Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/26/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung zur Ratifizierung des Vertrages vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf Drucksache 17/10767 zu erweitern und diese jetzt gleich als Zusatzpunkt 1 mit einer Debattendauer von einer halben Stunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich rufe somit den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratifizierung des Vertrages vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Drucksache 17/10767 Es ist vereinbart, die Debattendauer auf eine halbe Stunde zu begrenzen. - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute einen wichtigen Schritt getan, um den ESM als einen robusten Krisenmechanismus schnellstmöglich in Gang zu setzen und damit ein wichtiges Instrument der Krisenbekämpfung zur Hand zu haben. Denn die Bundesregierung hat heute in ihrer Kabinettssitzung beschlossen, wie Deutschland zusammen mit unseren europäischen Partnern die Maßgaben erfüllen wird, die das Bundesverfassungsgericht uns in seinem Urteil zu ESM- und Fiskalvertrag vorgegeben hat, bevor Deutschland durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde den ESM-Vertrag nunmehr mit den anderen Partnern in Kraft setzen darf. Lassen Sie mich dazu kurz rekapitulieren: Das Bundesverfassungsgericht hatte im September über Anträge zu entscheiden, die den ESM-Vertrag wie auch den Fiskalvertrag endgültig stoppen wollten und damit Deutschland in dieser Krise hätten handlungsunfähig werden lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat - nach intensiver mündlicher Verhandlung - in seinem Urteil vom 12. September 2012 sowohl den Fiskalvertrag als auch den ESM-Vertrag grundsätzlich gebilligt und für verfassungskonform erklärt. Dies ist ein gutes Signal für die europäische Integration. ({0}) Entgegen der Auffassung der Kläger hat das Bundesverfassungsgericht - bei der im einstweiligen Verfahren erfolgten summarischen Prüfung - bestätigt, dass der ESM-Vertrag nach der gemeinsamen Lesart von Bundestag und Bundesregierung nicht die Budgetrechte verletzt. Lassen Sie mich auch betonen: Das Gericht hat auch das ESM-Finanzierungsgesetz bestätigt und festgestellt, dass die umfangreichen und europaweit sicherlich außergewöhnlichen, weil beispielhaften Beteiligungsrechte, die das deutsche Parlament beim laufenden Betrieb des ESM haben wird, ausreichende Einwirkungsund Steuerungsmöglichkeiten des Bundestages garantieren. Entgegen allen Vorbehalten hat das Bundesverfassungsgericht auch die Ansicht der Bundesregierung und des Bundestages bestätigt, dass der ESM keine Haftungsautomatismen begründet und die Zahlungsverpflichtungen nach sinnvoller und wahrscheinlicher Auslegung des Vertragswerks stets auf den von Bundestag und Bundesrat in den Umsetzungsgesetzen genehmigten Anteil am Stammkapital begrenzt sind. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist sicherlich auch ein Signal für mehr Rechtsfrieden und mehr Entspanntheit in der Debatte um ESM und Fiskalpakt gewesen. ({1}) In den Hausaufgaben, die das Bundesverfassungsgericht uns als Gesetzgeber und Bundesregierung aufgegeben hat, bevor wir dann den ESM in Kraft setzen können, hat es uns weder vorgegeben, den ESM-Vertrag zu ändern, noch, die entsprechenden Vorschriften neu zu verhandeln. Es fordert lediglich in zwei Punkten interpretative bzw. Rechtssicherheit schaffende Erklärungen. Dass der Vertrag folgendermaßen interpretiert werden sollte, ist auch Auffassung der Bundesregierung, wie wir in diesem Verfahren betont haben: Erstens. Wir sollen sicherstellen, dass unsere Haftung stets auf unseren Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt ist. Dies gilt insbesondere für alle Fälle des Kapitalabrufs, und eine Änderung darf nur mit Zustimmung des deutschen Vertreters im ESM erfolgen. Wir haben zweitens sicherzustellen, dass die Regelungen des ESM-Vertrags zu Immunitäten, zur Unverletzlichkeit der Archive und zu den beruflichen Schweigepflichten - weder in Deutschland noch in irgendeinem anderen Land - der notwendigen und umfassenden parlamentarischen Kontrolle nicht entgegenstehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, beides haben wir getan. Bereits bei der Euro-Gruppensitzung in Zypern am vorvergangenen Freitag haben wir über die Botschaft aus Karlsruhe gesprochen. Wie erwartet, bestand und besteht zwischen den Signatarstaaten der Verträge inhaltlich ohnehin Einigkeit über die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Auslegung des Vertrags. Insofern wurde schnell Einvernehmen darüber hergestellt, dass wir die Vorgaben unseres Gerichts durch eine gemeinsame verbindliche Auslegungserklärung umsetzen. Wir haben dann in der vergangenen Woche den Text der Erklärung und das genaue Verfahren zügig ausverhandelt und natürlich umfassend rechtlich prüfen lassen. Heute Nachmittag werden wir nun die Botschafter bitten, die gemeinsame Erklärung, die exakt die inhaltlichen Punkte, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, völkerrechtlich verbindlich festschreibt, für ihre Staaten rechtsverbindlich anzunehmen. Zusätzlich erklären wir - wie auch unsere Vertragspartner - eindeutig, dass diese Auslegung eine wesentliche Grundlage dafür darstellt, dass wir uns an diesen Vertrag gebunden fühlen. Diese Erklärung wird dann dem Ratssekretariat als Depositar, das heißt als Verwahrer des ESM-Vertrags, notifiziert. Zusätzlich wird Deutschland bei der erst im Anschluss daran erfolgenden Hinterlegung der Ratifikationsurkunde noch einmal explizit auf diese gemeinsame Erklärung Bezug nehmen und damit ihre Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland unterstreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erklärung wird durch dieses Verfahren rechtsverbindlich - entgegen irgendwelchen anderen Auffassungen handelt es sich eben nicht nur um eine politische, sondern um eine rechtsverbindliche Erklärung - und ist zukünftig zwingend von den ESM-Vertragsparteien, von den ESM-Gremien und im etwaigen Streitfall auch vom EuGH als zum Vertrag zugehörig heranzuziehen. Es herrscht völliges Einvernehmen in der Bundesregierung, dass wir damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vollumfänglich und rechtssicher umsetzen. Eine erneute Ratifizierung der Erklärung oder sonstige verfassungsrechtliche Zustimmungserfordernisse für Bundestag und Bundesrat löst diese Erklärung nicht aus. Denn sie ändert ja den ESM-Vertrag gerade nicht, sondern sie bestätigt das, was wir wollen, nämlich den Inhalt, den Bundestag und Bundesrat ihm ohnehin beim Gesetzgebungsverfahren durch Erklärung hier im Deutschen Bundestag, aber auch durch die Texte gegeben haben. Lassen Sie mich, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Abschluss auch darauf hinweisen, dass es uns damit zusammen mit unseren europäischen Partnern gelungen ist, Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene zu beweisen und besonders schnell grünes Licht für den ESM zu schaffen. Gerade angesichts der oftmals schwerfälligen, weil sehr förmlichen Prozesse im Bereich des Völkerrechts ist das ausdrücklich zu erwähnen. Wenn wir dann den ESM in den nächsten Tagen in Kraft setzen, haben wir ein wesentliches Instrument zur Überwindung der Krise im Euro-Raum eingerichtet und können damit in diesem nach wie vor unruhigen Marktumfeld effektiv agieren. Ich freue mich über die breite Unterstützung für unser Vorgehen, nicht nur aus den eigenen Reihen, also seitens der Koalition, sondern auch aus den Reihen der Opposition. Dieses Miteinander war sicherlich auch ein wichtiges Moment gegenüber dem Verfassungsgericht. ({2}) Ich glaube, wir tun gut daran, deutlich zu machen, dass der ESM nur ein Teil der Krisenbewältigungsstrategie ist, die wir in Europa umzusetzen haben, und zwar nur der Teil, der im Bereich der europäischen Gesamtverantwortung liegt. Die Staatsschuldenkrise kann und wird nur dadurch zu bekämpfen sein, dass wir für nationale Verantwortung für mehr fiskalische Disziplin, für ausgeglichene Haushalte und für die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit in allen Mitgliedsländern Europas werben. In diesem Sinne wird die Bundesregierung weiterhin daran arbeiten, das gemeinsame Haus Europa stabiler für Deutschland und für Europa zu machen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Carsten Schneider. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Die von der Bundesregierung heute beschlossene Protokollerklärung tragen wir mit und nehmen sie zur Kenntnis. Sie entspricht den Vorgaben, die das Verfassungsgericht gemacht hat. Die SPD-Fraktion hat während der Rativizierungsverfahren zum ESM-Vertrag insbesondere darauf Wert gelegt, dass die Gremien des ESM gegenüber dem Bundestag auskunftspflichtig sind. Unseren Anträgen ist die Koalition gefolgt. Es ist gut, dass wir dies jetzt hier noch einmal klarstellen. Der entscheidende Punkt ist allerdings: Sie, sehr geehrter Herr Staatssekretär Kollege Kampeter, haben eben gesagt, die Haftungssumme Deutschlands sei damit klar begrenzt; der ESM sei nur ein Teil der Strategie zur Lösung der europäischen Krise. Ich sehe sie als Finanzkrise an; ({0}) Sie haben sie als Staatsschuldenkrise bezeichnet. Damit widersprechen Sie Ihrem Finanzminister; aber das Recht auf freie Meinung soll auch in der Bundesregierung gelten, selbst wenn Sie in diesem Fall falschliegen. Interessant ist bei diesem entscheidenden Punkt nun, worüber Sie nicht gesprochen haben. Es geht um einen Sachverhalt, der auch noch im Hauptsacheverfahren eine Rolle spielen wird, nämlich die unbegrenzten Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als wäre die Haftung Deutschlands auf die Summe begrenzt, die im ESM-Vertrag festgelegt ist, dann, sehr geehrter Kollege Kampeter, führen Sie die Öffentlichkeit an der Nase herum. Die Haftungssumme ist deutlich höher. Ich finde, dass der Deutsche Bundestag darüber reden muss, weil es wichtig ist, politische Akzeptanz dafür zu erreichen. Das Versteckspiel, auf der einen Seite hier im Bundestag möglichst geringe Haftungssummen zu beschließen, um die Öffentlichkeit nicht zu verunsichern und Ihre Koalition zusammenzuhalten, und auf der anderen Seite über die Bilanz der EZB die Verluste von Banken zu sozialisieren, ist nicht akzeptabel. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Diese Entscheidungen gehören in den Deutschen Bundestag. ({1}) Wenn es um die Haftungsrisiken geht, die zwischen den Steuerzahlern verteilt werden, muss der Deutsche Bundestag darüber entscheiden. Das ist in einer Demokratie grundsätzlich die Voraussetzung. ({2}) - Herr Kollege Barthle, vielleicht glauben Sie zwar nicht mir, aber dem Bundesbankpräsidenten, der Ihrer Regierung durchaus nahestand. In einem Interview in der Neuen Zürcher Zeitung von heute, in dem es um dieses Staatsanleihenaufkaufprogramm geht, das Sie hier mit keinem Wort erwähnt haben, sagte er: Es gibt aus meiner Sicht einige Gründe, die gegen das Programm sprechen. Dazu zählen einerseits sicher stabilitätspolitische Prinzipien und die Frage, ob die Notenbank hierzu demokratisch legitimiert ist. Das sehe ich in der Tat genauso. Dann führt er fort - das ist der entscheidende Punkt; passen Sie auf! -: Das Programm verteilt Haftungsrisiken zwischen den Steuerzahlern der Euro-Zone um. Das dürfen nur die Parlamente, und diese haben mit den Rettungsschirmen ja auch die passenden Instrumente zur Hand. Punkt. ({3}) Herr Weidmann spricht Wahrheit; er ist der Chef der Deutschen Bundesbank. Ich frage mich nur: Was sagt die Koalition dazu? ({4}) Alles, was ich mitbekommen habe, Herr Staatssekretär, ist, dass der Chef Ihres Hauses, der Bundesfinanzminister Schäuble, Herrn Weidmann einen Maulkorb verpasst hat, dass er in einem Interview mit der Bild am Sonntag dem Bundesbankpräsidenten angeraten hat, doch lieber zu schweigen, als in Deutschland die Wahrheit zu sagen. Das ist mittlerweile die Politik der Bundesregierung. ({5}) - Herr Trittin, wir haben da eine grundsätzlich andere Auffassung; das ist richtig. ({6}) - Das hat mit dem Thema Haftungssumme zu tun. Ich kann verstehen, lieber Kollege Fricke, dass Sie über das entscheidende Thema nicht sprechen wollen. Aber ich finde, dass der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um über die Frage von Haftungsrisiken und über die Frage, wer hier was bezahlt, zu reden. Man muss darüber reden; das darf nicht totgeschwiegen werden. ({7}) Sie drücken sich darum. Ich finde das nicht akzeptabel. Die entscheidende Frage ist: Wer kommt im Endeffekt für die Kosten auf? - Ja, wir sind für die Stabilisierung der Euro-Zone. Ja, wir sind als Sozialdemokraten bereit, dabei Verantwortung zu übernehmen. Ja, wir sind dazu bereit, auch zu sagen, was es kostet. Es darf aber nicht über die Bilanz der europäischen Notenbank laufen, die dazu gezwungen wird, weil Sie nicht bereit sind, zu handeln. Das ist sozial ungerecht; denn das führt Carsten Schneider ({8}) dazu, dass diejenigen, die viel Geld haben, es letztendlich behalten, und die kleinen Leute alles bezahlen. Das ist nicht akzeptabel. ({9}) Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundestag in solch einer entscheidenden Frage eine klare Position hat. Eine Debatte darüber findet nicht statt. Deswegen nutze ich die heutige Gelegenheit, um es einmal deutlich zu sagen, entgegen den Äußerungen aus Ihrer Koalition zu diesem Punkt. ({10}) - Wir werden ja bei den einzelnen Hilfsanträgen von Staaten darüber sprechen. Wissen Sie, ich finde es bemerkenswert, wenn der Präsident der Deutschen Bundesbank als die einzige Chance, die er noch hat, um Ihnen an dieser Stelle ein Warnzeichen zu geben - entgegen den Äußerungen, die Sie hier immer wieder machen -, die Neue Zürcher Zeitung nutzt. Ich zitiere als letztes noch eine Stelle, in der er auf den Aspekt der Haftungsrisiken eingeht, die Sie angeblich negieren. Ich zitiere: Zum Beispiel verteilt die SNB - das ist die Schweizerische Notenbank mit ihrer Massnahme keine Risiken zwischen Steuerzahlern verschiedener Länder um, das Euro-System hingegen schon. Ich würde gerne wissen, ob Sie das so sehen oder nicht, sehr geehrter Herr Staatssekretär. Das ist eine relevante Frage, wenn es um die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages geht. Darauf müssen Sie einmal eine Antwort geben. Sie können das doch nicht totschweigen, als gäbe es das nicht. Dabei macht doch die EZB, weil Sie sich nicht einigen können, das Geschäft, und der Bundestag hat nichts zu sagen. Das ist undemokratisch, nicht legitimiert und führt letztendlich dazu, dass Haftungsrisiken vergemeinschaftet werden und diejenigen, die die Krise verursacht haben, eben nicht an den Kosten beteiligt werden. ({11}) Wir haben unsere Zustimmung im Bundestag zur Finanzierung dieser Lasten davon abhängig gemacht, dass eine Finanztransaktionsteuer eingeführt wird. Wir erwarten, dass dazu noch im Oktober ein klarer Fahrplan auf den Tisch kommt. ({12}) Es ist entscheidend, dass die Zusagen, die die Regierung gegeben hat, auch tatsächlich umgesetzt werden. Nicht die kleinen Leute sollten die Kosten der Krise bezahlen, sondern diejenigen, die sie verursacht haben. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Otto Fricke. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach einer solchen Rede muss man immer aufpassen, dass man sein Gemüt unter Kontrolle hält. Das will ich deutlich sagen, Kollege Schneider. ({0}) - Dazu gehört auch, dass man einfach einmal zuhört, so wie wir das eben leider tun mussten. Lieber Kollege Schneider, bei aller Kameradschaft, die wir im Haushaltsausschuss haben: ({1}) Was Sie hier gemacht haben, war europarechtlich und verfassungsrechtlich gesehen nichts anderes als weitere Brandstifterei; nichts anderes haben Sie hier gemacht. ({2}) Sie versuchen, Dinge nach vorne zu ziehen, die mit der Frage, über die wir hier eine Debatte zu führen vereinbart haben, nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. ({3}) Die Punkte, die Sie angesprochen haben, sind sicherlich diskussionswürdig, ({4}) aber unsere Aufgabe hier - und das wäre auch Ihre Aufgabe gewesen - ist es, für Entscheidungen, die dieses Parlament getroffen hat, für Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht getroffen hat, Vertrauen beim Bürger zu erzeugen. Sie versuchen allerdings, durch Misstrauen plumpe, primitive Politik zu machen. Das kann ich am heutigen Tag nur ausdrücklich ablehnen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich will versuchen, es ein wenig klarzustellen: Der Weg, der jetzt von der Bundesregierung gewählt worden ist und den das Parlament zur Kenntnis nehmen wird, ist ein Weg, der nach meiner Meinung elegant dafür gesorgt hat, dass Gesamteuropa sagt: Was der Bundestag beschlossen hat und was die Fraktionen vorbereitet haben, ist genau das, was wir wollen. Es gibt keinen anderen Interpretationsraum. Ich muss ehrlich sagen - vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand -: Vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes habe ich angesichts der vorherigen Entscheidungen gedacht: Mal sehen, was an unserem Gesetz noch zu korrigieren ist. Ich finde es erstens gut und wichtig, festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht in einer einmaligen Entscheidung, auch im Verfahren mit einer Anhörung usw., dafür gesorgt hat, schlichtweg klarzumachen: Das Gesetz, das der Gesetzgeber gemacht hat, ist so in Ordnung. - Das sollten wir auch für den Bürger festhalten. Wir sollten auch ein Zweites festhalten, Herr Kollege Schneider, nämlich dass es nicht, wie von vielen anderen behauptet - auch Sie haben eben versucht, das nebenbei so zu verkaufen -, irgendwie eine Obergrenze gibt, die l’art pour l’art, wie man will, aufgehoben werden kann, sondern dass dieses Gesetz eine feste Obergrenze vorsieht. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass auch Sie sagen, dass das Gericht uns in dieser Auffassung bestätigt hat, und einmal feststellen, dass das eine gute Entscheidung war. Sie hingegen machen etwas anderes. Dazu möchte ich nun etwas sagen. Sie sagen nämlich: Jetzt sehe ich, die Koalition hat bei der Gesetzgebung, bei der Parlamentsbeteiligung ordentliche Arbeit geleistet, mit allen Schwierigkeiten, die wir hatten, weil wir Neuland betreten haben. ({6}) - Leute, ob ohne euch oder mit euch, ({7}) ich sage ganz klar: Für mich als Europäer, der stabile Finanzen will und der die Risiken für den Euro begrenzen will, ist nachher nicht entscheidend, wer was wo wie gemacht hat, sondern für mich ist es entscheidend, dass wir am Ende Gesetze haben, auf die die Bürger vertrauen können. Wenn ihr daraus ein parteipolitisches Spiel machen wollt, dann macht es meinetwegen. Ihr werdet damit eurer Aufgabe und eurer Pflicht nicht gerecht. ({8}) Beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist aber noch etwas Weiteres ganz wichtig - Kollege Schneider, auch das zu sagen haben Sie vermieden -: die klare Absage an jegliche Möglichkeit der Einführung von Euro-Bonds oder Altschuldentilgungsfonds. Die ausdrückliche Aussage des Bundesverfassungsgerichts lautet - ich will sie gerne zitieren, auch, weil das einige nicht so gerne hören -: Es ist insoweit auch dem Bundestag als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. ({9}) Kurze Übersetzung: Euro-Bonds, die davon abhängen, dass andere Länder ihre Schulden tilgen, und ein Altschuldentilgungsfonds, der davon abhängt, dass andere Länder keine neuen Schulden machen, sind ({10}) schlichtweg verfassungswidrig. Das sollten Sie sich ins Stammbuch schreiben und nicht versuchen, Dinge aufzubauen, die nicht möglich sind. Nächster Punkt: die Europäische Zentralbank. Herr Kollege Schneider, ich wollte das eigentlich nicht ansprechen, weil ich dachte, dass wir uns über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum ESM-Vertrag unterhalten wollen. Aber unterhalten wir uns, nachdem Sie das in Ihrer Rede angesprochen haben, kurz über die Europäische Zentralbank. Eines ist bei Ihrer Rede klar geworden, und das muss man immer wieder nach draußen geben: Sie mögen Unabhängigkeit nicht. Sie mögen es nicht, wenn irgendjemand unabhängig ist. Sie mögen es nicht, wenn die Bundesbank unabhängig ist. Sie mögen es nicht, wenn die Europäische Zentralbank unabhängig ist. ({11}) Ich sage das ausdrücklich. Sie haben hier erklärt: Es kann nicht sein, dass die Europäische Zentralbank eine Entscheidung trifft, und wir als Politiker können das nicht in eine andere Richtung bringen. Das war Ihre Aussage. Dieser Angriff gegen die Unabhängigkeit ist ein Angriff gegen eine Säule der Stabilität der Bundesrepublik Deutschland und der Stabilität Europas. ({12}) Wenn Sie meinen, hier die billige Geschichte von den Haftungsrisiken vortragen zu müssen, dann sage ich Ihnen: Meiner Fraktion gefällt das, was die Europäische Zentralbank da gemacht und beschlossen hat, nicht. Ausdrücklich sage ich: Es gefällt ihr nicht. ({13}) - Frau Hagedorn, das ist der Unterschied. Wir können auf der einen Seite feststellen, dass uns etwas nicht passt, aber wir achten trotzdem sowohl die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts als auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, auch wenn beides dafür sorgt, dass wir als Politiker manchmal Entscheidungen hinnehmen müssen, die wir nicht mögen. Sie dagegen nutzen Politik auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Staates, um das zu korrigieren. Sie werden damit nach meiner Meinung gegen die Wand fahren. Vor allen Dingen werden Sie damit nicht das erreichen, was wir erreichen müssen: Sie sorgen nicht dafür, dass die Bürger wieder mehr Vertrauen in die Politik haben, ({14}) insbesondere dann nicht, wenn Sie auch in anderen Bereichen jegliche Form der Unabhängigkeit und der Argumentation gegen Politik nicht mehr zulassen. Überlegen Sie sich, ob das der richtige Kurs ist. Ich jedenfalls erwarte, dass es die Europäische Zentralbank trotz der Dinge, die sie beschlossen hat ({15}) diese Dinge passen mir nicht, und ich hätte sie so auch nicht beschlossen -, mit den Vorgaben, die sie sich selbst gegeben hat, und mit der Anbindung an die Frage, was wir im Parlament machen, sehr genau nimmt. Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass wir darüber mit Herrn Draghi sprechen können. Ich hoffe, das geschieht in einer guten Form: nicht so, dass er nur ein paar Sätze sagt und wir zuhören dürfen, sondern so, dass uns in einem wirklichen Frage-und-Antwort-Spiel klar wird, ({16}) wie er das gemeint hat. Eines wird es mit der FDP-Bundestagsfraktion nicht geben: einen Angriff auf die Unabhängigkeit von Zentralbanken, egal um welche es geht. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Diether Dehm. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Fricke, der Herr Kollege Schneider hat ausdrücklich die Aussagen des Herrn Weidmann in der Neuen Zürcher Zeitung zitiert, und Sie sprechen von Brandstifterei. Ich glaube, da hatten Sie nicht nur Ihr Gemüt, sondern auch Ihre Worte nicht unter Kontrolle. Ich würde mit diesen Worten etwas vorsichtiger sein. Bis gestern Abend wollten Sie hier überhaupt nicht diskutieren. Es ist unserer Drohung mit einer einstweiligen Verfügung zu verdanken, dass es überhaupt zu dieser Diskussion gekommen ist. Und es war unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die bewirkt hat, dass es überhaupt die beiden völkerrechtlich verbindlichen Vorbehalte zum ESM gibt. ({0}) Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht vorletzte Woche die beiden entsprechenden Auflagen erteilt hat, erstaunt schon die Einschätzung der Bundesregierung, dass es sich hierbei um keine Vertragsänderung handelt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts war eben nicht eindeutig geregelt, dass die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro nur nach Zustimmung des Bundestags überschritten werden darf. Genauso wenig war gewährleistet, dass der Bundestag als demokratisch legitimiertes Parlament unterrichtet wird, trotz der Schweigepflicht der lediglich ernannten und nicht gewählten ESM-Mitarbeiter.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollege Dehm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, natürlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Dehm, würden Sie liebenswürdigerweise zur Kenntnis nehmen, dass es zur Ansetzung dieses Tagesordnungspunktes nicht der Drohung mit einer einstweiligen Verfügung bedurft hat, sondern dass, nachdem ich jede einzelne Fraktion angeschrieben hatte, ob sie nach dem Verfahrensvorschlag, den die Bundesregierung zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemacht hat, noch zusätzlichen Diskussionsbedarf sieht, die Anmeldung dieses Diskussionsbedarfs durch Ihre Fraktion unverzüglich zu einem Einvernehmen aller Fraktionen zur sofortigen Ansetzung dieses heutigen Tagesordnungspunktes geführt hat, was Ihnen nun Gelegenheit zu dieser famosen Rede bietet? ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundestagspräsident, ich präzisiere meine Aussage: Durch das Schreiben des Kollegen Gregor Gysi sind die Rechte dieses Bundestages, die natürlich bei Ihnen in den besten Händen liegen, gegenüber bestimmten Willkürmaßnahmen der Bundesregierung noch einmal aktiviert worden. Ich danke Ihnen sehr, ich glaube, auch im Namen des Kollegen Gysi, dass wir gemeinsam gestern zur Auffassung gekommen sind, diese Debatte zu führen. Erlauben Sie mir nur diese Spekulation: Ohne uns wäre es vielleicht nicht möglich gewesen. - Ich danke Ihnen. ({0}) Selbst wenn, wie der Herr Staatssekretär Kampeter in seinem Schreiben vom 21. September ausführt - ich zitiere -, „lediglich der Inhalt des ESM-Vertrags klargestellt wird“ und sich diese Neufassung - ich zitiere erneut - „vollständig im Rahmen der stets von Bundesregierung und Bundestag vertretenen Auslegung bewegt“, so ist und bleibt das Ihre subjektive Meinung, die man schätzen mag. Die Linke sieht dies allerdings so wie das Bundesverfassungsgericht, das die Geltendmachung dieser Vorbehalte ausdrücklich eingefordert hat. Damit haben wir es eindeutig mit einer Vertragsänderung zu tun, und sie erfordert sehr wohl die Zustimmung und Ratifizierung durch die Parlamente der vertragsschließenden Parteien, gegebenenfalls auch die Billigung durch Volksabstimmung. Glauben Sie nicht, dass mit Ihrem überhasteten und unsauberen Vorgehen den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen werden kann! Und glauDr. Diether Dehm ben Sie nicht, dass mit Ihrem Vorgehen das jetzt schon angeschlagene Vertrauen der Menschen in diese Europapolitik gestärkt würde! Die Umfragen zeigen: Die Menschen schütteln über solche EU-Winkelzüge nur noch den Kopf. Das Mindeste, was verlangt werden kann, ist eine ordnungsgemäße parlamentarische Behandlung im Bundestag und eine Überweisung an seine Ausschüsse, wie wir es als Linke in diesem Falle vergeblich gefordert haben. Wenn hier stattdessen wieder einmal der Bundestag unter unwürdigen Zeitdruck gesetzt wird und Trickserei an die Stelle eines nachvollziehbaren und fairen Verfahrens treten soll, dann sind Sie ein weiteres Mal an dem zunehmenden Misstrauen gegenüber der EU schuld. Ich bin ganz sicher, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen für Ihre Spekulantenpflege eine entsprechende Quittung bei Wahlen erteilen werden; denn dann, wenn es um Spekulanten geht, geht es holterdiepolter und schnell, und wenn es um die Interessen der sozial Betroffenen geht, gibt es ewige bürokratische Vorgänge, etwa die Schuldenbremse, unter der dann Länder und Kommunen, Krankenhäuser und Schulen leiden. ({1}) Warum zwingen Sie, Frau Merkel - sie ist jetzt nicht da -, Länder in ganz Europa immer nur zu brutalen Regeln gegen Rentnerinnen und Lehrer und nie dazu, Steueroasen rechtsverbindlich auszutrocknen? Trocknen Sie diese aus! Gehen Sie einmal den griechischen Steuerhinterziehern an die Wäsche, die die 200 Milliarden in die Schweiz und nach Liechtenstein verbracht haben, die nötig wären, um die griechische Krise zu lösen! Und sorgen Sie dafür, dass Staaten und öffentliche Hand neue Einnahmen bekommen! Das ist die eigentliche Ursache der Krise: dass die Staaten in ihren Einnahmen gehemmt werden, und zwar auch durch diese Bundesregierung. ({2}) Wenn Sie Rücksichtslosigkeit an den Tag legen wollen, Frau Merkel, dann tun Sie es gegenüber den Verursachern und Profiteuren der Krise, gegenüber Zockerbuden, Spekulanten und Finanzhaien, aber nicht gegenüber jenen, von denen Sie glauben, sie könnten sich nicht wehren. ({3}) Denn sie werden sich wehren, und Sie werden sehen, dass sie sich auch in ganz Europa dagegen erheben werden. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Manuel Sarrazin.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt ja die Aufgabe, nach dem Kollegen Dehm zu sprechen, und darum muss ich dazu doch zunächst etwas Qualifizierendes sagen. ({0}) Ich habe das Gefühl, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, dass Ihr Auftreten hier klassisch mit dem des schlechten Verlierers bzw. der schlechten Verliererin zu beschreiben ist. Das Verfassungsgericht hat die Interpretation einer eindeutigen Formulierung im ESM-Vertrag, die durch den Deutschen Bundestag noch einmal eindeutig interpretiert wurde, nämlich dass von einer klaren Höchstgrenze auszugehen ist, die vom Deutschen Bundestag so auch vor Gericht vorgetragen wurde, übernommen und noch einmal nach außen hin bestärkt. ({1}) Daraufhin haben sich alle 17 Euro-Staaten dieser eindeutigen Interpretation des Deutschen Bundestages angeschlossen und eine eindeutige Erklärung unterschrieben, die dieses ganz klar zur wesentlichen Grundlage macht. ({2}) - Sie können sich ja melden. Dass Sie europarechtlich nicht so richtig bewandert sind, merkt man an einigen Beispielen. Die Grünen haben mit Verweis auf Art. 23 des Grundgesetzes gegen die Umgehung des Deutschen Bundestages beim ESMVertrag vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Wir haben hundertprozentig recht bekommen; das passiert Ihnen selten. Sie hatten sich der Klage nicht angeschlossen. Stattdessen haben Sie in Karlsruhe mit Ihren Prozessvertretern das parlamentarische Verfahren zum ESM falsch dargestellt. ({3}) In Ihren Reihen haben Sie wenig Kompetenz zu den Themen Europarecht und Verfassungsrecht. ({4}) Ich kann Ihnen Randnummer 253 des Urteils vorlesen: Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESMVertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte. Mit dieser Erklärung ist eindeutig eine Interpretation zur Voraussetzung des Vertragsabschlusses vorgenommen worden. Das heißt, wenn sich diese Interpretation als nicht mehr gültig erweisen sollte, besteht nach Wiener Vertragsrechtskonvention für die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich die Möglichkeit zur Kündigung. ({5}) Das ist eindeutig. Sie sind einfach nur schlechte Verlierer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei. ({6}) Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Sie glauben, dass Sie der Demokratie einen Gefallen tun, dass Sie nach Karlsruhe gehen, auch wenn Sie hier keine Mehrheit haben. Sie wollen den Euro kippen. Dafür bräuchten Sie eine Mehrheit in diesem Haus. Die Mehrheit hier hält jedoch am Euro fest. Sehen Sie doch bitte ein, dass Sie hier keine Mehrheit für Ihr Vorhaben haben. Das ist nun einmal so. ({7}) Wenn man daraus eine Lehre für die Demokratie ziehen kann, dann die, dass diese Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine legitimatorische Funktion haben. Ich glaube, dass der Ablauf der Verhandlungen gezeigt hat, dass das Gericht versucht, eine legitimatorische Funktion auszustrahlen. Sie werden letztlich auch das Bundesverfassungsgericht in seiner legitimatorischen Funktion beschädigen, wenn Sie weiterhin eindeutige Feststellungen infrage stellen. ({8}) Daran sollte kein Demokrat in diesem Haus ein Interesse haben. ({9}) - Wissen Sie, Frau Enkelmann, mir kann niemand in diesem Haus unterstellen, dass ich mich in dieser Frage nicht mit dem Europarecht beschäftigt hätte. ({10}) - Ich habe gerade die Randnummer 253 zitiert. Ich kann Ihnen auch die Randnummer 240 vorlesen. ({11}) - Diether, du musst dich melden; meine Redezeit ist fast abgelaufen. Nachdem ich aufgezeigt habe, dass die Linkspartei ein schlechter Verlierer ist, wollte ich noch etwas zur Regierung sagen. Ich wollte der Regierungsseite noch eines sagen: Sie haben hier ausgeführt, dass es Ihnen nicht passt, welche Entscheidung die EZB getroffen hat. Ehrlich gesagt, da muss ich Ihnen ins Stammbuch schreiben: Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind doch heilfroh, dass es in Ihrer kaputten Koalition nicht dadurch zum Bruch kommt, dass sie irgendwann einmal eine Entscheidung treffen müsste, wohin es mit Europa geht. ({12}) Das sieht man Ihnen doch an. Ich finde es schwach, wenn Sie nur bluffen und immer anderen die Schuld dafür geben wollen, dass etwas nicht geht. Wir freuen uns über diese Erklärung der 17 EuroStaaten. Allerdings ist der Auftritt der Regierung hier nicht viel besser als der der Linkspartei. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf auf den Redebeitrag des Kollegen Carsten Schneider zurückkommen. Ich war verwundert, worüber er sich hier ausgelassen hat. Das hat mit dem Thema, das wir heute zu behandeln haben, wenig zu tun. Erstens. Gerade wir in der Bundesrepublik Deutschland - Kollege Fricke hat bereits zu Recht darauf hingewiesen; aber es kann ruhig noch einmal gesagt werden haben den allergrößten Wert darauf gelegt, in Europa eine unabhängige Zentralbank zu bekommen. Es war kein Geringerer als der damalige Finanzminister Dr. Theo Waigel, der sich hier sehr ins Zeug gelegt hat, dass diese Vereinbarung in Europa getroffen werden konnte und dass die EZB nach dem Muster der Deutschen Bundesbank unabhängig ist. Es wäre kurzsichtig, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank deswegen infrage zu stellen, weil man vielleicht die eine oder andere Entscheidung gerne anders treffen würde; dazu hat jeder von uns eine eigene Meinung. Ich glaube, wir werden im Laufe der Zeit noch sehr dankbar dafür sein, dass wir eine unabhängige Europäische Zentralbank haben. Zweitens. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sehr schnell nachkommt. Sie hat die Erklärungen, sowohl die gemeinsame als auch die einseitige Erklärung, beschlossen und wird sie völkerrechtlich verbindlich abgeben. Drittens. Ich will festhalten, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung festgestellt hat: Es hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen AnordBartholomäus Kalb nung abgelehnt. Damit hat es den Kurs der Koalition zur Bewältigung der europäischen Finanzkrise und zur Lösung der Währungsprobleme bestätigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kalb, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Dr. Danckert würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kalb, stimmen Sie mir in der Einschätzung zu, dass wir die heutige Debatte überhaupt nicht führen würden, wenn wir - da beziehe ich mich durchaus mit ein - nicht in Karlsruhe vorstellig geworden wären? ({0}) Glauben Sie im Ernst, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn alles so klar gewesen wäre, wie Sie es hier und heute darzustellen versuchen, vor der Ratifizierung eine verpflichtende Erklärung verlangt hätte? ({1}) Wäre alles so sonnenklar, wäre das doch gar nicht notwendig gewesen, oder? ({2}) Ich möchte an dieser Stelle meine Zweifel daran anmelden, dass die Erklärung, die jetzt vorliegt, den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts wirklich entspricht; wir werden es sehen. Das, was Sie hier veranstaltet haben, war ein einziger Eiertanz. Wir haben ja erlebt, dass es mehrere Fassungen gegeben hat, bis es schließlich zu der jetzt vorliegenden Erklärung gekommen ist. Unsere Parlamentarierkollegen in anderen Ländern betrachten dies als einen schweren Eingriff in den Vertrag. ({3}) Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, wie Sie es von Anfang an dargestellt haben. Wir haben Sie zu einer Klarstellung zwingen müssen: ({4}) zur Haftung, zur Vertraulichkeit und zu weiteren Punkten, die in dem Urteil ausdrücklich erwähnt sind. ({5})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber geschätzter Kollege Danckert, ich will Folgendes festhalten: Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihre Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt; das habe ich gerade ausgeführt. ({0}) Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die von uns beschlossenen Maßnahmen mit der Verfassung in Einklang stehen. Drittens. Wir, die wir den ESM-Verträgen zugestimmt haben, fühlen uns in keiner Weise beschwert, sondern, ganz im Gegenteil, im Hinblick auf das, was wir im Rahmen des ESM-Finanzierungsgesetzes bereits beschlossen haben, durch das Bundesverfassungsgericht sogar bestätigt. Man kann es nur begrüßen, wenn das auf Anregung bzw. Anordnung des Bundesverfassungsgerichts sogar völkerrechtlich abgesichert wird. Wir haben im ESM-Finanzierungsgesetz festgelegt, was zu tun ist. Die Haftungssumme wurde auf 190 Milliarden Euro und ein paar Zerquetschte beschränkt, und sie darf nicht erhöht werden - das ist der feine Unterschied zu mancher Interpretation -, wenn nicht das Parlament erneut darüber befindet. Wir haben im ESMFinanzierungsgesetz auch festgelegt, dass der deutsche Vertreter an den jeweiligen Sitzungen teilnehmen muss, dass er sich nicht enthalten darf und folgerichtig mit Nein stimmen muss, wenn es im Hinblick auf Entscheidungen, die den Haftungsrahmen betreffen könnten, kein entsprechendes parlamentarisches Votum gibt. Ich denke, hier hat das Bundesverfassungsgericht uns voll und ganz recht gegeben. Es hat angeordnet, dass das, was wir hinsichtlich der Innenbindung festgelegt haben, auch den Vertragspartnern völkerrechtlich bindend mitgeteilt werden muss. ({1}) Nicht mehr und nicht weniger wird durch das, was hier und heute Gegenstand der Debatte ist, getan. Ich denke, damit ist das allermeiste zu dem ganzen Thema gesagt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kalb, auch der Herr Kollege Stinner würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie möchten.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die mögen mich mehr.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege Kalb. Teilen Sie meinen Eindruck, dass die Einlassung des Kollegen Danckert, SPD, bezüglich des heute zu verhandelnden Themas völlig kontrovers zu der Einlassung des Kollegen Schneider, SPD, war? ({0}) Teilen Sie auch meinen Eindruck, dass damit ein weiteres Mal bewiesen ist, dass die SPD offensichtlich gespalten und in dieser Situation nicht handlungsfähig ist? ({1})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar für diesen Hinweis. Ich teile diesen Ihren Eindruck vollumfänglich, weil wir gerade bei all diesen Fragen immer wieder feststellen müssen, dass der Kollege Schneider hier so redet, wie er gelegentlich redet und wie wir ihn kennen, während seine Partei und seine Fraktion eine ganz andere Linie vertreten. ({0}) Ich muss fast sagen: In den grundsätzlichen Dingen vertreten die Führungen seiner Partei und seiner Fraktion vielleicht sogar eine klarere Linie als der Kollege Schneider. ({1}) Ich denke, damit ist das Wesentliche zu dem heute gegenständlichen Punkt gesagt. Die Fragen, die mir gestellt worden sind, haben mir Gelegenheit gegeben, all das unterzubringen, was ich ohnehin gerne angebracht hätte. Insofern darf ich mich beim Kollegen Stinner, aber auch beim Kollegen Danckert ganz herzlich bedanken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Auch der Herr Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne noch eine Frage stellen. Das ist dann aber die letzte. Danach sind wir am Schluss dieses Tagesordnungspunktes.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da er so viel Mitleid hat mit mir und meine Redezeit verlängern möchte, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie haben eigentlich noch zwei Minuten Redezeit. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann mich ja schnell wieder setzen. - Verehrter Herr Kollege Kalb, teilen Sie meinen Eindruck, dass Herr Gauweiler, wenn er sich heute gemeldet hätte, hier eine Position vertreten hätte, die nicht derjenigen entspricht, die Sie vorgetragen haben, womit deutlich wird, dass die Koalition in dieser Frage zerstritten und nicht handlungsfähig ist? ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzteres nicht. Es gibt abweichende Meinungen. ({0}) Die Debatte hätte dann vielleicht länger gedauert, aber die Meinung der Mehrheit ist vollkommen klar. Die Koalition ist nicht zerstritten. Wir müssen auch abweichende Meinungen akzeptieren. Kollege Gauweiler ist übrigens anwesend. Wir beide diskutieren sehr oft ({1}) und sehr gegensätzlich. Ich finde: Auch wenn man die Meinung nicht teilt, sollte man dem anderen den Respekt nicht versagen und anhören, was er zu sagen hat. ({2}) Danach muss es im demokratischen Verfahren zu einer Meinungsbildung und zur Entscheidung kommen, so wie wir mit ganz großer Mehrheit hier in diesem Hause zu einer Entscheidung gekommen sind. Dass hier abweichende Meinungen bestehen bleiben, liegt in der Natur der Sache. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Die Fraktion Die Linke wünscht die Überweisung der Unterrichtung auf Drucksache 17/10767 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, an den Rechtsausschuss, an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wünschen hingegen, die Behandlung der Unterrichtung heute durch Kenntnisnahme abzuschließen. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion Die Linke auf Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Das ist offenVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms kundig die Mehrheit. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Damit ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt. Die Unterrichtung ist somit zur Kenntnis genommen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2012. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter Friedrich.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir legen den Bericht, der heute im Bundeskabinett verabschiedet worden ist, dem Parlament vor. Wir haben uns dabei in diesem Jahr im Wesentlichen auf zwei Schwerpunkte konzentriert, nämlich auf die Konvergenz im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und des Arbeitsmarktes sowie auf die Frage der demografischen Herausforderung, die nicht nur in den neuen Ländern, aber dort vor allem, schon seit längerer Zeit zu beobachten ist. Die erfreulichste Botschaft vorweg: Die Arbeitslosigkeit ist in den neuen Ländern auf einem historischen Tiefstand. Wir haben in Ostdeutschland eine Arbeitslosenquote von 10,3 Prozent. Das ist historisch niedrig. Aber das ist - das wissen wir alle - natürlich erheblich über der Marke von 6 Prozent, die wir in den alten Bundesländern, also in Westdeutschland, haben. Wir stellen als Herausforderung besonderer Art - das ist der erste Punkt - eine nach wie vor unterentwickelte Innovationsfähigkeit in den neuen Ländern im Bereich der Wirtschaft fest, die im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass wir es dort mit einer sehr kleinteiligen Wirtschaftsstruktur und mit zum Teil nicht nur mittelständischen, sondern auch sehr kleinen Unternehmen zu tun haben, die, was ihre Innovationskraft angeht, Unterstützung brauchen und durch staatliche Hilfen natürlich auch bekommen. Ein zweiter Punkt, der ebenfalls mit dieser Kleinteiligkeit zusammenhängt, ist die noch ausbaufähige Exporttätigkeit und Exportorientierung der Wirtschaft in den neuen Ländern. Auch hier versuchen wir, mit sehr gezielten Programmen dafür zu sorgen, dass dieser Nachteil für die Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern ausgeglichen wird. Wir müssen insgesamt feststellen, dass wir im Grunde den Wirtschaftsraum neue Länder in dieser allgemeinen Form gar nicht mehr haben. Wir haben vielmehr sehr unterschiedliche Entwicklungen in den verschiedenen Regionen und auch sehr unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Wirtschaftszentren. Es gibt Boomregionen und strukturschwache Gebiete, die eine einheitliche Beurteilung des Wirtschaftsraums Ost mit allgemeinen Aussagen gar nicht zulassen. Wir sehen aber einen Punkt, der gerade in den neuen Ländern flächendeckend sehr stark zum Tragen kommt, nämlich die demografische Entwicklung. Das Abnehmen der Geburtenrate - in den 90er-Jahren gab es eine Halbierung - und auch die Abwanderung haben in den neuen Ländern besondere Herausforderungen mit sich gebracht. Das ist auch der Grund dafür, dass sich der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer zusammen mit mir für eine Nachfolgeregelung bei der EU-Förderung für die neuen Länder mit sehr großer Kraft einsetzt. Wir wissen, dass das in der nächsten Förderperiode durchaus schwierig wird. Aber wir sind der Meinung, dass ein Sicherheitsnetz von zwei Dritteln des jetzigen Förderniveaus geschaffen werden muss. Ich kann sagen, dass die Verhandlungen des Beauftragten in Brüssel auf einem sehr guten Weg sind. Ich glaube, das ist wichtig, um diesen demografischen Herausforderungen Rechnung tragen zu können. Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte - das ist eine besondere Herausforderung, die sich in ganz Deutschland abzeichnet, aber in den neuen Ländern besonders stark zum Vorschein kommt -, ist der drohende Fachkräftemangel. Deswegen gibt es auch an dieser Stelle eine sehr gezielte Politik der Bundesregierung: Förderung der Ausbildung und Fachkräfteausbildung, gerade um die kleinen und mittelständischen Unternehmen flankierend zu unterstützen. Ich denke, auch mit dieser Offensive sind wir auf einem guten Weg. Das zunächst zur Einleitung, Herr Präsident. Ich stehe zur Beantwortung von Fragen ebenso wie der Beauftragte der Bundesregierung, der neben mir sitzt, zur Verfügung. Falls Sie unmittelbar Fragen an ihn haben, bitte ich, mir das dann, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zu signalisieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Friedrich. - Die erste Frage hierzu stellt Herr Volker Beck von den Grünen. ({0}) - Entschuldigung, ich rufe Ihre Frage dann später auf. Ralph Lenkert ist der erste Fragesteller.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister, die Bundesrepublik ist noch Eigentümer von mehr als 11 000 Wohnungen in Ostdeutschland, die der TLG gehören. Diese soll jetzt privatisiert werden. Welche Aussagen macht der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit zu dieser Privatisierung, und warum wurde die Bietergenossenschaft Fairwohnen vom Bundesministerium der Finanzen aus dem Bieterverfahren ausgeschlossen? Können Sie als Minister diese Privatisierung noch verhindern?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Zunächst einmal ist zu sagen, dass auch die Bundesregierung eine solche Privatisierung nicht verhindern kann. Ich habe vorhin gesagt, dass wir uns bei dem Bericht im Wesentlichen auf die Fragen der wirtschaftlichen Konvergenz und des Arbeitsmarktes konzentriert haben. Die speziellen Fragen der Wohnungsbauentwicklung in den neuen Ländern, die Sie angesprochen haben, haben wir übrigens ebenso wie Fragen der Infrastruktur in einem Bericht gebündelt, den der Bauminister vorlegen wird. Insofern enthält der Bericht keine Antwort auf diese speziellen Fragen, die Sie gestellt haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt Dr. Martina Bunge.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben über wirtschaftliche Fragen, den Arbeitsmarkt und die demografische Entwicklung gesprochen. Ich hoffe, der Bericht zur deutschen Einheit enthält auch etwas zum Stand der sozialen Einheit. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob es bei den bisherigen Aussagen bleibt - der Ostbeauftragte Bergner hat sich gestern Abend dazu schon fast traditionell in den Medien geäußert -, dass die in der Koalitionsvereinbarung verabredete und als Wahlversprechen der Bundeskanzlerin auf dem Seniorentag 2009 in Leipzig explizit angekündigte Angleichung von Ost- und Westrenten nicht mehr kommt, und ob das auch so in dem Bericht festgehalten ist. Ich frage Sie, welche Perspektive sich aus dem Umstand ergibt - dazu gibt es eine entsprechende Zeitungsmeldung -, dass die Renten den Löhnen wie bisher folgen sollen. 1991 hat man gedacht, die Angleichung dauert fünf Jahre; inzwischen sind es 20 Jahre. Die Differenz bei den Renten vergrößert sich immer weiter und beträgt jetzt 142 Euro. Das sind keine Peanuts. Es gibt Berechnungen, dass die Angleichung so 160 Jahre dauern würde. Sollen die Menschen in den neuen Ländern darauf vertrauen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, der Ostbeauftragte hat sich gestern geäußert, weil er gefragt worden ist. Es entspricht den Regeln der Höflichkeit, zu antworten, wenn eine Frage gestellt wird. Zu der Rentenproblematik allgemein: Wir wollen eine Angleichung des Rentensystems in Ost und West. Das ist nicht nur in der Koalitionsvereinbarung so festgehalten, sondern es ist auch unser fester Wille. Wir haben aber auch immer gesagt: Wir werden das nicht gegen den Willen und die Auffassung der Regierungen in den neuen Ländern tun. Es gibt bisher keine einheitliche Haltung der Landesregierungen in den neuen Ländern in der Frage der Angleichung des Rentensystems. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass es automatisch eine Rentenerhöhung für alle wäre, wenn wir das Rentensystem angleichen würden. Es wäre für einige eine Rentenabsenkung, und das macht die Sache so kompliziert und so schwierig. Aber wir werden den besonderen Verhältnissen - Sie haben sie angesprochen wie den immer noch relativ niedrigen Löhnen dadurch gerecht, dass wir eine Höherbewertung der Arbeitsverdienste vornehmen. Das würde bei einer Angleichung der Rentensysteme wegfallen. Ich glaube, das ist auch nicht in Ihrem Interesse.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächste Frage Wolfgang Tiefensee. ({0})

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Minister, in den letzten 22 Jahren gab es eine positive Entwicklung im Osten; wir haben viel erreicht. Der Bericht belegt aber, dass der Trend stagniert und ein Negativtrend droht. Erstes Schlüsselthema: Wirtschaftskraft. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Absenkung der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur durch die Bundesregierung kontraproduktiv ist? Zweites Schlüsselthema: Arbeitslosigkeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Kürzung der Gelder für die Arbeitsämter kontraproduktiv ist? Drittes Schlüsselthema: Lohn. Es gibt nach wie vor eine Schere zwischen Ost und West. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass wir bei vielen außertariflichen Arbeitsverhältnissen dringend einen Mindestlohn brauchen? Viertes Schlüsselthema: Die Investitionen des Mittelstands in Forschung und Entwicklung liegen deutlich unter Westniveau. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass ein Nichtvollzug der steuerlichen Entlastung von Investitionen in Forschung und Entwicklung durch die Bundesrepublik für die Entwicklung Ostdeutschlands kontraproduktiv ist?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Herr Tiefensee, zunächst einmal glaube ich, dass die Gefahr von Rückschlägen - das heißt, dass es zu einer Vergrößerung der Lücke zwischen Ost und West kommen wird - nicht gegeben ist. Es kam in den letzten Monaten durchaus zu einer unterschiedlichen Entwicklung - allerdings in ganz Deutschland - in den strukturstarken Gebieten und den strukturschwachen Regionen; das wirkt sich natürlich auch in den neuen Ländern aus. Was die Angleichung der Wirtschaftskraft angeht, so glaube ich allerdings, dass wir auf ganzer Linie weiterhin auf einem guten Weg sind. Die Unterschiede bzw. die Schwankungen mögen auch dadurch zustande kommen, dass wir in 2008 in den alten Ländern einen stärkeren Einbruch der Wirtschaft hatten als in den neuen Ländern; der Aufholprozess dort ist entsprechend ausgeprägter. Das mag die Prozentzahlen im Einzelnen erklären. Zu Ihren Fragen: Erstens. Wir sind dabei, die Förderung des Arbeitsmarktes mit sehr gezielten Programmen weiter voranzutreiben. Zweitens. Ich bin nicht der Meinung, dass Mindestlöhne, wie Sie sie sich vorstellen - Sie fordern gesetzliche Mindestlöhne -, geeignet sind, irgendwelche wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Fragestellungen zu beantworten. Drittens. Wir werden weiterhin fünf Sechstel der Mittel, die für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zur Verfügung stehen, in den neuen Ländern investieren. Ich glaube, dass das eine wichtige Investition ist. Viertens. Wir erhöhen die Innovationskraft in den neuen Ländern mit den Programmen, die zurzeit laufen. Es gibt ein neues, sehr umfangreiches Programm des Forschungsministeriums. Somit stärken wir Forschung und Entwicklung und fördern neue Investitionen in den neuen Ländern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Der nächste Fragesteller ist Frank Tempel.

