Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Schönen guten Morgen! Herzlich willkommen! Ich
darf Sie bitten, Platz zu nehmen. - Die Sitzung ist eröff-
net.
Wenn man bedenkt, welche Ereignisse es in dieser
Stunde gibt, dann ist die Besetzung in diesem Hohen
Hause sehr groß. Darum lade ich Sie herzlich ein zu ei-
ner wunderbaren Debatte.
Wir setzen also die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013 ({0})
- Drucksache 17/10200 -
Überweisungsvorschlag:-
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
- Drucksache 17/10201 Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Für die heutige Aussprache haben wir gestern insgesamt eine Debattenzeit von acht Stunden beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Einzelplan 23.
Das Wort als Erster in unserer Aussprache hat Bundesminister Dirk Niebel. Bitte schön, Herr Bundesminister.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor
drei Jahren mein Amt antrat, lautete der damalige Befund von OECD-DAC: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit boxt nicht in ihrer eigentlichen Gewichtsklasse.
Seitdem haben wir die größte Strukturreform in der
Geschichte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
durchgeführt. Der Aufbau der Deutschen Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit ist abgeschlossen.
Wir werden in den nächsten Wochen das neue Evaluierungsinstitut offiziell eröffnen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit stellt sich damit erstmals einer unabhängigen Kontrolle. Außerdem haben wir die Liste
der Kooperationsländer nochmals gestrafft. Das alles
sind Maßnahmen, durch die unsere Arbeit wesentlich effizienter wird; denn Entwicklungszusammenarbeit ist
Verantwortung - Verantwortung durch Deutschland in
der Welt, aber auch Verantwortung für Deutschland bei
uns zu Hause.
Mit dem Auswärtigen Amt findet jetzt wieder eine
richtige Zusammenarbeit statt. Wir reiten keine roten
Ressortrivalitäten mehr, sondern Guido Westerwelle und
ich bringen gemeinsam wichtige Projekte voran. Wir haben zwischen unseren Häusern endlich Klarheit bei der
humanitären Hilfe geschaffen, und wir haben das BMZ
gestärkt durch eine größere Präsenz in unseren Kooperationsländern. Wir wollen die Kraft nicht verschwenden
im Gerangel zwischen Ministerien, sondern wir wollen
alle Kraft einsetzen für eine Steigerung der Wirksamkeit
unserer Entwicklungszusammenarbeit.
({0})
Kurzum: Mit mir hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit den Aufstieg in die höchste internationale
Spielklasse geschafft.
({1})
In dieser Klasse kämpfe ich weiter für mehr Demokratie,
mehr Bildung, mehr Engagement, mehr Wirtschaft,
mehr Sichtbarkeit und mehr Wirksamkeit.
Mit dem Haushalt 2013 behalten wir diese Prioritätensetzung des Koalitionsvertrags bei. Mit Ihrer Unter22960
stützung haben wir für das BMZ einen Rekordhaushalt
nach dem anderen auf den Weg gebracht. Für 2013 werden 6,42 Milliarden Euro im Regierungsentwurf veranschlagt. Besonders interessant ist, zu wissen: 67 Prozent
dieser Mittel sind investiver Natur. Der BMZ-Haushalt
ist der zweitgrößte Investitionshaushalt des Bundeshaushalts. Je nachdem, in welchem Sektor man 1 Euro investiert, fließen ohne Lieferaufbindung im fairen Wettbewerb 3 bis 4 Euro in die deutsche Wirtschaft zurück.
Auch das ist wichtig, zu wissen.
({2})
Darüber hinaus haben wir gemeinsam beschlossen,
die Personalausstattung des BMZ so zu verbessern, dass
die Voraussetzung für eine effektivere entwicklungspolitische Steuerung im Sinne von mehr Qualität und mehr
Wirksamkeit geschaffen werden kann. Ich danke allen
Abgeordneten, die mich bei diesem wichtigen Unterfangen unterstützt haben. Es ist eine wichtige Bringschuld
gegenüber jedem Steuerzahler in Deutschland. Ich danke
der Frau Bundeskanzlerin, die wiederholt das Erreichen
des 0,7-Prozent-Ziels zu ihrer eigenen Sache gemacht
hat und die auch ganz persönlich ein großes Engagement
in Fragen der Entwicklungspolitik zeigt.
Deutschland ist zweitgrößter Geber in der bilateralen
Entwicklungskooperation weltweit, und das trotz einer
schweren Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa. Das
sollte - gerade weil Deutschland hier besonders viel abverlangt wird - uns alle in diesem Hause, aber auch in
der Bevölkerung stolz machen.
({3})
Wir wissen aber: Staatliche Mittel alleine reichen
nicht aus. Wir brauchen auch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger; sie sollen sich ausdrücklich engagieren können. Mit „Engagement Global“ geben wir ihnen eine Anlaufstelle, wo ihnen das jetzt ermöglicht
wird.
All diejenigen, die im Hohen Hause gerade mit ihrem
Handy arbeiten, weil sie vielleicht auf die Entscheidung
aus Karlsruhe warten, können gleich eine Telefonnummer eintippen, unter der sie ihr Engagement anmelden
können; zum Beispiel für das Engagement ihrer erwachsenen Kinder bei „weltwärts“ oder für eigenes Engagement in einer Städtepartnerschaft, in einem Verein oder
vielleicht, Herr Kollege Erler, für ein Engagement im
Senior Experten Service.
({4})
Wir haben gerade den zehntausendsten Senior hinaus
in die Welt geschickt, um Hilfe zu leisten. Ich glaube,
manch einen von Ihnen würde ich auch gerne hinausschicken. Die Nummer lautet: 0228-260900. Diese
Nummer sollten Sie sofort eintippen.
Das muss aber nicht jetzt gleich sein, Herr Bundesminister.
({0})
Je schneller, desto besser, Herr Präsident. Das kann
manchmal hilfreich sein.
Dieses Angebot wird ankommen. Die Menschen werden es nutzen, insbesondere weil wir die besondere Förderung des entwicklungspolitischen Engagements von
Kommunen weiter ausbauen werden.
Darüber hinaus setzen wir ganz klare Anreize, damit
sich die Wirtschaft mit ihrem Geld und ihrer Expertise
mehr für nachhaltige Entwicklung engagiert, als das bisher schon der Fall ist. Das wirkt doppelt. Wir mobilisieren zusätzliche Kräfte und Finanzmittel, und wir verankern die Entwicklungszusammenarbeit noch mehr in der
Mitte der Gesellschaft.
Afrika bleibt unser regionaler Schwerpunkt. Hier sehen wir die größten Herausforderungen, aber ausdrücklich auch die größten Chancen. Deshalb setzen wir uns
für eine große gemeinsame Afrika-Initiative ein. Mit ressourcenreichen Entwicklungsländern streben wir weitere
Rohstoffpartnerschaften an, die in beiderseitigem Interesse liegen. Sie versorgen unsere Wirtschaft mit den
nötigen Rohstoffen, wir sorgen im Gegenzug durch
Transparenz dafür, dass die Erlöse zum Wohle der Bevölkerung in unseren Entwicklungspartnerländern eingesetzt werden.
In unserem Zehn-Punkte-Programm zur ländlichen
Entwicklung und Ernährungssicherung verzahnt die
Bundesregierung über ein abgestimmtes Vorgehen von
Auswärtigem Amt und BMZ effektive Nothilfe und
langfristig wirksame Vorsorgemaßnahmen, sei es in Dadaab in Kenia, im krisengeschüttelten Mali oder ganz
aktuell in Za’atari in Jordanien.
Ich habe diese Camps besucht. Sie alle kennen die
Bilder; das Leid der Menschen ist fast unerträglich. Hier
leistet Deutschland Soforthilfe mit Nahrungsmitteln oder
unterstützt die Trinkwasserversorgung. Gleichzeitig aber
arbeiten wir bereits an nachhaltigen Perspektiven für die
Betroffenen. Auch deshalb habe ich die E-10-Debatte
angestoßen. Ich freue mich sehr darüber, dass die Europäische Union jetzt nachgezogen hat, um diesen Flächenkonflikt zwischen Tank und Teller für die Zukunft
zu minimieren. Wenn hier Subventionen abgebaut werden, wenn hier starre Beimischungsquoten abgesenkt
werden, wenn hier die nächste Generation von Biomasse
als Energieträger dafür sorgt, dass die Früchte für die
Nahrungssicherstellung gebraucht werden und die Reste
für die Energieerzeugung genutzt werden, dann sind wir
auf einem guten Weg und dann hat sich diese Debatte
gelohnt.
Wir machen Schluss mit Hilfe, die Abhängigkeiten
verstärkt. Dafür und für eine bessere Einbindung der
Wirtschaft haben wir uns in Busan erfolgreich eingesetzt. Außerdem machen wir endlich Schluss mit dem
Schubladendenken und entwickeln ganzheitliche Ansätze, die zugleich nachhaltig sind. Wir haben uns international für den Zusammenhang, also für den Nexus
zwischen Wasser-, Energie- und Ernährungssicherung,
eingesetzt und befinden uns hier weltweit in einer Vorreiterrolle.
Wir schauen auch nicht mehr weg, wenn internationale Organisationen Gelder ineffizient einsetzen. So haben wir entschlossen durchgegriffen beim Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, was mir manche Kritik vonseiten der SPD eingebracht hat. Aber jetzt gibt es dort solidere Strukturen, bei
denen Mittelfehlverwendungen weitgehend ausgeschlossen sind. Jetzt können wir im nächsten Haushaltsjahr
tatsächlich wieder 200 Millionen Euro zur Verfügung
stellen. Wir sind unseren Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig, dass wir diese Gelder richtig einsetzen.
