es die SPD-regierten Bundesländer - wiederfindet. Das tut mir leid. ({8}) Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Bundesländer hier richtig aktiv werden und die Mittel für dieses Programm abrufen. Wir stellen dafür pro Jahr 30 Millionen Euro zur Verfügung. ({9}) Im Sinne des Kinderschutzes haben wir auch im Rahmen des Runden Tisches über sexuelle Gewalt an Kindern diskutiert. Wir haben ganz klar gesagt: In Jugendeinrichtungen und in allen anderen Feldern, in denen die Fürsorge für Kinder auszuüben ist, muss klar sein, dass auch die ehrenamtlichen Helfer einen sauberen Hintergrund haben und ein Führungszeugnis vorlegen müssen. Auch hier war der Kinderschutz unser Ziel. Gewalt in der Familie ist ein Problem, dessen Bekämpfung mir ein dringendes Anliegen ist. Wer meine Arbeit kennt, weiß das. Wir haben die Einrichtung eines Hilfetelefons auf den Weg gebracht. Bundesweit wird es in den nächsten Wochen, hoffe ich, geschaltet. Dort können Familien, Eltern, Mütter, aber auch die Kinder um Hilfe bitten und eine qualifizierte Beratung erhalten. Dies wird rund um die Uhr und in verschiedenen Sprachen angeboten. Das Hilfetelefon ist ein möglichst barrierefreies Angebot, um Gewalt in der Familie bekämpfen zu können. Insofern geben wir soziale Hilfestellung nicht nur in finanzieller, sondern auch in sehr praktischer Art. Danke. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze. Bitte schön, Frau Kollegin Diana Golze. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Laurischk, Sie sagten, Sie haben diese Aktuelle Stunde aufgrund einer frisch vorgelegten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung verlangt, bei der es um Kinderarmut geht. Nun frage ich mich: Wo waren die Vorschläge der Koalition in der letzten Woche, als um es eine Studie zur wachsenden Altersarmut in Deutschland ging? Wo waren denn da Ihre Argumente? Bei der Diskussion dieses wichtigen Themas im Deut24202 schen Bundestag gab es von Ihnen leider keine Anträge. Heute geht es um nichts anderes als darum, sich hier selbst zu beweihräuchern. Ich frage mich, auf welcher Grundlage eigentlich. Ich kann sie nicht erkennen. ({0}) Ich will das auch einmal ausführen. ({1}) Es gibt ein Schriftstück, an das Sie, Herr Dr. Tauber, sich anscheinend nicht mehr erinnern können, und das überschrieben ist mit „Koalitionsvertrag“. Ich habe mir noch einmal angesehen, was Sie in diesem Vertrag für die soziale Situation der Kinder in Deutschland festgeschrieben haben. Sie haben darin angekündigt, das Kindergeld und den Kinderfreibetrag anzuheben. Das haben Sie auch gemacht. Ich bekomme für meine beiden Kinder ein paar Euro mehr. ({2}) Meine Nachbarin, alleinerziehend, im ALG-II-Bezug, bekommt diese nicht; denn dort wird gegengerechnet. Die ärmsten Kinder haben von Ihrer Verbesserung also nichts. Das ist die soziale Lage von Kindern. Darum geht es Ihnen heute. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag von Aufstieg durch Bildung geschrieben. Frau Laurischk hat gesagt, wie wichtig ihr Bildung ist. ({3}) Aber es ist, wie es ist: Nirgendwo ist der Bildungserfolg von Kindern so abhängig vom Geldbeutel der Eltern wie bei uns. Sie haben nichts dagegen unternommen. ({4}) In diesem Zusammenhang noch ein weiteres Beispiel - ich kann Ihre Unruhe verstehen - zum Thema Bildung. Im Koalitionsvertrag wurde von einem Zukunftskonto Bildung gesprochen. Können Sie sich noch erinnern? Es ist schon eine Weile her. Sie haben in diesem Vertrag vereinbart, dass Sie für jedes neugeborene Kind ein Konto einrichten wollen, 150 Euro auf dieses Konto einzahlen wollen und die Eltern bei der privaten Bildungsvorsorge für ihre Kinder finanziell unterstützen wollen. Dieses Vorhaben ist ersatzlos eingestampft worden. Dazu sagen Sie in dieser Aktuellen Stunde natürlich gar nichts. Man kann sich denken, warum. ({5}) Machen wir weiter mit den von Ihnen genannten Beispielen. Sie haben das Bundeskinderschutzgesetz angesprochen. Ja, darüber haben wir in diesem Hause lange diskutiert. Das beschlossene Gesetz ist auch deutlich besser als der zuerst vorgelegte Entwurf; das gebe ich unumwunden zu. ({6}) Die wenigen konkreten Maßnahmen sind aber leider zeitlich befristet; vorhin wurden in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Familienhebammen angesprochen. ({7}) Die Finanzierung dieser Stellen, die zudem nicht flächendeckend vorgesehen sind, wird vom Bund nur zeitlich befristet übernommen. Es bleibt also wieder an den Ländern und Kommunen hängen, ob und wie das Ganze weitergeführt wird. Durch dieses Abwälzen werden Sie die soziale Situation der Kinder eben nicht auf Dauer verbessern. Das kann nicht sein! ({8}) Ich habe noch ein schönes Beispiel aus einem anderen Bereich. Ich zitiere wieder den Koalitionsvertrag: „Wir wollen in allen Bereichen, insbesondere bei den Schutz-, Förder- und Partizipationsrechten, kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen.