Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, die Frist für die Einreichung von Fra-
gen für die Fragestunde am Dienstag, dem 9. Februar
2010, auf Donnerstag, den 4. Februar 2010, 10 Uhr, vor-
zuverlegen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung
der Finanzlage der Sozialversicherungssysteme
und zur Einführung eines Sonderprogramms mit
Maßnahmen für Milchviehhalter sowie zur Änderung anderer Gesetze ({0})
- Drucksache 17/507 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Versicherte in der Krise schützen - Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung
und der Bundesagentur für Arbeit entschärfen
- Drucksache 17/495 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter das Wort.
({3})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft als die
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik ist keine Schönwetterveranstaltung. Sie hat sich in
ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte vor allen Dingen
bei großen Herausforderungen bewährt. Dabei kam es
uns allen zugute, dass unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kein statisches System ist, sondern sich
ständig fortentwickelt hat.
Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
war die Geburtsstunde und zugleich die erste Bewährungsprobe einer Ordnung, die Freiheit und Verantwortung miteinander verknüpft. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass viele von dieser Phase als der Zeit des
Wirtschaftswunders sprechen. Diese Ordnung hat Staat
und Markt so miteinander verknüpft, dass die Verheißung vom „Wohlstand für alle“ sich nicht lediglich für
wenige erfüllte.
Die Wiedervereinigung war eine große Bewährungsprobe, aber auch eine Bestätigung für das Konzept der
sozialen Marktwirtschaft, in dem Maß und Mitte eine
zentrale Rolle spielen. Mit der Wirtschafts-, Währungsund Sozialunion wurde die soziale Marktwirtschaft als
die Ordnung für das gesamte Deutschland fortentwickelt. In einer beispiellosen Solidaritätsaktion wurden
die Folgekosten des Sozialismus übernommen und der
Grundstein für eine Erfolgsgeschichte der Ideen von
Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke und Alfred MüllerArmack gelegt.
({0})
Wie zu den Zeiten der beiden ersten großen Herausforderungen unserer Ordnung ist es wiederum eine
christlich-liberale Regierung, die die soziale Marktwirtschaft als Maßstab für ihre Handlungen in der Krise
Redetext
nimmt, dieses Mal für die Wiedererlangung von Wachstum und Stabilität nach der weltweit größten Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Rezession ist vorbei; die Gefahr von Rückschlägen
kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. In jedem
Falle sind die Krisenfolgen allerorten noch deutlich
spürbar. Dies gilt nicht nur für die Finanzmärkte, die
durch eine internationale Aktion stabilisiert wurden; dies
gilt auch für die sozialen Sicherungssysteme, die krisenbedingt unter einem erheblichen Stress stehen.
Wir, die christlich-liberale Regierung, wollen die Anpassungslasten in den sozialen Sicherungssystemen
nicht ausschließlich den Beitragszahlern aufbürden. In
einer sozialen Marktwirtschaft, so wie wir sie verstehen,
gilt es jetzt, Beschäftigung und die sozialen Sicherungssysteme in einer gleichwohl ungewöhnlichen Solidaritätsaktion zu stabilisieren. Diesem Ziel, dieser Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, dient der heute
eingebrachte Gesetzentwurf.
({1})
Wir wollen konjunktur- bzw. krisenbedingte Mindereinnahmen in der Arbeitslosenversicherung und in der
gesetzlichen Krankenversicherung mit Steuermitteln
auffangen und damit sowohl die Lohnzusatzkosten als
auch die Nettoeinkünfte der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten stabilisieren. Das heißt, im Bereich der
Bundesagentur für Arbeit soll das nach bisheriger
Rechtslage im Haushaltsjahr 2010 zu gewährende Darlehen in einen Zuschuss an die Bundesagentur umgewandelt werden.
Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2010
sieht hierfür einen Betrag in Höhe von 16 Milliarden
Euro vor. Ausschlaggebend ist: Ohne diesen Zuschuss
des Bundes müsste der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung spürbar erhöht werden. Nur so würde die Bundesagentur für Arbeit in die Lage versetzt werden, das
sonst notwendige Darlehen zeitnah zurückzuzahlen. Ich
bin sicher, dass Sie meine Meinung teilen: Eine signifikante Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung wäre in der gegenwärtigen arbeitsmarkt- und
konjunkturpolitischen Lage gelinde gesagt mehr als kontraproduktiv. Sie gilt es zu vermeiden.
({2})
Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
soll der Gesundheitsfonds im laufenden Jahr einen einmaligen zusätzlichen Zuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro erhalten. Ohne diesen einmaligen Zuschuss zur
Kompensation krisenbedingter Einnahmeausfälle im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung würde sich
der Druck auf die gesetzlichen Krankenkassen - Stichwort Zusatzbeiträge - noch weiter erhöhen, als es zum
gegenwärtigen Zeitpunkt bedauerlicherweise der Fall ist.
Unter Berücksichtigung dieses zusätzlichen Zuschusses erhält der Gesundheitsfonds im laufenden Jahr Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt in Höhe von fast
16 Milliarden Euro; das sind rund 5 Prozent der von der
Regierung veranschlagten Ausgaben für das Jahr 2010.
Nehmen wir die Bereiche Arbeitslosenversicherung und
gesetzliche Krankenversicherung zusammen, wird deutlich, dass jeder zehnte Euro dieses Bundeshaushalts für
Maßnahmen zur Stabilisierung der Beiträge in den sozialen Sicherungssystemen ausgegeben wird. Das zeigt, wo
derzeit der Schwerpunkt unserer Aktivitäten als Reaktion auf die Finanzmarktkrise liegt.
({3})
Zur Unterstützung der milcherzeugenden Landwirte schaffen wir einen Ausgleich der konjunkturell bedingt schwierigen Einnahme- bzw. Liquiditätssituation
der deutschen Landwirte. Es geht auch darum, im Sinne
einer nachhaltigen Entwicklung leistungsfähige Betriebe
am Markt zu erhalten. Uns ist es besonders wichtig, die
Milchproduktion an sogenannten Grünlandstandorten zu
bewahren. Auf Grünland besteht häufig keine Alternative zur Milchproduktion. Gleichzeitig ist Grünland aus
ökologischen, aber auch aus landschaftskulturellen Aspekten ein Milcherzeugungsstandort, der in der gegenwärtig schwierigen Situation auch unter konjunkturellen
Gesichtspunkten einer besonderen Beachtung bedarf.
({4})
Neben dem Grünlandmilchprogramm, dessen wesentlicher Bestandteil das Milchsonderprogramm ist und für
das der Bund im laufenden Jahr ungefähr 300 Millionen
Euro aufbringt, wird der Bereich Landwirtschaft mit
weiteren Maßnahmen unterstützt. Wir stabilisieren durch
einen Zuschuss die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Zudem gibt es Liquiditätshilfen für Landwirte.
Im Jahr 2010 sind für die Landwirtschaft insgesamt
425 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen. Es bleibt bei
unserer Festlegung, die wir im Koalitionsvertrag getroffen haben: Wir werden den Bereich der Landwirtschaft
in diesem und im kommenden Jahr auf Initiative der
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner mit insgesamt 750 Millionen Euro zusätzlich unterstützen.
({5})
Neben diesen drei finanziellen Unterstützungsmaßnahmen enthält der Entwurf dieses Gesetzes auch Änderungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik; denn soziale
Marktwirtschaft bedeutet auch, in dieser Krisensituation
die Lebensleistung der Menschen zu berücksichtigen.
Konkret: Wir verdreifachen das Schonvermögen für
Langzeitarbeitslose von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr.
({6})
Die Menschen, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Arbeit verlieren, sollen nicht gezwungen sein,
ihre private Altersvorsorge aufzulösen, um damit ihren
Lebensunterhalt zu finanzieren, und dies im schlimmsten Fall mit der möglichen Folge, dass sie im Alter unterstützungsbedürftig werden. Demgegenüber erfordert
die von uns vorgeschlagene gerechtere Vermögensanrechnung mehr Eigenverantwortung. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut. Sie stärkt
in allen Bevölkerungsgruppen die Anreize, für das Alter
vorzusorgen. Sie ist gelebte soziale Marktwirtschaft, so
wie sie die christlich-liberale Koalition versteht.
({7})
Bundesminister Schäuble hat bereits in der vergangenen Haushaltswoche bekräftigt: Der Bundeshaushalt
2010 ist ein wichtiger und zentraler Meilenstein zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir schreiben
die Konjunkturpakete I und II und das Bürgerentlastungsgesetz fort, und wir entwickeln das Sofortprogramm der christlich-liberalen Koalition weiter. Aber erst
mit dem Inkrafttreten des heute vorgelegten Entwurfs des
Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetzes können die
Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Der Bundeshaushalt auf der einen und dieses Gesetz auf der anderen
Seite sind eng miteinander verzahnt.
Beide tragen dazu bei, dass die Lasten bei der Bewältigung der großen Finanz- und Wirtschaftskrise nicht
einseitig und ungerecht verteilt werden.
Zulasten der öffentlichen Haushalte haben wir das
Überleben des Finanzsektors unseres Landes gesichert.
Jetzt wollen wir der Gesamtheit der Beitragszahler zu
den sozialen Sicherungssystemen in einer entsprechenden Weise Teile der Lasten abnehmen. Das ist die Zielsetzung dieses Gesetzesvorhabens.
So richtig und wichtig es ist, in der gegenwärtigen
Krise zu stabilisieren, so richtig und wichtig ist es auch,
auf eine konsistente und geordnete Strategie für den
Ausstieg aus den staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen
zu achten und diese - das haben wir angekündigt - entschieden durchzusetzen. Das heißt auch: Wir müssen uns
jetzt mit Bedacht mit den Strukturen des Bundeshaushaltes und mit den Strukturen unserer sozialen Sicherungssysteme beschäftigen. Wir müssen gerade im Hinblick
auf die neue Schuldenregel im Grundgesetz ganz genau
hinschauen: Wo gibt es Ineffizienzen? Was können wir
besser machen? Wo besteht über dieses Gesetz hinaus
ordnungspolitischer Handlungsbedarf?
Dabei ist für uns die soziale Marktwirtschaft im
21. Jahrhundert Maßstab des Handelns zur Wiedererlangung von Wachstum und Stabilität.
Das bedeutet für diese Bundesregierung: Wir lassen
die Menschen nicht im Stich. Konsolidierung und Gerechtigkeit sind kein Widerspruch, nein, sie bedingen
einander. Auf unsere Wirtschaftsordnung, die sich in der
Krise so handlungs- und reaktionsfähig zeigt, sollten wir
stolz sein. In diesem Sinne werbe ich um die Zustimmung zu diesem Gesetz.
({8})
Das Wort hat nun Bettina Hagedorn für die SPDFraktion.
({0})
Verehrter Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Kampeter, ich bin Ihnen eigentlich
sehr dankbar dafür, dass Sie gerade darauf hingewiesen
haben, dass zwischen diesem Gesetzentwurf und dem
Entwurf für den Bundeshaushalt 2010, über den wir hier
vor einer Woche diskutiert haben, eine enge Verzahnung
besteht. Allerdings meine ich das ganz anders, als Sie
das gerade suggeriert haben.
Es ist nämlich so: Wenn man sich den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2010 genau anschaut, dann
könnte man zu der Erkenntnis kommen, dass sich in diesem Gesetz ein Zuschuss der Steuerzahler an verschiedene Gruppen der Gesellschaft, vor allen Dingen aber an
die BA und den Gesundheitsfonds von 20,6 Milliarden
Euro verbirgt. Das ist aber nicht so. Um das zu erkennen,
muss man das Kleingedruckte in diesem Gesetzentwurf
lesen. In Wahrheit werden wir am Ende dieses Haushaltsjahres gemeinsam feststellen, dass es ungefähr, wenn
überhaupt, 14 Milliarden Euro sein werden. Die 6 Milliarden Euro Differenz, die dazwischenliegen, werden nur
bei einem Träger eingespart, so werden Sie es jedenfalls
nennen - Sie werden von „Einsparungen“ reden -, und
das wird die Bundesagentur für Arbeit sein. Wenn irgendeiner von den Kollegen hier das nicht so ganz nachvollziehen kann, bin ich gerne bereit, ihm das auf Nachfrage näher zu erläutern.
({0})
Wir reden heute über den Entwurf eines Gesetzes mit
dem prägnanten, aber leicht irreführenden Titel „Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz“. Die Gesetzesbegründung gibt vor, die in der Wirtschaftskrise notleidenden sozialen Sicherungssysteme bei Arbeitslosigkeit und
Krankheit jeweils mit einem einmaligen Steuerzuschuss
absichern zu wollen - ich sprach schon davon:
20 Milliarden Euro sollen es laut Haushaltsentwurf der
Regierung sein -, um Beitragserhöhungen mitten in der
Krise zu vermeiden und die Lohnnebenkosten stabil zu
halten. Ein prinzipiell guter und richtiger Gedanke, dem
sich auch die SPD prinzipiell sofort anschließen kann.
Aber Achtung: Nur weil jemand einen richtigen Gedanken zu haben vorgibt oder ein richtiges Ziel wie eine
Monstranz vor sich herträgt, will er noch lange nicht die
richtigen Instrumente gesetzlich festlegen, um dieses
Ziel auch tatsächlich zu erreichen.
({1})
Mit den Namen von Gesetzen ist es bei dieser
schwarz-gelben Koalition ja so eine Sache, wie wir
schon in den ersten Regierungsmonaten lernen mussten.
Auf der Verpackung steht manchmal etwas ganz anderes, als drin ist.
({2})
Gemeinhin ist dieser Tatbestand als Etikettenschwindel
bekannt. Das war schon beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz so,
({3})
von dem alle Sachverständigen der Republik übereinstimmend sagen, dass es weder zu wirtschaftlichem
Wachstum führt noch dieses etwa beschleunigt.
({4})
Schuldenbeschleunigungsgesetz oder Hotelierfördergesetz wären zutreffendere Namen.
({5})
Wie dem auch sei, wer keinem Etikettenschwindel aufsitzen will, der ist gut beraten, sich den Inhalt kritisch
anzuschauen und auch das Kleingedruckte zu lesen.
Was also steckt im sogenannten SozialversicherungsStabilisierungsgesetz? Es steckt ein ganzer Bauchladen
drin, ein Maßnahmebündel, das teilweise gut und richtig
ist
({6})
und teilweise in die falsche Richtung geht. Da ist zunächst das Sonderprogramm für Milchviehhalter in
Höhe von knapp 200 Millionen Euro pro Jahr. Da sind
die Gründland- und die Kuhprämie, für die im Gesetzentwurf minutiös 54 Rinderarten aufgelistet sind. Das ist
sicherlich weder ein Beitrag zum Bürokratieabbau à la
FDP noch einer zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme.
({7})
Mein Kollege Wilhelm Priesmeier wird noch im Detail
darauf eingehen.
Als weitere Maßnahme sieht der Gesetzentwurf die
Verdreifachung des sogenannten Schonvermögens vor,
das Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, zur
Vorsorge für das Alter absichern soll. Dieser Maßnahme
stimmt die SPD mit ganzem Herzen zu. Schade ist nur,
liebe Kollegen der CDU/CSU, dass Sie solche vernünftigen sozialen Maßnahmen, solange wir gemeinsam regiert haben, stets blockierten und erst jetzt auf solche
vernünftigen Vorschläge kommen.
({8})
Das könnte mit dem sozialeren Teil Ihrer Partei und mit
bevorstehenden Wahlen in NRW zu tun haben. Ein
Schelm, der Böses dabei denkt! Wie dem auch sei, mit
dieser Maßnahme helfen wir zu Recht einer Bevölkerungsgruppe. Leider ist dies nur eine sehr kleine; denn
nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus dem dritten Quartal 2009 können nur 0,2 Prozent der Antragsteller auf Arbeitslosengeld II von dieser Regelung profitieren. Immerhin, für diejenigen, die jahrzehntelang
gearbeitet, gespart oder geerbt haben und jetzt gerade in
der Krise - entgegen der Unterstellung von Ministerpräsident Koch meist trotz großer Bemühungen um einen
neuen Arbeitsplatz - ohne Chance auf einen Job bleiben,
({9})
ist es tröstlich und gerecht, dass ihnen dieser stattliche
Betrag zur zusätzlichen Altersvorsorge bleibt.
({10})
Ferner sieht dieser Gesetzentwurf einen steuerfinanzierten einmaligen Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung von 3,9 Milliarden Euro vor. Auch das
ist eine grundsätzlich positive und richtige Maßnahme.
Allerdings bleibt die Frage, warum in diesem Gesetzentwurf krisenbedingte Einnahmeausfälle im Bereich Gesundheit in Höhe von 3,9 Milliarden Euro genannt werden und bei der Bundesagentur für Arbeit der komplett
gleiche Sachverhalt nicht mit einer klaren Zahl wie im
Haushaltsentwurf, nämlich 16 Milliarden Euro, beschrieben wird, sondern mit einer ausgesprochen komplizierten Formulierung. Dies wird automatisch dazu
führen, dass die Bundesagentur für Arbeit bis Ende dieses Jahres ihre momentane Rücklage von 3 Milliarden
Euro komplett plündern muss. Denn uns wurden niedrigere Arbeitslosenzahlen prognostiziert; dies wurde uns
im Jahreswirtschaftsbericht diese Woche gezeigt.
({11})
Wenn man das zugrunde legt, dann kommen wir auf einen steuerfinanzierten Zuschuss an die BA nicht von
16 Milliarden Euro, wie Sie uns glauben machen wollen,
sondern von ungefähr 10 Milliarden Euro.
(Georg Schirmbeck ({12}): Das ist doch
etwas Schönes! Oder wollen wir das bedauern?
Dass die Bundesagentur für Arbeit durch dieses Gesetz gezwungen wird, ihre Rücklagen auf null zu
schrauben, eröffnet ihr ganz schwierige Perspektiven für
die Jahre ab 2011. Es ist zu vermuten, dass diese Koalition das so will. Wenn die Bundesagentur für Arbeit in
schwierige Zeiten kommt, lässt dies Übles befürchten
hinsichtlich einer möglichen Anhebung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages ab 2011. In dieser Koalition
wird die BA als Steinbruch benutzt. Dafür kommt nur
ein Titel der Bundesagentur für Arbeit infrage: Das ist
der Eingliederungstitel. Beim Eingliederungstitel geht es
um nichts anderes als aktive Arbeitsmarktpolitik. Es ist
in der Finanz- und Wirtschaftskrise und angesichts des
drohenden Fachkräftemangels genau das falsche Signal,
der BA die Möglichkeit zu nehmen, Instrumente einzusetzen, um die Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
({13})
Den Arbeitslosenversicherungsbeitrag haben wir in
der Großen Koalition gemeinsam gesenkt.
({14})
Es war durchaus das Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent auf aktuell 2,8 Prozent zu senken. Dadurch sind ArBettina Hagedorn
beitnehmer und Arbeitgeber in den letzten Jahren um
70 Milliarden Euro entlastet worden.
({15})
Diese 70 Milliarden Euro haben dann aber logischerweise der Bundesagentur für Arbeit gefehlt.
Wenn Sie nicht ab 2011 wieder einen angemessenen
Arbeitslosenversicherungsbeitrag erheben oder Steuerzuschüsse über 2011 hinaus gewähren, werden Sie - das
wollen Sie offensichtlich - die aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit an die Wand fahren.
({16})
Das Problem ist doch: Der Zuschuss, über den hier heute
beraten wird, ist einmalig, das Defizit aber nicht.
Als Herr Weise im Dezember im Haushaltsausschuss
den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit für 2010
vorgestellt hat, hat er, auf Nachfrage, auch gesagt, dass
die BA in Krisenzeiten wie den jetzigen, um auskömmliche Einnahmen zu haben, einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,5 Prozent bis 4,8 Prozent bräuchte.
Bei dem Berichterstattergespräch, das vor ein paar Tagen
im Bundesministerium für Arbeit stattfand - auch Frau
Winterstein und Herr Fischer waren dabei -, hat Herr
Weise gesagt: Auch wenn wir keine Krise hätten,
bräuchte er, um auskömmlich wirtschaften zu können,
einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 3,25 Prozent. Da der Arbeitslosenversicherungsbeitrag aber bei
2,8 Prozent liegt und der von Ihnen vorgeschlagene Zuschuss ein einmaliger Zuschuss sein soll, ist eines klar:
Dieses Gesetz trägt die Beitragserhöhung ab 2011 schon
in sich.
({17})
Mehr netto vom Brutto entpuppt sich unter diesem
Gesichtspunkt als reine Augenwischerei.
({18})
Die Koalition hat dieses Ziel insbesondere im Wahlkampf wie eine Monstranz vor sich her getragen. In
Wahrheit wird mit den Differenzen zwischen Haushalt
und Gesetz, die ich gerade zu erläutern versucht habe,
der Wählerbetrug offenbar. Was Sie ab 2011 machen, bedeutet doch nichts anderes, als dass - das ist hier angelegt - der Arbeitslosenversicherungsbeitrag massiv steigen muss. Sie wollen es nur noch nicht zugeben, vor
allen Dingen nicht vor der Wahl in NRW.
Den Gesundheitsbereich stützen Sie einmalig mit
3,9 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Ab 2011 wollen
Sie aber die Arbeitgeberbeiträge deckeln. Auch das
geht zulasten der Arbeitnehmer; denn in dieser Maßnahme ist versteckt, dass die Zusatzbeiträge - im Moment ist davon die Rede, dass ein Zusatzbeitrag von
8 Euro erhoben werden soll - massiv steigen müssen.
Hinzu kommt, dass Sie wollen, dass auch für die Pflege
privat vorgesorgt wird. Rechnet man all das zusammen,
erkennt man, dass für die normale Familie, für den normalen Arbeitnehmer in Deutschland spätestens ab 2011
erheblich weniger netto vom Brutto übrig bleiben wird.
({19})
Ich komme zum Schluss.
({20})
Dieses Gesetz stabilisiert die sozialen Sicherungssysteme leider nur für ein Jahr. Dieses Gesetz verhindert
Beitragserhöhungen bei Arbeitslosenversicherung und
Krankenversicherung leider nur für ein Jahr.
({21})
Dieses Gesetz ist eine unehrliche Antwort auf die Unterfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Diese Unterfinanzierung wird zwar, wie wir alle wissen, durch
den demografischen Wandel verursacht; durch die massiven Steuersenkungen, die Sie vornehmen wollen, verschlimmern Sie diese Unterfinanzierung aber mutwillig.
({22})
Zu diesem Gesetzentwurf muss - da sind wir uns bei
diesem Volumen und dieser Brisanz für unseren Staat
und für die sozialen Sicherungssysteme sicherlich einig eine Anhörung stattfinden.
Ich sage abschließend: Mit diesem Gesetz spannen
Sie tatsächlich, wie Sie es dargestellt haben, einen
Schutzschirm auf - allerdings für die Kälte, die Sie
selbst erzeugen.
({23})
Das ist mitnichten eine Solidaritätsaktion, Kollege
Kampeter. In Wahrheit ist es so, als würden Sie einen
Radiator gegen die Kälte anstellen und gleichzeitig den
Strom abschalten.
Ich danke Ihnen.
({24})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befassen uns hier mit dem zweiten Teil der
Sofortmaßnahmen der Koalition, nämlich - Frau
Hagedorn hat es schon gesagt - dem Schutzschirm für
Arbeitnehmer. Nach der steuerlichen Entlastung zum
Jahreswechsel durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz werden hiermit weitere Punkt aus der Koalitionsvereinbarung umgesetzt.
Frau Hagedorn, haben Sie eine Glaskugel, oder legen
Sie Karten?
({0})
Ich frage mich, wie Sie zu Ihrem Urteil über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz kommen, das gerade einmal seit vier Wochen in Kraft ist. Warten Sie es doch
einfach ab! Sie werden ganz sicher positiv überrascht
werden.
({1})
Das geplante Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit wird in einen Zuschuss umgewandelt. Der Gesundheitsfonds erhält einen zusätzlichen Bundeszuschuss.
Das Gesetz beinhaltet eine besonders gute Nachricht für
die Menschen - das ist schon gesagt worden -, die derzeit vielleicht Sorge um ihren Arbeitsplatz haben oder
seit einiger Zeit arbeitslos sind und möglicherweise in
die Lage kommen, Arbeitslosengeld II beziehen zu müssen: die Anhebung der Freibeträge für die Altersvorsorge. Diese Freibeträge werden - wie vor der Wahl versprochen und in der Koalitionsvereinbarung festgelegt von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht und
damit verdreifacht. Hierzu wird mein Kollege Johannes
Vogel nachher Näheres berichten.
Das Gesetz beinhaltet außerdem zwei gute Nachrichten für alle Beitragszahler in der Sozialversicherung: Die
konjunkturell bedingten Mindereinnahmen in der
Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung
werden nicht in vollem Umfang den Beitragszahlern aufgebürdet, sondern mit einem Zuschuss vom Bund aufgefangen. Beide Versicherungen müssen 2010 mit einem
erheblichen Defizit rechnen; das ist uns allen klar. Der
Bund deckt das erwartete Defizit bei der Krankenversicherung mit seinem Zuschuss zu mehr als der Hälfte ab
- Frau Hagedorn, das ist ein festgelegter Betrag in Höhe
von 3,9 Milliarden Euro -, bei der Arbeitslosenversicherung sogar in vollem Umfang. Insofern ist hier nicht von
einer Kürzung die Rede. Es gibt diese unterschiedlichen
Beträge, weil wir eben noch nicht genau wissen, wie
hoch das Defizit ausfallen wird. Die Höhe des Zuschusses richtet sich nach der Größe des Defizits.
({2})
Wirtschaftskrisen wirken sich bei der Bundesagentur
für Arbeit immer besonders stark aus, weil sie sowohl bei
den Einnahmen wie auch bei den Ausgaben betroffen ist:
Die Einnahmen brechen weg, weil es weniger Beschäftigte gibt und die Versicherung somit geringere Einzahlungen erhält; die Ausgaben steigen, weil es mehr Arbeitslose gibt, von denen Leistungen bezogen werden.
Mit dem Defizit aus dem Jahr 2009 in Höhe von 13,9 Milliarden Euro ist die Bundesagentur ja noch selber zurechtgekommen, weil sie Geld aus der Rücklage entnehmen
konnte. Im Jahr 2010 sieht das anders aus: Wir müssen
von einem Defizit von bis zu 17,8 Milliarden Euro ausgehen. Wir wissen aber noch nicht, ob das Defizit so hoch
sein wird, und warten die weitere wirtschaftliche Entwicklung ab. Dementsprechend wird der Zuschuss ausfallen:
({3})
vielleicht 16 Milliarden, 14 Milliarden oder 17 Milliarden Euro. Wir wissen es noch nicht. Frau Hagedorn, ich
denke, als Haushälterin sollten Sie sich freuen, wenn es
letztendlich ein Zuschuss von nur 13 oder 14 Milliarden
Euro wird, weil sich die Konjunktur so positiv entwickelt hat.
({4})
Schon von der vorherigen Regierung war im ersten
Haushaltsentwurf für 2010 verankert worden, dass die
Bundesagentur ein entsprechendes Darlehen bekommt.
Insofern sind wir einen Schritt weitergegangen: Wir haben gesagt, dass ein Darlehen zum jetzigen Zeitpunkt sicher ein Problem wäre, weil die Bundesagentur nicht in
der Lage wäre, dieses zurückzuzahlen, es sei denn - das
wollen wir nicht -, die Beiträge würden erhöht. Daher
haben wir uns entschlossen, hier einen Zuschuss zu gewähren. Das ist zwar eine hohe Belastung für den Bundeshaushalt - das muss man ganz klar sehen -; aber ich
denke, es ist die einzige praktikable Lösung, die es in
diesem Jahr gibt.
Es ist aus meiner Sicht wichtig, hinzuzufügen, dass
diese Entlastungsmaßnahmen natürlich für das Jahr 2010
gelten und nicht auf Dauer angelegt sind. Ich habe auch
schon in der Beratung zum Einzelplan 11 deutlich gesagt: Wir wollen, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aufgabenkritik sehr bald zu konkreten Ergebnissen
und damit eben auch zu Kostensenkungen bei der Bundesagentur führt; denn wir wollen eine Erhöhung der
Beitragssätze vermeiden.
Auch beim Gesundheitssystem strahlt die Krise ins
Jahr 2010 aus. Die Einnahmen aus den Versichertenbeiträgen werden nicht ausreichen, um alle Gesundheitskosten abzudecken. Deswegen müssen wir nun zusätzlich und - ich betone - einmalig 3,9 Milliarden Euro aus
dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Der Steuerzuschuss an den Gesundheitsfonds wächst damit im Jahr
2010 auf 15,7 Milliarden Euro an. Bedenklich ist, dass
damit das Geld für die Krankenkassen noch immer nicht
ausreicht. Millionen Versicherte werden Zusatzbeiträge
an ihre Kassen zahlen müssen.
Das ist kein Betriebsunfall und schon gar nicht die
Schuld des jetzigen Gesundheitsministers.
({5})
Der Zusatzbeitrag in Kombination mit dem Gesundheitsfonds war der faule Kompromiss in der Gesundheitspolitik der Großen Koalition, zwei völlig gegensätzliche
Konzepte zu vereinen.
({6})
- Nein, nein.
({7})
Die Ausgabeseite wurde dabei von Ulla Schmidt völlig vernachlässigt. Als Folge davon wurden die Ausgaben der Kassen - das muss man sich einmal vorstellen von 144 Milliarden Euro im Jahre 2005 auf über
167 Milliarden Euro im Jahre 2009, also um 23 Milliarden Euro, angehoben. Die Zeche zahlen jetzt die Versicherten.
Durch die jetzt entstandene Situation wird überdeutlich gezeigt, dass wir die Gesundheitsfinanzierung
dringend neu organisieren müssen. Die Regierungskommission wird hierzu ja auch Vorschläge unterbreiten.
Es geht aber natürlich auch darum, Effizienzreserven
im System ausfindig zu machen. Wir wollen die Ausgaben durch mehr Wettbewerb dämpfen und müssen prüfen, ob wir durch bessere Organisationsstrukturen effektiver mit den Beitragsgeldern umgehen können.
({8})
Auch die Kassen sind aufgefordert, ihre Ausgaben auf
Einsparpotenziale zu durchforsten.
({9})
Immer mehr Steuermittel in ein nicht funktionierendes
System zu leiten, ist keine Lösung.
Das letzte Element dieses Gesetzentwurfs ist ein Sonderprogramm mit Hilfen für Milcherzeuger, das sogenannte Grünlandmilchprogramm. In diesem Sonderprogramm sind für die Jahre 2010 und 2011 besondere
Grünlandprämien vorgesehen, wodurch den Milchbauern geholfen wird, die existenziellen Auswirkungen der
Wirtschaftskrise zu überwinden.
Noch eine letzte Bemerkung. Alle Belastungen, die
dieser Gesetzentwurf für den Bundeshaushalt mit sich
bringt, sind im Haushaltsentwurf 2010 bereits berücksichtigt. Die Nettoneuverschuldung musste gegenüber
dem ersten Haushaltsentwurf von Finanzminister
Steinbrück nicht erhöht werden. Wir satteln also nicht
drauf.
({10})
Dies ist aus Haushältersicht eine durchaus positive
Nachricht.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Kollegin Kathrin Senger-Schäfer
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, welch ein
Glück für Sie: Sie haben Ihre medizinische Ausbildung
bei der Bundeswehr erhalten. Dort haben Sie gelernt,
sich zu tarnen - eine Fähigkeit, die Ihnen heute sehr zugutekommt.
({0})
Sie tarnen den radikalen Bruch in der gesetzlichen
Krankenversicherung als notwendige Reform.
({1})
Damit wollen Sie Millionen von Krankenversicherten
täuschen. Das ist unverantwortlich.
({2})
Zu diesem Vorgehen passt dann auch das Konzept
von Herrn Schäuble, das er zur Sicherung der Sozialsysteme auf den Weg bringen will. Der von ihm geplante
Schutz der Arbeitnehmer ist in Wirklichkeit ein Schirm
zum Schutz der Arbeitgeber. Die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer lässt er in der Finanzkrise in unchristlicher Art im Regen stehen.
({3})
Das ist unredlich. Es ist unsozial und entspricht auch
nicht dem Gedanken, dass starke Schultern mehr tragen
sollten als schwache.
({4})
Das ist typisch für diese Regierung. Herr Rösler, Sie
wollen in der gesetzlichen Krankenversicherung die
Ausfälle des Gesundheitsfonds mit 3,9 Milliarden Euro
aus Steuermitteln auffangen.
({5})
Mir ist schleierhaft, wie Sie mit 3,9 Milliarden Euro ein
voraussichtliches Finanzloch von sage und schreibe
7,9 Milliarden Euro stopfen wollen. Ich sage Ihnen jetzt
schon voraus, dass diese Regierung den Rest den Versicherten aufs Auge drücken wird.
Zur Wahrheit gehört auch, dass der Gesundheitsfonds nicht ausschließlich durch die Finanzkrise in die
derzeitige schlechte Lage gebracht wurde. Der Gesundheitsfonds war und ist von Anfang an - ich behaupte: bewusst - mit unzureichenden finanziellen Mitteln ausgestattet worden.
Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine Hinterlassenschaft der Großen Koalition, also auch der SPD.
({6})
Von Anfang an war gewollt, dass einzelne Krankenkassen über die sprichwörtliche Klinge springen sollten, um
damit den Wettbewerb zu verschärfen. Diese Wettbewerbsverschärfung führt aber weder zu einem fruchtbaren Wettstreit um die besten Leistungsangebote noch zu
einer besseren Qualität der Versorgung. Weil die Kassen
in diesem Fall das Sonderkündigungsrecht ihrer Versicherten fürchten, sind sie sich mehrheitlich einig, Zusatzbeiträge zu erheben.
Wir erleben dazu nun einen großen Aufschrei, und
selbst Frau Merkel verzieht dabei die Miene und ruft
jetzt nach dem Kartellamt. Aber: Gesundheit ist keine
Ware. Dabei bleibt die Linke.
({7})
Alle Menschen in unserem Land haben einen Anspruch
auf eine gute, solide und gerechte Gesundheitsversorgung. Wettbewerb hat im Gesundheitswesen nichts verloren.
({8})
Ich frage auch Sie: Wer muss Ihre grandiosen Wettbewerbsideen bezahlen? Das sind die 70 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung und auch
die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden, die ohnehin jeden
Cent zweimal umdrehen müssen. Das ist, mit Verlaub,
zutiefst unsozial.
({9})
Zweifellos gibt es zusätzliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die wir auch wollen. Dazu
gehört zum Beispiel die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, also die Betreuung und Versorgung von
todkranken Menschen. Das ist aber nur dann möglich,
wenn man sich vorher überlegt hat, wie man das bezahlen will. Der Gesundheitsfonds ist aber chronisch unterfinanziert. Genau dieses Dilemma ließe sich durch den
Antrag meiner Fraktion Die Linke verhindern.
({10})
Zurzeit zahlt der Staat einen festgelegten Pauschalbetrag von derzeit 126 Euro im Monat für alle Arbeitslosengeld-II-Beziehenden als Beitrag zur Krankenversicherung. Das reicht längst nicht, und das wissen Sie,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition. Wir haben vorgeschlagen - und dabei bleiben
wir auch -, diesen Betrag auf circa 260 Euro im Monat
und pro Mitglied zu erhöhen. Das brächte rund
5 Milliarden Euro mehr für die gesetzliche Krankenversicherung, was zweifelsohne die gesundheitliche Versorgung verbessern würde.
({11})
Das wäre jedenfalls ein sinnvolleres Sofortprogramm
für die Krankenversicherung als die unsinnige Einführung von kleinen oder großen Kopfpauschalen, getarnt als Zusatzbeitrag bzw. Gesundheitsprämie. Damit
erübrigte sich jede Diskussion um die Zusatzbeiträge
und auch darüber, ob die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden die Zusatzbeiträge selber zu tragen hätten. Für die
Linke bleibt aber im Grundsatz die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die alle einzahlen,
die Abgeordnete genauso wie die Mitarbeiterin in der
Kantine, die einzig denkbare und wirksame Alternative.
({12})
Denn für uns, die Partei Die Linke, ist der Mensch das
Maß der Dinge.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Werte Kollegin, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Gratulation und alle guten Wünsche
für Ihre weitere Arbeit in diesem Hause!
({0})
Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Allein der Titel des Gesetzentwurfes, über den wir heute
in erster Lesung beraten, ist ein Täuschungsmanöver:
Gesetz zur Stabilisierung der Finanzlage der Sozialversicherungssysteme. Das, was Sie von der Regierung als
Stabilisierung bezeichnen, ist in Wahrheit nicht mehr als
das notdürftige Verpflastern von Wunden am Sozialstaat,
die größtenteils oder jedenfalls zu einem nicht geringen
Teil erst durch Sie und die Vorgängerregierung gerissen
wurden.
({0})
Beginnen wir mit dem Zuschuss zur gesetzlichen
Krankenversicherung. Sie von der Union haben doch
die strukturelle Unterfinanzierung der gesetzlichen
Krankenkassen in die Wege geleitet, indem Sie gemeinsam mit der SPD den Gesundheitsfonds beschlossen und
die mutwillige Senkung der Beitragssätze in der GKV
vorgenommen haben.
({1})
Frau Aigner, dass Sie jetzt über die Erhebung von Zusatzbeiträgen jammern, ist schon scheinheilig genug.
Aber dass Sie sich nun selbst für einen Steuerzuschuss
loben, der zumindest in dieser Höhe gar nicht notwendig
gewesen wäre, wenn Sie nicht den Gesundheitsfonds mit
seinen Unterdeckungsregeln beschlossen hätten, ist
dreist. Ein besonderes Licht auf Ihren Stil der Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme wirft etwa die Entlassung von Herrn Sawicki, dem Leiter des Instituts für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
Anstatt die Voraussetzung für eine Dämpfung des Kostenanstiegs etwa bei den Arzneimitteln zu schaffen, nehmen Sie das Geld der Steuerzahler. Die Steuerzahler sollen nach Ihrem Willen für die Interessen von
Pharmaindustrie bis hin zu Apothekern aufkommen. Wir
dürfen vielleicht schon auf die Spendenzahlungen des
Jahres 2010 gespannt sein.
({2})
Kommen wir zur Arbeitslosenversicherung. Auch
bei der Arbeitslosenversicherung ist ein Großteil des bisherigen Defizits der erheblichen Senkung des Beitragssatzes auf bis zu 2,8 Prozent geschuldet, die ebenfalls
mit der SPD beschlossen wurde, zu einem Zeitpunkt, als
die Krise bereits am Horizont erschien. Sei’s drum! In
der gegenwärtigen Situation gibt es natürlich keine Alternative zum Defizitausgleich durch den Bund. Sie bleiben aber jegliche Aussage schuldig, wie es ab 2010 weitergehen soll. Wie soll denn die Bundesagentur für
Arbeit das für 2011 erwartete Defizit in Höhe von
11,3 Milliarden Euro decken?
({3})
Wie soll denn das in der mittelfristigen Finanzplanung
der Bundesagentur für Arbeit vorgesehene Gesamtdefizit in Höhe von 25,4 Milliarden Euro gedeckt werden?
Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass die Bundesagentur dies als Darlehen schultert oder sogar zurückzahlt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass man ein Defizit in diesem Umfang, selbst wenn man hart
einschneidet, nicht durch Einsparungen auffangen kann.
({4})
Was also mit Sicherheit kommen muss, ist eine Erhöhung des Beitragssatzes. Nach unseren Berechnungen ist
ein Anstieg auf 4,5 Prozent notwendig, um den Haushalt
der Bundesagentur für Arbeit dauerhaft zu stabilisieren.
Aber dazu schweigen Sie natürlich. Es wäre ja auch zu
peinlich, wenn Sie bereits wenige Wochen nach Ihrem
merkwürdigen Klientelbegünstigungsgesetz zugeben
müssten, dass etwa die Kindergelderhöhung bei den Beitragszahlern gar nicht ankommt, weil Sie ihnen das
durch Beitragssatzsteigerungen wieder wegnehmen.
Also wird munter mit Steuerzuschüssen weiter geflickt,
um über den Termin der Landtagswahl in NordrheinWestfalen hinwegzukommen.
({5})
Damit Sie das Ganze als Wohltat verkaufen können,
garnieren Sie Ihre Mogelpackung noch mit zwei Zückerchen: der Erhöhung des Schonvermögens für die Altersvorsorge im Rahmen des Arbeitslosengeldes II und einem Sonderprogramm für Milchviehhalter.
({6})
Zu Letzterem wird nachher mein Kollege Friedrich
Ostendorff etwas sagen. Deshalb kann ich mich jetzt auf
die Erhöhung des Schonvermögens konzentrieren. So
sinnvoll das im Grundsatz natürlich ist, so sehr geht es
doch an den Sorgen und Nöten der Masse der Langzeitarbeitslosen vorbei;
({7})
denn nur ein Bruchteil der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden erhält aufgrund zu großer Vermögen keine Leistungen. Die meisten Langzeitarbeitslosen haben doch in
ihrem Leben nie die Chance gehabt, ein Vermögen von
rund 50 000 Euro für die Altersvorsorge anzusparen und
festzulegen.
({8})
Der Masse der Langzeitarbeitslosen wäre sehr viel mehr
etwa durch eine Erhöhung des Regelsatzes geholfen, und
diese Erhöhung hätte überdies auch noch positive konjunkturelle Effekte, weil sie unmittelbar der Steigerung
der Binnennachfrage zugute käme.
({9})
Vollends absurd wird Ihre Behauptung einer Stabilisierung des Systems der sozialen Sicherung, wenn man
sich anschaut, was Sie sonst noch planen und bereits tun.
Sie deckeln etwa die Mittel für das Programm „JobPerspektive“ und verringern damit die beinahe einzige
Chance für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen, eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung zu bekommen. Die Arbeitsministerin bereitet die Zerschlagung der Jobcenter vor, die vor Ort
wirklich niemand will, weil absehbar ist, dass sich die
Betreuung der Betroffenen vor Ort verschlechtern und
die Bürokratie sich verdoppeln wird.
({10})
Meine Damen und Herren von der Regierung, was Sie
mit diesem Gesetz stabilisieren, sind Ihre Klientelinteressen.
({11})
Was Sie mit diesem Gesetz stabilisieren, ist ein berechtigtes Misstrauen mit Blick auf die Zukunft. Sie versuchen, den Patienten Sozialstaat noch einmal mit Pflastern aufzuhübschen, aber Sie wissen schon genau, dass
Sie ihn nach der NRW-Wahl amputieren wollen.
({12})
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen werden dafür
kämpfen, dass dieses Manöver nicht aufgeht; denn die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und besonders
diejenigen in Nordrhein-Westfalen wollen mehr vom Sozialstaat als nur einen Torso.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Georg Schirmbeck für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Abgeordneter Kelber, auf diesen Punkt kommen
wir noch bei der zweiten und dritten Beratung des Bundeshaushaltes zurück. Dann werden Sie den Saal hier
unter Tränen verlassen; das verspreche ich Ihnen jetzt
schon.
({0})
Das Pulver wird trocken gehalten. Sie können mich
heute nicht provozieren, das schon jetzt zu verschießen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn
man sich die Debatte hier eine Zeit lang anhört, könnte
man depressiv werden, und man hat den Eindruck, wir
wären hier in einem Entwicklungsland, einem Land jedenfalls, das mit Deutschland überhaupt nichts zu tun
hat. Können wir auf diesen Sozialstaat, so wie wir ihn
heute ganz konkret erleben, nicht stolz sein, darauf, dass
wir es gemeinsam geschafft haben, dass wir fleißige
Bürgerinnen und Bürger haben?
({1})
Wo ist die Krankenversicherung wesentlich besser als in
Deutschland? Wo ist die Unfallversicherung wesentlich
besser als in Deutschland? Wo wird sich um Arbeitslose
wesentlich besser gekümmert als in Deutschland? Das
haben wir doch gemeinsam auf den Weg gebracht. Haben wir nicht wirklich Grund, darauf stolz zu sein?
Was wir als Große Koalition jetzt machen, ist Folgendes: Wir helfen im ländlichen Raum den Bauern - ({2})
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, man ist ja
manchmal nicht so auf den neuesten Terminus eingestellt; das ändert sich auch manchmal. Die liberal-christliche Koalition, das kriegen wir ja auch gut hin.
Was wir konkret gemacht haben und was wir konkret
tun, besteht darin, dass wir bei unseren Bauern die Beiträge für die landwirtschaftliche Unfallversicherung
durchschnittlich um 45 Prozent senken. Das ist doch ein
Ergebnis für alle im ländlichen Raum.
