Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 10. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Guido
Westerwelle. Bitte, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Ich darf darauf aufmerksam machen, dass das Kabinett heute einen sehr umfangreichen
10. Bericht der Bundesregierung über die gemeinsame
Menschenrechtspolitik verabschiedet hat. Es ist Ihnen
bekannt, dass dieser nicht der Bericht eines Ressorts ist,
sondern dass es natürlich eine Querschnittsaufgabe ist.
Das heißt, dass auch die unterschiedlichen Ressorts
sowohl innen- als auch außenpolitisch zu Haltung, den
Aktionen und den notwendigen Maßnahmen zur Menschenrechtspolitik beigesteuert haben und wir vom Auswärtigen Amt dies koordiniert haben. Der Menschenrechtsbericht stellt die zentralen Entwicklungen in der
deutschen und in der internationalen Menschenrechtspolitik für den Zeitraum vom 1. März 2010 bis zum
29. Februar 2012 dar. Er verdeutlicht die zentrale Rolle
der Menschenrechte in der Außen- und in der Innenpolitik der Bundesregierung.
Die Bundesregierung betrachtet den Einsatz für Menschenrechte als ein zentrales Politikanliegen, innen- wie
außenpolitisch. Wir wollen eine interessengeleitete, vor
allen Dingen aber auch eine werteorientierte Außenpolitik. Es gibt aus unserer Sicht keine menschenrechtsfreien
Politikbereiche. Das ergibt sich schon aus den vorgestellten Aktivitäten: Einsatz für die Religionsfreiheit
- Sie alle wissen, dass das leider in den letzten Jahren an
Dringlichkeit und an Bedeutung zugenommen hat -,
aber auch der Einsatz für Kinder- und Frauenrechte, der
Schutz von Menschenrechtsverteidigern - das sehe ich
selber als besonders wichtig an; wenn man etwas für
Menschenrechte tun will, muss man gerade auch die
Menschenrechtsverteidiger schützen und ihre Arbeit unterstützen -, die Verhinderung von Menschenhandel, der
Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Bekämpfung von Diskriminierungen.
Der Bericht greift auch aktuelle politische Entwicklungen auf, zum Beispiel den Umbruch in der arabischen
Welt - ich habe auf das Thema der religiösen Pluralität
bereits hingewiesen -, aber auch das deutsche Engagement im Sicherheitsrat zu dem wichtigen Anliegen „Kinder in bewaffneten Konflikten“, das heißt, den besseren
Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten durch die
internationale Staatengemeinschaft zu gewährleisten.
Hinzu kommt - hier darf ich mich beim Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg bedanken die Unterstützung für die von Deutschland aus initiierte
Kampagne für ein universelles Menschenrechtslogo. Es
ist sehr verbreitet - ich sehe, Herr Kollege Strässer, Sie
haben es angesteckt - und hat international eine erfolgreiche Bewegung und Unterstützung ausgelöst.
Der Bericht wird ergänzt durch ein Länderkapitel.
Dort werden die menschenrechtlichen Entwicklungen in
circa 70 Staaten aufgezeigt und die Maßnahmen zur Förderung von Menschenrechten vor Ort vorgestellt. Es ist
uns allen bekannt, dass Menschenrechtspolitik Ausdauer
und Hartnäckigkeit verlangt, manchmal ein klares Auftreten in der Öffentlichkeit, sehr oft auch ein leises, aber
deswegen nicht minder engagiertes Vorgehen. Der Einsatz für Menschenrechte erfordert gelegentlich schmerzhafte, aber unvermeidbare Abwägungen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
Ein integraler Bestandteil des Berichts ist der Aktionsplan Menschenrechte der Bundesregierung. Das ist
ein Aktionsplan, der auf eine Initiative des Deutschen
Bundestages zurückgeht. Sie finden ihn jetzt hier umgesetzt. Er zeigt die Prioritäten für die Arbeit der Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren auf. Der Entwurf
dieses Aktionsplans wurde mit Vertretern des Deutschen
Instituts für Menschenrechte und des Dachverbandes der
deutschen Menschenrechtsorganisationen, Forum Men24170
schenrechte, erörtert. Dieser Austausch hat sich - das hat
mir Markus Löning als Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe
bestätigt - als sehr nützlich erwiesen.
Wir wissen, dass die Menschenrechtspolitik nicht nur
von der Regierung, sondern auch von vielen Institutionen, national wie international, wahrgenommen und
getragen wird. Dazu zählen die Ministerien, die Parlamente, rechtsstaatliche Träger, natürlich auch die Menschenrechtsinstitutionen bis hin zu Gewerkschaften, Unternehmen und Interessenverbänden, vor allem aber
auch die Zivilgesellschaften. Dass wir die Zivilgesellschaften durch unsere Politik stärken, ist ganz offensichtlich. Mit diesem Menschenrechtsbericht wollen wir
zum Dialog einladen.
Frau Präsidentin, das soll als Einführung - wie ich
hoffe, in der von Ihnen gesetzten Zeit - genügen.
Herzlichen Dank, auch für die Einhaltung der Zeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben
berichtet wurde.
Die erste Frage stellt der Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Bundesaußenminister, ich komme gerade - genauso wie
die Vizepräsidentin - von der Einweihung des Denkmals
für die unter dem nationalsozialistischen Regime ermordeten Sinti und Roma. In dem UPR-Bericht für Deutschland gibt es mehrere Empfehlungen zur Verbesserung
der Situation von Roma in Deutschland. Bei meiner kursorischen Überprüfung Ihres Berichts, der uns erst seit
wenigen Minuten vorliegt, habe ich zwar gelesen, dass
sich Deutschland dafür einsetzt, dass in der EU die Programme zur Verbesserung der Situation der Roma unterstützt werden. Im nationalen Teil habe ich jedoch keine
Silbe darüber gefunden, inwieweit die Bundesregierung
bislang den Forderungen aus Genf an die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf eine Umsetzung nachgekommen ist.
Die Bundeskanzlerin hat anlässlich der Einweihung
eine sehr gute Rede zu den Konsequenzen gehalten, die
ein solches Gedenken an die Sinti und Roma für die
Politik haben muss. Vielleicht ist auch deshalb der Bundesinnenminister zu der Gedenkveranstaltung gar nicht
erst gekommen. Hoffentlich haben diese guten Worte irgendeine Konsequenz, zum Beispiel was die Situation
von Roma-Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien
betrifft. Wir müssen endlich begreifen: Wenn Menschen
fliehen, weil sie nicht wissen, wie sie über den Winter
kommen sollen, weil sie kein Dach über dem Kopf, kein
Wasser, keinen Strom, keine Heizung haben und weil die
Lebensmittelversorgung nicht gesichert ist, dann kann
das nicht einfach mit Abschottungs- und Abschiebungsrhetorik abgehandelt werden, wie das der Bundesinnenminister in den letzten Wochen getan hat.
Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen: Welche
Empfehlungen aus dem UPR-Bericht zur Verbesserung
der Situation der Roma hat die Bundesregierung seit
2009 umgesetzt, und welche wird sie in dieser Wahlperiode noch umsetzen?
Bitte, Herr Minister.
Herr Kollege, zunächst einmal teile ich Ihre Einschätzung, dass die Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute
Rede gehalten hat. Ich habe sie zwar nicht verfolgt, bin
aber generell dieser Auffassung.
({0})
- Lassen Sie es doch gut sein. Das war doch erkennbar
eine ironische Bemerkung.
({1})
Überwiegend hat jetzt der Herr Minister das Wort.
Frau Präsidentin - das ist doch auch eine Freude -,
ich fange noch einmal von vorne an.
({0})
Zunächst einmal teile ich Ihre Auffassung, dass die
Frau Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute Rede gehalten hat. Zum Zweiten, Herr Kollege, kann ich Ihren auch
von Sorge getragenen Äußerungen mit allem Ernst zustimmen, was die Lage von Roma und Sinti angeht. Wie
Sie wissen, habe ich mich als Außenminister damit in
Gesprächen vor allen Dingen mit zwei EU-Mitgliedstaaten befasst. Es ist aber nicht so, als reagierte die Bundesregierung auf die zum Teil sehr schwierige Lage von
Roma und Sinti lediglich mit Abschieberhetorik, wie Sie
es formuliert haben. Das kann ich nicht erkennen. Im
Gegenteil: Unsere Politik ist umfassend angelegt. Die
Verbesserung von Bildungschancen und die Integration
von Roma und Sinti sind zentrale Anliegen der Innenpolitik der Bundesregierung, zu der ich als Außenminister nicht weiter Stellung nehmen kann. Aber ich kann
Ihnen versichern, dass wir in jedem Fall auf eine sorgfältige Prüfung von einzelnen Familienschicksalen Wert legen. Was aber nicht geht, ist, dass Menschen unter dem
Vorwand, Asyl zu beantragen, nach Deutschland kommen und damit uns, aber auch die Länder, aus denen sie
kommen, in erhebliche Schwierigkeiten bringen, obwohl
diese Menschen, wie die Anerkennungsquote zeigt, offenkundig nur sehr geringe Aussichten haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Insofern denke ich, dass
die Art und Weise, wie wir mit Roma und Sinti verfahBundesminister Dr. Guido Westerwelle
ren, verantwortungsvoll und auch angemessen ist. Wir
nehmen die Belange der Menschen, aber auch die außenund innenpolitischen Belange unseres Landes wahr.
Kollege Beck, ich nehme Ihren Wunsch nach einer
weiteren Frage in die bereits sehr umfangreiche Liste
von Fragestellern auf.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wenn ich mir die
Freiheit nehmen darf, würde ich mich gerne bei Herrn
Löning, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, für seine Arbeit bedanken, insbesondere für
seine Stellungnahmen, die wir größtenteils unterstützen.
Herr Minister, ich möchte Ihnen gerne die Gelegenheit geben, kurz präzisere Ausführungen zum Stellenwert der Menschenrechte und insbesondere zu ihrer Berücksichtigung bei Rüstungsexporten zu machen; denn
die Bundeskanzlerin hat am Wochenende nach meiner
Einschätzung eine kleine Veränderung vorgenommen.
Es soll nun offensichtlich ermöglicht werden, mehr Rüstungsgüter an Länder zu liefern, selbst wenn diese keine
Sicherheitsleistungen erbringen können. Da würde ich
schon gerne die Frage der Menschenrechte ansprechen.
Der zweite Aspekt betrifft die Situation der Menschenrechte in Russland: Welche Bedeutung hat das
Thema ganz konkret bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen Anfang nächsten Monats? Vielleicht können Sie sich auch dazu einlassen - die Bundeskanzlerin hat es über ihren Sprecher schon getan -, wie
Sie die Äußerungen des Koordinators für die deutschrussische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit,
Schockenhoff, bewerten.
Der dritte Aspekt in diesem Zusammenhang: Wir alle
machen uns riesengroße Sorgen um die humanitäre Situation und damit auch um die Menschenrechte in Syrien
bzw. in den Flüchtlingslagern. Wie kann insbesondere
die Situation der betroffenen Menschen verbessert werden, vielleicht im Rahmen einer breiteren Flüchtlingspolitik der EU unter Beteiligung der Bundesregierung?
Vielen Dank.
Frau Präsidentin, wie viel Zeit habe ich denn?
Sie haben eine Minute. - Mit Ihrer Frage geben Sie
mir die Gelegenheit, Herr Minister, auf Folgendes hinzuweisen: Die erste Frage des Kollegen Beck ist etwas
ausführlicher ausgefallen, da durch ein Versehen im Präsidium das Lichtsignal nicht eingeschaltet wurde. Ansonsten gilt - das als Erklärung für diejenigen, die dem
folgen, was wir hier im Moment diskutieren -, dass es in
dem Moment, in dem begonnen wird, eine Frage zu stellen, ein optisches Signal gibt. Wenn das Signal auf Rot
umschaltet, dann ist die Minute für die Fragestellung abgelaufen. Gleiches gilt für die Antwort: Wir lassen dem
Herrn Minister und den nachfolgenden Mitgliedern der
Bundesregierung bei der Beantwortung Unterstützung
durch das optische Signal zuteilwerden. Sollten sie dies
nicht beachten, erlaube ich mir, nach einer gewissen Zeit
einzuschreiten.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für diesen technischen Hinweis. - Herr Kollege Mützenich, ich betrachte
es allerdings als Ding der Unmöglichkeit, Ihre Frage zu
Waffenexporten, zur Russlandpolitik und zu Syrien innerhalb von zwei Minuten befriedigend zu beantworten.
Deswegen werde ich Sie, wie ich befürchte, an einigen
Stellen ratlos zurücklassen müssen.
Was Ihre erste Frage zu den Waffenexporten angeht,
Herr Kollege: Es gibt keine Veränderung der Waffenexportpolitik der Bundesregierung. Es bleibt dabei, dass
wir unsere Waffenexportpolitik natürlich nach den Regeln betreiben, die es nicht erst seit kurzem gibt, sondern
die sich seit langen Jahren bewährt haben und von vielen
Bundesregierungen befolgt wurden.
Was das zweite Thema angeht, zu Russland: Hierzu
hat sich bereits der Sprecher meines Amtes geäußert,
und zwar noch am selben Tag, als die infrage stehenden
Äußerungen aus dem russischen Außenministerium über
die Nachrichtenagenturen gelaufen sind. Ich kann dazu
nur noch einmal sagen: Herr Kollege Schockenhoff ist
ein bewährter und anerkannter Kollege des Deutschen
Bundestages, und es gibt aus unserer Sicht keinen Grund
für derartig zugespitzte Vorwürfe, wie sie über Agenturen verbreitet worden sind. Herr Kollege Schockenhoff
wird seine Tätigkeit fortsetzen, und er hat dabei die Rückendeckung nicht nur der Bundesregierung, sondern
selbstverständlich auch des Auswärtigen Amtes. So hat
sich der Regierungssprecher bereits geäußert, und so hat
sich auch - bereits vor dem Wochenende - der Sprecher
meines Hauses dazu eingelassen.
Die Frage zu Syrien ist - wie ich sehe, blinkt das Signal bereits rot, Frau Präsidentin - am schwierigsten zu
beantworten. Dieses Thema hat zumindest zwei große
bedeutungsvolle Aspekte: zum einen die Lage der Menschen in Syrien und zum anderen die schwierige Abwägung im Hinblick auf die Gefahr eines Flächenbrandes
für die gesamte Region. So beklagenswert und traurig
die Menschenrechtslage in Syrien ist, so wichtig es ist,
den Menschen in Syrien zu helfen, so notwendig ist es
auch, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern alles in
der Außenpolitik dafür tun, dass aus dem syrischen Konflikt kein Flächenbrand in der gesamten Region entsteht.
Diese Gefahr ist sehr real und ist in den letzten Wochen
und Tagen noch einmal deutlich gestiegen. Das bezieht
sich nicht nur auf die Konfliktlage an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien - Sie sind Außenpolitiker
und kennen das sehr genau -, sondern auch auf die Lage,
die durch die große Zahl von Flüchtlingen entstehen
kann, die dankenswerterweise in Jordanien versorgt werden, und leider darauf, dass dieser Konflikt durch Gewalt auch in den Libanon gebracht werden kann. Deswe24172
gen ist beides notwendig: der Schutz der Menschen und
ihrer Menschenrechte, aber auch nach besten Kräften die
Verhütung und die Verhinderung eines Flächenbrandes,
bei dem ein Land nach dem anderen in Brand gesetzt
werden könnte.
Die nächste Frage stellt der Kollege Christoph
Strässer.
Herzlichen Dank für die sehr zeitnahe Vorlage des
Berichts. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Ich möchte
mich dem Dank an Herrn Löning ausdrücklich anschließen, auch für die gute Zusammenarbeit in den letzten
Jahren.
Wir haben seit 2008 ein Thema auf der Tagesordnung,
das etwas mit dem Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland im internationalen Menschenrechtsschutz
zu tun hat. Es geht um die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Bei erster Durchsicht des Berichts finde
ich - auch in Teil D, in dem es um den nationalen Aktionsplan geht - hierzu keinerlei Äußerungen. Wir sind
2009 - das war auch verständlich - von Ihnen informiert
worden, das brauche alles seine Zeit, damit es gut werde.
Jetzt sind weitere drei Jahre ins Land gegangen, und wir
sehen keinerlei Fortschritte. Ich bitte Sie, darzulegen,
welche Position die Bundesregierung zu diesem Thema
hat und wann mit der Vorlage eines Ratifizierungsvertrages hier im Deutschen Bundestag zu rechnen ist.
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen derzeit keine zeitlichen Angaben oder Ankündigungen machen. Ich kann
Ihnen nur sagen, dass wir unverändert um eine Lösung
bemüht sind. Aber ich kann Ihnen heute keinen Zeitpunkt dazu ankündigen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Annette Groth.
Danke schön. - Herr Minister, Sie haben kurz den
Menschenhandel erwähnt. Als Berichterstatterin des
Europarats für Menschenhandel liegt mir dieses Thema
sehr am Herzen. Als ich den Bericht der Bundesregierung
gelesen habe, habe ich eine Region vermisst. Das ist der
Sinai. UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat neulich im
Ausschuss für Menschenrechte und im AwZ die Situation
auf dem Sinai als das größte weltweite Flüchtlingsdrama
bezeichnet. Mir liegt ein erschütternder Bericht über
Menschenhandel auf dem Sinai vor - hier ist die Rede
von Flüchtlingen zwischen Leben und Tod -, der auch in
Ihrem Haus diskutiert wird; ich habe eben mit einem Beamten aus dem AA gesprochen. Ich habe diesen Bericht
Herrn Löning zugeleitet. Die Lage ist sehr dramatisch.
Menschen werden aus Flüchtlingslagern im Sudan gekidnappt, auf den Sinai gebracht, teilweise mehrmals verkauft, um dann von Verwandten Lösegeld zu erpressen.
Bei uns spielt dieses Thema leider nur eine marginale
Rolle. In Norwegen zum Beispiel wird fast jeden Tag in
sämtlichen Medien darüber berichtet. Beispielsweise gibt
es einen eritreischen Flüchtling, dessen vier Kinder sich
auf dem Sinai befinden. Jetzt wird Geld gesammelt, um
sie freizukaufen.
Es ist fürchterlich, über die Folterungen zu lesen. Ich
möchte wissen: Ist Ihnen das bekannt? Was wird die
Bundesregierung tun, um Menschenrechtsverletzungen
wie Folter zu stoppen?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen beim besten Willen
nicht sagen, an welcher Stelle des fast 300 Seiten umfassenden Berichts der Bundesregierung genau das Problem
des Menschenhandels, das natürlich alle Regionen betrifft, aufgeführt wird. Das erwarten Sie sicherlich auch
nicht von mir. Natürlich ist es ein zentrales Anliegen.
Deswegen habe ich es in den wenigen Bemerkungen
meiner Einführung angesprochen.
Ansonsten muss ich Ihnen sagen - ohne auf Einzelheiten Ihrer Hinweise einzugehen -: Die Situation auf
dem Sinai beunruhigt uns in vielerlei Hinsicht einschließlich der Gefahr, dass dort Terroristen geschult
und ausgebildet werden bzw. Rückzugsgebiete finden.
Es hat Berichte über Organhandel gegeben. Menschenrechtsrelevante Themen wie Menschenhandel, den Sie
zu Recht ansprechen, spielen eine Rolle. Es gibt Entführungen.
Ich kann Ihnen versichern, dass das Thema Lage auf
dem Sinai von mir persönlich in zentralen Gesprächen
mit den betreffenden Regierungen und Präsidenten der
Region angesprochen wurde. Ich werde in der Öffentlichkeit nicht über alles berichten können - Sie wissen,
dass diese Gespräche eine gewisse Vertraulichkeit verlangen -, aber ich kann Ihnen versichern, Frau Kollegin,
dass dieses Thema von mir persönlich an relevanter
Stelle angesprochen worden ist; denn wir haben ein massives gemeinsames Interesse daran, dass sich die Lage
auf dem Sinai stabilisiert. Wir werden vielleicht nicht in
politischen Bewertungen, was die gesamte Region angeht, übereinstimmen - das ist in Bezug auf den Nahostfriedensprozess oder die gesamte Politik im Mittleren
und Nahen Osten nicht zu erwarten -, aber ich kann Ihnen versichern: Das Thema wurde von mir an relevanter
Stelle angesprochen. Ich nenne hier aber weder Ross
noch Reiter, weil es sich gegenüber den Gesprächspartnern als unklug erweisen würde.
Die Kollegin Erika Steinbach hat das Wort zur nächsten Frage.
Herr Außenminister, zunächst einmal bedanke ich
mich dafür, dass sich die Bundesregierung des Themas
Menschenrechte so intensiv annimmt. Das haben uns die
letzten Jahre deutlich gemacht.
Auch ich möchte den Bereich Menschenhandel ansprechen; denn in diesem Bereich wird heutzutage mehr
Geld verdient als mit dem Drogenhandel. Deutschland
ist nicht nur Transitland, sondern auch Zielland von
Menschenhändlern. Inwieweit verzahnen Sie auf Regierungsebene Außen- und Innenpolitik? Mir scheint eine
solche Verzahnung nötig zu sein.
Frau Kollegin, wir belegen mit diesem ressortübergreifenden Menschenrechtsbericht, vor allen Dingen
aber mit dem Aktionsplan, dass es sich dabei um eine
vernetzte Politik handelt. Ich danke Ihnen für die freundlichen, anerkennenden Worte. Ich sage das in aller Bescheidenheit: Die Menschenrechtspolitik hat für diese
Bundesregierung eine sehr hohe Bedeutung, und zwar
nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in allen anderen Bereichen. Wir sind bei diesem Thema ressortübergreifend sehr sensibel, vor allen Dingen natürlich in
den Bereichen, in denen Außen- und Innenpolitik zusammentreffen.
Ich habe, wie ich es dem Kollegen Beck bereits gesagt habe, nur Gutes über die Zusammenarbeit zwischen
dem Innen- und dem Außenministerium zu berichten,
gerade beim Thema Menschenrechte. Es gibt natürlich
immer Fragen - das liegt in der Natur des Zuschnitts dieser Ämter -, bei denen das eine Ressort qua Amt ganz
besonderen Wert auf die Sicherheit legen muss und zu
denen das andere Ressort Vorschläge einbringen kann.
Mein Eindruck ist, dass diese vernetzte Politik so betrieben wird, wie man das von der Regierung erwarten kann.
Der vorliegende Bericht ist ein fast 300 Seiten starkes
Dokument, das zeigt, dass es eine vernetzte Menschenrechtspolitik gibt und es keinen Unterschied zwischen
dem Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte
im Ausland und der Menschenrechtspolitik im Inland
gibt.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf.
Herr Minister, ich möchte an dieser Stelle nahtlos anschließen. Ich war gestern Abend beim Festakt des Behandlungszentrums für Folteropfer hier in Berlin. Dieses
Zentrum leistet seit 20 Jahren eine sehr segensreiche Arbeit, was die Behandlung von Menschen betrifft, die aufgrund von Folter traumatisiert sind. Ich habe mir den Bericht, so schnell es ging, auf genau dieses Thema hin
angeschaut. Ich habe herausgefunden, dass sich die Ausführungen zur Bekämpfung der Folter im 9. und 10. Bericht im Wesentlichen gleichen. Sie sind, denke ich, ernüchternd, was den nationalen Präventionsmechanismus
betrifft. Im 9. Bericht stand dazu, dass Sie die personelle
und finanzielle Ausstattung prüfen wollen. Jetzt, zwei
Jahre später, heißt es, dass die Praxisberichte vorliegen
und die Ausstattung überprüft wird.
Ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie zugelassen
haben, dass der Leiter der Bund-Länder-Kommission zurückgetreten ist. Er ist aus Protest zurückgetreten, weil er
die für seine Arbeit erforderliche Ausstattung nicht bekommen hat. Ich frage Sie als Minister: Warum wird ein
bekannter Missstand überprüft, wenn keine Konsequenzen aus dem Missstand gezogen werden? Welche Erklärung haben Sie als Außenminister dafür, dass wir in anderen Ländern gegen die Folter kämpfen und diese
auffordern, Mechanismen gegen Folter einzurichten, im
eigenen Land aber keinen Schwerpunkt auf dieses
Thema legen?
Frau Kollegin, in Ihrer Frage schwingt ein Vorwurf an
die Bundesregierung mit, den ich nicht teile. Ich glaube,
dass die Bundesregierung kohärent verfährt: Engagement im Ausland und Unterstützung der Kräfte im Inland, die sich zum Beispiel zivilgesellschaftlich gegen
Folter engagieren. Ich kann hier keine Defizite erkennen.
Ich lege großen Wert darauf, dass dies beim Aktionsplan
berücksichtigt wird.
Sie haben gesagt, dass Sie die Berichte verglichen haben. Ich kann jetzt nicht mit Ihnen darüber diskutieren, ob
sich die Worte oder Formulierungen gegen Folter ähneln.
Es spricht aber vieles dafür, dass sich die Formulierungen
zum Thema Kampf gegen Folter weltweit ähneln; denn
das ist ein Anliegen, das sich nicht von Regierung zu Regierung oder von Periode zu Periode verändert. Deshalb
spricht viel dafür, dass bei diesem Thema die Kontinuität
gewahrt wird. Ich kann keine Defizite seitens der Bundesregierung erkennen, auch nicht, was die Politik gegen
Folter angeht, weder im Inland noch im Ausland. Ich
kann das nicht erkennen.
({0})
- Nein, ich kann dazu keine Erklärungen abgeben. Das
tue ich hier auch nicht.
({1})
Bevor ich das Wort der Kollegin Katrin Werner gebe,
ein Hinweis an alle Kolleginnen und Kollegen: Im Augenblick habe ich noch zehn Wortmeldungen vorliegen.