“ Es ist schön, dass Sie diese Formulierung aufgenommen haben. Ich frage mich aber, warum Sie immer noch - und das schon seit Jahren - die Aufnahme von Kinderrechten auf Schutz, Förderung und Beteiligung ins Grundgesetz ablehnen und noch nicht einmal bereit sind, darüber zu diskutieren. Das finde ich sehr schade. Diese Ablehnung ist eine sehr klare Botschaft der Koalition zur sozialen Lage von Kindern. Sie haben die Rücknahme des letzten Vorbehaltes zur UN-Kinderrechtskonvention im Koalitionsvertrag versprochen. Sie haben sie auch tatsächlich vorgenommen, das ist richtig, ({9}) allerdings ohne irgendeine gesetzliche Konsequenz. Das heißt: Diese Kinder können nach wie vor in Abschiebehaft genommen werden; sie können nach wie vor in Sammelunterkünften untergebracht werden; sie sind nach wie vor Betroffene von Flughafenverfahren. Das ist ein Skandal! ({10}) Auch für diese Kinder erfolgt keine Verbesserung ihrer sozialen Situation. Das ist reine Augenwischerei. Des Weiteren haben Sie im Koalitionsvertrag versprochen, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. In dieser Woche werden wir Ihren Gesetzentwurf hierzu behandeln. Sie versuchen, ein wenig Bürokratieabbau zu betreiben. Die notwendige Ausweitung vom 12. auf das 14. Lebensjahr nehmen Sie in diesem Zusammenhang aber nicht vor. Für die alleinerziehenden unterhaltsberechtigten Elternteile bedeutet das also weiterhin: Falls der unterhaltspflichtige Elternteil den Unterhalt nicht zahlt, stehen sie ab dem 12. Lebensjahr des Kindes ohne Unterstützung da, das Jugendamt springt nicht mehr ein, und sie müssen den Klageweg selbst beschreiten, den anderen Elternteil gegebenenfalls erst einmal ausfindig machen, etc. pp. Das heißt, für die soziale Situation von Kindern Alleinerziehender haben Sie in diesem Bereich nichts verbessert. Worüber haben Sie sich noch ausgelassen? Der Kitaausbau ist in Zeiten der Großen Koalition beschlossen worden, das ist kein Verdienst von Schwarz-Gelb. Ich hatte erwartet, dass Sie noch etwas zum Elterngeld sagen; auch das ist in der Großen Koalition beschlossen worden. Zur Ausweitung der Vätermonate, die Sie versprochen haben, ist es nicht gekommen. Ich frage mich tatsächlich, warum Sie mit dieser Aktuellen Stunde unsere Zeit verschwenden. ({11}) Ich werde gleich in eine öffentliche Anhörung der Kinderkommission gehen, bei der es um die kindgerechte Kommune geht. Hier gibt es viel zu tun. Sie halten uns mit dieser Aktuellen Stunde nur von der wirklich wichtigen Arbeit ab. ({12}) Vielen Dank. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Diana Golze. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Koalition preist sich hier selbst für ihre angeblich so großartigen Errungenschaften für die Kinder in Deutschland. Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Stellen Sie sich vor: Dagobert Duck lobt sich für seine eigene Großzügigkeit, ({0}) Quasimodo singt ein Loblied auf seine eigene Schönheit, und Dieter Bohlen lobt sich selbst für seine philosophisch-tiefgründigen Kommentare in Deutschland sucht den Superstar. Auf diesem Niveau ist das Eigenlob der Schwarz-Gelben anzusiedeln. ({1}) Es ist durch und durch unglaubwürdig. Statt hier große Töne zu spucken, wäre wirklich mehr Bescheidenheit angesagt. ({2}) Es wäre sogar viel mehr Bescheidenheit angesagt. Ich will Ihnen auch sagen, warum: In Deutschland ist die Kinderarmut weiterhin skandalös hoch. Jedes siebte Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV, in Ostdeutschland sogar jedes vierte. Diese Regierung hat in drei Jahren absolut gar nichts dazu getan, um diesen Zustand zu ändern oder zu verbessern. Stichwort Regelsatz: Bei den Berechnungen wurde doch getrickst ohne Ende. ({3}) Kein Rechenkniff war für Schwarz-Gelb zu dubios, um die Grundsicherung so niedrig wie irgend möglich zu halten. ({4}) Damit nehmen Sie achselzuckend Kinderarmut und die Armut von Jugendlichen in unserem Land in Kauf. ({5}) Sie nehmen den Kindern und Jugendlichen die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe. Wenn man sich die Umfragen unter jungen Menschen in Deutschland einmal anschaut - auch unter Kindern wohlgemerkt -, dann stellt man fest: Diese jungen Menschen wissen ganz genau um ihre Situation. 20 Prozent der jungen Leute in Deutschland sagen über sich selbst, sie seien benachteiligt und abgehängt. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist doch ein Skandal in unserem Land, das ist doch Sprengstoff für unsere Gesellschaft. Es ist einfach ein Hohn, dass sich Schwarz-Gelb angesichts einer solchen Situation in unserem Land hier hinstellt und sich selber auf die Schultern klopft. ({6}) Umverteilen von unten nach oben: Wer hat, dem wird gegeben. Das ist das Prinzip von Schwarz-Gelb, ({7}) selbst bei Kindern und Familien. Während der Kinderfreibetrag angehoben wird, von dem Familien mit einem hohen Einkommen besonders profitieren, wird das erhöhte Kindergeld voll und ganz auf die ALG-II-Leistungen angerechnet. Den armen Familien wird auch noch flugs das Elterngeld abgezogen: monatlich 300 Euro weniger in der Kasse. Das ist die Konsequenz eines solchen Verhaltens. Wenn das die Umsetzung der vollmundigen Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag ist, die Kinderarmut zu bekämpfen, dann sollte man sich fast wünschen, dass