({0})
- Sie können noch so sehr krähen, Herr Raabe: Wir brauchen in der EZ keine Bußprediger im Armani-Anzug,
sondern wir brauchen effiziente Strukturen.
({1})
In der EU kämpfe ich für mehr Effizienz und strengere Standards, und zwar erfolgreich. In der „Agenda for
Change“ ist es gelungen, die Entwicklungszusammenarbeit nach Wirksamkeit auszurichten. Die Budgethilfe
wird nur noch nach Menschenrechtskriterien und Menschenrechtsstandards vergeben. Das zeigt, dass wir auch
international unser Menschenrechtskonzept von 2011 effizient und wirksam umgesetzt haben. Menschenrechte
sind und bleiben das Leitprinzip unserer Entwicklungszusammenarbeit.
Wir wollen Armut reduzieren, Menschen mobilisieren
und Eigeninitiative und Innovationskraft freisetzen. Das
ist unser Verständnis von einer wirksamen Entwicklungszusammenarbeit. Der Haushaltsentwurf 2013 für
den Einzelplan 23 schreibt die Forderungen aus dem Koalitionsvertrag fort. Wir sind bei der Lieferung auf dem
richtigen Weg. Wir setzen um, was diese Koalition sich
für diese Legislaturperiode vorgenommen hat.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dr. Bärbel Kofler. Bitte
schön, Frau Kollegin Dr. Kofler.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, der Satz in Ihrer Rede, dass
man sich mit diesem Haushalt vorgenommen hat, die
Entwicklungspolitik voranzubringen, war im Grunde
vorhersehbar. Es ist wie bei jedem Haushalt: Die Rede
zur Einbringung des Haushalts strotzt vor Eigenlob. Sie
haben am Anfang Ihrer Rede den Eindruck erweckt, als
hätten Sie die Entwicklungszusammenarbeit neu erfunden und als sei vor Ihrer Zeit alles nicht effizient gewesen, alles nicht mit den Partnern abgestimmt gewesen,
als hätte man Gelder in irgendwelche diffusen multilateralen Töpfe gesteckt. Sie versuchen jedes Mal, es so darzustellen. Aber jedes Mal ist es falsch und eine Diffamierung all derer, die vor Ihrer Amtszeit im Bereich
Entwicklungspolitik gearbeitet haben.
({0})
Transparenz ist ein Wort, das man im Zusammenhang
mit Ihnen und Ihrem Haus eigentlich nicht allzu oft gebrauchen darf. Ich finde es aber gut, dass Sie für Transparenz gesorgt haben, indem Sie der Kanzlerin die Verantwortung für die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels
gegeben haben; denn die Kanzlerin hat die Verantwortung dafür, genauso wie Sie und die Bundesregierung
insgesamt. Mich hätte interessiert, wie Sie es angesichts
dieses Haushaltsentwurfs für 2013, der zeigt, dass Sie
meilenweit vom 0,7-Prozent-Ziel entfernt sind, in den
Haushaltsjahren 2014 und 2015 schaffen wollen, das
0,7-Prozent-Ziel bis 2015 zu erreichen. 2014 und 2015
müssen Sie das zwar nicht mehr verantworten, weil Sie
dann nicht mehr Entwicklungsminister sein werden, aber
interessiert hätte mich schon, wie Sie sich das vorstellen.
({1})
Diese Frage muss sich die gesamte Bundesregierung
stellen, insbesondere Sie und die Kanzlerin.
({2})
Hören Sie doch auf mit dem vorhersehbaren Gewäsch
von einem Rekordhaushalt. Auch Herr Schäuble hat gestern versucht, das so darzustellen; wahrscheinlich haben
Sie ihm das aufgeschrieben. Sie haben den Haushaltsansatz für die mittelfristige Finanzplanung im Bereich
der Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. Da Sie die
Absenkung dann aber nicht so stark vorgenommen haben, wie Sie es selber geplant haben, reden Sie immer
von tollen Aufwüchsen.
In den vier Jahren, in denen Sie das Ministerium leiten, ist das Haushaltsvolumen um 600 Millionen Euro
gestiegen - in vier Jahren, nicht in einem Jahr, wie das
immer dargestellt wird. Wenn man sich anschaut, um wie
viel das Haushaltsvolumen von 2008 zu 2009 gestiegen
ist - es gab einen Aufwuchs von 600 Millionen Euro -,
dann stellt man fest, dass Sie für dieselbe Summe vier
Jahre gebraucht haben. So viel zum Thema Rekordhaushalt.
({3})
Thema Wirksamkeit. Auch das haben Sie nicht erfunden. Kein Mensch möchte, dass Gelder zweckentfremdet
verwendet werden, dass sie nicht zielgerichtet für Armutsbekämpfung verwendet werden, dass sie nicht zielgerichtet im Zusammenhang mit den riesigen Herausforderungen, denen sich die Entwicklungspolitik zu stellen
hat, eingesetzt werden. Ich hätte gerne einmal etwas über
die großen Herausforderungen gehört, und zwar mehr
als das, was man in Sonntagsreden hört.
Was sagen Sie denn dazu, dass 1,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde noch keinen Zugang zu elektrischer Energie haben? Schließlich ist das ein wichtiger
Aspekt, wenn es um die persönliche Entwicklung der
Menschen, aber auch um die wirtschaftliche Entwicklung der Länder geht. Wir müssen das hinbekommen,
aber angesichts des Klimawandels auch darauf achten,
dass diese Entwicklung möglichst CO2-arm erfolgt. Wir
müssen im Grunde ganze Industriezweige, insbesondere
die aufstrebenden, hinsichtlich ihrer Energieversorgung
umstellen. Das sind Herausforderungen, denen sich die
Entwicklungspolitik genauso wie die Umweltpolitik
stellen muss. Dazu hätte ich gerne von Ihrer Seite etwas
gehört.
({4})
Was sagen Sie denn zu den Zahlen im Bereich Bildung, die die UNESCO herausgibt? Auch dabei geht es
um Wirksamkeit. Man weiß, dass 13 Milliarden US-Dollar fehlen, um das Thema Grundbildung in den Griff zu
bekommen. Es geht um die Frage, wie wir es schaffen,
dass bis 2015 1,9 Millionen neue Lehrerstellen geschaffen werden, damit das Menschenrecht auf Grundbildung,
dem wir uns im Rahmen der Millenniumsziele gemeinsam verpflichtet haben, gewährleistet werden kann.
Diese Fragen kann man doch nicht mit der simplen
Feststellung „Wir sind ein bisschen wirksamer“ abwürgen. Dazu muss man selbstverständlich Geld in die Hand
nehmen, auch was die Unterstützung von internationalen
Organisationen angeht. Man muss das koordiniert, abgestimmt mit den Partnern und auch verlässlich tun. Man
darf nicht so verfahren: einmal raus aus den Kartoffeln,
einmal rein in die Kartoffeln, sondern man muss sich
wirklich mit den Partnern zusammenraufen und hier um
gute Lösungen ringen.
Global Partnership for Education sagt ganz klar, erforderlich seien bis 2014 wenigstens 8 Milliarden US-Dollar, finanziert teilweise von den Partnerländern, teilweise
von den Geberländern. Es geht also um eine gemeinsame
Aktion, bei der die Partnerländer auch mit in die Verantwortung genommen werden, um wenigstens 25 Millionen Kindern Zugang zu einer Grundbildung zu ermöglichen. Das ist noch weit von dem entfernt, was wir
eigentlich bis 2015 erreichen wollten. Mit diesem Geld
sollen 600 000 neue Lehrer ausgebildet werden - Stichwort: Qualität in diesem Bereich - und 50 Millionen
Schulbücher zur Verfügung gestellt werden. Dem kann
man nicht in der Art und Weise begegnen, wie Sie es
hier in der Debatte tun, indem Sie sagen: Dafür brauche
ich kein Geld; da verbessern wir ein bisschen die Wirksamkeit. - Das kann ich so nicht stehen lassen. Es hat
auch etwas mit Wirksamkeit zu tun, hier effizient internationale Strukturen zu stärken, um wirklich armutsbekämpfend und entwicklungsorientiert arbeiten zu können.
({5})
Vor diesem Hintergrund ist vielleicht auch die Feststellung zu verstehen, die von Entwicklungsorganisationen wie Welthungerhilfe und Terre des Hommes im
19. Bericht zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe getroffen worden ist. Sie stellen Ihnen und Ihrer Regierung
im Bereich Wirksamkeit kein so gutes Zeugnis aus, wie
Sie das selbst immer machen. Sie sagen nämlich ganz
deutlich - ich zitiere -:
Die Bundesregierung setzt neue Schwerpunkte, anstatt die Vereinbarung der letzten Jahre konsequent
umzusetzen, um so die Wirksamkeit ihrer Hilfe zu
erhöhen. Die starke Fokussierung auf kurzfristige
Ergebnisse birgt enorme Risiken für die Entwicklungsländer, die bedacht werden müssen.
Sehr wahr! Das finde ich sehr richtig. Das ist das, worüber wir hier streiten und nachdenken müssen, anstatt
uns immer selbst zu beweihräuchern, wie das in Ihrer
Rede ja wieder einmal zum Ausdruck kam.