({3})
- Frau Hagedorn, Sie haben ja schon nicht verstanden,
was Sie vorhin vorgetragen haben. Deshalb kann ich
auch nicht erwarten, dass Sie das verstehen, was ich jetzt
vortrage. Das ist eben ein bisschen zu schwierig.
({4})
Ich sage Ihnen dazu eines. Es ist nach wie vor wahr:
Wenn die Bauern, auch wenn es wenige geworden sind,
im ländlichen Raum gute Stimmung haben, wenn sie
sich unternehmerisch etwas vornehmen, dann ist gute
Stimmung im ganzen Dorf. Es führt dazu, dass in den
Dörfern etwas unternommen wird, dass dort investiert
wird, dass sich etwas bewegt, und dann haben viele im
ländlichen Raum Arbeit. Das ist es doch, was wir wollen. Wenn nämlich viele Arbeit haben, bekommen wir
viele Beiträge für die verschiedenen Sozialversicherungssysteme. Dann brauchen wir uns auch nicht mehr
vorzuhalten, ob der Zuschuss des Staates an die Kassen
größer oder kleiner ist. Wir brauchen nicht mehr zu spekulieren, was 2011 oder 2012 sein wird. Bei Ihren Formulierungen, so wie Sie sie hier vortragen, habe ich
manchmal den Eindruck, dass Sie ganz erschüttert sind,
dass die Arbeitslosenzahlen nicht um 1 Million höher
sind. Über die tatsächlichen Zahlen sollten wir uns doch
freuen.
Wir können uns doch freuen, dass im vorigen Jahr das
Staatsdefizit um 15 Milliarden Euro geringer war, als es
noch vor Weihnachten prognostiziert wurde - das ist
doch schon einmal ein Ergebnis -; denn Sie hätten sich
doch auch mit den negativen Zahlen auseinandersetzen
müssen, wenn die Prognose eingetreten wäre.
Jetzt wollen wir für den ländlichen Raum etwas machen, weil besonders die Grünlandbetriebe, also die
Milchbauern, erhebliche Probleme haben. Daraufhin
überlegen wir uns: Wie kann man da helfen? Dabei müssen wir uns eingestehen, dass in der Agrarpolitik ein sehr
ausgeprägtes Gemeinschaftsrecht gilt und dass wir deshalb nicht einfach sagen können: Wir Deutschen haben
eine Idee und setzen diese um.
Wir müssen uns nun fragen: Wie kann man beispielsweise 100 Millionen Euro für eine Gründlandprämie
konkret zur Verfügung stellen? Da stellen wir fest, dass
man erst 2 Millionen Euro EU-Zuschüsse aktivieren
muss, um national überhaupt handeln zu können. Man
kann jetzt an der einen oder anderen Stelle beklagen,
dass das alles sehr kompliziert ist. Aber dann muss man
einen Weg finden, diese Schwierigkeiten zu überwinden,
damit ganz konkret Geld zur Verfügung gestellt werden
kann.
Jetzt darf man aber nicht nur das sehen, was wir für
die Grünlandbetriebe tun. Wir haben auch im Hinblick
auf die Gasölverbilligung etwas getan. Ich habe eben gesagt, dass wir im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung etwas getan haben. Wenn man dieses
gesamte Maßnahmenpaket sieht, dann bedeutet das für
die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ein
Plus von durchschnittlich 4 500 Euro. Nun kann man sagen: 4 500 Euro sind nicht die Welt. Andererseits ist das
doch eine Menge Geld. Eine alte Frau muss schon sehr
lange stricken, bis sie das verdient hat.
({5})
Ich sage noch einmal: Es geht gar nicht so sehr um
den absoluten Betrag, der zur Verfügung gestellt wird.
Viel entscheidender ist, dass die Betroffenen sehen, dass
der Staat die Betriebe in dieser schwierigen Situation
nicht alleine lässt, sondern dass er sich entschieden für
sie einsetzt.
({6})
Ich sage aber auch deutlich: Sosehr wir überzeugt
sind, dass hier konkret gehandelt werden muss, so sehr
muss die liberal-christliche Koalition darauf hinweisen,
dass diese Maßnahmen Strukturentscheidungen, die im
landwirtschaftlichen Bereich getroffen und umgesetzt
werden müssen, nicht ersetzen. Auf Dauer kann der
Staat unternehmerischen Erfolg und gute Preise in der
Landwirtschaft durch Maßnahmen wie diese, die wir
hier beschließen wollen, nicht ersetzen. Dies ist eine
Übergangshilfe in einer schwierigen Zeit, die aber nicht
die richtigen unternehmerischen Entscheidungen für die
Zukunft ersetzt.
Ich habe bei der ersten Lesung des Einzelplanes 10 in
der vorherigen Woche schon gesagt: Ich bin nicht sicher,
dass wir alle Ansätze so, wie wir sie in der Vergangenheit gewohnt waren, zukünftig halten können. Ich sage
das in der Öffentlichkeit, damit sich die Betroffenen darauf einstellen können. Das gehört mit zur Redlichkeit.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal sagen: Es
kommt nicht darauf an, hohe Zuschüsse zu geben, sondern es kommt darauf an, dass diese Zuschüsse zielgenau erfolgen, dass wir den Leuten Mut machen, dass wir
einen Beitrag dazu leisten, dass Unternehmer etwas unternehmen, damit die Leute in unserem Staat Arbeit bekommen. Jeder kann hier an seinem Platz in den Ausschüssen, aber auch in seinem Wahlkreis ganz gezielt
Maßnahmen ergreifen, damit in den nächsten Jahren
nicht die Zahl der Arbeitslosen, sondern die Wirtschaft
wächst. Wenn nämlich unsere Wirtschaft wächst, dann
werden damit auch die Probleme unserer Volkswirtschaft gelöst.
Das muss man mit einer gesunden Portion Optimismus machen. Man darf nicht alles schlechtreden; denn
Optimismus, das Bauchgefühl, etwas für die Zukunft zu
gestalten, macht mindestens 50 Prozent des Erfolges unserer Volkswirtschaft aus.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erst einmal möchte ich
- das wird Sie wundern - den Herrn Minister Rösler vor
den giftigen Pfeilen der Kollegin von der Linken in
Schutz nehmen.
({0})
Der Grund ist, dass das, was Sie gesagt haben, so nicht
stimmt. Der Herr Minister Rösler ist bisher offen gewesen und hat auch hier in diesem Hause klar gesagt: Er ist
für einen Ausstieg aus einer einkommensabhängigen
Finanzierung; er will für die Zukunft eine einkommensunabhängige Finanzierung. Er will mehr oder minder
aus dem Prinzip der Parität in der Krankenversicherung
aussteigen und in das System der Kopfpauschale einsteigen. Das ist eine gravierende Veränderung.
({1})
- Der Sozialausgleich - danke für diesen netten Zwischenruf - sieht so aus, dass der Ausgleich - so sagt der
Minister, und das nehme ich ihm ab - nicht mehr über
die Sozialbeiträge, sondern über Steuern erreicht werden
soll.
({2})
- Hören Sie zu, dann lernen Sie noch etwas!
({3})
Herr Schäuble aber sagt: Dafür habe ich kein Geld, es sei
denn, wir würden eine Sondersteuer zur Finanzierung
des Gesundheitssystems einführen. Das ist die aktuelle
Faktenlage.
Hinzu kommt, dass ab Februar 2010 eine Kommission zur Gesundheitsreform tagen wird. Die Arbeit dieser Kommission kann sich hinziehen. Das Ergebnis dieser Arbeit wird auf jeden Fall nicht dazu führen, dass wir
in den nächsten Monaten und Jahren eine größere Orientierung bekommen. Bekanntlich braucht aber das Gesundheitssystem jetzt Orientierung. Von daher sehe ich
das ein bisschen anders.
Der Herr Minister hat eine klare Botschaft verkündet.
Er will in eine neue Richtung marschieren, aber er weiß
noch nicht, wie das umgesetzt werden soll. Das schafft
bei den Akteuren im Gesundheitswesen nicht mehr Vertrauen, sondern Unsicherheit en masse.
({4})
Es geht um die 3,9 Milliarden Euro, die innerhalb der
15,7 Milliarden Euro Gesamtzuschüsse an den Gesundheitsfonds geleistet werden sollen. Dieser Betrag ergibt
sich ja aus drei Komponenten: zum ersten die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder und der Jugendlichen
in Ausbildung, zum zweiten die zum 1. Juli 2009 noch
von der Großen Koalition - Herr Kollege Schirmbeck,
Sie sehnen sich danach zurück; ich kann es auch verstehen - induzierte Beitragssatzsenkung von 15,5 Prozent
auf 14,9 Prozent. Der dritte Bestandteil ist die krisenbedingte Komponente in Höhe von 3,9 Milliarden Euro,
die in der Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgesehen ist. Aber es geht um mehr.
Diese Woche ist von der Debatte über die Zusatzbeiträge beherrscht, die allerorten für Aufmerksamkeit
sorgen. Der Presse habe ich entnommen, dass die Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel, mit einem großen
Unwohlsein auf diese Zusatzbeiträge reagiert hat. Das
Ganze ist schon ein Riesenproblem. Dem werten Kollegen von den Grünen muss man es noch einmal erklären:
Wir als Sozialdemokraten wollten bekanntlich damals
die Regelung nicht, nach der bis zu 8 Euro Zusatzbeitrag
in einem vereinfachten Verfahren erhoben werden können. Wir wollten den Zusatzbeitrag paritätisch finanziert
haben. Wir wollten, dass im Rahmen eines Prüfverfahrens nachgewiesen werden muss, dass die Kassen einen
solchen Zusatzbeitrag unbedingt benötigen, weil sie
sonst mit ihrer Finanzierung nicht mehr zurechtkommen;
immerhin geht es um 71 Millionen Versicherte und Mitversicherte der GKV in Deutschland.
({5})
Es gab dann in der Großen Koalition, die der Herr
Schirmbeck noch so emotional in sich trägt, einen sehr
schwierigen Kompromiss mit gewissen Hilfskrücken,
den wir - Sie haben an der Stelle recht - mitgetragen haben.
Herr Minister, Sie müssen in der Zukunft einen wirklichen Dialog mit den Kassen führen. Sie müssen die
Steuerungsfunktion der Krankenkassen ernsthaft einfordern. Es geht darum, ein Kostenmanagement in den
Sektoren des Gesundheitswesens zu etablieren, in denen
die Kosten seit Jahren und Jahrzehnten steigen, etwa in
der Medizintechnik oder bei den verordneten Medikamenten.
({6})
Sie müssen versuchen, die Steuerungsfunktion der gesetzlichen Krankenkassen, der Volkskassen, zu aktivieren. Sie müssen mit den Krankenkassen auch darüber
diskutieren, welche Instrumente sie brauchen, um genügend Substanz zu haben, um wirklich steuern zu können.
Das sind die Fragen, die anstehen. Es geht nicht darum,
darüber zu reden, wie wir künftig vielleicht mit irgendwelchen Zusatzbeiträgen agieren, die letztendlich den
Leuten mit geringem Einkommen zum Nachteil gereichen, weil sie die Zusatzbeiträge nicht von der Steuerlast
absetzen können und damit erneut eine soziale Benachteiligung erfahren.
Zum Schluss, meine werten Kolleginnen und Kollegen, Folgendes: Es gilt, in der Gesundheitspolitik wieder
Orientierung zu geben. Das vermag die derzeitige Regierung nicht zu leisten.
({7})
Wenn man ein bewährtes Finanzsystem an Haupt und
Gliedern reformieren will, dann muss man auch sagen,
wie das gehen soll. Ich sage Ihnen voraus, Herr Minister,
bei aller persönlichen Sympathie: Sie werden eine Kommissionsarbeitszeit von ein, zwei Jahren nicht durchhalten. Sie werden schon eher sagen müssen, wie Sie das
machen wollen. Sie werden eine riesige Hürde zu überwinden haben. Die Bundeshaushalte 2011 und 2012 mit
den strukturellen Defiziten werden Ihnen nicht mehr
Spielräume geben, sondern weniger. Das heißt, das Umswitchen von der Beitragsfinanzierung auf eine Steuersubvention wird so nicht funktionieren.
Die 3,9 Milliarden Euro werden heute von Ihnen vorgeschlagen. Sie sind - das gebe ich zu - eine Hilfsmaßnahme. Sie werden aber große Mühe haben, uns davon
zu überzeugen, wie es nach Ihrem Willen weitergehen
soll. Ich hoffe jedenfalls, dass sich der Arbeitsmarkt so
gut entwickelt, dass in den nächsten Jahren nicht ein höherer, sondern ein geringerer Zuschussbedarf entsteht,
um die GKV im Sinne der Versicherten mit genügend
finanziellen Mitteln auszustatten.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schurer, ich fand es interessant, dass Sie gesagt haben: Wir müssen in der Gesundheitspolitik wieder
Orientierung geben. - Ich glaube auch, dass wir das tun
müssen.
({0})
Es muss nur eine andere Orientierung sein als die von
der früheren Gesundheitsministerin Schmidt; denn die
hat das System überhaupt erst an die Wand gefahren,
und das hat zu den Problemen geführt, die wir heute lösen müssen.
({1})
Schauen wir doch einmal, was die Regierung vorhat!
Natürlich geht es beim vorliegenden Gesetzentwurf auch
darum, kurzfristig einen Zuschuss an den Gesundheitsfonds zu geben, um die Einnahmeausfälle zu kompensieren. Aber es ist nicht so, dass wir darüber hinaus nichts
machen. Wir sind nämlich der Meinung, dass es keinen
Sinn macht, in ein Gefäß mit einem Leck Wasser nachzuschütten, damit vorübergehend wieder Wasser drin ist.
Ohne dass das Leck gestopft wird, werden die Probleme
dieses Systems nicht gelöst. Wir führen eine grundlegende Reform durch, damit dieses System an sich wieder funktioniert.
Liebe Frau Kollegin Senger-Schäfer, ich glaube, Sie
machen einen Denkfehler: Sie sind davon überzeugt
- das war auch bisher ihr Problem im Hinblick auf das
Gesundheitswesen -, dass Wettbewerb dort nichts verloren hat. Ich sehe das anders. Wettbewerb ist genau das
Instrument, das dieses System und damit die beste Gesundheitsversorgung für alle langfristig finanzierbar hält.
Deshalb ist mehr Wettbewerb zwischen den Kassen, also
das, was Gesundheitsminister Rösler vorhat, genau das
Richtige für das Gesundheitssystem.
({2})
Immer wieder wird kritisiert, das sei sozial ungerecht.
Es ist sehr sozial, den Faktor Arbeit weniger als bisher
zu belasten; denn das schafft Arbeitsplätze. Außerdem
Johannes Vogel ({3})
wollen wir den Sozialausgleich über das Steuersystem
organisieren. In das Steuersystem zahlen nämlich alle
ein, auch diejenigen, die besonders viel verdienen, weil
es da keine Beitragsbemessungsgrenze gibt. Das kann
ich nur als gerecht empfinden. Das Gesundheitssystem,
wie es bisher besteht, ist ungerecht, weil der Solidarausgleich nicht vollständig funktioniert. Insofern würde die
Umsetzung unserer Vorschläge das System gerechter
machen.
({4})
Ich möchte auf einen anderen Aspekt dieses Gesetzes
eingehen, nämlich auf den Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit. Frau Kollegin Hagedorn, ich habe mich
sehr darüber gewundert, dass Sie die Regierung quasi
dafür kritisiert haben, dass sie möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit erst einmal ihre Reserven aufbraucht und dass erst dann über die Höhe des Zuschusses
entschieden wird. Sie tun so, als ob das ein Problem
wäre. Wenn der Zuschuss niedriger ausfällt, als im Bundeshaushalt angesetzt - mit 16 Milliarden Euro -, dann
heißt das doch nur eines: Die Konjunktur ist wieder angesprungen, und weniger Menschen als befürchtet sind
arbeitslos. Das kann ich nur als gute Nachricht empfinden. Wie Sie daraus Kritik ableiten, ist mir völlig schleierhaft.
({5})
- Herr Poß, lassen Sie mich doch ausreden. - Dass wir
diesen Zuschuss gewähren, ist Ausweis dessen, dass die
Kritik, diese Regierung entlaste die Bürger auf der einen
Seite bei den Steuern und belaste sie auf der anderen
Seite bei den Abgaben - diese Kritik wird gelegentlich
vorgebracht -, nicht richtig ist. Die Sicherstellung dieses
Zuschusses ist der Ausweis dafür, dass dieser Vorwurf
absurd ist. Wir wollen die Bürger entlasten, statt sie zu
belasten.
({6})
- Ja, daran können sie mich gerne erinnern, Herr Kurth. Das zeigt sich in diesem Gesetz.
({7})
- Herr Kurth, es ist schön, dass Sie dazwischenrufen.
Ich will auf einen weiteren Aspekt dieses Gesetzentwurfs zu sprechen kommen, nämlich auf die Verdreifachung des Schonvermögens. Ich freue mich sehr, dass
Sie diesen Punkt gelobt haben. Sie haben ihn als grundsätzlich sinnvoll bezeichnet. Das hörte sich im letzten
Herbst noch anders an. Man konnte damals der Presse
entnehmen, dass Sie das als Symbolpolitik gegeißelt haben. Ich will Ihnen sagen, warum ich glaube, dass das
eine ganz entscheidende Maßnahme ist und keine Symbolpolitik.
Es wird immer wieder das Argument geäußert, das
betreffe so wenige Menschen. Dieses Argument grenzt
in meinen Augen an Hohn. Wer dies sagt, vergisst, dass
die private Vorsorge in Zukunft noch viel wichtiger werden wird, gerade zur Verhinderung von Altersarmut. Um
Altersarmut entgegenzuwirken, müssen wir diese Maßnahme durchführen. Sie übersehen auch, dass es schon
heute viele Menschen gibt, die Hartz IV gar nicht erst
beantragen - neben einer Dunkelziffer gibt es dokumentierte Fälle; das wissen Sie so gut wie ich -, weil sie
Angst haben, dass ihre Altersvorsorge angetastet wird.
An dieser Stelle geht es ein Stück weit aber auch darum,
welche Ethik in unserem System, in unserem Sozialstaat
herrscht.
({8})
Kann es sein, dass jemand, der eigenverantwortlich für
das Alter vorsorgt, dafür bestraft wird?
({9})
Das ist doch eine völlig falsche Herangehensweise.
({10})
An so einer Stelle spürt eine Gesellschaft, welche
Wertvorstellungen ihr zugrunde liegen. Diese Wertvorstellungen sind entscheidend dafür, ob etwas Akzeptanz
findet und ob die Solidargemeinschaft funktioniert. Es
kann nicht sein, dass jemand, der bedauerlicherweise in
Hartz IV rutscht, also die Unterstützung der Solidargemeinschaft braucht, dazu gezwungen wird, Geld, das er
für das Alter angespart hat - vielleicht hat er sich mühsam eine kleine Rentenversicherung abgespart -, möglicherweise sogar mit Verlust antasten muss und später in
Altersarmut rutscht. Es ist nicht fair, Menschen dafür zu
bestrafen, dass sie für das Alter vorgesorgt haben. Wir
müssen Eigenverantwortung belohnen.
Selbst wenn die Erhöhung des Schonvermögens noch
wenige Menschen betrifft - in Zukunft wird sich das ändern -, ist sie genau das richtige Signal an die Gesellschaft; denn dadurch machen wir das Grundsicherungssystem, das Hartz-IV-System, fairer, und wir korrigieren
so die Fehler, die die rot-grüne Bundesregierung in das
System eingeführt hat.
({11})
Diese Maßnahme der Regierung ist insofern völlig richtig. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Aussage, dass
das grundsätzlich sinnvoll ist, aufrechterhielten. Vielleicht trägt die Tatsache, dass auch Sie, Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, das in Ihrem Wahlprogramm stehen hatten, nur in den letzten Jahren, als Sie Regierungsverantwortung trugen, nicht die Kraft gehabt hatten, das
auch durchzuführen, dazu bei, dass Sie dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Matthias Birkwald, Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Für dieses Jahr rechnet die Bundesagentur für Arbeit mit einem Defizit in Höhe von gut
18 Milliarden Euro.
({0})
Das ist ein trauriger Nachkriegsrekord. Nur einen Bruchteil davon kann die Bundesagentur selbst aus ihren
Rücklagen ausgleichen. Wie konnte es dazu kommen?
Die Krise sei schuld gewesen, sagt die Bundesregierung.
Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Die Politik der
ganz großen Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP hat
es vermasselt.
({1})
Sehenden Auges hat diese ganz große Koalition die
Finanzen der Bundesagentur an die Wand gefahren.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben,
in wechselnder Besetzung, grob fahrlässig gehandelt, indem Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
mehr als halbiert haben. Sie haben die Gewitterwolken
aufziehen sehen. Sie haben alle Unwetterwarnungen von
Experten in den Wind geschlagen. Jetzt stellen Sie sich
hin, beklagen die Löcher im Dach der Bundesagentur
und spannen Schutzschirme für die Banken. Gerecht
geht anders!
({2})
Die Bundesregierung will die Beiträge stabil halten. Das
waren sie doch. 14 Jahre lang, bis Ende 2006, lagen sie
bei 6,5 Prozent. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die
ersten Anzeichen der Krise für jede und jeden sichtbar
wurden, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wurde der
Beitragssatz auf unter 3 Prozent gesenkt. Das ist der
niedrigste Wert seit 1975. Doch wer hier Beiträge kürzt,
hat Sozialabbau im Sinn.
({3})
Beim Arbeitslosengeld war es zunächst andersherum, aber nicht anders: Rot-Grün hat die Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes I massiv verkürzt und die Arbeitslosenhilfe gleich komplett gestrichen. Dann wurden
die Beitragssätze gesenkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb: Wer heute auf Teufel komm raus
niedrige Beiträge sät, wird morgen größere Defizite ernten. Und was machen Sie dann? Das Arbeitslosengeld I
kürzen? Wir Linken sagen: Das Gegenteil ist richtig. In
der Krise muss die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld verlängert werden, und zwar auf zwei Jahre für alle.
Das hilft den Beschäftigten, die jetzt entlassen werden,
({4})
zum Beispiel bei Siemens, wo jetzt, wie heute Morgen in
den Nachrichten zu hören war, 2 000 Stellen gestrichen
werden sollen.
Der Gesetzentwurf, den Sie nun vorlegen, ist reine
Flickschusterei. Die Linke sagt: Die Bundesagentur
muss grundsätzlich wieder solide finanziert werden. Wir
brauchen eine Staatsgarantie für die Sozialversicherungen, keinen einmaligen Zuschuss, sondern eine dauerhafte Defizithaftung.
({5})
Heute Morgen konnte man einer Pressemitteilung der
Süddeutschen Zeitung mit dem Titel: „Koalitionshaushälter wollen Zuschüsse für Sozialkassen kürzen“ - sie
lief auch über den Ticker - entnehmen, dass Ihnen der
Zuschuss von 16 Milliarden Euro zu hoch ist und auf
11 Milliarden Euro gesenkt werden soll und dass dafür
unter anderem Qualifizierungsprogramme der BA gestrafft werden sollen. Ich sage Ihnen: Es ist komplett der
falsche Weg, auch noch bei den Qualifizierungsmaßnahmen zu sparen. Auch hier wäre der umgekehrte Weg
richtig; denn wir brauchen mehr Bildung und bessere
Qualifikation.
({6})
Mit dem sogenannten Eingliederungsbeitrag werden
letztendlich die Beitragszahler mit 5 Milliarden Euro dafür haftbar gemacht, dass es Langzeiterwerbslosigkeit
gibt. Das darf nicht sein; denn die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme muss auch von der gesamten Gesellschaft finanziert werden.
Das Schonvermögen für die Altersvorsorge von
Hartz-IV-Betroffenen deutlich anzuheben, ist richtig.
({7})
Mit dieser Forderung ist die Linke bei der Wahl angetreten. Bleiben Sie uns treu: Heben Sie die Vermögensfreigrenzen an! Erhöhen Sie den Hartz-IV-Regelsatz auf
500 Euro! Streichen Sie die unwürdigen Sanktionen und
Schikanen für Hartz-IV-Betroffene und führen Sie endlich - das ist ganz dringend - eine eigenständige Mindestsicherung für Kinder ein! Im Übrigen bin ich der
Meinung: Hartz IV muss überwunden werden.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ministerin Aigner musste leider schon gehen. Das
vorliegende Artikelgesetz enthält als zweiten Teil das
Sonderprogramm mit Maßnahmen für Milchviehhalter,
besser bekannt unter dem Namen „Kuhschwanzprämie“.
Herr Schirmbeck, dieses Programm bringt einem durchschnittlichen Milchviehbetrieb mit 30 Milchkühen, der
in 2009 Milchgeld in Höhe von 13 Cent pro Liter bzw.
insgesamt 20 000 Euro verloren hat, zwei Jahre lang
jährlich 1 600 Euro bzw. 1 Cent pro Liter Milch mehr.
Natürlich sagen die Bäuerinnen und Bauern, auch meine
Frau daheim, nicht Nein, wenn der Staat ihnen Geld
schenken will, so wie auch der Autokäufer letztes Jahr
nicht Nein gesagt hat, als er für das Auto, das er sowieso
verschrotten wollte, noch 2 000 Euro geschenkt bekam.
Aber so wie die Abwrackprämie für Autos der Wirtschaft insgesamt geschadet hat, wird auch diese Abwrackprämie für Milchbauern dem Milchsektor mehr
schaden als nützen.
({0})
Dieses Grünlandprogramm zeigt erneut das vollkommen widersprüchliche Vorgehen der Bundesregierung.
Sie gerieren sich als Vertreter der reinen Marktlehre,
doch sieht ihre Realpolitik ganz anders aus. Dort zünden
Sie erst einmal eine Subventionsrakete, wie ich sie in
40 Jahren Agrarpolitik selten erlebt habe - 750 Millionen Euro extra, einfach so, ohne Qualifizierung, ohne
Fokussierung, ohne Lenkungswirkung. Das Problem ist
nicht, auf Marktkräfte zu bauen, und auch nicht, gesellschaftliche Solidarität in einer Notsituation zu leisten.
Beides ist richtig und notwendig. Das Problem ist, wie
Sie es machen. Ihre sogenannte Marktorientierung basiert auf einer vollkommen falschen Marktanalyse. Bei
Ihrer Förderpolitik vergessen Sie das Wichtigste, nämlich die Lenkungswirkung der Fördergelder zu bedenken.
({1})
Wenn Sie sich den Milchmarkt einmal ansehen würden,
so wie es das Bundeskartellamt gerade getan hat, so würden Sie feststellen, dass dieser Markt total verzerrt ist
({2})
und eine eklatante Benachteiligung der Milcherzeuger
gegenüber den Molkereien besteht. Diesen Markt sich
selbst zu überlassen, hieße nicht, die Marktkräfte zum
Zuge kommen zu lassen, sondern hieße, allein die Monopolisten zu stärken, meine Damen und Herren Marktexperten von der FDP.
({3})
Wir brauchen jetzt Maßnahmen, um diesen Markt erst
einmal wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Wir müssen die Erzeugerseite stärken und in gesunde regionale
Marktstrukturen investieren. Das bedeutet: Wir brauchen
jetzt eine Bündelungsinitiative zur Förderung bäuerlicher Erzeugergemeinschaften,
({4})
wie es das Bundeskartellamt empfiehlt. Die Bundesregierung ist hier gefordert, mit einer gezielten
bundesweiten Kampagne den Zusammenschluss der
Milcherzeuger unabhängig von Molkereien und Genossenschaften zu unterstützen. Als Beispiel kann hier die
bestehende bundesweite Milcherzeugergemeinschaft,
das Milch Board, dienen. Das wäre ein marktorientierter
und solidarischer Ansatz zugleich und würde den Steuerzahler keine 750 Millionen Euro, sondern gerade mal
1 Prozent davon kosten.
({5})
In Wahrheit wollen Sie der bäuerlichen Landwirtschaft
eben nicht helfen. In Wahrheit wollen Sie mit diesem
Mammutprogramm Ihre politische Haut retten; ansonsten verfolgen Sie ganz andere Ziele.
({6})
„Wir haben die Antworten für die Probleme der
Welt“, hat der selbsternannte CSU-Export-Staatssekretär
Müller diese Woche im Agrarausschuss großspurig erklärt.
({7})
Das klingt wie eine Drohung gegenüber den ärmsten
Ländern der Welt und ist wohl auch als Drohung gemeint, wie man annehmen muss, wenn man sich ansieht,
wie Sie mit Ihrer Exportstrategie die Welt mit billigem
Fleisch und billiger Milch überschwemmen wollen.
({8})
Was Sie hier treiben, zerstört das, was der Weltagrarbericht als das Zukunftsmodell zur Lösung der globalen
Herausforderungen im ländlichen Raum bezeichnet: die
bäuerliche Landwirtschaft, die nachhaltig Umwelt, Natur und Tiere schont und schützt.
({9})
Das Wort hat nun Stefanie Vogelsang für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Entwurf dieses Gesetzes führen wir
Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise fort, mit denen wir in der Großen Koalition
begonnen haben. Gestern haben wir hier über den Jahreswirtschaftsbericht debattiert und zur Kenntnis genommen, dass es erste Anzeichen einer langsamen Erholung
gibt. So erfreulich das Ende der Abwärtsdynamik auch
ist: Die deutsche Wirtschaft befindet sich weiterhin in einem tiefen Tal. Die leicht positiven Signale für das laufende Jahr geben keinen Anlass zu euphorischen Einschätzungen.
Jetzt ist es von besonderer Bedeutung, die beginnende
Erholung in ihren Kräften zu stützen und weitere Impulse in Richtung Wachstum zu setzen.
Richtig war es, dass wir in der Großen Koalition gemeinsam den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung
gesenkt haben. Richtig war es, dass wir den Beitragssatz
zur gesetzlichen Krankenversicherung festgeschrieben
haben.
Aus dieser nicht in Deutschland verursachten internationalen Krise konnten wir etliche Erkenntnisse gewinnen; internationale Handlungsnotwendigkeiten zur Verhinderung einer erneuten Krise dieses Ausmaßes wurden
deutlich. Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
der sozialen Marktwirtschaft hat sich als durchaus krisenfest erwiesen. Deutschland hat diese Krise deutlicher
besser überstanden als viele andere Länder.
({0})
Frau Kollegin Senger-Schäfer, wie sozial und wie gerecht ein System ist, das ohne Wettbewerb funktioniert,
mussten viele Menschen in unserem Land viele Jahrzehnte ertragen. Ich glaube nicht, dass wir in diese Richtung wollen.
({1})
Eines ist ganz klar und deutlich geworden: Unsere sozialen Sicherungssysteme sind in erheblichem Maße
konjunkturabhängig. Dieser Gesetzentwurf enthält neben dem Sonderprogramm mit Maßnahmen für Milchviehhalter, der Anhebung des Schonvermögens und dem
Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit auch den Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung, auf den
ich mich jetzt konzentrieren möchte.
Gerade wegen der hohen Konjunkturabhängigkeit ist
es richtig, die gesetzliche Krankenversicherung zunehmend von dem Faktor Arbeit zu entkoppeln. Dafür
haben wir die Einrichtung einer Regierungskommission
beschlossen, die uns den Weg für eine neue Basis für
eine gerechte und solidarische Finanzierung unseres Gesundheitssystems erarbeiten wird. Herr Kollege Schurer,
Sie können ganz sicher sein, dass die christlich-liberale
Koalition
({2})
auf diesem Weg die Orientierung hat und die Richtung
weiter vorgeben wird.
Noch in der Großen Koalition haben wir beschlossen,
den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung
stabil zu halten. Wir alle waren erleichtert, dass im Jahr
2009 das im zweiten Nachtragshaushalt beschlossene
überjährige Liquiditätsdarlehen des Bundes an den Gesundheitsfonds zur Kompensation ebendieser krisenbedingten Mindereinnahmen nicht benötigt wurde. Im
Rahmen des zweiten Konjunkturpakets ist der Bundeszuschuss 2010 zur Finanzierung der Beitragssatzsenkung von 6,3 Milliarden Euro auf 11,8 Milliarden Euro
erhöht worden. Mit diesem Gesetz wollen wir die
Grundlage für einen zusätzlichen Bundeszuschuss in
Höhe von 3,9 Milliarden Euro schaffen. Dies ist als gesamtgesellschaftliche, flankierende Maßnahme in diesem Jahr notwendig; sonst wird der Druck auf unsere gesetzliche Krankenversicherung noch größer, und das
wollen wir verhindern.
({3})
Wir haben schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts letzte Woche über die Etatisierung dieser Mittel geredet. Derzeit berät der Haushaltsausschuss über
den Etat. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf ebenfalls
an den Haushaltsausschuss überweisen. Meine Damen
und Herren vor allen Dingen von der SPD, aber auch
von den Grünen, dieser Schutzschirm, den wir jetzt aufspannen, ist, um im Farbenspiel zu bleiben, ein schwarzgelber Schutzschirm.
({4})
- Frau Kollegin, er ist ein Schutzschirm für 2010. Wir
warten ab und schauen, wie sich die Lage entwickelt.
Wir alle können das nicht vorhersehen oder Prognosen
abgeben. - Ich glaube, dass es der Kontinuität Ihres Handelns und der Verantwortung, die Sie in Ihren Wahlkreisen Ihren Bürgerinnen und Bürgern gegenüber haben,
entsprechen würde, wenn Sie ganz gründlich darüber
nachdenken würden, ob ein solcher Schutzschirm nicht
auch rote und grüne Farbpunkte tragen sollte.
Danke.
({5})
Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wer bislang noch nicht gewusst hat, was ein Kuhschwanz wert ist, dem sei gesagt:
Die Regierung hat Maßstäbe gesetzt, es sind 20 Euro,
({0})
unabhängig davon, wie lang er ist, unabhängig davon, zu
welcher Kuh er gehört, unabhängig davon, ob die Kuh
3 000 Liter oder 10 000 Liter Milch gibt. All das wird
über einen Kamm geschoren. Jede Kuh in Deutschland
kann jetzt froh sein: Vor dem Gesetz sind sie alle
gleich. - Hervorragend! Kompliment, das habt ihr gut
gemacht! Ihr habt das Fass in Feierlaune aufgemacht. Da
wird Party gefeiert, Geld ausgeteilt, und keiner kümmert
sich um die Rechnung. Das ist die derzeitige Politik im
Agrarbereich. Ihr verschenkt heute die finanziellen
Spielräume, die ihr in den nächsten Haushaltsjahren
noch dringend brauchen werdet.
({1})
Es wurde angesprochen: Die Agrarhaushalte 2011, 2012
und 2013 werden von drastischen Einsparungen nicht
verschont werden; das ist jedem klar.
({2})
Heute feiert ihr noch einmal kräftig, heute teilt ihr noch
einmal Geschenke aus.
Kollege Ostendorff hat gerade deutlich gemacht, wo
die strukturellen Schwächen dieses Programms liegen.
Das, was hier geplant ist, ist für die Agrarpolitik ordnungspolitisch ein Super-GAU sondergleichen.
({3})
Die FDP sitzt daneben und hat die Prinzipien der Agrarpolitik, die sie sonst vertreten hat, grundlegend verraten.
({4})
Geschuldet ist dies dem Kompromiss, den man eingehen
musste, nachdem im Vorwahlkampf in Bayern schon
mal eine hauseigene Prämie gezahlt wurde. Das hat nicht
viel genutzt; die Bauern sind trotzdem von der CSU
weggelaufen. Jetzt will man nachlegen, die Dimension
vergrößern, in der Hoffnung, man könne die Bauern kaufen. Das ist keine Strategie. Langfristig kann man die
Bauern nicht kaufen; auch die CSU in Bayern kann das
nicht.
Frau Ministerin Aigner ist nicht mehr da. Sie kann
jetzt mit der Gießkanne durch Bayern fahren und jeden
Hektar begießen. Die Frage ist, was dies nützt. Das hat
nichts mit strukturierter Agrarpolitik zu tun. Wir brauchen den Strukturwandel, wir müssen ihn begleiten; das
ist unabdingbar. Das Programm, das hier aufgelegt worden ist, begleitet nichts, erzeugt nur Mitnahmeeffekte
und hat unterm Strich keine strukturellen Folgewirkungen. Der Strukturwandel wird aufgeschoben und behindert.
({5})
Dabei wäre es doch notwendig, dafür zu sorgen, das umzusetzen, was im Vorbericht zur Sektoruntersuchung seitens des Bundeskartellamts - Kollege Ostendorff hat es
angesprochen - klar und deutlich gesagt worden ist, um
den Milchsektor zu stärken.
({6})
Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit der Milcherzeuger stärken. Wir müssen ihre Position auf dem
Markt stärken. Da können Sie ins Volle greifen. Nach
den Vorgaben der EU dürfen Sie jede Erzeugergemeinschaft mit 500 000 Euro fördern. Legen Sie ein entsprechendes Programm auf! Fördern Sie die Strukturen auf
dem Markt, fördern Sie die Wettbewerbsfähigkeit und
fördern Sie die Marktgerechtigkeit! Dieser Ansatz wird
zukünftig im Bereich der Milchpolitik notwendig sein
und nicht die Größenordnung des Programms hier.
Das Programm an sich ist löchrig wie ein deutscher
Käse. Die Verteilungsungerechtigkeit ist eklatant. Der
bayerische Landwirtschaftsminister rühmt sich, dass
über ein Viertel der Mittel des Gesamtprogramms nach
Bayern fließt. Das ist mehr, als den Bayern in der Relation zu der Milchmenge, die sie normalerweise produzieren, zusteht. Ich weiß nicht, ob dies bei den Betrieben
in Schleswig-Holstein oder in den neuen Bundesländern
viel Zustimmung gefunden hat; denn da gibt es Kappungsgrenzen aufgrund der De-minimis-Regelung; bei
187 Kühen ist Schluss. Aber auch das sind Betriebe, die
Arbeitnehmer beschäftigen und Arbeit sichern. Sie gehen bei diesem Programm, so wie es gestrickt ist, zwar
nicht leer aus, werden aber erheblich benachteiligt.
Das ist nicht der richtige Ansatz. Die Politik, die hier
offenkundig betrieben wird, ist ein Anachronismus. Dies
ist der Rückfall in die Agrarpolitik der 60er-Jahre, als es
eine Abschlachtprämie und andere Dinge gab. Das kann
man nicht gutheißen.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schirmbeck?
Ja.
Herr Kollege Priesmeier, Sie sind eigentlich ein sehr
sachlicher Kollege und beschäftigen sich inhaltlich mit
diesen Themen. Ich weiß nicht, welche Zahlen man Ihnen vorgelegt hat. Ich weiß aber, dass der zuständige Beamte im Landwirtschaftsministerium sehr solide rechnet.
Sieht man sich die mir vorliegenden Zahlen vor dem
Hintergrund des Pakets an, das wir geschnürt haben,
wozu natürlich auch die Gasölverbilligung und die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung gehören, dann ergibt sich, dass Bayern einen Anteil von
25,63 Prozent an der Milchproduktion in Deutschland
und einen Anteil von 26,35 Prozent an den Mitteln hat,
die der Landwirtschaft jetzt zur Verfügung gestellt werden. Jetzt zu behaupten, das sei zugunsten eines Bundeslandes, das geht an diesen Zahlen vorbei. Ich frage Sie,
ob Sie andere Zahlen haben und ob die Zahlen, die mir
das Ministerium zur Verfügung gestellt hat, falsch sind.
Herr Schirmbeck, fragen Sie einmal in MecklenburgVorpommern nach, warum es im Bundesrat gegen das
Gesetz gestimmt hat.
({0})
Das Missverhältnis zwischen den süddeutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern und den
norddeutschen ist belegbar. Sobald ich Zeit habe, suche
ich die Zahlen heraus. Dann können wir uns später gerne
darüber unterhalten. Die Beweisführung scheue ich
nicht. Sie konstruieren hier Gesamteffekte aus dem Bereich Agrardiesel und anderen Einzelmaßnahmen im
Rahmen der Unfallversicherung. Die Aussage, die ich
getroffen habe, bezieht sich allein auf das GrünlandMilchprogramm, das Sie vorgelegt haben.
({1})
- Vielen Dank, Herr Kollege. Genau darum geht es.
Haben Sie eine Nachfrage? - Gestatten Sie das, Herr
Kollege?
Ja.
Herr Kollege Priesmeier, wenn wir fair miteinander
umgehen wollen, dann müssen wir das Gesamtkonstrukt
sehen, das wir für den ländlichen Raum vorgesehen haben. Meine Frage: Die Zahlen für die neuen Bundesländer
belegen, dass sie einen Milchanteil von 22,57 Prozent haben; ihre Zuschüsse belaufen sich auf 21,18 Prozent. Ich
weiß nicht, ob Sie sich einen Schlüssel vorstellen können, der diese Mittel bei den zugegebenermaßen unterschiedlichen Strukturen, die wir in Deutschland haben,
noch gerechter aufteilt; es ist ohnehin schwierig, das mit
einem einheitlichen Maßstab auf den Weg zu bringen.
Zugegebenermaßen ist es so, dass die Milchviehbetriebe in der Relation weniger Agrardiesel beziehen als
die Ackerbaubetriebe. Allein daraus ergibt sich, dass
Ihre eben vorgetragene Annahme nicht ganz richtig sein
kann.
({0})
Ich kann nur an Sie appellieren: Streichen Sie die
300 Millionen Euro für das Grünlandprogramm aus dem
Haushalt und kommen Sie Ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung nach! Diese 300 Millionen Euro sind schuldenfinanziert. In der jetzigen desaströsen Haushaltslage
ist es nicht angemessen, diese Form von Geschenken zu
machen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Happach-Kasan.
Sowohl in der letzten Debatte als auch durch die Fragen und Antworten der Kollegen Schirmbeck und
Priesmeier ist deutlich geworden, worum es in dieser
Debatte geht. Es geht um das Sonderprogramm Landwirtschaft, das wir, die christlich-liberale Koalition, gemeinschaftlich im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
({0})
weil wir der Auffassung sind, dass gerade Milchviehbetriebe durch die Wirtschaftskrise, durch den absolut
niedrigen Milchpreis geschwächt worden sind und dass
sie eine Unterstützung brauchen, damit sie durchhalten
können, damit sie die Chance haben, zu überleben.
({1})
Unsere Maßnahmen umfassen drei Teile. Zum einen
gibt es das Grünlandprogramm. Ich finde es schon etwas seltsam, dass der grüne Abgeordnete sein umweltpolitisches Gewissen total aufgegeben und verloren hat.
({2})
Sie alle wissen, dass Grünland gebraucht wird. Die Nutzung von Grünland ist nur durch Milchviehhaltung,
durch Tierhaltung möglich. Deswegen ist es richtig,
wenn wir ein Umbruchverbot für Grünland haben, dass
wir die Betriebe stärken, die es nutzen.
({3})
Zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir
wissen, dass gerade tierhaltende Betriebe mehr Unfälle
haben und dass sie gestützt werden, wenn wir die landwirtschaftliche Unfallversicherung stärken.
Wir haben auch eine „Kuhschwanzprämie“ vorgesehen.
({4})
- Vielen Dank für die Heiterkeit im Plenum, aber für die
Betriebe ist das eine ernste Angelegenheit. - Es ist in der
gesamten Diskussion ein Wermutstropfen für uns Liberale, dass sie auf 178 Kühe begrenzt wird. Wir kritisieren
an dieser Kuhprämie, dass sie strukturkonservativ ist,
dass sie keine lenkende Aufgabe hat und letztendlich der
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“
entgegenwirkt. Auf ihrer Grundlage wurden Programme
entwickelt, die gewährleisten, dass gute Betriebe gestärkt werden und schwache Betriebe eine Möglichkeit
zum Ausstieg bekommen, damit wir einen sozialverträglichen Strukturwandel haben. Das kritisieren wir. Hier
sehen wir Verbesserungsbedarf im Bereich der KuhpräDr. Christel Happach-Kasan
mie. Wir hoffen auf Unterstützung, insbesondere aus der
Opposition.
Danke schön.
({5})
Herr Kollege Priesmeier.
Verehrte Kollegin Happach-Kasan, vielen Punkten Ihrer Analyse kann ich ohne Weiteres zustimmen. Das
würde ich ohne Weiteres unterschreiben. Ich weiß, wie
sich die Situation der FDP in den Koalitionsverhandlungen dargestellt hat. Es war sicherlich nicht einfach, diese
Kröte zu schlucken. Es war sicherlich nicht einfach, auf
die Begehrlichkeiten der Bayern in dieser Weise eingehen zu müssen. Das entspricht an sich nicht der agrarpolitischen Tradition der FDP.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir bei dem Szenario,
das Sie aufgezeigt haben, wenn es um die Linie und die
Strukturpolitik geht, durchaus kompromissfähig sein
können. Zu dem vorgelegten Programm, wie es sich jetzt
darstellt, gibt es aber nur ein ganz klares Nein. Ich kann
Sie unterstützen: Hoffentlich setzen Sie sich mit Ihrer
Position innerhalb der Koalition durch. Das wäre zum
Vorteil für die deutsche Landwirtschaft. Da würde Ihnen
einiges an Ärger und Folgekosten erspart bleiben.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen!