auch andere eigentlich positive Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag erst gar nicht umgesetzt werden. ({8}) Ich will den Koalitionsvertrag durchaus noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Darin heißt es - Zitat -: Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss … bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres eines Kindes gewährt wird. Umsetzung: Fehlanzeige. Es gab sogar schon einmal einen Gesetzentwurf. Er wurde aber wegen Finanzierungsvorbehalt auf Eis gelegt. Zum Elterngeld heißt es im Koalitionsvertrag - Zitat -: Die Partnermonate sollen gestärkt und ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden. Umsetzung: Fehlanzeige. ({9}) Es gab zwar einmal einen Gesetzentwurf; aber er liegt wegen Finanzierungsvorbehalt auf Eis. Und zu den Alleinerziehenden, von denen wir wissen, dass sie und ihre Kinder besonders von Armut betroffen sind, heißt es - Zitat -: Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung des bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrages in einen Abzug von der Steuerschuld möglich … ist. Okay, an der Stelle gab es bis dato noch nicht einmal einen Gesetzentwurf. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Schwarz-Gelb heißt: Viel versprechen, nichts umsetzen. Das ist zu wenig für die Kinder in unserem Land. ({10}) Die Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der FDP kommen immer mit Schuldenabbau und Sparsamkeit. Da muss ich schon sagen: Wer ernsthaft bereit ist, Milliardensummen in eine bildungs- und gleichstellungspolitische Katastrophe namens Betreuungsgeld zu investieren, mit der man Kindern Chancen nimmt und sie gerade nicht fördert, der hat jedes Recht verwirkt, so zu argumentieren. ({11}) Die Umsetzung der drei eben von mir genannten im Sinne der Kinder und Familien vernünftigen Ankündigungen aus Ihrem eigenen schwarz-gelben Koalitionsvertrag wäre mit den Milliardenbeträgen, die Sie jetzt für das Betreuungsgeld vorsehen, locker zu finanzieren gewesen. ({12}) Letztes Stichwort: Kinderrechte. Schwarz-Gelb hat die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen und ist dafür gelobt worden, auch von uns und völlig zu Recht. Aber jetzt folgt eben nichts daraus. Das Problem ist, dass aus der Rücknahme der Vorbehaltserklärung reine Symbolpolitik wird. Kinder ab 16 Jahren können im Asylverfahren weiter wie Erwachsene behandelt werden. Sie haben kein Recht auf Leistungen aus dem Gesundheitssystem, sie haben kein Recht auf Leistungen aus dem System der Kinder- und Jugendhilfe. Weiterhin - das muss ich hier konstatieren ist die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland nicht vollständig umgesetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerin interessiert das offensichtlich nicht. Sie interessiert offensichtlich auch diese Debatte nicht, die Aktuelle Stunde, die von Ihren eigenen Fraktionen beantragt worden ist. Ich finde, das sagt alles über die schwarz-gelbe Politik für Kinder in unserem Land: Große Töne spucken, nichts dahinter; Kosmetik statt Taten. Ich finde, die Kinder und Familien haben deutlich mehr verdient. Vielen Dank. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Eckhard Pols. Bitte schön, Kollege Eckhard Pols. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dörner, in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Es muss viel mehr über Kinder gesprochen werden. Frau Golze, deswegen ist es ein Skandal, wenn Sie hier sagen: Es ist reine Zeitverschwendung, dass Sie hier heute Nachmittag über Kinder reden müssen. ({0}) Solch eine Äußerung gerade aus Ihrem Munde, von der Vorsitzenden der Kinderkommission, ist wirklich ein Skandal. ({1}) Herr Heil, da Sie hier so populistisch auftreten, kann man eigentlich nur davon ausgehen, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben. Wir von der Regierungskoalition müssen nun wirklich kein schlechtes Gewissen haben. Frau Golze hat es angesprochen: Die BertelsmannStiftung hat in ihrer aktuellen Auswertung auch festgestellt, dass die Armutsquote der unter Dreijährigen in Deutschland gesunken ist. Leider liegt sie im Jahr 2011 immer noch bei 18,2 Prozent; aber es ist eine positive Entwicklung, und die positive Entwicklung geht weiter. Herr Heil, auch in unserer gemeinsamen Heimat, in Niedersachsen, ist das Risiko für Kleinkinder, in Armut aufzuwachsen, in den vergangenen Jahren erheblich gesunken, und es sinkt weiter. ({2}) Die absolute Zahl der Kinder unter drei Jahren in Bedarfsgemeinschaften verringerte sich auf 34 400, und damit liegt Niedersachsen im Ländervergleich erfreulicherweise im Spitzenfeld. Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist nicht verwunderlich; denn die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Armutsrisiken von Kindern zu mindern, das Existenzminimum zu sichern und die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Als christlich-liberale Koalition haben wir uns vorgenommen, für alle Kinder gleiche und faire Chancen zu schaffen, damit sie frei von Armut aufwachsen und ihre vielfältigen Talente und Fähigkeiten entwickeln können. Die gute Konjunkturpolitik in Deutschland durch die christlich-liberale Koalition ({3}) sorgt dafür, dass viele Eltern einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Das sehen Sie auch an den zurückgehenden Arbeitslosenzahlen. Dies ist das beste Mittel, um Armut zu bekämpfen; ({4}) denn die Eltern, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen, haben auch eine Vorbildfunktion für ihre Kinder und verhindern somit auch einen späteren SGB-II-Bezug ihrer Kinder. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir gerade in der Familien- und Sozialpolitik neue Prioritäten gesetzt haben. Herr Heil, ich denke hier nur an einen Ausspruch des ehemaligen Kanzlers Schröder, der in Bezug auf Familienpolitik immer von „Gedöns“ sprach. ({5}) Sie können es nicht ertragen, dass es eine CDU-Ministerin war, die sich dieses Themas angenommen hat und es offensiv angegangen ist. ({6}) - Nein, von Renate Schmidt braucht man nichts zu hören, weil da nichts kam. ({7}) Ich spreche hier von Frau von der Leyen, ({8}) die dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. ({9}) Wir haben 2005 den Kinderzuschlag eingeführt und 2007 das Elterngeld, Herr Heil; wir haben 2009 und erneut 2010 das Kindergeld aufgestockt. ({10}) Ein entscheidender Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch der Ausbau der Kinderbetreuung. Wenn Sie hier mit Zwischenrufen sagen, dass Niedersachsen hierfür ein schlechtes Beispiel ist, dann muss ich Ihnen sagen, dass es die großen Städte wie Hannover, Osnabrück und Oldenburg sind, SPD-regierte Städte, ({11}) die hinterherhinken. Gucken Sie bitte einmal in die Fläche, dorthin, wo die CDU regiert. Da werden Sie sehen, dass wir diese Quote schon erfüllt haben. ({12}) - Meine Heimat ist sehr gut. Wir liegen bei über 35 Prozent. Lassen Sie sich die Zahlen dazu einmal aus Ihrer Fraktion kommen. Aber ein entscheidender Aspekt für die Reduzierung der Kinderarmut ist - das haben meine Vorredner auch betont - die Bildung. Ich kann hier nur John F. Kennedy zitieren: Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: Keine Bildung. ({13}) Denn unter fehlender Bildung leiden nicht nur die betroffenen jungen Menschen; auch die Gesellschaft trägt schwer an den Folgekosten unzureichender Bildung. ({14}) Ein großer Erfolg der christlich-liberalen Koalition ist neben den schon genannten Leistungen die „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas, Sprache & Integration“. Der Kollege Tauber hat es schon gesagt: Hier wurden 400 Millionen Euro angesetzt. Wir fördern damit bundesweit aktuell 4 127 Schwerpunktkitas. Wir alle wissen: Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg, sowohl in der Schule als natürlich auch später im Beruf. Wer früh gefördert wird, hat auch früh und zukünftig bessere Chancen. Meine Damen und Herren, ich scheue mich nicht, zu sagen, dass unsere schwarz-gelbe Regierungspolitik offenkundig Früchte trägt. Dennoch ist es natürlich für uns kein Ruhepolster, auf dem wir uns ausruhen können und wollen. Im Gegenteil, für die christlich-liberale Koalition ist es ein Ansporn, die Anstrengungen in diesem Bereich fortzusetzen, um die Situation unserer Kinder in Deutschland noch weiter zu verbessern. Vielen Dank. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Christel Humme. Bitte schön, Frau Kollegin Christel Humme. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, Sie können Ihre Aktuellen Stunden mit noch so schönen Titeln versehen - es bleibt das, was es ist, nämlich ein Etikettenschwindel. ({0}) Sie haben es in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft, die Probleme Familienarmut und Kinderarmut zu lösen. Die aktuelle Bertelsmann-Studie, Frau Laurischk, die Sie zitiert haben - ja, ich gebe Ihnen recht -, hat in der Tat festgestellt: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren, ({1}) die von der Grundsicherung leben, nimmt ab. Unterstellen wir einmal, das ist nicht nur ein Effekt der zurückgehenden Geburtenrate; nehmen wir einmal an, das ist ein guter Trend. Das ist aber doch kein Grund, in Euphorie zu verfallen. Im Gegenteil: Werfen Sie einen zweiten Blick in die Bertelsmann-Studie, in der sehr differenziert analysiert wurde! Dort wurde festgestellt, dass die Kinderarmutsquote unvermindert hoch ist. Im Osten beträgt sie immer noch 25 Prozent; das heißt, jedes vierte Kind lebt in Armut. Im Westen ist es jedes siebte Kind. In der Studie wurde differenziert hingeschaut und festgestellt: Das ist ein besonderes Problem der Regionen, der Städte oder sogar der Stadtteile. Man kommt zu dem Ergebnis, dass es Regionen oder Stadtteile gibt, in denen bis zu 35 Prozent der Kinder in Armut leben. Um es noch einmal zu wiederholen: Mehr als ein Drittel der Kinder sind arm. Daran müsste man schon erkennen, dass Sie sich nicht mit Ruhm bekleckern können. ({2}) Wir wissen: Es gibt nach wie vor zu viele arme Kinder. Wir wissen auch, dass das Risiko, arm zu bleiben oder arm zu werden, während Ihrer Regierungszeit gestiegen ist. Hätten Sie einen Blick in den Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts geworfen, hätten Sie das gemerkt; denn