({6})
Ich würde mir wünschen, dass Sie im letzten Jahr
Ihrer Amtsführung die wirklich entscheidenden Themen
der Entwicklungspolitik angehen, dass Sie die internationale Zusammenarbeit wirklich verstärken und verbessern. Sie spielen da nämlich keine so tolle Rolle. Man
hört in allen Gesprächen, dass Deutschland sich aus diesem internationalen Diskurs zurückgezogen hat und
eben keine eigenen Pflöcke mehr einschlägt und selbst
keine Zusammenhänge mehr aufzeigt. Wo sind Sie in der
Debatte um das Thema Nahrungsmittelspekulation,
wenn es um die Frage geht, wie wir da internationale Regeln setzen wollen? Wo sind Sie in der Debatte um die
Regulierung der Finanzmärkte? Nirgends. Ich hätte vom
Entwicklungsministerium gerne einmal konkrete Aussagen dazu gehört, wie wir die notwendigen Rahmenbedingungen setzen können, damit die Menschen nicht immer mehr in Armut abgleiten und damit die Entwicklung
weiter vorangebracht werden kann.
({7})
Ich habe das Thema Klima schon angesprochen. Es
ist ebenso wie Energieversorgung und Bildung eine
große Herausforderung.
Wo sind Sie in der Frage des Aufbaus von Staatlichkeit, wenn es darum geht, in den Partnerländern zu investieren, um Steuersysteme zu etablieren, aber auch um
den Zugang zum Beispiel zu medizinischer Versorgung
sicherzustellen? Es geht nicht an, dass Sie den Global
Fund hier noch einmal vor versammeltem Hause bashen,
obwohl Sie wissen, dass das eine Organisation ist, die
effizient arbeitet, die sehr vielen Menschen das Leben
gerettet hat, die sich selbst evaluiert und gleichzeitig so
transparent ist, dass sie Fehlentwicklungen bei der
Zusammenarbeit mit Partnerländern selbst aufzeigt und
Missstände selbst abstellt. Das würde ich bei Ihrer
Regierung gerne einmal erleben.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Bärbel Kofler. Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Dagmar
Wöhrl. Bitte schön, Kollegin Dagmar Wöhrl.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Frau Kofler, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Während Ihrer Rede habe ich mir gedacht: Wo sind denn Ihre
Lösungsvorschläge? Sie haben Probleme angesprochen;
das ist verständlich. Sie haben, wie es sich für die Opposition gehört, angegriffen. Das ist normal; das macht
jede Opposition. Aber wo sind Ihre Lösungsvorschläge?
Ich erwarte von einer Opposition auch, dass sie sagt, wie
sie die Probleme, die sie selbst anspricht, lösen will.
({0})
Frau Dr. Kofler, wir alle haben Wünsche. Auch wir
würden in diesen Haushalt gern noch mehr Geld einstellen; das ist doch überhaupt kein Thema. Aber Sie müssen uns eines zugestehen: Wir konnten diesen Haushalt
verstetigen. Wir konnten einen leichten Zuwachs erreichen. In diesen Zeiten, in denen Haushaltskonsolidierung das Ziel ist, ist diese Entwicklung gut, wichtig und
positiv.
Sie müssen doch auch berücksichtigen: Wenn Sie
mehr Geld wollen, um Wünsche und Vorstellungen zu
realisieren, müssen Sie auch sagen, woher das Geld
kommen soll.
({1})
Es müsste an einer anderen Stelle aus dem Haushalt genommen werden. Das heißt, an einer anderen Stelle wäre
wieder ein Loch; dort würde dann das Geld fehlen.
Sie haben von Effizienz gesprochen. Es ist wahr: Wir
müssen mit dem Geld die richtigen Akzente setzen. Wir
müssen darauf achten, dass wir dieses Geld effizient einsetzen. Wir müssen die richtigen Strategien entwickeln
und immer wieder überprüfen.
Wir wissen, dass Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit von Nachhaltigkeit leben. Wir haben viel erreicht. Wir sind auf einem guten Weg. Die Koalitionsvereinbarung trägt maßgeblich die Handschrift
der Union, vor allen Dingen die des Kollegen Ruck - ich
sehe ihn hier gerade in der ersten Reihe sitzen -, der die
Koalitionsverhandlungen zu diesem Thema mitgeführt
hat. Wir haben viel erreicht. Alles, was von uns in die
Vereinbarung geschrieben worden ist, ist auf einem guten Weg: eine bessere Ergebnisorientierung, mehr Beteiligung der privaten Wirtschaft, Verbesserung und Reform der Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit.
International werden wir hinsichtlich der Durchführungsorganisationen gelobt. Gestern war der Präsident
der Weltbank zu Besuch. Er war voll des Lobes dafür,
wie wir die Strukturen in diesem Bereich verändert
haben. Das kommt doch nicht von ungefähr. Sie müssen
zugeben, dass wir inzwischen besser aufgestellt sind,
auch hinsichtlich Notsituationen, zum Beispiel Dürren
und Katastrophen, mit denen wir nicht rechnen können,
wenn wir den Haushalt aufstellen. In einer solchen Situation muss man flexibel reagieren und ganz schnell
Geld zur Verfügung haben. Nehmen Sie das Beispiel
Syrien. Über 200 000 Menschen sind auf der Flucht in
die Nachbarländer, über 50 000 allein nach Jordanien.
Auch da müssen wir aktiv werden. Beim Aufstellen des
letzten Haushalts konnten wir das noch nicht ahnen.
Trotzdem haben wir hier Geld zur Verfügung gestellt,
weil es notwendig war, die Gesundheitsversorgung und
die Trinkwasserversorgung in den Flüchtlingslagern aufrechtzuerhalten.
Entwicklungspolitik heißt immer, Strategien auf den
Prüfstand zu stellen. Das ist richtig. Entwicklungspolitik
wird sich immer verändern, sie wird nie so bleiben, wie
sie heute ist. Deswegen finde ich es gut, dass wir verschiedene neue Institutionen auf den Weg gebracht
haben, zum Beispiel „Engagement Global“. Wir haben
jetzt eine Servicestelle für Bürgerengagement. Wir wissen, dass die Politik viel erreicht hat, aber die Politik ist
nichts ohne die Organisationen. Sie ist nichts ohne die
Kirchen, ohne die Stiftungen und ohne die vielen NGOs,
die auf der Welt aktiv sind und die bestimmt viel größeren Anteil an funktionierenden Projekten haben, als wir
Politiker überhaupt haben können. Ich glaube, man muss
diesen vielen Organisationen, deren Mitarbeiter größtenteils ehrenamtlich tätig sind, ein Dankeschön sagen.
({2})
Wir alle kommen aus Städten und Kommunen. Wir
wissen: Alle unsere Städte und Kommunen haben Partnerschaften, und viele haben Partnerschaften mit Städten
und Kommunen in Entwicklungsländern. Die Kommunen machen hier eine sehr gute Arbeit. Sie geben dorthin
ihr Wissen und ihr Know-how. Sie tragen mit dazu bei,
dass sich dort eine gewisse Stabilität entwickelt. Deswegen finde ich es richtig, dass wir Geld in die Hand nehmen, um die Kommunen hierbei erstmals zu unterstützen. Es könnte ein bisschen mehr sein; das ist klar. Aber
es ist ein erster Schritt, den wir richtigerweise gemacht
haben.
Partnerschaften sind wichtig. Sie, Frau Dr. Kofler,
haben das angesprochen. Es ist vollkommen richtig: Wir
brauchen Partnerschaften mit den Entwicklungsländern
und mit den Schwellenländern, und keiner soll auf den
anderen herabschauen. Für diese Partnerschaften brauchen wir aber auch die Wirtschaft. Denn nur zusammen
mit der Wirtschaft können wir in der Zukunft das Ziel
„Handel statt Hilfe“ erreichen. Nehmen Sie als Beispiel
Afrika. In Afrika sind inzwischen 700 deutsche Unternehmen aktiv. Sie machen keinen schlechten Umsatz; er
liegt bei etwa 32 Milliarden Euro. Aber viel wichtiger
ist, dass sie dort 200 000 Arbeitsplätze schaffen. Damit
können viele Familien ernährt werden, Kinder können in
die Schule gehen, es gibt eine Gesundheitsversorgung
usw.
Es kann doch nicht schlecht sein, diese Entwicklung
zu fördern und noch mehr Betriebe, vor allem mittelständische, zu ermutigen, in diesen Ländern aktiv zu werden.
Deswegen ist es richtig, dass wir an den Handwerkskammern Trainingsmaßnahmen durchführen und dass wir
entsprechende Scouts haben. Ich spreche viel mit mittelständischen Unternehmern. Ich merke, dass wir in diesem Bereich noch viel mehr machen müssen. Hier tut
Aufklärung not. Manche von ihnen wissen nämlich
überhaupt nicht, welche Chancen sich in den Entwicklungsländern eröffnen.
Trotz aller Erfolge, die wir zu verzeichnen haben,
stellen wir fest, dass oft ein explosives Gemisch entsteht:
aus Katastrophen, Dürren, Hungerkrisen, Klimawandel
und vielem mehr. Sicherlich haben wir inzwischen
gelernt, auf Katastrophen besser zu reagieren als in der
Vergangenheit, und wir handeln präventiver. Trotzdem:
Es gibt immer noch 18 Millionen Menschen in Mali, in
Burkina Faso und im Tschad, die hungern. Es leben
925 Millionen Menschen auf der Welt, die unterernährt
sind. Die Hälfte von ihnen sind Kleinbauern; das kann
man sich oft gar nicht vorstellen. Man fragt sich: Wieso
Bauern? Bauern müssen doch etwas anpflanzen können.
Wieso leben sie unterhalb der Armutsgrenze? Das muss
uns zu denken geben. Das zu ändern, ist unsere Aufgabe
und unsere Herausforderung.