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, inwiefern erachten Sie es als politische Kultur, dass ein solcher Bericht beispielsweise der Schweriner Zeitung früher vorliegt als den Berichterstattern im Deutschen Bundestag? Sie sprachen soeben von den großen Anstrengungen, die auf dem Arbeitsmarkt unternommen werden. Nach unserer Einschätzung wird eher viel Kraft darauf verwendet, möglichst viele Programme auslaufen zu lassen. Wie sinnvoll ist es, die Investitionszulage, von der gerade die Kommunen im Osten profitiert haben, bis 2013 auslaufen zu lassen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich kann Ihnen zunächst einmal sagen, dass wir immer wieder sehr gezielt entsprechende Programme auf den Weg bringen. Natürlich kommt es auch vor, dass Programme auslaufen. Das gilt vor allem für die Bereiche, in denen wir keine originäre Zuständigkeit haben und wo wir befristete Pilotprojekte auf den Weg bringen. Das Auslaufen von solchen Programmen wird aber durch eine Vielzahl neuer Programme überkompensiert, die aufgrund neuer Herausforderungen und neuer Fragestellungen aufgelegt werden. Zur Herausgabe des Berichts oder von Teilen des Berichts an die Schweriner Zeitung kann ich Ihnen nichts sagen. Ich weiß nämlich nicht, wie diese Zeitung da rangekommen sein könnte. Ob das, was dort zitiert wird - mir liegt die Zeitungsmeldung leider nicht vor -, dem entspricht, was im Bericht steht, kann ich Ihnen auch nicht bestätigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage stellt der Kollege Arnold Vaatz.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister, ich bin erst einmal sehr dankbar, dass Sie klargestellt haben, dass der geringere Anteil der ostdeutschen Wirtschaft an der gesamtdeutschen Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahr - der Anstieg betrug rund 2 Prozent - darauf zurückzuführen ist, dass der Einbruch bei der letzten Wirtschaftskrise in Ostdeutschland nicht so stark war und dass aus diesem Grund die Konsolidierung nicht mit der Geschwindigkeit vorangegangen ist wie im Westen. Alle Zahlen einschließlich der verbesserten Arbeitslosenstatistik zeigen, dass es in Ostdeutschland insgesamt ein Wachstum gegeben hat. Allerdings ist das Tempo unter Berücksichtigung des vorausgegangenen Einbruchs nicht so hoch wie das im Westen. Es ist gut, dass Sie das klargestellt haben. Ich habe zwei Fragen. Meine erste Frage lautet: Sie haben in Ihrem Bericht großen Wert darauf gelegt, die demografische Entwicklung darzulegen. Diese Entwicklung ist in der Tat sehr besorgniserregend. Können Sie sich Maßnahmen vorstellen, die auf Landes- und Gemeindeebene, aber auch auf Bundesebene ergriffen werden, um der demografischen Entwicklung entgegenzutreten? Meine zweite Frage lautet: Wie beurteilen Sie den infrastrukturellen Unterschied, also die Infrastrukturdichte im Osten im Vergleich zur Infrastrukturdichte im Westen? Ich meine damit nicht nur Verkehrswege, sondern auch die wirtschaftliche Infrastruktur.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Es gibt sicherlich bei der Infrastruktur nach wie vor Nachholbedarf. Da sind einige Projekte auf dem Weg, für die der Etat des Bundesverkehrsministers eine entsprechende Ausfinanzierung vorsieht. Was die Infrastruktur im Allgemeinen einschließlich der Forschungsinfrastruktur angeht, haben wir als Bundesregierung, glaube ich, sehr viel geleistet. Wir sorgen dafür, dass der Forschungsstandort in den neuen Ländern enorm gestärkt wird. Das ist ein sehr wichtiger und zentraler Punkt. Zur demografischen Entwicklung. Wir werden am 4. Oktober auf einem großen Demografiegipfel im Kanzleramt offiziell neun Arbeitsgruppen starten. In all diesen Arbeitsgruppen, die sich mit neun zentralen und unterschiedlichen Handlungsfeldern der Demografiepolitik der Bundesregierung befassen, werden die Interessen der neuen Länder vertreten sein. Dies ist deswegen besonders sinnvoll und notwendig, weil es in den neuen Ländern viele Erfahrungen, kreative Ideen und eine enorme Innovationsfähigkeit gibt, wenn es um das Problem der demografischen Entwicklung geht. Wir wollen diese Erfahrungen einbeziehen und versuchen, zusammen mit den Landesregierungen und den Kommunen - es gab bereits einen ersten Onlinedemografiekongress - Antworten zu finden, die der spezifischen Lage vor Ort gerecht werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Minister. - Jetzt hat das Fragerecht der Kollege Tankred Schipanski.

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Sie haben die Innovationsfähigkeit der neuen Länder angesprochen. Wie wir alle wissen, haben wir gerade ein sehr effektives Programm zur Förderung der Innovationsfähigkeit in den neuen Ländern mit einem Volumen von 500 Millionen Euro aus dem Hause Ihrer Kabinettskollegin Schavan auf den Weg gebracht. Gestern wurde verkündet, dass das BMBF zusammen mit der Wirtschaft Magdeburg und Jena einen Forschungscampus faktisch sponsert. Dresden hat zudem eine Exzellenzuniversität. Es gibt ganz spannende Impulse in der deutschen Wissenschafts- und Universitätslandschaft. Mich interessiert, wie Sie, Herr Minister, die weitere Entwicklung Ostdeutschlands als Wissenschafts- und Universitätsstandort gerade im Hinblick auf die mannigfaltigen Aktivitäten, die der Bund hier entfaltet, beurteilen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie haben sehr plastisch und zutreffend beschrieben, dass wir hier auch deswegen auf einem guten Weg sind, weil der Bund Investitionen tätigt. Wichtig ist, dass die Grundlage, die wir im Wissenschaftsbereich gelegt haben, auch zur Steigerung der Attraktivität der neuen Länder als Investitionsstandort beiträgt. Hinzu kommen müssen neben den staatlichen Investitionen, die wir reichlich getätigt haben, Investitionen der Privatwirtschaft. Je mehr es uns gelingt, mit Exzellenzinitiativen und einer hervorragenden wissenschaftlichen Ausbildung vor Ort die Attraktivität zu erhöhen, umso mehr wird es zu Investitionen von privaten Unternehmen kommen. Insofern glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Patrick Kurth.

Patrick Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003900, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, wir haben das 23. Jahr nach der Wende. Das Thema Aufarbeitung ist seit der deutschen Einheit ein Thema, dem die Bundesregierung und auch das Parlament einen hohen Stellenwert einräumen. Meine erste Frage lautet: Wie schätzen Sie denn die Arbeit des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ein? Inwiefern hat Roland Jahn bisher Akzente setzen können? Was erwarten Sie von ihm und seiner Arbeit in der Zukunft? Die zweite Frage: Im „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ machen Sie auf die bestehenden Lohnunterschiede aufmerksam. Nun ist es so, dass vor allen Dingen der Nettobetrag, der bei den Menschen ankommt, entscheidend ist. Wir wissen, dass die kalte Progression innerhalb eines bestimmten Gehaltsrahmens ihre Wirkung entfaltet. Genau in diesem Rahmen bewegen sich überwiegend die Gehälter in Ostdeutschland, sodass sich die kalte Progression vor allen Dingen in Ostdeutschland auswirkt. Wie bewerten Sie im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost die Haltung mancher Länder im Bundesrat zur Abschaffung der kalten Progression?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Das Thema kalte Progression, das Sie ansprechen, betrifft ganz Deutschland und ist seit vielen Jahren ein Problem. Deswegen habe ich es immer für richtig gehalten, dieses Thema ganz oben auf die steuerpolitische Agenda zu setzen. Ich bedaure es außerordentlich, dass wir gerade die sehr leistungsstarken Einkommensbezieher treffen und diesen durch die kalte Progression Kaufkraft genommen wird. Deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, dass man an dieser Stelle nicht gemeinsam und einmütig zu Korrekturen kommt. Was die Arbeit von Roland Jahn angeht, muss ich sagen: Wir haben regelmäßig Kontakt und tauschen uns aus. Ich glaube, dass er in ganz hervorragender Weise seine Arbeit erledigt. Das Thema Aufarbeitung wird uns beschäftigen. Ich glaube, dass er dieses Thema sachgerecht, mit Sorgfalt und auch mit der nötigen Leidenschaft behandelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön. - Die nächste Frage hat Stephan Kühn.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben ein sehr fleißiges Ministerium, das in den letzten Monaten sehr viele Berichte und Gutachten erstellt hat, zum Beispiel einen Evaluationsbericht zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung, das Handlungskonzept „Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfest gestalten“ und das Gutachten „Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven für Ostdeutschland“. Mich würde interessieren: Welche der Vorschläge aus den Handlungsempfehlungen wollen Sie bis zum Ende der Wahlperiode umsetzen? Die zweite Frage: Sie haben letztes Jahr den Innovationsstandort Ostdeutschland ausgerufen. Wie passt das damit zusammen, dass die Mittel aus dem Solidarpakt, Korb II, immer noch überproportional in Infrastrukturmaßnahmen fließen, obwohl Sie in den Berichten schreiben, die Infrastrukturlücke sei bis auf den Breitbandausbau geschlossen? Warum werden immer noch weniger Mittel, gemessen an den Infrastrukturmitteln, in den Bereichen Bildung, Innovation und Forschung verausgabt?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich kann Ihnen sagen, dass wir in allen Bereichen hohe und sachgerechte Ausgaben tätigen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass eine der wichtigsten Bedingungen für die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland insgesamt und insbesondere in den neuen Ländern ist, dass wir Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wir betreiben die Pflege des Potenzials dadurch, dass wir in diesen Bereich investieren. Ich glaube, dass sich das mittel- und langfristig auszahlen wird. Mittel- und langfristig sind auch alle Vorschläge angelegt, die wir in unserem Gutachten erarbeitet haben. Manche lassen sich kurzfristig durch Programme, deren große Zahl Sie dem Bericht entnehmen können, umsetzen; andere müssen langfristig angegangen oder mittelfristig realisiert werden. Ich kann Ihnen sagen, dass wir an allen Vorschlägen, die gut und zielführend sind, mit voller Kraft arbeiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat erneut Frau Dr. Martina Bunge.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich habe mich gefreut über Ihr Bekenntnis zur Höherwertung, durch die gleiche Arbeit in Ost und West, die bisher unterschiedlich entlohnt wird, für die Rente gleichgestellt wird. Jetzt gehen wir einmal von zwei Menschen aus, die die gleiche Arbeit tun und über diesen Mechanismus 40 Entgeltpunkte haben. Bei demjenigen, der in den alten Bundesländern wohnt, wird mit 28,07 Euro malgenommen, während bei dem, der in den neuen Bundesländern wohnt, mit 24,92 Euro malgenommen wird. Das Ergebnis sind 1 122,80 Euro für den aus dem Westen und 996,80 Euro für den aus dem Osten. Halten Sie das für gerecht? Meinen Sie, es gibt keine Lösung dafür?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sehen Sie, es gibt eine Höherwertung der Arbeitsverdienste im Osten. Das bedeutet: Jemand, der im Osten mit seinem Verdienst eigentlich 30 Entgeltpunkte hat, wird höhergewertet auf zum Beispiel 40 Entgeltpunkte, wie Sie es beschrieben haben. Das muss man dann mit dem Rentenwert multiplizieren. Zum Beispiel derjenige, der in Ostfriesland oder in einer anderen strukturschwachen Region in den alten Bundesländern lebt, bleibt bei 30 Entgeltpunkten. Multipliziert man das dann mit dem höheren Rentenwert, der im Westen anzusetzen ist, dann kommt man nicht ganz auf die Zahlen, die Sie genannt haben. ({0}) - Einer wird höhergewertet, während ein anderer, obwohl er ebenfalls in einer Region lebt, in der niedrige Löhne gezahlt werden, in der das gesamte Lohn-PreisGefüge niedrig ist, dann nicht hochgewertet wird. Insofern besteht da eine unterschiedliche Ausgangssituation. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort der Kollege Steffen Lemme.

Steffen Claudio Lemme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004090, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wir haben hier ein gesellschaftliches Problem. Ich bezeichne es als das Problem der Armut. Es gibt aber nicht nur die Altersarmut, wie Sie selbst als Vertreter der Regierungsseite festgestellt haben, sondern auch Kinder- und Jugendarmut sowie Armut im Osten durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Ich frage Sie: Was wollen Sie gegen die Armut im Osten tun?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich glaube, Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an. Wir müssen dafür sorgen, dass insbesondere unsere Kinder sehr frühzeitig in all ihren Möglichkeiten gefördert werden. Das ist eine Aufgabe, die vom Kabinettsmitglied Kristina Schröder hervorragend wahrgenommen wird. Wir haben im Sozialbereich ein Bildungspaket auf den Weg gebracht. All das ist ein wesentlicher Beitrag, den der Bund leistet, um unseren Kindern überall im Land, in Ost wie in West, eine Chance zu geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat noch eine Frage der Kollege Stephan Kühn.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben auf die Arbeitsmarktentwicklung hingewiesen. Was Sie aber nicht gesagt haben, ist, dass 22 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Sie haben gesagt, welche Maßnahmen Sie nicht für sinnvoll halten, um diesen Missstand zu beseitigen. Mich würde interessieren, für welche Maßnahmen Sie eintreten wollen, um diesen Missstand zu beseitigen. Die zweite Frage dreht sich um den Stadtumbau Ost. Der notwendige Rückbau von Wohnungen ist im letzten Jahr zum Erliegen gekommen. Halten Sie vor diesem Hintergrund an Ihrer Position fest, die Altschuldenhilfe nach 2013 nicht fortzusetzen? Wenn Sie diese Position weiterhin vertreten: Wie sollen die Instrumente aussehen, um den Wohnungsbestand in Ostdeutschland an den demografischen Wandel anzupassen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich glaube, dass es auch aus den Reihen der Regierungen der neuen Länder nicht mehr die Forderung gibt, dass wir die Altschuldenhilfe fortsetzen. Sie wird 2013 auslaufen. Dabei bleibt es auch. Beim Stadtumbau Ost ist nach wie vor ein Teil der Mittel sicher auch für Abbrucharbeiten auszugeben. Aber man muss sich im Einzelfall vor Ort sehr genau anschauen, was da zu tun ist. Zum Niedriglohnsektor. Man muss erkennen, dass es wichtig ist, dass wir die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern stärken, dass wir die Unternehmen stärken, dass wir ihre Exportfähigkeit und ihre Innovationskraft stärken. Damit haben wir mehr hochwertige Arbeitsplätze, was dazu führt, dass höhere Löhne gezahlt werden können. Das ist Ausdruck einer sich dynamisch entwickelnden Wirtschaft. Diese Idee treiben wir seit Jahren voran. Sie ist, wie wir sehen, sehr erfolgreich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt gibt es noch eine Frage zu anderen Themen aus der Kabinettssitzung, und zwar vom Kollegen Volker Beck. Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesinnenminister, ich habe zwei Fragen zu der sogenannten „vermisst“-Kampagne Ihres Hauses. Zur ersten Frage. Das Bundesinnenministerium hat am 20. September per Pressemitteilung erklärt: Aufgrund einer aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes … verschiebt das Bundesinnenministerium … den Start der Plakataktion der Öffentlichkeitskampagne „vermisst“. Ich kann es nur begrüßen, wenn das gestoppt wird; ich finde, das gehört eingestampft. ({0}) Wie erklären Sie sich, dass dann heute in Neukölln genau diese Plakate an Plakatwänden auftauchen? Haben Sie die Öffentlichkeit hier wahrheitsgemäß unterrichtet? Wie ist der Widerspruch zwischen Pressemitteilung und diesen an mehreren Stellen in Neukölln aufgestellten Plakaten zu erklären?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ist das ein Großflächenplakat?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist ein Großflächenplakat. Ich habe das, was ich Ihnen jetzt zeige, von der Website www.migazin.de heruntergeladen. Dort hat man mehrere Exemplare davon dokumentiert. Dieses hier ist entsprechend verziert worden, weil es wohl auf erhebliche Irritationen in der Migrationscommunity stößt, was ich gut verstehen kann. Es gab zu dieser Frage auch Kritik aus der Koalition, insbesondere aus der FDP-Fraktion, die ich voll teile. Also: Wie kommt es dazu? Zur zweiten Frage. Gestern wurden die gleichen Motive als Postkarten in Geschäften und Lokalen der Kölner Keupstraße verteilt. - In der Keupstraße hatte der NSU eine Splitterbombe gezündet; es gab 20 Verletzte. Das führt zu erheblicher Beunruhigung in Köln und wird als Stigmatisierung der Mordopfer des NSU gewertet. Ich bitte Sie, Herr Innenminister: Würden Sie sich entschuldigen bei den Opfern dieses NSU-Anschlags und bei den Anwohnern der Kölner Keupstraße, die sich durch diese Öffentlichkeitsaktion Ihres Ministeriums erheblich herabgesetzt fühlen? ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Lieber Herr Beck, diese Aktion ist auf ein Gespräch zurückzuführen, das wir unter anderem mit Eltern von Kindern geführt hatten, die sich selbst radikalisiert haben, die Deutschland verlassen haben und in pakistanische Terrorcamps ausgereist sind. Die Eltern haben uns gesagt: Wir wussten nicht, wohin wir uns wenden sollen. Ich habe noch in derselben Woche, als dieses Gespräch im Rahmen unserer Sicherheitspartnerschaft stattgefunden hat, eine Hotline beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg schalten lassen, mit der wir den Menschen in deutscher Sprache, aber auch in jeder anderen Sprache Hilfe anbieten, bei der Eltern, Verwandte, Freunde, die Sorge haben, dass sich ein Kind radikalisiert, in Kreise gerät, wo es sozusagen radikalen Kräften zum Opfer fällt, Hilfe suchen können. Nun war es so, dass man gemeinsam überlegt hat: Wie können wir diese Telefonnummer, diese Hotline, bei all denen bekannt machen, die daran interessiert sind, also insbesondere bei den Eltern? Man hat sich zusammen mit den muslimischen Verbänden dafür entschieden, diese Kampagne zu machen. 50 Prozent der Plakate und auch 50 Prozent der Postkarten zeigen einen blonden Jungen, der insbesondere Eltern von Konvertiten ansprechen soll. Denn ein großes Problem des Homegrown Terrorism ist, dass es viele Menschen gibt, die zum Islam konvertieren und sich dann radikalisieren. Das ist also auch ein Hilfsangebot an deutsche Eltern, die das erleben. Wir wussten natürlich auch, dass es neben dem Konvertitenproblem ein Problem bei Familien arabischer Herkunft und türkischen Familien gibt. Deswegen zeigen 50 Prozent der Plakate und Postkarten einen blonden Jungen und 50 Prozent einen südländisch aussehenden Jungen und sind zum Teil in arabischer Sprache und zum Teil in türkischer Sprache. Da einige Kreise, die ich nicht näher definieren will, Interesse daran hatten, diese Plakataktion, die die Nummer der Hotline als Hilfe für Eltern bekannt machen soll, zu skandalisieren - der blonde Junge ist übrigens in keiner der Skandalisierungsmeldungen aufgetaucht -, ({0}) da es nur darum ging, das zu skandalisieren, und das in Teilen gelungen ist, hat das dazu geführt, dass viele Menschen verunsichert sind. Das bedaure ich außerordentlich. Vorgesehen waren eine Anzeigenkampagne, eine Internetkampagne, die Postkartenkampagne und diese Plakataktion. Die drei erstgenannten Maßnahmen laufen weiter. Die Plakataktion musste ich allerdings am vergangenen Donnerstag aufgrund einer Gefährdungsbewertung des BKA im Zusammenhang mit den Drohvideos und zu befürchtenden Demonstrationen verschieben. Ich kann Ihnen jetzt nicht erklären, warum die Plakate trotzdem aufgehängt wurden, aber ich gehe der Sache nach. ({1}) - Die Postkartenaktion läuft normal weiter. Die Postkarten werden nicht gezielt in einer Straße verteilt, sondern im ganzen Land. Ich füge hinzu: Die ganze Sache ist sehr erfolgreich, weil inzwischen jeder die Nummer kennt. Insofern ist ein wichtiges Ziel der Informationskampagne erreicht worden, nämlich dass Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder machen, wissen, wo sie anrufen können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, eine Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade die Kreise angesprochen, die diese Aktion kritisieren. Das sind offensichtlich die Kreise, mit denen Sie sie besprochen haben. Heute hat die DITIB, die größte islamische Organisation in Deutschland, an die Bundeskanzlerin geschrieben und darauf hingewiesen, dass die DITIB, der VIKZ, der Zentralrat der Muslime und die IGBD aus der Sicherheitspartnerschaft mit dem Bundesinnenministerium wegen dieser Kampagne ausgetreten sind. Das heißt, kein islamischer Verband steht mehr oder stand je hinter Ihrer Kampagne, was auch verständlich ist; denn mit dem Bild von irgendwelchen südländisch aussehenden Menschen, das sich zwischen dem „Vermisst“ und dem Hinweis, dass jemand in den Islamismus abgedriftet ist, befindet, wird der Anschein erweckt, man dürfe hinter jedem südländischen Gesicht einen Islamisten vermuten. ({0}) Das ist die Botschaft Ihrer Kampagne. Deshalb führt sie nicht zu dem Ziel, das Sie verfolgen und das ich durchaus teile: Wir müssen uns mehr um diese Fragestellung kümmern. Dabei ist Ihre Kampagne aber kontraproduktiv. Sie wird von den Migranten und Muslimen zu Recht als beleidigend empfunden. Ich frage Sie wirklich: Halten Sie es für geeignet, diese Postkarte in der Kölner Keupstraße, am Tatort eines der NSU-Anschläge, zu verteilen, ({1}) oder finden Sie nicht eher, da ist Ihnen etwas aus dem Ruder gelaufen, wofür sich das Ministerium bei den Menschen zu entschuldigen hätte?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Lieber Herr Beck, das Ministerium und ich werden uns nicht dafür entschuldigen, dass wir den radikalen Islamismus und Salafismus, die eine Gefahr ({0}) nicht nur für unser Land, sondern für ganz Europa darstellen, bekämpfen. Wir werden das mit aller Konsequenz tun. Ich bitte Sie, die Gefährlichkeit dieser radikalisierten Islamisten nicht zu unterschätzen. ({1}) Es wäre wirklich dramatisch, wenn man die Abwehrkraft des Staates in dieser Frage schwächen würde. Ich bin sehr dankbar, dass die muslimischen Verbände bei der Sicherheitspartnerschaft mitgemacht haben. Mir ist nicht klar, warum sie auf einmal eine Kehrtwende machen. Vielleicht gibt es - - Aber ich will da keine Details nennen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass mich Berichte aus der Türkei sehr ärgern, die erkennen lassen, dass sich Leute überhaupt nicht mit den Fragen und Einzelheiten beschäftigen, sondern versuchen, in Deutschland Einfluss zu nehmen. Einem solchen Einfluss werde ich mich nicht beugen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es jetzt noch Fragen über das Gebiet der heutigen Kabinettssitzung hinaus? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 17/10736 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gerd Bollmann auf: Wer soll nach Auffassung der Bundesregierung die Trägerschaft für die geplante einheitliche Wertstofferfassung - Wertstofftonne - erhalten: öffentlich-rechtliche Entsorger, duale Systeme oder private Entsorger? Frau Staatssekretärin, bitte.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Präsident! Herr Kollege, Ihre Frage nach der Trägerschaft beantworte ich wie folgt: Entscheidend ist aus Sicht der Bundesregierung das Ziel, eine bürger23282 freundliche, ökologisch anspruchsvolle und zugleich kosteneffiziente Erfassungsstruktur aufzubauen. Ausgehend von den Erfahrungen mit der Verpackungsverordnung haben sich Produktverantwortung und Wettbewerb als effektive Mittel zur Kostensenkung sowie zur Förderung von Innovationen erwiesen. Im Rahmen der geplanten einheitlichen Wertstofferfassung strebt die Bundesregierung an, alle relevanten Akteure in die Erarbeitung eines tragfähigen Konzeptes einzubeziehen. Dazu führt das Bundesumweltministerium derzeit Gespräche mit dem Ziel, eine Basis für eine politisch realisierbare Lösung zu erarbeiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte schön, Herr Bollmann.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, da ich in dieser Antwort keine Position der Bundesregierung erkennen kann, will ich weiter nachfragen: Ist die Bundesregierung wirklich der Ansicht, dass ein Verzicht auf eine eigene Position, gerade im Hinblick auf die Unvereinbarkeit bisher vorgetragener Positionen, zu einem zügigen Ergebnis führt, oder handelt es sich vielmehr um einen Ausdruck der Zerstrittenheit der Koalition über die Frage der Privatisierung in der Abfallwirtschaft?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege, wir haben es hier mit einer komplexen Materie zu tun, die nicht nur durch den Bundestag, sondern auch durch den Bundesrat bestätigt werden muss. Die privaten Entsorger, die kommunalen Entsorger und die dualen Systeme müssen eine Lösung vereinbaren, die am Ende trägt. Insofern ist es angesichts der Erfahrungen, die wir im Zusammenhang mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gemacht haben, zwingend erforderlich, politisch geboten und auch klug, wenn wir vorher mit allen Beteiligten sprechen und ausloten, welche Lösung am Ende realisierbar ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein. - Dann hat die Kollegin Dorothea Steiner eine Nachfrage. Bitte.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Vor dem Hintergrund, dass wir eine nette Diskussion führen, ob die öffentlich-rechtliche Hand oder die Privatwirtschaft die Sammlung der Wertstoffe federführend durchführt, frage ich die Bundesregierung: Haben Sie bei dem geplanten Wertstoffgesetz vor, die umweltpolitischen Ziele stärker zu verankern und zum Beispiel Standards zu formulieren? Was genau planen Sie in dieser Richtung?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin, die Weiterentwicklung der Verpackungsverordnung hin zu einer noch besseren Wertstofferfassung umfasst bereits umweltpolitische Ziele; denn die Verpackungsverordnung hat sich alles in allem nicht nur bewährt, sondern sie hat in ihrer Geschichte dazu geführt, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung vom Müllaufkommen, vom Verpackungsmaterial entkoppelt hat. Das ist nicht nur ein ganz wichtiges umweltpolitisches Ziel, sondern auch ein wichtiger umweltpolitischer Erfolg. Jetzt geht es darum, es zu schaffen, die Menge an zusätzlichem Abfall, die das UBA im Planspiel und in wissenschaftlichen Gutachten ermittelt hat, nämlich noch einmal 570 000 Tonnen, zu erfassen und ökologisch zu trennen, um die Erfolge, die wir in den letzten 10, 15 Jahren erreicht haben, weiter fortzusetzen. Die umweltpolitischen Ziele sind bereits mit darin beinhaltet. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, leider nicht. Wir kommen jetzt zur Frage 2 des Kollegen Gerd Bollmann: Ist die Bundesregierung angesichts vielfältiger Kritik weiterhin der Ansicht, dass die Verpackungsverordnung ein Erfolg ist und Grundlage für das Wertstoffgesetz sein soll? Frau Staatssekretärin, bitte.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Ja, gerne. - Herr Kollege, mit der Verpackungsverordnung von 1991 wurde die Rücknahme und Verwertung von Verpackungsabfällen in die Hände der Hersteller und Vertreiber von Verpackungen gelegt. Diese Regelung der abfallwirtschaftlichen Produktverantwortung durchbrach, übrigens auf ausdrücklichen Wunsch der Kommunen, erstmals die bis dahin übliche Aufgabenteilung, wonach die Wirtschaft für die Herstellung und den Vertrieb der Erzeugnisse und die öffentliche Hand für deren Entsorgung zuständig war. Mit dem Einbeziehen der produzierenden Wirtschaft in die Entsorgungsverantwortung ist es gelungen, die Entwicklung der Verpackungsmenge vom allgemeinen Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Zugleich waren die Verwertungsanforderungen der Verpackungsverordnung auch ein wesentlicher Treiber für den Aufbau fortschrittlicher Recyclingstrukturen in Deutschland. Das dabei entwickelte technische und logistische Know-how wird heute in aller Welt nachgefragt. Die haushaltsnahe Getrennterfassung von Verpackungsabfällen wird von den Bürgerinnen und Bürgern mit großem Engagement genutzt. Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2009 fast 85 Prozent aller Verpackungsabfälle einer Verwertung zugeführt. Dies ist - dies noch einmal an Sie, Frau Steiner - ganz eindeutig eine ökologische Erfolgsgeschichte. Die von Ihnen angeführte Kritik betrifft demgegenüber praktisch ausschließlich die Frage der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Systembeteiligung von Verkaufsverpackungen, also wirtschaftliche Aspekte. Dazu hat das Planspiel Antworten aufgezeigt; hierzu gehört insbesondere der Aufbau einer mit hoheitlichen Befugnissen beliehenen zentralen Stelle. Aus Sicht der Bundesregierung gibt es mithin keine nachvollziehbaren Gründe, die einer Fortentwicklung der Verpackungsverordnung zu einem Wertstoffgesetz entgegenstehen würden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen auf die Lindhorster Trachtengruppe aus Schaumburg-Lippe aufmerksam machen, die oben auf der Tribüne in prächtigen Trachten Platz genommen hat. Würden Sie bitte einmal aufstehen, damit Sie gebührend bewundert werden können? ({0}) Vielen Dank. Es gibt eine Nachfrage. Bitte, Herr Kollege Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass die Kosten für die Erfassung und Sortierung von Verpackungsmüll im dualen System bei 400 Euro je Tonne liegen und dass darüber hinaus weitere 600 Euro pro Tonne an Overheadkosten anfallen? Ist Ihnen des Weiteren bekannt, dass bis zu 200 Prozent des lizensierten Verpackungsmaterials auftauchen, was eigentlich unverständlich ist? In diesem Zusammenhang frage ich mich, wie Sie dazu kommen, das Ganze als Erfolgsmodell zu propagieren und zur Fortentwicklung zu empfehlen.