dort wird genau das bestätigt. Auch die Arbeiterwohlfahrt stellt in einer Langzeitstudie fest, dass bis 2010 nur jedes zweite Kind eine Chance hatte, aus der Armut herauszukommen. Das ist doch der entscheidende Punkt, der uns Politikerinnen und Politiker bewegen muss: Wie sehen die Chancen der Kinder aus, die heute arm sind? Welche Antworten geben wir darauf, welche Sie? ({3}) Ich habe heute in der Debatte nicht eine einzige Antwort darauf gehört. Wir wissen doch alle ganz genau: Kinderarmut ist Familienarmut ist Elternarmut; ist Armut der Eltern, die nicht genug Einkommen haben. Es ist gut, dass wir als SPD den Kinderzuschlag eingeführt haben. Die Ausgaben dafür sind um 10 Prozent gestiegen, und damit ist natürlich die Zahl derjenigen, die von Leistungen gemäß SGB II leben, gesunken. ({4}) Insoweit ist die Statistik richtig. Auf der anderen Seite - und das ist die Kehrseite der Medaille - belegt das doch auch, dass es ganz viele Eltern gibt, die arbeiten, aber von ihrer Arbeit nicht leben können und aufstocken müssen. Das ist doch der eigentliche Skandal. Sie tun nichts! ({5}) Sie legen Ihre Hände in den Schoß. Es gibt keinen gesetzlichen Mindestlohn mit Ihnen, und es gibt auch keine gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Das ist Fakt. Das stärkt die Armut. Das muss man feststellen. ({6}) Dabei käme das besonders einer Gruppe zugute, deren Kinder von großer Armut bedroht sind, nämlich der Gruppe der Alleinerziehenden. Was bräuchten sie? Im 4. Armuts- und Reichtumsbericht wird festgestellt, dass bis zu 40 Prozent von ihnen ein sehr geringes Einkommen haben. Was brauchen sie also? Sie brauchen Ganztagsbetreuung, sie brauchen mehr Betreuungsplätze, und sie brauchen auch eine Reform der Minijobs; denn Teilzeitarbeit ist für Alleinerziehende ein großes Problem, weil sie gleichzeitig zu einer Falle für Altersarmut wird. Die Kinder der Alleinerziehenden brauchen weitere Bildungsangebote und Betreuungsplätze. Was machen Sie? Sie tun nichts für den Ausbau der Betreuung. Noch viel schlimmer: Morgen werden Sie beschließen, die Minijobs auszuweiten. Auch das ist ein Skandal angesichts der Notwendigkeit, Armut zu bekämpfen. ({7}) Last, not least. Wenn Sie die Bertelsmann-Studie gelesen haben, dann haben Sie vielleicht auch gelesen, was das Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung Jörg Dräger vorgeschlagen hat, nachdem er die Studie vorgestellt hat. Er plädiert für eine bedarfsorientierte Verteilung der staatlichen Gelder. Er sagt weiter: Armut darf nicht in Chancenlosigkeit münden. Wo die Probleme größer sind, muss auch mehr Geld für gute Kitas und gezielte Förderung in Brennpunkten investiert werden. ({8}) Gerade die frühkindliche Phase ist entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Recht hat er! Aber was machen Sie? Sie kürzen die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“. Das ist Ihre Antwort. Außerdem führen Sie das Betreuungsgeld ein. Ich sage Ihnen: Ihre christlich-liberale Politik - ein Armutszeugnis. Danke schön. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Christel Humme. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön, Kollege Kober. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie können sich rhetorisch ruhig auf den Kopf stellen, eines können Sie nicht wegdefinieren: Diese Regierung ist - das belegt der Rückgang bei der Kinderarmut in Deutschland - auf dem richtigen Weg, und sie betreibt eine erfolgreiche Politik für die Menschen in diesem Land. ({0}) Lieber Hubertus Heil, ja, Sie haben recht: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit der Eltern auf der einen Seite und Kinderarmut auf der anderen Seite. Aber Sie werden damit leben müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland in einem seit Jahrzehnten nicht gekannten Maße in die Regierungszeit dieser Koalition fällt und nicht in Ihre. ({1}) Wir sind gar nicht so vermessen, die alleinige Verantwortung für diese günstige Entwicklung uns zuzuschreiben. ({2}) Natürlich wissen wir, dass die günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in erster Linie den fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den leistungsfähigen Unternehmen zu verdanken ist. ({3}) Sie ist aber auch - auch das lässt sich nicht wegdefinieren - der klugen wirtschafts- und wachstumsfreundlichen Politik dieser christlich-liberalen Koalition zu verdanken. ({4}) - Lieber Hubertus Heil, diese günstige Entwicklung hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass wir die Unternehmen machen lassen, statt Lästiges mit ihnen zu machen, ({5}) damit, dass wir sie nicht mit überbordender Bürokratie zuschütten und mit Steuererhöhungen belasten. Wir lassen die Unternehmen wirtschaften. So sichern wir Arbeitsplätze und erhöhen ihre Anzahl. ({6}) Es gibt derzeit so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so viele Erwerbsverhältnisse wie seit Jahrzehnten nicht mehr: 41 Millionen. Das ist eine beeindruckende Zahl, über die wir uns alle freuen sollten, auch, weil sie unmittelbar mit dem Rückgang der Kinderarmut zusammenhängt. ({7}) Sie können auch nicht