Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.
Zunächst möchte ich Sie mit einigen runden Geburtstagen vertraut machen. Vizepräsident Eduard Oswald
hat am 6. September seinen 65. Geburtstag gefeiert,
({0})
ebenso wie zuvor der Kollege Günter Baumann und
die Kollegin Dr. Marlies Volkmer.
({1})
Außerdem beging der Kollege Axel Schäfer am 3. August seinen 60. Geburtstag. Allen Kolleginnen und Kollegen auch von dieser Stelle aus die geballten guten
Wünsche des ganzen Hauses.
({2})
Für den am 11. August verstorbenen Kollegen Jürgen
Herrmann ist der Kollege Hubert Hüppe nachgerückt.
Ich begrüße ihn herzlich.
({3})
Er kennt sich hier schon relativ gut aus, sodass er sicher
die guten Wünsche und die sichere Erwartung einer wieder guten Zusammenarbeit in die alte und neue Aufgabe
mitnimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor
Eintritt in unsere heutige Tagesordnung noch zwei Wahlen durchführen.
Für die aus dem Beirat bei der Bundesnetzagentur
für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und
Eisenbahn ausgeschiedene Ingrid Nestle schlägt die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, den Kollegen
Oliver Krischer als ordentliches Mitglied zu berufen.
Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann ist der Kollege Oliver
Krischer in den Beirat gewählt.
({4})
- Erleichterung und Jubel bei der betroffenen Fraktion.
({5})
Wir haben noch eine bedeutende andere Wahl. Wir
müssen nämlich einen neuen Schriftführer wählen, weil
der Kollege Dr. Tobias Lindner unverständlicherweise
dieses Amt niedergelegt hat. Auch hier hat die Fraktion
einen Vorschlag gemacht: Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen schlägt vor, den Kollegen Arfst Wagner
({6}) als neuen Schriftführer zu wählen.
({7})
- Das sieht nach Akklamation aus. Hat irgendjemand dagegen Einwände? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der
Kollege Wagner damit zum Schriftführer bestellt. Glückwunsch und gute Zusammenarbeit!
({8})
Man könnte fast den Eindruck haben, als solle der
Lärmpegel das Verfahren beschleunigen. Dafür sehe ich
eigentlich überhaupt keine Aussichten. - Na, es geht
doch.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushalts-
ordnung
- Drucksache 17/10660 -
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 3
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer
Rechtsvorschriften an die Verordnung ({9})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter
Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten
- Drucksache 17/10310 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10})-
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck
({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen
- Drucksache 17/10638 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({12})Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({13})-
Auswärtiger Ausschuss -
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union -
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({14}), Thilo Hoppe, SvenChristian Kindler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den globalen Schutz der biologischen Vielfalt
sichern - Strategischen Plan der Biodiversitätskonvention finanzieren und umsetzen
- Drucksache 17/10639 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15})Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
VerbraucherschutzAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 3 e wird abgesetzt.
Schließlich mache ich noch auf nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 15. Juni 2012 ({16}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Kultur und Medien ({17}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ({18})
- Drucksache 17/9852 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19})Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
VerbraucherschutzAusschuss für GesundheitAusschuss für Kultur und Medien
Der am 28. Juni 2012 ({20}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Verteidigungsausschuss ({21}), dem Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({22}),
dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23}) und dem Ausschuss für Kultur und Medien ({24}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes
- Drucksache 17/10000 Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss ({25})-
Rechtsausschuss -
Verteidigungsausschuss-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung -
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit -
Ausschuss für Kultur und Medien -
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Auch hierzu kann ich offensichtlich Ihre Zustimmung
feststellen.
Ich rufe jetzt unseren Zusatzpunkt 1 auf:
ZP 1 Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushalts-
ordnung
- Drucksache 17/10660 -
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Drucksache
17/10660 die Abgeordnete Stefanie Vogelsang vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren.
Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das
heißt, wer mindestens 311 Stimmen erhält. Die Wahl er-
folgt mit Stimmkarte und Wahlausweis. Den Wahlaus-
weis können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem
Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte achten
Sie unbedingt darauf, dass der Wahlausweis auch wirk-
lich Ihren Namen trägt. Die Stimmkarten wurden bereits
im Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte ha-
ben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den
Plenarassistenten zu erhalten.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei
„Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind dem-
zufolge Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein
Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Die Wahl
findet offen statt, Sie können Ihre Stimmkarte also an Ih-
rem Platz ankreuzen. Bevor Sie die Stimmkarte in eine
der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schrift-
führerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren
Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl
kann nur durch die Abgabe dieses Wahlausweises er-
bracht werden.
Das haben wir ja schon ein paar Mal geübt. Daher
darf ich jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer
bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich
Präsident Dr. Norbert Lammert
nehme an, dass alle Urnen besetzt sind. Ich eröffne den
Wahlgang.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich habe den Eindruck,
dass nun jeder Gelegenheit hatte, seine Stimmkarte ab-
zugeben. Dann schließe ich diesen Wahlgang und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl teilen wir
Ihnen dann im Laufe der nächsten Debattenrunde mit.1)
Ich darf nun darum bitten, dass diejenigen, die an den
Haushaltsberatungen teilnehmen wollen, ihre Plätze ein-
nehmen und diejenigen, die noch Wichtigeres vorhaben,
den Saal verlassen. - Nehmen Sie bitte Platz, damit wir
mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fortfahren kön-
nen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({26})
- Drucksache 17/10200 -
Überweisungsvorschlag:-
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksache 17/10201 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Wir haben am Dienstag für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen heute mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie, Einzelplan 09. Ich erteile das Wort dem
Bundesminister Dr. Philipp Rösler.
({27})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die deutsche Wirtschaft ist robust. Unter RotGrün war das anders. Unter Rot-Grün gab es über 5 Millionen Arbeitslose. Heute, unter einer schwarz-gelben
Regierung, gibt es weit unter 3 Millionen Arbeitslose.
({0})
In Ihrer Regierungszeit ist über 1 Million sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen verloren gegangen.
In unserer Regierungszeit sind über 1,1 Millionen neue
Arbeitsplätze aufgebaut worden.
({1})
Das Wachstum war in den letzten beiden Jahren stark.
Auch jetzt, in schwieriger werdenden Zeiten, stehen wir
an Europas Spitze.
Wir als Regierungskoalition stehen für Wachstum, für
Wohlstand, für Beschäftigung, und ich sage Ihnen: Gerade jetzt kann man erkennen, dass die letzten drei Jahre
der deutschen Wirtschaft und unserem Land insgesamt
sehr gut getan haben. Wir werden diesen richtigen wirtschaftspolitischen Kurs als christlich-liberale Koalition,
als Koalition aus CDU, CSU und FDP, beibehalten.
({2})
Wir werden genau diesen Kurs jetzt auch brauchen;
denn wir alle sehen: Die wirtschaftliche Entwicklung
wird schwieriger werden.
({3})
Wir sehen eine abnehmende Dynamik in den Exportregionen in der Welt: in den Schwellenländern, aber auch
in den Exportabsatzmärkten in den USA und natürlich
auch innerhalb Europas. An einer Exportnation wie
Deutschland kann eine solche Entwicklung natürlich
nicht spurlos vorbeigehen. Deswegen erwarten wir auch
für das nächste Jahr eine gedämpfte Konjunktur.
All diejenigen, die jetzt gleich wieder die konjunkturpolitischen Streichhölzer herausholen wollen, um vielleicht wirtschaftspolitische Strohfeuer zu zünden, sollten
eines nicht vergessen: Es waren damals ungedeckte Ausgabenprogramme - wirtschaftspolitische Strohfeuer ({4})
und verschleppte Reformen, die diese Schwierigkeiten
in ganz Europa überhaupt erst verursacht haben. Das
zeigt eines sehr klar: Ihre wirtschaftspolitischen Konzepte mit immer mehr Schulden ohne wirtschaftliche
Reformen haben sich überholt. Wir müssen sie dringend
ändern, wenn wir in Deutschland und in Europa gemeinsam weiter auf einem Wachstumskurs voranschreiten
wollen.
({5})
Statt sich auf die Tugenden der sozialen Marktwirtschaft zu besinnen,
({6})
nämlich stabile Haushalte auf der einen Seite und Reformen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf der
anderen Seite, greifen Sie in die wirtschaftspolitische
Mottenkiste der 70er-Jahre. Ihre neue Beschlusslage
sieht doch wieder nur Steuererhöhungen vor.
Das beste Beispiel dafür ist die Vermögensteuer. Sie
fahren damit massiv einen Angriff auf den unternehmerischen Mittelstand in Deutschland. Damit gefährden Sie
Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze.
({7})
Es ist der absolut falsche Weg, das Rückgrat der deut-
schen Wirtschaft, den Mittelstand, so zu schädigen, wie 1) Ergebnis Seite 23067 C
Sie es vorhaben. Ein solcher Weg ist mit uns definitiv
nicht zu machen.
({8})
Sie agieren nicht nur gegen den unternehmerischen
Mittelstand, sondern auch gegen die gesellschaftliche
Mitte in unserem Land. Sehenden Auges akzeptieren
Sie, dass jede kleinste Gehaltserhöhung im Bereich der
unteren und mittleren Einkommen gleich wieder durch
die Inflation und durch die kalte Progression aufgefressen wird. Wir haben etwas dagegen getan und ein Gesetz
verabschiedet, das Sie aus ideologischen Gründen im
Bundesrat blockieren.
({9})
Ich sage Ihnen: Wenn sich für die Empfänger unterer
Einkommen und für die Mitte in unserer Gesellschaft die
Leistung nicht mehr lohnt, dann wird das Wachstum auf
Dauer nicht zu halten sein.
({10})
Ihre Blockade richtet sich gegen die gesellschaftliche
Mitte in unserem Lande. Ich sage Ihnen: Ein Aufbrechen
dieser Blockade wäre einmal ein echter Beitrag für mehr
Gerechtigkeit, nämlich für Leistungsgerechtigkeit, in
unserem Land.
({11})
Es muss auch Menschen geben - sie gibt es zum
Glück -, die zunächst einmal an das Erwirtschaften und
nicht, wie Sie, ständig nur an das Umverteilen denken.
Deswegen müssen wir jetzt die Wachstumsbremsen
lösen.
({12})
Wir haben das gerade im letzten Jahr auch geschafft.
({13})
Eine Hauptwachstumsbremse - gerade für den Mittelstand - war der Fachkräftemangel. Wir haben es erstmalig geschafft, ein System der gesteuerten Zuwanderung
qualifizierter Arbeitskräfte in den ersten Arbeitsmarkt
auf den Weg zu bringen.
Ich sage Ihnen: Wir dürfen damit noch nicht Schluss
machen. Im Gegenteil: Das, was für den Bereich der
Hochqualifizierten gilt, kann man auch auf alle weiteren
Fachkräftebereiche ausdehnen. Ich wäre sogar sehr
dafür, dass wir auch für diejenigen, die keinen Hochschulabschluss haben, aber dringend von der deutschen
Wirtschaft gebraucht werden, weitere Erleichterungen
durchsetzen. Das wäre ein wesentlicher, ein echter Beitrag für mehr Willkommenskultur und zur Verstetigung
unseres Wachstums in Deutschland.
({14})
Zum wichtigen Thema Rohstoffe. Unter Rot-Grün
haben Sie den Bedarf an Rohstoffen einer großen Volkswirtschaft wie Deutschland immer verleugnet. Sie haben
nichts dafür getan.
({15})
Wir haben Rohstoffpartnerschaften abgeschlossen ganz aktuell mit der Mongolei. Das große Thema „Seltene Erden“ wird hier auch zukünftig eine wichtige Rolle
spielen.
({16})
Die Industrie hat ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und eine Rohstoffallianz gegründet, und die mittelständischen Unternehmen werden künftig durch die
gerade gegründete Deutsche Rohstoffagentur beraten
werden. Das ist gerade angesichts der steigenden Rohstoffpreise in der Welt wichtig.
Ihr einziger Beitrag war, eine Abwrackprämie für
Fahrräder zu fordern. Das ist nicht nur romantisch, sondern schlichtweg naiv. Das ist in einer Industrienation
wie Deutschland - zum Glück sind wir das noch - nicht
angemessen.
({17})
Zur Entwicklung in der Industrie: Wir setzen eindeutig
auf die Zukunftsmärkte. Wir brauchen auf der einen Seite
weiterhin die klassische Industrie. Wir brauchen das produzierende Gewerbe. Zunehmend gibt es aber eine Verknüpfung mit Telekommunikation, mit modernen Kommunikationsformen. Wir nennen das die vierte
industrielle Revolution. Deswegen ist das Thema „Industrie 4.0“
({18})
ein entscheidender Aspekt bei der Ausrichtung der Industrie- und Wirtschaftspolitik dieser Regierungskoalition.
({19})
Wir setzen hierbei auf neue Ideen, auf Innovationen,
gerade im Mittelstand. Deswegen ist es gut, dass wir bei
den Haushaltsberatungen dafür sorgen werden, dass das
zentrale Innovationsprogramm für den Mittelstand nicht
nur erhalten, sondern auch mit finanziellen Mitteln gut
ausgestattet bleibt. Wir werden erstmals die hochinnovativen, die kreativen Unternehmensgründer im Bereich
der IT-Wirtschaft stärken. Erstmalig wird es bei dem
wichtigen Thema Wagniskapital Unterstützung geben.
Das zeigt, dass wir auf die neuen Herausforderungen für
die Industrie reagieren. Wir haben das klare Ziel, dafür
zu sorgen,
({20})
dass unsere Wirtschaft immer um das besser sein kann,
was die anderen billiger sind. Das ist unsere Verantwortung. Wir werden dieser Verantwortung angesichts der
neuen industriellen Herausforderungen definitiv gerecht
werden, Frau Kollegin.
({21})
Neben der Industriepolitik und der Frage der Rohstoffversorgung wird natürlich auch die Energiepolitik
eine große Rolle spielen.
({22})
- Herr Heil, schauen Sie sich nur einmal die Energiepreise für die Industrie an.
({23})
Ein mittleres deutsches Industrieunternehmen hat im
letzten Jahr bis zu doppelt so hohe Industriestrompreise
gezahlt wie unsere französischen Freunde und Nachbarn.
({24})
Deswegen haben wir dafür gesorgt - das ist selbstverständlich -, dass es zu Strompreiskompensationen
kommt, dass es zu einem Netzentgeltausgleich kommt.
Eines will ich Ihnen aber auch sagen: Wir sind es langsam leid, dass man sich ständig dafür entschuldigen
muss, dass man durch solche Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft stärkt und für
Arbeitsplätze kämpft und für Arbeitsplätze sorgt.
({25})
Ihre Politik ist gegen die Leistungsfähigkeit unserer
Wirtschaft gerichtet. Sie haben damals eine Preisreduzierung beim Strom aus Photovoltaik verhindert. Es gibt
100 000 Arbeitsplätze im Bereich der Solarwirtschaft,
aber allein 875 000 im Bereich der energieintensiven
Unternehmen, und denen fühlen wir uns genauso verpflichtet wie den Unternehmen in allen anderen Branchen.
({26})
Deswegen ist es richtig, dass wir an die Energiepreise
herangehen.
({27})
Wir alle wissen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz
ein richtiges Gesetz zur Förderung einer Nischenbranche
war,
({28})
aber, Herr Heil, jetzt ist der Stromproduktionsanteil bei
20 bis 25 Prozent angekommen.
({29})
Das ist keine Nische mehr. 25 Prozent, das ist die Größenordnung der sozialdemokratischen Partei. Da kann
man vielleicht von einer politischen Nische sprechen,
aber nicht in Bezug auf die Strompreise. Deswegen ist es
richtig, dass wir an das EEG herangehen.
({30})
Ihre Ideologie steht pragmatischen Lösungen immer
entgegen. Bestes Beispiel ist die Diskussion über den
Netzausbau. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die
rund 4 000 Kilometer neue Netze, die im Netzentwicklungsplan beschrieben wurden, brauchen. Deswegen bin
ich bereit, gemeinsam mit den europäischen Partnern
darüber zu diskutieren, die Umweltstandards für einen
bestimmten Bereich für einen bestimmten Zeitraum
außer Kraft zu setzen, damit wir gemeinsam die Zeit
haben, den Netzausbau voranzubringen;
({31})
denn diese Netze sind ein wesentlicher Beitrag zur Verstetigung der Energieproduktion im Bereich der erneuerbaren Energien. Das ist eine zutiefst umweltpolitische
Aufgabe. Dies ist eine Maßnahme nicht gegen, sondern
für den Umweltschutz und für die Energieversorgung in
Deutschland.
({32})
Herr Minister, der Kollege Krischer würde Ihnen
dazu gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Herr Bundesminister Rösler, Sie haben gerade darauf
hingewiesen, dass wir im Bereich der energieintensiven
Industrie im internationalen Wettbewerb stehen. Es ist
ohne Zweifel so, dass es viele Unternehmen gibt, die im
internationalen Wettbewerb stehen. Selbstverständlich
brauchen diese Unternehmen eine Kompensation, um im
Wettbewerb bestehen zu können.
({0})
Ich glaube, das steht hier überhaupt nicht zur Debatte.
({1})
Ich bitte Sie aber, mir die Frage zu beantworten, warum Sie - Ihre Regierung, aber insbesondere Sie - die
Strompreiskompensationen ständig ausgeweitet haben,
sodass zum Beispiel der Deutsche Wetterdienst, der meines Wissens nicht im internationalen Wettbewerb stehen
kann, solche Strompreiskompensationen in Anspruch
nehmen kann. Welche Begründung liefern Sie dafür?
Welche Arbeitsplätze sollen damit erhalten werden?
({2})
Erstens, Herr Kollege, finde ich es schade, dass Sie
nicht darauf hingewiesen haben, dass die Ursprungsidee
der Strompreiskompensation eine rot-grüne Idee gewesen ist.
({0})
Es ist geradezu lächerlich, dass Sie ein solches Instrument erst auf den Weg bringen, aber jetzt gegen die
praktische Anwendung einer solchen Strompreiskompensation sind. Mit Ehrlichkeit hat das definitiv nichts
zu tun.
({1})
Zweitens werden nicht einzelne Branchen von uns
begutachtet, sondern es richtet sich nach dem Stromverbrauch; das wissen Sie.
({2})
Der Deutsche Wetterdienst ist zwar kein produzierendes
Unternehmen, aber - ich weiß nicht, ob Sie das wissen für die Voraussagen von Wetter brauchen Sie Rechnerleistungen, das machen Sie nicht alles mit Kopfrechnen.
({3})
Wenn Sie Ahnung von Technologie hätten, wüssten Sie,
dass gerade die IT-Industrie ein großer industrieller
Stromverbraucher ist. Hier gibt es übrigens noch die
Möglichkeit, auf Energieeffizienzreserven zurückzugreifen. Ich sage es Ihnen noch einmal: Es werden keine einzelnen Branchen beurteilt, sondern Stromverbrauch von
energieintensiven Unternehmen insgesamt.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter.
({4})
Es geht darum, nicht nur energieintensive Unternehmen
zu entlasten, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft.
Deswegen ist es richtig, dass wir die erneuerbaren Energien, den Hauptkostentreiber in der heutigen Zeit, angehen; denn wir brauchen Bezahlbarkeit von Energie für
80 Millionen Menschen, 40 Millionen Haushalte und
4 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen.
Das ist das Ziel dieser Regierungskoalition. Darauf können sich die Unternehmen in Deutschland verlassen.
({5})
Wir wollen die Menschen nicht nur in diesem Bereich
entlasten - Stichwort: kalte Progression -;
({6})
nehmen Sie das vorgesehene Absenken der Rentenversicherungsbeiträge als aktuelles Beispiel:
({7})
Auch das ist ein wesentlicher Beitrag zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Ich wundere mich, dass
gerade Rot und Grün gegen diese sinnvolle Absenkung
der Rentenversicherungsbeiträge sind. Vergessen wir
nicht: Diese Beitragssenkung ist nur durch mehr Wachstum möglich. Das haben sich die Menschen selber verdient und erarbeitet.
({8})
Sie wollen Ihnen genau diese Beitragssenkung vorenthalten. Das ist das eigentlich Schäbige der Rentenpolitik
von Rot und Grün.
({9})
Neben der eigenen Leistungsfähigkeit, der eigenen
wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit brauchen wir
eine stabile gemeinsame Währung. Deswegen sind wir
alle über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gestern sehr froh gewesen.
({10})
Aber ich wundere mich, dass sich auch ausgerechnet die
SPD darüber gefreut hat; denn es ist keine Bestätigung
Ihres politischen Kurses, sondern es ist eine Bestätigung
des Kurses dieser Regierungskoalition.
({11})
Es gibt zwei wesentliche Säulen im Rahmen unserer
Stabilitätsunion: keine neuen Schulden, sondern Schuldenabbau sowie Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit für mehr Wachstum.
({12})
Dieser Kurs ist im ESM und im Fiskalpakt festgeschrieben. Dieser Kurs wurde durch das Urteil gestern mehr
als bestätigt. Jetzt geht es darum, dass genau diese Position - Schuldenabbau durch solide Haushalte und wirtschaftliche Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit von allen Mitgliedstaaten in Europa eingehalten wird.
({13})
Nur wenn dieser Kurs konsequent von allen eingehalten
wird, kommen wir zu mehr Wachstum, zu mehr Vertrauen und zu mehr Glaubwürdigkeit auch im Bereich
unserer eigenen Währung. Wenn das gelingt, dann - davon bin ich fest überzeugt - wird unsere gemeinsame
Währung, der Euro, zu einer der stabilsten Währungen
der Welt gehören. Dieses Grundprinzip, keine Schulden
zu machen und mehr Wachstum zu generieren, gilt nicht
nur für Deutschland und für Europa, sondern auch für
alle anderen Teile der Welt, zum Beispiel für Nordamerika. Darauf sollten wir uns gemeinsam konzentrieren.
({14})
Das ist die Grundposition: Eine stabile Währung auch
in Zukunft für weiteren Wohlstand in Europa, solide
Haushalte, so wie sie in dieser Woche diskutiert und
durch diese Regierungskoalition auf den Weg gebracht
werden, Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit durch Stärkung des unternehmerischen Mittelstandes, Rohstoffversorgung, Fachkräftesicherung und
Bezahlbarkeit von Energie.
Sigmar Gabriel hat im Zusammenhang mit der Europapolitik gefordert, dass es demnächst eine Volksabstimmung geben soll. Es gibt demnächst tatsächlich eine
Volksabstimmung, so ziemlich genau in einem Jahr.
({15})
Ich freue mich, dass wir dann unsere gemeinsamen Konzepte zum Austausch bringen können.
({16})
Wer auf Schulden setzt, wer auf Planwirtschaft setzt,
der ist gut aufgehoben bei Sozialdemokraten, bei Grünen
und Linken. Wer auf Solidität, auf stabile Haushalte sowie auf eine Stärkung der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit setzt, der ist gut aufgehoben bei dieser Regierungskoalition. Auf diese Auseinandersetzung können
wir uns freuen. Das wissen die Menschen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Bevor der Kollege Hubertus Heil als nächster Redner
das Wort erhält, möchte ich Ihnen das Ergebnis der
Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums nach
unserer Bundeshaushaltsordnung mitteilen: abgegebene
Wahlausweise 571, folglich 571 abgegebene Stimmen.
Mit Ja haben gestimmt 481, mit Nein haben gestimmt
45 bei 42 Enthaltungen und 3 ungültigen Stimmen.
Damit hat die Abgeordnete Stefanie Vogelsang die Stim-
men der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundes-
tages erhalten und ist damit zum Mitglied des Vertrau-
ensgremiums gewählt.1)
({0})
Herzlichen Glückwunsch! - Nun hat der Kollege Heil
das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, das war keine Rede eines Bundeswirtschaftsministers, das war die Rede eines
FDP-Vorsitzenden, dem das Wasser erkennbar bis zum
Halse steht.
({0})
Sie als FDP-Vorsitzender haben erkennbar nur drei
Probleme: Kubicki, Lindner und Brüderle. Aber das sind
nicht unsere Probleme. Unser Problem ist, Herr Rösler,
dass Sie als Bundeswirtschaftsminister Ihren Job nicht
machen. Ich will Ihnen das an drei Beispielen deutlich
machen, auch anhand dessen, was Sie eben ausgeführt
haben.
Wo ist der Bundeswirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, der größten Volkswirtschaft in Europa, wenn es beispielsweise darum geht, in Europa die
Wirtschaftspolitik stärker zu koordinieren? Denn wenn
es eine ganz zentrale Ursache der Krise in Europa gibt
- darüber sind wir uns in der Analyse möglicherweise
einig -, dann ist es der Geburtsfehler einer Währungsunion, bei der man glaubte, eine gemeinsame Währung
zu schaffen, aber die nationalen Politiken im Bereich der
Fiskalpolitik einzeln zu lassen. Wo sind Ihre Vorschläge?
Sie sind schlicht und ergreifend nicht auf dem Platz.
Deshalb sage ich Ihnen mit Blick auf die wirtschaftliche
Entwicklung, Herr Rösler: Sie haben sich zwei, drei
Jahre lang auf einer guten konjunkturellen Entwicklung
ausgeruht, einer guten konjunkturellen Entwicklung, zu
der Sie keinen Beitrag geleistet haben.
({1})
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Hubertus Heil ({2})
Von Ihnen brauchen sich deutsche Sozialdemokraten
nichts über Mut zu Reformen erzählen zu lassen. Wir haben die Reformen durchgesetzt; Sie sind es nicht gewesen.
({3})
Ich sage Ihnen: Es gibt mehrere Gründe, warum die
Entwicklung in Deutschland in den letzten drei Jahren so
gut war, dass wir trotz der Krise in Europa und in der
Welt bis dato besser durch die Krise gekommen sind.
Erstens sind es in den 90er- und frühen 2000er-Jahren
die Umstrukturierungen in den Unternehmen gewesen,
in einer Zeit, in der Deutschland am Ende einer schwarzgelben Regierung von Helmut Kohl weltweit als der
kranke Mann Europas galt. Wir erinnern uns daran. Das
war das Ergebnis des Reformstaus schwarz-gelber Politik von Helmut Kohl.
({4})
Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die gegen erhebliche Widerstände, auch mit erheblichen Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen - gar keine Frage -,
Mut zur Veränderung, zu Strukturreformen hatte, den Sie
in der deutschen Geschichte niemals aufgebracht haben.
({5})
Das hat für uns einen hohen Preis bedeutet; gar keine
Frage. Aber ich sage Ihnen: Für das Land war dies richtig und notwendig. Sie haben in den letzten drei Jahren
geerntet, aber Sie haben nie gesät. Sie können nichts für
die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen
drei Jahre.
({6})
Der zweite Grund ist die Tatsache, dass die Große
Koalition 2008/2009 rasch gehandelt hat, als wir nach
der Lehman-Pleite mit einem Tsunami am Arbeitsmarkt
zu rechnen hatten. Minus 5 Prozent beim wirtschaftlichen Wachstum, das war aufgrund der Zockereien auf
den internationalen Finanzmärkten die Situation 2008/
2009.
Ich sage Ihnen: Nicht wir waren es, die gegen die notwendigen Maßnahmen waren, sondern wir haben diese
Maßnahmen mit Olaf Scholz, mit Peer Steinbrück und
mit Frank-Walter Steinmeier in der Großen Koalition auf
den Weg gebracht. Ohne uns hätte es die veränderten
Kurzarbeitsregelungen nicht gegeben, nach dem Motto:
Besser Arbeit sichern als Arbeitslosigkeit. Ohne uns
hätte es auch die wesentlichen Anstöße für die Konjunkturprogramme nicht gegeben, die mitgeholfen haben,
Brücken über die Krise zu bauen. Also: Reden Sie an
dieser Stelle nicht herum! Sie haben keinen Beitrag zur
guten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre geleistet. Sie stellen sich hier hin und halten FDP-Parteitagsreden. Aber Sie machen Ihren Job als Bundeswirtschaftsminister nicht, Herr Rösler.
({7})
Das, was ich Ihnen ganz persönlich übel nehme, ist,
dass Sie in den letzten Jahren mit solchen Fensterreden
- aber ohne zu handeln - den Reformvorsprung, den sich
Deutschland mühsam erarbeitet hat, verspielen. Denn
Tatsache ist: Die weltwirtschaftliche Entwicklung bleibt
nicht stehen; wir sind nach wie vor mitten in der Krise in
Europa. Tatsache ist: Der internationale Wettbewerb
lässt nicht nach; er nimmt zu. Es gibt mit China, Indien
und den lateinamerikanischen Staaten aufstrebende
Mächte in der Welt, und Deutschland muss sich auf
diese Entwicklung einstellen. Tatsache ist: Der Strukturwandel bleibt nicht stehen; wir müssen bei Forschung
und Entwicklung mithalten. Tatsache ist: Der demografische Wandel in diesem Land stellt uns vor erhebliche
Herausforderungen. Und Tatsache ist: Die Ressourcenknappheit und die Energiewende gehören zu den größten
Aufgaben, die vor uns liegen.
Herr Rösler, ich möchte Ihnen eines sagen: Was das
Thema Fachkräftesicherung betrifft, können Sie mit uns
vielleicht besser als mit der CSU über qualifizierte Zuwanderung und Weltoffenheit reden; da haben Sie eher
ein Problem in der eigenen Koalition. Aber ein Bundeswirtschaftsminister, der beim Stichwort „Fachkräftesicherung“ nur an Zuwanderung denkt - Sie haben kein
weiteres Wort dazu gesagt - und keine Maßnahmen ergreift, um dafür zu sorgen, dass die Potenziale in
Deutschland gehoben werden, damit wir keinen gespaltenen Arbeitsmarkt bekommen, wird seinem Job nicht
gerecht.
({8})
Sie sind ein FDP-Vorsitzender, der im Bereich der
Gesellschafts- und Bildungspolitik fatale Weichenstellungen mit unterstützt, zum Beispiel das unselige Betreuungsgeld. Was Deutschland stattdessen braucht, sind
eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung und bessere
Chancen für Kinder und Jugendliche, und zwar durch
die frühe und individuelle Förderung von Kindern. Sie
machen mit Ihrem Betreuungsgeld das Gegenteil. Es ist
gesellschaftlicher Unsinn, es ist finanzpolitischer Unsinn, es ist aber auch wirtschaftspolitischer Unsinn, den
Sie mitverantworten. Sie werfen Deutschland zurück
und bringen das Land in diesem Bereich nicht voran.
({9})
Durch Ihr Unterlassen läuft Deutschland, wenn es so
weitergeht, in einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt. Auf
der einen Seite suchen immer mehr Unternehmen - kleine
und mittelständische, aber auch große - händeringend
qualifizierte Fachkräfte in Deutschland. Auf der anderen
Seite gibt es viel zu viele Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder in der Langzeitarbeitslosigkeit
abgehängt sind. Die soziale Herkunft entscheidet in
Deutschland stärker über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern als Leistungsfähigkeit und Talente. In
dieser Situation machen Sie nichts im Bereich der Bildung und das Falsche im Bereich der ArbeitsmarktpoliHubertus Heil ({10})
tik. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden das Thema
Fachkräftesicherung nach dem Regierungswechsel im
kommenden Jahr ressortübergreifend zu einem Topthema
machen. Wir werden es nicht brachliegen lassen wie Sie.
({11})
Wir werden die Spaltung des Arbeitsmarktes, die Sie mit
verursacht haben, überwinden.
({12})
Ich will Ihnen etwas zum Thema Energiepolitik sagen. Sie reden ja, als seien Sie gar nicht im Amt, und
malen eine Bedrohung an die Wand. Ich sage Ihnen dazu
Folgendes: Eine Bundesregierung und eine Bundeskanzlerin, die im Bereich der Energiepolitik so dermaßen im
Zickzack fahren, sind das größte Investitions- und Planungshemmnis für das Gelingen der Energiewende in
Deutschland.
({13})
Herr Fuchs, wir haben in der Energiepolitik innerhalb
von vier Jahren vier verschiedene Bundeskanzlerinnen
Merkel kennengelernt: Da war die große Klimakanzlerin
mit ehrgeizigen Zielen, da war die Atomkanzlerin, die
die Laufzeiten verlängert hat, und da war die AntiAtom-Kanzlerin nach Fukushima. Sie werden sagen:
Lernfähigkeit ist auch eine Tugend.
({14})
- Ich sage Ihnen, was wir jetzt erleben: Jetzt erleben wir
eine Frau Merkel, die tatenlos dabei zusieht, wie sich
Herr Altmaier und Herr Rösler gegenseitig blockieren
und in dieser Legislaturperiode nichts energiepolitisch
Entscheidendes mehr auf den Weg bringen. Das ist das,
was ich Ihnen vorwerfe.
({15})
Es gibt natürlich - das wissen wir doch alle - in allen
Parteien intensive Diskussionen zwischen Umwelt- und
Wirtschaftspolitikern. Das ist ein natürliches Spannungsverhältnis, weil wir eine saubere, eine sichere und eine
bezahlbare Energieversorgung erreichen wollen. Da gibt
es Diskussionen zwischen Wirtschafts- und Umweltpolitikern; das ist ganz natürlich. Diese Diskussionen hat es
auch in unserer Zeit gegeben: zwischen Jürgen Trittin
und Werner Müller; daran kann ich mich lebhaft erinnern. Der Unterschied ist nur: In der damaligen Zeit, bei
der Energiewende, die wir damals auf den Weg gebracht
haben, gab es am Ende des Tages Entscheidungen und
ein Bundeskanzleramt mit Frank-Walter Steinmeier als
Kanzleramtsminister, der einen Energiekonsens zustande gebracht hat. Zu einem solchen Konsens sind Sie
nicht in der Lage, Herr Rösler.
({16})
Zu diesen Fensterreden, die Sie hier halten, zu diesem
Popanz, den Sie hier aufbauen, will ich Ihnen eines sagen: Wir sind es gewesen, die mitgeholfen haben, dass
Deutschland eine industrielle Wertschöpfung behalten
hat. Unser Land hat eine industrielle Wertschöpfungsbasis von den Grundstoffindustrien über die kleinen, mittelständischen Unternehmen bis hin zu den Hightechschmieden wie keine andere Volkswirtschaft in Europa.
Die rot-grüne Bundesregierung ist eben nicht den Moden
hinterhergelaufen, denen Sie damals gefolgt sind, nach
der die Zukunft allein in den Finanzdienstleistungen und
im irischen volkswirtschaftlichen Modell liegen sollte.
({17})
Wir haben die industrielle Basis in diesem Land mit erneuert, weil wir wissen, dass Realwirtschaft wichtig ist
und nicht Finanzwirtschaft. Das haben Sie damals nicht
begriffen.
({18})
Deshalb haben wir damals dafür gesorgt, dass es für
energieintensive Unternehmen Ausnahmetatbestände
gibt, weil sie im internationalen Wettbewerb stehen. Ich
sage Ihnen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus einer niedersächsischen Stadt, die Sie möglicherweise
kennen. Meine Heimatstadt ist Peine. Dort steht ein
Elektrostahlwerk. Ich will, dass das auch in Zukunft so
sein wird. Dieses Werk hat bei der Produktion eine gewisse Gradzahl zu erreichen und braucht einen bestimmten Energieinput. Deshalb darf man nicht zuschauen, wie
die Arbeitsplätze verlagert werden. Für solche Unternehmen sind die Ausnahmen richtig.
Aber das, was Sie gemacht haben, ist, die Ausnahmetatbestände auch auf Unternehmen auszuweiten, die sie
nicht brauchen, die noch Energieeffizienzpotenziale haben. Wir sind für Ausnahmen für energieintensive Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, weil wir in
Deutschland Industrie halten wollen. Wir sind für Versorgungssicherheit. Wir sind aber auch der Meinung,
dass Effizienzpotenziale da gehoben werden müssen, wo
es geht. Deshalb darf es die Ausnahmen nur geben, wenn
ein verbindliches Öko- und Effizienzaudit durchgeführt
worden ist. Das ist der Unterschied zwischen Klientelpolitik, die Sie betreiben, und einer Energie- und Wirtschaftspolitik mit Vernunft und Augenmaß.
({19})
Ich will Ihnen etwas zum Erneuerbare-Energien-Gesetz sagen. Wir sind uns einig, dass das ErneuerbareEnergien-Gesetz ein Riesenerfolg war.
({20})
- Finden Sie das nicht? Das hat aber Ihr Wirtschaftsminister behauptet. Herr Lindner bestreitet das gerade. Ich sage Ihnen: Ein Gesetz, das in 60 Ländern der Welt
kopiert wird, das mitgeholfen hat, dass Deutschland bei
den erneuerbaren Energien die Nase vorn hat, kann nicht
schlecht sein.
Hubertus Heil ({21})
Klas ist aber auch, dass das Gesetz der Markteinführung diente, dass wir langfristig ein Marktdesign brauchen, mit dem dafür gesorgt wird, dass die Erneuerbaren
Schritt für Schritt als Teil einer stabilen Energieversorgung marktfähig werden. Über ein solches Marktdesign
sollten wir uns unterhalten.
({22})
Aber Sie werden - das prophezeie ich Ihnen - in dieser
Legislaturperiode mit Herrn Altmaier nichts mehr zustande bringen. Das Gleiche gilt für den Ausbau der
Netze, für die Verteilnetze, genauso wie für die großen
Energieautobahnen, die dieses Land braucht.
Kollege Heil, Sie wissen, dass Sie jetzt zum Ende
kommen müssen.
Da habe ich von Ihnen schöne Sprüche gehört, aber
nicht das, was notwendig ist.
Deshalb zum Schluss, Herr Bundeswirtschaftsminister: Lösen Sie meinetwegen die Probleme Ihrer FDP, aber
lassen Sie uns mit solchen Reden, wie Sie sie hier gehalten haben, in Ruhe. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers nicht würdig. Wir werden den Reformstau, den
Sie uns hinterlassen haben, im nächsten Jahr nach der
Bundestagswahl wieder auflösen müssen, aber das gehen
wir in Verantwortung für unser Land an: bei Fachkräften,
bei Europa und auch bei der Energiepolitik.
Herzlichen Dank.
({0})
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Heil, zum
großen Teil war das heilloser Unsinn, den Sie uns erzählt
haben. Wenn Sie mir jetzt weismachen wollen, dass in
der Zeit von Helmut Kohl der Economist Deutschland
als „sick man in Europe“ bezeichnet hat, dann haben Sie
Geschichtsklitterung versucht. Das funktioniert nicht.
Das stammt aus dem Jahr 2002, zu Gerhard Schröders
Zeiten. Lesen Sie die Zeitungen noch einmal nach.
({0})
Das war zu dieser Zeit. Das sollten Sie bitte auch eingestehen.
Es war Gott sei Dank so, dass damals, zu diesem Zeitpunkt, Gerhard Schröder gemerkt hat, dass es so nicht
weitergehen kann. Ich empfehle Ihnen, das Handelsblatt
von Dienstag dieser Woche zu lesen, in dem er zugibt,
dass seine Partei das zwar nicht verstanden hat, er aber
verstanden hat, dass die Situation so ist, wie sie ist, und
dass die Reformen bleiben müssen. Sie stehen doch gar
nicht mehr zu diesen Reformen. Sie wollen das doch alles gar nicht mehr wahrhaben. Sie tun doch so, als
müsste das wieder abgeschafft werden. Fragen Sie Ihren
Kollegen Barthel, der gerade gefordert hat, die Rente mit
67 abzuschaffen und die Reformen bei der Rente so zu
ändern, dass wir wieder von 43 Prozent auf 51 Prozent
kommen, etc.
({1})
All das wissen Sie. Deswegen sollten Sie das nicht verschweigen.
({2})
Sie stehen nicht zu dem, was Sie richtigerweise in den
Jahren 2004 und 2005 gemacht haben. Wir stehen dazu,
und wir wollen Ihre Reformen weiter fortführen, sodass
die Bundesrepublik Deutschland weiter vorankommt.
({3})
Denn Deutschland geht es gut. Ich bin es eigentlich leid,
dass hier immer wieder gejammert wird, dass alles ganz
fürchterlich sei.
Wir hatten noch nie seit der Wiedervereinigung so
günstige Arbeitslosenzahlen wie jetzt. Ein Thema, das
mich persönlich, auch als Unternehmer, immer wieder
beschäftigt hat, war die Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben mit weitem Abstand die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Reden Sie das doch bitte nicht
schlecht!
({4})
Die jungen Leute haben in Deutschland eine Chance.
Wir haben weniger als 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.
Suchen Sie irgendein Land in Europa, in dem das so ist!
Natürlich sind auch diese 8 Prozent noch verbesserbar.
Damit haben Sie recht. Wir müssen versuchen, diejenigen, die Ausbildungsschwierigkeiten bzw. die sogenannten multiplen Einstellungshemmnisse haben, noch in den
Arbeitsmarkt zu integrieren. Das müssen wir hinbekommen. Deswegen sollten wir gemeinsam daran arbeiten.
Das ist auch vollkommen richtig. Aber ich weiß, dass
der Bundeswirtschaftsminister seit langem auf diesem
Weg ist und das schon zu Zeiten gemerkt hat, als Sie
noch gar nicht darüber nachgedacht haben.
({5})
Wir haben diese positive Situation zu einem Zeitpunkt erreicht, an dem wir durch die Finanzkrise
Schwierigkeiten auf dem finanziellen Sektor hatten.
Trotzdem ist Deutschland die Lokomotive in Europa.
Stellen Sie sich bitte vor, was wäre, wenn Deutschland
jetzt nicht so positiv dastünde. Dann hätte Europa noch
eine ganze Menge mehr Schwierigkeiten.
Sie versuchen, jede Statistik zu verdrängen. Aber das
World Economic Forum, das Ihnen sicherlich ein Begriff
ist, hat vor einigen Tagen festgestellt, dass Deutschland
von allen großen Industriestaaten die wirtschaftlich wettbewerbsfähigste Nation ist.
({6})
Das ist christlich-liberale Politik. Darauf sind wir stolz.
({7})
Meine Damen und Herren, diese Position ist hart erarbeitet. Sie wurde von den Unternehmen zusammen mit
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeitet. Sie
wurde von den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden erarbeitet, und sie wurde von allen gesellschaftlichen Kräften gemeinsam erarbeitet. Wir haben es innerhalb von zehn Jahren geschafft, aus der Misere, in die
uns Rot-Grün gebracht hat, herauszukommen und zu der
wirtschaftlich stärksten großen Industrienation der Welt
zu werden. Es gibt zwar auch wirtschaftlich starke kleine
Industrienationen wie Singapur, aber sie haben es auch
ein kleines bisschen einfacher als wir.
Nur, es ist auch unsere Aufgabe, das Ganze zu bewahren. Damit komme ich zu meinem Lieblingsthema - Sie
haben mich eben schon darauf angesprochen, Herr Heil -,
nämlich zum Energiesektor. Im Jahr 1998 hat Bundesminister Günter Rexrodt die Liberalisierung der Energiewirtschaft begonnen. Von 1998 bis 2012 sind zwar die
Strompreise im Versorgungsanteil - das ist der Teil, den
die Hersteller bestimmen - nominell um 9 Prozent gestiegen. Aber die Steuern und Abgaben sind im selben
Zeitraum, im Wesentlichen durch Rot-Grün induziert,
um 178 Prozent gestiegen.
({8})
Genau das ist das Problem beim Strompreis: 45 Prozent
des Strompreises sind Steuern und Abgaben,
({9})
und 20 Prozent sind regulierte Netzentgelte. Das heißt,
65 Prozent der Preise im Stromsektor sind reguliert. Damals waren wir vor der Regulierung faktisch bei null.
Die Regulierung hat dazu geführt, dass nur noch bei
35 Prozent des Strompreises der Markt herrscht. Das
wird sich noch weiter verändern, weil das EEG weiter
ausgebaut wird. Das wollen Sie ja; das wollen wir ja.
({10})
Der Ausbau des EEG führt dazu, dass wir noch weniger
Markt haben werden.
({11})
Genau daran werden wir arbeiten müssen.
({12})
Der Wettbewerbsdruck beim Energiepreis wird zunehmen.
({13})
Wenn man sich anguckt, was zurzeit in der Welt passiert,
dann wird man feststellen, dass in den USA eine Revolution bei den Energiepreisen stattfindet. Man will in
Amerika über die Energiepreise eine Reindustrialisierung schaffen. Dort werden Schiefergas und Schieferöl
gefördert, und die Preise in den USA sinken heftigst.
({14})
Das macht mir erhebliche Sorgen, weil sich bestimmte
energieintensive Industrien in den USA ansiedeln werden. Dann kommt es zum Abbruch von Wertschöpfungsketten in Deutschland.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die Firma SGL Carbon,
ein Spin-Off von Hoechst, produziert nicht mehr in
Deutschland,
({15})
weil sie aufgrund der hiesigen Strompreise nicht mehr
wettbewerbsfähig Karbonfasern herstellen kann.
({16})
Das bereitet mir deswegen Sorgen, weil es sich hier um
einen Hightechwerkstoff der Zukunft handelt, um ein
Produkt, das wir für die Produktion benötigen. Ein Airbus A 380 würde nicht fliegen, wenn es solche Produkte
nicht gäbe.
({17})
Die EEG-Umlage wird weiter steigen, und zwar auch
deswegen, weil Sie als Blockierer im Bundesrat verhindert haben, dass wir eine vernünftige Solarpolitik machen können.
({18})
Der Solarausbau geht in einer Weise vonstatten, der
nicht zu verantworten ist. Im letzten Jahr waren es schon
7 500 Megawatt. In diesem Jahr wird es noch mehr sein.
Sie haben das verursacht, weil Sie uns beim Absenken
der Preise im Bundesrat blockiert haben.
({19})
Wir wollen diese Förderung senken, weil die Renditen
mittlerweile geradezu verrückt sind. Die Solarfonds, die
es überall ein Deutschland gibt, garantieren inzwischen
9 Prozent. Ich halte das für unanständig. Das ist eine
Umverteilung von unten nach oben. Die kleinen Leute
dürfen das bezahlen. Es handelt sich obendrein um eine
Umkehr des Länderfinanzausgleichs; denn NordrheinWestfalen zahlt in diesem Fall für Bayern. Nur, das haben Sie noch nicht bemerkt. Es wird aber höchste Zeit,
dass Ihnen das auffällt.
Wir werden in diesem Jahr leider - die Bundeskanzlerin hat das vor zwei Tagen angedeutet - ein kräftige Steigerung aufgrund des EEG zu verzeichnen haben. Die
EEG-Umlage wird von 3,6 Cent mit Sicherheit auf über
5 Cent pro Kilowattstunde steigen. Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass nicht nur die Haushalte der kleinen
Leute, sondern auch die gesamte mittelständische Wirtschaft, die nicht von der EEG-Umlage befreit ist - es
sind knapp 2 000 Unternehmen, die bislang befreit sind
bzw. weniger als den vollen Satz zahlen -, stark belastet
werden.
({20})
Das betrifft viele kleine Unternehmen wie Bäckereien
und Schreinereien. Neulich hat mich ein Schreiner in
meinem Abgeordnetenbüro in Koblenz besucht und mir
erklärt, dass er - weil er mit Strom Holz trocknen muss das nicht mehr bezahlen kann. Darüber müssen wir uns
Gedanken machen.
Jeder von uns hat vermutlich gestern gegen 10 Uhr
vor dem Fernseher gesessen und darauf gewartet, was in
Karlsruhe passiert.
Einzelne Kollegen haben hier gesessen, weil eine
Plenarberatung stattfand.
({0})
Herr Präsident, Sie haben vermutlich unmittelbar weitergegeben, was in Karlsruhe passiert.
Also, ich habe vor dem Fernseher gesessen - ich gebe
das zu - und sehr gespannt darauf gewartet, was in
Karlsruhe passiert. Die acht Herren
({0})
- zwei Damen; Damen und Herren, jawohl - kamen
dann in ihren Roben herein und haben uns verkündet,
dass sie den Deckel bei 190 Milliarden Euro draufmachen. Warum betone ich das so? Weil ich das für richtig
halte. Ich bin froh, dass das Urteil so gefällt wurde. Wir
haben es aber bislang nicht geschafft, beim EEG einen
Deckel draufzumachen. Das EEG ist mittlerweile teurer
als der ESM.
({1})
Das Geld für das EEG ist weg, während das Geld für den
ESM hoffentlich nie weg ist; es ist ja eine Garantie. Wir
sollten schon auf die Entwicklung achten; denn die
EEG-Umlage wird weiter steigen. Es ist dringend notwendig, dass wir das wissen.
({2})
Ich fordere die Opposition auf - weil ich es leid bin,
dass Sie uns hier im Plenum ständig vorwerfen, dass wir
es schuld sind, während Sie im Bundesrat permanent
blockieren -: Machen Sie bitte mit, Herr Heil! Helfen
Sie bitte mit, und sorgen Sie dafür, dass Ihre Kollegen
im Bundesrat nicht ständig blockieren! Fordern Sie die
Herrschaften von Rot-Grün in den Landesregierungen
auf, mitzumachen!
({3})
Das gilt nebenbei für alle anderen Maßnahmen genauso. Hier fordern Sie den Netzausbau; in den Ländern
verhindern Sie ihn. Auf regionaler Ebene gibt es permanent Bürgerinitiativen gegen jeden Netzausbau. Die
Grünen sind für mich die Nimby-Numby-NombyGesellschaft: Not in my backyard, not under my backyard and not over my backyard.
({4})
So kann es nicht gehen.
({5})
Entweder wollen wir die Energiewende gemeinsam hinbekommen - dann müssen auch Nord-Süd-Trassen gebaut werden -, oder wir lassen es sein. Aber es ist unfair,
hier etwas zu fordern und es dann in den Ländern nicht
zu machen. Bitte helfen Sie da mit! Es wird Zeit, dass
wir umdenken.
Deutschland braucht eine vernünftige Infrastruktur.
Deutschland ist darauf angewiesen, dass neue Technologien realisiert werden.
({6})
Wir müssen um eine Verbesserung der Akzeptanz von
Kraftwerken, Leitungsnetzen, Flughäfen, Autobahnen
etc. kämpfen. Es ist doch ein Drama, dass alle großen Infrastrukturprojekte immer wieder blockiert werden. Ob
Stuttgart oder München, überall gibt es Blockaden. GeDr. Michael Fuchs
nau daran müssen wir als verantwortliche Politiker in
Deutschland arbeiten, damit sich das besser entwickelt.
Es ist allerhöchste Zeit, dass wir das hier gemeinsam tun.
({7})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, Herr
Bundesminister, der mir erhebliche Sorgen für die Zukunft bereitet. Wenn wir den internationalen Handel betrachten, stellen wir fest, dass die Doha-Runde seit Jahren zu einem Stillstand gekommen ist, und das ist nicht
gut. Ein relativ kleines Land wie Deutschland ist auf
eine Struktur angewiesen, die möglichst multilateral und
nicht bilateral ist. Die Amerikaner haben sich von der
Doha-Runde und damit von der Multilateralität verabschiedet und setzen auf FTAs, Free Trade Agreements,
zwischen zwei Ländern. Das mag für ein großes Land
wie die USA funktionieren, aber für uns ist das schlecht.
Wir sind ein Land, in dem es einen großen Mittelstand
gibt. In Deutschland gibt es rund 1 500 Hidden Champions, die in der Welt Geltung haben. Diese sind aber
nicht in der Lage, für jedes Land die Handelsregeln zu
überprüfen, um mit diesem Land Handel zu treiben. Es
schadet uns also ganz gewaltig, dass es uns nicht gelungen ist, die Doha-Runde in Schwung zu bringen.
Ich weiß, dass es vor der amerikanischen Wahl überhaupt keinen Sinn macht, darüber zu diskutieren, aber
ich bin der Meinung, dass die Bundesregierung aufgefordert ist, sowohl mit Brüssel als auch mit Genf, mit
Pascal Lamy, nach der amerikanischen Wahl möglichst
bald loszulegen und zu versuchen, die bilateralen Verhandlungen in multilaterale zu überführen. Multilateralität hat immer geholfen. Das wissen wir. Deswegen bitte
ich Sie, das auf die Agenda zu setzen. In der zweiten
Hälfte des Jahres, direkt nach den amerikanischen Wahlen, muss das losgehen. Bilateralität schadet nämlich allen Beteiligten. Deswegen wäre ich froh, wenn Sie das
mit auf die Agenda setzten.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Herr Kollege Fuchs von der CDU, mein Vorredner, hat
nach meinem Verständnis hier schon einmal ganz ausdrücklich Opposition geübt. Er hat wortreich über die
wirtschaftspolitischen Zustände in diesem Land geklagt.
Verdammt noch mal, Sie regieren hier! Dann ändern Sie
was, und klagen Sie nicht nur!
({0})
Herr Minister Rösler, Sie haben im Moment ärgere
Gegner als Abgeordnete der Linken. Sie vermuten richtig: Ich meine Ihre Parteifreunde. Die gehen zwar hart,
aber nicht fair mit Ihnen um. Das könnte uns in der Opposition bei der Betrachtung Ihres Etats fast milde stimmen. Aber so viel Pfusch am Haushalt, wie Sie hier abliefern, können wir Ihnen natürlich nicht durchgehen
lassen.
({1})
Sie begegnen dem ausschließlich mit dem untauglichen
Versuch, Probleme wegzulächeln. Die Aneinanderreihung von Banalitäten, die Sie, Herr Minister, heute hier
abgeliefert haben, ist einfach nur dünne Suppe.
({2})
Wir müssen Ihren Haushalt an den aktuellen Problemen der Wirtschaft messen. Dazu einige Fakten. Die
Wirtschaft will Taten sehen. Sie wollen liefern, wie Sie
versprochen haben. Sie haben einen 6-Milliarden-EuroEtat. Wenn man davon die Subventionen für Steinkohle
und die Luft- und Raumfahrt abzieht, bleiben 3 Milliarden Euro übrig. Das macht exakt 1 Prozent des Bundesetats. Ich sage das hier nur, damit niemand aus Versehen
Philipp Rösler für einen großen Wirtschaftslenker hält
oder denkt, er dreht an einem ganz großen Rad. Mit dem,
was Sie hier anbieten, lässt sich kein Staat machen und
auch keine Wirtschaftspolitik. Sie, Herr Minister, liefern
nicht.
({3})
- Das kommt noch. - Herr Bundesminister Rösler hat
kürzlich ein wirtschaftsliberales Konzept von Otto Graf
Lambsdorff aus dem Jahre 1982 gewürdigt. So viel zur
Mottenkiste des vorigen Jahrhunderts, die Sie vorhin bemühen mussten.
({4})
Er zieht daraus die Schlussfolgerung: Wir brauchen auch
heute mehr Wirtschaftsliberalität. - Er hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz in dieser Rede glatt als Planwirtschaft bezeichnet. Ich sage Ihnen dazu: 2012 ist nicht
1982. Die Freiheit der Wirtschaft bis hinein in die kleinsten Unternehmen wird heute erheblich durch die Übermacht der Banken und der internationalen Finanzmärkte
eingeschränkt. Vernünftiges Wirtschaften kann in diesem Lande erst wieder möglich sein, wenn diese unselige Übermacht der Banken und Finanzmärkte gegenüber der Realwirtschaft überwunden ist. Das ist die
Aufgabe, vor der wir stehen.
({5})
Aber statt neue Wege aus der Krise zu suchen und die
Instabilität zu überwinden, ist Ihr Haushaltsplan eine
pure Philosophie des Weiter-so. Haushaltsposten werden
bei Ihnen von Lobbyisten überwacht, und die FDP kassiert dafür Spenden.
({6})
Man könnte auch sagen: Was Sie als Wirtschaftsminister
ausgeben, kassieren Sie als FDP-Vorsitzender wieder
ein. Aber es sind Steuergelder, die Sie ausgeben; daran
müssen Sie erinnert werden.
({7})
Wenn Sie mir das nicht glauben: Erst vor einer Woche, am 5. September, erhielt die FDP 80 000 Euro vom
Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie.
Das ist nicht meine Erfindung, sondern eine Mitteilung
des geschätzten Präsidenten. Das ist die Wahrheit in diesem Lande, und das wollen wir so nicht hinnehmen.
({8})
Es kann doch nicht wahr sein, dass ein Wirtschaftsminister auf der einen Seite Wirtschaft fördern will und auf
der anderen Seite dicke Spenden einkassiert.
({9})
Kanzlerin Merkel hat gestern von einem robusten
Wachstum und einer Arbeitslosenzahl von unter 3 Millionen gesprochen. Das sind Fakten, die anzuerkennen
sind. Fakt ist in diesem Land inzwischen aber auch, dass
über 20 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich arbeiten müssen und oftmals Zuschüsse vom Amt
brauchen. Zur Wahrheit gehört leider auch, dass diese
Zahl im Osten exakt doppelt so hoch ist; dort sind es
nämlich 40 Prozent. Dies hat Armutsrenten und Erniedrigung von Menschen zur Folge, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Dagegen hilft nur eines: ein gesetzlicher
Mindestlohn. Dazu müssten wir uns aufraffen. Dazu fehlen dieser Koalition aber der Wille und der Mut. Das ist
ein Armutszeugnis Ihrer Politik.
({10})
Ich will noch ein Wort zur Wirtschaft im Osten sagen.
Nach wie vor gibt es dort keine einzige Firmenzentrale;
wir haben es mit einer abgewickelten Industrieforschung
zu tun. Das BIP-Wachstum betrug im Jahre 2011 im Osten 2,5 Prozent, im Westen 3,1 Prozent. So geht Aufholen
nicht. Nun hat das Thüringer Wirtschaftsministerium bei
der Wirtschaftsberatung Roland Berger eine Studie bestellt. Diese Studie beinhaltet die wunderbare Idee, dass
nochmals 1 000 Milliarden Euro benötigt werden, um
den Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft in Gang
zu bringen. Das ist doch absolut absurd, weil es nach wie
vor der falschen Logik folgt, dass der Aufbau Ost als
Nachbau West vollzogen werden könnte. 1 000 Milliarden Euro ist eine so erschreckend hohe Zahl, dass man annehmen könnte, diese Studie sei in München bestellt worden und nicht in Erfurt.
Die Solarbranche ist - das wissen wir alle - in einer
schweren Krise. Herr Minister, Sie haben eine fraktionsübergreifende Einladung in die Region Bitterfeld erhalten. Diese Einladung haben Ihnen mein Kollege Korte
und andere Bundestagsabgeordnete geschickt. Sie sind
darin gebeten worden, sich die Dinge einmal vor Ort anzuschauen. Acht Wochen lang haben Sie auf diesen Hilferuf überhaupt nicht geantwortet, und dann haben Sie
eine banale, nichtssagende Absage erteilt. Das ist in einer solchen Situation einfach zynisch und nicht hinzunehmen.
({11})
Jetzt wollen Sie ein Programm zur Fachkräftesicherung im Umfang von 13 Millionen Euro auflegen. Das
klingt nach viel Geld. Aber das wären umgerechnet nicht
mehr als 150 Fachkräftegehälter. Das würde ja nicht einmal reichen, um die Lücken in Ihrem eigenen Hause zu
decken. Das ist einfach nur peinlich.
Zum Schluss komme ich, weil ich dazu aufgefordert
wurde, zum Konzept der Linken. Die Linke will eine
Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand und den Existenzgründern Chancen eröffnet und nicht verbaut,
({12})
die Arbeit schafft, von der Beschäftigte sorgenfrei leben
können und die so zu mehr Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen beiträgt.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort erhält nun die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rösler, bei allem Verständnis für den
Wunsch, gute Zahlen zu präsentieren: Sie stehen mit Ihrem Konjunkturoptimismus ziemlich alleine da. Der Finanzminister hat bei der Einbringung des Haushalts eine
deutliche Konjunkturabkühlung angekündigt, und die
OECD erwartet auch in Deutschland eine Rezession.
Wenn wir eine Konjunktureintrübung erfahren, dann ist
dieser Haushalt nur noch reine Makulatur, und das haben
Sie als Kabinettsmitglied dann auch zu verantworten.
({0})
Was Sie ebenfalls zu verantworten haben, ist das immer
weitere Einbrechen der Wirtschaft in Europa. Die Lösung der Euro-Krise wurde verschleppt und blockiert.
Sie haben viel zu einseitig auf Sparkurs gesetzt. Sie haben vergessen, dass neben das Sparen auch das Investieren gehört. Sparen und Investieren in die Zukunft
Deutschlands und Europas sind nötig. Das haben Sie
nicht gemacht.
({1})
Beim Investitionsprogramm haben wir Sie zum Jagen
tragen müssen für mehr Kapital für die Europäische Investitionsbank und für verbindliche Einsparziele bei der
Energie, die Investitionen in neue Geräte, in Baustoffe
und in Energieberatung bedeuten. Das schafft viele neue
Jobs im Handwerk. Über Monate hinweg aber hat diese
Bundesregierung die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie in Brüssel blockiert; sie musste erst in den
Schlussverhandlungen zum Fiskalpakt dazu gebracht
werden. Dabei ist die Energieeffizienzrichtlinie eines der
entscheidenden Instrumente für mehr Effizienz beim
Energieverbrauch, für neue Jobs im Handwerk und für
neue Geschäftsmodelle auf diesem wichtigen Energiesektor. Das haben Sie aus Lobbyinteressen heraus verschlafen. Wir mussten Sie zum Jagen tragen und sind
froh, dass die Energieeffizienzrichtlinie jetzt endlich umgesetzt werden muss.
({2})
Es gäbe so viel zu tun. Wo ist die steuerliche Forschungsförderung? Wo ist das Programm für Business
Angels? Wo ist das von Ihnen in Ihrer Rede erwähnte
notwendige Programm für Venture Capital, für Wagniskapital? Es gibt nichts davon. Sie sagen hier wolkig, das
sei wichtig; aber Sie machen keinen Vorschlag, wie Sie
es machen wollen. Wir sagen: Wir wollen Forschungsförderung, und wir wollen bessere Bedingungen für
Gründer.
({3})
In jeder Rede betonen Sie den Fachkräftemangel. Wir
haben Sie bei der Senkung der Einkommensschwelle für
Zuwanderung und bei der Bluecard unterstützt. Es ist
aber nicht richtig, dass Sie jetzt Mittel für die Qualifizierung von Arbeitslosen streichen. Ist denn ein Arbeitsloser für Sie keine potenzielle Fachkraft, die Sie mit Qualifizierung in den Markt holen können? Stellen Sie diese
Menschen auf das Abstellgleis? Wir sagen: Investieren
Sie in die Qualifizierung von Arbeitslosen. Das ist gut
für die Menschen, und es ist gut für die Wirtschaft. Hier
machen Sie einen kapitalen Fehler.
({4})
Wo ist Ihre ehrliche Konsolidierungspolitik? Die Mär
von der FDP als einem soliden Haushälter ist schon
lange geplatzt. Ich kann mich noch sehr gut an Ihr Liberales Sparbuch erinnern.
({5})
Davon ist immer wieder gesprochen worden. Als Sie die
Anzahl der Staatssekretäre erhöht haben, haben Sie das
Liberale Sparbuch doch in der Mottenkiste versenkt.
Jetzt schöpfen Sie das Steuerplus ab und bedienen sich
auch noch aus den Sozialkassen: mit 1 Milliarde Euro
bei der Rentenkasse, mit 2 Milliarden Euro bei der Bundesagentur und mit 2 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das nicht machen
würden, dann wären die Beiträge nicht so hoch, wie sie
es heute sind. Sie würden so deutlich mehr für die Bürgerinnen und Bürger tun, als Sie es bei der kalten Progression versprechen. Fakt ist: Sie entlasten die Bürgerinnen und Bürger nicht, sondern ziehen ihnen Geld aus
der Tasche.
({6})
Bei der eigenen Klientel ist die FDP immer besonders
spendabel. Von der Hotelsteuer will ich gar nicht reden.
Bei dem wachsweichen Spielhallengesetz aber wurden
die Ratschläge der Suchtexperten glatt ignoriert.
({7})
Ehrlich gesagt, finde ich es für einen ehemaligen Gesundheitsminister peinlich, dass Sie nicht bereit waren,
die Suchtexperten anzuhören und den Kampf gegen die
Spielsucht aufzunehmen. Was haben Sie gemacht? Sie
haben die Lobbyinteressen der Spielhallenindustrie unterstützt.
({8})
Bei niemandem war auch der Widerstand gegen die
Finanztransaktionsteuer so groß wie bei der FDP. Das
heißt ganz klar: Weder wollen Sie das Casino im Kleinen
regulieren, noch wollen Sie das Casino im Großen regulieren. Sie schauen nach Ihrer Klientel, und das war es
dann auch.
({9})
Für Grüne heißt Konsolidieren sparen, Subventionen abbauen und Einnahmen stabilisieren.
({10})
Kommen wir doch einmal zu den Subventionen. Wir
hatten ja schon das Beispiel „energieintensive Betriebe
im internationalen Wettbewerb“. Ja, für ein energieintensives Unternehmen, das im internationalen Wettbewerb
steht, braucht es Ausnahmen. Rot-Grün hat diese Ausnahmen eingeführt. Sie haben sie aber verzehnfacht.
Jetzt ist sogar der Deutsche Wetterdienst befreit. Und erklären Sie mir doch einmal, warum Sie jedes Jahr auf
40 Millionen Euro EEG-Umlage verzichten, indem Sie
die Braunkohleförderung von der Umlage ausnehmen.
Bei der Braunkohle gibt es überhaupt keinen internationalen Wettbewerb. Die Kohle wird aus dem Boden geholt und geht ins Kraftwerk. Diese 40 Millionen Euro
sind Gelder der Steuerzahler, die Sie verschwenden. Das
ist eine unsinnige Subvention.
({11})
Ein Haushalt soll wegweisend sein. Er soll immer die
Schritte in die Zukunft aufzeigen, die wir gehen: beim
Gesellschaftsbild, bei der Frage „Investieren wir in Bildung und Betreuung?“ - damit meine ich keineswegs Ihr
unsinniges Betreuungsgeld -, bei der Frage „Sparen wir,
und stabilisieren wir die Einnahmen?“ und beim Schuldenabbau. Sie sagen immer, Sie sparen. Darunter verste23076
hen Sie, die Neuverschuldung nicht weiter nach oben zu
treiben. Aber dafür, wie Sie die Schulden wirklich abbauen wollen, liegt kein Konzept vor. Wir hingegen legen Ihnen ein Konzept vor. Wir sagen: Wir müssen von
dem Schuldenstand von 80 Prozent herunterkommen.
Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
Damit können wir die zukünftigen Generationen nicht
belasten. Wir wollen den Schuldenabbau nicht durch die
Streichung bei öffentlichen Ausgaben erreichen, auch
nicht durch einen weiteren Sozialabbau, sondern dadurch, dass wir eine Vermögensabgabe einführen.
({12})
Die, die es sich wirklich leisten können, sollen in den
Schuldenabbau investieren.
({13})
Da die FDP es immer noch nicht begriffen hat, sage ich:
Eine Vermögensabgabe fließt in den Bundeshaushalt und
nicht in die Länderhaushalte. Deswegen ist es möglich,
sie ganz konkret zum Schuldenabbau zu verwenden.
({14})
Mit diesem Haushalt wird nicht ausreichend in Bildung und Betreuung investiert. Die Energiewende ist
nicht solide finanziert. Der Strukturwandel der Wirtschaft wird damit nicht vorangebracht. Dieser Haushalt
gibt das nicht her, der Wirtschaftsminister allemal nicht.
Es wird Zeit für einen Wechsel.
Vielen Dank.
({15})
Florian Toncar erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Laufe der Debatte habe ich mich gefragt, was eigentlich
ein neutraler Beobachter, ein Gast aus dem Ausland denken würde, wenn er nach Deutschland käme, sähe, wie
hier die Wirtschaft läuft, und dann diese Haushaltsdebatte über die Lage der Wirtschaft in Deutschland verfolgte. Ich glaube, er würde sich die Augen reiben angesichts des Bildes, das hier gezeichnet wird. Ich muss
auch sagen: Vieles von der Kritik, die von der Opposition gekommen ist, ist ausgesprochen kleinlich.
({0})
Wenn Sie genau hinschauen würden, dann müssten
Sie doch sehen, dass es die Bundesregierung war, die
2010 nicht nur als erste Regierung in Europa, sondern
auch als erste Regierung im Rahmen der G 20 überhaupt
gesagt hat: Wir müssen nach dieser Krise darangehen,
die Haushalte zu konsolidieren. - Das ist ein Faktum,
das nicht zu bestreiten ist. Auf dem Gipfel in Montreal
im Jahre 2010 haben die meisten unserer Partner in der
G 20 gesagt: Deutschland, warum konsolidiert ihr? Ist
das wirklich richtig? Seid ihr euch sicher? - Wir haben
gesagt: „Wir sind uns sicher“, und das hat sich als richtig
erwiesen. Wenn Sie ehrlich und redlich wären, dann
müssten Sie doch auch einmal anerkennen, dass da von
dieser Regierung frühzeitig eine richtige Entscheidung
getroffen worden ist, an der sich andere orientiert haben.
({1})
Da wir nicht so kleinlich sind, sagen wir - das zieht
sich durch alle Reden -: Natürlich haben auch Sozialdemokraten und Grüne einen Anteil daran, dass es durch
Reformpolitik zu Verbesserungen gekommen ist. Das
fällt uns überhaupt nicht schwer. Wir finden, dass man
es, wenn es gut gemacht worden ist, auch sagen kann.
Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Ich will allerdings auf eines hinweisen - das soll mein Beitrag zur
Vergangenheitsbewältigung heute sein -: In den Jahren
2003, 2004 und 2005 haben Sie einen Bundesrat vorgefunden, in dem es eine schwarz-gelbe Mehrheit gab, und
der war konstruktiv. Er hat zur Agenda 2010 gesagt: Wir
reden über die Vorschläge von Herrn Schröder; bei denen, die gut sind, machen wir mit. Es ist eine ganze
Menge gemeinsam erreicht worden. Ich würde mir wünschen, Sie hätten heute im Bundesrat auch einmal die
Größe, zu sagen: Da kommt ein Vorschlag von der Bundesregierung. Es ist zwar nicht unsere Bundesregierung,
aber das hilft dem Land. Deshalb fördern wir energetische Gebäudesanierung, deshalb sorgen wir für einen
Abbau der kalten Progression, deshalb helfen wir mit,
die Strompreise zu begrenzen. - Ihnen fehlt diese Größe,
diese Fähigkeit, sich zu einigen und daran mitzuwirken,
dass etwas besser wird. Das ist der Vorwurf, den man Ihnen heute machen muss.
({2})
Natürlich machen wir mit diesem Haushalt und in der
Wirtschaftspolitik allgemein viele richtige Dinge, die
uns weiterbringen. Ich will die Verschärfung des Kartellrechts erwähnen: von Rainer Brüderle auf den Weg
gebracht, durch Philipp Rösler nun nahezu auf die Zielgerade in der parlamentarischen Beratung. Wir wollen,
dass Fusionen strenger kontrolliert werden, dass das
Kartellamt eine Missbrauchsaufsicht im Energiesektor
ausüben und einschreiten kann, wenn ein Energieunternehmen seine Stellung am Markt missbraucht und die
Verbraucher zu viel Geld zahlen müssen. Das ist doch
eine vernünftige Sache. Es kann wirklich keiner sagen,
dass da nichts passiert.
({3})
Nehmen Sie das Beispiel Fachkräfte. Wir kümmern
uns darum, dass die Unternehmen die nötigen Fachkräfte bekommen, und zwar nicht nur aus dem Ausland,
sondern auch aus dem Inland. Da wir heute über den
Etat des Bundeswirtschaftsministers reden, will ich das
Programm „Berufliche Bildung“ erwähnen, für das
74 Millionen Euro bereitgestellt werden. Da geht es
zum Beispiel darum, überbetriebliche Lehrgänge, also
Lehrgänge für Mitarbeiter aus mehreren Betrieben, vor
allem im Handwerk zu ermöglichen und zu unterstützen
oder überbetriebliche Bildungsstätten zu fördern, damit
Betriebe, die alleine keine Lehrgänge anbieten würden,
weil sie zu klein sind, die Möglichkeit haben, das
gemeinsam mit anderen zu machen. Es ist schlichtweg
falsch, was der Kollege Heil gesagt hat, nämlich dass wir
uns nicht um die Fachkräfte im Inland kümmern. Hätte
er diesen Haushalt gelesen oder verstanden, dann hätte
er so etwas hier nicht ernsthaft behaupten können.
({4})
Natürlich kümmern wir uns auch um das wichtige
Thema Gründungen; auch das können Sie in diesem
Haushalt nachlesen. Es gibt dort die bewährte Initiative
„Gründerland Deutschland“. Hier wird es das neue Programm „Investitionszuschuss Wagniskapital“ geben für
junge, innovative Unternehmen, die einen Partner brauchen, damit sie ihre Ideen umsetzen können. Ich glaube,
dass das sehr wichtig ist, weil es in den nächsten Jahren
viele Altersabgänge geben wird und viele Unternehmen
sagen werden: Wir hören auf. - Sie würden ihr Unternehmen gerne übergeben.
({5})
Wenn wir darauf keine Antwort haben, wenn wir keine
jungen Menschen finden, die sagen: „Ich gehe das
Risiko ein, ich mache das“, dann kann das Problem auftreten, dass Unternehmen verschwinden, die eigentlich
gut sind und gebraucht werden. Um all diese Dinge
kümmern wir uns, und das sieht man auch im Haushalt.
Erfreulich ist übrigens, dass in den letzten drei Jahren
in Deutschland mehr Unternehmen gegründet als liquidiert worden sind. Wir haben jedes Jahr ungefähr
400 000 Gründungen und ungefähr 380 000 Unternehmen, die vom Markt verschwinden. Das heißt, wir haben
einen positiven Saldo: jedes Jahr ungefähr 20 000 bis
30 000 Unternehmen mehr. Das zeigt doch, dass viele
Menschen darauf vertrauen, dass sie hier in Deutschland
die Chance bekommen, ein eigenes Unternehmen zu
gründen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sollten wir
falsche Dinge bleiben lassen. Es ist sicherlich nicht richtig, einfach nur die Frage zu stellen: Was tun Sie? Es
geht auch darum, Dinge, die der Wirtschaft schaden, die
Arbeitsplätze gefährden, bleiben zu lassen. Dazu zähle
ich höhere Steuern und eine Regulierung des Arbeitsmarktes, die über das hinausgeht, was wir haben, oder
weitere ungedeckte Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme, gleich welcher Art.
Ich bin übrigens sehr gespannt, wie sich die wirtschaftliche Lage in Frankreich entwickeln wird, unter
einem Präsidenten, der Ihnen ja sehr nahe steht und der
jetzt ausprobiert, was Sie gerne hätten. Ich bin mir sehr
sicher, dass wir in drei, vier, fünf, sechs Monaten sehen
werden, ob das wirklich die bessere Alternative zur Politik dieser Regierung ist. Ich bin sehr zuversichtlich, dass
wir dann im Bundestagswahlkampf vergleichen können:
Wollen wir das Modell Hollande/Gabriel, oder wollen
wir das Modell Merkel/Rösler?
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Klaus Brandner hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute den Einzelplan 09,
den Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft und
Technologie, beraten, um nachvollziehen zu können, ob
den großen Worten, die wir gehört haben, tatsächlich
Taten folgen können. Dafür muss man in den Haushaltsplan schauen; man darf nicht nur den großen Worten lauschen.
Schön ist, dass der Haushaltsplan Ihres Ministeriums
zwischenzeitlich auf Anregung des Bundesrechnungshofs und des Bundesfinanzministeriums transparenter,
übersichtlicher und vergleichbarer geworden ist. Damit
haben wir die Möglichkeit, die Vorhaben einfacher nachzuvollziehen; aber wir haben auch die Möglichkeit,
schnell nachzuschauen, welche Schwerpunktsetzungen
und welche Linien der Haushalt beinhaltet.
Wir kommen zu dem Ergebnis, dass es große Probleme gibt. Zum einen können wir feststellen, dass sich
die Veränderung des Haushalts in diesem Jahr mit
1,2 Prozent noch im Plusbereich bewegt. Aber wir haben
eine Berg- und Talfahrt hinter uns, und in der mittelfristigen Finanzplanung gibt es eine ähnliche Entwicklung.
Es scheint, dass es nur noch willkürliche Steigerungen
und willkürliche Absenkungen gibt; denn sie machen
politisch gesehen häufig wenig Sinn.
Herr Rösler hat heute bei seinem Vortrag nicht
benannt, welche Lehren er aus der Finanz- und Schuldenkrise zieht. Es stellen sich doch viele Fragen: Wie
wollen wir daraus herauswachsen? Auf welchen Feldern
wollen wir wachsen? Welche ambitionierten Ziele setzen
wir uns? Welche Aktivitäten wollen wir im Haushalt
systematisch positiv abbilden? Es fehlt einfach an klaren
Antworten.
({0})
Ein Blick auf den mittelfristigen Finanzplan zeigt,
dass es fast nur noch Absenkungen des Haushalts gibt:
2014 minus 0,6 Prozent, 2015 minus 1,8 Prozent usw.
Mit Wachstum hat eine solche Haushaltsentwicklung
sicherlich nichts zu tun. Man muss sich doch die Frage
stellen: Wie will ich den demokratischen Gestaltungsspielraum nutzen, um politische Impulse zu setzen, um
den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht zu
werden, wenn ich einen solch mickrigen Haushalt mit so
falschen Weichenstellungen vorlege?
Ich möchte den Themenbereich Energiewende ansprechen. Ich bekomme mehr und mehr den Eindruck,
dass Sie, Herr Minister, die Energiewende eher als Wahlkampfthema denn als Aufgabe von wachsender gesellschaftlicher Bedeutung begreifen.
({1})
Wir wissen, dass uns die Energiewende vor große Herausforderungen stellt. Der beschleunigte Ausstieg aus
der Atomkraft im letzten Jahr war eine richtige Entscheidung. Ihre Parteinahme für die Atomkraft zu Beginn der
schwarz-gelben Regierungszeit, 2009/2010, und das
Zurückschrauben der Energiewende, die SPD und Grüne
im Jahr 2000 beschlossen hatten, waren nicht nur ein falsches Signal. Das hat auch verunsichert und dazu
geführt, dass Entwicklungen in den Bereichen Energieeffizienz, Energieeinsparung und regenerative Energien
nicht beschleunigt, sondern verzögert wurden. Sie haben
mit Ihrer schwarz-gelben Politik das Land zurückgeworfen und nicht nach vorne gebracht.
({2})
Die langfristigen Projekte hätten längst angegangen
werden müssen. Ich nenne nur das Stichwort „Netzausbau“. Während Sie, Herr Minister, von erheblichen Fortschritten beim Ausbau der Netze sprechen, kritisiert die
Bundesnetzagentur, dass bei den Projekten, die schon vor
2009 angestoßen wurden, massive Verzögerungen zu beobachten seien. Ich will sie konkret benennen: 214 Kilometer von insgesamt 1 800 Kilometern Leitung sollten
fertiggestellt werden; von 24 Leitungen sind aber bisher
nur 2 in Betrieb genommen. Hinzu kommt, dass die vorgesehenen 1 800 Kilometer nicht ausreichen werden,
wie die Bundesnetzagentur festgestellt hat. Sie sagt
außerdem, dass laut Netzentwicklungsplan davon auszugehen ist, dass 4 400 Kilometer Leitung im bestehenden
Netz optimiert werden müssen und weitere 3 800 Kilometer neue Stromleitungen benötigt werden.
Sie wollen die Bauzeit nun deutlich verkürzen, von
zehn auf vier Jahre. Wir werden Sie beim Wort nehmen.
Sie wollen das erreichen, indem Sie richterlich entscheiden lassen und dafür sorgen, dass es nur einen Rechtszug
gibt. Außerdem wollen Sie die Umweltauflagen vorübergehend außer Kraft setzen. Anstatt die Menschen
aufzuklären, die Bürger mitzunehmen, ihnen die Notwendigkeiten zu erklären, wollen Sie von oben herab
den Prozess par ordre du mufti durchsetzen. Das ist gegen die Menschen, das ist kein demokratischer Prozess.
Wir finden das nicht in Ordnung.
({3})
Vor dem Hintergrund, dass wir die Energiewende
brauchen und den Netzausbau daher dringend vorantreiben müssen, machen Sie sich völlig unglaubwürdig,
wenn in dem von Ihnen vorgelegten Haushaltsentwurf
vorgesehen ist, dass die Mittel für Aktivitäten zur Verbesserung der Energieeffizienz um 2 Prozent zurückgefahren und die Mittel für die Energieforschung sogar um
4,8 Prozent gekürzt werden. Das sind doch Maßnahmen,
die Ihrem Ansinnen widersprechen. Das bringt das Land
nicht nach vorne. Das ist eine falsche Prioritätensetzung,
die Sie und auch die Bundeskanzlerin zu verantworten
haben.
Wenn ich von Prioritäten spreche, dann will ich aber
auch klar sagen, dass Sie deutlich machen müssen, dass
Sie mit der regionalen Wirtschaftsförderung dafür einstehen, dass das wirtschaftliche Wachstum in bestimmten Regionen unserer Republik deutlicher zurückgeht.
Das Handelsblatt titelte in den letzten Tagen „Stillstand
Ost“ -:
Die Aufholjagd in Ostdeutschland ist zum Erliegen
gekommen. Die Produktivität stagniert weit unter
Westniveau, die Lebensverhältnisse entwickeln sich
wieder auseinander.
Es heißt weiter, die an sich positive Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt spiegele sich nicht in den jeweiligen
Einkommensverhältnissen wider, weil diese immer noch
lediglich 80 Prozent des Westniveaus betragen. - In dieser Situation kürzen Sie die Fördermittel der GRW, also
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, um 4,9 Prozent. Sie machen also
das Gegenteil von dem, was dringend notwendig ist,
nämlich dafür zu sorgen, dass wir in diesem Land nicht
nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche
Einheit haben. Sie machen damit in diesen Regionen
Politik gegen die Menschen.
({4})
Ich finde, Ihre Worte und Taten passen nicht zusammen. Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Sie sagen:
Wir wollen Politik für den Mittelstand machen; wir
machen Politik für die KMUs. Tatsächlich aber fördern
Sie Großprojekte, zum Beispiel eines in Vietnam mit
insgesamt einem Zuschuss von 90 Millionen Euro und
weiteren finanziellen Zusicherungen. Interessant ist in
dem Zusammenhang, dass Sie bei der Erläuterung dieses
Projekts in Ihrem Haushaltsentwurf schreiben:
Durch eine Mitwirkung deutscher Unternehmen
könnten nach ersten Schätzungen
- wohlgemerkt: mit 90 Millionen Euro Zuschuss voraussichtlich 200 Arbeitsplätze für den Zeitraum
von fünf Jahren, davon 50 Prozent bei mittelständischen Unternehmen, gesichert werden.
Ist das nicht eine Förderung, die völlig unwirtschaftlich
ist? Müssten solche Beträge nicht in andere Bereiche
gesteckt werden, in Bereiche wie Existenzgründung,
Weiterbildungsmaßnahmen und Qualifizierungsmaßnahmen, um Menschen zu befähigen, den wirtschaftlichen
Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden?
({5})
Genau das tun Sie nicht genügend. Deshalb sage ich
Ihnen - und ziehe damit ein Fazit -: Der Haushaltsentwurf, den Sie vorlegen, entspricht nicht Ihren Worten
von heute Morgen. Er muss dringend nachgebessert werden. Ich hoffe, dass Sie die Anregungen aus der heutigen
Debatte ernst nehmen und dafür sorgen, dass wir uns in
der Schlusslesung mit einem deutlich verbesserten Entwurf beschäftigen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Gerade heute erinnere ich mich an die große Wirtschaftsdebatte vor zehn Jahren. Damals habe ich in der
fünften Reihe gesessen, hatte eine rote Laterne dabei und
habe versucht, sie dem Bundeskanzler Schröder zu überreichen.
({0})
Warum? Weil die Bundesrepublik Deutschland damals
mit der rot-grünen Koalition am Ende des europäischen
Geleitzuges war.
({1})
- Ich bin schon stolz, dass ich darauf verweisen konnte.
Ja, aber der Versuch ist damals schon am amtierenden
Präsidenten gescheitert. Das ist Ihnen in Erinnerung?
({0})
Wenn die rote Laterne heute als zeitgeschichtliches
Dokument im Haus der deutschen Geschichte in Bonn
noch zu sehen ist, dann habe ich erreicht, was ich damals
erreichen wollte, nämlich den Leuten plakativ klarzumachen, wo wir uns befinden.
({0})
Jetzt können wir feststellen: Es hat sich vieles verändert.
Wir stehen in der Bundesrepublik Deutschland dank
einer hervorragenden Bundesregierung und einem guten
Wirtschaftsminister blendend da. Es gilt, das aufrechtzuerhalten und darauf stolz zu sein, weil wir von allen anderen Ländern darum beneidet werden.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist „in“. Sie von der linken Seite
dieses Hauses sollten endlich einmal eingestehen, dass
dem so ist. Hören Sie doch auf mit Ihrer Schwarzmalerei
und der Panikmache! Seien Sie bereit, zu erkennen, was
sich momentan auf dem Gebiet der Wirtschaft zeigt:
dass sich die deutsche Wirtschaft in einem schwierigen
europäischen Umfeld nämlich weiterhin als großartig robust erweist. Der private Konsum profitiert von günstigen Rahmenbedingungen, die Exporte der deutschen
Wirtschaft stiegen bis zuletzt kräftig, die Beschäftigung
nimmt weiter zu und stützt die Binnennachfrage. Darauf
können und sollen wir besonders stolz sein; denn noch
nie waren in Deutschland so viele Menschen in Lohn
und Brot wie heute.
Kein Land in Europa ist so gut durch die Krise gekommen wie gerade unser Land. Daran haben alle mitgeholfen, die einen mehr, die anderen weniger. Wir stehen blendend da. Das ist vor allen Dingen das Verdienst
unserer tüchtigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber
auch das der deutschen Wirtschaft.
({2})
- Den habe ich vorhin schon erwähnt. Verehrter Kollege
Lindner, da Sie es hören wollen, möchte ich noch einmal
sagen, dass wir mit Herrn Rösler einen ausgezeichneten
Wirtschaftsminister haben. Jetzt haben Sie es noch einmal amtlich gehört.
({3})
Vor allem die vielen Mittelständler, die als Rückgrat die
deutsche Wirtschaft so stark machen und ihre Unternehmen besonnen durch unruhige Fahrwasser der Krise
steuern, haben einen enormen Beitrag dazu geleistet,
dass dem so ist.
Die Bilanz, insbesondere unseres Mittelstandes, ist
beeindruckend:
({4})
490 000 neue Arbeitsplätze, 33,3 Millionen Beschäftigte
und ein Umsatzzuwachs von 3,4 Prozent im Jahr 2011.
Für das laufende Jahr wird ein weiteres Umsatz- und Beschäftigungswachstum erwartet. Allein 210 000 neue
Arbeitsplätze könnten entstehen, weil insbesondere das
Handwerk in der Erfolgsspur bleibt, vor allem wegen der
stabilen Binnennachfrage, die wir verzeichnen können.
Mit diesen Daten können wir uns, wie erwähnt, wahrlich sehen lassen und müssen wir den Vergleich mit anderen Ländern nicht scheuen. Aber was tun wir in
Deutschland? Wir machen uns doch schon langsam lächerlich und schaden unserem guten Ruf in der Welt,
weil wir es nicht auf die Reihe bekommen, dringend notwendige Großprojekte vernünftig zu verwirklichen. Ob
der Berliner Flughafen, ob Stuttgart 21, ob der Donauausbau, ob die dritte Startbahn am Münchner Flughafen
usw. usf.: Geben Sie auf der linken Seite sich doch endlich einmal einen Ruck, und sorgen Sie dafür, dass die
Bundesrepublik Deutschland das Vorzeigeland in der
ganzen Welt bleibt und dass andere weiterhin animiert
werden, uns das nachzumachen! Aufgrund genannter
Gegebenheiten werden Sie nicht das bekommen, was Sie
brauchen.
({5})
- Herr Beck, Sie können den Kopf schütteln, hin- und
herwanken und dergleichen mehr, aber es wäre ganz gut,
wenn Sie das einmal aufgreifen und Ihren Sachverstand
auf diesem Gebiet ein bisschen erweitern würden.
({6})
Warum sage ich das alles? Ich sage das, weil die
große Mehrheit im Lande dies von uns erwartet.
Deutschland war Vorreiterland und soll es auch heute
und morgen bleiben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte
Haushalt ist meiner Meinung nach gut geschnürt. Er
stellt richtige Weichen, es werden richtige Akzente gesetzt.
({7})
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden
durch Investitionszuschüsse für Wagniskapital in Gesamthöhe von 30 Millionen Euro zur Verbesserung der
Finanzierungssituation junger, innovativer Unternehmen
auf hohem Niveau fortgeführt. Frau Kollegin Andreae,
({8})
ich möchte Antworten auf Ihre Fragen geben. Das war
die erste Antwort.
Mit meiner zweiten Antwort richte ich mich an den
Kollegen Brandner. Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ werden mit dem Ziel der Verstetigung um 33 Millionen Euro angehoben.
Drittens. Wir nutzen jetzt das inländische Arbeitskräftepotenzial besser und haben ein Fachkräftekonzept erstellt, den Ausbildungspakt verlängert und das duale
System gestärkt.