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege, in der Vergangenheit haben sich Wirtschaftswachstum und das Aufkommen an Verpackungsmüll deutlich entkoppelt. Die Quoten für die Erfassung, die in den 90er-Jahren noch bei knapp 27 Prozent lagen, haben wir auf über 80 Prozent gesteigert. Es bedeutet, wie ich meine, einen erheblichen wirtschaftlichen und vor allem ökologischen Erfolg, diejenigen in die Verantwortung einbezogen zu haben, die für die Erzeugung dieses Abfalls zuständig sind. Der Hilferuf der Kommunen Anfang der 90er-Jahre war nämlich, dass diese für die Abfälle verantwortlich waren, weil die Produzenten nicht in die Verantwortung einbezogen waren. Die Umschichtung der Verantwortlichkeit hat keine andere Regierung - weder der damalige Umweltminister Trittin noch Sigmar Gabriel -, auch nicht Norbert Röttgen und schon gar nicht Peter Altmaier infrage gestellt, sondern ganz im Gegenteil. Wir wollen die Produktverantwortung fortschreiben und dafür sorgen, dass noch mehr recycelt werden kann, wir also hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft gelangen. Diesem Ziel diente die Novelle des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes sowie alle weiteren Novellen, die wir im Zuge der großen Novelle noch vor uns haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Oliver Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Ausführungen. Sie haben eben davon gesprochen, dass es eine Erfassungs- und Wiederverwertungsquote von 85 Prozent gebe. Das ist in der Tat eine imposante Zahl, damit nähern wir uns den 100 Prozent. Meine Frage lautet: Was beinhaltet diese Quote von 85 Prozent Wiederverwertung? Ist hierin die thermische Verwertung, sprich: die Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen, enthalten? Oder handelt es sich bei diesen 85 Prozent um Recycling im Sinne von „Wiederverwendung des Produktes“? Könnten Sie diese Quote bitte aufschlüsseln, sodass ersichtlich wird, ob es sich hierbei um eine Wiederverwertung im klassischen Sinne handelt oder ob wir eher über eine Entsorgung in Form der energetischen Verwertung, also Verbrennung, reden?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Gerade die Kommunen haben sich auf die eben von Ihnen angesprochene Art der Verwertung spezialisiert; Müllverbrennungsanlagen gibt es in kommunaler Hand. Demgegenüber haben sich private Entsorger darum gekümmert, die Fraktionen möglichst trennscharf aufzuspalten, und sehr viel in intelligente Verwertung investiert. Wir wollen - das ist das Ziel der jüngsten Novelle die energetische Verwertung reduzieren, um am Ende des Tages so viel wie möglich wiederzugewinnen. Gleichwohl ist es gelungen, die Verwertungsquoten zu steigern. Wir haben eine fünfstufige Abfallhierarchie eingeführt, um die Fraktionen noch besser zu trennen und einer geeigneten Verwertung zuzuführen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Dorothea Steiner eine Frage. Bitte.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Staatssekretärin, für Ihre Ausführungen zur energetischen Verwertung, schlicht: zur Verbren23284 nung. Sie verweisen dabei auf die Abfallhierarchie, die letztes Jahr mit dem geänderten Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz eingeführt worden ist. Wie werden Sie der Kritik gerecht, die schon damals geäußert wurde - beileibe nicht allein von der Opposition in diesem Haus -, dass die Grenze, ab der man energetisch verwerten, sprich: verbrennen, darf, so niedrig angesetzt ist, dass es möglich ist, sogar Altpapier - das ist eine abfallpolitische Sünde - oder Altholz in die Verbrennung zu geben? Eigentlich sollte es die Aufgabe eines Wertstoffgesetzes sein, ökologische Standards zu setzen, also die Grenze so hoch anzusetzen, dass ein ganz hoher Anteil des Abfalls stofflich verwertet wird. Wie werden Sie im vorgesehenen Wertstoffgesetz damit umgehen?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir haben den Grenzwert von 11 000 Kilojoule pro Kilogramm lange diskutiert, nicht nur mit dem Parlament, sondern auch mit allen beteiligten Kreisen. Wir haben neben diesem Grenzwert eine Abfallhierarchie mit fünf Stufen eingeführt. Wir hoffen und erwarten, dass hier noch trennschärfer vorgegangen wird. Ich meine jedenfalls, dass wir angesichts der Verwertungsquoten gerade auch im europäischen Vergleich einen ganz großen Erfolg verbuchen und verzeichnen können, wenn es darum geht, mit den Abfällen ökologisch umzugehen. Diesem Ziel wird sich auch ein potenzielles Wertstoffgesetz verschreiben. Wir wollen jedenfalls daran arbeiten, dass wir die Quoten weiter nach oben setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt kommt eine Reihe von Fragen, die schriftlich zu beantworten sind. Es handelt sich um die Fragen 3 und 4 der Kollegin Ute Vogt, die Fragen 5 und 6 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, die Fragen 7 und 8 des Kollegen Dr. Hermann E. Ott, die Fragen 9 und 10 des Kollegen Frank Schwabe sowie die Fragen 11 und 12 des Kollegen Dr. Matthias Miersch. Wir kommen dann zur Frage 13 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler. Ist sie anwesend? - Sie ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 14 des Kollegen Hans-Josef Fell soll schriftlich beantwortet werden. Dann kommen wir zur Frage 15 der Kollegin Waltraud Wolff: Wie bewertet die Bundesregierung die in § 64 f Nr. 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, beschriebenen variablen Vergütungen für Strom aus Biomasse, die sich etwa an Tageszeiten oder Börsenpreisen orientieren und somit eine bedarfsgerechte Einspeisung fördern, und gedenkt die Bundesregierung, das Vergütungssystem dahin gehend zu ändern?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Sehr geehrte Frau Kollegin Wolff, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Vergütungsregelungen für Strom aus Biomasse im Erneuerbare-Energien-Gesetz wurden zum 1. Januar 2012 umfassend novelliert. Mit der Marktprämie wurde ein neues Instrument zur Verbesserung der Marktintegration der erneuerbaren Energien sowie mit der Flexibilitätsprämie ein neues Instrument zur Förderung der bedarfsgerechten Einspeisung von Biogas eingeführt. Die Wirkung der neuen Regelungen wird nun im Rahmen des laufenden Vorhabens eines EEG-Erfahrungsberichts wissenschaftlich untersucht. In dem Zusammenhang wird auch geprüft, ob und inwieweit von der im EEG festgeschriebenen Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht werden soll. Kurzfristige Anpassungen der Vergütungsregeln für Energie aus Biomasse nach dem EEG sind derzeit nicht vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es Nachfragen? - Bitte, Herr Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, was die Marktprämie angeht, kann ich Ihnen nicht so ganz folgen, weil dem Umweltausschuss gerade eine Verordnung zur Novellierung vorliegt. Ich möchte Sie trotzdem fragen: Sind Sie nicht der Meinung, dass es aufgrund der anderen fluktuierenden erneuerbaren Energien dringend notwendig wäre, die Nutzung der einzigen erneuerbaren Energie, die problemlos zu beliebigen Zeiten abgerufen werden kann, dahin gehend zu optimieren, dass sie im Prinzip nicht dann erzeugt wird, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, sondern dann, wenn wir sie brauchen, also wenn nicht ausreichend Energie aus Sonne und Wind zur Verfügung steht? Sollte die Bundesregierung an dieser Stelle nicht endlich Vorschläge für die Gesetzgebung unterbreiten?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Herr Kollege, das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird fortlaufend überprüft und fortgeschrieben. Allein in dieser Legislaturperiode haben wir das dreimal praktiziert. Ich meine schon, dass die Marktprämie, die in den Bereichen Wind, PV und Biomasse gezahlt wird, auch deshalb ein Erfolg ist, weil erstmals gezeigt werden konnte, dass Strom aus erneuerbaren Energien, auch wenn er fluktuierend ist, vermarktungsfähig ist. Ich meine, dass das ein Erfolg ist. Im Bereich Biomasse müssen wir hier auch nicht korrigieren. Sie sprechen an, was getan werden kann, um erneuerbare Energien grundlastfähig zu machen. Ich bin der Überzeugung, dass mit Blick auf den nächsten Erfahrungsbericht wissenschaftliche Gutachten in Auftrag geben werden, um herauszufinden, wie wir eine optimale Kombination aus stark fluktuierenden Energien, nämlich Wind und Sonne, und grundlastfähiger Biomasse hinbekommen. Eine der nächsten Fragen, die ich gleich zu beantworten habe, bezieht sich auf Kombikraftwerke. Auch das ist eine Möglichkeit, beide Dinge miteinander zu verbinden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Waltraud Wolff auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, mithilfe von Kombikraftwerken/virtuellen Kraftwerken die Systemintegration von erneuerbaren Energien voranzutreiben, und unterstützt sie entsprechende Projekte?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Frau Kollegin Wolff, Sie haben sich tatsächlich nach Kombikraftwerken und virtuellen Kraftwerken erkundigt; das korrespondiert insofern ganz schön. Kombikraftwerke bzw. virtuelle Kraftwerke bieten einerseits die Möglichkeit zur bedarfsgerechten Einspeisung erneuerbarer Energien und andererseits auch zur Erbringung von Systemdienstleistungen. Sie können dadurch wichtige Funktionen im Energieversorgungssystem wahrnehmen und zur Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien beitragen. Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesumweltministerium Forschungsprojekte in Bezug auf Technologieentwicklung und Demonstration von Kombikraftwerken und virtuellen Kraftwerken im Förderschwerpunkt „Integration erneuerbarer Energien und regenerative Energieversorgungssysteme“. Dieser Forschungsschwerpunkt wird kontinuierlich ausgebaut. Aktuell werden 20 Projekte im Bereich Kombikraftwerke/virtuelle Kraftwerke mit einem Gesamtvolumen von rund 13 Millionen Euro gefördert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Nachfrage? - Danke schön. Die Frage 17 des Kollegen Dirk Becker wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Lisa Paus auf: Inwieweit kann sich die Bundesregierung der Ankündigung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, am zweiten Tag der Energieeffizenz am 12. September 2012 in Berlin anschließen, nach der bei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung in spätestens acht Wochen eine Einigung erzielt sein wird, und welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss erfolgreich abschließen zu können?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Sehr geehrte Frau Kollegin, Bundesminister Altmaier hat in seiner Rede am 12. September dieses Jahres seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es im Vermittlungsausschuss noch zu einer Einigung kommen wird. Mit diesem Ziel führt die Bundesregierung Gespräche mit den Ländern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Formulierung war ja doch etwas klarer. Herr Altmaier hat angekündigt - so ist es nicht nur von einem, sondern von verschiedenen Teilnehmern wahrgenommen worden -: Es wird in den nächsten sechs bis acht Wochen ein Ergebnis geben, die Förderung wird kommen. Da ich selber an entsprechenden Gesprächen beteiligt war, kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass das Kanzleramt uns zu Beginn der Sommerpause gesagt hat: Es wird gegen Ende der Sommerpause noch einmal eingeladen, um zu einer Einigung bei der steuerlichen Förderung energetischer Sanierung zu kommen. Diese Einladung ist bis heute ausgeblieben. Aber um einen Kompromiss zu finden, muss man doch vorher miteinander reden. Daher frage ich Sie noch einmal: Woher nimmt Herr Altmaier seinen Optimismus, dass es in acht Wochen zu einem Ergebnis kommt, wenn bisher nicht einmal eine Einladung an die Länder und die entsprechenden Fraktionen ergangen ist?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Zunächst ist festzuhalten: Der Herr Bundesminister ist ein grundsätzlich optimistischer Mensch, ({0}) und sein Optimismus gilt vor allem der Kompromissbereitschaft im Bundesrat, dessen Handeln momentan von SPD-geführten Ländern und auch von grünen Landesregierungen maßgeblich bestimmt und beeinflusst wird. Insofern erwarten und hoffen wir - darauf richtet sich sein Optimismus -, dass am Ende des Tages die allgemeine Einsicht zustande kommt, dass die steuerliche Abschreibung energetischer Sanierungsmaßnahmen äußerst sinnvoll und eine wichtige Ergänzung zu anderen Förderprogrammen des Bundes ist. Wir haben im gesamten Vermittlungsverfahren viele Vorschläge gemacht, man ist aufeinander zugegangen; aber tatsächlich ist es schwierig, nachzuvollziehen, wieso die Hebelwirkung von eins zu zwölf - sprich: 1 vom Bund investierter Euro löst am Ende 12 Euro an privaten Investitionen aus - nicht auch durch den Bundesrat anerkannt wird. Ich finde das schade. Ich meine und hoffe - auch der Minister ist, wie gesagt, optimistisch -, dass wir zu einer Einigung kommen können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass es kein weiteres Angebot der Bundesregierung geben wird, sondern dass das, was auf dem Tisch liegt, für die Bundesregierung das letzte Wort ist? Auf dieser Grundlage muss es einen Kompromiss geben, weil es sonst keinen gibt? Habe ich Sie richtig verstanden? Es gibt keine weiteren Initiativen oder Angebote seitens der Bundesregierung?

Katherina Reiche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003209

Wir führen derzeit Gespräche. Diese Gespräche führen wir so, dass wir am Ende des Tages hoffentlich zu einer gemeinsamen Lösung kommen werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage 19 der Abgeordneten Dr. Martina Bunge wird schriftlich beantwortet. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 20 bis 30 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 20 und 21 des Kollegen René Röspel, die Fragen 22 und 23 der Kollegin Marianne Schieder, die Frage 24 des Kollegen Klaus Hagemann, die Frage 25 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die Fragen 26 und 27 des Kollegen Michael Gerdes, die Frage 28 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann sowie die Fragen 29 und 30 des Kollegen Swen Schulz. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung. Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf: Welche geförderten Zeitschriften lässt sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, vor der Veröffentlichung zur Prüfung vorlegen, und, neben dem jetzt bekannt gewordenen Fall im Zusammenhang mit einem Artikel der Zeitschrift Südlink ({0}), in welchen weiteren Fällen wurde auf die Veröffentlichung einzelner Artikel Einfluss genommen?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Kekeritz, über das Förderprogramm Entwicklungspolitische Bildung werden Mittel an staatliche und nichtstaatliche Organisationen für entwicklungspolitische Bildungsmaßnahmen im Inland zur Verfügung gestellt. Darunter fallen auch, wie in diesem Fall, Publikationen. Voraussetzung für die Förderung von Maßnahmen mit Mitteln aus diesem Programm ist, dass sie einem Bildungsanspruch, und zwar einem entwicklungspolitischen Bildungsanspruch genügen. Vor diesem Hintergrund wird der Zuschussempfänger laut Fördervertrag verpflichtet, im Falle von Publikationen eine Übersicht über die Inhalte von Drucklegungen vorzulegen. Von diesem Recht macht das BMZ Gebrauch, wenn es Anlass zu der Befürchtung hat, dass die Förderkriterien nicht eingehalten werden. Insbesondere die Finanzierung von Kampagnenarbeit ist durch das genannte Programm nicht gedeckt. Das ist den Zuschussempfängern bekannt. Das wird in kritischen Fällen mit dem Zuschussempfänger regelmäßig und detailliert erörtert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte schön.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr, Frau Staatssekretärin. Ich muss mich jetzt etwas wundern. Die Antwort, die Sie mir eben gegeben haben, haben Sie mir bereits auf eine andere schriftliche Frage gegeben. Insofern hatte Ihre Antwort keinen neuen Gehalt. Es geht hier um die Frage, ob das BMZ Zensur ausübt oder nicht. Ich habe extra nachgelesen: Zensur ist ein politisches Verfahren, um Inhalte zu kontrollieren. Wenn das BMZ an einen Verleger oder Journalisten herantritt und sagt: „Wenn du das veröffentlichst, kürzen wir dir die Mittel“, ist das per Definition Zensur. Es stellt sich die Frage: Wie kommt das BMZ überhaupt dazu, einer Zeitschrift wie Südlink - es geht um die 161. Ausgabe; es gibt diese Zeitschrift also schon sehr lange - Gelder zu genehmigen, wenn Sie davon ausgehen, dass in dieser Zeitschrift bedenkliche Texte veröffentlicht werden? Ich denke, dass das nicht legitim ist. Gerade für Politiker der FDP, einer Partei, die das Liberale im Titel trägt, sollten die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit ganz hoch angesiedelt sein.

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Herr Kollege Kekeritz, genau das ist unser Anspruch. Es geht nicht um eine Zensur, sondern es geht darum, dass wir staatliche Gelder, also Steuermittel, an einen Verein geben, der sich mit seiner Unterschrift und aufgrund der Tatsache, dass er Steuermittel erhält - 100 000 Euro und es gibt einen Antrag auf Aufstockung der Mittel -, verpflichtet, bestimmte Kriterien einzuhalten. Das BMZ finanziert keine Polemik auf Staatskosten, sondern Publikationen, die einen Bildungsauftrag haben. Dafür gibt es Geld. Dieser Bildungsauftrag bedingt - davon gehen wir aus - eine ausgewogene und sachliche Berichterstattung, in der ein Problemfeld aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt wird. Es darf nicht einseitig berichtet werden. In der letzten Ausgabe war das aber so. Wir haben über „Engagement Global“ - das ist ja auch der direkte Ansprechpartner von Südlink darauf hingewiesen, dass sie doch ihre eigene Sichtweise auf eigene Kosten veröffentlichen können, aber bitte nicht auf Staatskosten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Fragesteller hat noch eine Nachfrage. - Bitte schön.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Staatssekretärin. Sie haben in der Begründung, warum Sie diesen Artikel nicht veröffentlicht haben wollen, den Begriff „Verunglimpfung Dritter“ verwendet. Ich habe diesen Artikel gelesen. Er ist sauber recherchiert und entspricht den normalen Anforderungen einer vernünftigen journalistischen Arbeit. Wenn Sie Zeitung lesen und Radio hören, dann werden Sie in den letzten sechs Monaten mindestens 100 solcher ähnlichen Berichte und Dokumentationen vernommen haben. Es ist für mich nicht begreiflich, warum sich das Entwicklungsministerium plötzlich auf die Füße stellt und sagt, das dürfe man in dieser Form nicht mehr machen. In dieser Form passiert es zurzeit hundertfach, nicht, weil es darum geht, irgendjemanden zu diffamieren, sondern weil damit einfach die Realität tatsächlich souverän und präzise abgebildet wird.