Werte Kollegen! Bisher hat Deutschland die Wirtschaftsund Finanzkrise im Vergleich mit anderen von der Krise
betroffenen Staaten verhältnismäßig gut überstanden.
Das entschlossene Handeln der Bundesregierung im
letzten Jahr hat den Finanzmarkt stabilisiert und die Talfahrt der Wirtschaft gestoppt. Offensichtlich greifen die
Maßnahmen zur Konjunkturbelebung.
Positiv hat sich in Deutschland vor allem die Ausweitung der Regelung für das Kurzarbeitergeld ausgewirkt. Wir haben erst gestern Abend hier darüber diskutiert. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte so stark
begrenzt werden wie in keinem anderen Industrieland
weltweit. Der zu Beginn der Wirtschaftskrise vorausgesagte Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 4 Millionen
ist erfreulicherweise nicht eingetreten.
({0})
- Dass die SPD einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet hat, will ich nicht in Abrede stellen.
Es wäre allerdings ein Fehler, sich jetzt auf den positiven Entwicklungen auszuruhen. Die Krise reißt spürbare
Lücken in die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Ihre Folgen für die Wirtschaft, besonders für den
Arbeitsmarkt, sind noch längst nicht überwunden. Mit
dem Ziel, Beschäftigung möglichst zu sichern, hat die
Bundesregierung durch ihre Sofortmaßnahmen zwar
viele Härten abfedern können, es gibt aber immer noch
Schieflagen, die wir beseitigen, und Entwicklungen, denen wir gegensteuern müssen.
Viele Menschen, die für ihr Alter mit einer Lebensversicherung oder dem Bau eines Eigenheims vorgesorgt
haben, sehen sich mit einer Situation konfrontiert, in der
ihr sichergeglaubter Arbeitsplatz bedroht ist. Ihre Selbstvorsorge soll bei länger dauernder Arbeitslosigkeit nicht
umsonst gewesen sein. Deshalb gliedern wir sie in den
Schutzschirm für Arbeitnehmer ein, den wir mit dem Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz, über dessen Entwurf wir hier und heute debattieren, aufspannen.
Wir erhöhen den Freibetrag beim Schonvermögen im
SGB II, der verbindlich der Altersvorsorge dient, deutlich, von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr; einige
der Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Bedingung dafür ist, dass das Altersvorsorgevermögen erst
mit Eintritt in den Ruhestand verfügbar ist. Erwerbslose
wären so seltener gezwungen, ihre Ersparnisse für das
Alter anzugreifen. Für einen 50-Jährigen läge der Freibetrag dann immerhin bei 37 500 Euro. Ansprüche aus
Rürup- und Riester-Renten werden nicht mit diesem
Freibetrag verrechnet. Sie bleiben generell verschont.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und
Kollegen, als die Sätze für das Schonvermögen 2004
festgeschrieben wurden, reichte es aus, dass jeder, der
Arbeitslosengeld II beantragte, für sich und seinen Partner je 150 Euro pro Lebensjahr behalten durfte. Das
SGB II ist aber ein lernendes System. Wir haben registrieren müssen - dafür haben wir sogar Applaus von der
Linkspartei bekommen -, dass die Vorsorge fürs Alter
etwas stärker geschützt werden muss, um jungen Leuten,
die im Berufsleben stehen, die Motivation zu geben,
selbst Werte fürs Alter zu schaffen, sei es das Eigenheim, sei es eine entsprechende Altersvorsorge.
({1})
Die Rahmenbedingungen sind heute jedoch schwieriger als noch vor sechs Jahren. Viele Mittelständler,
Kleinunternehmer und Selbstständige, sind widrigen
wirtschaftlichen Umständen ausgesetzt und mitunter von
längerer Arbeitslosigkeit bedroht. Diesen Menschen
wollen wir helfen, damit sie nicht ihr Erspartes schon
einsetzen müssen, bevor sie Arbeitslosengeld II bekommen. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass sie
nicht im Alter auf Sozialleistungen angewiesen sind, nur
weil der Freibetrag für die Altersvorsorge zu gering war.
Im Übrigen - auch darauf muss einmal hingewiesen
werden - entlasten wir langfristig die öffentliche Hand,
wenn wir das Schonvermögen erhöhen und durch den
Behalt des Eigenheims zukünftige Leistungen für Wohn1756
kosten im Zusammenhang mit der Alterssicherung nach
dem SGB XII bereits jetzt vermeiden.
({2})
Ein wichtiges Ziel unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik war immer, die private Altersvorsorge zu fördern, um einer möglichen Altersarmut von breiten Bevölkerungsschichten rechtzeitig vorzubeugen. Auch aus
diesem Grund wird innerhalb unserer Partei schon lange
gefordert, das Schonvermögen zu erhöhen. So haben wir
in der christlich-liberalen Koalition
({3})
- ich habe es bewusst gesagt, Herr Kollege, damit Sie
Ihren Zuruf machen können - beschlossen, als eine der
ersten Maßnahmen den Freibetrag beim Schonvermögen
im SGB II deutlich anzuheben. Ich freue mich ganz besonders, dass dieser Beschluss in den Koalitionsvertrag
zwischen Union und FDP Eingang gefunden hat. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir uns
darauf geeinigt, die Freibeträge für das Altersvorsorgevermögen von 250 auf 750 Euro je vollendetem Lebensjahr zu verdreifachen. Kollege Vogel von der FDP hat in
seiner Rede darauf hingewiesen.
Unsere Botschaft lautet: Wer für das Alter vorsorgt,
hat auch für den Fall der Arbeitslosigkeit richtig gehandelt.
({4})
Ich weiß, auch vonseiten der Opposition gab und gibt es
Forderungen und Anträge in diese Richtung. Wir aber
wollten einen vernünftigen und ordentlich ausgearbeiteten Gesetzentwurf. Dieser liegt Ihnen jetzt vor. Damit
haben wir unser Versprechen eingelöst.
Noch einen weiteren Aspekt, der für die Arbeitsmarktpolitik von Bedeutung ist, wird das Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz regeln. Durch die krisenbedingten Einnahmeausfälle und steigenden Ausgaben
verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit für das vergangene Jahr ein Defizit von 10,9 Milliarden Euro. Die
Rücklage der BA ist zum Jahresende 2009 auf rund
1,9 Milliarden Euro gesunken. Für das Haushaltsjahr
2010 erwartet die BA bei einem unveränderten Beitragssatz in Höhe von 2,8 Prozent ein Defizit in Höhe von
rund 17,9 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Fehlbestand von rund 16 Milliarden Euro am Jahresende.
Wenn Herr Kollege Birkwald von der Linkspartei hier
ausführt, es sei ein Fehler gewesen, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge von damals 6,5 Prozent auf heute
2,8 Prozent zu reduzieren, so sei Ihnen, aber auch den Zuschauern auf den Tribünen und am Fernseher gesagt:
Wenn wir die Beitragssätze bei 6,5 Prozent belassen hätten, wäre die Konsequenz gewesen, dass jeder Arbeitnehmer und natürlich jeder Arbeitgeber - das Ganze ist ja paritätisch finanziert - Monat für Monat 3,7 Prozentpunkte
mehr an Sozialabgaben hätte zahlen müssen. Wenn Sie
den Wunsch erfüllen wollen, müssen Sie den Forderungen der Linkspartei folgen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Birkwald?
Ja, natürlich. Ich bitte darum.
Herr Kollege Lehrieder, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass der Wunsch der Linken ist, dass alle Erwerbslosen in der Krise 24 Monate Arbeitslosengeld erhalten? Dafür braucht man Geld, und es ist sinnvoller, höhere Beiträge zu zahlen, damit man dann, wenn man auf
das Pflaster geworfen wird, einen gewissen Schutz hat
und erst später in das unsoziale Hartz-IV-System gelangt.
Herr Kollege Birkwald, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass wir genau diesen Schutzschirm haben
und dass wir in diesem Gesetzentwurf vorsehen, die Beiträge zur Bundesagentur stabil zu halten und den Ausgleich des Defizits aus steuerfinanzierten Mitteln zu
übernehmen? Es ist ja auch ein Wunsch, den Sie als Umverteilungspartei hier regelmäßig vortragen, dass wir
über steuerfinanzierte Leistungen die Arbeitnehmer, all
diejenigen, die im Berufsleben stehen, ein Stück weit
entlasten sollen. Da sind wir mit Sicherheit sozialer als
die Linkspartei.
({0})
Dieser Fehlbestand soll nun nicht als zurückzuzahlendes Darlehen, sondern als einmaliger Bundeszuschuss
zur Verfügung gestellt werden. Wie wir auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, muss die Auszahlung dieses Zuschusses selbstverständlich an strenge
Kriterien gebunden werden.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und
Kollegen, mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir einen weiteren Markstein auf dem Weg zur
Überwindung der Krise und ihrer Folgen. Aus dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz und dem Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz ergeben sich steuerliche
Erleichterungen. Allein mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz entlasten wir die Bürger und Unternehmen um insgesamt rund 8,5 Milliarden Euro. Wir wollen
die Sozialbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
stabil halten - hier unterscheiden wir uns von den Linken - und die Lohnnebenkosten nicht zusätzlich belasten. Es gilt, im Rahmen des haushaltspolitisch Verantwortbaren zusätzliche Impulse zu geben. Nur so werden
wir das Vertrauen von Investoren und Konsumenten in
die Kontinuität der künftigen Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik stärken und damit langfristig die Weichen
für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen.
({1})
Nur so wird es uns gelingen, dabei zu helfen, dass die
Unternehmen die Krise meistern, Beschäftigungsverhältnisse erhalten und mehr Arbeitsplätze schaffen. Wir
können es uns nicht leisten, in der konjunkturellen Talsohle zu verharren und sehenden Auges zuzulassen, dass
die Unternehmen und damit die Arbeitsplätze immer
stärker unter Druck geraten.
Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, dass Sie das eigentlich genauso sehen. Deshalb möchte ich Sie einladen, uns auf unserem Weg zu
unterstützen und diesen Gesetzentwurf mitzutragen.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 17/507 und 17/495 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Ta-
gesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicolette
Kressl, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmenbündel gegen Spekulationen auf
den Finanzmärkten und ungerechtfertigte
Banker-Boni
- Drucksache 17/526 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Carsten Sieling, Nicolette Kressl, Joachim
Poß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Die Lasten der Krise gerecht verteilen, Spekulationen eindämmen - Internationale Finanztransaktionsteuer einführen
- Drucksache 17/527 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel
Troost, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Finanztransaktionsteuer international vorantreiben und national einführen
- Drucksache 17/518 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzmarktkrise, in der wir seit gut zwei Jahren stecken,
ist für uns insgesamt eine große Zäsur, und zwar eine gesellschaftliche Zäsur und nicht nur eine vordergründig
politisch-ökonomische.
Wir mussten erfahren, dass unsere Abhängigkeit von
Banken und Finanzindustrie größer und tiefer ist, als wir
bis dahin vielleicht gedacht hatten. Die Verantwortungslosigkeit und Gier, die Risikobereitschaft und manchmal
sogar die Dummheit von Bankern, Finanzmanagern und
auch von Verwaltungsräten öffentlicher Landesbanken
sprengen das bisher Vorstellbare.
Hier setzt unsere gemeinsame Aufgabe ein, meine
Damen und Herren, die Aufgabe der Politik: Wir müssen
diese Leute aus der Parallelwelt holen, in der sie sich
- jede Äußerung dieser Tage macht das deutlich - noch
immer befinden.
({0})
- Ich rede von denen, die offenkundig auch im Namen
anderer sprechen. Ich halte überhaupt nichts von
Ackermann-Bashing; aber Herr Ackermann ist nun einmal ein Sprecher der ganzen Branche,
({1})
und jede Äußerung von ihm belegt, dass wir die Branche
aus ihrer Parallelwelt holen müssen.
({2})
Nehmen wir als Beispiel nur die Diskussion über die
Boni. Welche Rechtfertigung gibt es denn für ein solches
Bonisystem? Arbeiten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die es kein solches System gibt, nicht
auch motiviert? Solche Fragen muss man stellen. Einige
haben sich eingerichtet in diesem System und haben po1758
litische Unterstützer gefunden. Da müssen wir umkehren.
({3})
Nur dadurch, dass die Notenbanken und die Staaten
bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und Mittel gegangen sind, konnte ein flächendeckender Kollaps der
Finanzmärkte verhindert werden. Uns allen, meine Damen und Herren, muss klar sein: Noch eine solche Krise,
wie wir sie in den letzten zwei Jahren erlebt haben,
könnte auch Deutschland nicht mehr bewältigen. Daraus
lässt sich nur eine Konsequenz ziehen: Die Strukturen
in der Finanzindustrie, die Bankenwelt und die Finanzmärkte insgesamt sind so zu verändern, dass sich eine
solche Krise möglichst nicht mehr wiederholt.
({4})
Wenn man die Berichte aus Davos verfolgt, bekommt
man mit, dass - polemisch gesprochen - beim Champagner schon wieder gesagt wird: Das darf aber nicht zu
weit gehen. Nach der Obama-Rede haben Herr
Ackermann und andere aus der Branche in die gleiche
Richtung argumentiert - Originalton -: Die Regierungen
werden jetzt doch nicht die falschen Schlussfolgerungen
ziehen, weltweit und europäisch!
({5})
Angesichts dessen muss man sich fragen: In welcher
Welt leben diese Menschen? Sie sollten Davos schnell
verlassen und sich einmal die soziale Realität, zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland, anschauen.
({6})
Das ist eine der zentralen Gestaltungsaufgaben dieses
Hauses: Wir müssen uns nicht den Kopf zerbrechen, ob
und wie wir für diesen oder jenen noch mehr Steuern
senken können; das aber machen Sie in dieser Koalition
hauptsächlich. Sie müssen endlich zu Potte kommen und
eine Strategie entwickeln, wie wir mit nationalen, europäischen und internationalen Maßnahmen die Aufgabe,
die ich beschrieben habe, endlich in den Griff bekommen.
({7})
Da ist bei Ihnen Pause, Ende der Durchsage. Warum
denn? Es ist doch ein Skandal, dass sich diese schwarzgelbe Koalition in einer der zentralen Fragen unserer
Zeit nicht verständigen kann,
({8})
bei der Finanzmarkttransaktionsteuer unterschiedlicher
Meinung ist.
Frau Merkel äußert Verständnis. Aus der CSU kommen sozialdemokratische Töne.
({9})
Die FDP sagt wie üblich Nein, weil sie am engsten mit
dem Finanzmarkt verflochten ist. Das Ganze offenbart
ein erschreckendes Defizit im Hinblick auf ein ernsthaftes Politikverständnis.
({10})
Was wurden hier, auch während der Zeit der Großen
Koalition, für Reden gehalten, von Frau Merkel, philosophisch von Ihrem Herrn Röttgers - ({11})
- Röttgen. Röttgers ist die Mischung aus Rüttgers und
Röttgen; denn die beiden tun sich da nicht viel: Große
Reden, nichts dahinter!
({12})
Die Rede von Herrn Röttgen war philosophisch angelegt, blieb aber ohne Konsequenzen. Wenn es um Konkretes geht: Ende der Durchsage. Sie sind in diesem
Politikfeld blank, so wie in der Gesundheitspolitik und
in anderen Politikfeldern. Sie haben für die Zukunft unseres Landes konzeptionell nichts zu bieten. Das ist die
Realität; darüber wird hinweggetäuscht.
({13})
Eine solche Haltung können wir uns nicht mehr leisten: Es werden immer nur Fensterreden von Frau Merkel
oder von Herrn Schäuble gehalten. Jetzt wird eine
Finanzmarktkonferenz abgehalten, aber nicht erst im
Mai, sondern schon im April,
({14})
rechtzeitig vor einer wichtigen Landtagswahl, um zu sagen: Irgendwann werden wir uns um die Probleme kümmern. Was ist das für eine Regierung, die in dieser Situation nicht die Ärmel aufkrempelt!
({15})
Man kann fast den Eindruck haben, dass in dieser
Koalition nicht die schwäbische Hausfrau Merkel, sondern die schwäbische Drossel Homburger das Sagen hat.
({16})
Da fragt man sich doch, welche speziellen Interessen
sich hier durchsetzen. Wir werden einmal recherchieren,
welche Spenden da vielleicht unterwegs sind oder waren.
({17})
Wir haben es doch nicht vergessen: Kurz vor der Wahl
kamen einige ganz dicke Spenden aus der Finanzindustrie bei den jetzigen Koalitionspartnern an. Da wird doch
wohl kein Zusammenhang zu dem konkreten Nichthandeln bestehen?
Sie sind von der letzten Obama-Rede aufgeschreckt
worden. Erst muss der amerikanische Präsident kommen
und etwas zur Begrenzung von Bankenmacht und hochriskanten Finanzgeschäften ausführen; dann kommt die
deutsche Regierung und sagt: Wir halten eine Konferenz
zu diesem Thema ab. Das ist in der Tat ein Armutszeugnis. Es muss wirklich anders gehen. Wir brauchen dringend so etwas wie einen deutschen Aktionsplan, ein
konkretes Konzept, wie Deutschlands Beitrag zur nachhaltigen und dauerhaften Stabilisierung der Finanzmärkte und des Bankensektors aussehen soll.
Viel Zeit wurde vertan. Wir haben diese Diskussion
schon in der Großen Koalition geführt, auch über eine
Sonderabgabe des Bankenbereichs. Da haben Sie blockiert. Ich habe mit Ihnen in einer Gruppe zur Begrenzung von Managergehältern verhandelt. Ein Dreivierteljahr lang mussten wir Ihnen Stück für Stück notwendige
gesetzliche Veränderungen regelrecht aus der Nase ziehen, je nachdem, wie hoch der Druck in der Finanzmarktkrise gerade war. Bei der Frage der Begrenzung
der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Gehältern und Abfindungen - dazu zählen Boni - haben Sie sich von
vornherein verweigert.
Was ist denn das für eine Haltung! Auch da müssen
Sie sich bewegen.
({18})
Sie müssen doch auf nationaler Ebene machen, was auf
nationaler Ebene möglich ist. Diese Chance nutzen Sie
nicht. Sie machen unverbindliche Gedanken- und Meinungsaustausche und gehen die Probleme nicht an. Wir
haben auch auf nationaler Ebene Regelungsbedarf. Sie
sind nicht glaubwürdig.
Auch Frau Merkel, die ein internationales Renommee
hat - wer wollte das denn bestreiten! -, kann mit ihrem
europäischen oder internationalen Renommee überhaupt
nichts anfangen, weil sie gar nicht weiß, wofür sie sich
bei den Gipfeltreffen in Europa oder den G-20-Treffen in
der Welt nachhaltig einsetzen soll; denn sie hat kein eindeutiges Mandat dieser Koalition. Dieser Zustand muss
sich ändern.
Um Ihnen da auf die Sprünge zu helfen, haben wir
zwei Anträge formuliert, die heute im Einzelnen noch
gut begründet werden. Wir werden dann ja sehen, wie
Sie sich dazu verhalten.
Die Zeit des Stillstands auf einem zentralen Politikfeld in Deutschland muss vorbei sein. Ihre Zeit ist in diesem Punkt jedenfalls abgelaufen. Bewegen Sie sich
bitte!
({19})
Das Wort hat nun Leo Dautzenberg für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß, durch Ihren Beitrag haben Sie im Grunde wieder bekundet, dass
Sie sich hier unter Wert darstellen. Das gilt insbesondere
im Hinblick auf das, was wir bereits in der Großen
Koalition auf den Weg gebracht haben; denn das war
stimmig. Die Argumente und Vorwürfe, die Sie heute
hier dargestellt haben, entbehren jeder Grundlage. In der
neuen Koalition, in der christlich-liberalen Koalition,
führen wir jetzt die Dinge zielgenau fort, mit denen wir
bereits im Finanzmarktstabilisierungsgesetz und durch
weitere Maßnahmen begonnen haben.
({0})
Ich darf vielleicht daran erinnern, was wir beispielsweise hinsichtlich der Vergütungsstrukturen schon auf
den Weg gebracht haben, was wir gemeinsam beschlossen haben. Wir waren eben nicht bereit - das ist nach wie
vor richtig -, bei den Vergütungsstrukturen unter steuerlichen Gesichtspunkten zwischen guten und schlechten
Bezügen bzw. Einkünften und Ausgaben zu differenzieren. Das ist der falsche Ansatz.
Man setzt zu spät an, wenn man damit anfängt - das
wurde auch in England teilweise vollzogen -, Boni zu
versteuern. Diese Boni dürfen den Bereich der Banken
im Grunde gar nicht verlassen, sondern sie sollten dafür
genutzt werden, die Eigenkapitaldecke der Banken zu
stärken. Das wäre der bessere Beitrag als der, hier zu einem späteren Zeitpunkt eine Besteuerung herbeizuführen, die über andere Vergütungssysteme teilweise wieder
so ausgeglichen wird, dass Sie das, was Sie damit eigentlich beeinflussen wollen, gar nicht erfassen.
({1})
Deshalb geht es darum, systematisch die Dinge fortzusetzen, mit denen wir bereits begonnen haben. Die
Verabschiedung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, dem bis auf die Linke alle Fraktionen in diesem
Hause zugestimmt haben, war national der richtige Weg,
um eine Stabilisierung zu erreichen. Das muss fortgesetzt werden.
Wenn wir uns anschauen, was auf europäischer Ebene
und international momentan diskutiert wird und was wir
national in der Pipeline haben, dann sehen wir, dass dies
von folgenden Zielen gekennzeichnet ist:
Wir stimmen Ihnen zu, dass sich die Krise, die sich
jetzt mit all ihren Folgen ereignet hat, so nicht wiederholen darf. Sie können nie ausschließen, dass es immer
wieder Krisen geben wird, aber aufgrund der Erkenntnisse, die man aus der aktuellen Krise gewonnen hat,
muss man jetzt die notwendigen Maßnahmen ergreifen,
damit sich eine solche Krise mit den entsprechenden
Folgen nicht wieder ereignet.
Mit allen Anträgen, die hier von den Oppositionsfraktionen gestellt worden sind, greifen Sie im Grunde zu
kurz, da Sie nur über Abgabesysteme und Belastungen
reden. Es wird nicht gesagt, wie wir systematisch und
zielgenau die Erkenntnisse aus der Krise ziehen, die erforderlich sind, um die entsprechenden Maßnahmen
durchführen zu können.
Als weiteres Ziel gilt es deshalb in der Tat, bestimmte
Banken - die, die gerettet wurden; über die Rettung er1760
folgte eine Stabilisierung und wurde ein Nutzen erzielt an den Kosten zu beteiligen. Man muss nur fragen, mit
welchen Instrumenten dies geschehen soll. Dies muss
auch differenziert geschehen.
({2})
- Wie lange wir brauchen? Wir sind jetzt seit einem
bzw. zwei Monaten dabei. Durch Schnellschüsse, wie
Sie sie fordern, wird uns hier nicht weitergeholfen, sondern das muss durch eine nationale, europäische und internationale Vereinbarung im System verankert werden.
({3})
Deshalb war es richtig, dass Herr Obama zumindest
Vorschläge unterbreitet hat. Das ist die Grundlage dafür,
dass man annehmen kann, dass sich etwas bewegt. Bisher war es das größte Problem bei der internationalen
Abstimmung, dass man das Stichwort „Regulierung“
den Vertretern des angelsächsischen Raums gegenüber
im Grunde gar nicht ansprechen konnte. Herr Steinbrück
({4})
und Frau Merkel haben doch das Thema Regulierung
mit Recht immer betont. In Heiligendamm ist vereinbart
worden, dass wir auch im angelsächsischen Bereich eine
stärkere Regulierung erreichen müssen.
Wenn der Obama-Vorschlag etwas Gutes enthält,
dann ist es die Öffnung für Maßnahmen. Dabei müssen
wir uns aber fragen, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen in unserer europäischen und nationalen Bankenstruktur, Finanzmarktstruktur und auch Finanzmarktkultur adaptierbar und umsetzbar sind. Müssen wir nicht
besser von der nationalen Ebene ausgehend bis hin zur
europäischen Ebene Maßnahmen in die Diskussion einbringen, die unserer Finanzmarkt- und Bankenstruktur
entsprechen?
({5})
Obamas Vorschlag bedeutet nämlich eine Rückkehr
zum Trennbankensystem. Dadurch werden die Investmentbanken und damit die Banken begünstigt, die uns
teilweise mit in die Krise geführt haben. Universalbanken aber dürfen keinen Eigenhandel mehr machen. Es
geht doch nicht um die Frage, ob Eigenhandel zugelassen wird, sondern darum, in welchem Umfang er zulässig ist. Das muss aufsichtsrechtlich mit Eigenkapitalanforderungen geregelt werden.
({6})
Je risikoreicher und systemisch relevanter, desto höher
sollte die Eigenkapitalunterlegung sein, Herr Poß. Das
ist die richtige Antwort, um Krisen und Blasenbildung in
diesem Bereich zu verhindern,
({7})
statt über die Schaffung von Besteuerungsgrundlagen zu
diskutieren. Dabei sind wir auf einem guten Weg, der
zwischen den beteiligten Häusern abgestimmt wird.
Wichtig ist für uns auch die Effizienzsteigerung der
Aufsicht. Dazu haben wir vorgeschlagen, dass die BaFin
insgesamt mit ihren Strukturen bei der Bundesbank andocken kann.
({8})
- Richtig. - Der vom Bundesbankvorstand unterbreitete
Vorschlag, nicht nur die Bankenaufsicht, sondern auch
die Solvenzaufsicht über die Versicherungen zu übernehmen, war im Grunde zu kurz gesprungen,
({9})
Zudem wurde in der Frage der Eingriffsverwaltung betont, dass in schwierigeren Fällen weiterhin das BMF für
die Rechts- und Fachaufsicht zuständig sein soll. Das ist
nicht zu akzeptieren.
({10})
Wir können die Unabhängigkeit der Bundesbank sicherstellen, Kollege Poß. Es lässt sich organisatorisch
gestalten, indem einzelne Teile voneinander getrennt
werden und dadurch die Aufsicht ausgeklammert wird.
Darin sind wir nicht weit auseinander. Das lässt sich machen.
Ferner muss die Aufsicht mit mehr präventiven Kompetenzen ausgestattet werden. Im HRE-Untersuchungsausschuss wurde immer wieder vorgetragen, dass die
Aufsicht auf das Geschäftsmodell keinen Einfluss nehmen kann. Wenn aber Geschäftsmodelle in den Ruin
führen, dann muss die Aufsicht die Möglichkeit haben,
präventiv auf die Tätigkeit der Bank Einfluss zu nehmen.
({11})
Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Der regulatorische Ansatz ist besser geeignet.
({12})
- Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Damit werden
wir schon klarkommen. Ich wünsche mir nur, dass Sie
mit Ihren Vorschlägen konsistent zu dem stehen, was wir
sinnvollerweise gemeinsam gemacht haben. Dann wären
wir schon einen wesentlichen Schritt weiter.
({13})
Nun kommen wir zu Obamas weiterem Vorschlag des
Trennbankensystems. Wir haben ein UniversalbankenLeo Dautzenberg
system. Das ist unsere Kultur bis hin zu den kleinsten
Einheiten der Sparkassen und Genossenschaftsbanken.
Wollen Sie die alle mit der von Ihnen gewünschten
Finanztransaktionsteuer erfassen? Sie waren doch an den
Ursachen der Finanzkrise gar nicht beteiligt.
({14})
Lassen Sie uns doch die systemischen Banken heranziehen, die entsprechend gesichert worden sind. Damit
sind wir wieder bei der Frage der Eigenkapitalunterlegung.
Gleichzeitig müssen wir in Basel dafür kämpfen, dass
eine bestimmte Qualität des Eigenkapitals, was das
Kernkapital anbelangt, erhalten bleibt. Wenn nämlich
Mezzanine-Kapital, also stille Beteiligungen, demnächst
nicht mehr zum Kernkapital gehören, ist das ein Schlag
gegen unsere Finanzierungskultur bei den Banken sowohl auf nationaler als auf europäischer Ebene. Hier
müssen wir dem angelsächsischen Raum etwas entgegensetzen, der hier zum Nachteil des deutschen und des
europäischen Bankensystems interessengeleitet ist.
Wenn Sie bereit sind, dabei mitzumachen, sind wir wiederum einen Schritt weiter.
({15})
Herr Kollege Poß, mit der Reform der Finanzaufsicht
muss ein Insolvenzrecht für Finanzinstitute einhergehen.
({16})
- Nein, hier können wir auf das aufbauen, was schon
während unserer Zeit in den Häusern erarbeitet wurde.
({17})
Es dürfen hier keine Verzögerungen entstehen, nur weil
man sich in den Ministerien nicht einig ist, wer hier die
Führung übernehmen soll.
({18})
Wir werden parallel dazu im Parlament darüber befinden, welcher Ausschuss dafür zuständig ist.
({19})
Da wir im Insolvenzrecht für Finanzinstitute, im Grunde
abgehoben vom gewerblichen Teil des Insolvenzrechts,
im Wesentlichen Besonderheiten für Finanzinstitute
brauchen, werden sich die Änderungen überwiegend auf
das KWG konzentrieren. Die entsprechenden Arbeiten
laufen bereits. Aber der Gesetzentwurf muss seriös erarbeitet sein. Nach wie vor muss nämlich die Leitmaxime
in der sozialen Marktwirtschaft gelten, dass auch Finanzinstitute scheitern können. Sie dürfen nicht immer aufgrund von „too big to fail“ oder der Systematik vom
Steuerzahler gerettet werden müssen.
({20})
Aber dann braucht man neben einem Insolvenzrecht für
Finanzinstitute eine Einrichtung wie den SoFFin, der
Zahlungsströme sicherstellen kann. Im Insolvenzrecht
für Finanzinstitute ist die Möglichkeit, Sicherungen, Abwicklungen und Neustrukturierungen vorzunehmen, das
Wichtigste. Die entsprechenden rechtlichen Grundlagen
kann man nicht innerhalb eines Monats legen. Das bedarf längerer Beratungen. Die Arbeiten werden bereits in
den Häusern geleistet.
Wir sind auf gutem Weg, die internationale Diskussion nicht nur mit Absichten, sondern mit konkreten
Maßnahmen und Zielsetzungen zu begleiten.
({21})
Kollege Poß, wir haben aus der Krise gelernt und
werden die richtigen Maßnahmen sowohl auf nationaler
als auch auf europäischer und internationaler Ebene ergreifen. Herr Zöllmer, mit Schnellschüssen ist uns nicht
gedient. Wir werden uns an unseren Leitgedanken orientieren.
({22})
- Ich war doch schon konkret genug. Sie haben offenbar
nicht zugehört oder haben eine selektive Wahrnehmung,
weil Sie vielleicht das, was ich vorgeschlagen habe,
nicht erwartet haben.
({23})
Mit den drei Anträgen, die sich alle nur auf eine Maßnahme konzentrieren, können Sie die vor uns liegenden
Herausforderungen jedenfalls nicht bewältigen. Wir sind
mit unseren Vorstellungen auf einem besseren Weg.
Vielen Dank.
({24})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zur Diskussion stehen zwei Anträge zur Finanztransaktionsteuer.
({0})
Das ist in der Tat nicht alles, worum es geht. Aber es
handelt sich zumindest um eine ganz konkrete Maßnahme. Wer die zwei Anträge der SPD und der Linken
zu dieser Steuer genau liest, wird eine sehr große Übereinstimmung feststellen, und das ist auch gut so.
({1})
Wir Linken begrüßen insbesondere die Analyse, die
sich die SPD in ihrem Antrag zu eigen gemacht hat. Ich
möchte kurz zitieren:
Die Ursachen der Krise liegen in weltweit liberalisierter Regulierung und Aufsicht als Ergebnis einer
marktradikalen Ideologie, bei der es nur um die
Maximierung von Profit, Kapitalrenditen und
höchstmögliche Boni ging und die die ursprünglich
dienende Funktion von Finanzmärkten und deren
Funktionen für das Gemeinwohl oft vollständig
ignorierte.
({2})
Sehr wohl, das ist das, was die Linke hier in den letzten
Jahren immer gesagt hat.
({3})
Wir sind froh, dass sich bei der SPD diese Erkenntnis
jetzt auch durchgesetzt hat,
({4})
und wir hoffen, dass die Politik jetzt auch entsprechend
ausfallen wird, wenn auch erst in der Opposition.
In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
zu Folgendem auf. Erstens: Die Bundesregierung soll
sich in internationalen Organisationen wie UNO und Internationalem Währungsfonds, in einzelnen Staatengruppen wie G 20 und OECD und in der Europäischen Union
nachdrücklich für die Einführung der Finanztransaktionsteuer einsetzen.
({5})
Zweitens: Über den Fortgang dieser Verhandlungen
soll die Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit regelmäßig informieren.
Drittens: Während diese Verhandlungen laufen, soll
die Bundesregierung parallel einen Gesetzentwurf zur
Einführung einer Finanztransaktionsteuer in Deutschland vorlegen.
({6})
Wenn die Verhandlungen sich dann in die Länge ziehen,
sollen wir gemeinsam, Bundesregierung und Bundestag,
unsere Glaubwürdigkeit dadurch unter Beweis stellen,
dass die Finanztransaktionsteuer mit einem niedrigeren
Steuersatz im Alleingang bereits eingeführt wird.
({7})
Wir wissen, es kommen immer wieder zahlreiche Gegenargumente; auf zwei davon will ich eingehen: Erstens wird vorgebracht, eine solche Steuer treffe Unschuldige und die kleinen Leute. Wenn man sich das in
unserem Antrag genau ansieht, so ist zu erkennen, dass
wir davon ausgehen, dass bei einem nationalen Alleingang ein Steuersatz von 0,01 Prozent umgesetzt wird. Im
Maximum ist ein Steuersatz von 0,1 Prozent in der Diskussion.
Das bedeutete, dass Sparerinnen und Sparer, die ein
Depot mit Aktien oder festverzinslichen Wertpapieren
von zum Beispiel 10 000 Euro anlegen, einmalig mit einem Euro bzw. im Höchstfall mit zehn Euro belastet
würden. Bei 100 000 Euro wären es zehn Euro oder
100 Euro. Wenn man das mit den Bankgebühren für solche Depots vergleicht, die in der Größenordnung von
1 000 bis 2 000 Euro bei 100 000 Euro liegen - ({8})
- Das ist doch ganz einfach. Das sind 1 bis 2 Prozent des
Volumens, und das ist das, was an Bankgebühr verlangt
wird.
({9})
- Nein, das ist einmalig; beim Erwerb wird dies fällig,
und unabhängig davon, ob ich jeden Monat 100 Euro
spare oder einmal 10 000 Euro, ergibt die Summe mathematisch immer das Gleiche, Herr Kollege.
Zweitens wird immer wieder gesagt, das gehe nur
global. Das war sicherlich früher ein weit verbreitetes
Gegenargument. Heute ist es aus unserer Sicht nur noch
eine ignorante Schutzbehauptung, denn es gibt inzwischen viele Untersuchungen, die die Einführung auf EUEbene für machbar und für funktional halten.
({10})
Hinzu kommt, dass sich weltweit Regierungen positiv
zur Finanztransaktionsteuer äußern, gerade auch von
Ländern mit großen Finanzzentren, zum Beispiel Großbritannien. Ich appelliere daher an alle in diesem Haus,
insbesondere an diejenigen, die immer wieder sagen, wir
brauchten eine weltweite Finanztransaktionsteuer - ich
wende mich also insbesondere an die Kollegen in der
CDU -, die gegenwärtige Gunst der Stunde zu nutzen,
dass der Premierminister Großbritanniens, Gordon
Brown, sich im Augenblick so weit hervorgewagt hat.
({11})
Wir halten es für sinnvoll, auch ins deutsche Parlament einen entsprechenden Vorratsbeschluss einzubringen, wie ihn das belgische und das französische Parlament gefasst haben. Nur zur Information: Das belgische
Parlament hat am 1. Juli 2004 ein Gesetz beschlossen, in
dem sich Belgien mit einem Vorratsbeschluss selbst verpflichtet, eine Tobinsteuer einzuführen, sobald die EU
einen entsprechenden Beschluss fasst.
({12})
Die französische Nationalversammlung hat das Gleiche bereits im Herbst 2001 gemacht. Beide Staaten - das
war die damalige Diskussion - haben jetzt schon entweder eine Besteuerung auch von Börsenumsätzen wie in
Belgien oder aber wie in Frankreich einen Präsidenten
Sarkozy, der sich ganz eindeutig für die Einführung der
Finanztransaktionsteuer einsetzt.
({13})
Die G 20 haben in Pittsburgh den Internationalen
Währungsfonds beauftragt, nach Möglichkeiten zu suchen, wie der Finanzsektor stärker zur Finanzierung der
Krisenkosten herangezogen werden kann. Das ist aus
unserer Sicht eine etwas salomonische Umschreibung
der Tatsache, dass geprüft werden soll, ob eine Einführung einer solchen Finanztransaktionsteuer möglich ist
und wie sie entsprechend umgesetzt werden könnte. Wir
glauben, dass die gegenwärtige Situation dafür reif ist,
eine solche Steuer wirklich national und international
einzuführen.
({14})
Bitte denken Sie daran: Es geht nicht darum, der SPD,
der Linken oder den Grünen einen Gefallen zu tun. Es
geht um sinnvolle Regulierung. Es geht um dringend benötigte Staatseinnahmen. Es geht um nachholende Gerechtigkeit, nämlich die Beteiligung der bisherigen Profiteure des Finanzmarktkapitalismus an den Kosten der
größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1930.
({15})
Wenn Sie sich für eine solche Finanztransaktionsteuer
entscheiden, tun Sie uns allen einen Gefallen, denn unsere traurigen Staatsfinanzen können Einnahmen gut gebrauchen. Wir gehen davon aus, dass selbst bei einem
minimalen Steuersatz von 0,01 Prozent - ich sage es
noch einmal - insgesamt jährliche Mehreinnahmen in
der Größenordnung von 15 bis 18 Milliarden Euro entstehen.
({16})
Dabei ist zum Teil ein Rückgang bis zu 80 Prozent, zum
Beispiel im Bereich der Derivate, unterstellt. Das ist
auch gut so, denn es geht eben nicht nur um die Einnahmen, sondern auch um eine Entschleunigung.
({17})
Es darf bei diesen Einnahmen aus unserer Sicht nicht
nur um die Bedürfnisse des Inlandes gehen. Wir schlagen deswegen vor, die Mehreinnahmen zur Hälfte für
den sozial-ökologischen Umbau zu verwenden und die
andere Hälfte für Umwelt- und Klimaschutz sowie für
die Finanzierung von Entwicklung und Armutsbekämpfung in Ländern des Südens.
({18})
Deshalb unser dringender Appell: Werden Sie Ihrer
Verantwortung in dieser besonderen Konstellation gerecht und nutzen Sie die Chance, einen internationalen
Prozess nicht nur anzustoßen, sondern ihn auch mitzugestalten. Denken Sie bitte auch daran, dass sich über
65 000 Bürgerinnen und Bürger in einer Petition für die
Einsetzung der Finanztransaktionsteuer ausgesprochen
haben,
({19})
dass viele gewerkschaftliche und kirchliche Organisationen, Hilfswerke, Nichtregierungsorganisationen und
auch Attac die Bundesregierung in einem offenen Brief
aufgefordert haben, entsprechende Aktivitäten zu entwickeln.
({20})
Wenn man sich mit Vertretern der Finanzbranche ein
bisschen unterhält, dann weiß man auch, dass diese mit
der Einführung einer solchen Steuer durchaus rechnen.
Ich habe vor zwei Tagen ein Gespräch mit einer Vertreterin der Deutschen Börse geführt, die schon davon ausgeht, dass diese Diskussion ganz konkret auf sie zukommt.
Viele von uns waren gestern beim parlamentarischen
Abend des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes,
wo Herr Haasis genau diese Frage angesprochen und
deutlich gemacht hat: Wenn man Maßnahmen ergreift, um
die Finanzwirtschaft an diesen Kosten zu beteiligen - ({21})
- Herr Dautzenberg, Sie sagen immer wieder, Sie wollen
im Prinzip die Finanzindustrie an den Kosten beteiligen.
({22})
Wenn die Einführung dieser Steuer die geringste der
schlimmen Maßnahmen ist, dann lassen Sie uns diese
doch ergreifen.
({23})
Die Alternative ist, dass Sie gar nichts machen. Das ist
doch der Punkt.
Deswegen der dringende Appell an die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU: Befreien Sie sich endlich
von dem Blockadegriff der FDP, die jede Art von Maßnahme auf diesem Gebiet verhindern will. Es kann auf
Dauer nicht sein, dass der Schwanz, in diesem Fall die
FDP, mit dem Hund - das ist der Rest des Parlaments wackelt und sagt: Wir wollen die Einführung einer solchen Steuer nicht. Angesichts der letzten Umfrage
würde ich sagen: Der Schwanz ist inzwischen ein kleiner
Stummelschwanz geworden.
Danke schön.
({24})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Frank
Schäffler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn man die Debatte verfolgt, die jetzt zum
wiederholten Male hier im Parlament stattfindet - in der
nächsten Sitzungswoche wird sie übrigens noch einmal
geführt -,
({0})
dann erkennt man: Sie beschäftigen sich viel mit den
Wirkungen der Finanzkrise, aber mit den Ursachen beschäftigen Sie sich, ehrlich gesagt, viel zu wenig. Wir
tun das.
({1})
Die Justizministerin hat angekündigt, ein neues Insolvenzrecht, insbesondere für den Bankenbereich, vorzulegen, um letztendlich dem Ordnungsrahmen in Europa
und vor allem in unserer sozialen Marktwirtschaft wieder Geltung zu verschaffen. Das heißt, derjenige, der Risiken eingeht, hat nicht nur die Früchte zu ernten, sondern, wenn es schiefgeht, im Zweifel auch zu haften.
Das ist die andere Seite der sozialen Marktwirtschaft.
Wir werden dafür eintreten, dass das in Deutschland
wieder zusammengehört.
({2})
Es gibt noch einen Bereich, mit dem wir uns beschäftigen werden. Die Bankenbranche muss für das, was sie
bei HRE und WestLB verursacht hat
({3})
- die Commerzbank nehme ich gern hinzu -, wofür bisher der Steuerzahler eintritt, im Rahmen eines Versicherungssystems geradestehen und dafür entsprechende
Gebühren und Beiträge entrichten, sodass am Ende diejenigen, die von den Rettungsaktionen profitiert haben,
auch dafür bezahlen. Darüber müssen wir uns in den
nächsten Wochen und Monaten unterhalten. Da ist ein
Schnellschuss nicht möglich. Vielmehr müssen wir uns
darüber Gedanken machen, inwieweit wir den SoFFin
dahin gehend weiterentwickeln können.
Entscheidend ist, dass Sie viel über die Symptome
und zu wenig über die Ursachen der Krise sprechen.
Die Ursache der Krise ist eine Kredit- und Geldschöpfung aus dem Nichts. Um es einfacher zu sagen: Die Ursache der Krise ist das verstärkte Gelddrucken der Notenbanken und hier vorneweg der amerikanischen Fed.
({4})
- Ich will das auch mit Zahlen belegen. Zwischen 1998
und 2009 stieg das reale Bruttoinlandsprodukt in Amerika - in Europa war es ähnlich - um rund 20 Prozent.
({5})
Die Geldmenge in Amerika ist im gleichen Zeitraum um
200 Prozent gestiegen. Das Kreditvolumen, das die Banken ausgereicht haben, ist in Amerika um 250 Prozent
gewachsen. Im Euroraum sind die Zahlen, wie ich schon
gesagt habe, nahezu identisch.
Die heutige Weltfinanzkrise ist eine Überschuldungskrise der Banken. Das Kernproblem besteht darin, dass
im heutigen Geldsystem Kredite geschaffen werden, die
nicht durch Ersparnisse gedeckt sind. Diese Politik des
billigen Geldes hat die Voraussetzung dafür geschaffen,
dass die Finanzwirtschaft sich von der Realwirtschaft
abkoppeln konnte.
({6})
Nowendig ist deshalb eine marktwirtschaftliche Geldordnung, die gutes und werthaltiges Geld ermöglicht
und Kredite, die nicht durch Ersparnisse gedeckt sind,
also schlechtes Geld, verhindert.