Viertens. Außerdem werden wir die Rahmenbedingungen für die Finanzierung mittelständischer Unternehmen bei der jetzt anstehenden Basel-III-Gesetzgebung
fest im Blick haben. Das erwartet gerade der Mittelstand
von uns.
Fünftens. Beim Bürokratieabbau sind wir vorangekommen. Bürokratie ist - das ist doch unbestritten - die
Geißel der Wirtschaft. Bürokratieabbau ist ein Wachstumsprogramm zum Nulltarif. Dadurch wird der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt und zukunftsfähig
gemacht. Ich möchte Ihnen ins Gedächtnis rufen: Vor
fünf Jahren mussten deutsche Unternehmen jährlich
noch rund 50 Milliarden Euro für amtliche Statistiken,
Antragsformulare, das Ablegen von Rechnungen usw.
aufwenden.
Herr Kolleg Hinsken, darf der Kollege Seifert Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich, gerne.
Herr Kollege Hinsken, Sie wissen aus eigener Erfahrung sehr gut, welches Fachkräftepotenzial unter Menschen mit Behinderungen vorhanden ist. Erklären Sie
mir doch jetzt bitte einmal, warum in Ihrer famosen
Fachkräfteinitiative, die von Ihrem Ministerium und
Ihrer Regierung veröffentlich worden ist, zwar an die
Expertise von alten Menschen, von Frauen sowie von
Migrantinnen und Migranten gedacht wurde, aber nicht
an die hunderttausend gut ausgebildeten Menschen mit
Behinderungen, die keinen Job haben. Wollen Sie da
wieder eine Sonderlösung finden, oder wollen Sie sie
endlich einmal inkludieren?
Herr Kollege Dr. Seifert, ich bin dankbar für die Zwischenfrage, weil gerade diese Bundesregierung die Behinderten nicht am Rande stehen lässt, sondern in die
Entscheidungsfindung einbezieht. Sie hat in den letzten
Jahren vieles getan, dass sie besser integriert werden,
dass die Wirtschaft bereit ist, auf sie zuzugehen, und
dass die notwendigen Bildungsmaßnahmen aufgelegt
werden, die erforderlich sind, um sie zielgerichtet einsetzen zu können, sobald es eine Möglichkeit dazu gibt. Ich
meine, das sind nicht Menschen zweiter Klasse, sondern
Menschen wie du und ich. Ich habe selbst eine schwerstbehinderte Enkelin. Ich weiß, wovon ich spreche. Deshalb meine ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Auf
diesem Weg werden wir weitergehen. Wir werden die
Behinderten so einbeziehen, wie es erforderlich ist, und
wir werden die Wirtschaft weiter dazu animieren.
({0})
Ich nenne den Zehn-Punkte-Katalog. Wir haben steuerliche Freiräume geschaffen, zum Beispiel durch Erleichterungen im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, das unter anderem Änderungen bei der
Erbschaftsteuer und der Abschreibung geringwertiger
Wirtschaftsgüter mit sich brachte.
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Der Gründergeist wurde gestärkt, und die Unternehmensnachfolge
wurde erleichtert. Die Eigenkapitalquote des deutschen
Mittelstandes - das möchte ich noch sagen dürfen - ist
seit 2005, aber insbesondere im letzten Jahr in 43 Prozent der Betriebe gestiegen. Sie lag 2011 bei 20,7 Prozent. Auch zur Sicherung der Rohstoffversorgung haben
wir etwas unternommen. Die Investitionstätigkeit ist gegenüber dem Vorjahr beinahe unverändert.
Das ist gut. Die Unternehmen wissen, dass wir die
Politik machen, die sie brauchen, damit sie weiterhin
existieren können, damit sie weiterhin zu Innovationen
bereit sind, damit sie weiterhin bereit sind, zu investieren
und Arbeitsplätze zu schaffen; denn dadurch sorgen sie
mit dafür, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland
auf dem Wohlstand, den wir uns erarbeitet haben, aufbauen können. Grundlage dafür ist in erster Linie unsere
Politik.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nun spricht die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die
OECD warnt vor einer Rezession im zweiten Halbjahr
2012 in Deutschland, Kollege Hinsken. Nicht wir betreiben Schwarzmalerei, wie Sie uns eben vorgeworfen haben, sondern Sie und Ihr Minister betreiben Schönfärberei der Entwicklung und nicht Vorsorge gegen eine
Krisenanfälligkeit. Das ist das Problem, das alle Redner
von der Opposition hier angesprochen haben.
({0})
Nach wie vor ist die deutsche Wirtschaft von der boomenden Exportwirtschaft abhängig. Frau Merkel hat
gestern in ihrer Rede gesagt: Wenn es Europa gut geht,
geht es Deutschland gut. ({1})
Andersherum wird leider ein Schuh daraus: Infolge vor
allem Ihrer Politik geht es der Mehrheit der Menschen in
Europa schlechter statt besser.
({2})
Rezession, Arbeitslosigkeit, Armut und öffentliche
Schulden haben infolge Ihrer europäischen Krisenpolitik
zugenommen. Das europäische Spardiktat, das vor allem
Sie den europäischen Krisenländern aufzwingen, kommt
inzwischen als Bumerang zurück. Die Auftragsrückgänge gerade aus den südeuropäischen Krisenländern
können auf Dauer nicht durch Export nach China, in die
Schwellenländer oder vielleicht in Zukunft auf den
Mond ausgeglichen werden.
({3})
Das von Ihnen versprochene Wachstumsprogramm
für Europa besteht im Wesentlichen aus Luftbuchungen.
Es werden keine zusätzlichen Mittel für den Aufbau in
den Krisenländern bereitgestellt, geschweige denn ein
öffentliches Investitionsprogramm für einen sozialökologischen Umbau und für Infrastrukturmaßnahmen in
Europa vorgeschlagen.
({4})
- Ich rede zum Wirtschaftsetat.
Auch Ihre viel beschworene Stärkung der Binnennachfrage kommt nicht in Schwung, woher auch bei einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf flächendeckende Ausweitung von Niedriglöhnen, Leiharbeit und
prekärer Beschäftigung setzt.
({5})
Zwar haben die Gewerkschaften Lohnsteigerungen
durchgesetzt, doch das reicht nicht aus. Herr Lindner,
8 Millionen Beschäftigte arbeiten in befristeten und in
Teilzeitjobs oder kommen nicht aus der Leiharbeit heraus, 760 000 Rentnerinnen und Rentner müssen mit Nebenjobs ihre Armutsrente aufbessern, davon sind
120 000 älter als 75 Jahre. Ist das Ihr Wohlstand für alle,
den Sie erreicht haben, Herr Rösler? Bekämpfen Sie
endlich die Armut und die prekäre Beschäftigung! Stoppen Sie die Absenkung des Rentenniveaus und die Altersarmut! Das wäre die Förderung von Leistungsgerechtigkeit, Herr Rösler.
({6})
Mindestsicherung, Mindestlohn und Mindestrente
sind längst überfällig, werden aber gerade von Ihnen immer wieder blockiert. Zukunftsfähigkeit sieht anders aus.
Sie erfordert Krisenvorsorge im Haushaltsentwurf statt
eines Schönwetterhaushalts. Statt einer Wirtschaftspolitik des Wettbewerbs um Armut und unsichere Lebensverhältnisse brauchen wir eine Orientierung an sozialer
und ökologischer Nachhaltigkeit.
({7})
Es ist höchste Zeit für Investitionen in ein soziales
und ökologisches Zukunftsprogramm in Deutschland
und in Europa, doch dazu findet man in Ihrem Haushalt
schlichtweg nichts. - Der Kollege möchte mich, glaube
ich, etwas fragen.
Das mag sein. Ich stelle die Bereitschaft der Rednerin
fest, das zuzulassen. - Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Kollegin Lötzer, Sie haben gerade nach Wachstumsimpulsen gerufen. Sie wollten ja auch eigentlich
zum Wirtschaftshaushalt sprechen. Weil Sie in der
Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ immer eine sehr wachstumskritische Haltung
einnehmen, frage ich mich an dieser Stelle: Worum geht
es Ihnen denn jetzt? Welche Lösung wollen Sie in dieser
Krise? Geht es Ihnen um mehr Wachstum und Ressourcenschonung, oder geht es Ihnen um weniger Wachstum
und Beschädigung des Industriestandorts Deutschland,
({0})
der die Grundlage für die höchste Beschäftigung ist, die
wir seit langem in diesem Land gehabt haben?
Herr Heider, auch in der Enquete-Kommission führen
wir schon lange diese Auseinandersetzung. Es geht um
Entwicklungsziele in dieser Gesellschaft, die sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig sind. Es geht darum,
die dafür notwendigen Maßnahmen zu treffen. Es geht
nicht um ein Wachstum im Wettbewerb um Niedriglöhne, um die niedrigsten Steuern für Vermögende, um
sozusagen die höchste Armut. Unsere Politik ist dadurch
gekennzeichnet, dass wir uns an Entwicklungszielen für
die Gesellschaft orientieren. Wir fordern Investitionen in
sozialen und ökologischen Umbau. Wir fordern auch soziale Absicherung gegen die Armut. Wir fordern eine
Regulierung der Finanzmärkte, um die Wirtschaft in die
Lage zu versetzen, die notwendigen Umbrüche auch in
der Wirtschaft zu vollziehen. Wachstum kann dabei
durchaus ein Ergebnis sein. Wir haben nie auf Schrumpfung gesetzt, aber wir haben andere Orientierungen als
Sie.
({0})
Der Klimawandel und die Konflikte um Rohstoffe erfordern schon längst aktive Industriepolitik. Umwelttechnologien, Materialproduktivität, Energieeffizienz und
Kreislaufwirtschaft müssen gefördert werden. Aber davon findet man bei Ihnen nichts. Vielmehr kürzen Sie die
Forschungsmittel für Energieeffizienz. Neue Dienstleistungen sind gefragt: Mobilitätsdienstleistungen, Recyclingsammelstellen, Energieberatung usw. Wenn der
Staat nicht den richtigen Rahmen setzt und keine Zukunftsinvestitionen tätigt, ist der Zug abgefahren.
Kommen wir nun zur Energiepolitik. Sie sind nichts
anderes als ein Energiewendeverhinderungsminister.
({1})
Seit Wochen predigen Sie landauf, landab, wie auch hier
heute, die Stromkosten, die Energiekosten würden wegen der erneuerbaren Energien und des EEG steigen.
Das ist von vorne bis hinten heuchlerisch.
({2})
Sonne und Wind führen seit Jahren zu einer Senkung der
Strompreise an der Börse.
({3})
Das Bundesumweltministerium bezifferte diesen Effekt
im Juni mit 2,8 Milliarden Euro. Aber davon kommt bei
den Privatkunden nichts an.
Im Juli wurde bekannt, dass Eon mit den Gaslieferanten günstigere Preise ausgehandelt hat. Aber für den Privatkunden wurden die Preise im gleichen Atemzug erhöht. Was tun Sie gegen diese Preistreiberei, Herr
Rösler?
({4})
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat
gerade ermittelt, dass die Subventionen und Folgekosten
für Kohle- und Atomstrom wesentlich höher sind. Dies
merkt nur niemand, weil sie nicht über eine Umlage,
sondern über die Steuern finanziert werden. Würden
diese auf den Strompreis umgelegt, wären sie mit
10,2 Cent pro Kilowattstunde dreimal so hoch wie die
gegenwärtige EEG-Umlage.
Auch sagen Sie den Menschen nicht, dass die EEGUmlage viel niedriger sein könnte, wenn Sie die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen nicht so weit
ausgedehnt hätten.
({5})
Eine solche Politik ist eben nicht nur unsozial; sie zerstört auch die Umwelt, weil damit Maßnahmen in Energieeffizienz unterbleiben. Sie begrenzen die Strompreise
nicht, sondern Sie treiben sie mit Ihrer Politik für die
Verbraucher in Höhe.
Auch die IG Metall fordert eine Reduzierung der
Ausnahmeregelungen
({6})
und die Wiedereinführung von Transparenz und Preiskontrolle bei den Energiepreisen.
({7})
Das unterstützen wir. Wir meinen darüber hinaus, dass
800 000 Haushalten im Land nicht der Strom abgesperrt
werden kann, damit Sie schamlos die Großkonzerne bedienen können. Wir brauchen endlich auch einen Sozialtarif, der eine Mindestversorgung mit Energie sicherstellt.
({8})
Herr Rösler, Sie machen nicht nur keine Wirtschaftspolitik; Sie blockieren sinnvolle Wirtschaftspolitik im
Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb wäre der beste Sparvorschlag für den Haushalt, Ihr
Ministerium bzw. Ihren Ministerposten abzuschaffen.
Aber darauf müssen wir wohl noch mindestens ein Jahr
warten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege
Brandner das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich die Gelegenheit
bekomme, noch kurz zu dem Beitrag des von mir geschätzten Kollegen Hinsken Stellung zu nehmen.
Herr Hinsken hat ausgeführt, ich hätte in meinem Redebeitrag dargestellt, die GRW-Förderung würde um
27 Millionen Euro gesenkt. Er hingegen war der Auffassung, dass sie steigt. Ich habe gerade nachgeschaut: Ich
habe aus dem Haushaltsplan 2013 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zitiert. Kollege
Hinsken, entweder haben Sie einen anderen Entwurf,
oder Sie haben aus der Rede des letzten Jahres zitiert.
Sie haben nämlich auch von anderen positiven Ergebnissen gesprochen. Vielleicht haben Sie aus Versehen wirklich aus einer Rede der Vergangenheit zitiert. Vielleicht
nehmen Sie einmal Stellung dazu. Die Datenlage aus
dem Ministerium drückt jedenfalls aus: Die GRW-Förderung soll von 2012 auf 2013 um 27 Millionen Euro reduziert werden. Das war eine kritische Anmerkung von
mir. Ich würde mich darüber freuen, wenn Sie das richtigstellen könnten.
({0})
Herr Beck, wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Herr Kollege Brandner, wir haben in der Vergangenheit immer dafür gestritten, dass die Mittel zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur erhöht werden.
Heute sind wir dabei, den Haushalt, der eingebracht
wurde, in erster Lesung zu beraten.
({0})
Wir werden ihn weiterhin genau unter die Lupe nehmen.
Dabei gehe ich davon aus, dass man meinen Aussagen
nachkommt. Ich habe das nicht einfach so gesagt, sondern meine Aussagen sind fundiert. Ich habe sie eruiert
und bin zu dem Schluss gekommen, dass das etwas Vernünftiges, Gutes und Richtiges ist. Was die Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur angeht, müssen auch
die Konversionsmittel, die aufgrund der Schließung verschiedener Bundeswehrstandorte zur Verfügung gestellt
werden, einbezogen werden. Ich befürchte, Sie haben sie
nicht berücksichtigt und sind deshalb zu anderen Ergebnissen gekommen als ich.
Sie dürfen versichert sein, dass ich über meine Fraktion so gut wie möglich auf den Bundeswirtschaftsminister Einfluss nehmen werde,
({1})
um darauf hinzuwirken, dass das bewährte Instrument
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ aufrechterhalten bleibt. Wir brauchen es nämlich dringend. Es hat sich, wie gesagt, bewährt. An Bewährtem wollen gerade wir KonservativLiberale immer festhalten.
({2})
Tobias Lindner ist nun der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Haushaltsdebatte heute Morgen verfolgt, könnte den Eindruck
haben, der Bundeswirtschaftsminister habe über etwas
anderes als über seinen eigenen Haushaltsplan gesprochen.
({0})
Herr Rösler, Sie haben gesagt, die Bundesregierung
stehe für solide Haushalte. Der Bundesfinanzminister
hat gestern dargestellt, welche Konsolidierungsbemühungen Sie anstellen und wie Sie den Haushalt konsolidieren würden. Ehrlich gesagt, würde ich gerade bei einem Haushaltsplan des Bundeswirtschaftsministeriums
erwarten, dass dieser konjunkturell atmet und dass gerade der Etat des Wirtschaftsministeriums in Zeiten guter Konjunktur einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erbringt.
({1})
Schaut man sich Ihren Entwurf an, erkennt man aber:
Fehlanzeige.
Sie geben im nächsten Jahr 75 Millionen Euro mehr
aus. Hinzu kommt eine globale Minderausgabe von
65 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Gespart wird
hier nicht. Sie nutzen die gute konjunkturelle Situation
nicht, um Vorsorge für die Herausforderungen der Zukunft zu treffen.
({2})
Den Kommentar Ihres Hauses zu Ihrem Etat überschreiben Sie mit „Fortschritt, Chancen, Optimismus“.
Schauen wir uns einmal das Thema Fortschritt an. Woran denken wir beim Thema Fortschritt? Sie haben es
selbst erwähnt: Es findet ein Paradigmenwechsel in unserer Industriegesellschaft statt. Sie haben von einer „Industrie 4.0“ gesprochen. Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung bringen völlig neue Möglichkeiten,
Produkte und Geschäftsmodelle hervor. Gerade diese
müssten Sie fördern. In Ihrem eigenen Koalitionsvertrag,
den Sie vor drei Jahren geschlossen haben, ist von steuerlicher Forschungsförderung die Rede. Aber was kam
von dieser Koalition? Nichts und wieder nichts. Das verstehe ich nicht.
({3})
Ich wage heute die Prognose: Diese Regierung wird die
steuerliche Forschungsförderung in Deutschland nicht
mehr einführen.
Stellen wir uns eine zweite Frage. Woran denken die
Menschen in diesem Land, wenn wir sie fragen: Welche
sind die Schlüsseltechnologien der deutschen Wirtschaft? Was fällt uns da ein? Der Maschinenbau, der Automobil- und Fahrzeugbau,
({4})
die chemische Industrie, die Softwareindustrie und die
Kreativwirtschaft. Sehen wir uns dann den Einzelplan 09
an, um zu schauen, wo das Bundeswirtschaftsministerium seine Schwerpunkte setzt, stellt man fest: Es tauchen wieder einmal nur die zwei Lieblingsbereiche dieses Hauses auf: die maritime Wirtschaft und die Luftund Raumfahrt. Nein, meine Damen und Herren, das ist
keine Schwerpunktsetzung, die den deutschen Schlüsseltechnologien entspricht.
({5})
Ich komme zu den Chancen, die Sie in Ihrem Etatentwurf verkennen. Wir sollten uns angesichts des Wandels,
der mit der Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz und mit der Energiewende einhergeht, nicht nur
fragen: Wo gibt es Bedrohungen?, sondern auch: Wo
gibt es neue Möglichkeiten? Wo liegt denn die Möglichkeit, unsere Industrie und unsere Wirtschaft besser zu
machen? Indem wir bei der Ressourcenpolitik an geschlossenen Stoffkreisläufen arbeiten, an alternativen
Rohstoffen, an einer ganz anderen Art von Kreislaufwirtschaft statt nur und einzig und allein auf die Ausbeutung ausländischer Minen zu setzen. Nein, beim Thema
Ressourcenpolitik und Energiewende ist in diesem
Ministerium Fehlanzeige. Das sieht man auch daran,
dass Sie im Kapitel Energie um 25 Millionen Euro kürzen.
({6})
Ein letzter Satz zum Thema Fachkräftesicherung. Wir
sind uns alle einig, dass wir in Deutschland an einer guten Fachkräftesituation arbeiten müssen, dass wir dafür
viel tun müssen, dass wir verschiedene Dinge tun müssen. Aber warum kürzen Sie dann in Ihrem Haushaltsplan gerade den Titel „Fachkräftesicherung für kleine
und mittlere Unternehmen“? Ich verstehe das nicht, und
ich bin mir sicher, die kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land verstehen das auch nicht.
({7})
Ein Wort zum Optimismus. Ich glaube, der Optimismus in Ihrem Etatentwurf bezieht sich hauptsächlich darauf, dass diese globale Minderausgabe irgendwie erwirtschaftet wird. Im Folgejahr 2014 gehen Sie sogar
davon aus, dass Sie in diesem Haushalt irgendwo
110 Millionen Euro sparen werden. Sie wissen nur nicht,
wo. Das ist kein Haushaltsplan. Das ist Planlosigkeit.
({8})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie für 2014 eine
globale Minderausgabe von 110 Millionen einstellen.
Sie verschieben damit die Konsolidierungsbemühungen
in die Zukunft, weil Sie dann nicht mehr an der Regierung sind, und dann wird eine andere Regierung schauen
müssen, woher dieses Geld kommt und wie der Wirtschaftsetat zur Konsolidierung in diesem Haushalt beiträgt.
({9})
Abschließend noch ein Wort zur Europapolitik. Ich
habe im letzten Jahr außer einer Reise nach Griechenland von Ihnen nicht viel positive Akzente Ihres Hauses
erkennen können, was Europapolitik betrifft. Wenn wir
über Optimismus reden, dann hätte ich mir persönlich
gewünscht, dass gerade der Bundeswirtschaftsminister
Optimismus in Europa verbreitet und sagt: Ja, gemeinsam schaffen wir das. Gemeinsam schaffen wir wirtschaftliche Perspektiven und Investitionen für Staaten
wie Portugal, Spanien und Griechenland. - Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie eben nicht Vokabeln wie: „Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone hat seinen Schrecken verloren“ in den Mund nehmen. Das ist einer deutschen Bundesregierung nicht würdig.
({10})
Meine Damen und Herren, Herr Minister, wir werden
Sie in den anstehenden Haushaltsberatungen treiben.
Wir werden alles daransetzen, dass in diesem Wirtschaftsetat die richtigen Schwerpunkte gesetzt werden,
dass sich unser Land für die wahren Herausforderungen
der Zukunft fit macht, dass wir dann wirklich sagen können: Die Wirtschaftspolitik in Deutschland verbreitet
Fortschritt, Chancen und Optimismus. Ehrlich gesagt,
bin ich mir aber nicht sicher, ob das mit Ihnen als Minister noch gehen wird.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Joachim Pfeiffer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die christlich-liberale Regierung liefert.
({0})
- Das sage ich Ihnen. - Deutschland gelingt nämlich das,
was in ganz Europa dringend notwendig ist: gleichzeitig
zu konsolidieren und zu wachsen.
Für die Konsolidierung sind die Weichen richtig gestellt. Die Schere zwischen den Einnahmen und den
Ausgaben, die sich seit 40 Jahren, egal welche Regierung im Bund verantwortlich war, immer weiter öffnete,
schließt sich. Die Ausgabenquote, also der Anteil der
Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt, sinkt von 11,9 Prozent in 2012 auf 11 Prozent in 2013 und auf 10,5 Prozent
bis 2016. Die Kreditfinanzierungsquote, also der Anteil
der Neuverschuldung an den Ausgaben, sinkt von
10,3 Prozent in 2012 auf 6,2 Prozent in 2013 laut Plan
und geht bis spätestens 2016 auf null zurück.
Das heißt, die Kriterien der Schuldenbremse, die
nicht nur in Deutschland gelten, sondern auch in ganz
Europa eingeführt werden, werden von uns mindestens
zwei Jahre früher erfüllt als vorgeschrieben.
Auch die relative Verschuldung geht zurück, weil es
uns gelingt, durch mehr Wachstum zu einer Reduktion
ihres relativen Anteils am BIP zu kommen. Wir haben
gute Chancen, bei der Gesamtverschuldung unter die
Marke von 80 Prozent zu kommen. Damit haben wir den
Weg zurück in Richtung Einhaltung der MaastrichtKriterien, die ja eine Gesamtverschuldungsquote von
maximal 60 Prozent vorsehen, eingeschlagen.
Das ist die Bilanz von CDU/CSU und FDP. Ein Ende
der Neuverschuldung und der Einstieg in den Schuldenabbau werden nicht nur angekündigt, sondern realisiert,
({1})
und zwar, auch wenn wir heute über den Bundeshaushalt
reden, nicht nur im Bund, sondern auch dort, wo CDU/
CSU und FDP in den Ländern Verantwortung tragen,
beispielsweise in Bayern und Sachsen.
({2})
Diese Länder gehen jetzt auch den Schuldenabbau an
bzw. haben die Neuverschuldung bereits auf null reduziert.
Wie sieht aber die Situation in den Ländern aus, wo
Rot und Grün Verantwortung tragen? Es ist schon verwunderlich:
({3})
Im letzten Jahr haben Sie uns bei den Haushaltsberatungen noch gesagt, wir würden das Land kaputtsparen; wir
sollten nicht so viel sparen, sondern mehr ausgeben und
die Konjunktur auf Pump stimulieren.
({4})
Das machen Sie nun in den Ländern, wo Sie Verantwortung haben. In Nordrhein-Westfalen ist Frau Kraft die
Schuldenkönigin. Noch nie hat ein Land eine so hohe
Neuverschuldung erreicht, wie es in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr der Fall ist.
Herr Kollege Dr. Pfeiffer, aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt es eine Zwischenfrage des Kollegen Lindner. Würden Sie sie zulassen?
({0})
Mit Vergnügen.
Also sogar mit Vergnügen. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege, wobei ich nicht weiß, ob
Ihnen das wirklich Vergnügen bereitet.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben
auf die Reihen der Opposition und damit auch auf meine
Fraktion bezogen gesagt, wir hätten im letzten Jahr in
den Haushaltsberatungen gefordert, man solle nicht so
viel sparen, sondern mehr Geld ausgeben. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Fraktion im
Rahmen der Haushaltsberatungen Anträge eingebracht
hat, die, wenn man diesen Anträgen gefolgt wäre, zu einer Nettoneuverschuldung geführt hätten, die um 4 Milliarden Euro geringer gewesen wäre
({0})
als der dann vom Deutschen Bundestag beschlossene
Haushaltsplan?
({1})
Ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie außerdem Anträge eingebracht haben, die das Gegenteil dessen bewirken, indem Sie an der Ausgabenschraube drehen.
Ich bin auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie
dort, wo Sie Verantwortung tragen, nämlich in BadenWürttemberg, das Gegenteil dessen tun, was Sie hier
vollmundig ankündigen.
({1})
- Sie dürfen ruhig noch stehen bleiben. Ich beantworte
noch Ihre Zwischenfrage. Das sollte mir nicht auf die
Redezeit angerechnet werden.
Nein, das mache ich nicht. Der Kollege weiß, was er
zu tun hat.
({0})
Bei der Vorgängerregierung in Baden-Württemberg
gab es 2008/2009 erstmalig keine Neuverschuldung,
sondern einen ausgeglichenen Haushalt. Baden-Württemberg ist in die Schuldenreduzierung eingestiegen.
Aber was machen Sie unter grüner Führung in BadenWürttemberg? Sie haben erst einmal die Rücklagen aufgebraucht, die die Vorgängerregierung dort hinterlassen
hat. Dann haben Sie einen neuen Doppelhaushalt vorgelegt und gesagt, Sie könnten den Haushalt nicht ausgleichen und wollten bis 2020 neue Schulden machen. Für
den neuen Doppelhaushalt wollen Sie 1,5 Milliarden
Euro neue Schulden machen, und dann spricht Frau
Andreae hier vom Sparen. Wer genau hingesehen hat,
hat gemerkt, dass sie rote Ohren bekommen hat.
({0})
Denn das hat mit der Realität dort, wo Sie Verantwortung haben, nichts zu tun.
({1})
Was Sie unter Sparen verstehen, sind Steuererhöhungen und Neuverschuldung. In Baden-Württemberg ist
das der Fall. Sie führen Baden-Württemberg zusammen
mit der SPD in die Liga von Bremen, was die Verschuldung anbelangt.
({2})
Wir hatten in Baden-Württemberg zwei Haushalte ohne
Verschuldung hinterlassen und mit dem Schuldenabbau
begonnen. Sie sagen: Bis 2020 werden wir neue Schulden machen und keine ausgeglichenen Haushalte vorlegen. - Das ist Ihre Politik.
({3})
Herr Kollege Dr. Pfeiffer, ich gehe davon aus, dass
Sie jetzt die Frage beantwortet haben.
({0})
Vielleicht hat er noch eine weitere Zwischenfrage.
Schauen wir mal.
So weit zum Thema Verschuldung und zu dem, was
wir leisten, und zu dem, was Sie ankündigen und was
Sie dann dort, wo Sie Verantwortung tragen, abliefern.
Jetzt zum Thema Wachstum. Wir sind erfreulicherweise - anders als andere Länder in Europa - nicht nur
schneller aus der Krise herausgekommen. Vielmehr hatten wir 2010 und 2011 das höchste Wachstum seit der
Wiedervereinigung zu verzeichnen. Vor wenigen Tagen
haben die Statistiker - die wenigsten dürften das registriert haben - das Wachstum von 2010, das bislang auf
3,7 Prozent beziffert wurde - das war sowieso schon
sehr hoch -, nachträglich auf 4,2 Prozent nach oben korrigiert. 4,2 Prozent Wachstum in 2010! Der Einbruch
von knapp 5 Prozent im Jahr 2009 wurde also noch
schneller kompensiert, als wir das bislang angenommen
hatten. 2011 betrug das Wachstum 3 Prozent. Trotz aller
Schwierigkeiten, die wir haben - ich freue mich wirklich
nicht über Schwierigkeiten, die das Wachstum beeinträchtigen -, und der einen oder anderen dunklen Wolke
am Horizont besteht die Chance, dass dieses Jahr eine 1
vor dem Komma beim Wachstum steht und Deutschland
an der Spitze in Europa bleibt.
Nicht nur die Wirtschaft wächst, sondern auch die Beschäftigung; der Bundeswirtschaftsminister hat es eingangs bereits angesprochen. Nicht nur die Arbeitslosenquote, die immer gerne herangezogen wird, ist
entscheidend, sondern auch die Zahl der Beschäftigten.
Es sind so viele wie nie zuvor. Über 41,5 Millionen
Menschen sind in dieser Republik in Lohn und Brot.
Alle 60 Sekunden entsteht ein neuer Job in Deutschland.
Was hat dies zur Folge? Philipp Rösler hat darauf hingewiesen, dass seit 2009 1 Million neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden
sind. Ich gehe bis 2005 zurück, als die rot-grüne Regierungszeit endete: Seitdem sind sogar 2 Millionen neue
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
entstanden.
({0})
Das ist das Gegenteil dessen, was uns Herr Heil immer
versucht einzureden. Er behauptet ja, es habe vor allen
Dingen einen Aufwuchs im Niedriglohnbereich und bei
den prekären Beschäftigungsverhältnissen gegeben. Das
Gegenteil ist der Fall. Der Hauptzuwachs findet bei den
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen statt.
Im Übrigen hat der Niedriglohnsektor - so wird er
manchmal ja bezeichnet, um auszudrücken, dass es sich
eigentlich um etwas Schlechtes handelt - durchaus seine
positiven Seiten, Herr Kollege Heil. Er bedeutet für die
meisten den Einstieg in den Aufstieg. Viele schaffen aus
dem Niedriglohnsektor heraus den Wiedereinstieg in sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsverhältnisse.
24 Prozent schaffen innerhalb eines Jahres den Übergang in eine besser bezahlte Tätigkeit. Die Wahrheit ist:
Für jemanden, der im Niedriglohnsektor beschäftigt ist,
sinkt die Wahrscheinlichkeit, zum armutsgefährdeten
Personenkreis zu zählen, von 60 Prozent auf nur noch
16 Prozent.
({1})
Der Niedriglohnsektor stellt also eine Brücke, eine Aufstiegsmöglichkeit dar. Lassen Sie uns das also nicht
schlechtreden! Lassen Sie uns dies als Chance nutzen
und diesen Weg weiter beschreiten!
Auch die Langzeitarbeitslosigkeit, von der Sie vorhin
gesprochen haben, ist zurückgegangen. So ist die Zahl
der Langzeitarbeitslosen von 1,7 Millionen Menschen
im Jahr 2007 auf rund 1 Million im letzten Jahr gesunken.
Herr Heil, sehen Sie es mir nach: Sie reden noch immer von der Agenda 2010. Diese war gut und richtig,
und wir haben sie auch unterstützt. Aber das liegt schon
zwei Jahre zurück.
({2})
Wir schreiben nun das Jahr 2012. Sie versuchen noch
immer, rückwirkend die Agenda 2010 zu korrigieren,
weil Sie sich der Vaterschaft zum Teil nicht mehr bewusst sind.
({3})
Wir arbeiten heute aber an der Agenda 2030.
({4})
Wir investieren in die Zukunft dieses Landes, gleichermaßen in Forschung und Entwicklung wie in den Arbeitsmarkt.
({5})
Lassen Sie mich Forschung und Entwicklung als Beispiel nennen. Die Union investiert in die Zukunft des
Landes, in die Tüftler und Denker. Im Durchschnitt wird
in dieser Legislaturperiode so viel wie nie zuvor für Forschung und Entwicklung ausgegeben: 13,5 Milliarden
Euro pro Jahr. Das bedeutet im Vergleich zu 2005, als
die rot-grüne Regierung endete, eine Steigerung von
über 50 Prozent. So sieht die Zukunftspolitik aus, die wir
betreiben.
({6})
Wir investieren in den innovativen Mittelstand. Wir
haben das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand
mit einem Volumen von über 500 Millionen Euro verstetigt. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen gilt hier der
Faktor 3. Wir investieren in die Forschungsinfrastruktur
und in moderne Verkehrstechnologie, egal ob in der maritimen Wirtschaft oder in der Luftfahrtindustrie. Wir
investieren in moderne Informations- und Kommunikationstechnologie und in die Gründung neuer Unternehmen. „Gründen, Wachsen, Investieren“ lautet unsere
Maxime. Im Haushalt des BMWi wird die Gründung
neuer, innovativer Unternehmen mit 83 Millionen Euro
unterstützt. Erstmalig - auch das hat der Bundeswirtschaftsminister eingangs angesprochen - engagiert sich
der Bund auf dem Markt für Wagniskapital bis 2016 mit
150 Millionen Euro.
Das heißt, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit nimmt
durch diese Investitionen zu. Es gelingt aufgrund dieser
Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum zu generieren, und dadurch werden neue Arbeitsplätze für die Menschen in
diesem Land geschaffen. Dabei belassen wir es aber
nicht. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es neue Herausforderungen. Ich nenne die demografische Entwicklung.
7,5 Millionen Menschen werden bis zum Jahr 2025 fehlen. Die Menschen, die dann nicht zur Verfügung stehen
werden, sind die, die heute nicht geboren werden. Wir
müssen also die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
verbessern.
({7})
Wir können uns nicht mehr leisten, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten oder junge Menschen ohne Abschluss
zu lassen. Wir arbeiten daran. Wir stärken auch die Binnennachfrage durch eine Erhöhung der Kaufkraft. Die
kalte Progression und anderes ist angesprochen worden.
Sie halten unsere Bemühungen auf. Sie wollen Steuern
erhöhen, während wir den Menschen mehr von dem
Lohn belassen wollen, den sie für ihre Arbeit bekommen. Sie blockieren im Bundesrat 6 Milliarden Euro, die
wir den Menschen zurückgeben wollen.
({8})
Wir als christlich-liberale Koalition werden diesen
Wachstumspfad konsequent weitergehen. Ich fordere Sie
auf, nicht am Wegesrand als Wegelagerer zurückzubleiben, sondern konstruktiv diese Karawane in die Zukunft
zu begleiten, damit Deutschland vorankommt und wir
die Probleme, die wir in Europa haben, gemeinsam lösen
können. So wie Deutschland gestärkt aus der Krise herausgeht, soll auch Europa die Chance haben, erfolgreich
und gestärkt aus der Krise herauszukommen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Kollege Dr. Joachim Pfeiffer. - Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Wolfgang Tiefensee.
Bitte schön, Kollege Wolfgang Tiefensee.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Beim Einzelplan 09 wird über die
Antwort des Bundeswirtschaftsministers auf die drängenden Fragen unserer Zeit diskutiert. Gibt es tatsächlich, sehr verehrter Herr Dr. Pfeiffer, irgendetwas Ähnliches zur Agenda 2010, also eine Agenda 2020 oder
2030, oder gibt es das nicht? Aus den eigenen Reihen
schallt Ihnen, Herr Rösler, entgegen: Wer ein Papier, das
30 Jahre alt ist, zum Erweckungsmanifest erklärt, muss
sich gefallen lassen, dass ihm der fatale Vorwurf gemacht wird, dass er inhaltlich eine Schwäche habe. Man kann dem, was Herr Kubicki unlängst gesagt hat,
nur zustimmen. Man kann zu ihm stehen, wie man will,
aber schaut man sich den Einzelplan 09 an, dann stellt
man nur Fehlanzeige bei Antworten auf die große Frage
der Energiewende fest. Auch Antworten auf die Fragen
der europäischen Integration und der Schuldenkrise werden aus dem Bereich Wirtschaft nicht gegeben. Es gibt
keine Antwort auf die Frage, wie wir die Binnennachfrage stärken. Es gibt kaum Antworten auf die Frage der
Fachkräftesituation. Dasselbe gilt für Fragen der Finanzierung des Mittelstands. Wir als Opposition müssen sagen: In all diesen zentralen Punkten gibt es keine klare
Antwort, geschweige denn eine Vision des Bundeswirtschaftsministers.
({0})
Herr Hinsken, wenn wir in die Vergangenheit schauen
und auf die Reformen, die unter Rot-Grün mühevoll
durchgesetzt wurden, und das mit dem, was die schwarzrote Koalition auf den Weg gebracht hat, vergleichen,
dann soll das keine Selbstbeweihräucherung sein; wir
wollen vielmehr deutlich machen, dass es ähnlicher Anstrengungen bedarf, um den Herausforderungen von
heute gerecht zu werden. Man kann sich nicht auf den
Erfolgen von früher ausruhen. Man kann nicht so weiterwurschteln und glauben, dass man den zentralen Anliegen, die speziell die Wirtschaft, aber auch die Gesellschaft insgesamt hat, gerecht wird. Dass Sie sich so
verhalten, das ist unser zentraler Vorwurf.
({1})
Die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Wenn Sie
sich nur auf den Vorhaben ausruhen, die wir in der Vergangenheit eingeleitet haben, dann werden Sie den
Anforderungen nicht gerecht. Ich möchte das an vier signifikanten Bereichen deutlich machen, von denen die
Wirtschaft, wie der BDI in einer Umfrage festgestellt
hat, meint, wir müssten sie im Hinblick auf eine gute
Zukunft in den Griff bekommen. Der BDI sagt:
Erstens. Kümmern Sie sich um die Rohstoff- und
Energiepreise.
Zweitens. Kümmern Sie sich um die europäischen
Herausforderungen.
Drittens. Die Unternehmen erwarten, dass die Binnennachfrage gestärkt wird.
Viertens. Beziehen Sie Stellung zur Fachkräftesituation.
In all diesen Bereichen versagt die Bundesregierung.
Ich möchte das in der gegebenen Zeit kurz an einzelnen
Beispielen durchdeklinieren.
Sehr verehrter Herr Minister, wir haben als Erstes die
große Frage der Energiewende zu bewältigen. Das ist
eine zentrale Aufgabe; sie beinhaltet gleichzeitig eine
Chance für die Zukunft. Wir könnten mit der Energiewende der Industrie, dem Mittelstand, aber auch den
Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, eine positive Zukunft geben. Doch was sehen wir?
Gibt es bei Ihnen einen Masterplan? Fehlanzeige! Wir
haben mit unserem energiepolitischen Konzept einen
Fahrplan aufgestellt, der Ihnen handlungsleitend sein
könnte. Nutzen Sie diese Zuarbeit. Bisher ist da bei
Ihnen ja ein weißer Fleck.
Ein weiteres Thema. Wir müssen die Netze ausbauen.
Wo bleiben von Ihrer Seite die Incentives? Die Entwicklung innovativer Technologien im Bereich der regenerativen Energien im Mittelstand soll gefördert werden. Wo
bleiben dort die Impulse? Stattdessen erleben wir nichts
anderes als Chaos zwischen mindestens zwei, wenn
nicht sogar vier Ministerien. Als die Frau Bundeskanzlerin gestern in ihrer Rede andeutete, dass jetzt die nötigen
Strukturen geschaffen würden, damit Bund und 16 Bundesländer endlich in diesem Punkt zusammenarbeiten,
fragte ich mich: Bedarf es erst des Herbstes 2012, um
auf diese Idee zu kommen? Müssten wir nicht schon
längst einen Rat haben, der alles vereinigt und der diese
unterschiedlichen Konzepte auf einen Nenner bringt?
Fehlanzeige bei der Bundesregierung! Fehlanzeige beim
Bundeswirtschaftsminister! So kann es nicht weitergehen.
({2})
Greifen wir uns als weiteren Punkt die Frage heraus:
Wie gehen Sie mit den europäischen Themen um? Herr
Bundeswirtschaftsminister, sind Sie eigentlich in der
letzten Zeit mit den Vertretern kleiner und großer Unternehmen unterwegs gewesen, und zwar nicht nur in den
Ländern, in denen wir schon ein gutes Standing haben?
Werben Sie eigentlich wie Ihre Vorgänger, egal welcher
Couleur - neben der Aufgabe, die Sie zweifelsohne hier
in Deutschland haben: die FDP irgendwie voranzubringen -, außerhalb Deutschlands für unsere Unternehmen,
und helfen Sie dabei, Aufträge zu generieren? Fehlanzeige im Bereich der Außenwirtschaft! Ich kann nicht
erkennen, dass Sie tatsächlich eine Vision haben, wie
hier die deutsche Wirtschaft aufgestellt werden soll.
Das Gleiche gilt für Ihren Umgang mit der Finanzkrise und beispielsweise Ihren Blick auf Griechenland.
Wie wollen Sie eigentlich Investoren animieren, in
betroffene Länder wie Griechenland zu gehen?
({3})
Wie wollen Sie eigentlich das Programm für Wachstum
und Beschäftigung, das dank der SPD in Deutschland
und dank der Sozialisten in Frankreich in den Fiskalpakt
hineinverhandelt wurde, umsetzen? Wie soll es zu einer
Ankurbelung der Investitionen, zu einem Investment
von Unternehmen, auch deutscher, in betroffenen Ländern wie Griechenland kommen, wenn Sie gleichzeitig,
wie in Ihrem Sommerinterview, immer wieder davon
schwätzen, dass Griechenland ruhig aus der Euro-Zone
ausscheiden könne?
({4})
Das ist keine klare Linie. Dies schädigt nicht nur die
deutsche Wirtschaft, sondern insbesondere auch die
betroffenen Staaten.
Sie haben dann gesagt, dass die gestrige Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts Ihnen und Ihrer Argumentation zupasskommt und dem Standpunkt der Opposition zuwiderläuft. Damit liegen Sie völlig falsch. Sie
wissen genau, dass die Staatsanleihenkäufe der EZB und
dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerade auf
unserer Linie liegen. Der Ankauf von Staatsanleihen
widerspricht eindeutig dem, was Sie über die sogenannte
rote Linie hinsichtlich einer gemeinsamen Schuldenhaftung gesagt haben. Sie sind über die von Ihnen selbst
gezogene rote Linie gegangen. Verdummen Sie nicht die
Bevölkerung und sagen Sie endlich klar: Wir brauchen
sowohl eine gemeinsame Haftung und ein gemeinsames
Auftreten gegenüber denen, die unseren Finanzmarkt
bedrohen, als auch Incentives, damit diese Staaten wieder Wirtschaftskraft erlangen und vorankommen.
Das dritte Thema, das ich ansprechen möchte, ist das
Thema der Binnennachfrage. Auch hier: Fehlanzeige!
Ich möchte das, was mein Kollege Brandner angesprochen hat, noch einmal ausführen, Herr Hinsken; denn Sie
haben die entsprechende Frage nicht beantwortet. Sie
haben gesagt, Sie werden als CDU/CSU oder als FDP
dem Minister Beine machen, auf dass er bei der GRW
zulegt. Im Haushalt stehen aber andere Zahlen: 2011
waren es 610 Millionen Euro, 2012 waren es 596 Millionen Euro, und 2013 stehen dort bloß 569 Millionen Euro.
Das ist die Wahrheit. Das heißt, Sie fahren die GRW - für
die Damen und Herren auf den Rängen: Das ist ein Programm für die regionale Wirtschaftsförderung - nach unten. Gleichzeitig - auch das wissen Sie - läuft die Investitionszulage 2013 aus, die wir im Osten Deutschlands
dringend brauchen und die dann durch die GRW kompensiert werden müsste. Das ist ein deutliches Zeichen
dafür, dass in dem Bereich der Binnennachfrage nichts
geschieht.
Herr Kollege Tiefensee, ich wollte Sie fragen, ob Sie
eine Zwischenfrage unseres Kollegen Dr. Joachim
Pfeiffer zulassen.
Ja.
Bitte schön, Kollege Joachim Pfeiffer.
Lieber Kollege Tiefensee, Sie sagen, im Zusammenhang mit der Binnennachfrage würde nichts unternommen. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, wovon ich eigentlich ausgehe, dass neben dem Export, der in den
vergangenen Jahren die tragende Säule des Wirtschaftswachstums war, bereits im letzten Jahr auch die Binnennachfrage mindestens in gleicher Höhe zum Wachstum
in Deutschland beigetragen hat und in diesem Jahr wahrscheinlich sogar einen höheren Wachstumsbeitrag leisten wird?
Der Grund dafür ist ja, dass durch die eingeleiteten
Maßnahmen und durch die dadurch eingetretene verbesserte Wettbewerbsfähigkeit jetzt auch die Löhne steigen,
und zwar beschäftigungsorientiert. Dadurch wird mehr
Binnennachfrage generiert, beispielsweise auch dadurch,
dass aufgrund dieser Entwicklung auch die Renten steigen. Wir befinden uns also in einem positiven Prozess;
er wäre anders verlaufen, wenn all das nur auf staatlichen Ausgaben beruhte, die auch noch kreditfinanziert
wären.
Herr Dr. Pfeiffer, mir sind die Zahlen selbstverständlich bekannt. Mir ist bekannt, dass wir als Exportnation
auch im Binnenmarkt stark sind. Dies ist aber genau die
Diskussion, die ich vorhin angesprochen habe. Die Frage
ist: Können wir uns auf einer bestimmten Quote der Binnennachfrage im Verhältnis zur Exportrate ausruhen,
oder müssen wir Incentives setzen, um hier voranzukommen?
Sie sehen genauso wie ich, dass mittlerweile zum Beispiel Ford in Köln, Opel in Bochum und auch VW nicht
nur im Ausland, sondern auch im Inland Absatzrückgänge haben, also dass dunkle Wolken am Himmel aufziehen. Die Frage lautet nun lediglich: Was spiegelt sich
an Maßnahmen und von mir aus auch an Visionen in
konkreten Haushaltstiteln im Haushalt des Wirtschaftsministers wider? - Hier kann ich nichts erkennen. Die
Titel, die Investitionen beinhalten, zum Beispiel für die
GRW - andere kann ich gern noch benennen -, werden
gekürzt. Das heißt, man setzt letztlich auf eine Entwicklung, die nicht durch den Bundeshaushalt getrieben wird,
sondern die irgendwie zwangsläufig entsteht. Das kann
nicht die Antwort des Bundeswirtschaftsministers sein.
Herr Kollege Tiefensee, der nächste Fragesteller will
sich äußern. Ihre Entscheidung ist, ob Sie die Frage des
Kollegen Ernst Hinsken zulassen.
Es wäre unverzeihlich, Herrn Hinsken nicht das Wort
zu geben. So kann er noch einmal über die rote Laterne
sprechen.
Mal schauen, was er fragt.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie das alle irritiert hat,
als ich Sie daran erinnerte, wie das vor zehn Jahren war.
Verehrter Herr Kollege Tiefensee, meine Frage bezieht sich auf das, was Sie eben hier ausgeführt haben.
Ich habe dem Kollegen Brandner, was den Haushaltsansatz für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ anbelangt, geantwortet
und in meiner Rede gesagt, dass es 33 Millionen Euro
mehr sind als vorher. Ich habe dies bewusst vor dem
Hintergrund gesagt, dass hier auch Konversionsmittel
Berücksichtigung finden müssen, die für zu schließende
Bundeswehrstandorte zur Verfügung gestellt werden.
Wenn Sie diese Mittel, die dazugehören, mitzählen, dann
kommen Sie auf einen Betrag, der 33 Millionen Euro
über dem liegt, den wir momentan haben. Das möchte
ich hier ausdrücklich feststellen. Sind Sie bereit, dies zur
Kenntnis zu nehmen?
({0})
Das war die Frage des Kollegen Hinsken.
Wir haben also jetzt ein Rechenspielchen darüber,
welche Positionen von früher verschoben werden, damit
ein Mehr an Mitteln für die GRW herauskommt. Ich will
mir das gern noch einmal anschauen.
Die Haushaltsansätze für die GRW an sich, die bezogen auf die Jahre 2011, 2012 und 2013 vergleichbar sind,
bewegen sich in dem Rahmen, den ich genannt habe.
Wir können die Zahlen gern noch einmal vergleichen: Es
sind 610, 596 und 569 Millionen Euro. Das ist die Zahlenreihe, die wir kennen. Vielleicht rechnen Sie andere
Positionen dazu. Zumindest zeigt das die Entwicklung,
die es bei der klassischen GRW gibt.
Ich sage noch einmal, Kollege Hinsken - das wissen
Sie genauso gut wie ich -: Die Investitionszulage, die in
den letzten Jahren zu der GRW hinzugekommen ist, fällt
im Jahre 2013 weg. Darauf wird nicht reagiert. Wir sollten dort aber, statt zu sparen und Geld wegzunehmen
und damit Investitionen zu verhindern, eher einen Aufwuchs vornehmen. Ich hoffe, dass wir in den Diskussionen bis zur letzten Lesung doch noch zueinanderkommen.
Ich wollte, meine sehr geehrten Damen und Herren,
noch einmal auf das Thema Binnennachfrage zu sprechen kommen.
Die Forschungsförderung ist ein Thema, das dazu
gehört. 24 von 36 OECD-Staaten, 15 Länder der Europäischen Union verfügen über eine solche Forschungsförderung. Dass sie auch hier eingeführt werden soll,
steht irgendwo versteckt in der Koalitionsvereinbarung.
Warum wird das nicht umgesetzt?
Schließlich gehört zur Binnennachfrage auch, dass
wir über angemessene Löhne nachdenken. Hier kommt
die Frage auf den Tisch: Was tut diese Bundesregierung,
was tut der Wirtschaftsminister, damit mehr Geld im
Portemonnaie der Leute übrigbleibt - ganz analog zu
dem, was Sie zu Anfang Ihrer Regierungszeit gesagt
haben?
Die SPD fordert nachdrücklich, endlich den Mindestlohn einzuführen, damit wir sowohl die Binnennachfrage stärken als auch das Problem der Altersarmut lösen
helfen. Meine Damen und Herren, handeln Sie hier endlich, damit wir vorankommen!
({0})
- Diese Blockade, dieser Widerstand - der Kollege hat
die Gebäudesanierung angesprochen - gründet darauf,
dass der Bundesfinanzminister nicht bereit ist, den Ländern in den Verhandlungen so weit entgegenzukommen,
dass die über Gebühr belasteten Länderhaushalte nicht
auch noch diese Last tragen müssen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser
Haushalt ist ein Armutszeugnis, ein Hin und Her, ein
Sowohl-als-Auch, es wird ein Zickzackkurs gefahren,
der sich sowohl in der Energiepolitik als auch im europäischen Bereich bis hin zu Fragen der Binnennachfrage
und der Fachkräftesituation widerspiegelt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, nutzen Sie die
nächsten Wochen, um hier entscheidend nachzubessern!
Ansonsten werden Sie Ihrer Aufgabe und vor allen
Dingen den Anforderungen, die jetzt vor Deutschland
stehen, nicht gerecht.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Kollege Wolfgang Tiefensee. - Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Dr. Georg Nüßlein. Bitte
schön, Kollege Dr. Georg Nüßlein.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Unsere außerordentliche Wettbewerbsfähigkeit hat zu einem zweiten deutschen Wirtschaftswunder geführt. Ich will hier nicht ausführen, wie
fragil das alles ist. Das haben wir zur Kenntnis genommen; das wissen wir. Ich will auch nicht die fleißigen
Arbeitnehmer und Arbeitgeber loben, die täglich zu dieser Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Auch das ist etwas,
was bekannt ist. Ich will auch nicht den politischen Rahmen, der letztendlich die Voraussetzung dafür schafft,
loben, weil sonst sofort wieder das Parteiengezänk losgeht, wer denn welchen Beitrag dazu geleistet hat.
Ich will an dieser Stelle einmal versuchen, ein paar
Besonderheiten der deutschen Wirtschaft herauszuarbeiten, und Akzente setzen, die aus meiner Sicht letztendlich in eine Agenda 2020 eingehen müssen.
({0})
Wir müssen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen,
dass Deutschland die letzte echte Industrienation innerhalb der Europäischen Union ist. Darauf müssen wir
unser politisches Handeln abstellen. Wenn man in Brüssel REACH, die europäische Chemikalienverordnung,
verhandelt, wenn man demnächst über den Emissionshandel redet, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass
die anderen EU-Staaten Industrie und Wirtschaft anders
sehen als wir aufgrund eigener Betroffenheit.
Meine Damen und Herren, auch wenn man über die
Strompreise in Deutschland redet, muss man die Industrie im Auge haben. Ich finde Folgendes schon bemerkenswert, Frau Kollegin Andreae: Sie haben bei einer
EEG-Umlage von 0,2 Cent je Kilowattstunde gesagt,
dass man die Differenz ausgleichen und die energieintensiven Branchen in Deutschland von der EEG-Umlage
entlasten muss - vollständig richtig. Jetzt kommt Ihr Lamento, wir hätten die Zahl derjenigen, die in den Genuss
dieser Freistellung kommen, verzehnfacht. Ja - nur hat
sich die EEG-Umlage in der Zwischenzeit verfünfzehnfacht.
({1})
Da ist es doch vollständig richtig, dass man jetzt endlich
zusätzliche Branchen mit einbezieht, die heute noch intensiver von dieser Umlage betroffen sind. Deshalb
macht das Sinn, was wir an der Stelle getan haben,
meine Damen und Herren. Deshalb macht es auch Sinn,
dass wir in Zukunft weiterhin dafür Sorge tragen, dass
man sich die Energiepreise in Deutschland noch leisten
kann.
Die zweite Besonderheit. Wir haben in unserem Land
mittelständische Strukturen wie in keinem anderen europäischen Land. Ich meine, auch darauf sollte man den Fokus richten. Nun möchte ich darauf hinweisen, dass im
Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums 756 Millionen Euro für die Förderung des innovativen Mittelstandes
enthalten sind. Das ist auch in Zeiten, in denen man nur
noch über Milliarden spricht, viel Geld. Ich möchte mich
ganz klar von Ihnen abgrenzen und darauf hinweisen,
dass das, was Sie dem Mittelstand in Aussicht stellen, nur
Vermögensabgaben und Steuererhöhungen sind, und das
wird diesem Bereich sicher nicht gerecht.
({2})
Eine dritte Besonderheit - dazu habe ich heute wenig
gehört - ist das duale Ausbildungssystem, das aus meiner Sicht geeignet ist, die Fachkräfteproblematik in
Deutschland nachhaltig zu lösen. Ich habe von der linken Seite nur Seltsames und Ideologisches gehört zum
Thema Bildung, zur Zwangsakademisierung und zur
Frage, was man mit Blick auf die Chancengleichheit alles machen müsste. Das duale Ausbildungssystem bietet
der jungen Generation in einer ganz besonderen Art und
Weise Chancen; es ist eigentlich der Kern für unsere
Wettbewerbsfähigkeit und für die gute Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt. Deshalb würde ich mir wünschen,
dass wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir
dieses System, auch im Kontext der internationalen bürokratischen Einordnungen, schützen können, und dass
wir uns weniger Gedanken darüber machen, wie man
den Anteil der Akademiker in diesem Land formal anheben könnte. Das wäre gut für den Arbeitsmarkt. Es ist im
Übrigen auch gut und richtig, denjenigen, die das duale
Ausbildungssystem durchlaufen haben, Wertschätzung
entgegenzubringen.
({3})
Die vierte Besonderheit, die die deutsche Wirtschaft
von dem abhebt, was um uns herum stattfindet, ist die
deutsche Bankenwelt. Es ist nicht so - auch wenn man
es in der Debatte vielleicht manchmal denken könnte -,
dass wir hier von risikogetriebenen Großbanken dominiert sind. Vielmehr ging die Stabilisierung, die wir in
den letzten Jahren erlebt haben, auch von Sparkassen,
Genossenschaftsbanken und Volksbanken aus, die gerade unseren Mittelstand in einer besonderen Art und
Weise finanzieren. Ich weise deswegen ausdrücklich darauf hin, weil ich in Sorge bin, dass wir bei all dem, was
wir hinsichtlich der Regulierung der Finanzmärkte, der
Frage einer Bankenaufsicht in Brüssel und Basel III diskutieren, genau diese Struktur vernachlässigen und diejenigen unter Kuratel stellen, die nichts für die Fehlentwicklungen können.
({4})
Ich sage auch: Wenn wir den Blick für die Struktur
der kleinen Banken verlieren, werden wir die Mittelstandsfinanzierung maßgeblich beschädigen. Deshalb
sollten wir diesen Aspekt unbedingt im Auge behalten.
Wenn ich über die Finanzwelt spreche, Herr Heil, kann
ich mir angesichts Ihrer heutigen Haltet-den-Dieb-Rede
einen Seitenhieb nicht ersparen. Das war schon eigentümlich. Wer hat denn die Griechen in die Währungsunion aufgenommen? Die SPD. Wer hat die Finanzmärkte dereguliert? Die SPD und die Grünen. Wer hat den
Stabilitätspakt aufgeweicht? Die SPD und die Grünen.
({5})
Sie waren das, und Sie stellen sich heute hin und versuchen, uns auch noch die europäische Schuldenkrise in
die Schuhe zu schieben. Da hätte ich mir persönlich etwas mehr Demut von Ihrer Seite erwartet.
({6})
- Ich will es nicht umkehren und sagen, Sie seien an allem schuld. Das stimmt nun auch nicht.
({7})
- Nein. Sie sind nicht an der Schuldenkrise schuld. An
der Schulden- und Vertrauenskrise sind diejenigen
schuld, die über Gebühr ihre Haushalte belasten und
Geld ausgeben. Deshalb ist es aus meiner Sicht völlig
richtig, dass wir durch Auflagen darauf drängen, dass die
europäischen Schuldenstaaten wieder zur Haushaltskonsolidierung zurückkehren.
Herr Kollege Dr. Georg Nüßlein, gestatten Sie eine
Zwischenfrage unseres Kollegen Hubertus Heil?
Gern.
Herr Kollege Nüßlein, Sie wissen, dass wir der Überzeugung sind, dass Sie durch das Nichthandeln Ihrer
Bundesregierung und durch diese merkwürdigen Ankündigungen während der Krise die Mitverantwortung dafür
tragen, dass die EZB dazu getrieben wurde, unbegrenzt
Staatsanleihen aufzukaufen.
Meine Frage an dieser Stelle ist einfach zu beantworten: Sind Sie der Meinung von Frau Merkel, dass es richtig und gut ist, dass die EZB jetzt unbegrenzt Staatsanleihen aufkauft oder halten Sie das für so gefährlich wie
Ihr Generalsekretär Dobrindt? Also: Sind Sie für
Dobrindt oder für Merkel?
Ich frage deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass
Sie in Bezug auf die europäische Schuldenkrise mit gespaltener Zunge reden. In Europa treiben Sie Deutschland immer stärker in die Haftung für Schulden anderer,
und in Deutschland tun Sie so, als wollten Sie das verhindern. Das kostet Vertrauen, nicht nur auf den Märkten, sondern auch in der Bevölkerung, weil die Menschen merken, dass die roten Linien, von denen Sie
immer sprechen, nichts anderes als Wanderdünen sind.
Sind Sie auf Dobrindt-Kurs, auf Merkel-Kurs, oder haben Sie einen eigenen Nüßlein-Kurs in dieser Sache?
Lieber Kollege Heil, erstens habe ich immer eine sehr
eigene Vorstellung von dem, was ich für richtig halte;
das steht einem selbstbewussten Parlamentarier zu.
Zweitens bin ich der Auffassung, dass das, was Sie machen wollen, fatal wäre.
({0})
- Lassen Sie mich doch weiter antworten, ich sage auch
gleich etwas zur EZB.
Die Einführung des Euro hat den Euro-Staaten eine
gigantische Chance geboten, auf Grundlage niedriger
Zinsen in Infrastruktur zu investieren und sich wirtschaftlich voranzubringen.
({1})
Diese Chance wurde in vielen Staaten nicht genutzt.
Stattdessen haben die niedrigen Zinsen dazu geführt,
dass sie über Gebühr Schulden gemacht haben.
({2})
Das ist die Ursache der jetzigen Krise.
Ihr Lösungsvorschlag ist: Wir probieren das Ganze
noch einmal, wir führen Euro-Bonds ein und vergemeinschaften damit alle Schulden. Wir lassen es noch einmal
zu, dass die disziplinierenden Elemente wegfallen,
({3})
was dazu führt, dass manche Staaten eine höhere Bonität
erhalten - was zulasten unserer Bonität geht ({4})
und mit niedrigen Zinsen wieder Schulden machen dürfen.
Deshalb ist der Weg von Angela Merkel völlig richtig; denn wenn man Maßnahmen beschließt, dann muss
klar sein, dass es entsprechende Auflagen gibt, die erfüllt
werden müssen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass
diese Auflagen am Schluss auch eingehalten werden.
({5})
- Darauf komme ich doch gleich. Haben Sie noch zwei
Minuten Geduld.
({6})
- Mit Verlaub, Sie müssen warten, bis ich zu diesem
Punkt komme. Ihre Frage ist nicht so einfach zu beantworten wie die, ob man dafür oder dagegen ist.
Ich sage Ihnen ganz offen:
({7})
Ich habe ein Problem damit, dass die EZB in dieser
Weise eingreift,
({8})
weil das dazu führt, dass die Zinsen in den Schuldnerländern niedriger werden, und die Gewährung niedriger
Zinsen - erstes Semester Volkswirtschaftslehre - führt
dazu, dass mehr Geld ausgegeben wird.
({9})
Deshalb funktionieren die Maßnahmen nur, wenn man
strenge Auflagen daran knüpft und dafür Sorge trägt,
dass die betroffenen Länder anfangen, zu sparen.
({10})
Das funktioniert längst noch nicht so. Deshalb sagen wir
ganz klar: nur konditioniert finanzieren über ESM und
EZB; und Sie sagen: unkonditioniert, Schleusen öffnen,
finanzieren, Zinsen senken und dafür sorgen, dass die
betroffenen Länder wieder Geld ausgeben können.
({11})
Das ist falsch.
({12})
Ich gehe jetzt davon aus, dass die Frage beantwortet
ist.
Ja, die Frage ist aus meiner Sicht beantwortet.
Gut, dann läuft die Redezeit jetzt normal weiter. Bitte
schön.
Wir können uns darüber gerne bilateral unterhalten,
aber ich kann schon jetzt sagen: Ihr Ansatz ist falsch. Als
wir vorhin darüber gesprochen haben, wie man die Konjunktur ankurbeln kann, hat Ihr Kollege Tiefensee auf
die Rolle der Binnennachfrage hingewiesen; so habe ich
ihn jedenfalls verstanden.
({0})
- Er kann ja nicht gemeint haben, man sollte einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen wieder mehr Netto
vom Brutto in der Tasche haben; denn sonst müsste er eigentlich mit den Kollegen vom Bundesrat sprechen und
nicht mit uns. Das kann er also nicht gemeint haben. Er
hat ganz dezidiert geäußert, der Staat müsse wieder die
Konjunktur ankurbeln. Das ist aber Quatsch. Das muss
man einmal ganz klar sagen. Denn sonst müsste es den
Ländern, die Geld ausgeben und Schulden machen, blendend gehen, und sie müssten wirtschaftlich top dastehen.
Das Gegenteil ist der Fall. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass die Theorien von Keynes nur zur Hälfte funktionieren.
({1})
Wenn es in Demokratien um das Geldausgeben geht,
dann funktioniert Keynes tipptopp. Wenn es aber darum
geht, in guten Zeiten zu sparen, klappt das nicht.
({2})
- Zumindest die Abwrackprämie war unnötig.
Ich bin der Auffassung, dass es vollständig richtig
und eine große Errungenschaft war, die Schuldenbremse
in das Grundgesetz zu schreiben. Ich habe darüber von
Ihnen heute nichts gehört, gar nichts. Man muss doch
einmal sagen können, dass das gut war und dass es für
die europäischen Länder beispielgebend ist. Es geht
nicht darum, irgendetwas zu vereinbaren oder in ein Gesetzblatt zu schreiben, was man morgen wieder ändert,
sondern es geht um die Einführung einer unabänderlichen Schuldenbremse.
Herr Kollege Dr. Nüßlein, geben Sie mir die Chance,
Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Wolfgang Tiefensee zulassen.
Ja.
Bitte schön, Kollege Wolfgang Tiefensee.
Sehr verehrter Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade ganz vehement gegen die Förderungen von Investitionen durch die öffentliche Hand gesprochen.
Meine erste Frage: Haben Sie etwa gegen die Konjunkturprogramme der Bundesregierung gestimmt, die
wir sowohl im Bereich des Verkehrs als auch im Baubereich aufgelegt haben, um der Krise entgegenzuwirken,
und die nach meiner Auffassung eine segensreiche Wirkung hatten?
Meine zweite Frage: Meinen Sie nicht, dass wir angesichts eines Investitionsstaus - Stichwort: Straßen, Schulen, Kindertagesstätten, Wasser- und Abwasserleitungen -,
aber auch im Hinblick auf die Stärkung der Binnennachfrage neben dem Investment der privaten Wirtschaft
auch das Investment der öffentlichen Hand im Blick haben müssten? Es wäre deshalb sinnvoller, diesen Sektor
nicht zu verteufeln und sich nicht der Meinung der FDP
anzuschließen, dass der Staat ein teurer Schwächling sei.
Der Staat ist ein Akteur, der sowohl in Krisenzeiten
helfen kann als auch insgesamt die Aufgabe hat, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die die Privatwirtschaft wiederum braucht. Sind Sie da mit mir einer Meinung? Wenn ja, warum verteufeln Sie das dann?
Ich verteufele das in keiner Weise. Erstens bin ich der
festen Überzeugung - das wurde heute schon gesagt -,
dass die Ausdehnung der Kurzarbeit das zentrale Instrument zur Krisenbewältigung war. Das haben wir gemeinsam richtig gemacht.
Zweitens spricht nichts dagegen, dass der Staat dort,
wo ein Investitionsstau vorhanden ist, eingreift. Es spricht
also nichts gegen staatliche Investitionen. Problematisch
wird es bei den Schulden, die man macht, um das Geld
nicht in Investitionen und in die Zukunft, sondern in die
Vergangenheit und in den Konsum zu investieren. Leider
Gottes scheint das das Problem derjenigen Staaten zu
sein, die in Europa bisher in Schwierigkeiten sind. Das ist
die Problemlage.
Wenn ich Sie falsch verstanden haben sollte und Sie
stattdessen meinen, Investitionen seien notwendig, dann
müssen wir einmal auf europäischer Ebene klären, warum die Strukturbeihilfen von diesen Ländern nicht abgerufen worden sind und im Gegenzug Schulden aufgebaut worden sind. Also: Dieses Geld ist offenbar nicht in
Investitionen, sondern in den Konsum geflossen. Ich
muss Ihnen sagen: Es ist sinnvoll, Investitionen zu unterstützen. Aber Schulden machen für Konsum ist falsch.
({0})
Das kann man aus meiner Sicht letztendlich nicht unterstützen.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätze zur
Thematik der Energiepolitik sagen, die hier auch eine
Rolle gespielt hat. Ich würde mir wünschen, dass wir,
wenn wir ein gemeinsames Projekt wie die Energiewende angehen, das etwas weniger wahltaktisch tun und
uns gegenseitig weniger Vorwürfe machen, nach dem
Motto: Die einen wollen es nicht, die anderen können es
nicht usw. - Ich weiß, das ist ein frommer Wunsch, der
nicht in Erfüllung gehen wird, aber ich würde mir hier
ein bisschen mehr Problembewusstsein wünschen.
Wir haben immer gesagt, dass das, was wir hier tun,
Zeit und Geld kostet, dass die Versorgungssicherheit ein
Problem und dass die Akzeptanz ein Thema ist. Man
kann uns nicht vorhalten, dass wir ohne Problembewusstsein in die Debatte gegangen sind. Was man uns
vorhalten kann, ist, dass wir uns zu sehr auf Ihre problemorientierte Diskussion einlassen. Sie wollen ja nur
über die Probleme und nicht über die Lösungen diskutieren. Darauf lassen wir uns zu sehr ein. Das ist falsch.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir müssen uns beispielsweise mehr Gedanken über das neue Marktdesign
machen, wofür man sich beispielsweise im Wirtschaftsressort brennend interessiert. Nach meiner festen Überzeugung ist im Strombereich der Zukunft weniger der
Arbeitspreis je Kilowattstunde von Bedeutung. Wir müssen uns stattdessen mehr auf einen Markt konzentrieren,
auf dem man Leistung handelt. Diese Erkenntnis ist uralt; die gab es schon, als man die ersten Wasserkraftwerke in Deutschland gebaut hat. Das hilft uns, in
Zukunft Gaskraftwerke zu bauen, und führt uns aus der
Misere, dass Strom, der auf dem Dach produziert und
teuer eingespeist wird, für den Eigenverbrauch billig
vom Kraftwerk zurückgekauft wird.
Diese Themen sollten wir in den Vordergrund stellen,
und wir sollten nicht immer in die Falle gehen und uns
von einer ideologischen Diskussion über das EEG leiten
lassen. Das führt nämlich nicht weiter.
Kollege Dr. Nüßlein, würden Sie bitte einmal nicht
nur den Herrn Minister anschauen, sondern auch beachten, dass vor Ihnen etwas blinkt.
({0})
Ja. Ich schaue den Minister nicht nur an, sondern ich
werde ihn auch noch ansprechen und ihm meine Sicht
noch einmal darlegen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und die
Geduld. Vielen herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Dr. Georg Nüßlein. - Nächster
Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Dr. Michael Luther. Bitte schön, Kollege Dr. Michael
Luther.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debatte zum Einzelplan des Wirtschaftsministeriums ist nun zweieinhalb Stunden alt. Ich bin
jetzt der letzte Redner. Am Ende dieser Woche wird der
Bundestag den Haushalt zur weiteren Beratung in die
Verantwortung des Haushaltsausschusses geben.
Zweieinhalb Stunden habe ich dem, was gesagt worden ist, intensiv zugehört. Ich bin der Meinung, dass
diese Debatte in erster Lesung dazu dient, über den
Haushalt zu reden und dem Haushaltsausschuss Vorschläge zu machen, was er bei seinen Beratungen in den
nächsten zwei Monaten beachten könnte.
({0})
Ich denke, der Herr Minister hat die Debatte gut eröffnet.
({1})
Er hat an dieser Stelle noch einmal festgestellt, wo wir
heute in Deutschland stehen:
({2})
Wir haben eine erfolgreiche und robuste Wirtschaft, wir
haben eine niedrige Arbeitslosigkeit - so niedrig wie seit
21 Jahren nicht mehr -, und die Jugendarbeitslosigkeit in
Deutschland ist ebenfalls sehr niedrig. Ich denke, das ist
ein Erfolg. Man kann auch einmal über Erfolg reden und
sagen: Das, was wir gemeinsam geleistet haben, ist gut.
Das ist der momentane Stand.
Er hat aber auch gesagt, dass wir uns auf dem schon
Erreichten nicht ausruhen dürfen, sondern dass wir weitergehen und die Zeichen der Zeit heute erkennen müssen, um das weiterzuentwickeln.
Der nächste Redner war der Kollege Heil. Es ist für
mich sehr interessant: Schon mehrfach in dieser Haushaltswoche - gestern und vorgestern - war die SPD sehr
stolz, dass sie die Agenda 2010 gemacht hat. Sie war
wichtig und richtig; das will ich an dieser Stelle auch
einmal sagen. Sie ist damals von der Mehrheit im Bundesrat - auch von CDU, CSU und FDP - unterstützt
worden, weil wir das als gemeinsames Anliegen erkannt
haben. Worüber ich mich bei Ihnen aber wundere, ist,
dass Sie heute immer wieder eine Rolle rückwärts machen und ständig Abstand von dem nehmen, was Sie damals als richtig und gut empfunden haben. Das verstehe
ich überhaupt nicht.
({3})
Ich empfehle Ihnen, Ihre Rede von heute aufzuheben.
Ich glaube, Sie werden sie in zehn Jahren noch immer
gebrauchen können, weil Sie auf mehr nicht verweisen
können.
({4})
Um mit der Mär ein Ende zu machen, das sei alles
Rot-Grün gewesen, muss man sagen: Schwarz-Gelb ist
nun seit drei Jahren in der Verantwortung.
({5})
Ich denke, wenn die Koalition alles verkehrt gemacht
hätte, dann würden wir heute nicht da stehen, wo wir stehen. Ich glaube, sie hat sehr viel richtig gemacht,
({6})
und genau deshalb ist sie entscheidend dafür verantwortlich, dass wir heute so gut dastehen.
Herr Fuchs hat als nächster Redner das Thema Energiewende für mich sehr eindrücklich dargestellt.
({7})
Das, was in diesem Zusammenhang gesagt worden ist,
ist sehr wichtig. Wir wollen die Energiewende. Die
Energiewende muss uns gemeinsam gelingen. Sie ist
aber kein Selbstläufer; auch das ist klar.
An dieser Stelle will ich eines feststellen: Acht Bundesländer haben sich vorgenommen, zukünftig beim
Strom autark zu sein, und acht Bundesländer haben sich
vorgenommen, Strom zu exportieren, aber keiner hat
bislang abschließend die Frage beantwortet, wie die
Stromsicherheit kontinuierlich über einen ganzen Tag
und über ein ganzes Jahr hinweg sichergestellt werden
kann. Keiner hat wirklich im Blick, was mit den Strompreisen passiert, wenn die Förderung durch das EEG
nicht gebremst wird, sondern die Entwicklung so weitergeht. Das zeigt, dass es lohnenswert und notwendig ist,
dass Bundestag und Bundesländer darüber reden
- schließlich tragen sie gemeinsam Verantwortung -,
wie wir diese Probleme in den Griff bekommen können.
Herr Brandner, an dieser Stelle will ich Ihnen recht
geben: Der Netzausbau ist völlig richtig. Sie haben die
Fakten alle aufgelistet. Ich glaube aber, dass es nicht
ausreicht, nur die Bevölkerung aufzuklären. Wir brauchen auch Gesetze, die einen schnellen Netzausbau ermöglichen. Ich denke in diesem Zusammenhang an ein
sehr erfolgreiches Gesetz auf einem anderen Gebiet
- dieses Gesetz war nach 1990 sehr nützlich -, nämlich an
das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Wenn
wir das nicht gehabt hätten, hätten wir die Probleme, die
im Zusammenhang mit der deutschen Einheit verkehrstechnisch auf uns zukamen - ich will sie nicht im Einzelnen ausführen -, nicht bewältigen können. Wenn wir
kein ähnliches Instrument schaffen, das ähnliche
Möglichkeiten bietet und das es uns ermöglicht, den
Netzausbau schnell zu organisieren, dann werden wir
den Netzausbau nicht schaffen. Dann würde ein wichtiges Instrument in der Energiepolitik fehlen.
Wenn ich schon bei Ihnen bin, Herr Brandner, will ich
auch das Thema GRW erwähnen; das ist schon mehrfach
angesprochen worden. Ich bin dafür bekannt, dass ich
mich immer dafür einsetze, dass wir dieses Instrument
hochhalten, weil es ein gutes Instrument ist. Ich glaube,
es lohnt sich wirklich, im Rahmen der Haushaltsberatungen noch einmal darüber zu reden. Herr Heil, da sie immer so stolz auf das sind, was Rot-Grün alles zustande
gebracht hat, will ich an dieser Stelle aber auch daran erinnern, dass Sie, als Sie die Regierungsverantwortung
innehatten, die Mittel für die GRW halbiert haben.
({8})
Jetzt, in der Opposition, bringen Sie immer wieder tolle
Anträge ein und wollen die Mittel für die GRW erhöhen.
Ich finde, das ist kein lauteres Verhalten.
({9})
Zuletzt möchte ich auf den Kollegen Lindner eingehen. Das ist ein von mir geschätzter Kollege im Haushaltsausschuss. In Ihrer Rede, Herr Lindner, gab es einen
Widerspruch. Sie haben gesagt, wir müssten sparen,
({10})
und dann haben Sie eine Reihe von Beispielen gebracht,
wo man mehr ausgeben müsste. Das ist natürlich kein
Konzept, das in der Summe funktioniert. In den Haushaltsberatungen können wir uns aber gerne damit auseinandersetzen. Auch Ihre Behauptung, wir würden im
Haushalt die falschen Schwerpunkte setzen, ist nicht
richtig. Ich finde, dass wir die richtigen Schwerpunkte
gesetzt haben. Ich will ein paar nennen: Ein Schwerpunkt hat die Überschrift „Innovation, Technologie und
neue Mobilität“. Das spiegelt sich im Haushaltsentwurf
wider. Wir haben weiterhin das Thema „Energie und
Nachhaltigkeit“. Auch das spiegelt sich im Haushaltsentwurf wider. Wir geben auf diesem Gebiet eine Menge
Geld aus. Wir geben auch eine Menge Geld für Forschung und Entwicklung aus, gerade auch mit dem Ziel,
die Energiewende zu schaffen.
({11})
Auch der Mittelansatz für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, wird erhöht. Man kann sich
natürlich mehr wünschen. Ich denke aber, vor dem Hintergrund des Konsolidierungsziels ist das anständig und
ordentlich. Es gibt noch ein paar andere Schwerpunkte,
über die man in den Haushaltsberatungen reden kann.
Der vorliegende Entwurf ist meiner Ansicht nach ein guter Ausgangspunkt für konstruktive Haushaltsberatungen.
({12})
Die berühmte Uhr, auf die der Präsident hin und wieder schon hingewiesen hat, zeigt mir an, dass ich zum
Ende kommen muss. Das mache ich gerne.
Ich freue mich auf eine konstruktive Beratung in den
nächsten Wochen und Monaten im Haushaltsausschuss.
Wenn das, was die einzelnen Redner hier vorgetragen
haben, ernst zu nehmen ist und wir das gemeinsam umsetzen können, dann kommen wir zu einem guten Ergebnis in der zweiten und dritten Lesung.
Danke schön.
({13})
Vielen Dank, Kollege Dr. Michael Luther. - Weitere
Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht
vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Das Wort als erste Rednerin in unserer Aussprache
hat für die Bundesregierung Frau Bundesministerin
Dr. Ursula von der Leyen. - Bitte schön, Frau Bundesministerin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 20,
25 Jahren gibt es in der Rentenpolitik eine Gretchenfrage, die immer wieder gestellt wird: Ist die Rente sicher? Jeder Sozialpolitiker und jede Sozialpolitikerin hat
darauf eine eigene Antwort. Meine Antwort heute ist im
Kern die Antwort, die der Gesetzgeber in den letzten gut
zehn Jahren gegeben hat: Die Rente ist sicher, wenn wir
fleißig arbeiten, wenn wir zusätzlich privat vorsorgen
und wenn wir genügend Kinder erziehen. Ohne das geht
es nicht.
({0})
In diesem Sinne hat der Gesetzgeber die Kindererziehungszeiten höher bewertet. Er hat nach 2000 die zusätzliche Vorsorge für das Alter attraktiv gemacht. Er hat das
Renteneintrittsalter um zwei Jahre auf 67 erhöht. Er hat
auch das Rentenniveau so weit angepasst - er lässt es bis
auf 43 Prozent im Jahr 2030 absinken -, dass die nachkommenden Generationen von den Rentenlasten nicht
erdrückt werden. Ich kann nicht sehen, dass heute eine
maßgebliche Kraft im Parlament von diesem breiten
Konsens abrückt,
({1})
und das ist gut so, weil die Rente von Verlässlichkeit
lebt.
({2})
Aber auch der Umkehrschluss muss verlässlich sein.
Wenn jemand jahrzehntelang fleißig gearbeitet hat, wenn
er oder sie zusätzlich privat vorgesorgt hat
({3})
und auch noch Kinder erzogen hat, dann muss am Ende
des Tages eine eigene ausreichende Rente erreichbar
sein. Weil aber das Rentenniveau notwendigerweise
sinkt, gibt es eine wachsende Gruppe von Menschen, für
die das unerreichbar wird. Obwohl sie 35, 40 oder
45 Jahre Beiträge zahlen werden, obwohl sie einen Ausbildungsberuf haben und obwohl sie nach Tariflohn bezahlt werden, erreichen sie keine Rente über dem Existenzminimum. Wir sprechen von Menschen, die vor dem
Eintritt ins Rentenalter immer unabhängig von staatlichen Leistungen gewesen sind. Wir sind immer auf der
Seite der fleißigen Leute gewesen. Es kann uns nicht kalt
lassen,
({4})
dass diese Menschen im Alter zum Sozialamt gehen und
Grundsicherung beantragen müssen wie jemand, der keinen einzigen Tag gearbeitet hat. Das lässt uns nicht kalt.
({5})
Diese Gruppe ist heute noch klein. Es zeichnet sich
aber deutlich ab, dass sie wachsen wird. Das liegt zum
einen am Absinken des Rentenniveaus - dies ist unausweichlich -, es liegt aber auch daran, dass sich die private Säule - sie ist unverzichtbar - schwächer entwickelt
hat, als wir es vor zehn Jahren angenommen haben.
({6})
40 Prozent der Geringverdiener sorgen weder durch
Riestern noch durch eine betriebliche Altersvorsorge
vor.
({7})
Gerade sie müssten dies eigentlich tun, aber sie geraten
in die Falle, dass die Erträge daraus angerechnet werden,
wenn diese Menschen in der Grundsicherung landen. Allein schon deshalb wird die Zahl derer, die in der Grundsicherung fürs Alter landen, für die der Bundeshaushalt
sowieso künftig geradestehen wird, unweigerlich anwachsen.
Das heißt für uns: Die Bekämpfung der Altersarmut
gibt es nicht zum Nulltarif. Wir müssen uns jetzt dem
Problem stellen, wir müssen uns mit den Zahlen, die das
Problem beschreiben, auseinandersetzen, und wir müssen jetzt vorbeugen.
({8})
Ich finde, es ist auch eine Frage der Generationensolidarität, dass wir Ältere, denen es verhältnismäßig gut
geht, angesichts der wachsenden Probleme der Jungen
nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir wollen, dass
sich junge Menschen darauf verlassen können, im Spiegel ihres Erwerbslebens in Würde altern zu können. Das
ist unser Ziel.
({9})
Damit sind wir beim Arbeitsmarkt selbst. Wenn der
Satz „Die Renten von morgen sind immer auch ein Spiegelbild des Arbeitsmarktes von heute“ stimmt, wie muss
denn dann der Arbeitsmarkt beschaffen sein? Es muss
ein nachhaltiger Arbeitsmarkt sein, der von Anfang an
die Weichen richtig stellt. Eine solide Ausbildung ist die
beste Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt. Wir haben den
niedrigsten Stand der Jugendarbeitslosigkeit in Europa.
Das ist schon einmal eine ganz wichtige Basis für die
Zukunft.
({10})
Wir nehmen jährlich rund 3 Milliarden Euro in die
Hand, um jungen Menschen den Übergang von der
Schule zum Beruf zu ermöglichen. Wir haben eine Rekordbeschäftigung: 41,6 Millionen Menschen sind in Arbeit. Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Es
ist uns gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit seit 2007
um 40 Prozent zu senken. Wir stellen im kommenden
Jahr rund 8 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik in der Grundsicherung zur Verfügung. Denn für uns
ist und bleibt das wichtigste Ziel: der Übergang in den
ersten Arbeitsmarkt. Dies ist für die Menschen entscheidend; das ist die Basis, auf der wir aufbauen.
({11})
Es ist auch gut, dass der Anteil der Frauen in Beschäftigung noch nie so hoch war wie heute. Aber wir dürfen
nicht nachlassen. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie sind unbestreitbar noch Hindernisse vorhanden.
Die gläserne Decke ist strukturell fest verankert, wenn
Frauen an die Spitze wollen. Frauen dürfen sich nicht in
die Teilzeitfalle oder in die Minijobsackgasse abdrängen
lassen, und zwar nicht nur deshalb, damit es heute für
den Lebensunterhalt reicht, sondern auch, damit es später für die eigene Rente reicht.
Richtig ist auch, dass gute Arbeit auf Dauer fair bezahlt werden muss. Deshalb haben wir in zwölf Branchen für insgesamt mehr als 4 Millionen Menschen gesetzliche Lohnuntergrenzen festgeschrieben,
({12})
übrigens nicht gegen, sondern mit den Tarifpartnern. Ich
bin davon überzeugt, dass das auf Dauer der richtige
Weg in Deutschland allgemein ist.
({13})
Ich hoffe, dass wir so klug sein werden, es einer Kommission zu überlassen, die Höhe einer Lohnuntergrenze
festzulegen.
({14})
- Da sagen Sie: Unter 10 Euro hilft es nicht.
({15})
Machen wir uns doch nichts vor: Mit Blick auf die Altersvorsorge lindern Mindestlöhne höchstens das Problem, aber sie lösen es nicht.
({16})
Selbst bei einem Mindestlohn von 12 Euro, den meines
Wissens niemand in diesem Haus verlangt, muss man,
von heute an gerechnet, 40 Jahre lang Vollzeit arbeiten,
um eine Rente knapp über der Grundsicherung zu erreichen.
({17})
Ein so hoher Mindestlohn zerstört aber Arbeit. Das
zeigt: Im Arbeitsmarkt gibt es viel zu tun, aber die Gerechtigkeitslücke im Rentensystem bleibt bestehen. Da
müssen wir ran, meine Damen und Herren.
({18})
Mein Vorschlag liegt jetzt auf dem Tisch. Er ist im
vorliegenden Haushaltsplanentwurf abgebildet. Über die
Details können wir streiten. Aber wie auch immer unsere
Antworten ausfallen, uns sollte ein Gedanke einen: Wir
sollten der kommenden Generation gute Gründe an die
Hand geben, damit sie beherzt für ein solidarisches Rentensystem eintritt, anstatt die Flinte ins Korn zu werfen.
({19})
Dazu lade ich Sie ein.
Vielen Dank.
({20})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Andrea Nahles. Bitte schön, Frau Kollegin Nahles.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Arbeitsministerin ist mit einer Minireform zur Bekämpfung der Altersarmut in den eigenen Reihen gescheitert,
erst an Wolfgang Schäuble, dem Finanzminister, der verhindert hat, dass das einzig Sinnvolle kommt, nämlich
eine steuerfinanzierte Zuschussrente. Dann hat Frau
Merkel die Arbeitsministerin auch noch am langen Arm
verhungern lassen. Frau von der Leyen, was machen Sie
jetzt? Sie schmusen sich an uns heran,
({0})
nach dem Motto: Herrchen gibt mir nicht genug Futter.
Dann suche ich mir ein neues Frauchen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, schmusen Sie doch einmal mit sich selbst; denn
Ihre Beziehung hat es nötig, wenn ich nur die Berichterstattung der letzten Wochen sehe.
({2})
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir Ihnen zu
einer solchen Reform nicht die Hand reichen werden.
({3})
Es ist nämlich richtig, was Frau von der Leyen eben gesagt hat: Rente braucht Verlässlichkeit. Nur, Frau von
der Leyen: Wie unwürdig ist es dann, dass Sie versucht
haben, mit irreführenden Zahlen einen innerparteilichen
Geländegewinn zu erreichen? Ich wiederhole: mit irreführenden Zahlen. Sie unterstellen, die Rentnerinnen
und Rentner in Deutschland hätten keine weiteren Einkünfte, was nachweislich falsch ist. Sie unterstellen, dass
sie alle Singles sind und alleine leben. Sie suggerieren
den Deutschen, und zwar geschickt, dass das deutsche
Volk vor einer Welle von Rentenkürzungen steht. Wissen
Sie was? Das ist nicht wahr. Dies ist das erste Mal, dass
eine Arbeitsministerin bzw. ein Arbeitsminister in diesem Land zu einem solchen Mittel greift. Dafür sollten
Sie sich wirklich schämen.
({4})
Ich sage Ihnen: Wir haben in Deutschland einen
Agent Provocateur der Versicherungsbranche, und der
heißt Ursula von der Leyen. Ich meine das ernst. In den
letzten Tagen habe ich nämlich mit zig Leuten gesprochen, die aufgrund der von Ihnen genannten falschen
Zahlen jetzt meinen, eine zusätzliche private Rentenversicherung abschließen zu müssen. Dabei sollten Sie als
Arbeitsministerin dieses Landes der Anwalt der gesetzlichen Rentenversicherung und damit der breiten Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land sein, Frau von der
Leyen.
({5})
Ich sage Ihnen noch etwas: Man muss gar nicht mit
Zahlen tricksen, um zu wissen, dass die Altersarmut in
unserem Land erheblich steigen wird, wenn wir nicht
endlich die Hauptursachen für den Anstieg der Altersarmut bekämpfen.
({6})
Die Hauptursache sind Armutslöhne, Frau von der
Leyen; das ist der entscheidende Punkt.
({7})
Frau Kollegin Andrea Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Tauber von der Fraktion der
CDU/CSU?