wegdefinieren, dass wir eine kluge Arbeitsmarktpolitik machen. ({8}) Wir haben die Arbeitsvermittlung in beiden Säulen gestärkt. Wir haben die Zahl der Optionskommunen erhöht und ihre Existenz gesichert. Wir haben die Hilfe aus einer Hand gesichert. Wir haben die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zielgenauer ausgerichtet. So ermöglichen wir es mehr Menschen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Wir haben mit dem Bildungs- und Teilhabepaket ({9}) die Bildungschancen der Kinder erhöht und ihre Teilhabechancen in unserer Gesellschaft verbessert. Lieber Hubertus Heil, Sie persönlich sind mit dafür verantwortlich - ({10}) - Ja, Frau Schwesig von der SPD ({11}) ist auch verantwortlich, genau. Sie beide tragen die Verantwortung dafür, dass dieses Bildungs- und Teilhabepaket nur schwer auf den Weg gebracht werden kann. Sie wollten es in die Hand der Kommunen geben. Sie sind damit dafür verantwortlich, ({12}) dass beim Bildungs- und Teilhabepaket jetzt jede Kommune das Rad neu erfinden muss. ({13}) Wenn es um die Entlastung der unteren Einkommen geht, dann stehen Sie, wie immer, auf der Bremse: aktuell bei der Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge von 19,6 auf 18,9 Prozent. Wenn es um die Entlastung der Menschen mit kleinen Einkommen geht, sind Sie nicht mit dabei. Dann stehen Sie auf der Bremse. Sie möchten diese Menschen nicht unterstützen. Wir hingegen sind ein verlässlicher Anwalt der Menschen in unserem Land. Wir haben einiges für die Kinder in unserem Land erreicht, nicht nur, wenn es um materielle Fragen geht, sondern auch in anderen Bereichen. Frau Dörner hat bereits darauf hingewiesen, dass die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention in unsere Regierungszeit fällt. In unserer Regierungszeit haben wir aber auch den Entfaltungs- und Lebensraum für Kinder in unserer Gesellschaft faktisch vergrößert, indem wir klargestellt haben, dass Kinderlärm keine schädliche Umweltbelastung ist. ({14}) Wir haben durch die Durchsetzung des Prinzips „Löschen statt Sperren“ die Persönlichkeitsrechte von Opfern von Kriminalität im Bereich des Internets gestärkt. Wir haben es nicht nur ermöglicht, dass der Zugang zu kinderpornografischen Seiten erschwert wird, sondern auch, dass solche Bilder, die die Persönlichkeitsrechte des Kindes verletzen, wirklich aus dem Internet entfernt werden. Wir haben bei den Meldepflichten angesetzt. Wir haben die Meldepflichten gelockert, sodass auch Kinder ohne Aufenthaltsstatus den Kindergarten oder die Schule besuchen können. ({15}) Wir haben beispielsweise einen eigenständigen Straftatbestand Zwangsheirat eingeführt, von der häufig Minderjährige betroffen sind. Wir haben auch die Rechte der Opfer in Ermittlungsund Strafverfahren gestärkt. ({16}) Auch das ist etwas, was gerade Kindern zugutekommt, weil Mehrfachvernehmungen und anderes Belastende in Zukunft nicht mehr nötig sind. ({17}) Ich glaube, alles in allem kann diese Bundesregierung stolz sein auf die Leistungen, die sie in den vergangenen drei Jahren für die Kinder in diesem Land erbracht hat. Wir werden nicht nachlassen, an den Problemen zu arbeiten. Natürlich ist jedes Kind in Armut nach wie vor eines zu viel. Wir werden an diesem Punkt nicht nachlassen und uns für die Kinder in diesem Land weiterhin erfolgreich einsetzen. Vielen Dank. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Swen Schulz. Bitte schön, Kollege Swen Schulz. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Titel der von der Koalition beantragten Aktuellen Stunde gelesen habe, ist mir erst einmal die Spucke weggeblieben. Ich lese das noch einmal vor: „Soziale Situation der Kinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlichliberaler Regierungspolitik“. ({0}) Das ist dreist. ({1}) Ich möchte diesen Anspruch einmal konkret anhand des Themas Bildung bzw. Bildungsarmut überprüfen. Das Thema Bildung ist, wie wir wissen, sehr wichtig, zum einen gesellschaftlich, also für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und zum anderen natürlich insbesondere für diejenigen, über die wir jetzt hier sprechen. Nicht ohne Grund hat Bundeskanzlerin Merkel vor einigen Jahren das schöne Wort der „Bildungsrepublik Deutschland“ geprägt. Die Frage ist: Was hat die Bundesregierung tatsächlich konkret gemacht, um diesen Anspruch zu realisieren? Nichts hat sie gemacht. Nichts ist geschehen. Dabei hat die Koalition zu Beginn der Wahlperiode den Mund ziemlich voll genommen. Es gab ein großes Konzept für das Bildungssparen. Das ist beerdigt worden. Lokale Bildungsbündnisse für Grundschulen sollten eingerichtet werden. Das ist gescheitert. Das Bildungs- und Teilhabepaket - total verkorkst. Unterhalten Sie sich einmal mit denjenigen, die vor Ort das Bildungs- und Teilhabepaket umsetzen sollen. Sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. ({2}) Dafür gibt es einen sehr klaren Grund. Das Geld für das Bildungs- und Teilhabepaket wird in großem Maße von der Verwaltung aufgefressen, während viele Kinder und Familien, die Unterstützung benötigen, diese nicht bekommen. Das liegt an einem