Es ist mir möglich, wenn großes Interesse an diesem
Thema besteht - das ist zweifellos der Fall -, die Dauer
der Befragung zu verlängern. Dann wird die nachfolgende Fragestunde verkürzt. Ich habe vor, alle zehn
Wortmeldungen zuzulassen.
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Werner.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich möchte an das anschließen, was meine Vorrednerin gesagt hat. In Teil A
des Berichts, also dem Abschnitt zu Deutschland, findet
sich die Erkenntnis, dass zu wenig Mittel bereitgestellt
werden. Wir hatten im Ausschuss Änderungsanträge zu
diesem Haushaltstitel eingebracht, in denen wir um eine
Erhöhung der Mittel gebeten haben. Diese wurden abgelehnt. Insofern stellt sich, wenn Sie es sogar im Bericht
festhalten, die Frage: Wie wollen Sie daran etwas ändern, außer dem mit Programmen entgegenzuwirken?
Ein weiterer Abschnitt - ich möchte mich nur auf
Teil A beschränken; der Bericht wurde uns ja erst vor
zwei Stunden vorgelegt - befasst sich mit Menschenrechten in Deutschland. Ich habe beim Überfliegen des
Berichts gesehen, dass Sie dem Thema Armut in
Deutschland zwei Seiten widmen. Kein einziges Mal
wird Altersarmut erwähnt. Sie kündigen den vierten
Armuts- und Reichtumsbericht an, der zumindest als
Entwurf schon seit Wochen vorliegt. Aus diesem geht ja
klar hervor, dass jeder fünfte Deutsche von Armut und
Ausgrenzung bedroht ist. Insofern fehlen mir präzisere
Angaben in Ihrem Bericht dazu. Sie gehen auf einer
Seite auf die Alleinerziehenden ein - auch ein sehr wichtiges Thema, wie ich finde.
Weiter hinten im Bericht steht, dass Sie eine Initiative
starten wollen und die Ämter bei der Anwendung des
Kinder- und Jugendhilferechts in Menschenrechtsfragen
unterstützen wollen. Über die Situation der Länder und
Kommunen haben wir ja schon im Ausschuss gesprochen: Die Länder und Kommunen - die Kommunen sind
die kleinste, aber wichtigste Einheit - sind immer mehr
von Finanzproblemen bedroht und mussten in den letzten Monaten gerade im sozialen Bereich Kürzungen vornehmen, weil sie dem Entschuldungsfonds beigetreten
sind. Vor diesem Hintergrund ist doch die Umsetzung
Ihrer Erkenntnisse überhaupt nicht mehr möglich. Wie
wollen Sie das also schaffen?
Bitte, Herr Minister.
Zunächst einmal, Frau Kollegin, möchte ich auf eines
hinweisen: Es wurde jetzt zum zweiten Mal gesagt, dass
Sie den Bericht erst vor zwei Stunden bekommen haben.
Das ist kein Wunder; denn wir haben ihn erst vor
zweieinhalb Stunden in der Regierung beschlossen. Es
handelt sich natürlich um einen umfangreichen Bericht.
Dieser muss von Ihnen erst einmal im Detail gelesen
werden.
({0})
- Das ist auch völlig in Ordnung. - Ich stelle nur fest,
dass das Thema - ich glaube, für uns alle - wichtig ist
und dass hier nichts zurückgehalten wird. Wir haben den
Bericht also heute Morgen im Kabinett beschlossen, und
wir haben ihn Ihnen dann unverzüglich zugeleitet. Natürlich handelt es sich um ein sehr komplexes Thema.
Daher ist es für Sie, aber auch für alle anderen schwierig,
schon jetzt alle Details des Berichts, der etwa 300 Seiten
umfasst, zu kennen. Ich will dies nur sagen, weil ich sehr
viel Wert darauf lege, dass hier nicht der Misston einer
Missachtung Ihrer Arbeit stehen bleibt. Dafür habe ich
dem Deutschen Bundestag viel zu lange als Abgeordneter auf der Oppositionsseite angehört.
Nun zu Ihrer Frage. Sie sagen, es würden zu wenig
Mittel eingesetzt. Das kann ich nicht erkennen. Ich
glaube, dass die im Haushaltsansatz vorgesehenen Mittel
ausreichend sind, um unsere Menschenrechtspolitik vernünftig fortzusetzen. Wenn man in einem bestimmten
Bereich tätig ist, hat man immer das Bedürfnis, dass dort
noch mehr Mittel eingesetzt werden. Das ist verständlich. Das geht auch mir in meinem Ressort gelegentlich
so. Aber wir alle haben einen Beitrag dazu zu leisten,
dass die Staatsfinanzen in Deutschland wieder ausgeglichen werden bzw. stabil bleiben. Deswegen ist dies immer in einem Zusammenhang zu betrachten. Das kann
ich Ihnen dazu antworten.
Vielleicht noch ein Nachsatz. Bitte erlauben Sie mir
eines: Ich würde Ihnen gerne meine Gedanken zum
Thema Altersarmut vortragen - ich hätte dazu eine ausführliche Meinung -, aber als Außenminister bitte ich
Sie um Verständnis, dass Sie diese Fragen im Ausschuss,
wenn Sie den Bericht beraten, mit dem zuständigen
Kollegen besprechen. Ich bin immer in der Versuchung,
dass ich gewissermaßen universell zu Themen antworte,
die nicht zu meinem Geschäftsbereich gehören. Aber
wie sagt man so schön? Diese Zeit ist für mich vorbei.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Granold.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Zunächst einmal
herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Ich möchte
zwei Punkte ansprechen: die Religionsfreiheit und den
Menschenhandel.
Im Zusammenhang mit dem Thema Religionsfreiheit
bedanke ich mich ausdrücklich für Ihr Engagement für
den Schutz der religiösen Minderheiten, insbesondere
der Christen. Sie waren mehrfach in den Staaten des arabischen Frühlings, in Ägypten, im Irak. Herzlichen Dank
dafür. Meine Frage bezieht sich auf Syrien; Sie hatten ja
vorhin darüber gesprochen. Von dort gehen tagtäglich
erschreckende Meldungen über verfolgte und ermordete
Christen ein. Die Situation dort ist ganz schlimm. Vielleicht können Sie angesichts dieser Meldungen sagen,
wie man hier sofort und konkret vonseiten der Bundesregierung, aber auch der EU helfen könnte.
Das Zweite ist das Thema Menschenhandel; hier geht
es mir insbesondere um die Zwangsprostitution. Sie
haben sich im Menschenrechtsrat in Genf diesem Thema
gewidmet. Es ist ja aufgrund der Blockbildung des Menschenrechtsrates sehr schwierig, gemeinsame Entscheidungen und Resolutionen auf den Weg zu bringen. Diese
Blockbildung wurde, was das Thema Menschenhandel
und gerade auch Zwangsprostitution angeht, durch die
bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den
Philippinen aufgebrochen. Wie wir von der Kollegin
Steinbach gehört haben, ist Ziel- und Transitland
Deutschland. Meine Frage: Kann Deutschland das eingeschlagene Vorgehen auf weitere Staaten erweitern, um
diesem Problem des Menschenhandels besser gerecht zu
werden?
Auch an dieser Stelle herzlichen Dank für das Engagement im Menschenrechtsrat und auch dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Löning;
er ist ganz wichtig für uns.
Vielen Dank, Frau Kollegin, auch für die anerkennenden Worte an Herrn Löning. Ich möchte Ihnen auch von
meiner Seite aus sagen: Die Zusammenarbeit ist hervorragend, und ich bin sehr froh, wie Herr Löning als
Menschenrechtsbeauftragter diese Arbeit macht.
Das, was ich in Genf gesagt habe - ich glaube, Sie
waren damals dabei, als ich meine Rede gehalten habe -,
gilt unverändert; das ist ein ganz zentrales Anliegen für
uns. Man stellt sich das bei uns gelegentlich nicht so
ernst und so dramatisch vor, weil wir weit weg von
solchen Fragen sind, jedenfalls was die unmittelbare
Betroffenheit angeht; aber sie sind dringlich. Dieses gesamte Thema - vielleicht haben Sie es verfolgt - ist uns
auch während der Zeit unserer Präsidentschaft im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sehr wichtig gewesen.
Ich komme nun zu dem ersten Thema, das Sie angesprochen haben. Hinsichtlich der Dringlichkeit, die
Sie in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht haben, sehe
ich es genauso. Ich wünschte, ich könnte Ihnen widersprechen und Ihnen eine andere Lagebeurteilung geben.
Wir haben nicht nur in Syrien, sondern auch in vielen
Ländern, in denen ein Umbruch bereits stattgefunden
hat, ein Kernanliegen, nämlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber wir sagen: Zu Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit zählt ausdrücklich auch die religiöse
Pluralität. Der Schutz von Religionen ist ein ganz zentrales Anliegen nicht nur dieses Hauses, sondern auch der
Bundesregierung.
In Syrien finden wir folgende Situation vor: Es gibt in
diesem Land eine große Mehrheit an Sunniten - sie
machen mehr als zweit Drittel der Bevölkerung aus -, es
gibt ungefähr 13, 14 Prozent Alawiten - vielleicht etwas
mehr - und eine etwas geringere Zahl von Christen,
vielleicht 12 Prozent. Darüber hinaus gibt es dann noch
ungefähr 2 Prozent Schiiten, die nicht Alawiten sind.
Dies muss man wissen, wenn man verstehen will, warum
die Bundesregierung die Oppositionskräfte in Syrien so
drängt - das habe ich auch am vorletzten Wochenende
getan, als ich in Istanbul gewesen bin -, eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Die Opposition muss sich
auf eine gemeinsame Plattform verständigen. Diese
gemeinsame Plattform sollte nicht nur das berechtigte
Verlangen nach der Ablösung des Assad-Regimes verbinden, sondern eben auch das Eintreten für und das
klare Bekenntnis zur religiösen Pluralität, zur Gewährleistung religiöser Toleranz.
Übrigens wird es nur möglich sein, den Erosionsprozess in Syrien zu beschleunigen, wenn diejenigen, die im
Augenblick noch zögern, ob sie sich an der Transformation beteiligen sollen, das Gefühl und die Gewissheit
haben, dass auch sie und ihre Familie mit ihrem Glauben
in einem neuen Syrien einen geschützten und geachteten
Platz haben. Das ist ein zentrales Anliegen. Wenn Sie so
wollen, ist das auch ganz harte Realpolitik, um die es
hier geht. Der Schutz der religiösen Pluralität muss deutlich gewährleistet werden, weil nur so ein Erosionsprozess in dem Regime beschleunigt werden kann.
Frau Präsidentin, wenn ich das noch sagen darf, weil
es sich wirklich um eine Kernfrage handelt: Die Christen
dort - Sie wissen, dass ich selber Christ bin - haben
große Angst und große Sorge. Deswegen achte ich auch
sehr genau darauf, mit wem von der Opposition wir zusammenarbeiten. Mehr will ich dazu nicht sagen, ich
will es nur andeuten: Ich möchte nicht, dass wir - egal
wo; ich sage das ganz allgemein - Kräfte unterstützen,
die am Schluss, nachdem sie vielleicht erfolgreich gewirkt haben, ihrerseits religiöse Pluralität missachten
und eher fundamentalistische, extremistische Einstellungen in ihrem Land verankern. Das ist eine Kernfrage,
die, denke ich, uns alle bewegt. Deswegen - das ist
manchmal nicht so klar verständlich - gehen wir bei der
Zusammenarbeit mit bestimmten Oppositionskräften,
nicht nur in Syrien, sehr maßvoll und sehr überlegt vor.
Der Schutz der religiösen Pluralität ist ganz entscheidend. Ich spreche übrigens ungern von religiösen
Minderheiten; für mich sind das Teile der Gesellschaft,
gewachsene Teile der Gesellschaft.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ullrich Meßmer.
Erlauben Sie mir, Herr Minister, dass ich noch einmal
auf die Frage der WSK-Rechte zurückkomme und auf
die Umsetzung der VN-Richtlinien zur Einhaltung der
Menschenrechte auch in der Wirtschaft, und zwar konkret die Umsetzung der Ruggie-Richtlinien. Die Europäische Kommission hat - das liegt wohl in Ihrem
Zuständigkeitsbereich - die Mitgliedstaaten aufgefordert, bis Ende 2012, also noch dieses Jahr, einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung vorzulegen. Ich weiß
nicht, ob ich das übersehen habe; deshalb frage ich: Ist
damit zu rechnen, dass dieser nationale Aktionsplan in
diesem Jahr noch kommt, dann entsprechend beraten
wird und in Kraft gesetzt werden kann? Oder wie stellt
sich das Außenministerium die Umsetzung dieser Vorgabe vor?
Herr Kollege, ich danke Ihnen zunächst einmal für
Ihre Frage. Aus dem Stegreif kann ich sie Ihnen nicht
beantworten, ich kann Ihnen keine Auskunft zum genauen Stand der Verhandlungen geben. Ich bin aber
gerne bereit, das schriftlich nachzutragen.
Nun stellt der Kollege Volker Beck seine angekündigte zweite Frage.
In gewisser Weise ist es die erste Frage. Sie, verehrter
Herr Minister, haben nämlich nicht wirklich in der Sache
geantwortet.
({0})
- Mit Verlaub: Keine Zwischenrufe von der Regierungsbank! - Sie haben nicht darauf geantwortet, was sich
aufgrund des UPR-Berichts an der Roma-Politik ändern
wird. Ich bitte Sie auch, zu beantworten, warum sich
Deutschland als einziges Land der Europäischen Union
weigert, die von der Kommission geforderte Roma-Strategie für Deutschland aufzulegen.
Zum Schluss eine Frage - Sie können sie eigentlich
mit Ja oder Nein beantworten -: Sind Sie meiner Auffassung, dass man Roma - unabhängig von der Frage einer
politischen Verfolgung - nicht zurückschieben kann in
eine Situation ohne Heizung, ohne Dach über dem Kopf,
in der die Grundlagen einer menschenwürdigen Existenz
also definitiv nicht gegeben sind?
({1})
Bitte, Herr Minister.
Ich befrage die Bundesregierung. Sie können Herrn
Bergner einspringen lassen.
Ich kann die Frage gerne auch weitergeben. Die
Usancen sind aber doch eigentlich so, dass man versucht, auch etwas zu seinem Bereich zu sagen.
Ich verstehe ja, dass Sie die Debatte heute noch einmal bringen möchten. Aber ich habe den Eindruck, dass
der Hintergrund Ihrer Frage ein sehr innenpolitischer ist.
({0})
Ich muss Ihnen zum Ersten sagen: Ich teile die Unterstellungen nicht, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen.
Zum Zweiten kann ich Ihnen nur sagen: Dass die Bundesregierung sich weigern würde, die Rechte und die
Umstände für Roma und Sinti entsprechend zu gestalten
und zu verbessern, das kann ich beim besten Willen
nicht erkennen, weder außenpolitisch noch innenpolitisch. So viel sei mir gestattet zu sagen.
({1})
Wir sind in der Fragestunde. Weiteren Vertretern der
Bundesregierung steht es frei, zu antworten, wenn sie es
wollen.
Ich bin gerne bereit. - Ich kann auch nichts zu den
Verhandlungen zwischen Bund und Ländern in solchen
Fragen sagen. Es gehört sich nicht, dass der Außenminister dazu Stellung bezieht.
Ich stelle jetzt die Frage: Gibt es auf der Regierungsbank weiteren Bedarf, zu antworten? Ansonsten fahren
wir fort.
Ich gebe es gerne weiter.
Bitte, Herr Bergner.
Herr Kollege Beck, ich bin etwas verwundert, dass
Sie hier behaupten, die Bundesregierung hätte sich an
der Roma-Strategie der Europäischen Union überhaupt
nicht beteiligt.
({0})
Wir haben eine sogenannte Paketlösung vertreten, und es
besteht Übereinstimmung - übrigens auch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma -, dass wir Sinti und
Roma bei unseren Bemühungen um eine Integration von
Zuwanderern nicht selektiv behandeln, sondern hier die
Instrumente der allgemeinen Integrationspolitik anwenden.
Insofern ist mir der Hintergrund Ihrer Frage, ehrlich
gesagt, nicht verständlich.
({1})
Die nächste Frage an den Außenminister stellt nun die
Kollegin Marina Schuster.
Vielen Dank. - Zunächst einmal möchte ich ganz persönlich Ihnen für die Vorlage des Berichts und auch für
den Einsatz für Menschenrechte und Markus Löning für
seine Arbeit danken.
Schon der Entwurf des Aktionsplans wurde mit dem
Deutschen Institut für Menschenrechte und mit dem
Dachverband, dem Forum Menschenrechte, diskutiert.
Zu diesem Aktionsplan möchte ich eine Frage stellen.
Wir erleben bei vielen Reisen, dass Menschenrechtsverteidiger - Sie haben sie auch in Ihrer Einführung erwähnt - sehr bedroht sind. Ich möchte gerne wissen, was
sich die Bundesregierung vornimmt, um den Schutz von
Menschenrechtsverteidigern zu verbessern - auch an den
deutschen Botschaften.
Zum zweiten Bereich. Deutschland kandidiert für einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Ich begrüße das
sehr. Mich würde interessieren, was man sich vornehmen und welche Schwerpunkte man setzen würde, sollte
es mit dem Sitz klappen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin, das Thema Menschenrechtsverteidiger
ist ganz erheblich. Ich habe entsprechende Gespräche
schon geführt, bevor ich in die Regierung gekommen
bin. Das Allerwichtigste ist dabei in bestimmten Ländern, offen gestanden, dass diese Gespräche so geführt
werden, dass sie nicht öffentlich werden. Das wird in einer parlamentarischen Demokratie, wo alles öffentlich
sein und öffentlich besprochen werden sollte, manchmal
schwer verstanden. Es ist aber offensichtlich wichtig,
mit Menschenrechtsverteidigern zusammenzuarbeiten,
ohne sie gleich in eine größere Öffentlichkeit zu bringen,
weil das ihre Arbeit in ihren eigenen Ländern sehr erschweren würde.
Überall da, wo es nötig ist, also nicht nur in einigen
Ländern, die aufgeführt worden sind - Sie finden in dem
Bericht übrigens zum Teil detaillierte Ausführungen
dazu -, haben wir zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger wirklich eine Menge getan. Ich kann Ihnen versichern - das wissen auch die Kollegen -: Manche Lösung ist möglich geworden, weil wir es nicht öffentlich
gemacht haben. Das ist immer die Krux: Wenn Sie Regierungsmitglied sind, dann müssen Sie mit bestimmten
öffentlichen Äußerungen zurückhaltend sein, um die Sicherheit von Einzelnen und die Sicherheit ihrer Familien
nicht zu gefährden. Ich kann Ihnen aber sagen: Es gibt
einen klaren, umfassenden Ansatz und eine klare Priorität für alle Auslandsvertretungen, die es betrifft.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, der Kandidatur für den
UN-Menschenrechtsrat. Über diese Kandidatur wird am
12. November 2012 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen entschieden. Es gibt fünf Kandidaten für
drei Plätze. Deutschland ist ein Kandidat, und wir haben
wirklich starke Mitbewerber.
Wir waren einmal, nämlich unmittelbar nach der
Gründung, im Menschenrechtsrat vertreten. Danach haben wir ausgesetzt, weil wir gesagt haben: Es sollen
auch andere einmal diese Aufgabe übernehmen. Jetzt bewerben wir uns erneut. Das ist ein Wettbewerb, den man
nicht unterschätzen darf.
Wir betrachten das für uns - ich denke, wir alle im
ganzen Land - natürlich als eine Sache, bei der wir ein
gutes Profil haben und auch sehr viel Respekt und ein
großes Ansehen genießen. Das gilt für die anderen Länder, um die es hier geht, aber auch. Ich will jetzt keine
einzelnen Länder nennen, aber es handelt sich um auch
bei der internationalen Gemeinschaft angesehene Kandidaten. Das wird eine schwierige Sache.
Wir haben mit zwei Initiativen, glaube ich, etwas gezeigt, was viele in der Welt überzeugt hat. In Deutschland nicht viel beachtet worden ist unser Einsatz für die
Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten. Darüber
hat es hier wenig öffentliche Diskussionen gegeben; das
ist aber ein Meilenstein gewesen, auch für die Arbeit im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dieser Einsatz ist
hoch anerkannt worden, auch von Völkern und von Staaten außerhalb unseres europäischen Kontinents. Das ist
eine ganz wichtige Sache. Vielleicht haben einige Kollegen bei dieser Aktion mitgemacht, bei der wir Kinder ermunterten, etwas für ihre Altersgenossen zu tun; denn es
ist zum Teil unvorstellbar, welche Schilderungen man in
diesem Zusammenhang zu hören bekommt.
Dann geht es auch um die Erweiterung unseres Menschenrechtsbegriffs. Auf den ersten Blick denken wir bei
Menschenrechten an die politischen Rechte. Aber zu den
Menschenrechten gehört zum Beispiel auch das Recht
auf Wasser. Der Zugang zu Wasser, die Wasserversorgung - in unseren Breitengraden kaum vorstellbar - ist
auch ein Menschenrecht.
Sie sehen also: Wir gehen mit einem sehr breiten Verständnis von Menschenrechten an diese Debatte heran.
Weil wir ein sehr umfassendes, breites Verständnis haben, das weit über das, was bisher besprochen worden
ist, hinausgeht, glauben wir, sind wir ein guter Kandidat
für einen Sitz im Menschenrechtsrat.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Marieluise Beck.
Herr Minister, auch ich möchte vor allen Dingen dem
Beauftragten danken. Ich weiß, dass das Leben von Beauftragten nicht immer sehr angenehm ist.
Es stehen nicht nur die deutsch-russischen Regierungskonsultationen an, sondern zeitgleich auch der Petersburger Dialog. Ihr Haus finanziert diesen Petersburger Dialog mit einer beträchtlichen Summe. Wir alle
wissen, dass der Abbau von Bürgerrechten in Russland
in einer dramatischen Geschwindigkeit zunimmt. Erst
gestern ist das Hochverratsgesetz verschärft worden.
Es gibt im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs eine Differenz über die Frage, wie Russland gegenüberzutreten sei, ob eher in einer offenen Kontroverse
oder eher an der Haltung orientiert, dass man die russische Seite nicht kränken bzw. so stark kritisieren, weil
man sie damit überfordert, also nicht demütigen oder beleidigen dürfe.
Ist Ihr Haus bereit, als gestaltender Teil des Lenkungsausschusses diejenigen, die für eine kontroverse
Haltung eintreten - es soll ja um die Begegnung der Zivilgesellschaften gehen -, zu stärken und Ihre Mitarbei24178
Marieluise Beck ({0})
ter und Ihr Haus auch in dieser Weise im Lenkungsausschuss arbeiten und Vorgaben machen zu lassen?
Frau Kollegin, ich will hier nicht zu einer Diskussion
im Lenkungsausschuss Stellung beziehen. Aber ich
nehme Ihre Frage zum Anlass, Ihnen eine allgemeine
Antwort darauf zu geben, weil ich auf die konkreten Diskussionen im Lenkungsausschuss hier nicht Bezug nehmen möchte, auch weil ich nicht alle Diskussionsbeiträge im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs
kenne, nicht kennen kann.
Meine allgemeine Bemerkung lautet: Bei diesem Dialog kommt es darauf an, um was es sich handelt und in
welcher konkreten Situation bestimmte Sachen beschlossen werden. Ich bin bei meinem letzten Besuch in
Moskau im Sommer, bei dem es überwiegend um die
Frage von Syrien gegangen ist und bei dem wir versucht
haben, eine Politikänderung Russlands im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen herbeizuführen, natürlich auch
auf andere Themen eingegangen: die Lage von Nichtregierungsorganisationen, auch von ausländischen, sowie
die Lage von Stiftungen und ihr Wirken in Russland. Die
Auseinandersetzung darüber hat in der Pressekonferenz
mit Sergej Lawrow öffentlich stattgefunden, weil ich das
für notwendig erachtet habe.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich habe
die Urteile in dem Verfahren gegen die Mitglieder der
Gruppe Pussy Riot öffentlich kritisiert. Das ist in solchen Fällen nicht die Regel, aber in diesem Fall hielt ich
das für angemessen. Selbst wenn man akzeptiert, akzeptieren wollte, dass dies ein Verstoß gegen russisches
Recht ist, so sind doch das Strafmaß und die Urteilsfindung sicherlich nicht über jeden Zweifel erhaben. Diese
Fragen haben wir öffentlich angesprochen.
Generell - das kann ich Ihnen sagen - geht es darum,
dass wir die Balance halten: Auf der einen Seite müssen
wir nachdrücklich für die Interessen der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte in Russland eintreten,
auch durch den Rechtsstaatsdialog, der Teil der Modernisierungspartnerschaft zwischen Russland und
Deutschland ist; darauf lege ich großen Wert. Auf der
anderen Seite muss man sich vor Augen führen, dass
man nichts erreicht, wenn man sich im Inland, weil es
dort entsprechenden Beifall gibt, öffentlich so scharfkantig äußert, dass man dann als Gesprächspartner nicht
mehr angenommen wird und nichts mehr wirklich bewegen kann. Das ist die Balance, um die es geht. Es ist leider - das habe ich am Anfang gesagt - eine schwer zu
findende Balance, eine schwer zu treffende Abwägung
zwischen der Öffentlichkeit und der Diskretion. Beides
muss man zur rechten Zeit tarieren.
Die nächste Frage stellt der Kollege Tom Koenigs.
Danke sehr, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
habe gerade gelesen, was Sie im Bericht, der ja dankenswerterweise in ausführlicher Form pünktlich vorliegt,
zum Kosovo schreiben. Da schreiben Sie, dass die Strategien zur Integration von Roma, Ashkali und der sogenannten Ägypter noch einer engagierten Umsetzung bedürfen. Jeder, der dort war, weiß, das ist in der Tat der
Fall.
Sie meinen, im Kosovo?