Die Welternährungsorganisation, die FAO, und viele
Experten sagen voraus, dass wir in den nächsten Jahren
infolge von Nahrungsmittelengpässen und Wasserknappheit mit gewaltsamen Auseinandersetzungen - ich
wiederhole: mit gewaltsamen Auseinandersetzungen rechnen müssen. Auch dies ist eine große Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Das
schafft keine Regierung allein. Diese Herausforderung
können wir nur gemeinsam als Parlament in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen bewältigen.
Wir wissen um die Probleme, die mit Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln einhergehen; Sie haben sie angesprochen. Man muss sich nur vor Augen führen, dass
der Reispreis in den letzten Tagen teilweise um 30 Prozent gestiegen ist. Auch der Weltbankpräsident hat, als
er gestern in Berlin war, vor dem Riesenproblem steigender Nahrungsmittelpreise gewarnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2,9 Milliarden
Menschen auf der Welt müssen von weniger als 2 Dollar
pro Tag leben. Sie müssen 50 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben; in Deutschland
sind es im Vergleich dazu 10 Prozent. Preissprünge bei
Nahrungsmitteln sind für diese Menschen also lebensbedrohlich. Sie stecken sie nicht so einfach weg. Um
sich auch in Zukunft ernähren zu können, müssen sie
beispielsweise ihre Kinder von der Schule nehmen oder
darauf verzichten, zu einem Arzt zu gehen.
Diese Probleme haben natürlich viele Ursachen; das
ist klar. Wir alle wissen: Dazu gehören insbesondere
Dürren und Ernteausfälle, wie sie derzeit auch in den
USA oder in Osteuropa zu beobachten sind. Außerdem
muss man bedenken, dass die Zahl der Menschen auf der
Welt immer weiter steigt. Tag für Tag kommt es zu
einem Zuwachs um 231 000 Menschen. Das entspricht
einer Steigerung um 78 Millionen Menschen pro Jahr.
Auch diese Menschen brauchen Nahrung.
Hinzu kommt: Heute haben die Menschen ganz
andere Konsumgewohnheiten als in der Vergangenheit.
Wie Sie wissen, hat sich in manchen Schwellenländern
wie Indonesien und China ein Mittelstand entwickelt;
das hätte man sich vor einigen Jahren überhaupt nicht
vorstellen können. Die Eltern und Großeltern der heute
lebenden Generation hatten ganz andere Nahrungsgewohnheiten. So wurden im Jahre 1990 in China jährlich
26 Kilogramm Fleisch pro Person verbraucht; inzwischen sind es jährlich 56 Kilogramm pro Person. Das hat
natürlich auch zur Folge, dass die für den Futteranbau
notwendigen Agrarflächen heutzutage größer sind als
damals.
Die Biospritpflanzen sind bereits angesprochen worden. Es ist gut, dass diese Diskussion geführt wird. Auf
eines möchte ich allerdings hinweisen: In Deutschland
wurden im vergangenen Jahr nur 4 Prozent der hiesigen
Getreideernte für die Produktion von Biosprit genutzt;
das entspricht einem Anteil an der weltweiten Getreideernte in Höhe von 0,1 Prozent. Deutschland ist also nicht
das Problem. Es ist gut, dass die Europäische Union vor
kurzem einen entsprechenden Entwurf vorgelegt hat;
denn wir müssen auf diesem Gebiet weitere Fortschritte
erzielen. Aber auch die USA müssen ihrer Verantwortung gerecht werden; denn dort werden fast 40 Prozent
der Maisernte für die Herstellung von Biosprit genutzt.
Ich möchte zum Schluss ganz kurz auf ein Thema zu
sprechen kommen, das mir und, wie ich glaube, auch der
Opposition sehr am Herzen liegt: die Spekulationen mit
Agrarrohstoffen. Diese Spekulationen haben sich inzwischen zu einem Preistreiber entwickelt, der überhandnimmt und dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden
darf.
({3})
Warenterminbörsen sind wichtig; überhaupt kein Thema.
Es hat sie immer gegeben. Gerade für Landwirte sind sie
von Bedeutung, weil sie ein Mittel sind, um Preisschwankungen vorzubeugen. So wissen die Landwirte,
welche Preise sie, wenn sie ernten, auf dem Markt erzielen. Inzwischen haben Spekulationen mit Agrarrohstoffen allerdings exzessive Ausmaße angenommen. Man
kann es auch so sagen: Ein wirklich sinnvolles Marktinstrument ist zu einer Perversion verkommen.
({4})
80 Prozent der Anleger haben mit physischen Rohstoffen wie Getreide, Hirse und Mais überhaupt nichts
zu tun. Die Zahl der Terminkontrakte an der Chicago
Board of Trade hat sich in den vergangenen zehn Jahren
allerdings verfünffacht, während die Erntemenge im
gleichen Zeitraum gleich geblieben ist. 2011 wurden
76 Millionen Tonnen Weizen gehandelt und damit fast
das 8,5-Fache der Jahresernte, die nämlich nur 9 Millionen Tonnen betrug.
Hier müssen wir aktiv werden, vor allem auch international bei unseren Partnern. Frau Dr. Kofler, Sie haben
vollkommen recht: Hier müssen wir den Finger in die
Wunde legen und schauen, dass die Märkte für Derivate
auf Agrarprodukte transparenter und die Kontrollmechanismen verstärkt werden. Wie gesagt: Ich hoffe, dass wir
dieses Thema weiterhin gemeinsam auf der Agenda haben und dass wir hier weiterhin den Finger in die Wunde
legen.
({5})
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die
Zusammenarbeit bedanken - auch im Ausschuss. Es ist
ganz klar: Wir führen hier Debatten, in denen man sich
angreifen muss. Ich glaube aber, wir sind ein Ausschuss,
der - und das zeichnet ihn aus - ein gemeinsames Ziel
hat und der an diesem gemeinsamen Ziel arbeitet. Sicher
hat der eine oder andere eine andere Vorstellung davon,
wie man dieses Ziel erreichen kann; aber es ist ein produktiver Ausschuss, der wirklich im Interesse der Ärmsten handelt, und dafür möchte ich mich herzlich bedanken.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dagmar Wöhrl. Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Heike Hänsel. Bitte
schön, Frau Kollegin Hänsel.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
diskutieren heute den Entwicklungshaushalt. Parallel
dazu sind aber alle Augen nach Karlsruhe gerichtet, um
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu hören.
Auch unsere Fraktion, Die Linke, hat geklagt, um die demokratischen Grundrechte, auch die des Parlaments, zu
verteidigen.
({0})
Herr Niebel, Sie haben gestern in der Leipziger Volkszeitung gesagt, die Euro-Stabilisierung geschehe auch,
um mehr Geld für die Entwicklungsländer zur Verfügung zu haben. Ein stabiler Euro sei auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer wichtig. Sie lassen dabei aber einfach weg, dass die europäischen Staaten jetzt
irrwitzige Milliardenbeträge für diese sogenannte EuroStabilisierung zahlen und diese Mittel langfristig binden,
dass die eingeführte Schuldenbremse auch dazu führen
wird, dass in den nächsten Jahren viel weniger Geld für
Entwicklung und für Soziales zur Verfügung stehen
wird, und dass diese Politik vor allem Vermögende und
Banken sowie das System der Spekulation und der
Zockerei an den Finanzmärkten weiter stabilisiert, worunter gerade die Entwicklungsländer leiden, zum Beispiel aufgrund von Nahrungsmittelspekulationen, und
die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertieft
wird.
Laut Le Monde diplomatique gibt es heute weltweit
etwa 63 000 Personen, deren Privatvermögen zusammen
40 Billionen Dollar und damit dem gesamten jährlichen
Bruttoinlandsprodukt aller Staaten der Welt entspricht.
Was kann hier nur die Antwort sein? Sie lautet: Umverteilen von Reichtum in Deutschland, in Europa und weltweit,
({1})
und zwar durch Vermögensabgaben, eine Millionärssteuer und eine Finanztransaktionsteuer und natürlich
durch das Schließen von Steueroasen; denn dort liegt ein
Großteil dieser Billionen. Das wäre die beste Form von
Entwicklungspolitik.
({2})
Unter dem Stichwort „Umfairteilen“ wird es am
29. September 2012 in vielen Städten Deutschlands einen bundesweiten Aktionstag geben. Ich kann nur alle
einladen: Beteiligen Sie sich daran! Vergessen Sie die
Telefonnummer von Herrn Niebel! Gehen Sie auf die
Straße!
({3})
Übrigens fordern auch die Vereinten Nationen in ihrem Weltwirtschafts- und Sozialbericht, Milliardäre endlich zur globalen Bekämpfung von Armut, Hunger und
Klimawandel heranzuziehen. Sie, Herr Niebel, haben
aber die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie glauben weiterhin an die Finanzmärkte, erzählen uns das Märchen
von der Euro-Rettung, setzen in der Entwicklungsfinanzierung immer mehr auf Marktmittel und machen sich
von Spekulationen abhängig. Sie entwickeln eine virtuelle ODA-Quote - sie entspricht gar nicht mehr dem realen Geld -, weil Sie sie mit Hebelung und Marktmitteln
immer mehr aufblähen, aber real sinkt der Entwicklungsetat. Damit streuen Sie Sand in die Augen der Bevölkerung.