Bitte.
Bitte schön, Herr Kollege.
Liebe Frau Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie meine
Zwischenfrage zulassen. - Da Sie im Hinblick auf die
private Altersvorsorge von einem Agent Provocateur gesprochen haben, würde ich gerne wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Ministerin, wenn sie für die private
Vorsorge wirbt, dies aufgrund ihrer politischen Verantwortung für die Gesellschaft tut,
({0})
und ob Sie wissen, dass sich Herr Riester die Vorträge,
die er hält, um für die private Vorsorge zu werben, gut
bezahlen lässt. Ich glaube, unter diesem Gesichtspunkt
stellt sich die Frage, wer hier aus eigenem Interesse als
Agent Provocateur der Versicherungsgesellschaften
agiert. Das würde ich gerne von Ihnen wissen.
({1})
Herr Kollege, eine Bedingung für die Gewährung der
Zuschussrente ist, dass man privat vorsorgt. Genau dieser Punkt ist wirklich besonders problematisch, und
zwar aus dem einfachen Grund, weil dies gerade für die
Bezieher niedriger Einkommen nicht möglich ist, sodass
es hier erhebliche Lücken gibt. Diejenigen, die die Zuschussrente am dringendsten bräuchten, würden durch
diese Zusatzbedingung von Frau von der Leyen niemals
von der Zuschussrente profitieren. Deswegen ist das ein
völliger Irrweg. Das ist meine Position dazu.
({0})
Wir sind jetzt bei den Armutslöhnen.
({1})
Man kann jeden Monat erleben, dass Frau von der Leyen
strahlend vor die Kameras tritt und die guten Arbeitsmarktzahlen verkündet.
({2})
Frau Kollegin Nahles, es gibt einen weiteren Wunsch
nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Kollegen
Ernst.
Nein, jetzt nicht mehr. Ich muss jetzt wirklich zu des
Pudels Kern kommen;
({0})
das sind die Löhne in Deutschland. Frau von der Leyen,
auch ich freue mich über gute Arbeitsmarktzahlen, und
zwar jedes Mal. Wir haben in Deutschland nämlich auch
schon andere Zeiten erlebt.
({1})
Gerade die Sozialdemokraten haben für ihre Arbeitsmarktreformen, was die politische Unterstützung angeht,
einen hohen Preis zahlen müssen. Aber ich frage Sie:
Merken Sie eigentlich nicht, was in Deutschland Sache
ist?
({2})
Mittlerweile erfolgen 50 Prozent der Neueinstellungen nur noch befristet.
({3})
Die Leiharbeiter in diesem Land werden mit Löhnen abgespeist, die nur halb so hoch sind wie die der normal
Beschäftigten in einem Betrieb.
({4})
21 Prozent der Menschen in Deutschland arbeiten hart
und bekommen trotzdem nur Niedriglöhne. Auch diese
21 Prozent der Menschen sind fleißig. Frau von der
Leyen, Sie haben eben gesagt: Man muss nur fleißig arbeiten. - Nein, viele arbeiten fleißig und bekommen
trotzdem nur Armutslöhne.
Was haben Sie dagegen unternommen? Nichts haben
Sie dagegen unternommen!
({5})
Gesetzlicher Mindestlohn? Fehlanzeige! Tarifbindung in
unserem Land stabilisieren? Fehlanzeige! Sie reden zwar
von Mindestlöhnen, die als Lohnuntergrenze mit Löchern so groß wie in einem Schweizer Käse daherkommen, aber Sie tun noch nicht einmal das.
Es kommt hinzu, dass Sie aus meiner Sicht völlig unverantwortlich den Eindruck erwecken, dass die Fehler,
die am Arbeitsmarkt gemacht werden, am Ende durch
eine Minizuschussrente von Ihnen wieder korrigiert werden können.
({6})
Das heißt doch wirklich, die Menschen in unserem Land
hinter die Fichte führen, liebe Frau von der Leyen.
({7})
Ich sage Ihnen auch, dass ich mich seit geraumer Zeit
frage, warum diese Regierungskoalition, insbesondere
die Kollegen von der CDU, nicht mehr zuwege bringen.
({8})
Ich weiß, Sie haben gute Sozialpolitiker in Ihren Reihen.
Ich weiß, dass zum Beispiel Peter Weiß ein guter Rentenexperte ist. Ich weiß, dass Herr Schiewerling sich
wirklich für arbeitslose Menschen interessiert.
({9})
Ich weiß, dass es zum Beispiel einen ganz hervorragenden Rentenexperten im Saarland namens Andreas Storm
gibt.
({10})
Warum kommt dann so ein Mist dabei herum? Ich
sage Ihnen: Das liegt daran, dass die Sozialpolitiker in
dieser Regierung nichts zu sagen haben und deswegen
für die Menschen in diesem Land nichts erreichen können.
({11})
Damit müssen Sie sich einmal beschäftigen. In der
Union ist eine Entwertung der Sozialpolitik erfolgt, die
es in diesem Maße vor 20 Jahren nicht gegeben hätte.
Auch deswegen können wir, mit Verlaub, nicht auf Ihre
merkwürdige Zuschussrente und andere Konzepte eingehen.
({12})
Arbeit ist gut für das Selbstwertgefühl der Menschen.
Es geht um die innere Würde hart arbeitender Menschen.
Arbeit schafft Zufriedenheit, wenn man dafür ausreichend entlohnt wird.
({13})
Die Menschen in Deutschland wollen, dass sich ihre
Rente danach bemisst, was sie geleistet haben. Sie wollen doch in Wirklichkeit nichts geschenkt bekommen,
sondern sie wollen am Ende des Tages, dass sich aus
dem, was sie in ihrer Arbeit geleistet haben, eine anständige Rente ergibt. Das zu erreichen, muss doch unser
Ziel sein. Deswegen sperren wir uns nicht dagegen,
steuerfinanzierte Mindestsicherungen einzuführen, wenn
es nicht gelingt, eine anständige Rente aus Arbeit zu
schaffen.
Aber es kann doch nicht sein, dass, da wir Angst haben, uns mit den Arbeitgebern anzulegen, die keine anständigen Löhne zahlen, die Beitragszahler für diese unanständigen Dumpinglöhne herhalten müssen und wir
das Problem vom Ende her angehen. Das, was Sie vorgelegt haben, akzeptieren wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten nicht als Lösungsweg.
({14})
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Sie tun nichts, um Altersarmut zu bekämpfen. Sie reden darüber, Sie streiten
darüber, Sie packen aber nichts an. Das müssen Sie verantworten. Aber ich denke, das werden die Bürgerinnen
und Bürger bewerten. Dafür haben sie im nächsten Jahr
eine gute Gelegenheit.
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin Andrea Nahles. - Bevor
ich der Frau Kollegin Dr. Winterstein das Wort erteile,
gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Klaus Ernst.
({0})
Liebe Kollegin Nahles, dass Sie die Arbeitsministerin
dafür kritisieren, wie die entsprechenden Zahlen zustande kommen, dafür habe ich noch Verständnis.
Ich habe aber - das ist der erste Punkt - kein Verständnis dafür, dass Sie nicht im selben Atemzug sagen,
dass es aufgrund dieser Zahlen zumindest gelungen ist,
das Thema Altersarmut auf die Tagesordnung zu setzen.
Dafür bin ich der Ministerin ausgesprochen dankbar.
Zweitens. Die SPD lobt seit zwei Tagen in jeder Rede
ihre Reformen, die Hartz-Gesetze und die sogenannten
Veränderungen am Arbeitsmarkt, und gleichzeitig macht
sie die niedrigen Löhne für die schlechten Renten in der
Bundesrepublik verantwortlich. Dafür seid ihr mitverantwortlich. Ich kann diese Heuchelei kaum noch ertragen.
({0})
Wenn man schon eine Politik macht, bei der man über
die Hartz-Gesetze und durch Leiharbeit und Befristung
die Löhne senkt, dann hätte man zumindest in der Zeit,
als ihr die Mehrheit hattet, den Mindestlohn einführen
müssen. Das habt ihr auch nicht gemacht. Das ist der
nächste Vorwurf. Ich kann es wirklich nicht mehr hören.
({1})
Drittens. Die Altersarmut hat nicht nur mit den Löhnen zu tun. Sie hat zwar auch damit zu tun, aber nicht
nur. Das zweite wesentliche Element ist das Absenken
des Rentenniveaus auf 43 Prozent. Jetzt lese ich euren
Vorschlag: Sie wollen an dieser Absenkung des Rentenniveaus festhalten. Damit sind Sie auch weiter für
Altersarmut in dieser Republik verantwortlich. Ich kann
es nicht mehr ertragen, wie Sie sich aus dieser Verantwortung herausstehlen.
({2})
Die Linke hat ein Konzept vorgetragen. Dazu gehört
natürlich, dass man die Kürzung des Rentenniveaus
rückgängig machen muss. Wir kommen erst wieder zu
einer vernünftigen Rente, wenn das von Ihnen gesenkte
Niveau wieder angehoben wird.
({3})
Zur Gegenrede, bitte schön, Frau Kollegin Andrea
Nahles.
Herr Ernst, erstens kann ich nichts dafür, wenn Sie es
nicht mehr ertragen können. Ich empfehle Ihnen, dann
das Plenum in Zukunft zu verlassen. Das ist aus meiner
Sicht der einzige Weg, um aneinander vorbeizukommen.
Zweitens. Ich erwarte von einer Ministerin, dass sie
nicht mit Zahlen trickst und Angst schürt. Das tut sie
aber. Sie kann doch nicht unterstellen, dass das Durchschnittseinkommen im Jahr 2030 auf demselben Niveau
ist wie heute. Mit Verlaub, das ist unredlich. Es gibt
einen Zusammenhang zwischen Standardrente und
Durchschnittseinkommen. Ich möchte nicht das Einmaleins der Rentenpolitik durchgehen. Ich erwarte von der
Ministerin, dass sie das kennt, und sie kennt es auch. Sie
macht aber bewusst etwas anderes, weil sie ihr Konzept
innerparteilich nicht durchbekommt. Das finde ich schäbig; das wiederhole ich hier noch einmal ausdrücklich.
({0})
Im Übrigen gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Ernst.
Es gibt das Problem der Altersarmut. Es wird zunehmen,
wenn wir nicht für bessere Arbeitsbedingungen, Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und vor allem für eine Mindestlohnabsicherung sorgen. Diese allerdings wird aus
meiner Sicht mit dieser Bundesregierung in keiner Weise
umsetzbar sein. Deswegen ist es besser, dass es an dieser
Stelle ausgesprochen wird: Wenn wir bei der Rente Verbesserungen erreichen wollen, dann sollten wir zuerst
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen.
Wenn es dann am Ende Menschen gibt, die es nicht
schaffen, vollständig aus Erwerbsarbeit vernünftige
Renten zu bekommen und noch einen Zuschuss brauchen - das wird wahrscheinlich der Fall sein -, bin ich
die Letzte, die sagt: „Wir brauchen keine Mindestabsicherung“, aber dann bitte schön steuerfinanziert statt
aus den Taschen der Beitragszahler.
({1})
Wenn es etwas gibt, das aus Steuern finanziert werden
sollte, dann ist das eine ergänzende Rente. Insoweit - das
muss ich ehrlich sagen - ist das von Ihnen vorgelegte
Konzept a) nicht ausreichend und b) auch noch falsch
finanziert.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen nun
weiter in der Reihenfolge unserer Wortmeldungen. Als
Nächste hat das Wort für die Fraktion der FDP unsere
Kollegin Dr. Claudia Winterstein. Bitte schön, Frau Kollegin Winterstein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erst einmal zurück zum Haushalt. Als Haushaltspolitikerin will ich es noch einmal deutlich sagen:
Mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2013 liegen
wir bei den Ausgaben um 10,5 Milliarden Euro unter
dem Ansatz für 2012.
({0})
Das heißt, es wird gespart. Das ist der einzig richtige
Weg zur Konsolidierung des Haushaltes.
({1})
Der Einzelplan für Arbeit und Soziales leistet hierzu
einen guten Beitrag. Obwohl das so ist, meine Damen
und Herren von der Opposition, liegt in diesem Bundeshaushalt der Schwerpunkt aller Ausgaben auf der sozialen Sicherung, nämlich mit 48 Prozent. Zu Zeiten von
Rot-Grün lag der Wert bei 42 Prozent.
({2})
Das zeigt, dass wir uns unserer sozialen Verantwortung
sehr wohl bewusst sind. Diese Zahlen müssen Sie zur
Kenntnis nehmen.
Dank deutlicher Einsparungen und dank der guten
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt können wir im
Bereich Arbeit und Soziales die Ausgaben im Vergleich
zu 2012 um 7,4 Milliarden Euro senken.
Wir haben uns bestimmte Ziele gesetzt, und wir
haben sie auch erreicht. Unser Ziel war, mehr Menschen
in Arbeit zu bringen. Ergebnis: Wir erleben Rekorde. Im
Juni waren 41,7 Millionen Menschen erwerbstätig, so
viele wie nie zuvor. Das sind 469 000 mehr als im vergangenen Jahr. Ich möchte betonen, dass auch die Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gut aussieht. Im Juni lag diese Zahl bei knapp 29 Millionen.
Das sind 546 000 mehr als im Vorjahr.
Unser Ziel war, das Verwaltungs- und Eingliederungsbudget, mit dem der Bund arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen bezahlt, bis zum Jahr 2013 auf etwa 8 Milliarden Euro zurückzuführen. Ergebnis: Wir haben diese
Sparvorgaben aus dem Zukunftspaket 2010 punktgenau
erfüllt.
({3})
Unser Ziel war, die Zahl der Arbeitslosen weiter zu
verringern. Ergebnis: Bei den Arbeitslosen liegen wir
stabil bei unter 3 Millionen. Im August waren es
2,9 Millionen, 40 000 weniger als im letzten Jahr. Wenn
man zugleich berücksichtigt, dass sich nach den Zahlen
der Bundesagentur für Arbeit im August 2012 insgesamt 160 000 Menschen weniger in geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befanden als vor einem
Jahr - diese zählen nicht als Arbeitslose -, dann stellt
man fest, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit letztendlich sogar noch höher ist, als es die offiziellen Zahlen
zeigen. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({4})
Es läuft also gut auf dem Arbeitsmarkt, auch dank der
mutigen und tatkräftigen Unternehmer in diesem Land.
Darüber sollten wir uns freuen.
Für die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit bedeutet das: Sie profitiert doppelt, weil sie sowohl höhere
Einnahmen aus den Beiträgen der Versicherten bekommt
als auch geringere Ausgaben aufgrund der gesunkenen
Zahl der Arbeitslosen hat.
Zwischen dem Bundeshaushalt und dem Etat der
Bundesagentur für Arbeit flossen bisher jährlich Milliarden hin und her. Der Bund beteiligte sich mit Milliardensummen an den Kosten der Arbeitsförderung im Bereich
Arbeitslosengeld I. Die Bundesagentur beteiligte sich
mit Milliardensummen an den Eingliederungskosten im
Bereich ALG II. Mit diesem Haushalt werden in der
Beziehung zwischen Bund und Bundesagentur endlich
klare Verhältnisse geschaffen.
({5})
Der Bund beteiligt sich eben nicht mehr an den Kosten
der Arbeitsförderung. Im Gegenzug entfällt der Eingliederungsbeitrag bei der BA. Für den Haushalt 2013
bedeutet das eine Ersparnis von 2,1 Milliarden Euro.
Das ist ein ganz hervorragender Konsolidierungsbeitrag.
Zugleich kommt die Bundesagentur in ihrer mittelfristigen Finanzeinschätzung zu dem Ergebnis, dass sie
unter Maßgabe der neuen Regelungen und bei einem
Beitragssatz von 3 Prozent bis Ende 2016 einen Überschuss von 9,5 Milliarden Euro aufbauen kann. Das ist
eine äußerst positive Nachricht.
({6})
Frau Hagedorn, noch eine positive Nachricht, nämlich für die Kommunen. In diesem Haushalt findet sich
wiederum eine massive Entlastung für die Kommunen.
Der Bund übernimmt jährlich steigende Anteile an den
Kosten bei der Grundsicherung im Alter. 2012 sind es
45 Prozent, 2013 75 Prozent und 2014 schließlich
100 Prozent. Betrachtet man die Zahlen für den Zeitraum von 2012 bis 2016, dann stellt man fest, dass sich
allein aus dieser Kostenübernahme eine Entlastung
zugunsten der Kommunen von circa 20 Milliarden Euro
ergibt. Für den Bundeshaushalt ist das ein wirklich großer Kraftakt. Für die Kommunen ist das eine große
Freude.
Frau Kollegin Dr. Winterstein, wie Sie sicherlich
schon gesehen haben, möchte die Kollegin Hagedorn
eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte gerne fortfahren.
({0})
Ich möchte jetzt kurz zum Thema Rente kommen. Ich
will dazu nicht viel sagen, aber das Thema hat den letzten Wortbeitrag völlig beherrscht. Mein Kollege, Herr
Dr. Kolb, wird nachher noch einiges zur Rente sagen.
Ich will aber eines klarstellen: Im Haushaltsentwurf für
2013 ist kein Geld für die Zuschussrente vorgesehen.
Das ist aus meiner Sicht auch richtig; denn, wie Volker
Kauder schon gesagt hat, eine Vermischung des Versicherungs- und des Fürsorgeprinzips ist kein geeignetes
Mittel zur Bekämpfung von Altersarmut. Da müssen wir
nach anderen Lösungen suchen.
Ein Zweites. Die Kritik an der Senkung des Rentenbeitrags ist aus meiner Sicht völlig unverständlich. Wenn
ich versuche, die Motive dafür zu ergründen, dann wird
eines deutlich: Alle diejenigen, die jetzt höhere Rücklagen für die Rentenkasse fordern, wollen in Wirklichkeit nicht sparen, sondern sie wollen das Gegenteil, nämlich diese Rücklagen für neue soziale Wohltaten nutzen.
({1})
Das ist unvernünftig. Vernünftig ist vielmehr, die Beiträge zu senken, wie es im Gesetz auch eindeutig geregelt ist, und damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber um
insgesamt 6 Milliarden Euro zu entlasten.
Wir werden in den Einzelplanberatungen sorgfältig
prüfen, wo Korrekturen vorzunehmen sind. Eine Erhöhung der Neuverschuldung kommt jedenfalls nicht infrage. Diese Koalition hat Jahr für Jahr dafür gesorgt,
dass die Grenzen der Schuldenbremse nicht nur eingehalten, sondern deutlich unterschritten werden. Unser
Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt. Den werden wir bis
spätestens 2016 erreichen.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Winterstein. - Jetzt gibt
es eine Kurzintervention der Frau Kollegin Bettina
Hagedorn.
Frau Dr. Winterstein, Sie haben dargestellt, dass die
Bundesagentur für Arbeit 2016 mit einer Rücklage von
9,5 Milliarden Euro ausgestattet sein werde. Dabei haben
Sie aber vergessen, einige Kleinigkeiten zu erwähnen.
Der eine Punkt ist, dass in dem Topf dieser Rücklage im
Moment noch nicht einmal 1 Milliarde Euro ist. Das
heißt, dass der Aufbau dieser Rücklage erst in der
Zukunft erfolgen soll. Dabei wird - wie in Ihrem gesamten Haushalt - unterstellt, dass wir nicht nur 2013 ein
Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent haben, sondern
bis 2016 konstant ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent. Wie Sie diese äußerst optimistische Annahme mit
dem, was uns Experten angesichts der Euro- und Finanzkrise sagen, in Übereinstimmung bringen, sollten Sie
hier vielleicht erklären.
Eines ist allerdings besonders wichtig: Sie als Koalition haben sich hier gebrüstet, dass Sie die Kommunen
entlasten. Das finden auch wir Sozialdemokraten hervorragend. Das war unsere Forderung im Rahmen des Kompromisses, den wir gemeinsam gefunden haben. Was Sie
aber vergessen haben, zu erwähnen, ist, dass diese Entlastung ausschließlich auf dem Rücken der Bundesagentur für Arbeit erfolgt, indem ihr der Ertrag aus einem
halben Prozentpunkt der Mehrwertsteuer weggenommen
wurde. Vor allen Dingen haben Sie vergessen, zu erwähnen, dass nach Ihrem sogenannten Zukunftspaket der
Bundesagentur für Arbeit Jahr für Jahr in die Tasche
gegriffen wird. Im Jahr 2013 beläuft sich das Minus auf
3 Milliarden Euro. Das heißt, allein 2013 summieren
sich der gestrichene Ertrag aus einem halben Prozentpunkt der Mehrwertsteuer und die Summe, die aus dem
Griff in die Kasse der BA resultiert, auf 5,65 Milliarden
Euro. Um genau diesen Betrag von 2013 könnte die
Rücklage größer sein, wenn Sie die Kassen nicht künstlich geplündert hätten.
({0})
Zur Antwort, Frau Kollegin Dr. Winterstein.
Liebe Bettina Hagedorn, wir führen immer vielfältige
Diskussionen bei uns im Ausschuss zu diesem Thema.
Ich habe vorhin ganz korrekt gesagt, dass sich diese
9,5 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2016 ansammeln werden. Ich kann mich noch sehr gut an die Diskussionen erinnern, in denen gesagt wurde: Um Gottes
Willen, die Bundesagentur für Arbeit kann das überhaupt nicht verkraften. Es wird zu Defiziten kommen,
wenn wir diesen halben Prozentpunkt der Mehrwertsteuer nicht weiterleiten. Sie sehen: Wir sind überrascht worden. Die Zahlen
waren im letzten Jahr noch ganz anders; das wissen Sie
selber. Damals hat noch keiner eine solche Entwicklung
vermutet. Aber es ist nun einmal so. Wir sollten die Fakten zur Kenntnis nehmen, und wir sollten uns auch darüber freuen, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt so positiv ist. Die Bundesagentur für Arbeit leistet
hervorragende Arbeit. Sie muss sie in keiner Weise einschränken, sondern sie tut alles, um Arbeitslosigkeit zu
beseitigen, um alle Arbeitslosen - auch Langzeitarbeitslose - wieder in Arbeit und Brot zu bringen. Wir haben
festgestellt, dass es ihr sehr gut gelingt. Das zeigen die
Zahlen. Insofern, glaube ich, sind wir hier auf einem
richtigen und guten Weg und setzen das Geld so effizient, wie es nur irgend geht, ein.
({0})
Wir fahren in der Reihenfolge der Wortmeldungen
fort.
Ich gebe das Wort für die Fraktion Die Linke unserer
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Lötzsch.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Einzelplan Arbeit und Soziales
ist der größte im Bundeshaushalt, und das wird gern als
Argument verwendet - Frau Winterstein hat das auch
wieder getan -, um zu sagen: Sehet her, wie sozial es in
unserem Land zugeht.
({0})
Das klingt im ersten Augenblick logisch. Bei genauerem
Hinsehen zeigt sich aber: Logisch ist es nicht.
Ich frage Sie: Ist es Ausdruck von guten sozialen Verhältnissen, wenn 1,2 Millionen Menschen arbeiten gehen und von ihrer Hände und Köpfe Arbeit nicht leben
können? Ist es etwa Ausdruck von guten sozialen Verhältnissen, wenn 1,2 Millionen Menschen Hartz IV beantragen müssen, obwohl sie arbeiten gehen? Ich glaube
nicht.
({1})
Auch die Erhöhung des Hartz-IV-Betrags um 8 Euro
wird nicht dazu beitragen, dass diese Menschen wirklich
gut für ihre Familien sorgen können. Wir sind der Auffassung: Hier brauchen wir eine deutliche Erhöhung
- nein, wir brauchen noch mehr -, wir brauchen eine
Überwindung des unwürdigen Hartz-Systems.
({2})
Ist es etwa Ausdruck von guten sozialen Verhältnissen,
wenn 2,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zusätzlich einen Minijob annehmen müssen, um ihren Lohn aufzubessern? Oder ist es etwa Ausdruck einer
guten sozialen Situation, wenn 761 000 Rentnerinnen
und Rentner arbeiten gehen müssen, um ihre schmalen
Altersbezüge aufzustocken? Ich frage Sie: Wann haben
diese Menschen Zeit für ihre Kinder, für pflegebedürftige Angehörige, für ehrenamtliche Arbeit in unserer Gesellschaft oder einfach nur einmal für sich selbst?
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Arbeitsministerin, die sich in einem vermeintlichen Jobwunder sonnt. Sicher, in den vergangenen Jahren sind
auch gute Arbeitsplätze entstanden. Aber das sogenannte
deutsche Jobwunder basiert doch überwiegend auf Billigjobs wie Leiharbeit, Beschäftigung im Rahmen von
Werkverträgen und Minijobs. Jeder fünfte Arbeitnehmer
in Deutschland bekommt nur einen Niedriglohn, und damit ist auch Altersarmut vorprogrammiert. Wir als Linke
sagen: So kann das nicht weitergehen.
({3})
Wir erwarten von der Arbeitsministerin, dass sie in
der Koalition gesetzliche Regelungen, die die arbeitenden Menschen schützen, durchsetzt. Ich sage Ihnen
auch: Wir brauchen keine Arbeitsministerin in unserem
Land, die unstet von einem Thema zum anderen hüpft
und so tut, als müsse sie sich allen als Ersatzkanzlerin
anbieten.
({4})
Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn
in Höhe von 10 Euro, und wir brauchen ein Verbot von
diskriminierender Leiharbeit. Wir brauchen ordentliche
und zuverlässige Qualifizierung von Arbeitslosen.
({5})
Minister Schäuble hat am Dienstag zwei richtige
Dinge gesagt:
Er hat zum einen darauf verwiesen, dass Deutschland
bisher relativ gut durch die Krise gekommen sei. Das ist
richtig, wenn man das Wort „relativ“ mit beachtet.
Zweitens hat Minister Schäuble darauf hingewiesen,
dass das nicht automatisch immer so bleiben wird. Auch
das ist richtig. Da dachte ich mir, dass Sie, Frau von der
Leyen, so etwas vielleicht auch einmal in Ihrem Kabinett
besprechen und dass diese Erkenntnisse in die Haushaltsaufstellung einfließen. Aber bei der Aufstellung Ihres Haushalts gehen Sie davon aus, dass die Konjunktur
anhält und die Arbeitslosenzahlen weiter sinken. Das hat
mit der Realität nichts zu tun - leider.
Die Wirtschaftsorganisation OECD geht davon aus,
dass die Rezession noch in diesem Jahr auch Deutschland treffen kann. Wie reagieren Sie auf diese unerfreuliche Prognose? Völlig falsch! Die Bundesregierung hat
fatalerweise bereits im Jahr 2010 beschlossen, im Zeitraum von 2011 bis 2014 in der aktiven Arbeitsmarktpolitik 16 Milliarden Euro zu streichen.
Das ist noch nicht alles. Zählt man den Bereich der
Sozialleistungen wie zum Beispiel die Streichung des
Elterngelds oder die der Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger hinzu, dann ergibt sich eine Kürzungssumme von etwa 30 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich. Das muss zurückgenommen werden.
({6})
Wir müssen jetzt vorausschauend einen Schutzschirm
für Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer aufspannen.
Wir brauchen eine wirklich aktive Arbeitsmarktpolitik.
Wir brauchen einen guten öffentlichen Beschäftigungssektor, und wir brauchen Sonderregelungen zur erleichterten Kurzarbeit sowie eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: All das ist
wirklich finanzierbar. Es geht allerdings nur durch eine
solidarische Umverteilung in unserer Gesellschaft. Das
heißt, starke Schultern müssen mehr tragen. Wir brauchen eine höhere Erbschaftsteuer, eine höhere Einkommensteuer und eine Millionärssteuer, und wir brauchen
endlich nicht nur das Gerede über die Einführung der
Finanztransaktionsteuer, sondern wir brauchen eine
schnelle Einführung einer wirklichen Finanztransaktionsteuer.
({7})
Meine Damen und Herren, wir werden die Haushaltsberatungen dazu nutzen, für einen wirklich soliden und
solidarischen Haushalt zu kämpfen. Dieser Haushalt ist
nicht zukunftsgewandt. Er ist nicht verantwortlich. Er
steht auf tönernen Füßen. Das haben die Menschen in
unserem Land nicht verdient.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Priska Hinz. Bitte, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von der Leyen, an einem Thema haben Sie bei
der Einbringung Ihres Einzelplans konsequent vorbeigeredet, nämlich an dem Thema, dass Ihr Etat das Sparschwein des Finanzministers ist, und zwar seit Beginn
dieser Wahlperiode.
({0})
Dieses Sparschwein wird permanent geschlachtet.
({1})
Nirgendwo spart die Bundesregierung so dreist Geld
ein wie bei diesem Etat und bei den Beitragszahlerinnen
und Beitragszahlern. Von 2011 bis geplant 2014 sind es
im Sozialbereich Kürzungen in Höhe von 30 Milliarden
Euro. Frau Winterstein stellt sich hier hin und sagt: Wir
finden es gut, dass im Haushalt endlich einmal gespart
wird.
({2})
Meine Damen und Herren, das geht zulasten derjenigen,
die Unterstützung brauchen. Das ist keine Konsolidierung des Haushalts. Den anderen Teilaspekt, den Sie einmal versprochen haben, dass eine Konsolidierung auch
von den Unternehmen mitgetragen werden muss - wir
sagen, sie muss auch von Vermögenden mitgetragen
werden -, blenden Sie völlig aus. Das ist wirklich ein
Drama.
({3})
Frau von der Leyen, Sie kündigen medienwirksam
immer neue Baustellen an. Jetzt ist es die Bekämpfung
der Altersarmut. Es ist doch klar: Das beste Mittel zur
Bekämpfung der Altersarmut sind Einstiegschancen in
den Arbeitsmarkt, Qualifizierung und Aufstiegschancen
aus dem Niedriglohnsektor, in dem sich inzwischen jeder Fünfte befindet, und gute und konsequente Mindestlöhne. Auch hier haben Sie eine Baustelle aufgemacht.
Irre ist nur, dass Sie all das ankündigen, aber nie zum
Richtfest kommen. Sie kommen von der Baustelle nicht
einmal bis zum Richtfest, und das werfen wir Ihnen zu
Recht vor.
({4})
Bei der Agentur für Arbeit wird besonders gespart. In
diesem Jahr gibt es dort wieder einen Taschenspielertrick. Nach dem Geschehen im letzten Jahr, bei dem der
BA ein halber Mehrwertsteuerprozentpunkt entzogen
wurde, damit die Grundsicherung im Alter finanziert
werden kann, wobei diese Finanzierung eigentlich zulasten des Bundeshaushalts in Form einer Steuerfinanzierung hätte geschehen müssen, werden der Bundesagentur für Arbeit jetzt 2 Milliarden Euro genommen. Das
sind 2 Milliarden Euro, die bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik fehlen.
Wir haben beim Gründungszuschuss gesehen, was
dann passiert. Da bricht dieses erfolgreiche Instrument
völlig weg. Die Menschen, die Interesse haben, die - um
in Ihren Worten zu sprechen - fleißig sein wollen, haben
gar keine Chance mehr, fleißig zu sein und auf eine
Rente hinzuarbeiten, in welchem System auch immer.
({5})
Auch Qualifizierung kostet Geld. Nur wenn man qualifiziert, kann man Menschen in Arbeit bringen und erreichen, dass sie überhaupt für die Rente vorsorgen, dass
sie in die Rentenkasse einzahlen und auch noch private
Vorsorge betreiben. Qualifizierung ist aber nur möglich,
wenn man die Mittel dafür nicht streicht, wie Sie es tun.
Deswegen sagen wir ganz klar: Wir wollen einen sozialen Arbeitsmarkt. Wir wollen aktive Arbeitsmarktpolitik, die Menschen den Zugang gewährt und ihnen die
Möglichkeit eröffnet, sich zu qualifizieren, um tatsächlich gute Löhne und gute Arbeitsplätze zu haben.
({6})
Ich weiß nicht, woher Sie den Glauben nehmen, dass
die Konjunktur so bleibt, wie sie ist, Frau Winterstein.
({7})
Sie reden von Überschüssen, die die BA demnächst haben wird. Aber die Wachstumsprognosen werden jetzt
schon wieder zurückgenommen. Herr Weise, der bei uns
regelmäßig im Ausschuss ist, hat deutlich gemacht, dass
es diese Überschüsse nur geben kann, wenn die Situation
so bleibt, wie sie ist, und die Arbeitslosenzahlen nicht
weiter steigen.
Priska Hinz ({8})
({9})
Aber was haben wir zu verzeichnen? Das Konjunkturwachstum bricht laut Prognosen ein, und die Zahl der
Arbeitslosen steigt auch schon wieder an. Deswegen
weiß ich nicht, woher Sie Ihren Glauben nehmen, dass
alles gut wird. Gerade die BA dürfte nicht geschröpft
werden; denn in Zeiten der Krise brauchen wir die BA.
Das hat sich bei den Kurzarbeiterlöhnen gezeigt. Nur
wenn wir solche Überbrückungsmöglichkeiten haben,
können Menschen und Unternehmen tatsächlich erfolgreich Krisen überstehen. Das ist das, was wir Grünen
verfolgen und worauf wir unsere Politik ausrichten.
({10})
Sie liefern das leider alles nicht. Mit dem vorliegenden Entwurf reiht sich der Sozialetat in die traurige
Reihe der Etats mit fehlender Vorsorge im Bundeshaushalt für das Jahr 2013 ein.
({11})
Ich finde, Sie sollten sich an unseren Vorschlägen
orientieren. Wir brauchen eine steuerfinanzierte Garantierente. Wir brauchen aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir
brauchen Mindestlöhne, und wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt. Dafür werden wir kämpfen, meine
Damen und Herren.
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hinz. - Nächster Redner
in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege
Karl Schiewerling.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Hört man den Rednern
- oder wenigstens einigen von der Opposition - hier zu,
so gewinnt man den Eindruck, als drohe in Deutschland
die blanke Verelendung. Wenn wir uns die Umfragen anschauen, erleben wir aber etwas völlig Neues. Wir erleben nämlich, dass die Menschen plötzlich deutlich weniger Angst vor Arbeitslosigkeit haben. Nach der Statistik,
die aussagt, wovor sich Menschen fürchten, ist die Angst
vor Arbeitslosigkeit deutlich gesunken.
({0})
Das kommt nicht von ungefähr. Deswegen ist es
wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in der Tat einen
Zuwachs an Beschäftigung haben. Wir haben eine so
hohe Beschäftigung, wie wir sie seit der Wiedervereinigung nicht hatten. Allein im Vergleich zum letzten Jahr
sind es 470 000 Beschäftigte mehr. Wir haben dank unseres dualen Systems die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben einen Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit um etwa 40 Prozent. Zum ersten Mal seit
45 Jahren erleben wir, dass nach einer Rezession kein
höherer Sockel von Arbeitslosen zurückbleibt, sondern
dass der Sockel der Arbeitslosen, auch der Langzeitarbeitslosen, kleiner wird.
({1})
Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen. Wir sollten froh sein, dass wir diese Entwicklung haben. Vor diesem Hintergrund wäre es unvernünftig, den Haushalt
nicht darauf auszurichten. Deswegen - und nur deswegen - kann im Haushalt der Bundesarbeitsministerin
Geld eingespart werden.
({2})
Es wird eingespart, weil es den Menschen besser geht
und deswegen die Hilfesysteme an dieser Stelle nicht
nötig sind.
({3})
Meine Damen und Herren, ob aber diese positive Entwicklung anhält - das sage ich Ihnen sehr deutlich -,
hängt auch mit der Frage zusammen, wie sich die Staatsschuldenkrise entwickelt und wie sie sich auf unsere
Konjunktur auswirkt; das ist richtig. Ich freue mich, dass
der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit,
Herr Weise, so optimistisch ist, dass er sagt: Sie wird
sich nicht negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken.
({4})
Er geht davon aus, dass die prognostizierten Zahlen
2013 erreicht werden. Ich freue mich sehr, dass Herr
Weise zu dieser Einschätzung kommt, und wie ich ihn
kenne, hat er die Zahlen sauber durchgerechnet.
Meine Damen und Herren, Frau Nahles, ich komme
auf einen Punkt zurück, der mich schon etwas überrascht
hat; ich habe da überlegt, ob ich in einem anderen Land
lebe. Wir haben in dieser Koalition im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ganz maßgeblich Dinge verändert, die
zu früheren Zeiten im Rahmen der Agenda 2010 gemacht worden sind. Die Zeitarbeit ist von uns reguliert
worden, in dieser Legislaturperiode. Wir haben die
Dinge wieder so weit in Ordnung gebracht, dass wir in
der Lage sind, in der Zeitarbeit bessere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
({5})
Deswegen gibt es in der Zeitarbeit keine „blanke Verelendung“. Es mag nach der Definition eine atypische
Beschäftigung sein; aber Fakt ist, dass wir im Bereich
der Zeitarbeit durch Drehtürklauseln und Mindestlohn
tarifliche Regelungen gefunden haben, die Equal Pay
nahekommen.
({6})
Insofern bin ich froh, dass wir hier in einer guten Gesamtentwicklung sind. Dies geht von der Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik dieser Koalition aus; dies wurde von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf den Weg gebracht.
({7})
Kollege Karl Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf von der Fraktion der
Sozialdemokraten?
Ja.
Vielen Dank. - Karl Schiewerling, nun weiß ich ja,
dass Sie in der Regel sehr redlich sind. Würden Sie mir
recht geben, dass in der Großen Koalition gerade auch
die Zeit- und Leiharbeit Gegenstand der Debatten von
SPD und CDU/CSU war und dass sich die CDU/CSU im
Rahmen der Großen Koalition massiv geweigert hat,
einen Mindestlohn im Bereich der Zeit- und Leiharbeit
einzuführen, und zwar wegen der Wirtschaftspolitiker in
der Union? Würden Sie mir zugestehen, dass es stimmt,
dass ein solcher Mindestlohn auf der Tagesordnung der
Großen Koalition stand und die Union ihn verweigert
hat?
Ich möchte einen Dank aussprechen, dass die anständigen Sozialpolitiker und die Ordnungspolitiker in der
FDP dafür gesorgt haben, dass das Enteignungsprogramm der Ministerin von der Leyen auf Kosten der
Rentnerinnen und Rentner und der Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler, die von ihr vorgeschlagene Zuschussrente, verhindert worden ist. Dafür möchte ich
mich ausdrücklich bedanken.
In dem Zusammenhang habe ich noch eine Frage. Die
Ministerin unterstellt, dass wir in der Rentenversicherung im Jahre 2030 unausweichlich bei einem Leistungsniveau von 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns landen. Würden Sie mir zugestehen, dass die
Ministerin als Mitglied der Regierung gesetzeswidrig
handeln würde, wenn sie dies unwidersprochen hinnähme, weil nämlich das Gesetz vorsieht, dass die Regierung spätestens 2020 Vorschläge zu machen hat, wie
ein Leistungsniveau von 46 Prozent zu halten ist, sofern
abzusehen ist, dass dieses Niveau unterschritten werden
könnte? Die Ministerin hat sich hier hingestellt und so
getan, als wäre ein Leistungsniveau von 43 Prozent
unausweichlich. Das würde auch bedeuten, dass sie nicht
dagegensteuern würde, aber nach dem Gesetz müsste sie
es machen. Kann ich davon ausgehen, dass die CDU/
CSU, die dann wahrscheinlich nicht an der Regierung
ist, gesetzestreu agieren würde und ein Leistungsniveau
von 46 Prozent halten würde?
Sie können getrost davon ausgehen, dass die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion alles daransetzen wird, die
Altersrenten und die Altersabsicherung angesichts der in
der Tat auf uns zukommenden Entwicklung in eine Form
zu gießen, die es erlaubt, dass die Menschen, die, wie es
die Bundesarbeitsministerin vorhin dargelegt hat, getan
haben, was sie können - ich füge an dieser Stelle schon
jetzt hinzu: Das gilt aus meiner Sicht insbesondere für
die Frauen, die Kinder erzogen haben, die ihre Eltern im
Alter gepflegt haben, die arbeitslos waren, wieder einen
Minijob bekommen haben, wieder eine Teilzeitstelle
bekommen haben, wieder erwerbslos waren, aber ganz
wichtige Beiträge für die Zukunft unserer Gesellschaft
geleistet haben -, nicht auf Sozialhilfeniveau fallen. Darüber werden wir reden. Alle anderen Fragen, die rentenpolitisch zu beachten sind, werden wir in einem Dialog
aufgreifen und eine Lösung voranbringen.
Herr Kollege Schaaf, Ihre erste Frage war, ob wir in
der Großen Koalition über das Thema Leih- und Zeitarbeit diskutiert haben. Ja, das ist in der Großen Koalition
diskutiert worden, und zwar unter Berücksichtigung der
damaligen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen,
das heißt, unter Berücksichtigung der Bedingungen, die
die Koalition, auch die CDU/CSU, damals vorgefunden
hat. Wir sind froh, dass sich die Bedingungen jetzt geändert haben. Das ist auch die Antwort auf die Frage,
warum wir auf die aktuellen Entwicklungen, die damals
gerade begonnen haben, später reagiert haben.
({0})
Kollege Karl Schiewerling, darf ich Sie fragen, ob Sie
eine weitere Zwischenfrage zulassen?
Nein.
Ich möchte noch darauf hinweisen, lieber Herr Kollege
Anton Schaaf, dass es unter den Sozialpolitikern - das gilt
für alle Politiker - nur anständige Menschen gibt.
({0})
Bitte schön, Kollege Karl Schiewerling, machen Sie
weiter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In
Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Das hat es über
viele Jahre nicht gegeben. Ich will dieses Thema an dieser Stelle aufgreifen, weil das auf das Engste mit den
positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zusammenhängt. Ich bin froh, dass auf dem diesjährigen Sommerempfang der Industrie- und Handelskammer Nord
Westfalen Präsident Dr. Hüffer zu Recht darauf hingewiesen hat, dass es bei der Diskussion über den FachKarl Schiewerling
kräftemangel nicht nur um möglicherweise fehlende
Akademikerinnen oder Akademiker geht. Vielmehr
müssen wir endlich unseren Blick darauf richten, dass
wir auch gut ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker, Meisterinnen und Meister im Bereich Handwerk
brauchen. Daher halte ich es für notwendig, diesen Bereich stärker in den Fokus der Debatte zu nehmen. Da
kann jemand noch so hoch angesiedelt sein in seiner akademischen Ausbildung: Wenn sein Wasserspülbecken
nicht in Ordnung gebracht wird, dann wird er keinen
Spaß am Leben haben.
({0})
Die Hauptklage, die mir aus meiner Region, dem
Münsterland, immer wieder zugetragen wird, ist: Uns
fehlen gut ausgebildete Handwerker. In diesem Bereich
müssen wir mächtig gegensteuern. Wir müssen in unserem Land dafür sorgen, dass Bildung nicht mit Hochschulbildung gleichzusetzen ist, sondern dass Bildung
auch mit handwerklicher Bildung gleichzusetzen ist,
auch sie beinhaltet Perspektive und Qualifizierung.
Wenn wir diesen Sachverhalt nicht in den Mittelpunkt
rücken, dann werden wir uns wundern, was im zentralen
Bereich unserer Wirtschaft, dem handwerklichen Bereich, geschieht.
({1})
Lassen Sie mich einen weiteren Bereich ansprechen.
Die Entwicklung im Bereich der Grundsicherung fürArbeitsuchende bewegt uns alle. Mit den Änderungen im
SGB II haben wir tatsächlich erreicht, dass wir 40 Prozent weniger Langzeitarbeitslose haben. Über 1 Million
Menschen ist aus diesem Bereich - Gott sei Dank - ausgeschieden. Wir haben gemeinsam - das betone ich an
dieser Stelle sehr deutlich - im Rahmen der neuen Entwicklungen, die mit dem SGB II angestoßen worden
sind, Ordnung geschaffen. Wir haben eine Organisationsreform durchgeführt, wir haben die Regelsätze angehoben, und wir haben das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht. Es bleibt dabei: Das SGB II
ist ein lernendes System, in dem ständig die Erfahrungen
neu gesammelt und ausgewertet werden. Das führt letztendlich zu neuen Schritten.
({2})
Dank der guten Konjunktur sind wir in nicht wenigen
Orten an den harten Kern der Langzeitarbeitslosen herangekommen. Zu Beginn nächsten Jahres wird es notwendig sein, zu überprüfen, was die Organisationsreform gebracht hat. Wie haben sich die Dinge entwickelt?
Was ist aus den Wirkungen des Instrumentenkastens geworden, der erst ab dem 1. April dieses Jahres seine Wirkung entfaltet? Dann müssen wir die nächsten Schritte
einleiten. Aber um eines werbe ich hier im Hohen
Hause. Wir dürfen nicht jedes Mal anfangen, neue Gesetze zu verabschieden und Verordnungen zu erlassen,
sobald ein Problem auftaucht. Wir müssen den Menschen erst einmal Luft geben, um reagieren zu können,
um Erfahrungen zu sammeln, die hinterher ausgewertet
werden können.
({3})
Ich will darauf hinweisen, dass im Einzelplan der
Bundesarbeitsministerin Programme aufgeführt sind, die
ebenfalls ihre Wirkung entfalten, zum Beispiel das Programm der Bürgerarbeit oder wenn es um die Integration
der Älteren in den Arbeitsmarkt geht. Wir bleiben in
jedem Fall am Ball. Wir werden die Dinge weiterentwickeln, damit auch Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen.
Damit komme ich zu meinem letzten Punkt, nämlich
zur Frage der Alterssicherung. Ich gehe davon aus, dass
mein Kollege Max Straubinger darauf gleich noch im
Detail eingehen wird. Mir ist es ein großes Anliegen, an
dieser Stelle deutlich zu machen, dass die Grundsicherung im Alter, die wir eingeführt haben
({4})
- die in der Bundesrepublik eingeführt wurde -, ein System ist, dessen Wirkung nicht unterschätzt werden darf.
Es ist kein System dritter Klasse, sondern es unterstützt
Menschen, damit sie aufgefangen werden und nicht ins
Bodenlose fallen. Deswegen rate ich dringend dazu, das
Thema Rente als Lohn für Lebensleistung im Blick zu
behalten und es in der Alterssicherung aufzunehmen.
Manche Diskussionsbeiträge zur Frage der Absenkung
des Beitrags von 19,6 auf 19,0 Prozentpunkte
({5})
haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich wundere
mich, dass diejenigen, die den kapitalgedeckten Systemen mehr als kritisch gegenüberstehen, jetzt auf einmal
gar nicht genug Geld in der Rücklage haben können.
({6})
Selbst wenn wir den Beitrag jetzt auf 19,0 Prozentpunkte
absenken, bleiben immer noch 28 Milliarden Euro in der
Rücklage. Ich lenke allen Ernstes den Blick auf ein Problem, das neu ist, und ich bitte Sie, es ernst zu nehmen.
Die Bedingungen, unter denen die Rentenversicherung
das Geld anzulegen hat, dass es nämlich mündelsicher
angelegt und kurzfristig verfügbar im Rahmen von
60 bis 90 Tagen ist und dann auch noch Erträge erwirtschaftet, um die Inflationsrate auszugleichen, sind am
Kapitalmarkt unmöglich einzuhalten. Jeden Tag verlieren dann die Rücklagen, die dort liegen, an Wert. Wir
nehmen damit denjenigen, die Beiträge geleistet haben,
ein Stück Wert weg.
({7})
Aus diesem Grunde bin ich dafür, die Mittel zurückzugeben bzw. den Beitragssatz abzusenken; denn dann ist das
Geld bei den Betrieben und den Versicherten besser aufgehoben.
Ich bin dafür, dass wir uns darauf verständigen, dass
die Untergrenze, bis zu der die Rücklage abgesenkt werden darf, nicht mehr bei 0,2 Monatsausgaben liegt, sondern höher angesiedelt wird, und zwar bei 0,5 Monats23108
ausgaben. Ich weiß noch, dass wir im Dezember 2005
ein Darlehen benötigten, um die Rente überhaupt auszahlen zu können. Auf der anderen Seite müssen wir
einen breiteren Korridor schaffen, der zwei oder drei
Monatsausgaben beinhaltet. Wir müssen von der starren
gesetzlichen Regelung wegkommen und den Kapitalmarkt beobachten und von Fall zu Fall vernünftig entscheiden, wie wir mit der Rücklage umgehen. Ich
glaube, das ist die Antwort auf die Erfahrungen, die wir
in den letzten Wochen und Monaten gesammelt haben.
({8})
Meine Damen und Herren, ich danke der Bundesarbeitsministerin sehr herzlich, dass es ihr gelungen ist,
das Thema Sicherung im Alter auf die Tagesordnung zu
setzen.
({9})
Keiner kommt mehr an diesem Thema vorbei. Es ist gut,
dass wir die Augen davor nicht verschließen. Es ist kein
angenehmes Thema, es ist ein schwieriges Thema.
({10})
Es ist eine große Herausforderung, aber wir müssen sie
jetzt anpacken, das schulden wir der künftigen Generation. Es geht um die Frage, ob sich die Menschen auf uns
verlassen können.
Kollege Schiewerling, bitte kein neues Thema mehr
beginnen.
Es geht unter dem Strich darum, dass die Menschen,
weil sie sich auf uns verlassen können, mit Sicherheit
und voller Hoffnung in die Zukunft schauen können.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Karl Schiewerling. - Nächste
Rednerin in unserer Aussprache ist unsere Kollegin Elke
Ferner für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte
schön, Frau Kollegin Elke Ferner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin einmal sehr gespannt, auf was sich die Koalition verständigen wird; denn offenbar gibt es noch keine Einigung über das Thema Alterssicherung. Bei Frau von der
Leyen, muss ich sagen, ist es wie immer: Sie macht eine
groß angelegte PR-Kampagne, kündigt eine Wohltat an
und verpackt diese dann in einem wunderschönen Paket.
Wenn der Empfänger das Paket öffnet, kommt das böse
Erwachen. Es geht Ihnen, Frau von der Leyen - ich muss
das leider so deutlich sagen -, immer nur um die eigene
Selbstinszenierung. Es geht Ihnen nicht um die Lösung
des Problems.
({0})
Sie preisen die Zuschussrente an als das Allheilmittel
gegen Altersarmut, und in dem schönen Paket ist nichts
anderes drin als ein Placebo.
Die Ursachen der Altersarmut bekämpfen Sie überhaupt nicht. Sie tun nichts - Frau Nahles hat das eben
gesagt - gegen die zunehmende Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse bei den jungen Leuten - das ist inzwischen das Normalarbeitsverhältnis geworden -, Sie tun
nichts zur Durchsetzung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Sie tun nichts - gar nichts! - gegen
die Entgeltdiskriminierung von Frauen,
({1})
Sie tun nichts, um Frauen, die einmal auf Teilzeit reduziert haben, einen Rechtsanspruch auf Vollzeit bzw. ihren alten Arbeitsplatz zu gewähren - das fordert sogar
Ihre Kollegin Schröder -, und Sie tun auch nichts, um
den Anteil der Frauen nicht nur in den oberen, sondern
auch in den mittleren Führungsebenen zu erhöhen. Sie
halten nur Sonntagsreden, in denen Sie von Ihrer Kollegin Frauenministerin das fordern, was Sie als Frauenministerin nicht gemacht haben. Das ist Ihre Politik,
Frau von der Leyen.
({2})
Es geht noch weiter: Sie kürzen dann auch noch bei
der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Ich frage Sie: Wann,
wenn nicht gerade in Zeiten guter Konjunktur, hat man
das notwendige Geld dafür, die Langzeitarbeitslosen, die
es noch immer nicht geschafft haben, so zu qualifizieren,
dass sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben? Sie
geben diese Langzeitarbeitslosen mehr oder weniger auf.
Eines muss ich Ihnen zu Ihrer Zuschussrente auch
noch sagen: Sie machen Fehler in der Arbeitsmarktpolitik - dort tun Sie ja eigentlich gar nichts -,
({3})
setzen den Hut der Rentenministerin auf und klagen darüber, dass es im Alter möglicherweise nicht reicht. Dabei ziehen Sie Zahlen hinzu, aufgrund derer man Sie
schon einmal fragen darf, was eigentlich Ihr Bild ist und
ob Sie überhaupt noch daran interessiert sind, dass die
Menschen Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung haben.
Es ist ja unbestritten, dass auch jemand nach 30 Erwerbsjahren mit einem Durchschnittseinkommen nicht
wirklich über die Armutsschwelle kommt. Wollen wir
aber wirklich, dass die Menschen nur 30 Jahre lang erwerbstätig sein können? Sie verteidigen die Rente mit
67. Ich rechne jetzt einmal 30 Jahre herunter: Sollen die
Menschen erst mit 37 Jahren anfangen, zu arbeiten? Was
ist denn das für ein Vergleich, den Sie hier ständig anstellen?
Ich glaube auch, dass Ihre Zuschussrente das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung untergräbt,
weil Sie damit keine Gerechtigkeit herstellen. Sie schaffen es damit nicht, die Altersarmut zu bekämpfen und zu
reduzieren, und Sie schaffen neue Ungerechtigkeiten,
weil diejenige, die es nicht schafft, privat vorzusorgen,
weil sie als alleinerziehende Verkäuferin die 10 Euro, die
sie im Monat übrig hat, vielleicht lieber in ihr Kind als in
ihre eigene Altersversorgung investiert, keine Zuschussrente bekommt, obwohl sie genauso lange gearbeitet hat
wie die Chefarztgattin bei der Freundin in der Boutique,
die privat vorsorgen konnte und sie bekommt. Ist denn
die Lebensleistung der alleinerziehenden Verkäuferin
weniger wert als die der anderen? Ich muss sagen: Sie
stellen hier keine Gerechtigkeit, sondern nur eine neue
Ungerechtigkeit her. Ihre Zuschussrente ist wirklich Augenwischerei und sonst nichts.
({4})
Es geht noch weiter. Sie tun in Sachen Gleichstellungspolitik ja immer so modern. Eigentlich haben Sie
sich eben selber verraten; denn Sie haben gesagt, dass
man unter anderem viele Kinder erziehen muss. Dann
bekäme man auch eine anständige Rente. Wissen Sie,
was Sie mit Ihrer Zuschussrente machen? Die Frauen,
die einen relativ geringen eigenen Rentenanspruch haben, gehen leer aus; denn die, die schon in Rente sind,
bekommen nichts. Denjenigen, die schon lange gearbeitet haben, werden erst die neuen Zeiten besser bewertet.
Das heißt, sie haben nur relativ wenig davon. Der Frauengeneration, die es aus eigener Kraft schaffen könnte,
über die Armutsschwelle zu kommen, suggerieren Sie:
Am besten ist es, du verdienst relativ wenig, weil du sowieso 850 Euro bekommst. - Jetzt sagen Sie auch noch:
Bekommt viele Kinder, erzieht sie und arbeitet nicht,
dann habt ihr auch eine anständige Rente.
Sie preisen der jungen Frauengeneration erneut das
Zuverdienermodell an, Frau von der Leyen. Das ist eigentlich das Gegenteil von dem, was Sie sonst immer
proklamieren.
({5})
Ich sage Ihnen noch eines: Der Totalverriss Ihres Vorschlags, den Sie von allen Seiten - auch aus Ihrer eigenen Koalition - gehört haben, kommt ja nicht von ungefähr. Eigentlich geht man so vor: Man versucht, das
Problem zu identifizieren, und diskutiert dann über die
Lösung. Sie bieten aber eine Lösung an, und wenn Sie
dann merken, dass niemand von Ihrer Lösung wirklich
begeistert ist, dann versuchen Sie, ein Problem dafür zu
finden.
Dieses Problem gibt es natürlich. Es bestreitet ja niemand, dass es durch die niedrigen Löhne in Zukunft
möglicherweise mehr Altersarmut gibt. Am Schluss haben Sie die bekannten Zahlen vorgelegt, um Ihre eigenen
Leute in die Ecke zu drängen, damit sie am Ende Ihrer
komischen Zuschussrente zustimmen.
({6})
Das ist keine seriöse Politik, Frau von der Leyen. Das ist
Kamikazepolitik. Ich sage Ihnen: Mit dieser Kamikazepolitik befinden Sie sich in allerbester Gesellschaft mit
Frau Merkel und Ihren Kabinettskollegen und Kabinettskolleginnen.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu der Beitragssatzsenkung sagen. Die Beitragssatzsenkung ist wirklich
mehr als dümmlich. Sie senken jetzt den Beitragssatz,
um ihn dann, nach Ihren eigenen Angaben, sukzessive
bis zum Jahr 2020 wieder hochzusetzen.
({7})
Wann, wenn nicht in guten Zeiten, versuche ich, mir
Rücklagen zu schaffen, um in den schlechten Zeiten besser dazustehen?
({8})
Wir wissen alle, dass die Konjunktur nicht so weiterlaufen wird wie jetzt. Wenn nachher die konjunkturelle
Delle kommt - weniger Beitragseinnahmen bei gleichzeitig steigenden Beitragssätzen -, dann verschärft sich
das Problem. Deswegen kann ich Sie nur ermuntern:
Stimmen Sie dem zu, was einige Ihrer Landesminister
und auch wir wollen. Lassen wir den Beitragssatz so,
wie er jetzt ist, damit wir jetzt wirklich einmal vorsorgen
können, damit wir uns einen Puffer für die Zukunft verschaffen.
Ihr Zuschussrentenmodell - das sei am Schluss noch
gesagt -, ist für uns überhaupt nicht verhandelbar, zumindest nicht, bevor Sie nicht angefangen haben, die Ursachen zu bekämpfen. Diesbezüglich müssen Sie in Vorleistung gehen, und dann sehen wir weiter. Ich denke,
spätestens im nächsten Jahr werden wir hier Veränderungen haben.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Altersarmut ist ein Problem, das heute glücklicherweise
nur vergleichsweise wenige Menschen betrifft.
({0})
Es ist ein Problem, das in Zukunft an Bedeutung gewinnen kann, aber nicht an Bedeutung gewinnen muss. Wir
haben durchaus die Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten, wenn wir heute anfangen, weil Rentenfragen immer Fragen mit langer Laufzeit sind.
Ich will darauf hinweisen, dass aus meiner Sicht die
gesetzliche Rente sicher ist. Ich sage das hier ohne Wenn
und Aber.
({1})
Sie ist und bleibt die wichtigste Säule der Altersvorsorge
in Deutschland. Die gesetzliche Rentenversicherung
führt in den allermeisten Fällen dazu, dass die Beitragszahler aus eigener Kraft einen Rentenanspruch oberhalb
des Grundsicherungsniveaus haben.
({2})
Dem, was Frau Ferner hier gesagt hat, ist beizupflichten: Es verbietet sich, mit Beitragszeiten von 35 Jahren
zu rechnen. Herr Rische von der Deutschen Rentenversicherung hat in einem Beitrag darauf hingewiesen, dass
es realistischer wäre, von Beitragszeiten zwischen
40 und 47 Jahren auszugehen. Bei solchen Beitragszeiten erreicht man auch mit einem durchschnittlichen
Lohnniveau eine eigene Altersvorsorge oberhalb der
Grundsicherung.
Wir setzen auf ein weiter gehendes Konzept. Die gesetzliche Rente - diesbezüglich gab es hier im Deutschen Bundestag einen breiten Konsens - muss um mindestens ein weiteres Instrument ergänzt werden, um die
private und/oder betriebliche Vorsorge. Viele Menschen
in Deutschland haben das erkannt. 60 Prozent der Arbeitnehmer zahlen in die betriebliche Altersvorsorge ein.
Das sind 19,6 Millionen Menschen. 15,6 Millionen
Menschen haben einen Riester-Vertrag. Auch für diejenigen, die schon heute privat und/oder betrieblich vorsorgen - auch diese Menschen darf man nicht verunsichern -, gilt, dass sie in der Summe aus gesetzlicher
Rente und privater und/oder betrieblicher Vorsorge ein
Alterseinkommen deutlich oberhalb der Grundsicherung
erzielen werden. Das wird auch in Zukunft in der weit
überwiegenden Mehrzahl der Fälle so sein. Das ist der
Normalfall in Deutschland, und das ist gut so.
({3})
Es gibt aber ein Problem, Herr Kollege Birkwald: Für
Geringverdiener lohnt es sich heute nicht, in die private
oder betriebliche Vorsorge zu investieren, weil diese
Menschen, falls die erwirtschaftete Leistung das Grundsicherungsniveau möglicherweise doch nicht überschreitet, erleben müssen, dass das, was sie mit eigener
Anstrengung erwirtschaftet haben, voll und ganz angerechnet wird. Das halten wir für falsch und dringend veränderungsbedürftig. Dieser Fehlanreiz muss beseitigt
werden. Wir von der FDP-Bundestagsfraktion fordern
hiermit einen Freibetrag von 100 Euro und darüber hinaus die Nichtanrechnung von weiteren mindestens
20 Prozent, um auch Geringverdienern das klare Signal
zu geben: Es lohnt sich, selbst etwas zu tun. Wenn diese
Kräfte zusammenwirken, werden wir erleben, dass Altersarmut in vielen Fällen vermieden werden kann.
({4})
Die SPD weist in ihrem Papier noch auf etwas anderes hin. Frau Kollegin Ferner, ich habe das Papier durchaus intensiv gelesen.
({5})
Sie schreibt, dass ein hohes Maß an Beschäftigung ein
Schlüssel zur Bekämpfung der Altersarmut ist. Ich will
hier in Erinnerung rufen - in diesem Bereich ist keine
Koalition in den letzten Jahren und Jahrzehnten so erfolgreich gewesen wie diese -: Wir haben den Höchststand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in
Deutschland.
({6})
- Nein, gerade wegen dieser Regierung. Ich sage gleich
noch mehr dazu.
Sie mäkeln immer, Frau Kollegin Ferner, dass das Beschäftigungsverhältnisse sind, die Ihnen nicht gefallen.
Ich will betonen: Jeder Beitrag zählt, egal ob er aus einem befristeten oder einem unbefristeten Arbeitsverhältnis kommt. Sie zahlen beide in gleicher Weise auf das
individuelle Rentenkonto ein.
({7})
Aus einem Zeitarbeitsverhältnis einen Beitrag zu entrichten, ist immer noch besser, als als Langzeitarbeitsloser keinen Beitrag auf seinem Rentenkonto gutgeschrieben zu bekommen.
({8})
Ich bitte Sie, das bei Ihrer Kritik hier zu bedenken.
({9})
Ein hohes Maß an Beschäftigung sollte es auch am
Ende des Erwerbslebens geben. Dies kann man - da denken Sie immerhin in die Richtung, in die die FDP schon
seit langem denkt - mit flexiblen Übergängen gewährleisten.
({10})
Ich finde es wichtig, dass wir die Menschen möglichst
lange im Erwerbsleben halten, sodass sie auch bei reduzierter Arbeitszeit möglicherweise noch eine ganze Zeit
lang weiter Rentenbeiträge einzahlen und damit auch erneut Rentenansprüche erwerben, die sie dann abschlagsfrei oberhalb der Regelaltersgrenze für die eigene Altersvorsorge einsetzen können. Aber man darf es nicht so
bürokratisch machen, wie Sie es vorschlagen: sieben
Jahre lang eine Reduzierung der Arbeitszeit um jeweils
10 Prozent. Frau Kollegin Ferner, was soll das denn?
({11})
Wer grundsicherungsfrei ist, der soll jenseits der 60
frei entscheiden können, ob und in welchem Umfang er
oder sie noch erwerbstätig sein will. Man sollte sich hier
auf ein unbürokratisches Konzept verständigen. Es
macht übrigens auch keinen Sinn, den Menschen vorzuschreiben, wie viel sie verdienen dürfen. Gerade weil jeder Beitrag zählt und weil Zuverdienste voll verbeitragt
werden, macht es Sinn, den Menschen zu erlauben, möglichst viel verdienen zu dürfen, wenn sie als Teilrentner
parallel tätig sind.
Sie wollen mit Ihrem Vorschlag zur abschlagsfreien
Erwerbsunfähigkeitsrente, Frau Kollegin Ferner - das
muss ich kritisch anmerken -,
({12})
das Tor zur Frühverrentung erneut sehr weit aufstoßen.
Ich glaube aber, Ziel einer nachhaltigen Rentenpolitik
kann nicht sein, die Menschen möglichst früh abschlagsfrei in Rente zu schicken, sondern Ziel muss sein, dafür
zu sorgen, dass sie möglichst lange gesund am Erwerbsleben teilhaben können.
({13})
Das liegt übrigens auch im Interesse der Menschen
selbst, weil Arbeit das Selbstwertgefühl steigert. Die
Vorschläge dafür habe ich schon genannt.
Die Beitragssatzsenkung halte ich für erforderlich.
Frau Kollegin Ferner, im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt hat sich die SPD auf europäischer Ebene sehr für
Wachstumsprogramme ausgesprochen; diese konnten
aus Ihrer Sicht nicht hoch genug sein. Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie endlich damit aufhören, im Bundesrat die Beseitigung der kalten Progression zu blockieren,
dann können wir 6,5 Milliarden Euro für die Menschen
freisetzen.
({14})
Wenn Sie die vorgesehene Rentenbeitragssatzsenkung
auf 19,0 Prozent nicht verhindern, dann können wir
weitere 6 Milliarden Euro gerade für Menschen mit geringem Einkommen aktivieren. Ein solches Wachstumsprogramm, 12,5 Milliarden Euro aus dem Stand, ist
möglich. Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde, und helfen
Sie uns dabei, dies zu realisieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat nun Matthias Birkwald für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine riesige Welle neuer Altersarmut rast auf uns zu, und wir
Linken warnen seit Jahren vor ihr. Bisher wurde das als
Schwarzmalerei abgetan.
({0})
Darum danke auch ich Ihnen, Frau Bundesministerin
von der Leyen. Sie haben mit Ihrer Schocktabelle dafür
gesorgt, dass endlich breit über Altersarmut diskutiert
wird. Aber Ihre Zuschussrente wird an der Altersarmut
leider nichts ändern. Darum sage ich Ihnen: Ihre
Diagnose ist fast richtig, nur Ihre Therapie ist leider völlig falsch.
({1})
Zur Diagnose gehört nämlich ebenfalls, dass die Altersarmut, Herr Kolb, schon heute bedrohlich näher
kommt. Denn:
Beständig sinkende Renten, steigende Zahlen in der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie bei den minijobenden Menschen im
Rentenalter haben eines gemeinsam: Sie sind die
Vorboten einer neuen Altersarmut.
Über 40 Prozent der Menschen haben nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am
Sonntag - die ist kein linksradikales Kampfblatt - Angst
vor Altersarmut.
Ihr Ministerium, Frau von der Leyen, hat die Fakten
dazu klar auf den Tisch gelegt: Langjährig Versicherte,
also Menschen, die 35 Versicherungsjahre erreicht
haben, die neu in Rente gingen, haben im Jahr 2000 im
Durchschnitt 1 021 Euro Rente gehabt. 2011 wurden
Neurentnerinnen und Neurentnern nur noch 953 Euro
überwiesen. Die durchschnittliche Rente bei voller
Erwerbsminderung sank in dieser Zeit von 738 Euro auf
634 Euro. Die durchschnittliche Rente der Frauen im
Westen lag vergangenes Jahr bei mickrigen 593 Euro.
Immer mehr Menschen im Rentenalter haben einen
Minijob. 120 000 Minijobberinnen und Minijobber sind
sogar älter als 75 Jahre. Vor allem sind immer mehr
Menschen auf die Grundsicherung im Alter angewiesen.
Doch das sind nur die offiziellen Zahlen. Viele Menschen beantragen nämlich aus Scham die Grundsicherung im Alter nicht. Würden all diejenigen, die einen
Anspruch auf Grundsicherung haben, sie auch wirklich
beantragen, würden wir hier heute nicht von 412 000,
sondern von mehr als 1 Million armer Alter reden. Das
heißt, Altersarmut ist schon heute ein Problem, und das
in einem der reichsten Länder der Welt. Ich nenne das
eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit.
({2})
Es ist also allerhöchste Zeit, endlich umzusteuern.
Die Rente muss wieder den einmal erworbenen Lebensstandard sichern, und sie muss vor Altersarmut schützen.
({3})
Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist: Das Rentenniveau
darf nicht weiter gesenkt werden. Ganz im Gegenteil: Es
muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, also auf
das Niveau aus dem Jahre 2000, bevor SPD und Grüne
es gesenkt haben.
({4})
Denn wenn das Rentenniveau weiter sinkt, ist die Gefahr
für die große Mehrheit der Friseurinnen, der Gebäudereiniger, der Kellnerinnen und der Leiharbeiter, der
Bäckerinnen, der Floristen und der Hotelkauffrauen riesengroß, in die Altersarmut zu rutschen. Sie alle haben
weniger als 2 200 Euro brutto im Monat. Das ist das Einkommen, das nach den Berechnungen von Frau von der
Leyen direkt in die Altersarmut führt. Ich sage Ihnen:
Das müsste nicht so sein.
Wer davon spricht, Altersarmut bekämpfen zu wollen,
macht sich völlig unglaubwürdig, wenn gleichzeitig das
Rentenniveau weiter sinken soll. Das gilt für die CDU,
für die FDP, für die SPD und auch für alle anderen, die
das wollen.
({5})
Deswegen ist das SPD-Rentenkonzept von Sigmar
Gabriel ein ebenso schlechtes Rentenkonzept wie das
von der CDU-Frau von der Leyen. Die SPD nennt
immerhin ein paar gute einzelne Punkte; das will ich
konzedieren. Aber das Rentenniveau soll weiter sinken.
Auch an der Rente erst ab 67 wollen weder Herr
Steinmeier noch Herr Gabriel irgendetwas ändern.
({6})
Dabei wird diese in Zukunft massiv für Rentenkürzungen sorgen. Deswegen ist es kein Wunder, dass die IG
Metall das SPD-Konzept ablehnt. Völlig zu Recht!
({7})
Wir Linken haben noch einen ausgesprochen wichtigen Grund, das Konzept des SPD-Chefs abzulehnen.
Von der Angleichung der ostdeutschen Renten an das
Westniveau ist in dem ganzen Papier nichts zu lesen.
Das ist wie bei der CDU und der FDP. Auch die machen
nichts für die Ostrentnerinnen und Ostrentner. Dabei
müssten die Renten der Menschen in den neuen Bundesländern so schnell wie möglich auf das Westniveau
angehoben werden, damit sowohl diejenigen, die heute
Rente bekommen, etwas davon haben als auch diejenigen, die dafür bestraft werden, dass sie heute mit 20 oder
25 Jahren im Osten leben.
({8})
Innerhalb von fünf Jahren kann das Rentenniveau stufenweise angehoben werden. Darum sollten dafür
2,4 Milliarden Euro in den Haushalt für das nächste Jahr
eingestellt werden.
({9})
Genau deshalb darf der Bundeszuschuss an die Rentenkasse im kommenden Jahr nicht um 1 Milliarde Euro
gekürzt werden. Die Rentenkasse braucht jeden Cent für
Rentengerechtigkeit und um Altersarmut zu vermeiden.
Darum ist es richtig, auf die Beitragssatzsenkung von
19,6 auf 19 Prozent zu verzichten. Auch das hilft, Altersarmut zu vermeiden.
({10})
Teilhabe darf auch im Alter nicht enden. Darum wollen wir den Solidarausgleich innerhalb der Rente stärken.
Deshalb will die Linke eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente
- diesen Begriff haben wir zuerst genannt - von zunächst
900 Euro einführen, die schrittweise auf 1 050 Euro
erhöht wird.
({11})
Das wäre eine Mindestrente, die vor Armut schützt und
die vor allem ihren Namen verdient.
({12})
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Wolfgang Strengmann-Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch ein Jahr Schwarz-Gelb;
({0})
drei Jahre haben wir hinter uns. Die sozialpolitische
Bilanz der Regierung kann man sich ganz aktuell auf der
Seite des Statistischen Bundesamtes im Internet
anschauen. Dort ist gerade die Topmeldung zu lesen,
dass die Armutsgefährdungsquote zwischen 2010 und
2011 von 14,5 Prozent auf 15,1 Prozent angestiegen ist.
Es ist kein sozialpolitischer Erfolg, aus armen Arbeitslosen arme Erwerbstätige zu machen. Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesregierung.
({1})
Was hat die Ministerin nicht alles versprochen: ein
einheitliches Rentensystem in Ost und West, ein Mittagessen für alle Kinder, Geigenunterricht noch dazu,
({2})
einen flächendeckenden Mindestlohn. Doch dann lief es
immer nach dem gleichen Prinzip ab: Entweder macht
die Ministerin gar nichts, oder - wenn sie etwas macht man wünscht sich, sie hätte besser nichts gemacht.
({3})
So sollte der Hartz-IV-Regelsatz neu berechnet werden; das war übrigens eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Was kam nach über einem Jahr heraus?
Es gab monatlich 5 Euro mehr.
({4})
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte aber
nicht nur Auswirkungen auf Hartz IV, sondern auch auf
das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Ministerin hat
relativ schnell festgestellt: Auch die Leistungen des
Asylbewerberleistungsgesetzes sind an dieser Stelle verfassungswidrig. Dann hat es zweieinhalb Jahre gedauert,
bis das Bundesverfassungsgericht erneut sagen musste:
Hier muss etwas getan werden. - Denn was hatte die
Bundesministerin unternommen? Nichts, gar nichts.
({5})
Was war mit der Ost-West-Rentenangleichung? Passiert ist nichts. Was war in Sachen Mindestlohn? Passiert
ist nichts. Aber, wie gesagt, noch schlimmer ist das, was
herauskommt, wenn die Ministerin etwas macht, Beispiel Bildungspaket. Am Ende stand ein bürokratisches
Monster, mit der Folge, dass die Betroffenen kaum etwas
erhalten.
({6})
Nun droht bei der Rente genau das Gleiche. Richtig
ist: Altersarmut ist ein Problem, übrigens schon heute. In
der Zukunft wird es allerdings massiv anwachsen, wenn
wir nichts dagegen tun. Es geht dabei um mehr als um
Altersarmut. Es geht um die Akzeptanz der Rentenversicherung.
Unser Vorschlag dazu besteht seit langem in der grünen Garantierente, mit der die Renten für langjährig Versicherte auf ein Mindestniveau aufgestockt werden.
Plötzlich entdeckt auch Frau von der Leyen das Thema
Altersarmut und fordert - „forderte“ muss man jetzt
schon fast sagen -, die Renten für langjährig Versicherte
auf ein Mindestniveau aufzustocken. Guttenberg lässt
grüßen! Aber: Die Kopie war von Anfang an schlechter
als unser Original. Es gab zu hohe Hürden, der Vorschlag war insgesamt zu bürokratisch, und er wäre deswegen relativ wirkungslos geblieben. Aber immerhin:
Der Grundgedanke, der ganz am Anfang der Zuschussrente stand, war richtig.
Was dann geschah, war typisch von der Leyen: Aus
der Aufstockung auf mindestens 850 Euro wurde eine
Aufstockung auf maximal 850 Euro.
({7})
Aus der Versicherungsleistung wurde eine bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung bzw. ein Mischmasch,
den Herr Kauder zu Recht kritisiert hat, also nichts anderes als eine zweite Sozialhilfe. Mit jeder neuen Modifikation wurden die Regelungen komplizierter und komplizierter. Gleichzeitig stellt sich die Ministerin hier hin
und tut immer noch so, als sei sie die Hauptkämpferin
gegen die Altersarmut. Wir sagen: Schluss mit der Vonder-Leyen-Show!
({8})
Wir brauchen eine unbürokratische, transparente
Garantierente, die die Menschen, ohne einen Antrag stellen zu müssen, automatisch bekommen. Nur so ist zu
gewährleisten, dass die verdeckte Armut bekämpft, die
Menschen nicht stigmatisiert und die Akzeptanz der
Rentenversicherung wiederhergestellt werden. Und:
30 Versicherungsjahre müssen reichen. Es müssen nicht
40 oder 45 Versicherungsjahre sein. Weitere Bedingungen wie „35 Jahre Riestern“ sind unnötig. Wir brauchen
eine Garantierente, die wirklich vor Armut schützt, und
kein Placebo.
({9})
Apropos Placebo. Auch die SPD hat jetzt ein Modell
vorgelegt. Sie nennt ihre Zuschussrente „Solidarrente“.
Bedingung: 40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre.
Das kommt einem bekannt vor. Die Hürden sind also
ähnlich hoch wie beim Vorschlag von Frau von der
Leyen. Für Frauen sind sie sogar noch höher. Denn bei
den 30 Beitragsjahren werden nur drei Jahre Kindererziehungszeit pro Kind gezählt, und Teilzeit soll weniger
zählen als Vollzeit. Gemeinsam ist beiden Konzepten,
dass sie eine zweite Sozialhilfe sind, also eine Art
Hartz IV de luxe für die Rente. Die SPD redet auch gar
nicht groß darum herum und nennt ihre Solidarrente
„zweite Stufe der Grundsicherung“. All das klingt nach
Großer Koalition.
({10})
Die Probleme werden damit aber nicht gelöst.
({11})
Ich möchte zum Schluss noch folgenden Punkt ansprechen:
Aufgrund der demografischen Entwicklung stehen
wir in der gesetzlichen Rentenversicherung in den
nächsten Jahren vor einem deutlichen Ausgabenanstieg. Es wäre absurd, wenn wir jetzt die Rücklagen … fast restlos abbauen, um kurzfristig den Beitragssatz … zu senken.
({12})
Dann stünden wir schon mittelfristig wieder vor
erheblichen Finanzierungsproblemen. Eine nachhaltige Rentenfinanzierung sieht anders aus.
({13})
Jetzt müsste eigentlich die CDU klatschen.
({14})
Jetzt müssten Sie zum Ende kommen.
Das war ein Zitat von Andreas Storm, der vor einem
Jahr noch Staatssekretär von Frau von der Leyen war
und jetzt Sozialminister im Saarland ist. Recht hat er:
Wir müssen über die Anpassung des Beitragssatzes neu
nachdenken. Da finde ich den Vorschlag von dem Kollegen Schiewerling durchaus vernünftig. Man könnte
darüber diskutieren, jetzt die Beitragssatzsenkung auszusetzen und dann über einen neuen Mechanismus nachzudenken.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wenn Mittel frei werden, dann sollten sie in die
Erwerbsminderungsrente gesteckt werden. Auch das ist
ein Punkt, zu dem es von der Ministerin immer nur
warme Worte gibt, von denen sich die Betroffenen aber
nichts kaufen können.
Herr Kollege, hören Sie mich nicht? Sie müssen wirklich zum Ende kommen.
Das alles ist typisch von der Leyen. Noch ein Jahr,
dann ist Schluss.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun Max Straubinger für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schon schwierig, wenn die Opposition keine richtigen
Kritikpunkte finden kann
({0})
und sich dann im Nirwana verliert. Vor allen Dingen
zeichnet sie dabei ein Bild, das mit der Realität in
Deutschland nichts mehr zu tun hat.
({1})
Deshalb möchte ich doch zuerst herausstellen, was
diese Bundesregierung geleistet hat, insbesondere für die
soziale Absicherung der Menschen in Deutschland, und
zwar aller Menschen in Deutschland.
({2})
Die Menschen können sich auf unsere sozialen Sicherungssysteme genauso wie auf den Beistand der Bundesregierung verlassen, ob jung oder alt.
Wir haben wieder - das zeigt sich sehr deutlich - ein
solides, stabiles und vor allen Dingen auf einer guten
finanziellen Basis stehendes Rentenversicherungssystem
geschaffen, während es bei Rot-Grün kein Geld mehr in
der Rücklage gegeben hat. Jetzt jammern Sie darüber,
dass die Rücklage nicht höher ist.
({3})
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, der Kollege
Schiewerling hat in keiner Weise die Absenkung des
Rentenbeitragssatzes kritisiert, sondern er hat sie sogar
begrüßt,
({4})
und zwar aufgrund mehrerer Tatbestände. Da ist zum
einen die schwierige Lage hinsichtlich der Anlagemöglichkeit für die deutsche Rentenversicherung zu nennen,
aber zum anderen - das ist viel wichtiger - gilt es, die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu
entlasten.
Die Linken-Fraktion will überall abkassieren.
({5})
Das ist der Unterschied zwischen unseren Politikansätzen. Wenn wir den Beitragssatz von 19,9 Prozent auf
19,6 Prozent und dann auf 19,0 Prozent absenken,
({6})
dann bedeutet das eine erhebliche Entlastung, insbesondere für die Geringverdiener, die durch Steuern ohnehin
kaum belastet sind.
Heute ist schon kritisiert worden, dass die Konjunktur
möglicherweise nicht mehr so rasant Fahrt aufnimmt,
wie das in der Vergangenheit der Fall war. Diese Beitragssatzsenkung ist eine konjunkturelle Stütze, weil
damit die Volkswirtschaft, die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und die Betriebe in unserem Land um insgesamt 6 Milliarden Euro entlastet werden. Das bedeutet
letztendlich Sicherheit für die Menschen.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hagedorn?
Gerne.
({0})
Herr Kollege Straubinger, weil Sie gerade gesagt
haben, dass Sie in dieser Koalition es waren, die die Sozialkassen und insbesondere die Rentenkasse stabilisiert
haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich gemeinsam mit
mir erinnern können, dass Sie für Ihr sogenanntes
Zukunfts- oder Sparpaket pro Jahr 1,8 Milliarden Euro
aus der Rentenkasse, die für Rentenzahlungen für Langzeitarbeitslose gedacht waren, herausgenommen haben.
Das hat nicht nur Konsequenzen für die Langzeitarbeitslosen, sondern es fehlen, seitdem Sie das gemacht haben,
in der Summe schon 5,4 Milliarden Euro in der Rentenkasse. Hinzu kommen weitere 5,4 Milliarden Euro bis
2016.
Es kommt aber noch etwas hinzu. Wir reden hier über
den Haushalt 2013 und den Finanzplan. Würden Sie mir
recht geben, dass Sie im Haushalt 2013 einen Konsolidierungsbeitrag von 1 Milliarde Euro aus der Rentenkasse vorgesehen haben und dann bis 2016 pro Jahr
1,25 Milliarden Euro? Das macht in der Summe bis 2016
etwa 4,75 Milliarden Euro, die in der Rentenkasse fehlen. Summa summarum macht das bis 2016 ein Minus
von 15,55 Milliarden Euro. Nennen Sie das Konsolidierung?
Natürlich ist das Konsolidierung, Frau Hagedorn. Das
Erste ist: Wir haben nämlich die gesetzlich notwendige
Rücklage von 1,5 Monatsrenten erreicht: Was ergibt es
für einen Sinn, diese Reserve zusätzlich aufzustocken?
Das Zweite ist: Auch wenn wir keine Beiträge für
Langzeitarbeitslose zahlen, so sind sie trotzdem weiter
versichert. Sie haben weiter Schutz bei der Erwerbsminderung und darüber hinaus. So ist es also nicht, Frau
Kollegin Hagedorn, wie Sie das Bild zeichnen, dass die
Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Sicherungssystemen dann schutzlos wären.
({0})
Auch das zeichnet unsere Politik aus.
({1})
Aber, werte Damen und Herren, nicht nur bei der
Rentenversicherung ist ein gutes finanzielles Fundament
gegeben, sondern das gilt für alle Sicherungssysteme, sei
es im Bereich Gesundheit, in dem wir ebenfalls hohe
Rücklagen gebildet haben, sei es bei der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit. Heute ist beklagt worden, dass bei
der Eingliederungshilfe gekürzt worden ist. Ich erinnere
daran, dass die Mittel im vergangenen Jahr nicht einmal
vollständig abgerufen worden sind.
({2})
Deshalb ist es gerechtfertigt, neue Ansätze vorzusehen.
Festzuhalten ist, dass wir die Kommunen entlasten,
indem wir die Grundsicherung übernehmen. Das ist ein
wichtiger Beitrag für die finanzielle Ausstattung der
Kommunen. Darüber hinaus zeigt es deutlich, dass diese
Bundesregierung mit ihrer Wirtschaftspolitik erreicht
hat, dass sich die Menschen in Deutschland auf die sozialen Sicherungssysteme und den Sozialstaat mit verlassen können.
Alle Redner sind heute schon vielfältig auf die Rentenversicherung und die aktuelle Diskussion eingegangen. Ich möchte etwas differenzierter beginnen und sagen, dass alle Alterssicherungssysteme, unabhängig
davon, ob sie umlagefinanziert oder kapitalgedeckt sind
- ich erinnere daran, dass die betrieblichen Altersvorsorgesysteme ebenso wie die privaten kapitalgedeckt sind -,
zu einem Zeitpunkt X, wenn die Leistungen zu erbringen
sind, davon abhängen, dass wir dafür eine vernünftige
volkswirtschaftliche Grundlage haben. Das ist entscheidend. Deshalb gilt es dies zu stärken. Das ist zuvörderst
die Aufgabe.
Wenn wir in der Vergangenheit Rentenreformen gemacht haben, einmal im Wettstreit und vielleicht auch
einmal in großer Gemeinsamkeit, dann ist der Grund dafür auch, dass es eine Änderung der Bevölkerungsstruktur gibt und nicht alles über die Volkswirtschaft ausgeglichen werden kann.
Wir hatten - das geht aus den Zahlen des Statistischen
Bundesamtes hervor - 2008 bei ungefähr 82 Millionen
Einwohnern 50 Millionen erwerbstätige Menschen in
Deutschland. Diese Zahl sinkt bis 2060 auf 33 Millionen
Menschen. Deshalb ist es richtig, den Herausforderungen entsprechend auch die zukünftigen Altersvorsorgesysteme immer wieder neu zu justieren. Hinter dieser
Neujustierung stand in der Vergangenheit sicherlich
auch die Überlegung, eine zusätzliche kapitalgestützte
Form einzuführen, um die zukünftigen Umlagezahler,
nämlich die Erwerbstätigen und die jungen Menschen,
nicht über Gebühr belasten zu müssen. Denn jede Rentenzusicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung
muss von den zukünftigen Umlagezahlern erwirtschaftet
und bezahlt werden.
Deshalb ist es sinnvoll, die kapitalgestützten Systeme
danebenzustellen und sie nicht in der Öffentlichkeit zu
diskreditieren,
({3})
wie es in vielfältigster Weise getan wird, wenn zum Beispiel gesagt wird, dass sich die Riester-Rente nicht lohnt.
Sie lohnt sich gerade für den Geringverdiener in unserem Land.
({4})
Vor allem für Familien mit Kindern lohnt sie sich besonders ob der staatlichen Zuschüsse, weil damit ein Kapitalstock aufgebaut wird, der eine lebenslange Rente garantiert.
Herr Kollege.
Moment. - Deshalb sind die Vergleiche und die Aussage, eine Riester-Rente rentiere sich nicht, man müsse
schon 85 bzw. 94 Jahre alt werden, Unsinn. Wenn es darum geht, eine lebenslange Rente zu garantieren, vergleicht das kein Mensch damit, dass sich die gesetzliche
Rentenversicherung möglicherweise auch nicht rentiert,
wenn man zu früh stirbt. Das angesammelte Kapital
kommt dann als Risikogewinn der Versichertengemeinschaft zugute. Das muss man meines Erachtens auch mit
darstellen.
({0})
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen
Ernst?
Gerne.
Bitte schön.
({0})
Herr Straubinger, recht herzlichen Dank. - Sie sprechen von Entlastung insbesondere der jungen Generation
durch die Rentenpolitik, also durch die Tatsache, dass
die Beiträge aufgrund der Senkung des Rentenniveaus
sinken. Stimmen Sie mir zu, Herr Straubinger, dass auch
die private Vorsorge, die notwendig ist, um diese Rentenlücke zu schließen, nicht umsonst zu haben ist? Stimmen Sie mir zu, dass dafür auch die junge Generation eigene Beiträge zu zahlen hat? Stimmen Sie mir zu, dass
diese Beiträge von der jungen Generation alleine aufgebracht werden müssen, während sie in einem paritätisch
finanzierten Umlagesystem nur zur Hälfte aufgebracht
werden müssen? Wenn das richtig ist: Stimmen Sie mir
auch zu, dass die private Vorsorge für die jungen Menschen eine höhere Belastung darstellt, als wenn das in
der gesetzlichen Rentenversicherung geregelt wäre?
({0})
Herr Kollege Ernst, Sie verwechseln etwas. Die von
Ihnen angestellten Vergleiche stimmen so nicht. Sie heben darauf ab, dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
hälftig gezahlt werden. Das ist letztlich nur eine Form;
denn in der Gesamtheit müssen es immer die Arbeitnehmer und die Betriebe erwirtschaften. Die Arbeitgeberbeiträge fallen nicht wie Manna vom Himmel. Sie müssen mithilfe der Tatkraft der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erwirtschaftet werden. Das ist der erste
Punkt.
Der zweite Punkt ist: Gerade bei Geringverdienern
macht der staatliche Zuschuss mehr als 50 Prozent bei
den Beitragszahlungen zur Riester-Rente aus. Bei einem
Beitrag von 5 Euro im Monat, also von 60 Euro im Jahr,
und einer staatlichen Zulage von 154 Euro leisten der
Staat, der Steuerzahler, der Unternehmer oder der Gutverdiener über 70 Prozent der privaten Altersvorsorge
des Geringverdieners; dieser trägt weniger als 30 Prozent dazu bei.
({0})
Diese von uns gewählte Form der Altersvorsorge ist
also günstiger für den Geringverdiener.
({1})
Kollege, gestatten Sie eine weitere Nachfrage?