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Herr Kollege Kekeritz, noch einmal: Die Gewährung von Steuermitteln für die Publikation ist an eine ausgewogene, sachlich differenziert dargestellte Problematik gebunden. Die Ausgabe, die Sie eben zitiert haben, enthält eben keine Ausgewogenheit, ({0}) sondern eine sehr einseitige Darstellung. Dagegen verwahren wir uns. Wir unterstützen damit ja keine allgemeine Zeitung, sondern es geht hier um einen Bildungsauftrag. Bildung heißt, dass derjenige, der diesen Artikel liest, auch in die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das kann man nicht, wenn letztlich eine einseitige Sichtweise dargestellt wird, noch dazu in einer Art und Weise, die ich als nicht ausgewogen empfinde. Sie mögen sämtliche Sachverhalte sehr genau kennen. Aber ich finde, da muss man wenigstens der Gegenseite die Chance geben, zu diesen Anschuldigungen oder angeblichen Tatsachen, die verbreitet werden, Stellung zu beziehen. Alles andere ist Verunglimpfung, und die wollen wir nicht mit Steuermitteln finanzieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die Frage 32 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze. Die Frage 33 des Kollegen Hans-Josef Fell soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Oliver Krischer. Welche konkreten Inhalte soll die von der Bundesregierung laut zahlreichen Medienberichten ({0}) geplante gesetzliche Regelung haben, mit der Stilllegungen von Kraftwerken verboten werden sollen, und welche Entschädigungsregelung ist für die Kraftwerksbetreiber angedacht?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank, Herr Präsident. - Der Herr Kollege Krischer hat von uns schon eine ausführliche Darlegung bekommen. Da die anderen sie nicht bekommen haben, möchte ich sie kurz skizzieren. Es geht bei diesem Gesetzgebungsvorhaben um die Sicherung der Versorgungssicherheit im Winter, damit wir eine Situation, wie wir sie im letzten Winter erlebt haben, nicht mehr erleben und zu jedem Zeitpunkt sicherstellen können, dass wir an allen Stellen in Deutschland Strom zur Verfügung haben. Die einzelnen Eckpunkte der Neuregelung sind erstens verbindliche Meldepflichten für Kraftwerksstilllegungen, damit wir, wenn ein systemrelevantes Kraftwerk stillgelegt werden soll, einschreiten können, zweitens eine entsprechende Entschädigungsregelung, die dann bei einer solchen Stilllegungsabwendung fällig wird, drittens Transparenz bezüglich der Kontrahierung von Reservekraftwerken - Stichwort „Netzreserve“ -, viertens die Absicherung der Belieferung systemrelevanter Gaskraftwerke bei Engpässen und fünftens eine Evaluierung dieser Regelung. Ich kann dies im Einzelnen noch ausführen; aber Kollege Krischer hat das ja von uns zugesandt bekommen. Das hat sich mit seiner Anfrage überschnitten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. In der Tat ist es so gewesen, dass Ihr Brief eingegangen ist, nachdem ich meine Frage gestellt hatte. Dennoch bleibt für mich einiges im Unklaren. Insbesondere interessiert mich die Frage, wie konkret Sie das andenken, ob die Regelungsinhalte, die Sie gerade aufgezählt haben, im Energiewirtschaftsgesetz so verankert werden sollen oder ob dies über eine Verordnungsermächtigung geschehen soll. Es werden ja insbesondere die Fragen zu klären sein, welche Kraftwerke das Ganze in welcher Höhe betrifft, welche Entschädigungen zu leisten sind und welche Berechnungsbasis dabei zugrunde gelegt wird. Wir müssen uns ja darüber im Klaren sein, dass das, so vermute ich, am Ende über die Nutzungsentgelte finanziert werden soll; die Finanzierung müssten sie noch darlegen. Deshalb die Frage: Werden diese Dinge im Parlament geregelt, oder beabsichtigt die Bundesregierung, eine Formulierungshilfe an die Koalitionsfraktionen zu geben, die dann nur eine Verordnungsermächtigung enthält?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Weder noch. Ich erläutere es Ihnen gerne. Technisch ist der Weg eine Formulierungshilfe. Der Regelungsort soll in der Tat die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz werden. Das würde dann von den Fraktionen im Zuge der Gesetzesberatungen so eingebracht. Die von mir genannten Eckpunkte kommen ins Gesetz. Die Details kommen in eine Rechtsverordnung, und die Ermächtigung dazu findet sich im Gesetz.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der nächste Winter ist ja nicht mehr weit. Wir müssen also sehr schnell konkrete Entscheidungen treffen. Wenn die Gesetzesnovelle ansteht, muss geschaut werden, welche Kraftwerke und welche Betreiber davon betroffen sein werden. Können Sie schon heute Angaben zur Höhe der Kapazitäten machen und dazu, welche Kraftwerke und Betreiber in welchen Regionen von Deutschland davon betroffen sein werden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das Gesetz kann - das sehen wir, wenn wir uns den Gesetzgebungsfahrplan für die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz anschauen - frühestens im Januar 2013 in Kraft treten. Die volle Wirksamkeit ist also erst für den übernächsten Winter gegeben. Das heißt, die Maßnahmen für diesen Winter müssten im Wesentlichen so angedacht und vertraglich durchgeführt werden, wie es im letzten Winter geschehen ist. Allerdings würde die verbindliche Verpflichtung, Stilllegungen anzumelden und von der Anmeldung bis zur Stilllegung zwölf Monate verstreichen zu lassen, um entsprechende administrative Eingriffsmöglichkeiten zu geben, ab Januar gelten. Die Sorge hinsichtlich der Versorgungssicherheit richtet sich stark auf Süddeutschland. Das gilt für die nächsten Jahre, bis die großen Stromleitungsprojekte, etwa die Thüringer Strombrücke, fertiggestellt sind, durch die die Versorgungslücke geschlossen und eine größere Sicherheit hergestellt werden soll. In diesem Winter sind wir darauf angewiesen, dass die Übertragungsnetzbetreiber ähnliche Vereinbarungen wie im letzten Winter treffen. Das Gebiet, auf das sich die Sorge im Wesentlichen richtet, ist Süddeutschland.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 35 des Kollegen Krischer, die sich mit der Vereinfachung des Planungsrechts beim Stromnetzausbau befasst: Welche konkreten Überlegungen hat die Bundesregierung zur Vereinfachung des Planungsrechts beim Stromnetzausbau - so wie sie der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, laut dpa am 20. September 2012 fordert -, und welche Gesetze, Verordnungen etc. müssten hierfür verändert werden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Hier liegt, glaube ich, ein Missverständnis vor. Der Präsident der Bundesnetzagentur, auf den der Kollege abhebt, hat nicht vorgeschlagen, neue Gesetze oder Vorschriften zu erlassen, sondern er hat sich dafür ausgesprochen - er teilt damit die Einschätzung der Bundesregierung bzw. wir teilen seine -, dass das Instrumentarium des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes möglichst schnell aktiviert werden sollte. In dem Sinne hat er sich geäußert. Wir planen also keine neuen Gesetze, sondern wir planen die Aktivierung dieses Instrumentariums.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe das Zitat von Herrn Homann nur als Beispiel genommen. Wie gesagt, in der Meldung wird er etwas anders wiedergegeben. Gut, es mag sein, dass er missverstanden worden ist. Ich möchte nachfragen: Ihr Minister, Herr Rösler, hat mehrfach öffentlich geäußert, dass er Naturschutzrecht ändern möchte, um Netzausbau zu ermöglichen. Ich habe bereits schriftlich nachgefragt, welche Veränderungen die Bundesregierung konkret plant. Die Antwort war: Die Bundesregierung plant keine Veränderungen. Ich möchte Sie bitten, hier jetzt aus Sicht der Bundesregierung klarzustellen: Wird es irgendwelche Veränderungen, zum Beispiel von Rechtsnormen, insbesondere im Hinblick auf Naturschutzrecht geben? Planen Sie da etwas, oder planen Sie nichts?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Solche Planungen gibt es derzeit nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, ich kann die Äußerungen von Herrn Minister Rösler, dass sich Naturschutzrecht ändern muss, als Dampfplauderei bezeichnen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das können Sie nicht, weil das erstens beleidigend wäre und zweitens den Sachverhalt verfehlt. Herr Minister Rösler hat darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland in der erfreulichen Situation sind, dass große Teile des Bundesgebietes Naturschutzgebiete sind, und dass es zu Schwierigkeiten kommt, wenn wir im Rahmen der Umsetzung der Energiewende den Leitungsausbau vorantreiben. Hier besteht das Problem, dass Vorschriften kollidieren. Das ist ein ernsthafter Gedanke. Aber ich habe Ihnen ja auf Ihre Frage geantwortet, dass es keine derartigen Planungen gibt. Das ist die Auffassung der gesamten Bundesregierung, auch die von Herrn Bundesminister Rösler.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt gibt es eine Nachfrage der Kollegin Steiner. Bitte.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Diese Frage fordert mich als Umweltpolitikerin natürlich zu folgender Überlegung heraus: Kann es sein, dass der Wirtschaftsminister, der Naturschutzbelangen ohnehin nicht besonders wohlwollend gegenübersteht, dies benutzt hat, um von den eigentlichen Problemen abzulenken, die darin bestehen, dass der Netzausbau gerade vonseiten des Wirtschaftsministeriums im ganzen letzten Jahr nicht mit Ernst und nicht sorgfältig betrieben worden ist, was uns in die Situation gebracht hat, in der wir uns jetzt befinden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Geschätzte Frau Kollegin, da Sie, wie Sie eben selbst sagten, Ihren Schwerpunkt in der Umweltpolitik sehen, hatten Sie wahrscheinlich nicht genug Zeit, um mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, wie engagiert das Bundeswirtschaftsministerium den Netzausbau betrieben und vorangetrieben hat. Ich könnte Ihnen das jetzt im Einzelnen vortragen; aber ich erspare es uns. Insofern: Ihre Vermutung ist in jeder Hinsicht falsch. Auch Ihre Vermutung, Bundesminister Rösler habe kein Herz für den Naturschutz und er sei ihm nicht wichtig, ist falsch. Er hat darauf hingewiesen, dass aufgrund des Reichtums an Naturschutzgebieten in Deutschland zwischen dem beschleunigten Netzausbau und einschlägigen Vorschriften ein Zielkonflikt besteht. Ich kann Ihnen aber sagen: Bundesminister Rösler ist ein Freund des Naturschutzes.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Staatssekretär, es gibt eine weitere Nachfrage, und zwar von Frau Kollegin Britta Haßelmann. - Bitte schön, Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Hintze, ich habe eine Nachfrage. Herr Minister Rösler hat der Presse zum Thema Netzausbau öffentlich mitgeteilt, dass er, um den Netzausbau in Deutschland voranzubringen, unter anderem beabsichtigt, das Naturschutzgesetz zu ändern. Wir möchten von der Bundesregierung wissen: Plant die Bundesregierung, das Naturschutzgesetz zu ändern, oder nicht? Da Sie Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sind, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dazu eine präzise Aussage treffen könnten. Dann könnten wir sie bewerten, und dann könnte auch öffentlich bewertet werden, ob sie mit den vielen Ankündigungen, die der Wirtschaftsminister in dieser Frage gemacht hat, in Einklang zu bringen ist.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich möchte Ihnen nicht unterstellen, Frau Kollegin, dass Sie nicht sorgsam zuhören. Aber ich habe auf die klugen Fragen Ihres Kollegen Krischer und Ihrer Kollegin Steiner klar und präzise gesagt, dass eine solche Änderung nicht beabsichtigt ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich sehe, dass es hierzu keine weiteren Nachfragen gibt. Die Fragen 36 und 37 des Kollegen Martin Dörmann und die Fragen 38 und 39 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zur Frage 40 der Kollegin Katja Keul: Welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung durch eine Fusion von EADS und BAE Systems für den europäischen Rüstungsmarkt, und sieht sie die Notwendigkeit, hier marktregulierend einzugreifen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung prüft derzeit alle mit einer möglichen Fusion - sie ist ja noch nicht beschlossen, und es gibt auch noch keine politische Entscheidung der Bundesregierung, wie sie sich letztendlich dazu verhält - im Zusammenhang stehenden rechtlichen Fragen, die Standortfrage, die industriepolitischen Fragen und die technologiepolitischen Fragen. Derzeit liegen uns noch nicht alle Fakten zur genauen Struktur des zukünftigen Unternehmens vor. Das hat seine Ursache unter anderem im britischen Aktienrecht. Hier geht es ja um eine Joint Operating Company, die nach englischem und niederländischem Recht möglich ist und die, auch was die Struktur betrifft, bestimmte Informationsrestriktionen zur Folge hat, sodass wir Ihre Frage, welche Auswirkungen eine mögliche Fusion, wenn es zu ihr kommt, hätte, noch nicht abschließend beantworten können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Katja Keul, Ihre erste Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Nachfrage. Das Wirtschaftsministerium hat uns ja in seinem schriftlichen Bericht informiert, auch über die geplante Fusion. Der Anlage konnten wir Folgendes entnehmen: BAE Systems und EADS betreiben hochsensible und stark gesicherte Rüstungsunternehmen - dann wird aufgezählt in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Saudi-Arabien … Da ich davon ausgehe, dass es an dieser Stelle nicht um EADS geht, lautet meine Frage: Was sind das für Rüstungsunternehmen, die BAE Systems in Saudi-Arabien betreibt, und wie bewertet die Bundesregierung die Tätigkeit dieser Unternehmen im Hinblick auf deutsche Rüstungskontrollstandards?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Erstens ist mir nicht bekannt, was in Saudi-Arabien betrieben wird. Zweitens kann ich, wie Sie meiner ersten Antwort entnehmen konnten - vielleicht auch nicht, dann muss ich es noch einmal genauer erläutern -, die Frage, welche Firmenteile überhaupt in diese Joint Operating Company aufgenommen werden, wenn sie gebildet wird, jetzt auch noch nicht beantworten. Insofern kann ich Ihnen Ihre Frage nicht beantworten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hoffe, dass die Bundesregierung meine Sorge teilt. Ich will meine Frage etwas allgemeiner formulieren: Wird die Bundesregierung, bevor sie endgültig ihre Zustimmung zu dieser Fusion gibt, auch prüfen, inwiefern durch diesen weltweit operierenden Konzern deutsche Rüstungsexportkontrollvorschriften möglicherweise ins Leere laufen könnten?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Erstens ist die Haltung der Bundesregierung zur Fusion noch völlig offen; das habe ich gesagt. Zweitens werden wir, falls es zu einer solchen Fusion kommt, die von Ihnen angesprochenen Fragen gründlich prüfen auch die rechtliche Frage, ob es hier überhaupt eine Genehmigungspflicht hinsichtlich der Fusion gibt oder nicht. Es gibt ja auch Standorte dieses gemeinsamen Unternehmens in Deutschland, weswegen wir durch diese Fusion möglicherweise betroffen sind. Das sind rechtliche Fragen, die zu prüfen sind. Denen werden wir auf alle Fälle nachgehen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Ich rufe jetzt die Frage 41 unserer Kollegin Frau Katja Keul auf: Inwiefern bindet die Bundesregierung die israelische Regierung in ihren Meinungsbildungsprozess zur Genehmigung von Kriegswaffenexporten in Länder in der Nachbarschaft Israels ein? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Keul, wie Sie wissen und wie hier auch von allen immer wieder vorgetragen wird - auch von allen Vorgängerregierungen; ich will jetzt nicht auf die politische Farbenlehre eingehen -, treffen wir die Entscheidung über den Export von Kriegswaffen nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und nach dem „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“. Bei Entscheidungen über Kriegswaffenexporte in die Nachbarschaft Israels bezieht die Bundesregierung sicherheitspolitische Belange Israels stets in ihre Überlegungen mit ein.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt kommt die erste Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie werden nicht überrascht sein, dass ich sage, dass mich diese Antwort nicht überrascht.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Nein, das überrascht mich nicht. Ich wundere mich trotzdem immer wieder.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war jetzt aber noch nicht die Frage.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das hatte ich missverstanden, Herr Präsident. Ich bitte um Nachsicht.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Über das hinaus, was Sie gerade gesagt haben, hat die Bundesregierung ja schon immer deutlich gemacht, dass sie solche Dinge unter Freunden natürlich auch im Vorfeld bespricht, damit niemand überrascht ist. So frage ich Sie jetzt doch noch einmal, was im Falle der U-BootLieferung an Ägypten schiefgelaufen ist, sodass sich namhafte Vertreter der israelischen Regierung und des näheren Umfelds sehr erstaunt darüber gezeigt haben, dass solche Konsultationen in diesem Fall offensichtlich nicht stattgefunden haben.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das ist eine Suggestivfrage, Frau Kollegin, bei der Sie von verschiedenen Annahmen ausgehen, die nicht zutreffen. Insofern sehe ich mich in dieser paradoxen Fragesituation außerstande, mit einer Antwort auf Ihre Frage einzugehen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich darf noch eine weitere Nachfrage stellen, Herr Präsident?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Frau Kollegin.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gesagt - das war Ihrer nicht überraschenden Antwort jetzt auch zu entnehmen -, dass Sie israelische Sicherheitsbedenken durchaus einbeziehen. Auf wen bezieht sich das bei Entscheidungen über Rüstungsexporte in die Region noch? Würden Sie umgekehrt also beispielsweise auch Saudi-Arabien konsultieren, bevor Sie U-Boote an Israel liefern, und haben Sie Israel einbezogen, bevor Sie Panzer nach Saudi-Arabien geliefert haben? Nach welchen Kriterien bindet die Regierung Freunde in der Region in diese Entscheidungen ein, und wann tut sie das nicht?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Antwort auf die Frage, was die Bundesregierung in welcher Situation tut, richtet sich natürlich nach dem jeweiligen Einzelfall. Es ist jetzt bei diesem konstruierten Einzelfall sehr schwierig, die Sache durchzubuchstabieren. ({0}) - Sagen wir es so: eine von Ihnen liebevoll gestaltete Einzelfrage zu beantworten. Der Abwägungsprozess hängt jeweils vom Einzelfall und vom Kontext ab. Deswegen kann Ihre Frage so generell nicht beantwortet werden. Legitime Sicherheitsinteressen und insbesondere die Auswirkungen von möglichen Ausfuhr- oder Herstellungsgenehmigungen werden immer sorgfältig - sorgfältigst! - bedacht. Dabei lässt sich die Bundesregierung von niemandem übertreffen. ({1}) - Ich bitte darum, das zu Protokoll zu nehmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das wird alles aufgezeichnet und ist Inhalt des Protokolls. Zur Frage 41 gibt es keine Nachfrage mehr, Herr Staatssekretär. Die Frage 42 der Kollegin Viola von Cramon-Taubadel wird schriftlich beantwortet. Ich darf mich beim Herrn Staatssekretär herzlich bedanken. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Bei diesem Geschäftsbereich werden, so sehe ich, nach meinen Unterlagen die Frage 43 der Kollegin Viola von Cramon-Taubadel, die Fragen 44 und 45 des Kollegen Tom Koenigs, die Frage 46 der Kollegin Ulla Jelpke, die Frage 47 des Kollegen Hans-Christian Ströbele, die Fragen 48 und 49 des Kollegen Klaus Brandner und die Fragen 50 und 51 des Kollegen Manuel Sarrazin schriftlich beantwortet. Sind hier irgendwelche Kolleginnen oder Kollegen, die das anders sehen? - Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen alle schriftlich beantwortet. Somit komme ich jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Hier ist ebenfalls die Situation, dass die Fragen 52 und 53 der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, die Fragen 54 und 55 des Kollegen Andrej Hunko, die Fragen 56 und 57 des Kollegen Mehmet Kilic und die Frage 58 der Kollegin Sevim Dağdelen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 59 der Kollegin Sevim Dağdelen sowie die Fragen 60 und 61 des Kollegen Dr. Sascha Raabe werden, so höre ich gerade, schriftlich beantwortet. Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Auch hier habe ich die Mitteilung, dass die Frage 62 der Kollegin Lisa Paus, die Frage 63 der Kollegin Priska Hinz und die Frage 64 der Kollegin Diana Golze schriftlich beantwortet werden. Wir gehen weiter in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier werden die Fragen 65 und 66 des Kollegen Dr. Ilja Seifert, die Fragen 67 und 68 des Kollegen Markus Kurth, die Fragen 69 und 70 des Kollegen Willi Brase, die Frage 71 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die Frage 72 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann und die Fragen 73 und 74 der Kollegin Sabine Zimmermann schriftlich beantwortet. Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Hier werden die Fragen 75 und 76 der Kollegin Bärbel Höhn schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 77 des Abgeordneten Friedrich Ostendorff. ({0}) Er hat mein Flehen gehört und die Telekommunikation unterbrochen. Da der Herr Staatssekretär auch gerade in den Saal kommt, wurden die Gespräche wahrscheinlich schon vor der Tür geführt. Trotzdem wird das Hohe Haus die Ehre haben, die Fragen und die Antworten insgesamt zu hören. Ich rufe also Frage 77 unseres Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Welche über die heutige Gesetzeslage hinausgehenden Vorgaben zur Haltung von Tieren im Hinblick auf eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes können nach den Regelungen des Entwurfs eines 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes verordnet werden? Sie wird vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Peter Bleser beantwortet. Ich bitte darum.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danke schön, Herr Präsident. - Lieber Kollege Ostendorff, nach dem im neuen Entwurf des 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes enthaltenen § 58 c Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes kann die Behörde die dort beispielhaft angeführte Anforderung an die Haltung von Tieren anordnen, soweit es zur wirksamen Verringerung der Anwendung von Antibiotika erforderlich ist und Rechtsvorschriften dem nicht entgegenstehen. Die Anordnungsbefugnisse der zuständigen Behörde bewegen sich im Rahmen des Ermessensspielraums, dürfen geltende tierschutzrechtliche Vorgaben allerdings nicht beeinträchtigen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Friedrich Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank für die freundliche Unterstützung des Präsidenten. - Kollege Bleser, die Antwort führt mich zu einer weiteren Frage. Es geht hier - ich muss einen Satz erklärend anfügen - um das Zusammenspiel von Bund und Ländern. Die Länder müssen bei erkennbaren Missständen zusammen mit den Betrieben handeln. Wie, denken Sie, ist das durchführbar, zum Beispiel bei der Haltung von Puten? Hier gibt es keine Haltungsverordnung des Bundes. Auf welcher rechtlichen Grundlage würden dann Antibiotikaminimierungspläne mit den Ländern und den Betrieben zusammen erarbeitet werden? Da fehlt mir das Zwischenglied der Verordnung auf der Grundlage des Gesetzestextes.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Kollege Ostendorff, im Arzneimittelgesetz werden diese Dinge nicht geregelt. Sie werden in den entsprechenden Verordnungen, wenn es sie gibt, präzisiert. Ansonsten werden, wenn Missstände erkennbar sind, von den örtlichen Behörden entsprechende Maßnahmen eingeleitet bzw. in Kooperation mit dem Tierhalter und dem Tierarzt durchgeführt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Kollege Ostendorff, Ihre zweite Nachfrage.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einen Satz direkt dazu: Es fehlt die gesetzliche Grundlage, auf der die Behörden das tun können. Nun komme ich zu meiner zweiten Frage. Wenn 1 734 Tonnen Antibiotika in die Tierhaltung wandern, wie letzte Woche vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit festgestellt wurde, und davon 99 Prozent in die Nutztierhaltung, wie wir heute Morgen erfuhren, dann hängt das auch damit zusammen, dass nach Feststellung der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen 75 Prozent dieser Antibiotikamengen in der Großtierhaltung zur Prophylaxe eingesetzt werden. Prophylaktischer Einsatz ist aber verboten. Wie wollen Sie ihn eliminieren? Das ist kriminelles Handeln. Bisher wurde noch nichts dazu gesagt, wie man dem bestehenden Gesetz, mit dem wir seit 2006 den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika verbieten, zur Geltung verhelfen will.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ostendorff, die Anwendung von Antibiotika unterliegt zunächst einmal der Verordnung durch den Tierarzt. Ohne die Verordnung darf niemand Antibiotika einsetzen. Dies ist eine entsprechende Entscheidung des Arztes, der die Notwendigkeit erkennen muss.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Es gibt jetzt eine Nachfrage unserer Kollegin Dorothea Steiner.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär Bleser, als niedersächsische Abgeordnete ebenso wie Sie treibt mich in Anbetracht der Zahlen für Niedersachsen dieses Problem ganz besonders um. Weil jetzt mehrfach unterstrichen worden ist, dass die prophylaktische Gabe von Antibiotika verboten ist, Sie aber dieses Problem im Rahmen der Gesetzgebung nicht ausreichend berücksichtigen, frage ich Sie: Wie und in welcher Form wollen Sie gewährleisten, dass entsprechende Kontrollen zur Verhinderung prophylaktischer Gabe tatsächlich effektiv durchgeführt werden?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Liebe Frau Kollegin, zunächst darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich aus Rheinland-Pfalz komme. ({0}) Ansonsten beantworte ich Ihre Frage in der Weise, dass wir mit dem neuen Arzneimittelgesetz gerade die Verpflichtung der Meldung von verabreichten Antibiotika durch die landwirtschaftlichen Betriebe vorsehen. Insofern werden dann auffällige Betriebe erkennbar, und die örtlichen Behörden können entsprechende Maßnahmen einleiten, falls Missstände auftreten sollten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen 78 und 79 des Kollegen Harald Ebner werden schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 80 des Abgeordneten Dirk Becker. Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Anwesend ist der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt. Die Frage 81 der Kollegin Ulla Jelpke, die Frage 82 des Kollegen Hans-Christian Ströbele und die Frage 83 des Kollegen Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet. Das waren alle Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich. Trotzdem vielen Dank für die Anwesenheit, was auch nicht immer selbstverständlich ist. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung. Die Fragen 84 und 85 des Kollegen Gustav Herzog und die Fragen 86 und 87 des Kollegen Uwe Beckmeyer werden schriftlich beantwortet. Vizepräsident Eduard Oswald Die Fragen 88 und 89 wurden von der Kollegin Karin Roth gestellt, die nicht im Saal ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 90 wurde von dem Kollegen Thomas Jarzombek gestellt, der ebenfalls nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 91 des Kollegen Ulrich Kelber, die Fragen 92 und 93 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter und die Frage 94 von der Kollegin Cornelia Behm werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 95 und 96 wurden von der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter gestellt. Sie ist nicht da. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sollten wissen, dass die Kolleginnen und Kollegen in Ausschuss- und Arbeitsgruppensitzungen sind, sodass es verständlich ist, dass sie nicht immer rechtzeitig hier sein können. Die Fragen 97 und 98 der Kollegin Ute Kumpf werden schriftlich beantwortet, ebenso wie die Fragen 99 und 100 des Kollegen Dr. Diether Dehm. Ich rufe die Frage 101 der Kollegin Voß auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Einweihung des JadeWeserPorts am 21. September 2012 mit 1 000 Gästen vor dem Hintergrund eines gefährlichen Chemiewrackfrachters mit unbekannten Gefahrenstoffen am Kai? Die Frau Kollegin ist anwesend. - Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Präsident! Frau Kollegin, die Antwort der Bundesregierung lautet: Der JadeWeserPort ist inzwischen wie erwartet ohne Zwischenfall eröffnet worden. Für die Feierlichkeiten wurde ein Ort auf dem Hafengelände gewählt, der einige Hundert Meter vom Sicherheitsbereich der „MSC Flaminia“ entfernt liegt. Alle Gefahrgüter, die sich an Bord befinden, sind bekannt. An Bord des Schiffes werden weiterhin fortlaufend Luft-, Wasser- und Wischproben genommen, um Gefährdungen von Menschen und Umwelt auszuschließen. Die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft, das Gewerbeaufsichtsamt, das Wilhelmshavener Gesundheitsamt, die Behörde für Hafengesundheit, die Feuerwehr und eine Spezialfirma als Brandwache sind vor Ort und überwachen sämtliche Maßnahmen. Die „MSC Flaminia“ ist zwar an einigen Teilen schwer beschädigt, aber kein Wrack.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Johanna Voß.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Dann möchte ich fragen: Wusste die Belegschaft der „MSC Flaminia“ über die Gefahren auf dem Schiff Bescheid? Waren alle Gefahrstoffe bekannt? Sind die Gefahrstoffe der Bundesregierung jetzt bekannt? Waren und sind die Leute, die dieses Schiff jetzt in Schach halten, im Umgang mit diesen Gefahrstoffen geschult?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin, die Frage habe ich bereits beantwortet. Natürlich sind alle Gefahrgüter, die sich an Bord befinden, bekannt. Die zuständigen Behörden habe ich aufgeführt.