Unabhängig von der Höhe des Etats setzen Sie vor allem falsche Prioritäten. Ich möchte hierzu beispielhaft
die Förderung der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland erläutern. Das ist ein relativ kleiner Posten - leider -, dessen Etatmittel auch noch gekürzt werden, obwohl die entwicklungspolitische
Bildungsarbeit ein ganz wichtiges Feld ist. Denn wir
werden Entwicklung nur erreichen, wenn wir auch die
Strukturen hier im Norden, in unseren Ländern verändern. Über die Bildungsarbeit erreichen wir viele Jugendliche. Wir können sie anstoßen, einmal darüber
nachzudenken, in welcher Welt wir leben, und sich zu
engagieren.
Das ist ein wichtiges Feld. Sie aber ziehen immer
mehr Geld aus diesem Bereich für aufwendige Großveranstaltungen ab, für Ihre Auftritte, die groß inszeniert
werden, auch die von anderen FDP-Ministern. Das dient
mehr der Profilierung Ihrer Partei, aber eben nicht dazu,
das Bewusstsein für Entwicklung zu fördern.
({4})
Sie, Herr Niebel, setzen mit den Steuergeldern ein Jahr
vor der Bundestagswahl auf Werbung statt auf Bildung
und Aufklärung.
Sie waren vor kurzem in Afghanistan. Sie haben in
diesem Zusammenhang festgestellt - das habe ich gelesen -, dass mittlerweile alle vereinbarten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan erreicht worden seien. Das ist ja unglaublich und eine reine
Gesundbeterei. Egal ob Sie sich den Human Development Index, der den Grad menschlicher Entwicklung
misst, anschauen, oder ob Sie sich die Daten zu Lebenserwartung, Kindersterblichkeit oder Wasserversorgung
ansehen: Afghanistan belegt nach wie vor überall einen
der letzten Ränge weltweit. Von Fortschritt kann da
keine Rede sein - und das mehr als zehn Jahre nach dem
ISAF-Einsatz und dem sogenannten Wiederaufbau in
Afghanistan. Für diese Politik sind Sie mitverantwortlich.
({5})
Die Bundesregierung setzt nämlich in Afghanistan
auf die Verbesserung der Bedingungen für die Privatwirtschaft, auf die Liberalisierung der Märkte. Davon
profitieren vor allem die Eliten in Afghanistan, aber weniger die breite Bevölkerung, die nach wie vor in großer
Armut lebt. Sie haben als Kriegspartei die korrupte afghanische Regierung, verbrecherische Warlords und
Fundamentalisten im Land noch gestärkt. Deshalb gilt
nach wie vor: Dieses geschundene Land Afghanistan
braucht den Abzug der Truppen sofort und eine neue
Afghanistan-Politik, die sich endlich den demokratischen, fortschrittlichen Kräften dieses Landes zuwendet.
({6})
Die Bundesregierung hätte dazu die Möglichkeit:
Jetzt, im September, hat sie den Vorsitz im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen inne und könnte eine Friedenspolitik anstoßen. Das wäre die beste Form von Entwicklungspolitik.
Stattdessen, Herr Niebel, setzen Sie und die Bundesregierung weiterhin auf weltweite Militäreinsätze, auf
Rüstungsexporte in Krisenregionen mit massiven Menschenrechtsverletzungen. Sie schütteln schon einmal
gern als Erster einem Putschpräsidenten die Hand wie in
Paraguay. Sie sind für die Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen, auch mit militärischem Einsatz.
({7})
Wir brauchen aber keine weitere Militarisierung, Herr
Niebel. Wir brauchen auch keine alten Bundeswehrmützen in Afrika, die militärisches Denken exportieren. Wir
brauchen eine aktive Friedens- und Entwicklungspolitik.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heike Hänsel. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Thilo Hoppe. Bitte
schön, Kollege Thilo Hoppe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen Sie sich einmal vor, ein Vater verhandelt mit seinem Kind über die Höhe des Taschengelds. Das Kind,
schon fast 18 Jahre alt, bekommt 100 Euro im Monat,
möchte aber mehr haben. Dem hatte der Vater schon
grundsätzlich zugestimmt.
Nun wird es konkret. Der Vater sagt mit gönnerhafte
Miene: Du bekommst eine Erhöhung von 6 Euro und
6 Cent. - Das Kind freut sich; denn es addiert und rechnet jetzt mit einem monatlichen Taschengeld von
106,06 Euro. Doch da hat es sich leider zu früh gefreut;
denn es bekommt tatsächlich nur 6 Cent mehr. Als es
den Vater auf diese merkwürdige Differenz anspricht,
hört es dann folgende Erklärung: Ja, mein Sohn, du
musst wissen: Eigentlich hatte ich vorgehabt, dein Taschengeld um 6 Euro zu kürzen. Aber darauf verzichte
ich jetzt großzügig und packe sogar noch 6 Cent drauf.
({0})
Ein solcher Rechentrick wäre absurd. Aber genauso
absurd war eine Pressemitteilung aus dem Hause Niebel,
als die Eckwerte dieses Haushalts beschlossen wurden.
Denn da war von einer Steigerung um über 600 Millionen Euro - auf der Homepage sogar um 733 Millionen
Euro - die Rede. Dummerweise fielen einige Journalisten darauf herein und haben diese Falschmeldung auch
noch verbreitet. Denn bei genauerem Hinsehen entpuppt
sich diese - in Anführungszeichen - „Steigerung“ als
Verzicht auf eine angeblich geplante Kürzung.
({1})
Als seriöse Referenzgröße kann man doch nicht die vage
mittelfristige Finanzplanung heranziehen. Aussagekräftig ist doch allein der Vergleich der Zahlen des alten
Haushalts mit denen des neuen Haushalts.
({2})
Wir brauchen nicht darum herumzureden: Es gibt einen winzig kleinen Aufwuchs um 0,6 Prozent. Das sind
37,5 Millionen Euro, und das entspricht - ich habe das
genau ausgerechnet - in dieser Taschengeldrelation den
schon erwähnten 6 Cent im Monat. Inflationsbereinigt
kann man sogar sagen: Der Haushalt stagniert oder geht
sogar leicht zurück.
Der Minister sagt immer stolz - das haben wir auch
heute gehört -: Wir sind der zweitgrößte Beitragszahler. Ich habe dazu schon sehr ärgerliche Reaktionen der Kollegen aus Schweden, Norwegen und Dänemark gehört.
Denn sie finden diesen Vergleich gar nicht witzig. Es ist
doch völlig klar, dass ein kleines Land in absoluten ZahThilo Hoppe
len weniger zahlt als ein großes Land. Vergleichbar ist
doch nur der prozentuale Anteil am Bruttosozialprodukt,
den ein Land zahlt, um Hunger und extreme Armut zu
bekämpfen. Dabei liegt Deutschland mit einer ODAQuote von 0,4 Prozent nur auf Platz zehn in der Europäischen Union.
Herr Minister, ich will auf den bildlichen Vergleich
mit der Gewichtsklasse nicht näher eingehen. Nur so
viel: Wir boxen überhaupt nicht in der Gewichtsklasse,
die uns zustehen würde.
({3})
Denn gerade Deutschland hat im Gegensatz zu vielen
anderen Ländern Europas die Wirtschaftskraft, seinen
internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden. Aber
es duckt sich weg.
Wir sind gefragt worden, wie wir das finanzieren wollen. Mit einem Anstieg der Steuermehreinnahmen um
42,8 Milliarden Euro 2011 und weitere 4,6 Milliarden
Euro in diesem Jahr wäre es doch ein Leichtes, einen
größeren Betrag zu zahlen, um tatsächlich Hunger,
extreme Armut und Aids einzudämmen und mehr für
den internationalen Klimaschutz zu leisten.
Doch diese Regierung - ich muss es leider so drastisch sagen - spart bei den Ärmsten der Armen und erzählt trotzdem immer wieder das Märchen, sie halte an
dem Ziel fest, bis 2015 eine ODA-Quote von 0,7 Prozent
erreichen zu wollen. Dies ist schlicht unmöglich. Spätestens mit dem Haushalt, der jetzt vorgelegt wird, ist völlig
klar, dass dieses Versprechen gebrochen worden ist.
In der Euro-Krise wird Deutschland seiner Führungsrolle nicht gerecht, und in der Entwicklungspolitik leider
auch nicht.
({4})
Im letzten Jahr sind - das ist ein alarmierendes Signal die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit weltweit erstmals seit sehr langer Zeit um 2,7 Prozent gesunken. Das hängt damit zusammen, dass Länder wie
Spanien, die jetzt selber in der Krise sind, ihr entwicklungspolitisches Engagement enorm zurückgefahren haben. Das trifft die ärmsten Entwicklungsländer besonders hart, die ohnehin schon überproportional unter den
Auswirkungen der Euro- und Schuldenkrise leiden.
Man kann also sagen: Die Folgen der Krise werden
immer weitergegeben, bis sie zum Schluss die
Schwächsten der Schwachen am härtesten treffen. Das
kann man auch daran sehen, dass die Programme zur Bekämpfung der Hungersnöte in Ostafrika und in der Sahelzone chronisch unterfinanziert sind. Hier muss
Deutschland gegensteuern, gerade weil Deutschland
auch jetzt, in dieser Krise, wirtschaftlich am besten dasteht und durchaus die Möglichkeiten hätte.
Klar, in dieser Haushaltsdebatte fordert unsere Fraktion auch Sparmaßnahmen in einigen Bereichen, beispielsweise im Verteidigungshaushalt, der sechsmal höher ist als der Entwicklungsetat, und im Agrarhaushalt.