Konstruktionsfehler. Sie müssen die Bildungseinrichtungen, die Kitas und die Schulen, stärken, statt die Eltern auf die Ämter zu schicken. Das ist der Punkt. ({3}) Swen Schulz ({4}) Aber mit den Bildungseinrichtungen hat es die Koalition ja nicht so. Das wird beim Thema Betreuungsgeld ganz besonders deutlich. ({5}) Das ist wirklich kompletter Irrsinn. Das muss man sich einmal vorstellen: Sie wollen den Eltern Geld dafür geben, dass sie ihre Kinder nicht in die Bildungseinrichtung Kita schicken. Das schlägt wirklich dem Fass den Boden aus. Es kommt noch etwas dazu - wir reden ja über Armut -: Das Betreuungsgeld soll nach dem Gesetzentwurf voll auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden, so, wie es auch beim Elterngeld gemacht wird; das haben Sie entschieden. Man liest da so einiges; Sie streiten ja sehr heftig darüber, bislang jedenfalls. Jetzt liest man, dass Sie das Betreuungsgeld unter bestimmten Bedingungen, also konditioniert, möglicherweise doch an arme Familien auszahlen wollen. Ich sage Ihnen: Sie machen den Quatsch nur noch quätscher. ({6}) Das Betreuungsgeld kommt mir vor wie ein Tanker auf hoher See, der leckgeschlagen ist. Aber es hilft nichts, wenn Sie jetzt hektisch Räder daran basteln. Ich gebe Ihnen den Rat: Lassen Sie das Betreuungsgeld einfach untergehen. Besser ist das. ({7}) Damit das jetzt nicht einseitig wirkt, will ich Ihnen etwas vorlesen: Das deutsche Bildungssystem ist … heute weniger als andere europäische Bildungssysteme … in der Lage, benachteiligte Kinder … zu fördern … Eine wesentliche Ursache dafür ist klar zu benennen: Es fehlt hierzulande noch immer an angemessener Kinderbetreuung und Ganztagsschulen. Das hat nicht die SPD geschrieben, sondern die Bundesregierung. Dies steht im Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung. ({8}) Wenn Sie das so klar erkennen, warum unternehmen Sie dann nichts? ({9}) Kitaausbau. Für das Betreuungsgeld sehen Sie über 1 Milliarde Euro jährlich vor, aber die dringend benötigten und den Ländern und Kommunen zugesagten Mittel für den Ausbau der Kitas werden von Frau Familienministerin Schröder ({10}) unter fadenscheinigen Begründungen immer noch blockiert. Geben Sie das Geld endlich frei! ({11}) Ganztagsschulen. Das ist wirklich ein spannendes Thema. Rot-Grün hat unter der Regierung Gerhard Schröder ein Ganztagsschulprogramm aufgelegt. Die CDU/CSU hat das immer bekämpft. Wir haben das durchgesetzt, und es hat eine ganze Menge bewirkt. Inzwischen sagt Bildungsministerin Schavan, dass Ganztagsschulen ganz toll sind, und bejubelt jede neue Studie dazu. Jetzt wollen wir von der SPD einen entscheidenden Schritt weitergehen und ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen machen. Aber dafür müssen wir zunächst einmal das Grundgesetz ändern und das Kooperationsverbot im Bildungsbereich von Bund und Ländern streichen. Was macht die Regierungskoalition? Sie lehnt das ab. Stattdessen gibt es einen eigenen Vorschlag zur Grundgesetzänderung von Schwarz-Gelb, der darauf hinausläuft, dass einige wenige Spitzenforschungseinrichtungen gefördert werden können. Aber das hat mit Bildung nichts zu tun. Keine einzige Ganztagsschule würde entstehen, kein Lehrer würde eingestellt. Das kann es nicht sein. Machen Sie endlich den Weg frei für eine vernünftige Bildungspolitik in Deutschland! ({12}) Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, Sie behaupten, Sie machen etwas gegen Bildungsarmut. Fangen Sie endlich damit an! Danke schön. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Swen Schulz. - Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Frank Heinrich. Bitte schön, Kollege Frank Heinrich. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir verhehlen als Koalition an keiner Stelle, dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben, was dieses Thema angeht. ({0}) Die 18,2 Prozent - Herr Kober hat das gesagt - sind immer noch viel zu viel. Doch ist die Strecke auf diesen Berg, den wir hier besteigen, ein Stück weit zurückgelegt. Die soziale Situation der Kinder hat sich - verschie24210 dene Facetten haben dies einfach deutlich gemacht verbessert. Wenn wir uns immer nur die negativen Nachrichten um die Ohren hauen, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um über eine gute Nachricht nachzudenken. Ich will die Kinder, um die es heute ja nun geht, einmal in den Mittelpunkt setzen. Ich selber arbeite in drei Vereinen und einer anderen Organisation in meiner Stadt Chemnitz mit Kindern zusammen. Ich möchte einfach einmal Peter als fiktives Gegenüber nehmen; ich habe ihn vor Augen. Chemnitz ist an dieser Stelle in Sachsen, und Sachsen ist innerhalb Deutschlands immer noch bei Prozentzahlen, die höher sind als das, worüber wir heute bundesweit diskutieren. Trotzdem hat sich die Zahl in Chemnitz innerhalb der letzten vier Jahre um ein ganzes Drittel verbessert. Peters Mutter ist alleinerziehend - wir wissen, ihr Armutsrisiko ist dadurch höher -, und selber Hartz-IVEmpfängerin. Gemäß Armuts- und Reichtumsbericht gehört Peter zur größten Risikogruppe für mangelnde Bildungschancen und damit zur