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Hat die Reederei Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft aus Buxtehude versucht, mit juristischen Mitteln zu verhindern, dass eine vollständige Gefahrgutliste der „MSC Flaminia“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Verhalten?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Ich glaube, das ist eine Frage, die Sie später gestellt haben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie hatten eine Nachfrage zu Frage 101. Sie sind also vorgesprungen, sodass ich gerne aufgreife, was der Herr Staatssekretär sagt, und Ihre Frage 102 aufrufe: Handelt es sich bei den Mitarbeitern der Entsorgungs- und Bergungsfirmen, die bei der „MSC Flaminia“ eingesetzt werden, um Freiwillige oder um Mitarbeiter, denen Sanktionen angedroht worden sind, sollte die Arbeitsaufnahme verweigert werden, sowie um Leih- bzw. Zeitarbeiter? Der Staatssekretär beantwortet nun die Frage 102.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Dazu lautet die Antwort der Bundesregierung: Der Bundesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor. Die Mitarbeiter des Unternehmens, die die Entladung des Schiffes vornehmen werden, wurden im August 2012 auf einer Betriebsversammlung eingehend über die bevorstehende Aufgabe informiert. Die Personalvertretung war dabei anwesend. Die Mitarbeiter, die die Entsorgung vornehmen, sind ebenfalls durch das Unternehmen eingewiesen worden. Alle Maßnahmen werden unter den hohen Anforderungen des Unfall-, Arbeits- und Gesundheitsschutzes geplant, kontrolliert und durchgeführt. Eine Bergungsfirma ist - da nicht mehr notwendig - nicht eingesetzt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Erste Nachfrage, Frau Kollegin Johanna Voß.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann noch einmal die Frage: Hat die Reederei Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft aus Buxtehude versucht, mit juristischen Mitteln zu verhindern, dass eine vollständige Gefahrgutliste der „MSC Flaminia“ der Öffent23294 lichkeit zugänglich gemacht wird? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Ich rufe die Frage 103 der Kollegin Jutta Krellmann auf: In welcher Form wurde vor dem Einlaufen der „MSC Flaminia“ geprüft, ob die unfertige Infrastruktur, Brandschutz- und Sicherheitsversorgung des JadeWeserPorts für die Aufnahme des havarierten Schiffes ausreicht? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Krellmann, die Antwort der Bundesregierung lautet: Der Zuweisung eines Notliegeplatzes geht in Deutschland eine umfangreiche Beurteilung, ein sogenanntes Assessment, voraus. Dabei werden unter anderem schnelle Erreichbarkeit und Infrastruktur, aber auch Umweltfragen bewertet sowie Gefährdungsbeurteilungen erstellt. In Wilhelmshaven finden als drittgrößtem Hafen Deutschlands mit einem hohen Anteil des Umschlags von Öl regelmäßig Übungen zur Bekämpfung von Umweltschäden statt. Mit der Aufstellung des Hafenmanagementplans, der auch TÜV-geprüfte Alarmund Notfallpläne umfasst, waren die verantwortlichen Stellen bei der JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft gut vorbereitet auf die Ankunft der „MSC Flaminia“. Es erfolgte selbstverständlich bereits vor der Ankunft des Schiffes eine intensive Zusammenarbeit mit allen maßgeblichen Behörden, Institutionen und Firmen. Diese wird noch fortgesetzt in täglichen Jour fixes unter Leitung des Havariekommandos.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Bevor ich Frau Kollegin Jutta Krellmann das Recht zur ersten Nachfrage gebe, muss ich die Parlamentarischen Geschäftsführer bitten, zu mir zu kommen. Es geht um die Frage der weiteren Gestaltung der Tagesordnung, da wir schneller sind, als es der geplante Zeitablauf vorsieht. Das müssen wir miteinander besprechen. Frau Kollegin Jutta Krellmann, Sie haben Ihre erste Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Als jemand, der einmal Chemielaborantin gelernt hat, habe ich bei Ihrer Beantwortung der Frage von Frau Voß zur Kenntnis genommen, dass der Bundesregierung die einzelnen Gefahrstoffe bekannt waren. Meine konkrete Nachfrage lautet: Über welche Gefahrstoffe reden wir eigentlich?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Es handelt sich um eine ganze Reihe von Gefahrstoffen, die anhand eines Ladungsplans dem Havariekommando zugänglich sind. Ich habe diese Liste nicht dabei. Ich kann sie Ihnen aber gerne schriftlich zur Verfügung stellen.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre sehr nett. Vielen Dank.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wie ich sehe, haben Sie dazu keine weitere Nachfrage. Wir kommen jetzt zu Frage 104 der Kollegin Jutta Krellmann: Was für erprobte Katastrophenschutzpläne gibt es für den JadeWeserPort, um auf unvorhergesehene chemische Reaktionen mit unbekannten Substanzen und Gasen in den Mengen der „MSC Flaminia“ zu reagieren? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin Krellmann, die Antwort der Bundesregierung lautet: Für den Katastrophenschutz in Deutschland sind die Bundesländer - in diesem Fall das Land Niedersachsen - verantwortlich. Hier gibt es keine Zuständigkeit der Bundesregierung.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre Nachfrage, bitte schön, Frau Kollegin Jutta Krellmann.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Nachfrage lautet: Wo wurde die „MSC Flaminia“ mit den Gefahrstoffen beladen, und welches waren ihre Bestimmungsorte?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor. Das werde ich Ihnen schriftlich nachliefern.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Jutta Krellmann. Die Fragen 105 und 106 der Kollegin Dorothee Menzner werden nach der Geschäftsordnung behandelt, da die Kollegin nicht anwesend ist. Ich rufe die Frage 107 des Kollegen Herbert Behrens auf: Wie sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die Gefahrgutcontainer von der „MSC Flaminia“ im JadeWeserPort in Wilhelmshaven von Bord geladen werden, und wo sollen sie ohne Gefährdung der Menschen, die in der Umgebung wohnen, sicher gelagert bzw. entsorgt werden? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Kollege Behrens, darauf möchte ich Ihnen wie folgt antworten: Das Entladungskonzept des Germanischen Lloyd für die „MSC Flaminia“ sieht vor, Container und Löschwasser gleichermaßen zu entladen, um die Stabilität des Schiffes zu erhalten. Vorrang haben die Container, bei denen eine erhöhte Temperatur festgestellt wurde. Danach folgen die Gefahrgutcontainer. Die Container werden mithilfe einer Art Wanne entladen und bei Bedarf gereinigt. Unbeschädigte Container und Inhalte werden nach der Besichtigung durch die Versicherer an ihren ursprünglichen Bestimmungsort gebracht. Beschädigte Container und Inhalte werden fachgerecht entsorgt oder die Inhalte gereinigt und neu verpackt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Herbert Behrens.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Staatssekretär. Nun haben Sie erzählt, was mit den einzelnen Gefahrgutcontainern vorgesehen ist, Sie haben aber nicht gesagt, wie hafenintern mit diesen Containern umgegangen wird. Gibt es ein Zwischenlagerungskonzept, oder wird sofort abtransportiert? Wie muss ich mir das vorstellen, auch im Hinblick auf entsprechende Nachfragen aus der Wilhelmshavener Bevölkerung?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Ich finde, ich habe Ihnen die Frage ausreichend beantwortet. Die Gefahrgutcontainer werden mit einer Art Wanne entladen; das habe ich Ihnen gesagt. Diese Wanne wird am Kai abgestellt. Dort erfolgt die fachgerechte Beurteilung und natürlich auch die Entsorgung für den Fall, dass diese notwendig ist. Aus meiner Sicht ist diese Frage eindeutig beantwortet worden. Es werden selbstverständlich alle Arbeitsschutzvorschriften und alle Umweltvorschriften eingehalten. Danach hatte die Kollegin vorhin schon gefragt. Insofern gibt es keinen Grund zur Sorge. Diese Sorgen können wir entkräften.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich rufe die Frage 108 unseres Kollegen Herbert Behrens auf: Wie sieht der „erste Teil eines Konzeptes“ für die „fachund umweltgerechte Entsorgung des Löschwassers“ ({0}) auf der „MSC Flaminia“ hinsichtlich der Zwischenlagerung des Löschwassers und des Abtransportes dieses Löschwassers aus? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Die Antwort der Bundesregierung lautet: Eine Zwischenlagerung ist nicht vorgesehen. Das Löschwasser wird in Spezialschiffe umgepumpt und in den dafür vorgesehenen Einrichtungen fachgerecht entsorgt. Die Entsorgungskonzepte werden vor der Durchführung von den zuständigen Fachbehörden geprüft sowie die durchzuführenden Maßnahmen kontrolliert. Über den Verbleib des Entsorgungsgutes erfolgt die dafür vorgesehene gesetzliche Nachweisführung und Dokumentation.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre Nachfrage, Kollege Behrens.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ihrer Antwort entnehme ich, dass das Löschwasser ausschließlich auf ein anderes Schiff oder andere Schiffe umgepumpt wird. Es finden keinerlei Transporte über die Straße statt; denn auch die Schienenanbindung des JadeWeserPorts ist noch nicht realisiert.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

So ist es.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Bitte.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Bei den Fragen 109 und 110 verfahren wir nach unserer Geschäftsordnung, weil die Fragestellerin, die Kollegin Heidrun Dittrich, nicht da ist. Es gibt keine weitere Fragen in diesem Geschäftsbereich. Wir sind auch am Ende der Fragestunde insgesamt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf den Fraktionen mitteilen, dass ich nach Abstimmung mit den Fraktionsgeschäftsführern die Sitzung bis 17 Uhr unterbreche. Wir treffen uns zu unserer Aktuellen Stunde hier um 17 Uhr wieder. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Besorgnis über die Parlamentswahlen in Weißrussland Bevor wir mit dem ersten Redner beginnen, weise ich noch darauf hin, dass der Staatsminister im Auswärtigen Amt durch eine gegenwärtig stattfindende Ausschusssitzung verhindert ist. Ich glaube, wir haben angesichts des Vizepräsident Eduard Oswald vorzeitigen Beginns unserer Sitzung Verständnis dafür. Er wird, wie ich höre, in zehn Minuten da sein. Ich rufe den ersten Redner auf. Für die Fraktion der FDP spricht unser Kollege Patrick Kurth. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Patrick Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003900, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Übergang von einem autoritären Staat in eine Demokratie ist für jede Gesellschaft eine große Herausforderung. Das erleben übrigens wir Deutsche selbst auch 20 Jahre nach der deutschen Einheit. Obwohl wir - das muss man immer wieder deutlich sagen - westlich der Elbe sozusagen einen großen Bruder hatten, obwohl wir in Ostdeutschland Westfernsehen hatten, obwohl die gemeinsame Währung so schnell zu uns kam, obwohl wir sehr schnell wiedervereinigt worden sind, obwohl wir auf all das nach über 20 Jahren deutsche Einheit zurückblicken - vorhin haben wir über den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2012 gesprochen -, gibt es noch erhebliche Differenzen. Eben weil wir das einzige Land in der westlichen Welt sind, das eine solche Transformationserfahrung hat, können wir mit besonderer Glaubwürdigkeit über die Situation im östlichen Europa sprechen. Dabei ist es zwingend notwendig - das machen wir immer wieder -, dass wir bei den Transformationsprozessen in den östlichen Partnerländern differenzieren. Einige Staaten sind gute Nachbarn geworden. Andere sind Partner und Freunde Deutschlands. Aber gerade weil wir differenzieren, verurteilen wir aufs Schärfste die Vorgänge in Weißrussland. Die Menschenrechtslage dort ist katastrophal. Die brutale Unterdrückung Andersdenkender ist bekannt. Die rechtsstaatlichen Grundsätze werden mit Füßen getreten. Gerade im Vorfeld der Wahlen haben wir dies gesehen. Präsident Lukaschenko unterstrich, dass Gewalt und Einschüchterung die Visitenkarte des Regimes sind. Die Wahl wurde so zur Farce: fairer Wettbewerb, Meinungsstreit, Akzeptanz der politischen Opposition all dies haben wir in Weißrussland nicht gesehen. Stattdessen wurde gefälscht, was man bei Wahlen fälschen kann: die Höhe der Wahlbeteiligung, die Stimmzettelauszählung und letztlich auch das Ergebnis. Dies widerspricht allen erdenklichen Grundsätzen einer demokratischen und transparenten Wahl. Der Wahlboykott der Opposition war unter diesen Umständen folgerichtig. Angesichts der Brutalität des Regimes will ich ganz deutlich sagen: So viel Zivilcourage muss unsere Anerkennung finden. ({0}) Wenn wir über Weißrussland reden, dann gilt aber auch: Die Länder, die mit Weißrussland zusammenarbeiten, müssen ihr Verhältnis zu Weißrussland prüfen. Gerade Russland ist dazu aufgerufen, seine ideelle Unterstützung gegenüber dem weißrussischen Regime, die oftmals deutlich wird, zu hinterfragen. Auch andere Akteure müssen sich mit den Zuständen in Weißrussland auseinandersetzen. Taube Ohren sind keine Option. Das gilt nicht nur für die Länder in dieser Region, für den Kulturkreis, an den wir immer denken, sondern auch für die Demokratien im Westen. 2014 soll in Weißrussland die Eishockey-WM stattfinden. Wir haben hier im Plenum schon darüber gesprochen. Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Djir-Sarai dem Präsidenten der Internationalen Eishockey-Föderation, Herrn Dr. Fasel, geschrieben. Wir wiesen auf die dramatische Lage in Weißrussland hin. Wir haben unsere Befürchtung geäußert, dass das belarussische Regime unter Lukaschenko die Eishockey-WM für seine eigenen Ziele und Zwecke propagandistisch missbraucht. In Anbetracht der anhaltenden Repression der eigenen Bevölkerung durch das Regime haben wir darauf hingewiesen, dass wir keine unangebrachte internationale Aufwertung für den weißrussischen Präsidenten wollen. Herr Dr. Fasel antwortete uns auf unseren Brief und erklärte, dass eine Einmischung der Politik in sportliche Veranstaltungen Schaden für die Athleten, für den Sport als solchen und auch für die friedlichen Ziele der olympischen Bewegung bedeuten würde. Ich fand die Antwort in diesem Zusammenhang unangemessen. In seiner Eröffnungsrede beim 134. Kongress der Eishockey-Föderation im Mai 2012 setzte er noch eins drauf. Er erklärte, mit einem Boykott der EishockeyWM in Weißrussland würden sich die Verantwortlichen der Sportverbände zu Marionetten der Politik machen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche hier für viele, wenn ich sage, dass wir diesen Marionettenvergleich entschieden zurückweisen. ({2}) Der Wahlverlauf bestätigte die von uns damals gehegten Bedenken. Herr Fasel hat jetzt am Wochenende, nach der Wahl, erklärt, er habe von den politischen Zuständen in Belarus nichts mitbekommen. ({3}) Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich nicht mehr erklärbar. Man kann es „Zweckignoranz“ nennen, man kann es vielleicht auch „fragwürdige Verantwortung“ nennen; auf jeden Fall ist das ein Vorgehen, das wir so nicht mittragen. Gerade angesichts der bevorstehenden WM muss die Eishockey-Föderation fortan - wir fordern noch einmal dazu auf - gewissenhafter mit diesem Thema umgehen. Der Präsident eines der wichtigsten Sportweltverbände darf die Augen hier nicht verschließen; ebenso sind alle anderen dazu aufgerufen, hier die Augen nicht zu verschließen. Patrick Kurth ({4}) Wir setzen uns für Weltoffenheit, für Werteorientiertheit und für die Einhaltung der Grundrechte ein. Wir unterstützen die Länder, die mit ihren Reformbestrebungen ihren guten Willen zur Umsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zeigen. Aber die völlige Ignoranz in Bezug auf Menschenrechte und internationale Standards bei Wahlen ist für uns völlig inakzeptabel. Die verhängten europäischen Sanktionen, unter anderem das Einreiseverbot für Lukaschenko, sind der richtige Weg; wir unterstreichen das. Es ist gerade für uns Deutsche nicht akzeptabel, dass massive Menschenrechtsverletzungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft noch immer stattfinden. Ich bedanke mich sehr herzlich. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Kurth. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ausdrücklich keine Aktuelle Stunde, die sich gegen die Menschen in Weißrussland richtet; ({0}) im Gegenteil: Wir wollen von dieser Stelle aus deutlich machen, dass viele in Weißrussland - mutige junge Menschen, Frauen, Oppositionelle - in den letzten Jahren versucht haben, dem Regime zu widerstehen. Wir wollen alle Aufmerksamkeit genau auf diese Menschen richten, die so viel Mut aufgebracht haben, diesen Machenschaften des Regimes zu widerstehen. Deswegen, glaube ich, ist diese Aktuelle Stunde heute angebracht. Ich will auch sehr deutlich sagen: Weißrussland gehört zum europäischen Kulturraum. Es hat große Beiträge zur Ideengeschichte geliefert; das gilt auch für die Menschen selbst. Weißrussland - das müssen wir deutlich machen - wollen wir sozusagen in unserer europäischen Familie wissen, und deswegen machen wir uns große Sorgen. In der Tat, Kollege Kurth: Der Weg zu demokratischen Verhältnissen, gerade auch nach diesen Erfahrungen einer gefälschten Parlamentswahl, wird wahrscheinlich lang sein, aber er ist nicht ohne Chance. Wir sollten den Menschen Mut machen, weiterhin alles dafür zu unternehmen, dass dieser demokratische Weg gelingt. Ich glaube, das können wir nur gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Union und mit Partnern, die an unserer Seite für demokratische Grundrechte eintreten. Mit dieser Aktuellen Stunde wollen wir aber auf die Machenschaften des Regimes und auf die gefälschten Wahlen hinweisen. Wir müssen daran erinnern, dass die Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren nicht nur gefälscht waren, sondern dass mutige Politiker, die zu diesen Wahlen angetreten sind, bis heute im Gefängnis sitzen. Wir wollen auch heute von dieser Stelle aus an das Regime appellieren, sofort alle politischen Gefangenen bzw. alle, die aus politischen Gründen verurteilt worden sind, freizulassen. Ich erinnere zum Beispiel an den sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Statkevich, dessen Familie in den letzten Wochen mehrmals bei uns, in den verschiedenen Fraktionen, war und auf die humanitären Bedingungen hingewiesen hat, unter denen Statkevich im Gefängnis sitzt. Er ist mit Inhaftierten zusammen, die an Tuberkulose leiden, und mit einem Gefangenen, der wegen Mordes verurteilt worden ist. Das sind Bedingungen, die nicht hinnehmbar sind. Wir vonseiten des Deutschen Bundestages fordern dieses Regime auf, Herrn Statkevich und andere, die mutig für ihre Rechte eingetreten sind, sofort freizulassen. ({1}) Wir sollten auch an die Verantwortlichen außerhalb Weißrusslands appellieren, die Einfluss auf dieses Regime haben. Das ist in der Tat Russland, die russische Regierung. Wir sollten gerade den Verantwortlichen in Moskau gegenüber deutlich machen, dass man, wenn man auf diejenigen setzt, die von der Geschichte längst überholt sind, schnell selbst überholt werden kann. Instabilität an den Grenzen zu Russland ist weder in unserem Interesse, noch kann es im Interesse Russlands und der russischen Regierung sein. Deswegen wäre es klug, wenn die russische Regierung in den nächsten Wochen einsähe, dass die Unterstützung des Regimes Lukaschenko nicht weiterhin tragbar ist. Wir sollten das vonseiten des deutschen Parlaments, aber auch vonseiten der deutschen Regierung vorantreiben. Herr Kollege Kurth, Sie haben in diesem Zusammenhang auf die Eishockeyweltmeisterschaft hingewiesen. Wir sollten gerade den Funktionären gegenüber noch einmal deutlich machen, dass nicht nur nach den Präsidentschaftswahlen, sondern gerade nach den Parlamentswahlen ein neues Überlegen notwendig ist. Damit würden wir vielen Sportlern entgegenkommen; denn sie wollen sich vom Regime Lukaschenko, das von den Eishockeyweltmeisterschaften letztendlich auch profitiert, nicht missbrauchen lassen. Ich glaube, der Verband würde den Sportlern entgegenkommen, wenn er seine Position an dieser Stelle überdenkt. ({2}) Zum Schluss möchte ich sagen: Auch vonseiten der Bundesregierung wird, glaube ich, alles unternommen, um auf das Regime einzuwirken. Aber vielleicht - das ist meine Anregung - können wir noch etwas mehr tun. Wir sollten durchaus noch einmal erörtern, was im Rahmen von Visaerleichterungen möglich ist, ({3}) insbesondere im Hinblick auf Stipendien für junge Menschen, die auf der einen Seite bereit sind, für Weißrussland einzutreten, die aber auf der anderen Seite eine gute Ausbildung wollen. All das kann vorangebracht werden. Ich hoffe, dass die Aktuelle Stunde mit dazu beiträgt. Vielen Dank. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Rolf Mützenich. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Karl-Georg Wellmann. Bitte schön, Kollege Wellmann. ({0})

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zustände in Belarus im Zusammenhang mit den Wahlen sind hinlänglich bekannt. Die OSZE hatte eine Wahlbeobachtermission dort. Die Wahl war weder fair noch frei. Ich habe bei den letzten Wahlen selbst erlebt, wie gefälscht wurde, wie Studentenkolonnen, Polizisten, Militärangehörige da hineingetrieben wurden. Auch das Umfeld war alles andere als demokratisch, wie man an der nicht vorhandenen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sieht. Die Führer der Opposition sind fast samt und sonders im Zuchthaus gelandet, in zum Teil beängstigenden Verhältnissen; einige kamen menschlich gebrochen zurück. Das ist furchtbar. Der Staatschef macht sich lustig über die Opposition: Er sagt, das seien Feiglinge. Ich empfinde das als zynisch und abstoßend, und das sollten wir hier noch einmal deutlich hervorheben. ({0}) Was bedeutet das Ganze für uns? Dieses Regime hat die Chance verpasst, das Land zu modernisieren. Es hat verpasst, die gesellschaftlichen Kräfte dieses sympathischen belarussischen Volkes zu mobilisieren. Und es hat verpasst, das Land in die europäische Moderne zu führen. Stattdessen haben wir eine Kommandowirtschaft sowjetischer Prägung mit all den Nachteilen wie Ineffizienz und fehlender Wettbewerbsfähigkeit. Statt politischer Teilhabe haben wir Unterdrückung und Bevormundung. In der Tat: Das ist eine Tragödie, wie es jemand von der Bundesregierung gesagt hat. - Das Gedränge auf der Regierungsbank nimmt ja beängstigte Ausmaße an. Ich finde es gut, dass wenigstens einer anwesend ist. ({1}) Es ist eine europäische Tragödie, und das auch deshalb, weil die Besten, vor allem die guten jungen Leute, das Land in Scharen verlassen. Was bleibt zurück? Bei uns bleibt so etwas wie Ratlosigkeit zurück. Herr Mützenich, ich erinnere mich an unsere letzte BelarusDebatte. Die Erkenntnis ist vorhanden, dass Sanktionen kaum noch etwas ausrichten bei einem Regime, das aus Gründen des blanken Machterhalts sagt: Das ist uns alles egal. - Es nimmt die Nachteile, die mit dieser Diktatur verbunden sind, in Kauf und schneidet das Land von der europäischen Wohlstandsentwicklung ab. Was können wir tun? Noch mehr Sanktionen? Ich habe Zweifel, ob dies Wirkungen hat, ob das wirklich Änderungen herbeiführt. Wir haben, Herr Mützenich, in diesem Kreis ganz richtig gesagt: Wir müssen mehr für Studenten tun; wir müssen mehr Geld für Stipendien aufbringen. Der DAAD muss zum Teil Studenten mit einem Notendurchschnitt von 1,2 zurückweisen, weil es nicht genug Studienplätze gibt. Ich danke dem Kanzleramtsminister, der leider nicht anwesend ist. Er hat mir neulich gesagt, dass sie, zusammen mit dem Auswärtigen Amt, darüber nachdenken, wenigstens ein paar Millionen Euro zu mobilisieren. Ein Stipendium kostet für einen Studenten im Jahr 10 000 Euro. Die Hochschulen in Deutschland nehmen uns die Studenten mit Kusshand ab. Über das Regime Lukaschenko wird die Geschichte hinweggehen, wie die Geschichte über all die Honeckers, Breschnews und Ceausescus hinweggegangen ist. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es irgendwann eine demokratische Entwicklung geben wird, früher oder später. Aber wir sollten auch etwas anderes bedenken. Ich empfehle sehr den Artikel von Konrad Schuller in der FAZ vom 10. September, der gesagt hat: Lasst uns aufpassen, dass wir über die Prinzipienreiterei nicht unsere strategischen Interessen vergessen und am Ende mit leeren Händen dastehen. - Dies hat er nicht in Bezug auf Belarus, sondern auf die Ukraine gesagt. ({2}) Das aber sollte für uns ein Ansporn sein, uns zum Beispiel mehr um die Ukraine zu kümmern und unsere strategischen Ziele nicht zu vernachlässigen. Zum Schluss möchte ich - das passt in die Zeit - Altbundeskanzler Kohl zitieren. Helmut Kohl hat seinerzeit mit Erich Honecker Verträge ausgehandelt. Er wurde wild kritisiert, dass er mit Diktaturen überhaupt verhandelt, anstatt Sanktionen zu erlassen. Er hat gesagt, das sei nicht wichtig. Wichtig ist, was den Menschen hilft. Daran sollten wir uns auch in dieser Sache orientieren. Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Wolfgang Gehrcke. Bitte schön, Kollege Wolfgang Gehrcke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man wäre versucht, zu spotten, wenn man sieht, wie Lukaschenko das Wahlergebnis in der ÖffentWolfgang Gehrcke lichkeit darstellt. Ich finde ein Parlament ohne einen einzigen Abgeordneten der Opposition völlig absurd. Darauf noch stolz zu sein, ließe auf eine gewisse Verwirrung im oberen Körperteil schließen. Trotzdem bleibt mir der Spott im Halse stecken. Ich schaue auf Belarus, auf Weißrussland, und weiß, welche Opfer dieses Land unter der deutschen Besatzung, also im Faschismus, gebracht hat. Ich weiß, dass wir für dieses Land eine Mitverantwortung haben. Das spüre ich auch. Ich möchte nicht von oben herab über dieses Land reden. Ich möchte, dass wir uns immer wieder in Erinnerung rufen: Das ist Europa und gehört zu Europa. Man muss einen Weg finden, wie man beides ausdrückt: Verachtung für Lukaschenko und Offenheit für die Bürgerinnen und Bürger des Landes. ({0}) Die Bürgerinnen und Bürger Weißrusslands sind nicht Lukaschenko, ganz im Gegenteil. Ich möchte nicht, dass sie in diese Ecke gedrängt werden. Das hat bisher dankenswerterweise keiner gemacht. Wir sollten trotzdem festhalten: Es waren Wahlen der Ungleichheit und der Unfreiheit, ohne freie Presse, ohne öffentliche Veranstaltungen, die man, wenn man es möchte, hätte durchführen können. Es waren Wahlen mit großem Druck auf diejenigen, die kandidieren wollten oder die kandidiert haben. In diesem Zusammenhang ist mir ein Gedanke sehr wichtig: Sterben Freiheiten wie Freiheit der Presse oder Freiheit der Politik und werden Parlamente, die man so auch nur nennt, nur noch einberufen, um das zu bestätigen, was zuvor festgelegt wurde, dann stirbt die Demokratie, und dann stirbt das gesamte gesellschaftliche Leben. Dieser Weg ist in Belarus leider vorgezeichnet. Bei dieser Form von Politik erstirbt das gesellschaftliche Leben, eine Eiszeit kehrt ein. Das schlägt dann auf alle zurück. Der schöne Gedanke: „Sterben diese Freiheiten, dann stirbt das gesellschaftliche Leben“ stammt übrigens nicht von mir, sondern von Rosa Luxemburg. Bei ihr kann man das - in besserer Formulierung - noch einmal nachlesen. Für uns stellt sich nun die nicht einfach zu beantwortende Frage: Was tun? Nur die Tatbestände an sich zu beschreiben - vielleicht sind wir uns in der Beschreibung sogar einig -, hilft nicht weiter. Ich denke in ähnlicher Art und Weise wie der Kollege Wellmann: Man sollte einmal ausloten: Was ist bisher gelaufen, und was ist wirksam gewesen? Wir können ja nicht sagen: Wir machen immer weiter so. Ich finde, dass im Großen und Ganzen Sanktionen, der Druck auf das Regime etc. nicht das erbracht haben, was ich mir davon erhofft hatte. Es ist kein Wandel eingetreten - ganz im Gegenteil. Daher stelle ich mir die Frage: Muss man vielleicht die eigene Taktik, wie man an das Problem herangeht, verändern? Hier kann man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Ich bin dafür, dass wir maximale Kontakte in das Land Belarus hinein entwickeln, inklusive der Eishockeyweltmeisterschaft, jedoch ohne dass wir so tun, als hätte Politik mit Sport nichts zu tun. Meine These heißt: Wenn an die Mumie Luft kommt, zerfällt die Mumie. Ich möchte, dass die Mumie Lukaschenko, der schon sein kleines Kind als seinen Nachfolger präsentiert, zerfällt. Deswegen schlage ich vor, etwa darüber nachzudenken: Wie kann man beispielsweise die Kontakte zu Belarus vervielfältigen? Das fängt bereits bei der Visafrage an. Wer nach Deutschland kommen möchte, soll kommen. Da müssen die Türen offenstehen, ({1}) da muss es eine Willkommenskultur geben. Wir müssen auch überlegen, welche Möglichkeiten sich in beiden Ländern im kulturellen Bereich ergeben. Ich frage mich: Was passiert eigentlich mit den Städtepartnerschaften? Es gibt eine Menge Städtepartnerschaften zwischen Städten in Deutschland und in Weißrussland. Kann man diese Städtepartnerschaften nutzen, um auf eine andere Politik, einen anderen geistigen Atem hinzuwirken? Was können deutsche Abgeordnete bewirken, wenn sie vor Ort fordern: „Wir wollen Zugang zu den Gefängnissen haben!“? ({2}) Wir wollen wissen, was mit unseren Kolleginnen und Kollegen, die kandidiert haben, in diesen Gefängnissen passiert. Das alles sind Möglichkeiten, wie die politischen Verhältnisse verändert werden können. Hierüber müssen wir nachdenken. Diese Fragen dürfen auch in den Gesprächen mit Russland nicht ausgespart werden, die für beide Seiten nicht immer ganz einfach sind. Russland kann Einfluss nehmen, und Russland muss Einfluss nehmen. Das bedeutet, dass Putin dazu gebracht werden muss, über sein eigenes Verhalten nachzudenken. ({3}) Auch das gehört zum Problem dazu. Ich kann nur vorschlagen, dass wir auf diese Art und Weise versuchen, eine andere Form der Politik in Belarus durchzusetzen. Ich wiederhole noch einmal: Weißrussland ist nicht Lukaschenko, und Lukaschenko spricht nicht für Weißrussland. Danke sehr. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Wolfgang Gehrcke. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Viola von Cramon-Taubadel. Bitte schön, Frau Kollegin.