({7})
In der modernen Ökonomik greift zunehmend die Erkenntnis Platz, dass billiges Geld, das nicht aus Ersparnissen besteht, zu Fehlinvestitionen führt, die Investitionsblasen entstehen lassen und am Ende Finanzkrisen
verursachen.
({8})
Es ist auch nicht so, dass dies von niemandem erkannt
wurde.
({9})
Schon vor der Weltwirtschaftskrise 1929 haben Ökonomen wie Ludwig von Mises und Friedrich August von
Hayek dieses Phänomen beschrieben.
({10})
So war es auch in dieser Krise. Ökonomen haben vor der
Politik des billigen Geldes gewarnt. So schwer es ist, wir
müssen diese Politik des billigen Geldes beenden.
({11})
Ihr Vorschlag ist ein Ablenkungsmanöver und letztendlich der falsche Weg, weil es damit nicht an die Ursachen geht.
({12})
Wenn die von Ihnen gewünschte Steuer so richtig ist,
wie Sie es beschrieben haben,
({13})
dann frage ich Sie: Wieso haben Sie die Finanztransaktionsteuer in den letzten elf Jahren im Deutschen Bundestag nicht durchgesetzt? Wenn es mit der Union nicht
gegangen ist, hätten Sie es immerhin mit den Grünen
umsetzen können. Sie haben es nicht gemacht. Sie haben
kurz vor der Bundestagswahl die Kurve gekriegt und
sind jetzt in der Opposition angekommen.
({14})
Herzlichen Glückwunsch!
({15})
Völlig absurd ist jedoch, dass Sie sich im Zweifel für
einen nationalen Alleingang aussprechen und als besonderes Beispiel England, also Großbritannien, anführen.
Wer sich mit der in Großbritannien eingeführten Stempelsteuer beschäftigt hat, weiß, dass damit zig Ausnahmen verbunden sind - nicht ohne Grund -:
({16})
Ausländische Wertpapiere werden nicht berücksichtigt;
britische Staatsanleihen werden nicht berücksichtigt;
neue Wertpapiere werden nicht berücksichtigt; Derivate
werden nicht berücksichtigt.
({17})
Schweden hat 1984 die Börsenumsatzsteuer eingeführt. Eine Woche nach Einführung dieser Steuer ging
der Handel mit Rentenpapieren um 85 Prozent zurück.
({18})
Das Handelsvolumen von Futures und Optionen sank
um 98 Prozent. Das Handelsvolumen der wichtigsten
schwedischen Wertpapiere ging in der gleichen Zeit um
50 Prozent zurück und hat sich nach England verlagert.
({19})
Dennoch wollen Sie eine solche Steuer bei uns einführen. Wenn Sie die Arbeitsplätze von 75 000 Menschen,
die in Frankfurt im Bankbereich arbeiten, vernichten
wollen, dann müssen Sie diese Steuer einseitig einführen, so wie es in zweien Ihrer Anträge gefordert wird.
({20})
Herr Kollege, gestatten Sie am Ende Ihrer Redezeit
eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Bitte schön.
Herr Kollege Schäffler, Sie haben die Finanztransaktionsteuer eben als Ablenkungsmanöver bezeichnet. Sie
haben jetzt gerade mit Ihren Worten wiederum deutlich
gemacht, dass Sie die Finanztransaktionsteuer ablehnen.
Ich bemühe mich seit Dezember, die Position der Bundesregierung zu diesem Vorhaben herauszufinden. Ich
habe mehrere schriftliche Anfragen zu diesem Thema
gestellt. Ich habe hier in einer Debatte im Dezember
dazu gesprochen. Vor kurzem habe ich wiederum Fragen
an die Bundesregierung gerichtet - Bundesminister
Niebel war im Gespräch mit einem Vertreter der Weltbank nämlich auf einmal für eine solche Steuer, obwohl
er vorher immer dagegen war -: Wie steht die Bundesregierung zur Einführung der Finanztransaktionsteuer?
Haben es sich einzelne Mitglieder der Bundesregierung
zur Übung gemacht, immer die Meinung desjenigen zu
teilen, mit dem sie zuletzt gesprochen haben? Diesen
Eindruck hatte ich jedenfalls bei Herrn Niebel. Eine Antwort auf meine Fragen habe ich vom Kollegen Koschyk
bekommen. Er hat mich auf seine Rede verwiesen, die er
hier am 17. Dezember 2009 gehalten hat;
({0})
darin sei die Position der Bundesregierung dargestellt.
({1})
Jetzt frage ich Sie, Kollege Schäffler - Sie sind
schließlich Mitglied dieser Koalition -: Wollen Sie der
Bundesregierung gerade hier ganz bewusst in den Rücken fallen?
({2})
Frau Kollegin Hendricks, Sie waren lange genug Mitglied der Bundesregierung
({0})
und wissen, dass es durchaus einen Unterschied zwischen Bundesregierung und Parlament gibt. Ich bin Parlamentsvertreter. Die Regierung sitzt dort auf der Bank.
({1})
Entscheidend ist in einer Koalition, was im Koalitionsvertrag steht. Für die christlich-liberale Koalition
gilt - so steht es im Koalitionsvertrag -:
({2})
Was wir den Wählerinnen und Wählern vor der Bundestagswahl versprochen haben, gilt auch danach; Steuererhöhungen zur Krisenbewältigung kommen für uns
nicht infrage.
({3})
Deshalb bin ich ganz entspannt, was dieses Thema betrifft. Wir wollen keine Steuererhöhungen. Wir sind vielmehr angetreten, um in Deutschland Steuern zu senken.
Wir wollen die Kleinsparer und die Kleinverdiener in
Deutschland nicht mit zusätzlichen Steuern belasten. Sie
wollen mit einer Transaktionsteuer - die etwas verkürzte
mathematische Betrachtung von Herrn Troost lasse ich
einmal außen vor - Kleinsparer abzocken. Das wollen
wir nicht, und deshalb werden wir ein solches Ansinnen
ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerhard Schick
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was wir heute seitens der Koalition erlebt haben, war
nichts als Herumgeeiere.
({0})
Was ist die Position der Bundesregierung zur Finanzumsatzsteuer? Wir wissen es nach wie vor nicht.
({1})
Wie sinnvolle internationale Verhandlungen möglich
sein sollen, wenn die Bundesregierung keine Ahnung
hat, was ihre Position ist, das müssen Sie uns erst einmal
erläutern.
({2})
Es geht hier um konkrete Maßnahmen. Der geschätzte
Kollege Schäffler hat über die Währungsordnung philosophiert. Wenn die FDP politisch relevant ist, dann
müssten die Börsen jetzt verrücktspielen, weil Sie gerade den Euro zur Disposition gestellt und ein wettbewerbliches Währungssystem vorgeschlagen haben. Ich
glaube allerdings, dass die Börsen davon unbeeindruckt
sind, weil die FDP in dieser Frage zum Glück irrelevant
ist.
({3})
Aber es ist ja noch schlimmer. Sie sind völlig getrieben
von den internationalen Entwicklungen. Was sind die eigenen Beiträge? Praktisch nichts. Erst musste der amerikanische Präsident Barack Obama auf die massiven Widerstände der Bankenlobby reagieren und verkünden: Ich
packe den Stier bei den Hörnern und will etwas tun. Genau das passiert doch in den USA. Angesichts der Millionenspenden der Banken, die dazu dienen, sinnvolle Finanzregeln zu verhindern,
({4})
sagt die dortige Regierung: Wir werden uns nicht niederringen lassen, sondern wir vertreten die Interessen der
Bürgerinnen und Bürger gegen diese Branche und sehen
zu, dass sich wirklich etwas ändert.
({5})
Was passiert aber in der Bundesregierung? Hektisch
aufgeschreckt davon, dass jetzt in den USA etwas passiert,
({6})
kündigt der Bundesfinanzminister an, wir werden eine
Konferenz veranstalten
({7})
und daraufhin weitere Maßnahmen verkünden. Man ist
nun ganz stolz darauf, dass es die Ankündigung gibt,
dass ein Gesetzentwurf zum Thema „Insolvenzrecht für
Banken“ erarbeitet werden soll. Meines Wissens hatten
wir im Sommer schon zwei entsprechende Entwürfe vorliegen. Jetzt wird ein neuer angekündigt - ein großes Ereignis!
({8})
Man kann nun sagen: Wenigstens im nationalen Bereich
wird Großartiges getan. - Ja, bevor noch irgendein konkretes Ergebnis des ersten Kreditklemmegipfels vom
November letzten Jahres vorliegt, wird schon der zweite
Kreditklemmegipfel für März angekündigt. Auch das ist
irgendwie leer. Was tun Sie denn wirklich konkret?
({9})
Zur Bonusbesteuerung sagen Sie: Es sei nicht Ihr Ansatz, so vorzugehen, wie wir es vorschlagen. Aber wie
sieht denn Ihr Ansatz aus? Wir würden ihn gerne sehen.
({10})
Es macht mir richtig Sorgen, Herr Dautzenberg, dass
sich diese Regierung auf dem zentralen Politikfeld der
Finanzmarktpolitik treiben lässt und bisher nichts vorgelegt hat.
({11})
- Ja, Herr Dautzenberg, Sie wollen keinen Aktionismus.
Außerdem haben Sie gesagt, die Opposition lege nur
Vorschläge zu einzelnen Punkten vor.
({12})
Entschuldigung, das Wesen eines parlamentarischen Antrages ist häufig, dass man eine Idee aus einem Gesamtkonzept, das man verfolgt, in den Vordergrund stellt.
({13})
Schauen wir doch einmal in den Koalitionsvertrag, in
dem Sie in einer umfassenden Sicht ganz systematisch
zusammengeschrieben haben, was Sie vorhaben.
({14})
Da werden erst schöne Prinzipien genannt, und dann
kommt der entscheidende Satz:
Dazu werden wir insbesondere folgende Maßnahmen ergreifen: …
({15})
Dann schaut man, und dann schaut man, aber von Maßnahmen ist nicht die Rede.
({16})
Da stehen dann Aussagen wie:
… die Kreditwirtschaft muss sich ihrer Verantwortung als Finanzierungsgeber der deutschen Wirtschaft bewusst sein.
Eine sehr konkrete Maßnahme!
({17})
Weiter steht da:
Wir wollen verhindern, dass Staaten in Zukunft von
systemrelevanten Instituten zu Rettungsmaßnahmen gezwungen werden können.
Aber wie wollen Sie es tun?
({18})
Deswegen würde ich sagen: Gehen Sie noch einmal
auf „Start“! Legen Sie uns einmal vor, welches Bild Sie
aus der Ursachenanalyse gewonnen haben und welche
Richtung in Bezug auf die Finanzmärkte eingeschlagen
werden soll. Eines sage ich Ihnen für meine Partei ganz
deutlich: Nur ein paar Regeln für den Finanzmarkt von
gestern zu schrauben, damit es dann wieder wie vorher
weitergehen kann, das darf es nicht geben, und das wird
es mit uns nicht geben.
({19})
Konkret zur Finanzumsatzsteuer, zu der ja zwei Anträge vorliegen: Unsere Fraktion hat dazu ja schon in der
letzten Legislaturperiode einen Antrag vorgelegt.
({20})
- Dass die damals nicht zustimmen konnte, hatte sicherlich etwas mit der CDU/CSU zu tun. Das will ich gar
nicht anprangern.
({21})
Aber man kann Ihnen, meine Damen und Herren von der
SPD, nicht durchgehen lassen, dass es dazu noch nicht
einmal ein Gutachten aus dem Hause Steinbrück gab.
Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum es das
nicht gab und man nicht einmal die entsprechende Idee
vorangetrieben hat. Daran hätte Sie kein Koalitionspartner hindern können.
({22})
- Die Kollegin Wieczorek-Zeul hat etwas gemacht, aber
nicht Herr Steinbrück. - Vielmehr hat Herr Steinbrück
als Erbe in dieser Frage nur eine leere Schublade hinterlassen, und Sie müssen jetzt in der Opposition ziemlich
bei Null anfangen.
({23})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Sieling?
({0})
Selbstverständlich.
Herr Kollege, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Dass wir nichts gemacht hätten, ist eines der Zerrbilder, die in diesen Debatten gerne gebracht werden. Kollege Troost nimmt den
Steuervorschlag für die Linke in Anspruch. Darum will
ich an dieser Stelle einmal sagen, dass auch das Argument des fehlenden Gutachtens nicht stimmt. Die SPD
hat schon 1999 auf einem Bundesparteitag die Einführung einer Finanztransaktionsteuer auf den internationalen Finanzmärkten gefordert und beschlossen. Eine
solche Steuer ist schon damals geprüft worden.
({0})
Die Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat 2005 in
ihrem Ministerium ein Gutachten dazu erstellen lassen,
um das zu prüfen.
({1})
Bundeskanzler Schröder hat 2005 dafür geworben, zum
Beispiel in Davos. Die Problematik war, dass dafür
keine Mehrheiten zu finden waren,
({2})
übrigens auch, als wir gemeinsam in einer Koalition waren. Deshalb frage ich Sie: Worauf beziehen Sie das? Ich
bitte Sie, diese Falschdarstellung zu beenden.
Herr Kollege Sieling, ich habe sehr bewusst formuliert, wie Sie feststellen konnten, wenn Sie zugehört
haben. Ja, die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul hat damals ein Gutachten bei Herrn
Spahn in Frankfurt in Auftrag gegeben, das den alten
Gedanken der Tobinsteuer in einer bestimmten Weise
weiterentwickelt hat. Ihr heutiger Antrag hat allerdings
mit dem damaligen Gutachten relativ wenig zu tun.
({0})
Vielmehr ist es ein anderes Konzept.
({1})
- Richtig. Aber genau diese Weiterentwicklung wurde
im Hause Steinbrück nicht vorangetrieben. Das ist das,
was ich kritisiert habe. Im Hause Steinbrück wurde - das
ist das schwere Erbe, das Sie zu tragen haben - noch bis
weit in die Finanzkrise hinein das alte Paradigma der
Deregulierung und der Finanzmarktförderung im Interesse der Finanzindustrie und nicht der Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes vertreten. Das hat übrigens Herr
Steinbrück mit einem Hauch von Selbstkritik im Untersuchungsausschuss zur Hypo Real Estate auch eingeräumt.
({2})
Es ist ja richtig, in der Opposition jetzt einen Neustart
zu machen. Aber Sie hätten wesentlich mehr tun können;
dann hätten wir jetzt eine andere Grundlage. In Österreich hat die Große Koalition ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben, auf das wir uns jetzt beziehen können und das der Debatte weiterhilft. Aus dem
Hause Steinbrück gab es so etwas nicht.
({3})
Ich will noch einmal zu dem zentralen Argument
kommen, das viele FDP-Vertreter und auch Teile der
Union immer wieder vorbringen, wenn es um die Finanzumsatzsteuer geht. Sie sagen, diese treffe den Kleinanleger.
({4})
Mit dieser Aussage schenken Sie den Leuten keinen reinen Wein ein, sondern machen ihnen etwas vor.
Schauen Sie sich doch einmal die Statistiken an. Wie
sieht es bei der Altersvorsorge aus? Die Produkte, die
bei den deutschen Lebensversicherern - im Wesentlichen die Kategorie, in denen ein Großteil der Altersvorsorge läuft; dazu gehören auch die Riester-Produkte gewählt werden, bestehen zu unter 30 Prozent aus
Pfandbriefen, zu etwa 18 Prozent aus Rentenfonds, aus
ein paar Hypotheken, zu 10 Prozent aus Aktien und zu
26 Prozent aus Darlehen. Das sind fast alles Produkte
mit einer sehr geringen Umschlaghäufigkeit. Auch Aktien können gerade in diesem Bereich sehr langfristig angelegt werden, sodass hier nur eine minimale Kostenbelastung entsteht.
({5})
Die wirklichen Umsätze im Finanzmarkt liegen in anderen Bereichen. Die Spot-Market-Umsätze im Bereich
Aktien und Bonds machen genau 2 Prozent der Gesamtumsätze aus. Deswegen wird die Hauptbelastung
dort entstehen, wo Futures, Optionen und andere Derivate zwischen institutionellen Anlegern hin und her gehandelt werden. Das wird den Kleinanleger nur in einer
so minimalen Größenordnung belasten, dass es den positiven Aspekt auf jeden Fall nicht überkompensieren
kann. Sagen Sie da endlich einmal die Wahrheit, nämlich
dass Sie genau diese Elemente des Finanzmarktes nicht
zur Kasse bitten wollen, obwohl von ihnen große Instabilitäten ausgehen! Das Argument, dass der Kleinanleger
zahlt, ist falsch.
({6})
Herr Kollege, der Herr Kollege Schäffler würde gerne
eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie diese? - Ja. Bitte.
Herr Kollege Schick, die Rechnung, die Sie aufgestellt haben, kann ich nicht nachvollziehen.
({0})
Lebensversicherungssparer, Fondssparer oder auch
Riester-Sparer sparen nicht nur einmal und lassen dann
das Geld liegen, sondern sie sparen jeden Monat beispielsweise 50 oder 100 Euro.
({1})
Dieses Geld wird immer wieder neu angelegt. Wenn Sie
von diesem Geld jedes Mal 0,05 Prozent wegnehmen,
dann ergibt sich über den Zinseszinseffekt langfristig
eine erheblich geringere Wertsteigerung. Das bayerische
Finanzministerium hat zusammen mit dem damaligen
Generalsekretär der CDU ausgerechnet,
({2})
dass ein Riester-Sparer, der langfristig über 20 Jahre
anspart, am Ende 5 000 Euro weniger in der Tasche hat.
Nehmen Sie das zur Kenntnis?
({3})
Ich glaube, dass wir uns damit einmal intensiver auseinandersetzen müssen,
({0})
da Sie die wesentlichen Grundzüge, wie am Finanzmarkt
angelegt wird, noch nicht zur Kenntnis genommen haben.
({1})
Wenn ich im Rahmen eines Fondssparplans jeden Monat etwas einzahle, dann heißt das nicht, dass jedes Mal
alles umgeschlagen wird. Das entscheidende Problem,
über das sich auch viele Anleger kritisch mit ihren Fonds
auseinandersetzen, ist, dass in manchen Fonds zulasten
der Anleger eine viel zu hohe Turn-over-Ratio herrscht,
das heißt, dass viel zu häufig umgeschlagen wird.
({2})
Gerade das wollen wir dadurch korrigieren, dass wir den
Anlegerschutz verbessern. Damit bleibt folgender Effekt: Über 90 Prozent der Einnahmen aus einer Finanztransaktionsteuer werden aus den Bereichen der derivativen Geschäfte kommen,
({3})
die für die langfristige Anlage eine vernachlässigbare
Rolle spielen.
({4})
Machen wir folgende Rechnung auf - auch Sie wissen,
dass man als Finanzwissenschaftler sauber rechnen
muss -:
({5})
Wenn Sie die Einnahmen nicht über eine Finanzumsatzsteuer erzielen, sondern über die allgemeine Umsatzsteuer - irgendwoher muss das Geld kommen, wenn
wir Aufgaben finanzieren -, dann würden Sie den Normalbürger wesentlich mehr belasten. Unser Instrument
der Finanzumsatzsteuer ist wesentlich gerechter als das,
was Sie durch Kürzungen und Gebührenerhöhungen
auslösen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Die Finanzumsatzsteuer wird die Gerechtigkeitsteuer sein.
({6})
- Herr Dautzenberg, wenn Sie eine Frage haben, dann
richten Sie sie direkt an mich.
({7})
Ich will auf den Punkt zurückkommen, den Herr
Dautzenberg zu Recht angesprochen hat. Wir brauchen
ein Leitbild, wie die Finanzmärkte von morgen wirklich
aussehen sollen, und wir müssen die verschiedenen
Maßnahmen genau darauf abstimmen.
({8})
Ich höre aber von diesem Leitbild nichts.
({9})
Auch von der Regierung höre ich nur Diskussionen über
Instrumente. Wollen Sie wirklich einen Finanzmarkt, in
dem es weniger komplex zugeht? Wenn Sie das wollen,
dann müssten Sie gerade einer Finanzumsatzsteuer zustimmen.
({10})
Wollen Sie einen Finanzmarkt, der weniger kurzfristig
orientiert ist und auf dem nachhaltiges, langfristiges
Handeln belohnt wird? Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie endlich etwas hinsichtlich der Boni tun. Dann
müssten Sie hier zustimmen. Wollen Sie wirklich, dass
in Zukunft die Banken kleiner sind, damit das Haftungskriterium wieder funktionieren kann und damit der Steuerzahler nicht gezwungen ist, große Banken retten zu
müssen? Wenn dem so ist, dann müssten Sie als CDU
sagen, dass wir das Instrument der Entflechtung brauchen, um gegebenenfalls große Banken entflechten zu
können. Wenn Sie wirklich wollten, dass der Finanzmarkt in Zukunft wieder Dienstleistungen für die reale
Wirtschaft erbringt, dann müssten Sie schauen, dass er in
seiner Größe und Bedeutung ein wenig zurückgeht und
wirklich wieder Investitionen in die Realwirtschaft im
Vordergrund stehen und nicht das Hin- und Herschieben
wie beispielsweise bei Carry Trades. Dann müssten Sie
der Finanzumsatzsteuer zustimmen. Sie verweigern sich
dieser Leitbilddiskussion, indem Sie alle möglichen Diskussionen führen und über die verschiedensten Instrumente bis hin zur Währungsordnung debattieren.
({11})
Sagen Sie, was Ihr Leitbild ist.
({12})
Sie werden erkennen: Wenn Sie am Finanzmarkt wirklich etwas ändern wollen, dann werden Sie genau die
Vorschläge, die wir vortragen, in Zukunft auch zu den
Ihren machen müssen, sonst geht alles so weiter wie bisher - aber mit uns nicht.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Michelbach
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
richtig: Der Finanzmarkt ist im Rahmen der Globalisierung außer Kontrolle geraten. Die globale Wirtschaftsund Finanzkrise stellt Deutschland wie die internationale
Staatengemeinschaft vor eine gewaltige Herausforderung. Die schwerste und gefährlichste Finanzkrise hat
die Welt der Banken nachhaltig verändert. Sie hat Vertrauen, Kapital und Arbeitsplätze in hoher Zahl zerstört
und insbesondere das Ansehen der Marktwirtschaft in
hohem Maße beschädigt.
Zweifellos zerstört es unsere Gesellschaftsordnung,
wenn Gewinne im Finanzsektor privatisiert, Verluste
sozialisiert sowie Risiken und Haftung immer weiter
entkoppelt werden. Deshalb sollten wir uns darüber einig sein, dass jetzt gezielte Maßnahmen mit fachlicher
Kompetenz und sachlicher Vernunft notwendig sind;
denn die Exzesse, die wir auf den Finanzmärkten erlebt
haben, dürfen sich nie mehr wiederholen. Der Schaden,
der zulasten des normalen Bürgers hervorgerufen wurde,
war zu groß.
Was wir aber nicht brauchen - das sage ich hier deutlich -, sind Einzelmaßnahmen, Placebos, nationale Alleingänge und unqualifizierte Schnellschüsse, wie dies
in den Anträgen der Opposition zum Ausdruck kommt.
({0})
Wir brauchen gezielte, nachhaltige und vor allem differenzierte Lösungen für die einzelnen Säulen im Finanzmarkt. Sie können doch die Regionalbanken nicht in einen Topf mit den Investmentbanken werfen. Hier
braucht es differenzierte Lösungen, die letzten Endes der
Realwirtschaft helfen.
({1})
Zunächst möchte ich in Erinnerung rufen, dass wir
bereits einige wichtige Maßnahmen umgesetzt haben.
Ich denke dabei an das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht, das im August 2009
in Kraft getreten ist. Hier haben wir die Befugnisse der
Finanzaufsicht und damit ihre Durchschlagskraft wesentlich gestärkt. Ich denke an das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, das auch im August in
Kraft getreten ist. Hier haben wir die Vergütungsstruktur
auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ausgerichtet
({2})
und beschlossen, dass variable Vergütungsbestandteile
eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollen.
({3})
Das haben Sie mit uns zusammen gemacht.
({4})
Sie verstecken sich heute dahinter; das ist doch die Situation.
({5})
Denken Sie an das Bilanzmodernisierungsgesetz, das
ein antizyklisches Sicherheitspolster vorsieht.
({6})
Im Rahmen des Bilanzmodernisierungsgesetzes haben
wir als Gesetzgeber Lehren aus der Finanzkrise gezogen.
Das gilt für die Bewertung von Finanz- und Finanzierungsinstrumenten und für Konzernabschlüsse. Im Anhang und im Lagebericht müssen jetzt genauere Angaben zu entsprechenden Risiken gemacht werden. Das
war unser Weg.
Natürlich muss dieser Weg weiterbeschritten werden.
Natürlich ist die Krise noch nicht vorbei. Deshalb sind
die Vorlage eines Maßnahmenkatalogs und die Aufarbeitung der Krise in Form von weiteren Finanzmarktreformen nötig.
({7})
Wir hatten einen klaren Ansatz und haben konkrete
Maßnahmen ergriffen. Wir wollen keinen Aktionismus,
sondern ein Gesamtkonzept. Herr Schick, Sie wollen
einfach nicht verstehen, dass Einzelmaßnahmen nicht
ausreichend sind.
({8})
Ich darf Ihnen sieben Punkte, die der CDU/CSU
wichtig sind, verdeutlichen:
Erstens die Umsetzung der geänderten Banken- und
Kapitaladäquanzrichtlinie sowie weitere Reformen in
diesem Zusammenhang. Schwerpunkt wird hierbei die
Verschärfung der Kapitalanforderungen für das HandelsDr. h. c. Hans Michelbach
buch und für Verbriefungen sein. Aber auch ein neues
Insolvenzrecht für Finanzinstitute gehört dazu, damit
Banken geordnet in die Insolvenz gehen können, ohne
dass der gesamte Finanzmarkt wieder in Mitleidenschaft
gezogen wird.
({9})
Zweitens. Die EU-Ratingverordnung mit Regulierung
und Beaufsichtigung der Ratingagenturen wird national umgesetzt.
({10})
Drittens. Die Finanzaufsichtsstruktur wird auf nationaler und europäischer Ebene effektiver und weitreichender gestaltet.
Viertens. Die Regulierung und Beaufsichtigung der
Hedgefonds-Manager wird EU-weit ausgeweitet.
Fünftens. Die Vergütungsstrukturen auf dem internationalen Finanzsektor sollen mithilfe der G-20-Staaten
stärker auf längerfristigen Erfolg ausgerichtet werden.
Es nutzt doch nichts, wenn wir auf nationaler Ebene etwas regeln und die Bankentochter im Ausland das Gegenteil macht.
({11})
Sechstens. Das grenzüberschreitende Krisenmanagement im Bankensektor und die Konsultation zur Eigenkapitalreform im Baseler Ausschuss soll im Laufe des
Jahres 2010 eine Festlegung erfahren. Die Verhandlungen sollen natürlich - darauf müssen wir Wert legen unter Parlamentsvorbehalt geführt werden. Bei Basel III
müssen wir uns ebenso einmischen wie bei Basel II.
({12})
Das ist ein notwendiger Auftrag, damit keine Überforderung unserer Realwirtschaft stattfindet. Eigeninteressen,
insbesondere aus den USA, dürfen nicht zulasten unserer
Kreditwirtschaft gehen. Das ist ein wesentliches Kriterium, auf das wir achten müssen.
({13})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hendricks?
Ich möchte noch den siebten Punkt im Zusammenhang bringen, sonst behauptet Herr Schick wieder, es
gebe kein Gesamtkonzept.
Siebtens die Beteiligung des Finanzsektors an den
Kosten der Krisenbewältigung. Zur Diskussion steht unter anderem eine Finanztransaktionsteuer. So etwas ist
aber nach meiner Ansicht nur international denkbar. Die
Auswirkungen müssen intensiv geprüft werden. Es ist
auch eine Tatsache, dass Deutschland der Motor in dieser Sache ist. Der IWF hat einen Prüfauftrag bekommen,
der G 20 einen Bericht und eine Analyse der Auswirkungen vorzulegen.
({0})
Ich habe Ihnen die sieben Leitlinien genannt. Auf sie
können sich die Leute verlassen.
Jetzt kann die Frau Kollegin Hendricks ihre Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin Hendricks, bitte sehr.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Michelbach. - Ist Ihnen klar, dass all die Punkte, die Sie genannt haben, sich
entweder in der Planung bzw. in der Umsetzung befinden oder schon längst umgesetzt sind? Alle Punkte beruhen auf Vorschlägen des sozialdemokratisch geführten
Finanzministeriums
({0})
und der Fraktion, insbesondere was die Managervergütungen angeht. Unsere Fraktion hat ein Jahr lang mit Ihrer Fraktion verhandeln müssen,
({1})
um die Punkte durchsetzen zu können, die nach unserem
Dafürhalten noch nicht ausreichend berücksichtigt waren. Es wurde dann im August verabschiedet. Das haben
Sie richtig gesagt. Aber es hat uns ein Jahr gekostet.
Ist Ihnen bekannt, dass alle diese Vorschläge letztendlich auf den G-20-Gipfel im September des vergangenen
Jahres hin von Peer Steinbrück und seinen verantwortlichen Mitarbeitern erarbeitet worden sind
({2})
und die Kanzlerin sich dies zu eigen gemacht hat? Sind
Sie sich mit mir einig, dass das Dilemma dieser Regierung darin besteht, dass die FDP das alles noch nicht akzeptieren will und Sie als CDU/CSU das alleine nicht
umsetzen können? Das ist doch das Dilemma, vor dem
wir stehen.
({3})
Das wird auch auf internationaler Ebene offenbar, weil
diese Regierung nicht handelt.
({4})
Frau Kollegin Hendricks, ich kann Ihnen nur sagen:
Das Schlimme an der ganzen Sache ist, dass Sie sich von
den richtigen Ansätzen des Herrn Steinbrück verabschiedet haben und auf den Kurs der Linken einschwenken.
({0})
Das ist die Situation. Lesen Sie Ihren Antrag.
({1})
In Ihrem Auftrag, Frau Kollegin Hendricks, heißt es
zum Beispiel: Reiche lenken ihr Geld am Fiskus vorbei.
({2})
Das ist doch eine unsägliche Pauschalverurteilung. Sie
können doch leistungsbereite Menschen nicht verurteilen, so wie die Linken das tun.
({3})
Das Problem ist doch, Frau Kollegin Hendricks, dass Sie
letzten Endes mit uns die Herausforderung einer guten,
konsequenten und erfolgreichen Krisenbewältigung, vor
der wir standen, gemeistert haben. Darauf können Sie
- auch Sie als Staatssekretärin - mit Recht stolz sein.
Aber es geht doch nicht an, dass Sie sich in einem Antrag davon lückenlos verabschieden.
({4})
Das ist das Problem, das Sie haben. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
({5})
Sie fordern eine 50-prozentige Besteuerung auf Boni
bei den Bankern. In Großbritannien, wo das eingeführt
wurde, wird das natürlich von den Banken übernommen.
Das heißt, für die handelnden Personen ergibt sich überhaupt keine Veränderung. Solche Placebos bringen uns
doch nicht weiter. Wenn die 50-prozentige Besteuerung
auf Boni - das ist Ihr Ziel - von den Banken übernommen wird, dann ist das letzten Endes ein Nullsummenspiel. Das schafft keine Veränderungen.
({6})
Natürlich dürfen Sie nicht grundsätzlich gegen Anreizsysteme sein. Ihr Antrag erweckt aber den Eindruck,
dass Sie grundsätzlich gegen Gewinne von Banken
sind. Das ist ein Anschlag auf die Ordnungspolitik der
sozialen Marktwirtschaft. Das ist die Situation.
({7})
Das passt mehr oder weniger zu dem Weg, den Herr
Steinbrück damals gegen die Schweiz gefahren ist: Er
wollte die Kavallerie dort hinschicken. Das ist genauso
Unsinn gewesen, wie dies Unsinn ist.
({8})
Auch die Begrenzung der Absetzbarkeit von
Gehältern ist Willkür. Was sind denn gute Einnahmen,
und was sind schlechte Einnahmen des Staates? Wenn
wir im Steuerrecht so verfahren, entsteht im deutschen
Steuerrecht noch mehr Wald, als es ohnehin schon der
Fall ist.
Deswegen appelliere ich: Neben der Regulierung sie ist wichtig; sie ist ein wesentlicher Teil der Problemlösung ({9})
geht es auch um die Wirtschaftsethik, die wir hier anmahnen müssen. Ohne Eigenverantwortung ist das freiheitliche System der sozialen Marktwirtschaft nicht
vorstellbar. Wir müssen auch daran denken, dass es auch
eine Verantwortung für unsere Eliten gibt. Auch diese
Eliten müssen sich den Regeln der sozialen Marktwirtschaft unterordnen. Das ist das, was wir im Bereich der
Wirtschaftsethik anmahnen müssen.
({10})
Zu dem Thema, das hier immer wieder besonders
reizt, zur Einführung einer neuen Steuer, zum Beispiel
einer Finanztransaktionsteuer, muss ich Ihnen deutlich
sagen:
({11})
Auch Herr Tobin hat letzten Endes nur grenzüberschreitende Maßnahmen besteuern wollen. Wohlgemerkt, der
Anhänger einer Besteuerung von Finanzdienstleistungen
hat immer gesagt: Meine Steuer, mein System funktioniert nur grenzüberschreitend.
({12})
Das heißt, das, was Sie auf nationaler Ebene fordern,
kann gar nicht funktionieren. Deswegen stehe ich dieser
nationalen Besteuerung sehr kritisch gegenüber. Finanzmarktakteure hätten es leicht, ihre Geschäfte in andere
Länder zu verlagern.
({13})
Nationale Alleingänge und neue Wettbewerbsverzerrungen sind doch das Falscheste, was wir uns wünschen
können.
({14})
Schlechte und gute Kapitalbewegungen müssten durch
bürokratische Regulierungen unterschieden werden.
({15})
Deswegen dürfen wir immer wieder bemerken: Das
Ganze muss auf Wirksamkeit überprüft werden. Die
Auswirkungen auf die Realwirtschaft müssen überprüft werden; denn zum Schluss dürfen nicht die Falschen die Zeche zahlen. In Europa haben sich einige wenige Länder dazu bekannt. Die USA und Kanada
dagegen haben derartige Pläne bisher abgelehnt. Es wird
sehr spannend sein, zu beobachten, was geschieht, wenn
der Bundesfinanzminister im April mit seinen Fachleuten zusammenkommt und er auf dem G-20-Gipfel einen
Lösungsvorschlag einbringt,
({16})
und zu sehen, welche Konsequenzen gezogen werden
können. Wichtig ist, dass wir die Attraktivität der Aktie
und die steigende Volatilität an den Märkten ernst nehmen.
Herr Kollege, der Kollege Poß würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Bitte sehr.
Lieber Herr Kollege Michelbach, wie stehen Sie denn
zu den Vorschlägen Ihres CSU-Vorsitzenden, des Ministerpräsidenten Seehofer, der sich in den letzten Monaten mehrfach öffentlich dahin gehend eingelassen hat,
dass er sowohl den SPD-Vorschlag zur Begrenzung der
steuerlichen Abzugsfähigkeit von Gehältern und Abfindungen begrüßt - allerdings ist dieser Aussage keine Initiative im Bundesrat gefolgt - als auch die Finanztransaktionsteuer für ein sinnvolles Instrument hält? Wenn
ich richtig informiert bin, sind Sie wirtschaftspolitischer
Sprecher der CSU. Wie stehen Sie zu den Vorschlägen
Ihres CSU-Vorsitzenden?
Herr Kollege Poß, die CSU hat eine hohe Wirtschaftskompetenz,
({0})
und deswegen haben wir natürlich auch hier eine einheitliche Meinung. Ich kann Ihnen sagen, dass unser Parteivorsitzender im Parteivorstand klargemacht hat, dass er
sich diese Maßnahmen international vorstellen kann
({1})
und den Finanzplatz Deutschland durch einen nationalen
Alleingang nicht schädigen oder gefährden möchte.
({2})
Deswegen sage ich ganz klar: Internationale Maßnahmen sind hier angedacht und nicht nationale Alleingänge, wie Sie das in Ihrem Antrag leider fordern.
({3})
Eines ist sicher: Die Einführung einer Finanztransaktionsteuer kann nur bei weltweiter Erhebung effektiv
sein. Davon bin ich überzeugt. Gerade angesichts globaler Finanzmärkte würden die Marktteilnehmer ansonsten auf Finanzplätze ohne Finanztransaktionsteuer ausweichen. Damit würde im Ergebnis eine Schwächung
unseres inländischen Finanzmarktes einhergehen.
({4})
Abschließend möchte ich Ihnen anbieten, dass wir
konkrete Ziele gemeinsam vorantreiben, um Exzesse in
der Zukunft zu vermeiden. Ich warne noch einmal vor
nationalen Alleingängen.
({5})
Seien Sie bitte bereit, davon Abstand zu nehmen. Nationale Lösungen greifen zu kurz. Vielmehr müssen sie, um
erfolgreich zu sein, international abgestimmt werden.
Deutsche Alleingänge bringen nichts und wird es mit
dieser Bundesregierung in dieser Form nicht geben. Es
geht nicht um die Frage des passenden Etiketts, sondern
darum, wie wir unsere Ziele gemeinsam erreichen können.
Wir müssen Maß und Mittel wahren; ansonsten gerät
die Kreditversorgung unserer Realwirtschaft in Gefahr.
Das Wesentliche ist, dass wir bei Basel III und letzten
Endes bei allen Vorsorgemaßnahmen die Schraube nicht
überdrehen. Denn auch bei den Banken gilt der kaufmännische Grundsatz: Eigenkapital kann man nur einmal ausgeben. Die Banken sollen insbesondere Eigenkapital schaffen, um ihrem Ziel für die Realwirtschaft
nachkommen zu können, eine klare, volkswirtschaftliche
und gute Kreditversorgung für die Zukunft zu schaffen,
damit Arbeitsplätze in unserem Land sicher bleiben.
Herzlichen Dank.
({6})
Nun hat für die SPD-Fraktion das Wort der Kollege
Dr. Carsten Sieling.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befinden uns mitten in der größten Finanzund Wirtschaftskrise. Wir diskutieren am heutigen Freitagmorgen über das zentrale Problem dieser Finanz- und
Wirtschaftskrise. Wir haben in Deutschland, so sagt man
zumindest, eine neue Regierung, die sich viel vorgenommen hat.
({0})
- Ja, Herr Dautzenberg, wenn ich das einmal gehört
hätte.
Wir haben hier eine Debatte geführt, in der sich die
Koalitionsvertreter als Parlamentsvertreter von ihrer eigenen Regierung distanziert haben.
({1})
Sie haben philosophiert und allgemeine Grundprinzipien
dargelegt,
({2})
aber keinen konkreten Vorschlag gemacht, wo es hingeht. So eine Regierung brauchen wir in dieser Zeit
nicht.
({3})
Ich darf vielleicht einmal darauf hinweisen, dass es
hier um eine wichtige Frage geht. Herr Schäffler und
Herr Dautzenberg, wir sind uns doch einig, dass dies
eine zentrale Frage ist. Erklären Sie mir bitte, wie sich
die Bundesregierung bei der Debatte über diese Frage so
präsentieren kann, wie sie sich hier präsentiert. Sie zeigt
kaum Präsenz; hier ist niemand.
({4})
Das geht so nicht. Ich befürchte, Herr Schäffler, die Vertreter der Bundesregierung sind nicht zur Debatte gekommen, weil sie sich nicht anhören wollen, wie Sie hier
sagen, Sie seien Parlamentsvertreter, und das, was die
Regierung macht, sei nicht Ihr Thema.
Was ist das für eine Koalition, was ist das für ein vielstimmiger Chor, von dem Deutschland regiert werden
will?
({5})
- Bitte.
Herr Kollege Dautzenberg, bitte.
Herr Kollege Sieling, teilen Sie meine Auffassung,
dass wir eine Parlamentsdebatte haben, dass wir uns aufgrund Ihrer Anträge verständigt haben, diese Debatte
hier im Parlament zu führen?
Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass die
CDU/CSU-Fraktion viele Vorschläge gemacht hat.
({0})
Ich betone nochmals: Wenn Sie das nur an den Anträgen
festmachen, die Sie hier vorlegen, ist das zu eng.
({1})
- Herr Kollege Poß, das, was Sie hier fordern, muss aber
Teil eines stimmigen Gesamtkonzepts sein.
({2})
Das halten Sie der Regierung doch immer vor. Deshalb
lassen wir uns von Ihnen nicht vorhalten, was wir zu diskutieren haben.
({3})
Vieles von dem, was die Prüfaufträge angeht, ist - das
ist betont worden - auf Herrn Steinbrück zurückzuführen. Herr Kollege Sieling, wäre diese Regierung und wären wir als Fraktionen nicht gut beraten,
({4})
im Hinblick auf die Finanztransaktionsteuer einen Prüfauftrag an den IWF zu geben mit der Bitte, die weltweiten Auswirkungen dieser Maßnahme zu untersuchen
und Vorschläge zu unterbreiten?
({5})
- Auch wenn Sie das schon alles wissen, Herr Kollege
Poß, auch wenn Sie schon wissen, wie sich eine solche
Steuer auswirkt, ist es doch sinnvoll, zuerst abzuwarten,
bis das Ergebnis vorliegt, ehe man die Bewertung überLeo Dautzenberg
nimmt, dass eine solche Steuer ein Instrument, eine Option für ein mögliches Vorgehen darstellt.
({6})
Sie hätten zuhören sollen, was wir als Fraktion - damit bin ich wieder im parlamentarischen Bereich - vorgeschlagen haben, nämlich ein Gesamtpaket: Finanzinstitute, Insolvenzrecht für Finanzinstitute und dessen
Absicherung, Verbesserungen in der Aufsicht, das alles
sind Punkte, wo wir national etwas umsetzen wollen und
wo Vorarbeiten gemacht worden sind. Zu Regelungen
für die Begrenzung von Vergütungen liegt ein Referentenentwurf vor, den Sie schon zur Kenntnis genommen
haben müssten. Alles das, was wir national beeinflussen
können, ist also schon auf den Weg gebracht.
({7})
Was international gemacht wird, Herr Kollege Sieling,
muss von dem Ergebnis bestimmter Prüfaufträge abhängig gemacht werden. Wenn Sie ohne die Grundlage von
Analysen Entscheidungen treffen wollen, werden Sie damit fehlgehen.
({8})
Herr Kollege, das war ein bisschen der Versuch, Ihre
Rede zu wiederholen und diese Punkte anzubringen.
({0})
- Sie haben mehrere Fragen gestellt. Ich will sie gerne
nacheinander aufrufen.
({1})
Die erste, wichtige Frage betrifft Ihren Hinweis, dass
dies eine Parlamentsdebatte sei. Ich habe bisher nicht
gewusst, dass es üblich ist, dass in einer Parlamentsdebatte die Bundesregierung nicht dabei sein muss.
({2})
- Natürlich ist die Bundesregierung vertreten - gar keine
Frage -; aber normalerweise erwartet man bei wichtigen
Fragen die entsprechenden Repräsentantinnen und Repräsentanten und eine Vertretung in größerer Breite. Das
ist doch ein relevanter Punkt, Herr Dautzenberg. Deshalb würden wir uns wünschen, dass die Ministerinnen
und Minister, die Kabinettsmitglieder der Debatte beiwohnen. Das ist jedenfalls meine Auffassung.
({3})
Ich will ganz klar sagen, dass wir Sozialdemokraten
natürlich der Auffassung sind, dass wir ein breites Bündel an Maßnahmen brauchen.
({4})
- Da meine ganze Rede eine Antwort auf Sie ist, dürfen
Sie sich gerne setzen, Herr Dautzenberg.
({5})
Aber ich kann das nicht entscheiden.
Ich will auch sehr deutlich sagen, dass Bundesfinanzminister Peer Steinbrück derjenige war, der im letzten
Jahr die Vorschläge für entsprechende Maßnahmen gemacht hat.
({6})
Das ist die Grundlage, auf der wir jetzt aufbauen können.
Sie werden bei den Sozialdemokraten in diesem Hause
keinen finden, der zu dem, was Peer Steinbrück letztes
Jahr angeschoben hat, nicht steht. Das will ich ein für allemal festhalten.
({7})
Der zweite Vorwurf, der ausgeräumt werden muss - hier
werden immer wieder Missverständnisse aufgebaut -:
Natürlich schlagen wir ein Gesamtkonzept vor. Wir wissen - Kollege Poß hat das bereits gesagt -, dass es ein
Bündel von Maßnahmen geben muss: Natürlich müssen
Bonizahlungen durch eine strengere Besteuerung angegangen werden. Und natürlich müssen wir im Zusammenhang mit Basel III die Eigenkapitalproblematik hart angehen. Da sind wir uns einig.