Gerne.
Aber Sie stimmen mir doch zu, Herr Kollege, dass ein
Normalbeschäftigter, also jemand, der nicht im Niedriglohnbereich tätig ist, die von Ihnen für alle vorgenommene Absenkung des Rentenniveaus - genauso wie ein
Geringverdiener - durch eine private Vorsorgeversicherung ausgleichen muss, die er alleine zu tragen hat? Damit hat er eine höhere Belastung als bei einer paritätischen Finanzierung. Das bedeutet, dass Ihre Aussage,
dass Sie die Menschen entlasten, nicht stimmt. Eigentlich belasten Sie die Menschen dadurch, dass Sie die paritätische Finanzierung für einen Teil der Rente nicht
mehr gewähren.
Herr Kollege Ernst, ich verstehe nicht, warum Sie das
nicht begreifen wollen, und zwar aus folgendem Grund
nicht: Die staatlichen Zulagen werden immer fällig, unabhängig davon, ob es sich um einen Geringverdiener,
einen Durchschnittsverdiener oder einen Höchstverdiener handelt. Derjenige, der einen höheren Steuersatz zu
zahlen hat, hat zusätzlich die Möglichkeit, seine Aufwendungen für die private Vorsorge abzusetzen und so
einen steuerlichen Zuschuss zu erhalten. Der staatliche
Zuschuss kann bei einem Geringverdiener einen Anteil
von bis zu 80 Prozent bei der privaten Vorsorge ausmachen, während die zusätzliche Entlastung bei einem
Spitzensteuerzahler höchstens 20 Prozent betragen kann.
Das zeigt sehr deutlich: Das ist sozial ausgewogen. Gerade Geringverdiener haben den größten Nutzen, wenn
sie einen entsprechenden Sparvertrag abschließen, um
ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.
({0})
- Es ist ein großer Unterschied, ob man es sich nicht
leisten kann oder nicht leisten will, Herr Kollege
Birkwald.
Die Altersarmut ist nun ins Blickfeld gerückt. Man
muss die Entwicklung aber realistisch betrachten. Zum
1. September dieses Jahres hat das neue Lehrjahr begonnen. Es ist auch ein großer Erfolg der Bundesregierung,
dass das Lehrstellenangebot die Zahl der Bewerber übersteigt. Zwar sind nicht alle Lehrstellen besetzt. Aber
mittlerweile ist die Nachfrage nach Lehrlingen größer
als das Angebot. Wenn diese mit 16 oder 17 Jahren zu
arbeiten anfangen und bis zum 67. Lebensjahr arbeiten
müssen, dann kommen sie auf 50 Jahre. Das muss man
in die gesamten Berechnungen einbeziehen. Deshalb ist
es richtig, das besonders hervorzuheben. Herr Kollege
Kolb hat dies bereits getan.
Ich möchte noch hervorheben, dass ein durchschnittlicher Verdiener bereits nach 30 Jahren dann, wenn er in
Rente geht, eine Rente von 850 Euro erhält. Wenn jemand nur 75 Prozent des Durchschnittseinkommen verdient hat, erreicht er nach 40 Jahren eine Anwartschaft
aus der gesetzlichen Rentenversicherung von 850 Euro.
Deshalb ist es wichtig, dass immer Beiträge gezahlt werden. Herr Kollege Kolb hat auf die stetige Beitragszahlung hingewiesen. Die Beitragszahlung muss sich positiv auf die Rente auswirken. Das ist auch der Fall. Ich
wünschte mir, dass, wenn die Verdienstgrenze der geringfügigen Beschäftigung von 400 Euro auf 450 Euro
angehoben wird, ein obligatorischer Beitrag für die Rentenversicherung fällig wird, damit die Anwartschaft auf
Erwerbsunfähigkeitsrente bestehen bleibt und letztendlich mehr Rente im Alter bezogen werden kann. Die Verbände der Gebäudereiniger und des Einzelhandels fordern dies genauso. Ich bin überzeugt davon, dass das
eine gute Lösung wäre. Das würde auch für Frauen eine
zusätzliche Absicherung über die Rentenversicherung
bedeuten.
({1})
Für die Bürgerinnen und Bürger soll die Botschaft
sein: Sie können sich auf die CDU/CSU und auf die FDP
in sozialen Fragen verlassen.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Bettina Hagedorn für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Bevor ich zu dem komme, was ich eigentlich sagen
wollte, muss ich erst einmal den Kollegen Schiewerling
ansprechen. Lieber Kollege Schiewerling, Sie haben so
wie viele andere Ihrer Kollegen in der Haushaltsdebatte
aus meiner Sicht viele Dinge gesagt und für die Zuschauerinnen und Zuschauer ins Schaufenster gestellt,
({0})
die leider mit dem Haushalt, den Sie vorgelegt haben,
nichts zu tun haben.
Ich will Ihnen dafür ein konkretes Beispiel nennen.
Sie haben die Notwendigkeit angesprochen, dass wir unsere Jugend motivieren, Handwerksberufe zu erlernen.
Von dieser Aussage bin ich ganz begeistert. Ich selbst
bin Handwerkerin und habe drei Söhne, die auch Handwerker sind. Einer dieser drei Söhne hat zwei Handwerksberufe erlernt, nämlich Tischler und Zimmermann,
er hat aber in den letzten zehn Jahren leider nur sehr selten unbefristete und nach Tarif bezahlte Arbeitsplätze
gehabt. Da er inzwischen Frau und Kind hatte, hat er vor
zwei Jahren begonnen, seinen Meister zu machen. Nachdem er vor einem Jahr seine Meisterprüfung abgelegt
hat, hat er sich selbstständig gemacht. Inzwischen sind
zwei Kinder da. Das war eine großartige Entscheidung.
Ich glaube, da stimmen wir überein.
Das Problem ist nur: Er hat vor einem Jahr einen
Gründungszuschuss bekommen. Das war damals ein
Rechtsanspruch, den wir gemeinsam 2007 eingeführt haben. Den Gründungszuschuss konnte man beantragen,
um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Wir
haben bis 2011 im Bundeshaushalt pro Jahr dafür knapp
2 Milliarden Euro zur Verfügung gehabt. Das IAB, ein
Institut, das von der Regierung beauftragt wurde, zu evaluieren, wie die Instrumente, die wir in der Großen
Koalition eingeführt haben, gewirkt haben, hat das Instrument des Gründungszuschusses als eines der erfolgreichsten Instrumente bewertet. Und was haben Sie in
dieser Regierung gemacht? Sie haben mit Ihrer sogenannten Instrumentenreform und Ihrer sogenannten Umwandlung von Rechtsansprüchen in Ermessensleistungen den Gründungszuschuss zu einer Ermessensleistung
gemacht.
Was bedeutet das? Die 1,9 Milliarden Euro, die wir
ursprünglich dafür im Bundeshaushalt hatten, haben Sie
im ersten Jahr halbiert. Im Haushalt 2013 kommt ein
Haushaltstitel für den Gründungszuschuss gar nicht
mehr vor. Der wird jetzt budgetiert, dezentral zur Verfügung gestellt; er kann bewilligt werden. Wozu hat das
geführt? Wir hatten noch 2011 und in den Jahren davor
im Schnitt um die 140 000 Bewilligungen von Gründungszuschüssen. Wissen Sie, wie viele bis August 2012
bewilligt worden sind? 14 000. Das entspricht etwa
10 Prozent der Vorjahreswerte.
Manch einer denkt vielleicht: Dies sind bundesweite
Zahlen; sie können sich noch ändern; sie schwanken. Daher nenne ich Ihnen jetzt die Zahlen aus meiner Heimatregion - sie bestätigen, was ich meine; wir haben die
Vergleichszahlen von Januar bis September 2011 und
von Januar bis August 2012 -: Dort ist die Anzahl der
Bewilligungen um 87 Prozent zurückgegangen. Wissen
Sie, um wie viel die Ablehnung von Anträgen auf Gründungszuschuss gestiegen ist? Die Anzahl der abgelehnten Anträge hat sich in meiner Heimatregion in dem gleichen Zeitraum verachtfacht. Nun müssen Sie mir einmal
erklären, wie Ihr unterstützenswertes Plädoyer für gute
Handwerker und für Personen, die Mut haben und fleißig arbeiten - wie die Ministerin hier immer so schön
sagt -, die wirklich etwas leisten wollen, die ihre Familie
aus eigener Kraft sattmachen wollen, gemeint ist, was
Sie eigentlich dazu beitragen, um jungen Menschen wie
denen, die Sie hier beschrieben haben, tatsächlich noch
Hoffnung zu machen?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schiewerling?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird,
gerne.
Kollege Schiewerling, bitte.
Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, dass der Gründungszuschuss, der im SGB III verankert war und auch
für das SGB II galt, in erster Linie dafür da ist, Menschen, die in Arbeitslosigkeit sind, wieder in Beschäftigung zu bringen? Stimmen Sie mir zu, dass der Vorgang,
dass sich jemand selbstständig macht, möglicherweise
damit zu tun hat, dass der Betreffende aus der Arbeitslosigkeit herauskommen möchte, dass das Ganze aber
im Wesentlichen in den Bereich der Wirtschaftsförderung und nicht der Arbeitsmarktpolitik fällt? Das ist ein
zentraler Punkt. Stimmen Sie mir außerdem zu, dass
Gründungszuschüsse auch dann vergeben werden, wenn
ihre Gewährung eine Ermessensleistung ist, und dass es
in Deutschland eine Vielzahl von Gründungen von Startup-Firmen gibt, so viele wie nie seit Abschaffung des
Gründungszuschusses?
Herr Kollege, das, was ich hier vorgetragen habe, basiert auf der Evaluierung des Gründungszuschusses
durch das von der Regierung beauftragte IAB. Ich kann
Ihre persönlichen Bewertungen im Moment, ehrlich gesagt, nicht ganz nachvollziehen.
Aber in einem Punkt sind wir uns, glaube ich, einig:
Wir haben gemeinsam den Gründungszuschuss eingeführt, und er hat nachweislich pro Jahr - pro Jahr! - dazu
geführt, dass sich ungefähr 140 000 Arbeitsuchende
- arbeitsuchend zu sein, war ja eine Voraussetzung für
die Gewährung dieses Zuschusses - selbstständig gemacht haben.
({0})
- Das ist doch nur Ihre Meinung. Das IAB hat ganz eindeutig auf wissenschaftlicher Grundlage festgestellt:
Dieser Zuschuss war eines der erfolgreichsten Instrumente, die wir gemeinsam eingeführt haben.
({1})
Was ich Ihnen auch sagen muss: Das passt zu dem,
was Sie gesagt haben, nicht. Sie haben hier von den
Handwerkern gesprochen. Jeder Handwerker, der eine
Meisterausbildung macht und der nach der Meisterausbildung erst einmal mit Schulden dasteht, die er abstottern muss, kann sich ohne Gründungszuschuss eigentlich
gar nicht selbstständig machen, schon gar nicht, wenn er
Frau und Kinder hat. Wir wollen junge Familien mit
Kindern. Wir wollen, dass sich junge Leute eigenverantwortlich weiterqualifizieren. Aber Sie streichen ihnen
die Unterstützung. Diese Kannbestimmung hat ja einen
Haken: Was soll denn der arme Mitarbeiter in der Bundesagentur für Arbeit oder im Jobcenter machen, wenn
er einen Gründungszuschuss bewilligen soll und seine
Kasse leer ist?
({2})
Das ist ja das Problem: Den Ermessensspielraum haben
Sie nur ins Fenster gestellt; aber die Kasse ist leer. Allein
2013 nehmen Sie mit Ihrem Sparpaket erneut 6,5 Milliarden Euro aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik heraus.
({3})
Frau von der Leyen, zum dritten Mal in Folge sinkt
Ihr Haushalt stärker als der all Ihrer Ressortkollegen. Sie
reden das hier immer schön und sagen: Das ist ganz toll;
die Verringerung ist natürlich zu einem Teil - das stimmt
sogar - konjunkturellen Einsparungen zu verdanken;
man nimmt einige Einsparungen sozusagen im Schlafwagen mit. Dagegen muss man nicht kämpfen, und es ist
nicht mit echten Kürzungen verbunden.
So muss ich Ihnen sagen, Frau von der Leyen: Sie
pflegen das Image, tough, durchsetzungsstark, eine
Kämpfernatur zu sein. Ich wünsche mir sehr, dass Sie,
auch gegen Herrn Schäuble, erfolgreich um den Etat für
Arbeit und Soziales kämpfen. Fakt ist, dass inzwischen
über die Hälfte aller strukturellen Kürzungen im Rahmen dieses sogenannten Sparpakets aus dem Jahr 2010
Ihren Etat betreffen. Damit werden die Familien von Arbeitslosen und von Langzeitarbeitslosen, also auch ihre
Kinder, betroffen. Es werden aber auch die betroffen, die
Arbeit suchen und Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Betroffen sind zum Beispiel Migranten
und Alleinerziehende mit ihren Kindern, aber auch Menschen mit Behinderung.
2010 haben Sie diesem Sparpaket schon kampflos zugestimmt. 2012 haben Sie es zugelassen, dass die von
uns allen gewollte Entlastung der Kommunen durch den
halben Mehrwertsteuerprozentpunkt ausschließlich auf
dem Rücken der Bundesagentur für Arbeit stattgefunden
hat. Dadurch wird der BA zusätzlich zum Sparpaket bis
2016 ein Betrag von 17 Milliarden Euro aus der Kasse
gegriffen.
Schon 2011 haben Sie das erste Mal einen Griff in die
Rentenkasse zulasten der Langzeitarbeitslosen zugelassen; das war vorhin schon Thema. Bis heute sind es über
5 Milliarden Euro, die aus Ihrem Haushalt im Bereich
Rente entschwunden sind. 2013 kommt nun erneut der
Griff in die Rentenkasse mit einem Minus von 1 Milliarde Euro als Konsolidierungsbeitrag. Das heißt nichts
anderes, als dass das Geld aus Ihrem Haushalt verschwindet und bei Herrn Schäuble landet. Das soll bis
2016 so weitergehen mit einem jährlichen Minus von
1,25 Milliarden Euro.
Das heißt, dass die Rentenkasse weiter geplündert
wird und dass die Kasse der Bundesagentur für Arbeit
schon geplündert ist - und das, Frau von der Leyen, obwohl wir gemeinsam mit der Großen Koalition folgende
gute Erfahrung gemacht haben: Es gab 2008 nämlich
17 Milliarden Euro in der Kasse der Bundesagentur für
Arbeit. Nur weil diese Summe in der Kasse war, konnten
wir 2009 in der Krise die Kurzarbeitergeldregelung gemeinsam stemmen. 15 Milliarden Euro Defizit hat die
Bundesagentur für Arbeit in jenem Krisenjahr 2009 gemacht, und sie wird ein solches Defizit wieder machen,
wenn eine neue Krise kommt.
({4})
Wissen Sie, was das Drama ist? Da ist nichts mehr,
die Kasse ist leer. Sie plündern die Sozialkassen, und
Ihre Regierung plündert zusätzlich noch den Gesundheitsfonds. Damit beherzigen Sie nicht das Motto: Spare
in der Zeit, so hast du in der Not. Vielmehr tun Sie genau
das Gegenteil. Und wissen Sie, was? Das verstößt obendrein noch gegen den Geist der Schuldenbremse.
({5})
Als letztem Redner in diesem Debattenteil erteile ich
Kollegen Axel Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
vorliegende Haushaltsentwurf trägt die Handschrift der
christlich-liberalen Koalition. Er ist ein eindrucksvoller
Beleg für die erfolgreiche, wachstumsorientierte Politik
der Regierung Angela Merkel.
({0})
Deutlich wird darin besonders im Einzelplan 11 die
Orientierung an unseren Zielen: Wir wollen die Menschen wieder in Arbeit bringen und den Bundeshaushalt
konsolidieren.
Frau Kollegin Hagedorn, nun zu Ihnen und zum
Thema Gründungszuschuss. Sie haben in Ihrer Wortmeldung nicht darauf hingewiesen, dass beim Gründungszuschuss enorme Mitnahmeeffekte festgestellt werden
konnten.
({1})
Deshalb war die Entscheidung, daraus eine Ermessensentscheidung zu machen, richtig. Die Zahlen belegen,
dass die Anzahl der Neugründungen und ihre Entwicklung sehr positiv sind. Wir können dieses Thema im
Rahmen der Haushaltsausschusssitzung gern vertiefen.
Wir können nachweisen: Es war die richtige Entscheidung, die wir hier getroffen haben.
({2})
Denn, liebe Frau Kollegin Hagedorn, unsere Politik
hat in den vergangenen drei Jahren erfolgreich auf
Wachstum durch Investitionen und auf sparsame Haushalte gesetzt und weniger auf Umverteilung, wie Sie sie
immer wieder an verschiedenen Stellen fordern.
Die Erfolge haben sich eingestellt: Dank der großen
Leistungen von Arbeitnehmern wie Unternehmern floriert die Wirtschaft, die Steuer- und Abgabenquellen
sprudeln, und auch Löhne und Gehälter konnten steigen.
Unser Wachstumspaket hat gewirkt.
({3})
Im Mittelpunkt standen nicht nur Sachinvestitionen,
im Mittelpunkt standen auch Investitionen in Menschen:
in Langzeitarbeitslose, die erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt integriert wurden. Selbstverwirklichung in
produktiver Arbeit statt in Beschäftigungsprogrammen,
das ist unsere Maxime. Das ist es, was eine menschliche
Gesellschaft ausmacht.
Die Zahlen über die Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit belegen den Erfolg eindrucksvoll. Der bisherige Kurs der christlich-liberalen Koalition, orientiert am
Leitbild der Leistungsgerechtigkeit, war auch mit Blick
auf den Arbeitsmarkt sehr erfolgreich. Unter 3 Millionen
Arbeitslose - in Ihrer Regierungszeit waren es einmal
über 5 Millionen - und unter 2 Millionen Langzeitarbeitslose, das sind Erfolge, die sich sehen lassen können.
({4})
Dennoch wollen wir die erfolgreiche Vermittlung vor
allem langfristig Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt
weiter verbessern. Genau deshalb wollen wir alle bestehenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen systematisch auf ihre Effizienz hin untersuchen und auf ihre Einsatzhäufigkeit hin prüfen. Es geht uns darum, zu wissen,
in welcher Situation mit welcher Zielsetzung welches Instrument am besten wirken kann; denn wir wollen
knappe Steuermittel nicht für irgendwelche Maßnahmen
sinnlos verpulvern, sondern zukünftig noch mehr konkret am Einzelfall orientiert und zielgerichtet geeignete
Instrumente für die Arbeitsuchenden anwenden. Das
Axel E. Fischer ({5})
kommt dann auch den betroffenen Menschen noch viel
besser zugute.
Sie sehen, wir stehen für aktive gesellschaftliche Teilhabe am Arbeitsprozess. Es gibt kein Abschieben in perspektivlose Beschäftigungsprogramme. Für die hervorragende Umsetzung dieser vernünftigen Ziele durch die
Bundesagentur für Arbeit danke ich stellvertretend für
alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BA Herrn
Weise an der Spitze des Vorstands. Die BA ist dank der
Umstrukturierung, die die Kollegin Winterstein schon
ausführlich dargestellt hat, auf einem guten Weg. Ich
kann mir die Nennung von Einzelheiten dazu ersparen.
Den bestehenden Verantwortlichkeiten aber, meine
Damen und Herren, wird Rechnung getragen, indem wir
für Transparenz sorgen und die BA die Aufgaben, die sie
macht, entsprechend selbst finanziert. Liebe Frau Kollegin Winterstein, herzlichen Dank, dass Sie es hier so
ausführlich dargestellt haben.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bin mir absolut sicher,
dass Herr Weise mit seinem engagierten Team weiterhin
erfolgreich die anstehenden Herausforderungen bei der
Bundesagentur für Arbeit meistern wird. Bei einem stabilen Beitragssatz von 3 Prozent für die Arbeitslosenversicherung sollte es möglich sein, die gesteckten Ziele zu
erreichen und notwendige Rücklagen für wirtschaftlich
weniger erfolgreiche Zeiten zu bilden.
Die erfolgreiche Wachstumspolitik der vergangenen
drei Jahre fußt ganz zentral auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens, einem Konsens über die Entwicklung der Systeme sozialer Sicherung, und der Akzeptanz
der damit einhergehenden Umverteilung zwischen
Personen, Geschlechtern, Berufsständen und anderen
Anspruchsgruppen sowie zwischen den Generationen.
Gegenseitiges Vertrauen und Solidarität haben die Haushaltsausgaben für die soziale Sicherung, für die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung langfristig
kalkulierbar gemacht. Sie haben Instrumente wie das
Kurzarbeitergeld möglich gemacht, das maßgeblich mit
dazu beigetragen hat, uns erfolgreich durch die letzte
Krise zu führen.
({7})
Wenn wir jetzt darüber reden, den allgemeinen Bundeszuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung für
die Zeit bis 2016 zu kürzen, und die Beitragszahler das
bereitwillig über ihre Beitragsleistungen auffangen und
auf Nettolohn damit verzichten, dann ist das direkt Ausdruck der bestehenden breiten Akzeptanz unseres Gesellschaftssystems und der darin gelebten Solidarität.
Diese Akzeptanz, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir sollten
nicht den seit über einem Jahrzehnt bestehenden parteiund generationenübergreifenden Rentenkonsens aufkündigen. Wir sollten nicht bestehende Abmachungen über
die Verteilung des zukünftigen, von uns und von unseren
Kindern zu erwirtschaftenden Sozialprodukts infrage
stellen. Und wir sollten nicht eine Stimmung gesellschaftlicher Entsolidarisierung fördern und das gemeinsam Erreichte unnötig gefährden.
Nachdem wir mit gemeinsamen Kräften aus der Krise
gekommen sind, sollten wir das Gemeinsame auch
gemeinsam bewahren. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist mein Wunsch für die vor uns liegenden
Haushaltsberatungen. Der Haushaltsentwurf für den Einzelplan 11 ist zukunftsweisend, solide und eine hervorragende Grundlage für die parlamentarischen Beratungen,
die wir jetzt aufnehmen werden. Ich jedenfalls freue
mich sehr darauf, gemeinsam mit den Kolleginnen und
Kollegen aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales,
aber auch mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss wie natürlich auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, ganz besonders mit Ihnen, Frau von der Leyen, diesen Etat zu beraten. Wir werden an der einen oder anderen Stelle kleine
Änderungen vornehmen; das gehört sich einfach so.
Aber die Grundlage ist sehr gut. Sie zeigt: Wir als christlich-liberale Koalition sind auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({8})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d und 3 f
bis 3 h sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf:
3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den
Großhandel mit Strom und Gas
- Drucksachen 17/10060, 17/10253 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Postbeamtenversorgungskasse
({1})
- Drucksache 17/10307 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss ({2})-
Innenausschuss -
Finanzausschuss -
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom
23. November 2007 über die internationale
Geltendmachung der Unterhaltsansprüche
von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf
dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts
- Drucksache 17/10492 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss ({3})-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über die Statistik im Produ-
zierenden Gewerbe
- Drucksache 17/10493 -
Überweisungsvorschlag:-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Michalk, Michael Grosse-Brömer, Stefan Müller
({4}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Rainer
Brüderle und der Fraktion der FDP
Mehr Berücksichtigung von Qualität bei der
Vergabe von Dienstleistungen
- Drucksache 17/10113 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})-
Rechtsausschuss -
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie-
Ausschuss für Gesundheit -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union -
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2011
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2011 -
- Drucksache 17/9908 -
Überweisungsvorschlag:-
Haushaltsausschuss
h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2011
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2011 -
- Drucksache 17/9909 -
Überweisungsvorschlag:-
Haushaltsausschuss
ZP 2 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer
Rechtsvorschriften an die Verordnung ({6})
Nr. 305/2011 zur Festlegung harmonisierter
Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten
- Drucksache 17/10310 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})-
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck
({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen
- Drucksache 17/10638 Überweisungsvorschlag:Innenausschuss ({9})Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({10})-
Auswärtiger Ausschuss -
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung -
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union -
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({11}), Thilo Hoppe, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den globalen Schutz der biologischen Vielfalt
sichern - Strategischen Plan der Biodiversitätskonvention finanzieren und umsetzen
- Drucksache 17/10639 Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12})Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
VerbraucherschutzAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der
die Federführung strittig ist. Interfraktionell wird die
Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/10638 zur Aufnahme von
Flüchtlingen aus Syrien an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung
ist strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen die Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung
beim Menschenrechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit den übrigen Stimmen des Hauses abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP, also Federführung
beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den
übrigen Stimmen des Hauses angenommen.
Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen;
das sind die Tagesordnungspunkte 3 a bis d, 3 f bis h und
die Zusatzpunkte 2 a und 2 c. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({13})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2010
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2010 - zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2010
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2010 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2011 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({14})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2011 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung des Bundes
- Weitere Prüfungsergebnisse -
- Drucksachen 17/5648, 17/6009, 17/7600,
17/9250, 17/10104 -
Berichterstattung:-
Abgeordneter Dr. Michael Luther
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der
Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2010 vor. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen ange-
nommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaus-
haltspläne die Feststellung des Haushaltsausschusses zu
den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zu befol-
gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlich-
keit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des
Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die
Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine
zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den Haushalts-
beratungen gewährleistet ist. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, FDP, Linken und Grünen gegen die
Stimmen der SPD angenommen.1)
Tagesordnungspunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({15})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2011
- Einzelplan 20 - Drucksachen 17/9600, 17/10105 Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael Luther
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, also
die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, also
die Erteilung der Entlastung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Ich erteile der zuständigen Bundesministerin Ilse
Aigner das Wort.
({16})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir gehen in das letzte Haushaltsjahr einer erfolgreichen Legislaturperiode, auch in dem Bereich „Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“. Die Koalition aus Union und FDP hat hier stets
Kurs gehalten. Unsere Koordinaten stehen, und sie bilden sich für jedermann gut lesbar ab. In den Einzelplänen der Jahre 2009 bis 2013 ergeben sich klare Linien.
Union und FDP stehen für Verlässlichkeit und Stabilität,
aber auch für Bewegung und Fortschritt.
({0})
Unsere landwirtschaftliche Sozialpolitik ist dabei eine
unverzichtbare Konstante. 3,65 Milliarden Euro macht
ihr Anteil am Haushalt aus, was 70 Prozent entspricht.
Aber dieses Geld ist gut investiert; denn es hilft im Alter,
es unterstützt bei Krankheit, und es sichert bei Unfällen
ab. Mit zusätzlichen Bundesmitteln in Höhe von
150 Millionen Euro, verteilt auf die Jahre 2012 bis 2014,
1) Anlage 3
geben wir den Landwirtinnen und Landwirten den Halt,
den sie brauchen und den sie sich auch verdient haben.
({1})
Durch die Anpassung der Mittel werden wir auch die Organisationsreform zu einem echten Erfolg führen.
Auch im Bereich „Nachhaltigkeit, Forschung und
Innovation“ geht es im Haushalt weiter aufwärts. Das
Budget ist mittlerweile fast eine halbe Milliarde Euro
stark. Das ist ein dickes Plus.
({2})
Über Modell- und Demonstrationsvorhaben zum
Tierschutz und zur Tierhaltung sollen neue Impulse gesetzt werden. Deshalb wollen wir bis 2016 allein 21 Millionen Euro für Modellvorhaben im Bereich Tierschutz
bereitstellen. Wir wissen: Nutztierhaltung in der Landwirtschaft kann nur erfolgreich sein, wenn sich die Tiere
wohlfühlen und wenn es genügend Akzeptanz in der
Gesellschaft gibt. Dafür machen wir uns stark: mit Forschung, Beratung, Kontrolle und, wenn notwendig, auch
mit Gesetzesänderungen.
({3})
Union und FDP sind es, die das Arzneimittelgesetz
verschärfen, damit die Abgabe von Antibiotika in der
Tierhaltung auf ein Minimum reduziert wird. Für rotgrüne Landesregierungen gibt es dann endgültig keine
Ausreden mehr.
({4})
Es werden nämlich mehr Studien herausgegeben und
Pressekonferenzen abgehalten, als Kontrolleure, deren
Arbeit notwendig wäre, eingestellt.
({5})
Außerdem gehen Union und FDP das Tierschutzgesetz
an. Union und FDP sind es, die ein Tiergesundheitsgesetz auf den Weg bringen. Union und FDP sind es, die
das Tierwohl mit einer Forschungsstrategie voranbringen. Dabei lassen sich Union und FDP nicht von Ideologien leiten. Wir wollen auf der Basis wissenschaftlicher
Erkenntnisse den besten Tierschutz, aber auch einen
praktikablen Tierschutz.
({6})
Ein weiteres wichtiges Thema, das zurzeit im Fokus
steht, ist die europäische Agrarpolitik. Meine Ziele in
den Verhandlungen für die nächste Förderperiode sind
klar: eine solidarische, schrittweise Angleichung der europäischen Nachbarn - ja, aber unzumutbare Einschnitte
für deutsche Bauern - nein,
({7})
mehr Einsatz für die Umwelt bei Anerkennung bereits
erbrachter Leistungen - ja, aus Brüssel verordnete
Flächenstilllegungen - nein,
({8})
benachteiligte Gebiete fördern - ja, aber irrationale Neuabgrenzungen - nein,
({9})
praxisgerechte Vorschriften - ja, übergeordnete Bürokratie - nein.
({10})
- Herr Kelber, von der Opposition hören wir nur: Kürzungen, Umverteilungen, Stilllegungen - aber nicht mit
uns!
({11})
Es ist schon bemerkenswert: Während ich in Europa
für unsere Bauern verhandle, haben Grüne und SPD die
Landwirtschaft offensichtlich bereits abgehakt. Frau
Künast fordert die Abschaffung der Direktzahlungen,
während mich ihr baden-württembergischer Kollege
Alexander Bonde auffordert, die erste Säule zu stabilisieren und verpflichtend fortzuführen. Ja, was wollen Sie
denn jetzt eigentlich?
({12})
Die SPD spricht auch eine eindeutige Sprache. Die
ewige Troika aus Gabriel, Steinmeier und Steinbrück hat
schwarz auf weiß niedergelegt, Europa müsse in Zukunftsbereiche investieren; die Landwirtschaft zählt hier
nicht dazu. Wissen Sie, was das heißt? Das heißt: Mit
der SPD hat die Landwirtschaft keine Zukunft.
({13})
Was von der Troika als Parole ausgegeben wird, wird in
den Ländern gleich konsequent umgesetzt. Minister
Schmid in Baden-Württemberg will ganze Schwarzwaldtäler zuwachsen lassen.
({14})
Er sagt: Es gibt Wichtigeres als Landwirtschaft und es
sei nicht entscheidend - jetzt ein Zitat -, „ob es einen
Bauern mehr oder weniger gibt“.
({15}): Unverschämt!)
Ich würde sagen, diese Worte sprechen für sich; sie sind
die Konsequenz einer fatalen Haltung.
({16})
Die SPD legt die Axt an unsere Landwirtschaft. Wir,
Union und FDP, dagegen stehen geschlossen unseren
Landwirten zur Seite.
({17})
Union und FDP haben auch in der Verbraucherpolitik
neue Akzente gesetzt. Deshalb zeigen die Haushaltszahlen für die Jahre 2009 bis 2013 deutlich nach oben, und
zwar Jahr für Jahr. Im kommenden Jahr etwa wollen wir
allein 5 Millionen Euro zusätzlich für die Verbraucherinformation investieren. Das ist eine Investition in mehr
Transparenz bei der Geldanlage, bei der Altersvorsorge
oder auch bei Gesundheit und Pflege. Hinzu kommen
zusätzlich 1,5 Millionen Euro an die Stiftung Wartentest.
Mit diesem Geld soll sie Finanzangebote künftig stärker
unter die Lupe nehmen und Verbraucher noch intensiver
über Finanzfragen informieren können.
({18})
Zuvor, sehr geehrter Herr Kelber, haben wir das Stiftungskapital um 50 Millionen Euro erhöht.
({19})
Deshalb haben wir die Zuschüsse kürzen können.
({20})
Der Verbraucherschutz gewährleistet bei uns Selbstbestimmung und Schutz. Unsere Arbeit wirkt. Union
und FDP haben mit dem neuen Verbraucherinformationsgesetz mehr Behördenauskünfte für Bürgerinnen
und Bürger zu Produkten ermöglicht, und das schneller
und unbürokratischer. Union und FDP schützen durch
die Buttonlösung wirksam vor Abzocke beim Geschäft
im Internet. Union und FDP bewahren Verbraucher
durch die Neuregelung bei Telefonwarteschleifen vor
explodierenden Telefonkosten. Union und FDP haben
bei den Finanzprodukten durch Produktinformationsblätter für mehr Transparenz und durch die Kontrolle
durch die BaFin für mehr Sicherheit gesorgt.
({21})
Auch die Honorarberatung ist auf einem guten Weg. Was
hören wir von der Opposition? Alarm, Verbote, Zwang auch das nicht mit uns!
({22})
Union und FDP ziehen klare Grenzen, stärken aber
zugleich - das ist mir sehr wichtig - Bildung und Forschung. Union und FDP machen keine Politik auf Verdacht, mit Vorurteilen und Feindbildern. Dafür erhalten
wir Bestätigung. Das vorliegende Gutachten zur Lage
der Verbraucher - das wird Ihnen wehtun - zeigt deutlich: Die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland ist besser als je zuvor.
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir ohne unnötige Vorschriften, ohne unnötige Verbote und ohne unnötige Bürokratie viel bewegen können, haben wir mit der
Initiative zum Wert von Lebensmitteln gezeigt. Lebensmittel sind in der Tat zu gut für die Tonne. Jedes Jahr
werden 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das kann uns nicht egal sein. Die Initiative mobilisiert; jeder kann seinen Beitrag dazu leisten, die Ressourcen zu schonen.
Der umsichtige Umgang mit Ressourcen leitet uns
auch in der Debatte über die Frage „Teller oder Tank?“.
Meine Linie war, ist und bleibt: Erste Aufgabe der
Bauern ist die Produktion von Nahrungsmitteln. Wo sich
Zukunftsfelder auftun, setzen wir Impulse; aber dort, wo
es Fehlentwicklungen gibt, steuern wir um.
({24})
Das haben wir beim EEG schon bewiesen. Allein in dieser Legislaturperiode haben wir das EEG mehrfach
nachgebessert. Zum Beispiel haben wir bei der Sondervergütungsklasse für 75-kW-Biogasanlagen darauf gesetzt, Reststoffe zu verwerten. Wir haben auch den förderfähigen Einsatz von Mais bei Bioenergie begrenzt
({25})
und die Förderansätze insbesondere für Großanlagen gesenkt. Die Politik wirkt auch; denn der Neubau von Biogasanlagen ist bundesweit eindeutig zurückgegangen.
Impulse auf Zukunftsfeldern setzen und Fehlentwicklungen korrigieren, das tun wir auch bei den Biokraftstoffen; denn hier fördern wir den Einsatz von Reststoffen und auch die Forschung, zum Beispiel in Bezug auf
Algen. Insgesamt laufen zurzeit rund 102 Projekte mit
einem Fördervolumen von 40 Millionen Euro, die einen
Bezug zur Verwertung von Rest- und Abfallstoffen haben. Auch so fördern wir die nachwachsenden Rohstoffe
zielgenau.
Eines ist ebenfalls wichtig: Für eine gesicherte Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln ist die Produktion vor Ort entscheidend. Deshalb haben wir die Mittel
für die bilaterale technische Zusammenarbeit in meinem
Haushalt über die Jahre mehr als verdoppelt. Mein Haus
hat auch ein internationales Modellprojekt der Welternährungsorganisation finanziert, das Entwicklungsländern hilft, die Ernährung zu sichern und zugleich das
Potenzial der Bioenergie zu nutzen. Diese Methodik
wird heute in Sierra Leone angewendet, und sie wirkt
auch. Wir wissen um die Bedeutung des Wissenstransfers für die Welternährung. Im Schulterschluss mit meinem Kollegen Dirk Niebel geben wir der Landwirtschaft
die Rolle, die ihr gebührt, nämlich die Schlüsselrolle für
den Kampf gegen den Hunger.
({26})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen für Stabilität und Verlässlichkeit, gerade in der Sozialpolitik.
Wir setzen aber auch neue Akzente, ohne dass wir die
Ausgaben insgesamt steigern, und schichten in Zukunftsfelder um. Im Bereich Verbraucherpolitik begannen wir mit 121 Millionen Euro; jetzt sind wir bei
142 Millionen Euro. Im Bereich „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ begannen wir bei 416 Millionen
Euro; jetzt sind wir bei über 494 Millionen Euro. Bei
den Haushaltsmitteln für die internationalen Maßnahmen begannen wir bei 46 Millionen Euro; jetzt sind wir
bei 60 Millionen Euro. Das ist die Linie unserer Politik,
der Politik von Union und FDP: nicht immer nur Ausgaben ausweiten, sondern da, wo es notwendig ist, umschichten und neue Impulse setzen.
Herzlichen Dank und auf gute Beratungen.
({27})
Das Wort hat nun Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss es wahrscheinlich hinnehmen und als
normal betrachten, dass eine Ministerin in der Haushaltsdebatte versucht, sich selber ein gutes Arbeitszeugnis auszustellen. Die Öffentlichkeit kommt zu einem etwas anderen Ergebnis. Ich darf auf den Spiegel der
letzten Woche verweisen.
({0})
Dort steht: große Worte, noch größere Ankündigungen,
kleine Taten. - Dasselbe Etikett, das Ihnen die Opposition angeheftet hat, das Etikett der Ankündigungsministerin, haben Sie zu Recht auch von den Medien bekommen.
({1})
Wie sieht denn die Verbraucherpolitik dieser Bundesministerin aus?
({2})
Sie folgt eigentlich immer dem gleichen Prinzip: Am
Morgen spricht der Verbraucherzentrale Bundesverband
ein Problem an. Am Nachmittag schickt die Ministerin
eine Pressemitteilung heraus - noch lieber geht sie vor
die Kameras - und sagt, dass sie sich um das Problem
kümmern wird.
({3})
Einige Wochen oder Monate später stellt man fest:
Nichts ist geschehen. Die Schlagzeile war genug.
Ein paar Beispiele gefällig? - Erstes Beispiel: Abmahnungen. Wo ist denn die Ministerin beim Streit um
ein Gesetz, um Abmahnungen, Abzocke und Betrug im
Internet zu verhindern? Seit dem Frühjahr behindert die
Fraktion der CDU/CSU das FDP-geführte Justizministerium bei einem Gesetzentwurf, der viel Lob von den
Verbraucherverbänden bekommen hat. Jeden Tag, an
dem dieser Entwurf blockiert wird, werden die Menschen in Deutschland um Millionen Euro betrogen. Frau
Ministerin, was machen Sie, um diese Blockade aufzuheben?
({4})
Zweites Beispiel: Datenschutz. Dass Sie in Ihrer zerstrittenen Koalition von Schwarz-Gelb kein modernisiertes Datenschutzrecht auf nationaler Ebene hinbekommen, hatte vermutlich auch niemand anders erwartet.
Dass die Minister jetzt aber auch noch in Brüssel versuchen, zu verhindern, dass ein modernisiertes europäisches Datenschutzrecht entsteht, das Datenkraken wie
Facebook etwas entgegenstellt, ist eine Unverschämtheit. Es reicht eben nicht, dass Sie selber öffentlichkeitswirksam bei Facebook austreten; Sie müssten 83 Millionen Deutschen helfen, dass ein Schutz ihrer Daten
existiert - auf nationaler oder auf europäischer Ebene.
({5})
Drittes Beispiel: Schlichtungsstelle im Luftverkehr,
damit die Kunden endlich zu ihren Rechten kommen.
Wie sieht der Gesetzentwurf aus? Es wird drei Schlichtungsstellen geben. Chaos ist vorprogrammiert. Für einige Dinge sind diese Schlichtungsstellen noch nicht
einmal zuständig. Im Gesetz ist auch angelegt, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft vermutlich sogar für den Schutz, den die Schlichtungsstellen
liefern, bezahlen sollen. So kann ein Entwurf natürlich
nicht aussehen. Wie ist eigentlich die Haltung der Verbraucherschutzministerin dazu?
({6})
- Vielen Dank für den Einwurf von der FDP. Was ist die
Haltung der Opposition im Bundestag,
({7})
da die SPD eine Mehrheit im Bundesrat hat? Die SPD
hat diesen falschen Entwurf angehalten. Jetzt haben wir
die Chance, daraus einen guten zu machen. Vielen Dank
für die Erinnerung. Dieses Stichwort hatte ich vergessen.
({8})
Viertes Beispiel: Energie. Wo ist die Stimme der Verbraucherschutzministerin bei der Frage der Energiepreise? Bei jeder Welle einer Benzinpreiserhöhung kündigt Schwarz-Gelb an, jetzt käme man mit einem
wirksamen Instrument, um überhöhte Benzinpreise sowie Kartelle und Monopole zu verhindern.
({9})
Nach wenigen Wochen stellen wir fest: Wieder ist nichts
passiert. Die Pressemitteilung wird aber bei der nächsten
Welle von Benzinpreiserhöhungen recycelt. Wo ist Frau
Aigner? Wo ist der Protest gegen die Kostenverlagerung
im Zusammenhang mit der Energiewende auf die
Verbraucherinnen und Verbraucher? Vorhin kam die
Meldung, dass eine Arbeitsgruppe von Schwarz-Gelb
vorgeschlagen hat, weitere Kosten von den Firmen auf
die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verlagern. Ich
erwarte ein Wort der Verbraucherschutzministerin zu
diesem Thema.
({10})
Es ist übrigens nicht so, dass sie kein einziges Wort zu
diesem Thema verloren hat. Als der Vorschlag kam, weiterhin eine Rendite von 9 Prozent für Investitionen in
Netze zu zahlen, das Risiko aber auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verlagern, haben wir ein Pressestatement bekommen. Es hieß, sie würde das ablehnen.
Zwei Tage später ist dieser Gesetzentwurf im Kabinett
ohne Aussprache verabschiedet worden. Waren Sie nicht
anwesend, Frau Aigner, als dieser Gesetzentwurf verabschiedet wurde?
Fünftes Beispiel: Gesundheitswesen. Ich weiß noch
nicht einmal, ob ich in meinem Leben je eine Pressemitteilung von dieser Ministerin dazu gelesen habe. Das
Gesundheitswesen ist einer der größten Märkte; hier sind
die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu
schützen. Die Verbraucher sind zu schützen vor Fehlbehandlungen, überflüssigen Leistungen und finanziellen
Benachteiligungen. Aber es herrscht völlige Stille im
Verbraucherschutzministerium.
Sechstes und letztes Beispiel für heute: Finanzdienstleistungen. Wenn eine Ministerin nicht einmal mehr an
den Beratungen über wichtige Gesetzesvorhaben zu Verbraucherschutzleistungen im Finanzsektor beteiligt wird,
dann sagt das einiges über den Stellenwert dieses Themas im Kabinett.
Bei der unabhängigen Finanzberatung, dem nächsten
Thema, gab es im April 2011 ein Versprechen der Regierung, man werde bald eine Vorlage erarbeiten. Die
Vorlage war dann im Juni 2011 ein Eckpunktepapier der
Ministerin. Bis heute ist aus diesem Eckpunktepapier
nichts umgesetzt worden. Die Schlagzeile war wichtig,
das Tun war erneut unwichtig.
Mein letztes Thema im Zusammenhang mit den Finanzdienstleistungen sind die überhöhten Dispozinsen.
Mit Steuerzahlergeldern wird eine Studie in Auftrag gegeben. Das ist richtig; das ist Ihr Job. Das Ergebnis ist:
Die Dispozinsen in Deutschland sind überhöht. Was
macht die Ministerin? Viele Monate macht sie gar
nichts. Jetzt habe ich aber gehört, dass Sie als Folge dieser Studie in der nächsten Woche zu einem Kaffeekränzchen ins Ministerium eingeladen haben.
Frau Aigner, Ihnen fehlt der Mut. Vielleicht fehlt Ihnen auch die Unterstützung Ihrer Fraktion. Bei lebensmittelklarheit.de, einem Vorhaben, das ich eindeutig
lobe, haben wir erlebt, wie mühevoll Sie sich gegen die
Regierungsfraktionen durchsetzen mussten. Sie können
weiter auf unsere Unterstützung setzen, wenn diese Regelung verlängert und ausgebaut werden soll. Wir werden am Ende dieser Budgetberatungen sehen, wer den
längeren Atem hat, Sie oder diejenigen, die diese Leistung schon wieder wegkürzen wollen.
Was wir brauchen, ist eine moderne Verbraucherpolitik, die Verbraucherinnen und Verbraucher auf Augenhöhe mit global agierenden Konzernen hebt. Den dafür
notwendigen Mut haben Sie nicht. Ihnen ist die Eigendarstellung oder, wie heute, der Wahlkampf für Bayern
und den Bund wichtiger. Sie haben von den Wählerinnen
und Wählern aber einen Job bekommen. Wenigstens in
den nächsten zwölf Monaten sollten Sie ihn auch machen.
({11})
Das Wort hat nun Rainer Erdel für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Am 10. November 1965 gab Ludwig
Erhard eine Regierungserklärung ab und forderte dabei
zum Maßhalten auf. Über Jahrzehnte wurde er für diese
Äußerung verlacht, über Jahrzehnte wurde er als antiquiert dargestellt. Er hatte etwas ausgesprochen, das
viele Regierungen in Europa und die Regierung in
Deutschland vielleicht hätten beherzigen sollen. Dann
wären uns manche Probleme, die uns momentan beschäftigen, erspart geblieben.
Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2013, den wir
vorlegen, berücksichtigt genau diese Maßgabe, nämlich
Maßhalten. Wir haben das Defizit deutlich reduziert.
Auch im Agrarhaushalt tragen wir dieser Maßgabe
Rechnung. 70 Prozent des Agrarhaushaltes sind für
agrarsoziale Projekte vorgesehen. Wir nutzen die verbleibenden 30 Prozent, um die Herausforderungen der
Gegenwart anzunehmen.
Welche Herausforderungen sind dies? Wir stellen
fest, dass sich die Verbraucher immer mehr von der Produktion entfernen. Wir stellen fest, dass es immer mehr
Unsicherheit bei den Menschen gibt, ob die Lebensmittel, die sie kaufen, gesund sind. Deswegen, Frau Ministerin, bin ich sehr dankbar, dass Sie diesen Spielraum
nutzen und diese 30 Prozent Gestaltungsspielraum für
Forschung in alternative Pflanzen bei den erneuerbaren
Energien und in ökologischen Landbau einsetzen und
dass Sie den Verbraucherschutz und die Verbraucherinformation verstärken.
Ich denke, in Deutschland ist der Dreiklang „Wissenschaft, Lehre und Praxis“ sehr wichtig. Dieser Dreiklang
funktioniert: Immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse
fließen in die Praxis ein. Eines wird in unserem Einzelplan 10 allerdings nur am Rande tangiert: die europäische Agrarpolitik.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau Ministerin, für ihre
Äußerung zur Flächenstilllegung. In einer Zeit, in der
wir über „Teller oder Tank“ diskutieren, in der wir uns
nicht sicher sind, ob es richtig ist, auf unseren Äckern
Energiepflanzen anzubauen, diskutieren wir allen Ernstes darüber, 800 000 Hektar - das wären 7 Prozent - mit
einem Kapitalwert von 8 Milliarden Euro - diese Zahl
ergibt sich, wenn man pro Quadratmeter 1 Euro ansetzt aus der Produktion zu nehmen und diese nicht stattfindende Produktion mit Steuergeldern auszugleichen. Welche Branche in Europa würde dies mitmachen? Der
Landwirtschaft will man das zumuten.
({0})
In dem Dreiklang „Wissenschaft, Lehre und Praxis“
ist es uns gelungen, moderne Ställe zu entwickeln und
eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Deutschland aufzubauen. Wenn ich von den Grünen höre, dass der
nächste Wahlkampf die Landwirtschaft als Zielgruppe
hat, dann frage ich mich: Wollen Sie beim Verbraucher
Angst schüren? Wollen Sie die Situation ausnutzen und
bewirken, dass sich Erzeugung und Verbraucher immer
weiter voneinander entfernen? Ich glaube, unsere Landwirte haben dies nicht verdient.
({1})
Die Menschen, die täglich hart arbeiten, die bereit sind,
zu investieren, und innovationsbereit sind, haben unseren Schutz und unsere Anerkennung verdient. Sie haben
nicht verdient, dass auf ihrem Rücken Wahlkampf gemacht wird.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, wer hier wie Sie so demonstrativ die Gemeinsamkeit von Union und FDP beschwört, der muss
in Wirklichkeit ein riesiges Problem damit haben. Das
wissen Sie, und wir alle kennen diese Probleme.
({0})
Ansonsten sind Sie in Ihrer Maxime Jesus gefolgt: „Eure
Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.“ Wenn Sie in der Bibel
ein Stückchen weiterlesen, werden Sie herausfinden,
dass auch das schiefgegangen ist.
Das Problem dieses Etats ist nicht so sehr, was drinsteht, sondern eher das, was nicht drinsteht. Agrar- und
Verbraucherschutzpolitik wird heute eben nicht in erster
Linie in Parlamenten und Regierungen gemacht, sondern
an Börsen, in Lebensmittelkonzernen und Discounterketten. Das Ergebnis davon ist das Gegenteil einer nachhaltigen Agrarpolitik. Wir wollen ganz ausdrücklich,
dass das nicht so bleibt und dass wir uns dort wehren.
({1})
Bevor wir über Einzelposten reden, ist es bitter nötig,
etwas zur gegenwärtigen Börsenspekulation mit Nahrungsgütern zu sagen. Über 900 Millionen Menschen haben inzwischen nicht mehr genügend Nahrung, und deren Zahl nimmt zu. Hierzulande trifft man häufig auf die
Selbstbezeichnung von der „zivilisierten Welt“. Aber
was ist daran zivilisiert, wenn in Deutschland die Zahl
der Millionäre auch deshalb wächst, weil in den ärmsten
Ländern der Welt der Hunger anwächst? Eine gerechte,
solidarische und friedliche Weltordnung erfordert deshalb auch eine neue globale Ernährungsstrategie.
({2})
Dazu gehört ein Verbot von Spekulationsgeschäften mit
Nahrungsmitteln. Hierzu hat die Linke einen Antrag eingebracht. Wir wären jederzeit bereit, auch einen interfraktionellen Antrag zu unterstützen. Ich denke, dass es
für diese Forderung auch eine Zweidrittelmehrheit im
Bundestag gibt. Warum haben wir nicht den Mut, dies
auf den Weg zu bringen?
({3})
Zu einigen Fakten: Milchbäuerinnen und Milchbauern haben uns allen in jüngster Zeit signalisiert, mit welchen Problemen sie zu tun haben, womit sie zu kämpfen
haben. Man muss eindeutig sagen: In der Agrarwirtschaft nimmt die Selbstausbeutung zu.
An Ihre Adresse, Frau Ministerin: Die Milchbauern
erwarten ganz eindeutig, dass Sie sich hier auf ihrer
Seite positionieren. Sie brauchen Ihre Unterstützung.
Wir werden Sie da an Ihren Taten messen.
({4})
Heute hat das Statistische Bundesamt eine Sozialstatistik veröffentlicht, die belegt - das haben wir schon
diskutiert -, dass die Armut in Deutschland anwächst.
Auf der anderen Seite wächst auch der Reichtum an. Das
Anwachsen der Armut gehört zur Wahrheit. Viele der
Betroffenen leben auf dem Land. Ich will aus dieser Veröffentlichung hier nur hervorheben, dass unter den Flächenländern leider wieder die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen, also Länder im
Osten der Republik, diese Statistik anführen.
Ihnen ist gut bekannt, dass die Linke für Chancengleichheit für ostdeutsche Agrarunternehmen eintritt. Da
haben wir im Moment zwei akute Probleme: Das sind
zum einen die sinkenden Zuwendungen für größere Unternehmen im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik.
Dazu kennen Sie unsere Position. Das ist zum anderen
die Bodenpreisentwicklung. Die Pachtflächenpreise haben sich seit 2007 verdreifacht. Wir finden, die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH,
BVVG, spielt hier eine besonders unrühmliche Rolle.
Das schadet den Agrarbetrieben, nicht nur im Osten,
aber in besonderem Maße im Osten. Deshalb fordern wir
an dieser Stelle einen Stopp der Privatisierung; das ist
der falsche Weg.
({5})
Die Linke fordert eine steuerfreie Rücklage für den
Risikoausgleich. Auch dazu kennen Sie unseren Antrag.
Klimawandel und zunehmende Wetterextreme erhöhen
die ökonomischen Risiken von Agrarbetrieben. Das sind
nicht nur Buchhalterrisiken. Es sind Risiken, die sozusagen den Lebensunterhalt untergraben oder berühren können. Deshalb brauchen wir eine unbürokratische Hilfe,
um bessere Vorsorge bei unverschuldeten Ausfällen zu
erreichen.
({6})
Natürlich gibt es auch erfreuliche Entwicklungen in
Ihrem Etat. Mehr Geld für alle Forschungseinrichtungen
des Bundes wird von uns ausdrücklich unterstützt. Dies
wird aber leider durch die über alle Etats geltenden Stelleneinsparungen von 1,5 Prozent pro Jahr - ich weiß,
dass das nicht an Ihnen liegt, Frau Ministerin - konterkariert. Das steht leider dem entgegen, was diese wunderbaren anerkannten Leistungen in den Instituten an weiterer Förderung verdient hätten.
({7})
Positiv sehen wir auch, dass es im Deutschen Bundestag nach wie vor gelingt, interfraktionell - in diesem Fall
über alle Fraktionen hinweg - etwas zur Förderung des
Weinbaus in unserem Land zu tun.
Die Linke steht für eine Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die den Konsumenten eine gesunde und
bezahlbare Ernährung und den Produzenten ein nachhaltiges und angstfreies Wirtschaften garantiert.
Zum Schluss noch ein Tipp an Sie, Frau Ministerin:
Ich bin sicher, dass Sie daran interessiert sind, auch aus
Ihrer bayerischen Heimat Nachwuchs für Ihr Ministerium zu bekommen. - Sie nickt. Wenn sich die jungen
Leute mit Laptop und Lederhose, wie wir gelernt haben,
in Bayern auf den Weg machen, dann sorgen Sie bitte
dafür, dass es ein Ticket nach Berlin ist und nicht ein Ticket nach Bonn;
({8})
sie wollen inzwischen nämlich lieber nach Berlin. Ihr
Ministerium ist noch geteilt. Tun Sie etwas für Ihre
Landsleute! Sie werden es Ihnen danken.
Danke schön.
({9})
Nun hat Kollegin Katja Dörner das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wenn man sich die Fotos auf der
Homepage des Ministeriums anschaut, dann könnte man
meinen: Landwirtschaft in Deutschland - das reinste
Bullerbü.
({0})
Man sieht kleine Ferkelchen mit süßen Ringelschwänzchen, die um die Sau herumtollen.
({1})
Man sieht ganz propere Hennen samt Hahn auf einer großen grünen Wiese. Klar ist: Solche Bilder haben mit der
Realität der schwarz-gelben Agrarpolitik nichts zu tun.
Hier wird den Menschen Sand in die Augen gestreut. Hier
wird bewusst davon abgelenkt, dass Schwarz-Gelb weiter
auf Massentierhaltung, auf immer größere Ställe und darauf setzt, immer mehr Tiere auf kleinstem Raum zusammenzupferchen. Wir lassen Ihnen, Frau Ministerin, diese
Augenwischerei nicht durchgehen.
({2})
Die Ministerin bemüht sich allenthalben, auch heute,
ihre Politik als ökologisch, nachhaltig und tierfreundlich
erscheinen zu lassen. Jetzt hat sie sogar einige neue Programme und Forschungsschwerpunkte in ihrem Haushaltsentwurf, die suggerieren könnten, dem sei auch so.
Stichwort Tierschutz. 5 Millionen Euro sind hier neu
vorgesehen.
({3})
Dieses neue Programm, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ist einfach nur absurd, wenn die Bundesregierung
gleichzeitig Hermesbürgschaften im Umfang von 26 Millionen Euro für Tierfabriken in der Ukraine vergibt,
({4})
für Tierfabriken, in denen Platz für 3 bzw. 5 Millionen
Legehennen ist. Es werden 26 Millionen Euro für Tierfabriken zur Verfügung gestellt, die nach Auskunft der
Bundesregierung in Deutschland und in der EU gar nicht
zulässig wären. Klar ist: Der Bundesregierung ist der
Tierschutz einfach schnuppe. Wenn es um die Interessen
der Käfigindustrie geht, muss sich der Tierschutz ganz
hinten anstellen. Das ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel.
({5})
Dass auch der Ministerin selbst der Tierschutz ziemlich schnuppe ist, zeigt ein Blick in die Haushaltsunterlagen. Wozu dient denn dieses 5-Millionen-Euro-Programm? Die daraus finanzierten Projekte dienen dazu
- ich zitiere aus den Haushaltsunterlagen -, „die Akzeptanzprobleme, auf die die Haltung landwirtschaftlicher
Nutztiere bei vielen Bürgerinnen und Bürgern stößt, zu
lösen“. Tierschutz ist an dieser Stelle Fehlanzeige. Es
geht darum, Akzeptanzprobleme zu lösen. Das ist einfach
ungeheuerlich.
({6})
Beim Tierschutz sind endlich echte Veränderungen
nötig. Ich kann Sie alle nur auffordern, sich uns anzuschließen und unser Tierschutzgesetz zu unterstützen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, noch ein gutklingender neuer Posten im Haushaltsentwurf: 2 Millionen Euro für Forschungskooperationen zur Verbesserung der Welternährungssituation. Aber was sollen diese
2 Millionen Euro, wenn Sie, Frau Ministerin, ganz direkt
und unmittelbar so viel mehr tun könnten, um die Welternährungssituation tatsächlich zu verbessern, beispielsweise indem Sie sich endlich gegen den Export von Billigprodukten und in Deutschland nicht vermarktbaren
Fleischteilen zum Beispiel nach Afrika engagieren würKatja Dörner
den? Diese treiben die lokalen Bäuerinnen und Bauern
nämlich in den Ruin und untergraben die Ernährungssouveränität in diesen Ländern.
({7})
Sie könnten die Welternährungssituation auch dadurch
verbessern, dass sie uns darin unterstützten, in Deutschland und in der EU die Selbstversorgung mit Futtermitteln zu stärken.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, was den Verbraucherschutz betrifft, begrüßen wir die Erhöhung der Mittel, beispielsweise für die Stiftung Warentest und für die
Verbraucherinformation. Mehr Mittel für den Verbraucherschutz, das ist aus unserer Sicht natürlich richtig.
Nichtsdestotrotz: Diese Erhöhung fällt zu mickrig aus.
({8})
Ich muss auch darauf hinweisen: Sie erfolgt natürlich
vor dem Hintergrund, dass für das Jahr 2012 die Mittel
gekürzt worden sind.
Weiterhin tut die Ministerin strukturell nichts zum
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher im Bereich der Finanzprodukte. Der Schaden durch Fehlberatungen in diesem Bereich wird auf 20 bis 30 Milliarden
Euro jährlich geschätzt. Der von uns vorgeschlagene
Finanzmarktwächter, den wir auch in diesen Haushaltsberatungen wieder beantragen werden, würde jährlich
laufende Kosten von rund 10 Millionen Euro verursachen. Das wäre aus unserer Sicht eine sehr lohnenswerte
Investition.
({9})
Auch hier im Bereich des Verbraucherschutzes bleibt
Frau Aigner die schon genannte Ankündigungsministerin. Ich kann den von Ulrich Kelber schon eröffneten
Reigen von Beispielen und guten Belegen noch weiter
fortsetzen.
({10})
Was ist beispielsweise mit der ziemlich populistischen
Forderung nach verdeckten Ermittlern bei Finanzprodukten? Sie ist 2010 von der Ministerin aufgetan worden. Wie viele dieser Testeinkäufer sind mittlerweile unterwegs? Kein Einziger, null! Warum ist das so? Es fehlt
auf der Bundesebene die gesetzliche Grundlage dafür.
Ich finde, ehrlich gesagt, wenn man Ministerin ist, sollte
man sich doch einmal erkundigen, ob man die eigenen
Vorschläge umsetzen kann, bevor man solche Ideen in
die Öffentlichkeit pustet.
({11})
Auch die Änderung des Telekommunikationsgesetzes, um die Abzocke in den Warteschleifen zu beenden,
({12})
finden wir alle richtig. Aber selbst hier lässt diese Ministerin ein verbraucherfeindliches Schlupfloch;
({13})
denn die vorangestellten Bandansagen bleiben weiterhin
gebührenpflichtig. Ich hoffe nur, dass niemand auf die
Idee kommt, die Bänder mit den nicht umgesetzten Ankündigungen von Ilse Aigner zu besprechen, weil das
dann für die Anrufer verdammt teuer würde.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat nun Franz-Josef Holzenkamp für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was ich gerade eben gehört habe, ist eigentlich
ziemlich dünne und ziemlich billig.
({0})
Sie haben außer Anklage nichts Konstruktives zu bieten,
meine Damen und Herren.
Dabei ist das Beste an Landwirtschaftspolitik, dass
über 80 Millionen Menschen tagtäglich essen und trinken können, und zwar Lebensmittel, die wir hier in
Deutschland erzeugen, die höchsten Ansprüchen an
Qualität, an Vielfalt und an Sicherheit genügen, und dass
sich auch Menschen mit etwas geringerem Einkommen
diese leisten können. Darauf muss man heute ganz besonders deutlich hinweisen. Es ist unserer starken und
leistungsfähigen Land- und Ernährungswirtschaft zu
verdanken, dass eben nur 12 Prozent des durchschnittlichen Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben werden müssen. Das ist eine großartige Leistung unserer
Landwirtschaft.
({1})
Viele in unserer Gesellschaft empfinden das mittlerweile als selbstverständlich: rein in den Supermarkt, raus
aus dem Supermarkt, Einkaufskorb voll, und günstig war
es auch noch. Diese Selbstverständlichkeit in unserer
Gesellschaft führt nun zu einem gewissen Luxusproblem, nämlich zu Lebensmittelverschwendung, mit der
wir uns Gott sei Dank überfraktionell beschäftigen, aber
auch zunehmend zu einer geringeren Wertschätzung der
Lebensmittelerzeugung. Hier ist Handlungsbedarf, weil
es diese Selbstverständlichkeit nicht gibt.
Hinter der Fülle an eben genannter Qualität stehen
über 300 000 landwirtschaftliche Familien. Sie sind top
ausgebildet, arbeiten sieben Tage die Woche und bewirtschaften ihre Betriebe erfolgreich, sie sorgen dafür, dass
neben der Erhaltung unserer Vielfalt unserer Kulturland23130
schaft über 4 Millionen Menschen in unserem Land im
Landmaschinenbau, in der Düngemittelwirtschaft, in der
Futtermittelindustrie oder auch in der Ernährungswirtschaft Arbeit haben: 4 Millionen Menschen in Deutschland, die ohne die Landwirtschaft keine Beschäftigung
hätten.
Ich finde es bemerkenswert - ich möchte unterstreichen, was Bundesministerin Aigner vorhin schon angedeutet hat -, wenn ein Finanz- und Wirtschaftsminister
aus Baden-Württemberg - das ärgert mich auch - feststellt, dass die Landwirtschaft im ländlichen Raum eine
untergeordnete Rolle spielt. Ich finde, das ist ein Schlag
ins Gesicht der Bauern. Die Bauern sind Menschen, die
tagtäglich mit Leidenschaft und Verantwortungsbewusstsein zu Werke gehen. Sie haben unsere Anerkennung und unseren Dank verdient, meine Damen und
Herren.
({2})
Wir stehen vor globalen Herausforderungen. Die
weltweite Nahrungsmittelversorgung ist auch eine Aufgabe für uns. Die Folgen des Klimawandels müssen eingeschränkt werden, und wir müssen mit der Volatilität
der Märkte fertigwerden. Das zeigt sich in diesem Jahr
sehr konkret bei der Getreideernte. In Deutschland gab
es im Winter noch Auswinterungsschäden. Wir haben
jetzt mit der Leistung der Bauern mit etwa 45 Millionen
Tonnen eine gut durchschnittliche Ernte in Deutschland
geschafft. Aber in den USA herrscht Dürre, und weltweit
explodieren die Getreidepreise. Das ist gut für die
Ackerbauern, aber schlecht für die Veredelungswirtschaft.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, erwarten
die Landwirte und die Ernährungswirtschaft zu Recht
Verlässlichkeit in der Politik. Diese Verlässlichkeit zeigt
sich unter anderem auch im Agrarhaushalt. Denn zur
Unterstützung der Landwirte und der Verbraucherinnen
und Verbraucher braucht es einen starken Haushalt. Dieser Haushalt leistet einen Beitrag zur Konsolidierung,
aber er ist gleichermaßen zukunftsorientiert und setzt die
richtigen Schwerpunkte. Ilse Aigner, unsere Bundeslandwirtschafts- und -verbraucherministerin, hat einen
sehr guten Haushalt aufgestellt. An dieser Stelle ein
herzliches Dankeschön.
Wir haben die Ausgaben für Verbraucherpolitik um
über 4 Millionen Euro gesteigert. Darauf wurde schon
hingewiesen. Diese Maßnahmen sind auch richtig. Dafür
gab es gerade schon Lob von den Grünen. Ich will an
dieser Stelle einfach feststellen: Sie können so viel herumnörgeln, wie Sie wollen. Keine Regierung hat in der
Vergangenheit so viel in Sachen Verbraucherschutz umgesetzt wie unsere Bundesministerin Ilse Aigner. Das
muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.
({3})
- Herr Kelber, eines wundert mich: Die fünftwichtigste
Branche in Deutschland, die Agrar- und Ernährungswirtschaft mit über 5 Millionen Arbeitsplätzen, haben Sie
mit keinem Wort erwähnt.
({4})
Das finde ich sehr schade.
Wir haben weitere gute Aspekte im Haushalt. Wir sichern die Gemeinschaftsaufgabe trotz wirklich knapper
Kassen. Das ist eine großartige Leistung. Wir fördern
gleichbleibend hoch die Landwirtschaft und damit auch
den ländlichen Raum. Denn das ist bei uns anders: Für
uns gehören Landwirtschaft und ländlicher Raum zusammen.
Was mir persönlich noch wichtig ist, ist der Ausbau
der Forschung. Forschung ist, wie wir wissen, Zukunft.
Auf die Forschung insbesondere in Sachen Tierschutz ist
die Ministerin schon eingegangen. Auch daran kann man
so viel herumnörgeln, wie man will: Wenn wir auch
durch Umschichtungen zusätzliche Mittel einsetzen, was
in einem Konsolidierungsverfahren im Gesamthaushalt
notwendig ist - darin sind wir uns sicherlich alle einig -,
und mehr für den Tierschutz und die Tierhaltung tun und
beides weiterentwickeln, dann ist das eine großartige
Leistung.
Wir wollen in der Landwirtschaft in Deutschland
nicht nur die Spitze in Europa bleiben; wir wollen unsere
Spitzenposition auch weiter ausbauen.
({5})
Ich finde, wir sollten bei diesen schwierigen Fragen versuchen, mehr Lösungsansätze über den Dialog zu finden
statt durch allgemeine Anklage oder Generalverdacht.
Das hilft uns nicht weiter. Denn worum geht es? Es geht
um ökonomische und ökologische Fragen, um Fragen
des Tierschutzes und, was auch sehr wichtig ist, um soziale Belange und soziale Verantwortung. Es geht darum, dass sich auch jemand mit etwas niedrigerem Einkommen einmal ein Stück Fleisch leisten kann.
Entscheidend ist, dass man nicht nur einzelne Punkte
herausgreift, sondern dass wir alle Parameter miteinander verbinden. Die Lösung heißt nicht Ideologie, sondern Effizienzsteigerung. Das ist vernünftig. Das ist Zukunft, und das hilft letztlich uns allen in der Gesellschaft
weiter.
({6})
Aktuelles Thema der letzten Tage war der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung. Ich glaube, wir sind hier
auf einem guten Weg.
({7})
Die Bundesregierung bzw. das Ministerium bereitet eine
Novelle zum Arzneimittelgesetz vor; das ist bekannt. Sie
wird hoffentlich noch in diesem Monat in das Kabinett
eingebracht werden. Permanente Generalanklagen helfen
uns nicht weiter. Vielmehr müssen wir neben Sicherheitsmechanismen Strukturen schaffen, die es ermöglichen
- das hat Frau Aigner angesprochen -, MinimierungskonFranz-Josef Holzenkamp
zepte auf die Ebene der einzelnen Betriebe herunterzubrechen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
weil auch die Heimtiermedizin und die Humanmedizin
eine Rolle spielen. Ich lade Sie herzlich zu konstruktiver
Mitarbeit ein.
Ein letzter Satz zu der schon seit einiger Zeit geführten Diskussion über die anstehenden GAP-Verhandlungen. Ende dieses Jahres steht wahrscheinlich die Entscheidung zum Finanzrahmen auf europäischer Ebene
an. Wir werden es - im Gegensatz zu SPD und Grünen nicht zulassen, dass der Agrarhaushalt zum finanziellen
Steinbruch gemacht wird, und das auf Kosten der deutschen Bauern. Wenn sich die Bauern auf die SPD verlassen, dann sind die deutschen Bauern tatsächlich verlassen.
Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Es ist Wahnsinn: Während
viele Menschen auf der Welt Hunger haben, wollen wir
wertvolle Ackerflächen stilllegen. Das ist verrückt.
Mit dieser Bundesregierung haben die deutschen
Bauern
Herr Kollege!
- eine hervorragende Interessenvertretung. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können sich
gern konstruktiv beteiligen, aber bitte nur konstruktiv.
Sonst sollten Sie es sein lassen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich den Einzelplan 10 anschaut, dann fällt
einem zuerst auf, dass es in der Landwirtschaftspolitik
wenig Neues gibt. Das, was man da liest, malt das altbekannte Bild, das typische Bild, das wir von Frau Ministerin Aigner nun schon seit drei Jahren kennen. Die
Landwirtschaftspolitik reduziert sich auf das passive
Ausschütten von Subventionen vor allen Dingen im Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik, während die
Substanz der aktiven Elemente der Politik, wenn es um
Strukturfragen und Innovationen geht, immer dünner
wird.
({0})
Herr Kollege Holzenkamp, vor diesem Hintergrund
bitte ich Sie, Ihre Aussage, Rot-Grün verstehe die Agrarpolitik als finanziellen Steinbruch, noch einmal zu überdenken. Sie sollten die Diskussionen in den letzten Jahren Revue passieren lassen. Die Ministerin selbst hat
darauf hingewiesen, dass 70 Prozent ihres Haushalts für
Rente, Krankenversicherung und Unfallversicherung
aufgewendet werden. 2013 erhöhen Sie die Subventionen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung noch
einmal um 50 Millionen Euro. Im aktiven Teil haben Sie
vor, noch einmal 25 Millionen Euro für die GMA herauszukürzen. Ich vermute, dass das mit der Subvention
des Agrardiesels zusammenhängt. Die aktiven Teile nehmen also zunehmend ab.
Wir werden Ihnen im Rahmen dieser Haushaltsberatungen neue Bundesprogramme für eine nachhaltige
Landwirtschaft, die Tierschutzforschung und den Bereich der Regionalvermarktung vorschlagen, damit dieser Titel einen echten Gestaltungsanspruch zurückgewinnt.
({1})
Im Bereich der Innovationen - dieser hat bei verschiedenen Rednern eine große Rolle gespielt - sollten
wir genau auf die Zahlen schauen. Die Kanzlerin hat
gestern gesagt - Sie haben das sicherlich auch noch im
Ohr -: Wir setzen vor allem auf Investitionen in die Zukunft. - Den Einzelplan 10 kann sie damit nicht gemeint
haben. Schauen wir uns einmal genau an, was er tatsächlich enthält. Da fällt als Erstes ins Auge, dass die Beträge für die ressorteigenen Institute - Julius-Kühn-Institut, Friedrich-Loeffler-Institut, Max-Rubner-Institut und
Von-Thünen-Institut - im Titel 544 01, „Forschung, Untersuchung und Ähnliches“, im Jahresvergleich negativ
sind. Die Gesamtsumme für diese vier Institute geht um
2,23 Millionen Euro im Vergleich zu 2012 zurück. Ich
stelle einfach fest: Das ist ein eklatant anderes Bild als
das, das Sie hier zeichnen.
({2})
Wenn ich in das Innovationskapitel schaue, das neu
eingerichtet worden ist, das Kapitel 1005 „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovationen“, und mir ansehe, wie
der Mittelabfluss ist, dann kann ich nur feststellen: Es
wird zappenduster. Ich will einmal die Titelgruppen nennen. Bei „Zuweisungen und Zuschüsse“ für 2011 sind
4,69 Millionen Euro nicht ausgegeben worden. Bei der
Titelgruppe „Nachwachsende Rohstoffe“ haben wir
nicht abgeflossene Mittel in Höhe von 6,9 Millionen
Euro. Bei der Titelgruppe „Zuschüsse an Forschungseinrichtungen außerhalb der Bundesverwaltung“ sind
5,7 Millionen Euro nicht abgeflossen. In der Titelgruppe
„Forschung und Innovation“ sind 14,7 Millionen Euro
nicht abgeflossen. Summa summarum sind Innovationsmittel in Höhe von 32 Millionen Euro nicht in 2011 abgeflossen.
({3})
Seit dieser Woche liegen die vorläufigen Istzahlen für
2012 vor. 66 Prozent des Haushaltsjahres 2012 sind vorbei. Wenn ich die Zahlen hochrechne, wird das Bild
noch erschreckender. Pi mal Daumen, gleiche proportio23132
nale Haushaltsmittelabflüsse unterstellt, liegen Sie in
diesem Innovationskapitel schon jetzt bei nicht ausgeschöpften 41 Millionen Euro. Die Gelder fließen nicht
ab. Sie bekommen das nicht in den Griff. Sie sind quasi
eine Innovationsbremse, was die eingesetzten Mittel betrifft, aber keine Innovationsministerin. Dort sind Sie
komplett gescheitert.
({4})
Sie haben das Thema Verbraucherschutz in den Mittelpunkt gestellt. Meine Kollegin wird im Anschluss
dazu etwas sagen. Ich will zur Stiftung Warentest einige
Sätze verlieren. Ich habe bei den Haushaltsberatungen
der letzten Jahre quasi gebetsmühlenartig kritisiert, dass
es falsch ist, auf der einen Seite das Stiftungskapital zu
erhöhen - das ist in Ordnung -, auf der anderen Seite
aber die Zuführungen in die Stiftung zu kürzen. Das ist
eine glatte Fehlentscheidung gewesen. Okay, jetzt erhöhen Sie die Zuführungen wieder und stellen 1,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Das ist richtig, und das
will ich nicht kritisieren. Das ist aber eine Bankrotterklärung des Kurses, den Sie über mehrere Jahre verfolgt haben.
({5})
Übrigens haben Sie zuvor 2,5 Millionen Euro gekürzt,
bevor Sie jetzt wieder 1,5 Millionen Euro zuführen.
Zur Wahrheit gehört auch, dass damit noch lange
nicht die dramatische Situation beschrieben ist, in der
sich die Stiftung befindet. Ich erinnere daran, was der
Vorstand der Stiftung, Herr Primus, bei der Jahrespressekonferenz der Stiftung Warentest im Mai dieses Jahres
erzählt hat. Er hat dort signalisiert, wie drückend diese
Kürzungsentscheidungen waren. Er hat weiter signalisiert, dass das Ergebnis der Stiftung im Jahre 2011 nur
gehalten werden konnte, weil buchungstechnisch die
beiden Hefte - die Flaggschiffe der Publikationen - von
Januar 2012 auf Dezember 2011 zurückgerechnet werden konnten, diese Hefte also 13-mal abgerechnet wurden. Sie haben mit dieser Kürzungspolitik die Stiftung in
die Situation gebracht, Bilanztricks anzuwenden. Sie haben sie in eine Schieflage geführt. Das ist die Situation,
die Sie angerichtet haben. Kein Wort von der Ministerin
dazu.
({6})
- Herr Schirmbeck, ich empfehle Ihnen weniger Dressing und mehr Beschäftigung mit Zahlen. Dann würde
sich das auch Ihnen erschließen.
Ich habe gemerkt - auch das wird noch eine Rolle
spielen -, dass Sie auf einmal Ihr Herz für die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher entdeckt haben. Im letzten Jahr haben wir dafür 1 Million Euro
mehr gefordert. Jetzt werden 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und
darauf verweist, dass es sich bei dem Jahr 2013 um ein
Bundestagswahljahr handelt. Wir werden auch über den
anwachsenden PR-Bereich im Einzelplan 10 zu reden
haben.
Ich freue mich auf intensive und konstruktive Diskussionen.
({7})
Das Wort hat nun Heinz-Peter Haustein für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Dankbarkeit und Weizen gedeihen
nur auf gutem Boden.
({0})
Seien wir dankbar, dass wir in Deutschland genug guten
Boden haben, und seien wir dankbar, dass es uns so gut
geht wie noch nie in diesem Lande, dass wir genug zu
essen und zu trinken und dass wir Frieden haben. Das
kommt nicht von ungefähr. Das ist vor allem ein Verdienst dieser christlich-liberalen Bundesregierung.
({1})
Nun stehe ich hier als Haushälter, als jemand, der in der
FDP-Fraktion für den Einzelplan 10 - Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständig ist. Mein Kollege Schorsche Schirmbeck hat
diese Aufgabe in der CDU/CSU-Fraktion. Wir helfen
unserer tatkräftigen Ministerin, Ilse Aigner, die ja ein
Machertyp ist, dabei, ihre Vorhaben umzusetzen. Dafür
sind wir auch da. Denn wir kämpfen für unser Land.
({2})
Dieser Haushalt, der Einzelplan 10, umfasst 5,26 Milliarden Euro. Wir haben 20 Millionen Euro eingespart. Das
entspricht einem Rückgang des Gesamthaushaltes dieses
Bundesministeriums um 1,7 Prozent.
Wir sehen den Bauern, den Landwirt als Unternehmer, der im Wettbewerb steht - im Wettbewerb stehen ja
alle Unternehmer - und der auch noch das mit dem Wetter verbundene Risiko auszuhalten hat: Stets muss er
Angst vor Dürre oder Unwetter haben. Wir flankieren
deshalb mit richtigen Maßnahmen die Betriebe unserer
Bäuerinnen und Bauern, damit sie wettbewerbsfähig
bleiben. Das ist unsere Aufgabe, und die erfüllen wir
auch.
So ist es nicht verwunderlich, dass 69 Prozent dieses
Haushaltes, genau 3,65 Milliarden Euro, in Kap. 1001,
„Landwirtschaftliche Sozialpolitik“, fließen. Es ist schon
sehr verwunderlich, dass ein Sozialdemokrat sagt, wir
gäben zu viel für Soziales aus. Diese Regierung, getragen von der Koalition aus CDU/CSU und FDP, ist so sozial wie noch keine Regierung vorher. Noch nie wurde
mehr für Sozialleistungen in diesem Land ausgegeben.
({3})
Ich möchte ein paar Details nennen. Wir geben für die
Alterssicherung der Landwirte 2,14 Milliarden Euro aus.
Das ist recht und billig; denn die gesetzlichen Rentenversicherungen erhalten aus dem Steuersäckel einen Zuschuss in Höhe von 80 Milliarden Euro. Wir bezuschussen die landwirtschaftliche Unfallversicherung. Der
Haushaltsansatz sieht hierfür 150 Millionen Euro vor. Im
letzten Jahr waren es 175 Millionen Euro. Wir wollen
einmal sehen, was bei den Haushaltsberatungen herauskommt. Wir bezuschussen die Krankenversicherung mit
1,29 Milliarden Euro, die Landabgaberente mit 34 Millionen Euro und die Zusatzaltersversorgung mit 29 Millionen Euro. Es kann sich sehen lassen, dass 69 Prozent
dieses Etats für landwirtschaftliche Sozialpolitik ausgegeben werden. So sozial sind wir eben. Sozial ist bei dieser Regierung Herzenssache.
({4})
Da unsere Bauern Unternehmer sind, müssen wir
auch dafür sorgen, dass sie im Wettbewerb in Europa
nicht benachteiligt werden. Ein Punkt in diesem Zusammenhang ist der Preis für Agrardiesel, also für den Sprit,
den die Bauern brauchen, wenn sie mit dem Traktor oder
dem Mähdrescher fahren. Während der Steuersatz auf
Agrardiesel in den Niederlanden bei 6,1 Cent pro Liter
liegt, in Großbritannien bei 6,0 Cent, sind es bei uns immer noch 26 Cent. Wir bewirken eine Entlastung der
Bauern um 430 Millionen Euro. Dazu stehen wir, auch
wenn manche Teile der Opposition dieses Hauses sie den
Bauern nicht gönnen. Wir gönnen es unseren Bauern.
({5})
Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ trotz unserer Sparbemühungen bei 600 Millionen
Euro belassen. Wir fördern Nachhaltigkeit, Forschung
und Innovation mit 494 Millionen Euro.
Ein neues Modellvorhaben ist der Bereich Tierschutz
und Tierhaltung, in den 5 Millionen Euro mehr fließen,
sodass dafür insgesamt 14 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Wir geben im Titel „Internationale Maßnahmen“ viel
Geld aus: immerhin 60,2 Millionen Euro. Für die bilaterale technische Zusammenarbeit stellen wir 10 Millionen Euro zur Verfügung, was einen Aufwuchs von
25 Prozent bedeutet. Auch hier sei auf den Einzelplan 30, Bildung und Forschung, verwiesen, in den auch
in diesem Jahr 811 Millionen Euro mehr fließen. In die
Forschung muss investiert werden, weil dort die Zukunft
liegt; ich nenne hier nur den Titel „Forschung für Innovationen, Hightech-Strategie“.
Noch ganz kurz etwas zur Verbraucherpolitik. Hierfür
geben wir 142,6 Millionen Euro aus. Die Stiftung Warentest erhält 1,5 Millionen Euro mehr. Ich halte es für
richtig, dass wir dem Stiftungskapital in den letzten
beiden Jahren einen Zuschuss von 20 Millionen Euro gewährt haben, um diese Stiftung auf ein solideres Fundament zu stellen und unabhängiger zu machen. Außerdem
haben wir die Mittel für die Verbraucherinformation um
25 Prozent erhöht.
Zusammengefasst: Der Bauernstand ist bei uns gut
aufgehoben. Wir stehen für unsere Bäuerinnen und Bauern, für die Landwirtschaft, für die Winzer und für die
Fischerei. In diesem Sinne sage ich ein herzliches
„Glück auf!“ aus dem Erzgebirge.
({6})
Caren Lay hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist ein denkbar kleines Stück vom Kuchen,
das Verbraucherinnen und Verbrauchern von diesem
Haushalt zugestanden wird. Die Verbraucherpolitik ist
der Regierung gerade einmal 143 Millionen Euro wert.
Im Vergleich zu anderen Summen ist das ein lächerlich
kleiner Betrag. Der Industrie schenken Sie beispielsweise 6,5 Milliarden Euro allein bei der Ökosteuer und
durch den kostenfreien Emissionshandel.
Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in diesem
Haushaltsentwurf wider; denn auch im Vergleich zu den
Ausgaben für die Landwirtschaft sind die Ausgaben für
die Verbraucherpolitik verschwindend gering. Relativ ist
der Anteil sogar gesunken. Waren es 2011 noch 3 Prozent der Ausgaben des Haushaltsentwurfs, so sind es
jetzt nur noch 2,7 Prozent. Diese stiefmütterliche Behandlung der Verbraucherpolitik muss endlich ein Ende
haben.
({0})
Sicherlich gilt auch hier: Gute Politik muss nicht zwingend viel kosten. Aber die Bilanz sieht ja insgesamt sehr
mager aus. Ich möchte noch einmal darauf eingehen.
Im Kern besteht die Verbraucherpolitik der Bundesregierung aus Ankündigungen. Es geht um Projekte, die
zwar nicht viel Wirkung haben, aber dafür auch nichts
kosten. Das scheint hier das Motto der Ministerin zu
sein. Ob es das Verbraucherinformationsgesetz ist, die
Buttonlösung im Internet, der konsequente Schutz vor
Telefonabzocke, die Begrenzung der teuren Warteschleifen beim Telefonieren - all diese Dinge wurden entweder zu spät, halbherzig oder mit Schlupflöchern durchgesetzt. So kann es einfach nicht gehen.
Nehmen wir ein anderes Beispiel. In Deutschland
wird schätzungsweise 600 000 Haushalten im Jahr der
Strom abgestellt, weil die Bewohner den Strom nicht bezahlen können. Das interessiert die Regierung noch nicht
einmal. Sie verfügt diesbezüglich nicht einmal über eine
ordentliche Statistik. Ich finde, auch dieser Skandal
müsste der Verbraucherministerin wenigstens ein kritisches Wort wert sein.
({1})
Stattdessen kümmert sich die Koalition weiter um
milliardenschwere Stromgeschenke an die Großindustrie. Von wirkungsvollen Ideen, um die Strompreise zu
begrenzen, habe ich bislang noch nichts gehört.
({2})
Nehmen wir das Beispiel der Dispozinsen. Wenn in
der Sommerpause wieder dramatische Zahlen darüber
veröffentlicht werden, wie Verbraucherinnen und
Verbraucher bei den Dispozinsen von den Banken abgezockt werden, dann finden das alle plötzlich ganz
schlimm. Vor Monaten aber, als die Linke einen entsprechenden Antrag zur Begrenzung der Dispozinsen eingebracht hatte, haben alle geschlossen dagegen gestimmt mit Ausnahme der Grünen; die haben sich bei einem eigenen Antrag enthalten. Ich finde, das ist einfach unseriös. Allein mit Pressemitteilungen kann man keine seriöse Politik machen.
({3})
Es gibt noch viele andere Dinge, auf die wir warten.
Ich nenne die Nährwertampel, das Girokonto für jedermann oder Maßnahmen zum Beispiel zur Begrenzung
unseriöser Inkassounternehmen. Auf all das warten wir
bis heute.
Ein anderes gutes Beispiel ist die Installierung von Finanzmarktwächtern, die wir als Opposition gemeinsam
fordern, um die Verbraucherinnen und Verbraucher auf
den Finanzmärkten tatsächlich wirkungsvoll zu schützen. Dafür müsste man entweder die Verbraucherorganisationen stärken oder, wie wir fordern, endlich einen
öffentlichen Finanz-TÜV einführen. Mit diesen 1,5 Millionen Euro für die Stiftung Warentest, mit denen Sie
sich heute brüsten, ist es wirklich nicht getan. Sie wissen
selbst, dass die Stiftung Warentest mit diesem Betrag
diese Herkulesaufgabe niemals wird stemmen können.
Wenn Sie einen unabhängigen Verbraucherschutz
wollen und zugleich die Ausgaben begrenzen wollen,
dann könnten wir auf eine alte und in der Tat gute Idee
der Ministerin zurückgreifen, nämlich die Einnahmen
aus den Kartellstrafen den Verbraucherorganisationen
zukommen zu lassen. Die Regierung selbst schätzt, dass
hier 192 Millionen Euro im Jahr eingestellt werden
könnten. Damit stünde mehr als doppelt so viel Geld für
den Verbraucherschutz zur Verfügung, als wir jetzt haben. Ich finde, es wäre an der Zeit, wenn die CDU/CSUund die FDP-Fraktion hier endlich einmal die guten
Ideen ihrer Ministerin in die Tat umsetzen würden.
({4})
Auch die positive Bilanz der heute schon erwähnten
Prognos-Studie, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben,
kann ich so nicht teilen. Ich finde, da muss man auch das
Kleingedruckte lesen, da muss man auch bis zum Ende
lesen. Darin steht zum Beispiel - ausdrücklich -: Verbraucherschutz ist eine öffentliche Aufgabe. Und dort,
wo Sie von Bürokratie, von Zwang und von Verboten
sprechen, mahnt Ihre eigene Studie Gesetze und ordnungspolitische Maßnahmen an. Vielleicht sollten Sie
auch diesen Ratschlag einmal befolgen.
Meine Damen und Herren, als Linke möchte ich einen
letzten Punkt ansprechen, der uns am Herzen liegt: Das
ist die Personalpolitik. Schauen Sie sich einmal die
Personalentwicklung in den Einrichtungen des Ministeriums an! Wenn Sie das tun, sehen Sie, dass befristete
Beschäftigungsverhältnisse massiv ausgebaut werden
sollen. Ich finde, eine nachhaltige Personalpolitik sieht
anders aus.
({5})
Konsequenter Verbraucherschutz muss der Wirtschaft
und ihrer Lobby manchmal wehtun. Dieser Haushalt
muss im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher dringend nachgebessert werden. So, wie er jetzt
vorliegt, kann er dieses Parlament mit Sicherheit nicht
passieren.
Vielen Dank.
({6})
Friedrich Ostendorff hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! „Wir nehmen die Kampfansage der Grünen an
die moderne Tierhaltung an und werden dagegenhalten“,
verkündete vor wenigen Tagen Kollege Holzenkamp,
der Agrarsprecher der CDU und Aufsichtsratsvorsitzende des Agrarriesen AGRAVIS.