Im Kosovo, ja. - Sie sagen, WSK-Rechte sind dort
nicht gegeben, und zwar am allerwenigsten für Roma,
Sinti und Ashkali. Ich möchte den heutigen Tag, an dem
sehr schöne Reden gehalten worden sind, doch dazu
nutzen, Sie zu bitten - das liegt auch in Ihrer Zuständigkeit -, die Bewertung des Kosovo bezüglich der Rücksendemöglichkeiten von Roma und Sinti noch einmal zu
überprüfen. Von diesen befinden sich noch 12 000 in
Deutschland; davon sind mehr als die Hälfte Kinder. Die
sind sechs, sieben oder zwölf Jahre in Deutschland und
schulisch integriert. Sie fallen dort ins Nichts. Der Protest dagegen in Form eines Zwischenrufs wurde übrigens
auch bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, das nicht
weit vom Reichstag entfernt ist, mit Beifall bekundet.
All das passt nicht zusammen. Wir haben da eine größere Verantwortung.
Ich würde Sie bitten, diesem etwas geschönten Länderbericht noch einmal nachzugehen und ihn vielleicht
so abzufassen, dass die Bundesländer Roma und Ashkali
nicht mehr in den Kosovo abschieben.
Bitte, Herr Minister.
Das ist ja eine Bitte oder ein Appell an die Bundesregierung gewesen. Ich nehme diesen Appell und Ihre
Bitte oder Ihre Aufforderung natürlich auch mit.
Sie wissen aufgrund Ihrer Erfahrung aber auch - Sie
sind ja nicht erst seit gestern in diesem Hause -, dass
dies eine sehr, sehr schwierige Frage ist. Auf der einen
Seite haben wir berechtigte Interessen wahrzunehmen.
Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch humanitäre Interessen und Anliegen entsprechend abwägen.
Ich kann und will hier nicht zum Vorgehen einzelner
Bundesländer Stellung beziehen. Ich kann Ihnen, was
Außenpolitik angeht, nur sagen: Sie können ganz sicher
sein - wenn Sie sich bei den Kollegen des Auswärtigen
Ausschusses informieren, die sich mit diesem Bereich ja
auch besonders befassen, wird man Ihnen das bestätigen -, dass das Thema Roma und Sinti und deren
Schicksal von mir in all diesen Gesprächen immer angesprochen wird bzw. mit eingebracht wird; denn wir haben ein ähnliches Interesse daran.
Erinnern Sie sich bitte einmal an die Debatte, die
zwar nicht den Kosovo betroffen hat, aber die im letzten
Jahr noch vor den französischen Präsidentschaftswahlen
stattgefunden hat. Sie wissen, dass wir uns entsprechend
eingebracht haben. Deswegen nehme ich das jetzt als
Appell mit, möchte aber zu den einzelnen Gesprächen
mit den Bundesländern nicht Stellung beziehen.
Sie können sicher sein, dass dies ein ganz zentrales
Anliegen ist, um das wir uns außenpolitisch kümmern.
Sie wissen, dass ich selbst im Kosovo gewesen bin und
auch Gespräche dort geführt habe. Das ist ein Thema,
das immer auf der Tagesordnung steht. Da können Sie
ganz sicher sein.
Das betrifft übrigens nicht nur den Kosovo; das will
ich noch einmal betonen. Jeder hier weiß, dass es auch
um Länder geht, die der Europäischen Union angehören.
Danke, Herr Minister. - Ich habe noch zwei Wortmeldungen, bei denen mir signalisiert wurde, dass es um andere Themen geht. Also, voraussichtlich sind Sie im Moment nicht mehr gefragt. - Herzlichen Dank.
Das halte ich für eine Zuspitzung, die ich zurückweise.
({0})
Schauen wir mal.
Vielen Dank.
Ich mache aber gleich darauf aufmerksam, liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr geehrte Damen und
Herren auf der Regierungsbank: Ich habe im Angesicht
des sehr wichtigen Themas alle unsere Regeln außer
Kraft gesetzt, was Restriktionen bezüglich der Frage- als
auch der Antwortzeit betrifft. Ich denke, das war im Interesse aller. Ab jetzt sollten wir wieder auf die verabredeten Zeiträume zurückkommen.
Das Wort zu einer Frage hat der Kollege Manfred
Grund.
Auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung vom heutigen Tag stand auch das Thema Nebentätigkeiten und
die daraus erzielten Einkünfte, wobei natürlich auch das
Thema Ehrenamt insbesondere im Sportbereich zu berücksichtigen ist. Meine Frage an die Bundesregierung
ist: Zu welchen guten Ergebnissen bzw. Beschlüssen ist
man beim Thema Ehrenamtspauschale und Übungsleiterpauschale gekommen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Grund, das ist zutreffend. Die Bundesregierung hat heute einen Gesetzentwurf zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts verabschiedet. Dieser Gesetzentwurf soll die
Rahmenbedingungen für steuerbegünstigte Institutionen
und bürgerschaftliches Engagement deutlich verbessern.
Dazu gehören Änderungen im Einkommensteuerrecht,
bei der Abgabenordnung und im Zivilrecht.
Zu den von Ihnen angeführten Punkten will ich nur
sagen, dass die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf
2 400 Euro und die Ehrenamtspauschale von 500 auf
720 Euro angehoben werden soll. Sozialrechtliche Regelungen sollen entsprechend angepasst werden.
Weiter ist vorgesehen, die Umsatzgrenze für sportliche
Veranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro zu erhöhen.
Das entlastet insbesondere Sportvereine mit einem hohen
Anteil Ehrenamtlicher. Dazu gehört die Ausdehnung einer
ganzen Reihe von Zeiträumen, in denen Zuschüsse, Beiträge, Spenden und sonstige Einnahmen verwandt werden
können. Das gilt sowohl für Stiftungen als auch für Vereine. Denn die häufig zu eng gefasste Verpflichtung, die
Mittel zeitnah einzusetzen, führt dazu, dass den Vereinen
und Stiftungen die Möglichkeit genommen wird, diese
Mittel sinnvoll einzusetzen. Auch dazu hat es eine entsprechende Lockerung gegeben.
Ich will die Gelegenheit nicht versäumen, dem Bundestag und insbesondere den Koalitionsfraktionen ganz
herzlich für diese Initiative zu danken, die von der Bundesregierung jetzt umgesetzt worden ist.
Die letzte Frage in diesem Teil der Tagesordnung
stellt der Kollege Steffen Bockhahn.
Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. - Ich
möchte die Bundesregierung zu Folgendem fragen: Wir
wissen seit Anfang dieses Jahres, dass 27 Mitglieder dieses Hohen Hauses durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in ihrer Arbeit besonders sorgfältig beobachtet werden. Es war zugesichert worden, dass
bereits vor einem halben Jahr eine neue Richtlinie zum
Verfahren vorgelegt werden sollte. Diese ist bisher nicht
vorgelegt worden. Es hätte letzte Woche die Möglichkeit
gegeben, sie dem zuständigen Gremium zur Kenntnis zu
geben, was wiederum nicht erfolgt ist.
Stattdessen habe ich dann am Wochenende und auch
am Anfang dieser Woche vom Bundesinnenminister Äußerungen zu diesem Thema wahrnehmen dürfen. Nun
frage ich mich: Handelt es sich um eine Einzelmeinung
des Ministers, was ich mir kaum vorstellen kann, oder
gibt es etwa doch eine abgestimmte Position der Bundesregierung, und, wenn ja, wann soll sie dem Bundestag
bzw. den zuständigen Gremien des Bundestages endlich
zur Kenntnis gegeben werden?
Wer antwortet für die Bundesregierung? - Bitte, Herr
Staatsminister.
Herr Kollege, ich kann den in Ihrer Frage enthaltenen
Sachverhalt jetzt so nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren, und bitte Sie, die Frage schriftlich beantworten zu dürfen.
({0})
Dann halten wir das so fest, dass die Antwort schriftlich nachgereicht wird.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und
mache darauf aufmerksam, dass wir diese um 27 Minuten verlängert haben. Diese Zeit wird mit der folgenden
Fragestunde verrechnet, sodass wir in dem für die Tagesordnung vorgesehenen Zeitplan bleiben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/11094 Die Geschäftsbereiche werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Ralph Lenkert auf:
Warum wird der Beschluss des Deutschen Bundestages
auf Bundestagsdrucksache 14/7840 zu Abschnitt IV achter
Absatz, „nationaler Entsorgungsplan“ der Bundesregierung,
nicht umgesetzt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Lenkert, nach Beschluss des Bundestages vom 14. Dezember 2001 soll in
jeder Legislaturperiode ein nationaler Entsorgungsplan
vorgelegt werden. Darin sollen der Sachstand, das weitere Vorgehen und ein Zeitplan für die Entsorgung und
Endlagerung radioaktiver Abfälle dargestellt werden.
Bislang wurde noch kein Entsorgungsplan vorgelegt.
Grund dafür war die ausstehende Klärung der Frage des
langfristigen Verbleibs der abgebrannten Brennelemente
und hochradioaktiven Abfälle.
Den aktuellen Sachstand zur Entsorgung hat die Bundesregierung bereits im Bericht zum „Gemeinsamen
Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der
Behandlung radioaktiver Abfälle“ dargestellt. Dieser Bericht wurde am 31. August 2011 dem Präsidenten des
Bundestages übersandt und ist auf den Internetseiten des
Bundesumweltministeriums veröffentlicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. - Ist es
nicht so, dass man, wenn man radioaktive Abfälle sicher
verwahren will, einige Punkte im Vorfeld klären muss,
die in einem Plan enthalten sein sollen? Ich nenne zum
Beispiel: Rückholbarkeit bzw. Nichtrückholbarkeit, die
Kriterien für Lagerstandorte, Klärung der Frage, ob wärmeentwickelnder radioaktiver Müll zusammen mit anderem Müll, zum Beispiel mit gasentwickelndem radioaktiven Müll, in einem Lager gelagert werden soll. Diese
Fragen zu beantworten, sollte doch zumindest seit 2001
für die aktuelle und die bisherigen Bundesregierungen
möglich sein; denn das ist die Grundlage für die Planung
des Baus eines Endlagers. Sie sollen immer den aktuellen Stand der Planung vorlegen. Deshalb meine Nachfrage: Wie weit sind Ihre Überlegungen in diesem Fall
gediehen?
Herr Kollege Lenkert, die Bundesregierung hat sich
längst dafür entschieden, schwach wärmeentwickelnde
und stark wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle getrennt zu lagern. Wie Sie wissen, befinden wir uns gerade gemeinsam mit den Bundesländern in einem Prozess, ein Verfahren zur ergebnisoffenen Erkundung zu
entwickeln und ein Endlagersuchgesetz auf den Weg zu
bringen, das sich an wissenschaftlichen Kriterien orientiert. Ich erhoffe mir von diesem Prozess nicht nur die
Klärung eines über Jahrzehnte umstrittenen Sachverhalts, sondern auch die Klärung einer wichtigen Frage
für unser Land.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage betrifft das parlamentarische
Verständnis. Es gibt einen gültigen Beschluss des Deutschen Bundestages. Dieser gültige Beschluss des Deutschen Bundestages muss nach meinem Verständnis von
der Bundesregierung umgesetzt werden. Sie selbst haben
gesagt, Sie hätten diesen Beschluss bisher nicht umgesetzt. Ich stelle jetzt hier die Frage: Wann will die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber dem Parlament und gegenüber der Bevölkerung nachkommen?
Herr Kollege Lenkert, ich weise noch einmal darauf
hin, dass der Beschluss aus dem Jahr 2001 stammt
({0})
und weder in der 15. noch in der 16. Legislaturperiode
ein Konzept vorgelegt wurde. Das resultiert daraus, dass
bislang kein abgestimmtes Konzept zur Entsorgung entwickelt werden konnte. Wir legen den Bericht dann vor,
wenn wir das neue Endlagersuchgesetz tatsächlich auf
den Weg bringen können; denn dann liegt tatsächlich ein
vernünftiges Konzept vor.
Wir sind allerdings von der Europäischen Union gehalten, bis 2015 der Europäischen Union zu berichten.
Wir werden diesen Termin selbstverständlich einhalten.
({1})
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Dorothée Menzner das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie
sprachen eben an, dass dieses offensichtlich sich in Arbeit befindende Endlagersuchgesetz auch zu einer Befriedung eines Konflikts beitragen soll, der den meisten
hier im Hause hinlänglich bekannt ist. Ich stelle in dem
Zusammenhang die Frage, was der Bundesregierung die
Sicherheit gibt, dass solch ein Gesetz, das nicht mit der
Bevölkerung, nicht mit Bürgerinnen und Bürgern und
nicht mit Sachverständigen diskutiert wird, zu einer Befriedung des Konfliktes führen wird, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die in Rede stehenden Verpflichtungen der Bundesregierung nicht abgearbeitet werden.
Frau Kollegin Menzner, das ganze Verfahren ist so
angelegt, dass wir ein neues, transparentes und partizipatives Suchverfahren für Endlager anstreben. Jeder einzelne Schritt wird mit dem Deutschen Bundestag und
dem Bundesrat abgestimmt. Es gibt also eine Einbeziehung des Parlamentes und des Bundesrates sowie - bei
jedem Schritt - der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und
transparente Kommunikation. Niemand kann am Ende
des Tages sicher sein. Sicher ist momentan nur, dass die
Opposition einen gemeinsamen Konsens verweigert.
Wir kommen dann zur Frage 2 des Kollegen Lenkert:
Wann ist in der 17. Legislaturperiode mit der Vorlage des
nationalen Entsorgungsplans zu rechnen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Lenkert, die Richtlinie 2011/70/EURATOM des Rates fordert, dass die Bundesregierung bis
zum 23. August 2015 ein nationales Entsorgungsprogramm vorlegt. Die Arbeiten hierzu haben begonnen
und können erst in der nächsten Legislaturperiode abgeschlossen werden.
({0})
Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich entnehme jetzt Ihrer Antwort, dass Sie Anforderungen der Europäischen Union
höher einstufen als Anforderungen des Deutschen Bundestages; denn Sie halten den Termin, den die Europäische Union setzt, für wichtiger als den Termin, den die
Mehrheit des Deutschen Bundestages gesetzt hat, und
zwar 2001. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie der
Meinung sind, dass es wichtiger ist, den Behörden in der
Europäischen Union zu folgen als den Abgeordneten des
Deutschen Bundestages.
Diese Unterstellung, Herr Lenkert, weise ich zurück.
({0})
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal feststellen: Seit über 40 Jahren wird in der Bundesrepublik
Deutschland Atomkraft zur Energiegewinnung genutzt.
Ich stelle jetzt anhand Ihrer Antworten fest: 40 Jahre
lang wurde diese Technik genutzt, und man hat sich
keine Gedanken darüber gemacht, wie eine Entsorgung
aussehen soll und aussehen könnte. Im Gegenteil: Man
produziert noch bis 2022 in diesen Anlagen atomaren
Müll und hat bis heute noch nicht einmal einen Plan oder
ein abgestimmtes Konzept, wie man damit umgehen
will. Aus meiner Sicht ist das verantwortungsloses Handeln. Ich frage Sie nochmals: Wann wollen Sie diesen
verantwortungslosen Zustand endlich definitiv beenden
und mit einer Energiegewinnung Schluss machen, die
ein solches Problem hervorruft? Wenn Sie dieses Ende
nicht herbeiführen könnten, müssten Sie eigentlich alle
Atomkraftwerke schließen, weil Sie keinen Entsorgungsnachweis haben.
Herr Kollege Lenkert, die Mehrheit des Deutschen
Bundestages und des Bundesrates hat ganz klar beschlossen, dass die Nutzung der Kernenergie in Deutschland mit dem Jahr 2022 beendet ist. Aber noch weit über
das Jahr 2022 hinaus wird uns die Problematik der Entsorgung von atomaren Abfällen beschäftigen.
({0})
Selbst wenn wir heute abschalten würden, müssten
wir dieses Problem lösen. Diese Bundesregierung ist die
erste, die ein Konzept und ein Gesetz vorgelegt hat, diskutiert mit allen Beteiligten, auch den Ländern, in denen
ja irgendwann einmal irgendwo ein Standort für die Lagerung von Atommüll sein muss. Diese Bundesregierung hat ein Verfahren angestrebt, das es so nicht gab,
um in einem ganz breiten Konsens eine große energiepolitische und am Ende auch gesellschaftliche Frage
nicht nur zu beantworten, sondern auch zu befrieden.
({1})
Ich hoffe sehr, dass die Tür zu einem gemeinsamen
Endlagersuchgesetz noch nicht zugeschlagen ist.
Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Dorothée
Menzner.
Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstehe,
nimmt diese Bundesregierung für sich in Anspruch, die
erste zu sein, die sich auf den Weg macht, sich Gedanken
über die dauerhafte Verwahrung des in 40 Jahren angefallenen Mülls zu machen. Sie sprachen eben von „irgendwann irgendwo ein Standort“. Verstehe ich es richtig,
dass Sie damit implizieren, dass der Entsorgungsnachweis für bereits bestehende Anlagen, die seit teilweise
40 Jahren Müll verursachen, nicht geführt werden kann?
Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass wir erleben
mussten, dass eine Anlage, die teilweise für die Genehmigung Grundlage war, nämlich die Asse, nach Meinung
aller Fraktionen, zumindest im Niedersächsischen Landtag, havariert ist. Sehe ich es also richtig, dass Genehmigungen wegen fehlendem Entsorgungsnachweis zurückgezogen werden müssten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Menzner, frühere Bundesregierungen
haben sich auch mit der Frage beschäftigt, mal mehr und
mal weniger intensiv und vor allem bislang ohne Erfolg;
denn es ist so, dass wir für hochradioaktive Abfälle bislang keinen Standort haben, wo wir ohne massive Proteste, Unterstellungen und hochpolitische Begleitung ein
Endlager überhaupt bauen und nutzen könnten. Dies hat
die Bundesregierung zum Anlass genommen, mit den
Beteiligten ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu
eruieren, welche Schritte denn überhaupt akzeptiert würden, um ergebnisoffen und transparent zu verfahren, am
Ende des Tages aber auch mit einer Lösung vor die Bürgerinnen und Bürger treten zu können.
Wir gehen hier von einer wirklich weißen Landkarte
aus. Wir wollen wissenschaftlich untersuchen. Wir haben dafür viele Vorschläge gemacht - bis hin zu Institutionen. Es ist jetzt auch an der Opposition und an den
Bundesländern, zu sagen, ob sie diesen Weg gemeinsam
gehen wollen. Ich hielte es für verantwortungsvoll, wenn
man nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch den Einstieg in eine sichere Entsorgung, wie
gesagt, des hochradioaktiven Abfalls endlich schaffen
würde; für „Konrad“ sind die Dinge ja so weit geklärt.
Zu einer weiteren Nachfrage hat nun die Kollegin
Vogt das Wort.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass mit dem
ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin und dem ehemaligen Umweltminister Sigmar Gabriel zwei Vertreter
der derzeitigen Oppositionsparteien zugesichert haben,
dass es weitere Gespräche gibt, und dass wir auf Arbeitsebene bereits mit diesen Gesprächen zum Endlagersuchgesetz begonnen haben, und sind Sie bereit, Ihre
Vorwürfe, die Opposition würde dieses Vorhaben blockieren, zurückzunehmen?
Ich bin nicht bereit, das zurückzunehmen, weil, nachdem es schon ein persönliches Gespräch des Bundesumweltministers mit den von Ihnen genannten Personen
gegeben hatte, auch die Arbeitsebene nicht weitergekommen ist; denn all das, was dann seitens der Regierung verändert wurde, wurde am Ende wieder infrage
gestellt. Es ist wirklich bedauerlich, dass es doch nicht
- zumindest kann man sich des Eindrucks nicht völlig
erwehren - um eine Lösung des Problems, sondern ums
Hinhalten geht.
({0})
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Kotting-Uhl das Wort.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, erstens zur
Kenntnis zu nehmen, dass sich bis zu der Initiative aus
Baden-Württemberg - abgesehen von Niedersachsen nie ein Bundesland, auch kein CDU-geführtes Bundesland, bereit erklärt hat, sein Land für eine Endlagersuche
zu öffnen, und dass von daher eine vergleichende Endlagersuche erstmals möglich wurde mit der Initiative aus
Baden-Württemberg, nachdem dort ein Regierungswechsel stattgefunden hatte und ein grüner Ministerpräsident diese Initiative starten konnte?
Sind Sie bereit, zweitens zur Kenntnis zu nehmen,
dass für einen Konsens eine abstimmungsfähige Vorlage
da sein muss, dass Umweltminister Altmaier es den
Sommer über versäumt hat, eine solche Vorlage vorzulegen, um mit einer abstimmungsfähigen Grundlage zu einem weiteren Gespräch einladen zu können, und diese
Sache so lange verzögert hat, bis sie in greifbarer Nähe
des niedersächsischen Landtagswahlkampfs war?
({0})
Wir alle wissen und auch ein ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer weiß ganz genau, wie schwierig
es in einer solchen Gemengelage ist, Fragen wie die in
einem Endlagersuchgesetz ergebnisoffen und sachlich
zu diskutieren.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich freue mich darüber,
dass der baden-württembergische Ministerpräsident
nicht nur einen deutlichen Schritt auf uns zugekommen
ist, sondern auch gesprächsbereit war. Umso bedauerlicher war es dann, dass offenbar andere handelnde Führungspersonen bei den Grünen den schon versprochenen
Konsens wieder gelöst haben. Deshalb dringe ich darauf,
dass es dazu kommt, dass man die Papiere, die vorliegen, die ausformuliert sind, bei denen immer wieder
auch im Sinne der Wünsche von SPD und Grünen nachgearbeitet wurde, zumindest abnickt; die Beschlussfassung findet ja dann im Deutschen Bundestag mit all seinen Verfahren und dann auch im Bundesrat mit all
seinen Verfahren statt. Aber das kann ich nicht erkennen,
weil - da wiederhole ich das, was ich der Frau Kollegin
Vogt gesagt habe - auch die letzte Runde leider ergebnislos verlief.
({0})
Der Kollege Bockhahn hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass diese neue
Debatte in einem breiten konsensualen und partizipativen Verfahren geführt werden soll. Das kann ich natürlich nur begrüßen. Die Kollegin Vogt hat dann auf den
auf Arbeitsebene bereits begonnenen Dialog hingewiesen, der durch die Bundesregierung nach meiner Kenntnis auch initiiert worden ist.
Nun frage ich mich ganz besorgt, ob meine Informationen stimmen, dass dieser partizipative breite Dialog
ohne die Linke geführt wird. Das frage ich mich nicht
nur, weil wir immer gerne mitspielen wollen und auch
etwas zu sagen haben und auch von 5 Millionen Menschen in diesem Land gewählt sind, sondern auch deswegen, weil eine Landesumweltministerin in der Bundesrepublik Deutschland von der Linken gestellt wird,
nämlich in Brandenburg, wie Sie wissen. Auch Brandenburg müsste doch diesem Verfahren zustimmen, damit es
tatsächlich das ist, was Sie vorhin beschrieben haben.
Wenn dem so ist, wie ich befürchte, würde ich mich
natürlich darum sorgen, warum das so ist. Dazu hätte ich
gerne eine Antwort von Ihnen.
Ich kann Ihren Anlass zur Sorge deshalb nicht verstehen, weil ich an den Gesprächen teilgenommen habe und
mehrfach Frau Kollegin Tack auch höchstpersönlich im
BMU begrüßt habe.
Dann hat der Kollege Kelber das Wort.
In der Fragestunde darf man sicherlich ausweichend
antworten, aber nicht falsch antworten.
({0})
Ist es nicht vielmehr so, dass es seit Ende Juni, als das
Treffen zwischen Bundesumweltminister Peter Altmaier
und der Opposition stattgefunden hatte, bei dem zugesagt wurde, alternative Formulierungen für vier umstrittene Punkte in der Endlagersuche zu finden, bis Anfang
Oktober weder neue Formulierungen noch Treffen gab?
Oder können Sie an dieser Stelle, an der Sie gerade gesagt haben, es sei auf der Arbeitsebene nicht weitergegangen, ein einziges Gespräch oder eine einzige E-Mail
oder ein einziges Telefonat konkret benennen?
Herr Kollege Kelber, wir haben sehr wohl eruiert, was
möglich ist. Wir haben permanent Gespräche geführt.
({0})
Herr Kollege Kelber, das Treffen, das dann stattgefunden hat - zunächst haben sich Herr Altmaier, Herr Trittin
und Herr Gabriel persönlich getroffen -, hat keine Lösung gebracht, ebenso das letzte Treffen nicht.
Die Zwischenzeit haben wir genutzt, um die Texte so
auszuformulieren, wie es gefordert war. Jetzt liegt etwas
auf dem Tisch, Herr Kollege Kelber. Jetzt ist es tatsächlich an Ihnen, entweder Ja zu sagen oder aber sich in den
Wahlkampf zurückzuziehen.
Die letzte Nachfrage zur Frage 2 des Kollegen
Lenkert stellt nun der Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben wieder ausweichend geantwortet. Ich will Sie fragen, ob Sie bestätigen
können, dass drei Monate lang keinerlei Gespräche stattgefunden haben, dass Sie am letzten Mittwoch von dieser Stelle aus auf meine Frage, wann denn mit etwas zu
rechnen sei, geantwortet haben, Sie könnten nicht bestätigen, dass es noch in diesem Jahr sei, und dass parallel
dazu das BMU eine Entwurfsfassung übersendet hat, bei
der zu 98 Prozent nichts verändert worden ist, also in
keiner Weise auf die Forderung der Opposition, die seit
langer Zeit bekannt war, eingegangen worden ist.
Herr Kollege Miersch, dann haben wir offensichtlich
eine unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse. Sie
haben in der letzten Woche gefordert, wir sollten endlich
etwas schicken. Das haben wir nicht nur gemacht; das ist
Ihnen sogar ausformuliert zugegangen.