({8})
Das gehört dazu. Es gehört auch dazu, die Finanzaufsicht mit mehr Schlagkraft zu versehen. Das ist gar keine
Frage; da sind wir nah beieinander. Das allein reicht aber
nicht. Sie müssen auch den Mut haben, zum Beispiel das
Thema Steueroasen
({9})
und viele andere Dinge anzugehen. Es reicht überhaupt
nicht aus, hier Präsident Obama für sein mutiges Vorgehen zu loben und dann seine Vorschläge Strich für Strich
und Punkt für Punkt zu zerreden.
({10})
Das geht nicht; das offenbart Ihre fehlende Ernsthaftigkeit an dieser Stelle. Sie beziehen sich nur auf zwei Vorschläge: zur Finanzaufsicht und zum Eigenkapital. So
wird man diese Finanzkrise nicht in den Griff kriegen;
das wird nicht ausreichen, um die Probleme zu lösen.
Deshalb schlagen wir heute in unserem Antrag eine
ganze Reihe von Maßnahmen vor, legen den Fokus dabei aber auf die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Ich will an dieser Stelle sagen: Was ich hier
gehört habe, sind verzweifelte Versuche, von Aussagen
wegzurudern, die aus der eigenen Koalition stammen.
({11})
Das ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, an
dieser Stelle abzulenken.
Viele Kolleginnen und Kollegen im Hause haben gestern erlebt, wie der Präsident des Deutschen Sparkassenund Giroverbandes, Herr Haasis, die verschiedenen
Punkte aus seiner Sicht diskutiert hat. Er ist zu dem
Schluss gekommen, dass es sich bei der internationalen
Finanztransaktionsteuer natürlich nicht um ein unkompliziertes Instrument handelt - wer will das behaupten! -,
dies aber der Weg ist, der beschritten werden müsse.
({12})
Wir fordern Sie dazu auf: Hören Sie auf die Stimmen aus
der Finanzwirtschaft! Folgen Sie den Vorschlägen, die
breite Unterstützung finden!
({13})
Herr Dautzenberg, ich sage noch einmal: Sie retten
sich nicht damit, dass Sie immer wieder dieselben zwei
Vorschläge machen und den Kernpunkten ausweichen.
Sie können das hier nicht wegfilibustern.
Man muss sich vor Augen führen - das ist in diesem
Zusammenhang noch nicht ausreichend geschehen -, worum es dabei geht: Erstens. Die Finanztransaktionsteuer
ist ein Instrument, das nicht nachsorgend reagiert, sondern die Bedingungen dafür schaffen würde, dass bestimmte Spekulationsentwicklungen nicht wieder erfolgen könnten.
({14})
Sie ist eine Steuer, die dem Wort „Steuer“ wirklich gerecht wird: Sie ist zum Steuern da; sie greift in die wirtschaftlichen Abläufe ein und nimmt schädlichen Spekulationen den Schwung. Das führt dazu, dass wir einen
volkswirtschaftlichen Nutzen auch im Bereich der Finanzindustrie erzielen. Darum ist der Vorschlag richtig,
darum wird er weitreichend unterstützt.
({15})
Sie können rufen und schreien, wie Sie wollen: Wir
müssen ein Problem lösen. Heute läuft dasselbe Wertpapier 100-mal um den Globus, ohne einen Deut zur Wertschöpfung beizutragen.
({16})
Wer kann denn sagen, dass das sinnvoll ist? Lassen Sie
uns zusammen vorangehen und uns sagen: Deutschland
schließt sich als große Industrienation dem Vorschlag an;
wir wollen das einschränken.
({17})
- Das können Sie vielleicht auch über Regulierung erreichen; aber diese Krise ist so komplex, dass man ein
Bündel, einen Komplex von Maßnahmen braucht. Deshalb dürfen Sie den einzelnen Punkten nicht ausweichen.
Zweitens. Die Finanztransaktionsteuer - das ist mehrfach diskutiert worden - greift erheblich weiter als die
bisher diskutierten Instrumente wie die Tobin-Tax und
die Börsenumsatzsteuer.
({18})
Sie umfasst alle Finanztransaktionen. Deshalb ist sie das
richtige Mittel, insgesamt Wirkung zu entfalten und
keine Schlupflöcher offenzulassen.
({19})
Drittens: die Höhe der Steuer. Es wird über einen
Steuersatz zwischen 0,01 und 0,05 Prozent diskutiert.
Das heißt, bei einer Transaktion in Höhe von 100 000
Euro - ich nenne eine Summe, die man mit normalem
Menschenverstand überschauen kann - geht es um eine
steuerliche Belastung von 50 Euro.
({20})
So viel kostet eine Taxifahrt aus dem Obertaunus bis
nach Frankfurt; diese Belastung wird man bei schädlichen Investitionen hinnehmen können.
({21})
Auch deshalb ist die Steuer vertretbar und richtig.
Es gibt das Argument - das muss ich noch einmal
aufgreifen -, dass insbesondere die Kleinanleger betroffen sein werden.
({22})
Herr Schäffler, Sie haben sich hier noch einmal auf die
Aussagen von Herrn Pofalla und - ich glaube - Herrn
Staatsminister Fahrenschon bezogen. Ich würde wirklich
gerne einmal wissen, was genau dahintersteckt.
({23})
Erstens. Bei 80 Prozent aller Riester-Verträge sind die
Gelder überhaupt nicht fondsbezogen angelegt. Dafür
spielt das also überhaupt keine Rolle.
Zweitens. Sie haben das Beispiel genannt, dass die relevante Summe bei einem Riester-Sparer ein Betrag von
circa 30 000 Euro sei. Aufgrund Ihrer Tätigkeit - Sie haben wahrscheinlich schon viele Verträge persönlich vermittelt; hoffentlich nicht im gefährlich-spekulativen Bereich - werden Sie wissen, dass der Sparer bei den in
Ihrem Beispiel gewählten 30 000 Euro im Monat einen
Sparbeitrag in Höhe von 87 Euro hat. Bei unserer niedrig
angesetzten Finanztransaktionsteuer wäre das innerhalb
von 20 Jahren eine Belastung von 10 bis 20 Euro.
({24})
- Natürlich. Wenn Sie den Dreisatz beherrschen, dann
werden Sie das sehen.
({25})
Sie reden hier von 4 700 Euro. Wissen Sie, wann Sie
die Zahl erreichen? In 9 000 Jahren! Sie machen hier
eine Milchmädchenrechnung. Fragen Sie in der Branche
nach! Keiner wird Ihnen diese Rechnung bestätigen.
({26})
Ich sage Ihnen hier: Sie verschrecken die Leute und machen ihnen Angst,
({27})
und das nur, damit dieses richtige Instrument, die Finanztransaktionsteuer, verhindert wird. Das können wir
nicht akzeptieren.
({28})
Ich will an dieser Stelle sagen, dass in der Tat ein weiteres sozusagen nichtfachliches Element nötig ist, wenn
man eine Steuer neu einführen will. Das Argument spielt
bei vielen Menschen eine große Rolle. Natürlich muss
man weitere Steuerbelastungen und neue Steuern gut begründen. Es geht darum, dass man für einen solchen Vorschlag nicht nur gute Argumente, sondern auch Unterstützung braucht.
Ich will an dieser Stelle einmal sagen, dass ich hier
auch deshalb argumentiere und wir als SPD-Fraktion
auch deshalb einen Antrag in dieser Richtung vorgelegt
haben, weil es in Deutschland eine Petition mit
60 000 Unterschriften gibt, in der das gefordert wird,
({29})
und es sind noch viel mehr Menschen, die das fordern.
Das ist keine isolierte Sache, sondern das wird gesellschaftlich breit getragen. Das geht weit in die Gesellschaft hinein - auch in Ihr Spektrum, also auch in den
Bereich der CDU und der CSU. Ob jemand von der FDP
dabei ist, weiß ich nicht.
Sie wissen auch, dass weite Teile der Wissenschaft
das mittragen. Amerikanische Ökonomen, Nobelpreisträger: Alle stehen dahinter.
Der Bundespräsident
({30})
- Horst Köhler, CDU - hat uns aufgefordert, eine internationale Finanztransaktionsteuer einzuführen.
({31})
Darum frage ich mich, warum Sie hier so lange reden
und darum herumgehen.
({32})
Wir schlagen hier einen Dreistufenplan vor.
({33})
- Ich glaube, wenn wir die Politik in Deutschland so anlegen, dass wir ständig nur Prüfungen durchführen und
auf das Ergebnis dieser Prüfungen warten,
({34})
dann kommt die nächste Finanzkrise schneller, als wir
gucken können. Herr Kollege Dautzenberg, wir haben
gar keine Zeit mehr, zu prüfen. Wir müssen handeln.
({35})
Es muss ein Konzept auf dem Tisch liegen, damit die
G 20 dieses umsetzen kann.
Das ist der Kern unseres Antrags. Deshalb will ich
das einmal herunterdeklinieren:
Die internationale Finanztransaktionsteuer: Relativ wenige hier - Herr Schäffler tut das immer, aber für
andere gilt das weniger - haben dagegen geredet. Diese
Maßnahme auf internationaler Ebene wird breit gestützt.
Herr Michelbach hat sich als Einziger aus der Koalition
positiver dazu geäußert, weil er wahrscheinlich auch das
Interview mit Herrn Dobrindt, Ihrem Generalsekretär,
gelesen hat, der sehr, sehr deutlich gesagt hat, dass wir
eine internationale Finanztransaktionsteuer brauchen.
({36})
Schließen Sie sich diesem Punkt in unserem Antrag deshalb doch bitte an.
Herr Kollege, ich darf Sie auf die Redezeit hinweisen.
Ich komme zum Ende.
({0})
Wenn man auf der internationalen Ebene nicht zu einer
Einigung kommt, dann - das sagte Bundesfinanzminister
Schäuble in einem weiteren Interview in den letzten Tagen - einigen wir uns eben auf europäischer Ebene.
({1})
Das ist der zweite Punkt, den wir Ihnen vorschlagen.
Warum schließen Sie sich auch dem nicht an,
({2})
damit wir in Deutschland einmal wissen, wo es hingeht?
({3})
Wenn die einzige Kontroverse darüber besteht, dass
wir Sozialdemokraten meinen, dass man im Notfall auch
national handeln muss, dann bitte ich Sie und fordere Sie
auf, Herr Dautzenberg - ich bin gespannt, ob Herr
Schäffler auch dabei ist -: Lassen Sie uns aus dem Vorschlag einen Gruppenantrag machen. Lassen Sie uns in
diesem Parlament etwas Gemeinsames auf den Weg
bringen, damit wir die Finanztransaktionsteuer hinbekommen,
({4})
statt die ganze Zeit nur drumherum zu reden und zu philosophieren. Nur Argumente dafür zu suchen, dass Sie
nicht handeln wollen, sondern immer nur prüfen, ist
keine Politik. Die Finanzkrise braucht mehr. Auch
Deutschland braucht mehr.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Björn
Sänger das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Poß, Sie haben von einer
Parallelwelt gesprochen, in der der eine oder andere aus
der Finanzbranche lebt. Darauf, dass es im Internet eine
Gruppe gibt, die in ihrer eigenen Welt lebt, habe ich an
dieser Stelle schon einmal hingewiesen.
Ich gebe Ihnen sogar recht darin, dass der eine oder
andere in einer Parallelwelt lebt. Ich habe aber den Eindruck, dass auch die SPD zumindest seit der Bundestagswahl in einer Parallelwelt lebt.
({0})
Ich weiß nicht, was Sie zu sich nehmen, um Ihre Wahlergebnisse zu verarbeiten, aber Sie sollten besser damit
aufhören. Denn es scheint Ihr Erinnerungsvermögen insbesondere bezogen auf die letzten elf Jahre erheblich zu
beeinträchtigen.
({1})
Ich möchte Ihnen deshalb ein bisschen auf die Sprünge
helfen.
Sie schreiben sehr zu Recht, dass eine Fehlregulierung des Finanzmarktes gepaart mit Gier krisenursächlich ist.
({2})
- Ich bin seit 19 Jahren in der Freien Demokratischen
Partei, und ich muss ehrlich sagen, dass ich sehr stolz
darauf bin.
({3})
Dass der Markt falsch reguliert worden ist, ist richtig.
Aber wer hat denn den Markt falsch reguliert? Das waren doch Sie.
({4})
In Person war es der Kollege Eichel als Bundesfinanzminister, der, im Übrigen mithilfe der tatkräftigen Unterstützung von Lobbyisten, die die Gesetzentwürfe geschrieben haben,
({5})
die Märkte nicht richtig reguliert hat.
({6})
Zum Thema Gier möchte ich noch anmerken, dass es
derselbe Hans Eichel ist, der als Ministerpräsident und
ehemaliger Bundesminister derzeit eine Rente von
7 151,05 Euro pro Monat bezieht und noch einen zusätzlichen Rentenanspruch von 5 900 Euro aus seiner Zeit
als Oberbürgermeister der Stadt Kassel einklagen möchte.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hendricks?
Wenn es der Wahrheitsfindung dient.
Bitte sehr.
Herr Kollege, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass es in diesem Hause Mindestanforderungen an das
Niveau gibt? Das gilt übrigens auch für Ihren Kollegen
aus Berlin, der gestern gesprochen hat.
({0})
Auch er hat die Mindestanforderungen an das Niveau
dieses Hauses nicht eingehalten.
Wollen Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass es
Ihnen höchstwahrscheinlich auch mit Unterstützung erfahrener Kollegen aus Ihrer Fraktion nicht gelingt, nachzuweisen, dass die FDP in den vergangenen elf Jahren
irgendwann einen Antrag zur schärferen Regulierung der
Finanzmärkte eingebracht hat?
({1})
Frau Kollegin Hendricks, herzlichen Dank für die
Fragen. Wenn ich die Debatten verfolge, brauche ich
mir, glaube ich, von der linken Seite des Parlaments
nichts über das Niveau erzählen zu lassen.
({0})
Wir sind bei der Frage, wie wir die Krise in den Griff
bekommen wollen. Wir alle haben das Ziel, Vorsorge zu
treffen, dass sich ein derartiges Desaster nicht wiederholt. Sie aber servieren uns jetzt, 14 Tage vor Karneval,
eine ziemlich angegammelte Kamelle, nämlich die
Finanztransaktionsteuer. Das ist ein gänzlich untaugliches Mittel zur Bewältigung dieser Krise. Denn die
Krise ist nicht durch Spekulationen vorangetrieben worden, sondern durch Wertpapiere, die nicht nachhaltig
waren, und von Ratingagenturen, die Fehler gemacht haben.
({1})
Das muss zwar angegangen werden, aber das erreicht
man nicht mit einer Finanztransaktionsteuer.
Mit der Finanztransaktionsteuer treffen Sie auch die
Kleinsparer, Herr Kollege Schick. Das ist wieder typisch: Es wird über Menschen geredet, die in der Lage
sind, 30 000 oder 100 000 Euro anzulegen. Die stört das
nicht. Darin gebe ich Ihnen völlig recht.
({2})
Aber die Mitte der Gesellschaft, die Leistungsträger, die
Riester-Verträge abschließen, werden über Gebühr belastet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Raabe?
Nein. Das bringt nichts.
({0})
Folglich müssen wir darüber nachdenken, welches Instrument besser als eine Finanztransaktionsteuer in der
Lage ist, steuernd einzugreifen. Ich greife das auf, was
der Kollege Schäffler richtigerweise gesagt hat. Ein Versicherungssystem ist deutlich besser;
({1})
denn dann sind die Einlagen der Sparerinnen und Sparer
abgesichert und ist das System stabilisiert. Notwendig ist
zudem, ein Insolvenzrecht für Banken einzuführen, damit ein Institut aus dem Markt geordnet ausscheiden
kann.
Wir haben im Koalitionsvertrag den Aufbau einer
wirksamen Aufsicht vereinbart. Obwohl die christlich-liberale Regierung noch nicht einmal 100 Tage im
Amt ist und Sie elf Jahre alle Gelegenheiten haben verstreichen lassen, entsprechende Regelungen zu treffen,
sollen wir schon gehandelt haben. Ich denke, hier muss
man ein bisschen auf die Relationen achten.
Ein weiteres Thema ist - das greifen Sie richtigerweise auf - die Bekämpfung von Steueroasen. Auch
hierzu werden wir Vorschläge machen. Durch ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen
wird es überhaupt nicht mehr attraktiv sein, Geld am
deutschen Fiskus vorbei in irgendwelche Steueroasen zu
verschieben.
({2})
Lassen Sie mich nun zu den Bankerboni kommen.
Der eine oder andere in der Branche hat den Schuss nicht
gehört.
({3})
Dabei sind Boni, also Leistungsanreize in der Vergütung
auf breiter Ebene, nicht das schlechteste Instrument,
wenn man Leistung fördern will.
({4})
Aber das muss mit einer entsprechenden Verantwortung
hinterlegt sein. Freiheit und Verantwortung sind zwei
Seiten derselben Medaille; sie gehören zusammen. Es
wird gesagt, es helfe nichts, wenn ein Bankmanager mit
seiner Villa im Tessin genauso wie der Bäckermeister
oder der Elektromeister vor Ort mit ihren Häuschen haften müssen. Aber die Aussicht, dass das Häuschen oder
- beim Bankmanager - die Villa im Tessin weg sein
könnte, wird den einen oder anderen sicherlich dazu bewegen, Entscheidungen, bevor er sie trifft, gründlicher
zu überdenken und das eine oder andere Papier etwas genauer zu lesen. Hier muss ein Zusammenhang zwischen
Boni auf der einen Seite und Verantwortung und Haftung
auf der anderen Seite geschaffen werden. Das werden
wir leisten müssen; denn nur so können wir die dienende
Funktion der Finanzdienstleistungsbranche aufrechterhalten.
({5})
Der Bundesbankpräsident Weber hat vollkommen
recht: Es ist außerordentlich ratsam für die Finanzbranche, die Gewinne, die momentan wieder erzielt werden,
in das Eigenkapital anstatt in Boni zu stecken; denn die
Eigenkapitalanforderungen werden sicherlich nicht geringer werden. In eine Kreditklemme wollen wir nicht
hineinlaufen. Es gibt schon entsprechende Hinweise aus
dem Markt, aus der Realwirtschaft. Die Bosch GmbH
beendet - ich unterstütze das ausdrücklich - Geschäftsbeziehungen mit Banken, die Boni zahlen. Das ist ein
sehr gutes marktwirtschaftliches Instrument, um zu einer
Verhaltensänderung zu kommen.
({6})
Ich komme zum Schluss. Die Linken in Nordrhein-Westfalen verkaufen T-Shirts, auf denen steht: Wir
wollen linke Spinner sein. - Vorher hatte ich noch Hoffnung, aber nach der heutigen Diskussion kann ich nur
empfehlen: Kaufen Sie sich diese T-Shirts und ziehen
Sie sie an! Mit Ihren Anträgen haben Sie das eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Herzlichen Dank.
({7})
Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Dr. Raabe.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich will zwei Feststellungen treffen. Die erste ist: Sie haben gesagt, dass die Idee
einer Finanztransaktionsteuer eine olle Karnevalskamelle sei. Da die Bundeskanzlerin diese Idee aber
unterstützt, frage ich mich, ob sie in Ihren Augen eine
Fastnachtsnärrin ist. Es ist erstaunlich, dass die Bundeskanzlerin immer bekundet, für die Einführung einer solchen Steuer zu sein, dies aber von Ihrer Seite dermaßen
ins Lächerliche gezogen wird. Das liegt auf der Linie Ihres Entwicklungsministers Niebel, der im Entwicklungsausschuss wörtlich gesagt hat: Was interessiert mich,
was die Kanzlerin sagt? Ich habe eine andere Meinung.
Ich komme zu meiner zweiten Feststellung. Mein
Kollege Sieling hat zu Recht auf die Petition verwiesen,
in der 60 000 Menschen die Einführung einer Finanztransaktionsteuer fordern. Sie fordern sie deshalb, weil
sie sagen: Wir brauchen Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, um die Folgen der Wirtschafts- und
Finanzkrise gerade für die ärmsten Menschen abmildern
zu können. Deswegen ist das selbstverständlich ein ganz
wichtiger Schritt, der auch dazu dient, die vereinbarten
Stufensteigerungen des sogenannten ODA-Plans realisieren zu können, also den Anteil der Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen, der eigentlich in diesem Jahr 0,51 Prozent
betragen müsste, bis zum Jahr 2015 auf 0,7 Prozent zu
steigern, wozu wir uns verpflichtet haben.
Ich frage mich, wie Sie das erreichen wollen, wenn
Sie eine solche Finanztransaktionsteuer ablehnen. Sie
brechen ja bereits mit diesem Haushalt Ihr Versprechen,
die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu steigern.
Es ist doch völlig unglaubwürdig, ohne eine solche
Steuer eine Quote von 0,7 Prozent im Jahr 2015 erreichen zu wollen. Das spricht für die fehlende Glaubwürdigkeit dieser Regierung und dafür, dass Sie auf dem Rücken der ärmsten Menschen dieser Erde eine Politik
zugunsten der Multimillionäre betreiben. Das wird mit
uns nicht zu machen sein.
({0})
Herr Kollege Sänger, bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich fange mit der Petition
an. Mittlerweile mehr als 65 000 Petenten nehmen wir
natürlich sehr ernst. Uns geht es ja auch darum, die
Branche entsprechend an der Bewältigung der Krise zu
beteiligen.
({0})
Was Sie wollen, ist das, was der Erfinder dieser
Steuer, James Tobin, selbst als einen Fehler erkannt hat,
nämlich zusätzliche Einnahmen generieren. Sie möchten hierbei nicht steuernd eingreifen, denn dann müssten
Sie über andere Maßnahmen nachdenken.
({1})
Das wollen wir an dieser Stelle nicht, sondern wir wollen, dass die Branche an den Kosten dieser Krise adäquat
beteiligt wird. Wir sind der Auffassung, dass diese
Steuer nicht das richtige Mittel ist. So steht es auch im
Koalitionsvertrag - der Kollege Schäffler hat darauf hingewiesen -, und danach handelt die Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({2})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun das Wort
der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
eben einmal zur Tribüne hochgeblickt - da waren noch
Ihre Vorgänger -, und da war Kopfschütteln. Ich glaube,
das Bild, das wir als Parlament hier heute abgeben,
rechtfertigt dieses Kopfschütteln: Wir debattieren hier
sicherlich die dringendste, die wichtigste Aufgabe, die
wir neben denjenigen hinsichtlich des Klimawandels in
dieser Legislaturperiode zu erfüllen haben, und streiten
uns darüber, wer wann was gesagt hat, in welchem Papier was stand, darüber, wer welche T-Shirts anziehen
soll.
({0})
Ich halte das für nicht angemessen; denn die Menschen
sind zu Recht ziemlich sauer,
({1})
und ich habe großes Verständnis dafür. Es ist ein Skandal, dass wir als Staat letztlich mit dem Volumen von
zwei Bundeshaushalten in die Haftung für das Bankensystem gehen müssen. Als Mitglied des Gremiums gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes sehe
ich das jeden Freitagmorgen. Es ist ganz gut, dass man
es jeden Freitagmorgen sieht, Herr Kollege Sieling, um
sich das ganze Ausmaß des Skandals noch einmal vor
Augen zu führen.
({2})
Es ist auch völlig unverständlich, dass wichtige Teile
der internationalen Finanzwirtschaft den Eindruck erwecken, dass es so weitergehen kann wie bisher. Wir sehen
es an der Art der Geschäfte und auch an den Vergütungsmodellen.
Es ist beschämend - das muss auch einmal gesagt
werden -, dass es der gesamten Branche scheinbar an
dem Willen oder der Kraft fehlt, aus sich selbst heraus
umfassende Reformen zur Eigenregulierung und zur
Systemstabilität zu organisieren.
({3})
Die Maßstäbe, die wir an einen Hartz IV-Empfänger anlegen, müssen wir auch an die Bankenwelt anlegen.
({4})
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir alle - vielleicht mit wenigen Ausnahmen - selbst an den Ursachen dieser Krise in irgendeiner Art und Weise beteiligt
waren, denn weder die Politik noch die Verwaltung, weder die Wissenschaft noch die Medien haben die Risiken
in dieser Form richtig eingeschätzt und entsprechend gehandelt. Wir alle haben als Konsumenten von den guten
Zinsen profitiert. Ich frage einmal hier in den Saal hinein, wer 2007 nicht zu seinem Bankberater gegangen
ist und gesagt hat: Zwei Prozent mehr, oder ich bin weg.
({5})
Wir alle haben als Kreditnehmer davon profitiert - sei es
im privaten Bereich zum Beispiel für Eigenheime oder
in der Industrie -, dass wir unsere Investitionen günstig
finanzieren konnten. Wir haben als Staat gern die hohen
Steuereinnahmen mitgenommen. Allein die Deutsche
Bank hat 2007 ein Steueraufkommen von mehr als
3,5 Milliarden Euro gehabt. Es ist also nicht so einfach,
wie man vielleicht meint.
Abseits jeder Moral, des Bedürfnisses nach Rechenschaft für die Verantwortlichen oder der Strafe für diejenigen, die scheinbar nichts gelernt haben, bleibt doch
eine Erkenntnis: Es gibt keine absolute Sicherheit im Finanzsystem. Niemand hat den Masterplan. Unwahrscheinliche Ereignisse, die nicht denkbar waren, treten
ein. Weil die Welt so komplex ist, meine Damen und
Herren, hege ich tiefes Misstrauen gegenüber denjenigen, die jetzt ganz genau wissen, was zu tun ist,
({6})
gegenüber denjenigen, die jetzt sagen, die Steuer A, die
Abgabe B oder die Regulierung C ist es, die das Finanzsystem sicher macht. Meine Damen und Herren, es gibt
nicht das Instrument, das absolute Sicherheit verschafft.
({7})
Es gibt auch keine Garantie dafür - auch das gehört mit
zur Ehrlichkeit -, dass der Staat das Bankensystem nie
mehr mit Steuergeldern stabilisieren muss.
({8})
Das ist ernüchternd. Trotzdem glaube ich aber, dass es
uns gelingen kann, ein besseres Finanzsystem zu organisieren, als wir es in der Vergangenheit gehabt haben. Nur
darum geht es.
Insofern ist es wichtig, ein Maßnahmenpaket zu
schnüren; der Kollege Michelbach hat es eben schon gesagt. Dieses Maßnahmenpaket ist auf den Weg gebracht
worden, und zwar mit einer gewissen Systematik, Herr
Kollege Schick. Es geht darum, eine konsequente Internationalisierung der Problemlösungsstrategien voranzutreiben. Die G 20, nicht allein die nationalen Parlamente, sind der richtige Platz.
({9})
Ich sage aber auch an die Adresse der Bundesregierung,
an Herrn Koschyk: Wir haben hohe Erwartungen an den
nächsten G-20-Gipfel in Kanada. Dabei muss etwas herauskommen. Es reicht nicht, wenn wir weiter im Unverbindlichen bleiben.
({10})
Es ist auch wichtig, dass wir ein Frühwarnsystem
einrichten. Wir sehen eine ganz zentrale Rolle beim
Europäischen Ausschuss für Systemrisiken. Dieser muss
in enger Zusammenarbeit mit der EZB frühzeitig Probleme identifizieren und Handlungsempfehlungen ausgeben, und zwar möglichst schnell. Wir müssen auch die
aktuellen Risikofelder, über die momentan wieder
niemand redet, im Auge behalten. Dazu gehören die
Inflation, die Überhitzung der Rohstoffmärkte, die spekulativen Geldmengen, die in die Entwicklungs- und
Schwellenländer fließen, und auch der Zustand von
Volkswirtschaften hier in der EU. Im Auge behalten allein reicht jedoch nicht. Wir müssen aus der Identifikation der Risiken Handlungen erwachsen lassen; denn das
sehe ich momentan leider zu wenig.
Wir brauchen einen starken Ordnungsrahmen. Dazu
gehört die Beseitigung von regulierungsfreien Bereichen
des Kapitalmarktes.
({11})
Insofern ist es zu begrüßen, dass die Europäische Kommission das Projekt Gewährleistung sicherer Derivatemärkte auf den Weg gebracht hat. Ich wünsche mir, dass
wir darüber mehr sprechen. Es ist gut, dass wir mit der
Regulierung von Hedgefonds durch die AIFM-Richtlinie
angefangen haben. Es ist auch richtig, dass die EURichtlinie zur Regulierung von Ratingagenturen schnell
in deutsches Recht umgesetzt wird.
({12})
Ein Ordnungsrahmen muss aber auch stringent überwacht werden. Dazu ist im August 2009 das Gesetz zur
Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht in
Kraft getreten. Es ist darüber hinaus nachhaltig zu begrüßen, dass Ecofin das neue Konzept zur europäischen
Finanzaufsicht, über das wir noch zu diskutieren haben,
in diesem Jahr auf den Weg gebracht hat.
Wir brauchen aber auch - das ist der Kern - ein ganzes Paket von Eigenkapitalmaßnahmen. Dazu gehört
nicht nur die Umsetzung der geänderten Banken- und
Kapitaladäquanzrichtlinie. Dazu gehören auch die durch
die G 20 angestoßenen Aktivitäten des Baseler Ausschusses zur stärkeren Unterlegung von Eigenkapital;
denn die Verknüpfung von Eigenkapitel und Risiko ist
sicherlich einer der entscheidendsten Faktoren zur Sicherung der Finanzmärkte.
({13})
Wir müssen die Angemessenheit der Vergütungsstrukturen sicherstellen. Hierzu ist im August 2009 das
Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung in
Kraft getreten. Wichtig war auch die Einigung auf Vergütungstandards auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh,
durch das BaFin-Rundschreiben vom Dezember 2009
umgesetzt und auch für deutsche Unternehmen verbindlich.
Wir müssen uns aber auch vor Augen halten, dass es
immer wieder zur Krise kommen kann. Deswegen brauchen wir ein Instrumentarium zum Krisenmanagement.
Hier hat die EU-Kommission die Initiative zur Schaffung eines grenzüberschreitenden Krisenmanagements
auf dem Bankensektor ergriffen. Das ist gut und richtig.
Was aber dringend notwendig ist - das ist eine unserer
vordinglichen Aufgaben in dieser Legislaturperiode -,
ist die Schaffung eines nicht nur finanzmarktspezifischen Insolvenz-, sondern auch Abwicklungsrechtes;
denn es muss möglich sein, dass eine Bank oder ein
Finanzdienstleister geordnet abgewickelt oder in eine
geordnete Insolvenz überführt wird.
({14})
Weiterhin werden wir auch über grenzüberschreitende
Sicherungsfonds diskutieren müssen. Ich möchte dieses
Thema aber nicht überschätzen. Die Krise hatte diesmal
eine Dimension, die kein Sicherungsfonds hätte auffangen können.
Ich fasse zusammen: internationale Lösungen,
Frühwarnsystem, starker Ordnungsrahmen, stringente
Überwachung dieses Rahmens, ein Bündel von Eigenkapitalmaßnahmen, angemessene Vergütungsstrukturen,
effektive Maßnahmen zum Krisenmanagement. All
diese Dinge sind jetzt schon auf den Weg gebracht worden. Frau Hendricks, bei allem Lob für den Kollegen
Steinbrück, es ist völlig egal, wer für diese Maßnahmen
verantwortlich ist; denn es geht um die Lösung. Diese
Lösung müssen wir hier gemeinsam entwickeln.
Ich glaube, dass die Bundesregierung an all diesen
Projekten mit Hochdruck arbeitet. Eine Menge Menschen auf der Welt versuchen, dieses Finanzsystem auf
eine bessere Basis zu stellen. Dabei sollten wir mitmachen. Es ist manchmal auch so, dass die Bundesregierung in der Rolle des Kritikers ist. Auch das ist gut.
Nicht alles ist richtig, was hier und heute vorgeschlagen
worden ist.
Offen sind noch die Fragen nach einer Beteiligung an
den Kosten der Finanzkrise. Auch hier müssen wir
über Ansätze diskutieren, wobei mittlerweile Konsens
besteht, dass eine Beteiligung zumindest der großen systemrelevanten Institute und eben nicht der Sparkassen
und Volksbanken an den noch entstehenden Kosten erfolgen muss.
({15})
Es geht um die noch entstehenden Kosten. Was wir bisher bezahlt haben, ist angesichts des Risikos sehr wenig.
Aus den USA kommen Vorschläge zur Regulierung,
zum Eigenhandel und zur Aufspaltung von Banken.
Diese Impulse müssen aufgenommen werden. Ich sage
aber auch ganz offen: Die USA wären mit ihren Vorschlägen glaubwürdiger, wenn sie Basel II umgesetzt
hätten. Insofern muss man alles im Zusammenhang betrachten.
({16})
Sie haben heute Ihren Beitrag als Opposition geleistet. Darüber müssen wir diskutieren. Wir wissen, dass
wir mit Ihnen nicht immer einer Meinung sind. Für die
CDU kann ich sagen: Mit einer nationalen Transaktionsteuer haben wir mächtige Probleme. Sie wissen,
warum. Aber wir müssen eines schaffen, von der einen
bis zur anderen Seite dieses Hauses, weil das die Erwartungshaltung der Bevölkerung ist und weil das unsere
Aufgabe in diesem Parlament ist: Wir müssen gemeinsam ein Maßnahmenpaket organisieren, das die Finanzmärkte stabilisiert.
({17})
Wir müssen dieses Paket auch im Konsens organisieren;
denn die Bundesregierung, auch wenn es jetzt eine
CDU/CSU-FDP-Regierung ist, braucht ein starkes Mandat in den internationalen Verhandlungen. Wenn wir dieses Paket nicht gemeinsam organisieren,
({18})
werden wir uns als Parlamentarier sagen lassen müssen,
dass wir die wichtigste Frage, die sich in dieser Legislaturperiode stellt, nicht beantwortet haben.
({19})
Es wäre wirklich gut, meine Damen und Herren, wenn
wir es schaffen würden, diese Aufgabe gemeinsam zu
bewältigen.
Ich möchte zum Schluss noch einen Aspekt ergänzen.
Ich habe am Anfang meiner Ausführungen Kritik an
den Banken geübt. Bei aller Kritik an den Banken: Wir
stehen zu unseren Banken in Deutschland, zu den kleinen, die in der Fläche tätig sind, aber auch zu den Großbanken. Die deutsche Exportwirtschaft braucht große
Banken, die sie international begleiten. Wir sollten das
nicht Banken aus anderen Ländern überlassen. Eines ist
aber auch klar: Wir als Politik stoßen mit unseren Aufsichts- und Regulierungsmaßnahmen, mit unseren Systemvorschlägen an Grenzen, wenn sie nicht mit einer
neuen Kultur der Verantwortung im Bankenbereich einhergehen.
({20})
Diese, meine Damen und Herren, ist bisher leider viel zu
wenig ersichtlich. Vielleicht wäre ein Vorschlag, dass
Bankvorstände mit ihrem persönlichen Vermögen für ihr
Tun haften, so wie es bei Freiberuflern üblich ist.
({21})
Eines ist wichtig: Die deutsche Kreditwirtschaft ist
aufgefordert, mehr zu tun, national, aber auch in internationalen Gremien, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, um eine Wiederholung der Krise aus
dem Herbst 2008 wirklich zu einem sehr unwahrscheinlichen Ereignis werden zu lassen. Die Zeit dafür drängt.
Ganz ehrlich: Wir können uns nicht leisten, dass noch
einmal das passiert, was damals passiert ist, denn dann
sind wir alle weg.
({22})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/526, 17/527 und 17/518 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe: Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder
erheben
- Drucksache 17/453 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe:
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der
Debatte hat der Kollege Harald Koch für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Ich habe es bei meiner Arbeit als stellvertretender Landrat viele Jahre hautnah erlebt: Nicht nur den Kommunen steht das Wasser
finanziell immer öfter bis zum Hals; auch viele Menschen können sich, wenn überhaupt, gerade mal das Allernötigste zum Leben leisten, während andere in Luxus
schwelgen. 10 Prozent der Bevölkerung besitzen hierzulande 61 Prozent des Vermögens. 70 Prozent der Bevölkerung teilen sich nur 9 Prozent des Vermögens.
Konkret spüren das immer mehr Menschen. Die
Schere zwischen Arm und Reich geht drastisch weiter
auseinander. Dass Kinder heute von der Schule in HartzIV-Lebensläufe gehen, ist ein Skandal.
({0})
Die ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung in vielen Ländern ist eine zentrale Ursache der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise. Diejenigen, die
über große Vermögen verfügen, geben es ja nicht aus.
Die Binnennachfrage wird durch sie kaum gestärkt.
Stattdessen fördert die Vermögenskonzentration Spekulationen und eine übertriebene Renditeerwartung.
Um die aktuelle Krise zu bewältigen und die in Mitleidenschaft gezogenen öffentlichen Haushalte sowie die
Nachfrage zu stärken, fordert die Linke, genau diejenigen an der Deckung der Krisenkosten zu beteiligen, die
von der Zockerei auf den Finanzmärkten am meisten
profitiert haben und noch profitieren.
({1})
Ein deshalb überfälliger Schritt ist aus Sicht der Linken, die Vermögensteuer als eine Millionärsteuer wieder
einzuführen. Zum Vermögen zählen wir in unserem Antrag die Gesamtheit privater Geldvermögen und der Verkehrswerte der privaten Immobilien- und Sachvermögen. Private Kredite werden abgezogen. Nur das
oberhalb von 1 Million Euro liegende Nettovermögen
einer Person soll mit 5 Prozent versteuert werden. Angesichts dessen, dass 1 Million Euro steuerfrei bleiben soll,
kann nun wahrlich niemand behaupten, die Linke wolle
Vermögende armmachen.
Die Vermögensteuer übt eine Finanzierungs- und
Umverteilungsfunktion aus, weil nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert wird, die sich durch
Vermögen nun einmal erhöht. Wer die derzeitige Krise
und die wachsende Armut bekämpfen will, muss eben
Reichtum begrenzen.
({2})
Die Länder und Kommunen pfeifen finanziell auf
dem letzten Loch. Das sollten auch die Vertreter der Koalition einmal zur Kenntnis nehmen. In dieser Situation
wollen Sie, die Mitglieder der Koalition, die mit der Einführung einer Vermögensteuer verbundenen Möglichkeiten nicht nutzen? Wir, die Linke, gehen davon aus, dass
durch die Erhebung einer Vermögensteuer langfristig pro
Jahr bis zu 80 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen zur Verfügung stehen.
({3})
Nehmen Sie doch dieses Geld. Das ist besser, als es
nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen noch stärker als
bisher Normal- und Geringverdienenden, Rentnerinnen
und Rentnern sowie sozial Benachteiligten aus der Tasche zu ziehen, was wir alle erwarten.
({4})
- Glauben Sie mir ruhig.
Wir brauchen eine deutliche Umverteilung von oben
nach unten. Reiche und Superreiche müssen aus guten
Gründen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens
herangezogen und an ihre soziale Verantwortung erinnert werden. In Art. 14 Abs. 2 unser aller Grundgesetzes
heißt es:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb,
halten Sie sich doch ganz einfach ans Grundgesetz.
Vielen Dank.
({6})
Herr Kollege Koch, das war Ihre erste Rede in diesem
Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu, verbunden
mit den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Christian von Stetten
für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bitte, nehmen Sie bequem Platz und streichen Sie sich
diesen Tag dick in Ihrem Kalender an; denn heute will
uns die Linke in einer eigentlich völlig überflüssigen Debatte mit einem dreiseitigen Antrag erklären, wie sie die
Haushaltsprobleme aller 16 Bundesländer lösen will. Ich
gehe davon aus, dass die Vermögensteuer als Ländersteuer wieder eingeführt werden soll. Die Linke geht von
zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von 80 Milliarden Euro aus - dieses Geld soll zusätzlich von den Ländern kassiert werden -, und das bei einem Steuersatz von
5 Prozent, was fast einer Enteignung gleicht. Sie wollen
uns mit Ihrem dreiseitigen Antrag weismachen, dass so
alle Haushaltsprobleme gelöst werden können.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die CDU/CSUBundestagsfraktion hält es für selbstverständlich, dass
starke Schultern generell mehr als schwache Schultern
tragen.
({0})
Diese Auffassung hat sie übrigens nicht nur mit Beginn
der Krise vertreten, sondern auch schon vorher. Der
sozialpolitischen Verantwortung wird man in Deutschland durch die Progression der Einkommensteuer gerecht. 10 Prozent der großen Vermögen tragen heute
rund 54 Prozent der gesamten Einkommensteuerlast. Die
oberen 50 Prozent der Einkommen tragen insgesamt
über 94 Prozent der kompletten Einkommensteuerlast.
Wenn die Linke angesichts dessen von einer sozialpolitischen Schieflage spricht, dann muss man festhalten,
dass sie die Realität in Deutschland nicht erkannt hat.
({1})
Sie, meine Damen und Herren von der Linken, wollen
die Bundesländer durch die Einführung dieser Steuer
verpflichten, zusätzlich 80 Milliarden Euro - wohlgemerkt: jährlich und nicht einmalig - einzuziehen, obwohl die Länder im letzten Jahr insgesamt nur Steuern in
Höhe von 16 Milliarden Euro eingezogen haben. Mit
dem Antrag, den Sie hier einbringen, würde also eine
Verfünffachung des Betrages einhergehen, den die Länder bisher selber an Steuern einziehen. In den 16 Milliarden Euro eingeschlossen sind übrigens schon die umstrittenen Erbschaftsteuern, die Lotteriesteuern und auch
die Grunderwerbsteuern. Sie wollen also die Steuern, die
die Länder einziehen, auf insgesamt 86 Milliarden Euro
erhöhen. Ich frage mich schon, in welchem Land Sie leben. Sie betreiben - das zeigen Sie wieder einmal sehr
deutlich - eine Politik des Neides, des Klassenkampfes
und jetzt auch noch der Enteignung.
({2})
Sie haben den Bezug zur Realität völlig verloren.
({3})
Schauen wir uns einmal den Inhalt Ihres Antrags an.
Vom Vorredner haben wir dazu ja nicht allzu viel gehört.
Sie fordern, dass auf das private Geldvermögen, die Verkehrswerte aller privaten Immobilien- und Sachvermögen nach Abzug eines Freibetrages jährlich ein Steuersatz in Höhe von 5 Prozent erhoben wird. Diese
Maßnahme ist konjunkturpolitisch völlig falsch und fördert sicherlich nicht private Investitionen, sondern sorgt
für das Gegenteil.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995,
mit dem die damalige Besteuerung von Vermögens- und
Betriebswerten für verfassungswidrig erklärt wurde, ist
angesprochen worden. Deshalb wird seit 1997 keine
Vermögensteuer mehr erhoben. Damit stehen wir auch
nicht allein da. Zahlreiche andere europäische Länder
haben zu dieser Zeit auch die Vermögensteuer abgeschafft, und das aus gutem Grund. Die Vermögensteuer
ist nämlich eine reine Substanzsteuer. Sie fällt auch an,
wenn der Betroffene in einem Jahr überhaupt kein Einkommen hat. Sie fällt sogar an, wenn der Betroffene in
einem Jahr die Hälfte seines Vermögens verliert. Selbst
dann schnappt die Steuerfalle zu.
({4})
Substanzsteuern sind Gift für unser Land und auch für
die Betroffenen. Deshalb haben auch viele unserer Nachbarländer aus gutem Grund keine Vermögensteuer.
({5})
Das, was Sie heute in den Bundestag einbringen, ist
nicht nur ideologisch falsch, sondern stellt auch eine
volkswirtschaftliche Geisterfahrt dar. Sie würden doch
nicht die Vermögenden treffen, wie Sie in Ihrem Antrag
schreiben, sondern Sie würden vielfach gerade Mieter
treffen.
({6})
- Wir können uns gerne den Antrag näher anschauen
und auf den Punkt kommen.
Schauen wir uns einmal an, was noch im Antrag steht.
Sie wollen die privaten Geldvermögen und die Verkehrswerte der privaten Immobilienvermögen und der privaten Sachvermögen mit 5 Prozent besteuern. Zu Betriebsvermögen und zu land- und forstwirtschaftlichem Besitz
habe ich übrigens nichts gelesen. Offenbar lassen Sie
beides außen vor. Dass das mit dem Spruch des Verfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer vereinbar wäre, kann
ich mir nicht vorstellen. Noch vor zwei Monaten haben
Sie uns übrigens von dieser Stelle hier angegangen, weil
wir bei der Erbschaftsteuer für bestimmte Betriebsvermögen Freibeträge eingeführt haben, hier also auch nicht
alles der Steuerpflicht unterworfen haben. Damals haben
Sie versucht, uns klarzumachen, dass eine ganzheitliche
Besteuerung gesichert sein muss. Jetzt erwähnen Sie in
Ihrem Antrag weder Betriebsvermögen noch land- und
forstwirtschaftlichen Besitz. Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht würde da nicht mitmachen.