Wir fordern die Streichung von umweltschädlichen Subventionen. Aber es gibt auch Bereiche, in denen nachgebessert und mehr Geld investiert werden muss. Wir haben einen Haushaltsvorschlag vorgelegt, der genau
dieses Umsteuern bewirkt, der an der einen Stelle nimmt
und an der anderen Stelle mehr gibt und der seriös gegengerechnet ist. Wir können den Beweis erbringen,
dass die 1,2 Milliarden Euro mehr pro Jahr für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe - das ist auch
die Forderung von 60 Prozent der Parlamentarier hier in
diesem Hause - wirklich seriös gegenfinanziert werden.
Wir betreiben eine werteorientierte Politik. Das spiegelt
sich in unserer Haushaltspolitik wider. Das fehlt leider
bei der Koalition. Wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr
die Gelegenheit haben, unsere seriösen Vorschläge tatsächlich umzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Vielen Dank, Kollege Hoppe. - Nächste Rednerin in
unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unsere
Kollegin Frau Dr. Christiane Ratjen-Damerau. Bitte
schön, Frau Kollegin Ratjen-Damerau.
({0})
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Meine lieben Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Hoppe, ich schätze Sie als Kollegen sehr. Aber ich
finde es schon sehr symptomatisch für Ihr Verständnis
von Entwicklungspolitik, dass Sie die Entwicklungsländer in Ihrer traurigen Geschichte mit einem 18-jährigen
abhängigen Sohn gleichsetzen.
({0})
Wir betrachten Entwicklungsländer als gleichberechtigte
Partner
({1})
und nicht als minderjährige Abhängige, denen ihr Vater
das Taschengeld zuteilt.
({2})
Deutschland ist eine wirtschaftlich gesunde und
starke Nation, die in Europa und in der Welt eine Stimme
hat. Durch unsere Stärke wächst unser Einfluss, damit
aber auch unsere Verantwortung in dieser Welt: Verantwortung für ein stabiles Europa und Verantwortung für
den globalen Frieden. Einen großen Teil der Verantwortung für den globalen Frieden trägt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick22968
lung, kurz: das BMZ. Entwicklungspolitik ist eine
langfristige und nachhaltig wirkende Investition in unsere Zukunft. Sie hilft, europäische Werte und Standards
zu verbreiten, fragile Staaten und Regionen zu stabilisieren, und sie gibt den Menschen eine Zukunft. Sie hilft
weiterhin, den Klimawandel zu verhindern. Entwicklungspolitik ist die beste und zugleich die effizienteste
Friedens- und Sicherheitspolitik.
({3})
Herr Hoppe, Menschen, die für sich und ihre Familien
selbstständig sorgen können, sowie politisch stabile Regionen sind der beste Garant gegen Krieg und Menschenrechtskonflikte sowie gegen Gewalt und Hunger.
Wie wichtig der Bundesregierung die Verantwortung
für den globalen Frieden ist, lässt sich am Entwurf des
Einzelplans 23, also am Haushalt des BMZ, erkennen.
({4})
Der Etat des BMZ wächst in diesem Jahr noch einmal
insgesamt auf 6,4 Milliarden Euro. Die deutsche ODAQuote - das ist der Anteil der öffentlichen Ausgaben für
Entwicklungszusammenarbeit, gemessen am Bruttoinlandseinkommen - steigt seit 2009 kontinuierlich und
wird 2011 0,4 Prozent erreichen. Das ist der höchste
Stand seit der deutschen Wiedervereinigung,
({5})
und das bei einem Wirtschaftswachstum von 3 Prozent.
Damit befinden wir uns auf einem sehr guten Weg, das
international vereinbarte und mehrfach bekräftigte
ODA-Ziel von 0,7 Prozent zu erreichen.
({6})
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch,
dass Monsieur Hollande, der französische Staatspräsident und ein Sozialist, gerade letzte Woche erklärt hat,
die ODA-Quote für Frankreich bei 0,4 Prozent einzufrieren.
({7})
Deutschland ist seit diesem Jahr nach den USA der
zweitgrößte Geber in der Entwicklungspolitik weltweit.
Der Anteil am Gesamthaushalt war noch nie so groß.
Der Einzelplan 23 ist der zweitgrößte Investitionsetat
des Bundes überhaupt.
({8})
Doch trotz dieser Erfolge gilt, Frau Kofler: Geld ist zwar
eine wichtige Voraussetzung, garantiert aber allein keine
gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in dieser Welt. Entscheidend ist die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit, und diese muss verbessert werden.
({9})
Ein Kernanliegen der christlich-liberalen Koalition ist
deshalb, Steuergelder wirksamer und transparenter einzusetzen. Dafür stehen die Politik des Ministers Niebel
und die Arbeit des BMZ, auch auf europäischer Ebene.
Gerade hat der Minister mit seinem Vorstoß im Bereich
Biokraftstoff einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt geleistet. Wie gestern bekannt wurde, beabsichtigt die Europäische Kommission,
die Nutzung von Biokraftstoffen erheblich einzuschränken.
Mit der Fusion der technischen Durchführungsorganisationen wurde die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit erhöht und wurden kommunale Förderungsprogramme bei „Engagement Global“ gebündelt.
75 Prozent der Maßnahmen des Operationsplans zur Erhöhung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit gemäß der Konferenzen von Accra und Paris wurden von Deutschland bereits umgesetzt.
Ein Meilenstein der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist ein neu eingerichtetes, unabhängiges Evaluierungsinstitut. Dieses Institut wird erkennen, welche
Schwachpunkte es gibt, und wir werden wertvolle Informationen über unsere Entwicklungszusammenarbeit erhalten, die damit dann auch transparenter wird. Aufgrund von Erkenntnissen über Erfolge, aber auch über
Misserfolge können wir die Qualität unserer Arbeit für
die Zukunft verbessern.
Das BMZ hat sich in den vergangenen Jahren auf
Schlüsselsektoren konzentriert und die Zusammenarbeit
mit fragilen Staaten neu aufgebaut. Die Bekämpfung der
Armut, unser größtes Ziel, ist gerade durch die Stärkung
des ländlichen Raums in unseren Partnerländern und die
besondere Förderung der Frauen deutlich vorangetrieben
worden. Diese Bereiche wurden früher vernachlässigt.
Der Einzelplan 23 kann zu Recht Zukunftsetat genannt werden, im Sinne einer modernen, zeitgemäßen
Neuausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik. Mit
diesem Etat wird Deutschland seiner Verantwortung für
den globalen Frieden gerecht.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Dr. Ratjen-Damerau. - Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Sascha Raabe. Bitte
schön, Kollege Dr. Sascha Raabe.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Minister, Frau Ratjen-Damerau, Sie
können hier weiter Niebel-Kerzen werfen, wie Sie wollen: Es ist und bleibt einfach eine Schande, dass Sie drei
Jahre vor dem versprochenen Erreichen des 0,7-ProzentZiels anstelle des von einer Mehrheit dieses Parlaments
in einem entwicklungspolitischen Konsens geforderten
Aufwuchses von 1,2 Milliarden Euro nur einen Aufwuchs von 37,5 Millionen Euro vorlegen und Sie das
auch noch als Rekordhaushalt feiern. Das ist wirklich
schäbig.
({0})
Weil Sie gerne auf die Vergangenheit verweisen und
so tun, als sei in der Vergangenheit nichts Wesentliches
passiert, um dem 0,7-Prozent-Ziel näherzukommen,
möchte ich am Anfang dieser Haushaltsdebatte Zahlen
aus den Jahren 2008 und 2009 nennen. Unter Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatten wir
im Jahr 2008 einen Aufwuchs von 641 Millionen Euro
und im Jahr 2009 von 679 Millionen Euro. Herr Minister, in den vier Jahren, in denen Sie als Minister das Amt
und den Haushalt zu verantworten haben, haben Sie insgesamt noch nicht einmal den Aufwuchs zustande gebracht, den wir in der letzten Legislaturperiode unter
Heidemarie Wieczorek-Zeul in einem Jahr hatten. Sie
kommen in vier Jahren noch nicht einmal auf 500 Millionen Euro. Das, Herr Minister, ist wirklich mickrig.
Das wird der Verantwortung nicht gerecht, die wir in der
Welt haben. Dass Sie dann noch davon sprechen, dass
Sie das 0,7-Prozent-Ziel bis 2013 einhalten wollen, ist
wirklich dreist. Herr Minister, Sie sollten endlich die
Wahrheit sagen, die Menschen nicht weiter belügen und
solche Zahlentricksereien vor allem nicht auf dem Rücken der Ärmsten der Armen betreiben.
({1})
Man kann sich auch fragen, was Sie im Kabinett getan
haben, um diese Themen voranzubringen; denn die Entwicklungspolitik muss auch von den anderen Ressorts
unterstützt werden. Wir wissen, dass Sie ausweislich der
Statistik der ersten 100 Kabinettssitzungen erstens am
meisten gefehlt haben und zweitens nicht einen einzigen
Tagesordnungspunkt aufgesetzt haben. Ich frage Sie angesichts der Initiative des Parlaments im Jahr 2011, als
372 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen unterschrieben haben, dass sie das 0,7-ProzentZiel einhalten wollen und dass man, beginnend mit dem
Haushalt 2012, jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro als Aufwuchs zur Verfügung stellen will: Haben Sie niemals daran gedacht, Ihren Kollegen im Kabinett diese Initiative
vorzustellen und dafür zu werben? Es ist eine Brüskierung des Parlaments, dass Sie das nicht im Kabinett angesprochen haben und hier Haushaltsentwürfe vorlegen,
die jeder Beschreibung spotten.
({2})
Man nennt Sie unter Kollegen ja schon den „Minister
Nie da“. Sie sind an der Sache anscheinend nicht besonders interessiert.