Das Ergebnis war, dass auch die Ausformulierungen
und das, was auf expliziten Wunsch von Rot-Grün neu
hineingekommen ist, wieder nicht ausgereicht haben und
wieder infrage gestellt wurden. Knackpunkte sind zum
Beispiel das infrage kommende Institut und die Frage,
wer welche Verantwortung übernehmen soll. Ich kann
hier nicht erkennen, dass es ernsthaft einen Versuch der
Einigung gibt.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Wann genau ({0}) fanden laut den heute noch vorhandenen - insbesondere digitalen - Informationen im Kalendersystem, in den Wochenplänen etc. der Abteilung RS im
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, im Jahr 2010 Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwischen dem BMU-Abteilungsleiter RS
und den zuständigen Abteilungsleitern der Atomaufsichtsbehörden der damals noch fünf Bundesländer mit in Leistungsbetrieb befindlichen Atomkraftwerken zu Sicherheits-, Nachrüstfragen, Laufzeiten oder Ähnlichem statt, und welche
Kalenderdaten derartiger Telefonkonferenzen im Jahr 2010
lassen sich aufgrund anderer noch vorhandener digitaler Informationen in der Abteilung RS, wie beispielsweise Einladungsschreiben, E-Mail-Verkehr etc., eruieren?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, aus den in der Frage aufgelisteten noch vorhandenen Informationsquellen ergeben sich für das Jahr 2010 neben dem bereits genannten
Termin am 8. September 2010 keine weiteren Termine
von Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwischen dem Bund und den zu diesem Zeitpunkt fünf Bundesländern mit im Leistungsbetrieb befindlichen Kernkraftwerken zu den in der Frage genannten Themen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Dann frage ich: Gab es persönliche Gespräche statt
Telefonkonferenzen? Es wäre relativ ungewöhnlich,
wenn vor einer so wichtigen Entscheidung, wie sie damals im Herbst 2010 anstand, nämlich die Laufzeitverlängerung, keinerlei Gespräche stattgefunden hätten.
Das kann ich weder bestätigen noch dementieren. Ich
kann Ihnen auch die Teilnehmer an möglichen Gesprächen nicht sagen. Das müsste ich nachreichen. Es wird
gesprochen, wir führen aber keine Auflistungen jeglicher Treffen und Besprechungen. Das kann ich Ihnen
aber gerne nachreichen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Gibt es im BMU schriftliche Vermerke über solche
Gespräche oder über die besagte Telefonkonferenz, die
einzige, die stattgefunden hat?
Wir haben keine systematische Erfassung von Telefonkonferenzen.
Damit kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Sieht die Bundesregierung die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben, VSG, aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für Gorleben zuständigen Referatsleiters und
BMU-Abteilungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauftragnehmer Dr. Bruno Thomauske im ersten Halbjahr 2010
mit einem Glaubwürdigkeitsproblem behaftet ({0}), und hat das BMU vor dem Hintergrund der oben
genannten nicht dokumentierten Vorgespräche jemals die vergaberechtliche Korrektheit der Unterauftragsvergabe an
Dr. Bruno Thomauske geprüft ({1})?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich möchte in meiner
Antwort auf die Antwort der Bundesregierung auf Ihre
Kleine Anfrage vom 22. August 2011 auf Bundestagsdrucksache 17/6817 verweisen, insbesondere auf die
Antworten zu Ihren Fragen 9, 10 und 17. Wir meinen,
dass wir alles ausführlichst beantwortet und nichts hinzuzufügen haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich finde es nicht befriedigend, wenn Sie meinen, Sie
hätten nichts hinzuzufügen. In dieser Frage haben Sie
mir damals den Teil, ob die Bundesregierung die VSG
aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für
Gorleben zuständigen Referatsleiters und BMU-Abteilungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauftragsnehmer, Dr. Bruno Thomauske, mit einem Glaubwürdigkeitsproblem behaftet sieht, nicht beantwortet. Deswegen
erlaube ich mir, Ihnen diese Frage heute noch einmal zu
stellen. Ich wollte sicherstellen, dass ich persönlich anwesend sein kann; denn bei einer mündlich gegebenen
Antwort kann man - und diese Gelegenheit nehme ich
jetzt wahr - noch einmal nachfragen, was mir schriftlich
nicht möglich war.
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich verstehe den Kern Ihrer Frage nicht. Fragen Sie nach der Glaubwürdigkeit
von Herrn Thomauske?
Nein.
Sie haben die Möglichkeit, das der Frau Staatssekretärin zu erklären.
Ich möchte das ganz gerne präzisiert haben.
Die Sache ist relativ einfach. Im Februar, März 2010
gab es informelle, nicht dokumentierte Gespräche - das
habe ich von der Bundesregierung bestätigt bekommen zwischen Abteilungsleiter Hennenhöfer, aber auch anderen
Mitarbeitern der Abteilung RS, und Herrn Thomauske.
Damals war von der vorläufigen Sicherheitsanalyse für
Gorleben offiziell noch nichts bekannt. Sie war sozusagen im Entstehen. Dann wurde am 22. Juni 2010, also
drei Monate später, die Firma von Herrn Thomauske gegründet. Am 1. Juli 2010 erhält Herr Thomauske den
Unterauftrag, ungefähr die Hälfte der Aufträge für die
VSG zu übernehmen. Der Eindruck drängt sich auf, dass
in diesen informellen Gesprächen die Vorlagen für die
VSG, die Überlegungen, überhaupt erst geboren wurden
bzw. daran gearbeitet wurde und sozusagen Herr
Thomauske seinen eigenen Auftrag schon einmal vorbereitet hat. Dieser Eindruck drängt sich auf. Deshalb frage
ich nach der Glaubwürdigkeit.
Zwei Dinge dazu. Zum einen dienen informelle Gespräche auch der Meinungsbildung in einem Ministerium. Daran ist tatsächlich nichts Außergewöhnliches.
Zum anderen hätte sich die vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben dann überholt, wenn wir zu einem Endlagersuchgesetz kämen ({0})
- doch, das ist es schon -,
({1})
weil wir dann ergebnisoffen erkunden wollen. Noch einmal: Zu informellen Gesprächen können wir keine Auskunft geben und geben wir keine Auskunft.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?
Dann frage ich anders: Können Sie denn ausschließen, dass Herr Thomauske die VSG zusammen mit den
BMU-Beamten konzipiert hat und anschließend dem
BMU über die GRS, die beteiligt ist, zu verstehen gegeben hat, dass er einen Unterauftrag an der VSG erhalten
soll?
Frau Kollegin, an der Erarbeitung dieser Analyse waren insgesamt 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die GRS und viele Projektpartner beteiligt.
Ihre Vermutung kann ich so nicht bestätigen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Ute
Vogt das Wort.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass Herr
Bruno Thomauske in sach- und fachkundigen Kreisen
im Bereich der Atomwirtschaft und -forschung den Beinamen „Pannen-Bruno“ trägt? Halten Sie es vor diesem
Hintergrund tatsächlich für verantwortbar, ihn mit der
vorläufigen Sicherheitsanalyse zu betrauen?
Frau Kollegin Vogt, ich kann nur schwer nachvollziehen, was Sie hier vortragen. Herr Thomauske war immerhin von 1983 bis 2003 im Bundesamt für Strahlenschutz
in Salzgitter beschäftigt. Ich halte Herrn Thomauske für
einen anerkannten Experten. Die von Ihnen vorgebrachten Bezeichnungen finde ich in der Tat beleidigend.
Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, mich würde in diesem Zusammenhang Folgendes interessieren: Hat es denn eine
BMU-interne Überprüfung zur Vergabe der VSG-Verträge gegeben und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Ich kann Ihnen hier nur allgemein mitteilen, dass wir
uns an die Vergaberichtlinien halten und dass mir nichts
Gegenteiliges bekannt ist.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Gerd Bollmann auf:
Wie will die Bundesregierung auf die in der „Bekanntmachung der Erhebung der Bundesregierung bezüglich des Anteils der in Mehrweggetränkeverpackungen sowie ökologisch
vorteilhaften Einweggetränkeverpackungen abgefüllten Getränke in den Jahren 2004 bis 2010 gemäß § 1 Abs. 2 der Ver24186
Vizepräsidentin Petra Pau
packungsverordnung“ ({0}) veröffentlichte Erhebung,
nach der die Mehrwegquote für Getränkeverpackungen erneut
gesunken ist, reagieren?
Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung hat sich
zum Ziel gesetzt, die Transparenz für Verbraucherinnen
und Verbraucher zu erhöhen und so die ökologische
Konsumentenverantwortung zu stärken. Insbesondere
muss die Unterscheidbarkeit von bepfandeten Ein- und
Mehrweggetränkeverpackungen verbessert werden. Damit soll es den Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtert werden, eine bewusste Kaufentscheidung zu
treffen, die ihre ökologischen Ansprüche zum Ausdruck
bringt.
Nachdem sich der vom damaligen Bundesumweltminister Gabriel verfolgte Ansatz einer Kennzeichnung der
Getränkeverpackung selbst mit den Begriffen „Einweg“
und „Mehrweg“ als europarechtlich problematisch erwiesen hat, prüft die Bundesregierung derzeit Möglichkeiten einer Regelung, die Hinweispflichten am Ort der
tatsächlichen Abgabe vorsieht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, dies wird jetzt aber schon seit
drei Jahren geprüft. Es gibt eigentlich niemanden, der
gegen diese Kennzeichnungspflicht wäre. Warum
kommt man also hier überhaupt nicht weiter? Sieht die
Bundesregierung über die Kennzeichnungspflicht hinaus
weitere Möglichkeiten, den Mehrweganteil zu stabilisieren?
Herr Kollege Bollmann, dem ist nicht ganz so. In der
Tat hatte Bundesumweltminister Gabriel seinerzeit noch
im Wahlkampf angekündigt, für eine solche Regelung
einzutreten. Die von ihm vorgeschlagene Regelung ist
dann aber in einem langwierigen Verfahren von der
Kommission zurückgewiesen worden. Wir haben dann
wiederum ausgelotet, was von der Kommission im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs und auf die Warenverkehrsfreiheit überhaupt als zulässig angesehen
wird. Daraufhin haben wir einen modifizierten Vorschlag entwickelt, um den Mehrweganteil zu steigern.
Jetzt sind wir im Gespräch mit den beteiligten Kreisen, zum Beispiel dem Handel, aber auch den Umweltverbänden, um eine solche Kennzeichnung am Point of
Sale, also am Abgabepunkt, zu eruieren. Ich halte es für
richtig, alle beteiligten Kreise zu informieren und für
eine solche Lösung zu gewinnen. Hier wäre wiederum
nicht der Hersteller eines Getränks derjenige, der die
letzte Verantwortung trägt, sondern der Handel. Daher
muss man mit dem Handel darüber sprechen, welche
Möglichkeiten es hier gibt. Den Gesprächen habe ich allerdings auch entnommen, dass die Umweltverbände mit
einer solchen möglichen Lösung ebenfalls sehr gut leben
könnten.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Die Frage ging noch weiter: Sehen Sie über die Kennzeichnungspflicht hinaus weitere Möglichkeiten, den
Mehrweganteil zu stabilisieren? Denn dies wäre dringend notwendig.
Ja, da haben Sie recht, Herr Kollege Bollmann. Wir
sind bei Bier und Biermischgetränken nun zwar bei einer
Mehrwegquote von 88 Prozent, nachdem sie zuvor auf
68 Prozent gefallen war. Aber insbesondere bei den Erfrischungsgetränken geht der Mehrweganteil zurück. Ich
habe den Gesprächen - übrigens auch mit den Verbraucherschutzorganisationen - entnommen, dass sich die
Verbraucherinnen und Verbraucher, auch wenn sie sich
das Etikett auf der Flasche genau ansehen, nicht sicher
sind, was sie tatsächlich in der Hand haben bzw. kaufen:
Einweg oder Mehrweg. Deshalb glauben wir: Man sollte
direkt am Verkaufsort darauf hinweisen und damit dem
Kunden die Möglichkeit geben, sich für eine Verpackungsart zu entscheiden. Zu welchem Produkt der
Kunde am Ende greift, können wir nicht beeinflussen.
Aber er soll zumindest wissen, welches Produkt er in der
Hand hält.
Ob man darüber hinaus weitere Dinge machen kann,
bleibt abzuwarten. Wir würden gern versuchen, erst einmal diesen Schritt zur Verbesserung der Transparenz, der
noch von Bundesumweltminister Gabriel angekündigt
war, umzusetzen. Dann können wir die Wirksamkeit dieser Maßnahme überprüfen.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie gerade erläutert
haben, welches Verfahren Sie in den letzten drei Jahren
geprüft haben und dass Sie nun in Gespräche eingetreten
sind, frage ich Sie: Haben Sie einen Zeitplan, der festlegt, bis wann Sie eine Regelung verabschieden und in
Kraft setzen wollen?
Wir würden gerne bis zum Ende des Jahres zu einem
Abschluss kommen und sind deshalb mit den Ländern in
Gesprächen, inwieweit sie einer solchen Regelung zustimmen könnten.
Eine weitere Nachfrage stellt nun die Kollegin Wolff.
Frau Staatssekretärin, es stimmt mich ein wenig skeptisch, dass Sie vorhin dem Kollegen Bollmann gesagt
haben, Sie seien dabei, zu prüfen, ob an der letzten Abgabestelle, sprich: Handel, die Kennzeichnung von
Mehrwegverpackungen erfolgen soll. Wenn der Handel
dafür verantwortlich ist, dann werden Mehrkosten auf
den Handel zukommen, und ich befürchte, dass die Kosten dann wieder auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abgewälzt werden.
({0})
Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Wolff, jetzt amüsiert mich Ihre Sorge
doch ein wenig. Ja, am Ende des Tages muss jemand etwas tun, wenn die Mehrwegquote erhöht werden soll. Da
der Weg der Kennzeichnung auf der Flasche bzw. Verpackung EU-rechtlich nicht zulässig ist - das wurde im Verfahren und in Schriftwechseln dokumentiert -, braucht es
sozusagen einen anderen Ort des Geschehens. Das ist am
Ende der Ort, wo der Verbraucher das Produkt erwirbt.
Wir wollen die Belastungen für den Handel schon so
gering wie möglich halten. Deswegen sprechen wir auch
mit dem Handel. Es kann aber nicht sein, dass die Hinweise so gestaltet werden, dass letztlich niemand wahrnimmt, ob er nun zu Einweg oder Mehrweg greift. Es
muss am Ende einen klugen Kompromiss geben; aber
hier scheint eine Bereitschaft zu bestehen, das Problem
gemeinsam anzugehen.
Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Wie soll eine mögliche Verordnung über Hinweispflichten
des Handels aussehen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Bollmann, Ziel einer möglichen Verordnung sollte sein, die Verbraucherinnen und Verbraucher
am Ort ihrer Kaufentscheidung klar und eindeutig zu informieren, ohne den Handel mehr als unbedingt nötig zu
belasten; das habe ich gerade schon in der Antwort auf
die Frage von Frau Wolff gesagt.
Ihre erste Nachfrage.
Meine Frage dazu: Wie soll eine mögliche Verordnung über Hinweispflichten aussehen? Wie will man
ihre Durchsetzung handhaben? Will man also den Handel praktisch zwingen, Mehrweg- und Einweggetränkeverpackungen getrennt aufzustellen? Und wenn so etwas
geplant ist: Wann sollte eine solche Verordnung verabschiedet werden?
Die genaue Ausgestaltung, Herr Kollege, besprechen
wir gerade mit dem Handel. Aber unser Ziel ist es, die
Kennzeichnung „Einweg“ und „Mehrweg“ unübersehbar nahe bei den entsprechenden Produkten anzubringen. Ob dies im Supermarkt durch eine Kennzeichnung
am Regal oder durch eine getrennte Aufstellung geschieht, das wird sich zeigen.
Für uns ist wichtig: Die Kennzeichnung muss deutlich und unmissverständlich sein, und am Ende muss die
Verordnung auch durchgesetzt werden. Sprich: Man
wird am Ende des Tages auch darüber sprechen müssen,
wie man reagiert, wenn nichts geschieht. Es ist nämlich
mehr als eine freundliche Empfehlung.
Ihre zweite Nachfrage? - Sie verzichten.
Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Ott werden schriftlich beantwortet, wie auch die Frage 9 der Kollegin
Bärbel Höhn.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Frank Schwabe
auf:
Wie hoch sind die Mitnahmeeffekte, Windfall Profits, der
Energieversorgungsunternehmen seit dem Beginn des Emissionshandels in Deutschland, und um welchen Betrag könnte
der Preis pro Kilowattstunde Strom in den vergangenen Jahren und aktuell im Jahr 2012 niedriger sein, falls diese kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate nicht dem Stromkunden in
Rechnung gestellt worden wären?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Schwabe, die Bundesregierung führt
selbst keine Berechnung von Mitnahmeeffekten oder
theoretisch möglichen Strompreisen durch. Eine solche
Berechnung würde eine umfassende Kenntnis aller jeweils preissetzenden Grenzkraftwerke sowie aller sonstigen den aktuellen Strompreis bildenden Faktoren voraussetzen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wäre es nicht notwendig, sich
in eine solche Richtung zu bewegen und in diesem Bereich bessere Kenntnisse zu erlangen? Denn wir führen
ja eine Debatte darüber, welche Belastung es für die
Menschen in diesem Lande aufgrund der steigenden
Energiepreise gibt, und wir denken darüber nach, wie
man für eine Entlastung sorgen kann. Der Herr Umweltminister hat RWE durchaus gelobt und andere Unternehmen aufgefordert, die Erhöhung der EEG-Umlage und
andere Erhöhungen nicht weiterzugeben. Wäre es da
nicht sinnvoll, zu wissen, was es in den letzten Jahren an
Zusatzgewinnen durch den Emissionshandel gegeben
hat, um die Argumentationskraft des Ministers zu stärken?
Herr Kollege Schwabe, es gibt durchaus Institute, die
mit Zahlen operieren und Schätzungen abgeben. Ich
sage noch einmal: Die Bundesregierung führt keine Berechnungen dieser Art durch. Dass es Mitnahmeeffekte
gegeben hat, haben wir übrigens auch schon damals gemeinsam in der Großen Koalition festgestellt. Ich kann
Ihnen, wie gesagt, keine konkreten Zahlen nennen; sie
würden im Schätzbereich liegen. Das können Institute
machen; die Bundesregierung will dies aber nicht tun.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ganz zweifellos hat es diese Mitnahmeeffekte schon vorher gegeben. Sie haben Institute
angesprochen, die entsprechende Untersuchungen vorgenommen haben. Mir liegen zum Beispiel Zahlen vor, die
zeigen, dass es für die Jahre 2005 bis 2012 Mitnahmeeffekte in Höhe von 35 Milliarden Euro gegeben hat. Hätte
man diesen Betrag als Entlastung an die Stromkunden
weitergereicht, hätte der Strompreis in dieser Zeit um
1 Cent pro Kilowattstunde niedriger gelegen. Auch für
dieses Jahr gibt es einen Mitnahmeeffekt in Höhe von
etwa 2,9 Milliarden Euro, was ungefähr 0,6 Cent ausmacht. Sieht die Bundesregierung diese Zahlen als plausibel an? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um
diese Zahlen einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen
und damit den Druck auf Energieversorger zu erhöhen,
Mitnahmeeffekte auch an die Stromkunden weiterzugeben? Das würde die Strompreise entsprechend erträglicher gestalten.
Die Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2011 ist der
Bundesregierung bekannt. Das Öko-Institut hatte die
vier großen Energieversorger plus Evonik untersucht.
Man ist auf diese Größenordnung gekommen. Allerdings ging es dort nicht - so habe ich es verstanden - um
die Zusatzerträge aufgrund der kostenlosen Zuteilung
der Zertifikate, sondern um den Vergleich mit einer Situation ohne Emissionshandel. Da wir aber den Emissionshandel haben, handelt es sich hierbei nur um eine
theoretische Diskussion. Sie haben aber völlig recht:
Windfall Profits - in welcher Höhe auch immer; aber
vermutlich mehr, als uns allen lieb ist - sind generiert
worden, was zu einer Erhöhung des Strompreises geführt hat. Insofern ist Ihre Analyse vollkommen richtig.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Miersch das
Wort.
Frau Staatssekretärin, wir sind uns doch einig, dass
die Windfall Profits zu unnötigen Erhöhungen der
Energiepreise für Verbraucher und Unternehmen in unserem Land geführt haben. Ist es angesichts dieser Tatsache nicht Aufgabe des Bundesumweltministeriums,
schleunigst und spätestens in diesen Wochen an einer
Gegenstrategie zu arbeiten und Vorschläge zu unterbreiten, damit solche ungerechtfertigten Gewinne nicht mehr
gemacht werden?
Die Gegenstrategien sind eingeleitet. Gegenstrategie
Nummer eins ist, dass es keine kostenlose Zuteilung
mehr für die Erzeuger geben wird. Gegenstrategie
Nummer zwei ist, aus dem Emissionshandel überhaupt
wieder einen Handel zu machen, also der Tonne CO2
wieder einen Preis zu geben, der marktrelevant ist. Auch
daran wird gearbeitet.
({0})
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kelber.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten völlig zu Recht berichtet, dass Sie in Ihrer früheren Funktion als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gemeinsam
mit mir beklagt hatten, Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Das waren noch Zeiten, Herr Kollege.
- dass die Energiekonzerne die kostenlos zugeteilten
Zertifikate ihren Kundinnen und Kunden trotzdem in
Rechnung gestellt haben. Gedenkt die Bundesregierung
denn beim Übergang in den Emissionshandel ab 2013
- ab dann müssen die Zertifikate von den Energiekonzernen bezahlt werden - in irgendeiner Form, zum Beispiel durch die Beauftragung des Bundeskartellamtes,
eine Überprüfung durchzuführen und dafür zu sorgen,
dass den Kundinnen und Kunden diese Kosten nicht ein
zweites Mal in Rechnung gestellt werden, was durchaus
zu befürchten ist, mit der Begründung, man müsse diese
Zertifikate ja jetzt bezahlen?
Herr Kollege Kelber, Sie wissen so gut wie ich, dass
eine direkte Einflussnahme nicht möglich ist. Was aber
möglich ist, ist eine offensive Kommunikation in Bezug
auf dieses Phänomen. Da die Zertifikate beim ersten Mal
kostenlos zugeteilt und die Verbraucher trotzdem belastet wurden, können die beim zweiten Mal anfallenden
Kosten nicht eingepreist werden. Unsere Anstrengung
richtet sich vor allem darauf, die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger in erträglichem Rahmen zu halten.
Nicht umsonst hat Bundesumweltminister Altmaier eine
Stromsparinitiative gestartet, die eine erste kleine Antwort darauf sein soll.
({0})
- Mir ist nicht bekannt, dass eine derartige Prüfung geplant ist.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Frank Schwabe
auf:
Wie bewertet der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, die Umsetzung
seines am 16. August 2012 vorgelegten 10-Punkte-Plans bis
zum heutigen Tag?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Schwabe, Bundesumweltminister Peter
Altmaier hat am 16. August 2012 unter dem Titel „Mit
neuer Energie - 10-Punkte-Programm für eine Energieund Umweltpolitik mit Ambition und Augenmaß“ sein
Arbeitsprogramm vorgelegt. Er benennt, unterteilt in
zehn Schwerpunkte aus dem gesamten Spektrum der
Ressortzuständigkeit, die aus Sicht des Ministers
vordringlichen Aufgaben und Projekte bis zum Ende der
Wahlperiode. Das Bundesumweltministerium und die
anderen beteiligten Ressorts arbeiten intensiv an der
Umsetzung des Programms, die schon nach zwei Monaten auf einem guten Weg ist. Die folgenden Beispiele
mögen dies belegen.
So hat das Bundesumweltministerium seine personelle Kompetenz mit Blick auf die Energiewende verstärkt. Erstmals wurden sämtliche Fragen, die in diesem
Zusammenhang relevant sind, in einer eigenen Unterabteilung zusammengefasst. Darüber hinaus macht
Bundesminister Altmaier die Themen Bürgerbeteiligung
und Transparenz zu einem Schwerpunkt der politischen
Arbeit. Er hat daher im Bundesumweltministerium eine
eigene Unterabteilung „Gesellschaftspolitische Grundsatzfragen, Bürgerbeteiligung“ eingerichtet, die sich
intensiv mit allen damit zusammenhängenden Fragen
beschäftigt.
Dem Bundesumweltminister geht es weiterhin um
eine stärkere Koordinierung der Energiewende, um die
damit verbundenen Maßnahmen und beteiligten Akteure. Die laufenden Aktivitäten sollen besser aufeinander abgestimmt werden, um so gezielt, schrittweise und
anhand von klaren Prioritäten den Umstieg der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien zu gestalten
und dabei eine sichere und bezahlbare Stromversorgung
zu gewährleisten. Diesem Ziel dient auch sein Verfahrensvorschlag zur Neuregelung des EEG, den der Minister am 11. Oktober vorgelegt hat.
Ende August 2012 haben sich das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam auf eine Haftungsregelung bei der Anbindung
von Offshorewindparks und die Einführung eines verbindlichen Offshorenetzplans verständigt. Die Bundesregierung hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen und in das parlamentarische Verfahren
eingebracht.
Bundesumweltminister Altmaier hat außerdem die
Stromsparinitiative „Klimaschutz - Energieeffizienz
zahlt sich aus“ gestartet, um die Energieeffizienz zu
fördern. Am 9. Oktober 2012 trafen sich auf seine Einladung hin im Rahmen dieser Initiative alle relevanten
Akteure zu einem Runden Tisch.
Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium,
dem DIHK und dem ZDH wurde am 1. Oktober 2012
die „Mittelstandsinitiative Energiewende“ der Öffentlichkeit vorgestellt und auf den Weg gebracht.
Minister Altmaier bemüht sich zudem intensiv um
eine fraktions- und länderübergreifende Lösung hinsichtlich der Auswahl eines Endlagerstandortes für
wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle; das haben wir
gerade ausführlich behandelt. Hierzu hat er am 17. Oktober seinen Vorschlag für ein Standortauswahlgesetz an
alle Beteiligten versandt.
Das ist ein Ausschnitt der bisherigen Bilanz des 10Punkte-Programms. Es tut mir leid, dass die Antwort
länger gedauert hat.
Dann kommen wir zur ersten Nachfrage.
Ich weiß nicht, ob auch ich jetzt mehr Zeit habe, um
die Dinge aufzuführen, die alle nicht umgesetzt worden
sind.
({0})
Das müssen Sie die Frau Präsidentin fragen.
Frau Staatssekretärin, das, was Sie benannt haben, betrifft in erster Linie Umstrukturierungsmaßnahmen,
Treffen, die stattgefunden haben, und Öffentlichkeitskampagnen. Das ist ja alles ganz interessant, aber: Herr
Altmaier hat im August einen 10-Punkte-Plan vorgelegt,
den er mit dem Titel „Mit neuer Energie“ überschrieben
hat. Einige dieser zehn Punkte sind sehr allgemein über24190
schrieben, zum Beispiel mit „Perspektive 2030“. Es ging
wohl darum, ein Stück weit Tatkraft zu suggerieren.
Mein Eindruck ist allerdings, dass die Dinge, die dort
konkret benannt worden sind - vielleicht war es sehr
mutig von ihm, Daten zu nennen -, nicht umgesetzt worden sind. Ich nenne als Beispiel den zweiten Punkt
„Neuer Schwung für Klimaschutz“. Dort steht: „Ziel ist
eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung bis Ende
September“ zu der Reform des Emissionshandels in der
Europäischen Union. - Die abgestimmte Haltung kann
ich nicht sehen.
Den dritten Punkt „Nukleare Entsorgung im Konsens
regeln“ haben Sie schon angesprochen. Dort heißt es:
Vorlage eines Endlagersuchgesetzes bis Ende September und Verabschiedung bis Ende dieses Jahres.
Ich sehe nicht, wie es dazu kommen soll.
Zum Thema Wertstofftonne steht dort:
Im September werde ich eingehende Gespräche mit
allen Beteiligten führen,
- die mag es gegeben haben auf deren Grundlage dann im 2. Halbjahr 2012 ein
Gesetzentwurf vorgelegt werden soll, dessen Verabschiedung bis Ostern 2013 möglich erscheint.
Zu Letzterem: Wird es einen solchen Gesetzentwurf zur
Wertstofftonne geben?
Auch an diesem Gesetzentwurf arbeiten wir weiterhin, Herr Kollege Schwabe. Wir brauchen dazu nicht nur
den Deutschen Bundestag, sondern auch den Bundesrat.
Das 10-Punkte-Papier war nicht so angelegt, dass man in
vier Wochen alles erledigen wollte. Der Minister, das
Umweltministerium, aber auch die Bundesregierung
werden weiter daran arbeiten, alle Punkte möglichst bis
zum Ende der Legislaturperiode abzuschließen.
Ich bitte darum, das optische Signal nicht nur wahrzunehmen, sondern auch darauf zu reagieren. - Sie haben
das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, das ist ja alles interessant. Mir
ist schon klar, dass man das nicht alles in vier Wochen
machen kann. Wenn man aber Daten benennt und sich
damit öffentlich produziert, dann muss man sich am
Ende auch an diesen Daten messen lassen. Ich kann nur
feststellen - ich sage das noch einmal -: Die konkreten
Festlegungen - davon gab es in diesem 10-PunkteProgramm nur wenige - wurden nicht umgesetzt.
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Im siebten Punkt geht es um das Fracking. Diesbezüglich steht
in dem 10-Punkte-Programm: Das BMU, das Bundesumweltministerium, strebt an, „Fracking in Trinkwasserschutzgebieten zu verbieten“ und „eine größtmögliche
Beteiligung und Prüfung der Umweltverträglichkeit vorzuschreiben“. Ich habe Sie schon in der letzten Woche
danach gefragt - ich weiß nicht, ob es heute eine andere
Antwort gibt -: Gibt es eine Vorlage für einen solchen
Gesetzentwurf, und wann? Wird es überhaupt eine Vorlage noch bis zum Ende der Legislaturperiode geben?
Der Bundesumweltminister hat klargemacht, dass
ihm der Trinkwasserschutz und die Beteiligung der
Öffentlichkeit bei Fracking-Projekten wichtig sind. Ich
habe Ihnen schon in der letzten Woche gesagt, dass, da
jetzt die beiden Gutachten vorliegen, am 3. Dezember
2012 ein großer Workshop mit internationaler Beteiligung stattfinden wird, auf dem Experten zusammenkommen werden, um uns den nötigen Input zu geben.
Der Minister hat auch noch einmal klargemacht, dass
er zusammen mit dem Wirtschaftsministerium an einer
Lösung arbeitet. Der Teil Trinkwasserschutz/Wasserhaushaltsgesetz liegt nur im Bundesumweltministerium.
Wir sind diesbezüglich in Gesprächen mit den Koalitionsfraktionen, um eine Lösung zu finden.
Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn ich mir die umfassende
Aufzählung der Initiativen, Ideen und Konzepte von
Herrn Altmaier anschaue, die Sie jetzt gerade sehr plastisch wiedergegeben haben, habe ich fast den Eindruck,
dass Herr Altmaier plant, Ilse Aigner als Ankündigungsminister dieser Bundesregierung abzulösen. Denn umgesetzt ist in der Tat sehr wenig. Zum Fracking - Kollege
Schwabe hat es angesprochen - macht man jetzt einen
Kongress. Seit zwei Jahren hören wir, dass an dem
Thema gearbeitet wird. Ich erwarte nicht mehr, dass in
dieser Legislaturperiode noch etwas dazu vorgelegt
wird.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen
- auch dies hat Herr Altmaier angekündigt -: Herr
Altmaier möchte die Bürgerinnen und Bürger finanziell
am Netzausbau beteiligen. Auch diese Initiative wurde
groß angekündigt. Sein Kabinettskollege Herr Rösler,
der fachlich dafür zuständig ist, hat gesagt, dass er eine
Bürgerbeteiligung am Netzausbau nicht für erforderlich
hält. Deshalb meine Frage: Wann können wir mit einem
Konzept von Herrn Altmaier rechnen, das aufzeigt, wie
die Bürgerinnen und Bürger am Netzausbau beteiligt
werden?
Herr Kollege Krischer, ich möchte zuallererst Ihrem
Eindruck entgegentreten, von diesen zehn Punkten sei
nichts umgesetzt. Ich habe versucht, Ihnen einige der
Punkte näherzubringen. Insbesondere die „Mittelstandsinitiative Energiewende“ ist, wie ich finde, ein großer
Erfolg. Dabei geht es uns darum, vor allem zusammen
mit dem Mittelstand die Energiewende voranzutreiben.
Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am
Netzausbau ist, wie ich finde, eine Idee, die es wert ist,
weiterverfolgt zu werden. Denn wir merken ja, dass der
Netzausbau nicht nur aufgrund langer Genehmigungsverfahren, sondern vor allem aufgrund des Widerstandes
der Bürgerinnen und Bürger stockt und nicht in dem notwendigen Maße voranschreitet. Eine grundsätzliche
Überlegung, auf welche Art und Weise und mit welchen
Instrumenten die Bürgerinnen und Bürger beteiligt
werden könnten, finde ich richtig. Aber auch hier ist es
so, dass ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der der vertieften Bearbeitung bedarf. Das kann und macht das
Bundesumweltministerium nicht allein, das muss am
Ende des Tages innerhalb der Regierung geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin
Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Ihren Ausführungen ist ja zu entnehmen, dass bislang nichts Konkretes vorliegt. Wenn Sie sagen, dass Sie
glauben, dass das eine Idee sein könnte, die man weiterverfolgen könnte, dann ist die Häufigkeit des Konjunktivs in Ihrer Antwort nicht mehr zu überbieten. Deshalb
lautet meine Frage, die ich in Anknüpfung an die vorherigen Fragen der Kollegen stelle: Wann genau möchte
Herr Altmaier zu diesem Thema etwas Konkretes vorlegen, oder beschränkt sich die weitere Arbeit darauf, einen Plan anzukündigen, dann aber innerhalb der Bundesregierung einen Streit zwischen dem Wirtschafts- und
Umweltministerium darüber zu führen, wie man in der
Frage vorankommt?
Frau Kollegin Haßelmann, ich finde es wichtig, dass
auch Bundesminister eine politische Debatte mit Ideen
und Vorschlägen begleiten, um möglicherweise festgefahrene Situationen zu überwinden und überhaupt erst
einmal ein Angebot zu machen, über das man diskutieren kann. Bislang verläuft der Netzausbau in Deutschland langsam; es ist ein anstrengender Prozess. Auch
Gesetze, die zu einer Beschleunigung hätten führen
sollen, hatten nicht den gewünschten Effekt; dies war
übrigens schon zu Zeiten der Großen Koalition so. Man
muss also konstatieren, dass wir die Beschleunigung bisher nicht in ausreichendem Maße erreicht haben.
Ich finde es sehr richtig, dass sich Politiker, Parlamentarier und demzufolge auch Bundesminister mit
Ideen zu Wort melden, die eine gesellschaftliche und
politische Debatte anstoßen und vielleicht zu Lösungen
führen, um den Netzausbau zu beschleunigen.
Gleichzeitig machen wir das, was der Gesetzgeber zu
tun hat. Der Offshorenetzplan ist eine sehr konkrete
Maßnahme, die wir mit Blick auf den Netzausbau auf
den Weg gebracht haben. Der Netzentwicklungsplan ist
jetzt in Bearbeitung. Das sind sehr konkrete Schritte.
Darüber hinaus müssen wir uns aber über zusätzliche
Maßnahmen Gedanken machen, um den Netzausbau am
Ende des Tages zu beschleunigen.
Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen
Dr. Matthias Miersch:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Umgestaltung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, weg von festen Einspeisevergütungen hin zu einem Quotenmodell, wie es im
Verfahrensvorschlag des Bundesministers Peter Altmaier zur
Neuregelung des EEG als Prüfauftrag formuliert wurde, im
Hinblick auf die weiteren Prinzipien einer Reform des EEG,
insbesondere Technologieoffenheit und Planungssicherheit?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Miersch, ein wesentliches Prinzip für
eine Reform des EEG ist die intensivere Integration der
erneuerbaren Energien in den Strommarkt und die stärkere Nutzung wettbewerblicher Prozesse. Vor diesem
Hintergrund hat Bundesminister Peter Altmaier in seinem Verfahrensvorschlag zur Neuregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes neben der Ausweitung der
Marktprämie und der Prüfung weiterer Maßnahmen zur
Marktintegration auch eine Prüfung möglicher Reformmodelle in Aussicht gestellt. Dies schließt die Prüfung
der Eignung zum Beispiel von Ausschreibungs- und
Quotenmodellen mit ein.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, meine Frage schließt sich ein
bisschen an alle Baustellen an, die wir vorher erörtert haben und bei denen auch nichts passierte. Jetzt gibt es
Vorschläge des Bundesumweltministers. Es gibt Rufe
aus der Regierungskoalition, das EEG gänzlich infrage
zu stellen. Wann beabsichtigen Sie denn, innerhalb der
Bundesregierung zu einem Ergebnis zu kommen, wie
nun mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter verfahren werden soll?
Herr Kollege Miersch, wir haben allein in dieser Legislaturperiode drei Novellen des Erneuerbare-EnergienGesetzes vorgelegt.
Ich wollte jetzt in die Zukunft fragen, nicht in die Vergangenheit.
Nun ja, der erste Vorwurf war ja, wir hätten hier
nichts gemacht. Das weise ich erst einmal zurück.
Zweitens haben wir bei kleineren Novellen, die einen
bestimmten Bereich betrafen, zum Beispiel die Photovoltaik, lange gebraucht. Am Ende konnten die Ziele,
die das Umweltministerium vorgegeben hat, in dem Verfahren von Bundestag und Bundesrat gar nicht erreicht
werden.
Der Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes versetzt uns in die Situation, mit mittlerweile 25 Prozent
erneuerbarem Strom im Netz nicht nur umzugehen, sondern ihn integrieren zu müssen. Es braucht eine umfassende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Diese Novelle ist aber ohne die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat nicht möglich. Deshalb gilt es auch
hier, Vorschläge zu unterbreiten und mit allen Beteiligten im Gespräch zu bleiben, um am Ende zu einer Lösung zu kommen; denn eine Lösung anzukündigen und
dann zu keiner Lösung zu kommen, treibt am Ende den
Ausbau und damit den Strompreis weiter in die Höhe.
Dr. Miersch, Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, das ist genau das Problem, das
wir die ganze Zeit über in Ihrer Politik beobachten. Deswegen frage ich Sie noch einmal nach der Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor dem Hintergrund
des vom Bundesumweltminister Altmaier problematisierten Konzepts des Quotenmodells: Beabsichtigt die
Bundesregierung, noch in dieser Wahlperiode eine Novelle des EEG vorzulegen?
Wir werden in Absprache mit den Koalitionsfraktionen Vorschläge unterbreiten. Ob es am Ende des Tages
tatsächlich zu einer Lösung kommen wird, hängt nicht
nur von der Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag
ab, sondern auch vom Bundesrat.
Wir haben hier noch eine weitere Nachfrage. - Kollege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, die Lage im Hinblick auf Bundestag und Bundesrat als Verfassungsorgane ist uns
durchaus bekannt. Das entlässt Sie aber nicht aus einer
Antwort auf die Frage, ob Sie als Bundesregierung eine
solche Novellierung anstreben. Was der Bundesrat dann
machen wird, muss man sehen. Aber streben Sie eine
Novellierung in dieser Legislaturperiode an, ja oder
nein?
Herr Schwabe, der Bundesumweltminister hat ja gerade einen Verfahrensvorschlag gemacht, um eine
Novelle überhaupt in Gang setzen zu können. Eine so
umfangreiche Novelle - wir sind uns einig, dass es eben
nicht mehr reicht, an kleinen Fördergrößen herumzuschrauben; vielmehr bedarf es einer grundsätzlichen
Überlegung, ob man zur reinen Förderung auch eine
Verantwortung der erneuerbaren Energien und, wenn ja,
auf welchem Wege mit in ein Gesetz schreibt - kann tatsächlich nicht so einfach und auch nur per Vorschlag in
den parlamentarischen Raum und in die Diskussion gegeben werden. Der Verfahrensvorschlag des Ministers
diente dazu, eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Novelle und über die Schritte zu induzieren. In der
Plattform Erneuerbare Energien werden ja parallel zu
der Diskussion im Deutschen Bundestag Mittel und
Wege erörtert, wie wir erneuerbare Energien markt- und
wettbewerbsfähig machen können und in den allgemeinen Strommix im Netz integriert bekommen. Inwieweit
am Ende eine Lösung steht, hängt tatsächlich nicht nur
von dieser Bundesregierung ab, sondern auch von dem
Willen des gesamten politischen Raums, zu einer Lösung zu kommen, die verhindert, dass der Strompreis explodiert.
Es gibt noch die Nachfrage unseres Kollegen Marco
Bülow.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Entschuldigung, dass ich noch einmal nachfrage; aber ich möchte
das ein bisschen dezidierter haben. Natürlich hängt das,
was letztlich beschlossen wird, immer von den verschiedenen Personen und auch vom Bundesrat ab. Aber die
Verbände, die Wirtschaft insgesamt muss zukunftsfähig
planen können. Sie ist darauf angewiesen, dass der Rahmen für die Gesetze ungefähr wie abgesteckt bleibt.
Wenn Sie von einer umfassenden Reform sprechen
- und nicht nur von den Reformen, wie sie in den letzten
Jahren vonstattengegangen sind -, interessiert es also
nicht nur uns als SPD-Fraktion sehr, ob Sie anstreben, in
bestimmten Bereichen oder vielleicht sogar umfassend
auf ein Quotenmodell umzusteigen. Das wäre ein ganz
anderes Modell, das brächte einen vollkommen anderen
Geist in das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen
wissen, ob das Umweltministerium ein solches Quotenmodell anstrebt und, wenn ja, in welchen Bereichen. Das
ist unsere wichtigste Frage.
Herr Kollege Bülow, es gibt keine Vorfestlegung auf
ein Quotenmodell. Der Minister hat ein mögliches Quotenmodell genannt, weil andere es in die Diskussion eingebracht haben.
Wir haben noch eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal nach
dem Quotenmodell fragen. Wir nehmen zur Kenntnis,
dass ein Teil der Bundesregierung - der Teil, der hier
vorne sitzt - ein Quotenmodell favorisiert. Ihrer Aussage
konnte ich entnehmen, dass Herr Altmaier kein Quotenmodell vorschlägt. Nun hat die Bundesregierung etwas
mit Steuern zu tun. Was Sie uns erläutert haben, läuft darauf hinaus, dass Sie sagen: Wir diskutieren jetzt mal und
schauen dann, was passiert. - Ich hatte bisher immer gedacht, Regierungen machen auch konkrete Vorschläge.
In dem Papier von Herrn Altmaier befinden sich gewisse Andeutungen. Unter anderem wird davon gesprochen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien unter
den Ländern abgestimmt und dass er gesteuert und begrenzt werden muss. Kann ich davon ausgehen, dass
Herrn Altmaier für die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zwar kein Quotenmodell für Deutschland,
aber ein Quotenmodell mal 16, also für die 16 Bundesländer, und - so kann man die Ausführungen auch verstehen - je nach Bundesland auch noch für einzelne
Energiearten vorschwebt?
Das war die Frage unseres Kollegen Oliver Krischer. Bitte schön.
Nein, Herr Kollege Krischer, da missinterpretieren
Sie den Vorschlag des Ministers. Was mit Koordinierung
gemeint ist, ist allerdings offensichtlich: Wenn man die
Pläne der einzelnen Bundesländer zum Ausbau der erneuerbaren Energien übereinanderlegt, kommt man insgesamt zu Zielen, die weit jenseits der Planung nicht nur
dieser Regierung, sondern auch vorheriger Regierungen,
ja sogar sehr ambitionierter Bundestagsfraktionen liegen. Wenn man die reinen Ausbauziele für Windenergie
oder Photovoltaik oder die Nutzung von Biomasse betrachtet, muss man sich schon fragen, ob die Rahmenbedingungen, die nötig wären, um diese Menge Strom aus
erneuerbaren Energien ins Netz zu integrieren, zu verbrauchen und ein entsprechendes Lastmanagement und
Speicher aufzubauen, in dieser kurzen Zeit überhaupt
geschaffen werden können.
Unsere Überzeugung ist: Hier braucht es ein gemeinsames Verständnis von Zielen und von Ausbaukorridoren, was keine Quotierung bedeutet.
({0})
Gemeinsame Überzeugung muss beispielsweise sein,
dass die Verwirklichung der Pläne für die Windenergie
bedeuten würde, dass 60 Prozent über dem Bedarf produziert werden würde. Dass teuer Strom erzeugt wird,
der überhaupt nicht gebraucht wird, kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen schon miteinander dafür
sorgen, dass das System volkswirtschaftlich in der Balance bleibt.
Als Nächstes hat auch unsere Kollegin Frau Britta
Haßelmann noch eine Nachfrage. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade meinem Kollegen Oliver Krischer beschrieben, dass Sie die unterschiedlichen Ausbaustände
in den einzelnen Bundesländern bei den verschiedenen
Energieträgern stören. Sie wollen das jetzt ausgleichen.
Wie wollen Sie das denn machen, außer durch das, wozu
die Kollegen Miersch und Krischer gerade nachgefragt
haben, nämlich durch eine Begrenzung und die Vorgabe
einer Quote? Sie haben doch gerade den Vorgang umschrieben, ihn nur nicht so genannt.
Einen Vorgang zu umschreiben und am Ende ein Modell vorzuschlagen, Frau Kollegin Haßelmann, sind zwei
verschiedene Sachen.
Gerade weil wir den Ländern nicht vorschreiben wollen und können, ambitionierte Ziele auf dem einen oder
anderen Wege zu erreichen, muss man am Ende des
Tages zusammenkommen - das wird beim nächsten
Treffen der Bundeskanzlerin mit den Vertretern der Bundesländer ja auch geschehen -, um die Ziele zu harmonisieren; denn alle Beteiligten eint ja wohl der Wille, die
erneuerbaren Energien weiter auszubauen und diesen
Ausbau ambitioniert fortzusetzen. Dafür ist aber eine gewisse Koordination notwendig.
Diese Koordination endet übrigens nicht beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Das geht weiter bezogen
auf die Stromtrassen und andere Projekte. Ich glaube
einfach, dass wir hier lernen müssen, viel intensiver als
bisher miteinander zu sprechen und Projekte abzustimmen, um die Energiewende am Ende erfolgreich zu gestalten.
Es gibt noch eine Nachfrage unserer Kollegin Frau
Ute Vogt.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben jetzt bei der Beantwortung verschiedenster
Fragen mehrfach die Wendung „am Ende des Tages“
verwendet. Können Sie uns sagen, welchen Zeitraum Sie
damit konkret meinen, insbesondere bezogen auf die
Antwort auf die letzte Frage?
Frau Kollegin Vogt, der Zeitrahmen, den ich meine,
bemisst sich an den Ausbauzielen - bis 2020, bis 2030
und bis 2050 -, die die Bundesregierung in ihren Szenarien vorgelegt hat. Im Jahre 2050 beispielsweise sollen
80 Prozent des benötigten Stroms aus erneuerbaren
Energien gewonnen werden und im Netz sein. An diesem Szenario orientieren wir uns.
Vielen Dank.
Ich rufe jetzt die Frage 13 unseres Kollegen
Dr. Matthias Miersch auf:
Welche Zahlen ({0}) liegen der Bundesregierung zu den einzelnen Bestandteilen der EEG-Umlage 2013 vor, und zu welchem Anteil tragen die Komponenten reine Förderkosten, Rückgang der Börsenstrompreise,
besondere Ausgleichsregelung und industrieller Eigenverbrauch, Nachholeffekt 2012, Direktvermarktung und Liquiditätspuffer zum Anstieg der Umlage von 2012 auf 2013 bei?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Miersch, die Antwort ist sehr lang, detailliert und komplex. Ich präsentiere sie Ihnen jetzt und
schlage vor, dass ich sie in jedem Fall schriftlich nachreiche.
Die Bestandteile sind, grob skizziert, wie folgt:
Reine Förderkosten. Die Kernumlage beträgt
4,187 Cent je Kilowattstunde. Hier gibt es einen Anstieg
um rund 0,9 Cent je Kilowattstunde.
Rückgang des Börsenpreises. Wäre der Börsenpreis
konstant geblieben, so ergäbe sich 2013 rechnerisch eine
um etwa 0,12 Cent je Kilowattstunde geringere EEGUmlage.
Besondere Ausgleichsregelung. Würde auch auf den
privilegierten Letztverbrauch eine EEG-Umlage erhoben, so könnte diese um etwa 1 Cent je Kilowattstunde
niedriger sein. Gegenüber 2012 ist dies ein Anstieg um
0,37 Cent je Kilowattstunde. Dieser Anstieg ist vor allem auf die steigenden EEG-Differenzkosten zurückzuführen.
Industrieller Eigenverbrauch. Auf selbst erzeugten
und verbrauchten Strom wird die EEG-Umlage nicht erhoben; das ist bekannt. Das gilt auch unabhängig davon,
ob es sich um eine industrielle KWK-Anlage oder um
privaten PV-Strom handelt. Würde die EEG-Umlage
auch auf die industrielle Eigenstromerzeugung erhoben,
so könnte sie etwa 0,6 Cent je Kilowattstunde niedriger
sein.
Dann haben wir 2012 den Nachholeffekt. Der Umlageanteil aus dem Ausgleich des EEG-Kontos zum
30. September 2012 beträgt 0,67 Cent je Kilowattstunde.
Das ist wiederum ein Anstieg um 0,49 Cent je Kilowattstunde.
Direktvermarktung. Die Belastung der EEG-Umlage
durch die Managementprämie im Rahmen der Marktprämie liegt für die 2013 direkt vermarktete Strommenge
unter 0,1 Cent je Kilowattstunde. Das Grünstromprivileg
als weitere Direktvermarktungsoption, das die Umlage
2011 noch erheblich belastet hat, hat 2013 keinen nennenswerten Effekt mehr, da sie kaum noch in Anspruch
genommen wird.
Das Letzte ist die Liquiditätsreserve. Der Umlageanteil der Liquiditätsreserve beträgt 0,418 Cent je Kilowattstunde. Gegenüber 2012 ist das ein Anstieg um
0,319 Cent je Kilowattstunde. - Aber ich sehe, Sie haben
die Antwort offenbar schon vorliegen.
({0})
Das war eine komplexe Frage. - Die erste Nachfrage,
bitte schön, Dr. Miersch.
So gut sind meine Drähte in das BMU nicht, dass ich
die Antwort schon hätte.
Das glaube ich jetzt nicht.
Insofern vielen Dank für diese detaillierte Aufschlüsselung. - Ich habe eine Nachfrage, Frau Staatssekretärin:
Würden Sie mir darin recht geben, dass man unter dem
Strich sagen kann - das waren jetzt ganz viele Zahlen -,
dass die Erhöhung der EEG-Umlage nur zum Bruchteil
direkt mit dem Ausbau der Erneuerbaren, also mit der
gestiegenen Einspeisevergütung, zu tun hat und dass
viele andere Faktoren, von denen Sie eben gesprochen
haben, den Anstieg mit beeinflusst haben?