Risikogruppe für eine zukünftige eigene gebrochene Erwerbsbiografie und später möglicherweise Altersarmut. Das heißt, Kinderarmut hat eine sozial-menschliche Komponente, aber auch eine gesellschaftlich-ökonomische. Die größte Sorgengruppe unserer Gesellschaft sind insoweit die Kinder, denen doch eigentlich die Zukunft gehören sollte. Dies gilt umso mehr angesichts der demografischen Entwicklung, die wir jetzt gerade vor uns haben. Was können wir für Peter tun? Ich zitiere aus UNICEF-Pressemitteilungen von Anfang des Jahres: Die Teilhabe von Eltern am Erwerbsleben ist von zentraler Bedeutung für das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland. ({1}) - Ich bitte Sie, hinzuhören. Eine gute Förderung in Kindertagesstätten und Schulen kann Defizite aufgrund mangelnder Teilhabe der Eltern nur begrenzt ausgleichen. Zu diesem Ergebnis kommt der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2011/2012. Was braucht Peter? Erstens braucht seine Mutter Arbeit. Wir haben die Zahlen hier inzwischen mehrfach gehört; ich werde sie jetzt nicht noch einmal wiederholen. Aber wer hat denn dafür gesorgt, dass wir unter einer 3,x liegen, was die Arbeitslosigkeit angeht? Das ist nicht allein in den letzten drei Jahren passiert, aber mitunter auch durch weise Entscheidungen. Die Armutsgefährdung von Kindern sinkt mit der Erwerbsbeteiligung der Eltern. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie, und das hat auch - auch! - etwas mit dem Erfolg der christlich-liberalen Koalition zu tun und mit der wirtschaftlich günstigen Situation, die wir gerade in Deutschland haben, wobei beides miteinander zu tun haben kann. ({2}) Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um 40 Prozent gesunken. Dieser Haupthintergrund von mangelnden Chancen ist also schon einmal in Angriff genommen. Der Jahresdurchschnitt im Jahre 2007 betrug 1,73 Millionen, der Jahresdurchschnitt 2011 1,06 Millionen; so heißt es im Entwurf des Armutsberichts. Maßnahmen sind vor allem die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes; zu diesem Thema haben wir sehr viele Auseinandersetzungen erlebt. Zu tun bleibt: Ja, auch wir diskutieren über eine Lohnuntergrenze in verschiedenen Branchen, aber auf der Grundlage des hohen Gutes der Tarifautonomie. Das ist ganz besonders wichtig. ({3}) Das ist uns ganz besonders wichtig. ({4}) Zweitens. Was braucht Peter? Er braucht die Gelegenheit zur Teilhabe. Frau Golze und Frau Dörner, Sie haben gesagt: Es ist nichts getan worden in den drei Jahren. - Es tut mir leid, da habe ich andere Informationen. ({5}) Schulisch und gesellschaftlich-kulturell haben wir als Neuausrichtung von Hartz IV das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht. Es mag klein sein; aber es ist - so habe ich das rückgemeldet bekommen - ein guter Anfang. Dieses Bildungspaket greift. Es ist verbunden mit einem Perspektivwechsel: Sachleistung statt Geldleistung. Ja, es ist nur ein erster Schritt; aber es ist ein Schritt auf einem Weg des Umdenkens. Es wird auch zunehmend in Anspruch genommen: von 56 Prozent der betreffenden Personen, bei mir in Chemnitz von weit mehr. Herr Schulz, Sie haben danach gefragt, ob wir uns vor Ort schon einmal darüber unterhalten hätten. Ja, regelmäßig. Ich bekomme auf meine Nachfrage die Rückmeldung - das schlägt sich auch im Armuts- und Reichtumsbericht nieder -, dass die Leistungsberechtigten wie auch die Organisationen sagen: Je länger, desto besser. Die Bürokratisierung ist in der Tat ein Problem. Da muss der Zugang, da müssen die Anträge vereinfacht werden. Drittens. Peter braucht eigene Chancen auf gute schulische und berufliche Ausbildung. Noch einmal UNICEF: In der Schule ist die Entwicklung von sozialer Kompetenz, Verantwortung und Werten genauso wichtig wie kognitive Fähigkeiten. Eine ausschließliche Konzentration auf Leistungssteigerung, wie sie stark durch die PISA-Debatte befördert wird, führt dazu, dass einzelne Gruppen von Kindern systematisch ausgeschlossen werden. Wir, die christlich-liberale Koalition, sagen: Wir brauchen ein differenziertes und wertebasiertes Schulsystem, eine Ausbildung mit starkem Praxisbezug - die duale Ausbildung, wie wir sie in Deutschland kennen -, die Stärkung von Handwerk und Mittelstand und auch hier persönliche Begleitung. Der aufkommende Fachkräfteund Arbeitskräftebedarf eröffnet neue Möglichkeiten. Es ist viel erreicht, aber noch lange nicht genug; denn der Berg ist noch nicht erklommen. Ich wiederhole, was Herr Kober gesagt hat: Jedes einzelne Kind von diesen 18,2 Prozent ist eines zu viel.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Der Peter schaut jetzt auf die Uhr. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Einen schönen Nachmittag noch. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Zumindest herinnen ist der Nachmittag beendet und geht in anderen Gremien weiter. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Übrigens war heute die 200. Plenarsitzung, sodass ich die nächste Sitzung, die 201. Sitzung, für morgen, Donnerstag, den 25. Oktober 2012, um 9 Uhr, einberufe. Die Sitzung ist geschlossen.