Was Ihre Ausführungen zur Finanztransaktionsteuer
angeht - das wäre eine Einnahmequelle, durch die wir
einen großen Finanzierungsschub erzielen könnten -,
haben Sie uns im Ausschuss mehrfach gesagt: Mag sein,
dass die Kanzlerin dafür ist. Was interessiert mich, was
die Kanzlerin sagt. Ich bin dagegen. - Auch das ist natürlich ein Schlag gegen die Kampagne „Steuer gegen
Armut“, die von der Zivilgesellschaft unterstützt wird.
Es ist schlecht, dass der zuständige Minister nicht vorneweggeht, um für dieses Ziel einzutreten, sondern das
Ganze zerschlägt und sogar noch konterkariert.
({3})
Sie rechtfertigen diese schwachen Aufwüchse immer
damit, dass Sie für Qualität und Effizienz gesorgt hätten.
Sie haben einen DAC-Bericht zitiert, in dem zu Recht
angemahnt wird, dass die Finanzielle und Technische
Zusammenarbeit in Deutschland zusammengelegt werden müssen. Richtig! Sie haben das allerdings nicht gemacht. Sie haben stattdessen die Technische Zusammenarbeit reformiert. Gut, das ist sicherlich ein kleiner
Schritt in die richtige Richtung gewesen. Wir kritisieren
das nicht weiter. Aber die Frage ist doch: Haben Sie es
wirklich mit dem Ziel getan, mehr Qualität und Effizienz
zu erreichen? Für uns steht das eindeutig infrage. In
Wirklichkeit haben Sie doch all diese Umstrukturierungen genutzt, um Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde, teils ohne jede Sachkenntnis und Kompetenz, in
den neuen Organisationen unterzubringen. Man schafft
nicht mehr Effizienz und Qualität, wenn man in Schlüsselstellen des Ministeriums und der Durchführungsorganisationen Vetternwirtschaft nach Parteibuch betreibt,
sehr geehrter Herr Minister.
({4})
Das fing schon ganz früh an. Ich habe hier im Prinzip
jedes Jahr Mitteilungen des Personalrats verlesen müssen, in denen das angeprangert wird. Im Sommer 2012
gab es leider wieder eine Mitteilung, in der ein weiteres
Mal beschrieben wird, dass diese Personalpolitik mit
Blick auf 2013, wenn die Wachablösung droht, verstärkt
betrieben wird. In dieser Mitteilung heißt es:
In der Amtszeit von Minister Niebel ist die nun anstehende Besetzung der Leitung der Abteilung 2 die
sechste Neubesetzung einer Abteilungsleiterstelle.
Da geht es übrigens um Harald Klein, der als damaliger Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung den Putsch in
Honduras gerechtfertigt hat und jetzt Generalkonsul in
Rio wird. Sie haben neulich auch den Putsch in Paraguay
gerechtfertigt. Diese Stellenbesetzung ist ja anscheinend
Ihre Belohnung.
In dieser Mitteilung heißt es weiter:
In fünf dieser sechs Fälle wurden externe Bewerbungen berücksichtigt, lediglich in einem Fall ein
interner Bewerber. Der Personalrat hat seit Beginn
der Amtszeit von Minister Niebel immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche externe Besetzungen für das Haus problematisch sind, da bei den
Quereinsteigern weder Kenntnisse des Hauses noch
in vielen Fällen vertiefte Kenntnisse der Entwicklungszusammenarbeit vorhanden sind.
Darüber hinaus heißt es:
Da die politische Leitung des Hauses ihre Personalpolitik regelmäßig mit dem Hinweis rechtfertigt,
unter früheren Leitungen des BMZ habe es eine
ähnliche Anzahl an Quereinsteigern gegeben, sei
darauf verwiesen, dass in den Amtszeiten von
Ministerin Wieczorek-Zeul und Minister Spranger
lediglich zwei Abteilungsleitungen von außen besetzt wurden,
- also in 18 Jahren lediglich zwei hingegen alle anderen Berufungen aus dem Haus
erfolgt sind.
Jetzt sage ich Ihnen, was das für Auswirkungen auf
die Effizienz und Qualität hat.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Jürgen Koppelin?
Ja.
Bitte schön, Kollege Jürgen Koppelin.
Herr Kollege Raabe, entnehme ich Ihrem Eifer am
Rednerpult, dass Sie sich darüber ärgern, dass in diesem
Ministerium die Aufkleber entfernt wurden, auf denen
stand, dass man dort Mitglied der SPD sei? Davon gab
es dort zahlreiche. Es galt quasi das Motto „Hier ist man
Mitglied der SPD“.
Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden. Können Sie das wiederholen?
Ärgern Sie sich darüber, dass bestimmte Aufkleber im
BMZ entfernt wurden? An den Türen und anderswo sah
man Aufkleber mit der Aufschrift „Hier sind wir Mitglied der SPD“.
Darf ich Sie weiter fragen, wie es kam, dass sofort
nach dem Regierungswechsel 1998 ein hoher sozialdemokratischer Funktionär aus Nordrhein-Westfalen Chef
des DED wurde?
Sehr geehrter Herr Kollege Koppelin, zu den Aufklebern kann ich jetzt nicht viel sagen. Ich kann Ihnen aber
gleich etwas dazu sagen, wie das BMZ in der Zwischenzeit zu einer Wahlkampfzentrale für die FDP umgebaut
wird. Dafür kann ich Ihnen auch gleich einen Beleg liefern; ich werde Ihnen das gleich sagen.
Was 1998, also vor 14 Jahren, gewesen ist - verzeihen
Sie, ich bin 2002 ins Parlament gekommen -, weiß ich
nicht. Ich weiß, dass der Kollege, den ich dann kennengelernt habe und der an der Spitze des DED war, ein
höchst qualifizierter Mann gewesen ist, der von Minister
Niebel später sogar in den Vorstand der GIZ berufen
wurde, weil er so qualifiziert war. Herr Kollege
Koppelin, es spricht doch überhaupt nichts dagegen,
wenn besonders qualifizierte Expertinnen und Experten,
die Sachkenntnis haben, mit einem Parteibuch egal welcher Art in einem Bewerbungsverfahren zum Zuge kommen. Sie sollen nicht benachteiligt werden. Aber es ist
doch ein Unterschied, Herr Kollege Koppelin, ob zum
Beispiel bei Ministerin Wieczorek-Zeul von drei Abteilungsleitern einer ein SPD-Parteibuch hatte und zwei
parteilos waren oder Minister Niebel die Zahl der Abteilungen von drei auf fünf erhöht hat und jetzt vier Abteilungsleiter ein FDP-Parteibuch haben und einer ein
CDU-Parteibuch hat. Ich sage Ihnen, Herr Kollege
Koppelin: Es ist ein Unterschied, ob man jemanden einstellt, der Sachkenntnis hat, oder ob man jemanden nur
aufgrund seines Parteibuchs einstellt.
Der Personalrat schreibt - da kommen wir zum
Thema Qualität -: Die Entwicklungen auf allen Ebenen
haben Konsequenzen für das Haus. Sie wirken sich
negativ auf Fachlichkeit, Führungskompetenz, Außenvertretung des BMZ und die Motivation im Haus aus.
Ein personell und organisatorisch geschwächtes Ministerium kann seine Aufgaben nur bedingt erfüllen.
Deshalb, Herr Koppelin, schreibt der Personalrat: In
gerade einmal zweieinhalb Jahren hat die politische Leitung es verstanden, zahlreiche höchst motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Klientelpolitik und
durch anhaltende Missachtung von fachlicher Leistung
wie inhaltlicher Kompetenz zu brüskieren. - Darum geht
es, Herr Kollege Koppelin, nicht um Aufkleber.
Es geht auch darum, dass Minister Niebel eine Abteilung „Planung und Kommunikation“ geschaffen hat; die
gab es vorher gar nicht. Das heißt, der Minister zieht aus
Organisationseinheiten, die sich um Inhalte kümmern,
etwa zu Afrika oder Asien, Personal ab, um eine Propagandaabteilung aufzubauen, und das wird vom Personalrat natürlich kritisiert.
Herr Kollege, ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass jetzt wieder die normale Redezeit läuft, weil
ich davon ausgehe, dass die Antwort hiermit beendet ist.
Gut, einverstanden. - Es kann nicht sein, dass das
BMZ zu einer Wahlkampfzentrale der FDP umgebaut
wird. Da ist bis 2013 Schlimmes zu erwarten. Wir haben
erst neulich einen Brief von der KfW zugespielt bekommen, in dem es darum geht, dass jetzt eine Kampagne
mit einem Volumen von 6 bis 7 Millionen Euro stattfinden soll, angeblich eine „Mittelstandsoffensive Afrika“.
Dagegen spricht erst einmal nichts. Aber dann heißt es
im Schreiben von Staatssekretär Beerfeltz entlarvend,
dass sich Herr Niebel und Minister Rösler geradezu ideal
persönlich in eine solche Kampagne einbeziehen lassen;
6 bis 7 Millionen Euro seien viel Geld - die sollen natürlich auch zielgerichtet bis Juni 2013 ausgegeben werden -, aber - jetzt kommt es! - der politische Ertrag für
die Bundesregierung werde das bei weitem übersteigen.
Herr Niebel, weil Sie gesagt haben, Sie spielten jetzt
irgendwo oben in der internationalen Liga mit, sage ich
Ihnen: Im Ausland lachen sich unsere Partner leider über
uns kaputt, wenn wir noch etwas von guter Regierungsführung sagen.