Nein, nicht nur. „Bruchteil“ trifft es nicht, aber „Teil“
trifft es sehr wohl. Die EEG-Umlage besteht aber nun
einmal tatsächlich - das ist übrigens auch gewollt - aus
diesen vielen kleinen Bestandteilen.
Auch über das Thema Liquiditätsreserve kann man
sprechen. Hier ist beim letzten Mal offenbar zu wenig
angesetzt worden: Die EEG-Ausgleichskonten waren
zuletzt mit über 2 Milliarden Euro im Minus. Auch da
braucht man einen Ausgleich. Man kann aber schon sagen, dass ein erheblicher Anteil - auch beim Kontenausgleich - auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zurückgeht, gerade auch auf die Photovoltaik, die alle
unsere Erwartungen hinsichtlich der erfolgten Ausbauzahlen übertroffen hat.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, diese Frage stelle ich in einer
Stunde, in der über den Ticker geht, dass ein Mitglied
der Koalitionsfraktionen, Herr Vaatz, den Atomausstieg
jetzt auch öffentlich wieder infrage stellt. Er hat auch damals schon nicht mitgestimmt, wenn ich das richtig in
Erinnerung habe.
Ist es nicht angezeigt, dass das Bundesumweltministerium in einer solchen Phase deutlich macht, dass der
Ausbau der erneuerbaren Energien sozial verträglich und
ökonomisch sinnvoll gestaltet werden kann, dass die Hebel dafür vorhanden sind und dass die Kosten der alten
Technologien Atom, Kohle und Gas nur durch politische
Entscheidungen einigermaßen in Schach gehalten werden konnten?
Herr Kollege Miersch, der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist beschlossen. Das Datum steht fest: 2022. Das ist Gesetzeslage, und die Bundesregierung hält sich an Gesetze. So viel zum ersten
Punkt.
Zum zweiten Punkt. Hier nenne ich eine weitere Zahl:
Die Photovoltaik hat nach wie vor einen Anteil von über
50 Prozent an der Kernumlage. Wir konnten das durch
eine gesenkte Einspeisevergütung abmildern. Aber trotzdem ist der Ausbau immer noch sehr hoch. Das zeigt:
Wir müssen neben preisdämpfenden Elementen im EEG
auch darauf achten, dass Einzeltechnologien in ihren
Korridoren bleiben.
Das haben wir unter anderem in der letzten PV-Novelle gemacht, bei der wir gesagt haben: Wenn im Jahr
2020/2022 eine Leistung von 52 Gigawatt durch Photovoltaik erreicht wird, dann ist die PV so weit, ohne Subventionen, ohne die EEG-Förderung klarzukommen. Ich
glaube, es sind wichtige Marktsignale, hier dämpfend zu
wirken.
Wir kommen zu den weiteren Nachfragen. Zunächst
Frau Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, in Bezug auf das ErneuerbareEnergien-Gesetz erleben wir derzeit eine mit sehr hohem
Mitteleinsatz gestartete Kampagne der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft und auch des BDEW. Beide haben sich auf das EEG eingeschossen und überziehen
nicht nur Abgeordnetenbüros, sondern auch Plakatwände und Werbeseiten der Zeitungen mit viel Geld und
unterschiedlichsten Werbemitteln mit einer Kampagne
gegen das EEG. Wenn Sie als Ministerium, wie Sie ja erläutert haben, zum EEG stehen: Was tut die Bundesregierung, um solchen polemischen Kampagnen entgegenzutreten?
Frau Kollegin Vogt, wir können als Bundesregierung
- und werden das auch nicht tun - nicht jede Kampagne
qualifizieren, bewerten und Einbestellungen vornehmen.
Wir haben eine klare politische Botschaft; ich glaube,
das ist das Wichtigste. Die klare politische Botschaft lautet: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir
halten an unseren Ausbauzielen fest. Die Novelle des
EEG dient dazu, eine Marktfähigkeit der erneuerbaren
Energien, die übrigens immer im Gesetz angelegt war,
zu erreichen.
Bis dahin allerdings, Herr Kollege Miersch - das sage
ich gewissermaßen rückwirkend -, braucht es schon
noch einen Anteil an anderen Energieträgern, wie zum
Beispiel flexiblen Gaskraftwerken; sonst kommen wir da
ins Schleudern. Wir brauchen einen klugen Mix. Unsere
Positionierung in der Bundesregierung ist klar. Nicht
umsonst wollen wir auch einen internationalen Renewables Club gründen. Das ist vielleicht ein weiteres Argument, um noch mehr Länder davon zu überzeugen, dass
es richtig ist, auf erneuerbare Energien zu setzen.
Nächste Nachfrage unser Kollege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, da es schwierig ist, von Ihnen
Auskunft über die Vorhaben für die Zukunft zu bekommen, indem Sie konkret benennen, was Sie dort vorhaben und bis wann Sie es vorhaben, will ich es noch einmal kurz mit der Vergangenheit versuchen. Ich habe
gelesen, dass Herr Umweltminister Altmaier in Bezug
auf seinen Vorgänger, Herrn Röttgen, irgendwo gesagt
hat - ich sage es einmal mit meinen Worten -, dass er im
Ministerium kein Konzept zum EEG gefunden hätte.
Wie darf man das denn eigentlich verstehen? Ist es so
gemeint, dass Herr Altmaier findet, dass Herr Röttgen
eigentlich die Aufgabe gehabt hätte, eine solche Weiterentwicklung vorzulegen, und dass Herr Röttgen damit
auch ein Stück weit für gestiegene Energiepreise verantwortlich ist?
Herr Kollege Schwabe, Bundesminister Altmaier
schätzt die Arbeit, die Kollege Röttgen und auch seine
Vorgänger im Amt geleistet haben, und baut auf dieser
auf. Er muss die Dinge aber weiterentwickeln, weil dies
notwendig ist. Das tut der Umweltminister mit allem Engagement und Gewicht.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur
Frage 14 unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler:
Weshalb ist der Deutsche Bundestag weder institutionell
noch personell an der Plattform Erneuerbare Energien beteiligt, und weshalb erhält er keine Protokolle und Berichte aus
den Arbeitsgruppen der Plattform?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kofler, die Plattform Erneuerbare
Energien besteht aus drei Arbeitsgruppen und einem
Steuerungskreis. Die Beratungen des Steuerungskreises
wie der drei Arbeitsgruppen werden auf Fachebene unter
der Beteiligung von Wissenschaftlern geführt. Über die
Zwischenergebnisse und Ergebnisse wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dem Parlament umfassend berichten. Der Bericht der Plattform soll eine fachliche Basis bilden, auf
der der notwendige politische Dialog aufbauen kann.
Gegenwärtiges Ziel ist es, auf der Grundlage der Vorarbeiten der Arbeitsgruppen im Steuerungskreis einen
Gesamtbericht zu verabschieden, der die Sitzung der
Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am 2. November dieses Jahres vorbereitet. Es ist beabsichtigt, diesen bislang noch nicht fertiggestellten Gesamtbericht vor
der Sitzung am 2. November allen Ministerpräsidenten
zur Verfügung zu stellen. Die Veröffentlichung dieses
Berichtes, der der Meinungsbildung der Ministerpräsidenten dienen soll, wird nach diesem Termin erfolgen.
Es ist beabsichtigt, alle abgestimmten Berichte dann
auch im Internet zu veröffentlichen.
Insgesamt ist es das Ziel von Herrn Minister
Altmaier, das gesamte weitere Verfahren zur Weiterentwicklung des EEG unter Einbeziehung aller wesentlichen Akteure zu entwickeln, wie er es in seinem Verfahrensvorschlag ausgeführt hat. Hier spielt das Parlament
eine bedeutende Rolle. Nicht zuletzt hat Herr Minister
Altmaier die Gründung einer persönlichen Beratergruppe angeregt, in der das Parlament vertreten sein soll.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Kofler.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. - Sind Sie als
Parlamentarische Staatssekretärin nicht mit mir der Meinung, dass das Parlament in die laufenden Beratungen
der Plattform Erneuerbare Energien einbezogen werden
müsste, und können Sie mir sagen, warum diese Transparenz im Bundesumweltministerium nicht hergestellt
wird, es aber bei vergleichbaren Vorhaben zum Beispiel
im Bundeswirtschaftsministerium zumindest einen Beirat gibt, der die energie- oder wirtschaftspolitischen
Sprecher der Fraktionen einbezieht?
Sie haben vorhin auf eine Nachfrage des Kollegen
Schwabe zu Frage 12 mit einem Bezug auf die Ergebnisse der Plattform Erneuerbare Energien geantwortet.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass zu der nötigen
Transparenz auch gehört, Fragen der erneuerbaren Energien mit dem Parlament zu diskutieren?
Auf jeden Fall wird jede Änderung eines Gesetzes
nicht nur im Parlament diskutiert, sondern sie muss hier
auch nach allen Regeln beraten werden. Das werden wir
auch tun.
Ungehindert der Parlamentsrechte, die ich gerade
auch als Parlamentarische Staatssekretärin noch einmal
bekräftigen möchte, ist es einer Regierung unbenommen, sich zusätzliche Beratung zu holen. Noch einmal:
Ihrer Anregung - Sie haben gerade dargelegt, was im
Wirtschaftsministerium üblich ist - will der Minister mit
einer persönlichen Beratergruppe, der Parlamentarier angehören sollen, dann auch nachkommen. Um gleich der
Frage vorzubeugen: Ich weiß nicht, wen und wann er
einlädt, aber er wird sicherlich in der gebotenen Offenheit auf das Parlament zukommen.
Trotzdem hat die Frau Kollegin Dr. Kofler noch weitere Fragen.
Das wäre natürlich schon eine Frage gewesen. Aber
danke, dass Sie gleich gesagt haben, Sie wissen es nicht.
Es wäre schon spannend, zu erfahren, wann diese Beratergruppe tagen soll.
Nach den Pressemitteilungen des Bundesumweltministeriums vom Mai dieses Jahres arbeitet die Plattform
Erneuerbare Energien ja seit fünf Monaten. Angesichts
der Bedeutung dieses Themas ist es nicht ausreichend,
nur Ergebnisse bekannt zu geben. Man sollte vielmehr,
denke ich, das Parlament aktiv in den Dialog und in den
Beratungsprozess einbeziehen. Das ist eigentlich das
Problem, um das es geht.
Wir warten also nicht nur auf einen Endbericht, sondern auch darauf, in die Arbeit mit einbezogen zu werden.
Noch einmal die Frage: Sind Sie als Parlamentarische
Staatssekretärin nicht der Meinung, dass die Einbeziehung des Parlaments in die Arbeit das Entscheidende
wäre?
Jede Regierung hat das Recht und die Möglichkeit, eigene Beratergremien und Gesprächsforen einzurichten.
Am Ende des Tages, Frau Kollegin, bleibt ein Gesetz
Parlamentsangelegenheit. Das ist das Wichtige - das hat
das Parlament bei der letzten EEG-Novelle auch sehr
selbstbewusst gesagt -, und dabei wird es auch bleiben.
Den Fraktionen des Deutschen Bundestages ist es unbenommen, sich eigenen Rat zu holen und eigene Foren zu
bilden. Auch das ist üblich.
Ich sehe keine weitere Nachfrage.
Damit kommen wir zu Frage 15 ebenfalls unserer
Kollegin Dr. Bärbel Kofler:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die von
vielen Akteuren aus der konventionellen Energiewirtschaft
und von Teilen der Bundesregierung geforderte beschleunigte
Direktvermarktung und Marktintegration von Strom aus erneuerbaren Energien nicht notwendigerweise zu einer SystemVizepräsident Eduard Oswald
integration dieses Stromes führen und damit unnötige Kosten
für die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher generieren, weil die Systemintegration durch zusätzliche Anreize erreicht werden muss, und, wenn nicht, wie begründet sie das?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Präsident! Frau Kollegin, die Bundesregierung
ist der Auffassung, dass die durch die Marktprämie geförderte Direktvermarktung die Anlagenbetreiber stärker
als in der Vergangenheit an den Markt und seine Preissignale herangeführt hat. Dieses Modell wirkt sich im
Grundsatz positiv auf die Bedarfsgerechtigkeit der Bereitstellung von Strom aus erneuerbaren Energien aus,
indem die Betreiber Anreize zum Beispiel zur Abriegelung bei stark negativen Strompreisen bzw. zur Nutzung
zusätzlicher Flexibilitätsoptionen erhalten. Daneben stehen zusätzliche Vermarktungsoptionen, beispielsweise
im Bereich der Regelenergiemärkte, offen.
Die Regelung der optionalen Marktprämie ist allerdings erst seit Jahresbeginn in Kraft. Insofern muss den
beteiligten Marktakteuren die notwendige Zeit eingeräumt werden, um das Instrument zu erproben, Kommunikationsstrukturen anzupassen und notwendige Lerneffekte zu erzielen. Die konkreten Wirkungen und
eventuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Marktprämie werden derzeit wissenschaftlich untersucht.
Durch die Managementprämienverordnung wird die
Managementprämie als Teil der Marktprämie ab dem
Jahr 2013 gegenüber der bislang vorgesehenen Höhe
nicht nur abgesenkt, sondern auch im Interesse einer
besseren Systemintegration differenziert. Die Absenkung für 2013 beträgt im Falle der Fernsteuerbarkeit der
Anlage durch den Direktvermarkter 0,25 Cent je Kilowattstunde gegenüber den sonst geltenden 0,35 Cent je
Kilowattstunde. Die differenzierte Absenkung gilt
sowohl für Bestandsanlagen als auch für Neuanlagen.
2014 und 2015 wird die Differenzierung dann weiter auf
bis zu 0,2 Cent je Kilowattstunde aufgebaut.
Frau Kollegin Dr. Kofler, bevor Sie zu einer Nachfrage kommen, weise ich darauf hin, dass wir in fünf
Minuten zur Aktuellen Stunde überleiten werden.
Jetzt die erste Nachfrage.
Ich darf zur Managementprämie nachfragen. Ich interpretiere Ihre Worte so, dass Sie die Managementprämie zukünftig absenken wollen, weil Sie als Regierung erkannt haben, dass es bei der Managementprämie
zu hohen Mitnahmeeffekten kam. Ist diese Interpretation
richtig?
Wir haben die Anpassung schon im Kabinett vorgenommen.
Ja oder nein? Ist es richtig?
Ja. Es brauchte eine Anpassung. Das haben wir nie
bestritten; wir haben vielmehr sehr schnell gehandelt.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage, da ich dieses
Nachhaken nicht als eigene Frage gezählt habe.
Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Präsident, danke. Ich verstehe Sie richtig: Sie haben ein Gesetz, das zum
Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, bereits korrigiert, weil Sie selbst die Fehlanreize dieser gesetzlichen
Vorgabe, zumindest was die Managementprämie betrifft,
erkannt haben? Wie ist denn Ihre Einschätzung als Regierung, was die Marktprämie als Ganzes anbelangt? Es
ist nicht alles Markt, worauf „Markt“ steht. Inwieweit
wird mit der Managementprämie der Wettbewerb gefördert? Oder kommt es nur zu Mitnahmeeffekten, insbesondere von größeren Anbietern?
In der Tat hat die Nachfrage nach der Prämie die
Erwartungen übertroffen. Ziel der Großen Koalition war
es aber, nicht nur Instrumente zu finden, um erneuerbare
Energien marktfähig zu machen, sondern auch Anreize
für die Anbieter zu entwickeln, den Strom selbst zu vermarkten, um aus dem Fördersystem herauszukommen.
Wir haben uns am Ende auf die Marktprämie geeinigt,
die zwei Elemente, unter anderem die Managementprämie, hat. Bei der Managementprämie haben wir
Korrekturen vorgenommen.
Den Grundgedanken, dass sich Strom aus Erneuerbaren mithilfe der Marktprämie am Markt bewähren
muss, halte ich für richtig. Dieses Ziel wollen wir weiter
verfolgen. Gegebenenfalls muss man Anpassungen in
der Höhe vornehmen. Ihre Vermutung, dass es sich bei
den Mitnahmeeffekten um wenige und große Unternehmen handelt, kann ich nicht teilen; denn der Run auf
diese Prämie ist groß. Die Nachfrage nach diesen
Modellen ist ebenfalls groß. Das zeigt, dass auch die
Produzenten der erneuerbaren Energien die Förderkulisse verlassen und sich dem Markt nähern wollen.
Eine Nachfrage unserer Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf
den letzten Teil Ihrer Antwort. Können Sie uns sagen,
welche Anbieter diese Direktvermarktung nutzen, ob das
auch eine Option für die privaten Stromproduzenten ist
oder ob diese Option nur von demjenigen in Anspruch
genommen werden kann, der eine entsprechende Strommenge produziert?
Das betrifft die Produzenten von Strom aus Windenergie und aus Biomasse, aber auch aus Photovoltaik.
Ich kann Ihnen konkrete Unternehmen jetzt nicht nennen. Ich weiß nicht, ob wir entsprechende Unterlagen
haben oder ob man das herausfinden kann. Im Bereich
der Windenergie und der Biomasse ist das auf jeden Fall
ein beliebtes Modell, ich kann das aber auch für die Photovoltaik bestätigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir ein neues
Themenfeld aufmachen, möchte ich mit Blick darauf,
dass wir wie angekündigt in einer Minute mit der Aktuellen Stunde beginnen, die Fragestunde schließen. Wir
verfahren mit den restlichen Fragen nach der Geschäftsordnung. Ich darf mich bei allen Fragestellern und allen
anderen Anwesenden herzlich bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt rufe ich den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Soziale Situation der Kinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlich-liberaler Regierungspolitik
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU Dr. Peter Tauber.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, es
hat sich etwas verändert in Deutschland. Das gilt ganz
besonders für die Situation von Kindern und Jugendlichen in diesem Land. Bei allen Diskussionen, die wir
führen - tagtäglich, in den Ausschüssen -, ist es ganz
gut, zwischendurch einmal zu schauen: „Wo stehen wir
denn?“, um vielleicht auch auf das, was noch nicht gut
ist, zu fokussieren.
Dazu gehört aber auch, dass man sich die Zeit nimmt,
anzuschauen, was sich positiv verändert hat, etwa um
Entwicklungen zu bestärken und um Menschen Mut zu
machen. Denn darum muss es ganz besonders gehen:
dass wir denjenigen, die Kinder haben, Mut machen und
ihnen sagen, dass sie nicht alleingelassen werden. Darüber hinaus geht es darum, dass wir denjenigen, die sich
die Frage stellen, ob es sich lohnt, in diesem Land
Kinder zu kriegen, ein deutliches Zeichen geben: Ja, natürlich; es gibt wenige Länder auf dieser Erde, in denen
junge Menschen solche Rahmenbedingungen wie in
Deutschland finden. - Wir versuchen in unserer politischen Arbeit alles, damit sich diese Rahmenbedingungen dort, wo sie noch nicht gut sind, weiter verbessern.
({0})
Bei allen spannenden Diskussionen, die wir über Statistiken und Zahlen immer wieder führen, möchte ich
eine Zahl nennen, die das aus meiner Sicht besonders
veranschaulicht: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren,
die auf Hartz IV angewiesen sind, ist von 435 000 auf
367 000 zurückgegangen. Sie ist immer noch viel zu
hoch; aber das ist ein Rückgang um 15,6 Prozent. Das ist
ein Ergebnis der besseren Situation am Arbeitsmarkt und
auch vieler anderer Hilfssysteme, die wir aufgebaut haben.
Die geringe Jugendarbeitslosigkeit kann man nennen.
Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz
Europa. Während sie andernorts steigt, ist sie in
Deutschland um 14 Prozent gesunken.
({1})
Die zurückgegangene Zahl der Schulabbrecher kann
man nennen. Sie liegt bei 6 Prozent und hat sich damit
fast halbiert. Auch bei Kindern ausländischer Herkunft
ist sie von 20 Prozent auf 14 Prozent zurückgegangen.
Dazu beigetragen hat zum Beispiel das Programm
„Schulverweigerung - Die 2. Chance“.
Das Bundeskinderschutzgesetz kann man nennen
ebenso wie das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, die
verbesserte Zusammenarbeit verschiedener staatlicher
Institutionen, das Unterbinden von Jugendamt-Hopping,
den Einsatz von Familienhebammen - 30 Millionen
Euro stellen wir dazu zur Verfügung - und die Hausbesuche zur besseren Einschätzung der Lebenssituation
von Kindern. Auch das ist ein echter Erfolg in dieser
Legislaturperiode. Übrigens ist auch das ein Punkt, bei
dem man sehen kann, dass es ganz gut ist, wenn die Opposition einmal über ihren Schatten springt und an zwei,
drei Stellen sagt: Ja, das haben wir zusammen gemacht,
und das war vielleicht nicht alles verkehrt.
({2})
Das Bildungs- und Teilhabepaket gehört sicherlich zu
den Punkten, die besonders umstritten sind.
({3})
- „Zu Recht“? Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass
der rote Senat in Hamburg die eigene Umsetzung des
Bildungs- und Teilhabepaketes explizit lobt.
({4})
Er sagt: Wir machen das richtig gut, das funktioniert
auch alles, und das kommt gut an bei den Kindern und
Jugendlichen. - Insofern reden wir da nicht so sehr über
das Grundsätzliche, sondern vor allem darüber: Wie
kann man das Ganze effizient machen? Wie können wir
dafür sorgen, dass das, was wir dort an UnterstützungsDr. Peter Tauber
leistungen - von Zuschüssen zu Klassenfahrten über die
Finanzierung von Nachhilfe - auf den Weg gebracht
haben, möglichst bürokratiearm bei den Betroffenen
ankommt.
Das Thema Kinderbetreuung ist hier und dort, auch in
diesem Hohen Hause, durchaus ein kontroverses. Es
wird nämlich immer mit einer anderen familienpolitischen Maßnahme verknüpft, über die wir morgen noch
diskutieren werden: über das Betreuungsgeld. Trotz
Kooperationsverbot hat der Bund hier 4 Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt. Wir stellen jetzt noch einmal
580 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn Sie die Blockadehaltung an zwei oder drei Stellen mal aufgeben
würden - an die Adresse der Sozialdemokraten muss
man das immer mal wieder sagen -, würde das noch ein
bisschen reibungsloser laufen.
({5})
Ab dem Jahr 2014 werden wir die Kommunen in jedem Jahr mit 845 Millionen Euro unterstützen, um einen
dauerhaften Betrieb der Kitas zu ermöglichen. Auch das
ist eine Leistung und keine Selbstverständlichkeit.
({6})
Man kann auch die „Offensive Frühe Chancen“
nennen, mit der in über 4 000 Kitas Sprachförderung und
Integration verbessert werden können. 400 Millionen
Euro stehen dafür zur Verfügung.
Man muss an dieser Stelle aber eines sagen - damit
will ich schließen -: Ich habe im Schwerpunkt über materielle Maßnahmen gesprochen, mit denen Kindern und
Jugendlichen Teilhabe in dieser Gesellschaft ermöglicht
werden soll. Das ist auch richtig und wichtig. Das ist das
zentrale Steuerungselement, das wir haben, weil wir
Rahmenbedingungen institutioneller und struktureller
Art vorgeben. Die Wahrheit ist aber auch - das zeigen
aktuelle Umfragen -, dass Kinder sich Eltern als Vorbilder wünschen. Das heißt, wir müssen uns auch darum
kümmern, dass wir Menschen befähigen, Kinder an die
Hand zu nehmen und ihnen zu helfen, in dieser Gesellschaft selbstbestimmt großzuwerden; denn es gibt auch
diese Armut: Mangel an Liebe.
({7})
Diesen Mangel können wir nicht politisch beheben, und
die Liebe können wir auch nicht verordnen.
Deswegen muss man, wenn man über die Situation
von Kindern und Jugendlichen in diesem Land redet, sagen: Man muss vor allem denen danken, die tagtäglich
mit Kindern und Jugendlichen arbeiten - in Schulen, in
Kinderbetreuungseinrichtungen, in Vereinen, im Ehrenamt -, und ganz besonders den Eltern, die ihre Aufgabe
so ernst nehmen, dass sie ihren Kindern selbstständig alles mit auf den Weg geben, was diese brauchen, ohne
nach dem Staat zu fragen.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Tauber. - Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil.
Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Anmeldung der Aktuellen
Stunde unter diesem Titel und die Rede meines geschätzten Vorredners kann ich nur mit einem Wort bezeichnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn wir
über Kinderarmut in Deutschland sprechen und Sie sich
hier einen peinlichen Akt der Selbstbeweihräucherung
leisten, dann kann ich das nur zynisch finden.
({0})
Was wir hier erleben - ({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Kollege
Hubertus Heil hat das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Dann reden wir
mal über die Sache!
Tatsache ist: Wir haben eine demografische Entwicklung, die dazu führt, dass es weniger Kinder in diesem
Land gibt, und Sie feiern sich dafür, dass durch diesen
statistischen Effekt weniger Kinder in der Armutsfalle
hocken. Tatsache ist: Ja, wir haben drei Jahre Aufschwung gehabt, eine gute konjunkturelle Entwicklung.
Dafür haben wir die Grundlagen geschaffen, nicht Sie.
Aber Sie können doch nicht so tun, als sei man auf dem
besten Weg, Kinderarmut in diesem Land als Problem zu
lösen!
Wenn Sie für solche Aktuellen Stunden, um sich
selbstbeweihräuchernd auf die Schultern zu klopfen, immer irgendwelche Statistiken heranziehen, dann lesen
Sie doch auch einmal Ihre eigenen Berichte, zum
Beispiel den Bildungsbericht der Bundesregierung! Ich
zitiere: In Deutschland gehören 20 Prozent der Jugendlichen zu den Bildungsverlierern. Jeder fünfte Schüler ist
ein schwacher Leser und kann Texte nicht ausreichend
verstehen.