Viola Cramon-Taubadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004025, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich vertrete heute Marieluise Beck, die auf einer besonderen Mission unterwegs war, leider erfolglos. Sie hat versucht, Herrn Chodorkowski im nordrussischen Strafgefangenenlager zu besuchen. Das ist ihr, wie man fast erwarten konnte, leider nicht geglückt. Aber ich glaube, es war trotzdem gut, dass sie sich auf die Reise gemacht hat. Zurück zur Bewertung der Wahl. Ich kann mich dem Kollegen Mützenich nur anschließen: Natürlich ist diese Aktuelle Stunde zur Unterstützung der Menschen, der Zivilgesellschaft in Belarus gedacht. Lukaschenko hat in einer Atmosphäre von Repression und Angst ein Theaterstück abgezogen. Das hatte mit einer Wahl überhaupt nichts zu tun. Von Anfang an wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Opposition wurde aus den Wahlkommissionen herausgehalten; sie stellten 0,09 Prozent der Kommissionsmitglieder. Die Auszählung konnte deshalb unmöglich überprüft werden. So wurde ein dem Diktator genehmes Ergebnis garantiert. Wir haben es schon von Herrn Wellmann gehört: Bewohner von Studentenwohnheimen, Soldaten und Arbeitskollektive wurden wie in alter sowjetischer Zeit zur vorzeitigen Stimmabgabe genötigt. Hierbei ist die Manipulation der Urnen besonders einfach. Das gibt es in anderen postsowjetischen Staaten auch, aber - das muss man einfach sagen - nicht ganz so drastisch wie in Weißrussland. Oppositionelle wurden unter Druck gesetzt, festgenommen und zum Teil an Leib und Leben bedroht. Jetzt kommt der Punkt: Einzig eine Wahlbeteiligung unter 50 Prozent hätte die Wahl ungültig gemacht. Auch deshalb gab es Nötigungen von Wählern. Auch deshalb wurden Wurst und Alkohol in den Wahllokalen verkauft; vielleicht ist es eine Möglichkeit, um auch hier die Wahlbeteiligung zu erhöhen. ({0}) - Scherz! - Auch deshalb reagierte das Regime gereizt auf Boykottaufrufe der Opposition. Was bedeutet die Wahl für die politische Entwicklung? Eigentlich sind solche Rituale wie diese Parlamentswahl in Weißrussland natürlich ein unnötiges Relikt; denn der Anschein demokratischer Legitimation funktioniert schon lange nicht mehr. Spätestens seit dem 19. Dezember 2010 kann das Regime seine Macht nur noch durch Repression und Angst sichern. Dennoch sage ich - vielleicht sieht das Herr Wellmann ähnlich -: Es war richtig, dass die Wahlbeobachter der OSZE im Land waren; denn so konnten unabhängige Beobachter dokumentieren und vor allen Dingen anschließend kommunizieren, dass diese Wahlen weder frei noch unparteiisch abliefen. Auch bei der Stimmenauszählung, und nicht nur da, wurden die Wahlbeobachter ganz massiv beeinträchtigt. Es ist richtig, dass die EU mit Sanktionen auf die schweren Menschenrechtsverletzungen in Belarus reagiert. Derzeit sind immer noch 15 politische Gefangene in den Straflagern. Sie werden seelisch und körperlich malträtiert, um sie nach stalinistischer Manier zu Schuldeingeständnissen zu zwingen. So sollen sie als Opponenten des Diktators unschädlich gemacht werden. Offensichtliche Wahlfälschungen und drakonische Bestrafungen der politischen Gegner zeugen aber auch von einer Nervosität des Regimes. Wo sonst steht das organisierte Nichtstun unter Strafe? Nur so konnten die stillen Proteste letzten Sommer unterbunden werden. Die Sanktionen laufen jedoch ins Leere - das haben hier schon einige Vorredner betont -, wenn sie von Russland ausgehebelt werden. Ohne Russland wäre Belarus längst bankrott. Aber Russland gibt Kredite und billiges Gas. So kann es sich die wenigen Filetstücke der belarussischen Industrie einverleiben. Belarus wurde zudem in eine Zollunion gezwungen und wieder eng an Russland gebunden. Das ist ganz im Interesse Russlands, den postsowjetischen Raum zurückzuerobern. Ich denke anders als Sie, Herr Gehrcke: Es gibt keine Alternative zur Sanktionspolitik. Wir können und wollen eine Diktatur mitten in Europa nicht dulden. Wir brauchen einen längeren Atem. Es wird sich zeigen, ob die Wirksamkeit der EU-Sanktionen am Ende nicht doch gegeben ist. ({1}) Wir werden sehen, ob Lukaschenko letztlich bereit ist, sich immer als Marionette Moskaus instrumentalisieren zu lassen. Ich möchte auf die Polizeihilfe zu sprechen kommen, die Deutschland geleistet hat. In der aktuellen Situation braucht die Zivilgesellschaft - das habe ich am Anfang gesagt - unsere Unterstützung. Stattdessen hören wir von Hilfen für die belarussische Prügelpolizei durch das Bundesinnenministerium. Es kann richtig sein, in Zeiten der Annäherung auch in autoritären Staaten für eine Zivilisierung der Polizei zu arbeiten; aber die Belarussen zum Castor-Transport oder zur Nazidemo in Dresden einzuladen, zeugt vom Fehlen jeglichen politischen Gespürs. ({2}) Auch die Fortsetzung dieser Kooperation über den 19. Dezember 2010 hinaus ist unverzeihlich. So etwas darf aus unserer Sicht nicht noch einmal passieren. ({3}) Das Innenministerium braucht dringend mehr Kontrolle seiner außenpolitischen Aktivitäten. Erleichterungen bei der Visavergabe wurden häufig erwähnt. Ich würde sagen: Wir brauchen die Abschaffung der Visumpflicht. Die Prozedur der Visumvergabe ist bürokratisch, demütigend und für Belarussen dazu noch sehr teuer. ({4}) Durch die Visumpflicht ist kaum etwas gewonnen, aber sehr viel verloren. Wir geben ein wichtiges außenpolitisches Instrument aus der Hand, wenn wir das Feld den Innenpolitikern überlassen. Eine Zeit von durchschnittlich drei Minuten für die Bearbeitung eines Visumantrags garantiert jedenfalls keinen wirksamen Schutz vor organisierter Kriminalität. Zeigen wir also den Menschen in Weißrussland, dass sie zu Europa gehören! Laden wir sie ein, unsere demokratische Gesellschaft kennenzulernen! So können wir am besten eine Öffnung der Gesellschaft in Weißrussland fördern. Deshalb: Schaffen wir die Visummauer zwischen Deutschland und Weißrussland endlich ab! Vielen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin von Cramon-Taubadel. Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Manfred Grund. Bitte schön, Kollege Manfred Grund. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Parlamentswahlen in Belarus waren die Inszenierung einer Demokratie - und nicht mehr als das. Die Berichte der OSZE und auch von politischen Stiftungen sprechen im Kern alle dieselbe Sprache: Alle Oppositionskandidaten wurden massiv behindert, die Auszählung der Stimmen war intransparent und nicht überprüfbar, und von einer ausgewogenen Berichterstattung in den Medien konnte auch keine Rede sein. Es ist offensichtlich: Von der gegenwärtigen Führung in Belarus sind keine Reformen zu erwarten, die ihre Macht infrage stellen. Im Gegenteil: Mit der Parlamentswahl hat sich erneut die Verhärtung des autoritären Regimes manifestiert, die seit der Präsidentschaftswahl in Belarus im Dezember 2010 die Lage in Belarus kennzeichnet. Von den Demonstranten, die damals brutal niedergeschlagen wurden, sind noch immer etwas mehr als ein Dutzend Oppositionelle in Haft. Weder Sanktionen der Europäischen Union - die wir hatten und haben noch eine sich verschlechternde Wirtschaftslage haben die Führung in Minsk bislang zum Einlenken veranlasst. Im Gegenteil: Unter zunehmendem Druck zeigt sich das Regime nur umso entschlossener, seine Kontrolle über das ganze Land weiter auszubauen. Die Lage in Belarus wird durch eine tiefe und systemische Wirtschaftskrise geprägt. Die Inflation galoppiert davon. Der IWF vergibt keine Kredite mehr an Belarus. Bei früheren Wahlen konnte sich das Regime noch die Loyalität vieler Wähler durch kostspieligere Geschenke als diesmal erkaufen und sichern. Dafür fehlten bei diesem Wahlgang offensichtlich die Mittel. Stattdessen verschärfen sich die politischen Pressionen. Mit dieser Entwicklung verbindet sich für uns und für die Politik der EU gegenüber Belarus aber ein Dilemma: Einerseits hat die Politik der Annäherung an Belarus, die die Europäische Union vor den Präsidentschaftswahlen 2010 verfolgt hat, nicht zu substanziellen Reformen geführt. Andererseits haben auch die verschärften Sanktionen, die wir nach den Präsidentschaftswahlen verhängt haben, kein Einlenken erzwingen können. Die weiteren Verhärtungen haben sie nicht aufgehalten. Zugleich haben diese Sanktionen - das ist von meinen Vorrednern gesagt worden - dazu beigetragen, Belarus stärker von Russland abhängig zu machen. Anders als die Europäische Union unterstützen Russland und die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft Belarus weiterhin finanziell; doch im Gegenzug hat Minsk im vergangenen Jahr den Gesamtbesitz am Pipelinenetz von Beltransgaz an Gazprom verkaufen müssen. Bereits heute ist Belarus mit Russland und Kasachstan in einer gemeinsamen Zollunion verbunden. Diese Zollunion soll künftig zu einer eurasischen Union ausgebaut werden. Den politischen Ansätzen der Europäischen Union gegenüber Belarus könnte damit auch langfristig ein Riegel vorgeschoben werden. Das betrifft die im Rahmen der Östlichen Partnerschaft vorgesehene Freihandelszone ebenso wie eine weitere Ausdehnung der europäischen Energiegemeinschaft. Die wirtschaftliche Lage in Belarus zeigt jedoch eindeutig, dass das gegenwärtige Regime nicht auf dauerhaften Fundamenten gebaut ist. Bei einer Verschärfung der Krise wäre selbst die Möglichkeit eines ökonomischen und politischen Zusammenbruchs nicht völlig auszuschließen. Ein solcher Zusammenbruch muss aber weder zu einer europäischen Orientierung noch zu einem demokratischen Neuanfang des Landes führen, und selbst wenn er das täte, würde er eine gewaltige, möglicherweise unüberwindbare Belastung darstellen. Die Wirtschaftskrise wird das bestehende Regime aber auch zu umfangreichen Privatisierungen zwingen. Damit verbinden sich Chancen für eine marktwirtschaftliche Öffnung, die eine gesellschaftliche und politische Öffnung nach sich ziehen könnte. Es besteht aber zugleich eine grundlegende Gefahr, nämlich dass infolge dieser Privatisierung auch in Belarus oligarchische Strukturen entstehen wie in den meisten anderen postsowjetischen Staaten, und wie in den meisten anderen postsowjetischen Staaten würden oligarchische Strukturen auch in Belarus die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungschancen des Landes langfristig und über das gegenwärtige Regime hinaus einschränken. Je weniger aber europäische Politik in Belarus präsent ist, desto größer wird diese Gefahr. Wir sollten uns keine Illusionen über die eigenen Möglichkeiten machen. Das Bekenntnis zu unseren demokratischen Grundwerten muss die Ziele unserer Politik gegenüber Belarus bestimmen; aber das ist noch keine wirkungsvolle und auch keine wirkmächtige Politik. Als Deutschland wie als Europäische Union haben wir leider nur begrenzte Instrumente, um auf die innere Entwicklung von Belarus Einfluss zu nehmen. Bislang hatte weder eine Politik der Zusammenarbeit noch eine Politik der Sanktionen nachhaltige Reformen in Belarus zur Folge. Setzen wir allein auf Zusammenarbeit, dann laufen wir Gefahr, ausgenutzt zu werden. Setzen wir allein auf Sanktionen, spielen wir anderen in die Hände. Es wird nicht leicht sein, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden. Wollen wir überhaupt noch einen konstruktiven Einfluss ausüben, werden wir auch angesichts der politischen Verhärtungen in Belarus Angebote zur Zusammenarbeit mit unserer Sanktionspolitik verbinden müssen. Vielen Dank. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Manfred Grund. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Dietmar Nietan. Bitte schön, Kollege Dietmar Nietan. ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Parlamentswahlen in Belarus waren nicht nur eine Farce, sie waren und sind eine Schande. Sie sind eine Schande nicht nur für den Diktator Lukaschenko, sie sind letztlich auch eine Schande für Europa. Das ist ein Schandfleck mitten in Europa, in dem ein Diktator scheinbar machen kann, was er will. Ich stimme deshalb Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, ausdrücklich zu, der sagt, dass wir uns nicht länger der Illusion hingeben dürfen, dass in diesem Regime Lukaschenko auch nur ein Funken Willen besteht, sich auf den Weg zu Reformen zu machen. Das muss man jetzt selbstkritisch konzedieren. Systematisch hat der belarussische Diktator die Grundlagen für eine demokratische Ordnung in seinem Land zerstört. Wir müssen uns eingestehen, dass wir diese tragische Entwicklung nicht haben verhindern können. Aus meiner Sicht ist jetzt aber nicht die Zeit für Vorwürfe, wer was hätte besser machen können, sondern dies ist die Zeit, um uns grundsätzlich zu überlegen, wie wir uns neu aufstellen und wie wir das Volk auf seinem Weg, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, begleiten können. Dies wird nach allem, was wir jetzt sehen, ein sehr langer und steiniger Weg sein. Kollege Grund hat auf das Dilemma hingewiesen: Sanktionen oder Zusammenarbeit? Ich glaube, was hier deutlich wird, ist, dass wir in der Tat - auch das hat Martin Schulz in seiner Erklärung zu den Wahlen unterstrichen - eine abgestimmte, effektive, wirklich durchdringende gesamteuropäische Strategie brauchen, damit dieses Land beim Aufbau der Zivilgesellschaft vorankommt. Martin Schulz hat gesagt: Zentraler Punkt dieser Strategie muss die Frage sein, wie man das Volk in Weißrussland in seinem Kampf für eine Zivilgesellschaft unterstützen kann. Wenn das so ist und wir eine solche Strategie brauchen, dann muss es in der Union der 27 Staaten geben, die die Initiative ergreifen und die Verantwortung für einen solchen Weg übernehmen. Die polnische Regierung hat das eindrucksvoll getan, insbesondere während ihrer Ratspräsidentschaft. Es ist sehr zu begrüßen, dass sie dabei von Deutschland unterstützt wurde. Das reicht aber nicht aus. Es ist hier schon gesagt worden: Wir müssen den Druck erhöhen, und zwar mit Augenmaß; denn die Sanktionen und der Druck sollen die Richtigen treffen, nicht das Volk. Auch müssen wir, so schwierig das sein wird - Kollege Gehrcke hat das zu Recht gesagt; in dieser Hinsicht ist vieles sowieso schon sehr schwierig geworden -, mit unseren russischen Partnern sprechen und ihnen sagen, dass sie für das, was dort geschieht oder eben nicht geschieht, eine Mitverantwortung haben. Wenn wir langfristig Erfolg haben wollen, müssen wir die Zivilgesellschaft stärken. Es ist bedenklich, wenn ich lesen muss, dass Giselle Bosse vom European Policy Centre in Brüssel sagt, dass die Unterstützung für nichtstaatliche Akteure in der EU, wenn man alle Programme zusammennimmt, im Jahr 2011 6,4 Millionen Euro betrug, es in diesem Jahr letztlich aber nur noch 4,1 Millionen Euro sein werden. Bei allem Verständnis für die Haushaltssituation: An dieser Stelle zu sparen, ist kein gutes Signal für die Menschen in Belarus, die auf uns zählen. Eines ist auch wichtig: Wir brauchen neue Instrumente. Deshalb war es richtig, dass die polnische Ratspräsidentschaft sich so für ein Endowment for Democracy eingesetzt hat. Jetzt soll es eine Stiftung belgischen Rechts geben, und nun geht es auch um die Gretchenfrage: Mit welchen Ressourcen statten wir diese Stiftung aus? Die polnische Regierung bemüht sich da sehr. Wir wissen, dass nicht alle europäischen Partner hierbei auf ihrer Seite sind, leider auch nicht unsere französischen Freunde. Jetzt beginnt das Schwarze-PeterSpiel: Alle schauen darauf, wie sich Deutschland auch finanziell bei dem Aufbau dieser Stiftung engagieren wird. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Amt sehr ambitionierte Vorstellungen haben. Ich weiß aber auch, dass es bisher in dieser Bundesregierung nicht möglich war, das Veto aus dem Finanzministerium zu überstimmen. Ich sage an dieser Stelle: Wenn wir es ernst damit meinen, dass wir für Belarus mehr tun wollen, dann brauchen wir ein neues Instrument, das vielleicht etwas anders agiert, als es den formalistischen Vorstellungen des Bundesverwaltungsamts entspricht; denn mit dessen Vorstellungen wird man die Demokratie nicht ans Laufen bringen können. Dafür brauchen wir dieses Endowment. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich dort klar und unmissverständlich in einem Deutschland zustehenden Maße finanziell zu engagieren und nicht das Schwarze-Peter-Spiel weiter zu betreiben, das da heißt: Wer bewegt sich als Erster und gibt Geld in dieses Endowment? Was wir in diesem Moment erleben, halte ich für einen unwürdigen Akt. ({0}) Einen weiteren Punkt, der hier schon angesprochen worden ist, möchte ich unterstützen. Mittlerweile studieren mehr junge Weißrussen in Russland als in der Europäischen Union. Ich glaube nicht, dass dies daran liegt, dass alle Universitäten in Russland besser sind als die in der Europäischen Union, sondern ich glaube, dass das mit der Visapolitik der Europäischen Union zu tun hat. Auch ich würde mich freuen, wenn eine moderne, weltoffene Visapolitik, die genau diese junge Generation unterstützt und ihr Chancen gibt, hier bei uns zu studieren und Erfahrungen zu sammeln, in der EU umgesetzt würde und wenn Deutschland dabei nicht im Bremserhäuschen säße, sondern es vom Führerhäuschen aus möglich machte. Welche Rolle Deutschland in diesem Bereich in der Europäischen Union spielt, halte ich für unerträglich. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich sehr gerne. - Ich will zum Schluss Folgendes deutlich unterstreichen: Wir erleben, wie Lukaschenko sein Volk und uns Europäer verhöhnt. Ich bin mir ganz sicher, dass seine Zeit ablaufen wird, dass sie jetzt schon abläuft. Dass er so reagiert, hat etwas damit zu tun, dass er Angst vor seinem eigenen Volk hat. Ich weiß auch: Sein Volk wird ihm nie verzeihen, dass er gerade etwas tut, was er immer verhindern wollte, nämlich sein Volk schnurstracks in die bedingungslose Abhängigkeit von Russland zu führen. Deshalb wird seine Zeit zu Ende gehen. Aber die entscheidende Frage in der geschichtlichen Bewertung dieser Zeit wird sein,

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, Versprechen sollte man einhalten. ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ob wir als Europäerinnen und Europäer, ob wir als Bundesrepublik Deutschland, als Bundesregierung in den Geschichtsbüchern auch bestehen können, dass wir beim Niedergang dieses Systems das Volk unterstützt haben, oder ob wir uns weggeduckt haben. Dies wird die Frage sein, die wir selber durch Handeln beantworten können. Vielen Dank. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege, gelegentlich kann man einmal die fünf Minuten üben. Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Marina Schuster. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, ich kann hier für das ganze Haus sprechen, wenn ich sage: Niemand von uns ist von den rechtswidrigen Umständen und dem diktierten Ausgang der Wahlen überrascht. Das heißt aber nicht, dass uns die Ereignisse kalt lassen, ganz im Gegenteil. Wir erlebten eine absurde Inszenierung. Lukaschenko hat verlauten lassen - ich zitiere -: Man sollte uns beneiden. Wahlen, die langweilig und ruhig verlaufen, sind ein Glück … sowohl für das Volk als auch für die Regierung. Diese Äußerungen sind zynisch und eine Ohrfeige für die Menschen in Belarus. Wir wissen alle: Belegschaften von Staatsbetrieben, Soldaten und Studenten wurden zum Wählen abkommandiert. Auch im künftigen Parlament wird es keine Abgeordneten der Opposition geben; der Wahlboykott war eine verzweifelte Reaktion auf die aussichtslose Lage der belarussischen Zivilgesellschaft. Belarus hat eine weitere Chance vertan, den Weg zurück zu Europa, zur Europäischen Menschenrechtskonvention, zum Europarat einzuschlagen. Ich denke, wir müssen die Probleme ganz nüchtern beim Namen nennen - viele Vorredner haben es bereits angesprochen -: Die OSZE-Verpflichtungen sind nicht eingehalten worden, darunter das Vereinigungsrecht, das passive Wahlrecht und auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir haben von Herrn Kollegen Mützenich und von Frau Kollegin von Cramon deutlich gehört, dass es Einschüchterungen und Inhaftierungen oppositioneller Kandidaten gab. Insofern ist vollkommen klar, dass die Wahlen nicht frei und fair waren. Es ist auch inakzeptabel, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestages, nämlich Frau Beck, in ihrer Funktion als OSZE-Wahlbeobachterin nicht einreisen durfte. Das dürfen wir nicht tolerieren. ({0}) Ich war besonders betroffen von der Nachricht, dass am Dienstag vergangener Woche eine Delegation der International Federation of Liberal Youth, darunter auch deutsche Teilnehmer, während eines Bildungsworkshops von belarussischen Behörden festgehalten und dann des Landes verwiesen wurden. Zu Recht hat Außenminister Westerwelle aufgrund der Vorfälle den Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Die Vorredner haben es angesprochen: Wir erleben eine traurige Chronologie von Ereignissen. Ich erinnere an unsere Debatten. Wir haben im März dieses Jahres erlebt, dass zwei junge Männer, Herr Konowalow und Herr Kowaljow, hingerichtet wurden. Sie wurden beschuldigt, das verheerende Attentat in der Minsker U-Bahn begangen zu haben, und sie wurden nach einem fadenscheinigen Prozess hingerichtet. Zu23304 vor, im Jahr 2010, erlebten wir die brutale Niederschlagung von friedlichen Demonstrationen und massenhafte Verletzungen der Menschenrechte und Inhaftierungen. Wir haben die belarussische Regierung mehrmals von diesem Hohen Haus aus aufgefordert, für Versammlungsfreiheit, für Meinungsfreiheit und für Pressefreiheit zu sorgen. Aber unsere Hoffnungen, dass Lukaschenko den Weg zurück zu Europa findet, haben sich nicht erfüllt. Es ist immer unser Ziel gewesen, dass sich unsere Nachbarn an Europa und die Werte, für die wir stehen, annähern; wir wollen sie heranführen. Dieses Ziel gilt nach wie vor. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir die Kontakte zur Zivilgesellschaft halten und dass wir dort aktiv sind. Das Auswärtige Amt führt zusammen mit anderen EU-Mitgliedstaaten einige Programme zur Unterstützung der belarussischen Zivilgesellschaft durch. Die Mittel hierfür sind in den letzten drei Jahren erhöht worden. Es geht um Programme des GoetheInstituts und des DAAD sowie um das Förderprogramm Belarus des BMZ, das von der Begegnungsstätte „Johannes Rau“ in Minsk durchgeführt wird. Natürlich geht es auch um die wichtige Arbeit unserer politischen Stiftungen und die Kulturprogramme. Ich denke, dass das wichtige Bausteine sind, die dazu beitragen, dass der Gesprächskanal zur Zivilgesellschaft nicht abreißt. Die Rolle Russlands wurde mehrmals erwähnt. Russland ist aufgefordert, seine Verantwortung wahrzunehmen und seine Position zu ändern. Solange Putin schützend die Hand über das Regime hält, muss sich Herr Lukaschenko natürlich kaum bewegen. Die Situation ist für uns frustrierend. Dies darf uns aber nicht lähmen. Ich richte zum Abschluss einen Appell an uns alle: Es gibt das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“, in dem wir für Oppositionelle, für Menschenrechtsverteidiger Patenschaften übernehmen. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, die noch keine Patenschaft übernommen haben, sich aktiv in diesem Programm einzubringen. Es ist eine Perle. Wir sollten es nutzen und für die die Stimme erheben, die ihre Stimme nicht selbst erheben können. Vielen Dank. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Marina Schuster. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Gernot Erler. Bitte schön, Kollege Dr. Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz offensichtlich haben wir in diesem Hohen Haus einen breiten Konsens darüber, dass die Wahlen in Belarus eine Farce und eine Provokation für ganz Europa waren. Die internationalen Standards für freie und faire Wahlen sind nicht nur nicht eingehalten worden. Präsident Lukaschenko hat sich auch gar keine Mühe mehr gegeben, den Anschein zu erwecken, dass sie eingehalten werden. Zu offensichtlich war es schon im Vorfeld zu gravierenden Verstößen gegen internationale Regeln gekommen. Die OSZE hat den Verlauf der Wahlen scharf kritisiert. Zahlreiche grundlegende demokratische Rechte wurden missachtet; zahlreiche Kandidaten wurden gar nicht erst zugelassen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde stark eingeschränkt. Auch die Überprüfung der Ergebnisse durch unabhängige Wahlbeobachter geben Anlass zu „ernsthafter Sorge“; ich zitiere den Leiter der internationalen Wahlbeobachterkommission, Antonio Milososki. Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob tatsächlich die behauptete Wahlbeteiligung von 74,2 Prozent erreicht wurde. Einiges spricht dafür, dass noch nicht einmal eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent erreicht wurde. Dann wären die Wahlen auch nach den Gesetzen von Belarus ungültig. Nach wie vor sitzen Vertreter der politischen Opposition im Gefängnis. Ich möchte den Fall von Nikolai Statkevich anführen, der bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert hat. Jetzt befindet er sich für sechs Jahre im Arbeitslager, und im Januar dieses Jahres wurde das Strafmaß durch drei Jahre verschärfter Haft weiter zugespitzt. Ihm und allen anderen politischen Gefangenen, die in den Gefängnissen von Minsk sitzen, gilt unsere Solidarität. Wir fordern von diesem Hause aus die sofortige Freilassung von Nikolai Statkevich und allen anderen politischen Gefangenen. ({0}) Aber auch die Repressalien gegenüber Medien, Vertretern der Zivilgesellschaft und Oppositionellen dürfen nicht weiter anhalten; sie müssen aufhören. Man muss sich das einmal vorstellen: Die Nervosität dieser Regierung geht mittlerweile so weit, dass sogar - ich zitiere „das organisierte Nichtstun in Gruppen“ verboten wurde. Das Regime hat also Angst vor einer Ansammlung schweigender Menschen. Das ist eine weitere Steigerung, die man sich in der eigenen Fantasie eigentlich kaum vorstellen kann. Selbstisolierung, das ist offenbar die Praxis dieser Regierung. Wir wollen aber keine Isolierung der 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Weißrussland. Insofern begrüßen wir den Beschluss der EU-Außenminister vom März dieses Jahres, wenigstens die Visagebühren von 60 auf 35 Euro zu senken. Aber selbst dies scheint an bürokratischen Hindernissen zu scheitern. Das können wir nicht hinnehmen. Das geht so nicht. Herr Link, hier müssen wir etwas tun, und das kann nur der erste Schritt sein. ({1}) Natürlich sind wir realistisch und wissen, dass wir nur begrenzte Hebel haben, um auf die Politik in Belarus einzuwirken. Deswegen ist es sehr wichtig, dass noch einmal untersucht wird, welche Möglichkeiten zur Unterstützung einer kritischen Zivilgesellschaft wir haben. Herr Staatsminister Link, ich möchte Ihnen sagen: Meine Fraktion ist bereit, über die Unterstützung des Minsker Forums, das durchaus seinen Sinn hat, hinaus zu überlegen, wie wir, die Erfahrungen anderer Nachbarländer nutzend, die Unterstützung der Zivilgesellschaft in Belarus verstärken können; wir haben da nämlich ein paar Erfahrungen. Ich glaube, das sollten wir gemeinsam versuchen. Schließlich haben wir auch hier eine gemeinsame Diskussion geführt. Auch ich habe große Zweifel daran, dass es sinnvoll ist, jetzt als einzige offizielle Reaktion die Sanktionen zu verschärfen und die Visabannlisten auszuweiten. Wie wir alle wissen, würde dies dazu führen, dass sich die weißrussische Politik immer mehr in Richtung Russland ausrichtet. Wir wissen auch, dass nur die großzügigen Kredite und die kostenlosen Lieferungen aus Russland verhindert haben, dass sich der Widerstand im Land angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung verstärkt. Nur so konnte das Regime am Leben gehalten werden. Ich finde, die Botschaft dieser Debatte sollte lauten: Der Weg in Richtung europäischer Annäherung steht den 10 Millionen Bürgerinnen und Bürgern von Belarus weiterhin offen. Wir wollen ihn gemeinsam gehen. Dabei spielt insbesondere die Östliche Partnerschaft eine wichtige Rolle. Unter dem jetzigen Regime können hier aber keine Fortschritte erzielt werden. Unsere Botschaft lautet: Wir suchen nach Wegen, um sicherzustellen, dass diese Tür offen bleibt, auch wenn Herr Lukaschenko und seine Nomenklatura sie mit aller Kraft zuzuziehen versuchen. Vielen Dank. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Gernot Erler. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang Götzer. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weißrussland, die letzte kommunistische Diktatur in Europa, hat gewählt. ({0}) - Das müssten Sie doch wissen; da kennen Sie sich doch aus, Herr Kollege Gehrcke. - Dabei stand der Wahlsieger, ähnlich wie bei den Kommunisten in der ehemaligen UdSSR, von vornherein fest, nämlich Lukaschenko. Er hat aus diesem Anlass gleich auch seinen Nachfolger vorgestellt, nämlich seinen Sohn. Immerhin hätte diese Erbdiktatur, die es nicht einmal in der Sowjetunion gab, den Vorteil, dass man sich eine solche Farce, wie es sie mit dieser sogenannten Wahl gab, künftig sparen kann. Laut Informationen des Auswärtigen Amts hat gemäß den bislang vorliegenden Wahlergebnissen in keinem einzigen der insgesamt 110 Wahlkreise ein Kandidat der Opposition gewonnen. Die Opposition hat es heute unter dem LukaschenkoRegime wahrlich schwer genug. Vertreter der Opposition werden - oft samt ihren Familien - von Mitarbeitern des Geheimdienstes KGB - ja, den gibt es noch in Weißrussland - bedrängt, unter Druck gesetzt, eingeschüchtert, eingekerkert. Die Ausübung der Grund- und Menschenrechte, allen voran der Meinungsfreiheit, ist im ganzen Land nicht möglich. Wahlkampfveranstaltungen wurden behindert, Internetseiten blockiert, und möglichen Kandidaten wurde das Rederecht verwehrt. Zahlreiche aussichtsreiche Kandidaten der Opposition konnten gar nicht erst aufgestellt werden, da sie zurzeit im Gefängnis einsitzen oder aufgrund früherer Haftstrafen nicht mehr kandidieren durften oder da ihnen aus anderen halbseidenen Gründen das Recht verwehrt wurde, sich um ein Mandat zu bewerben. Die Tageszeitung Die Welt schrieb gestern dazu - ich zitiere -: … Opposition unter dem System Lukaschenko ist der Gesundheit abträglich und kann mit dem Tode enden. Ausländischen Journalisten wurde die Ausübung ihrer Arbeit verwehrt, teilweise wurden sie sogar verprügelt. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, konnte ihrer Aufgabe als Wahlbeobachterin nicht ungehindert nachkommen. Die weißrussische Wahlleitung verstieg sich zu der unglaublichen Behauptung, die OSZE sei nicht im Lande, um die Wahlen zu beobachten, sondern um Konflikte zu schaffen, und verweigerte den Zugang zu den Wahlurnen. Dabei sollte doch das Mindeste sein, was man selbst von einem Regime wie dem Lukaschenkos erwarten können sollte, dass eine neutrale Wahlbeobachtungsmission der OSZE ungehindert ihre Arbeit tun kann. Dementsprechend negativ fällt auch der Abschlussbericht der Wahlbeobachtungsmission der OSZE aus. Angesichts dieser Repressionen gegen die Opposition bei der Kandidatur und während des Wahlkampfs kritisiert sie die Wahlen als undemokratisch. Die Abstimmung sei in keinem Fall internationalen Standards gerecht geworden. Ferner mangelte es den Wahlbehörden an Neutralität und Unabhängigkeit. Fälschungen waren an der Tagesordnung. - Auch die Bundesregierung hat die Wahlen scharf verurteilt und spricht von einer Tragödie. Ich glaube, diese Kritik teilen wir alle uneingeschränkt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten diese Wahlen zum Anlass nehmen, unseren Kurs gegenüber dem Regime Lukaschenko zu überdenken. Der Kollege Manfred Grund hat auf das Dilemma hingewiesen: Was ist der richtige Weg? Sanktionen, das Angebot der Zusammenarbeit oder beides? Es ist schwer, hier die richtige Antwort zu finden. Ich denke, es wird nicht ohne weitere und schärfere Sanktionen gehen; das ist die eine Seite. Wir müssen die Sanktionsmaßnahmen gegen Weißrussland zusammen mit unseren europäischen Partnern und den USA verstärken. Eine Diktatur wie diese darf in Europa einfach keinen Platz haben. Wir wissen natürlich, dass die Gefahr besteht - das ist schon angesprochen worden -, dass wir das Regime in Weißrussland damit noch mehr an die Seite Russlands drängen. Ich denke aber, Russland kann seine Haltung, seinen Kurs nicht mehr lange aufrechterhalten. Allmählich muss das, was in seinem Nachbarland passiert, sogar Putin peinlich werden. Die Sowjetunion - - Entschuldigung, wenn ich an Weißrussland denke, dann denke ich noch immer an die Sowjetunion. Es ist ja eigentlich das letzte Überbleibsel der UdSSR. Auch Russland ist jetzt gefordert und muss sich erklären, in welcher Weise es bereit ist, seinen unbestrittenen Einfluss - der größte Einfluss, den ein Land auf Weißrussland hat - geltend zu machen. Sanktionen allein werden aber sicherlich nicht reichen. Wir müssen auch vermehrt auf politischer und diplomatischer Ebene agieren, beispielsweise auf die Freilassung der politischen Gefangenen drängen, und die weißrussische Zivilgesellschaft so gut es geht stärken. Verstärkte Kontakte können hierbei hilfreich sein. Nur von der Zivilgesellschaft - es ist heute schon angesprochen worden - kann ein Wandel hin zu einem demokratischeren Weißrussland ausgehen, einem Weißrussland, das sich von seinem Diktator befreit, den Weg zu Demokratie und Rechtsstaat beschreitet und endlich den Anschluss an Europa findet. Ich danke Ihnen. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Wolfgang Götzer. - Nächster Redner, ebenfalls aus der Fraktion der CDU/CSU, ist unser Kollege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön, Kollege Dr. Wadephul.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte hier und heute ist ein Signal der Solidarität mit dem weißrussischen Volk. Wir fühlen uns den Menschen verbunden. Wir denken an sie. Wir fühlen mit ihnen, und wir tun alles in unserer politischen Macht Stehende, um sie von diesem Regime zu befreien. Wir sagen nach diesen Wahlen ganz eindeutig - ich will das im Einzelnen nicht wiederholen, weil das mehrere Redner betont haben -: Diese Wahlen waren unfrei. Sie haben die wesentlichen Regeln von demokratischen Wahlen in einem Rechtsstaat nicht befolgt. Herr Lukaschenko und diejenigen, die sich jetzt gewählt fühlen, haben keine Legitimation. Sie stehen zu Unrecht an der Spitze des weißrussischen Volkes. Das ist unsere Auffassung, die wir hier klar und eindeutig miteinander artikulieren. ({0}) Ich glaube, die Einmütigkeit in unserem Rund sollte vielleicht einen Beitrag dazu leisten können, noch mehr Aufmerksamkeit für diese letzte Diktatur in Europa zu erwecken; denn das ist das, was helfen kann; das ist das, was wir jetzt brauchen. Das ist das Ausleuchten all dessen, was dort stattfindet. Deswegen ist es wichtig, das hier anzusprechen und dafür zu sorgen, dass das in die Öffentlichkeit gerät. Jeder, der dazu beiträgt, sei es durch die Debatte hier im Hohen Hause, sei es durch Besuche vor Ort, wie sie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla häufig und regelmäßig durchgeführt hat und wie er sie jetzt im baltischen Nachbarraum durchführt oder die Kollegin Marieluise Beck, die jedenfalls den Versuch gestartet hat, eine Wahlbeobachtung durchzuführen. Dafür sagen wir Dank. Das hilft den Menschen; denn das, was Diktaturen erschüttert, und das, was sie nicht mögen und was sie scheuen, ist das Licht der Öffentlichkeit, welches die Untaten dort ausleuchtet. ({1}) Deswegen hilft es auch, hier Kritik gegenüber denjenigen zu äußern, die Desinteresse zeigen oder die dieses System sogar unterstützen. Wir brauchen Aufmerksamkeit in der deutschen, in der europäischen Öffentlichkeit. Wir haben uns gefreut, dass die polnische Ratspräsidentschaft in der letzten Zeit auf EU-Ebene einen Versuch gestartet hat, Aufmerksamkeit für die östliche Partnerschaft und für unsere östlichen Nachbarn zu erwecken. Leider war das Interesse, nicht in Deutschland, aber in vielen anderen EU-Staaten, nicht besonders groß. So aufmerksam man beispielsweise die Entwicklung im nordafrikanischen Raum sicherlich beobachten soll: Es ist verkehrt, Osteuropa nicht zu betrachten oder ihm nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken. Osteuropa braucht die Aufmerksamkeit der gesamten EU. Weißrussland ist genauso wie die Ukraine ein Teil Europas. Es ist schade, dass das weißrussische Volk nicht eine demokratische, rechtsstaatliche Vertretung im Europarat hat, sondern sich weiter so geriert, dass es gar keine Chance hat, dort aufgenommen zu werden. Wir sollten die Anwälte auch aller osteuropäischen Völker innerhalb der Europäischen Union sein. Wir alle miteinander sollten die Europäische Union gemeinsam auffordern, sich Osteuropa insgesamt zuzuwenden. Dazu gehört auch, dass wir ganz klar das ansprechen, was Russland zu verantworten hat. Ich habe gestern mit einigen Kolleginnen und Kollegen zusammengesessen, und wir haben über die Zusammenarbeit mit den Russen im Ostseeraum diskutiert. Die Russen haben große Hoffnungen und große Erwartungen und sind stolz darauf, dass es im Ostseeraum eine enge Kooperation gibt und dass wir dort einen verstärkten Warenaustausch haben. Sie verweisen nicht ohne Stolz auf die wirtschaftlichen Erfolge, auf die Erfolge im Umweltschutzbereich und auch in der Verkehrsinfrastruktur. Aber wir müssen solche Gelegenheiten nutzen, Russland an seine Verantwortung zu erinnern. Wer nicht nur im eigenen Land, sondern auch mit uns eine Modernisierungspartnerschaft will, wer mit Europa kooperieren will und wer von einem Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon spricht, der muss wissen: Mit uns gibt es eine gemeinsame Partnerschaft und Zusammenarbeit nur dann, wenn grundlegende Regeln des Zusammenlebens, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das gilt insbesondere auch für Russland. ({2}) Ich möchte abschließend auf einen Anfangspunkt zurückkommen, den schon der Kollege Kurth angesprochen hat, auch wenn es vielleicht ein Randthema ist - aber es wird wahrscheinlich in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit wecken, wenn es so stattfindet wie unsere Debatte hier -, nämlich die Eishockey-WM und die aus meiner Sicht schwer erträglichen Äußerungen auch des Präsidenten des Eishockeyverbandes, wir - diejenigen, die dazu aufforderten, das noch einmal zu überdenken - würden jetzt die Eishockeyspieler oder die Funktionäre zu Marionetten der Politik machen. Nein, die Gefahr ist umgekehrt, dass Sportler zu Marionetten dieses Regimes werden. ({3}) Deswegen sind alle, die darüber zu entscheiden haben, aufzufordern, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken. Man kann nicht einfach Eishockeyspiele stattfinden lassen und so tun, als wäre in Weißrussland alles in Ordnung, sondern man sollte jede Möglichkeit nutzen, darauf aufmerksam zu machen, dass es dort ein verbrecherisches Regime gibt und Menschen zu Tode kommen, gefoltert und eingesperrt werden, statt dazu überzugehen, sozusagen einfach nur den Puck einzuschießen. Wir fordern die Eishockeyverbände auf, diese Entscheidung grundlegend zu überdenken. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. - Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Arnold Vaatz. Bitte schön, Kollege Arnold Vaatz. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, so einig wie heute sind wir uns selten in einer aktuellen Debatte. Ich finde das gut. Ich glaube, wir alle stimmen in der Beobachtung überein, dass sich die Lage in Weißrussland verschlechtert hat. Vor einigen Jahren waren für die Opposition wenigstens noch öffentliche Meinungsäußerungen gefahrlos möglich, wenngleich man auch bespitzelt und an allen möglichen Ecken und Enden behindert wurde. Aber inzwischen ist sogar das gefährlich geworden. Uns ist gesagt worden, Oppositionelle würden zum Beispiel damit erpresst, dass ihren Familien unter Umständen etwas geschehen kann. Unterm Strich muss man wohl sagen: Die europäische Vorstellung von einem Wandel durch Annäherung war naiv. Sie haben die Polizeihilfe angesprochen, Frau Cramon. Ich muss sagen: Das ist mir peinlich. Das ist eine peinliche Fehlleistung, die wir uns leider geleistet haben. Ich glaube, das sollten wir ruhig zugeben. Fehler muss man ansprechen, und man darf sie nicht wiederholen. Leider ist Weißrussland nicht der einzige Staat, der die Menschenrechte missachtet. Es gibt innerhalb der GUS eine ganze Menge von Staaten, in denen die Dinge ganz ähnlich liegen. ({0}) Auch dass ein Land außerhalb Europas liegt, kann die Kritik nicht entschärfen, wenn dort die Menschenrechte nicht respektiert werden. Es ist aber auch so, dass wir in Deutschland mit unserer gut ausgestalteten Demokratie und dem Schutz der Menschenrechte zwar sehr weit gekommen sind, aber wir sind nicht die Oberlehrer in Sachen Demokratie. Die Ersten, die zu entscheiden haben, was in Belarus und anderen Ländern geschieht, sind die Menschen dort. ({1}) Demzufolge ist es nicht notwendig, dass wir hier perfekte Pläne machen, wie es in diesen Ländern weitergehen soll, sondern wir müssen zuerst auf die Menschen in diesen Ländern hören. Das ist das Entscheidende. Dafür ist es notwendig, dass wir uns eine Erkenntnis ganz klarmachen: Jemanden, der sich mit solchen Mitteln zum Präsidenten eines Landes gemacht hat, können wir nicht als den legitimen Sprecher des weißrussischen Volkes ansehen. Das ist nicht möglich. Wir müssen vielmehr in die Gesellschaft hineinhören, und das bedeutet insbesondere, dass wir auf die Menschen hören sollten, die unter enormen persönlichen Risiken dort für eine Demokratisierung ihres Landes eintreten. Dazu gehören zum Beispiel all diejenigen, die von der weißrussischen Opposition jetzt in Haft sind. Wenn man hört, dass dort mit Mitteln wie Schlafentzug, mehrfachem Einweisen in Arrestzellen, ständigen Leibesvisitationen und ähnlichen Dingen gearbeitet wird und dass man Oppositionelle mit verurteilten Kriminellen in einer Zelle unterbringt, dann muss das angesprochen werden. Wir müssen die Namen dieser Menschen immer wieder nennen. Im Übrigen dürfen wir auch die Verbündeten von Lukaschenko, die er auf der Welt hat, nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch sie müssen wir ansprechen und fragen, weshalb sie mit einer solchen Regierung zusammenarbeiten. Aus diesem Grunde halte ich es für sehr wichtig, auch die Bundeskanzlerin zu unterstützen, die es bei keinem ihrer Besuche in einem Land, das nicht unserem Level von Demokratie entspricht, unterlässt, dieses Land gerade auf diesen Zustand anzusprechen, sich immer wieder mit der Opposition trifft und diese Themen nicht unberührt lässt. Ich halte das für eine ganz wichtige Sache, und dabei sollten wir sie alle gemeinsam unterstützen. ({2}) Dies gilt natürlich auch für alle anderen Kollegen. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die Ronald Pofalla und auch Marieluise Beck in den letzten Jahren in Weißrussland geleistet haben; auch der Menschenrechtsausschuss war mehrmals dort. Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir hier ein sehr dickes Brett bohren und dass sich die Dinge wahrscheinlich nicht von heute auf morgen zum Besseren wenden. Aber gerade deshalb ist es notwendig, dass wir auch dann, wenn es anscheinend nichts bringt, kontinuierlich auf diese Dinge hinweisen und nicht lockerlassen. In der Kontinuität liegt eine gewaltige Kraft. Ich glaube, eine einzige Voraussetzung ist maßgebend für eine positive Veränderung. Sie haben es schon gesagt, Herr Gehrcke: viele Kontakte. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Das Wichtigste ist, dass unsere Lebensweise, unsere Demokratie hier in Deutschland und in der gesamten Europäischen Union für die Bürger in den Ländern, über die wir hier reden, so attraktiv sein müssen, dass ihren Herrschenden am Ende nichts anderes übrig bleibt, als den Willen des Volkes zu erfüllen und genau diesen Status, den sich alle wünschen, einzurichten. Wenn wir das schaffen, haben wir, glaube ich, sehr viel erreicht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Arnold Vaatz. - Mein Dank gilt allen Rednerinnen und Rednern und allen, die an dieser Aktuellen Stunde teilgenommen haben. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. September 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.