Die Steuer soll stichtagsbezogen eingeführt werden.
Nachdem Sie bestimmte Vermögensformen außen vor
lassen und nicht besteuern, können Sie doch nicht im
Ernst glauben, dass bei einer Substanzbesteuerung der
anderen Vermögen in Höhe von 5 Prozent auch nur ein
einziger der Betroffenen nicht reagiert und vor dem
Stichtag sein belastetes Vermögen nicht in unbelastetes
Vermögen umschichtet. Es ist weltfremd, zu glauben,
dass hier nicht reagiert wird.
Jetzt kommen wir zu der Frage, wie sich Ihr Vorhaben
auf den deutschen Wohnungsmarkt auswirken würde.
Ich behaupte, dass Sie mit einer jährlich fälligen Vermögensteuer in Höhe von 5 Prozent den Wohnungsmarkt in
Deutschland zerstören würden.
({7})
Nehmen wir als Beispiel einmal einen sehr vermögenden
Immobilienbesitzer, der eine Rendite auf den Verkehrswert seines Besitzes von 3 bis 4,5 Prozent erzielt. Zusätzlich zu allen Ertragsteuern muss er jetzt noch 5 Prozent Steuern auf das Vermögen zahlen. Bei einer Rendite
von 4 Prozent eine Substanzsteuer von 5 Prozent! Das
kann nur ein vorgezogener Faschingsscherz sein, meine
Damen und Herren.
({8})
Das ist völlig unglaubwürdig.
({9})
Wenn man es nun ernst nimmt, dass den Immobilienbesitzern durch diese Steuer jährlich gleichsam 5 Prozent ihres Vermögens weggenommen werden sollen,
dann ist doch völlig klar, dass diese versuchen werden,
ihre Immobilien sobald wie möglich zu verkaufen. Ob er
einen Käufer finden wird, ist zweifelhaft. Wer kauft
schon ein Renditeobjekt mit 4 Prozent Rendite, wenn er
5 Prozent Steuern zahlen muss? Ob er Einnahmen hat
oder nicht, ist dabei völlig egal. Wenn er niemanden findet, der die Immobilie kauft, wird er dafür sorgen, dass
die Belastung auf die Mieter abgewälzt wird,
({10})
die dann mit hohen Mieterhöhungen rechnen können.
Damit wir wissen, wovon wir reden: Bei einer Refinanzierung der Vermögensteuer in Höhe von 5 Prozent bedeutet das eine glatte Verdoppelung der heutigen Mieten.
Das ist nicht die Sozialpolitik, die die CDU/CSUFraktion sich vorstellt. Sie sollten sich schämen, hier solche Anträge einzubringen,
({11})
durch die die Mieter nur belastet würden. Wir wollen,
dass auch in Zukunft billiger Wohnraum in Deutschland
zur Verfügung gestellt wird.
({12})
Zusätzlich würde es auch ein bürokratisches Monster.
Wir können uns vorstellen, was bei einer Bewertung herauskäme. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Kosten für die Erhebung der Vermögensteuer ein Drittel des
Aufkommens - das ist ausreichend untersucht worden verschlungen haben.
({13})
Jetzt haben wir ein neues Bewertungsgesetz und klare
Regeln des Bundesverfassungsgerichts. Sie glauben
doch nicht, dass es damit günstiger wird. Das Gegenteil
wird der Fall sein. Bei der Erbschaftsteuer ist es vielleicht gerade noch zumutbar, dass alle 30 Jahre ein umständliches und teures Bewertungsverfahren durchgeführt wird. Bei der Vermögensteuer wollen Sie es aber
jährlich stichtagsbezogen, zum 31. Dezember, durchführen.
Nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts müssen Sie die Vermögen erst einmal alle erfassen. Dann
können Sie entscheiden, welche Bereiche Sie aus der
Vermögensteuer herausnehmen oder welche Freibeträge
Sie festlegen. Wenn Sie alle privaten Vermögen in
Deutschland jährlich erfassen und dann Freibeträge festlegen wollen, wünsche ich Ihnen viel Erfolg.
({14})
Dann kommen Sie weit über die Kosten in Höhe von einem Drittel.
Auf jeden Fall wird dieser Vorschlag nicht dazu beitragen, dass weiterhin in Deutschland investiert wird. Im
Gegenteil: Es wird eine Flucht ins steuerbefreite Ausland stattfinden. Die Folgen der Erbschaftsteuer und der
Vermögensteuer sind die gleichen, mit fatalen Auswirkungen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für
die vielen Arbeitnehmer, die in den Familienbetrieben
arbeiten. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({15})
Dieser von den Kommunisten in den Bundestag eingebrachte Antrag ist verfassungswidrig.
({16})
- Da brauchen Sie sich nicht aufzuregen; das Wort
„Kommunisten“ darf in diesem Zusammenhang durchaus gebraucht werden. Ich sehe Sahra Wagenknecht, die
den Antrag mit unterschrieben hat. Auf ihrer Homepage
wird darauf hingewiesen, dass sie die Sprecherin der
Kommunistischen Plattform ist. Wenn Sie sich jetzt von
dem Gedankengut der Kommunistischen Plattform distanzieren, dann nehme ich alles zurück. Aber wer dieses
Gedankengut vertritt, darf sicher Kommunist genannt
werden. Ich bin gerne bereit, Ihre Belehrungen entgegenzunehmen.
({17})
Ich kann Sie, Gregor Gysi und Ihre Fraktion, nur bitten, diesen Antrag zur Einführung einer Vermögensteuer
in Höhe von 5 Prozent zurückzuziehen. Er ist volkswirtschaftlicher Irrsinn. Ansonsten sagen Sie den Bürgern,
was Teile Ihrer Fraktion wirklich wollen. Wenn Sie wollen, dass erfolgreiche Bürger in unserem Land enteignet
werden, dann können Sie das offen aussprechen. Allein
aufgrund der von Ihnen geschätzten 80 Milliarden Euro
Einnahmen ist das mit uns auf keinen Fall zu machen.
Deswegen kann ich Ihnen nur empfehlen: Ziehen Sie
diesen Antrag zurück!
Herzlichen Dank.
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette Kressl für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr von Stetten, ich finde, ein bisschen weniger Ideologie und Panikmache hätte der ernsthaften Auseinandersetzung mit der Sache gutgetan. Ich fand es nicht ganz
angemessen, was Sie heute hier gemacht haben.
({0})
Es war vor allem deshalb nicht angemessen, weil die
Menschen zu Recht von uns verlangen, dass wir uns mit
Fragen bezüglich der Steuersysteme in aller Ruhe und
fachlich auseinandersetzen. Steuersysteme werden - das
müssen wir uns immer wieder klarmachen - von Menschen nur dann akzeptiert, wenn sie das Gefühl haben,
dass es gerecht zugeht und dass Lasten fair verteilt werden. Nur dann wird das Zahlen von Steuern, die wir
brauchen, um zum Beispiel die Bildungschancen zu erhöhen, akzeptiert. Ich bin davon überzeugt, dass die
Auseinandersetzung über die Frage, ob Lasten fair verteilt werden, auch über das Steuersystem, gerade jetzt, in
den Zeiten der Finanzmarktkrise, wichtiger denn je ist.
({1})
Übrigens sind die Überlegungen hinsichtlich fairer
Lastenverteilung, Privilegien und Beteiligung an der Finanzierung des Allgemeinwohls nicht neu. Die Behauptung im Antrag der Linken, dass diese Fragen in den
letzten Jahren nicht berücksichtigt worden seien, ist
wirklich hanebüchen. Sowohl in den Zeiten der Regierung von Gerhard Schröder zusammen mit den Grünen
als auch in Zeiten der Großen Koalition gab es immer
wieder Abwägungen und wurden immer wieder Entlastungen auf der einen Seite mit Verschärfungen und Belastungen auf der anderen Seite verbunden. Ich will Ihnen dazu drei Beispiele nennen: Wenn Sie in Ihrem
Antrag auf die Senkung des Spitzensteuersatzes hinweisen, dann sollten Sie wirklich nicht verschweigen, dass
es die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung
war, die zusammen mit den beiden Fraktionen dafür gesorgt hat, dass der Eingangssteuersatz so deutlich gesenkt worden ist wie nie zuvor in den letzten Jahren.
({2})
Es war die gemeinsame Regierung der Grünen und der
SPD, die dafür gesorgt hat, dass es eine Mindestbesteuerung gab und ein Herunterrechnen auf null nicht mehr
möglich war.
({3})
Auch das kommt in Ihrer Analyse nicht vor. Das halte
ich für einen sträflichen Fehler. Es war die Große Koalition, die bei der letzten Unternehmensteuerreform dafür
gesorgt hat, dass die Entlastung bei den Steuersätzen mit
deutlichen Einschränkungen bei den Gestaltungsmöglichkeiten verbunden war. Wir haben sehr viele Schlupflöcher geschlossen. Wir haben immer auf Ausgewogenheit in diesem Bereich geachtet.
({4})
Wir erleben jetzt allerdings, dass auf Ausgewogenheit
keinen Wert mehr gelegt wird und dass Schlupflöcher
verschämt wieder geöffnet werden. Um ein Bild zu gebrauchen: Dieser Pullover wird Stück für Stück von der
schwarz-gelben Regierung und der Koalition wieder aufgeribbelt. Von Ausgewogenheit kann jetzt natürlich
keine Rede mehr sein.
({5})
Ich empfehle Ihnen dringend, Ihre Wünsche nicht in
Umdrucken zu Gesetzentwürfen zu verstecken, sondern
einen Gesetzentwurf vorzulegen, den Sie Entwurf eines
Wunscherfüllungsgesetzes nennen. Das ist nämlich die
Wahrheit.
({6})
Ich komme zur Lastenverteilung zurück. Herr von
Stetten, Sie sollten einen kurzen Blick auf die Fakten,
die uns die OECD liefert, werfen. Die Vergleiche, die
Sie bei der Belastung durch die Einkommensteuer angestellt haben, können überhaupt nicht gezogen werden.
Sie sprechen die Substanzbesteuerung überhaupt nicht
an. Ich weiß auch, warum; denn wenn wir uns die Daten
anschauen, die im November 2009 von der OECD gekommen sind, dann sehen wir, dass Deutschland deutlich weniger durch die Substanzbesteuerung einnimmt
als fast alle anderen Staaten. Es handelt sich nämlich um
nur 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während der
OECD-Durchschnitt bei 1,9 Prozent liegt. Verstecken
Sie sich also nicht hinter irgendwelchen Einkommensteuerstatistiken. Das ist eine ganz andere Art von Besteuerung.
({7})
Ich möchte den OECD-Bericht zitieren: „Nur Mexiko,
Tschechien, Ungarn und die Slowakei … sowie Österreich erzielen weniger Einnahmen aus dieser Steuerart.“
Dass das unsere Benchmark in dem Bereich sein soll,
glauben wir nicht wirklich.
({8})
Das bedeutet für uns Sozialdemokraten, dass eine
Vermögensteuer sehr wohl ein Instrument zur fairen Besteuerung sein kann. Ich will betonen: ein Instrument.
Die im Antrag der Linken genannten 5 Prozent jährlich
und der Versuch, alle Finanzierungsprobleme damit zu
lösen, halte ich für absurd. Wir müssen bestimmte Rahmenbedingungen beachten. Wir dürfen keine Substanzbesteuerung vornehmen, die zu einer Verminderung von
Vermögen führt.
({9})
Es geht nicht darum, Vermögen wegzunehmen, sondern
es geht um einen fairen Beitrag der Vermögenden bei der
Verteilung von Steuerlasten. Das kann man nicht mit
ideologischen Argumenten zurückweisen, wie Sie, Herr
von Stetten, es getan haben, sondern damit muss man
sich ernsthaft auseinandersetzen.
({10})
Wir müssen im Übrigen auch wahrnehmen, dass sich
die Rahmenbedingungen verändert haben. Erstens. Der
Halbteilungsgrundsatz, der sehr lange gegolten hat, gilt
aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so nicht mehr. Das heißt, diese Rahmenbedingung
hat sich deutlich verändert.
({11})
Zweitens. Auch die Reform der Erbschaftsteuer hat die
Rahmenbedingungen verändert. Diese Belastungen, die
früher im Rahmen einer Panikmache als Verwaltungskosten bezeichnet wurden, werden so nicht mehr anfallen, weil wir aufgrund entsprechender Bewertungsgesetze jetzt andere Ausgangsmöglichkeiten haben. Das
sollte man nicht wegdrücken. Wenn sich Rahmenbedingungen verändern, dann sollte man über die eigene Position ruhig einmal nachdenken. Ich finde, zu einer verantwortungsbewussten Politik gehört, nicht immer wieder
die alten Geschichten zu erzählen, die schon lange nicht
mehr wahr sind.
({12})
Ich will darauf hinweisen, dass sich natürlich auch die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben. Wir wissen mehr denn je, wie wichtig Bildung nicht
nur für unsere Kinder und die Schaffung von sozialer
Gerechtigkeit, sondern auch für unseren wirtschaftspolitischen Erfolg ist. Das Aufkommen aus einer Vermögensteuer könnte dazu beitragen, dass die Länder Bildung
besser finanzieren können. Die Zeit der Bildungsgipfel
haben wir erlebt. Da wurde nur zu Papier gebracht, was
man eigentlich tun müsste, und über Finanzierungsinstrumente wurde nicht ernsthaft geredet. Ich finde, es ist
die Zeit der Bildungsgipfel und die Zeit, konsequent
über Finanzierungsmöglichkeiten zu sprechen und in der
Gesetzgebung entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
({13})
Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, im Rahmen eines Gesamtkonzepts über eine sinnvolle Besteuerung von sehr hohen Vermögen nachzudenken und die
Vermögensteuer als ein mögliches Instrument auf den
Weg zu bringen.
Ich sage es noch einmal - ich habe es vorhin schon erwähnt -: Im vorliegenden Antrag wurde alles richtig hingeschnuddelt; ich muss es so sagen. Mit einem Steuersatz von 5 Prozent will man weit in die Substanz
hineingehen. Auch andere Dinge wurden hingeschnuddelt. Das kann keine Grundlage für eine seriöse Auseinandersetzung mit dieser Frage sein. Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass, wenn jemand sein Vermögen für
die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzt, dies selbst1788
verständlich berücksichtigt werden muss. Es geht nicht
um Neid, sondern um eine faire Verteilung von Lasten
und Chancen in unserer Gesellschaft.
({14})
Wir werden diese Punkte im Rahmen eines steuerlichen Gesamtkonzepts - dahin gehört es nämlich - aufgreifen und die Einführung einer Vermögensteuer einfügen. Ich hoffe, dass wir dann zu einer seriöseren
Diskussion kommen, als wir sie gerade erlebt haben.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
linke Seite dieses Hauses ist sich offensichtlich sehr einig. Sie will jetzt ganz schnell eine Vermögensteuer in
Deutschland einführen. Die Linkspartei hat uns einen
Antrag vorgelegt, der, wie ich finde, nur als Faschingsscherz zu bezeichnen ist; Frau Kollegin Kressl hat das
ein bisschen untermauert. Was Sie da vorhaben, können
Sie nicht ernst meinen. Das kann man nur fordern, wenn
man sicher ist, dass man nie die Verantwortung dafür bekommt, so einen Unsinn umsetzen zu müssen. Es ist
schlicht und einfach nicht machbar, was Sie da fordern.
({0})
Die SPD ist eine große Anhängerin der Vermögensteuer, und zwar immer dann, wenn sie die Regierungsverantwortung verloren hat.
({1})
Ihre Partei hat elf Jahre lang den Bundesminister der Finanzen gestellt. Zu uns hat gerade die ehemalige Staatssekretärin aus dem Bundesministerium der Finanzen gesprochen und uns, nachdem all das nach elf Jahren
Verantwortung der Sozialdemokraten nicht gemacht
worden ist, erklärt, dass das für Deutschland dringend
notwendig sei. Wie kann man sich das erklären?
({2})
Wir sind der Meinung, dass in Deutschland Erträge
gerecht besteuert werden sollen. Wer höhere Erträge hat,
der soll auch einen höheren Anteil finanzieren und höhere Steuern zahlen.
({3})
Das ist unsere Auffassung. Wie kommt man zu höheren
Erträgen? Man erzielt höhere Erträge, indem man eine
wachstumsorientierte Politik macht, damit die Unternehmen auf der Grundlage ihrer Vermögenswerte etwas erwirtschaften können, Arbeitsplätze entstehen können
und der Staat die Gewinne angemessen und gerecht besteuern kann.
Wieso fordern Sie jetzt etwas völlig anderes, als Sie
in der Regierungsverantwortung gemacht haben? Ich erkläre mir das so: Sie haben es in diesen elf Jahren nicht
geschafft, eine wachstumsorientierte Politik umzusetzen.
({4})
Jetzt glauben Sie, Wachstum sei nicht mehr möglich und
man könne den Staat nur noch über eine Substanzbesteuerung finanzieren. Ich sage Ihnen: Man kann eine wachstumsorientierte Politik machen. Die christlich-liberale
Koalition wird dies tun. Wir bleiben bei der Ertragsbesteuerung, weil wir an die Kraft dieses Landes glauben.
Sie haben dieses Land offensichtlich aufgegeben.
({5})
Die Linksfraktion fordert eine Besteuerung der Substanz mit einem Steuersatz von 5 Prozent. Sie sagt, das
sei ganz einfach. Aber Sie legen keine konkreten Vorschläge vor, die man tatsächlich umsetzen könnte.
Sie werfen mehr Fragen auf, als Sie beantworten.
Welches Vermögen wollen Sie konkret besteuern? Nur
Geldwerte oder auch Sachwerte? Ist Opel für Sie ebenfalls ein Millionär? Soll auch dieses Vermögen besteuert
werden? Wollen Sie die Industrie ausnehmen und nur die
kleinen, mittelständischen Betriebe besteuern? Was genau haben Sie vor? Ist auch eine landwirtschaftliche Fläche ein Sachwert? Wollen Sie die ebenfalls besteuern?
Wollen Sie den Bauern in Deutschland jedes Jahr
5 Prozent des Verkehrswertes ihres landwirtschaftlichen
Vermögens abnehmen? Haben Sie das vor? Dann sagen
Sie das konkret. Dann reden wir darüber. Dann reden wir
auch über die Auswirkungen einer solchen Politik für
unser Land. Aber einfach einen Antrag vorzulegen, in
dem gefordert wird, dass 5 Prozent der Vermögenssubstanz von Millionären besteuert werden sollen, damit
seien die Probleme unseres Landes gelöst, das ist, ich
glaube, eine Ebene, auf der wir nicht wirklich sachlich
diskutieren können.
({6})
Die Probleme des Landes sind viel zu groß, um eine derartig alberne Finanzpolitik machen zu können.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU
Ludwig Erhard hat einmal gesagt: Wir brauchen
Wohlstand für alle.
({7})
Das war die Leitlinie erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie glauben, wenn man einigen eine Misere
beschert, dann wäre dem Land insgesamt gedient.
({8})
Es gibt niemanden in Deutschland, der nicht dafür
kämpft, dass es Ärmeren besser geht. Aber wenn Sie
glauben, es ist jemandem geholfen, wenn Sie Leistungsträger, die Erfolgreichen in diesem Land schwächen,
dann sind Sie auf dem falschen Weg.
({9})
Es gibt eine Alternative zu Ihrer Neidpolitik. Die machen Sie immer, wenn Sie in der Opposition sind. Wenn
Sie regieren, wollen Sie davon nichts mehr wissen:
({10})
Die Vermögensteuer sei nie angegangen worden und nie
aufgegriffen worden.
({11})
Kaum sind Sie in der Opposition, sagen Sie: Das wollen
wir.
Dass es eine Alternative zu dieser Politik gibt, zeigt
die christlich-liberale Koalition. Wir haben nämlich - im
Gegensatz zu Ihnen - in dieser Legislaturperiode vor, etwas für die unteren und mittleren Einkommen zu tun.
({12})
Wir wollen die kalte Progression abmildern. Wir wollen
steuerliche Entlastungen. Bereits jetzt haben die Deutschen ein höheres Nettoeinkommen. Während Sie eine
Reichensteuer beschlossen und die kalte Progression
beibehalten haben, kümmern wir uns jetzt um die Versäumnisse und arbeiten sie in dieser Legislaturperiode
Schritt für Schritt ab.
({13})
Sie waren es doch, die nicht davor zurückgeschreckt
sind, die Pendlerpauschale auf verfassungswidrige Weise
zu kürzen.
({14})
Dass die Menschen in den letzten Jahren immer weniger
von ihrem Einkommen übrig hatten, war das Ergebnis
Ihrer Politik.
({15})
Dass die Nettoeinkommen in den nächsten Jahren steigen werden, werden die Früchte der christlich-liberalen
Finanzpolitik sein.
({16})
Sie können das Mantra der Vermögensteuer ruhig
weiterhin singen. Sie können in Ihrem Stadium kreativer
Neidpolitik verharren. In der Zwischenzeit hat Deutschland eine Regierung, die dafür sorgt, dass die Menschen
mehr netto vom Brutto haben,
({17})
dass Leistungsanreize in Deutschland gesetzt werden,
dass die Wachstumskräfte unseres Landes entfesselt
werden, dass die Erträge, die die Unternehmen in
Deutschland erwirtschaften, steigen werden,
({18})
dass das Steueraufkommen, das wir auf diese Erträge erheben, steigen wird - und das bei einer Entlastung der
unteren und mittleren Einkommen. Ich glaube, wir sind
auf einem guten Weg. Wir brauchen diese nicht ganz
ernstzunehmenden Anträge nicht.
Herzlichen Dank.
({19})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt das Wort die Kollegin Lisa Paus von Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Steuerpolitik ist nicht der Umgang mit Zahlen, sondern Steuerpolitik ist Gesellschaftspolitik.“ ({0})
So die Bundeskanzlerin in ihrer ersten Regierungserklärung nach der Wiederwahl.
({1})
Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen. Ein Zehntel unserer Bevölkerung besitzt über 60 Prozent des Vermögens, während ein Viertel unserer Bevölkerung über
nichts bzw. über weniger als nichts, nämlich über Schulden verfügt.
({2})
Die OECD attestiert uns: Nirgendwo in der industrialisierten Welt haben sich in den letzten Jahren die Einkommensunterschiede schneller verschärft als in Deutschland.
({3})
Noch eine Zahl: Mehr als 75 Prozent der Deutschen sind
nach einer GfK-Umfrage der Meinung, es gehe in diesem Land nicht gerecht zu.
({4})
Das sind nur Zahlen, aber sie machen deutlich: In dieser
Republik läuft gesellschaftspolitisch etwas verdammt
schief.
({5})
Und was ist die Antwort von CDU/CSU und FDP?
Statt einer gerechten Steuer von Mövenpick et al. gekaufte Steuergesetze, statt Gesellschaftspolitik politische
Landschaftspflege. Das ist nur als armselig zu bezeichnen.
({6})
Die Finanzkrise hat an der Vermögensverteilung in
Deutschland nichts geändert; so das DIW. Die Reichen
sind dank öffentlicher Rettungsschirme unverändert
reich. Die Finanzkrise hat aber eine neue Zahl hervorgebracht: Die Staatsverschuldung war noch nie so hoch
wie heute; 1 Billion Euro - das sind 1 000 Milliarden Euro - Schulden hat jetzt allein der Bund. Wenn wir
unser Steuer- und Abgabensystem nicht ändern, wenn
wir nicht damit aufhören, nur die Niedrigverdiener und
die arbeitende Mittelschicht zu belasten und die Reichen
nicht zu belasten, dann führt unser ungerechtes System
dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch
schneller auseinanderdriftet.
({7})
Deswegen sagen wir: Außergewöhnliche Krisen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Deshalb ist die
Idee, dass diejenigen, die an den entfesselten Finanzmärkten große Gewinne gemacht haben, auch in besonderem Maß die Kosten der Krise tragen sollen, richtig.
({8})
Deshalb begrüßen wir es, dass der Antrag der Linken zur
Wiedereinführung der Vermögensteuer das Thema auf
die Tagesordnung bringt.
({9})
Der vorliegende Antrag hat aus unserer Sicht aber wenig
belastbare Substanz. Das können wir jedoch im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen weiter erörtern. Herr
Dautzenberg, die Stoßrichtung „mehr Besteuerung von
Vermögen“ ist richtig.
({10})
Wir Grüne haben uns in der aktuellen Situation dafür
ausgesprochen, eine zweckgebundene Vermögensabgabe,
die als Beitrag zur Bewältigung der Krise die hohen Vermögen in einem vertretbaren Maß belastet, einzuführen.
Im Übrigen wäre das nicht das erste Mal. In der Tat, nicht
die FDP, auch nicht die SPD hat das schon einmal gemacht, aber die Regierung Adenauer hat mit dem Lastenausgleichsgesetz eine Vermögensabgabe eingeführt.
({11})
Das war Gesellschaftspolitik in Steuern gegossen.
({12})
Die Zahlen von damals sprechen eine deutliche Sprache:
Ohne den Lastenausgleich hätte es das deutsche Wirtschaftswunder damals niemals gegeben.
({13})
Eine Vermögensabgabe, wie wir sie uns vorstellen,
schließt die Gerechtigkeitslücke, die wir in der Vermögensverteilung in Deutschland haben. Sie bürdet die
Lasten der Krise denen auf, die sie tragen können. Deswegen ist die Erhebung einer Vermögensabgabe keine
populistische Enteignung der sogenannten Leistungsträger unserer Gesellschaft, die deswegen angeblich scharenweise ins Ausland flüchten würden.
({14})
Es ist einfach so: Wer von unregulierten Finanzmärkten
profitiert hat, der steht in besonderer Verantwortung, die
Kosten ihres Zusammenbruchs zu schultern. Wie erklären Sie sich, dass es in diesem Land inzwischen Millionäre gibt, die öffentlich darum bitten, zur Verantwortung
gezogen zu werden, weil sie wissen, dass sie Verantwortung übernehmen müssen und übernehmen können?
Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis!
({15})
Da Sie immer noch von einer Neiddebatte sprechen,
will ich dazu noch eines sagen: Milliardäre und Millionäre scheinen Ihnen von Schwarz-Gelb ähnliche Sorgen
zu bereiten wie die Geldbeutel armer Hotelbarone. Aber
das ist auch in diesem Fall überhaupt nicht nötig. Die
vermögensbezogenen Steuern in Deutschland sind niedriger als in den USA, niedriger als in Luxemburg und
niedriger als in der Schweiz. Auch das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Deswegen ist diese
Vermögensabgabe keine Zumutung, sondern ein wichtiger Baustein, um mehr als ein paar Zahlen wieder ins
Gleichgewicht zu bringen, zum Beispiel das Verhältnis
zwischen öffentlichen Schulden und privater Vermögensverteilung.
Daher werden wir Grünen an diesem Thema weiterarbeiten und einen entsprechenden Antrag in dieses Haus
einbringen.
Herzlichen Dank.
({16})
Frau Kollegin Paus, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/453 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({1}), Jerzy Montag, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({2})
- Drucksache 17/88 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({4})
- Drucksache 17/254 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Cornelia Möhring, Matthias W.
Birkwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({6})
- Drucksache 17/472 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({7})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Volker Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen, dass es im Grundgesetz in Art. 3 Abs. 3 künftig
heißt:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner
Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft,
seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen
Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Es geht darum, die Schwulen, Lesben und Transgender in unserer Verfassung endlich vor Benachteiligungen
zu schützen.
({0})
Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz war so etwas wie die Negation der nationalsozialistischen Selektions- und Verfolgungspolitik. So haben ihn die Väter und Mütter des
Grundgesetzes konzipiert. Aber auch sie waren nicht frei
von Moralanschauungen und Vorurteilen und haben deshalb zwei Gruppen, die Opfer des Nationalsozialismus
waren, vergessen: die Behinderten und die Homosexuellen. Die Behinderten haben wir in der Verfassungsreform
1994 endlich in den Diskriminierungsschutz der Verfassung aufgenommen. Für die Aufnahme von Schwulen,
Lesben und Transgendern gab es damals keine Zweidrittelmehrheit, sondern nur eine einfache Mehrheit. Deshalb
wurde dieses Ziel verfehlt.
Die Geschichte der Schwulen und Lesben im Zusammenhang mit der Verfassung in diesem Land ist sehr widersprüchlich. 1957 hat das Bundesverfassungsgericht
die menschenrechtswidrige strafrechtliche Verfolgung
durch § 175 des Strafgesetzbuchs in nationalsozialistischer Fassung für vereinbar mit dem Grundgesetz
erklärt. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2009 erstmals in einer Entscheidung die Rechte von Lesben und Schwulen aufgrund der Verfassung ausgeweitet hat. Ich denke, es ist
wichtig, dass wir in unserer Verfassung jetzt endlich ein
für alle Mal zum Ausdruck bringen, dass Lesben,
Schwule und Transgender Bürgerinnen und Bürger wie
alle im Lande sind, mit gleichen Rechten, mit gleichen
Pflichten und ohne jeglichen Abstand.
({1})
Das gebieten Respekt und Würde, wie es unsere Verfassung vorsieht.
In Europa haben wir seit dem Amsterdamer Vertrag
eine Klausel, die Maßnahmen der Kommission gegen
Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung erlaubt. Seit 2009 steht in der EU-Grundrechtecharta der
Diskriminierungsschutz für Lesben, Schwule und Transgender. In den Landesverfassungen von Berlin, Brandenburg, Thüringen und Bremen findet sich eine solche
Klausel. Im Saarland wurde vereinbart, die saarländische
Volker Beck ({2})
Verfassung in dieser Legislatur entsprechend zu erweitern.
({3})
Es ist an der Zeit, dass wir als Bundestag auf Bundesebene diese Entscheidungen nachvollziehen.
Es gab im letzten Jahr eine Bundesratsinitiative von
den Ländern Bremen, Hamburg und Berlin, die im Bundesrat leider keine Mehrheit gefunden hat. Welche Argumente wurden von der Gegenseite vorgetragen? Ich
zitiere den Justizminister aus Hessen von der FDP:
Im Interesse einer möglichst schlanken und übersichtlichen Verfassung sollen nur zwingend erforderliche Änderungen des Textes vorgenommen werden. So werden eine Verwässerung und ein damit
einhergehender Bedeutungsverlust durch Überregulierung und die Aufnahme immer neuer Schutzaspekte vermieden.
Etwas hineinzuschreiben, was letztlich schon europäischer Konsens ist, drei weitere Wörter in der Verfassung,
das kann mit solchen Argumenten nicht pariert werden,
({4})
und schon gar nicht von einer Koalition, die verabredet
hat, sie wolle die Selbstverständlichkeit, dass man in
Deutschland Deutsch spricht, ins Grundgesetz schreiben.
Wer sich anschickt, solche Dinge auf den Weg zu bringen, kann beim Schutz vor Diskriminierung wohl nicht
ernsthaft gegen eine Klärung der Sache argumentieren.
({5})
Minister Busemann aus Niedersachsen sagte in der
Bundestagsdebatte:
Vielmehr bedarf es noch verstärkter praktischer gesellschaftlicher Aufklärung, sei es durch die Medien oder durch öffentliche Einrichtungen wie
Schulen, um langfristig jeder Form von Diskriminierung entgegenzuwirken.
Eine Verfassungsänderung lehnt er ab.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Wenn in
Zukunft im Sozialkundeunterricht oder im Politikkurs
über die Grundrechte und das Grundgesetz aufgeklärt
wird, dann soll man auch darüber aufklären, dass eine
Diskriminierung von Lesben und Schwulen verboten ist.
Herr Kollege Beck!
Wenn wir Ausländerinnen und Ausländern in Integrationskursen die Werte unserer Verfassung vermitteln,
dann soll man sagen, dass Lesben und Schwule hier
nicht diskriminiert werden dürfen. Das soll man aber im
Grundgesetz nachlesen können und nicht im 123. Band
der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in
Karlsruhe.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
weiß nicht, wie gut Sie sich in Berlin auskennen. Ich selber habe meinen Wahlkreis in Berlin-Tempelhof/Schöneberg. Der Stadtteil Schöneberg ist bekannt dafür, dass
er, vielleicht mit Ausnahme von Köln, die höchste Konzentration von Schwulen und Lesben in ganz Deutschland hat. Ich weiß daher um die Probleme, denen
Schwule und Lesben in der gesellschaftlichen Realität
begegnen.
Ja, es gibt Diskriminierung, und es gibt Anfeindungen
und Übergriffe gegen Homosexuelle, und das nehme ich
sehr ernst. Lassen Sie mich deswegen gleich zu Anfang
meiner Rede klar und unmissverständlich formulieren:
Das Ziel, das Anliegen, das mit dem vorgelegten Antrag
verfolgt wird, teile ich uneingeschränkt.
({0})
Deutschland ist ein modernes und weltoffenes Land.
Eine Diskriminierung von Anderslebenden oder Andersliebenden ist nicht akzeptabel, und wir nehmen sie nicht
hin.
({1})
Die Frage ist allerdings: Was können wir dagegen tun?
Brauchen wir, wie die Opposition es vorschlägt, eine
Verfassungsänderung, um Diskriminierung wirksam begegnen zu können?
({2})
Meine Damen und Herren, wenn Sie eine ehrliche Bestandsaufnahme machen, werden Sie feststellen: Es gibt
bereits einen umfassenden Schutz. Das Grundgesetz
selbst gewährleistet die sexuelle Selbstbestimmung, und
das nicht nur durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Es ist vor allen Dingen der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1, der vor Diskriminierung schützt.
({3})
Er besagt bekanntlich, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Es ist schlicht unrichtig, wenn Sie in
Ihrem Antrag behaupten, dass dieser Artikel keinen ausreichenden Schutz gewährt.
({4})
Ihr Versuch - auch der Herr Kollege Beck hat das gerade
wieder angeführt -, diese Behauptung durch Verweis auf
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre
1957 zu belegen, geht an der Sache vorbei.
({5})
Damals hat das Bundesverfassungsgericht - das ist richtig - die Strafbarkeit der sexuellen Unzucht zwischen
Männern nach § 175 StGB noch als verfassungsgemäß
eingestuft.
({6})
Zum Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter hat es seinerzeit ausgeführt:
Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende
und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hinnahme bereite Funktion hin.
Anders als der Mann würde
die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper
daran erinnert, daß das Sexualleben mit Lasten verbunden
sei. Damit möge es zusammenhängen,
daß bei der Frau die körperliche Begierde ({7}) und zärtliche Empfindungsfähigkeit ({8})
fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt
bleiben.
Meine Damen und Herren, Sie wollen doch nicht
ernsthaft behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht
auch heute noch in einer solchen Art und Weise argumentieren würde!
({9})
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das belegt die
jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
- der Kollege Beck hat es angesprochen -, in der das
Bundesverfassungsgericht die Reichweite des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes noch einmal verdeutlicht
hat. Danach ist bei der Prüfung von Ungleichbehandlungen ein strenger Kontrollmaßstab anzulegen, wenn die
Ungleichbehandlung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, die denen von Art. 3 Abs. 3 vergleichbar sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die
Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft bei der Hinterbliebenenversorgung mit
Art. 3 Abs. 1 nicht in Einklang steht. Das Gericht bestimmt also den Schutzinhalt von Art. 3 Abs. 1 genau so,
als ob das Merkmal der sexuellen Identität in Art. 3
Abs. 3 ausdrücklich genannt wäre. Insofern ist das, was
Sie hier mit Ihrem Antrag erreichen wollen, nämlich
dass der einfachrechtliche Gesetzgeber durch das Grundgesetz eine klare und verbindliche Vorgabe erhält, bereits immanenter Bestandteil der Verfassung.
({10})
Das spiegelt sich auch in den umfangreichen einfachrechtlichen Vorschriften wider, die eine Diskriminierung
aus Gründen der sexuellen Identität ausdrücklich verbieten: im Beamtenrecht, im Arbeitsrecht oder nach dem
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Man sieht: Es
kommt nicht allein auf den Text der Verfassung an, sondern auf die gelebte Verfassungswirklichkeit. Ich glaube
nicht, dass der Deutsche Bundestag, also wir alle miteinander, Nachhilfe in Sachen Diskriminierungsschutz benötigt.
({11})
Im Übrigen lohnt es sich - das hat Kollege Beck auch
schon angeführt -, einen Blick nach Europa zu werfen.
Nicht nur nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte wird ein entsprechender Schutz gewährt; auch die Verträge sowie Art. 21 der
Grundrechtecharta zählen die sexuelle Ausrichtung
ausdrücklich zu den Merkmalen, bei denen das Diskriminierungsverbot gilt. All diese Regelungen sind in
Deutschland unmittelbar geltendes Recht, nach der
Rechtsprechung des EuGH sogar mit Anwendungsvorrang gegenüber unserer Verfassung.
Wieso also eine Verfassungsänderung, wenn die sexuelle Ausrichtung gemäß europäischer Vorgaben ausdrücklich als ein Merkmal benannt wird, bei dem das
Diskriminierungsverbot gilt? - Sie schweigen, weil Sie
wissen, dass es tatsächlich keine Notwendigkeit und
keine Rechtfertigung für eine Änderung der Verfassung
gibt.
({12})
- Sie können sich hier jetzt aufregen. Ich weiß natürlich,
dass Sie diesen Antrag auch nutzen wollen, um vor allen
Dingen uns von der Union in eine bestimmte Ecke zu
drängen: in die Ecke einer Partei mit antiquierten, verstaubten und überkommenen Wertvorstellungen.
({13})
Herr Kollege Luczak, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Bitte schön.
Bitte, Herr Beck.
Vielen Dank. Ich finde es sehr gut, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen, obwohl dies Ihre erste Rede ist. Wenn das alles so selbstverständlich ist, wie Sie sagen,
wie kommt es dann, dass wir zum Beispiel beim Lebenspartnerschaftsgesetz, im Steuerrecht, bei der Frage der
Beamtenversorgung immer noch ungleiches Recht haben?
({0})
Wie kommt es, dass die Koalition im Dezember im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz den Antrag ablehnen konnte, beim Erbschaftsteuerrecht endlich die gleichen Tarife für homosexuelle
Lebenspartnerschaften einzuführen, wie sie bei Ehegatten gelten? Wenn das alles so selbstverständlich wäre,
wie Sie behaupten, hätte es für Sie selbstverständlich
sein müssen, im Dezember unserem Änderungsantrag
zuzustimmen.
({1})
Herr Kollege Beck, vielen Dank für die Zwischenfrage. Wenn Sie mir noch einige Sekunden zugehört hätten, hätte ich dazu etwas gesagt. - Wenn Sie einen Blick
in unseren Koalitionsvertrag werfen,
({0})
dann werden Sie feststellen, dass dort ausdrücklich steht:
Die christlich-liberale Koalition will „gleichheitswidrige
Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen“ und die bestehenden Schutzlücken, zum Beispiel im Bereich des
öffentlichen Dienstes, schließen. Das werden wir umsetzen.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle eines betonen: Es bleibt
beim Grundsatz des Art. 3 Abs. 1: Gleiches wird gleich
behandelt. Soweit Sachverhalte aber ungleich sind, erlaubt unsere Verfassung Differenzierungen. Auch daran
hält die Union fest.
({2})
So berechtigt das Anliegen in dieser Sache auch ist:
Das, was die Opposition mit diesem Antrag macht, ist
nichts weiter als Schaufensterpolitik. Sie wissen sehr genau, dass mit einer solchen Änderung der Verfassung unmittelbar gar nichts bewirkt würde. Wir brauchen also
keine theoretischen Debatten, sondern praktische Ansätze. Wir müssen gesellschaftliche Akzeptanz schaffen.
Wir brauchen Aufklärungsarbeit in den Schulen und
müssen diejenigen stärken, die Zivilcourage zeigen,
wenn sie sich für Menschen erheben, die wegen ihrer
sexuellen Identität angefeindet werden. Das alles bewirkt weit mehr, als eine Änderung der Verfassung,
wenn wir sie hier beschließen würden, bewirken könnte.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Unsere Verfassung hat sich in den letzten 60 Jahren bewährt. Wir sollten sie achten. Ich sage ganz bewusst: Wir sollten sie
mehr achten. Das Grundgesetz ist seit seinem Inkrafttreten im Jahre 1949 nicht weniger als 57-mal geändert
worden. Das hat die Lesbarkeit und Verständlichkeit der
Verfassung nicht eben verbessert. Sehen Sie sich nur einmal die Regelungen zur Schuldenbremse an. Egal wie
richtig sie in der Sache sind, verständlich sind sie in vielen Bereichen nicht. Ich erinnere auch an die Diskussion
um die Reform der Jobcenter.
Ich bin froh, dass wir nun nicht den Weg gehen wollen, die Verfassung an die Politik anzupassen; denn Politik hat sich nach den Vorgaben der Verfassung zu richten, nicht umgekehrt.
({3})
Jetzt kommen Sie aber bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Ich kann also festhalten:
Durch unsere Verfassung wird bereits ein umfangreicher
Schutz gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen
Identität gewährleistet. Es gibt eine Fülle von einfachrechtlichen Vorschriften, mit denen solchen Diskriminierungen wirksam begegnet wird. Auch durch das
Unionsrecht werden Ungleichbehandlungen verbindlich
verboten.
Lassen Sie mich deshalb mit den Worten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier,
schließen:
Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass …
das Grundgesetz … die beste Verfassung ist, die
Deutschland je hatte.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Die Union will,
dass dies auch so bleibt.
({0})
Wir wollen deshalb keine Verunklarung des Verfassungstextes durch neue Inhalte, durch die kein Mehr an
Schutz geboten wird und die daher nicht erforderlich
sind. Deswegen spricht sich die Union auch gegen die
beantragte Änderung des Grundgesetzes aus.
Danke schön.
({1})
Herr Kollege Luczak, auch Ihnen gratuliere ich im
Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag. Ich mache Sie aber gleich darauf aufmerksam, dass Sie bei Ihrer nächsten Rede nicht einen so großen Zeitzuschlag erhalten.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht von
der SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Woche, am Mittwoch, haben wir hier im Plenarsaal der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, und wir
sind von den Rednern gemahnt worden, Verantwortung
zu übernehmen: Verantwortung nicht für das Geschehene, sondern Verantwortung dafür, dass solche Verbrechen, wie sie unter der Naziherrschaft geschehen sind, in
unserem Land nicht wieder vorkommen.
Genau dieser Verantwortung stellen wir uns mit diesem Antrag. Deswegen geht es nicht darum, die Verfassung aufzublähen und das Grundgesetz unübersichtlich
zu machen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen.
({0})
- Ich werde Ihnen gleich erklären, was für ein passender
Vergleich das ist.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben genau
aus dieser Verantwortung heraus in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz genau die Merkmale aufgezählt, die Ursache bzw.
Grund für die Verfolgung der Menschen waren. Alle
Merkmale, die damals dazu geführt haben, dass Menschen zu Opfern wurden, sind aufgeführt worden, bis auf
zwei - das ist schon angeführt worden -: die Behinderung und die sexuelle Identität. Genau diese beiden
Merkmale, die viele Menschen zu Opfern des Nationalsozialismus werden ließen, werden in Art. 3 nicht aufgezählt.
Eines dieser Merkmale ist 1994 im Zuge der Wiedervereinigung ergänzt worden. Damals wurde das Merkmal Behinderung mit aufgenommen, weil es die ganz
klare Ansage gab: Wir wollen in Zukunft nicht mehr
dafür stehen, dass eine Diskriminierung Behinderter
möglich ist. Wir wollen von staatlicher Seite ein entsprechendes Signal geben. - Es war richtig so, dass das
Grundgesetz damals entsprechend ergänzt wurde.
({1})
Aus genau dem gleichen Grund wäre es mehr als angebracht - die Mahnung der Opfer vom Mittwoch muss
Ihnen doch noch präsent sein -, dass wir uns auch jetzt
der Verantwortung stellen und das letzte noch fehlende
Merkmal von Opfern des Nationalsozialismus, nämlich
die sexuelle Identität, aufnehmen.