({0})
Ich weiß nicht, Herr Holzenkamp, was an Tierfabriken
modern sein soll.
({1})
Aber wir Grünen werden in der Tat alles tun - darauf
können Sie sich verlassen -, um die oft unsägliche
Massentierhaltung von circa 900 Millionen Nutztieren
zu beenden.
({2})
Was Sie von der Koalition unter moderner Tierhaltung verstehen, kann man in der Ukraine besichtigen.
Dort stehen nämlich seit kurzem zwei Legehennenfabriken für insgesamt 8 Millionen Hühner: ausgestattet mit
bei uns verbotenen Käfigen, errichtet von einem zypriotischen Investor, gebaut mit deutscher Technik und abgesichert mit Hermesbürgschaften der Bundesregierung in
Höhe von über 26 Millionen Euro. Das Risiko - wen
überrascht es? - trägt der Steuerzahler. Verantwortlich
dafür: Bundeswirtschaftsminister Rösler.
Während Frau Aigner nette Gesprächsrunden zum
Tierschutz veranstaltet, unterstützt Herr Rösler heimlich
die schmutzigen Geschäfte mit dem Tierleid. Das ist Ihre
schwarz-gelbe Arbeitsteilung, meine Damen und Herren!
({3})
Das ist Arbeitsteilung, wie Sie sie verstehen! Wen interessiert schon der Tierschutz, wenn man dem Käfighersteller aus Vechta einen Millionenauftrag für EU-weit
verbotene Käfige zuschanzen kann? Herr Rösler verfährt
dabei, wie er es immer bei Schwarz-Gelb in Niedersachsen gelernt hat: Niedersächsisches Landrecht bricht Bundesrecht.
({4})
Nun gilt: Ukrainisches Recht bricht EU- und Bundesrecht.
({5})
Meine Damen und Herren, diese Doppelmoral muss ein
Ende haben!
({6})
Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung für
Hermesbürgschaften, die neben Menschenrechten und
Umwelt auch den Tierschutz berücksichtigt. Wir Grünen
fordern die Bundesregierung auf: Legen Sie endlich die
Fakten aller Hermesbürgschaften auf den Tisch! Erklären Sie endlich uns, dem Parlament, wen und was Sie
mit Steuergeldern fördern!
({7})
Man muss ja gar nicht bis in die Ukraine fahren. Sie
können auch in Niedersachsen besichtigen, was industrielle Intensivtierhaltung heißt. Das Tier als Lebewesen
und Mitgeschöpf spielt in diesem System keine Rolle
mehr. Sie sprechen noch nicht einmal mehr von drei Puten
pro Quadratmeter, sondern von 58 Kilogramm Putenfleisch, nicht von 23 Hühnchen pro Quadratmeter, sondern von 39 Kilogramm Hühnchenfleisch. Das verstehen
Sie von der Koalition unter moderner Tierhaltung, unter
„tierischer Veredlung“, wie Sie es immer so schönfärberisch nennen.
1 734 Tonnen Antibiotika braucht diese Industrie als
Treib- und Schmierstoff. Das ist mehr als doppelt so
viel, wie Frau Aigner bisher angenommen hatte. Diese
Zahlen müssen uns außerordentlich stark beunruhigen,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Mir ist völlig unverständlich, wie Bauernverband und CDU dazu kommen,
diesen Zahlen etwas Erfreuliches abzugewinnen, wie sie
verlauten ließen. Wir finden es nicht erfreulich, wenn die
Massentierhaltung dazu führt, dass die medizinische
Versorgung unserer Menschen zunehmend gefährdet
wird. Genau das ist hier der Fall.
({8})
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie wollen
diese Agrarindustrie, Sie subventionieren diese Agrarindustrie, Sie hören allein auf diese Agrarindustrie; denn
Sie sind Teil dieser Agrarindustrie.
Wir Grünen wollen, dass Bäuerinnen und Bauern das
Land bewirtschaften und die Tiere halten, und nicht Spekulanten, Fleischkonzerne, Saatgutmultis und windige
Geschäftemacher.
({9})
Ich glaube, dass auch die Mehrheit der Bäuerinnen und
Bauern in Deutschland das will. Die Mehrheit der Gesellschaft, meine Damen und Herren, will es sowieso.
Die Agrarindustrie hat die Landwirtschaft als Geisel
genommen. Wir wollen, dass es eine demokratische Entscheidung über die Zukunft der Landwirtschaft bei uns
gibt. Darum werden wir Grünen die Landtagswahl in
Niedersachsen und die Bundestagswahl auch zu Abstimmungen über diese Themen machen: Lebendige Dörfer
oder Agrarindustrie? Artgerechte Haltung oder Massentierhaltung? Tierwohl oder Tierverstümmelungen? Bauernhöfe oder Agrarfabriken? Wir können auch einfach
sagen: Grün oder Schwarz!
({10})
Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Zumindest ich freue mich,
dass der Etat im Bereich der Verbraucherpolitik gegenüber dem Vorjahr um 4 Millionen Euro erhöht wurde.
Ich finde, das ist eine gute Nachricht.
({0})
2013 stehen uns damit 142,6 Millionen Euro zur Verfügung. Sie werden für einen guten Verbraucherschutz eingesetzt. Wir haben in der Vergangenheit Hervorragendes
geleistet, und wir werden auch in Zukunft mit diesem
Geld weiter Hervorragendes leisten.
Haushaltsdebatten sind immer auch Grundsatzdebatten. Lassen Sie mich deswegen einige grundsätzliche
Worte zu unserer Verbraucherpolitik sagen. Was sind die
Ziele unserer Verbraucherpolitik, und wofür wollen wir
die Mittel einsetzen? Wir wollen Sicherheit und Selbstbestimmung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher.
Sie sollen in unserer differenzierten und immer komplizierter werdenden Wirtschaftswelt ihr Konsumverhalten
eigenverantwortlich gestalten können.
Was sind die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Verhalten? Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen die Angebote an Waren
und Dienstleistungen verstehen und objektiv vergleichen
können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen dafür einen festen Rechtsrahmen, der sie vor Irreführungen und Täuschungen schützt. Und: Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Gesundheit und
Sicherheit, und das möchten wir gewährleisten.
Unser Ziel erreichen wir nicht alleine. An unserer
Seite stehen starke Partner. Dabei handelt es sich um Institutionen, die wir finanzieren und die die Aufgabe haben, Verbraucher zu informieren, zu unterstützen und zu
schützen. Ich möchte Ihnen hier drei unserer Partner
nennen: die Stiftung Warentest, die Verbraucherzentrale,
aber auch das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Die Aufgabe des Bundesinstituts für Risikobewertung
besteht, wie der Name schon sagt, darin, erst einmal die
Risiken zu bewerten und darüber hinaus auf neue Risiken hinzuweisen und diese zu kommunizieren. Denken
Sie an die Krisen um Dioxin und Ehec - ich will es gar
nicht „Skandal“ nennen -: Da hat das BfR hervorragende Arbeit geleistet und die Öffentlichkeit in guter
Weise aufgeklärt.
({1})
Die Verbraucherzentrale ist die Stimme der Verbraucher schlechthin, also deren Interessenvertretung, und
ebenfalls in der Beratung ein guter Partner der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Auch die Stiftung Warentest genießt, genauso wie die
Verbraucherzentralen, einen hervorragenden Ruf. Die
Zeitschrift der Stiftung ist jedem bekannt und bietet den
Verbrauchern mit ihren vergleichenden Tests eine unabhängige und objektive Beratung. Aber diese Unabhängigkeit und Objektivität kann sie nur erreichen, weil sie
von uns finanziert wird. Das Urteil der Stiftung Warentest ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine
Orientierung.
Sie sehen: Wir sind ein Team, und wir sind gut aufgestellt.
({2})
Die hier beispielhaft genannten Institutionen und die
christlich-liberale Koalition leisten gute Arbeit
({3})
und genießen ein hohes Ansehen und Vertrauen in der
Bevölkerung.
({4})
Deshalb möchte ich an dieser Stelle einen herzlichen
Dank an all diejenigen richten, die für diese Institutionen, unsere Partner, arbeiten, aber auch an diejenigen,
die in den Verwaltungen und Ministerien arbeiten. Ich
finde, sie machen einen tollen Job. Heute ist der Zeitpunkt, ihnen einmal ein herzliches Dankeschön zu sagen.
({5})
Aber für uns ist das alles kein Grund zum Ausruhen.
Wir wollen noch besser werden; denn wir stehen vor
großen Herausforderungen. Dazu gehören die Finanzkrise, der demografische Wandel, die Energiewende,
aber auch die gesundheitliche Situation vieler unserer
Mitbürger. 66 Prozent der Männer, 51 Prozent der
Frauen und - das muss man sich auf der Zunge zergehen
lassen - 15 Prozent unserer Kinder sind übergewichtig.
An dieses Thema müssen wir ran.
2013 wollen wir 5 Millionen Euro mehr für Information, Bildung und Aufklärung ausgeben, insgesamt dann
25 Millionen Euro. Ein großer Teil dieses Geldes wird
für Aufklärungsarbeit in den Bereichen gesunde Ernährung und Bewegung verwendet. Vor vier Jahren wurde
zu diesem Zweck der Nationale Aktionsplan IN FORM
verabschiedet. Ziel von IN FORM ist es, das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Bevölkerung bis
zum Jahre 2020 zu verbessern. Im Haushalt 2013 werden nun Mittel bereitgestellt, um IN FORM mit einer
Informationskampagne noch ein Stück bekannter zu
machen. Wir wollen dabei besonders Projekte in Kindertagesstätten und an Schulen fördern. Ziel ist immer, die
Ernährungserziehung für Kinder und junge Leute zu verbessern und Präventionsmaßnahmen sowohl in der Arbeitswelt als auch zum Beispiel für Senioren zu fördern.
Auch die Stimme der Verbraucherzentrale wird von
uns noch etwas mehr geölt. Im kommenden Jahr erhält
die Verbraucherzentrale 700 000 Euro mehr, also insgesamt 9,4 Millionen Euro. So machen wir sie zu einem
noch stärkeren Partner der Verbraucher.
Lassen Sie mich zu einem anderen Thema kommen,
zur Finanzkrise. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die
wenigsten Verbraucher den Finanzmarkt noch durchschauen können. Er wird immer unübersichtlicher. Es
gibt mittlerweile Hunderte von riskanten Finanzprodukten, die für Kunden nur schwer oder gar nicht mehr
nachvollziehbar sind. Eine unabhängige Institution, die
diese Produkte vergleicht und bewertet, kann den Kunden helfen. Deshalb erhält die Stiftung Warentest von
uns jährlich 1,5 Millionen Euro zusätzlich. Diese wird
sie nutzen, um Finanzdienstleistungen zu prüfen, zu bewerten und ihr Informationsangebot auszubauen.
Gute Informationen braucht auch jeder Internetnutzer,
Stichwort „Datenschutz“. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht jeder im Umgang mit dem Internet fit
ist. Das betrifft nicht nur Kinder, Menschen mit Behinderungen, etwa Blinde, oder Senioren, sondern das kann
jeden von uns betreffen, das betrifft sicherlich auch den
einen oder anderen hier im Raum. Mit der Buttonlösung
haben wir einen ersten richtigen Schritt getan, aber es
gibt immer noch Gebiete, auf denen zusätzliche Orientierungshilfen und Transparenz dringend gebraucht werden. Ein Beispiel wurde heute schon genannt: der Gesundheits- und Pflegemarkt.
Wir reagieren auch auf die Verunsicherung in Sachen
Stromkosten. Wir stellen zusätzliche Mittel für Informationen zum Anbieterwechsel sowie zu Energieeinsparmöglichkeiten bereit.
Damit investieren wir insgesamt 10,1 Millionen Euro
für Informationen im Bereich des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Sie sehen: Im Jahr 2013 steht für uns
die Information der Verbraucher im Fokus; denn Verbraucher verlassen sich auf die ihnen vorliegenden Informationen und natürlich auch auf die eigene Urteilskraft.
Deswegen wollen wir Verbraucher, die selbst entscheiden, selbst entscheiden müssen, aber auch selbst entscheiden können. Wir wollen die Menschen positiv und
konstruktiv zu einer gesunden Lebensweise anhalten und
zu vernünftigen Entscheidungen befähigen - mit staatlicher Unterstützung, aber ohne Zwang. Verbraucher müssen den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen
auf Augenhöhe begegnen können. Deshalb ist der Begriff Verbraucherschutz die falsche Bezeichnung für unsere Verbraucherpolitik; denn Verbraucher sind selbstbestimmte Bürger und keine unmündigen Kinder. Das
Beste für den Einzelnen darf eben nicht staatlich definiert werden.
({6})
Das Beste wählt jede Bürgerin und jeder Bürger für sich
selbst - ohne Bevormundung, aber mit allen notwendigen Informationen.
({7})
Wir schaffen die Rahmenbedingungen, damit die Verbraucher angemessene und für sie richtige Entscheidungen treffen können. Wir geben den Verbrauchern die
Informationen, die sie brauchen. Übersichtlich und verständlich müssen sie sein. Wir helfen den Verbrauchern,
ihre Rechte durchzusetzen.
Frau Kollegin.
Ja?
Ich wollte damit sagen, dass Ihre Redezeit beendet ist.
Ich sehe es, weil die Präsidentin piepst.
({0})
- Entschuldigung, Frau Präsidentin, ich wollte Sie nicht
beleidigen.
Piepsen tue ich nicht. Nein.
Wir sind der verlässliche Partner für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Verbraucher können sich auf die
CDU/CSU verlassen.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Wir brauchen mehr Transparenz auf
dem Markt. Verständliche und leicht zugängliche Informationen sind dabei ein wichtiges Instrument. 5 Millionen Euro mehr für die Informationen der Verbraucherinnen und Verbraucher sind im Haushalt des BMF
eingeplant. Aber wir wissen leider nicht, was genau mit
diesem Geld passieren soll. In den Erläuterungen heißt
es, das Geld solle dazu dienen - ich zitiere -, die Instrumente der Verbraucherinformation an die Herausforderungen durch den demografischen Wandel und durch die
modernen Kommunikationstechnologien gleichermaßen
anzupassen.
Was ist denn damit gemeint? Da lässt sich alles und
nichts unterbringen: von der Internetseite in großer
Schrift bis zu wirklich ausgereiften und an den Bedürfnissen Älterer ausgerichteten Informationsangeboten.
Ich fürchte, Letzteres ist nicht zu erwarten; denn dazu
müssten solche geeigneten Angebote erst mal erforscht
und entwickelt werden. In die Verbraucherforschung
fließt aber weniger Geld als im Vorjahr. Dort wird gespart.
5 Millionen Euro mehr für Verbraucherinformation:
Dabei geht es wohl weniger um hilfreiche Informationsangebote im Verbraucheralltag, sondern um Informationen über die Arbeit der Bundesregierung; denn nächstes
Jahr ist Wahljahr.
({0})
Dort, wo die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher am Markt durch alltagstaugliche Information
wirklich gestärkt werden könnte, ist diese Bundesregierung ein Totalausfall.
({1})
Beispiel Nährwertampel: Wie leicht verständlich,
hilfreich und beliebt bei den Verbrauchern die Ampel ist,
brauche ich nicht zu wiederholen; denn die Kolleginnen
und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen werden das
weiterhin abstreiten, wider jede Vernunft.
({2})
- Schön wäre es, Herr Kollege.
Vor ein paar Tagen wurde nun bekannt, dass Aldi und
Lidl in Großbritannien die Ampel einführen werden.
({3})
Wann kommt denn die Ampel nach Deutschland? Frau
Aigner, was in Großbritannien geht, geht auch bei uns.
({4})
Weiteres Beispiel für wichtige und alltagstaugliche
Information ist die Hygieneampel. Die Smiley-Symbolik
wäre uns natürlich lieber gewesen, da schon bekannt und
eingeführt. Aber auch das Kontrollbarometer in Ampelfarben kann zur einfachen und verständlichen Darstel23138
lung wichtiger Informationen über den Hygienezustand
von Bäckereien oder Restaurants genutzt werden. Alle
Länderverbraucherminister waren sich einig: Die Hygieneampel muss her, und zwar bundesweit einheitlich. Einer war dagegen. Sie dürfen raten, wer: der aus Bayern.
Einen Kommentar dazu erspare ich mir. Aber wo bleibt
die bundeseinheitliche Rahmenregelung dazu, Frau
Ministerin? Sie entziehen sich einfach diesem Thema.
Wenn Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich stärken wollen, dann können Sie sich nicht hinter
den Ländern verstecken.
Zwar habe ich den Medien jetzt entnommen, dass Sie
durch eine Änderung beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ausdrücklich die Möglichkeit für eigene
Regelungen der Länder vorsehen wollen. Aber das ist
doch Augenwischerei! Wenn es dazu keinen bundeseinheitlichen Rahmen gibt, dann kommen wir nie zu einer
einheitlichen Regelung. Das ist nicht im Sinne der Verbraucher.
({5})
Frau Ministerin, Sie nutzen Ihre Möglichkeiten nicht.
Sie ducken sich weg, oder Sie kündigen an und setzen
nicht um.
Angekündigt haben Sie in den letzten drei Jahren viel.
Ich denke zum Beispiel an den Finanzbereich: Kleinanleger sollten durch gute Beratung vor dem Verlust ihrer
Ersparnisse geschützt werden. Wie gut das wirklich
funktioniert, hat uns ja Stiftung Warentest aufgezeigt.
Das vernichtende Urteil im Juni dieses Jahres lautete:
„… Kreditberatung der Filialbanken im Test mangelhaft“.
Die von Ihnen bereits 2010 in Aussicht gestellten verdeckten Ermittler im Auftrag der BaFin finden wir weder im vorliegenden Gesetzentwurf zur Stärkung der Finanzaufsicht noch im aktuellen Haushaltsentwurf 2013.
({6})
Auch für den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik,
der ja zur Vergabe des Gentechniklogos gegründet
wurde, sind keine Mittel mehr vorgesehen. Die über
Jahre hier angekündigte Informationskampagne zu
„Ohne Gentechnik“ hat es nie wirklich gegeben. Wir fordern Sie auf, Mittel für eine Informationskampagne bereitzustellen; denn solange wir keine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte aus GVO-Fütterung haben,
besteht hier ein Informationsdefizit, das nur durch Aufklärung ausgeglichen werden kann.
({7})
Frau Ministerin, wir haben das, was Ihnen fehlt, nämlich ein Konzept für gute Verbraucherpolitik.
({8})
Wir laden Sie ein, es mit uns zusammen umzusetzen.
Wir wollen einen anderen Markt, einen sicheren, einen transparenten, einen nachhaltigen. Merken Sie sich
das, Herr Kollege: einen nachhaltigen!
({9})
Wir wollen einen verbraucherfreundlichen Markt. Deshalb ist für uns der Titel „Information der Verbraucherinnen und Verbraucher“ auch sehr wichtig. Der Markt
muss aber von allen Beteiligten gestaltet werden. Mit
einfach nur mehr Informationen für Verbraucher ist wenig erreicht.
Wir brauchen auch eine größere Offenheit bei den
Anbietern und mehr Transparenz seitens der Wirtschaft.
Wir brauchen gute Informationen für die Verbraucher,
und wir brauchen Kriterien dafür, wie gute Informationen aussehen müssen. Wir wollen alle vorhandenen Instrumente für eine gute Verbraucherpolitik nutzen, und
wir wollen auch neue Instrumente entwickeln. Wir wollen den Verbrauchercheck, wir wollen Marktwächter
einsetzen, wir wollen einen Schwerpunkt auf die Verbraucherforschung setzen, um wirklich gute Verbraucherpolitik machen zu können. Unsere Vorschläge dafür
werden wir gerne ausführlich mit Ihnen diskutieren.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Erik
Schweickert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Keine Vorgängerregierung
hat windigen Geschäftsmodellen und schwarzen Schafen
so deutlich den Garaus gemacht wie Schwarz-Gelb. Das
muss man einmal festhalten.
({0})
Vorhin wurden von Kollegen, die jetzt gar nicht mehr
hier sind, Fragen gestellt. Sie wollten Beispiele hören.
Ich nenne Ihnen gerne welche:
Kostenfreie Warteschleifen: Wer hat sie eingeführt?
Wir haben sie eingeführt! Frau Dörner, lesen Sie es bitte
in § 3 Nr. 30 c Telekommunikationsgesetz nach, wenn
Sie es nicht wissen. Dankansagen sind Warteschleifen;
immer dann, wenn das Anliegen nicht bearbeitet wird,
handelt es sich um eine Warteschleife. Alles andere ist
keine. Verbreiten Sie hier keine Unwahrheiten!
({1})
Wir haben auch dafür gesorgt - zweites Beispiel -,
dass das verbindliche Bestätigungsfeld bei Vertragsabschlüssen im Internet eingeführt wird, sodass kein unbedarfter Klick mehr dazu führt, dass man ein teures und
nutzloses Abo abschließt, weil irgendetwas in seitenlanDr. Erik Schweickert
gen AGB versteckt ist. Wir als Schwarz-Gelb haben das
gemacht.
({2})
Schwarz-Gelb hat auch dem Verbraucherinformationsgesetz Zähne verliehen. Es erfolgt eine schnellere
Veröffentlichung von schwarzen Schafen, und wir haben
zusätzliche Auskunftsrechte bezogen auf die Produktsicherheit eingeführt. Auch hier haben wir gehandelt. Es
gibt auch keine Abzocke mehr bei Call-by-Call; das
wurde von uns umgesetzt. Dank Schwarz-Gelb gibt es
hier mehr Transparenz durch eine Ansagepflicht.
Wir haben außerdem für mehr Durchblick bei Finanzanlagen gesorgt: durch Produktinformationsblätter, Protokollpflichten, die Einführung eines Sachkundenachweises von Beratern und die Regulierung des grauen
Kapitalmarktes. Die Opposition war jahrelang nicht dazu
fähig, hier etwas zu tun. Wer hat es getan? Wir haben es
getan!
({3})
Abzocker haben bei dieser Bundesregierung keine
Chance. Deswegen möchte ich den Institutionen, die uns
dabei helfen und deshalb im Bundeshaushalt entsprechend gefördert werden, meinen herzlichen Dank aussprechen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Stimme
der Verbraucher, ist aktiv und uns ein wertvoller Ratgeber, und die Stiftung Warentest mit ihrem umfangreichen
und fachlich bewährten Informationsangebot hilft durch
Produkttests und Wertungen, den Verbrauchern verlässliche Informationen zu geben. Deshalb erhält sie 1,5 Millionen Euro on top, um ihre Bewertungen von Finanzanlageprodukten weiter ausbauen zu können.
Die Finanzkrise hat uns eines gezeigt: Wir brauchen
mehr Verbraucherschutz, mehr Transparenz, mehr Informationen für Anleger. Diesem Auftrag kommen wir
auch dadurch nach, dass wir bei der BaFin endlich einen
Verbraucherbeirat einrichten. Auch das wird die Stimme
der Verbraucher und der Anleger stärken.
({4})
Schließlich möchte ich dem Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, und der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung meinen Dank aussprechen; denn Sicherheit
und Informationen zu Lebensmitteln sind ein essenzieller Bestandteil von Lebensmittelqualität und deshalb unverzichtbar. Wir wollen wissen, welche Gefahren von
Produkten für Verbraucher ausgehen. Auf diesem Gebiet
ist das BfR ein sehr guter Forschungspartner. Die Bundesregierung hat vor dem Europäischen Gerichtshof die
EU verklagt, weil sie keine hohen Grenzwerte bei Kinderspielzeug haben will. Diese richtige Klage der Bundesregierung geht genauso auf die Expertise des BfR zurück wie das Verbot von Bisphenol A in Babyflaschen.
Ich hätte Ihnen gerne noch weitere Erfolge der
schwarz-gelben Regierung aufgezeigt, zum Beispiel die
Schlichtungsstelle Luftverkehr, aber das kann ich leider
nicht; denn die Opposition hat im Bundesrat mal wieder
gezeigt, dass ihr Blockadepolitik wichtiger ist als ein ordentliches Gesetz.
({5})
Wir wollten die Verbraucher mit neuen Rechten ausstatten, damit sie bei einer Flugverspätung nicht erst ein Gericht anrufen müssen. Beim Streit um Regressforderungen, Gepäckschäden oder Annullierungen sollten sie
nicht im Regen stehen, sondern zu ihrem Recht kommen.
Wir haben einen guten Gesetzentwurf dazu vorgelegt,
aber Sie haben im Bundesrat Nein dazu gesagt.
({6})
In Sonntagsreden ist die Opposition immer ganz
vorne dabei. Wenn es aber darauf ankommt, dann blockieren Sie. Die Verbraucher brauchen aber mehr als
eine Blockadehaltung der Opposition. Sie brauchen eine
gute Regierung. Die haben sie. Wir setzen uns für effiziente Rechte und für Schutz vor Betrügern ein. Mit uns,
mit Schwarz-Gelb, haben die Verbraucher die besten
Anwälte, die man sich vorstellen kann: diese Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Georg
Schirmbeck das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie mich heute in einem ungewöhnlichen Dress sehen - darauf steht: „Rendezvous mit
Kopernikus“ -, dann liegt das daran, dass ich heute Morgen als Sprecher der Deutsch-Polnischen Parlamentariergemeinschaft eine Gruppe zu Gast hatte, die die Luftfahrtausstellung in Berlin besucht. Zu dieser Gruppe
gehörte auch der erste polnische Kosmonaut, der heute
General ist. Wir haben über die Entwicklung in der Luftfahrtindustrie gesprochen. Meine Damen und Herren
von den Grünen, wenn Kopernikus heute leben würde,
dann würden Sie wahrscheinlich eine Mahnwache abhalten, weil er zu Erkenntnissen gekommen ist, die nicht in
Ihr Weltbild passen, und es Ihrer Meinung nach keine
positiven Entwicklungen geben darf.
Frau Präsidentin, ich weiß nicht, ob das möglich ist,
aber man sollte hier gelegentlich Preise für die größte
Scheinheiligkeit vergeben. Hier stellt sich ein ausgewachsener Abgeordneter hin und sagt: Sie denken nur an
die Wahl im nächsten Jahr. - Ja, wer denkt denn hier
nicht an die Wahl im nächsten Jahr?
({0})
Hier gibt es sogar einige, die radikale Sprüche klopfen,
die sie so gar nicht meinen. Das tun sie nur, weil sie ausschließlich daran denken, einen guten Listenplatz in ihrem Landesverband zu bekommen.
({1})
Deshalb erzählen sie hier so einen Unsinn. Das hat doch
mit dem, worum es hier geht, gar nichts zu tun.
({2})
Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zu den Tierfabriken,
zu dem großen Elend, das wir dort haben. In meinem
Wahlkreis und in dem Wahlkreis von Herrn Holzenkamp
ist die moderne Landwirtschaft erfunden worden. Das
behaupten wir einmal so.
({3})
- Beim Kollegen Goldmann auch; das ist richtig. - Ich
war dort vor zehn Tagen auf einem Bauernmarkt. Bei
bestem Wetter waren Zehntausende Leute unterwegs.
Die Stimmung war bestens. Wir haben dort eine Arbeitslosenquote von 3 Prozent; da ist die Welt in Ordnung.
Die Menschen wollen in Ruhe gelassen werden und
nichts von dieser Schlechtmacherei hören, die Sie hier
unter das Volk streuen.
({4})
Wenn Sie sagen, dass das, was die Bundesministerin
macht, langweilig ist, dann sage ich: Die Dame ist berechenbar. In der Politik ist das eine ganze Menge, wenn
man berechenbar ist. Die Politik, die wir hier verantworten, sorgt dafür, dass wir soziale Sicherheit im Dorf haben. Dafür geben wir 3,65 Milliarden Euro aus.
({5})
Jetzt sage ich Ihnen etwas zum Stichwort Bauerngeld.
Das ist von Ihnen kurzfristig gedacht und außerdem
polemisch. Was ist denn die Wahrheit? Wenn der Bauer
Geld hat, dann kann er investieren und einen Auftrag
vergeben. Dann hat der Maurer, der Zimmermann, der
Tischler oder der Heizungsbauer Geld. Dann ist im Dorf
etwas los. Dann haben wir Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Auf diese Weise werden die Regionen interessant.
Das wollen wir doch. Wir brauchen dann auch keine
Modellversuche durchzuführen, um zum Beispiel zu untersuchen, warum der ländliche Raum ausblutet. Auf
diese verlässliche und langweilige Politik sind wir stolz.
({6})
Jetzt fordert der eine oder andere mehr Geld.
({7})
Gestern haben wir hier die großen Gladiatoren einschließlich der Bundeskanzlerin reden gehört. Wir haben
eine Staatsschuldenkrise. Woher soll dann mehr Geld
kommen? Auf welchem Stern leben Sie denn? Haben
Sie gestern nicht zugehört? Das Plenum war doch voll
besetzt. Ich kann Sie wirklich nicht verstehen.
Herr Kollege Schwanitz, mich hat eben aufgeregt, wie
Sie hier über die Stiftung Warentest gesprochen haben.
Jetzt wollen wir doch einmal ehrlich sein. Was ist mit der
Stiftung Warentest? Das, was wir jetzt im Bundeshaushalt
festschreiben, hat unser Fraktionsvorsitzender Volker
Kauder mit der Stiftung Warentest höchstpersönlich und
einvernehmlich ausgehandelt. Die Zuschüsse werden zurückgefahren, und es hat eine Kapitalaufstockung gegeben. Jetzt gebe ich Ihnen aber eines zu - das ist nicht nur
das Problem der Stiftung Warentest, sondern ein Problem
aller Stiftungen in Deutschland -: Sie haben ihr Geld zu
bestimmten Zinssätzen angelegt, und die Chargen, die
frei werden, werden neu angelegt. Die Zinssätze liegen
jetzt aber nicht mehr bei 8 oder 9 Prozent, sondern bei 1
oder 2 Prozent. Dadurch sind die Zinseinnahmen nicht
mehr so hoch.
Das ist aber nicht nur das Problem der Stiftung Warentest, sondern ein Problem - das sage ich Ihnen voraus - aller Stiftungen in Deutschland. Wir werden uns an der einen oder anderen Stelle noch damit beschäftigen
müssen, weil diese Stiftungen in aller Regel sehr verdienstvolle Arbeit machen. Wenn sie notleidend werden,
dann haben wir ein gesamtstaatliches Problem. Darum
müssen wir uns kümmern. Ich sage Ihnen voraus, dass
wir das machen werden. Ihre Polemik war hier fehl am
Platz.
Ich hatte gedacht, dass wir den Sozialismus in
Deutschland überwunden haben, nachdem 17 Millionen
Deutsche damit Erfahrungen gemacht haben.
({8})
Sie fordern jetzt, dass die Zinsen für das Überziehen eines Girokontos festgeschrieben werden. Dazu sage ich
Ihnen eines: Wenn ich 1 000 Euro auf dem Konto habe,
dann stelle ich fest, dass ich keine Zinsen bekomme und
auch noch Kontoführungsgebühren zahlen muss. Das ärgert mich. Wenn ich das Konto aber um nur 100 Euro
überziehe, dann muss ich sofort hohe Zinsen zahlen. Das
ist so. Wenn das einfach zu ändern wäre, dann wäre das
bestimmt schon geschehen. Ich sitze im Kreditausschuss
einer Sparkasse,
({9})
der überwiegend mit Sozialdemokraten und Grünen besetzt ist. Dort könnte man sofort eine Änderung beschließen. Es kommt aber niemand auf die Idee, dass das
jetzt quasi durch eine staatliche Regelung festgelegt werden soll.
({10})
Ihre Kommunalpolitiker wollen diesen Blödsinn, den
Sie hier erzählen, nicht.
Wir sagen ja immer: Bauern sind Verbrecher.
({11})
Wenn du Bauer bist und aus dem ländlichen Raum
kommst, musst du eigentlich schon dankbar sein, dass du
frei herumlaufen darfst.
({12})
Es gibt auch unter den Bauern - so ist es aber in der ganzen Gesellschaft - den einen oder anderen, der Fehler
macht und der etwas nicht so toll macht.
({13})
Was für Helden sind die großen Kritiker, die Demonstrationen durchführen und uns in den Medien beleidigen.
Ich empfehle Ihnen einmal, sich das Buch Schwarzbuch
WWF zu kaufen oder sich über den FSC zu informieren
und darüber, in welchen Fällen er sein Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft vergibt. Gehen Sie einmal ins Internet und informieren sich. Sie sagen, Sie hätten keine Informationen, aber das ist Quatsch. Wir haben durch das
Internet eher das Problem, dass wir zu viele Informationen haben, sodass wir sie nicht mehr einordnen können
und den Überblick verlieren. Schauen Sie im Internet
einmal unter Report Mainz nach oder gehen Sie auf die
Internetseite des WDR. Über diese Themen wird zunehmend in Sendungen berichtet, aber leider zu Tagesrandzeiten, in denen das nicht von breiten Kreisen zur Kenntnis genommen wird. Schauen Sie sich einmal diese
Berichte an. Vielleicht kommen Sie dann zu anderen Erkenntnissen.
Wissen Sie, was mich betrübt? Ich war mit dem Vorstand der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe in der
Ukraine, in den Karpaten, wo es riesige, völlig ungenutzte, unbetretene Buchenwälder und auch eine tolle
Landschaft gibt. Dort gibt es auch Sägewerke. Wissen
Sie, was sie in diesen Sägewerken feststellen? Dort gibt
es Kinderarbeit. Jetzt mögen wir ja kritisieren, dass irgendwo auf der Welt Ställe mit deutschen Bürgschaften
gebaut werden, die nicht ganz den deutschen und europäischen Normen entsprechen. Aber in diesen Sägewerken in der Ukraine gibt es Kinderarbeit. Dort werden
Möbel produziert, die dann in Deutschland in großen
Möbelhäusern für wenig Geld verkauft werden. Dass wir
den Luxus haben, diese Möbel so günstig kaufen zu können, geht zulasten dieser Menschen. Sie regen sich an
der einen oder anderen Stelle - vielleicht auch berechtigt - über Dinge in der Tierzucht und Tierhaltung auf,
die nicht richtig sind, aber Sie sollten sich erst einmal
um die Menschen kümmern. In meinem Weltbild stehen
die Menschen im Mittelpunkt unseres Tuns.
({14})
Die Zeit rennt dahin. Gleich piepst es wieder, wie mir
gesagt wurde. Dann ist meine Redezeit um.
Ich möchte Ihnen nur noch eines sagen: Im Sommerloch haben wir uns über das Thema Tank oder Teller im
Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen unterhalten. Das ist eine abenteuerliche Diskussion. Jedenfalls dort, wo ich den Überblick habe, stehen bereits
Biogasanlagen. Dort haben die Betreiber dieser Biogasanlagen auf Grundlage des EEG mit der Bundesrepublik
Deutschland Verträge geschlossen. Diese laufen - je
nachdem, wann die Anlagen gebaut wurden - erst in 17,
18 oder 19 Jahren aus. Das heißt, wir können uns zwar
über Änderungen, die vielleicht notwendig sind, weil wir
andere Erkenntnisse haben, unterhalten. Aber jetzt ist
der Zug erst einmal abgefahren, weil wir im Bundestag
entsprechende Beschlüsse gefasst haben. Sie haben doch
im Zweifel immer noch viel mehr gefordert.
Ich habe mich ganz herzlich zu bedanken. Ich werde
mit meinem Freund Heinz-Peter Haustein den Einzelplan 10 wieder in beispielhafter Art und Weise beraten.
Es piepst jetzt.
Ich darf mich beim Ministerium und bei der ganzen
Mannschaft in Ihrem Haus, Frau Ministerin, aber auch
bei den nachgeordneten Behörden für die vorzügliche
Arbeit bedanken. Wir haben in Deutschland noch nie
bessere Lebensmittel gehabt. Uns ging es noch nie besser. Darauf sind wir stolz.
Herr Kollege.
Das lassen wir uns auch nicht miesmachen.
Herzlichen Dank.
({0})
Damit ist die Aussprache zu diesem Einzelplan beendet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17.
Die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder hat das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht starke Familien und faire Chancen für alle Generationen und alle
Geschlechter. Dafür sind im Einzelplan 17 des Regierungsentwurfs für das Haushaltsjahr 2013 Ausgaben in
Höhe von rund 7,1 Milliarden Euro vorgesehen. Das
sind rund 338 Millionen Euro bzw. 5 Prozent mehr als
2012. Dieser Aufwuchs kommt insbesondere Familien
und Kindern in Deutschland zugute. Das zeigt: Auch in
wirtschaftlich schwierigen Zeiten können sich Familien
in Deutschland auf Union und FDP verlassen.
({0})
Für uns zählt in der Familienpolitik vor allen Dingen
eines: Was wollen die Familien? Darauf kann die Antwort nur lauten: Vielfalt in der Familienförderung. Denn
Bedürfnisse sind nun einmal unterschiedlich, je nach Alter des Kindes, je nach individuellen Lebensumständen,
je nach Werteüberzeugungen in den Familien. Deshalb
brauchen wir unterschiedliche Instrumente in der Familienförderung.
Dazu gehört das Elterngeld, für das 2013 - wie im
letzten Jahr - 4,9 Milliarden Euro vorgesehen sind. Das
Elterngeld ermöglicht genau das, was sich fast alle Paare
wünschen, nämlich dass im ersten Jahr nach der Geburt
des Kindes ein Partner zu Hause beim Kind sein kann.
Gleichzeitig unterstützt es Paare dabei, Familie und
Beruf partnerschaftlich zu teilen. Vor Einführung des
Elterngelds haben 3,3 Prozent der Väter eine Auszeit genommen. Jetzt sind es über 25 Prozent.
Ich werde im Herbst einen Gesetzentwurf vorlegen,
der Eltern mehr Gestaltungsfreiheit in der Elternzeit
gibt, vor allen Dingen was Teilzeitarbeit betrifft, und der
eine Großelternzeit ermöglicht, sodass Paare Elternzeit
auch auf die Großeltern übertragen können. Ich glaube
ohnehin, dass bei uns in Deutschland gnadenlos unterschätzt wird, welchen Beitrag die Großeltern zur Betreuung ihrer Enkel leisten und welche Möglichkeiten sie damit auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf für die mittlere Generation schaffen.
({1})
Zur Vielfalt der familienpolitischen Leistungen gehören aber auch der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz
und ein Betreuungsgeld für Familien, die die Betreuung
ihrer ein- und zweijährigen Kinder selbst organisieren.
Für das Betreuungsgeld sind 2013 300 Millionen Euro
etatisiert. Das erweitert den Gestaltungsspielraum von
Eltern ein- und zweijähriger Kinder.
Klar ist aber auch: Ohne genügend Kitaplätze gibt es
genauso wenig Gestaltungsfreiheit. Wir haben für den
Kitaausbau neue Mittel in Höhe von 580,5 Millionen Euro zugesagt.
({2})
Diese können rückwirkend ab dem 1. Juli dieses Jahres
in Anspruch genommen werden. Damit ermöglichen wir
den Ländern und Kommunen die Einrichtung von mindestens 30 000 zusätzlichen Betreuungsplätzen.
Insgesamt stellt der Bund bis 2013 4,6 Milliarden Euro für den Kitaausbau zur Verfügung, und er beteiligt sich ab 2014 mit einem Betrag von 845 Millionen Euro jährlich an den Betriebskosten. Angesichts
dieser gewaltigen Summen, die wir hier investieren,
trotz der Tatsache, dass die Finanzierung des Kitaausbaus Ländersache ist, ist ganz klar: Der Kitaausbau hat
für Union und FDP oberste Priorität, meine Damen und
Herren.
({3})
Ich habe mein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, um
den Ausbau der Kinderbetreuung zu beschleunigen.
Darin geht es unter anderem um die Stärkung der Kindertagespflege und den Ausbau von Betriebskindergärten. Der Bund hat all seine Kräfte für den Kitaausbau
mobilisiert. Dasselbe erwarte ich auch von den Ländern,
insbesondere von denen, die immer noch im Energiesparmodus unterwegs sind.
({4})
Ein Anliegen, das mir persönlich sehr wichtig ist, besteht darin, diejenigen Paare zu unterstützen, die sich ein
Kind wünschen, auf natürlichem Wege aber keines bekommen können. Ich erhalte zu kaum einem anderen
Thema so bewegende Briefe: von Menschen, die mir ihr
Glück schildern, dass sie nach jahrelanger Kinderwunschbehandlung endlich ihr Baby in den Armen halten, aber auch von Paaren, die durch diese Behandlung
ihre letzten Ersparnisse aufgebraucht haben und nun
kein Geld für weitere Versuche haben. Eine familienfreundliche Gesellschaft, meine Damen und Herren, darf
diese Menschen nicht alleine lassen. Deshalb habe ich
mich dafür eingesetzt, dass der Bund betroffene Paare
bei Kinderwunschbehandlungen unterstützt. Die entsprechenden Mittel stehen zur Verfügung. 2013 sind
hierfür 10 Millionen Euro vorgesehen.
({5})
Vielfalt zu ermöglichen, darum geht es auch in der
Gleichstellungspolitik.
({6})
Wir brauchen eine Arbeitswelt der fairen Chancen für
Männer und Frauen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Bisher kommen oft nur diejenigen nach ganz
oben, die jemanden haben, der zu Hause den Kühlschrank füllt und für regelmäßigen Nachschub an frischen Hemden sorgt.
({7})
Benachteiligt sind dadurch insbesondere Frauen, aber
genauso auch Männer, die sich Zeit für die Familie wünschen. Deshalb kämpfe ich für eine intelligente Quote,
die bei den Ursachen der männlichen Monokultur im
Management ansetzt und die Unterschiede in den Unternehmen und Branchen berücksichtigt. Dazu will ich
natürlich eine gesetzliche Lösung; das sage ich noch einmal klar und deutlich. Wir kommen aber auch auf untergesetzlichem Wege gut voran.
({8})
Von den Fortschritten im Rahmen meiner DAX-30Initiative können Sie sich auf www.flexi-quote.de selbst
ein Bild machen. Um diese Fortschritte künftig objektiv
messen, beurteilen und vergleichen zu können, habe ich
die Entwicklung eines Frauen-Karriere-Indexes in Auftrag gegeben, den ich in den nächsten Wochen vorstellen
werde.
({9})
Kurz vor der Vollendung steht auch ein weiteres
wichtiges frauenpolitisches Projekt dieser LegislaturBundesministerin Dr. Kristina Schröder
periode: Das bundesweite Hilfetelefon bei Gewalt gegen
Frauen wird voraussichtlich Anfang 2013 freigeschaltet.
({10})
Für die Finanzierung des laufenden Betriebs sind 6 Millionen Euro vorgesehen. Damit tragen wir dafür Sorge,
dass Frauen in Notlagen möglichst schnell Hilfe bekommen. Wer eine ungefähre Vorstellung davon hat, was gewaltbetroffene Frauen physisch und psychisch durchmachen, der weiß auch, wie wichtig dieses Hilfetelefon ist.
({11})
Die erfolgreiche Arbeit dieser Bundesregierung belegen auch die geplanten Ausgaben für den Bundesfreiwilligendienst und die Freiwilligendienste im Einzelplan 17. Vor einem Jahr haben hier viele aus der
Opposition noch Stimmung gegen den Bundesfreiwilligendienst gemacht.
({12})
Da gab es viel Skepsis, ob sich denn überhaupt genügend Freiwillige finden würden. Hier zeigt sich doch
einmal wieder der Unterschied: SPD und Grüne vertrauen auf den Staat, Union und FDP vertrauen auf die
Menschen.
({13})
Wir haben den Menschen zugetraut, sich aus eigener
Motivation zu engagieren. Das hat überwältigend funktioniert.
Sehr froh bin ich auch über einen weiteren Erfolg, den
wir gemeinsam erreicht haben. Am 1. Januar ist das neue
Kinderschutzgesetz in Kraft getreten, ein Meilenstein für
einen aktiven Kinderschutz in Deutschland. Für die Bundesinitiative „Familienhebammen“ sind 2013, wie wir
das im Vermittlungsausschuss beschlossen haben,
45 Millionen Euro etatisiert. Damit erreichen wir junge
Eltern zu einem Zeitpunkt, an dem sie für Hilfe und
Unterstützung noch zugänglich sind.
({14})
Alles in allem spiegelt der Einzelplan 17 des Haushaltsentwurfs 2013 die großen gesellschaftspolitischen
Erfolge wider, die Union und FDP in den letzten drei
Jahren erreicht haben. Wir haben durch den Kitaausbau
die Gestaltungsfreiheit für Familien gestärkt. Wir haben
ein neues umfassendes Kinderschutzgesetz auf den Weg
gebracht, das in der vergangenen Legislaturperiode noch
gescheitert ist. Wir haben - einmalig in Europa - selbstgesetzte Quoten bei den DAX-30-Unternehmen, durch
die 5 400 Frauen in Führungspositionen kommen werden. Wir haben eine Familienpflegezeit, mit der die
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf unterstützt wird. Wir
haben für 4 000 Kitas in Deutschland die Sprachförderung verbessert, und wir haben den Bundesfreiwilligendienst eingeführt, dessen Erfolg alle Erwartungen übertrifft.
({15})
Aber ich glaube, dass wir noch mehr können, wenn
wir Menschen ihr Leben leben lassen und ihnen Hürden
aus dem Weg räumen. Wir wissen, dass 1,2 Millionen
Frauen in Deutschland mit älteren Kindern gerne arbeiten würden, es aber nicht tun, weil die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf noch immer nicht gut genug ist:
1,2 Millionen Frauen! Diese Frauen könnten dann selbst
für ihre Altersvorsorge sorgen. Sie könnten einen eigenständigen Anspruch aufbauen, wenn es gelingt, hier die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
Aber dafür, meine Damen und Herren, müssen wir nicht
die Familien ändern, sondern dafür müssen wir die Arbeitswelt ändern. Das wird das große Thema der Zukunft
sein.
Herzlichen Dank.
({16})
Die Kollegin Dagmar Ziegler hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Nun ist er da: der Haushaltsplan für
Familienpolitik, wie ihn sich die Koalition von Union
und FDP vorstellt. Nun haben wir schwarz auf gelb, dass
jeder, aber auch wirklich jeder Modernisierungsversuch
gescheitert ist, einschließlich der zuständigen Ministerin.
Denn die Chaostheorie der Bundeskanzlerin lautet auch
in Bezug auf die Familienpolitik in unserem Lande: über
alles und nichts ein bisschen reden lassen. Sie reden über
die Frauenquote: ein bisschen Flexi, aber ach, dann doch
nicht. Sie reden über Jugendpolitik: ein bisschen eigenständiger, aber am Ende: ach, doch nicht. Sie reden über
Pflegezeit für Angehörige von Pflegebedürftigen: ein
bisschen gesetzlich, aber dann doch bitte freiwillig. Sie
reden über die steuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften: ja, mal so dahingesagt,
aber dann doch nicht. Sie reden über Familiensplitting:
Das wäre ja so schön, aber dann doch nicht.
({0})
Ja, unsere Ministerin ist fleißig. Wir haben schon wieder viele Ankündigungen zu den Projekten gehört, die
sie sich für den Rest der kurzen Zeit, die ihr noch bleibt,
vorgenommen hat. So schaufelt sie angestrengt alle zwei
bis drei Monate heiße Luft von einer Ecke in die andere.
Genauso sehen die Haushaltszahlen aus: stabil schlecht,
aber stabil; keine Verbesserungen für Familien, aber das
konsequent.
({1})
Aber ein Sahnehäubchen gibt es dann doch noch
- das hat die Ministerin gar nicht erwähnt -: das Betreuungsgeld.
({2})
Auch hier war bei der Sahne schnell die Luft raus. Denn
blöderweise sind alle dagegen. Rund 30 namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gerade
heute in der Zeit einen Appell an die Koalition gerichtet,
von diesem unsinnigen Projekt Abstand zu nehmen.
Die Unterzeichner sind
- ich zitiere Ökonomen, Erziehungswissenschaftler, Psychologen, Soziologen, Rechtswissenschaftler und Mediziner. Viele von ihnen sitzen oder saßen in Beratungsgremien der Bundesregierung, vornehmlich
zur Familienpolitik.
Aber Herrn Seehofer kann man doch nicht vor den
Kopf stoßen, wo er doch selber so familienfreundlich ist,
({3})
wo er so lieb gegenüber ärmeren Regionen im In- und
Ausland ist und die Kanzlerin so lieb im Würgegriff hat.
Da hat er sich doch für seine Landtagswahl etwas verdient. Da nimmt der Bund doch gerne einen Kredit auf,
um das Betreuungsgeld einzuführen.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wie eine
Büttenrede klingt, ist leider bittere Wahrheit.
({4})
Aber jeder kann sich einen Reim darauf machen. Sie machen schlichtweg keine Politik: nicht für die Jugendlichen, nicht für die Älteren, nicht für die Kinder und nicht
für deren Eltern. Ihre Arbeit, die Sie tatsächlich leisten, ist
so wichtig und zukunftsweisend wie Ramsauers Initiative
für austauschbare Autokennzeichen.
Wo aber ist unsere Bundeskanzlerin? Sie führt dieses
Kabarett, nein, Kabinett
({5})
zu seiner letzten Vorstellung, zum Haushalt von
Schwarz-Gelb.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Florian Toncar hat das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Ziegler, bei Ihrer Rede hatte ich das Gefühl,
dass Sie, gelinde gesagt, etwas übertrieben haben. Denn
wenn Sie sagen, dass jeder Modernisierungsversuch in
der Familienpolitik gescheitert sei, und von Chaostheorie und Ähnlichem sprechen, dann sind das starke Worte.
Ich glaube übrigens nicht, dass die Familien es schätzen,
dass man über ihre Themen mit so starken Worten diskutiert, und ich glaube nicht, dass die Politik der Bundesregierung dazu Anlass gibt.
Man muss vielleicht vorausschicken - das gilt für diesen wie für jeden Haushalt -: Dies ist eine Legislaturperiode, in der es außerordentlich schwer ist, neue finanzielle Akzente zu setzen.
({0})
Dabei ist nicht die Frage, wer regiert. Vielmehr hat diese
Regierung eine Situation vorgefunden, die von einer
ziemlich dramatischen Haushaltslage gekennzeichnet
war. Es kamen, beispielsweise durch die Energiewende
und das Thema ESM, ziemlich hohe Kosten dazu. Wenn
man das berücksichtigt, dann ist es gut, wohin sich der
Haushalt jetzt bewegt, nämlich in Richtung Erreichung
der Ziele der Schuldenbremse drei Jahre früher als erwartet. Aber man kann natürlich keine haltlosen Versprechen und riesengroßen Sprünge finanzieller Art machen. Das ist einfach ein Faktum.
({1})
Wir haben trotzdem - die Ministerin hat das schon erwähnt - viele Lücken gefüllt und neue Angebote da gemacht, wo Bedarf bestand.
({2})
Frau Kollegin Ziegler, die Ministerin hat nicht nur Ankündigungen gemacht,
({3})
wie Sie behaupten, sondern das aufgezählt, was in den
letzten drei Jahren gemacht wurde und was sich auch im
Haushalt wiederfinden lässt. Beispiele sind die Familienpflegezeit, Hilfen für Familien, die ungewollt keine Kinder bekommen können, die Erziehung von Heimkindern
- das haben wir im Konsens geregelt - und das Hilfetelefon. Nichts davon ist eine Ankündigung. Alles wurde erreicht, und für alles wurden entsprechende Mittel in den
Haushalt eingestellt. Das ist angesichts der Voraussetzungen, die wir hatten, wirklich eine ganze Menge.
({4})
Es ist gut, dass wir im nächsten Jahr eine wirkliche
Übersicht über alle familienpolitischen Leistungen bekommen. Die sogenannte Evaluation hat einige Jahre gedauert und sehr viel Geld gekostet. Aber so haben wir
eine gute Grundlage, um in der nächsten Legislaturperiode sachlich darüber zu diskutieren, mit welchen Leistungen familienpolitische Ziele erreicht werden, wo wir
vorankommen und wo wir im Familien- oder Bildungsbereich vielleicht Geld ausgeben, das schlecht investiert
ist, weil bestimmte Ziele nicht erreicht werden. Ich bin
sehr gespannt, Frau Ministerin, welche Ergebnisse diese
Evaluation zeitigen wird. Ich hoffe, dass wir auf der
Grundlage dieser Erhebung dann gute Entscheidungen
für die kommenden vier Jahre treffen werden.
Wir investieren bereits viel Geld in eine familienfreundliche Infrastruktur in Deutschland. Dazu zähle ich
nicht nur die Qualifizierungsoffensive - ein neues Projekt dieser Regierung -, bei der es darum geht, mithilfe
von Fachleuten gezielt Sprachförderung in Kitas zu betreiben, in deren Umfeld die Sozialstrukturen schwierig
sind und viele benachteiligte Kinder und Familien wohnen, und dafür zu sorgen, dass die Kinder möglichst
schnell die deutsche Sprache erlernen. Denn wenn ein
Kind bei der Einschulung die deutsche Sprache nicht beherrscht, dann wird es das im Rahmen einer normalen
Schullaufbahn nur schwerlich aufholen können. Wenn
wir die entsprechenden Voraussetzungen nicht am Anfang schaffen, wird es schwierig, das im Schulsystem zu
reparieren. Wir bemühen uns darum, hier für Verbesserungen zu sorgen. Ich habe mir Kitas mit Sprachförderkräften in den Kommunen angeschaut und muss sagen:
Es gab in den letzten Jahren selten ein Projekt, zu dem es
so viel Zustimmung und Lob von denjenigen gab, die
damit befasst sind. Daran sollten wir weiter festhalten.
Wir sorgen sogar für einen entsprechenden finanziellen
Aufwuchs. Wir haben ein Interesse, dieses Projekt längerfristig fortzuführen.
({5})
Wie bereits erwähnt, investieren wir über unsere Verpflichtungen hinaus weitere Mittel in den Ausbau der
Kitaplätze. Der Bund investiert noch einmal über
580 Millionen Euro. Ursprünglich war ausgemacht, dass
sich Bund, Länder und Kommunen die Kosten zu je einem Drittel teilen. Nun hat sich aber eine Lücke aufgetan. Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, diese zu
füllen. Ich frage mich allerdings, wo das Engagement
der Länder bleibt. Warum sind diese nicht in der Lage,
sich zu verpflichten, mehr Geld zu geben, wenn das auch
der Bund tut? Das vermisse ich. Ich denke, Sie, meine
Damen und Herren von der Opposition, hätten auf Ihre
Ministerpräsidenten entsprechend einwirken sollen. Auf
jeden Fall werden wir die erwähnten zusätzlichen Mittel
bereitstellen, weil wir wollen, dass die Familien im
nächsten Jahr das Angebot vorfinden, das ihnen zugesagt wurde. Auch das ist eine positive Erwähnung wert;
denn das kostet den Bund eine Menge Geld.
({6})
Ich will dem Eindruck entgegentreten, dass hier
nichts passiert. Wer sich den Haushalt genau anschaut,
wird das schwerlich behaupten können; denn der Haushalt sieht ganz anders aus als der von vor drei Jahren, als
wir in die Regierungsverantwortung gekommen sind. Er
ist deutlich umgestaltet worden. Es wurde viel Positives
erreicht.
Wir werden uns als Haushaltspolitiker in den nächsten Wochen aber auch genau anschauen, ob beispielsweise die Verwaltungsausgaben angemessen sind. Es
gibt sicherlich Aufwüchse an der einen oder anderen
Stelle, die wir kritisch unter die Lupe nehmen sollten.
Das ist unsere Aufgabe. Wir wollen, dass die Behörden
reibungslos arbeiten können, aber nicht, dass mehr Mittel als nötig in den Etat eingestellt werden.
Insgesamt bildet dieser Haushaltsentwurf eine gute
Grundlage für die Beratungen. Er zeigt, dass nicht nur
Ankündigungen gemacht wurden, sondern dass auch bereits eine Menge umgesetzt wurde.
({7})
Der Kollege Steffen Bockhahn hat jetzt das Wort für
die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin jetzt seit ziemlich genau drei Jahren
Vater. Natürlich kommt nun der Spruch: Wann kommt
denn das nächste? Die Antwort behalte ich für mich;
denn das geht Sie nichts an. Ich erwähne das aber, weil
ich Ihnen sagen möchte: Für mich wäre ein weiteres
Kind in finanzieller Hinsicht kein Problem. Wie viel ein
Bundestagsabgeordneter im Durchschnitt verdient, wissen Sie alle ziemlich genau.
({0})
- Es reicht für mehrere Kinder; das ist wahr.
Allerdings kenne ich viele in meiner Altersgruppe,
bei denen sich die Frage deutlich anders stellt. Das ist
deswegen der Fall, weil - meine Damen und Herren, das
ist auch im Jahre 2012 noch bittere Realität - Kinder
nach wie vor das größte Armutsrisiko in der Bundesrepublik Deutschland sind. Das ist fatal, das muss anders
werden.
({1})
Das ist so, weil das Geld, das wir ausgeben, falsch
verteilt wird. Nun wurde die große Evaluation der familienpolitischen Leistungen angekündigt. Ich hoffe, dass
diese etwas pünktlicher vorgelegt wird als der Bericht
zum BAFzA. Die Frist zu dessen Vorlage wurde einmal
offiziell verlängert, dann ohne Begründung noch einmal.
Wir sollen ihn in den nächsten Tagen bekommen, aber
wann genau, weiß ich nicht. Ich hoffe, noch vor dem Bericht über die Evaluation der familienpolitischen Leistungen. Wir werden sehen.
Kinderfreundlichkeit in dieser Gesellschaft funktioniert aber auch deswegen nicht, weil die Arbeitswelt
eben nicht familienfreundlich ist und weil nichts passiert, um das zu verändern. Frau Ministerin, Ihre Analyse war nicht falsch; allerdings vermisse ich echte, konkrete Handlungsansätze, um daran etwas zu ändern. Es
ist doch möglich, etwas zu tun.
Was würde denn wirklich helfen? Ein Krippenplatz
kostet über 300 Euro für ein Kind. Wer soll sich da drei
leisten? Auch Kindergarten, Hort und Schule sind alles
andere als kostenfrei. Dabei reden wir noch gar nicht
von Ausbildungsberufen. Wenn Ihre Tochter beispielsweise Ergotherapeutin werden will, dann wird sie das
nicht einfach so tun können, sondern sie muss im Regelfall sehr viel Geld für die Ausbildung bezahlen. Ergotherapeutinnen kümmern sich vorzugsweise um kleine Kinder, die Defizite haben. Es wäre gut, wenn sich der Staat
mehr darum kümmern würde.
({2})
Natürlich wollen Eltern ihren Kindern eine solche Ausbildung ermöglichen.
Eine kostenlose Infrastruktur schafft Sicherheit. Deswegen brauchen wir eine kostenfreie Infrastruktur bei
Krippen und Kindergärten. Wir brauchen einen ordentlichen Kündigungsschutz für Eltern, der Verlässlichkeit
schafft. Wir brauchen auch endlich das Ende der massenhaften prekären Beschäftigung; denn nur wer dauerhaft beschäftigt ist, hat auch Vertrauen in die Zukunft
und wird sich für Kinder entscheiden. Alles andere
bleibt eine Lüge.
({3})
Wir brauchen ebenso einen real durchsetzbaren Anspruch auf Teilzeitarbeit. Ich weiß, dass es formal gesehen die gesetzlichen Regelungen dazu gibt. Aber in der
Praxis ist das eine Farce. Wenn Sie bei einem mittelständischen oder kleinen Unternehmer beschäftigt sind, der
Schwierigkeiten hat, einen Arbeitsplatz anders zu besetzen, dann haben Sie ernsthafte Schwierigkeiten, Ihren
Rechtsanspruch auf eine Teilzeitstelle durchzusetzen
bzw. dann, wenn die Teilzeitphase beendet ist, wieder
auf eine ganze Stelle zurückzukehren. Wir brauchen
deutlich klarere Regelungen und im gegebenen Fall auch
eine Unterstützung für die Unternehmerinnen und Unternehmer, damit diese das umsetzen können. Auch muss
die Weiterzahlung des Gehalts bei Krankheit der Kinder
deutlich länger als zehn Tage erfolgen. Unter Dreijährige
sind sehr schnell einmal länger als zehn Tage krank.
Wir müssen aus meiner Sicht auch den Steuerfreibetrag für Kinder abschaffen. Warum ist es nach wie vor
im Jahre 2012 so, dass unterschiedliche Kinder unterschiedlich viel wert sind? Warum habe ich als Bundestagsabgeordneter mit einem guten Gehalt noch einen
Steuerfreibetrag für Kinder, von dem ich profitieren
kann,
({4})
aber meine Mitarbeiterin - die zweifelsfrei gut bezahlt
ist - nicht? Warum ist das Kind meiner Mitarbeiterin nur
das Kindergeld wert, meines aber auch noch einen Steuerfreibetrag? Das ist Unsinn, das ist ungerecht, und das
ist falsch. Diese Regelung muss abgeschafft werden.
({5})
Genauso muss das Schulgeldprivileg weg. Wir zahlen
ganz viel Geld für öffentliche Schulen, die auch gut sind,
und wir zahlen ganz viel Geld für Schulen in freier Trägerschaft, die oft auch gut sind. Wir zahlen aber zusätzlich für die Schulen in freier Trägerschaft, indem wir das
Schulgeld für die Schulen in freier Trägerschaft anrechnungsfähig bei der Einkommensteuererklärung machen.
Warum erzähle ich Ihnen das? Weil die Einkommensteuer eine Bundessteuer ist. Mit dem Geld, das wir hier
zusätzlich einnehmen könnten, könnten wir sinnvolle familienpolitische Leistungen anbieten. Dafür wäre das
Geld dann da. Wir sind der Gesetzgeber, wir dürfen so
etwas machen.
({6})
Natürlich geht es bei Kindern nicht nur um das Geld.
Lachen, Zärtlichkeit und die unverwechselbaren Sprüche der lieben Kleinen kann man nicht mit Geld bezahlen. Aber wenn man Verantwortung für Kinder übernehmen will, dann will man ihnen auch etwas bieten. Wenn
man kein Vertrauen in die soziale Sicherheit hat, dann
wird man sich gegen Kinder entscheiden. Das muss anders werden.
({7})
Man möchte seinen Kindern eine Chance geben. Das
aber muss man sich leisten können; denn von der Regierung kommt da eher nichts.
Apropos, man tut nichts: Da sind wir bei der Frauenförderung. Ich wollte jetzt einmal ganz lange über das
Gute Ihrer Frauenpolitik, Frau Ministerin, sprechen.
Aber ich fand es dann unfair, in der verbleibenden Redezeit von 1 Minute und 15 Sekunden zu schweigen.
({8})
Deswegen rede ich jetzt doch über die sensationelle Kampagne zur Flexi-Quote. Keiner außer Ihnen, Frau Ministerin, und natürlich den Männern, die Angst um ihre Jobs
haben, fürchtet sich vor einer ordentlichen Quote. Sie machen trotzdem weiter und geben auch noch Steuergelder
aus, um der Welt zu sagen, dass die 30 DAX-Konzerne
ihre Quote in den Vorständen und Aufsichtsräten bis 2014
um fantastische, unglaubliche - halten Sie sich fest, es
wird Wahnsinn! - 0,82 Prozent steigern.
({9})
Viviane Reding, die EU-Justizkommissarin, will per
Richtlinie der EU bis 2020 eine Frauenquote von 40 Prozent durchsetzen. Ich frage mich natürlich, wie Sie dazu
stehen. Kämpfen Sie womöglich dagegen? Frau Ministerin, mit diesem Agieren - nicht nur bei der Frauenförderung und der Frauenquote, sondern auch mit diesem
Haushaltsentwurf - reiten Sie ein totes Pferd. Steigen
Sie ab! Satteln Sie neu! Oder noch besser: Lassen Sie jemand ran, der Ahnung davon hat!
Ich danke Ihnen.
({10})
Katja Dörner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Der Entwurf des Haushalts des Familienministeriums für 2013 ist klar und deutlich eines: Er
ist das in Zahlen gegossene Scheitern der Ministerin
Kristina Schröder.
({0})
Es gibt zwar einiges, was uns hier als großartige Errungenschaft verkauft wird, aber was steckt denn dahinter?
Wir schauen einfach einmal, was das sein könnte.
Stichwort Familienhebammen. Wir alle hier haben
uns für Familienhebammen eingesetzt. Es ist wichtig,
mit Familienhebammen die Netzwerke früher Hilfen zu
stärken - aber doch nicht als Sonderprogramm im Familienministerium, sondern im Rahmen eines vernünftigen
Konzepts, entwickelt zusammen mit dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen. Fakt ist: Beim
Bundeskinderschutzgesetz hat sich Kristina Schröder
vom Gesundheitsministerium einfach schnöde abwimmeln lassen. Dass diese 45 Millionen Euro jetzt so im
Haushaltsentwurf veranschlagt sind, das haben wir doch
nicht dieser Ministerin zu verdanken,
({1})
das haben wir den rot-grünen Bundesländern und ihren
erfolgreichen Verhandlungen im Bundesrat zu verdanken. Das steckt hinter diesem Programm.
({2})
Stichwort Leistungen zur Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit. Es ist schon angesprochen worden: Da haben wir ursprünglich große Ankündigungen
gehört. Aber auch hier gab es eine Rote Karte für die
Pläne dieser Ministerin, auch vom Gesundheitsministerium.
({3})
Was ist denn jetzt dabei herausgekommen? Ein Programm, das die Bundesländer subventioniert, die ihrerseits anteilig die Kosten für Kinderwunschbehandlungen
übernehmen. Davon betroffen waren, bevor dieses Programm aufgelegt worden ist, zwei Bundesländer. Es
steht völlig in den Sternen, ob weitere Bundesländer dazukommen.
({4})
Ergo, es kommt kein zusätzliches Geld bei den betroffenen Paaren an, ganz zu schweigen von einer sinnvollen
Ausweitung dieser finanziellen Unterstützung, etwa auf
lesbische und auf unverheiratete Paare.
({5})
Das jetzige Programm ist einfach ein komplett vermurkster Ansatz.
({6})
Stichwort Familienpflegezeit. Der ursprünglich im
Gesetzentwurf vorgesehene Rechtsanspruch wurde einfach gestrichen. Nun bleibt die Familienpflegezeit letztendlich dem Goodwill der Arbeitgeber überlassen. Dass
die Familienpflegezeit so, wie sie jetzt konzipiert ist,
einfach ein Rohrkrepierer ist, das kann man ganz einfach
am Haushalt ablesen. Von den 400 000 Euro, die für
2012 im Haushalt veranschlagt wurden, sind zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt erst 8 000 Euro - ich wiederhole: 8 000 Euro - abgeflossen. Dieses Vorhaben ist
ganz klar ein Rohrkrepierer. Ich frage mich, warum wir
vor diesem Hintergrund zustimmen sollten, die Mittel
für diese Leistung im nächsten Jahr noch auf über 1 Million Euro zu erhöhen.
Das waren drei kleine Beispiele, die zeigen, dass die
Ministerin gern als Tigerin springt und … Na ja, man
sieht, wie sie landet.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nun wird es mehr
Geld für den Kitaausbau geben - wir haben das eben gehört -: 580 Millionen Euro zusätzlich im Rahmen eines
Nachtragshaushalts. Dieses Geld kommt spät, aber
Hauptsache, es kommt. Denn es wird in den Kommunen
tatsächlich gebraucht. Um auch hier jeder Legendenbildung direkt einen Riegel vorzuschieben: Diese zusätzlichen Kitamillionen haben mit dieser Ministerin nämlich
ebenfalls nichts zu tun.
({7})
Fakt ist doch, dass Kristina Schröder in den letzten
Jahren versucht hat, dem Finanzminister zusätzliche
Mittel für den Kitaausbau aus den Rippen zu leiern, und
sie ist damit immer gescheitert. Fakt ist: Diese zusätzlichen 580 Millionen Euro kommen aus den erfolgreichen
Verhandlungen im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt,
an denen auch die Bundesländer beteiligt waren.
({8})
Also auch hier ganz klar keine Blumen für Kristina
Schröder.
({9})
Dass der Etat des Familienministeriums steigt, ist dieses Jahr kein Grund zur Freude; denn der Grund dafür,
dass er steigt, ist das Betreuungsgeld. Wider alle Vernunft, wider den breiten Sachverstand der familienpolitischen Verbände und Initiativen
({10})
und auch wider die Mehrheit der Familien wird dieses
Betreuungsgeld nun in den Haushalt geboxt. Union und
vor allem die FDP lassen sich hier am Nasenring durch
die familienpolitische Arena ziehen.
Mit diesem Haushaltsentwurf wird der Weg frei gemacht für eine bildungspolitische und eine gleichstellungspolitische Katastrophe, für eine Leistung, die
glücklicherweise, hoffentlich und voraussichtlich in
Karlsruhe wieder einkassiert wird.
({11})
Das alles geschieht, um Horst Seehofer zu pampern.
Ich muss Ihnen sagen: Das würde ich mir gut überlegen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in den diesjährigen Beratungen des Etats des Familienministeriums wird
es ganz zentral um das Betreuungsgeld gehen. Wir setzen auf die Macht der besseren Argumente. Wir setzen
auch auf die Aussagekraft der nackten Zahlen. Die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen
sollten die Chance nutzen, von diesem toten Pferd abzusteigen. Ich setze dabei insbesondere auf meine Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, die sich an der einen
oder anderen Stelle schon ziemlich weit aus dem Fenster
gelehnt haben. Dies gilt insbesondere für die Kollegen
der FDP, die angekündigt haben, das Betreuungsgeld im
Haushaltsausschuss doch noch stoppen zu wollen. Das
wäre eine Lieferung seitens der FDP, die sogar wir gerne
entgegennehmen würden.
Vielen Dank.
({12})
Ingrid Fischbach hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn die Zeit nicht schon so fortgeschritten wäre, dann würde ich sagen: Die Märchenstunde hat
angefangen. Frau Ziegler, ich habe Sie immer als Kollegin geschätzt, aber das, was Sie heute zum Besten gegeben haben, war wirklich nichts.
({0})
Ihre große Überschrift lautete: Jeder Modernisierungskurs der Ministerin ist gescheitert. Ich nenne dazu
nur einige Stichworte, obwohl ich eine längere Liste herunterrattern könnte.
Stichwort Pflegezeit. Wir sind sie angegangen. Gab es
das Pflegeproblem noch nicht, als Rot-Grün regiert hat?
Haben Sie hier etwas gemacht? Ich habe nichts gehört.
Wir haben damit angefangen. Die Pflegezeit ist auf dem
Weg. Solche Projekte müssen erst einmal anlaufen. Man
kann nichts von oben herab bestimmen. Man muss die
Unternehmen mitnehmen, und das tun wir.
({1})
Dazu habe ich in den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit
nicht ein Wort gehört.
Stichwort Kitaausbau. Das war ein großer Kampf. Ich
kann mich daran erinnern, wer in der Zeit der Großen
Koalition dafür gesorgt hat, dass die Mittel von 4 Milliarden Euro im Bundeshaushalt festgeschrieben wurden.
({2})
- Sie waren dabei. Ich habe ein gutes Gedächtnis.
Die Ministerin hat gesagt: Das ist uns sehr wichtig
und hat oberste Priorität, dafür werde ich Mittel frei machen. - Ich finde das lobenswert. Es ist richtig, das setzt
die richtigen Akzente. Das haben Sie nicht gemacht, wir
haben das gemacht.
({3})
Stichwort Kindertagespflege. Sie wissen genau: Wir
werden den Betreuungsbedarf allein mit öffentlichen
Einrichtungen nicht abdecken können. Tagesmütter waren für Sie immer etwas für die ganz oberen Schichten.
Sie sagten, diese Betreuung könne sich niemand leisten.
Die Ministerin ist das Problem angegangen. Sie hat gesagt: Wir müssen sehen, dass wir auch für die Tagesmütter Verbesserungen hinkriegen. - Hier ist ganz viel passiert.
Was Ihnen eigentlich am meisten wehtun muss - das
ist mein letztes Wort hierzu; damit ich noch zu meiner
ursprünglich vorgesehenen Rede komme -: Wann ist eigentlich der erste Gleichstellungsbericht erstellt worden?
Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag. Ich glaube,
der ersten Gleichstellungsbericht ist unter Ministerin
Schröder auf den Weg gebracht worden. Gleichstellung
war doch Ihr Thema. Hier ist nichts passiert, hier wurde
nichts gemacht.
({4})
Sie aber stellen sich hier hin und sagen: Es gab keine
Modernisierung. Ich glaube, allein die wenigen Stichworte haben gezeigt, wohin der Weg geht und dass diese
Aussage nicht stimmt.
({5})
Frau Dörner, Sie sagten, der Haushaltsentwurf sei das
in Zahlen gegossene Scheitern der Ministerin.
({6})
Man kann Zahlen natürlich einfach ignorieren und sie
nicht wahrnehmen; das kann man machen. Aber der Anteil der Vätermonate im Zusammenhang mit dem Elterngeld ist allein durch den Einsatz der Ministerin und ihre
Werbung bei den Unternehmen und Verbänden von
3 Prozent auf 20 Prozent gestiegen. Das ist für mich ein
Wert, der Aussagekraft hat.
({7})
Familienhebammen. Ich komme jetzt zu einem Punkt,
bei dem ich mittlerweile einen dicken Hals habe. Ich
komme aus Nordrhein-Westfalen. Das ist ein Bundesland, in dem die Post abgeht und wo man immer in der
ersten Reihe steht. Ich will nicht sagen, wer dort jahrzehntelang regiert hat. Aber Dinge zu fordern, die man
selbst nicht bezahlen muss, das ist toll.
({8})
- Es ist doch so. - Familienhebammen sind wichtig.
Wenn dieses Thema den Ländern so wichtig ist, dann
frage ich Sie, meine Damen und Herren: Warum muss
der Bund letztlich die vollen Kosten übernehmen?
({9})
Wenn das wichtig ist, dann würde ich sagen: Wir teilen
uns die Kosten. Man kann aber nicht etwas verlangen,
und der andere muss dafür bezahlen.
({10})
Ich kann auch nicht in die Wirtschaft gehen und sagen:
Ich möchte gern ein Rumpsteak, aber ich habe das Geld
nicht dafür. Und dann muss der Ober kommen und mir
5 Euro dazugeben.
Die Ministerin hat gesagt: Das ist uns wichtig. Wenn
das Ding platzt und die Sache scheitert, dann übernehmen wir die Kosten eben komplett. - Das hätten wir
nicht gemusst.
Gleiches gilt für den U-3-Ausbau. Das ist noch so ein
schönes Thema, das mich wirklich zum Platzen bringt.
Jetzt haben wir zusätzliche Mittel, mit denen wir allein 30 000 Plätze mehr zur Verfügung stellen können.
Ich kann mich noch gut an den Anfang dieses Jahres erinnern: Da haben die Länder geklagt: Wir schaffen es
nicht. Aber ich erinnere: Die Länder haben sich irgendwann mit an den Tisch gesetzt und gesagt: 4 Milliarden
Euro zahlen wir mit. Ich denke, die Länder haben Verantwortung. Gilt das Wort nicht mehr, das Ländervertreter in den Runden mit dem Bund abgeben? Dann, meine
Damen und Herren, machen wir es in Zukunft ganz allein. Dann brauchen wir die Länder nicht mehr. Dann
müssen die Länder aber auch ihre Kompetenz bei der
Kinderbetreuung an den Bund abtreten. Dann will ich,
dass wir hier in Gänze entscheiden und nicht nur die
Geldgeber sind.
({11})
- Herr Schwanitz, ich wäre ganz ruhig, wenn ich Ihre
Bilanz vorlegen müsste; da wäre ich ganz, ganz ruhig.
NRW hat dann getönt: Wir machen das. Wir rufen die
Mittel gar nicht in Gänze vom Bund ab, sondern geben
selber Mittel. - Es kann aber die erforderlichen Plätze
nicht zur Verfügung stellen. Und was hat die Ministerin
in Nordrhein-Westfalen schon einmal vorausschauend
überlegt: Die erforderliche Anzahl an Plätzen werden
wir nicht schaffen, dann erhöhen wir einfach die Gruppengröße. - Wir hätten nur einmal daran denken sollen,
zu sagen: Wir gehen nicht mehr von 9 Kindern in der
U-3-Betreuung aus, sondern erweitern die Zahl auf 10,
11, 12 oder 15 - O-Ton! Aber es ist für ein Kind unter
drei Jahren ein enormer Unterschied, ob es in einer
Gruppe mit 9 Kindern oder mit 15 Kindern betreut wird.
({12})
Und da zählt nicht nur allein die Aufstockung der Personalstellen. Das hat einen ganz anderen Ansatz und für
die Kinder eine ganz andere Bedeutung. Und mal eben
so locker zu sagen: „Wir verdoppeln die Anzahl der
Plätze“, das ist schon eine Nummer.
Meine Damen und Herren, ich möchte trotzdem auf
den Haushalt und den Einzelplan des Ministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu sprechen kommen. Ich bin froh, dass wir endlich - auch das ist dem
Drängen und dem Einsatz der Ministerin zu verdanken die Evaluation der familienpolitischen Leistungen diskutieren. Wir haben den ersten Teil bzw. die Akzeptanzanalyse vorliegen. Die haben Sie alle bekommen.
({13})
- Ja, Sie wissen alles vorher. Nur, Sie machen dann
nichts. Und wenn Sie es schon vorher wissen, brauchen
wir doch die Evaluation nicht.
({14})
Das verstehe ich jetzt nicht: Herr Bockhahn hat gerade
gesagt: „Wir wollen eine Evaluierung“, und Sie rufen
jetzt: Wir wissen das schon alles. - Ich weiß es nicht. Ich
kann nicht hellsehen.
({15})
- Aber ich möchte doch belegbare Daten haben; denn
anders als Sie möchten wir politische Entscheidungen
treffen, die die Eltern wollen. Darin unterscheiden wir
uns. Sie meinen, Sie können für alle Eltern denken. Wir
sagen: Die Eltern sollen selber denken. Wir nehmen ihre
Gedanken auf und versuchen, entsprechende politische
Rahmenbedingungen zu schaffen. Das ist der Unterschied.
({16})
Die Akzeptanzanalyse hat gezeigt, dass die Eltern das
Elterngeld als besonders wichtig empfinden. Wenn
82 Prozent sagen: „Ohne das Elterngeld wäre ich gar
nicht in die Lage gekommen, das erste Erziehungsjahr
zu Hause zu verbringen“, dann ist das ein großes Zeichen, dass das wichtig ist, dass wir das auch erhalten
müssen und dass wir alles dafür tun, dieses Elterngeld
weiterzuentwickeln.
Der zweite wichtige Punkt war, dass die Kinderbetreuung eine große Rolle spielt. Ich habe es gerade schon
gesagt: Wenn sich der Bund mit 4,6 Milliarden Euro beteiligt - mit mehr, als er vorher zugesagt hat -, dann ist
das eine ordentliche Größenordnung.
Für besonders erwähnenswert halte ich die Tatsache,
dass wir uns auch nach 2013 mit weit über 800 Millionen Euro an den Betriebskosten der Kitas beteiligen.
Auch das ist nicht selbstverständlich. Das müsste der
Bund nicht tun. Wir tun es, weil es uns wichtig ist. Ich
glaube, dass es auch richtig ist. Es ist ein richtiges Zeichen an die Kommunen.
({17})
Meine Damen und Herren, es ist nicht damit getan,
Kindertagesbetreuungsplätze zu schaffen und Erzieherinnen auszubilden. Es geht auch darum, dass wir den
Kindern die Chancen geben, die sie brauchen. Modernisierung gab es ja bei Ihnen hier nicht. Die Initiative „Offensive Frühe Chancen“ zeigt, dass die Ministerin die
Kinder im Blick hat. Denn auch das müssten wir nicht
tun. Wir müssten in die Kitas nicht zusätzliche Kräfte
schicken, die für die Sprachförderung zuständig sind.
Das müssten wir nicht. Aber wir sagen: Die Kinder können nichts dafür. Wenn die Eltern nicht dafür sorgen,
dass eine angemessene Sprachfähigkeit vorhanden ist,
dann müssen wir als verantwortungsvoller Staat dafür
sorgen.
({18})
Ich sehe auch Ihre Kollegen, Frau Ziegler. Auch die
SPD-Kollegen kommen in die Kitas und begrüßen diese
Initiative. Sie sagen: Wir sind froh, dass wir diese halbe
Stelle zusätzlich haben. - Nur vergessen sie dann immer,
zu sagen: Das war eine Initiative der Ministerin. - Aber
ich hole das nach, wenn ich da bin; ich habe da keine
Probleme.
({19})
Seit August 2012 liegt bundesweit für alle
4 000 halben Stellen der Bewilligungsbescheid vor, das
heißt, alle Stellen sind bewilligt worden. Vor Ort werden
qualifizierte pädagogische Fachkräfte für die sprachliche
Bildung sorgen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen. Wir zeigen damit: Die Kinder sind uns wichtig;
wir haben sie vorrangig im Blick. - Das ist etwas, was
die Familienpolitik und die Jugendpolitik der Ministerin
auszeichnet.
Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt auch noch
auf das Hilfetelefon eingehen. Ich glaube, wir schaffen
hier eine wirklich gute Institution: Bundesweit kann das
Hilfetelefon kostenfrei angerufen werden, um anonym
und in verschiedenen Sprachen Hilfestellungen zu erhalten. Das ist der richtige Schritt. Ich glaube, damit helfen
wir denen, die von Gewalt bedroht sind, in einem ersten
Schritt.
Zwei Punkte zum Schluss.
Frau Kollegin.
Ich sehe es blinken, Frau Präsidentin. - Ich möchte
zum Schluss für eine überfraktionelle Initiative danken,
Stichwort: Heimkinder in Ost und West. Diese haben wir
gemeinsam auf den Weg gebracht. Das zeigt, dass wir
nicht immer nur gegeneinander kämpfen müssen, sondern es auch Bereiche gibt, in denen es Sinn macht, dass
wir uns gemeinsam einsetzen.
Frau Kollegin.
Wenn wir gemeinsam für die Familien in diesem
Land kämpfen, dann sind wir auf einem guten Weg.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Rolf Schwanitz hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Schröder, die
Selbstgerechtigkeit, mit der Sie hier vorgetragen haben,
war ein starkes Stück; das muss ich schon einmal sagen.
({0})
Die Zahlen, die Sie vorgelegt haben, geben das nicht her,
übrigens auch nicht die Abläufe.
Ich will etwas zur ersten Baustelle, dem Kitaausbau,
sagen. Wir haben drei Jahre lang von Ihnen eigentlich
immer eine klare Botschaft gehört: Erstens sagten Sie,
das Bundesprogramm reiche aus; zweitens haben Sie auf
die Länder und Kommunen verwiesen. Die Abgeordneten der SPD und auch andere aus der Opposition haben
frühzeitig signalisiert: Der Bedarf, der damals, 2007, ermittelt worden ist, ist nicht ausreichend; wir müssen hier
verstärken. Vor nicht einmal einem Jahr, in der Schlussberatung zum Haushalt 2012, hat Ihnen die SPD einen
Verstärkungsantrag zur namentlichen Abstimmung vorgelegt. Die Koalition hat ihn abgelehnt; auch Sie, Frau
Ministerin, waren dagegen. Jetzt kommen Sie, nachdem
die Länder Sie gezwungen haben,
({1})
und müssen die Mittel sogar in einen Nachtragshaushalt
zum selben Haushalt 2012 einstellen. Das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten.
({2})
Seit Montag, als das Berichterstattergespräch mit
Ihrem Haus stattfand, wissen wir nun auch, dass sich Ihr
Haus schon längst mit den Ländern verständigt hat, dass
von den 580 Millionen Euro, die für die Finanzierung
des Zusatzbedarfs von 30 000 Kitaplätzen notwendig
sind, bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs nicht
alle Mittel eingesetzt werden sollen. Sie geben hier quasi
die Mahnerin, die Controllingministerin, diejenige, die
Druck macht, aber in Ihrem Haus steht heute schon fest,
dass die Gelder für die 30 000 Plätze auf zwei Jahre, bis
Ende 2014, gestreckt werden. Das ist ein übler Taschenspielertrick, den Sie uns hier vorführen. Das ist nicht in
Ordnung.
({3})
Frau Schröder, das hat auch etwas damit zu tun, dass Sie
jahrelang, bis ins letzte Jahr hinein, hier die Bedarfe und
die Verstärkungsnotwendigkeit ignoriert haben. Jetzt
gibt es große Schwierigkeiten, die neuen Gelder wirklich
in die Region zu bekommen.
Wir lassen Ihr Zehn-Punkte-Programm, das Sie angesprochen haben, analysieren; ich bin gespannt. Sie haben
es im Frühjahr aus der Taufe gehoben. Ich vermute, dass
es überwiegend aus Dingen besteht, die schon längst in
den Programmen enthalten sind. Ich vermute, dass wir
dort altbekannte Projekte und Programme wiederfinden,
übrigens mit einer Degression im Jahr 2013. Ich vermute, da ist viel heiße Luft und wenig Hilfe. Noch
schlimmer ist die Situation im Bereich Kindertagespflege. Im Haushalt 2013 ist für diesen Bereich keine
Verstärkung vorgesehen. Im Gegenteil: Es ist ein klarer
Rückgang der finanziellen Mittel zu verzeichnen. Einschließlich der von Ihnen vorgesehenen ESF-Mittel sinkt
die Förderung 2013 um 2,5 Millionen Euro, das sind
23 Prozent weniger als in diesem Jahr.
Noch krasser ist die Situation in den Betriebskitas.
Hier wollen Sie im Jahre 2013 die ESF-Mittel sogar
vollständig kappen, das heißt, es stehen 10 Millionen
Euro weniger zur Verfügung als 2012, und das bei einem
Projekt, das Sie selber so sehr loben. Von einer Familienministerin hätte man erwarten können, dass es ein aktives Management zu diesem vielleicht wichtigsten Projekt in dieser Legislaturperiode, dem Kitaausbau, gibt.
Stattdessen haben Sie ignoriert, gezögert, Verantwortung
verdrängt. Wirkliche Interessensvertretung sähe anders
aus.
({4})
Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem von Ihnen geäußerten Eigenlob in Bezug auf Ihr Engagement im Bereich Bundesfreiwilligendienst sagen. Ich erwarte, dass
Sie im Zuge dieser Haushaltsberatungen offen und klar
auf Hinweise auf Fehlentwicklungen eingehen und dazu
Rede und Antwort stehen. Ich will klar sagen, was ich
meine, nämlich die beim Bundesfreiwilligendienst in
keiner Weise gewährleistete Arbeitsmarktneutralität.
Tatsache ist, dass in den neuen Bundesländern der Anteil
der über 27-Jährigen, die am Bundesfreiwilligendienst
teilnehmen, weit über 25 Prozent liegt, in Thüringen bei
79 Prozent der Teilnehmer. Die Frage, warum der Bundesfreiwilligendienst an den Jugendlichen vorbeigeht,
({5})
ist berechtigt, aber es geht nicht nur darum. Man muss
sich doch auch die Frage stellen, ob dieser hohe Anteil
nicht etwas mit der besonderen Situation von Langzeitarbeitslosen in diesen Regionen zu tun hat.
Ihnen müssen doch beispielsweise Informationen
darüber vorliegen, dass es bereits kommerzielle Arbeitsvermittler gibt, die gegen Entgelt Plätze im Bundesfreiwilligendienst vermitteln. Das muss doch in Ihrem Haus
bekannt sein. Mir liegt eine Information des Jobcenters
Osnabrück vor, dass beispielsweise ein Arbeitsloser mit
Sanktionen belegt wird, wenn er den Vorgaben eines
Bufdi-Vertrags nicht in vollem Umfang nachkommt, so
als handele es sich um einen Job im ersten Arbeitsmarkt.
Das müssen Sie doch wissen, Frau Ministerin.
({6})
Wir fordern eine klare Analyse, und ich hoffe, Sie geben
sie uns.
({7})
Sie haben kein einziges Wort verloren - wenn ich es
nicht überhört habe, aber ich glaube, es war so - zum
Thema Kampf gegen den Rechtsextremismus.
({8})
Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir - die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen - im Dezember in großer Übereinstimmung einen Entschließungsantrag eingebracht
haben; lassen wir die 2 Millionen Euro beiseite, die Sie
vom Parlament aufgedrückt bekommen haben, um bei
diesem Titel nicht zu kürzen. Ich will zwei Sätze daraus
zitieren:
Wir sind entschlossen, sowohl die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten vertieft fortzusetzen …
Weiter heißt es dann:
Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.
Dass Sie keine Verpflichtungsermächtigung eingestellt
haben und daher 2014 und in den Folgejahren ein Abbruch droht,
({9})
ist das größte Hindernis. Im Zuge der parlamentarischen
Beratungen dieses Haushalts müssen wir das beseitigen.
({10})
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, dass wir die
Gemeinsamkeit, die wir im Dezember hatten, bei diesem
Thema abermals finden - es gibt genügend andere
Themen, über die wir uns streiten können -, und lassen
Sie uns eine Verpflichtungsermächtigung einstellen, die
einen möglichen Abbruch verhindert. Das sind wir diesem Thema schuldig.
Herzlichen Dank.