({0})
Der Bildungsbericht nennt dafür auch Gründe. Fast
jedes dritte Kind in Deutschland wächst in sozialer,
finanzieller und kultureller Risikolage auf. - Das ist
Kinderarmut, meine Damen und Herren!
Hubertus Heil ({1})
({2})
Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht - Ihren
eigenen Armuts- und Reichtumsbericht! - und versuchen Sie nicht, den Menschen etwas vorzumachen!
Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht! Ja, es ist
richtig: Wir reden nicht über die Armut in Bangladesch
oder in Afrika, sondern über eine Armut gemessen am
mittleren Lebensstandard unserer Gesellschaft in einem
reichen Land; gar keine Frage. Wir reden über materielle
Armut, vor allen Dingen dadurch, dass Eltern wenig
Geld verdienen, obwohl sie arbeiten. Wir reden natürlich
auch darüber, dass es eine Armut an Lebenschancen und
Perspektiven gibt. Die soziale Herkunft entscheidet in
Deutschland stärker als in anderen entwickelten Ländern
über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern.
Das, meine Damen und Herren, lässt sich auch nicht
durch eine noch so schöne Selbstbeweihräucherung dieser Bundesregierung vom Tisch wischen.
Deshalb sage ich noch einmal: Sie sollten hier ein
Jahr vor der Bundestageswahl nicht Reden halten, mit
denen Sie sich selbst beweihräuchern, sondern Sie sollten das tun, was Sie tun können. Sie könnten beispielsweise einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland
einführen, damit Kinder nicht erleben müssen, dass ihre
Eltern Vollzeit arbeiten, aber von der Arbeit nicht leben
können.
({3})
Herr Präsident, muss man sich in diesem Parlament
als Heuchler bezeichnen lassen, wenn man anderer Meinung ist als dieser Kollege?
Ich finde, das ist eine Art der Sprache, die nicht in
Ordnung ist. Sie zeigt eher Ihre Nervosität und Ihr
schlechtes Gewissen, weil Sie nicht das Richtige gegen
Kinderarmut tun.
({0})
Jemand, der anderer Meinung ist als Sie, ist ein
Heuchler. Das halte ich für ein interessantes Demokratieverständnis einer Partei,
({1})
die gestern noch gesagt hat, dieses unsinnige Betreuungsgeld werde sie nie mitmachen, und heute vor dem
Koalitionspartner eingeknickt ist.
({2})
Die Fernhalteprämie von Frauen vom Arbeitsmarkt
und von Kindern von den Bildungschancen ist das, was
Sie in der Realität organisieren. Sie verschlimmern die
soziale Spaltung zulasten von Kindern in diesem Land,
({3})
weil Sie den Mindestlohn verweigern und Maßnahmen
gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit verhindern.
Ich sage Ihnen eines: Die Armut von Kindern ist in
erster Linie der Erwerbsarmut der Eltern geschuldet. Da
könnten Sie etwas tun. Das tun Sie aber nicht.
({4})
Sie könnten mehr für die frühe und individuelle Förderung von Kindern tun, indem Sie in die frühe und individuelle Förderung von Kindern mehr investieren, anstatt
diese unsinnige Herdprämie auszureichen.
({5})
Meine Damen und Herren, eine Bundesregierung, die
in diesem Bereich wirklich nicht vorankommt und eine
Statistik heraussucht, die möglicherweise etwas mit konjunkturellen und demografischen Effekten zu tun hat,
aber nichts mit der Arbeit dieser Bundesregierung, muss
auch im Interesse der Kinder dieses Landes im nächsten
Jahr dringend abgelöst werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Debatte geht es auch um
die Zukunft der Kinder. Das sollten wir bei unserer Diskussion berücksichtigen. Auch bei den Zwischenrufen
sollte man immer in sprachlicher Hinsicht Vorbild sein.
Dies will ich entsprechend zu manchem Zwischenruf sagen.
Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Sibylle
Laurischk für die FDP-Fraktion. Bitte schön.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Aktuelle Stunde durch, weil die BertelsmannStiftung festgestellt hat, dass - durchaus als Ergebnis der
Arbeit dieser Bundesregierung - die Kinderarmut zurückgeht. Das ist eine Feststellung, die uns eigentlich
alle freuen sollte.
({0})
Es gibt überhaupt keinen Anlass, hier zu Polemik zu neigen. Das ist einfach festzustellen.
({1})
Natürlich kann man die Situation von Kindern immer
noch weiter verbessern. Daran arbeiten wir. Wir führen
hier keinen Wahlkampf,
({2})
wie es mir bei meinem Vorredner zu sein scheint, sondern arbeiten weiter am Thema.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir bereits
das Kindergeld erhöht. Daran denken wir schon nicht
mehr. Im Verständnis dieser Bundesregierung war das
aber ein Signal,
({3})
das bei den Menschen auch angekommen ist. Mir hat
eine Bürgerin gesagt: Das ist ein Signal für uns. Wir
können dieses Geld durchaus brauchen. - Es ist für eine
Familie ein Unterschied, ob das Kindergeld wie jetzt
184 Euro im Monat beträgt oder wie in den früheren Jahren weniger.
Außerdem haben wir die Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten für Kinder im Hartz-IV-Bezug verbessert und
damit ebenfalls ein klares Signal gesetzt. Bildung ist uns
wichtig; denn Bildung ist der Maßstab dafür, wie eine
Gesellschaft ihren Wohlstand entwickeln kann und wie
sie Zukunft gerade für Kinder schaffen kann.
({4})
Deswegen ist es für uns auch schmerzlich, festzustellen, dass es in den Bundesländern, die von der SPD und
teilweise sogar - ich komme aus Baden-Württemberg von den Grünen regiert werden,
({5})
an der Umsetzung mangelt. Das ist unangenehm. An dieser Stelle müssen wir das aber auch einmal sagen.
({6})
- Ja, wer hat es „reindiskutiert“? Der Bundesrat. Damit
schlagen sie sich jetzt aber selber herum. Das ist nicht
unsere Schuld. Wir haben hier ein klares Signal gesetzt
und das Geld auch zur Verfügung gestellt.
({7})
Entsprechend ist uns die Entwicklung der Kinder- und
Jugendhilfe auch Verpflichtung.
Wir haben das Bundeskinderschutzgesetz initiiert, das
Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist. Damit haben
wir das deutliche Signal gesetzt, dass das Wohlbefinden
von Kindern nicht nur von finanziellen Möglichkeiten
abhängt, sondern auch von einem klaren Schutz und einer klaren Hilfestellung, die sie in Bezug auf ihr persönliches Wohlbefinden brauchen.
Ein Signal ist ebenfalls das von uns auf den Weg gebrachte ganz neue Modell der Familienhebammen, das
sich insbesondere an junge Familien richtet, die mit dem
ersten Kind möglicherweise nur schwer umgehen können. Sie sollen mit einem niedrigschwelligen Angebot
eine ganz klare und sichere Hilfestellung bekommen.
Damit meinen wir der Verwahrlosung von Kindern vorbeugen zu können. Nur die Umsetzung ist eine Problematik, die sich bei den Bundesländern - in der Mehrzahl
sind es die SPD-regierten Bundesländer - wiederfindet.
Das tut mir leid.
({8})
Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Bundesländer
hier richtig aktiv werden und die Mittel für dieses Programm abrufen. Wir stellen dafür pro Jahr 30 Millionen
Euro zur Verfügung.
({9})
Im Sinne des Kinderschutzes haben wir auch im Rahmen des Runden Tisches über sexuelle Gewalt an Kindern diskutiert. Wir haben ganz klar gesagt: In Jugendeinrichtungen und in allen anderen Feldern, in denen die
Fürsorge für Kinder auszuüben ist, muss klar sein, dass
auch die ehrenamtlichen Helfer einen sauberen Hintergrund haben und ein Führungszeugnis vorlegen müssen.
Auch hier war der Kinderschutz unser Ziel.
Gewalt in der Familie ist ein Problem, dessen Bekämpfung mir ein dringendes Anliegen ist. Wer meine
Arbeit kennt, weiß das. Wir haben die Einrichtung eines
Hilfetelefons auf den Weg gebracht. Bundesweit wird es
in den nächsten Wochen, hoffe ich, geschaltet. Dort können Familien, Eltern, Mütter, aber auch die Kinder um
Hilfe bitten und eine qualifizierte Beratung erhalten.
Dies wird rund um die Uhr und in verschiedenen
Sprachen angeboten. Das Hilfetelefon ist ein möglichst
barrierefreies Angebot, um Gewalt in der Familie bekämpfen zu können. Insofern geben wir soziale Hilfestellung nicht nur in finanzieller, sondern auch in sehr
praktischer Art.
Danke.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana
Golze. Bitte schön, Frau Kollegin Diana Golze.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Laurischk, Sie sagten, Sie haben diese
Aktuelle Stunde aufgrund einer frisch vorgelegten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung verlangt, bei der es
um Kinderarmut geht. Nun frage ich mich: Wo waren
die Vorschläge der Koalition in der letzten Woche, als
um es eine Studie zur wachsenden Altersarmut in
Deutschland ging? Wo waren denn da Ihre Argumente?
Bei der Diskussion dieses wichtigen Themas im Deut24202
schen Bundestag gab es von Ihnen leider keine Anträge.
Heute geht es um nichts anderes als darum, sich hier
selbst zu beweihräuchern. Ich frage mich, auf welcher
Grundlage eigentlich. Ich kann sie nicht erkennen.
({0})
Ich will das auch einmal ausführen.
({1})
Es gibt ein Schriftstück, an das Sie, Herr Dr. Tauber, sich
anscheinend nicht mehr erinnern können, und das überschrieben ist mit „Koalitionsvertrag“. Ich habe mir noch
einmal angesehen, was Sie in diesem Vertrag für die soziale Situation der Kinder in Deutschland festgeschrieben haben. Sie haben darin angekündigt, das Kindergeld
und den Kinderfreibetrag anzuheben. Das haben Sie
auch gemacht. Ich bekomme für meine beiden Kinder
ein paar Euro mehr.
({2})
Meine Nachbarin, alleinerziehend, im ALG-II-Bezug,
bekommt diese nicht; denn dort wird gegengerechnet.
Die ärmsten Kinder haben von Ihrer Verbesserung also
nichts. Das ist die soziale Lage von Kindern. Darum geht
es Ihnen heute.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag von Aufstieg
durch Bildung geschrieben. Frau Laurischk hat gesagt,
wie wichtig ihr Bildung ist.
({3})
Aber es ist, wie es ist: Nirgendwo ist der Bildungserfolg
von Kindern so abhängig vom Geldbeutel der Eltern wie
bei uns. Sie haben nichts dagegen unternommen.
({4})
In diesem Zusammenhang noch ein weiteres Beispiel
- ich kann Ihre Unruhe verstehen - zum Thema Bildung.
Im Koalitionsvertrag wurde von einem Zukunftskonto
Bildung gesprochen. Können Sie sich noch erinnern? Es
ist schon eine Weile her. Sie haben in diesem Vertrag
vereinbart, dass Sie für jedes neugeborene Kind ein
Konto einrichten wollen, 150 Euro auf dieses Konto einzahlen wollen und die Eltern bei der privaten Bildungsvorsorge für ihre Kinder finanziell unterstützen wollen.
Dieses Vorhaben ist ersatzlos eingestampft worden.
Dazu sagen Sie in dieser Aktuellen Stunde natürlich gar
nichts. Man kann sich denken, warum.
({5})
Machen wir weiter mit den von Ihnen genannten Beispielen. Sie haben das Bundeskinderschutzgesetz angesprochen. Ja, darüber haben wir in diesem Hause lange
diskutiert. Das beschlossene Gesetz ist auch deutlich
besser als der zuerst vorgelegte Entwurf; das gebe ich
unumwunden zu.
({6})
Die wenigen konkreten Maßnahmen sind aber leider
zeitlich befristet; vorhin wurden in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Familienhebammen angesprochen.
({7})
Die Finanzierung dieser Stellen, die zudem nicht flächendeckend vorgesehen sind, wird vom Bund nur zeitlich befristet übernommen. Es bleibt also wieder an den
Ländern und Kommunen hängen, ob und wie das Ganze
weitergeführt wird. Durch dieses Abwälzen werden Sie
die soziale Situation der Kinder eben nicht auf Dauer
verbessern. Das kann nicht sein!
({8})
Ich habe noch ein schönes Beispiel aus einem anderen
Bereich. Ich zitiere wieder den Koalitionsvertrag: „Wir
wollen in allen Bereichen, insbesondere bei den Schutz-,
Förder- und Partizipationsrechten, kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen.“ Es ist schön, dass Sie diese Formulierung aufgenommen haben. Ich frage mich aber,
warum Sie immer noch - und das schon seit Jahren - die
Aufnahme von Kinderrechten auf Schutz, Förderung
und Beteiligung ins Grundgesetz ablehnen und noch
nicht einmal bereit sind, darüber zu diskutieren. Das
finde ich sehr schade. Diese Ablehnung ist eine sehr
klare Botschaft der Koalition zur sozialen Lage von Kindern.
Sie haben die Rücknahme des letzten Vorbehaltes zur
UN-Kinderrechtskonvention im Koalitionsvertrag versprochen. Sie haben sie auch tatsächlich vorgenommen,
das ist richtig,
({9})
allerdings ohne irgendeine gesetzliche Konsequenz. Das
heißt: Diese Kinder können nach wie vor in Abschiebehaft genommen werden; sie können nach wie vor in Sammelunterkünften untergebracht werden; sie sind nach
wie vor Betroffene von Flughafenverfahren. Das ist ein
Skandal!
({10})
Auch für diese Kinder erfolgt keine Verbesserung ihrer
sozialen Situation. Das ist reine Augenwischerei.
Des Weiteren haben Sie im Koalitionsvertrag versprochen, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. In dieser
Woche werden wir Ihren Gesetzentwurf hierzu behandeln. Sie versuchen, ein wenig Bürokratieabbau zu betreiben. Die notwendige Ausweitung vom 12. auf das
14. Lebensjahr nehmen Sie in diesem Zusammenhang
aber nicht vor. Für die alleinerziehenden unterhaltsberechtigten Elternteile bedeutet das also weiterhin: Falls
der unterhaltspflichtige Elternteil den Unterhalt nicht
zahlt, stehen sie ab dem 12. Lebensjahr des Kindes ohne
Unterstützung da, das Jugendamt springt nicht mehr ein,
und sie müssen den Klageweg selbst beschreiten, den
anderen Elternteil gegebenenfalls erst einmal ausfindig
machen, etc. pp. Das heißt, für die soziale Situation von
Kindern Alleinerziehender haben Sie in diesem Bereich
nichts verbessert.
Worüber haben Sie sich noch ausgelassen? Der Kitaausbau ist in Zeiten der Großen Koalition beschlossen
worden, das ist kein Verdienst von Schwarz-Gelb. Ich
hatte erwartet, dass Sie noch etwas zum Elterngeld sagen; auch das ist in der Großen Koalition beschlossen
worden. Zur Ausweitung der Vätermonate, die Sie versprochen haben, ist es nicht gekommen.
Ich frage mich tatsächlich, warum Sie mit dieser Aktuellen Stunde unsere Zeit verschwenden.
({11})
Ich werde gleich in eine öffentliche Anhörung der Kinderkommission gehen, bei der es um die kindgerechte
Kommune geht. Hier gibt es viel zu tun. Sie halten uns
mit dieser Aktuellen Stunde nur von der wirklich wichtigen Arbeit ab.
({12})
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Diana Golze. - Nächste
Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Katja Dörner.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Die Koalition preist sich hier selbst für
ihre angeblich so großartigen Errungenschaften für die
Kinder in Deutschland.
Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Stellen Sie sich
vor: Dagobert Duck lobt sich für seine eigene Großzügigkeit,
({0})
Quasimodo singt ein Loblied auf seine eigene Schönheit,
und Dieter Bohlen lobt sich selbst für seine philosophisch-tiefgründigen Kommentare in Deutschland sucht
den Superstar. Auf diesem Niveau ist das Eigenlob der
Schwarz-Gelben anzusiedeln.
({1})
Es ist durch und durch unglaubwürdig.
Statt hier große Töne zu spucken, wäre wirklich mehr
Bescheidenheit angesagt.
({2})
Es wäre sogar viel mehr Bescheidenheit angesagt. Ich
will Ihnen auch sagen, warum: In Deutschland ist die
Kinderarmut weiterhin skandalös hoch. Jedes siebte
Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV, in Ostdeutschland sogar jedes vierte. Diese Regierung hat in drei Jahren absolut gar nichts dazu getan, um diesen Zustand zu
ändern oder zu verbessern.
Stichwort Regelsatz: Bei den Berechnungen wurde
doch getrickst ohne Ende.
({3})
Kein Rechenkniff war für Schwarz-Gelb zu dubios, um
die Grundsicherung so niedrig wie irgend möglich zu
halten.
({4})
Damit nehmen Sie achselzuckend Kinderarmut und die
Armut von Jugendlichen in unserem Land in Kauf.
({5})
Sie nehmen den Kindern und Jugendlichen die
Chance auf gleichberechtigte Teilhabe. Wenn man sich
die Umfragen unter jungen Menschen in Deutschland
einmal anschaut - auch unter Kindern wohlgemerkt -,
dann stellt man fest: Diese jungen Menschen wissen
ganz genau um ihre Situation. 20 Prozent der jungen
Leute in Deutschland sagen über sich selbst, sie seien
benachteiligt und abgehängt. Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen, das ist doch ein Skandal in unserem Land, das
ist doch Sprengstoff für unsere Gesellschaft. Es ist einfach ein Hohn, dass sich Schwarz-Gelb angesichts einer
solchen Situation in unserem Land hier hinstellt und sich
selber auf die Schultern klopft.
({6})
Umverteilen von unten nach oben: Wer hat, dem wird
gegeben. Das ist das Prinzip von Schwarz-Gelb,
({7})
selbst bei Kindern und Familien. Während der Kinderfreibetrag angehoben wird, von dem Familien mit einem
hohen Einkommen besonders profitieren, wird das erhöhte Kindergeld voll und ganz auf die ALG-II-Leistungen angerechnet. Den armen Familien wird auch noch
flugs das Elterngeld abgezogen: monatlich 300 Euro weniger in der Kasse. Das ist die Konsequenz eines solchen
Verhaltens. Wenn das die Umsetzung der vollmundigen
Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag ist, die Kinderarmut zu bekämpfen, dann sollte man sich fast wünschen, dass auch andere eigentlich positive Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag erst gar nicht umgesetzt
werden.
({8})
Ich will den Koalitionsvertrag durchaus noch einmal
genauer unter die Lupe nehmen.
Darin heißt es - Zitat -:
Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss … bis
zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres eines
Kindes gewährt wird.
Umsetzung: Fehlanzeige. Es gab sogar schon einmal einen Gesetzentwurf. Er wurde aber wegen Finanzierungsvorbehalt auf Eis gelegt.
Zum Elterngeld heißt es im Koalitionsvertrag - Zitat -:
Die Partnermonate sollen gestärkt und ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden.
Umsetzung: Fehlanzeige.
({9})
Es gab zwar einmal einen Gesetzentwurf; aber er liegt
wegen Finanzierungsvorbehalt auf Eis.
Und zu den Alleinerziehenden, von denen wir wissen,
dass sie und ihre Kinder besonders von Armut betroffen
sind, heißt es - Zitat -:
Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung
des bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrages in
einen Abzug von der Steuerschuld möglich … ist.
Okay, an der Stelle gab es bis dato noch nicht einmal einen Gesetzentwurf.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Schwarz-Gelb
heißt: Viel versprechen, nichts umsetzen. Das ist zu wenig für die Kinder in unserem Land.
({10})
Die Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der
FDP kommen immer mit Schuldenabbau und Sparsamkeit. Da muss ich schon sagen: Wer ernsthaft bereit ist,
Milliardensummen in eine bildungs- und gleichstellungspolitische Katastrophe namens Betreuungsgeld zu
investieren, mit der man Kindern Chancen nimmt und
sie gerade nicht fördert, der hat jedes Recht verwirkt, so
zu argumentieren.
({11})
Die Umsetzung der drei eben von mir genannten im
Sinne der Kinder und Familien vernünftigen Ankündigungen aus Ihrem eigenen schwarz-gelben Koalitionsvertrag wäre mit den Milliardenbeträgen, die Sie jetzt für
das Betreuungsgeld vorsehen, locker zu finanzieren gewesen.
({12})
Letztes Stichwort: Kinderrechte. Schwarz-Gelb hat
die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen und ist dafür gelobt worden, auch
von uns und völlig zu Recht. Aber jetzt folgt eben nichts
daraus. Das Problem ist, dass aus der Rücknahme der
Vorbehaltserklärung reine Symbolpolitik wird. Kinder
ab 16 Jahren können im Asylverfahren weiter wie Erwachsene behandelt werden. Sie haben kein Recht auf
Leistungen aus dem Gesundheitssystem, sie haben kein
Recht auf Leistungen aus dem System der Kinder- und
Jugendhilfe. Weiterhin - das muss ich hier konstatieren ist die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland nicht
vollständig umgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerin interessiert das offensichtlich nicht. Sie interessiert offensichtlich auch diese Debatte nicht, die Aktuelle Stunde,
die von Ihren eigenen Fraktionen beantragt worden ist.
Ich finde, das sagt alles über die schwarz-gelbe Politik
für Kinder in unserem Land: Große Töne spucken,
nichts dahinter; Kosmetik statt Taten. Ich finde, die Kinder und Familien haben deutlich mehr verdient.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Nächster Redner in unserer Aktuellen
Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Eckhard Pols. Bitte schön, Kollege Eckhard Pols.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Dörner, in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Es muss
viel mehr über Kinder gesprochen werden. Frau Golze,
deswegen ist es ein Skandal, wenn Sie hier sagen: Es ist
reine Zeitverschwendung, dass Sie hier heute Nachmittag über Kinder reden müssen.
({0})
Solch eine Äußerung gerade aus Ihrem Munde, von der
Vorsitzenden der Kinderkommission, ist wirklich ein
Skandal.
({1})
Herr Heil, da Sie hier so populistisch auftreten, kann
man eigentlich nur davon ausgehen, dass Sie ein
schlechtes Gewissen haben. Wir von der Regierungskoalition müssen nun wirklich kein schlechtes Gewissen
haben.
Frau Golze hat es angesprochen: Die BertelsmannStiftung hat in ihrer aktuellen Auswertung auch festgestellt, dass die Armutsquote der unter Dreijährigen in
Deutschland gesunken ist. Leider liegt sie im Jahr 2011
immer noch bei 18,2 Prozent; aber es ist eine positive
Entwicklung, und die positive Entwicklung geht weiter.
Herr Heil, auch in unserer gemeinsamen Heimat, in
Niedersachsen, ist das Risiko für Kleinkinder, in Armut
aufzuwachsen, in den vergangenen Jahren erheblich gesunken, und es sinkt weiter.
({2})
Die absolute Zahl der Kinder unter drei Jahren in Bedarfsgemeinschaften verringerte sich auf 34 400, und damit liegt Niedersachsen im Ländervergleich erfreulicherweise im Spitzenfeld.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist
nicht verwunderlich; denn die Bundesregierung hat sich
zum Ziel gesetzt, die Armutsrisiken von Kindern zu
mindern, das Existenzminimum zu sichern und die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen
zu fördern. Als christlich-liberale Koalition haben wir
uns vorgenommen, für alle Kinder gleiche und faire
Chancen zu schaffen, damit sie frei von Armut aufwachsen und ihre vielfältigen Talente und Fähigkeiten entwickeln können. Die gute Konjunkturpolitik in Deutschland durch die christlich-liberale Koalition
({3})
sorgt dafür, dass viele Eltern einer Erwerbstätigkeit
nachgehen können. Das sehen Sie auch an den zurückgehenden Arbeitslosenzahlen. Dies ist das beste Mittel, um
Armut zu bekämpfen;
({4})
denn die Eltern, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen, haben auch eine Vorbildfunktion für ihre Kinder
und verhindern somit auch einen späteren SGB-II-Bezug
ihrer Kinder.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir gerade in
der Familien- und Sozialpolitik neue Prioritäten gesetzt
haben. Herr Heil, ich denke hier nur an einen Ausspruch
des ehemaligen Kanzlers Schröder, der in Bezug auf Familienpolitik immer von „Gedöns“ sprach.
({5})
Sie können es nicht ertragen, dass es eine CDU-Ministerin war, die sich dieses Themas angenommen hat und es
offensiv angegangen ist.
({6})
- Nein, von Renate Schmidt braucht man nichts zu hören, weil da nichts kam.
({7})
Ich spreche hier von Frau von der Leyen,
({8})
die dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat.
({9})
Wir haben 2005 den Kinderzuschlag eingeführt und
2007 das Elterngeld, Herr Heil; wir haben 2009 und erneut 2010 das Kindergeld aufgestockt.
({10})
Ein entscheidender Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch der Ausbau der Kinderbetreuung. Wenn Sie hier mit Zwischenrufen sagen, dass Niedersachsen hierfür ein schlechtes Beispiel ist, dann muss
ich Ihnen sagen, dass es die großen Städte wie Hannover,
Osnabrück und Oldenburg sind, SPD-regierte Städte,
({11})
die hinterherhinken. Gucken Sie bitte einmal in die Fläche, dorthin, wo die CDU regiert. Da werden Sie sehen,
dass wir diese Quote schon erfüllt haben.
({12})
- Meine Heimat ist sehr gut. Wir liegen bei über 35 Prozent. Lassen Sie sich die Zahlen dazu einmal aus Ihrer
Fraktion kommen.
Aber ein entscheidender Aspekt für die Reduzierung
der Kinderarmut ist - das haben meine Vorredner auch
betont - die Bildung. Ich kann hier nur John F. Kennedy
zitieren:
Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: Keine Bildung.