({2})
1994 gab es dafür bereits eine Mehrheit, aber leider
keine Zweidrittelmehrheit, sonst wäre das Merkmal
heute schon längst aufgenommen. Wir haben jetzt die
Möglichkeit - es gibt ja auch entsprechende Länderinitiativen; das ist kein rot-rot-grüner Gedanke, sondern das
kommt ja auch aus Ländern, in denen die CDU an der
Regierung beteiligt ist -, dieser Verantwortung, der wir
uns stellen wollen, auch dadurch gerecht zu werden, dass
wir drei Worte in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz aufnehmen,
nämlich: die sexuelle Identität.
Herr Luczak, wenn das stimmt, was Sie sagen, dass
wir nämlich Art. 3 Abs. 3 eigentlich gar nicht brauchen,
dann könnten wir ihn ja streichen. Es gäbe dann
Art. 3 Abs. 1, und damit wäre die Sache erledigt. So einfach ist es aber nicht, und das wissen Sie auch. Sie wehren sich lediglich noch aus ideologischen Gründen gegen
eine solche Aufnahme. Das finde ich wirklich unerträglich.
({3})
Ich finde es unerträglich, in Feierstunden zu nicken,
wenn wir gemahnt werden, Verantwortung zu übernehmen, und später mit fadenscheinigen Gründen ein einziges Merkmal nicht ins Grundgesetz aufzunehmen, wenn
man dies tun könnte. Ich finde, so etwas kann man auch
bei einer ersten Rede nicht durchgehen lassen.
({4})
Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie
uns in den anstehenden Ausschussberatungen darüber
reden, wie wichtig es wäre, wenn unser Staat ein entsprechendes Signal geben würde.
Ich setze große Hoffnung in die FDP. Die Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hat dieses Jahr
die Schirmherrschaft für den Christopher Street Day
übernommen und hat damit auch eine gewisse Verantwortung diesem Thema gegenüber. Ich kann sie nur auffordern: Nehmen Sie diese Verantwortung entsprechend
wahr! Lassen Sie es nicht durchgehen, dass die Möglichkeit vertan wird, ein solch wichtiges Signal auch in die
ganze Welt zu senden, dass wir uns der Verantwortung
aus der Vergangenheit stellen. Lassen Sie uns sachlich
miteinander diskutieren und diesen Schritt gehen! Ich
glaube, das würde dem Ansehen Deutschlands guttun.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Buschmann von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir debattieren heute über eine mögliche
Änderung des Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes.
Dieser Grundrechtekatalog ist für uns Liberale das Herz
unserer Verfassung. Deshalb haben Anliegen mit dem
Ziel, daran Änderungen vorzunehmen, für uns, wenn Sie
den Vergleich erlauben, immer etwas von einer Operation am offenen Herzen.
Solche Eingriffe darf man nicht leichtfertig vornehmen. Für uns als Liberale - das ist meine feste Überzeugung - ist es nur dann angemessen, einzugreifen, wenn
es grundrechtliche Schutzlücken gibt, die wir schließen
müssen.
({0})
Bei Ihrem politischen Anliegen, das Sie mit Ihrem
Antrag verfolgen, ist Ihnen bewusst, dass Sie bei uns als
FDP-Fraktion immer dann große Sympathie erfahren,
wenn es darum geht, einen wirksamen Beitrag dazu zu
leisten, dass Menschen ihre sexuelle Identität in
Deutschland frei leben dürfen. Das wissen Sie auch deshalb, weil keine andere politische Kraft in der Geschichte unseres Landes so viel für dieses Anliegen getan hat wie die FDP-Fraktion.
({1})
Wir haben 1973 mit Ihnen zusammen den Anwendungsbereich des § 175 StGB minimiert und diesen dann
1994 mit der Union abgeschafft. Wir haben in den Koalitionsvertrag mit der Union aufgenommen, dass die Diskriminierung im Steuerrecht für gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften beseitigt wird.
({2})
Wir haben in den Koalitionsvertrag aufgenommen und
werden es auch in Kürze umsetzen, dass die ehe- und familienrechtlichen Regelungen im Beamtenrecht auf die
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften übertragen werden.
({3})
Wir werden die Magnus-Hirschfeld-Stiftung einrichten,
die sich gegen Diskriminierung wendet, und wir werden
das Transsexuellengesetz auf die Höhe der Zeit bringen.
({4})
Selbst die CSU bzw. die bayerische Staatsregierung
haben wir davon überzeugt, dass Homosexuelle fürsorgliche Stiefeltern sein können. Deshalb hat die bayerische
Staatsregierung ihre Klage gegen das Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zurückgezogen.
({5})
Kurzum: Auf die FDP ist Verlass, egal wann, egal wo
und egal mit wem. Wir sorgen für Fortschritt in der Sache für die Menschen.
({6})
Daran können Sie von der SPD sich ein Beispiel nehmen. „Kannste was lernen“, um mit den Worten Bertolt
Brechts zu sprechen. All die bleiernen Jahre in der Großen Koalition, in der auch Sie in Regierungsverantwortung standen und etwas hätten tun können, haben Sie immer gesagt: Wir würden ja gerne, aber die böse Union
lässt uns nicht.
Wir haben es zusammen mit der Union geschafft.
({7})
Das ist also möglich. Wir halten Wort. Nehmen Sie sich
daran bitte ein Beispiel!
({8})
Bei aller Sympathie für das Anliegen: Auch für die im
Antrag geforderte Grundgesetzänderung gilt der Prüfungsmaßstab, den ich eingangs erwähnt habe: Es ist
nämlich die Frage zu stellen, ob es eine Schutzlücke
gibt, die wir schließen müssen. Diese Frage ist zu verneinen. Denn in Deutschland fehlt es nicht am verfassungsrechtlichen Schutz der sexuellen Identität.
Sie alle kennen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli letzten Jahres. Darin hat das
Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aus Art. 3
Abs. 1 Grundgesetz einen entsprechenden grundrechtlichen Schutz abgeleitet, und zwar auf demselben Schutzniveau wie bei Art. 3 Abs. 3. Das ist kein Zufall.
Wenn hier so getan wird, als ob das eine volatile
Rechtsprechung sei, die jederzeit umkippen könnte,
dann machen Sie den Betroffenen nur Angst. Denn Sie
alle wissen, dass das Bundesverfassungsgericht nie wieder zu einer Entscheidung wie zu der von 1957 käme.
Das wissen auch Sie, Herr Beck - Sie schreiben es sogar
auf Ihrer Internetseite -, weil es Ihnen ja in Ihrem eigenen Seminar zu diesem Thema erklärt worden ist.
({9})
Wir haben auch neue Erkenntnisquellen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt sich zum Beispiel an Art. 21
Abs. 1 der Grundrechte-Charta an. Das Bundesverfassungsgericht zieht die Rechtsprechung des EGMR heran. Eine solche Entscheidung wie die von 1957 ist heute
undenkbar und kann nie wieder passieren. Wer etwas anderes behauptet, macht den Menschen Angst, um politisches Kapital daraus zu ziehen.
({10})
Kurzum: Es wäre lediglich von symbolischer Wirkung, die vorgeschlagene Ergänzung vorzunehmen.
Aber eine bloß symbolische Wirkung reicht uns nicht für
eine Operation am offenen Herzen, nicht für einen Eingriff in den Grundrechtekatalog unseres Grundgesetzes.
Zugleich reichen wir Ihnen aber die Hand, um die eigentliche Baustelle abzuarbeiten. Die eigentliche Baustelle ist, auf der einfachrechtlichen Ebene mögliche
Unterschiede zu identifizieren und zu beseitigen. Hier
haben wir die Möglichkeit, unser Land toleranter, offener und liberaler zu gestalten. Ich würde mich freuen,
wenn Sie sich konstruktiv einbringen würden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Herr Kollege Buschmann, ich gratuliere im Namen
des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Bundestag.
({0})
Ich bitte Sie aber, jetzt noch ein bisschen aufmerksam
zu bleiben, weil sich die Frau Kollegin Lambrecht zu einer Kurzintervention gemeldet hat, auf die Sie erwidern
dürfen.
Bitte schön, Frau Kollegin Lambrecht.
Bei allem Respekt, dass das Ihre erste Rede ist, Herr
Buschmann: Ich glaube, was Recht ist, muss auch Recht
bleiben. Es war keineswegs die FDP, die in diesem
Hause für die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gekämpft hat. Es war Rot-Grün. Die FDP ist
zum damaligen Zeitpunkt - da Sie neu dabei sind, können Sie das vielleicht nicht wissen; aber offensichtlich
haben Sie sich auch nicht die Mühe der Recherche gemacht - sogar vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil sie die Verfassungswidrigkeit der Regelung
festgestellt haben wollte.
Darüber hinaus bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen,
dass es nicht die FDP war, die die Union zu der Einsicht
gebracht hat, dass man eine Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit der Ehe in bestimmten Teilbereichen akzeptieren muss, sondern es
war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Daher
bitte ich Sie, diese Tatsachen auch bei Ihrer ersten Rede
zur Kenntnis zu nehmen und das, was Sie behauptet haben, nicht einfach so stehen zu lassen.
({0})
Herr Kollege Buschmann zur Erwiderung, bitte.
Ich mache es ganz kurz.
({0})
Selbstverständlich hat die FDP immer die Vorreiterrolle
übernommen. Ich möchte Sie nicht daran erinnern müssen, dass es der sozialdemokratische Bundeskanzler
Helmut Schmidt ist, dem ein Diktum nachgesagt wird,
das an diskriminierendem Inhalt nicht zu überbieten ist.
({1})
Sie alle wissen, was ihm nachgesagt wird. Ich erlaube
mir, dieses Zitat nicht zu wiederholen. Die SPD hat sich
an ganz vielen Stellen verweigert. Die FDP war stets die
treibende Kraft.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Buschmann, so mancher überhebliche Reiter ist
schon vom Pferd gefallen. Nur zu Ihrer Information: Im
September 1991 hat die damalige Gruppe der PDS/Linke
Liste als Erste die Diskussion über die ersatzlose Streichung des § 175 StGB angestoßen. Dass wir heute in
erster Beratung über drei gleichlautende Gesetzentwürfe
der Oppositionsfraktionen sprechen, ist natürlich auch
Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses. Das muss
man zur Kenntnis nehmen.
({0})
Es geht nicht darum, wer sich welche Orden an die Brust
heften kann.
Es geht um den Schutz, den Respekt und die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Transsexuellen, Transgendern, Bisexuellen, Intersexuellen und natürlich von
heterosexuellen Frauen und Männern. Es geht um den
Schutz der sexuellen Identität. Engagierte Lesben und
Schwule haben es erneut auf die politische Agenda gesetzt. Sie sind dabei von Politikerinnen und Politikern aller Parteien unterstützt worden. Ole von Beust hat im
Oktober im Bundesrat darüber gesprochen. Vom Münsteraner CDU-Oberbürgermeister, Berthold Tillmann, bis
zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Theo
Zwanziger, reicht die Unterstützung.
Das ist bemerkenswert. Er hat sein Engagement in
den letzten Tagen wiederholt, er als Chef des Deutschen
Fußball-Bundes, der letzten „Bastion des heterosexuellen Mannes“; denn hier weiß Mann, was Diskriminierung bedeutet.
({1})
Ich erlaube, Theo Zwanziger zu zitieren:
Ich habe in letzter Zeit mit einigen Leuten geredet,
die in dieser Situation sind, und sie haben mir vermittelt, weshalb sie sich nicht outen wollen.
Es hängt damit zusammen, dass für einen Homosexuellen im Fußball die persönlichen Bindungen, die
Freude am Sport und auch das Geldverdienen verloren gehen können, wenn er sich outet.
Das ist immer noch gesellschaftliche Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Schwule Fußballprofis heiraten dann eben mal zum
Schein und versuchen alles Mögliche. Es nutzt eben
nichts, dass es inzwischen lesbische Politikerinnen und
schwule Politiker, homosexuelle Fernsehjournalistinnen
und -journalisten oder vielleicht Künstler gibt. In der gesellschaftlichen Realität gibt es immer noch keine vollständige Gleichstellung.
Auch wenn der Deutsche Bundestag mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz einen umfassenden
Diskriminierungsschutz beschlossen hat und auch wenn
im vergangenen Jahr das bekannte Urteil ergangen ist,
nutzt dies nichts. Wir sind dennoch in der Verantwortung, hier Art. 3 des Grundgesetzes zu ändern. Dies hätte
verschiedene Wirkungen. Die rückholende Wirkung
nach hinten, die den § 175 betrifft, wurde schon genannt.
Es geht aber auch um die Frage einer Normsetzung nach
vorn, sowohl für den rechtlichen Bereich - dies hätte unmittelbare Wirkungen; das wissen Sie - als auch für den
außerrechtlichen Bereich. Wir halten es für notwendig,
hier tatsächlich eine Norm zu setzen.
In der Debatte hier spielte es mehrmals eine Rolle,
dass kaum noch offene Diskriminierungen vorkommen.
Im Bundesrat gibt es jetzt die Initiative dreier Länder;
Brandenburg hat sich angeschlossen. In einigen Bundesländern steht der Schutz schon in der Landesverfassung.
Aber schauen Sie sich die Realität an!
In Thüringen steht es in der Landesverfassung. Aber
wenn sich dort ein schwules oder lesbisches Paar, vielleicht im schönsten Weiß, eintragen lassen will, muss es
zum Ordnungsamt gehen und steht dann mit Leuten in
einer Reihe, die vielleicht Geld bezahlen müssen, weil
sie falsch geparkt haben. Ist das würdevoll?
Das Antidiskriminierungsgebot steht dort in der Verfassung; es wird aber nicht umgesetzt. Jetzt hat die Fraktion Die Linke im Landtag in Thüringen eine Möglichkeit, dagegen zu klagen; wir tun es und hoffen, dass dann
die Diskriminierung beseitigt wird.
({3})
Die Grundgesetzänderung, die wir verlangen und für
die die einfache Mehrheit schon vorhanden war, ist jetzt
notwendig. Für sie ist es Zeit, und sie steht uns allen einfach gut zu Gesicht, über alle politischen Parteien hinweg. Deshalb sollten wir das schnell und sachlich erledigen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stephan Harbarth
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Debatte ist unnötig. Die von der Opposition vorgeschlagene Verfassungsänderung ist überflüssig. Der
Bundesrat hat sie deshalb bereits völlig zu Recht abgelehnt,
({0})
und CDU/CSU werden sie auch im Deutschen Bundestag aus diesem Grunde völlig zu Recht ablehnen.
({1})
Über Fraktionsgrenzen hinweg eint uns das Ziel, gesellschaftliche Minderheiten zu schützen. Über Fraktionsgrenzen hinweg werben wir gemeinsam für Toleranz und wenden wir uns gemeinsam gegen die
Diskriminierung von Teilen unserer Gesellschaft. Über
Fraktionsgrenzen hinweg verurteilen wir gemeinsam die
Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen
Identität.
Die christlich-liberale Koalition hat dies in ihrer Koalitionsvereinbarung sehr deutlich herausgestellt. Die
Koalitionsvereinbarung sieht vor, dass die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten eingetragener Lebenspartnerschaften verbessert wird. Sie sieht vor, dass die
familien- und ehebezogenen Regelungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Lebenspartnerschaften erstreckt werden. Sie sieht vor, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abgebaut werden.
Das sind die Themen, an denen wir arbeiten müssen,
nicht an Schaufensterprojekten, wie Sie sie heute präsentieren, meine Damen und Herren.
({2})
Heute geht es nicht um die Frage: Wer ist gegen Diskriminierung? Heute geht es vielmehr um die Frage:
Brauchen wir eine Änderung des Grundgesetzes? Unser
Grundgesetz ist das Fundament unserer staatlichen Ordnung.
({3})
Deshalb sollten wir nicht leichtfertig nach Änderungen
des Grundgesetzes rufen. Wir sollten nur dort Hand ans
Grundgesetz anlegen, wo dies inhaltlich notwendig ist.
Dies ist hier eindeutig nicht der Fall.
({4})
Wer unsere Verfassung als Ort für Symbolpolitik ansieht, wer unsere Verfassung als Versandhauskatalog zur
Erfüllung politischer Wünsche betrachtet, der entwertet
unsere Verfassung.
({5})
Genau das wollen wir nicht.
({6})
Schon heute ist klar: Wer andere diskriminiert, wer
andere wegen ihrer sexuellen Identität in die gesellschaftliche Ecke drängt, wer andere wegen ihrer sexuellen Identität beleidigt, der verstößt schon heute gegen
geltendes Recht. Diese Entscheidung unserer Rechtsordnung ist richtig. Unsere Verfassung enthält schon heute
klare Vorgaben gegen Diskriminierung. Das im Grundgesetz verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt
die persönliche Lebenssphäre. Es schützt damit auch die
sexuelle Identität und die sexuelle Orientierung eines
Menschen. In Art. 3 des Grundgesetzes ist es in Stein gemeißelt:
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Dieser Maßstab bindet die öffentliche Gewalt und wirkt
weit darüber hinaus in wichtige Teile unserer Privatrechtsordnung hinein.
Vor Diskriminierung schützt aber nicht nur das
Grundgesetz. Vor Diskriminierung schützt zugleich unser einfaches Gesetzesrecht: im Arbeitsrecht, im Beamtenrecht, im Sozialrecht und ebenso in weiteren Rechtsgebieten. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
wird sogar als Gesetzesziel ausdrücklich genannt, Benachteiligungen wegen der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen. Der Befund ist also eindeutig:
Unser Grundgesetz und unsere einfachen Gesetze schützen klar und wirksam vor Diskriminierung.
Sollten Gesetze den Vorgaben unserer Verfassung einmal nicht entsprechen, dann ist die Rechtsprechung gefordert. Wir sehen: Die Rechtsprechung erfüllt ihre Aufgabe zuverlässig und gewissenhaft. Dies belegt das
jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli
vergangen Jahres zur betrieblichen Hinterbliebenenrente.
Herr Kollege Harbarth, obwohl das Ihre erste Rede
ist, möchte Ihnen Herr Beck gerne eine Zwischenfrage
stellen.
Herr Kollege Beck hatte heute schon genug Gelegenheit, sich zu produzieren. Ich möchte gerne in meiner
Rede fortfahren.
({0})
Der Beschwerdeführer hatte die Ungleichbehandlung
von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenrente gerügt. Das
Bundesverfassungsgericht hat ihm gerade nicht gesagt:
Es tut uns leid, aber Art. 3 des Grundgesetzes hilft hier
nicht weiter. - Vielmehr hat es dem Beschwerdeführer
recht gegeben, und zwar ohne dass es dazu die von Ihnen
vorgeschlagene Verfassungsänderung benötigt hätte. Der
allgemeine Gleichheitssatz des Grundgesetzes „Alle
Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ war als Grundlage völlig ausreichend. Damit ist klipp und klar: Kein
einziges der Argumente, die heute vorgetragen wurden,
rechtfertigt eine Verfassungsänderung.
Sie berufen sich zur Begründung Ihres Gesetzentwurfs auf das Unrecht, das Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund ihrer sexuellen Identität
widerfahren ist. Gewiss, das erlittene Unrecht ist Verpflichtung zu wirksamem verfassungsrechtlichen Schutz
vor einer Wiederholung solchen Unrechts. Aber genau
dies leistet das Grundgesetz schon heute. Genau dies
leistet auch unsere Verfassungswirklichkeit schon heute,
wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
belegt.
({1})
Sie berufen sich weiterhin auf die bewusstseinsprägende Wirkung einer Grundgesetzänderung. Aber Bewusstseinsprägung - lassen Sie sich das gesagt sein - ist
nicht die wesentliche Aufgabe einer Verfassung. Das ist
vielmehr Aufgabe aller, die sich im Sinne gesellschaftlicher Ziele einsetzen, also Aufgabe von uns allen. Deshalb sollten wir engagiert für unsere gesellschaftlichen
Werte eintreten. Aber wir sollten am Grundgesetz nicht
leichtfertig herumbasteln. Das sind wir unserer so erfolgreichen Verfassung schuldig.
Dass Sie vonseiten der Opposition wieder einmal
nach einer Verfassungsänderung rufen, entspricht Ihrem
Politikansatz: Sie entdecken ein Übel und wollen es verbieten. Das ist bequem und lässt sich in Presseerklärungen gut verkaufen. Die Philosophie „Ich mache ein Gesetz, und die Welt wird ein besserer Ort“ ist aber zu
dünn.
({2})
Deshalb machen Sie es sich mit Ihrem Gesetzentwurf zu
einfach.
({3})
Das klare öffentliche Wort und die Zivilcourage eines
jeden Einzelnen sind gefragt, nicht die Änderung des
Grundgesetzes. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.
Herzlichen Dank.
({4})
Herr Kollege Harbarth, auch Ihnen gratuliere ich im
Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Für Sie gilt ebenfalls, dass Sie weiterhin aufmerksam
sein sollten; denn der Kollege Beck hat eine Kurzintervention beantragt. Er erhält jetzt die Gelegenheit dazu.
Bitte schön, Herr Beck.
Herr Kollege Harbarth, bislang beschränkte sich die
Zivilcourage der Unionsfraktion eigentlich darauf, alle
Anträge und Vorstöße zur Gleichstellung von Lesben
und Schwulen im Bundestag abzulehnen. Das haben wir
in den letzten Jahrzehnten immer wieder erfahren.
Sie haben hier wortreich erklärt, wie man Verfassungsrechtsänderungen diskutieren sollte: Es soll keine
Klarstellungen im Text geben, und es soll auch keine
symbolische Bedeutung haben. - Ich habe gehört, dass
Sie in der Koalition vereinbart haben, „Deutsch“ ins
Grundgesetz zu schreiben. Dazu gibt es eine Beschlusslage der CDU Deutschlands - auf Antrag des Landesverbands Saar -, die folgenden Wortlaut hat:
Die CDU Deutschlands setzt sich für die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz ein.
Dies soll durch einen Zusatz in Artikel 22 des
Grundgesetzes erfolgen, mit dem Wortlaut:
- man beachte das, weil der Satz zahlreiche neue Erkenntnisse enthält „Die Sprache der Bundesrepublik ist
- raten Sie! Deutsch“.
Wie wird das vom Landesverband der CDU begründet? Es heißt da:
Durch die Erhebung der deutschen Sprache in den
Verfassungsrang machen wir deutlich, welche Bedeutung und Wertschätzung wir unserer Sprache
einräumen.
Durch die Erhebung des Diskriminierungsschutzes
für Lesben und Schwule in den Verfassungsrang wollen
wir deutlich machen, dass der Respekt vor der Würde aller Menschen, auch der von Lesben und Schwulen, bei
uns eben Verfassungsrang hat. Wir wollen das entsprechend hervorheben.
Wenn Sie die Worte, die Sie hier geäußert haben,
ernst meinen, müssten Sie sagen: Die Union lässt die
Forderung, die ich gerade zitiert habe, fallen, weil das
nicht in ihr verfassungsrechtliches Konzept passt.
({0})
Bitte schön, Kollege Harbarth, zur Erwiderung.
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich komme aus einem Bundesland, aus Baden-Württemberg, in dem führende Repräsentanten der CDU und Repräsentanten der
Landesregierung beispielsweise Schirmherrschaften für
Veranstaltungen von Schwulen und Lesben übernommen
haben.
({0})
Lieber Herr Beck, das ist möglicherweise bei Ihnen noch
nicht angekommen. Das passt nicht in das Bild, das Sie
von der Union zeichnen wollen. Wir sind wesentlich
weiter, als Sie denken.
({1})
Herr Beck, Sie können über Deutsch in der Verfassung lange fabulieren, es ändert nichts daran, dass in
dem Punkt, den wir heute im Plenum diskutieren, der
Schutz, den die Verfassung etabliert, völlig ausreichend
ist. Daran ändern Ihre Ausführungen nichts! Deshalb
lassen wir das Grundgesetz so, wie es ist. Es ist die beste
Verfassung, und so soll es bleiben.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/88, 17/254 und 17/472 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Einstieg in die Kopfpauschale - Weniger Netto
vom Brutto für die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung
({0})
- Ich bitte die Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen
wollen, den Saal zu verlassen, damit die anderen ihre
Aufmerksamkeit dem Redner widmen können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Fritz Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt,
weil eine Reihe von gesetzlichen Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben werden. Ihre Wirtschaftspolitik folgt
der Melodie „mehr netto vom Brutto“. Viele Menschen
haben demnächst allerdings weniger netto vom Brutto;
denn das, was die Leute als Zusatzbeiträge zu zahlen haben, fehlt ihnen im Geldbeutel.
({0})
Ich persönlich finde, dass ein gehörig Maß an Heuchelei in der Debatte ist.
({1})
Die Zusatzbeiträge, die jetzt erhoben werden, sind nämlich ein konstitutiver Teil des Gesundheitsfonds, den die
Große Koalition vor einigen Jahren beschlossen hat. Sie
haben einen strukturell unterfinanzierten Gesundheitsfonds beschlossen - so lautete unsere damalige Kritik und das Erheben von Zusatzbeiträgen einkalkuliert. Man
darf sich deswegen jetzt nicht wundern und sagen: Huch,
die Zusatzbeiträge kommen auch noch.
Ich muss die Abgeordneten der Union fragen, ob sie
bei der Inkraftsetzung des Meisterwerks Gesundheitsfonds von Frau Merkel eigentlich dabei waren.
({2})
Die Überraschung, die Frau Merkel jetzt an den Tag legt,
ist doch nur geheuchelt. Diejenigen von der Union oder
von der SPD, die sich an diesen Zusatzbeiträgen jetzt
stören, müssen einmal deutlich sagen, dass es ein Fehler
war, diesen Gesundheitsfonds einzurichten; schließlich
ist das Erheben von Zusatzbeiträgen ein konstitutives
Element dieses Fonds, durch das einer so einseitigen
Verteuerung - nicht zulasten der Arbeitgeber, sondern
ausschließlich zulasten der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen - Tür und Tor geöffnet wird. Das haben Sie
verursacht; also müssen Sie jetzt auch dazu stehen.
({3})
Es bedarf keines Verweises auf das Kartellamt oder etwas anderes; denn Sie haben den Gesundheitsfonds beschlossen. Das, was Sie beschlossen haben, können Sie
ändern, wenn Sie es wollen.
Für uns ist klar: Diese Zusatzbeiträge bedeuten eine
weitere Entsolidarisierung des Gesundheitssystems. Sie
führen dazu, dass die Parität weiter verschlechtert wird,
und sie führen auch zu sozialen Schieflagen. Personen in
Arbeitslosengeld-II-Haushalten müssen diese 8 Euro bezahlen; Gutverdiener können sie sogar von der Steuer
absetzen. Das heißt, es entsteht eine zusätzliche Schieflage. Wir müssen mit diesem Unsinn Schluss machen.
Sorgen Sie dafür, dass Zusatzbeiträge nicht mehr erhoben werden können!
({4})
Es gibt eine besondere Perfidie. Die SPD hat in diesem falschen System Gott sei Dank immerhin die 1-Prozent-Grenze durchgesetzt. Die CDU hat durchgesetzt,
dass die 1-Prozent-Grenze als Belastungsobergrenze erst
ab einem Zusatzbeitrag von 8 Euro gilt. Weil die Große
Koalition diese Untergrenze eingezogen hat, verlangen
einige gesetzliche Krankenkassen jetzt 8 Euro. Ohne
diese Untergrenze wäre die Entwicklung ganz anders;
das muss man der Wahrheit halber schon sagen.
({5})
Wir finden, dass diese Zusatzbeiträge als Teilelement
des Gesundheitsfonds nichts anderes sind als der Einstieg in eine Kopfpauschale. Wenn man beim Gesundheitsfonds die 1-Prozent-Grenze und die 95-ProzentGrenze abschafft, kann man schrittweise zu einer Kopfpauschale übergehen. Wir halten eine Kopfpauschale für
grundfalsch, weil sie eine Entsolidarisierung der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet. Vor allem wird
durch sie das Prinzip geschwächt, dass diejenigen, die
breitere Schultern haben, mehr einzahlen - bis zur Beitragsbemessungsgrenze -, damit alle Menschen in diesem Land vor den Kosten von Krankheit geschützt sind.
({6})
Gesundheitsminister Rösler hat erklärt, er wolle mit
den Zusatzbeiträgen nichts zu tun haben; dafür macht er
freundlich die CDU verantwortlich. Er hat gesagt, diese
Beiträge seien nicht sozial. Das ist richtig. Was die Kopfpauschale angeht, setzt er auf eine Regelung über einen
Steuerausgleich. Er möchte, dass Solidarität über das
Steuersystem praktiziert wird. Wir halten das für falsch.
Wenn Solidarität über das Steuersystem praktiziert wird,
ist der Bezug viel indirekter als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Herr Rösler, darüber müssen wir uns
einmal unterhalten. Bis zur Beitragsbemessungsgrenze in
die gesetzliche Krankenversicherung und damit in ein
und denselben Topf einzuzahlen, ist doch etwas anderes,
als abstrakt etwas mehr Steuern zu zahlen.
({7})
Unser Hauptkritikpunkt an Ihrem System ist, dass Sie
die damit verbundenen Kosten von maximal 35 Milliarden Euro nicht decken können und dennoch so tun, als
könnten Sie diese Politik betreiben.
({8})
Wir wollen nicht vergessen, was Sie in der Steuerpolitik
vorhaben: Sie wollen die Progression aushebeln, einen
Stufentarif schaffen, einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent beschließen und somit für die Spitzenverdiener eine
Art steuerliche Flatrate herbeiführen. Wer wie die FDP
so etwas befürwortet, der kann mir nicht erzählen, dass
die Bestverdienenden nach Umsetzung dieser Pläne einen größeren Solidaritätsbeitrag leisten, als es gegenwärtig der Fall ist. Wenn Sie, Herr Rösler, Probleme mit
der Solidarität haben, dann sollten Sie darüber nachdenken, ob die Beibehaltung der Beitragsbemessungsgrenze
richtig ist, aber nicht solch einen Unsinn in diesem komplexen System machen.
({9})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kuhn.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Aber selbst
dann, wenn man das ablehnt, was Sie vorhaben, haben
wir immer noch eine Zweiklassenmedizin und ein falsches Gesundheitssystem. Dagegen müssen wir sowohl
auf der Ausgaben- wie auf der Einnahmeseite etwas tun.
Wir haben ein vernünftiges Konzept. Wir schlagen eine
Bürgerversicherung vor, die die Solidaritätsbasis verbreitert und damit Solidarität erneuert und nicht abschafft,
wie von der FDP vorgesehen.
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stephan Stracke von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem, was Herr
Kuhn gesagt hat, ist festzuhalten: Die christlich-liberale
Koalition steht für mehr netto vom Brutto.
({0})
Wir sind es, die mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz jährlich für Entlastungen von Bürgern und Unternehmen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro sorgen. Wir
sind es, die einen Schutzschirm für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer spannen und die konjunkturbedingten
Mindereinnahmen in der Arbeitslosenversicherung und
der Krankenversicherung mit Steuermitteln auffangen.
({1})
Von diesen Maßnahmen profitieren vor allem Familien
und Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen,
und mit diesen Maßnahmen, Herr Kuhn, helfen wir, die
Lohnnebenkosten stabil zu halten. Dies tun wir, um in
der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsplätze zu sichern.
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
werden im Jahr 2010 die Einnahmen voraussichtlich um
rund 7 Milliarden Euro übersteigen. Ursache dieses Defizits ist im Wesentlichen nicht eine Ausgabenexplosion,
sondern die Einnahmeschwäche der gesetzlichen Krankenversicherung infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise.
({2})
Es ist die christlich-liberale Koalition - das ist entgegen
dem, was Sie hier ständig behaupten, festzuhalten -, die
in dieser Situation die Krankenversicherten nicht alleinlässt. Deshalb stellen wir der Krankenversicherung
3,9 Milliarden Euro mehr aus Steuermitteln zur Verfügung.
({3})
Damit werden 2010 rund 9 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aus Steuermitteln finanziert. Dies ist gegenüber 2008 viereinhalbmal mehr und
ein deutlicher Beleg für Solidarität; denn Gutverdiener
tragen den Löwenanteil des Steueraufkommens.
Dennoch wissen wir alle, dass so das erwartete Defizit
in der Krankenversicherung nicht vollständig aufgefangen werden kann; denn wir haben natürlich auch Ausgabensteigerungen zu erwarten. Ich darf daran erinnern,
dass in der letzten Legislaturperiode Verbesserungen bei
der ambulanten Versorgung und im Krankenhausbereich
und damit einhergehende Ausgabensteigerungen politisch und gesellschaftlich gewünscht waren.
({4})
Es bestand auch in diesem Hohen Hause ein ganz breiter
gesellschaftlicher Konsens, im Zuge der Einführung des
Gesundheitsfonds auch Leistungen auszuweiten. Denjenigen, die an all das nicht mehr erinnert werden wollen,
sei gesagt: Ihr Platz ist zu Recht in der Opposition. Nutzen Sie diesen zur politischen Reha! Sie haben es nötig.
({5})
Fünf gesetzliche Krankenkassen haben nun angekündigt, Zusatzbeiträge einzuführen. Damit müssen von 70 Millionen Versicherten laut Medienberichten rund 7 Millionen zahlende Mitglieder mit einem Zusatzbeitrag von
8 Euro rechnen. Die Barmer GEK, die größte deutsche
Krankenversicherung mit 8,5 Millionen Versicherten,
macht dies beispielsweise nicht. Dies bestätigt: Die Erhebung von Zusatzbeiträgen kann durch wirtschaftliches
Agieren vermieden werden. Die Erhebung von Zusatzbeiträgen in dieser Situation ist kein Naturgesetz.
({6})
Der kassenindividuelle Zusatzbeitrag stellt für die
Krankenkassen ein zusätzliches Wettbewerbsinstrument
dar. Jetzt ist es an den von der Erhebung von Zusatzbeiträgen betroffenen Versicherten, zu entscheiden, ob sie
nach Abwägung aller Vor- und Nachteile in ihrer Kasse
bleiben oder in eine andere Kasse wechseln.
({7})
Diese Entscheidung zu fällen, kann man wirklich jedem
in dieser Bundesrepublik zumuten. Das ist Ausdruck eines mündigen, eigenverantwortlichen Patienten und Versicherten.
Die Opposition - auch der Teil, der das GKV-WSG
verfasst hat - ist selbstverständlich schnell mit abstrakten Hinweisen auf Einsparmöglichkeiten auf dem Markt,
bezeichnenderweise auch die Krankenkassen selbst. Es
wird Aufgabe der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode sein, konkrete Einsparpotenziale zu heben. Dabei ist auch das Instrument des Vertrages, des Gebens
und Nehmens, sicherlich sinnvoll.
Ich plädiere dafür, die möglichen Einsparpotenziale
durch Effizienzsteigerungen gründlich zu erarbeiten und
nicht auf die Schnelle etwas auf den Weg zu bringen.
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. In diesem Sinne
wünsche ich dem Bundesgesundheitsminister und der
Koalition bei ihren Bemühungen alles Gute.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Lauterbach
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den Medien ist in diesen Tagen zu lesen, dass Gesundheitsminister Rösler jetzt den Kampf gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen aufnehmen möchte.
({0})
Gleichzeitig ist zu hören, dass er sofort zur schärfsten
Waffe des neuen Politikstils greift: Man will sich mit den
Lobbyisten der Pharmaindustrie am runden Tisch treffen.
Vielleicht ist die Industrie tatsächlich bereit, eine
Spende an den Bürger zu entrichten, nachdem der wichtigste Pharmakritiker, Professor Sawicki, geopfert wurde.
({1})
Aber wie viel wahrscheinlicher ist es, dass dabei nichts
herauskommt als heiße Luft und ein paar salbungsvolle
Absichtserklärungen? Nicht ein einziger Euro in diesem
System wird durch Kuschelrunden mit den Lobbyisten
aus der Pharmaindustrie gespart werden können.
({2})
Herr Kollege Rösler, wenn Sie sich mit der Pharmaindustrie an einen Tisch setzen und um Sparvorschläge bitten, dann ist das so ähnlich, als wenn Sie die Frösche bitten würden, Vorschläge zur Trockenlegung der Sümpfe
vorzutragen.
({3})
Ist ein ehemaliger Wirtschaftsminister wirklich so naiv,
zu glauben, die Industrie würde Vorschläge zur Beschränkung der eigenen Gewinne vortragen?
Wir brauchen keine Kuschelrunden mit den Lobbyisten, sondern wir brauchen ganz konkrete Vorschläge, wie
im Gesundheitssystem gespart werden kann. Dazu gehört
zum Beispiel - statt der jetzt vorgesehenen Einschränkung der ohnedies nicht weitgehenden Vorschläge - die
Erweiterung der Möglichkeiten der Kassen, Rabattverträge mit den Arzneimittelfirmen einzugehen. Zudem
muss ermöglicht werden, dass die Arzneimittel in
Deutschland billiger auf den Markt kommen. Unsere
Arzneimittel werden nicht innovativer, nur weil sie zu
höheren Preisen auf den Markt kommen.
({4})
Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Man braucht
politisches Kapital, um sie umzusetzen. Wir benötigen
nicht die Erlaubnis der Pharmaindustrie, in der Politik
solche Vorschläge zu machen.
({5})
Bisher hören wir bei den Empfängen von den Apothekern, den Fachärzten und der Industrie, dass ein neuer
Politikstil zu erwarten ist, auf den man sich freue. Der
Bürger dagegen soll schrittweise an ein neues System
der Kopfpauschalen gewöhnt werden. Er soll sozusagen
über kleine Kopfpauschalen auf die großen Kopfpauschalen vorbereitet werden. Aber wie logisch ist das
Prinzip, die kleine Kopfpauschale als ungerechten
Murks abzutun, aber gleichzeitig für die große Kopfpauschale zu werben, für die man keinen sozialen Ausgleich
konkret benennen und die man nicht bezahlen kann?
Wie soll das funktionieren? Glaubt denn die Koalition
tatsächlich, der Bürger wäre so dumm, zu glauben, dass
die kleine Kopfpauschale ungerecht ist, die große Kopfpauschale sei es aber nicht? Für wie dumm hält man den
Bürger?
({6})
Der Bürger wird genau sehen - Frau Merkel hat das
längst bemerkt -, dass dafür weder Geld im Haushalt
vorhanden ist noch die Unterstützung der Bevölkerung
gegeben ist. Wer in der Bevölkerung verlangt denn derzeit eine einkommensunabhängige Kopfpauschale, bei
der die Putzfrau so viel bezahlt wie der Bankkaufmann
oder der Manager? Wer braucht das heutzutage? Worauf
würden denn diese Vorschläge hinauslaufen? Die Vorschläge liefen doch nur darauf hinaus, dass die Arbeitgeber und die Gutverdiener mit einer Steuersubvention entlastet würden. Das wären die Einzigen, die davon
profitieren würden. Weshalb brauchen wir in der Zeit
von Minilöhnen, in der die Leute von ihrem Nettolohn
kaum leben können, eine Belastung der Nettolöhne
durch neue Pauschalen und eine zusätzliche Belastung
der Steuerzahler, nur damit Arbeitgeber und Gutverdiener weiter entlastet werden? Das will doch niemand in
Deutschland.
({7})
Die Wähler werden bei der Landtagswahl in NordrheinWestfalen der FDP für diese Vorschläge, die als Bedrohung empfunden werden, die Quittung geben.
({8})
Was wir derzeit brauchen, sind Vorschläge für echten
Wettbewerb. Die FDP posiert gerne als Partei des Wettbewerbs. In Wahrheit aber sind die FDP und die Links1804
partei beim Wettbewerb Brüder im Geiste. Das sind die
beiden Parteien, die den Wettbewerb im Gesundheitssystem am vehementesten ablehnen.
({9})
Niemand hat mehr Angst vor dem Wettbewerb im Gesundheitssystem als die Linkspartei und die FDP, wenn
auch aus unterschiedlichen Gründen; das ist ganz klar.
({10})
Aber Apotheker, Pharmaindustrie und Fachärzte haben
hohe Erwartungen.
Mein letzter Rat, da meine Zeit abgelaufen ist:
({11})
Die FDP tut den Staat als teuren Schwächling ab.
Gleichzeitig soll dieser teure Schwächling den Sozialausgleich für die Entlastung der Gutverdienenden liefern. Nicht, dass zum Schluss die ersten Repräsentanten
des Staates als die wirklichen Schwächlinge im Umgang
mit den Lobbygruppen dastehen!
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Lauterbach, ich muss mich erst einmal im Namen
der FDP-Fraktion für die ordnungsgemäße Übergabe des
maroden Gesundheitssystems bedanken, das Sie uns im
November hinterlassen haben.
({0})
Haben Sie eigentlich eine Erinnerung daran, was Sie uns
hinterlassen haben? Wer hat denn dafür gesorgt, dass
jetzt Zusatzbeiträge erhoben werden?
({1})
Wer hat denn dieses Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht? Wer hat denn für die Unterfinanzierung im System gesorgt? Das war doch von vornherein so gewollt.
Sie wollten doch, dass Zusatzbeiträge erhoben werden.
Jetzt erzählen Sie den Leuten, dass die FDP
({2})
oder die CDU daran schuld sei, dass so etwas passiert.
Über unseren Koalitionspartner will ich jetzt gar nicht
reden.
({3})
Aber über die FDP kann ich sehr gut reden; denn wir
sind überhaupt keine Verfechter dieses Systems. Es ist
unsozial, weil dieser Zusatzbeitrag jeden trifft. Genau
das, was Sie uns vorwerfen, tun Sie doch mit Ihrem System.
({4})
Der Zusatzbeitrag wirkt natürlich bei jemandem, der wenig verdient, in einem ganz anderen Ausmaß als bei jemandem, der viel verdient.
({5})
Beide zahlen gleich viel. Wo ist denn da die Gerechtigkeit, die Sie einfordern?
({6})
Der Einzige, der etwas für die Menschen in diesem
Land getan und dafür gesorgt hat, dass sie auf die Partei
vertrauen können, die sie gewählt haben, weil sie dafür
steht, dass mehr netto vom Brutto bleibt, ist doch Philipp
Rösler.
({7})
Wer hat denn dafür gesorgt, dass der Zuschuss kam? Das
war doch nach der Wahl, nicht vor der Wahl. Sie haben
uns ein System überlassen, in dem genau diese
3,9 Milliarden Euro fehlen.
({8})
Natürlich kann man in jeder Fernsehsendung neu erzählen, die anderen seien schuld
({9})
und man hätte schon über Weihnachten Ausgabenstoppprogramme produzieren müssen. Aber, lieber Herr
Lauterbach, wo waren denn Ihre Ausgabenstoppprogramme?
({10})
Sie haben doch vor der Wahl jede Menge Mehrkosten
auf den Weg gebracht.
({11})
Wer war das denn? Das war nicht Herr Rösler.
Herr Rösler muss in dieser Legislaturperiode ein System schaffen, das für die Menschen in Zukunft etwas Positives darstellt. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch.
Wir sagen: Jeder soll eine einkommensunabhängige Prämie zahlen, und derjenige, der dies nicht kann, bekommt
einen Sozialausgleich.
({12})
Genau das fehlt in Ihrem System. Dieses Element wird
es in dem Konzept geben, das wir auf den Tisch legen
werden.
Sie sagen, Herr Rösler habe zu lange gewartet, bis er
reagiert hat. Wir werden in diesen Tagen die Arbeit der
Kommission in Angriff nehmen. Die Kommission wird
uns bis Mitte des Sommers Vorschläge unterbreiten. Sie
hat an erster Stelle den Auftrag, einen Sozialausgleich
herbeizuführen, lieber Herr Lauterbach. Nicht den Reichen soll mehr gegeben werden, sondern es soll dafür
gesorgt werden, dass es in Zukunft einen entsprechenden
Sozialausgleich im Gesundheitssystem gibt.
({13})
Wir wollen das nicht auf die bürokratische Art und
Weise machen - das posaunen Sie ja immer so wunderschön in der Welt herum -, wie der Gesundheitsfonds
jetzt agiert.
({14})
- In einer Aktuellen Stunde kann man leider keine Zwischenfrage stellen. - Das jetzige System ist von Bürokratie geprägt. Der Gesundheitsminister hat allen ein unbürokratisches System versprochen. Der Sozialausgleich
wird so einfach wie möglich gefasst. Das ist die Aufgabe
der Kommission. Mit dieser Perspektive werden wir in
die nächsten Monate gehen.
Lieber Herr Lauterbach, zum Thema, wie wir mit
Ausgabensteigerungen umgehen. Nicht nur, dass wir erst
einmal damit umgehen müssen, was wir von Ihnen überlassen bekommen haben! Herr Rösler hat vor wenigen
Tagen gesagt, dass jetzt Teilgebiet für Teilgebiet seziert
wird. Es wird nachgedacht, und dann wird gehandelt,
und zwar in überlegten Schritten,
({15})
nicht in hastigen Kostendämpfungsschritten, wie es unsere Freundin Ulla Schmidt über viele Jahre praktiziert
hat. Alles, was schnell und mit heißer Nadel gestrickt
wurde, haben wir wieder auf dem Tisch. Dies alles hat
sich nicht bewährt, sondern zu einem System geführt,
mit dem wir alle nicht zufrieden sind. Wir wissen, dass
wir mit den Mitteln, die im Augenblick im Etat vorgesehen sind, nicht auskommen.