({11})
Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten zwar heute über den Einzelplan 17,
das heißt, den konkreten Einzelplan für das nächste Jahr,
aber lassen Sie mich die Debatte in einen größeren Zusammenhang einordnen. Worüber reden wir? Wir reden
über die Situation von Familien in Deutschland im Jahr
2012. Vergleichen wir einmal die Situation von Familien
im Jahr 2012 mit der Situation von Familien unter rotgrüner Regierung. Wie steht Deutschland da? Dank dieser schwarz-gelben Regierung haben wir die niedrigste
Arbeitslosenquote seit 21 Jahren. Das ist die Situation
von Familien im Jahr 2012.
({0})
Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in
ganz Europa. Auch das ist die Situation junger Menschen in Deutschland im Jahr 2012 unter Schwarz-Gelb.
({1})
Es ist mitnichten der Fall, dass wir in den letzten drei
Jahren untätig gewesen wären. Wir haben viel auf den
Weg gebracht, was die Situation von Familien nicht nur
verbessert, sondern in Zukunft stabil halten wird.
Ich will etwas zum Kitaausbau sagen. Ja, es ist wahr,
die 580 Millionen Euro kamen im Zusammenhang mit
den Verhandlungen zum Fiskalpakt. Wenn es aber nur
bei den 4 Milliarden Euro geblieben wäre, die wir als
Bund in den Jahren, in denen sich Deutschland in einer
der ärgsten Finanzkrisen befand, die es in den letzten
Jahren erlebt hat, für den Kitaausbau, für den der Bund
gar nicht zuständig ist, ausgeben, dann wäre auch das
eine starke Summe gewesen, die wir den Familien vom
Bund zur Verfügung gestellt hätten.
({2})
Mitnichten ist es ein Kinkerlitzchen, wie Sie es teilweise bezeichnen, was wir für die sprachliche Förderung
machen. Dafür sind wir eigentlich auch nicht zuständig,
sondern die Länder. Dazu gehören auch Länder, in denen
Sie - man muss sagen: leider - regieren. Wie viele junge
Menschenkinder erreichen wir damit? Wir erreichen mit
der „Offensive Frühe Chancen“ 360 000 Kinder. Auch
das ist eine starke Summe, mit der die Situation von kleinen Kindern in Deutschland verbessert wird. Wir, die
schwarz-gelbe Bundesregierung, geben ihnen Zukunft.
({3})
Stichwort „Familienhebammen“. Sie bemängelten,
dass keine Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsminister zustande gekommen ist. Darf ich noch einmal daran
erinnern: Wie viele Jahre war Ulla Schmidt, wohlgemerkt von der SPD, Gesundheitsministerin, und wie
viele Initiativen zu Familienhebammen wurden in den
elf Jahren zuwege gebracht? Null. Zero. Gar nichts.
Nada. Von Ihnen kam gar nichts. Deswegen lassen wir
uns von Ihnen nichts vorwerfen. Wir arbeiten bei diesem
Thema zwar nicht mit dem Gesundheitsminister zusammen, aber das Familienministerium stellt Geld zur
Verfügung. Das ist eine starke Investition. Das lassen wir
uns nicht kleinreden.
({4})
Ich will noch einmal darauf zurückkommen: Es gibt
Menschen in unserem Land, die ungewollt kinderlos geblieben sind. Wir haben gesagt, dass wir vonseiten des
Bundes Mittel für bestimmte Programme zur Verfügung
stellen. Die Länder müssen aber dabei mitmachen. Frau
Dörner, Sie beschweren sich hier, aber ich kenne die Initiative aus Baden-Württemberg nicht, hier mitzumachen.
Ich kenne auch nicht die Initiative aus NRW, hier mitzumachen. Es sind nicht Ihre Länder, die sich hier beteiligen.
({5})
Machen Sie hier kein Schwarzer-Peter-Spiel. Wir stellen
Mittel von unserer Seite zur Verfügung. Machen Sie mit
Ihren Ländern mit und stellen sich nicht hier hin und behaupten, wir würden nichts machen.
({6})
Das lasse ich nicht gelten. Das lasse ich nicht zu.
Insgesamt befinden wir uns - das will ich zum Abschluss sagen - in einer Situation, in der es um generationengerechte Familienpolitik gehen muss. Das heißt,
wir müssen darauf achten, wie der Haushalt in einigen
Jahren aussieht. Wir wollen den Kindern keine Schuldenberge hinterlassen. Darum ist es auch ein starkes Signal für die Familien in Deutschland, dass wir sagen:
Wir halten die Vorgaben der Schuldenbremse noch früher als vorgeschrieben ein und investieren trotzdem klug
in die Familien. Auch das lassen wir uns nicht kleinreden. Wir stellen einen Haushalt auf, der in die Zukunft
gerichtet ist. Deswegen wird mir auch in diesem Zusammenhang für die Familien in Deutschland nicht bange.
({7})
Diana Golze hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Werte Frau Ministerin, wir reden heute
nicht nur über den Haushalt des Jahres 2013. Wir reden
auch über die letzte Chance der Koalitionsfraktionen,
das umzusetzen und in den Haushalt einzustellen, was
Sie im Koalitionsvertrag zugesagt und den Menschen in
unserem Land versprochen haben. Weil ich nicht weiß,
ob sich alle von CDU, CSU und FDP daran erinnern,
was sie unterschrieben haben - bei den Balgereien, die
sich in den letzten Jahren abgespielt haben, weiß man
nicht, ob Sie sich noch daran erinnern wollen -, will ich
Sie im Rahmen des Familienetats auf einige Versprechen
aufmerksam machen und Sie daran erinnern.
Familienbewusste Arbeitszeit
- ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag -:
Wir wollen familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen durch eine familienfreundliche
Kultur und Infrastruktur sowie eine familiengerechte Arbeitswelt schaffen, die eine Entscheidung
für Kinder durch echte Wahlfreiheit ermöglicht.
Familienbewusste Arbeitszeit? Bis auf zum Scheitern
verurteilte Versuche mit Appellcharakter, die Unternehmen zu irgendwelchen Selbstverpflichtungen zu animieren, ist mir hier nichts bekannt. Eine echte Wahlfreiheit
wollen Sie ja anscheinend mit dem Betreuungsgeld herstellen. Da kann ich nur sagen: Für mich sieht Wahlfreiheit anders aus. Wir können uns morgen in der Anhörung darüber verständigen, wie man Wahlfreiheit
tatsächlich herstellt.
({0})
- Es geht um echte Wahlfreiheit. Sie können sich schon
nicht mehr daran erinnern.
({1})
Wir werden uns morgen in der Anhörung damit befassen, ob das Betreuungsgeld wirklich dazu führt, dass hier
echte Wahlfreiheit für Familien hergestellt wird, um sich
für Kinder entscheiden zu können.
Die Ministerin hat eben eine sehr wichtige Zahl genannt. Für das Jahr 2013 sind für das Betreuungsgeld
300 Millionen Euro eingestellt. Bitte merken Sie sich die
Zahl; wir brauchen sie gleich noch einmal.
Ich komme jetzt nämlich zum Elterngeld. Ich zitiere
wieder:
Wir wollen eine Weiterentwicklung, Flexibilität
und Entbürokratisierung des Elterngeldes … Die
Partnermonate sollen gestärkt und ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden.
({2})
Wenn ich nachschaue, dann sehe ich, dass von einer
Aufstockung der Vätermonate gar keine Rede mehr ist.
Deshalb ist in diesem Haushalt auch nichts dazu zu finden. Stattdessen wurde der Begünstigtenkreis durch die
Anrechnung auf Hartz-IV-Leistungen sogar noch verkleinert. Das sind Einsparungen in Höhe von 300 Millionen Euro. Man erinnere sich jetzt! Gerade bei den Familien, die das Geld am dringendsten bräuchten, wurde es
gespart, um es jetzt für ein Betreuungsgeld auszugeben,
das höchstwahrscheinlich in ganz andere Hände gelangen wird.
({3})
Ich kann dem nichts Positives abgewinnen.
({4})
Nächstes Beispiel: der Unterhaltsvorschuss. Ich zitiere wieder:
Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss entbürokratisiert und bis zur Vollendung des vierzehnten
Lebensjahres eines Kindes gewährt wird.
Auch hier ist nichts passiert. Nach wie vor wird dieser
Vorschuss nur bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres
gezahlt und auf 72 Monate begrenzt. Was aber tue ich,
wenn mein Kind 13 Jahre alt ist und mein ehemaliger
Gatte bzw. Lebenspartner nicht mehr bezahlt? Was ist,
wenn er auch nach den 72 Monaten noch immer nicht
zahlt? Damit habe ich noch kein Schulbuch und keine
Jacke für mein Kind gekauft. Hier besteht also nach wie
vor dringender Handlungsbedarf.
({5})
Die Liste lässt sich leider fortsetzen: Für die Alleinerziehenden haben Sie im Koalitionsvertrag ein Maßnahmenpaket versprochen. Auf dieses Paket warten die Alleinerziehenden leider noch immer, dabei sind gerade sie
besonders von Armut betroffen und besonders auf die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf angewiesen, zum
Beispiel durch die Schaffung von Kitaplätzen. Deshalb
möchte ich auf dieses Thema auch noch einmal zu sprechen kommen.
Die Mittel für den Kitaausbau sind zu ungefähr
90 Prozent vergeben, aber es fehlen nach wie vor
160 000 Plätze. Ich frage Sie, Frau Ministerin: Welche
Länder sind denn noch im Energiesparmodus? Ich habe
schon mehrfach schriftliche Anfragen dazu gestellt, aber
ich bekomme von Ihrem Ministerium keine Antwort
dazu.
Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 580 Millionen
Euro - das ist schon angesprochen worden - waren nicht
der Einsicht geschuldet, dass mehr Mittel des Bundes
gebraucht werden, um die Plätze zu schaffen, sondern es
ging darum, den Ländern den Fiskalpakt und die Zustimmung zum Fiskalpakt schmackhaft zu machen - Kitaplätzchen sozusagen. Das ist aber nicht die Lösung des
Problems, dass wir hier nach wie vor nicht genug Plätze
haben.
Das Zehn-Punkte-Programm, das Sie angesprochen
haben, Frau Ministerin, erinnert mehr an einen Stichpunktzettel. Wo ist denn die konkrete Umsetzung? Wo
sind denn zum Beispiel die Maßnahmen zur Absicherung der Kinderbetreuung durch eine ausreichende Anzahl an qualifiziertem Personal? Im Sommer sind tolle
Vorschläge dazu durch die Reihen gegangen: Man
könnte ja die Schlecker-Verkäuferinnen qualifizieren,
man könnte ja Langzeiterwerbslose weiterbilden.
({6})
Frau Ministerin, Sie sagen hier in diesem Zusammenhang, der Bund habe alles ihm Mögliche getan. Da wird
mir angst und bange.
({7})
Einen letzten Punkt möchte ich noch ganz kurz ansprechen. Es geht um die Kinderarmut. Das Wort kommt
im Koalitionsvertrag einmal vor. Ich kann hier keine
Verbesserung erkennen. Der Kinderzuschlag ist nicht erhöht worden. Das Verfassungsgericht hat zwar festgestellt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, doch
nach wie vor ist der Kinderregelsatz nicht bedarfsgerecht
berechnet worden.
Ich sage hier: Kinder sind auch keine kleinen Erwerbslosen. Sie haben im SGB II und damit im Etat der
Arbeitsministerin nichts zu suchen, sondern in Ihrem
Ministerium müssen Mittel für sie bereitgestellt werden.
Es wäre Ihre Aufgabe, sich für die Rechte der Kinder
einzusetzen, aber Sie nehmen diese Aufgabe nicht an.
({8})
Deshalb kann ich nur zusammenfassen: Auch mit diesem Haushalt wird deutlich: Versprochen - gebrochen.
Es wird Zeit für das Ende der schwarz-gelben Regierungskoalition.
Danke schön.
({9})
Der Kollege Ulrich Schneider hat jetzt das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan 17 - Familie, Senioren,
Frauen und Jugend - ist ein guter Spiegel des rückwärtsgewandten Gesellschaftsbildes der Koalition insgesamt
und insbesondere von Ihnen, Frau Ministerin Schröder.
({0})
Es mangelt an innovativen Projekten für junge Menschen und Familien. Anstatt den Bundesfreiwilligendienst - Sie haben ihn vorhin erwähnt - modern auszurichten, versuchen Sie, den Zivildienst unter anderem
Namen zu bewahren, und Frauen wollen Sie mit
150 Euro Betreuungsgeld in der Tasche an den Herd, in
schlecht bezahlte Jobs und in die Altersarmut schicken.
Gut, dass dies der letzte Einzelplan 17 ist, der von Ihnen,
Frau Schröder, aufgestellt wird.
({1})
Ich will drei Punkte herausgreifen, um dies zu verdeutlichen:
Punkt eins: die Jugendarbeitslosigkeit. Auf nationaler
sowie auf europäischer Ebene gibt es derzeit eine
Gruppe, die besonders von der Politik in den Fokus genommen werden muss. Das sind die jungen Menschen.
Mit der weltweit höchsten Jugendarbeitslosenquote in
südeuropäischen Ländern wie Spanien und Griechenland
laufen wir Gefahr, dass eine ganze Generation in Europa
verloren geht. Das wird dramatische Auswirkungen auf
alle Gesellschaften in Europa haben. Deshalb müssen
wir auch und gerade in Deutschland umsteuern und die
Jugend stärken.
({2})
Der Kinder- und Jugendplan sollte umfassend aufgestockt werden; denn er ermöglicht Jugendverbandsarbeit, internationale Jugendbegegnungen und gibt Hilfestellungen für junge Menschen, die ihren Weg in ein
eigenständiges Leben suchen.
Der zweite Punkt ist die Jugendpartizipation. Junge
Menschen brauchen Möglichkeiten, sich selbst auszuprobieren, unterschiedliche Wege einzuschlagen und
sich selbst zu organisieren. Die Bundesregierung geht
mit ihrem Ansatz der eigenständigen Jugendpolitik nicht
weit genug. Die Umsetzung einer umfassenden Jugendbeteiligung muss endlich, auch vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels, in den Vordergrund gestellt
werden; denn Jugendpolitik ohne Jugendliche zu machen, wie Sie es tun, das ist wie Apfelkuchen ohne Äpfel
zu backen - und ein solcher Kuchen schmeckt uns nicht.
({3})
Dritter Punkt: die Engagementpolitik. Für uns ist nach
wie vor nicht ersichtlich, nach welcher Gesamtstrategie
die Bundesregierung bürgerschaftliches Engagement
fördert. Die einzelnen Programme laufen häufig parallel,
mit ähnlicher oder gleicher Ausrichtung. Es ist unklar,
welche Kriterien der Förderung zugrunde liegen und
welche Zielsetzung mit einem Programm verfolgt wird.
Hier ein Programm, dort ein Projektchen: Eine Verzahnung der Einzelprojekte gibt es kaum.
Das beste Beispiel hierfür sind aus meiner Sicht die
Mehrgenerationenhäuser. Auf der einen Seite fördert die
Bundesregierung das Programm „Mehrgenerationenhäuser II“, unter anderem bei den Schwerpunkten „freiwilliges Engagement“ und „Alter und Pflege“. Auf der anderen Seite gibt es aber keinerlei Konzept, wie dieses
Programm mit den örtlichen Pflegestützpunkten, die
ebenfalls Engagement und Pflege koordinieren, verzahnt
werden kann. Das ist keine Gesamtstrategie. Das ist
kopflos.
({4})
Ein weiteres Beispiel sind die Freiwilligendienste,
insbesondere der Bundesfreiwilligendienst. Der von
Schwarz-Gelb überstürzt eingeführte Bundesfreiwilligendienst kann seine Herkunft aus dem verpflichtenden
Zivildienst nicht verleugnen. Wer vertraut denn hier auf
den Staat, Frau Ministerin, wie Sie es vorhin gesagt haben? Sie jubeln doch den staatlich organisierten Dienst
hoch, dem es an Selbstbestimmung fehlt. Der aktuelle
Haushaltsentwurf zeigt, dass die Möglichkeiten, den
staatlich gesteuerten Bundesfreiwilligendienst endlich in
die Hand freier Träger zu überführen, von der Bundesregierung und von Ihnen, Frau Ministerin, nicht genutzt
werden. Ganz im Gegenteil: Die Weiterfinanzierung der
Bildungszentren und die Überlegungen zu deren Umbau
und Renovierung führen in die völlig falsche Richtung.
Statt die Bildungsgutscheine und die Bildungszentren
endlich abzuschaffen, soll hier weiter investiert werden.
Das ist so, als wenn die Bundeswehr all die Kasernen renovieren und weiterbetreiben würde, die sie im Zusammenhang mit der Aussetzung der Wehrpflicht schließen
will.
({5})
Mit dem Einzelplan 17 tun Sie zu wenig für die Jugend, zu wenig für Frauen, zu wenig für ehrenamtlich
Engagierte und Freiwilligendienstleistende; aber Sie stecken Millionen, 2014 sogar Milliarden in ein ungerechtes und überflüssiges Betreuungsgeld. Zukunftsgewandte Haushaltspolitik sieht anders aus. Das werden
wir mit dem Haushalt 2014 zeigen.
Danke schön.
({6})
Norbert Geis hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, dass die Leistung der Bundesregierung bzw. des Familienministeriums mit der Frau Ministerin an der Spitze für die Unterstützung der Erziehungsleistung der Eltern als exzellent bezeichnet werden
muss. Das gilt zum Beispiel für das Elterngeld. Daran
kann man nicht herumkritteln. Das Elterngeld ist eine
Erfolgsgeschichte. Die Einbeziehung der Väter in die
Leistung des Elterngeldes ist natürlich auch eine Erfolgsgeschichte; rund 20 Prozent der Väter nehmen diese
Leistung in Anspruch. Das muss gesagt werden.
Den Gedanken, auch die Großeltern einzubeziehen,
finde ich exzellent. Wir wissen, dass die Kinder im ersten Jahr, wenn Vater und Mutter nicht aus dem Berufsleben ausscheiden können, sehr oft bei den Großeltern
bleiben. Deswegen ist es richtig und auch gerecht, dass
auch die Großeltern in die Leistungen des Elterngeldes
einbezogen werden können.
({0})
Im zweiten und dritten Lebensjahr der Kinder wird
die Erziehungsleistung der Eltern durch die Kita oder
demnächst auch durch das Betreuungsgeld unterstützt.
Die Philosophie ist ja, dass hier eine Unterstützung der
Eltern erfolgt, entweder in Form einer Sachleistung, also
durch die Kita, oder in Form einer Geldleistung, also
durch das Betreuungsgeld. Die Diskussion über das Betreuungsgeld entbehrt einiger Grundsätze. Wir müssen
doch davon ausgehen, dass es beim Betreuungsgeld um
nichts anderes geht als um eine Unterstützung der Erziehungsleistung der Eltern in Form einer Geldleistung. Die
andere Form der Unterstützung wird durch die Kita geleistet.
Natürlich werden sich die Eltern fragen, warum die
Unterstützung ihrer Erziehungsleistung in Form einer
Geldleistung mit 150 Euro so gering ausfällt. Im Vergleich dazu ist die Unterstützungsleistung durch die
Kita, die wir begrüßen, gewaltig. Hier muss wirklich gesagt werden: Von dem, was die Bundesregierung und die
Koalition in dieser Frage geleistet haben, können sich
die Länder wirklich eine Scheibe abschneiden.
({1})
Wenn die Anzahl der Kitaplätze jetzt immer noch
nicht ausreicht, dann liegt das nicht an der Bundesregierung und nicht an der Koalition, sondern an dem Versagen der Länder. Ich kann mit Stolz sagen, dass die Bayern mir gemeldet haben, dass sie ihr Soll zum 1. August
2013 voll erfüllen werden. Das müsste in anderen Ländern auch endlich einmal der Fall sein.
({2})
Der Vorwurf an die Ministerin und an die Bundesregierung ist in diesem Fall falsch. Wir müssen ihn ganz entschieden zurückweisen.
Die SPD und auch die Grünen halten das Betreuungsgeld für verfassungswidrig. Das kann ich überhaupt
nicht nachvollziehen.
({3})
Sie haben einen völlig falschen Ausgangspunkt. Sie
müssen davon ausgehen, dass hier eine Unterstützung
der Erziehungsleistung in doppelter Form erbracht wird:
zum einen in Form einer Sachleistung und zum anderen
in Form einer Geldleistung.
({4})
Die Eltern können zwischen Sachleistung und Geldleistung wählen. Was soll daran verfassungswidrig sein? Ich
kann das beim besten Willen nicht nachvollziehen. Das
ist einfach ein Hirngespinst. Das müssen wir entschieden
zurückweisen.
({5})
Dies gilt auch für die Überlegung, das Betreuungsgeld sei eine Sonderleistung. Was ist daran eine Sonderleistung? Genauso gut könnte ich sagen, dass die Kita
eine Sonderleistung ist.
({6})
Es handelt sich um eine Leistung des Staates als Unterstützung für die Erziehungsarbeit der Eltern - um nichts
anderes geht es -, und diese Leistung wird in zwei Formen angeboten. Die Eltern können wählen, sie haben
Wahlfreiheit. Was ist daran verfassungswidrig? Man
muss schon weit ausholen, um zu diesem Ergebnis zu
kommen.
({7})
- Ja, ja, das kommt daher, dass Sie es nicht richtig durchdacht haben.
({8})
Lassen Sie mich noch ein Wort zur ungewollten Kinderlosigkeit sagen. Frau Ministerin, man kann über die
Technisierung der Fortpflanzung ethisch unterschiedlicher Meinung sein, aber in diesem Zusammenhang ergibt sich ein weiteres Problem: Wir erbringen zu Recht,
auch angesichts der Geburtenrate, Leistungen bei ungewollter Kinderlosigkeit, aber wir müssen bedenken, dass
es in Deutschland nach wie vor - ich kann Ihnen das
nicht ersparen - 120 000 bis 130 000 Abtreibungen im
Jahr gibt. Das ist ein Widerspruch, dem wir uns stellen
müssen. Wir müssen uns überlegen, wie wir das in Zukunft verbessern können.
Wir haben im Jahr 2011 663 000 Geburten gehabt. Im
Verhältnis dazu haben aber viel zu viele Abtreibungen,
Tötungen von Kindern, stattgefunden. Das geht so nicht!
({9})
- Sie können mir das nicht ausreden.
({10})
Es ist genau so, wie ich es sage. Sie können es nur nicht
ertragen.
({11})
Aber Sie müssen es ertragen. Das ist der Skandal, und
dem müssen wir uns stellen.
({12})
Deswegen, verehrte Damen und Herren, verehrte
Ministerin, müssen wir uns wieder einmal Gedanken darüber machen, ob wir nicht das alte Instrument der Bundesstiftung „Mutter und Kind“, gegründet 1993, wieder
hervorholen. Wir haben diese Stiftung jährlich mit
92 Millionen Euro bestückt, und das seit 20 Jahren. Ich
meine, man müsste sich einmal Gedanken darüber machen, ob man die Mittel für die Bundesstiftung „Mutter
und Kind“ nicht verstärkt. Ich glaube, dass der Bedarf
vorhanden ist, gerade auch angesichts der Abtreibungszahlen.
({13})
Noch ein Wort zu dem Bundesprogramm „Frühe Hilfen“. Ich halte es für sehr wichtig, Signale aufzunehmen:
Wo werden Kinder misshandelt? Wo bestehen Sorgen,
dass Kinder nicht gut heranwachsen oder dass die Gesundheit von Kindern gefährdet ist? Den Einsatz dieser
frühen Hilfen halte ich für sehr wichtig. Dies ist natürlich eine Sache, bei der die Länder mit herangezogen
werden müssen. Wir sind ein föderaler Staat, Herr
Schwanitz. Da teilen sich die Aufgaben zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden auf.
({14})
Bayern hat bereits sehr früh für diese frühen Hilfen gesorgt. Es gibt das Instrument KoKi, das sehr bekannt ist
und sehr viel Hilfe leistet.
({15})
Zum Schluss noch ein Wort zur Jugendpolitik. Dies
ist schon erwähnt worden. Wir sind in einer exzellenten
Situation: Wir haben eine Arbeitslosigkeit von 5 Prozent. In Bayern sind es nur 2,5 Prozent. Wir haben eine
exzellente Situation in den Universitäten. Wir haben
2,2 Millionen Studierende in den Universitäten. Auch
das haben wir nie zuvor gehabt. Aber wir müssen trotzdem darauf achten, dass Jugendliche aus sozial schwächeren Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund nicht abgehängt werden. Wir brauchen angesichts
der Tatsache, dass wir eine so geringe Geburtenquote
haben, alle Jugendlichen. Wir dürfen nicht zulassen, dass
irgendein Jugendlicher, ohne dass wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, außen vor bleibt und dass er keinen vernünftigen Beruf ergreifen kann. Das muss unsere
Aufgabe auch für die Zukunft sein.
Danke schön.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Caren Marks.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das war
mal wieder
({0})
eine legendäre Geis-Vorstellung. Mit Herrn Geis geht es
mit Volldampf zurück in die familienpolitische Vergangenheit. Genau das wollen die Menschen in diesem Land
nicht; das sage ich Ihnen.
({1})
Die Bundeskanzlerin hat in den letzten Monaten einen sogenannten Bürgerdialog durchgeführt mit dem
Ziel, über Deutschlands Zukunft zu diskutieren. Dabei
hat sie sicherlich oft gehört, wo Familien, Frauen, Männern, jungen und älteren Menschen der Schuh drückt
und was sie von der Bundesregierung erwarten. Doch
was dürfen die Menschen denn nun wirklich von dieser
Bundesregierung erwarten? Der Lackmustest dafür, wie
ernst die Kanzlerin und ihr gesamtes Kabinett es mit
dem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch wirklich
meinen, ist auch dieser Bundeshaushalt. Aber eines vorweg: Ein Gestaltungsanspruch ist in dem vorliegenden
Haushaltsentwurf beim besten Willen nicht zu erkennen,
und schon gar nicht im Etat des Bundesfamilienministeriums.
({2})
Ob die Kanzlerin und ihre Ministerin den Bürgerinnen und Bürgern wirklich zugehört haben, darf zu Recht
bezweifelt werden;
({3})
denn sonst wäre das Betreuungsgeld niemals in den
Haushaltsentwurf gelangt. Schließlich lehnen mehr als
zwei Drittel der Menschen das Betreuungsgeld aus wirklich guten Gründen ab.
({4})
In der Zeit von heute richten viele wirklich namhafte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen öffentlichen Appell an die Regierung, auf das unsinnige
Betreuungsgeld zu verzichten. Keiner, wirklich keiner
außer Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von
Schwarz-Gelb, will zurück in die Vergangenheit.
({5})
Es ist absurd, wenn nicht gar grotesk, dass das Betreuungsgeld im nächsten Jahr im Etat des Bundesfamilienministeriums den mit Abstand - ich betone: den mit
Abstand - größten aufwachsenden Posten ausmachen
soll. Nach wie vor ist und bleibt völlig unklar, wie dieses
unsinnige Vorhaben gegenfinanziert werden soll. Sagen
Sie uns doch endlich, Frau Ministerin, welche Leistungen für Familien, welche Leistungen für junge und ältere
Menschen Sie zu kürzen vorhaben, um diese Fernhalteprämie zu bezahlen. Legen Sie die Karten endlich auf
den Tisch! Die Menschen haben es verdient.
({6})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bei so gut
wie allen politischen Vorhaben ist diese Familienministerin als Möchtegerntiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Vollmundigen Ankündigungen sind keine
Taten gefolgt.
({7})
- Da fühlt sich aber einer sehr getroffen.
({8})
Wichtige Gesetzesvorhaben liegen auf Eis. Was ist zum
Beispiel mit der wirklich großspurig angekündigten
eigenständigen Jugendpolitik oder mit der „Allianz für
Jugend“? Im Kinder- und Jugendplan ist nicht erkennbar, dass die Bundesregierung das Thema Jugendpolitik
ernst nimmt. Die Verbände brauchen definitiv mehr
Geld, als eingeplant ist. Ihnen fehlen beispielsweise die
Mittel, die sie brauchen, um die Tariferhöhung für ihre
Beschäftigten nachzuvollziehen. Eine solide finanzielle
Ausstattung sieht definitiv anders aus, Frau Ministerin.
Ab 2013 spitzt sich die Lage weiter dramatisch zu.
Dem Kinder- und Jugendplan drohen herbe Einschnitte.
Die derzeit noch vorhandenen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds brechen in den kommenden Jahren
weg. Wenn die Bundesregierung nicht schnell gegensteuert - das ist allerdings nicht in Sicht -, ist die wichtige Infrastruktur für junge Menschen gefährdet. Deswegen, Frau Schröder, appelliere ich und appelliert die
gesamte SPD-Fraktion an Sie: Der Kinder- und Jugendplan bildet als Förderinstrument das Rückgrat der
Jugendverbandsarbeit in Deutschland. Geben Sie dieser
wirklich wichtigen Arbeit endlich eine Perspektive! Lassen Sie die Jugendverbände, die tagtäglich das gesellschaftliche Engagement von jungen Menschen fördern,
nicht länger im Regen stehen!
({9})
Auch ansonsten gab es nur große Ankündigungen,
zum Beispiel beim Unterhaltsvorschuss und beim Kinderzuschlag; bis heute ist hier aber nichts passiert. Beide
Instrumente unterstützen insbesondere Alleinerziehende
und Geringverdienende mit Kindern. Auch diesen Menschen haben Sie, Frau Ministerin, viel versprochen. Aber
Sie haben kein Versprechen gehalten.
({10})
Nun zur Gleichstellungspolitik.
({11})
Seit Januar 2010 liegt der Ministerin das Sachverständigengutachten vor. Seit 2011 gibt es den Ersten Gleich23158
stellungsbericht des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Was ist mit den vielen
wirklich guten Empfehlungen passiert? Nichts.
({12})
Gleichstellungspolitik findet bei dieser Bundesregierung, findet bei Ihnen, Frau Schröder, nicht statt.
({13})
Diese Bundesregierung lässt die Frauen im Stich.
Beim Thema Entgeltgleichheit wird das besonders deutlich. Keinerlei gesetzliche Initiativen sind in Sicht. Reine
Showveranstaltungen sind geplant, alles nur für die
Optik. So, meine Kolleginnen und Kollegen von
Schwarz-Gelb, wird Lohngleichheit für Frauen und
Männer niemals herzustellen sein; das sage ich Ihnen.
({14})
Wir alle wissen: Eine Schwalbe macht noch keinen
Sommer - und eine Bundeskanzlerin noch keine Gleichstellungspolitik.
({15})
Auch Frau Merkel kämpft nicht für die Gleichstellung
von Frauen und Männern. Sie kämpft lediglich für ihren
persönlichen Machterhalt. So lehnt sie zum Beispiel eine
verbindliche gesetzliche Quote für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen ab.
({16})
Frau Schröder, Sie doktern seit Jahren an einer merkwürdigen Flexi-Quote herum, doch selbst diese findet in den
eigenen Reihen keine ausreichende Unterstützung, erst
recht nicht von der Kanzlerin,
({17})
die sich auch bei diesem Thema wegduckt.
Die SPD hingegen hat Lösungen parat: einen Gesetzentwurf für eine Quotenregelung und einen für die Herstellung von Entgeltgleichheit. Beide sind bereits in der
parlamentarischen Beratung. Meine Kolleginnen und
Kollegen von der Regierungskoalition, Sie müssen nur
zustimmen. Dann kommen wir gleichstellungspolitisch
voran. Wenn wir generell vorankommen wollen, dann
zukünftig bitte ohne Haushaltsentwürfe von SchwarzGelb.
Vielen Dank.
({18})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich
die Haushaltsdebatte zum Einzelplan 17 verfolge, kann
ich schon verstehen, dass sich die Opposition darüber ärgert, was wir tatsächlich schon alles auf den Weg gebracht haben.
({0})
Es ist eine eindrucksvolle Bilanz, die sich in Zeiten
knapper Haushaltsmittel meiner Ansicht nach durchaus
sehen lassen kann. Ich darf kurz noch einmal rekapitulieren: Stichworte sind Kinderschutz und Familienhebammen, Hilfe für ehemalige Heimkinder in West und Ost,
die Leistungen zur Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit. Ganz wichtig nach meinem Dafürhalten
sind die Investitionen in das bundesweite Serviceprogramm „Anschwung für frühe Chancen“ mit
4 000 Schwerpunktkitas, um Sprache und Integration zu
fördern. Das sind Maßnahmen, die ein modernes Familienbild zeichnen und eine Gesellschaft auf den Weg
dahin bringen.
Die Jugendpolitik zum Beispiel haben wir auch im
Zusammenhang mit dem Zivildienst zu betrachten. Das
ist meiner Ansicht nach heute noch gar nicht berücksichtigt worden. Wir haben den Zivildienst umgebaut. Viele
dachten, das sei das Ende des Abendlandes. Tatsächlich
ist es ein Erfolgsmodell.
({1})
Durch den Umbau ist das bürgerschaftliche Engagement in dieser Gesellschaft gestärkt worden. Das gilt
nicht nur für junge Männer, die den Wehrdienst verweigern, sondern eben auch für junge Frauen. Damit ist er
zu einer Initiative für eine lebendige Gesellschaft geworden. Das wird hier gerne verschwiegen. Ich verstehe,
warum; denn es ist ein Erfolgsmodell, das Schwarz-Gelb
hier vorzuzeigen hat.
({2})
Wir gehen aber weiter. Die familienpolitischen Leistungen werden evaluiert. Wir als FDP haben das immer
eingefordert. Jetzt liegt eine erste Akzeptanzanalyse vor.
Dadurch wird uns deutlich, was den Familien wichtig ist,
was sie tatsächlich als Leistungen erkennen und zu
schätzen wissen. Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell.
Gerade auch die Tatsache, dass sich immer mehr Väter
in den ersten Monaten um ihre Kinder kümmern, ist ein
gutes Zeichen für eine moderne Gesellschaft.
Wir fördern damit auch den frühen Wiedereinstieg
von Eltern, insbesondere der Mütter, in den Berufsprozess, und dies aus einem sehr guten Grund. Es geht
darum, aufzuzeigen, dass das Aufziehen von Kindern
nicht bedeutet, dass man aus dem Beruf herausgeht und
damit keine Altersvorsorge aufbauen kann, sondern dass
beides zusammen möglich wird und insbesondere die
Altersversorgung für Frauen eine Selbstverständlichkeit
wird. Das wird beim Thema Elterngeld gerne vergessen.
({3})
Wir haben bei der Akzeptanzanalyse auch feststellen
müssen, dass das Ehegattensplitting nicht so sehr geschätzt wird wie beispielsweise die Mitversicherung der
Kinder in der gesetzlichen Krankenkasse. Die Familien
sehen die Leistungen durchaus unterschiedlich. So kann
man durchaus darüber nachdenken, inwieweit etwa ein
Familiensplitting eine Alternative ist, um Kinder in der
Familie stärker zu fördern.
In diesem Zusammenhang sehe ich auch den Unterhaltsvorschuss. Wir sind hier im Gesetzgebungsverfahren. Wenn Sie von der Opposition die Initiative vermissen, dann bin ich zuversichtlich, dass Sie, wenn Sie in
den Landesregierungen bei der Mitfinanzierung gefordert sind, uns gut zur Seite stehen und uns in dieser Initiative unterstützen werden.
({4})
Ein weiteres integratives Instrument ist das Hilfetelefon zur Hilfe für Frauen, die in einer Gewaltsituation
sind. Es ist ein Instrument gerade für Frauen, die aus
verschiedensten Gründen in der deutschen Sprache nicht
sicher sind. Sie werden an diesem Telefon auch in ihrer
Muttersprache Hilfe finden. Das ist ein anspruchsvolles
Projekt, das umgesetzt wird.
Abschließend komme ich zum Thema Frauen in Führungspositionen. Was die Gleichstellung in den Ministerien angeht, habe ich etwas festgestellt, von dem RotGrün nur träumen konnte: Wir haben mittlerweile in drei
Ministerien - im Bundesjustizministerium, im Bundeswirtschaftsministerium und im Auswärtigen Amt - beamtete Staatssekretärinnen. Das trägt eine liberale Handschrift.
({5})
Die FDP hat mit dem Thema Frauen in Führungspositionen ernst gemacht. Das ist nach meinem Dafürhalten
ein gutes Zeichen.
({6})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat nun der
Kollege Andreas Mattfeldt von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit einem Blick auf die Opposition kann ich nur
sagen: „Es ist leicht, ein Werk zu kritisieren. Aber es ist
schwer, es zu würdigen.“ Das ist ein Zitat eines französischen Philosophen, das genau Ihre Haltung trifft, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Denn der
Haushaltsentwurf und die vorliegenden Fakten sprechen
eine andere Sprache, als Sie es uns und den Bürgern
heute vorgaukeln wollen.
({0})
Die Bilanz, die die Ministerin heute vorgelegt hat, ist
vorbildlich und kann gewürdigt werden.
({1})
Das Familienministerium mit Frau Dr. Schröder an
der Spitze hat einen guten und ausgewogenen Entwurf
vorgelegt, der eben nicht nur Randgruppen - manchmal
habe ich den Eindruck, Sie kümmern sich nur um Randgruppen, während wir die gesamte Menschheit in
Deutschland berücksichtigen wollen -,
({2})
sondern alle Menschen in den Mittelpunkt des politischen Handelns stellt.
({3})
Dabei hat man sich - das begrüße ich als Haushälter
sehr - im Ministerium bei jeder Haushaltsstelle vor allem gegenüber der jüngeren Generation verantwortungsbewusst gezeigt und die im Grundgesetz verankerte
Schuldenbremse im Blick gehabt. Denn naturgemäß gibt
es gerade im Haushalt des Familienministeriums zahlreiche zusätzliche Wünsche von der Opposition, aber auch
von der Regierungskoalition, die man auch als Haushälter nur allzu gerne erfüllen möchte. Doch wenn wir alle
ehrlich zu uns selbst sind, so wissen wir doch nur allzu
gut, dass wir uns zukünftig nicht mehr alles, was uns
wünschenswert und sinnvoll erscheint, werden leisten
können.
({4})
Gerade die Verschuldungskrise in zahlreichen EuroMitgliedstaaten zeigt uns, dass es verantwortungsbewusster ist, einmal mehr Ausgabenwünsche abzulehnen,
als neue Projekte einzuführen, die man nicht dauerhaft
finanzieren kann.
({5})
- Dazu kommen wir gleich. - Doch kommen wir zu den
Fakten. Während Sie als Opposition uns vorwerfen, es
würde zu stark gekürzt, und die Mittel würden falsch
eingesetzt, sieht die Wirklichkeit anders aus.
({6})
Denn de facto wurde seit der Amtsübernahme von Frau
Ministerin Schröder der Etat gerade für familienpolitische Leistungen angehoben.
Während der erste Haushalt von Ministerin Schröder
vor drei Jahren noch eine Höhe von 6,543 Milliarden
Euro aufwies, reden wir in diesem Jahr von einem Ansatz in Höhe von 7,127 Milliarden Euro. Das entspricht
einer Aufstockung um über eine halbe Milliarde Euro.
Vor diesem Hintergrund kann uns wohl kaum der Vorwurf gemacht werden, wir würden nicht genügend Mittel für Familien, Frauen, Senioren und Jugend bereitstellen.
({7})
Der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik
liegt darin, dass wir bewusst die einzelne Familie in einer häufig finanziell nicht ganz einfachen Zeit, nämlich
der Familiengründung, direkt wirtschaftlich stärken. Sie
hingegen machen sich immer dort stark, wo große Verbände oder Sozialinstitute Forderungen nach Mehrausgaben oder neuen Ausgaben stellen, die nur allzu häufig
in unzähligen Personaleinstellungen der Hilfeindustrie
enden, von denen die große Mehrheit der Menschen in
unserem Land keinen Vorteil hat.
({8})
Auch wenn ich als Haushaltspolitiker nicht unbedingt
- das ist bekannt - ein Verfechter des Betreuungsgeldes
bin, so kann ich Ihre Argumente und vor allen Dingen
Ihre Tonalität gegen die Einführung des Betreuungsgeldes nicht nachvollziehen.
({9})
Gerade Sie als Opposition wollen doch immer - Ihre
Haushaltsanträge des vergangenen Jahres haben das nur
allzu sehr verdeutlich - mehr und zusätzliche kostspielige Sozialleistungen einführen als nur ein Betreuungsgeld.
Apropos Sozialleistungen: Gerade Sie verstehen sich
häufig als verlängerter Arm der Sozialverbände. Vielleicht sollten Sie sich einmal vor Augen führen, dass die
Sozialindustrie in Deutschland - diese Zahl sollten wir
uns auf der Zunge zergehen lassen - ungefähr 115 Milliarden Euro im Jahr, nahezu ausnahmslos steuerfinanziert, umsetzt. Für diese Tatsache trägt ein Großteil Ihrer
Fraktionen, meine Damen und Herren auf den Oppositionsbänken, die Verantwortung. Gerade weil ich Angst
habe, Frau Marks, dass wir bei diesen Summen irgendwann für die wirklich Bedürftigen keine finanziellen
Spielräume mehr haben, spreche ich dieses Thema an.
Angesichts dieser Dimension sind die Kosten für das Betreuungsgeld doch sehr überschaubar.
({10})
Ich bin enttäuscht, wie Sie diejenigen Eltern geradezu
diffamieren und beschimpfen, die ihre unter dreijährigen
Kinder zu Hause betreuen wollen und nicht in eine
Krippe geben. Mit Ihrer Kampfansage und Ihrer Kampagne gegen das Betreuungsgeld verunglimpfen Sie Eltern,
indem Sie von Herdprämie sprechen und das frauenfeindliche Bild vom Heimchen am Herd bemühen. Bei
nahezu allen anderen Gegebenheiten wittern Sie überall
Diskriminierung. Nein, wie Sie Eltern darstellen, die
eine andere Auffassung als Sie vertreten, ist Diskriminierung pur.
({11})
Zu Recht hat Familienministerin Schröder die Gelder
zur Umsetzung der Qualifizierungsoffensive von
102 Millionen auf 122 Millionen Euro angehoben. Die
mit diesen Geldern finanzierte Sprachförderung für unsere Kleinsten hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen.
Die Erfahrungen in den geförderten Kindergärten sind
durch die Bank positiv.
Vor uns liegen nun die parlamentarischen Beratungen
über den Haushalt 2013. Dabei werde ich mich zusammen mit den Koalitionsfraktionen dafür einsetzen, dass
die Mittel für das Deutsch-Französische Jugendwerk im
Haushalt 2013 erhöht werden. Wir feiern im kommenden Jahr 50 Jahre Ratifizierung des Élysée-Vertrags, und
wir sollten uns bewusst sein, dass seit der Gründung
1963 die Mittel für das Jugendwerk nicht erhöht wurden.
Als Kind eines Franzosen sage ich, dass gerade die
deutsch-französische Freundschaft der Erfolgsfaktor für
ein starkes Europa ist. Deshalb werde ich mich dafür
starkmachen, dass nicht nur wir, sondern auch die Franzosen den Beitrag für das Jugendwerk um jeweils 1 Million Euro anheben.
Ich freue mich auf die anstehenden Haushaltsberatungen und auf kontroverse Diskussionen. Ich kann Sie als
Opposition genauso wie in den vergangenen Jahren nur
dazu auffordern, konstruktiv am Haushalt mitzuarbeiten.
Wir sind gerne dazu bereit.
Danke.
({12})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-FDP-Koalition weist nach drei Jahren eine überzeugende rechtspolitische Bilanz auf. Die
Behauptung, in der Rechtspolitik sei die Koalition in allen Punkten zerstritten, kann klar mit Fakten widerlegt
werden.
({0})
Drei Viertel des Koalitionsvertrags betreffend die
Rechtspolitik sind bereits nach drei Jahren umgesetzt.
Wir liegen damit voll im Zeitplan.
({1})
Das Bundesministerium der Justiz hat mit dem im
Vergleich zu allen anderen Ressorts kleinsten Haushalt
- dankenswerterweise gibt es einen Aufwuchs - eine
gute Bilanz bei einer Vielzahl sensibler und rechtspolitisch wichtiger Vorhaben vorzuweisen.
Wir haben nicht nur Korrekturen der Gesetzgebung
früherer Regierungen auf den Weg gebracht, sondern
auch neue Akzente gesetzt. Elf Jahre nach 9/11 hat es
kein Weiter-so bei der Sicherheitsgesetzgebung gegeben.
Nicht Verschärfungen waren unsere Messlatte; im Gegenteil - das TBEG zeigt es -: Wir haben konstruktiv
gemeinsam für mehr rechtsstaatlich notwendige Korrekturen und das Auslaufenlassen von Maßnahmen, die
nicht mehr gebraucht werden, gerungen und haben nicht
pauschal Maßnahmen verlängert oder ein Strafmaß angehoben.
({2})
Den Rechtsstaat und die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger haben wir gestärkt. Wir haben den
§ 160 a Strafprozessordnung wieder korrigiert und auf
ein richtiges Maß gebracht, um das Mandantengeheimnis angemessen zu schützen. Wir haben die Kronzeugenregelung der Vorgängerregierung auf ein rechtsstaatlich
vertretbares Maß reduziert, und wir haben die Pressefreiheit gestärkt und das Einfallstor für strafrechtliche Ermittlungen gegen Journalisten wegen des Vorwurfs der
Beihilfe zu Straftaten geschlossen.
({3})
Wir haben den Rechtsschutz für die Bürgerinnen und
Bürger gemeinsam ausgebaut. Zehn Jahre lang ist versucht worden, gegen überlange Gerichtsverfahren vorzugehen. Uns ist es gemeinsam gelungen, die Rechte der
Bürger zu stärken, und zwar auf richtige Art und Weise,
genauso wie es uns gelungen ist, überschäumende Tendenzen der Reformen unter Rot-Grün im Verfahrensrecht
mit der Änderung im Berufungsrecht zurückzunehmen.
Mit der Mediation - das war eine intensive Beratung mit
unterschiedlichen Interessen - sind letztendlich die Möglichkeiten der Streitbeilegung hervorragend und erfolgreich ergänzt worden.
({4})
Natürlich haben wir nach dem Koalitionsvertrag - das
gehört zu dieser Bilanz - auch im Strafrecht Veränderungen vorgenommen. Wir haben den § 113 StGB vorsichtig geändert
({5})
und auch im Jugendgerichtsgesetz Änderungen vorgenommen. Das haben wir gemeinsam getan. Es gibt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, wie es in einer
Koalition mit drei Partnern selbstverständlich ist. Wir
haben ein Ergebnis vorzuweisen, in dem sich alle wiederfinden können. Wir haben die klare Marschroute,
dass der Rechtsstaat und die Grund- und Freiheitsrechte
uns bei dem, was wir gemeinsam machen, prägen.
({6})
Natürlich ist für uns der Opferschutz ganz entscheidend. Um ihn zu verbessern, haben wir ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Die Beratungen dazu sind
weit fortgeschritten. Ich sage an dieser Stelle: Ich hoffe,
dass wir uns über die Frage der Hemmung der Verjährungsfristen zügig verständigen können; denn es ist ein
wichtiges gemeinsames Projekt als Ergebnis des runden
Tisches, der sich mit dem Missbrauch in Institutionen
kirchlicher und anderer Träger befasst hat. Es gab gute
Ergebnisse.
Ich hoffe, dass noch in diesem Jahr die Länder die
ausgestreckte Hand des Bundes bei der Einführung des
Hilfesystems ergreifen; denn wir als Bund sind bereit,
50 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Dieses Angebot hat der Finanzminister gemacht. Die Einführung
muss aber gemeinsam durch Bund und Länder erfolgen.
Ich hoffe, dass wir am Ende der intensiven Gespräche
mit den Ländern die Ergebnisse des runden Tisches umsetzen können.
Das Bundesministerium der Justiz hat unbürokratisch
und schnell reagiert, als es um Hilfen für die Opfer und
die Angehörigen der NSU-Mordserie ging. Wir haben
unseren Härtefallfonds - der Ansatz beträgt 1 Million
Euro - im Rahmen der dafür geltenden Richtlinien verwandt. Wir unterstützen als einziges Ressort sehr tatkräftig auch die Beauftragte Frau John, die eine unheimlich
engagierte Arbeit leistet. Bis heute sind über 600 000 Euro
abgeflossen. Bis zum Jahresende werden wir die 1 Million
Euro für die Opfer dieser Mordserie und der Anschläge
ausgegeben haben. Genau dafür haben wir diesen Härtefallfonds.
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei denjenigen, die
auch in den letzten Jahren immer dafür eingetreten sind,
dass der Härtefallfonds für Opfer extremistischer Taten
in dieser Höhe ausgestattet wurde. Wir alle hoffen, dass
wir im nächsten Jahr nicht in diesem Umfang Gelder
brauchen werden.
Natürlich beschäftigen uns intensiv die digitale Entwicklung, ein veränderter Umgang mit Daten, neue Geschäftsmodelle und auch ein anderes Verhalten, was kriminelle Machenschaften angeht. Es sei in Erinnerung
gerufen, dass wir die in der letzten Legislaturperiode getroffenen gesetzlichen Sperrregelungen - das hat man
uns zu Beginn dieser Legislaturperiode nicht zugetraut gemeinsam aufgehoben haben. Wir haben im Sinne der
Verbraucher Kostenfallen im Internet durch die Einführung der sogenannten Buttonlösung erfolgreich bekämpft.
Meine Damen und Herren, eines ist doch klar: dass
das Urheberrecht angesichts der digitalen Entwicklung
und der unterschiedlichen Möglichkeiten der Nutzung
neu justiert werden muss. Dass man das nicht mit einem
Federstrich erreichen kann, ist angesichts dieser Herausforderung selbstverständlich. Wir haben im Kabinett,
wie im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart, die
Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage beschlossen. Wir können das demnächst hier im
Parlament beraten. Wir werden, gerade was die verwaisten Werke angeht, aber auch im Hinblick auf einen längeren Schutz für audiovisuelle Werke, demnächst Gesetzentwürfe vorlegen.
Lassen Sie mich einen Blick auf den Bereich des
BGB werfen. Das, was wir in der Rechtspolitik machen,
berührt alle Bürgerinnen und Bürger in ihren Lebensbereichen. Wir haben mit Blick auf Anreize zu Sanierungen zwecks Förderung des Umweltschutzes ein Mietrechtsänderungsgesetz vorgelegt. Wir haben auch in der
schwierigen Frage, wie das Sorgerecht für nichtverheiratete Eltern ausgerichtet werden muss, einen Kabinettsbeschluss über einen Gesetzentwurf gefasst, durch den die
Rechte der Väter gestärkt werden und mit dem sehr wohl
auch die Anliegen der Mütter in den Blick genommen
werden. Nach bisherigen Reaktionen ist ein ganz guter
Kompromiss gelungen. Natürlich werden wir, auch mit
Experten, intensiv darüber beraten.
({7})
Das alles kommt aus einem Ministerium, das, wie gesagt, im Vergleich zu den Etats der anderen Ministerien
den kleinsten Haushalt hat. Ich glaube, das zeigt, mit
welchem Ehrgeiz, mit welcher Ergebnisorientierung,
wie effektiv in dieser Koalition gearbeitet wird. An alle
Beteiligten richte ich schon heute meinen Dank für die
Unterstützung, für den bisher geleisteten Beitrag zur
Umsetzung des Koalitionsvertrages. Ich freue mich auf
die Beratungen über den Haushalt im Einzelnen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Lambrecht
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war schon
starker Tobak, Frau Ministerin,
({0})
sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir sind uns in der
Rechtspolitik so einig, wir arbeiten so toll zusammen. Ich muss sagen: Respekt vor so einer Vorstellung. Ihre
Wirkung hat nur nicht lange gehalten. Sie hätten nur einmal beobachten müssen, wie die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion bei dem einen oder anderen Thema nicht nur betreten nach unten geschaut und
jeglichen Applaus verweigert, sondern sogar den Kopf
geschüttelt haben.
({1})
Also, ganz so weit kann es mit der Harmonie bei Ihnen
nicht bestellt sein.
Noch beeindruckender fand ich Ihre Aufzählungen
von Erfolgen und Leistungen. Ich möchte einmal ein
paar Themen ansprechen, zu denen ich eben nicht so viel
gehört habe. Es würde mich schon einmal interessieren,
wie es da weitergeht. Frau Ministerin, Sie haben insbesondere zu Zeiten, als Sie in der Opposition waren, immer lauthals erklärt, wie sehr Sie sich für die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe
einsetzen wollen, dass es da vorangehen muss. Dazu
habe ich heute kein Wort gehört. Ich kann mir vorstellen,
dass Ihnen dieses Thema ziemlich peinlich ist. Es wird
nämlich Woche für Woche geklagt, und vom Bundesverfassungsgericht bekommen die Kläger recht - Woche für
Woche. Sie ersparen es den Betroffenen nicht, jedes Mal
den Weg zum Verfassungsgericht gehen zu müssen.
({2})
Ich kann nur sagen: Lassen Sie den Worten aus Oppositionszeiten endlich Taten folgen. Lassen Sie diese
Gleichstellung endlich Wirklichkeit werden. Unsere Unterstützung in dieser Frage hätten Sie. Aber ich weiß,
dass es mit der Harmonie innerhalb der Koalition in dieser Frage nicht so weit her ist.
({3})
Gegen die Hardliner konnten Sie sich bisher nicht durchsetzen.
Ich will ein Thema ansprechen, das Sie nur kurz gestreift haben: Das ist die Neuregelung des Sorgerechts
bei nichtverheirateten Eltern. Das Urteil liegt seit fast
zwei Jahren vor, in dem uns das Verfassungsgericht aufgibt, das Sorgerecht neu zu regeln. Ich sage Ihnen ganz
klar: Dieser Entwurf, den Sie eben so gelobt haben, ist
absolut untauglich, und ich will Ihnen auch sagen,
wieso: Das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Eltern wird
weiter betrieben. Sie schlagen vor, dass der Vater, wenn
er das Sorgerecht will, einen Antrag stellen muss. Wenn
die Mutter dies nicht will, muss sie widersprechen. Antrag und Widerspruch werden also in dem Gesetz geregelt. Der Mutter wird auch noch aufgegeben, innerhalb
von sechs Wochen zu widersprechen. Wenn sie das nicht
rechtzeitig oder nicht begründet genug macht - das ist
das Unglaubliche an diesem Entwurf -, dann kann das
Familiengericht nach Aktenlage, ohne Vater und Mutter
einmal gesehen zu haben, über das Sorgerecht entscheiden. Wie kann man auf so eine Idee und auf so einen
Vorschlag kommen, eine Entscheidung über das Sorgerecht nach Aktenlage treffen zu lassen?
({4})
Alle Experten sagen Ihnen das. Deswegen: Treten Sie
diesen Entwurf in die Tonne! So etwas kann man nicht
machen. Sie haben von dem Recht der Väter geredet,
und Sie haben vom Recht der Mütter geredet. Aber das
widerspricht dem Recht der Kinder. Das geht am Kindeswohl absolut vorbei.
({5})
Lassen Sie uns über unseren Vorschlag reden. Der ist
nämlich ausgewogen. Er besagt: Wenn Vater und Mutter
sich trotz Beratung durch das Jugendamt und trotz Unterstützung nicht einigen können, erfolgt automatisch ein
Antrag auf Entscheidung an das Familiengericht. Das
wäre der richtige Weg, aber ganz bestimmt nicht eine
Entscheidung nach Aktenlage.
Sie haben den sexuellen Missbrauch von Kindern und
einen Entwurf, der angeblich die Verjährungsvorschriften regeln soll, angesprochen, aber Sie haben kein Wort
darüber verloren, dass Sie keine Vorschläge dafür haben,
wie im Bereich des Strafrechts an die Verjährungsvorschriften heranzugehen ist. Wenn der runde Tisch ein
deutliches Ergebnis hatte, dann war es das, dass die Opfer die Verjährungsfristen im strafrechtlichen Bereich
- zu Recht - für viel zu kurz halten.
Diese Menschen haben ein Trauma erlitten, sie haben
Unglaubliches durchgemacht. Sie können nicht innerhalb kurzer Fristen zum Gericht gehen und ihre Peiniger
anzeigen. Deswegen müssen wir ihnen mehr Zeit geben.
Deswegen muss da mehr Spielraum sein. Und deswegen
kann ich Sie nur auffordern, endlich diesen Widerstand
aufzugeben und mit uns - von uns liegt ein Vorschlag
auf dem Tisch - über die Verlängerung der Verjährungsfristen zu reden. Es wird Zeit; die Opfer haben das verdient.
({6})
Ich möchte noch ein Thema ansprechen, zu dem ich
von Ihnen als Ministerin nichts gehört habe - auch von
der Möchtegern-Datenschutzpartei war dazu nicht so arg
viel zu hören -: das Melderecht. Hier hatten Sie einen
Vorschlag nicht nur unterstützt, sondern sogar mitbetrieben, bei dem die datenschutzfreundliche Einwilligungslösung bei der Weitergabe von Daten mal schnell durch
eine inakzeptable Widerspruchslösung ausgetauscht
wurde. Das ist völlig inakzeptabel, und es ist zulasten
der Bürgerinnen und Bürger.
({7})
Kurz nachdem das Ganze bekannt wurde, ließ uns die
Kanzlerin über ihren Sprecher Seibert erklären, man
hoffe, dass an diesem Gesetzentwurf noch etwas geändert werde. Da hatte es die zweite und die dritte Lesung
schon gegeben, und die Kanzlerin hofft, dass noch etwas
geändert wird. Ich frage: Wo? Im Bundesrat? Im Vermittlungsausschuss?
({8})
Ich kann Ihnen garantieren, dass wir kommen. Hier können Sie sich auf die SPD verlassen. Das wird auf jeden
Fall geändert.
({9})
Das, was Sie verbockt haben, werden wir im Bundesrat
in jedem Fall korrigieren.
Ein Thema möchte ich auf jeden Fall noch ansprechen, und das ist das Thema Transparenz. Kein Wort
zum Thema Korruptionsbekämpfung, kein Wort zum
Thema Lobbyistenregister, und damit meine ich nicht
eine Liste von all den Unternehmen, die Sie von der FDP
unterstützen. Wir haben ja in diesem Zusammenhang
über einen Glücksspielautomaten-Hersteller in den letzten Tagen wieder etwas erfahren.
Es geht darum, durch mehr Transparenz Akzeptanz
für politische Entscheidungen zu bekommen. Es ist ein
untragbarer Zustand, dass wir es in Deutschland seit Jahren nicht hinbekommen, ein Gesetz zur Bekämpfung
von Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit vorzulegen. Das ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten.
({10})
Im Sommer haben Ihre Fraktionsvorsitzenden von der
gesammelten deutschen Wirtschaft wieder ein Schreiben
bekommen, in dem Sie aufgefordert wurden, endlich etwas zu machen. Ich kann Ihnen nur sagen: Lassen Sie
uns endlich über den Vorschlag reden, den wir gemacht
haben. Aber dann bitte sachlich und nicht so, wie vom
Vorsitzenden des Rechtsausschusses beim Empfang des
DAV geschehen. Da hat Herr Kauder nämlich erklärt:
Wenn der Gesetzentwurf, den die SPD vorgelegt hat,
Wirklichkeit werden würde, dann dürfte er in Zukunft
bei solchen Empfängen nicht mehr ein Glas, zwei, drei
oder zehn Gläser Sekt trinken, ohne sich strafbar zu machen.
({11})
Ich kann Ihnen sagen: Von zehn Gläsern Sekt würde ich
bei einem solchen Empfang sowieso abraten.
({12})
Aber ich würde vor allen Dingen zur Sachlichkeit raten.
Es geht nämlich nicht um das Gläschen Sekt, sondern es
geht bewusst um Bestechung und Bestechlichkeit. Die
haben nichts mit dem freien Mandat zu tun. Vielmehr
müssen wir dagegen etwas tun, damit wir zeigen: So etwas darf auch in unseren Reihen nicht straffrei sein.
({13})
- Nein, ist es nicht. Bestechung bzw. Bestechlichkeit
von Abgeordneten sind nicht strafbewehrt. Das wissen
Sie so gut wie ich; darüber brauchen wir jetzt auch gar
keinen Disput zu führen.
Wozu wir allerdings die Ministerin in diesem Sommer
gehört haben, war nicht zu den relevanten Themen, und
das war auch heute so. Einen Vorschlag haben Sie uns
allerdings heute verschwiegen, nämlich zu der Frage:
Wie geht es mit dem Ankauf von Daten über Steuerhinterzieher weiter? Da haben Sie sich im Sommer zu Wort
gemeldet, heute hier nicht. Ihr Beitrag bestand nicht
etwa darin, dass Sie es als Justizministerin begrüßt hätten, dass Kriminelle, nämlich Steuerhinterzieher, verfolgt werden. Nein, Sie wollen diejenigen, die darüber
aufklären wollen, in Zukunft bestrafen.
({14})
Das ist Ihr Vorschlag. Zu solchen Themen melden Sie
sich zu Wort. Aber als es ums Meldegesetz oder auch
ums Wahlrecht ging: Wo war da das Wort der Ministerin
zu hören? Auch als es um ein verfassungswidriges Wahlrecht ging, das hier durchgeboxt wurde, war von ihr
nichts zu hören.
Deswegen: Anstatt Harmonie und wechselseitige Unterstützung kann man nur eines attestieren: Chaos und
jeder gegen jeden.
({15})
Wir können nur eines, nämlich den Menschen die Zuversicht geben: Es hat bald ein Ende.
Vielen Dank.
({16})
Für die CDU/CSU spricht jetzt Herr Kollege
Dr. Günter Krings.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Haushaltsdebatten zeichnen sich eigentlich dadurch aus, jedenfalls im Bereich der Rechtspolitik, dass
man sachlich über die Themen spricht. Ich will das auch
gern tun, auch wenn es mir nach dem Beitrag meiner
Vorrednerin etwas schwerer fällt.
Ich will gleich einen Punkt, weil Sie darauf mehrfach
hingewiesen haben, aufgreifen. Natürlich gibt es auch in
einer Koalition Streit in der Sache, gerade bei diesen so
wichtigen und manchmal auch schwierigen Themen der
Rechtspolitik, der Justierung zwischen Freiheit und Sicherheit. Ich finde es richtig und notwendig, dass dieser
Streit geführt wird, wenn er denn in der Sache geführt
wird.
Ich will Ihnen sagen, was im Bereich der Rechtspolitik für mich nach den Erfahrungen der letzten beiden
Koalitionen der entscheidende Unterschied zwischen
SPD und FDP ist. Als die Große Koalition 2005 begründet wurde, gab es von der Fraktionsspitze der SPD - das
war sicherlich keiner der hier Anwesenden - den dringenden Wunsch, den Rechtsausschuss deutlich zu verkleinern; denn man hätte in der SPD nicht ausreichend
viele Juristen, die dort mitarbeiten wollten. Das ist eben
das Problem: Wir müssen ernsthafte Diskussionen in der
Sache führen. Wir jedenfalls sind bereit, die Themen
aufzugreifen, und es sind auch genügend Kolleginnen
und Kollegen in beiden Koalitionsfraktionen engagiert
bei der Sache. Das macht diese Koalition aus. Ein entsprechendes Ansinnen gab es von der FDP zu Beginn
dieser Wahlperiode nicht, meine Damen und Herren.
({0})
Ich würde jetzt gern eine grundsätzliche Bemerkung
an den Anfang stellen. Der moderne Staat kennt zwei
Handlungsformen: das Recht und das Geld. In einer
Haushaltsdebatte geht es natürlich vornehmlich ums
Geld. Die Frau Ministerin hat schon darauf hingewiesen:
Da liegen wir in der Justiz sehr günstig; nicht nur, dass
der Justizetat nur rund 0,2 Prozent des gesamten Bundeshaushalts ausmacht, er erzielt auch eine Deckungsquote von über 80 Prozent. Das heißt, der einzelne Bundesbürger zahlt etwas mehr als 1 Euro für die Justiz auf
Bundesebene.
Für die Rechtspolitik aber steht natürlich das Handlungsinstrument des Gesetzes im Vordergrund. Insofern
will ich gleich einige Bemerkungen zur Leistungsbilanz
der Rechtspolitik bei der Gesetzgebung machen, zunächst aber die Gelegenheit nutzen, zumindest in diesem
Teil der Haushaltsdebatte klarzustellen, dass nicht alle
Aufgaben des Staates mit Geld zu lösen sind.
({1})
Gerade angesichts der Finanz- und Schuldenkrise, in der
wir uns befinden, ist es aus meiner Sicht entscheidend,
nicht einseitig auf die Macht des Geldes zu setzen; vielmehr muss der Staat in vielen Bereichen zum Gestaltungsmittel des Rechts zurückfinden.
Das Primat des Rechts, meine Damen und Herren, gilt
natürlich für die nationale wie für die europäische
Ebene. Allerdings kann es keine wechselseitige Kompensation von Rechtsstaatlichkeit zwischen den beiden
Ebenen geben. Ich will es etwas konkreter sagen: Wenn
uns die Auslegung europäischen Rechts in manchen EUInstitutionen, auch in Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, mitunter als übertrieben nachlässig erscheint,
wäre es kein Lösungsmittel, dies dadurch zu kompensieren, dass wir umgekehrt unser nationales Verfassungsrecht übertrieben streng auslegten. Auch aus diesem
Grunde freue ich mich über die gestrige Entscheidung
des Verfassungsgerichts, das genau dieser Versuchung
widerstanden hat, der Versuchung, das deutsche Verfassungsrecht zu überziehen und übertrieben streng auszulegen, um dadurch vielleicht Dinge zu kompensieren, die
einem in der Auslegung europäischen Rechts nicht
gefallen.
Gerade angesichts der Finanz- und Schuldenkrise
bleibt natürlich einiges zu tun. Auf europäischer Ebene
brauchen wir einen verbindlichen wie durchsetzungsstarken Rechtsrahmen. Aber wir haben auf nationaler
Ebene in dieser Wahlperiode bereits einiges erreicht. Das
gilt auch für die Rechtspolitik. So haben wir im Justizbereich - es ist schon einige Monate her - das Restrukturierungsgesetz eingebracht und es hier verabschiedet.
Mit diesem Gesetz wird es künftig möglich sein, die
Schieflage einer systemrelevanten Bank zu bewältigen,
ohne dabei die Stabilität des ganzen Finanzsystems zu
gefährden. Dadurch wird sichergestellt, dass Eigen- und
Fremdkapitalgeber die Kosten einer Insolvenzbewältigung so weit wie möglich selbst tragen und eben nicht
die Allgemeinheit. Ich halte das für eines der wichtigsten
Gesetze dieser Wahlperiode aus der Rechtspolitik, das
gerade bei der Bekämpfung der Ursachen der Finanzmarktkrise eine wichtige Rolle spielen kann.
({2})
Ich will es im Übrigen der Opposition nicht übelnehmen, wenn sie sich nicht daran versucht, die Erfolge der
Rechtspolitik darzustellen; das ist unsere Aufgabe, das
übernehme ich gerne. Angesichts eines Anteils des Justizhaushalts am Bundeshaushalt von nur 0,2 Prozent darf
man schon einmal darauf hinweisen, dass fast 10 Prozent
der Gesetze, die eingebracht worden sind, aus dem Justizbereich kommen, Frau Ministerin; der Anteil an den
verabschiedeten, im Bundesgesetzblatt verkündeten
Gesetzen liegt in dieser Wahlperiode sogar bei deutlich
über 10 Prozent.
({3})
Ich will darauf hinweisen, dass wir im Strafrecht einige notwendige Anpassungen vorgenommen haben, um
unsere Mitbürger wirksam vor neuen Gefahren zu schützen und Täter abzuschrecken. Zum einen erwähne ich
§ 113 Strafgesetzbuch: die besondere strafrechtliche
Ächtung von Angriffen auf Polizisten und Vollstreckungsbeamte. Das sind die Personen, meine Damen
und Herren, die für unsere Freiheit, unsere Gesundheit,
unseren Rechtsstaat tagtäglich ihren Kopf hinhalten. Sie
haben auch deshalb einen besonderen strafrechtlichen
Schutz, einen starken strafrechtlichen Schutz verdient.
({4})
Leider hat dieses wichtige Anliegen gerade am vergangenen Wochenende noch einmal traurige Aktualität
erlangt: bei den Vorfällen in Mannheim, wo es am Rande
eines Kurdenfestivals zu Ausschreitungen gekommen
ist, bei denen 80 Polizisten mit Eisenstangen, Ziegelsteinen und Wurfgeschossen teilweise schwer verletzt
wurden.
({5})
Wenn der SPD-Innenminister von Baden-Württemberg
jetzt weitere gesetzliche Konsequenzen fordert, kann ich
das verstehen. Dann wäre es aber sinnvoll, wenn dieser
SPD-Innenminister erst einmal mit der SPD-Bundestagsfraktion Rücksprache nähme und ihr erklärte, wie
sich die Situation von Polizisten in Gefahrenlagen
gestaltet. Da reicht das Strafrecht allein nicht; aber es ist
ein wichtiger Baustein, um den Polizisten ein klares Signal zu geben, dass der Staat, der sie in solche Einsätze
schickt, hinter ihnen steht.
({6})
Wir haben im Jugendstrafrecht den Warnschussarrest
eingeführt und damit ein wichtiges Instrument in den
Instrumentenkasten von Jugendrichtern gelegt. Das wird
nicht in jedem Falle das richtige Instrument sein, ist aber
eine wichtige Ergänzung dieses Instrumentenkastens;
denn wir brauchen dort ein flexibles, kreativ ausgestaltetes Sanktionssystem.
({7})
Statt mit folgenloser Empörung darauf zu reagieren,
wenn jugendliche Gewalttäter loslegen, haben wir konkret gehandelt. Wir haben damit ein Instrument geschaffen, das jedenfalls im Einzelfall kriminelle Karrieren
früher und wirksamer stoppen kann.
({8})
Die Zahlen beweisen die Notwendigkeit, weiter an
diesem Thema dranzubleiben. Wir konnten zwar in den
letzten Jahren erfreulicherweise einen gewissen Rückgang der gewalttätigen Jugendkriminalität verzeichnen,
mussten aber zwischen 1993 und 2008 eine Verdopplung
der Taten feststellen. Monat für Monat werden in
Deutschland 2 700 Menschen Opfer von jugendlicher
Gewaltkriminalität. Wir müssen dieses Thema weiterhin
ernst nehmen.
({9})
Am 29. August hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zum Verbot der gewerblichen Sterbehilfe beschlossen. Ich bedauere gemeinsam mit wahrscheinlich
sehr vielen hier im Haus, dass die öffentliche Debatte
über dieses Gesetz in den letzten Wochen zum Teil haarscharf an den Realitäten vorbei geführt wurde. Mit diesem Gesetz wird Sterbehilfe nicht legalisiert, sondern
pönalisiert.
({10})
Niemand in Deutschland darf es künftig zum Geschäftsmodell machen und sich daran bereichern, Menschen
mit schwerer Krankheit vom Leben zum Tod zu befördern.
({11})
Viele in meiner Fraktion und auch ich wären gerne
noch einen Schritt weitergegangen, aber die Frage ist, ob
man immer bis an das Ende des Weges gehen muss oder
ob man sich auf einen vernünftigen Kompromiss einlässt, auch wenn vielleicht noch mehr denkbar ist. Für
mich ist auch denkbar, die geschäftsmäßige Sterbehilfe
zu verbieten. Wichtig ist, dass jedenfalls die gewerbsmäßige Sterbehilfe verboten wird. Die Regelung dieses
Straftatbestands ist ein wichtiger Fortschritt zum
Schutze des Lebens an seinem Ende, also in einer Phase,
in der der Mensch besonders verletzlich ist. Dabei muss
klar sein: Engste Angehörige können sich im Sinne dieser Norm nicht strafbar machen; Ärzte und Pfleger hingegen können nicht unter den Begriff der engsten Angehörigen fallen.
Ich möchte mit ein paar Stichworten das Thema
Beschneidung ansprechen. Ich bedanke mich bei sehr
vielen Kollegen hier im Haus, die mitgearbeitet bzw.
dem Antrag, den wir im Juli beschlossen haben, zugestimmt haben. Das ist ja ein nicht ganz einfaches Thema.
Wir werden den Gesetzentwurf in den nächsten Wochen
hier im Bundestag debattieren. Ich halte die Aufregung
über das Urteil eines einzelnen Landgerichts, das in diesem Sommer ergangen ist, für übertrieben. Trotzdem
kann man diejenigen verstehen, die Rechtsklarheit wollen, beispielsweise jüdische und muslimische Mitbürger,
aber auch Ärzte, die diese Eingriffe vornehmen. Insofern
ist es wichtig, schnell Rechtsklarheit herbeizuführen. Ich
persönlich meine, dass wir die Legalität solcher Eingriffe weniger mit der Religionsausübung als eher mit
dem Elternrecht begründen sollten.
({12})
Ich bin der Auffassung, dass wir im Interesse des Kindeswohls strenge Anforderungen an die Durchführung
dieses Eingriffs stellen müssen. Darüber wird in den
nächsten Wochen noch im Einzelnen zu debattieren sein.
Zum Zivilrecht. Lassen Sie mich kurz das Thema
Mietrecht ansprechen. Mit der Reform des Mietrechts
helfen wir Vermietern, die mit ein oder zwei Eigentumswohnungen ihren Lebensabend mit finanzieren wollen.
Ich kenne solche Fälle aus meinem Wahlkreis: Mietnomaden bzw. Mietbetrüger gefährden so die Altersversorgung, die auf diese Weise sichergestellt werden soll.
Wenn wir über Armut im Alter sprechen, müssen wir
auch über dieses Phänomen sprechen und mit dem Mietrecht helfen.
({13})
Wir tun das mit einem sehr behutsamen Eingriff in
das Prozessrecht und eben nicht bei den Mieterschutzvorschriften des BGB. Zugleich erleichtern wir die energetische Sanierung von Mietraum zum nachhaltigen
Nutzen von Mietern und Vermietern. Wer wie die Opposition sonntags nach einer noch schnelleren Energiewende ruft, handelt nicht sehr glaubwürdig, wenn er
montags sagt, wenn es darum geht, das auch in der
Rechtspolitik umzusetzen: Nein, das geht uns jetzt doch
zu weit; das wollen wir nicht. - Das ist alles andere als
konsequentes Handeln. Wer die Energiewende will, der
muss solchen Regelungen zustimmen.
({14})
- Wenn Sie genau zugehört hätten, dann hätten Sie
gemerkt, dass ich nicht nur von Mietnomaden, sondern
auch von der energetischen Sanierung von Wohnraum
gesprochen habe. Das sind zwei Elemente des Gesetzes.
Ich kann Ihnen das gerne im Einzelnen noch einmal
erklären, Herr Montag, falls Sie das noch nicht so ganz
verstanden haben sollten.
Ich will zu einigen den Verbraucher schützenden Vorschriften im Bereich Fluggastdatenrechte, Schlichtung
im Luftverkehr, Zivilprozessrecht und Kfz-Haftpflichtversicherung, da wir unmittelbar vor der ersten Lesung
stehen, angesichts der Zeit keine Einzelheiten vortragen.
Ich will zum Schluss sagen: Auch wenn die Justiz,
wie wir gerade an den Zahlen gesehen haben, preiswert
ist, darf sie doch nicht billig werden. Gerade deshalb ist
mir das intensive Ringen um die Inhalte der Rechtspolitik wichtig. Wir streiten in der Sache, sowohl innerhalb
der Koalition als auch gern mit der Opposition.
({15})
Auch in dieser Haushaltsdebatte ist es die Entscheidung
der Opposition, ob Sie mit uns in der Sache argumentieren oder lieber parteipolitische Polemik pflegen wollen.
Ich bin auf die nächsten Reden deshalb sehr gespannt.
Danke schön.
({16})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Steffen Bockhahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Krings, ich bin verwirrt: Sie
hatten gesagt, Sie wollten sachlich sein, und dann haben
Sie diese Rede gehalten. Das war ein bisschen schwierig.
Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen.
Erster Punkt. Sie loben den Warnschussarrest, obwohl
alle Fachleute dagegen sind. Es gab keinen Warnschussarrest, und trotzdem ging die Zahl der Straftaten von
Jugendlichen zurück. Wo ist denn da die Sachlichkeit bei
Ihnen?
({0})
Zweiter Punkt. Sie loben schon wieder Ihre Mietrechtsänderung zum Nachteil der Mieterinnen und Mieter. Sie bauen das Thema Mietnomaden - über die viel
auf Kabel eins und Vox berichtet wird, aber das ist nicht
seriös - zu einem Popanz auf. Seriös ist, zuzugeben, dass
wir keine sehr konkreten Zahlen haben, aber Schätzungen gehen davon aus, dass lediglich 0,02 Prozent aller
Mietverhältnisse von diesem Phänomen betroffen sind.
Wenn das für Sie der zentrale Punkt der Justizpolitik in
Deutschland ist, dann setzen Sie die falschen Schwerpunkte, Herr Krings.
({1})
Ich möchte tatsächlich etwas ganz Sachliches und für
viele von Ihnen Überraschendes, nämlich etwas Lobendes, sagen:
({2})
- Ja. - Wir haben im letzten Jahr den Antrag gestellt,
dass das Bundesministerium der Justiz seine eigene NSVergangenheit kritisch und vernünftig aufarbeiten soll.
Er ist aus irgendeinem Grunde abgelehnt worden; das
könnte vielleicht mit dem Antragsteller zu tun gehabt
haben. Aber vernünftigerweise hat sich das Ministerium
doch entschieden, dieses Thema anzufassen, und es wird
dieses Thema weiter bearbeiten. Deswegen freue ich
mich, dass wir hoffentlich bald eine Untersuchung über
die NS-Verstrickung von Personal des Bundesjustizministeriums, insbesondere von Personal der 50er- und
60er-Jahre, haben werden. Das ist überfällig und dringend erforderlich.
Da auch Minister Friedrich schon anwesend ist: Ich
wünsche mir, dass auch das Innenministerium dieses
Thema endlich anfasst.
({3})
Kommen wir zur grandiosen Bilanz und zum einheitlichen Handeln der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen! Es sind grandiose Gesetzesinitiativen,
die tatsächlich notwendig gewesen wären. Man könnte
die Vorschläge der Ministerin durchaus begrüßen, nämlich beispielsweise die sprachliche Gleichstellung von
Lebenspartnerschaften und Ehen in Gesetzestexten.
Betroffen davon sind rund 40 Einzelregelungen, vom
Mietrecht bis zur Insolvenzordnung, in denen nach dem
Wort „Ehegatte“ der Zusatz „oder Lebenspartner“ eingefügt werden soll. Hier haben wir wieder das Problem,
dass natürlich der besondere Schutz der Ehe für Sie
wichtiger ist als die Anerkennung der realen Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Da sind
Sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet.
({4})
Ein weiterer Punkt. Sie haben - das kann ich durchaus
nachvollziehen - sich dafür starkgemacht, dass der
Ankauf von Steuer-CDs verboten wird. Das kann man
durchaus richtig finden; denn es ist natürlich schwierig,
wenn der Staat mit Kriminellen oder Halbkriminellen
Geschäfte macht. Ich darf Ihnen aber etwas anderes vorschlagen: Lassen Sie uns doch zu einem Steuerrecht
kommen, bei dem Besserverdienende und Konzerne
nicht so viele Steuerschlupflöcher haben, wie es heute
der Fall ist. Dann gäbe es nämlich eine klare Steuererklärung und klare Sachverhalte. Das wäre ein Schritt.
({5})
Ein zweiter Schritt wäre: Lassen Sie uns die Zahlen
der Steuerfahnder und der Betriebsprüfer bei den
Finanzämtern erhöhen. Die finanzieren sich im Übrigen
selbst. Dann kämen wir zu einer Anwendung der
Gesetze, die es nicht mehr notwendig machen würde,
Steuer-CDs anzukaufen. Ich wünsche mir vor allem,
dass der Ehrgeiz, mit dem teilweise Bagatelldelikte verfolgt werden, auch bei einem ernsthaften Straftatbestand,
der Steuerhinterziehung, insbesondere bei Großverdienern und bei Großvermögenden, spürbar würde und
diese hart bestraft werden. Davon sind wir meilenweit
entfernt. Das ist falsch.
({6})
Kommen wir zur Vorratsdatenspeicherung. Ich habe
jetzt viel davon gehört, wie wichtig Ihnen die Bürgerrechte, insbesondere die Freiheitsrechte, sind. Bei der
Vorratsdatenspeicherung sieht es aber anders aus. Worüber Sie sich streiten, ist, wie stark Sie die Freiheitsrechte beschneiden wollen; das ist der einzige Streit, den
Sie führen. Beschneiden wollen Sie sie allemal. Sie wollen für 99,9 Prozent aller Kommunikationsverbindungen
erst einmal speichern, ohne dass es dafür einen Grund
gibt. Tatsächlich müssen wir eine EU-Vorgabe erfüllen.
Das tun Sie aber auch nicht, weil Sie sich permanent
darüber streiten, wie stark Sie in die Freiheitsrechte eingreifen wollen. Darüber können Sie sich nicht einigen.
Deswegen legen Sie keine vernünftige Lösung vor. Fakt
ist aber, dass Sie die EU-Richtlinie bisher nicht wirklich
umsetzen. Ich kann Ihnen empfehlen: Gucken Sie sich
an, was Irland macht. Irland zog gegen diese Richtlinie
vor den Europäischen Gerichtshof. Das sollten Sie auch
machen.
({7})
Das wäre tatsächlich ein konsequenter Einsatz für die
Verteidigung der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und
Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. Aus meiner
Sicht wäre es dann auch seriös, wenn Sie Mittel für
Strafzahlungen an die Europäische Union schon einmal
in den Haushalt einstellten. Es wäre konsequenter Bürgerrechtsschutz, wenn Sie sagten: Wir setzen diese
Richtlinie der Europäischen Union nicht um, weil sie in
die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland eingreift. - Das wäre vernünftig.
({8})
Schließlich darf ich Ihnen sagen, dass es noch ganz
großen Nachholbedarf beim Entschädigungsfonds für
die Opfer terroristischer oder extremistischer Straftaten
gibt. Ja, hier muss einiges getan werden. Hierzu ließe
sich noch ganz viel sagen. Fakt ist aber: Es ist auch ein
politisch sensibles Signal, wenn Sie jetzt schon wieder in
diesem Fonds kürzen wollen. Ich denke, dass diese Kürzung nicht vorgenommen werden sollte. Lassen Sie den
Etatposten bei 1 Million Euro. Ich fürchte, dass wir noch
jede Menge berechtigte Anträge dazubekommen werden.
({9})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der
Kollege Jerzy Montag.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Agenda rechtspolitischer Debatten wird in der Regel
durch Gesetzesvorlagen aus dem Bundesjustizministerium bestimmt, manchmal allerdings auch durch Urteile
der unabhängigen Justiz. Herr Kollege Dr. Krings, deswegen will auch ich einige Worte zu dem Beschneidungsurteil eines Richters vom Landgericht Köln sagen.
Ich bin der Überzeugung, dass die mediale Auseinandersetzung mit diesem Urteil in einem grotesk verzerrten
Missverhältnis zu der Bedeutung dieses Urteils steht.
({0})
Bis jetzt gibt es in Deutschland zum Glück keine einzige
strafrechtliche Verurteilung wegen einer Beschneidung.
Bei diesem Urteil, das zwar auf Freispruch lautet, handelt es sich um die rechtliche Meinungsäußerung eines
einzelnen Richters von 80 000 Richtern.
Mir persönlich wäre es am liebsten - ich sage das, obwohl ich den Antrag des Bundestages mitgetragen habe -,
wenn wir zu keiner gesetzlichen Regelung dieses Tatbestandes kommen würden, weil ich entgegen der Auffassung dieses einzelnen Richters der Überzeugung bin,
dass die Rechtslage geklärt ist.
({1})
Wir werden eine Vorlage bekommen, über die wir in den
nächsten Wochen und Monaten diskutieren müssen.
Dazu will ich heute aber gar nichts sagen.
Wozu ich heute etwas sagen will, ist der Ton der Debatte. Ich muss sagen: Er macht mir wirklich Sorgen,
weil ich in dieser Debatte allzu oft eine überhebliche und
gehässige Attitüde feststelle, und zwar auf beiden Seiten.
Aber insbesondere bei denen, die die Beschneidung unter Strafe stellen wollen, höre ich gehässige und überhebliche Formulierungen. Ich bin religiös nicht gebunden; aber mir missfällt die antireligiöse Überheblichkeit,
die sich in dieser Debatte nur ganz schlecht als Aufklärung tarnt.
({2})
Ich höre antiislamische und antijudaische Assoziationen,
die sich leider - das sage ich ganz bewusst - hinter Argumenten für das Kindeswohl nur schlecht verstecken.
Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass dieses Gift
in der gesellschaftlichen Debatte aus unserer Debatte im
Bundestag in den nächsten Monaten herausgehalten
wird. Es wird wirklich sehr viel davon abhängen, wie
wir hier im Parlament über dieses Thema reden werden.
({3})
Die Bedeutung der Rechtspolitik liegt im Schutz der
Grund- und Bürgerrechte, im Schutz der Demokratie
und im Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Die Bedeutung
der Rechtspolitik steht im umgekehrten Verhältnis zu der
Größe des Haushalts. Die Zahlen sind genannt worden:
unter 2 Promille des Gesamthaushalts, Deckungsquote
über 80 Prozent, Personalkosten von 75 Prozent. Die
Bundesjustiz kostet pro Kopf der Bevölkerung und Jahr
in saldo nur 36 Cent. Deswegen halte ich es nicht für
eine Verfehlung des Themas, wenn wir heute nicht so
sehr über Geld, sondern über die Bilanz der Ministerin
reden, die sich in vielen öffentlichen Äußerungen sehr
wohl als Jeanne d’Arc der Bürgerrechte profiliert hat.
Diese Profilierung hat niemand mehr befeuert als der
werte Koalitionspartner, der die Ministerin als „personifizierte Schutzlücke im deutschen Sicherheitssystem“
und als „Schützerin von Pädophilen und Terroristen“ bezeichnet hat.
({4})
Das war vor einem Jahr. Vor einigen Tagen haben Kollegen der FDP-Fraktion - ohne Namensnennung - die
Ministerin als sture und halsstarrige Fundamentalistin
bezeichnet.
({5})
Frau Ministerin, ich muss sagen: Da, wo dies richtig
ist, bekommen Sie unsere Zustimmung. Zur Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel habe ich eine ganz andere
Auffassung als mein Vorredner. Wir Grünen meinen,
dass Sie hier die richtige Position einnehmen.
({6})
Ich finde, auch hinsichtlich der Sicherungsverwahrung
ist Ihre Position die richtige. Ihr Einsatz für Rechtsstaatlichkeit stößt aber an Grenzen, die von Ihrer Partei gezogen werden. Die FDP steht im Zweifel nicht für Rechtsstaatlichkeit, sondern für Klientelpolitik, und das färbt
auch auf die Politik des Bundesjustizministeriums ab.
({7})
Ich könnte in diesem Zusammenhang etwas zum Thema
Korruption sagen. Ich könnte das auch am Beispiel Urheberrecht erklären. Dafür fehlt mir aber die Zeit.
Zum Schluss will ich aber noch einen Satz zu dem
Bock sagen, den Sie geschossen haben, als Sie gesagt haben, dass Sie den Datenankauf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung für strafbar erklären wollen: 150 Milliarden Euro hinterzogenes Geld liegen in der Schweiz. Die
deutschen Banken und die Schweizer Banken wissen
das. Sie sind Mittäter bei dieser grandiosen Hinterziehung. Ich persönlich halte es für eine Pflicht, dass diese
Beweismittel aufgekauft werden, um diese Steuerhinterziehungen zu verfolgen und zu bestrafen. Ich sage Ihnen:
Es sind nicht die kleinen, armen Leute, die Steuerhinterziehung begehen und ihr Geld in der Schweiz parken,
sondern das ist ein nicht ganz unerheblicher Teil der Reichen. Dass Sie diese Reichen vor einer konsequenten
Strafverfolgung schützen wollen, das entlarvt die Politik
der FDP.
({8})
Ich habe zum Schluss eine Bitte an Sie: Legen Sie
diesen Gesetzentwurf bitte rechtzeitig vor, möglichst im
nächsten Frühjahr!
Herr Kollege Montag.
Ich möchte diesen Gesetzentwurf im Wahlkampf an
jedem Stand bei mir haben, um den Leuten zeigen zu
können, was die FDP unter Rechtsstaatlichkeit versteht.
Das wird uns im Wahlkampf sehr helfen.
({0})
Ich bitte Sie sehr um diesen Gesetzentwurf.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stefan Ruppert von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen: Es gibt immer wieder lange Passagen, bei denen ich Ihnen, Herr Montag, ausgesprochen
gerne zuhöre. Mit dem, was Sie am Anfang Ihrer Rede
zu der Debatte über das Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln gesagt haben, haben Sie mir zutiefst aus
dem Herzen gesprochen, nicht, weil ich die Konsequenz
des Landgerichts Köln in irgendeiner Weise teile, sondern weil ich finde, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - dazu kam es aus prozessualen
Gründen nicht - die bessere Lösung gewesen wäre.