({13})
Denn unter fehlender Bildung leiden nicht nur die betroffenen jungen Menschen; auch die Gesellschaft trägt
schwer an den Folgekosten unzureichender Bildung.
({14})
Ein großer Erfolg der christlich-liberalen Koalition ist
neben den schon genannten Leistungen die „Offensive
Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas, Sprache & Integration“. Der Kollege Tauber hat es schon gesagt: Hier wurden 400 Millionen Euro angesetzt. Wir fördern damit
bundesweit aktuell 4 127 Schwerpunktkitas.
Wir alle wissen: Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg,
sowohl in der Schule als natürlich auch später im Beruf.
Wer früh gefördert wird, hat auch früh und zukünftig
bessere Chancen.
Meine Damen und Herren, ich scheue mich nicht, zu
sagen, dass unsere schwarz-gelbe Regierungspolitik offenkundig Früchte trägt. Dennoch ist es natürlich für uns
kein Ruhepolster, auf dem wir uns ausruhen können und
wollen. Im Gegenteil, für die christlich-liberale Koalition ist es ein Ansporn, die Anstrengungen in diesem Bereich fortzusetzen, um die Situation unserer Kinder in
Deutschland noch weiter zu verbessern.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Christel Humme. Bitte schön, Frau
Kollegin Christel Humme.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, Sie
können Ihre Aktuellen Stunden mit noch so schönen Titeln versehen - es bleibt das, was es ist, nämlich ein Etikettenschwindel.
({0})
Sie haben es in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft, die
Probleme Familienarmut und Kinderarmut zu lösen.
Die aktuelle Bertelsmann-Studie, Frau Laurischk, die
Sie zitiert haben - ja, ich gebe Ihnen recht -, hat in der
Tat festgestellt: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren,
({1})
die von der Grundsicherung leben, nimmt ab. Unterstellen wir einmal, das ist nicht nur ein Effekt der zurückgehenden Geburtenrate; nehmen wir einmal an, das ist ein
guter Trend. Das ist aber doch kein Grund, in Euphorie
zu verfallen. Im Gegenteil: Werfen Sie einen zweiten
Blick in die Bertelsmann-Studie, in der sehr differenziert
analysiert wurde! Dort wurde festgestellt, dass die Kinderarmutsquote unvermindert hoch ist. Im Osten beträgt
sie immer noch 25 Prozent; das heißt, jedes vierte Kind
lebt in Armut. Im Westen ist es jedes siebte Kind. In der
Studie wurde differenziert hingeschaut und festgestellt:
Das ist ein besonderes Problem der Regionen, der Städte
oder sogar der Stadtteile. Man kommt zu dem Ergebnis,
dass es Regionen oder Stadtteile gibt, in denen bis zu
35 Prozent der Kinder in Armut leben. Um es noch einmal zu wiederholen: Mehr als ein Drittel der Kinder sind
arm. Daran müsste man schon erkennen, dass Sie sich
nicht mit Ruhm bekleckern können.
({2})
Wir wissen: Es gibt nach wie vor zu viele arme Kinder. Wir wissen auch, dass das Risiko, arm zu bleiben
oder arm zu werden, während Ihrer Regierungszeit gestiegen ist. Hätten Sie einen Blick in den Entwurf des
4. Armuts- und Reichtumsberichts geworfen, hätten Sie
das gemerkt; denn dort wird genau das bestätigt. Auch
die Arbeiterwohlfahrt stellt in einer Langzeitstudie fest,
dass bis 2010 nur jedes zweite Kind eine Chance hatte,
aus der Armut herauszukommen. Das ist doch der entscheidende Punkt, der uns Politikerinnen und Politiker
bewegen muss: Wie sehen die Chancen der Kinder aus,
die heute arm sind? Welche Antworten geben wir darauf,
welche Sie?
({3})
Ich habe heute in der Debatte nicht eine einzige Antwort
darauf gehört.
Wir wissen doch alle ganz genau: Kinderarmut ist Familienarmut ist Elternarmut; ist Armut der Eltern, die
nicht genug Einkommen haben. Es ist gut, dass wir als
SPD den Kinderzuschlag eingeführt haben. Die Ausgaben dafür sind um 10 Prozent gestiegen, und damit ist
natürlich die Zahl derjenigen, die von Leistungen gemäß
SGB II leben, gesunken.
({4})
Insoweit ist die Statistik richtig. Auf der anderen Seite
- und das ist die Kehrseite der Medaille - belegt das
doch auch, dass es ganz viele Eltern gibt, die arbeiten,
aber von ihrer Arbeit nicht leben können und aufstocken
müssen. Das ist doch der eigentliche Skandal. Sie tun
nichts!
({5})
Sie legen Ihre Hände in den Schoß. Es gibt keinen gesetzlichen Mindestlohn mit Ihnen, und es gibt auch keine
gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Das ist Fakt. Das
stärkt die Armut. Das muss man feststellen.
({6})
Dabei käme das besonders einer Gruppe zugute, deren Kinder von großer Armut bedroht sind, nämlich der
Gruppe der Alleinerziehenden. Was bräuchten sie? Im
4. Armuts- und Reichtumsbericht wird festgestellt, dass
bis zu 40 Prozent von ihnen ein sehr geringes Einkommen haben. Was brauchen sie also? Sie brauchen Ganztagsbetreuung, sie brauchen mehr Betreuungsplätze, und
sie brauchen auch eine Reform der Minijobs; denn Teilzeitarbeit ist für Alleinerziehende ein großes Problem,
weil sie gleichzeitig zu einer Falle für Altersarmut wird.
Die Kinder der Alleinerziehenden brauchen weitere Bildungsangebote und Betreuungsplätze. Was machen Sie?
Sie tun nichts für den Ausbau der Betreuung. Noch viel
schlimmer: Morgen werden Sie beschließen, die Minijobs auszuweiten. Auch das ist ein Skandal angesichts
der Notwendigkeit, Armut zu bekämpfen.
({7})
Last, not least. Wenn Sie die Bertelsmann-Studie gelesen haben, dann haben Sie vielleicht auch gelesen, was
das Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung Jörg
Dräger vorgeschlagen hat, nachdem er die Studie vorgestellt hat. Er plädiert für eine bedarfsorientierte Verteilung der staatlichen Gelder. Er sagt weiter:
Armut darf nicht in Chancenlosigkeit münden. Wo
die Probleme größer sind, muss auch mehr Geld für
gute Kitas und gezielte Förderung in Brennpunkten
investiert werden.
({8})
Gerade die frühkindliche Phase ist entscheidend für
die Entwicklung eines Kindes.
Recht hat er! Aber was machen Sie? Sie kürzen die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“. Das ist Ihre Antwort. Außerdem führen Sie das Betreuungsgeld ein. Ich
sage Ihnen: Ihre christlich-liberale Politik - ein Armutszeugnis.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Christel Humme. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte
schön, Kollege Kober.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, Sie können sich rhetorisch ruhig auf den
Kopf stellen, eines können Sie nicht wegdefinieren:
Diese Regierung ist - das belegt der Rückgang bei der
Kinderarmut in Deutschland - auf dem richtigen Weg,
und sie betreibt eine erfolgreiche Politik für die Menschen in diesem Land.
({0})
Lieber Hubertus Heil, ja, Sie haben recht: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit der Eltern
auf der einen Seite und Kinderarmut auf der anderen
Seite. Aber Sie werden damit leben müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass der Rückgang
der Arbeitslosigkeit in Deutschland in einem seit Jahrzehnten nicht gekannten Maße in die Regierungszeit dieser Koalition fällt und nicht in Ihre.
({1})
Wir sind gar nicht so vermessen, die alleinige Verantwortung für diese günstige Entwicklung uns zuzuschreiben.
({2})
Natürlich wissen wir, dass die günstige Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt in erster Linie den fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den leistungsfähigen Unternehmen zu verdanken ist.
({3})
Sie ist aber auch - auch das lässt sich nicht wegdefinieren - der klugen wirtschafts- und wachstumsfreundlichen Politik dieser christlich-liberalen Koalition zu verdanken.
({4})
- Lieber Hubertus Heil, diese günstige Entwicklung
hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass wir die
Unternehmen machen lassen, statt Lästiges mit ihnen zu
machen,
({5})
damit, dass wir sie nicht mit überbordender Bürokratie
zuschütten und mit Steuererhöhungen belasten. Wir lassen die Unternehmen wirtschaften. So sichern wir Arbeitsplätze und erhöhen ihre Anzahl.
({6})
Es gibt derzeit so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so viele Erwerbsverhältnisse wie seit Jahrzehnten nicht mehr: 41 Millionen. Das ist eine beeindruckende Zahl, über die wir uns alle freuen sollten, auch,
weil sie unmittelbar mit dem Rückgang der Kinderarmut
zusammenhängt.
({7})
Sie können auch nicht wegdefinieren, dass wir eine
kluge Arbeitsmarktpolitik machen.
({8})
Wir haben die Arbeitsvermittlung in beiden Säulen gestärkt. Wir haben die Zahl der Optionskommunen erhöht
und ihre Existenz gesichert. Wir haben die Hilfe aus einer
Hand gesichert. Wir haben die arbeitsmarktpolitischen
Instrumente zielgenauer ausgerichtet. So ermöglichen
wir es mehr Menschen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu
finden. Wir haben mit dem Bildungs- und Teilhabepaket
({9})
die Bildungschancen der Kinder erhöht und ihre Teilhabechancen in unserer Gesellschaft verbessert. Lieber
Hubertus Heil, Sie persönlich sind mit dafür verantwortlich - ({10})
- Ja, Frau Schwesig von der SPD
({11})
ist auch verantwortlich, genau. Sie beide tragen die Verantwortung dafür, dass dieses Bildungs- und Teilhabepaket nur schwer auf den Weg gebracht werden kann.
Sie wollten es in die Hand der Kommunen geben. Sie
sind damit dafür verantwortlich,
({12})
dass beim Bildungs- und Teilhabepaket jetzt jede Kommune das Rad neu erfinden muss.
({13})
Wenn es um die Entlastung der unteren Einkommen
geht, dann stehen Sie, wie immer, auf der Bremse: aktuell bei der Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge von 19,6 auf 18,9 Prozent. Wenn es um die Entlastung der Menschen mit kleinen Einkommen geht, sind
Sie nicht mit dabei. Dann stehen Sie auf der Bremse. Sie
möchten diese Menschen nicht unterstützen. Wir hingegen sind ein verlässlicher Anwalt der Menschen in unserem Land.
Wir haben einiges für die Kinder in unserem Land erreicht, nicht nur, wenn es um materielle Fragen geht,
sondern auch in anderen Bereichen. Frau Dörner hat bereits darauf hingewiesen, dass die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention in
unsere Regierungszeit fällt. In unserer Regierungszeit
haben wir aber auch den Entfaltungs- und Lebensraum
für Kinder in unserer Gesellschaft faktisch vergrößert,
indem wir klargestellt haben, dass Kinderlärm keine
schädliche Umweltbelastung ist.
({14})
Wir haben durch die Durchsetzung des Prinzips „Löschen statt Sperren“ die Persönlichkeitsrechte von Opfern von Kriminalität im Bereich des Internets gestärkt.
Wir haben es nicht nur ermöglicht, dass der Zugang zu
kinderpornografischen Seiten erschwert wird, sondern
auch, dass solche Bilder, die die Persönlichkeitsrechte
des Kindes verletzen, wirklich aus dem Internet entfernt
werden.
Wir haben bei den Meldepflichten angesetzt. Wir haben die Meldepflichten gelockert, sodass auch Kinder
ohne Aufenthaltsstatus den Kindergarten oder die Schule
besuchen können.
({15})
Wir haben beispielsweise einen eigenständigen
Straftatbestand Zwangsheirat eingeführt, von der häufig
Minderjährige betroffen sind.
Wir haben auch die Rechte der Opfer in Ermittlungsund Strafverfahren gestärkt.
({16})
Auch das ist etwas, was gerade Kindern zugutekommt,
weil Mehrfachvernehmungen und anderes Belastende in
Zukunft nicht mehr nötig sind.
({17})
Ich glaube, alles in allem kann diese Bundesregierung
stolz sein auf die Leistungen, die sie in den vergangenen
drei Jahren für die Kinder in diesem Land erbracht hat.
Wir werden nicht nachlassen, an den Problemen zu arbeiten. Natürlich ist jedes Kind in Armut nach wie vor
eines zu viel. Wir werden an diesem Punkt nicht nachlassen und uns für die Kinder in diesem Land weiterhin erfolgreich einsetzen.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist für die Fraktion
der Sozialdemokraten unser Kollege Swen Schulz. Bitte
schön, Kollege Swen Schulz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den
Titel der von der Koalition beantragten Aktuellen Stunde
gelesen habe, ist mir erst einmal die Spucke weggeblieben. Ich lese das noch einmal vor: „Soziale Situation der
Kinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlichliberaler Regierungspolitik“.
({0})
Das ist dreist.
({1})
Ich möchte diesen Anspruch einmal konkret anhand
des Themas Bildung bzw. Bildungsarmut überprüfen.
Das Thema Bildung ist, wie wir wissen, sehr wichtig,
zum einen gesellschaftlich, also für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, und zum anderen natürlich insbesondere für diejenigen, über die wir jetzt hier sprechen.
Nicht ohne Grund hat Bundeskanzlerin Merkel vor einigen Jahren das schöne Wort der „Bildungsrepublik
Deutschland“ geprägt.
Die Frage ist: Was hat die Bundesregierung tatsächlich konkret gemacht, um diesen Anspruch zu realisieren? Nichts hat sie gemacht. Nichts ist geschehen. Dabei
hat die Koalition zu Beginn der Wahlperiode den Mund
ziemlich voll genommen. Es gab ein großes Konzept für
das Bildungssparen. Das ist beerdigt worden. Lokale
Bildungsbündnisse für Grundschulen sollten eingerichtet
werden. Das ist gescheitert. Das Bildungs- und Teilhabepaket - total verkorkst. Unterhalten Sie sich einmal mit
denjenigen, die vor Ort das Bildungs- und Teilhabepaket
umsetzen sollen. Sie schlagen die Hände über dem Kopf
zusammen.
({2})
Dafür gibt es einen sehr klaren Grund. Das Geld für
das Bildungs- und Teilhabepaket wird in großem Maße
von der Verwaltung aufgefressen, während viele Kinder
und Familien, die Unterstützung benötigen, diese nicht
bekommen. Das liegt an einem Konstruktionsfehler. Sie
müssen die Bildungseinrichtungen, die Kitas und die
Schulen, stärken, statt die Eltern auf die Ämter zu schicken. Das ist der Punkt.
({3})
Swen Schulz ({4})
Aber mit den Bildungseinrichtungen hat es die Koalition ja nicht so. Das wird beim Thema Betreuungsgeld
ganz besonders deutlich.
({5})
Das ist wirklich kompletter Irrsinn. Das muss man sich
einmal vorstellen: Sie wollen den Eltern Geld dafür geben, dass sie ihre Kinder nicht in die Bildungseinrichtung Kita schicken. Das schlägt wirklich dem Fass den
Boden aus. Es kommt noch etwas dazu - wir reden ja
über Armut -: Das Betreuungsgeld soll nach dem Gesetzentwurf voll auf das Arbeitslosengeld II angerechnet
werden, so, wie es auch beim Elterngeld gemacht wird;
das haben Sie entschieden. Man liest da so einiges; Sie
streiten ja sehr heftig darüber, bislang jedenfalls. Jetzt
liest man, dass Sie das Betreuungsgeld unter bestimmten
Bedingungen, also konditioniert, möglicherweise doch
an arme Familien auszahlen wollen. Ich sage Ihnen: Sie
machen den Quatsch nur noch quätscher.
({6})
Das Betreuungsgeld kommt mir vor wie ein Tanker
auf hoher See, der leckgeschlagen ist. Aber es hilft
nichts, wenn Sie jetzt hektisch Räder daran basteln. Ich
gebe Ihnen den Rat: Lassen Sie das Betreuungsgeld einfach untergehen. Besser ist das.
({7})
Damit das jetzt nicht einseitig wirkt, will ich Ihnen etwas vorlesen:
Das deutsche Bildungssystem ist … heute weniger
als andere europäische Bildungssysteme … in der
Lage, benachteiligte Kinder … zu fördern … Eine
wesentliche Ursache dafür ist klar zu benennen: Es
fehlt hierzulande noch immer an angemessener
Kinderbetreuung und Ganztagsschulen.
Das hat nicht die SPD geschrieben, sondern die Bundesregierung. Dies steht im Entwurf des 4. Armuts- und
Reichtumsberichts der Bundesregierung.
({8})
Wenn Sie das so klar erkennen, warum unternehmen Sie
dann nichts?
({9})
Kitaausbau. Für das Betreuungsgeld sehen Sie über
1 Milliarde Euro jährlich vor, aber die dringend benötigten und den Ländern und Kommunen zugesagten Mittel
für den Ausbau der Kitas werden von Frau Familienministerin Schröder
({10})
unter fadenscheinigen Begründungen immer noch blockiert. Geben Sie das Geld endlich frei!
({11})
Ganztagsschulen. Das ist wirklich ein spannendes
Thema. Rot-Grün hat unter der Regierung Gerhard
Schröder ein Ganztagsschulprogramm aufgelegt. Die
CDU/CSU hat das immer bekämpft. Wir haben das durchgesetzt, und es hat eine ganze Menge bewirkt. Inzwischen
sagt Bildungsministerin Schavan, dass Ganztagsschulen
ganz toll sind, und bejubelt jede neue Studie dazu.
Jetzt wollen wir von der SPD einen entscheidenden
Schritt weitergehen und ein flächendeckendes Angebot
von Ganztagsschulen machen. Aber dafür müssen wir
zunächst einmal das Grundgesetz ändern und das Kooperationsverbot im Bildungsbereich von Bund und
Ländern streichen.
Was macht die Regierungskoalition? Sie lehnt das ab.
Stattdessen gibt es einen eigenen Vorschlag zur Grundgesetzänderung von Schwarz-Gelb, der darauf hinausläuft, dass einige wenige Spitzenforschungseinrichtungen gefördert werden können. Aber das hat mit Bildung
nichts zu tun. Keine einzige Ganztagsschule würde entstehen, kein Lehrer würde eingestellt. Das kann es nicht
sein. Machen Sie endlich den Weg frei für eine vernünftige Bildungspolitik in Deutschland!
({12})
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP,
Sie behaupten, Sie machen etwas gegen Bildungsarmut. Fangen Sie endlich damit an!
Danke schön.
({13})
Vielen Dank, Kollege Swen Schulz. - Letzter Redner
in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Frank Heinrich. Bitte schön,
Kollege Frank Heinrich.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir verhehlen als Koalition an keiner Stelle,
dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben, was dieses
Thema angeht.
({0})
Die 18,2 Prozent - Herr Kober hat das gesagt - sind immer noch viel zu viel. Doch ist die Strecke auf diesen
Berg, den wir hier besteigen, ein Stück weit zurückgelegt. Die soziale Situation der Kinder hat sich - verschie24210
dene Facetten haben dies einfach deutlich gemacht verbessert. Wenn wir uns immer nur die negativen Nachrichten um die Ohren hauen, dann ist jetzt der Zeitpunkt,
um über eine gute Nachricht nachzudenken.
Ich will die Kinder, um die es heute ja nun geht, einmal in den Mittelpunkt setzen. Ich selber arbeite in drei
Vereinen und einer anderen Organisation in meiner Stadt
Chemnitz mit Kindern zusammen. Ich möchte einfach
einmal Peter als fiktives Gegenüber nehmen; ich habe
ihn vor Augen. Chemnitz ist an dieser Stelle in Sachsen,
und Sachsen ist innerhalb Deutschlands immer noch bei
Prozentzahlen, die höher sind als das, worüber wir heute
bundesweit diskutieren. Trotzdem hat sich die Zahl in
Chemnitz innerhalb der letzten vier Jahre um ein ganzes
Drittel verbessert.
Peters Mutter ist alleinerziehend - wir wissen, ihr Armutsrisiko ist dadurch höher -, und selber Hartz-IVEmpfängerin. Gemäß Armuts- und Reichtumsbericht
gehört Peter zur größten Risikogruppe für mangelnde
Bildungschancen und damit zur Risikogruppe für eine
zukünftige eigene gebrochene Erwerbsbiografie und
später möglicherweise Altersarmut. Das heißt, Kinderarmut hat eine sozial-menschliche Komponente, aber
auch eine gesellschaftlich-ökonomische. Die größte Sorgengruppe unserer Gesellschaft sind insoweit die Kinder, denen doch eigentlich die Zukunft gehören sollte.
Dies gilt umso mehr angesichts der demografischen Entwicklung, die wir jetzt gerade vor uns haben.
Was können wir für Peter tun? Ich zitiere aus
UNICEF-Pressemitteilungen von Anfang des Jahres:
Die Teilhabe von Eltern am Erwerbsleben ist von
zentraler Bedeutung für das Wohlbefinden von Kindern in Deutschland.
({1})
- Ich bitte Sie, hinzuhören.
Eine gute Förderung in Kindertagesstätten und
Schulen kann Defizite aufgrund mangelnder Teilhabe der Eltern nur begrenzt ausgleichen.
Zu diesem Ergebnis kommt der UNICEF-Bericht zur
Lage der Kinder in Deutschland 2011/2012.
Was braucht Peter? Erstens braucht seine Mutter Arbeit. Wir haben die Zahlen hier inzwischen mehrfach gehört; ich werde sie jetzt nicht noch einmal wiederholen.
Aber wer hat denn dafür gesorgt, dass wir unter einer 3,x
liegen, was die Arbeitslosigkeit angeht? Das ist nicht allein in den letzten drei Jahren passiert, aber mitunter
auch durch weise Entscheidungen. Die Armutsgefährdung von Kindern sinkt mit der Erwerbsbeteiligung der
Eltern. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie, und
das hat auch - auch! - etwas mit dem Erfolg der christlich-liberalen Koalition zu tun und mit der wirtschaftlich
günstigen Situation, die wir gerade in Deutschland haben, wobei beides miteinander zu tun haben kann.
({2})
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um
40 Prozent gesunken. Dieser Haupthintergrund von mangelnden Chancen ist also schon einmal in Angriff genommen. Der Jahresdurchschnitt im Jahre 2007 betrug
1,73 Millionen, der Jahresdurchschnitt 2011 1,06 Millionen; so heißt es im Entwurf des Armutsberichts.
Maßnahmen sind vor allem die Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes; zu diesem Thema haben wir sehr viele
Auseinandersetzungen erlebt. Zu tun bleibt: Ja, auch wir
diskutieren über eine Lohnuntergrenze in verschiedenen
Branchen, aber auf der Grundlage des hohen Gutes der
Tarifautonomie. Das ist ganz besonders wichtig.
({3})
Das ist uns ganz besonders wichtig.
({4})
Zweitens. Was braucht Peter? Er braucht die Gelegenheit zur Teilhabe. Frau Golze und Frau Dörner, Sie haben
gesagt: Es ist nichts getan worden in den drei Jahren. - Es
tut mir leid, da habe ich andere Informationen.
({5})
Schulisch und gesellschaftlich-kulturell haben wir als
Neuausrichtung von Hartz IV das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht. Es mag klein sein; aber
es ist - so habe ich das rückgemeldet bekommen - ein
guter Anfang. Dieses Bildungspaket greift. Es ist verbunden mit einem Perspektivwechsel: Sachleistung statt
Geldleistung. Ja, es ist nur ein erster Schritt; aber es ist
ein Schritt auf einem Weg des Umdenkens. Es wird auch
zunehmend in Anspruch genommen: von 56 Prozent der
betreffenden Personen, bei mir in Chemnitz von weit
mehr.
Herr Schulz, Sie haben danach gefragt, ob wir uns vor
Ort schon einmal darüber unterhalten hätten. Ja, regelmäßig. Ich bekomme auf meine Nachfrage die Rückmeldung - das schlägt sich auch im Armuts- und Reichtumsbericht nieder -, dass die Leistungsberechtigten wie
auch die Organisationen sagen: Je länger, desto besser.
Die Bürokratisierung ist in der Tat ein Problem. Da muss
der Zugang, da müssen die Anträge vereinfacht werden.
Drittens. Peter braucht eigene Chancen auf gute
schulische und berufliche Ausbildung. Noch einmal
UNICEF:
In der Schule ist die Entwicklung von sozialer
Kompetenz, Verantwortung und Werten genauso
wichtig wie kognitive Fähigkeiten. Eine ausschließliche Konzentration auf Leistungssteigerung, wie
sie stark durch die PISA-Debatte befördert wird,
führt dazu, dass einzelne Gruppen von Kindern systematisch ausgeschlossen werden.
Wir, die christlich-liberale Koalition, sagen: Wir brauchen ein differenziertes und wertebasiertes Schulsystem,
eine Ausbildung mit starkem Praxisbezug - die duale
Ausbildung, wie wir sie in Deutschland kennen -, die
Stärkung von Handwerk und Mittelstand und auch hier
persönliche Begleitung. Der aufkommende Fachkräfteund Arbeitskräftebedarf eröffnet neue Möglichkeiten.
Es ist viel erreicht, aber noch lange nicht genug; denn
der Berg ist noch nicht erklommen. Ich wiederhole, was
Herr Kober gesagt hat: Jedes einzelne Kind von diesen
18,2 Prozent ist eines zu viel.
Der Peter schaut jetzt auf die Uhr.
({0})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Einen schönen Nachmittag noch.
({0})
Zumindest herinnen ist der Nachmittag beendet und
geht in anderen Gremien weiter.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Übrigens war heute die 200. Plenarsitzung, sodass ich
die nächste Sitzung, die 201. Sitzung, für morgen, Donnerstag, den 25. Oktober 2012, um 9 Uhr, einberufe.
Die Sitzung ist geschlossen.