Da ich auch als Haushälterin spreche, hoffe ich sehr,
dass Sie vielleicht doch zu der Erkenntnis kommen, dass
Sie den Vorschlägen der FDP folgen könnten. Wir machen noch ein paar Fernsehsendungen zusammen, lieber
Herr Lauterbach; dann kann ich Sie vielleicht überzeugen.
Ansonsten wünsche ich dem Minister alles Gute für
die nächsten Monate. Es wird eine schwere Aufgabe.
Aber wir sind an Ihrer Seite.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie wir gerade gehört haben, werden in Kürze einige gesetzliche Krankenkassen
einen Zusatzbeitrag von 8 Euro pro Versicherten einführen. Millionen Versicherte werden mit dem gleichen
Eurobetrag zur Kasse gebeten, unabhängig von ihrem
Einkommen. Diese kleine Kopfpauschale bereitet den
Weg in die schwarz-gelbe Kopfpauschale, die dann dazu
führt, dass die Rentnerin mit einer Rente von 600 Euro
ebenso viel für die Krankenversicherung zahlen soll wie
etwa ein Angestellter mit einem Einkommen von
3 500 Euro; das haben wir schon gehört.
({0})
- Ja, ich habe es nicht verstanden. Vielleicht erklären Sie
mir das noch einmal in Ruhe.
({1})
- Herr Lanfermann, ich muss jetzt Herrn Lauterbach etwas sagen.
({2})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
bei Ihnen läuft es ja immer so: Sie wollten eigentlich
schon immer eine solidarische Bürgerversicherung. Aber
in den sieben Jahren Rot-Grün haben Sie das nicht hinbekommen. Danach wollten Sie mit der dritten Partei,
die das auch so sieht, nicht zusammenarbeiten.
({3})
Weil Sie dann mit der Union regiert haben, mussten Sie
leider etwas machen, was Sie gar nicht wollten, in diesem Fall einen Gesundheitsfonds einführen, der so unterfinanziert ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen in
Schwierigkeiten kommen müssen. Weil Sie aber die Beiträge für die Arbeitgeber absolut nicht erhöhen wollten,
müssen die Versicherten das Defizit alleine ausgleichen.
Dafür bauen die Krankenkassen schon einmal einen
Apparat auf, mit dem sie diesen Zusatzbeitrag direkt von
den Mitgliedern kassieren können, inklusive Buchführung, Rechnungsstellung, Mahnverfahren und Inkasso.
Damit liefern Sie die Steilvorlage für Herrn Dr. Rösler
und seine FDP. Er braucht nur noch ein paar gesetzgeberische Schräubchen zu drehen und schon hat er seine
große Kopfpauschale: eine Krankenversicherung, in der
die Armen künftig mehr und die Reicheren weniger an
Beitrag zahlen. Herr Kuhn, Herr Lauterbach, das haben
Sie eindrucksvoll geschildert. So funktioniert das: Die
SPD will das Soziale, aber leider kommt dann doch wieder das FDP-Modell heraus. Das ist - wir haben es von
den Grünen und von der SPD gehört - ausgesprochen unsozial.
({4})
Auch in der Union wird momentan kräftig nach links
geblickt, um dann umso steiler nach rechts abzubiegen.
Wenn Sie, lieber Herr Kollege Spahn, im Gesundheitsausschuss unseren Antrag gegen die Kopfpauschale zur
Abstimmung zugelassen hätten, dann hätte man gesehen: Sie sind gar nicht gegen die Kopfpauschale, auch
wenn Herr Söder und die CSU immer mal wieder so tun
als ob. Schließlich haben Sie schon alles dafür vorbereitet. In Ihrem Wahlprogramm heißt es - ich zitiere -:
Im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik von CDU
und CSU stehen die Patienten und Versicherten.
Gerade im Umgang mit Kranken, Älteren und
Schwachen zeigt die Gesellschaft ihr soziales Gesicht und ihr Wertefundament.
({5})
Ihrem Wertefundament entspricht es also, dass Schwache ebenso viel schultern sollen wie Starke; denn darauf
läuft das Ganze wohl hinaus.
Wenn zum Beispiel Herr Dr. Rösler von Frau
Dr. Merkel offenbar die klare Ansage bekommt, dass
sein geplanter Sozialausgleich auf keinen Fall Kosten
verursachen darf, dann bedeutet das Folgendes: Die FDP
will die Kopfpauschale. Die Union will keine zusätzlichen Staatsausgaben. Das heißt, beide wollen die Kopfpauschale und keinen Sozialausgleich.
({6})
Das sagen Sie aber noch nicht, weil Sie im Mai in NRW
noch gewählt werden wollen.
({7})
So viel zum Wertefundament der Union. Wir dagegen
sagen: Kopfpauschalen, ob klein oder groß, sind unsozial, und deswegen lehnt die Linke sie ab.
({8})
Noch ein Wort zu Herrn Kuhn. Auch die Grünen teilen unsere Ablehnung von Zusatzbeiträgen und Kopfpauschalen. Aber erinnert sich noch jemand, wer damals
die Praxisgebühr und die Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten oder in der Apotheke beschlossen hat? Da
waren Sie doch dabei.
({9})
Damit haben Sie die Gesunden entlastet und die Kranken
zur Kasse gebeten. Auch dass die Versicherten inzwischen 0,9 Prozentpunkte mehr zahlen müssen als die Arbeitgeber, geht zur Hälfte auf Ihr Konto.
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD
und Grünen, mit uns gegen die Kopfpauschale kämpfen
wollen, dann ist das gut. Aber wenn Sie es ehrlich meinen, dann unterstützen Sie uns auch in unserem seit Jahren andauernden Kampf gegen Praxisgebühr, Zuzahlungen und Leistungsausschlüssen. Ich lade Sie ein: Streiten
Sie mit uns für eine solidarische, paritätisch finanzierte
Bürger- und Bürgerinnenversicherung, in die alle den
gleichen Prozentsatz einzahlen, von der Friseurin bis
zum Manager.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Spahn von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
Herr Kuhn, Sie haben recht: Die Zusatzbeiträge waren
politisch gewollt. Wir als Union stehen auch zu dem,
was wir beschlossen haben und machen uns nicht wie
Sie politisch vom Acker.
({0})
Herr Lauterbach, es ist schlicht und ergreifend schlechter
politischer Stil, erst in der Großen Koalition etwas zu beschließen und sich dann so zu äußern, wie Sie es in den
letzten Tagen getan haben.
({1})
Man muss nicht mit allem inhaltlich übereinstimmen,
was Frau Schmidt getan hat. Aber an einem sollten Sie
sich ein Beispiel nehmen: Sie hat zwar vieles beschlossen, was wir nicht wollten, aber sie hat immer zu dem
gestanden, was sie beschlossen hat. Das ist Ihnen leider
offensichtlich in Ihrem Oppositionschaos abhandengekommen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, Herr Kollege Lauterbach.
({2})
Im Übrigen zeigen Sie in einem weiteren Bereich politische Demenz. Sie sagen immer, wir sollten sparen,
weil die Ausgaben stiegen. In den beiden großen Bereichen, in denen die Ausgaben steigen - bei den niedergelassenen Ärzten und in den Krankenhäusern -, haben wir
gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen, dass es
zu Ausgabensteigerungen kommen soll, weil wir insbesondere für die hausärztliche Versorgung etwa in Ostdeutschland sowie für die Pflegesituation in Krankenhäusern, wo es zu Missständen gekommen ist, das nötige
Geld zur Verfügung stellen wollten.
({3})
Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, dass wir
sparen sollen, dann sagen Sie auch, wo zum Beispiel bei
der hausärztlichen Versorgung oder beim Krankenhauspersonal gespart werden soll. Überschriften alleine lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({4})
Wir haben die lohnunabhängige Finanzierung eingeführt, weil wir die Arbeitskosten entlasten wollten.
({5})
Herr Kuhn, im Übrigen war das einmal die Argumentationslinie von Rot-Grün. Als Sie die Erhöhung um
0,9 Prozentpunkte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern allein aufgebürdet haben, war die Argumentationslogik von SPD und Grünen - als Opposition haben
wir damals mitgemacht -: Wir wollen die Arbeitskosten
in Deutschland entlasten, um im Wettbewerb mit anderen Ländern Arbeitsplätze dauerhaft in diesem Land zu
sichern. Auch an diesem Punkt machen Sie sich langsam
aber sicher vom Acker, Herr Lauterbach.
({6})
Sie sollten Ihre Argumentationslogik auch vor dem Hintergrund des Themas „Arbeitsplätze in Deutschland“
noch einmal überdenken.
({7})
Natürlich enthält der Zusatzbeitrag, so, wie er heute
angelegt ist, bereits Elemente des sozialen Ausgleichs.
Es gibt eine 1-Prozent-Überforderungsklausel
({8})
- insofern passt die Brutto-Netto-Debatte nicht so richtig -, bei der das Gesamteinkommen und nicht nur das
lohnabhängige Einkommen berücksichtigt wird.
({9})
Das ist das Entscheidende. Es gibt viele Menschen mit
kleinem Einkommen, die abhängig beschäftigt sind, die
aber aus anderen Bereichen zusätzliche Einnahmen erzielen, die bis jetzt gar nicht berücksichtigt werden. Bei
dieser Überforderungsklausel werden sie aber berücksichtigt.
Sie haben die 8 Euro angesprochen. Früher gab es
Beitragssatzunterschiede zwischen den Krankenkassen.
Der Beitragssatz betrug bei der einen Kasse 13 Prozent
und zum Beispiel hier in Berlin 16,7 Prozent. 8 Euro entsprechen bei 1 000 Euro Einkommen einem Unterschied
von 13,8 Prozent zu 14,6 Prozent Beitragssatz zu früherer Zeit. Das waren Unterschiede, die als ganz normal
hingenommen wurden. Man sollte jetzt nicht so tun, als
sei ein Beitragssatzunterschied der Untergang des
Abendlandes. Vor zwei oder drei Jahren haben Sie solche Unterschiede zwischen den Kassen nicht so kritisiert, wie Sie es hier gerade getan haben.
({10})
Das Problem liegt darin - dieses Problems sollten wir
uns in dieser Koalition annehmen -, dass der Beitrag bei
der 1-Prozent-Überforderungsklausel einfach nur gekappt wird, das Geld, das dadurch nicht fließt, den Kassen aber tatsächlich fehlt. Deswegen wollen wir die Zusatzbeiträge so weiterentwickeln,
({11})
dass es zu einem Sozialausgleich aus Steuermitteln
kommt. Dann sind tatsächlich alle an der Finanzierung
beteiligt. Vor allem aber - das ist wichtig - kommt so bei
den Kassen das entsprechende Geld an.
({12})
Wenn Sie wie vorhin die Dinge aufzählen, müssen Sie
auch darauf hinweisen, dass bis jetzt erst wenige von den
etwa 170 Kassen insgesamt einen Zusatzbeitrag nehmen.
50 Kassen in Deutschland - darunter auch sehr große
Kassen - haben schon angekündigt, in nächster Zukunft,
in diesem Jahr, keinen Zusatzbeitrag nehmen zu müssen.
Vier Kassen haben sogar schon angekündigt, in diesem
Jahr Prämien an ihre Versicherten ausschütten zu wollen.
Wir haben für Transparenz im Versicherungsmarkt gesorgt. Die Zusatzbeiträge in Euro machen jetzt jedem
den Unterschied deutlich, und jeder kann selbst entscheiden, ob ihm das Preis-Leistungs-Verhältnis der jeweiligen Kasse gefällt oder nicht. Wenn nicht, dann kann man
wechseln. Genau das wollen wir im Wettbewerb der
Kassen untereinander möglich machen.
({13})
Lieber Herr Kollege Lauterbach, machen Sie sich
keine Sorgen über unsere Ergebnisse bei den Wahlen in
Nordrhein-Westfalen oder woanders. Im Unterschied zu
Ihnen haben wir im vergangenen Jahr vor der Bundestagswahl gesagt, was wir anschließend tun wollen. Wundern Sie sich nicht, wenn wir das jetzt tun, und wundern
Sie sich vor allem nicht, wenn wir es in dieser christlichliberalen Koalition frohen Mutes tun.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Carola Reimann von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, ich verstehe ja, dass Sie sich in einer unangenehmen Situation befinden.
({0})
In nur wenigen Wochen haben Sie sich mit einer bislang
beispiellosen Klientelpolitik dermaßen in eine Sackgasse
manövriert, dass Sie es inzwischen mit einer ganz breiten Front der Kritik, nicht nur hier im Haus, zu tun haben. Selbst diejenigen, die wohlwollend gestimmt waren, können nur noch mit dem Kopf schütteln: erst die
Klientelgeschenke für die Ärzte, für die private Krankenversicherung, für die Pharmalobby im Koalitionsvertrag - die kann man sich übrigens sparen, Herr Spahn -,
dann die Berufung eines hochrangigen PKV-Vertreters
an die Ministeriumsspitze und zuletzt die unrühmliche
Rolle bei der Absetzung des pharmakritischen IQWiGChefs Sawicki.
Jetzt holt Sie auch noch die gesundheitspolitische
Realität ein.
({1})
Am Montag dieser Woche haben die ersten Kassen
Zusatzbeiträge angekündigt.
({2})
Was machen Sie? Sie zeigen mit den Fingern auf die anderen: auf die Kassen und noch lieber auf die SPD.
({3})
Um es gleich vorwegzunehmen: Die SPD stiehlt sich
nicht aus der Verantwortung.
({4})
Wir waren es, die die Gesundheitspolitik der letzten
Jahre gestaltet haben, und natürlich haben wir nicht immer alles richtig gemacht. Darunter war vieles, das
Kompromissen mit der Union geschuldet war. Nichts
von dem, was beschlossen wurde, ist in Stein gemeißelt.
Es ist doch selbstverständlich, dass sich eine Partei, die
vom Wähler in die Opposition geschickt wurde, programmatisch weiterentwickelt und an manchen Stellen
Korrekturen vornimmt.
({5})
Wir nehmen die Botschaften, die uns unsere Wählerinnen und Wähler im letzten Jahr mitgegeben haben, ernst.
Es wäre gut, wenn auch Sie das täten; dann sähe Ihre Politik anders aus.
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und
der FDP, auch wenn es für uns und die 70 Millionen gesetzlich Versicherten unerfreulich ist: Schwarz-Gelb hat
die Verantwortung in der Gesundheitspolitik. Die Wähler haben Sie in die Verantwortung gewählt. Sie können
sich jetzt nicht davonstehlen.
({6})
Wenn Sie jetzt andere für Ihre eigenen Versäumnisse
verantwortlich machen, machen Sie es sich zu leicht. Sie
tun in den letzten Tagen gerade so, als sei der Zusatzbeitrag von der SPD erfunden worden.
({7})
Das ist grober Unfug, und das wissen Sie alle.
({8})
Dies war die Bedingung für die Zustimmung der Union
zum verbesserten Risikostrukturausgleich, krankheitsorientiert, und zu weiteren wichtigen Strukturreformen.
Außerdem war es die SPD - das ist auch schon angeklungen -, die darauf bestanden hat, dass es eine Überforderungsklausel gibt, dass bei 1 Prozent des Einkommens Schluss ist. Wäre es allein nach der CDU/CSU
gegangen - Kollege Spahn hat es angekündigt -, hätten
wir schon jetzt Zusatzbeiträge in ganz anderen Dimensionen. Für uns Sozialdemokraten war immer klar, dass
es Aufgabe der Regierung ist, alle gesetzgeberischen
Mittel zu nutzen, um die Erhebung von Zusatzbeiträgen
zu vermeiden, beispielsweise auch durch Einsparungen
im Pharmabereich.
({9})
Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Wäre die SPD
noch an der Regierung, hätte sie dieser Entwicklung
nicht tatenlos zugesehen, sondern Maßnahmen ergriffen,
die die Zusatzbeiträge auf breiter Front verhindern.
({10})
Genau das hat Minister Rösler versäumt. Das haben Sie
sich selbst zuzuschreiben und niemand anderem, Herr
Minister. Dass Sie sich jetzt aber auch noch hinstellen
und scheinheilig die kleine Kopfpauschale beklagen, obwohl Sie selbst eine große einführen wollen, das schlägt
dem Fass den Boden aus.
({11})
Ihr Ziel ist es doch, dass die Wohlsituierten künftig genauso viel zahlen wie all diejenigen, die den Euro zweimal umdrehen müssen. Das ist ungerecht und unsozial.
({12})
Der Sozialausgleich, den Sie angeblich einführen wollen, wird das Problem nicht beheben. In Wahrheit ist er
nichts anderes als ein sozialpolitisches Feigenblatt, das
Ihre Pläne zur Umverteilung von unten nach oben kaschieren soll.
({13})
Denn Sie wissen genauso gut wie ich - Sie sind Haushälterin -, dass Ihnen dafür schlicht das Geld fehlt.
({14})
Sie müssen allein 60 Milliarden Euro einsparen, um die
Schuldenbremse einzuhalten. Woher sollen dann 25 bis
35 Milliarden Euro für einen Sozialausgleich kommen?
({15})
Das passt vorne und hinten nicht zusammen: „Das ist
blanke Illusion.“ Das sind nicht meine Worte, sondern
die Worte Ihres Regierungspartners Horst Seehofer, der
das Ganze heute Morgen so bezeichnet hat.
({16})
Kolleginnen und Kollegen, fast 100 Tage ist Minister
Rösler nun im Amt. Wir alle kennen das ungeschriebene
Gesetz, dass demjenigen, der ein Amt übernimmt, eine
Schonfrist zusteht.
({17})
Schonfrist bedeutet aber nicht Schlummerphase. Es
reicht nicht, ein paar schön vorgetragene, aber im Kern
substanzlose Reden zu halten und ansonsten alles andere
laufen zu lassen, alle Weckrufe und Alarme zu ignorieren. Ich sage nur: Ergebnisse des Schätzerkreises.
Das Gesundheitssystem wartet nicht, bis die Bundesregierung beschließt, mit dem Regieren zu beginnen. Die
Zusatzbeiträge sind der beste Beweis: 100 Tage Rösler
heißt für Millionen von gesetzlich Versicherten fast
100 Euro mehr im Jahr für ihre Krankenversicherung.
Ein guter Start sieht anders aus.
({18})
Das Wort hat der Kollege Jens Ackermann von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Zusatzbeitrag von 8 Euro ist
keine Erfindung der FDP, sondern eine Erblast von Ulla
Schmidt.
({0})
Die christlich-liberale Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, unser Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen.
Denn was mussten wir in der Vergangenheit nach jeder
Wahl erleben? Nach jeder Wahl kam ein Kostendämpfungsgesetz und dann, zur Mitte des Legislaturperiode,
eine große Reform, eine Jahrhundertreform des Gesundheitswesens. Das hat alles komplizierter gemacht und
bürokratischer; besser - für die Versicherten - ist es aber
nicht geworden.
({1})
Wir wollen eine grundlegende Reform. Wir wollen einen Krankenversicherungsschutz mit sozialem Ausgleich. Durch die Einführung des Gesundheitsfonds
wurden die Probleme nicht gelöst, sondern versteckt.
Um Beitragsgerechtigkeit zu gewährleisten, brauchen
wir eine klare Trennung von Versicherungsleistung und
Umverteilung. Die Absicherung für den Krankheitsfall
soll über leistungsgerechte Prämien erfolgen. Im Gesundheitssystem unterstützt der gesunde Mensch den
kranken Menschen, im Steuersystem unterstützt der reiche Mensch den armen Menschen; das ist echte Solidarität.
({2})
Die Bundesregierung, speziell der Finanzminister und
unser Gesundheitsminister, hat schnell gehandelt: Zu
dem Bundeszuschuss für die Krankenkassen, der schon
bei 11,8 Milliarden Euro liegt, kommen 3,9 Milliarden
Euro hinzu. Werte Kollegin Reimann, da kann ich nicht
verstehen, wenn Sie Gesundheitsminister Rösler Untätigkeit vorwerfen. Wir konnten Anfang dieser Woche in
der Berliner Zeitung lesen, dass Sie Philipp Rösler als
Lurch im Winterschlaf bezeichnet haben. Ich möchte Sie
bitten, persönliche Attacken zu unterlassen.
({3})
Wir können in der Sache hart miteinander streiten; aber
wir sollten menschlich fair miteinander umgehen.
({4})
Ich habe selbst auf einer Krankenstation gearbeitet.
Wir 6 Pflegekräfte waren für circa 30 Patienten verantwortlich. Eine von den 6 Pflegekräften war nur damit beschäftigt, sich um den Papierkram zu kümmern, die Bürokratie zu bewältigen. Das, was sie gelernt hat - Dienst
am Menschen -, war nicht mehr möglich umzusetzen.
Die christlich-liberale Koalition setzt sich dafür ein,
den Menschen - den Ärzten, den Pflegerinnen - etwas
mehr Vertrauen zu schenken, statt sie mit einer Kontrol1810
litis und einem überbordenden Bürokratiesystem zu gängeln und zu bevormunden.
({5})
Meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie
auch etwas mehr Vertrauen in unsere Bevölkerung! Die
Menschen wollen keine Zwangsbeglückung, sie wollen
sich frei entscheiden - sie können es nämlich.
({6})
Ich will aber auch klar sagen: Unterstützung und Hilfe
sind notwendig bei den Menschen, die dies nicht selbst
können.
Wettbewerb und Transparenz im Gesundheitswesen
sind kein Teufelszeug, sondern die Voraussetzung für
mehr Effizienz. Planwirtschaft und Einheitskasse - das
hat die Geschichte gezeigt - führen in die falsche Richtung. Das ist nicht unser Ansatz in der Gesundheitspolitik.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute über die Zusatzbeiträge. Einige Krankenkassen haben in dieser Woche angekündigt, sie notgedrungen zu erheben. Jetzt schallt es plötzlich aus Regierungskreisen und aus dem Kanzleramt: Abzocke! Haltet den
Dieb!
Es ist doch so: Die Zusatzbeiträge waren politisch gewollt und stehen deshalb im Gesetz. Im Übrigen sind
diese Zusatzbeiträge auch von der Kanzlerin und von
Frau Ministerin Aigner beschlossen worden. Ich sage:
Der Versuch, anderen die Schuld zuzuschieben, ist schäbig und scheinheilig.
({0})
Die Union hat die Tatsache, dass Zusatzbeiträge vorgesehen wurden, schließlich als Einstieg in die Kopfpauschale gefeiert. Jetzt schieben Sie den Krankenkassen
den Schwarzen Peter zu.
({1})
Sie sind doch für die Unterdeckung des Fonds mitverantwortlich. Mit dem Haushalt für dieses Jahr bürden Sie
den Kassen sogar weitere Defizite auf; denn die von Ihnen kalkulierten krisenbedingten Einnahmeausfälle werden nur zu etwa 80 Prozent mit Steuermitteln ausgeglichen. Das heißt, es entsteht ein weiteres Defizit von 600
bis 700 Millionen Euro. Das ist eine große Zahl; es
wurde von Ihnen verursacht.
Sie sind offensichtlich nicht bereit, offen zu Ihren eigenen politischen Entscheidungen zu stehen.
({2})
Man kann also sagen: kein Schneid. Die Glaubwürdigkeit der Politik kann dadurch nur Schaden nehmen.
({3})
Die von Ihnen ermöglichten Zusatzbeiträge werden
Bürgerinnen und Bürger mit geringen Einkommen besonders stark belasten. Ich will Ihnen ein paar Beispiele
nennen. Der geringverdienende Wachmann in Schwerin
mit einem Verdienst von weniger als 800 Euro muss
mehr als 1 Prozent seines Einkommens für den Zusatzbeitrag aufwenden.
({4})
Die Überforderungsklausel funktioniert also ausgerechnet bei den Menschen nicht, die besonders darauf angewiesen sind. Glauben Sie mir: Geringverdiener gibt es
nicht nur in Schwerin.
Wer allerdings über ein ausreichend hohes Einkommen verfügt, kann neben dem Krankenversicherungsbeitrag auch den Zusatzbeitrag von der Steuer absetzen.
Hier geht es um eine wirklich wichtige steuerpolitische
Frage, mit der sich auch die FDP beschäftigen muss. So
muss der verheiratete Ingenieur aus Sindelfingen mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von beispielsweise
60 000 Euro letztlich einen Zusatzbeitrag von monatlich
nur 5,50 Euro bezahlen. Die verheiratete Kassiererin in
einem Supermarkt in Duisburg bezahlt den vollen Zusatzbeitrag von 8 Euro. Damit wird doch das Solidarprinzip auf den Kopf gestellt.
({5})
Der arbeitslose Werftarbeiter aus Rostock zum Beispiel soll den Zusatzbeitrag von 8 Euro aus eigener Tasche bezahlen; Hilfe von der Arbeitsagentur ist nicht in
Aussicht.
({6})
- Ich komme darauf zu sprechen: Die Bundesregierung
schlägt nun den Langzeitarbeitslosen vor, sie könnten zu
einer Krankenkasse ohne Zusatzbeitrag wechseln. Ich
halte das für zynisch; denn es ist nach Insidermeinung
schon heute absehbar, dass spätestens im nächsten Jahr
viel mehr Kassen von der Erhebung eines Zusatzbeitrags
Gebrauch machen werden.
Noch ein Wort zur FDP. Die Krokodilstränen, die die
FDP und der Gesundheitsminister angesichts des Zusatzbeitrages vergießen, sind für meine Begriffe der Gipfel
der Heuchelei; denn die Zusatzbeiträge sind doch nur der
Einstieg,
({7})
ein Vorgeschmack auf die Kopfpauschale und andere gesundheitspolitische Pläne, die besonders die Menschen
mit geringem Einkommen treffen werden. Da nützt es
nichts, immer wieder zu sagen: Wir organisieren im Bereich der niedrigen Einkommen einen Sozialausgleich.
({8})
- Ja, ja. Ich sage Ihnen: In der Summe werden viele Bürgerinnen und Bürger deutlich mehr für Gesundheit zahlen müssen.
({9})
Anders als vor der Wahl von Union und FDP vollmundig
angekündigt, werden die Menschen - vielleicht abgesehen von Hotelbesitzern, Steuerberatern und anderen Gutbetuchten - netto weniger haben als bisher.
Ihre mit Glanz in den Augen beschworene christlichliberale Koalition läuft Gefahr, die elementarsten christlichen Werte auf den Kopf zu stellen, nach dem Motto:
Nehmet den Armen und gebet den Reichen!
({10})
Ich sage: Nicht mit uns Bündnisgrünen!
({11})
Das Wort hat der Kollege Dietrich Monstadt von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns allen dürfte
klar sein, dass unsere demografisch alternde Gesellschaft einen wachsenden Bedarf an Gesundheitsleistungen haben wird. Gleichzeitig gibt es einen medizinischtechnischen Fortschritt, den wir begrüßen und für alle
wollen.
({0})
Beides führt zu wachsenden Kosten.
Zur Bewältigung dieser Herausforderung haben wir
nur wenige Optionen. Wenn wir die Leistungen nicht
kürzen oder gar streichen wollen, müssen wir die Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenkassen verbessern. Niemand sollte die Illusion schüren, wir könnten
bessere medizinische Leistungen vermehrt in Anspruch
nehmen, ohne dass die Kosten steigen.
({1})
Ich darf den Hintergrund der heutigen Debatte noch
einmal in Erinnerung rufen: Nach Medienberichten wird
geschätzt, dass auf 7 Millionen der 70 Millionen gesetzlich Versicherten, also auf 10 Prozent, ein Zusatzbeitrag
zukommt. Andere Krankenkassen teilen dagegen mit,
dass sie keine Zusatzbeiträge erheben wollen. Vier Kassen wollen sogar Prämien zurückerstatten.
Wir konnten in den letzten Tagen dauernd hören, dass
die SPD Zusatzbeiträge jetzt prinzipiell und kategorisch
ablehnt. Die Gesundheitsministerin, unter der diese Regelung in der letzten Legislaturperiode beschlossen
wurde, heißt bekanntlich Ulla Schmidt. Ich habe hier ein
Schreiben von Frau Schmidt aus der letzten Legislaturperiode, das an die Mitglieder der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD im Deutschen Bundestag gerichtet
war. Einigen Kolleginnen und Kollegen der SPD könnte
es ja noch bekannt sein.
Unter der Überschrift „Mehr Wettbewerb durch Effizienz und Transparenz“ beschrieb Frau Schmidt darin
die Vorzüge der Konzeption, die heute Gegenstand dieser Debatte ist. Ich zitiere:
Jeder Versicherte kann künftig besser erkennen, ob
seine Krankenkasse wirtschaftlich arbeitet oder
nicht. Kommt eine Krankenkasse mit den ihr zugewiesenen Mitteln nicht aus, muss sie Effizienzreserven erschließen; reicht auch dies nicht aus, kann sie
direkt von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag erheben.
({2})
Frau Schmidt schrieb weiter:
Gut wirtschaftende Krankenkassen können an ihre
Mitglieder Prämien auszahlen. Dies setzt ein transparenteres und wirksameres Preissignal als die gegenwärtigen, nur in Prozentpunkten benennbaren
Unterschiede zwischen den verschiedenen Beitragssätzen der Krankenkassen, die vielfach bei den
Versicherten unbekannt sind.
({3})
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({4})
Herr Kollege Dr. Lauterbach, um Ihren entscheidenden Diskussionsbeitrag in der Talkshow am Mittwochabend anzusprechen: Damit, dass wir Ihnen das vorhalten, verstecken wir uns nicht hinter Frau Schmidt. Umgekehrt wird vielmehr ein Schuh daraus: Sie versuchen,
zu verstecken, dass vor drei Jahren 187 SPD-Abgeordnete in namentlicher Abstimmung genau dieser Regelung mit Ja zugestimmt haben.
({5})
Das sind im Übrigen 41 Abgeordnete mehr, als Ihre heutige Fraktion stark ist, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.
({6})
Vielleicht sollten Sie auch Ihre stellvertretende SPDVorsitzende hiervon in Kenntnis setzen, damit Frau
Schwesig die jetzige Bundesregierung nicht länger verantwortlich macht.
Herr Dr. Lauterbach, in der letzten gesundheitspolitischen Debatte am 17. Dezember 2009 haben Sie konkrete Vorschläge der SPD angekündigt. Frau Bender,
die, so glaube ich, heute nicht hier ist, hat damals mit
Zwischenrufen dazu aufgefordert, dass Sie diese SPDVorschläge in Form eines Antrages vorlegen.
({7})
- Warten wir einmal ab, ob sie nächste Woche vorliegen,
Herr Kollege.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie mir gleichwohl die Anmerkung: Wenn die Bürgerinnen und Bürger so großes
Vertrauen in die konkreten Vorstellungen der SPD hätten, dann hätten sie die SPD mit einer größeren Zahl an
Mandaten in diesen Bundestag geschickt. - So viel dazu.
Meine Damen und Herren, von anderer Qualität als
die angekündigten Vorschläge der SPD sind die von den
Grünen im Dezember vorgelegten Eckpunkte, wenn ich
auch die meisten nicht teile. Erstens sind sie konkret,
zweitens wollen die Grünen ausdrücklich am morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich festhalten, den
die CDU-geführte Koalition eingeführt hat, und drittens
wollen die Grünen alle Einkommensarten unter Berücksichtigung von Freigrenzen und des Ehegattensplittings
in den Solidarausgleich einbeziehen. Übersetzt bedeutet
dies: Gleichsetzung mit der Einkommensermittlung durch
die Finanzverwaltung.
({9})
Ich sage: Dann doch bitte gleich ein Sozialausgleich
über Steuermittel!
({10})
Im Koalitionsvertrag haben wir die Richtung festgelegt: Es soll langfristig eine Entkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten geben. Die einzelnen
Schritte wird die Regierungskommission erarbeiten. So
lange sollten wir den Arbeitsergebnissen der Regierungskommission nicht vorgreifen.
Herzlichen Dank.
({11})
Herr Kollege Monstadt, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Das Wort hat der Kollege Steffen-Claudio Lemme
von der SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Rösler! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im aktuellen Spiegel ist zu lesen, dass Herr
Dr. Rösler die Gesundheitsreform plant. Ich meine, das
ist eine Operation am offenen Herzen. Er sagt von sich
selbst - das hat ihm wohl sein letzter Chef attestiert -, er
sei nie ein guter Chirurg gewesen, aber er sei immer der
Fröhlichste. Insofern scheint das Motto dieser Gesundheitsreform zu lauten: „Lachen macht gesund“. Aber das
reicht bei weitem nicht.
({0})
Die neue Bundesregierung ist fast auf den Tag genau
drei Monate im Amt. Angetreten mit markigen Wahlversprechen, sind die schwarz-gelben Eheleute allerspätestens diese Woche auf dem harten Boden der Realität gelandet. Die öffentliche Schelte für ihre Politik reißt
jedenfalls nicht ab.
Mit der Berufung von Christian Weber vom PKVVerband und der Demontage von Peter Sawicki ist diese
Regierung im Begriff, die gesundheitliche Absicherung
von 70 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der privaten
Versicherungswirtschaft zu überantworten.
({1})
Gleichzeitig signalisiert sie den Kostentreibern im System, insbesondere der Pharmaindustrie, dass sie zumindest in dieser Legislaturperiode vonseiten der Regierung
keine Gefährdung ihrer Profite zu erwarten hat.
({2})
- Doch, doch.
Nahezu anderthalb Monate ist es nun her, dass der
Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt Berechnungen vorgelegt hat, wonach im Gesundheitsfonds mit
einem 4-Milliarden-Euro-Loch zu rechnen ist. Das sind
sechs Wochen, in denen von Bundesminister Rösler und
seinem Stab rein gar nichts unternommen wurde, um das
drohende Defizit abzuwenden.
({3})
- Bei mir nicht.
In der Konsequenz führen dieses wochenlange Stillhalten und Ignorieren der Realitäten des Bundesministers nun zu Zusatzbeiträgen. Ich behaupte schlicht, Herr
Dr. Rösler fährt hier eine Art Tabula-rasa-Strategie.
({4})
Er denkt wohl, er hält sich so lange Augen und Ohren
zu, bis er die solidarische Krankenversicherung gegen
die Wand gefahren hat.
({5})
Im Nachgang muss er dann nur noch mit der Abrissbirne
ran und gibt dem Solidarsystem den Rest. Die Sache ist
klar: Sein Vorgehen hat Methode.
({6})
Das umlagefinanzierte Gesundheitssystem mit der
Solidarität der Versicherten untereinander sowie der paritätischen Beitragsaufbringung von Arbeitnehmern und
Arbeitgebern ist eine historische Errungenschaft und
Tradition, um die uns andere Länder beneiden.
({7})
Lassen Sie uns dieses System zu einer solidarischen Bürgerversicherung weiterentwickeln. Schüren Sie mit der
Kopfpauschale nicht die gesellschaftliche Spaltung!
Ich fordere insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion auf, sich ihrer Verantwortung für
die Bürgerinnen und Bürger als konservative Volkspartei
zu erinnern. Ich sehe mich gezwungen, Ihnen die gemeinsamen Werte der sozialen - ich betone: der sozialen Marktwirtschaft erneut ins Gedächtnis zu rufen, wonach
auch nach § 1 SGB V die Krankenversicherung eine Solidargemeinschaft ist.
({8})
Erinnern Sie sich bitte schnell, bevor Sie und Ihr Koalitionspartner einen schweren Fehler begehen! Zeigen
Sie Vernunft und Einsicht!
Was ich mich seit Tagen bezüglich der Kritik an der
Bundesregierung frage, ist Folgendes: Wenn man so sehr
und aus allen Richtungen unter Feuer genommen wird,
gibt einem das nicht zu denken?
({9})
Sicher, Herr Rösler ist jung, folgt wie auch immer gearteten Idealen und ist voller Tatendrang. Aber sollten diesen stets so eloquent auftretenden Minister die zahlreichen Stimmen aus der Gesellschaft nicht wenigstens ein
bisschen beeindruckt haben,
({10})
etwa die Kritik der Sozial- und Wohlfahrtsverbände, jener Organisationen, die diejenigen Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen, die von den finanziellen Auswirkungen Ihrer Politik betroffen wären?
({11})
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike
Mascher, hat die Pläne gegenüber der Frankfurter Rundschau als unsozial bezeichnet. Der Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität, Bernd Niederland, hat erklärt:
Zusatzbeiträge sind Ausdruck einer verfehlten Politik,
die die Gesundheitskosten einseitig auf die Versicherten
verlagert.
({12})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Hinzu kommen die Gewerkschaften. Der DGB-Vorsitzende, Michael Sommer, hat zu Recht an die Auswirkungen für Menschen mit kleinen Einkommen oder Renten erinnert, für die 8 Euro schlicht das Budget eines
Lebensmitteleinkaufes darstellen.
({0})
Christine Clauß, die sächsische Sozialministerin, hat,
wie Sie wissen, von einer unsäglichen Reform gesprochen. Ich erinnere außerdem daran, dass Herr Ministerpräsident Seehofer davor gewarnt hat. Der bayerische
Gesundheitsminister tut es ihm gleich. Ich glaube, die
CSU wird in diesem Haus sicherlich noch die zweite
Runde einläuten und den zweiten Gong schlagen, damit
Sie wieder zur Vernunft zurückkehren und auf diese unsolidarische Kopfpauschale verzichten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Herr Kollege Lemme, ich gratuliere Ihnen im Namen
des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat nun
das Wort der Kollege Rudolf Henke von der CDU/CSUFraktion.
({1})
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir schon
immer gewünscht, am Ende einer Plenarwoche im Deutschen Bundestag das letzte Wort in einer Debatte zu haben; das ist sehr erfreulich. Das stimmt einen natürlich
auch ein bisschen milde. Lieber Herr Lemme, ich finde
Ihre Aussage, es gebe eine Verletzung der Parität, durchaus diskussionswürdig. Aber ich verstehe nicht, warum
Sie von einem hohen moralischen Ross herab die Verletzung der Parität kritisieren; denn es war doch die
rot-grüne Regierung Schröder, die im Jahr 2003 die Einführung des heutigen 0,9-prozentigen Sonderbeitrags im
GKV-Modernisierungsgesetz beschlossen hat, und zwar
mit den Stimmen von SPD und Grünen.
({0})
Es war die rot-grüne Regierung Schröder, die die Einführung der Kassengebühr beim Praxisbesuch beschlossen hat. Es war die rot-grüne Regierung Schröder, die
die Erhöhung von Zuzahlungen unter anderem bei Arzneimitteln beschlossen hat.
({1})
Warum setzen Sie sich also auf dieses hohe moralische
Ross und sagen, die Verletzung der Parität fange mit
8 Euro Unterschied an, verlieren aber kein Wort darüber,
dass SPD und Grüne den Einstieg in die Veränderung der
Parität selber herbeigeführt haben?
Herr Terpe, ich danke Ihnen zwar für die wichtige Erinnerung an elementarste christliche Regeln. Aber zu
diesen Regeln gehört auch ernst gemeinte Wahrhaftigkeit. Sie können doch angesichts der Tatsache, dass fünf
Krankenkassen einen Zusatzbeitrag akzeptiert haben,
nicht so tun, als gäbe es keinen Ausweg. Natürlich gibt
es einen Ausweg; denn man kann entscheiden, ob man
diesen Zusatzbeitrag zahlen will. 50 Krankenkassen haben erklärt, 2010 keinen Zusatzbeitrag zu erheben. Es
gibt vier Krankenkassen, die sogar Geld an ihre Versicherten ausschütten. Bitte machen Sie es nicht zur Kernfrage der Glaubwürdigkeit christlich-liberaler Politik
und religiöser Orientierung, dass in fünf Krankenkassen
8 Euro mehr gezahlt werden müssen.
Ich fühle mich da an der falschen Stelle kritisiert, und
ich sage dann auch: Zur Wahrhaftigkeit gehört es
ebenso, ein Problem nicht größer, bedrohlicher und
schlimmer darzustellen, als es wirklich ist.
({2})
Ich komme gern auf Ihren ursprünglichen Debattenansatz zu sprechen, Herr Kuhn. Er lautet: Wir setzen uns
jetzt mit dem Zusatzbeitrag gar nicht deswegen auseinander, weil die 8 Euro so schlimm sind. Da hatten Sie
selber in Ihrer eigenen Regierungszeit unter Andrea
Fischer ganz andere Beitragsentwicklungen zu verantworten. Die 8 Euro sind nicht das Problem; Sie sagen
vielmehr, das Kernproblem sei, dass diese 8 Euro der
Einstieg sind und wir dann bei der Schaffung einkommensunabhängiger Beiträge eine größere soziale Ungerechtigkeit bekommen.
Daher meine ich, man muss Sie jetzt doch noch einmal mit der tatsächlich geführten öffentlichen Diskussion konfrontieren. Ich habe unter der Überschrift „Gerechte Kopfpauschale“ einen Artikel aus der
Süddeutschen Zeitung von Claus Hulverscheidt aus dieser Woche, und ich erlaube mir, daraus zu zitieren:
… die Behauptung,
- es sind nicht meine Worte, sondern die von Herrn
Hulverscheidt die Putzfrau müsse beim Prämienmodell den gleichen Kassenbeitrag zahlen wie der Fabrikdirektor,
löst in den Parteizentralen regelmäßig Panikattacken aus - dabei ist der Vorwurf hanebüchener
Unsinn:
({3})
Zwar ist die Gesundheitsprämie zunächst tatsächlich für alle Versicherten gleich hoch, schließlich
kostet die Kasse das Herausnehmen eines Direktoren-Blinddarms ja nicht mehr als die gleiche Operation bei der Putzfrau. Aber: Im Gegensatz zu ihrem
Chef muss die Reinigungskraft die Prämie nicht alleine zahlen, sondern erhält einen Teil aus Steuermitteln erstattet.
({4})
Dazu sagen Sie jetzt, das werde vielleicht nicht gehen.
Aber ist es denn nicht des Schweißes der Edlen wert, das
zu versuchen?
({5})
Die Koalitionsvereinbarung ist klar und eindeutig:
einkommensunabhängige Beiträge, die sozial ausgeglichen werden. Wir werden uns doch wohl an Worten dieses Bundesgesundheitsministers messen lassen, der die
Identität der Beitragsbelastung bei 8 Euro als unsozial
kritisiert. Dann werden wir doch keine einkommensunabhängige Prämie aufbauen, die dann nicht sozial ausgeglichen wird, denn das wäre ja total widersprüchlich.
Deswegen machen Sie sich da einmal keine zu großen
Sorgen.
({6})
Im Übrigen, auch Andrea Fischer, die bis 2001 die
erste grüne Bundesministerin für Gesundheit dieser Republik war, hat sich im vergangenen Jahr zu dem Thema
Prämie in einem Interview mit dem Tagesspiegel bemerkenswert geäußert. Ich zitiere:
Es ist im Prinzip kein falscher Gedanke, mit einer
solchen Prämie für jeden Menschen festzulegen,
welchen Preis er für seine Gesundheit in einem solidarischen System aufbringen muss. Die Umverteilung ist eine sozialpolitische Aufgabe danach - und
getrennt von der Gesundheitspolitik.
({7})
Mit diesem für alle gleichen Beitrag sollte niemand
überfordert werden, nicht die Einkommensarmen,
nicht die Menschen mit Familie. Das Steuersystem
ist der Ort, an dem die gesamte finanzielle Situation
eines Menschen erfasst und wo er entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu Abgaben verpflichtet
wird.
({8})
Eigentlich
- so Andrea Fischer also genau das richtige System, um Solidarität konkret werden zu lassen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzige Bitte,
die ich habe, ist, dass Sie nicht so tun, als hätten Sie ein
Monopol auf die Definition von Solidarität und als wären wir davon ausgeschlossen, mitzudiskutieren, wenn
es darum geht, was Solidarität tatsächlich ist. Verlassen
Sie sich darauf: Wenn es einkommensunabhängige Prämien gibt, dann werden diese Prämien sozial ausgeglichen. Sonst werden CDU und CSU dem nicht zustimmen. Das ist eine Aussage, auf die Sie sich verlassen
können. Hören Sie auf damit, Panik zu verbreiten.
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Herr Kollege Henke, auch Ihnen gratuliere ich im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Sie haben damit, wie Sie schon angekündigt haben, die
Debatte für heute abgeschlossen. Die Aktuelle Stunde ist
beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. Februar 2010, 15 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.