Man muss es ernst nehmen, wenn in einer Gesellschaft, in der religiöse Menschen zunehmend in eine
Minderheitenposition kommen, die Mehrheit die Religionsfreiheit - das ist immerhin ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht - im öffentlichen Diskurs als eine
Art Grundrecht zweiter Ordnung diskreditiert. Man
muss es ernst nehmen, wenn sich viele Menschen angegriffen fühlen, weil Religion ein sehr wichtiger Bestandteil ihrer Identität ist. Meiner Meinung nach wird das
von einer mittlerweile areligiösen Mehrheit - ich will
nicht sagen: Mehrheitsgesellschaft - nicht mehr in dem
Maße respektiert, wie das noch vor 10, 20 oder 30 Jahren
der Fall gewesen ist. Insofern wird es darauf ankommen,
in diesem Land die Religionsfreiheit, die für alle Religionen gilt, genauso wie die Freiheit, nicht zu glauben,
weiter aktiv zu schützen und diesen Teil der menschlichen Identität sehr ernst zu nehmen.
({0})
Einem Liberalen sagt man manchmal - diese Erfahrung mache ich immer wieder -: Na ja, liberale Rechtspolitiker gibt es mittlerweile doch auch bei den Grünen
oder bei der SPD.
({1})
- Über die Linke höre ich das nicht so oft. Das liegt vielleicht an meinem falschen Umgang.
({2})
Aber ich höre immer wieder, dass es den einen oder anderen liberalen Innen- und Rechtspolitiker bei den Grünen und der SPD gibt. Dann ist meine stetige Antwort:
Ja, die gibt es. Sie leiden aber unter dem Schicksal ewiger Opposition. Immer dann, wenn ihre Parteien in den
Ländern an die Macht kommen, zum Beispiel in BadenWürttemberg oder Nordrhein-Westfalen, wo plötzlich
rot-grüne Regierungen die Verantwortung tragen - das
gilt auch für die Zeit, in der Rot-Grün im Bund Verantwortung trug -, verschwindet diese Innen- und Rechtspolitik in bemerkenswerter Weise von der Oberfläche.
Dann ist schlicht nichts mehr davon zu sehen.
({3})
Herr Montag, man müsste eigentlich sagen: Gehen Sie
doch einmal in das eine oder andere Bundesland! Predigen Sie zum Beispiel in Baden-Württemberg das, was
Sie hier zu Fragen der Sicherungsverwahrung so lauthals
verkünden. Sie schaffen es leider nicht einmal, Ihre eigenen Landesregierungen auch nur im Ansatz von Ihrer eigenen Politik zu überzeugen. Das sollte Ihnen zu denken
geben.
({4})
An einem Tag, an dem wir noch das gestrige Urteil
des Bundesverfassungsgerichts im Ohr haben, sollten
wir vielleicht - um dessen Etat geht es ja heute auch noch etwas zum Bundesverfassungsgericht sagen. Diese
Institution genießt in Deutschland ein Ansehen wie
keine andere. Ob das aus rein demokratietheoretischer
Sicht eine gute oder schlechte Botschaft ist, müsste man
noch einmal genauer beleuchten; denn immerhin ist dieses Haus das direkt gewählte Verfassungsorgan. Als Anhänger des Bundesverfassungsgerichts, der auch dort gearbeitet hat und diese Institution über alles schätzt,
glaube ich, dass das Bundesverfassungsgericht zum Gelingen der Bundesrepublik Deutschland als ein Rechtsstaat Unermessliches geleistet hat, wie auch gestern wieder.
Wir diskutieren hier heute auch - Herr Bockhahn hat
es gesagt - über Fragen der Historisierung der frühen
Bundesrepublik. Umso wichtiger scheint es mir, die
Leistung des Bundesverfassungsgerichts gerade in der
frühen Bundesrepublik etwas mehr ans Tageslicht zu
bringen. Es gibt eine Resolution des Rechtshistorikertages und anderer Historiker. Sie stellen fest, dass sich der
Geheimdienst Gedanken darüber macht, wie seine Geschichte in der frühen Bundesrepublik ausgesehen hat,
dass sich das Bundesjustizministerium mittlerweile in
vorbildlicher Art und Weise Gedanken darüber macht,
und sie weisen darauf hin, dass es an der Zeit wäre, dass
wir eine Historisierung der frühen Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts etwas stärker befördern sollten, gerade weil das Bundesverfassungsgericht nicht von
einer Kontinuität aus der NS-Zeit geprägt ist. Wir könnten viel darüber lernen, wie sich diese Bundesrepublik
gerade zu Beginn innerlich immer stärker als ein demokratischer Rechtsstaat gefestigt hat.
Ich glaube, das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts würde durch die Einführung einer Mutwillensgebühr nicht befördert; das ist meine persönliche Meinung.
({5})
Dieses Gericht trägt sicherlich eine hohe Arbeitslast
- das sollten wir respektieren -; aber auf Dauer würde
eine solche Gebühr nicht zu mehr Ansehen der Institution führen. Der Bürger hat ein sehr feines Gespür für so
etwas. Dabei geht es nicht um den einzelnen konkreten
Geldbetrag. Gerade der Umstand, dass dort jeder Recht
suchen kann und Recht bekommt, trägt zum Ansehen
bei. Schon heute gibt es Instrumente, um denjenigen, die
grundlos oder querulatorisch immer wieder kommen, zu
sagen: Das geht so nicht.
Ich finde es gut, dass die Ministerin heute gezeigt hat,
dass diese Koalition gerade in der Rechtspolitik für Sicherheit und Freiheit in Deutschland wesentlich mehr
getan hat als alle Vorgängerkoalitionen. Ich finde, diese
Dualität von Sicherheit und Freiheit kommt in der christlich-liberalen Koalition besonders gut zum Ausdruck.
Deswegen bin ich überzeugt, dass wir wiedergewählt
werden.
Ein letzter Satz zu Günter Krings: Ob es eine gute
Nachricht ist, dass man mit sehr wenig Geld sehr viele
Gesetze macht, darüber muss ich als Liberaler einmal
nachdenken. Einstweilen finde ich, dass wir hervorragend zusammenarbeiten. Das liegt an allen Teilen dieser
Koalition.
Ich wünsche Ihnen mehr Durchsetzungskraft bei liberaler Rechtspolitik vor Ort in Ihren Ländern.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Burkhard Lischka.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, Sie haben hier die große Einigkeit von
Schwarz-Gelb in der Rechtspolitik ausgiebig beschworen. Ich gebe Ihnen einen Tipp - das können Sie vielleicht heute Abend machen -: Geben Sie einmal bei
Google die drei Begriffe „Rechtspolitik“, „Koalition“
und „Streit“ ein. Wissen Sie, wie viele Treffer Sie da erhalten? 863 000. Ich finde, das sagt viel über den Zustand dieser Koalition gerade in der Rechtspolitik aus.
({0})
Es gibt keinen Tag, an dem Sie sich nicht genüsslich auf
offener Bühne streiten.
Ich lese Ihnen einmal ein paar Überschriften aus Zeitungen aus der Sommerpause vor. Ich stelle mir immer
die Frage, ob Sie sich da gar nicht sehen und sich aus der
Ferne streiten. Was haben Sie da gemacht? „Homo-Ehe
spaltet Schwarz-Gelb“ titelte das Handelsblatt vor einigen Tagen. „Koalition verheddert sich im Urheberrecht“,
schreibt die Financial Times Deutschland. „Streit in der
Koalition über Sterbehilfe“ ist eine Überschrift aus der
FAZ. „CSU-Mann beschimpft Leutheusser als ‚Sicherheitsrisiko‘“ können wir im Stern lesen. „Mietrechtsreform - Aigner stellt sich gegen FDP“ usw. Ich könnte
dies stundenlang fortsetzen. Das ist ja nicht das Urteil
der Opposition über Ihre Arbeit, sondern das Urteil der
Medien und der veröffentlichten Meinung. Der Tagesspiegel meint schließlich zur Arbeit der Bundesjustizministerin unter der passenden Überschrift „Ministerin für
Wiedervorlage“ - ich zitiere -:
Betrachtet man ihre … Agenda, dann fällt vor allem
eines auf: Die Ministerin verhindert Gesetze eher,
als dass sie an rechtlichen Lösungen interessiert zu
sein scheint. … Doch auch auf diesem Feld ist eine
Handschrift … nicht zu erkennen.
Dazu muss ich als Oppositionspolitiker nicht mehr viel
sagen. Ich finde, das Urteil über Ihre Amtszeit ist gesprochen: Es waren verlorene Jahre - Jahre ohne Impulse, ohne klare Linie und ohne bleibenden Wert.
({1})
Frau Ministerin, es mag sein, dass Sie, wenn Sie eines
Tages nach der Bilanz Ihrer Amtszeit gefragt werden,
stolz darauf verweisen, dass Sie das eine oder andere unsinnige Vorhaben der Union verhindert haben. An der
einen oder anderen Stelle mag das in der Tat durchaus
vernünftig gewesen sein. Aber für eine erfolgreiche
Rechtspolitik ist das doch ein bisschen wenig, weil wir
in diesem Land wirklich Probleme haben, die gelöst
werden müssen; denn gerade die Rechtspolitik ist dafür
da, drängende gesellschaftliche Konflikte zu befrieden,
die widerstreitenden Interessen zu einem vernünftigen
Ausgleich zu bringen und gute Rahmenbedingungen zu
schaffen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen:
Nehmen wir das Thema Urheberrecht. Schwarz-Gelb hat
vor drei Jahren im Koalitionsvertrag vereinbart - zu
Recht, wie ich finde -, das Urheberrecht den neuen
Gegebenheiten des digitalen Zeitalters anzupassen, ein
modernes Urheberrecht zu schaffen, das sich auf der
Höhe der Zeit befindet. Wir alle wissen, dass das dringend notwendig ist; denn das Internet, die Digitalisierung mit ihren neuen Möglichkeiten, aber auch mit ihren
Gefahren durchdringt jeden Lebensbereich und ist für
uns alle zum Alltag geworden. Die Digitalisierung hat
unser Leben verändert, und sie wird unser Leben weiter
verändern.
Wir Nutzer haben neue Möglichkeiten, uns zu informieren, uns zu unterhalten und miteinander zu kommunizieren. Auch Künstler, Kreative und Schriftsteller
haben neue Möglichkeiten. Aber für sie gibt es eben
auch neue Gefahren, nämlich dass man sich einfach ihrer
Ideen und ihrer Kreativität bedient, ohne dass sie einen
angemessenen Ausgleich dafür bekommen. Das ist nicht
nur für die Betroffenen - Künstler, Musiker, WissenBurkhard Lischka
schaftler - von existenzieller Bedeutung, sondern das ist
auch für unseren Wirtschaftsstandort von existenzieller
Bedeutung; denn die Kreativindustrie ist inzwischen einer der wichtigsten Wirtschaftszweige hier in Deutschland, und zwar mit 1 Million Menschen, die dort beschäftigt sind, und einer Bruttowertschöpfung, die mit
der der Automobilindustrie vergleichbar ist. Auch die
Kreativindustrie befindet sich in einem globalen Wettbewerb und ist schon deshalb darauf angewiesen, dass
sie hier in Deutschland gute Rahmenbedingungen hat.
Deshalb ist es so wichtig, auch das Urheberrecht zu
modernisieren.
({2})
Aber was ist in den letzten drei Jahren seit Abschluss
des Koalitionsvertrages passiert? Einfache Antwort: gar
nichts. Im Gegenteil, Frau Ministerin: Sie haben vor wenigen Wochen angekündigt, so wörtlich, dass der große
Wurf im Bereich des Urheberrechts in dieser Legislaturperiode nicht zu erwarten sei. Das haben Sie gerade hier
wiederholt; Sie haben gemeint, das sei alles so schwierig. Prompt hat Ihnen Staatsminister Neumann von der
Union Versagen vorgeworfen. Wir sind doch wieder mitten in dem Theaterstück, das Sie seit drei Jahren hier
aufführen: ankündigen, streiten, wieder streiten, dann
blockieren, dann Stillstand, und dann passiert überhaupt
nichts. Das führt nur dazu, dass gesellschaftliche Konflikte nicht gelöst werden, sondern sich - im Gegenteil verschärfen, wie im Bereich des Urheberrechts. Das ist
keine erfolgreiche Rechtspolitik, sondern schlicht und
einfach ein Trauerspiel.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stephan Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! Wenn die heutige Debatte auf
jeden Fall einen Sinn hat, dann den, dass der Erkenntnisgewinn bei der Opposition deutlich gestiegen ist. Man
darf nicht allen Schlagzeilen in der Zeitung glauben. Sie
haben deutlich unter Beweis gestellt bekommen, dass
der Zustand der Rechtspolitik der christlich-liberalen
Koalition weitaus besser ist, als man bei der Lektüre
mancher Schlagzeile vielleicht vorschnell meinen
möchte.
({0})
Es ist deutlich darauf hingewiesen worden: Wir haben
schon Wegweisendes vorangebracht. Wir werden auch
in den kommenden Monaten und Jahren noch Entscheidendes voranbringen.
({1})
Lieber Herr Kollege Lischka, was Ihr GoogleSuchmaschinen-Beispiel anbetrifft, möchte ich Ihren
Erkenntnisgewinn weiter steigern. Auch ich habe dort
eben einige Begriffe eingegeben. Jetzt möchte ich Sie
fragen: Was glauben Sie, wie viele Treffer man wohl bekommt, wenn man dort die Begriffe SPD und Unfähigkeit eingibt?
({2})
Man erhält 3,3 Millionen Treffer.
({3})
Das Ganze wird noch getoppt, wenn man „SPD“ und
„Streit“ eingibt. Was glauben Sie, wie viele Treffer man
erzielt? - Es sind 9 Millionen Treffer.
({4})
Lieber Herr Kollege Lischka, wenn ich Sie persönlich
ansprechen darf: Was glauben Sie, welcher Treffer zuerst
angezeigt wird, wenn man die drei Begriffe SPD,
Rechtspolitik und Streit eingibt? - Ihr werter Name.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so viel zum
Thema Google-Suchmaschine.
Der geringe Etat des Bundesjustizministeriums in
Höhe von 484 Millionen Euro darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es im Bereich der Justizpolitik
mit schwer zu beantwortenden Rechtsfragen zu tun
haben und oftmals Grundlegendes im Hinblick auf unsere Gesellschaft und unser gesellschaftliches Zusammenleben regeln müssen. Gerade in den letzten Monaten
wurden wir mit vielen Gerichtsurteilen konfrontiert, die
die öffentliche Diskussion sehr stark bestimmt haben,
die insbesondere die politische Diskussion und letzten
Endes auch das Handeln des Gesetzgebers geprägt haben
und noch prägen werden. Wir als Bundestag haben die
Aufgabe, diese rechtlichen Vorgaben in den kommenden
Monaten aufzugreifen und die offenen Fragen einer
Lösung zuzuführen.
Mein Blick geht dabei zunächst einmal nach Brüssel.
Es geht um die Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts. Ich bin sehr froh, dass wir uns als
Bundestag sehr frühzeitig mit diesem Thema auseinandergesetzt und dazu fraktionsübergreifend eine kritische
Stellungnahme verabschiedet haben.
Aus meiner Sicht gibt es an diesem Vorschlag zwei
entscheidende Kritikpunkte: Der erste Kritikpunkt lautet, dass dieser Vorschlag in vielen Bereichen nicht zu
mehr Rechtssicherheit für Unternehmen und Verbraucher führt, sondern eher die Rechtsunsicherheit erhöht.
Dies liegt vor allem daran, dass darin eine Vielzahl vager
Formulierungen und sehr viele unbestimmte Rechtsbegriffe gebraucht werden, dass zum Beispiel eine allgemeine Schadenersatzpflicht bei Verstößen gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben oder allgemeine
Kooperationspflichten eingeführt werden sollen. Darüber hinaus fehlt in dem Entwurf die Nennung der institutionellen Voraussetzungen für eine konsistente Rechtsprechung. Es kann nur die Aufgabe der Gerichte in den
27 Mitgliedsländern sein, dies zu gewährleisten. Die
Voraussetzungen dafür sind in diesem Vorschlag bislang
Stephan Mayer ({6})
nicht erwähnt. Der EuGH ist dazu aufgrund seiner Ausstattung und seiner Ausrichtung nicht in der Lage.
Zweitens muss man sehen: Der große Kritikpunkt
lautet nicht - das war auch in den Gesprächen, die ich
mit Unternehmern geführt habe, so -, die Probleme beim
bilateralen Handel innerhalb der Europäischen Union
seien darin begründet, dass es unterschiedliches materielles Recht gibt. Der große Kritikpunkt lautet vor allem, dass es erhebliche Schwierigkeiten bei der schnellen gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen im
Ausland gibt.
Wie gewissen Hinweisen zu entnehmen ist, werden in
Zukunft die konkreten Verhandlungen über die einzelnen
Inhalte dieses Vorschlags beginnen. Ich begrüße es daher
außerordentlich, dass der Rechtsausschuss des Bundestages eine entsprechende Initiative gestartet hat, am
5. November dieses Jahres eine rechtspolitische Konferenz zu diesem Thema durchführen wird und sich dabei
auch mit Vertretern anderer Parlamente abstimmen und
austauschen wird. Meine Erwartung ist, dass die
Bundesregierung bei ihren Verhandlungen im Rat, sehr
verehrte Frau Justizministerin, die fraktionsübergreifende Stellungnahme des Bundestages berücksichtigt
und mit einfließen lässt.
({7})
Darüber hinaus hat uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai letzten Jahres zum Thema
Sicherungsverwahrung sehr beschäftigt. Ich persönlich
bin der Auffassung, dass dieses Urteil mit dem jetzt zu
diesem Thema vorliegenden Gesetzentwurf gut umgesetzt wird. Aber ich möchte nicht verhehlen, dass wir,
was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, durchaus
Verbesserungsbedarf sehen.
Erstens ist das Institut der nachträglichen Therapieunterbringung noch in den Gesetzentwurf aufzunehmen.
({8})
Auch wenn es nur um eine geringe Anzahl von Fällen
geht: Es gibt diese Ausnahmefälle, und in diesen Ausnahmefällen ist das Institut der nachträglichen Therapieunterbringung erforderlich.
Zweitens geht es um Fragen der Abgrenzung zwischen den neu zu treffenden Regelungen und dem psychiatrischen Maßregelvollzug. Es bestünde, wenn der
Gesetzentwurf so bliebe, wie er jetzt vorliegt, die große
Gefahr, dass in Einzelfällen - wenn auch nicht in vielen
Fällen - therapieunfähige, teilweise auch therapieunwillige, aber hochgefährliche Straftäter in den psychiatrischen Maßregelvollzug überstellt werden, obwohl
sie nicht psychisch krank sind.
Zwei weitere Urteile haben in den letzten Monaten zu
einer sehr intensiven öffentlichen Diskussion geführt.
Ich meine zum einen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Koblenz vom 29. Dezember letzten Jahres. Es
ging dabei um einen möglichen sexuellen Missbrauch
einer Schutzbefohlenen. Die Entscheidung hat zum Ergebnis gehabt, dass nicht immer ein Obhutsverhältnis
zwischen einem Lehrer und einer minderjährigen Schülerin im Sinne von § 174 StGB anzunehmen ist. Aus
meiner Sicht besteht hier eine offenkundige Schutzlücke.
Ich bin auch der Auffassung, dass es nicht ausreicht,
dass die Landesjustizminister eine Arbeitsgruppe gebildet haben, um möglichen Schutzlücken auf die Spur zu
kommen. Meines Erachtens ist eine schnellstmögliche
Schließung der vorhandenen Schutzlücke erforderlich.
Es gibt eine zweite Entscheidung zu diesem Thema, die
der Bundesgerichtshof am 25. April dieses Jahres gefällt
hat; darin geht es um einen ähnlich gelagerten Fall.
Im Bereich des Zivilrechts beschäftigt uns derzeit
sehr stark das Mietrecht; das ist schon erwähnt worden.
Ich persönlich bin wirklich der Überzeugung, dass mit
der anstehenden Mietrechtsnovellierung die große Möglichkeit besteht, zusätzliche Potenziale im Bereich des
Klimaschutzes zu heben. Wir haben in Deutschland
20 Millionen Mietwohnungen. Gerade angesichts der
anstehenden und sich im Vollzug befindlichen Energiewende ist es ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, dieses
Potenzial im Bereich der energetischen Sanierung zu
nutzen. Deswegen ist es richtig, hier entsprechende
Vorgaben zu machen, um Maßnahmen zur energetischen
Sanierung zu erleichtern. Dies kommt - es ist mir wichtig, das zu betonen - nicht nur den Vermietern, der Umwelt und dem Klima zugute, sondern auch den Mietern,
indem sie geringere Betriebskosten zu zahlen haben.
({9})
Ich bin auch der Überzeugung, dass es richtig ist, die
Position der Vermieter im Kampf gegen Mietnomaden
zu stärken. Lieber Herr Kollege Bockhahn, dieses
Mietnomadentum ist für viele Vermieter ein Ungetüm.
Sie persönlich sind davon vielleicht noch nicht tangiert
worden. Aber es gibt Tausende von Vermietern in
Deutschland, die damit sehr leidvolle Erfahrungen gemacht haben, bei denen sich Mietforderungen über Monate, teilweise über Jahre hinweg angehäuft haben, die
sie aber nicht geltend machen konnten. Herr Kollege
Bockhahn, Sie wissen wahrscheinlich auch nicht, wie
hoch die normale Rentabilität einer Mietwohnung ist.
Sie liegt nicht im zweistelligen Prozentbereich, sondern
bei 1 oder 2 Prozent. Wenn Sie als Vermieter einer überschaubaren Anzahl von Mietwohnungen einen oder zwei
solcher Mieter haben, dann schlägt es durchaus ins
Kontor, wenn Sie Mietforderungen von über 1 000 Euro
haben, die Sie nicht eintreiben können. Deswegen ist es
richtig, dass wir als Gesetzgeber in diesem Bereich tätig
werden.
({10})
Genauso müssen wir uns aber auch einem Bereich zuwenden, der sich in manchen Ballungszentren verstärkt
bemerkbar macht, nämlich dem rasanten Anstieg des
Mietzinses, des Mietpreises. Ich möchte schon der Erwartung Ausdruck verleihen, dass wir uns in dem jetzt
anstehenden parlamentarischen Verfahren diesem wichtigen Thema zuwenden.
Herr Kollege Mayer, Sie sind zwar am Ende Ihrer
Redezeit, aber der Kollege Bockhahn von der Linken
möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Diese Gelegenheit gebe ich ihm natürlich sehr gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. - Zum einen
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich als Mitglied
des Aufsichtsrats eines der größten ostdeutschen
Wohnungsunternehmen mit dieser Problematik sehr
wohl vertraut bin.
Zum anderen möchte ich Ihnen sagen: Sie haben die
Zahlen, die ich vorhin eingefordert habe, auch jetzt nicht
geliefert. Sie haben einen Erfahrungsbericht abgeliefert;
aber ich traue Ihnen zu, dass Sie Ihre Entscheidung auf
der Basis von fundierten Fakten treffen. Deswegen
möchte ich Sie fragen: Wie hoch ist der Anteil sogenannter Mietnomaden im deutschen Mietwohnungswesen?
({0})
Herr Kollege Bockhahn, zunächst einmal möchte ich
aufgrund der vorgenommenen Einlassung schon meine
Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass Sie, wenn
Sie schon eine besondere Expertise haben und sogar
Aufsichtsratsmitglied eines Wohnungsunternehmens
sind, diese Position vertreten.
Was die konkreten Zahlen anbelangt: Es gibt das geflügelte Wort „Trau keiner Statistik, die du nicht selbst
gefälscht hast“. Ich bin der festen Überzeugung, dass es
hier kein verlässliches und auch kein belastbares Zahlenmaterial gibt, da viele Vermieter den Weg zum Gericht
gar nicht mehr gehen, weil sie entweder schon von
Freunden oder Bekannten gehört haben, dass das vergeblich ist, dass man dem schlechten Geld nur gutes hinterherwirft, oder weil sie selbst schon die Erfahrung gemacht haben, dass es zwecklos ist, sich hier wie ein
Detektiv auf die Pirsch zu begeben und möglicherweise
irgendwann einmal ein paar Euro von einem säumigen
Schuldner einzutreiben. Deswegen ist dieser Ansatz, hier
konkretes Zahlenmaterial einzufordern, vom Grundsatz
her verfehlt.
({0})
Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie in Ihrer Aufsichtsratstätigkeit auch schon diverse Male mit dem Phänomen des Mietnomadentums konfrontiert wurden. Insoweit greifen wir, glaube ich, auch aufgrund der
Erfahrungen, die uns von vielen Bürgerinnen und Bürgern angetragen werden, ein vorhandenes gesellschaftliches Problem auf. Dieses Problem werden wir jetzt wie
viele andere Probleme im Bereich der Rechtspolitik sehr
stringent und letzten Endes erfolgreich in der christlichliberalen Koalition lösen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Petermann von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Justiz gilt gemeinhin als ein sehr trockenes Thema. Dass
dem nicht immer so ist, zeigt die heute doch lebendige
Haushaltsdebatte. In dieser Debatte sollten wir uns mit
der Frage befassen, ob die geplanten Gelder ausreichen,
ob es Einsparmöglichkeiten gibt oder umverteilt werden
muss.
Nach meinem Verständnis muss es dabei um die Stärkung der Justiz und die Garantie der Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bevölkerung gehen. Ob das immer
auch Ziel des FDP-geführten Justizministeriums ist, bezweifle ich, Frau Ministerin. Lassen Sie mich das an
zwei Beispielen erläutern.
Mit dem Referentenentwurf zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts verfolgten Sie
offensichtlich das Ziel, Einsparungen bei den Ausgaben
für Prozesskosten- und Beratungshilfe zu erzielen. Diese
Hilfe nehmen Menschen in Anspruch, die mit ihrem
kärglichen Einkommen kaum über die Runden kommen
und sich die Kosten eines Gerichtsverfahrens nicht leisten können. Es sind vor allem Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II betroffen. Durch
die unsägliche, handwerklich schlechte Hartz-IV-Gesetzgebung, aber auch die mangelhafte personelle Ausstattung und Kompetenz der leistungserbringenden Jobcenter - der Name ist übrigens eine Farce, weil die Leute
dort keine Jobs, sondern nur ein Bürokratiemonster vorfinden - werden rechtswidrige Bescheide am Fließband
produziert.
Ich kann Ihnen aus meiner langjährigen Erfahrung als
Sozialrichter bestätigen, dass über die Hälfte der Klagen
gegen Hartz-IV-Bescheide erfolgreich ist. Wenn die ohnehin zum Leben zu wenigen 374 Euro noch gekürzt
werden, benötigen die Betroffenen für eine anwaltliche
Vertretung Prozesskostenhilfe.
({0})
Selbst 5 Euro mehr im Portemonnaie sind für sie viel
Geld. Allein am Sozialgericht Berlin sind 2011 über
30 000 Klagen eingegangen, und trotz steigender Klagezahlen sind die Erfolgsquoten nicht gesunken.
Um dieses strukturelle Problem zu lösen, brauchen
wir nicht weniger Prozesskostenhilfe, sondern bessere
Regeln, mehr qualifiziertes Personal in den Jobcentern
und hier und da sicherlich auch mehr Richterstellen. Leider werden die Länder vom Bund alleingelassen. Sie
verfolgen aber eine andere Zielrichtung: je weniger Prozesskostenhilfe, desto weniger Klagen und Verfahren
vor den Sozialgerichten und desto weniger Personalbedarf bei den überlasteten Gerichten. Da spielen wir nicht
mit.
Zweites Beispiel - auch davon war schon die Rede ist die Einführung einer Querulantengebühr beim Bundesverfassungsgericht. Dazu habe ich aber gerade zur
Kenntnis nehmen dürfen - darüber sind wir sehr froh -,
dass Sie dies genauso ablehnen wie wir.
Die Verabschiedung verfassungsrechtlich bedenklicher Gesetze ist ja in der Koalition ein Dauerthema. Davon ist heute schon gesprochen worden. Sie sorgen so
für einen übervollen Terminkalender bei den Richterinnen und Richtern in Karlsruhe. Lange Verfahrenslaufzeiten sind damit vorprogrammiert. Auch deshalb fordern
die Verfassungsrichter eine Querulantengebühr von bis
zu 5 000 Euro. Nebenbei bemerkt ist diese Forderung
nicht ganz einleuchtend, da bereits nach geltendem
Recht eine Missbrauchsgebühr bei sinnlosen Beschwerden verhängt werden kann.
Dennoch bleibt den Bürgerinnen und Bürgern zur
Wahrnehmung ihrer elementaren Bürgerrechte oft nur
der Gang nach Karlsruhe übrig. Man sollte darum durchaus über die Schaffung eines dritten Senats beim Bundesverfassungsgericht nachdenken.
({1})
Eine personell und materiell gut ausgestattete Justiz
muss letztlich im Rechtsstaat genauso selbstverständlich
sein wie eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz.
Die Einführung der Selbstverwaltung der Justiz ist auch
nach Auffassung aller Richterverbände längst überfällig;
denn nur die Richterinnen und Richter sowie die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, also die Praktiker vor
Ort, wissen, welche Ressourcen für eine ordnungsgemäße Aufgabenerledigung erforderlich sind. Dazu hört
man aus Ihrem Haus leider noch nicht einmal leise Töne.
Dass die Gerichtsbarkeit nicht Ihr Steckenpferd ist,
zeigen Sie auch bei der längst überfälligen Änderung des
§ 80 Abs. 2 der Wehrdisziplinarordnung. Mit dieser
Norm, die Sie in der letzten Legislaturperiode von den
harten Oppositionsbänken aus noch heftig kritisiert haben, Frau Ministerin, erlauben Sie dem Verteidigungsminister, sich in die Besetzung des Wehrdisziplinarsenats
beim Bundesverwaltungsgericht einzumischen. Wenn
die Bundesregierung auf die Geschäftsverteilung eines
oberen Bundesgerichts Einfluss nimmt, so ist dies nicht
nur in meinen Augen ein eklatanter Verstoß gegen das
Gebot der Gewaltenteilung. Sie haben sich leider nicht
einmal dafür eingesetzt, dass der von meiner Fraktion
eingebrachte Entwurf eines Gesetzes, das dies ändern
soll, im Rechtsausschuss behandelt wird.
An anderer Stelle hingegen sind Sie, Frau Ministerin,
und meine Fraktion sich anscheinend näher als Sie Ihrem
eigenen Haushaltsentwurf. Immer wieder fordern Sie
völlig zu Recht zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts. Wir begrüßen, dass Sie für 2012 unserem
Vorschlag gefolgt sind und 50 000 Euro für die Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung über den Härtefallfonds
für Opfer von extremistischen Übergriffen in den Haushalt einstellten. Wie lässt sich das aber damit vereinbaren, dass Sie im nächsten Haushalt eine Kürzung bei den
Härteleistungen - es handelt sich fast um eine Halbierung - planen? Offensichtlich war Ihre Aufklärungsarbeit nicht erfolgreich. Hier müssen Sie ansetzen.
Dass die Regierung das Problem gewaltbereiter und
gewaltausübender Rechtsextremisten trotz NSU-Skandal
nicht im Griff hat, zeigen die weiterhin sehr hohen aktuellen Opferzahlen. Die Opfer gibt es. Allerdings wissen immer noch zu wenige von ihnen, dass sie Entschädigungsleistungen bekommen können. An dieser Stelle
zu sparen, ist unredlich. Deshalb: Stellen Sie weiterhin
1 Million Euro für alle Härteleistungen ein, und verbessern Sie die Informationsarbeit!
Frau Ministerin, nutzen Sie die Zielgerade dieser Legislaturperiode, um vielleicht doch noch den einen oder
anderen Beitrag zur Stärkung des Rechtsstaates zu leisten! Sie haben demnächst dazu Gelegenheit, wenn meine
Fraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der
Gewaltenteilung und der Selbstverwaltung der Justiz
vorlegt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin! „Das Bundesjustizministerium: Hüter des Rechtsstaates - Motor der Rechtspolitik“. So ambitioniert betitelt das Bundesjustizministerium seine Internetseite. Ziehen wir nach drei Jahren
Regierungszeit Bilanz, so stellen wir fest: Der Motor
war in Bewegung. Er hat auch Geräusche von sich gegeben. Aber nach vorne bewegt hat er sich nicht.
({0})
Jüngstes Beispiel ist der Entwurf eines Gesetzes zur
Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Änderungen
waren hier längst fällig. Sie, meine Damen und Herren
von der Regierungsbank, hatten die Chance, echte Fortschritte bei der Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft zu bewirken. Wir stellen fest: Sie haben die
Chance vertan. Eine echte Gleichstellung haben Sie
nicht geschaffen. Was fehlt Ihrem Entwurf? An zentrale
Punkte wagen Sie sich nicht heran. Das sind das Ehegattensplitting und das volle Adoptionsrecht für Homosexuelle. Von der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sind Sie noch meilenweit entfernt. Das zeigt:
Ihre Rechts- und Gesellschaftspolitik ist realitätsfern.
Sie haben nicht den Mut, den Entwicklungen in der Gesellschaft mit modernen Gesetzen Rechnung zu tragen.
Sie betreiben hier ein Stück Realitätsverweigerung.
({1})
Selbst wenn Sie eine kleine Vorwärtsbewegung andeuten, dann kommt der Koalitionspartner - diesmal in
Person von Gerda Hasselfeldt, ihres Zeichens Landesgruppenchefin - und erklärt, die Zukunft liege „in Familie, Kindern und Ehe und nicht in homosexuellen Lebenspartnerschaften“. Damit tritt sie mit beiden Beinen
auf die Bremse.
Als Rechtspolitikerin sage ich Ihnen an dieser Stelle:
Wenn Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, dann ist das ein hohes gesellschaftliches Gut. Dann
kommt es auch nicht darauf an, ob die Partner verschieden- oder gleichgeschlechtlich sind. Solche verantwortungsvollen Lebenspartnerschaften haben es verdient,
gleich behandelt zu werden, und zwar sowohl rechtlich
als auch steuerlich.
({2})
Das zweite Motto des Bundesjustizministeriums lautet, das Justizministerium sei der Hüter des Rechtsstaats.
Eine der tragenden Säulen unseres Rechtsstaats ist die
Justiz. Für eine funktionierende Justiz brauchen wir ausreichend Richterstellen und die erforderlichen Sachmittel. Dies ist im aktuellen Haushaltsplan berücksichtigt. Zu
einem ausgewogenen Rechtsstaat gehört aber auch, dass
der Zugang zur Justiz jeder Bürgerin und jedem Bürger
offensteht. Wer sich einen Anwalt oder ein Gerichtsverfahren finanziell nicht leisten kann, muss staatliche Hilfe
in Anspruch nehmen können. Wir gewährleisten das mit
Prozesskostenhilfe und mit Beratungshilfe. Doch wie
sieht hier die Realität aus? Alle Lebenshaltungskosten
steigen. Und was ist der Plan der Bundesregierung? Sie
will die Prozesskostenhilfe und die Beratungshilfe einschränken und damit den Zugang zum Recht für ärmere
Einkommensschichten erschweren. Verdeutlichen möchte
ich das an drei Beispielen.
Erstens. Die Rechtsuchenden, deren Einkommen über
den Sozialleistungen liegt, sollen mehr Geld für rechtlichen Beistand bezahlen. Wer also wenig Einkommen
hat, wird sich dann noch genauer überlegen, ob er das
Geld für den Schulausflug seiner Kinder ausgibt oder für
einen Prozess einsetzt. Das schreckt Rechtsuchende von
dem Gang zum Gericht ab.
({3})
Zweitens. Das Gericht soll eine einmal bewilligte
Prozesskostenhilfe aufheben können, soweit ein Antrag
auf Beweiserhebung keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet. Das verstößt gegen den Grundsatz der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Zivilprozess,
und das verschlechtert die Prozesschancen zulasten der
finanziell schlechter gestellten Partei erheblich.
({4})
Drittens. Bisher hat ein Ehegatte, der im Scheidungsverfahren Prozesskostenhilfe erhält, das Recht auf einen
Anwalt, wenn sein Partner oder seine Partnerin anwaltlich vertreten ist. Dieses Recht soll eingeschränkt werden. Ein Anwalt muss dann nur noch über Prozesskostenhilfe beigeordnet werden, wenn die Schwierigkeit der
Sach- oder Rechtslage dies erfordert. Die Beiordnung
wird also nicht mehr automatisch bewilligt, wenn auch
die Gegenpartei einen Anwalt hat. Das schränkt die Verteidigungsmöglichkeiten von Menschen mit geringem
Einkommen deutlich ein. Das verschiebt die erfolgreiche
Rechtsverfolgung zugunsten des finanziell Bessergestellten.
Rechte, meine Damen und Herren, sind nur dann wirkungsvoll, wenn die Bürgerinnen und Bürger diese auch
durchsetzen können. Mit diesem Gesetz zur Prozesskosten- und Beratungshilfe schaffen Sie eine Zweiklassenjustiz. Dieses Gesetz behütet nicht den Rechtsstaat, dieses Gesetz beschädigt den Rechtsstaat.
({5})
Wir Grünen werden einem Gesetzentwurf, der im Rechtsbereich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter
aufmacht, nicht zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Patrick Sensburg
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Ministerin! Ich möchte zu Anfang der Rede auf die Zahlen des Einzelplans 07 zu sprechen kommen. Es gibt einzelne Punkte, die sicherlich
noch erwähnenswert sind. Insbesondere zwei Ansätze
möchte ich kurz in die Debatte einbringen, damit wir sie
in den kommenden Wochen diskutieren können.
Es handelt sich tatsächlich um den kleinsten Einzelplan des Bundeshaushalts. Er macht 0,16 Prozent des
Gesamtetats aus. Günter Krings hat es eben in seiner
Rede erwähnt. Aber zugleich stellen wir fest, dass der
Etat mit einer Steigerung von 10,8 Prozent prozentual
die größte Steigerung aller Einzeletats erfährt. Daher
werden wir in den nächsten Wochen genau hinschauen,
was die Gründe dafür sind. Die Gründe liegen sicherlich
in den Personalkosten, aber das ist auch bei anderen
Haushalten so, beispielsweise dem des Innenministeriums. Wir müssen schauen, ob dieser Ansatz gerechtfertigt ist und, wenn dies so ist, ob wir inhaltlich eine intensivere Fokussierung auf bestimmte Themen, auf die ich
gleich noch zu sprechen kommen werde, vornehmen
können. Wir werden die hohe Steigerung dieses Einzeletats von 10,8 Prozent in den nächsten Wochen sicherlich zum Gegenstand der parlamentarischen Debatte machen.
Ein weiterer Punkt, der von mir in den letzten Jahren
immer wieder angesprochen worden ist, ist die hohe
Flexibilisierungsquote des Etats des Bundesjustizministeriums. Gegenwärtig liegt diese Quote bei 67 Prozent.
Das ist die höchste Quote eines Einzeletats. Die anderen
Ministerien liegen deutlich darunter. Beispielsweise hat
das Umweltministerium eine Flexibilisierungsquote von
15 Prozent. Das Verteidigungsministerium hat eine Flexibilisierungsquote von gerade einmal 6 Prozent. Aus
haushalterischer Sicht, aber auch aus Gründen der parlamentarischen Kontrolle der Einzeletats wünsche ich mir,
dass die Flexibilisierungsquote des Einzelplans 07 deutlich niedriger angesetzt wird. Wir können sicherlich in
einen Dialog eintreten, Frau Ministerin. Ich stelle mir
eine Flexibilisierung von 30 Prozent vor. Das ist ausreichend. Dann müssen die einzelnen Maßnahmen klar
bestimmt sein.
Bezüglich der inhaltlichen Debatte verstehe ich die
Opposition heute nicht. Bisher haben zehn Redner gesprochen, und viele Redner haben über die einzelnen
Maßnahmen, über die einzelnen Initiativen des Bundesjustizministeriums gesprochen.
({0})
Die Justizministerin hat die einzelnen Maßnahmen dargelegt. Unser Sprecher Günter Krings hat die einzelnen
Maßnahmen dargelegt. Sie haben diskutiert. Dennoch
wurde von einzelnen Rednern der Opposition immer
wieder gesagt, es sei nichts passiert. Frau Kollegin
Hönlinger, Sie haben gerade noch von dem Motor gesprochen, der sich nicht von der Stelle bewegt. Damit ein
Fahrzeug sich bewegt, braucht es auch Räder, braucht es
auch eine Karosserie. Genau das stellt die Regierungskoalition dar: ein vollständiges fahrendes Fahrzeug, nicht
allein einen Motor. Wir haben mit der Justizministerin
einen ganz starken Motor. Aber wir haben auch schneidige Räder, und wir haben auch eine schneidige Karosse.
Wäre der Kollege Ernst jetzt hier, könnte er Ihnen das im
Detail darlegen.
({1})
Dass die Arbeit der Regierungskoalition in der Justizpolitik funktioniert, das sehen wir an vielen Maßnahmen. Dass wir in der Koalition diskutieren, das ist gut;
denn es gibt natürlich immer wieder offene Baustellen.
Das ist doch richtig. Ich werde Ihnen gleich einmal
aufzeigen, was Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, im Bereich der Rechtspolitik leisten. Dass
wir die offenen Baustellen aktiv angehen, das ist gut so.
Es gibt noch Baustellen, und auf die komme ich nun
ebenfalls zu sprechen.
Zunächst zum Bereich Vorratsdatenspeicherung;
({2})
Sie haben diesen Bereich in einzelnen Reden schon angesprochen. Da haben wir eine große Baustelle, auf der
wir arbeiten müssen. Ich glaube, es ist nicht der richtige
Weg, die Auffassung zu vertreten - der Kollege Bockhahn
hat den Sitzungssaal anscheinend schon verlassen -, wir
kämen durch Klagen weiter. Wir haben vielmehr von der
Europäischen Union die Aufgabe bekommen, die Vorratsdatenspeicherung richtlinienkonform umzusetzen.
({3})
Inzwischen haben wir nicht nur den Umsetzungstermin
versäumt - er war im März 2009, nicht im März 2013 -,
sondern wir sind auch noch der Mahnung der Kommission, bis April 2012 ein Gesetz zu haben, nicht nachgekommen. Wir müssen also jetzt im Dialog einen Fortschritt erzielen, und wir, die Koalition, werden das auch
schaffen.
({4})
- Da bin ich mir ziemlich sicher.
Es gibt die Möglichkeit einer richtlinienkonformen
Umsetzung, durch die auch die Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts, die ja in seinem Urteil enthalten
sind, berücksichtigt werden. Eine Lösung besteht möglicherweise in einem Short Freeze. Hierdurch werden im
Grunde alle Aspekte der EU-Richtlinie, aber auch alle
Aspekte des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt.
Darüber werden wir in den nächsten Wochen diskutieren, sodass dieser Haushaltsentwurf auch in seiner
Gesamtheit ausgereift ist. Sonst müsste man einen Ansatz für mögliche Strafzahlungen berücksichtigen. Die
Kommission hat uns nämlich Strafzahlungen in Höhe
von 300 000 Euro pro Tag angedroht. Wir müssen also
einen Vorschlag machen. Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, werden sehen: Wir werden einen
solchen Vorschlag vorlegen. Ich bin gespannt, wie wir
nächstes Jahr diskutieren.
Ein weiteres Thema, das wir angehen müssen, ist das
Scharia-Recht. Wir haben es letztes Jahr in der Haushaltsdebatte diskutiert. Wir haben gesagt: Das Phänomen
der Scharia-Richter wollen wir beleuchten. Bevor wir
eine Debatte führen, müssen wir dieses Phänomen erst
einmal konkreter betrachten. Deswegen haben wir im
Einzelplan 07 dieses Haushalts eine entsprechende
Position geschaffen. Sechs Stellen zwischen A 13 und
B 3 sind für den Bereich internationales und SchariaRecht vorgesehen. Meine dringende Bitte an das Justizministerium lautet, mit der Besetzung dieser Stellen
zügig voranzugehen, sodass wir noch dieses Jahr Ergebnisse bekommen. Denn erst aufgrund dieser Ergebnisse
können wir eine fundierte Debatte führen. Das unterscheidet unsere von Ihrer Rechtspolitik: Wir führen erst
eine fundierte Recherche durch und kommen zu Ergebnissen, ohne vorher mit populistischen Forderungen an
die Öffentlichkeit zu gehen.
({5})
Die Umsetzung von Europarecht wird immer wichtiger. Dass uns dies auch überfraktionell gut gelingt, hat
die Umsetzung der Mediationsrichtlinie gezeigt. Die
Bundesjustizministerin hat dies bereits angesprochen.
Das ist eine gute Arbeit über die Fraktionsgrenzen
hinweg mit allen Fraktionen. Hier wird die spannende
Frage sein, ob wir die Mittel im Etat auch dafür nutzen
können, um das Thema Mediation beispielsweise durch
Information und Aufklärung darüber, welche guten
Möglichkeiten das Mediationsgesetz bietet, weiter anzuschieben. Ich glaube, hier haben wir gute Ansätze, um
das Thema noch intensiver zu bearbeiten. Ich könnte mir
vorstellen, dass im Rahmen der parlamentarischen
Debatte in dieser Frage noch einzelne Aspekte eingebracht werden können.
Sie sehen, das Thema Europa prägt unsere Arbeit der
Rechtspolitik. Ich würde mir wünschen, dass die Rechtspolitik des Deutschen Bundestages noch stärker auf die
entscheidenden Fragen, die uns aus Europa vorgegeben
werden, eingeht. Ich nenne hier beispielsweise die
Themen Staatsanleihen, Beteiligungsrechte, Fiskalpakt
und ESM. Hier würde ich mir wünschen, dass die
Rechtspolitik ihre Ansichten noch intensiver einbringen
kann. Hier würde ich mir zum Beispiel wünschen, dass
die Frau Justizministerin auch einmal in den Unterausschuss Europarecht kommt, um mit uns ihre Überlegungen zu diskutieren. Ich weiß, dass Sie hier ganz dezidierte und richtige Ansichten haben. Ich glaube, das ist
ein guter Ansatz, und ich bin mir sicher, dass wir interessante Erkenntnisse haben werden, um die Themen
rechtspolitisch und nicht nur finanzpolitisch noch intensiver zu beleuchten.
({6})
- Ja, Herr Kollege, es kommt auch etwas.
Sie haben im Kaufrecht gesehen, dass wir hier überfraktionell eine ganz starke Position eingenommen
haben, die über Deutschland hinaus in Europa wahrgenommen wird. Von daher freue ich mich darüber, dass
der Kollege Mayer dieses Thema schon angesprochen
hat. Mit der Subsidiaritätsrüge, die wir erhoben haben,
werden wir aber keinen Schlusspunkt haben. Hier werden wir eine weitere Diskussion über die Frage haben,
wie es im europäischen Prozess weitergehen muss.
Insbesondere im Bereich digitaler Kaufverträge sehe ich
noch eine intensive Diskussion vor uns; denn diesen Bereich hat der Entwurf aus Europa im Grunde noch nicht
hinreichend berücksichtigt. Hier haben wir die Tür
aufgestoßen, um auch als nationales Parlament in einer
europäischen Diskussion politischen Einfluss zu nehmen. Das ist eine gute Richtung, die wir als Deutscher
Bundestag mit unserer intensiven Betrachtung der Integrationsverantwortung einnehmen. Ich kann hier nur alle
Fraktionen auffordern, dabei mitzumachen. Das nächste
Thema wird kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass
wir beim Thema Sammelklagen zwar unterschiedliche
Ansichten haben, dass wir aber die Fragen der Integrationsverantwortung und der Subsidiarität definitiv intensiv wahrnehmen müssen.
Meine Damen und Herren, in den letzten Sekunden
Redezeit, die ich noch habe, möchte ich kurz auf die
Opposition eingehen. Sie haben die ganze Zeit gesagt:
Es kommt nichts aus der Regierung. - Was kommt denn
aus der Opposition?
({7})
Ich habe mir die Mühe gemacht und recherchiert. Die
SPD hat 12 eigene Initiativen gehabt: 9 innenpolitische
und 2 von der CDU abgekupferte. Es war nicht viel da.
Die Grünen haben einen guten Antrag vom Kollegen
Montag zum Thema Funkzellenüberwachung. Bei
diesem Thema bin ich ganz anderer Meinung, aber der
Antrag ist zumindest inhaltlich juristisch fundiert.
Meine Damen und Herren von der Linken, sowohl auf
Ihrer Internetseite als auch im Rechtsausschuss gibt es
im Bereich der Rechtspolitik - nicht der Innenpolitik nichts.
({8})
Eine Ausnahme ist das Thema der Bekämpfung des
Rechtsextremismus. Das ist bei Ihnen sehr löblich, aber
im Bereich der Rechtspolitik weisen Sie eine glatte Null
auf. Das mag an verschiedenen Gründen liegen. Ich
würde mir wünschen, dass Sie erst einmal als Opposition
tätig werden. Sie schreien immer, Sie möchten an die
Regierung. Sie können nicht einmal Opposition. Ich
würde inhaltlich arbeiten, dann würden Sie auch intensiver wahrgenommen.
({9})
Meine Damen und Herren, die Justizpolitik der Koalition bemisst sich an dem Grundsatz: eine starke Anwaltschaft, Gerichte und Staatsanwaltschaften stärken, damit
die Bürger nicht nur in Europa in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts leben, sondern auch
in Deutschland.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ingo Egloff von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man den Kollegen Sensburg eben gehört
hat, dann könnte man denken, dass wichtige Themen,
mit denen wir uns zu befassen haben, das europäische
Kaufrecht und das Scharia-Recht sind. Der Kollege
Mayer hat vorher irgendwelche OLG-Entscheidungen
zitiert. Ich habe das Gefühl, Sie machen hier ein bisschen Nebel, damit Sie nicht über das reden müssen, worüber Sie sich in Ihrer Koalition streiten.
({0})
Dankenswerterweise haben Sie ja darauf hingewiesen: Bei der Vorratsdatenspeicherung wird es eine Lösung geben. Darauf werden wir jetzt warten. Ich meine,
seit 2009 hatten Sie Zeit, als Koalition eine Lösung hinzukriegen. Sie sagen, Sie werden das jetzt beschleunigt
tun. Dann müssen Sie sich aber ziemlich beeilen, wenn
Sie das bis zum Ende der Legislaturperiode noch hinkriegen wollen, Herr Kollege Sensburg.
Mein Kollege Lischka hat ja schon auf die Bilanz der
Justizministerin hingewiesen; die ist nicht besonders
toll. Da sind viele Ankündigungen gewesen, und am
Ende ist nicht viel herausgekommen. Teilweise ist
Klientelpolitik gemacht worden. Das ist das Ergebnis,
das wir bisher festzustellen haben.
Ich werde mich jetzt hier einmal einigen Punkten zuwenden. Nehmen wir das Thema Mietrechtsänderung.
Zwei Jahre lang angekündigt, einen Referentenentwurf
noch einmal geändert, jetzt sind wir in der Diskussion,
({1})
und nun ist ja die Frage, was am Ende dabei herauskommen wird. Herr Mayer hat dankenswerterweise auf einen
Punkt hingewiesen, der in Ihrem Gesetzentwurf fehlt,
nämlich die Frage: Wie ist das denn mit der sozialen
Ausgestaltung des Mietrechts?
({2})
Ich hoffe, dass es kommt, dass Sie sich endlich auch in
dieser Frage einmal auf den Weg machen, zu gucken,
was Sie gegen die Spaltung der Städte und gegen die
Vertreibung von Mietern aus angestammten Vierteln tun
können.
({3})
Da müssen Sie sich nämlich der Frage der Mieterhöhungen zuwenden, da müssen Sie sich der Frage zuwenden,
wie Sie ortsübliche Vergleichsmieten ausrechnen wollen
und wie Sie bei Neuvermietungen die Mieterhöhungen
begrenzen wollen, wenn Sie die Ergebnisse nicht haben
wollen, die wir in den Städten zu verzeichnen haben.
Dazu findet sich in Ihrem Gesetzentwurf bisher überhaupt nichts.
Zur Frage Mietnomaden. Also, das ist ein bisschen so
wie mit dem Scheinriesen bei Jim Knopf.
({4})
Das Problem wird immer winziger, je mehr man sich
ihm zuwendet.
({5})
Herr Mayer sagte auf die Frage des Kollegen von der
Linken, er wisse gar nicht, wie viele Fälle das sind. Sie
ändern das Mietrecht für alle Mieter auf der Basis
irgendeiner Annahme, und Sie wissen gar nicht, wie
viele Fälle das sind. Wenn Sie sich die Mühe machen
würden, mit den Wohnungsbaugesellschaften zu reden,
dann würden Sie feststellen, dass die Ihnen sagen: Das
ist überhaupt nicht das Problem.
({6})
Wissen Sie, den privaten Vermietern würden Sie wahrscheinlich einen Gefallen tun, wenn Sie ihnen eine
Broschüre gäben, in der steht, wie sie sich erkundigen
können. Damit wäre ihnen wahrscheinlich besser
gedient als mit den Gesetzesänderungen, die Sie hier
machen, mit denen Sie den Mietern Rechte abschneiden,
und zwar allen Mietern und in einer Art und Weise, die
mit dem Rechtssystem eigentlich nicht zu vereinbaren
ist.
({7})
Kündigung wegen Nichtzahlung der Kaution ohne
Abmahnung, Räumungstitel wegen Mietverzugs ohne
Entscheidung in der Hauptsache, möglicherweise ohne
dass die Rechtmäßigkeit der Mietkürzung festgestellt
worden ist. Sie regeln etwas, wo es nichts zu regeln gibt,
und beschädigen dabei ohne Not das Äquivalenzprinzip
des Vertragsrechts, meine Damen und Herren, und Sie
schränken Mieterrechte in einer nicht hinnehmbaren
Weise ein.
Meinen Sie bei der energetischen Gebäudesanierung
tatsächlich, dass das, was Sie hier im Mietrecht gemacht
haben, dazu beitragen wird, dass auch nur ein Haus mehr
energetisch saniert wird als in der Vergangenheit? Sie
blenden auch da die soziale Frage völlig aus, wie das mit
der Umlage ist, und behelfen sich damit, dass Sie sagen:
Na ja, das wird sich schon irgendwie wieder einspielen
dadurch, dass es diese Energieeinsparung gibt. - Sie wissen selber, wenn Sie mit Experten reden, dass diese
Rechnung so nicht aufgeht und dass Sie sich auch hier
der sozialen Frage zuwenden müssen, der Frage des
Umlegens dieser Investitionen. Gleichzeitig kürzen Sie
auch das Mietminderungsrecht in einer Art und Weise,
die überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Die Vermieter sagen, diese drei Monate bringen im Prinzip überhaupt
nichts. Sie machen eine neue Baustelle für Anwälte und
Gerichte auf, weil es Streit darüber geben wird: Was ist
denn energetische Gebäudesanierung, was ist normale
Modernisierung? Also, an der Stelle müssen Sie noch
einmal erheblich nachbessern.
({8})
Meine Damen und Herren, zur Frage der Steuer-CDs
ist hier schon eine Menge gesagt worden. Ich finde es
eigentlich traurig, dass die Bundesjustizministerin, die
eigentlich sozusagen auch die Hüterin des Rechtsstaats
in der Öffentlichkeit sein soll, sagt, sie möchte mit dem
Tatbestand der Datenhehlerei gegen diejenigen vorgehen, die den deutschen Staat in die Situation versetzen,
Steuerstraftäter zu stellen. Ich finde, es ist ein Unding,
dass die Justizministerin in dieser Art und Weise agiert
hat, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt hat der Kollege Alexander Funk von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unser
aller Interesse werde ich die Lautstärke jetzt erst einmal
etwas zurückdrehen.
({0})
- Einfach besser zuhören, Kollege.
Es wird wohl zu keiner Zeit eine Haushaltsdebatte geben, in der die Redner nicht darauf verweisen, dass es sich
beim Justizetat um den kleinsten Etat aller Ministerien
handele, gleichwohl aber um einen der wichtigsten. Dieser Versuchung widerstehe ich heute. Immerhin: Selbst
dieser Einzelplan nähert sich nunmehr der 600-MillionenEuro-Grenze; aber was man früher als beachtliche
Summe betrachtet haben mag, hat angesichts der Hunderten von Milliarden Euro, um die es bei der sogenannten Rettung des Euro geht, für viele in der Tat nur noch
den Charakter der berühmt-berüchtigten Peanuts. Dennoch sollte man auch diesen Etat nicht einfach parlamentarisch durchwinken; denn selbst er bietet einerseits ausreichend Kritikpunkte und andererseits Ansätze zum
verstärkten Sparen. Einige wenige Aspekte will ich herausgreifen.
Ein emotional geladenes Thema ist die Umsetzung
der EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Ich verzichte darauf, die Argumente von Gegnern
und Befürwortern der Richtlinie aufzuführen oder gar zu
bewerten. Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg hat
bereits völlig zu Recht auf die schwierigen juristischen
Einschätzungen hingewiesen. Ich will an dieser Stelle
nur darauf hinweisen, dass die wahrscheinliche Verurteilung Deutschlands durch den EuGH in dieser Frage den
deutschen Steuerzahler täglich 315 000 Euro kosten
kann. Auch ein Pauschalbetrag, wenn er denn fällig
wird, dürfte empfindlich hoch sein. Ich kann als Haushälter nicht nachvollziehen, dass eine derartige Strafandrohung die Justizministerin nicht zu aktivem Handeln
veranlasst.
Die Befassung mit dem Deutschen Patent- und Markenamt
({1})
darf in keiner Rede zum Justizetat fehlen. Das gilt auch für
diese Rede, wenngleich meine Äußerungen durchaus - ({2})
- Wie bitte? - Das gilt auch für diese Rede, wenngleich
meine Äußerungen durchaus kein Selbstzweck sind, wie
Sie gleich hören werden. Aus München erreichen uns
Alarmsignale; denn die Erledigungszahlen sanken drastisch, von 31 900 in 2010 auf 25 520 im vergangenen
Jahr. Für die Wirtschaft eines Blaupausenlands wie
Deutschland hätte eine solche Entwicklung katastrophale Folgen, wenn sie denn anhielte. Inzwischen hat
sich aber herausgestellt, dass es sich bei diesem Rückgang wohl um einen einmaligen Sondereffekt handelt,
der durch die ElSA-Einführung und die damit verbundene Anpassung des Statistiksystems zahlreiche Patentprüfer gebunden hatte. Der Etatentwurf der Regierung
sieht ohnehin die Verlängerung von 201 kw-Stellen bis
2016 vor. Wir werden sorgfältig beobachten müssen, ob
der Patentstau abgebaut wird oder ob es nicht noch zusätzlicher Stellen bedarf. Momentan erscheint mir das
nicht erforderlich.
Bereits in der ersten Legislaturperiode des Deutschen
Bundestages wurde Anfang der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Bürokratieabbau gefordert. Der
Ruf verhallte ungehört. Mit der Umsetzung des Gesetzes
über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, kurz
EHUG, war unser Land 2007 um ein weiteres Stück Bürokratie reicher. Verstöße gegen die im EHUG geforderte Offenlegungspflicht werden vom Bundesamt für
Justiz mit Ordnungsgeldverfahren und Strafen zwischen
2 500 und 25 000 Euro geahndet, und das nicht zu
knapp. Bei der ursprünglichen Stellenausbringung hatte
man eine Zahl von jährlich 100 000 Fällen geschätzt; tatsächlich sind es 145 000 Fälle. Die Fallzahlen im Bereich der Ordnungsgeldandrohung liegen mit 19 Prozent
fast doppelt so hoch wie ursprünglich angenommen, und
es werden nicht in 2,5 Prozent dieser Fälle Ordnungsgelder festgesetzt, sondern in 30 Prozent der Fälle. Diese
zunächst nicht absehbare Entwicklung lässt nach meiner
Überzeugung eine Ablehnung des durchaus signifikanten Stellenzuwachses beim Bundesamt für Justiz nicht
zu.
Dass gespart werden muss, ist uns allen klar, ebenso
wie die Tatsache, dass sehr häufig an der falschen Stelle
gespart wird. Ich nehme hier als Beispiel die IRZ-Stiftung. Als vor einem Jahr noch Euphorie aufgrund des sogenannten oder vermeintlichen arabischen Frühlings
herrschte, waren wir uns im Haushaltsausschuss einig,
dass die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche
Zusammenarbeit mit ausreichenden Mitteln auszustatten
ist, damit sie den Demokratisierungsprozess in Nordafrika begleiten kann. Inzwischen ist die Aufstockung
der Gelder fast komplett zurückgenommen worden, und
damit werde ich mich nicht zufriedengeben.
({3})
Die Projekte laufen gut und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der teils jungen Demokratien. Selbst das Ministerium spricht von einer vielversprechenden Zusammenarbeit und dem Wunsch etwa
Tunesiens oder Ägyptens, die erfolgreiche Arbeit fortzusetzen. Es war der ausdrückliche und parteiübergreifende Wunsch des Haushaltsausschusses, die Arbeit der
IRZ-Stiftung in Nordafrika zu fördern. Wir werden uns
deshalb engagiert dafür einsetzen, dass die Mittel wieder
um 364 000 Euro aufgestockt werden, die im vorliegenden Haushaltsentwurf gestrichen wurden.
Unter die nationalsozialistische Vergangenheit
Deutschlands will und darf niemand einen Strich ziehen.
Der NS-Staat hat millionenfach morden lassen. Zu diesem NS-Staat gehörte auch das Reichsministerium der
Justiz. Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesjustizministerin nun die braune Geschichte ihres Hauses auf23180
arbeiten lassen will - recht spät zwar, aber immerhin. Erörtert werden muss nach meiner Überzeugung aber noch
die Frage, wer in welcher Weise die Aufarbeitung vornimmt. Mit rund 1 Million Euro will die Ministerin bis
2015 per Verpflichtungserklärung eine Expertenkommission finanzieren, die sich der schwierigen Aufgabe
annehmen soll. Wenn auch jeder der Persönlichkeiten,
die bisher genannt wurden, die entsprechende Expertise
bescheinigt werden muss, sollte meines Erachtens
geprüft werden, ob wir wirklich eine neue Expertenkommission benötigen. Denkbar wäre durchaus, einen
Förderpreis auszuschreiben und sich des Themas gemeinsam mit deutschen Universitäten anzunehmen. Die
Beauftragung eines kompetenten Verlags wäre - nach
entsprechender Ausschreibung - eine weitere Alternative. Ich bin mir sicher, dass die wissenschaftliche Qualität der Ausarbeitung nicht leiden würde, wenn eine der
Alternativen nach entsprechender Prüfung gewählt werden würde.
Die wenigen Punkte, die ich aufgegriffen habe, zeigen, dass auch ein sogenannter kleiner Einzelplan sorgfältigst geprüft werden muss. Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kontrollieren, das heißt aber im
Umkehrschluss keinesfalls, dass Abgeordnete der Koalition dem Etatentwurf der Regierung kritiklos zustimmen
müssen. Ich jedenfalls werde in Gesprächen in den kommenden Wochen die angeführten und weitere Punkte
aufgreifen und bitte um engagierte Unterstützung meiner
Kollegen.
({4})
Der Kollege Petermann hat nun das Wort zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte kurz etwas richtigstellen. Herr Kollege Sensburg, es ist in Ordnung, dass man als einer der letzten Redner etwas abräumt. Ehe Sie aber bestimmte Ergebnisse googeln,
sollten Sie sich vielleicht mit dem Kollegen Mayer darüber verständigen, wie das richtig funktioniert. Er hat
das vorhin ja gut hingekriegt.
Ich habe gerade eben mit meinem Büro kommuniziert. Aus meiner Fraktion kamen in dieser Legislaturperiode mindestens 14 parlamentarische Initiativen zum
Bereich Rechtspolitik. Das zur Richtigstellung. Über die
Details können wir uns später noch unterhalten.
({0})
Möchten Sie antworten? - Bitte schön.
Herr Kollege Petermann, auch ich habe recherchiert.
Ein Großteil dieser Initiativen sind innenpolitischer Art
oder sie sind angehängt an folgende Initiativen, die wir
eingebracht haben: Gerichtsstand für besondere Auslandsverwendung der Bundeswehr - Ablehnung durch
die Linke. Warnschussarrest, Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten - Ablehnung durch
die Linke. Sicherungsverwahrung - Ablehnung durch
die Linke.
({0})
Stärkung der Täterverantwortung - Ablehnung durch die
Linke. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - Ablehnung durch die Linke.
({1})
Ich könnte die Liste noch fortführen. Wenn Sie Ablehnung als Initiative bezeichnen, dann haben Sie recht.
Liefern Sie selbst, leisten Sie selbst, und melden Sie sich
dann wieder!
({2})
Danke schön.
({3})
Jetzt hat das Wort der Kollege Ewald Schurer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal
treibt die Debattenkultur seltsame Blüten: Das sind so
die kleineren Scharmützel.
Lassen Sie mich auf die eigentliche Materie zurückkommen. Es ist ein guter Brauch, dass die Hauptberichterstatter der Frau Ministerin und ihrem Haus über alle
politischen Inhalte hinweg herzlich danken - das mache
ich aus Überzeugung - für die umfängliche und rechtzeitige Bereitstellung und Erarbeitung aller Unterlagen, die
wir Berichterstatter benötigen.
({0})
Wir haben morgen in aller Frühe bei Ihnen im Hause einen Termin zu einem Gespräch zwischen den Berichterstattern, das ich leiten werde, um die genannten Zahlen
zu beraten. In aller Kürze: Das ist das verdiente Lob für
die Arbeit jenseits der inhaltlichen Divergenzen, die hier
ausgetragen werden. Das soll und muss auch so sein.
Der Haushalt steht in der Tat strukturell gesehen insgesamt in Kontinuität zu früheren. Die Einnahmen sind
mit 484 Millionen Euro noch einmal deutlich höher angesetzt, weil die wesentlichen Träger, die Geld bringen
- das Deutsche Patent- und Markenamt aufgrund seines
Leistungsbildes und das Bundesamt für Justiz -, im
nächsten Haushalt mit 313 Millionen Euro respektive
128 Millionen Euro dafür sorgen, dass wir eine Deckungsquote von 81 Prozent bei den Ausgaben haben.
Das ist enorm. Es liegt aber an Art und Umfang der Tätigkeit dieses Ministeriums, das für das Rechtsgefüge
der Gesellschaft jenseits der relativ überschaubaren
Werte eine hohe Funktionalität und Bedeutung hat. Das ist das eine.
Es wurden einige Fragen gestellt, die ich kurz beantworten will.
Natürlich sind Flexibilisierungen im Umfang von
68 Prozent ein hoher Wert. Das hat aber auch mit der
Tatsache zu tun, dass es sich hier vor allem um einen
Verwaltungsetat handelt. Man kann natürlich auch darüber diskutieren, inwieweit das relativiert werden kann,
werter Kollege.
Wichtig ist, geschätzter Herr Kollege Funk, dass wir
Haushälter, aber auch das BMF uns darauf verständigt
haben, die bisher traditionell sehr hohen Ausgabereste
zurückzuführen - das wird in diesem Haushalt gemacht -,
um dem Grundsatz von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit mehr zu entsprechen und um die Leistungen, die jeweils erbracht werden, im Haushalt direkter
abbilden zu können.
Natürlich ist es richtig - das wurde ja auch angesprochen -, dass sich die Erhöhung der Ausgaben aufgrund
von Tarifanpassungen bei einem kleinen und übersichtlichen Haushalt prozentual anders auswirkt als bei einem
Milliardenhaushalt. Das ist im Wesentlichen, Herr Kollege Sensburg, die Antwort darauf, wieso es hier zu einer
Ausgabenerhöhung kommt. In diesem feinen und kleinen Haushalt schlagen diese Tarifanpassungen, die ich
- wie wohl alle - für notwendig halte, überdurchschnittlich zu Buche.
Lassen Sie mich noch ein Thema ansprechen, werte
Kolleginnen und Kollegen, das mich sehr bewegt. Wir
reden ja morgen darüber; und da möchte ich auch auf
Sie, Frau Ministerin, noch einmal zukommen. Sie haben
in Ihren Ausführungen gesagt, der Titel 681 01 „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ beim
Bundesamt für Justiz wurde in diesem Jahr aufgrund der
schrecklichen Tatsache der brutalen Morde dieser NSUTerrorgruppe genutzt. Schrecklich war besonders, dass
wir lange Zeit nicht wussten, welche dramatischen
Dinge sich politisch in den Ämtern ereignet und abgespielt haben. Sie machen nun etwas, was ich nicht nur
von der Symbolik, sondern von der ganzen Entwicklung
in dieser Gesellschaft nicht für richtig halte: Sie wollen,
weil, wie Sie sagten, der NSU-Vorgang eine einmalige
Sache war - hoffen wir, dass es zu solch brutalen Wiederholungen nicht mehr kommt; aber die latente Gefahr
ist da -, den Haushaltsansatz von 1 Million Euro auf
500 000 Euro kürzen. Das ist politisch gesehen ein extrem
falsches Zeichen.
({1})
Ich möchte Sie bitten - das werde ich auch morgen beantragen -, bei dem Ansatz von 1 Million Euro zu bleiben.
Machen wir uns nichts vor: Draußen im Lande, im Untergrund radikalisieren sich die Rechtsextremen, die Nazis, tagtäglich. Sie rüsten auf mit einer brutalen, schrecklichen und menschenverachtenden Logistik. Deswegen
sollten wir noch einmal konsensual darüber reden - das
empfehle ich -, ob wir nicht ein besseres Zeichen setzen,
wenn wir den Ansatz wieder auf 1 Million Euro erhöhen.
({2})
Herr Kollege.
Ein letzter Satz. - Lassen Sie uns darüber reden, wie
wir auf neuen und unbürokratischen Wegen die Entschädigungsleistungen besser an die vielen Opfer bringen,
die es leider in dieser Gesellschaft gibt.
Herzlichen Dank.
({0})
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs
und kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesminister Hans-Peter
Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Gut 5,8 Milliarden Euro im Bundeshaushalt des Innenministeriums und auch in diesem Jahr
wieder mehr als zwei Drittel für den Bereich der inneren
Sicherheit: Das ist auch dringend notwendig; denn die
Bedrohungslage für Europa insgesamt, aber auch für unser Land ist nach wie vor angespannt.
Der islamistische Terror hat uns in den Fokus genommen, und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass
wir täglich mit Anschlägen in Deutschland oder auf
deutsche Einrichtungen oder Personen im Ausland rechnen müssen. Deswegen ist es richtig, dass wir uns darüber verständigen, dass Wachsamkeit der Preis der Freiheit und der inneren Sicherheit ist. Diese Wachsamkeit
muss immer wieder gezeigt und gestärkt werden.
Neben der Bedrohung aus dem Ausland gibt es aber
auch noch ein neues Phänomen, das die Sicherheitskräfte vor besondere Herausforderungen stellt, nämlich
das Phänomen des sogenannten Homegrown Terrorism,
({0})
des hausgemachten Terrorismus, des Wachsens von Terroristen im eigenen Land. Dieses Problem haben die
Vereinigten Staaten, alle unsere europäischen Partner
und wir in Deutschland. Der Anschlag vom 2. März
2011 in Frankfurt durch einen solchen „hausgemachten
Terroristen“, aber auch die Anschlagsversuche der sogenannten Kofferbomber und der Sauerland-Gruppe belegen, dass wir ein solches Problem haben. Sie alle haben
vielleicht das Drohvideo des Herrn Cuspert gesehen oder
davon gehört, das in der letzten Woche bekannt wurde auch in der Öffentlichkeit. Ich glaube, das alles macht es
notwendig, dass wir uns mit diesem Phänomen in besonderer Weise auseinandersetzen.
Die besondere Herausforderung für die Sicherheitskräfte ist, dass kein großer Kreis, sondern nur ein kleines
soziales Umfeld beurteilen kann, was in den Menschen,
die sich selbst radikalisieren, überhaupt vorgeht. Deswegen habe ich im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft
auch Eltern, die das Schicksal erleiden mussten, ein
Kind dadurch zu verlieren, dass es sich einer radikalen
terroristischen Gruppierung angeschlossen hat und zum
Beispiel nach Pakistan ausgereist ist, eingeladen und
mich mit ihnen getroffen.
Ich habe einer Mutter gegenübergesessen, die geschildert hat, wie ihr Kind vor ihren Augen verloren ging. Sie
sagte: Ich wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte.
Das hat mich dazu veranlasst, noch in derselben Woche
beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine
Hotline zu schalten, sodass Eltern und Angehörige die
Möglichkeit haben, sich beraten zu lassen, wenn sie merken, dass ihr Kind oder Verwandter in einer solchen Situation ist.
({1})
Jetzt geht es natürlich darum, dass wir diese Hotline
bekannt machen. Dafür haben wir eine Plakataktion vorbereitet, die in den letzten zwei Wochen auch in den Medien Thema war;
({2})
sie war dadurch sehr erfolgreich; denn die entsprechende
Nummer ist bekannt geworden.
({3})
Ich kann Ihnen sagen, dass die Zahl der hilfesuchenden
Eltern oder Verwandten, die angerufen haben, enorm angestiegen ist. Insofern kann man bei dieser Plakataktion
nach dem Start im Internet schon jetzt von einem großen
Erfolg sprechen.
Meine Damen und Herren, die Sicherheitsarchitektur
muss insgesamt gut aufgestellt werden und auch in der
Zukunft gestärkt werden. Das bedeutet, dass wir alle
Säulen der Sicherheitsarchitektur stärken müssen.
Ich beginne mit dem Bereich, der in den letzten Wochen in den Medien verstärkt vorkam, nämlich dem Verfassungsschutzverbund.
Wir sind dabei, das Bundesamt für Verfassungsschutz
zu reformieren und werden folgende wesentliche Modernisierungsmaßnahmen umsetzen:
Erstens - das ist ganz wichtig -: Wir werden im Bundesamt für Verfassungsschutz bestimmte Aufgaben priorisieren. So wird es seine Arbeit auf den Bereich der gewaltgeneigten Organisationen und auf besonders
gefährliche verfassungsfeindliche Tendenzen konzentrieren. Das halte ich für richtig; denn wir brauchen auch
freie Kapazitäten für neue Aufgaben.
Als Zweites müssen wir die Analysefähigkeit des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Verfassungsschutzverbundes insgesamt verbessern. Analysefähigkeit verbessern heißt, dass wir die Erkenntnisse, die
die verschiedenen Behörden haben, auch allen zur Verfügung stellen müssen. Das ist ein wichtiger Punkt; denn
die Konzeption für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland muss lauten: arbeitsteiliges Herangehen der einzelnen Behörden, Kooperation dieser Behörden und Vernetzung der Behörden. Arbeitsteiligkeit, Kooperation,
Vernetzung! Jede Behörde handelt in ihrem Bereich,
nach ihren rechtlichen Grundlagen, nach ihren Möglichkeiten, Spezialisierungen und Fähigkeiten; aber dann
muss alles zusammenfließen.
Es gibt hierfür ein sehr erfolgreiches Beispiel, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gegen den Islamismus, in dem alle Behörden von Bund und Ländern,
BKA, LKÄ, BND, MAD, zusammenarbeiten und Informationen austauschen, und zwar täglich, und dabei sehr
erfolgreich sind.
({4})
Nach dem Auftauchen der Terrorfälle im vergangenen
November - am 14. November haben wir den ganzen
Umfang zur Kenntnis nehmen müssen - habe ich bereits
am 16. Dezember, also einen Monat später, ein Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auf
den Weg gebracht, und zwar in Meckenheim bei Bonn,
wo täglich Vertreter des Verfassungsschutzes, der Kriminalpolizei und des MAD in all diesen wichtigen Fragen
zusammenarbeiten. Auch dieses Zentrum lässt sich erfolgreich an.
Ich habe entschieden, dass wir für alle Phänomenbereiche, denen sich der Verfassungsschutz widmet, jetzt
ein solches Abwehrzentrum als gemeinsames Sicherheitszentrum gründen. Wir werden also in allen Phänomenbereichen diese Plattform zur Kooperation und Zusammenarbeit auf den Weg bringen. Die Vorarbeiten
finden derzeit bereits statt.
Dritter Punkt beim Verfassungsschutzverbund ist die
Zusammenarbeit mit den Ländern. Wir haben auf der
Ebene der Innenminister Einigkeit darüber erzielt, dass
wir den Informationsfluss verbessern wollen.
({5})
Die Innenminister der Länder haben in einem Papier gesagt: Jawohl, die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz muss gestärkt werden. Was
Stärkung der Zentralstellenfunktion heißt, werden wir
mit den Innenministern der Länder im Einzelnen noch
ausdiskutieren.
({6})
Für mich ist ganz klar, dass diese Stärkung der Zentralstellenfunktion auch eine Koordinierungsmöglichkeit
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bedeutet.
Selbstverständlich müssen wir in der Lage sein, wenn
wir sehen, dass mehrere Länder an einem Phänomen, an
einem Fall arbeiten, eine Koordinierung dieses Falls herbeizuführen. Ich halte das für notwendig. Das ist eine der
wesentlichen Lehren aus den Erkenntnissen im Falle
NSU.
({7})
Schließlich geht es darum, Transparenz herzustellen,
auch gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament.
Ich komme zur zweiten Säule, der Bundespolizei: Wir
haben dort die Reformen umgesetzt. Die Neuorganisation ist abgeschlossen. Das Parlament hat eine Evaluierung verlangt, die ebenfalls abgeschlossen wird. Sie wird
aber keine gravierenden Veränderungen, sondern nach
dem, was sich momentan abzeichnet, Nachjustierungen
nach sich ziehen. Wichtig ist auch hier: Arbeitsteilung,
Kooperation, Vernetzung.
Wir müssen einerseits eine Zusammenarbeit mit dem
BKA auf den Weg bringen. Deswegen haben wir schon
seit dem letzten Jahr eine gemeinsame Arbeitsgruppe,
um die IT-Fähigkeiten von Bundespolizei und BKA zu
vernetzen. Wir wollen aber auch dort, wo das möglich
ist, eine gemeinsame Ausbildung herbeiführen. Auch
das ist ein wichtiger Punkt.
Andererseits müssen wir für Arbeitsteilung, Kooperation und Vernetzung, also für ein engeres Zusammenwirken zwischen dem Präsidium in Potsdam und den Direktionen sorgen. Ich glaube, auch das ist ein richtiger
Ansatzpunkt. Es geht um Impulse, die von oben nach unten und von unten nach oben gegeben werden.
({8})
Beim BKA sind wir dabei, insbesondere den Mittelansatz für den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie zu verstärken. Ich glaube, auch das
ist ein entscheidender Punkt.
Wir sind insbesondere dabei - auch das zeigt dieser
Haushaltsentwurf -, den Kampf gegen den Rechtsextremismus zu verstärken: insgesamt 25 Millionen Euro
mehr für diesen Bereich, und zwar nicht nur für den Bereich der Sicherheitsbehörden, sondern zum Beispiel
auch zur Stärkung der gesellschaftlichen Strukturen, zur
Stärkung der Abwehrfähigkeit gesellschaftlicher Strukturen, indem wir den Bereich „Zusammenhalt durch
Teilhabe“ ausweiten.
({9})
Ich will ganz kurz ein Wort zum NPD-Verbot sagen.
Wir befinden uns in einer Phase, in der wir Material
sammeln und bewerten. Die Zusammenstellung werden
wir Ende dieses Monats fertig haben. Im Oktober/November werden wir dann Gelegenheit haben, uns über
die Möglichkeiten eines solchen NPD-Verbots Gedanken zu machen und darüber zu diskutieren. Auch das ist
ein wichtiger Punkt, über den wir in den nächsten Wochen bzw. Monaten entscheiden müssen.
Ich möchte noch ein ganz aktuelles Thema ansprechen, nämlich die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir haben in Syrien eine angespannte Lage. Bisher hat sich der
UNHCR darauf beschränkt, für Hilfe vor Ort zu sorgen.
Wir beteiligen uns in großem Umfang daran. Das gilt für
die Bundesregierung insgesamt. So hilft dort das THW
den Flüchtlingen. Wenn es zu einem Hilfsappell des
UNHCR an die Weltgemeinschaft kommen sollte, dann
wird sich die Europäische Union insgesamt verständigen.
({10})
Ich habe mit den Innenministern der Länder vereinbart,
dass Deutschland dann sofort handelt und auch bereit
sein wird, entsprechende Hilfsmaßnahmen zu übernehmen.
({11})
Im Übrigen - lassen Sie mich auch das sagen - habe
ich mit den Länderinnenministern schon im vergangenen
Jahr vereinbart, dass wir dreimal 300 Flüchtlinge
- Flüchtlinge aus den Flüchtlingslagern in Nordafrika
und irakische Flüchtlinge, die sich in der Türkei befinden - aufnehmen. Die ersten 195 sind bereits angekommen. Weitere 100 werden im Oktober kommen. Ich
denke, auch das zeigt, dass wir als Bundesrepublik
Deutschland unserer humanitären Verpflichtung nachkommen.
({12})
Ein Thema, das viel erfreulicher ist, ist der Sport. Die
Olympischen Spiele und die Paralympics liegen hinter
uns. Sie wurden mit einer grandiosen Vorstellung unserer englischen Freunde beendet und sind auch für die
deutschen Athletinnen und Athleten, wie ich meine, sehr
erfolgreich verlaufen.
({13})
Für uns ist es ein weiterer Ansporn, dafür zu sorgen, dass
das Geld, das wir im Haushalt für die Förderung des
Leistungssports vorsehen, effizient ausgegeben wird. Ich
denke, dass wir allen Grund haben, auf den Beitrag, den
der Bund dazu leistet, stolz zu sein. Wir als Regierung,
Sie als Parlament, der Sportausschuss und der Haushaltsausschuss, tragen dazu bei, dass sich unsere Sportlerinnen und Sportler so positiv präsentieren können.
({14})
Meine Damen und Herren, eine wesentliche Aufgabe
des Bundesinnenministeriums, die unmittelbar vor uns
liegt, ist die Ausarbeitung der Demografiestrategie. Wir
werden am 4. Oktober 2012 einen großen Demografiegipfel in Berlin durchführen, einen Kongress, bei dem
wir die einzelnen Arbeitsgruppen auf den Weg bringen.
Für die spezielle Arbeitsgruppe „Zukunft des öffentlichen Dienstes“ ist das Innenministerium zuständig. Inzwischen haben die Menschen im ganzen Land - wenn
Sie mit Unternehmen sprechen, dann bekommen Sie die
Bestätigung - begriffen, wie wichtig eine gut funktionierende Verwaltung für einen gut funktionierenden Staat
ist. Auch die Wirtschaft kann nur erfolgreich sein, wenn
die Verwaltung funktioniert. Deswegen bedanke ich
mich dafür, dass es vonseiten der Haushälter große Bereitschaft gibt, auf weitere Stellenreduzierungen zu verzichten. Wir sind mittlerweile an einem Limit. Die Aufgabenbewältigung durch den öffentlichen Dienst wäre
durch weitere Stellenreduzierungen gefährdet. Dafür
also ganz herzlichen Dank.
Im Übrigen sind wir dabei, Effizienzressourcen zu heben, wo immer es geht. Das E-Government-Gesetz, das
den elektronischen Zugang zu den Ministerien schafft,
ist unterwegs und wird demnächst in das Kabinett eingebracht. Modernisierung der Verwaltung ist also auch eines der wichtigen Themen des Innenministeriums. Ein
weiteres wichtiges Thema ist Effizienzsteigerung, der
sinnvolle Einsatz aller Mittel.
Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen bei den Haushaltsberatungen, die vor uns liegen.
Danke schön.
({15})
Für die SPD-Fraktion spricht Christine Lambrecht.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat Zeiten
gegeben, da waren die Innenminister in den bundesdeutschen Regierungen herausragende Persönlichkeiten, unabhängig davon, wie man zu ihrem Handeln stand.
({0})
Ich nenne als Beispiele nur Namen wie Genscher, Schily
und Schäuble.
({1})
Für diese Innenpolitiker war es Berufung, Innenminister
zu sein.
Heute haben wir es mit Ihnen zu tun, Herr Friedrich,
mit einem Innenminister, dem man anmerkt, dass er dieses Amt nie angestrebt hat. Dass er es bekleiden muss,
ist das Ergebnis einer Kabinettsrochade der Kanzlerin,
als wieder einmal ein Minister zurücktreten musste.
Nach dem erlösenden Rücktritt von Guttenberg musste
de Maizière nachrücken, und Sie mussten dann diese Lücke schließen. Seitdem stellt sich alle Welt die Frage, ob
fehlender Wille oder ob fehlende Eignung der Grund dafür ist, dass Sie dieses Amt so unglücklich führen. Wahrscheinlich ist es von beidem etwas.
({2})
Dabei sind die Herausforderungen in der Innenpolitik
so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Eher zufällig ist
zutage getreten, dass wir es über ein Jahrzehnt lang in
unserem Land mit einer rechtsterroristischen Gruppe zu
tun hatten, die mindestens zehn Menschen ermordet hat.
Dabei sind eklatante Mängel in der Sicherheitsstruktur
unseres Landes offenbar geworden. Am Dienstag mussten wir erleben, dass Akten des MAD über den Rechtsterroristen Mundlos, deren Existenz lange geleugnet
wurde, bekannt wurden. Die Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutz, haben bei der Beobachtung des Nationalsozialistischen Untergrunds derart
krass versagt, dass das Vertrauen der Bürger völlig verloren gegangen ist.
({3})
Deshalb brauchen wir Veränderungen und Verbesserungen in der Sicherheitsarchitektur.
Ein „Weiter so!“ darf und wird es für den Verfassungsschutz nicht geben. Was es aber auch nicht geben
darf und was wir auch nicht brauchen, ist die Auflösung
aller Landesverfassungsschutzämter zugunsten einer
Superbehörde des Bundes, wie sie von der Bundesjustizministerin vorgeschlagen wurde.
({4})
- Ich kann mir vorstellen, dass Sie das nicht gerne hören.
Dieser Vorschlag ist ja auch ordentlich zerpflückt worden.
({5})
Was wir auch nicht brauchen, ist eine Aufteilung der
Aufgaben: hier der Bund, der für die gewaltbereiten Extremisten zuständig ist, und dort die Länder, die für den
Rest zuständig sind, wie vom Innenminister vorgeschlagen.
Sie haben gerade gesagt, Sie seien in guten Gesprächen mit den Landesinnenministern. Das hat sich bei der
Vorlage Ihres Vorschlags aber ganz anders angehört.
Damals sind Sie im Minutentakt von den eigenen Leuten
angegangen worden, und Sie mussten aufgrund der Kritik, die geäußert wurde, ganz schnell zurückrudern. Es
ist schön, zu hören, dass Sie das jetzt sogar als Erfolg
sehen. Aber wenigstens ist das Ergebnis richtig: weg von
dieser Aufteilung. Eine Aufteilung wäre der falsche
Weg.
Das Kernproblem des Innenministeriums und der ihm
unterstehenden Behörden ist, dass die Dimension, die
der Rechtsextremismus in diesem Land hat, völlig unterschätzt wird. Das wird jetzt auch bei der Frage des NPDVerbotsverfahrens wieder deutlich. Immer wieder werden Bedenken vorgetragen. Da wird keine klare Kante
gezeigt, und es wird kein klarer Wille artikuliert, ein solChristine Lambrecht
ches Verbotsverfahren tatsächlich anzustreben. Wer die
NPD verbieten will, darf nicht das Scheitern schon im
Mund führen, bevor die Beweise gegen die NPD ausgewertet sind. Derjenige muss da schon anders herangehen.
({6})
Es wird Zeit, dass dem Treiben dieser rechtsextremistischen, antidemokratischen und rassistischen Partei ein
Ende gesetzt wird, zumal der Steuerzahler sie auch noch
mitfinanzieren muss. Das führt völlig zu Recht zu einer
großen Aufregung, und es wird gefragt, warum so etwas
noch akzeptiert wird.
Da Sie als zuständiger Innenminister in dieser Frage
keine klare Linie haben, muss das NPD-Verbotsverfahren zur Chefsache erklärt werden. Deswegen sollte Frau
Merkel endlich klipp und klar ihren Willen erklären, ein
solches Verbotsverfahren anzustrengen. Das wäre endlich erforderlich und nicht diese Herumeierei in dieser
Frage.
({7})
Während Sie beim NPD-Verbotsverfahren sehr zögerlich, sehr zaudernd agieren, handeln Sie völlig anders,
wenn es darum geht, Menschen bei den Sicherheitsorganen hinauszuwerfen. Wir haben es erlebt. Bei der Entlassung des Präsidenten der Bundespolizei und seiner beiden Stellvertreter waren Sie keineswegs zögerlich.
({8})
Das haben die Betroffenen über die Presse erfahren. Mit
dieser Sache ist man nicht zurückhaltend umgegangen.
Was Sie da mit Spitzenbeamten gemacht haben, Herr
Friedrich, war stillos und unentschuldbar.
({9})
Worin der Grund für diese ehrlose Entlassung liegt,
wissen wir bis heute nicht; er liegt weiterhin im Dunkeln. Sie sind bis heute eine Antwort schuldig geblieben.
Bis jetzt haben Sie im Innenausschuss dazu noch nicht
Rede und Antwort gestanden. Es war Ihnen vielleicht am
Dienstag zeitlich nicht möglich, im Ausschuss anwesend
zu sein.
({10})
Aber hier und heute wäre es endgültig an der Zeit gewesen, die tatsächlichen Gründe dafür offenzulegen. Das
haben Sie auch heute wieder versäumt. Ich sage Ihnen:
Das ist ein ganz schlechter Stil.
({11})
In der Innenpolitik mangelt es aber nicht nur an der
klaren Kante des Ministers, sondern auch die Koalition
ist nicht gerade entsprechend gut aufgestellt. Ich möchte
diesbezüglich einige Themen ansprechen. Da geht es
zum Beispiel um eine ganz grundlegende Frage für unseren demokratischen Staat, nämlich um die Frage: Wie
gehen wir mit gleichen, freien und geheimen Wahlen
um, und wie regeln wir diese? Dazu haben Sie entgegen
allen Warnungen, die Ihnen gegenüber geäußert wurden,
einen Vorschlag vorgelegt. Dieser Vorschlag ist vom
Bundesverfassungsgericht zerrissen worden.
({12})
- Frau Piltz, ich kann mir vorstellen, dass Sie das nicht
gerne hören. In Bezug auf das Meldewesen werden Sie
genauso reagieren. Ich kann Ihnen aber nicht ersparen,
Ihnen zu sagen, dass Sie einen Schrottvorschlag vorgelegt haben, der vom Bundesverfassungsgericht zerrissen
worden ist.
({13})
Es ist auch im Interesse der Demokratie, den Punkt anzusprechen, dass Sie nicht in der Lage sind, so etwas
durchzuziehen.
({14})
Ich glaube, dass das schmerzt, aber es ist wahr.
({15})
Deswegen muss man das immer wieder ansprechen.
Es ist gut, dass mittlerweile die Blockadehaltung aufgebrochen worden ist und dass Sie nicht mehr darauf
bestehen, das alleine machen zu wollen. Sie haben
gelernt. Alleine können Sie es nicht machen. Deswegen
dürfen jetzt auch die Oppositionsfraktionen mitarbeiten.
Das wird dazu führen, dass wir, wenn es hoffentlich zum
Bruch dieser Chaostruppe bzw. Chaosregierung kommt,
ein wirksames und gültiges Wahlrecht haben.
({16})
Insofern: Wir sind bereit. Wir machen mit.
({17})
Die Liste des Versagens der Bundesregierung und
auch der Innenpolitiker der Koalition könnte ich noch
lange fortsetzen. Ich könnte zum Beispiel über den
Beschäftigtendatenschutz reden. Ich frage mich immer:
Wo sind da eigentlich die Möchtegerndatenschützer von
der FDP? Sie kümmern sich nämlich nicht darum, wie
mit den Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
umgegangen wird. Nein, hier wird das Tor weit geöffnet,
um Unternehmern bzw. Arbeitgebern zu ermöglichen,
diese Daten auszuwerten.
Ich könnte - das werde ich jetzt tun - auch noch das
Meldegesetz erwähnen.
({18})
Auch hieran war die Möchtegerndatenschutzpartei FDP
beteiligt. Sie haben aber Mist auf den Weg gebracht.
({19})
Am Ende des Tages, als der Gesetzentwurf in zweiter
und dritter Lesung beschlossen wurde
Frau Kollegin.
-, musste die Kanzlerin über ihren Sprecher verlautbaren lassen, sie hoffe, dass dieses Gesetz an anderer
Stelle im Interesse des Datenschutzes verändert wird.
Die Kanzlerin ließ also ausrichten, sie hoffe, dass die
SPD diese Aufgabe im Bundesrat übernimmt. Ich kann
Ihnen sagen: Sie können sich auf die SPD verlassen.
({0})
Frau Kollegin. Ihre Redezeit ist inzwischen weit überschritten.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Man muss sich fragen: Sind es bei Ihnen fehlende
Ambitionen, oder ist es die fehlende Eignung? Ich würde
sagen: Bei Ihnen als Innenpolitiker ist es eine Mischung
aus beidem.
({1})
Frau Kollegin.
Es wird Zeit, dass diese Koalition beendet wird.
Vielen Dank.
({0})
Hartfrid Wolff hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses, aus der ich
gerade komme, hat einmal mehr deutlich gemacht:
Einige unserer Behörden haben den Schuss offensichtlich noch nicht gehört.
({0})
In den Geheimdiensten ist das Ausmaß der öffentlichen
Verunsicherung noch nicht wirklich voll angekommen.
Die IMK-Beschlüsse der Länder waren nicht einmal ein
Anfang der Reformbereitschaft.
Wir reden von einem Vertrauensverlust in rechtsstaatliche Abläufe in Behörden: Weshalb wurden welche
Akten gelöscht? Welche Informationsflüsse gab es? Wir
reden aber auch von einem Vertrauensverlust in die
Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden: Wie konnte es
möglich sein, dass die Naziterroristen 13 Jahre im Untergrund lebten?
Dass wir dies transparent im Untersuchungsausschuss
aufarbeiten bzw. aufarbeiten können, zeigt, dass Rechtsstaat und Demokratie funktionieren. Um aber in die
Zukunft wirken zu können, brauchen wir eine deutlich
bessere Kontrolle. Die Dienste müssen enger an die
Leine genommen werden. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages muss erheblich gestärkt werden. Wir brauchen jederzeit Zugang zu
allen Vorgängen, volle Akteneinsicht und einen ständigen Sonderermittler des Kontrollgremiums, der mit seinem Stab den Abgeordneten in ihrem Auftrag zuarbeitet.
Dem immensen Vertrauensverlust der Sicherheitsbehörden und insbesondere des Verfassungsschutzes in
Bund und Ländern muss zunächst einmal durch eine
gründliche Revision der Behörden selbst und der Strukturen der Zusammenarbeit entgegengetreten werden. Es
kann nicht sein, dass der Verfassungsschutz so wie bisher - miefig, angestaubt und geheimnistuerisch - weitermachen will. Bisher bestätigt er die bestehenden Vorurteile leider viel zu häufig selbst.
Der Verfassungsschutz muss mit einem aktiven
Sicherheitsauftrag ausgestattet werden. So kann der
Dienst zu einer transparenten Ideenschmiede, zu einem
Think Tank für Demokratie und Rechtsstaat weiterentwickelt werden. Das heißt, wir brauchen rechtsstaatliche Standards in ganz Deutschland für den Einsatz
von V-Leuten, die zeitnahe Zusammenführung der
Erkenntnisse, neue Richtlinien zur Aufbewahrung und
Löschung von Akten sowie eine bessere Ausbildung für
Mitarbeiter der Dienste mit einer zentralen Abschlussprüfung nach drei Jahren.
Wie notwendig diese Reformen sind, zeigt auch die
aktuelle Diskussion über die Mundlos-Akten. Was ist
denn das für ein Umgang mit Akten in unseren Sicherheitsbehörden? Was ist das für eine Haltung gegenüber
dem Parlament? Was ist das für eine Kooperation und
für ein Informationsmanagement zwischen den Behörden, zwischen Bund und Ländern? Das ist ungenügend.
Nachsitzen!
({1})
Mehr Kontrolle, mehr Zusammenarbeit, effektive
Strukturen und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis
können wieder Vertrauen schaffen. Nur so kann es meines Erachtens gelingen. Aber was für die Dienste gilt,
muss auch in puncto Struktur und Zusammenarbeit für
alle Sicherheitsbehörden gelten. Der Abbau von Doppelstrukturen ist nötig. Das betrifft auch die PolizeibehörHartfrid Wolff ({2})
den in Deutschland, in Teilen die Staatsanwaltschaft und
auch den Zoll. Hier wünsche ich mir deutlich mehr Mut
zum Wohle und zur Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger.
Auch beim MAD ist zu fragen, ob seine Aufgaben
nicht im Wesentlichen vom Bundesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen werden können. Brauchen die in
den vergangenen 25 Jahren in der Zahl um mehr als drei
Viertel geschrumpften Streitkräfte wirklich noch einen
eigenen Geheimdienst? Die Forderung nach Abbau der
Doppelstrukturen und einer Verbesserung der Zusammenarbeit muss auch den MAD einschließen bis hin zur
Übertragung der Aufgaben.
Dass grundlegende Reformen gelingen können, hat
die Koalition aus CDU/CSU und FDP auf einem anderen
Gebiet bereits zeigen können und gezeigt. Der Paradigmenwechsel in der Zuwanderungspolitik ist eine
Erfolgsgeschichte.
({3})
Dringend benötigte Fachkräfte und Hochqualifizierte
kommen dank dieser Koalition deutlich besser und einfacher nach Deutschland.
({4})
Wir erleichtern mit der Visa-Warndatei den für ein
weltoffenes Industrieland wie Deutschland wichtigen
internationalen Reiseverkehr. Wir haben den Einstieg in
eine dauerhafte, bundesgesetzliche Bleiberechtsregelung
geschaffen. Wir haben ein eigenständiges Wiederkehrund Rückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen geschaffen und den eigenständigen
Straftatbestand Zwangsheirat eingeführt.
({5})
Das ist aktiver Opferschutz und ein klarer Appell, unsere
freiheitliche Werteordnung zu achten.
({6})
Wir in der Koalition verbinden wirksame Integration mit
der aktiven Steuerung von Zuwanderung, mit ökonomischer Vernunft und Fairness, mit Offenheit und Klarheit,
mit Fördern und Fordern.
Reformen können gelingen. Wir brauchen gerade in
der Sicherheitsarchitektur mehr, viel mehr Reformen.
Die FDP wird dies in der Koalition mit der CDU/CSU
aktiv einbringen.
({7})
Steffen Bockhahn hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Geschäftsbereich des Innenministeriums gehört, auch wenn der Innenminister
schnell darüber weggegangen ist, der Beauftragte der
Bundesregierung für die Neuen Bundesländer. Er ist
sogar anwesend. Es ist Herr Dr. Christoph Bergner. Das
sage ich für diejenigen unter Ihnen, die das nicht mehr
auf dem Zettel haben.
({0})
- Ja, das kann man schon einmal vergessen; so ist es.
Das ist das Problem.
Ich habe einmal nachgesehen, was er alles macht. So
habe ich auf der Website des Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer Folgendes gelesen - ich zitiere -:
Ostdeutschland als Land der ChancenIn Ostdeutschland haben sich in den letzten Jahren
Potenziale und Stärken gebildet. Aus diesen ergeben sich vielfältige Chancen für die Menschen in
Ostdeutschland und für die weitere Entwicklung.
Meine Damen und Herren, ich will gar nicht bestreiten,
dass sich da einiges entwickelt hat. Aber so, wie das hier
steht, klingt es - mit Verlaub - ein bisschen so, als ob im
Osten der Republik die Menschen die ganze Zeit auf
dem Baum gesessen hätten, und Sie hätten uns den Weg
nach unten gezeigt und uns das Feuer gebracht. So
schafft man aber die deutsche Einheit wirklich nicht.
({1})
Aber es geht noch weiter:
Es haben sich Zukunftsbranchen etabliert, wie zum
Beispiel die Solarindustrie …
Zur Solarindustrie: Herr Dr. Bergner, in Ihrem Nachbarwahlkreis gehen gerade massenhaft Arbeitsplätze flöten,
weil die Solarbranche in die Knie geht.
({2})
Ich habe vom Ostbeauftragten der Bundesrepublik
Deutschland dazu noch kein Wort gehört. Als ob das
noch nicht schlimm genug wäre, frage ich mich natürlich: Was tun Sie eigentlich für die Menschen bei Ihnen
in der Region? Das, was da kommt, ist ein bisschen sehr
wenig.
({3})
Wenn wir uns die Zahlen im Konkreten anschauen,
dann müssen wir feststellen: Das in Ostdeutschland
erreichte Bruttoinlandsprodukt je Einwohnerin und Einwohner betrug im vergangenen Jahr nur 67,1 Prozent des
Niveaus in Westdeutschland. Der Wert hat sich laut
Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH, seit 2008
kaum verändert. Wir müssen also attestieren: Der Aufholprozess ist ins Stocken geraten. Es gibt keine aufholende Entwicklung mehr. Die Bundesregierung tut
offensichtlich nichts, was sinnvoll ist, um die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West
weiter zu befördern.
Investitionen in Milliardenhöhe wären notwendig.
Das sieht inzwischen auch die SPD so, wie in den letzten
Tagen deutlich wurde. Ich hoffe, dass wir gemeinsam
daran arbeiten, damit es dazu kommt. Es fehlt an sehr
vielem. Es fehlt an Führungszentralen im Osten und an
Produktionseinheiten, und wir brauchen im Osten auch
starke Kerne über die kleinteilige Wirtschaft hinaus.
Wir haben auch in anderen Bereichen erlebt, dass
Hoffnungsträger verloren gehen. Das betrifft die Werften, die Automobilindustrie und die Ernährungsindustrie. Viele sind inzwischen längst nicht mehr das, was sie
mal waren, nämlich ein Hoffnungsstreifen.
Obwohl seit der Wiedervereinigung Deutschlands
über 1 Million Menschen den Osten verlassen haben, ist
die Arbeitslosigkeit immer noch doppelt so hoch wie in
den alten Bundesländern.
({4})
Auch dagegen macht die Bundesregierung vergleichsweise wenig.
Stattdessen setzt die Bundesregierung auf Entsolidarisierung, und das wird dann auch noch fleißig befeuert.
Es geht nicht nur gegen den Solidarpakt, sondern auch
gegen sehr viel anderes. Um das ganz klar zu sagen: Natürlich ist es eine Fehlentwicklung, wenn westdeutsche
Kommunen, die auch hochverschuldet sind, Kredite aufnehmen müssen, um etwas zu tun, damit ostdeutsche
Kommunen oder Länder ihren Infrastrukturnachteil ausgleichen können. Das war aber auch nie Ziel der Übung.
Wenn die Bundesregierung selber nichts tut, dann ist sie
aber dafür verantwortlich, das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen. Das wäre tatsächlich deutsche Einheit.
Was Sie betreiben, ist eine Entsolidarisierung, und das
hilft weder links noch rechts der Elbe.
({5})
Um aber auch damit aufzuräumen, dass nur Geld vom
Westen in den Osten fließen würde, möchte ich Ihnen
Folgendes mitteilen: Die Sparerinnen und Sparer im Osten, die durchschnittlich deutlich weniger haben als die
im Westen, tun trotzdem jede Menge für die wirtschaftliche Entwicklung im Westen. Das mag Sie jetzt überraschen. Ich erkläre Ihnen, warum das so ist.
Der Ostdeutsche Sparkassenverband teilt immer und
immer wieder mit, dass ihm die Möglichkeiten fehlen,
das Geld der Sparerinnen und Sparer der ostdeutschen
Sparkassen im Osten anzulegen. Das hat einen relativ
einfachen Grund: Es gibt niemanden, der die nötigen Sicherheiten aufweist, um Kredite zu bekommen und zu
investieren.
Aber statt dass die Bundesregierung auf die Idee
kommt, ein Bürgschaftsprogramm für Eigenkapital oder
Ähnliches aufzulegen, passiert gar nichts. Also legen die
ostdeutschen Sparkassen ihr Geld im Westen an. Ich
habe nichts dagegen, dass auch dort etwas getan wird,
um Arbeitsplätze zu schaffen. Schön wäre aber, wenn
wir auch etwas für den Osten und den Aufbau Ost tun
könnten. Das ist nämlich nach wie vor zwingend notwendig.
Über die Frage der Rentenungerechtigkeit mag man
kaum noch reden. Ich bin froh, dass Frau von der Leyen
und andere das inzwischen offensichtlich ebenfalls gemerkt haben. Schade ist aber, dass die Bundesregierung
inzwischen öffentlich erklärt hat, ihr Versprechen aus
dem Koalitionsvertrag zu brechen und die Rentenangleichung Ost nicht umzusetzen.
({6})
Aber lassen Sie mich noch etwas anderes ansprechen,
nämlich die Sportförderung. Wir sind alle sehr überrascht, dass die Erfolge bei den Olympischen Spielen
dieses Jahr nicht ganz so groß waren, wie das mal gedacht war, und dass es immer schwieriger wird, alles so
hinzubekommen, wie man es sich vorstellt. Es gibt auch
einen Erfahrungsvorsprung Ost; das darf ich Ihnen sagen.
Man kann beispielsweise dafür sorgen, dass Kinder
und Jugendliche die Möglichkeit haben, Sport - wenn
sie es wollen auch Leistungssport - zu betreiben. Das ist
allerdings immer weniger möglich, weil es an unheimlich viel Geld gebunden ist.
({7})
- Darauf habe ich gewartet, dass Sie auf das Dopingsystem anspielen, Herr Kollege.
({8})
Erstens könnte man jetzt unterstellen, dass es vor der
Wende schlechte Verlierer gab.
({9})
Zweitens ist man im Westen nur durch Zähneputzen zu
olympischen Titeln gekommen.
({10})
Vor allen Dingen gilt - das ist der eigentlich entscheidende Punkt -: Wer so etwas unterstellt, der vergisst,
dass auch nach 1990 viele Medaillen gewonnen wurden,
weil andere Fördersysteme funktioniert haben.
Ich will Ihnen vorschlagen, dass wir dazu kommen
- ich verstehe nicht, warum Sie sich dagegen wehren -,
dass Kinder und Jugendliche Sport machen können,
wenn sie es wollen, und dass dies nicht vom Geldbeutel
der Eltern abhängig ist. Ich möchte, dass wir ein Sportfördersystem bekommen, das auf breite Sichtungen ausgelegt ist.
({11})
- Erst einmal gar nichts, aber Sie haben etwas anderes
unterstellt, Herr Wieland. Hören Sie mir bis zum Ende
zu! - Wir brauchen, wie gesagt, ein Sportfördersystem,
das auf breite Sichtungen und Unterstützung all derjenigen ausgelegt ist, die tatsächlich Leistungssport betreiben wollen. Dafür brauchen wir ein bisschen Zeit, aber
wir haben auch eine Chance, bei den Olympischen Spielen wieder erfolgreich zu sein, und wenn es gut läuft,
ohne Doping.
({12})
Eine Kurzintervention des Kollegen Bergner.
Herr Kollege Bockhahn, ich habe mich bei Ihren letzten Ausführungen angesichts der polemischen Qualität
gefragt, ob sich tatsächlich eine Erwiderung lohnt.
Sie haben die Aufmerksamkeit auf einen Bereich beschränkt, der tatsächlich im Bundesinnenministerium
ressortiert und mit dem meine Person betraut ist, nämlich die neuen Bundesländer. Mir ist dabei aufgefallen,
dass Sie zwar kräftig Polemik betrieben haben, aber
viele der Aktivitäten, die im zurückliegenden Jahr gelaufen sind, offenbar nicht wahrgenommen haben.
Es ist Ihnen offenbar entgangen, dass wir uns im Dialog mit der Solarindustrie befinden und dass ich selbst
Gespräche mit dem Cluster Solarvalley geführt habe.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zukunft
der Solarenergie nicht in der Erhöhung oder der Beibehaltung einer bestimmten Einspeisevergütung, sondern
in Innovationen und internationalen Verflechtungen
liegt; darauf setzen wir. Das ist der erste Punkt.
({0})
Der zweite Punkt ist: Sie haben das Gutachten des
IWH angesprochen. Wir haben im Innenausschuss über
dieses Gutachten sehr intensiv diskutiert. Wenn wir am
26. September im Kabinett den Bericht zum Stand der
deutschen Einheit verabschieden - über diesen wird anschließend hier im Deutschen Bundestag diskutiert -,
werden Sie bemerken, dass die Konvergenzlücke in der
Wirtschaftskraft ein zentrales Thema ist, mit dem wir
uns auseinandersetzen, und dass es nicht mehr ganz so
simpel ist, die verbliebene Konvergenzlücke mit mehr
Geld zu schließen. Vielmehr stoßen wir hier an strukturelle Grenzen, die zum Beispiel etwas mit der Betriebsgröße in den neuen Bundesländern zu tun haben.
Zum dritten und letzten gewichtigen Punkt, den Sie
genannt haben, zur Rentenangleichung. Ich empfehle Ihnen, sich hier nicht so leichtfertig der Polemik hinzugeben. Die Situation ist kompliziert, da es keine Lösung
gibt, die einen breiten Konsens darstellt und dem Umstand Rechnung trägt, dass es im Moment bei einem
niedrigeren Rentenwert im Osten eine Aufwertung der
Beitragszahlungen gibt. Sie haben sich ein sehr billiges
Modell überlegt. Danach sollen durch Steuermittel eine
Nachzahlung und eine Angleichung erreicht werden. Ich
kann Ihnen nur sagen: Eine solche Lösung erfüllt noch
nicht einmal die primitivsten Voraussetzungen für innerdeutsche Gerechtigkeit.
Herr Kollege Bergner!
Ich lade Sie herzlich ein, über die Themen, die Sie
hier geruht haben polemisch vorzutragen, anlässlich des
Berichts zum Stand der deutschen Einheit - dann hoffentlich mit mehr Sachlichkeit - erneut zu diskutieren.
({0})
Herr Bockhahn, bitte, zur Erwiderung.
Herr Kollege Dr. Bergner, wenn der Vorschlag der
Linken tatsächlich so billig ist, dann dürfte es wohl kein
Problem sein, ihn umzusetzen.
({0})
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die Schwierigkeit besteht darin,
dass Sie seit drei Jahren offensichtlich nichts unternommen haben, um eine Lösung dieses Problems zu finden.
Das ist Fakt. Sie nehmen in Kauf, dass noch heute jemand, der im Osten anfängt zu arbeiten, damit rechnen
muss, später weniger Rente zu bekommen, nur weil er
im Osten und nicht im Westen gearbeitet hat.
({1})
Die Rentenungerechtigkeit ist durch die von Ihnen vorgesehene Angleichung erst in 160 Jahren beseitigt. Das
kann doch nicht wahr sein, Herr Dr. Bergner! Sie wissen
das auch. Das kleinzureden, ist nichts anderes als Ignoranz gegenüber den tatsächlich bestehenden Problemen.
Dritter Punkt. Sie sind mit keinem Wort auf das eingegangen, was ich Ihnen vorgeschlagen habe. Sie sollten
sich beispielsweise Gedanken darüber machen, wie sich
die Investitionsmöglichkeiten im Osten verbessern lassen. Wo ist denn Ihre Initiative?
({2})
- Nein, das hat er eben nicht gesagt. Er hat gesagt, man
rede darüber. Er hat aber keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht.
Ich habe Ihnen den Vorschlag gemacht - Sie haben
ihn als polemisch bezeichnet, seine Sinnhaftigkeit aber
nicht widerlegt -, über die KfW Bürgschaftsprogramme
aufzulegen und so die Eigenkapitalquote zu erhöhen, damit Sparkassen und andere Finanzinstitute Kredite vergeben können und die Produktivitätsentwicklung gut
verläuft.
Letzter Punkt, die Solarwirtschaft. Auch hier machen
Sie, Herr Dr. Bergner, es sich einfach - nicht ich -, in23190
dem Sie sagen: Wir brauchen mehr Produktivität und
Innovationen. - Aber was mit den Menschen passiert,
die gerade auf die Straße gesetzt worden sind, scheint
Sie nicht zu interessieren; denn auch dazu haben Sie kein
Wort gesagt.
({3})
Wolfgang Wieland hat das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
({0})
Danke schön. - Ich musste erst einmal - in diesem Fall
Wasser - schlucken, weil mir wieder klar geworden ist,
für was alles der Bundesinnenminister zuständig ist: Solarenergie in Bitterfeld, Doping im Sport, Rentenangleichung. Das alles sind wichtige Themen. Ich muss mich
fast entschuldigen, dass ich jetzt wieder zum Kernthema
bzw. zum Markenkern des Bundesministeriums des Innern zurückkomme.
({0})
Liebe Kollegin Lambrecht, an einer Stelle muss ich
Ihnen widersprechen. Unsere Sehnsucht nach dem Innenminister Hans-Dietrich Genscher - Spitzname Jerry
Cotton seinerzeit -, unsere Sehnsucht nach Wolfgang
Schäuble mit dem Dauerbrenner „Bundeswehreinsatz im
Inneren“ und der angeblich drohenden atomaren Anschlagskatastrophe bei uns gleich morgen - gleichzeitig
sollte man bis dahin noch fröhlich sein - oder gar unsere
Sehnsucht nach dem roten Sheriff Otto Schily ist ausgesprochen unausgeprägt, Herr Kollege Uhl - im Gegenteil.
({1})
Wir haben immer gesagt: Einen Innenminister, der
nach eigenen Worten den Stahl in der Stimme nicht auflegen kann, den mögen wir deswegen eher. - Dieses diskursive „Mögen wir“ wird jedoch gefolgt von einem
großen Aber. Was nutzt denn die moderate Umgangsform, wenn er im Sommer sein zweites Gesicht zeigt
und in einer Art Enthauptungsschlag gleich die gesamte
Spitze der Bundespolizei in die Wüste schickt?
({2})
Bis heute - da hat Frau Lambrecht doch völlig recht hat er kein Wort der Erklärung gegenüber den Parlamentariern abgegeben, obwohl auf Anregung des Parlamentspräsidenten extra eine Obleuteunterrichtung in der
Sommerpause angesetzt wurde. Wenn Sie, lieber Herr
Kollege Krings, sagen, er habe von zu Guttenberg gelernt, der seinerzeit gesagt hat, weshalb er Schneiderhan
und den Staatssekretär herausgeworfen hat, dann
schließe ich daraus, dass wir offenbar in Zukunft wieder
auf Feudalismus machen und zu Entlassungen kein Wort
sagen. Der Innenminister hat offenbar vergessen, dass er
hier nicht wegen der Ereignisse in Kunduz sitzt, sondern
aufgrund eines Plagiats einer Doktorarbeit. Deswegen
sind Sie Innenminister geworden. Sie müssen erklären,
Sie können erklären, und Sie sollten erklären.
({3})
Hinzu kommt noch Folgendes: Wir werden nicht
rechtzeitig und wahrheitsgemäß unterrichtet, wie sich
die Ausbildung der Polizei in Weißrussland abgespielt
hat. Man entschuldigt sich nur. Bei Saudi-Arabien war es
das Gleiche. Auch darüber wurden wir nicht unterrichtet,
wir wurden sogar falsch unterrichtet. Dann entschuldigte
man sich. Gleichzeitig lässt dieser Innenminister eine
Schmuddelkampagne gegen den Polizeipräsidenten
Seeger über Monate laufen, ohne ein Dementi abzugeben oder zu erklären, dass an den Vorwürfen nichts dran
ist. Das alles war schäbig.
({4})
Hinzu kommen die Neubesetzungen. Wir haben gesagt, auch ich persönlich, dass wir diese Personen nicht
vorab disqualifizieren werden. Der neue Verfassungsschutzchef, Herr Maaßen, soll nicht Chef der Heilsarmee
werden. Dafür wäre er eine Fehlbesetzung, ohne jede
Frage. Wir haben uns auch nicht in die Kritik an dem
neuen Vizepräsidenten Schubert eingeklinkt. Das haben
wir ausdrücklich nicht gemacht, weil wir gesagt haben,
dass alle die Chance bekommen sollen, sich wenigstens
100 Tage im Amt zu bewähren. Aber wenn Sie die gesamten Spitzenpositionen im Bereich der inneren Sicherheit mit Personen aus Ihrem engeren Leitungsstab besetzen - ich will das böse Wort vom Küchenkabinett nicht
sagen -, dann erwecken Sie den Verdacht, dass Ihnen
Subordination wichtiger ist als Bestenauslese oder die
Rekrutierung gestandener Persönlichkeiten. Diesen Vorwurf muss sich der Innenminister machen lassen.
({5})
Es sind alles interne Besetzungen, niemand kommt
von außen, zum Beispiel aus den Ländern, der Wissenschaft oder woher auch immer. Das Personal ist ganz eng
bei Ihnen angebunden. In Zukunft haften Sie dann auch
persönlich für alles, was schiefläuft, weil Ihre Leute auf
diesen Posten sitzen.
({6})
Es gibt eine Menge zu tun. Bei der Bundespolizei finden wir eine Baustelle nach der anderen. Wir kennen die
Burn-out-Quote, wir wissen um die Unsicherheit der Beamten und ihrer Familien, die sich fragen, wo sie eingesetzt werden sollen. Wir wissen, wie umstritten die Auslandseinsätze sind und wie wenig Klarheit da besteht. Da
gibt es furchtbar viel zu tun. Diese Baustellen müssen
angegangen werden.
Noch schlimmer sieht es allerdings bei dem aus, was
wir im Zusammenhang mit dem NSU erlebt haben. Ich
komme gerade aus einer Sitzung des Untersuchungsausschusses. Ich sitze Stunde um Stunde in diesem Ausschuss. Deswegen erlauben Sie mir, Frau Präsidentin, eiWolfgang Wieland
nen völlig unparlamentarischen Ausdruck. Wir haben
tatsächlich den Eindruck: Egal was wir untersuchen, wo
man hinfasst: Sch…
({7})
- Ja. - Vorgestern waren es vorenthaltene Akten des
MAD. Dazu wurde gesagt: Na, ihr hättet es ja wissen
müssen. - Dass es ein solches Protokoll gibt, den Versuch einer Anwerbung von Mundlos, wussten wir nicht,
und man hat es uns nicht gesagt. Heute haben wir erneut
von einer Schredderung bzw. Verflüchtigung einer
Designerakte, so wurde es gesagt
({8})
- na ja, man lernt es: virtuelle Akten, Designerakten -,
beim Bundesamt gehört. Man legt also eine Designerakte an, und lässt sie dann wieder verschwinden. Wir
sollen glauben, dass der Inhalt dieser Akte zu uns geflossen ist. Man kann nicht prüfen, Kollege Danckert; man
soll immer glauben. Wie in der Kirche sollen wir hier im
Parlament der Exekutive glauben und vertrauen. Aber
dieses Vertrauen ist nicht mehr da. Auch die Länder liefern nicht zu.
Ich weiß, im Föderalismus kann man das alles nicht
machen, was sie wollten; deswegen mussten sie da eine
Bauchlandung machen. Das ist gar keine Frage.
Herr Kollege.
Ja, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Aber
wichtiger als eine organisatorische Veränderung ist eine
Veränderung der Mentalität, des Denkens. Das gegenseitige Abschotten muss aufhören, die Blockade untereinander, die Blockade zu Parlamentariern, die Blockade
zwischen Verfassungsschutz und Polizei.
Herr Kollege!
Das alles ist ein System der Abkapselung, ein System
des Schmorens im eigenen Saft. Diese Behörden müssen
durchgeschüttelt und neu aufgestellt werden und völlig
andere Arbeitsstrukturen bekommen.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt hat Hans-Peter Uhl das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Frau Lambrecht und Herr Wieland, ich gehe
gleich auf Sie ein. Aber lassen Sie mich zunächst einmal
- wir führen ja eine Haushaltsdebatte - eine an den Zahlen orientierte Feststellung machen.
Der Haushalt des Bundesministeriums des Innern
steht mit 5 Milliarden Euro gut da. 4 Milliarden Euro davon fließen in den Bereich innere Sicherheit. Wenn man
sich den Zuwachs dieses Etats genauer anschaut, dann
sieht man, dass dieser Zuwachs vor allem dem Personal
zukommt. Wir haben endlich das Versprechen wahrgemacht, dass wir das Weihnachtsgeld wieder voll auszahlen. Außerdem haben wir die Tariferhöhungen, die sich
in den nächsten Jahren in Höhe von insgesamt 5 Prozent
niederschlagen, umgesetzt. Das ist der Hauptgrund dafür, dass dieser Etat vor allem im Personalbereich
wächst.
Wir haben erhebliche Konsolidierungsbemühungen
zu verzeichnen. Wir haben dennoch neue Projekte angefangen und werden sie anfangen. Dabei geht es einmal
um das Thema Visa-Warndatei. Wir setzen hier eine sehr
kostspielige Datenabgleichsmaschinerie, wenn Sie so
wollen, in Gang; dies kostet viel Geld. Was wir auch tun,
ist, dass wir nächstes Jahr das Nationale Waffenregister
einführen. Das kostet ebenfalls sehr viel Geld, und das
ist gut so, weil das ein Mehr an Sicherheit in diesem
Lande organisiert.
({0})
Der mehrfach angesprochene Rechtsextremismus
muss natürlich von uns allen massiv bekämpft werden.
Ich möchte zunächst kurz auf Sie, Frau Lambrecht, eingehen, da Sie den Kampf gegen den Rechtsextremismus
auf einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht auf
Verbot der NPD reduzieren. Meine Damen und Herren,
das ist so banal und so einfältig, wie es nur sein kann.
Ich empfehle Ihnen, ein Buch zu lesen, das gerade in
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine sehr gute Rezension bekommen hat. Aus diesem Buch geht hervor,
dass der Rechtsextremismus in diesem Lande leider immer noch vorhanden ist, vielleicht sogar in Teilen des
Landes wächst, aber mit Sicherheit nicht in der NPD,
und dass er gerade von den Kameradschaften im Rechtsextremismus, die sehr gefährlich sind, ausgeht, dass die
NPD als eine Altherrenorganisation ohne jede Bedeutung angesehen wird. Das heißt, wenn wir gemeinsam
- das tun wir ja hoffentlich - über alle Parteigrenzen hinweg den Rechtsextremismus bekämpfen wollen, bekämpfen wir ihn doch bitte da, wo er virulent wird, und
das ist vor allem in den Kameradschaften der Fall.
Wir sollten bitte auch aus dem vergangenen NPDVerbotsverfahren lernen, bei dem wir im gemeinsamen
Schulterschluss von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung nach Karlsruhe marschiert sind, dort gemeinsam in den Abgrund gestürzt sind und eine völlige Blamage erlebt haben. Wenn Sie sich die Wahlergebnisse
dieser entsetzlichen Partei anschauen, dann sehen Sie,
dass diese vor dem gescheiterten Verbotsverfahren im23192
mer bei Ergebnissen von etwas über 0 Prozent herumgekrebst ist.
({1})
Die Ergebnisse sind nach dem Verbotsverfahren auf
1 bis 2 Prozent gestiegen. Wir können auf diese Weise
zu einer Popularität beitragen, die keiner von uns will.
({2})
Wir haben ein Strukturproblem in diesem Land:
16 Länder und den Bund mit 16 Landeskriminalämtern
und 16 Verfassungsschutzämtern und das Ganze beim
Bund noch einmal. Alles in allem sind das fast 40 Behörden. Jede arbeitet vor sich hin, jede will ihre Erfolge haben und sie einzeln verkaufen. Da sind Kräfte am Werk,
die für die Sicherheit in diesem Land nicht gut sind. Das
haben wir bei den Morden des NSU gesehen.
Daraus müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen. Ich
empfehle wirklich, die Ergebnisse der Kommission abzuwarten und die Erfahrungen dieser Kommission mit
den Erfahrungen aus den Untersuchungsausschüssen zusammenzutragen und alle Innenminister des Bundes und
der Länder an einem Tisch zu versammeln, um zu sagen:
Wir wollen das in Zukunft besser machen. Wir wollen
unser Wissen zusammentragen.
Der Herr Innenminister hat dies schon hervorragend
getan. Er hat dargestellt, wie er die gemeinsame Rechtsextremismusdatei und das Gemeinsame Abwehrzentrum
gegen Rechtsextremismus sofort gegründet hat. Das waren erste Sofortmaßnahmen. Das war das Wichtigste auf
diesem Gebiet, was zu tun war. Wir werden da und dort
noch nachbessern.
Frau Lambrecht, wir sollten diesen ersten Versuch
nicht belächeln. Ihre Rede habe ich als sehr unangenehm
empfunden. Die giftige, gallige Art, wie Sie den Innenminister persönlich angreifen, passt überhaupt nicht in
die Landschaft.
({3})
Mit Verlaub, Frau Kollegin, wir empfinden es als wohltuend, dass Sie nicht im Innenausschuss sind.
({4})
Ihre Kollegen von der SPD verhalten sich völlig anders.
Wir haben ein kameradschaftliches, sachliches Miteinander; da kann man unterschiedlicher Meinung sein.
Aber so, wie Sie sich hier geriert haben, benimmt sich
keiner Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion. Also, lassen
Sie das doch. Wem wollen Sie imponieren mit solchen
Reden? Müssen Sie auf der Liste irgendwie günstig aufgestellt werden, oder was ist Ihr Anliegen? Ich weiß es
nicht.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sollten gemeinsam die
Strukturen verbessern. Dazu gehört, dass die Innenminister der Länder sich wirklich noch einmal Gedanken
darüber machen, ob es nicht vielleicht doch eine gute
Idee des Bundesinnenministers war, in den Behörden der
Länder einen Vertreter des Bundes zu haben, um den
menschlichen Kontakt ganzjährig aufrechtzuerhalten.
Das ist kein Kommissar aus Berlin, sondern das ist das
Bindeglied zwischen einer Landessicherheitsbehörde
und einer Bundessicherheitsbehörde. Ich halte die Idee
für nicht schlecht. Wir sollten darüber noch einmal nachdenken.
Wichtig aber sind das Abwehrzentrum und die gemeinsame Datei. In diese wird eingespeist, sodass jeder
weiß, was der andere weiß. Wir müssen alles über
Rechtsextremismus wissen. Es kann so nicht weitergehen, dass zehn Jahre später in der einen Behörde Kopien
von Akten gefunden werden, die in der anderen Behörde
geschreddert wurden.
Meine Damen und Herren, vielleicht noch ein Satz
zum Schreddern. Es sind die gleichen Kräfte, die jetzt
diesem Staat gegenüber Vorwürfe machen, nichts erkannt zu haben, die vehement das ganze Jahr über fordern, es müsse geschreddert werden, und zwar sofort,
wenn fünf Jahre um sind. Hier wird vieles falsch gemacht und vieles überzogen. Wir müssen die Akten gerade im Bereich des politischen Extremismus für eine
längere Zeit aufbewahren, um darauf zurückkommen zu
können, was früher einmal festgestellt worden ist. Bei
dem Herrn Mundlos hätte es allen Behörden gutgetan,
wenn man die Akten von 1995 in den drei Landesbehörden und beim Bund länger aufbewahrt hätte.
Herr Wieland, ich habe kaum noch Redezeit, aber ich
würde gern noch etwas zu Ihnen sagen. Sie haben keine
Schonfrist von 100 Tagen verdient, Sie sind ein alter
Hase. Deswegen sollten Sie bei der Behandlung des
Themas Neustrukturierung und personeller Neubeginn
bei der Bundespolizei sich nicht so verhalten.
({6})
Ein Minister hat für alles, was in seinem Ministerium
passiert, die Verantwortung zu übernehmen, egal ob er
davon wusste oder nicht. Damit einher geht das Recht
des gleichen Ministers, wenn er kein Vertrauen zu den
führenden politischen Beamten hat, diese politischen
Beamten ohne jede Begründung zu entlassen. Das eine
gehört denknotwendig und logisch zum anderen.
({7})
Und Sie sollten hier am Rednerpult nicht so tun, als hätte
er ein Versäumnis begangen,
({8})
wenn er ihnen keine Begründung geliefert hat. Er muss
keine Begründung liefern. Das ist gut so.
({9})
Jetzt wäre noch viel zu sagen zu den Themen Migration, Integration, dazu, was wir hier in den letzten Jahren
getan haben und weiter tun werden. Es wäre noch viel
mehr zu sagen zum Thema innere Sicherheit in Bezug
auf IT-Sicherheit. Das wird die große Baustelle der
nächsten Jahre werden; die wird auch viel Geld kosten.
Auch hier hat der Innenminister schon die ersten Weichen gestellt und wird Weiteres tun.
({10})
Herr Kollege.
Ich bin gleich fertig. - Vielleicht werden wir doch
noch ein IT-Sicherheitsgesetz brauchen, zumindest für
die kritischen Infrastrukturen in diesem Land.
Darüber reden Sie dann beim nächsten Mal.
Darüber reden wir beim nächsten Mal; alles klar.
({0})
Die Kollegin Gabriele Fograscher hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den Einzelplan 06 des Bundesinnenministeriums anschaut, so findet man dort keine
neuen Schwerpunkte, keine Ziele, keine Perspektiven
und keine Akzente, die der Minister setzt. Er schreibt im
Wesentlichen den Haushalt der vergangenen Jahre fort.
Der Haushalt ist Ausdruck der Leidenschaftslosigkeit
und der Ideenlosigkeit, mit denen der Bundesinnenminister sein Amt führt.
Herr Minister, Sie sind zuständig für Integration. In
Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie den vertrauensvollen Dialog zwischen Staat und Gesellschaft, insbesondere mit den Migranten, fortsetzen wollen. Aber gerade Sie verspielen das Vertrauen.
Bereits an Ihrem ersten Amtstag brüskieren Sie die islamischen Verbände und die Menschen muslimischen
Glaubens in Deutschland, indem Sie erklären, der Islam
gehöre nicht zu Deutschland. Die Herausgabe der Studie
„Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ durch
Ihr Haus und die verzerrte und falsche Darstellung der
Ergebnisse hat weiteres Vertrauen verspielt.
Sie starten eine Kampagne - Sie haben selber darüber
gesprochen -, die auf eine Beratungshotline hinweist.
Das Ziel ist ja richtig. Aber wie Sie es machen, empört
eben junge Muslime; sie fühlen sich kriminalisiert und
unter Generalverdacht gestellt. Die Verbände sind empört; mehrere Verbände haben jetzt auch die Mitarbeit in
der Sicherheitspartnerschaft gekündigt.
({0})
Die Integrationskurse waren und sind ein Erfolg. Laut
Information Ihres Ministeriums geht die Zahl der Teilnehmer an den Integrationskursen aber zurück. Jetzt
wäre der Zeitpunkt, die Qualität der Kurse zu verbessern, die Lehrerhonorare anzuheben und mehr differenzierte Angebote zu machen. Was planen Sie in diesem
Bereich?
Herr Minister, was haben Sie mit der Bundespolizei
vor? Es reicht nicht, die gesamte Führungsspitze der
Bundespolizei auszutauschen, noch dazu in der Art und
Weise, wie dies geschah - stillos. Wir erwarten, dass Sie
das Parlament, die gut 40 000 Bundespolizeiangehörigen
und die Öffentlichkeit über die Aufgaben, die Perspektiven und die künftige Struktur aufklären, und vor allem,
dass Sie die Arbeitsbedingungen bei der Bundespolizei
verbessern.
({1})
Die Gelegenheit, das zu tun, haben Sie in dieser Woche
im Innenausschuss nicht genutzt.
Im November 2011 wurde das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der rechtsterroristischen Morde des sogenannten Nationalsozialistischen
Untergrunds offenbar. Daraufhin schufen Sie ein Wirrwarr an Kommissionen, die entweder nie tätig werden
durften oder nur sehr schleppend arbeiten. Die wirkliche
Aufklärungsarbeit leistet bislang nur der Parlamentarische Untersuchungsausschuss.
Bekämpfung des Rechtsextremismus: Dazu gehört
für uns das NPD-Verbot. Aber es gehört für uns vor allen
Dingen die Stärkung der Zivilgesellschaft dazu.
({2})
Außerdem gehört für uns nach wie vor dazu, dass die
Extremismusklausel von Ministerin Schröder fällt.
({3})
Eine Reform des Verfassungsschutzes des Bundes
und der Länder ist mehr als überfällig. Sie aber kündigen
Veränderungen im Alleingang an, provozieren mit Ihren
Vorschlägen Widerstand bei den Bundesländern und
müssen zurückrudern. Herr Wolff, nach Ihren markigen
Forderungen zu dieser Reform warten wir jetzt erst einmal auf die Taten.
({4})
Herr Friedrich, was Sie sich beim Melderecht geleistet haben, ist wirklich ein starkes Stück. Wer bestimmt
bei Ihnen eigentlich die Politik? Da ändert die Regierungskoalition mit Formulierungshilfe aus Ihrem Ministerium mal schnell den vorgelegten Entwurf ins Gegenteil. Sie als zuständiger Minister verteidigen diese
Änderungen noch, als sich Frau Aigner, CSU, und Ministerpräsident Seehofer, CSU, schon längst zu den
schärfsten Kritikern dieses Gesetzes aufgeschwungen
hatten. Und dann versucht man, dieses politische Desaster, das die Bürgerrechts- und Datenschutzpartei FDP
mit beschlossen hat, als Versagen der Opposition zu verkaufen. Jetzt brauchen Sie also die SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat, um dieses Gesetz zu ändern.
Herr Friedrich, auch Ihre sportpolitischen Aktivitäten
sind nicht olympiareif. Die Olympischen und Paralympischen Spiele in London waren ein großartiges sportliches Ereignis. Die deutschen Athletinnen und Athleten
haben tolle sportliche Leistungen erbracht. Dafür haben
sie Dank und Respekt verdient.
({5})
Sie, Herr Minister, befinden sich mit den völlig utopischen Zielvereinbarungen, die Sie mit dem DOSB getroffen haben, auf Abwegen. Auch die Geheimniskrämerei um diese Zielvereinbarungen ist einfach nur peinlich.
Wir wollen, dass Deutschland im Sport weiterhin erfolgreich ist, und dafür brauchen wir Verbesserungen bei der
Sportförderung und vor allem Transparenz.
({6})
„NADA fehlen 1,3 Millionen“, so eine Schlagzeile im
General-Anzeiger. Sie streichen den Bundeszuschuss für
die NADA, und die finanzielle Rettung ist gut drei Monate vor Beginn des neuen Haushaltsjahrs nicht in Sicht.
Wenn Ihre Appelle an die Bundesländer, die Wirtschaft
und den Sport weiterhin wirkungslos verhallen, wird die
NADA vor allem bei Dopingkontrollen sparen müssen.
Was für ein verheerendes Signal!
({7})
Herr Minister, die Bilanz Ihrer bisherigen Tätigkeit
als Bundesinnenminister ist mehr als dürftig. Kommen
Sie endlich in Ihrem Amt an, und stellen Sie sich endlich
den innenpolitischen Herausforderungen!
({8})
Florian Toncar hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bevor ich zur Sache selbst komme, möchte ich im
Rahmen dieser Debatte an unseren Kollegen Jürgen
Herrmann erinnern, der sich in den letzten Jahren gemeinsam mit uns um den Haushalt des Bundesinnenministeriums gekümmert hat. Mir fällt es immer noch
schwer, zu begreifen, dass er heute und auch sonst bei
uns im Haushaltsausschuss nicht mehr da ist. Ich glaube,
das sollten wir heute sagen; denn er hat den Einzelplan 06 mitgestaltet und mitgeprägt. Da spreche ich,
glaube ich, für alle hier.
Wir haben in den letzten Jahren einen Schwerpunkt
im Bereich der inneren Sicherheit setzen können, obwohl der Haushalt insgesamt konsolidiert werden
musste. Neben dem Bereich der Bildungspolitik ist das
der Bereich, der von Einsparungen nun wirklich weitgehend ausgenommen wurde. Das ist meines Erachtens
richtig. Gerade wir Liberalen betonen immer wieder
- ich meine, zu Recht -, dass eine gute Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden wichtiger ist, als sich immer
wieder neue Gesetze, neue Überwachungsmöglichkeiten, neue Grundrechtseingriffe auszudenken. Dafür stehen wir.
({0})
Der Einzelplan 06 ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen; er ist jetzt bei fast 6 Milliarden Euro angekommen. Die Mittel werden weit überwiegend für
Personal eingesetzt, für die Menschen, die sich in den
verschiedenen Sicherheitsbehörden des Bundes für unsere Sicherheit einsetzen. Die größte ist die Bundespolizei, aber es gibt natürlich viele weitere. Wir bedanken
uns bei den Menschen, die sich jeden Tag im Vollzugsdienst, aber auch in anderen Funktionen in ihren Behörden dafür einsetzen, dass wir in Deutschland sicher leben können. Wir bekennen uns zur Arbeit unserer
Polizei.
({1})
Man kann natürlich nicht das Blaue vom Himmel versprechen - die finanziellen Ressourcen sind begrenzt -,
aber wir Haushaltspolitiker haben in den letzten Jahren
immer wieder versucht, im Rahmen des Möglichen die
Lage der Polizisten zu verbessern, beispielsweise indem
wir Stellen angehoben haben, um den Beförderungsstau
abzubauen, auch indem wir Regelungen geschaffen haben, die es ermöglichen, dass unsere Sicherheitsbehörden Auszubildende übernehmen können, wenn diese
ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Denn wir wissen:
In vier oder fünf Jahren wird es viel schwieriger sein; da
werden wir vielleicht Probleme haben, genügend gute
junge Menschen zu finden, die sich in diese Laufbahn
begeben wollen. Das überbrücken wir. Wir haben - ohne
ganz große Sprünge machen zu können - an den verschiedenen Stellen für Entlastung gesorgt, weil wir hinter unseren Polizisten stehen.
Es wird in den nächsten Jahren darum gehen, die ITAusstattung zu verbessern, um unsere Behörden auf den
neuesten Stand zu bringen. Grundsätzlich sind wir wohlwollend, wenn es darum geht, die Sicherheitsbehörden
gut auszustatten. Aber gerade als Haushälter erwarten
wir dann schon, dass es keine Doppelstrukturen gibt,
dass die Sicherheitsbehörden ideal aufeinander abgestimmt arbeiten, dass nicht zwei dasselbe machen, weil
jeder für sich den Aufgabenbereich reklamiert. Darauf
achten wir in allen Bereichen und stellen fest: Hier gibt
es noch viel zu tun.
Lassen Sie mich als aktuelles Beispiel den Bereich
Luftfrachtsicherheit anführen. Die Wichtigkeit der Aufgabe ist völlig unbestritten; wir müssen Luftfracht sicher
machen, und zwar im Rahmen eines europäischen Konzepts. Aber es kann meines Erachtens nicht sein, dass
identische oder sehr ähnliche Aufgaben in mehreren Behörden wahrgenommen werden oder dass identische
oder ähnliche Geräte von mehreren Behörden, möglicherweise direkt hintereinander geschaltet, eingesetzt
werden. Darauf haben wir in der Vergangenheit geachtet,
und wir werden auch in Zukunft darauf achten.
({2})
Mein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
das Thema Digitalfunk. Das ist ja ein Dauerbrenner.
Herr Minister Friedrich, ich weiß, dass das eine Erblast
ist, die Sie managen müssen. Es geht um eine Behördenstruktur, die schon unter Otto Schily angelegt war und
die sich als nicht besonders leistungsstark erwiesen hat.
Ich weiß auch, dass dies im Grunde genommen eine
Bund-Länder-Aufgabe ist.
Über einige Themen mache ich mir Sorgen. Ich habe
die Befürchtung, dass es zu erheblichen Mehrkosten führen kann, wenn wir sie nicht angehen. Meine Befürchtung betrifft insbesondere das Thema Leistungsfähigkeit.
Im Zusammenhang mit dem Digitalfunk ist das Thema
Objektversorgung zu nennen. Dabei geht es um eine
neue Funktechnologie, die gewährleistet, dass Funk auch
in Tunnels oder in Gebäuden verwendet werden kann.
Wenn wir das nicht gewährleisten können, dann bedeutet
das, dass wir Digital- und Analogfunk nebeneinander
benutzen müssen, was ziemlich katastrophal wäre.
Das Gleiche droht auch in anderen Situationen. Bei
sogenannten Großlagen, etwa bei Großdemonstrationen
oder größeren Katastrophen, ergeben sich beispielsweise
Leistungsprobleme, wenn man zu viele Geräte am Netz
hat. Ich will darauf hinweisen, dass das im Bund-Länder-Verhältnis angesprochen werden muss. Wir haben
beim Digitalfunk genug unangenehme Überraschungen,
sowohl bei den Kosten als auch bei der Leistungsfähigkeit, erlebt. Ich möchte Sie sehr darum bitten, dass Sie
gemeinsam mit den Kollegen in den Ländern eine pragmatische Lösung finden. Gleichzeitig muss man die
Warnungen der Experten ernst nehmen.
Das sind die wichtigsten haushalterischen Themen.
Ansonsten ist festzustellen: Wir arbeiten gut zusammen.
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Petra Pau hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor zehn Monaten, am 4. November 2011, wurde ein innenpolitischer Super-GAU publik. Ein Nazitrio namens
Nationalsozialistischer Untergrund war mehr als zehn
Jahre lang mordend und raubend durch die Bundesrepublik Deutschland gezogen - unerkannt und unbehelligt.
Neun Menschen, acht türkischer Herkunft und einer mit
griechischen Wurzeln, wurden regelrecht hingerichtet.
Außerdem erschossen sie eine Polizistin. So lautet die
offiziell erzählte Geschichte. Man muss allerdings viele
Fragezeichen übersehen, um dieser Version arglos zu
folgen.
Seit einem halben Jahr versuchen wir im Untersuchungsausschuss, Licht ins Dunkel zu bringen. Ich
möchte hier ausdrücklich anmerken: bisher konstruktiv,
fraktionsübergreifend und ohne jegliches parteipolitisches Gezänk.
({0})
Das finde ich - und ich sehe: auch Sie - politisch angemessen, und wir sind es den Opfern schuldig.
Nach allen bisherigen Untersuchungen gibt es mehr
Fragen als Antworten. Es wimmelt nur so von Ungereimtheiten. Auch meine zentrale Frage ist bisher ungeklärt: Warum wurde die rechtsextreme Gefahr so lange,
so gründlich und so tödlich unterschätzt? Und warum
noch immer? Eine Annahme erhärtet sich allerdings: Im
Zentrum des Sicherheitsversagens agierten das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz. Sie haben - vorsichtig formuliert - im besten Fall die polizeilichen Ermittlungen nicht befördert.
({1})
Ich fürchte, jetzt endet die ganz große Übereinstimmung; denn die Linke bleibt dabei: Die Verfassungsschutzämter sind aufzulösen.
({2})
Nun stellt sich die Frage: Wie soll das gehen? Ich
glaube, die unsägliche V-Leute-Praxis kann erstens sofort eingestellt werden. Der zweite Schritt wäre die Entziehung der Geheimdienstbefugnisse und der dritte die
Umwandlung zu einer kompetenten Politikberatung.
Nun reden wir hier nicht nur über Innenpolitik, sondern auch über den Bundeshaushalt. Dazu wird es ein
Jahressteuergesetz 2013 geben. Mit ihm würden allerdings die Versagerämter für Verfassungsschutz durch
den Bundestag noch geadelt und befördert. Versteckt in
diesem Gesetz steht, dass der Verfassungsschutz künftig
als finaler TÜV über die Gemeinnützigkeit von Vereinen
und Initiativen entscheiden soll. Ämter, unfähig, Morde
von Nazis zu verhindern, sollen nun über Nutz und
Fromm gesellschaftlichen Engagements richten. Ich
finde, das hat perverse Züge.
({3})
Zivile Courage gegen Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus würde damit weiter verstaatlicht,
verordnet, vor allem aber unter geheimdienstliche Willkür gepresst, ebenso übrigens soziales Engagement und
der Kampf um den Frieden. Ich finde, das ist wider den
Geist der Verfassung.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich
Sie: Folgen Sie dem offenen Brief, den zahlreiche Initiativen im Juni an den Bundestag gerichtet haben, darunter
der BUND, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, das Netzwerk Friedenskooperative und
viele, viele mehr. Kehren Sie in dieser Frage ein und vor
allen Dingen um.
Danke schön.
({4})
Josef Winkler hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bilanz des letzten Jahres und der gesamten bisherigen Legislatur im Bereich der Innenpolitik
fällt ziemlich dürftig aus. Wir erleben einen sehr überforderten Innenminister, der fast ausschließlich damit
beschäftigt ist, die Folgen des Grabenkampfes in dieser
unheilbar zerstrittenen Koalition zu verwalten. Gucken
Sie sich die Beispiele einmal an:
Vorratsdatenspeicherung. Statt eines gemeinsamen
Vorgehens der Bundesregierung gegen die fragwürdige
Richtlinie aus Brüssel läuft die Regierung im Zickzack.
Statt sich für die Aufhebung dieser Unsinnsrichtlinie
einzusetzen, erleben wir eine Never-ending Story, einen
Dauerstreit zwischen Justiz- und Innenministerium.
({0})
- Liebe Frau Piltz, man muss sich auch irgendwann einmal in der Regierungskoalition durchsetzen und nicht
immer nur freundlich gucken.
({1})
Schauen wir uns ein anderes Thema an, den Beschäftigtendatenschutz. Ich bin einmal gespannt, was Sie
gleich dazu sagen werden, Frau Piltz. Die Diskussion
über den Beschäftigtendatenschutz läuft seit über zwei
Jahren. Kommt nun ein besserer Schutz, oder kommt er
nicht? Sie haben einen Entwurf vorgelegt, der niemandem nützt. Ich kann nur sagen: Das ist peinlich. Das sage
ich vor allem in Richtung FDP, weil ich von der CDU/
CSU hier eh nichts erwartet habe.
Wie sieht es mit der Stiftung Datenschutz aus? Das
war ein leeres Versprechen.
({2})
Wann kommt sie denn? Kommt sie noch in dieser Wahlperiode, oder sollen wir das machen, wenn Sie gar nicht
mehr im Parlament sind, Frau Piltz?
({3})
Also bitte schön: Antworten Sie darauf mal; Sie reden ja
gleich noch.
Was bleibt denn dann, wenn man all diese Einzelbeispiele zusammenzieht? Der Bundesinnenminister verpasst es, sein Haus modern aufzustellen.
Gucken Sie sich zum Beispiel einmal die Netzpolitik
an. Herr Uhl, von wegen, bei der IT geht es voran! Die
Mittel für die Abteilung wurden gekürzt. Wenn es um
Netzpolitik geht, fragt der Innenminister: Was geht mich
das an? Ich habe mit Hochseefischerei nichts zu tun.
({4})
Insofern findet Netzpolitik im Innenministerium überhaupt nicht statt. - Kollege Grindel, der Datenschutzstab
ist ja wohl reichlich improvisiert eingerichtet worden.
Das ist doch keine überzeugende Ansage, die der Innenminister hier für dieses Thema macht.
({5})
Zum Thema Flüchtlingspolitik. Mir kommen ja fast
Tränen der Rührung, wenn hier schon bei 195 aufgenommenen Flüchtlingen die herausragende Leistung der
Bundesrepublik Deutschland gewürdigt wird, auch wenn
es insgesamt dreimal 300 werden sollen. Also bitte
schön! Wir reden hier über eine Situation, in der Hunderttausende in Syrien auf der Flucht sind und Zehntausende in den umliegenden Ländern Aufnahme gefunden
haben. Man muss auch nicht warten, bis der UNHCR
den Notstand ausruft, sondern man kann auf europäischer Ebene schon jetzt darüber diskutieren, wann man
welche Maßnahme ergreift
({6})
und wann man über das Resettlement-Verfahren wie
viele Menschen aus Solidarität in Europa aufnehmen
will.
({7})
Es gibt also überhaupt keinen Grund für Jubel über
die gelungene Flüchtlingspolitik, sondern hier ist noch
reichlich nachzuarbeiten.
Danke schön.
({8})
Der Kollege Helmut Brandt hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Josef Winkler, ich glaube, diese Koalition braucht sich gerade von den Grünen und auch von
der SPD nicht sagen zu lassen, wie man gut zusammenarbeitet.
({0})
Der „Basta“-Kanzler, der bei euch ja so beliebt war, und
der Innenminister Schily sind beredte Beispiele dafür,
wie man nicht miteinander umgeht.
({1})
Solche Umgangsformen wollen wir uns auch nicht angewöhnen.
({2})
In der Debatte heute ist eigentlich nur wenig zum
Haushalt selbst gesagt worden. Einige haben sich darin
verstanden, unseren Innenminister in einer nach meiner
Ansicht - hier teile ich die Auffassung von Hans-Peter
Uhl - unmöglichen Art und Weise anzugehen, die durch
nichts gerechtfertigt werden kann.
Zu Beginn möchte ich dem Kollegen Florian Toncar
dafür danken, dass er an unseren verstorbenen Kollegen
Jürgen Herrmann erinnert hat. Das wollte ich auch tun,
und das will ich auch jetzt noch tun, obwohl er es schon
getan hat; denn eines ist ganz klar: Jürgen Herrmann war
maßgeblich an der Aufstellung dieses Haushalts beteiligt. Der Haushalt trägt seine Handschrift.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der inneren Sicherheit wird nicht gespart. Hier ist schon mehrfach die Rede von den schrecklichen Mordtaten des
NSU gewesen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass eine zunehmende Gefahr durch Extremisten jedweder Richtung
bei uns besteht.
Freiheit ohne Sicherheit - das möchte ich auch ganz
klar sagen - ist für uns keine Alternative. Wer ernsthaft
bezweifelt, dass dies so ist, dem ist offensichtlich nicht
bewusst, wie viel Lebensqualität derjenige einbüßt, der
sich in seinem Land nicht mehr sicher fühlt.
Die Bedrohungen und Gefahren, denen wir ausgesetzt
sind, sind vielfältig. Ebenso vielfältig sind auch die Aufgaben unserer Behörden.
Die Neonazi-Szene organisiert sich neu und geriert
sich zunehmend gewaltbereit. Die NPD, von der mehrfach die Rede war, verliert zwar an Mitgliedern, dafür
nimmt aber die Zahl der Mitglieder in informell organisierten Kameradschaften zu. Das macht diese Szene
nicht ungefährlicher, sondern - im Gegenteil - das erhöht die Gefahr, die von dieser Szene ausgeht.
({3})
Damit sollten wir uns primär beschäftigen.
({4})
Mit dem inzwischen eingerichteten Gemeinsamen
Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und der Verbunddatei haben wir eine Grundlage dafür geschaffen,
einen reibungslosen Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden auf Landes- und Bundesebene herzustellen. Das ist notwendig, um Gefahren von rechts frühzeitig erkennen zu können; denn eines dürfte doch klar
sein: Eine solche Mordserie wie in den letzten zehn Jahren durch den NSU - Frau Pau, Sie haben das insoweit
richtig dargestellt - darf sich niemals wiederholen.
An dieser Stelle richte ich allerdings auch einen eindringlichen Appell an uns alle: Im Zusammenhang mit
dieser Mordserie wurde verschiedentlich und sehr vorschnell der Vorwurf laut, bestimmte Behörden unseres
Landes seien auf dem rechten Auge blind. Es wurde sogar suggeriert, man sympathisiere mit rechtem Gedankengut. Abgesehen davon, dass dieser Vorwurf nie
belegt wurde, warne ich davor, mit solchen Unterstellungen unsere Behörden zu schwächen und damit zugleich
unsere Sicherheit zu gefährden.
({5})
Ich bin ganz im Gegenteil davon überzeugt, dass die
Mitarbeiter all unserer Sicherheitsbehörden tagtäglich
ihr Bestes geben, um von den Bürgern unseres Landes
jedweden Schaden, ob von rechts oder von links, ob
durch Naturkatastrophen oder durch menschliches Versagen, abzuwenden. Ihnen gilt tatsächlich unser Dank.
({6})
Daneben müssen wir einer frühzeitigen Prävention
von Straftaten besondere Bedeutung beimessen. Bildung, politische Aufklärung und Integration sind ein guter Schutz vor der Rekrutierung durch Extremisten. Es
ist uns deshalb wichtig, dass die Bundeszentrale für politische Bildung gut ausgestattet ist. Sie leistet im Zusammenhang mit politischer Aufklärung schon lange gute
Arbeit.
Ebenso wichtig und notwendig ist für uns aber auch
die Integration der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Um hier ein deutliches Zeichen zu
setzen, haben wir den Mittelansatz für Integrationsmaßnahmen trotz leicht rückläufiger Zahlen bei den Integrationskursen nicht gekürzt. Mit Bedacht arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge derzeit daran, eine
Empfehlung zu entwickeln, wie das frei werdende Geld
im Bereich der Integration sinnvoll angelegt werden
kann. Diese wollen wir auch umsetzen.
Wir sehen im Internet Bewegungen, die auf eine
große Entschlossenheit der Islamisten, einen Anschlag
zu verüben, schließen lassen. Es besteht kein Zweifel daran, dass unser Land im Visier von Islamisten ist. Noch
vor kurzem - der Innenminister hat das vorhin zu Recht
gesagt - hörten wir, wie der Salafist Denis Cuspert in einem Video offen mit dem Dschihad gegen unser Land
gedroht hat. Überhaupt ist das Internet zunehmend ein
Tummelplatz für Kriminelle. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien bieten in immer größerem Umfang Gelegenheit, Straftaten zu begehen. Dies erfordert nicht nur unsere Wachsamkeit und
die Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden, sondern wir
müssen uns auch auf diese neuen Technologien und Vorgehensweisen einstellen. Den Kampf gegen die sogenannte Cyberkriminalität müssen wir nicht nur aufnehmen, sondern wir müssen auch bemüht sein, den Tätern
immer einen Schritt voraus zu sein.
Um ihren Aufgaben gerecht zu werden, müssen unsere Behörden natürlich auch mit hinreichend Personal
und Sachmitteln ausgestattet sein. Die Ausgaben für Personal machen, auch bedingt durch Tarif- und Besoldungserhöhungen sowie durch die Wiedergewährung
des Weihnachtsgeldes, mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben im Einzelplan aus. Hinzu kommt der Verzicht
- das ist wichtig - auf pauschale Stelleneinsparungen in
den nächsten Jahren, wie das in der Vergangenheit der
Fall war. Wenn dieser Ausgabenposten auf den ersten
Blick hoch erscheint, muss man darauf hinweisen, dass
zu einem guten Vollzug eben auch eine ausreichende
Zahl von Mitarbeitern in Sicherheitsbehörden gehört, die
motiviert sind, die gerne ihren Dienst tun und denen berufliche Perspektiven offenstehen. Auch dies muss im
Haushalt seine Berücksichtigung finden. Gerade mit
Blick auf den demografischen Faktor müssen wir darauf
achten, dass der öffentliche Dienst attraktiv bleibt und
qualifizierter Nachwuchs angeworben werden kann.
Nicht nur durch den Terror, nicht nur durch die Gefahren von rechts und links sind wir bedroht, sondern natürlich auch durch Naturkatastrophen infolge des Klimawandels; alle wissen, wovon ich rede. Zu Recht sind wir
stolz auf die Einrichtung des Technischen Hilfswerks,
({7})
insbesondere auch auf die Einsatzbereitschaft und die
Einsatzqualität der hauptamtlichen wie der ehrenamtlichen Helfer. Feststellen müssen wir aber auch, dass infolge der Aussetzung der Wehrpflicht keine Zivildienstleistenden mehr zur Verfügung stehen. Ich denke aber,
dass gerade die jungen Leute, die beim Technischen
Hilfswerk ihren Dienst getan haben, die dort die Vorzüge
des Technischen Hilfswerks kennengelernt haben und
erfahren haben, welch gute Ausbildung dort geboten
wird, später freiwillig dabeigeblieben sind. Wir alle sollten auch in Zukunft im politischen Raum, im öffentlichen Raum dafür werben, beim Technischen Hilfswerk
ehrenamtlich tätig zu werden.
({8})
Ich komme zum Schluss. Wir gehören zu den sichersten Ländern der Welt; das ist unbestritten. Wir wollen alles tun - auch mit diesem Haushalt -, damit dies so
bleibt. Ich appelliere ausdrücklich an die Länder, mit einem größeren Miteinander der Verfassungsschutzbehörden daran mitzuwirken, dass dies auch in Zukunft so
bleibt. Denn das ist nicht das Ende des Föderalismus,
sondern es schützt unser föderales System.
Besten Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 06 ist es
mir ebenfalls ein Anliegen - Kollege Brandt und Kollege Toncar haben es eben schon getan -, hier ein Wort
der Erinnerung an den verstorbenen Kollegen Jürgen
Herrmann zu sagen. Ich kann für mich sagen: Ich war
mit ihm freundschaftlich verbunden. Wir sind uns im
Laufe der Legislaturperiode immer nähergekommen.
Wir haben gemeinsame Pläne Richtung London gehabt.
Nichts hat mich in den letzten Monaten oder Jahren so
betroffen gemacht wie der Tod dieses 49-jährigen Kollegen, den wir alle sehr geschätzt haben. Wir haben gut
mit ihm zusammengearbeitet. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber das muss auch nicht sein. Insofern
fehlt mir ein sehr guter Kollege.
Herr Bundesminister, Sie wissen, ich bin in meiner
Wortwahl eigentlich immer sehr zurückhaltend, aber einige Anmerkungen muss ich hier machen. Gut, ich sehe,
dass der Mittelansatz des Haushalts erhöht worden ist.
Im Wesentlichen liegt dies an Tariferhöhungen - das haben wir schon gehört - und daran, dass das Weihnachtsgeld wieder gezahlt wird. 47 Millionen Euro sind für die
Bundestagswahl im nächsten Jahr vorgesehen. Aber es
gibt kein wirkliches Konzept.
Eine Frage ist von Peter Uhl schon angesprochen
worden. Diese Frage ist bisher nicht geklärt worden. Wir
wissen seit Jahren, dass wir die IT-Technik verbessern
müssen. Da ist überhaupt nichts passiert. Das ist ein großes Sicherheitsproblem. Es geht um das Thema Sicherheitstechnik und Bundespolizei. Was sehen wir denn da?
Ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, Peter Uhl.
Die Mittel für die IT-Technik bei der Bundespolizei sind
um 2,5 Millionen Euro gekürzt worden. Was ist denn das
für ein Signal? Wir müssen uns in den Haushaltsberatungen unbedingt Gedanken darüber machen, ob das so passieren darf.
({0})
Bei der Bundespolizei haben wir zehn Jahre alte
Technik. Die Mitarbeiter dort behelfen sich, indem sie
das eine Gerät ausschlachten und die Teile in ein anderes
Gerät einbauen. Das ist doch kein Zustand. Wir sind in
dem Bereich inzwischen sozusagen rückschrittlich. Wir
beide - ich glaube, so viel darf ich sagen - waren uns eigentlich einig, dass bei dem Thema Verbesserung der
IT-Technik in den nächsten Jahren ein riesiges Problem
auf uns zukommt, nicht nur im nächsten Haushaltsjahr,
sondern in den nächsten zehn Jahren. Natürlich bin ich
mir darüber im Klaren, dass das nicht mit 10 Millionen
Euro getan ist, wahrscheinlich auch nicht mit 10 Milliarden Euro, aber wir müssen das leisten, damit wir nicht
den Anschluss verlieren. Das ist eine unmittelbare Frage
der Sicherheit.
({1})
Das ist so. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, der
wird mir in diesem Punkt recht geben.
Herr Kollege Friedrich, auch ich kann Ihnen nicht ersparen, auf das hinzuweisen, was hier schon von meiner
Kollegin Christine Lambrecht angesprochen worden ist.
Die Personalentscheidungen der letzten Monate und
Jahre, die von Ihnen zu verantworten sind, sind schlicht
eine Katastrophe. Nicht alles geht auf Ihre Kappe, aber
vieles. Christine Lambrecht hat gefragt - Sie sind uns
bisher eine Antwort schuldig geblieben -, weshalb eigentlich der letztlich von Ihrer Partei, von Ihrem Vorgänger eingesetzte Präsident der Bundespolizei entlassen
worden ist. Die Antwort auf diese Frage ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Ich kann sie nicht beantworten. Woran lag das also?
Jürgen Herrmann - ich muss ihn jetzt zum zweiten
Mal erwähnen - und ich haben Herrn Seeger als den Präsidenten der Bundespolizei persönlich gebeten, in einem
Berichterstattergespräch offen zu reden, uns die Zahlen
zu nennen und uns die Defizite zu benennen. Das hat er
zum großen Entsetzen des Staatssekretärs und der Abteilungsleiter aus Ihrem Hause getan. Was war die Folge?
In dem Moment war Herr Seeger für Sie gestorben.
({2})
Das ist eine sehr unfaire Art, mit den Bitten der Parlamentarier umzugehen: Wir haben den Leiter der größten
nachgeordneten Behörde gebeten, uns reinen Wein einzuschenken, und Sie sägen ihn ab.
({3})
Weil da ein sehr unangenehmer Diadochenkampf entstanden ist, haben Sie wahrscheinlich die beiden anderen
auch gleich noch abgesägt. Aber so geht das nicht!
Nun zu der Reform, die Sie in diesem Zusammenhang
gelobt haben. Ich würde Sie bitten, einmal das zu lesen,
was die große, die überwiegende Zahl der Mitarbeiter
dazu sagt. Da brauchen Sie sich nicht nur auf die GdP zu
stützen. Dort ist inzwischen eine ganz schlimme Situation eingetreten: höchste Unzufriedenheit, ein Riesenkrankenstand, der natürlich auch damit zusammenhängt.
Insofern würde ich sagen: Loben Sie die Reform, die
von Herrn Schäuble begonnen worden ist, nicht zu sehr,
sondern gucken Sie, dass auch die Mitarbeiter, die sozusagen das Gerüst für die Sicherheit sind, zufrieden und
gesund sind. Da ist noch ziemlich viel zu tun. An der
Stelle können Sie keineswegs damit zufrieden sein.
({4})
Was die Sicherheit angeht, möchte ich Sie - vielleicht
haben Sie sie schon gelesen - auf die Studie von Allensbach hinweisen, die gestern erschienen ist. Im Bereich
der IT-Technik herrscht bei den Managern der großen
Unternehmen in Deutschland mit mehr als 50 Millionen
Euro Umsatz zu über 50 Prozent totale Unzufriedenheit
in Bezug auf die Sicherheit. Jeder von ihnen ist in
seinem Betrieb schon einmal durch Sabotage oder
Spionage angezapft worden. Das kann doch in Deutschland nicht der Standard sein. Da müssen wir doch etwas
tun. Wir können doch im Bereich der Sicherheit, der ITTechnik nicht sparen, sondern wir müssen uns bemühen,
die Ausgaben dort zu erhöhen. Ich bitte Sie an dieser
Stelle darum, ernsthaft darüber nachzudenken.
({5})
Beim Thema Sparen fällt mir noch das Stichwort
THW ein. Ich meine, auch das ist ein wichtiger Bereich.
Und was haben Sie da gemacht? Sie haben die Mittel um
1,8 Millionen Euro gekürzt. Was einem die Freunde vom
THW, das von Stephan Mayer geführt wird, in Gesprächen sagen, ist desaströs. Sie haben hier im Parlament
leider kein Rederecht. Stephan Mayer als Boss dieser
Einrichtung dürfte sich nicht allein darauf verlassen,
dass Christine Lambrecht hier etwas sagt, sondern auch
er müsste jetzt einmal den Mund aufmachen und sagen:
So geht das nicht! - Die Haushaltsberatungen, die uns in
den nächsten Wochen erwarten, müssen ein deutliches
Signal aussenden, dass wir den Worten im Bereich der
Sicherheit auch Taten folgen lassen. Da haben wir noch
eine Menge zu tun.
({6})
Zum Sport ist schon einiges gesagt worden. Herr
Friedrich, eines sollten Sie in Zukunft abstellen: Ich
weiß nicht, ob das mit den Zielvereinbarungen bei den
Olympischen Spielen wirklich sinnvoll war. Die Zahlen
haben belegt, dass darüber spekuliert wurde, was an
Goldmedaillen erreicht werden sollte. Aber das ist einfach eine andere Situation. Das bringt nichts.
Herr Kollege!
Ich bitte Sie darum, dass Sie, wenn Sie wieder auf das
Instrument der Zielvereinbarung zurückkommen, nicht
so lange warten, dass das Parlament erst aufgrund einer
Gerichtsentscheidung die nötigen Informationen bekommt, diese allerdings auch noch sehr vage. Ich bitte
Sie an dieser Stelle um Transparenz und auch darum,
dass zumindest die Mitglieder des Haushaltsausschusses
und des Sportausschusses informiert werden; denn sonst
ist das keine angemessene Sache.
Herr Kollege!
Ich würde dann beim nächsten Mal sehr viel deutlicher mit Ihnen reden. Verbessern Sie also die Situation!
Beim nächsten Mal.
Ich bin fertig, Frau Göring-Eckardt. Ich wünsche Ihnen alles Gute, übrigens auch für Ihre Kandidatur.
({0})
Denn ich schätze die Kollegin sehr. Aber mehr möchte
ich dazu nicht sagen. Vielleicht schreibe ich Ihnen noch
etwas.
({1})
Auch ich möchte jetzt nichts dazu sagen.
Herzlichen Dank für die geringe Redezeitverlängerung. Ich mache das beim nächsten Mal wieder gut.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich lasse das mit den guten Wünschen; ich will Ihnen ja nicht schaden.
({0})
Wir führen heute eine Haushaltsdebatte. Daher habe
ich ein passendes Zitat herausgesucht. Schon Seneca
wusste: „Sparsamkeit allein ist schon eine große Einnahmequelle.“ Da wir über den Haushalt diskutieren, macht
es vielleicht Sinn, darüber nachzudenken. Diese Wahrheit ist heute wie vor 2 000 Jahren richtig. Sie ist auch
der Leitfaden dieser christlich-liberalen Koalition im
Hinblick auf den Haushalt.
Das scheint allerdings nicht bei allen der Fall zu sein.
Für Sie, Frau Lambrecht, gilt das nicht. Sparsamkeit war
heute nicht Ihre Devise. Sie haben uns mit zwei Reden
beglückt. In diesen Reden haben Sie uns teilweise dasselbe erzählt. Ich habe dabei festgestellt, dass Sie nicht
immer in der Lage sind, Innen- und Rechtspolitik voneinander zu trennen. Das mag populistisch sein, ist aber
nicht richtig. Ich finde es übrigens witzig, dass Sie dem
Innenminister vorwerfen, er sei nicht im Innenausschuss.
Sie sind nie im Innenausschuss; das hat der Kollege
Hans-Peter Uhl schon gesagt.
({1})
Damit es aber gar nicht erst heißt, dass wir uns dauernd
streiten: Sie sind nicht da; aber ich finde, Sie haben
recht. Vielen Dank!
({2})
Viele von Ihnen haben sich über das Melderecht ausgelassen. Das kann ich verstehen; das würde auch ich an
Ihrer Stelle tun. Aber eines ist klar: In allen Bundesländern besteht ein Melderecht fort, das sehr viel schlechter
ist als das, das wir zusammen auf den Weg gebracht
haben.
({3})
Keine SPD-geführte Landesregierung hat bisher den
Versuch unternommen, die Bürgerinnen und Bürger im
Land für über zwei Jahre vor diesem gruseligen Melderecht zu schützen.
({4})
Dazu würde ich gerne einmal eine Initiative von Ihnen
erleben. Aber dazu sagen Sie nichts. Denn Sie wissen
genau, dass Sie das in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, nicht hinbekommen.
Ich kann mich übrigens gut an die Reform des Bundesdatenschutzgesetzes, an die Regelung zum Opt-inVerfahren, erinnern. Da war die SPD nicht so gut aufgestellt; das muss ich Ihnen sagen. Dazu hätte ich damals
gerne etwas von Ihnen gehört; aber so ist das Leben.
({5})
Wir machen eine solide Finanzpolitik. Es ist schon
von vielen gesagt worden: Im Bereich der Innenpolitik
ist es immer wichtig, die richtige Balance zwischen
Freiheit und Sicherheit zu finden. Mit dem, was wir vorlegen, schaffen wir das.
({6})
- Wolfgang, ich höre dir gar nicht zu;
({7})
du kannst es lassen. Du kannst mich gerne etwas fragen.
Aber ich habe nicht so viel Zeit wie du.
Beim Datenschutzbeauftragten haben wir nicht gekürzt; das ist doch schon einmal eine gute Aussage.
({8})
Wir hätten ihm gerne mehr Geld zur Verfügung gestellt.
In der Vergangenheit haben wir das auch getan.
Auch mir fallen ein paar Stellen ein, an denen man
Geld einsparen könnte. Zum Thema Luftsicherheit ist
vom Kollegen Toncar schon vieles gesagt worden; er hat
recht, wenn er darauf hinweist, dass es keinen Sinn
macht, ein Gerät mit einem Zollstempel und ein Gerät
mit einem Bundespolizeistempel hintereinander aufzustellen.
Ich finde es allerdings interessant, dass im Haushalt
8 Millionen Euro für sogenannte Körperscanner vorgesehen sind, obwohl der entsprechende Feldversuch in
Hamburg ergeben hat, dass sie nicht wirklich effektiv
sind. Vielleicht können die Haushälter an dieser Stelle,
bei diesen 8 Millionen Euro, noch etwas bewegen.
({9})
Ich würde mich darüber freuen, weil das gut und im
Sinne der Bürgerrechte wäre. Da würden Sie etwas
Gutes tun.
({10})
Ich komme zum Schluss. Josef Winkler ist ja leider
nicht mehr hier; er hat sich entschuldigt. Da er vorhin
nach der Stiftung Datenschutz gefragt hat, möchte ich
sagen: Wenn er in der letzten Debatte vor der Sommerpause zugehört hätte, wüsste er, dass wir sie jetzt installieren.
Interessant finde ich, was man lesen kann, wenn man
sich die Koalitionsverträge der wunderbaren rot-grünen
Koalitionen in manchen Bundesländern anschaut.
({11})
Im rot-grünen Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen steht zum Beispiel die wunderbare Aussage: Wir
arbeiten mit allen Beteiligten zusammen, um den Datenschutz zu verbessern, und führen zu diesem Thema eine
Konferenz durch. - Das ist immer toll. Wenn man selber
nicht weiß, was zu tun ist, veranstaltet man eine Konferenz. Das Allerschönste ist, dass im NRW-Koalitionsvertrag steht: Diese Konferenz berät uns dann bei der
Erstellung eines NRW-Gütesiegels.
({12})
Ich finde, das ist wirklich der Burner. Hier haben Sie immer wieder betont, dass Sie uns, was die Stiftung Datenschutz angeht, nicht unterstützen werden. Und in NRW?
Denken Sie einmal darüber nach. Willkommen in der
Wirklichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz
zum Schluss: Es ist hier viel zum Sport gesagt worden.
Wir haben tolle Spiele in London erlebt. Der Kollege
Danckert hat aus meiner Sicht recht: Wir müssen uns
überlegen, wie wir mit den Zielvereinbarungen und der
Sportförderung umgehen. So, wie es jetzt ist, kann es
nicht bleiben. Spitzensport ist wichtig als Vorbild für den
Breitensport, aber so kann es nicht weitergehen. Wir
werden im Sportausschuss darüber reden müssen. Wir
fordern mehr Transparenz.
Frau Kollegin.
Ja, ich bin jetzt fertig. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ihnen allen noch einen schönen Abend.
({0})
Stefanie Vogelsang hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Minister! Meine Damen und Herren! Es ist
für mich eine schwierige Situation, heute an dieser Stelle
zu sprechen. Eigentlich müsste hier Jürgen Herrmann als
der zuständige Berichterstatter im Haushaltsausschuss
für den Einzelplan 06 stehen. Wir im Haushaltsausschuss und sicherlich nicht nur wir werden sein Andenken in Ehren halten. Ich habe heute einmal mehr gemerkt, was für große Schuhe er hinterlassen hat. Ich
werde mich bemühen, meine Arbeit in seinem Sinne
fortzuführen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle auch für den großen
Vertrauensvorschuss von heute Morgen, für die Wahl ins
Vertrauensgremium, ganz herzlich danken. Auch hier
werde ich mich sehr darum bemühen, dem Vertrauensvorschuss gerecht zu werden.
Ich habe die Debatte sehr intensiv verfolgt. Wenn
man neu für einen Einzelplan zuständig ist, wie ich das
bin, dann schaut man auch einmal in die Protokolle der
letzten Diskussionen: Was waren die Themen auch der
Opposition bei der letzten Beratung?
({0})
- Ja, da kann man was lernen. Vor allen Dingen ist es so:
Wenn man den Reden in diesem Jahr besonders intensiv
zuhört, kann man lernen, dass sich an den Reden gar
nichts verändert hat.
({1})
Das waren ja die gleichen Reden, speziell von Ihnen, die
wir in diesem Jahr und im letzten Jahr gehört haben.
Am Anfang habe ich von Ihnen gehört, dass Sie dem
Minister Einfallslosigkeit bei der Haushaltsplanaufstellung vorwerfen.
({2})
Ich glaube, für eine gute Arbeit in einem Ministerium
mit 18 Oberbehörden, die es zu leiten gilt, ist es auch ein
Bestandteil von Qualität, auf Kontinuität und auf verstetigende Ansätze zu setzen. In Ihrer Kritik hätten Sie vielleicht etwas einfallsreicher sein können.
({3})
5,8 Milliarden Euro im Haushalt, knapp 4 Milliarden
Euro für Sicherheitspolitik, der größte Batzen in diesem
Haushalt entfällt auf den Bereich Personal. Bei den Behörden, Herr Minister, die Ihnen unterstellt sind, ist das
verständlich. Wir reden nicht vom Verkehrsministerium,
von Infrastrukturprojekten, wir reden nicht vom Sozialministerium, von großen Batzen als Rentenzuschuss,
sondern wir reden über das Innenministerium.
Es ist schon eindrucksvoll, wenn man sich anschaut,
welche Behörden zu Ihrem Ressort gehören und für welche Bereiche Verantwortung getragen wird. Darunter
gibt es Exoten, wie zum Beispiel das Bundesamt für
Kartografie und Geodäsie - das war heute noch gar nicht
Gesprächsthema -: klein, aber fein. Darunter sind auch
solche Ämter wie zum Beispiel die Bundespolizei.
Wir haben spätestens seit 1989 in allen Haushaltsreden, die wir geführt haben, gerade zum Innenressort,
immer wieder argumentiert: Wir müssen Aufgabenkritik
üben. Wir müssen uns auf die Kernaufgaben konzentrieren. Wir müssen Personal einsparen. - Hatten wir noch
1989 für etwas über 200 Bundesbürger 1 Mitarbeiter bei
Bundesbehörden, kommen heute knapp 330 Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland
auf 1 Mitarbeiter.
Wir müssen uns, glaube ich, fragen: Wie wollen wir
in Deutschland zusammenleben? Wie wollen wir auch in
Zukunft gemeinsam leben? Wie ist unsere Verwaltung
aufgestellt? Deswegen begrüße ich ausdrücklich und mit
ganz viel persönlicher Begeisterung den Beschluss des
Bundeskabinetts und den Ihrer Vorlage, dass wir auf
Personaleinsparungen im Haushalt 2013 ff. verzichten.
Es gab den im Sommer 2010 in Meseberg getroffenen
Beschluss der Bundesregierung. Die Vorgabe der Bundesregierung war, noch einmal 10 000 Stellen im Bereich der Bundesbehörden einzusparen. Wenn ich es
richtig überblicke, kommen wir Ende dieses Jahres auf
knapp 11 000 Stellen. Wir haben also das Einsparvolumen, was wir uns gemeinsam aufgegeben haben, mehr
als erfüllt.
Ich glaube, dass die Zeiten der Konsolidierung des
Bundeshaushalts, lieber Staatssekretär Kampeter, durch
Stelleneinsparungen im öffentlichen Dienst vorbei sind.
Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, neue Akzente
zu setzen und deutlich zu machen, wie wir unsere Behörde entwickeln und wie wir arbeiten wollen.
Wenn man dann wie ich neu in diesem Bereich ist und
zum Beispiel die Besoldungsstruktur bei den 41 000 Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei sieht, dann erschrickt man ein Stück weit. Dass Sie die Personalstellenaufwertungen und Neubewertungen der Aufgaben
vorgenommen haben, begrüßen wir sehr. Wir sehen aber
auch, dass wir die passenden Stellen dafür noch brauchen.
Ich glaube, dass der Weg, den Sie im Bereich der
Bundespolizei eingeschlagen haben, sehr geehrter
Minister, vorbildlich und sehr richtig ist. Ich glaube aber
auch, dass Sie die Unterstützung des Haushaltsausschusses brauchen, um diesen Weg tatkräftig weiterzugehen
und ihm für die nächsten Jahre auch eine Perspektive
folgen lassen zu können. Dazu will ich gerne meinen
klitzekleinen Beitrag leisten.
Der zweite Punkt, den ich heute ansprechen möchte,
ist schon mehrfach angesprochen worden, und zwar von
Ihnen, Frau Kollegin Piltz, aber auch von der SPD. Dabei geht es um das Meldegesetz. Ich war 2004, als das
Melderechtsrahmengesetz der rot-grünen Bundesregierung über diese Republik kam, gerade zuständige Dezernentin der Meldeämter in Berlin, und zwar in Neukölln.
({4})
In den ersten Monaten habe ich gedacht, es sei alles in
Ordnung und keine Schwierigkeit. Unter dem Stichwort
Entbürokratisierung haben Sie kleine Feinheiten in das
neue Melderechtsrahmengesetz hineingeschrieben, die
zum Beispiel beinhalteten, dass sich unter Ihrer privaten
Adresse irgendein Krimineller ohne Ihr Wissen einfach
anmelden kann. Wenn dann die Einsatztruppe der Polizei
diesen Kriminellen bei Ihnen zu Hause stellen möchte,
steht auf einmal morgens um 3 Uhr die Polizei bei Ihnen
am Bett. Das waren die Konsequenzen des Melderechtsrahmengesetzes von Rot-Grün.
({5})
Wir alle, aber vor allem die Opposition, haben uns
keinen Gefallen damit getan, dass wir so populistisch
skandiert haben: Das ist ein 51-Sekunden-Gesetz. Wir
haben an diesem Gesetz mehrere Jahre gearbeitet.
Frau Kollegin.
Dass Daten zu kaufen sind, ist nicht erst seit RotGrün, sondern schon sehr viel länger die Regel in unserer Bundesrepublik Deutschland.
Frau Kollegin.
Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Ich möchte gerne
von Ihnen wissen, wie Sie die Blockadehaltung der Länder gegen dieses Meldegesetz Ihren Städten erklären.
Herzlichen Dank.
({0})
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. September 2012,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.