({0})
Wenn ich hier einmal im Sportbereich bleiben darf: Wir
spielen mittlerweile in einer Liga, in der die Wettmafia
die Ergebnisse vorher kennt. Genauso wie man da weiß,
wie ein Fußballspiel ausgeht, weiß man bei Ihnen bei jedem Bewerbungsverfahren, das Sie im Ministerium
durchführen, wer am Ende gewinnt: immer der Bewerber mit FDP-Parteibuch.
({1})
Herr Kollege Sascha Raabe, ich will noch darauf hinweisen: Mit dem Wort „Lüge“, gleich in welcher Form
formuliert, sollte man - das gilt insgesamt in diesem
Haus - sehr vorsichtig umgehen; unparlamentarisch ist
es jedenfalls.
({0})
Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist die Frau
Kollegin Sibylle Pfeiffer für die Fraktion der CDU/CSU.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Opposition ist Mist. - Das hat mal ein politisches Schwergewicht von Kollege gesagt. Ich finde auch: Opposition
ist Mist. Opposition kann nicht gestalten, kann keine
Ideen realisieren, kann keine Politik umsetzen, so wie sie
das gern möchte. Aber Opposition ist auch praktisch,
und das zeigt sich auch an den Reden, die wir von der
Opposition gehört haben: Man kann schimpfen. Man
kann sich beschweren. Man kann maulen.
({0})
Man kann Forderungen stellen. Man kann Versprechungen machen. Nichts davon muss man umsetzen. Man
kann vor allen Dingen auch so inhaltsschwere Reden
zum Thema Entwicklungspolitik halten wie Sie eben
hier, lieber Kollege Raabe.
({1})
Ich muss schon sagen: Das, was Sie uns gerade hier an
konstruktiven Vorschlägen gemacht haben, bringt die nationale und internationale Entwicklungspolitik definitiv
weiter. Bravo, kann ich nur sagen.
({2})
Man kann vor allen Dingen Geld fordern; auch das
kann man machen.
({3})
Damit macht man sich unglaublich viel Freunde.
({4})
- Stimmt, alles richtig. Das gebe ich zu. Ich stehe auch
dazu.
({5})
- Frau Kofler, was für ein Glück, dass Sie dies nicht umsetzen müssen. Was für ein Glück, dass Sie nicht in der
Position sind, genau das umsetzen zu müssen, was Sie
glauben, jetzt hier anprangern zu müssen. Ich möchte
wissen, wie Sie es umgesetzt haben wollen. Genau das
möchte ich Sie einmal fragen: Wie wollen Sie es denn
umsetzen? Sie hätten doch gerade Vorschläge machen
können. Machen Sie sie doch einfach einmal! Sagen Sie
uns, woher Sie das Geld nehmen und wo Sie kürzen
wollen.
({6})
- Kommen Sie mir doch nicht mit diesem ganzen Umverteilungsquatsch. Ich sage nur Friedenspolitik, liebe
Kollegin.
({7})
Wenn wir Friedenspolitik betreiben, ist die beste Politik,
den Menschen vor Ort mittels Arbeit, Wohlstand, Ernährung, Bildung und Gesundheitssystem eine Basis für ihr
Leben dort zu schaffen, wo sie wohnen und leben. Das
ist aktive Friedenspolitik. Sie können nicht hergehen und
sagen: Wir verteilen jetzt einmal großzügig das Geld,
und dann ist das Problem gelöst. - Wie einfach ist denn
eigentlich das Leben? Wo kommen wir denn hin?
Wir haben eine Zwischenfrage aus der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, wenn Sie sie zulassen. - Bitte
schön, Herr Kollege.
Schade, ich hätte ganz gerne weitergeredet.
Frau Kollegin, ich finde es wirklich interessant, dass
Sie die Forderung an die Opposition stellen, klarzumachen, wie die Umsetzung des 0,7-Prozent-Ziels erfolgen
kann. Haben Sie nicht zugehört? Herr Niebel hat sich gerade zu den 0,7 Prozent bis zum Jahr 2015 bekannt. Ihre
Kanzlerin hat sich dazu bekannt. Warum verlangen Sie
denn nicht von der Regierung, dass sie endlich klarlegt,
wie dieses Ziel erreicht wird?
({0})
Ich wiederhole mich gerne. Ich glaube, es war der
Kollege Hoppe, der gesagt hat: Wir boxen in einer Gewichtsklasse, die uns so nicht zusteht. - Aber - das kann
ich gleich miteinander verbinden -: Deutschland nimmt
seine Verantwortung international sehr wohl wahr. Dass
Deutschland dies tut, erfordert eine unglaubliche Anstrengung von uns, von den Haushältern, vom Etat, vom
ganzen Haushalt an sich. Herr Kollege, ich glaube, dass
ich nicht nur Entwicklungspolitiker bin.
({0})
- Natürlich Entwicklungspolitikerin.
Ich glaube, das war die Antwort auf die Frage unseres
Kollegen Uwe Kekeritz.
({0})
Dann hören Sie einfach weiter zu. Vielleicht ist noch
etwas für Sie enthalten.
Ich bin nicht nur Entwicklungspolitikerin. Ich bin
gerne Entwicklungspolitikerin, weil ich glaube, dass
Entwicklungspolitik Zukunft für unsere Kinder, für unsere Enkelkinder schafft, und das im Sinne von Friedenspolitik, liebe Kollegin Hänsel. Aber ich habe auch
eine politische Gesamtverantwortung für Deutschland.
Das alles muss ich sehen. Ich muss dann gucken: Woher
bekomme ich die Gelder, und woher bekomme ich sie
nicht? Ich bin mir nicht sicher, woher ich in diesen drei
Jahren in der Summe 9,5 Milliarden Euro bekommen
sollte, weil wir doch ganz andere Probleme haben.
Ich glaube, dass das Verfassungsgericht ein weises
Urteil gesprochen hat, indem es nämlich den Euro gestärkt hat, liebe Frau Hänsel; denn wenn wir den Euro
nicht gestärkt hätten und wenn wir Europa nicht stärken,
dann haben wir irgendwann unter Umständen überhaupt
kein Geld für die Entwicklungspolitik mehr. Ich möchte
einmal sehen, wie wir dann weiterkommen. Was wollen
wir denn dann machen? Wo wollen wir denn hingehen?
({0})
Wir müssen doch alles tun, damit Deutschland in Europa
stabil bleibt. Wir brauchen ein stabiles Europa, eine stabile europäische Politik, die kohärent ist. Die Kohärenz
fordere ich natürlich auch ein, wenn es um die Entwicklungspolitik geht.
Sie haben gefragt: Was haben Sie denn eigentlich getan? - Ich ziehe einmal eine kleine Bilanz von drei
Jahren Entwicklungspolitik unter schwarz-gelber Führung. - Mir fällt aber etwas anderes ein. Lieber Kollege
Raabe, Sie wiederholen es immer wieder, aber es wird
dadurch nicht richtiger. Ich werde auch nicht müde, auf
diesen ganzen Mist zu antworten. Da geht es nämlich um
die Haushaltsentwicklung. Dazu kann ich nur sagen: Bis
2007, unter einem Bundeskanzler, der zum Beispiel die
Familienpolitik als „Gedöns“ bezeichnet hat,
({1})
hat es im Haushalt von Frau Wieczorek-Zeul null - absolut null - Erhöhungen gegeben. Erst als sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür eingesetzt hat, weil
Entwicklungspolitik ein wichtiger Politikbereich ist, hat
auch Frau Wieczorek-Zeul davon profitiert. Ich gönne
ihr das sehr und freue mich, dass es so gekommen ist.
({2})
Lassen Sie mich jetzt einfach einmal ein bisschen resümieren, was unsere Zwischenbilanz ist; davon kann
man sehr wohl sprechen. Zunächst müssen wir schauen,
wie der Rekordhaushalt aussieht. Es ist nachlesbar, dass
es ein Rekordhaushalt ist. Er hat natürlich nicht die Steigerungsraten, die wir uns vielleicht gewünscht hätten,
aber es ist definitiv ein Rekordhaushalt. Die Mittel liegen im Übrigen, Kollege Raabe, 50 Prozent über dem,
was Rot-Grün damals für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben hat. Auch das ist wahr.
({3})
Die europäische und internationale Abstimmung unter den Entwicklungspolitikern ist unter der Regierung
Merkel dank einer Qualitätsoffensive wesentlich besser
geworden. Das Wichtige bei dem Ganzen ist: Was
kommt eigentlich bei der Entwicklungspolitik heraus?
Das muss geprüft werden; das muss evaluiert werden.
Deshalb ist es auch richtig, dass wir ein Evaluierungsinstitut einrichten, damit die Steuerzahler wissen, dass
ihre Gelder effektiv, sinnvoll, richtig und nachhaltig eingesetzt sind.
Wir haben natürlich - das gebe ich zu - einen etwas
unverkrampfteren Umgang mit dem Thema „Entwicklungspolitik und Wirtschaft“, und das ist richtig so, das
ist gut so.
({4})
Denn diese Verkrampftheit im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Entwicklung - es ist ja nun einmal auch der
Haushalt für wirtschaftliche Entwicklung - hat uns in
der Vergangenheit definitiv geschadet. Insofern ist es
gut, dass wir jetzt versuchen, in unseren Partnerländern
eine Entwicklung in Gang zu setzen, die die Menschen
in die Lage versetzt, mithilfe der eigenen Arbeitskraft
ihre Kinder und Enkelkinder zu ernähren.
({5})
Frau Kollegin Sibylle Pfeiffer, es gibt den Wunsch zu
einer weiteren Zwischenfrage.
Das scheint ja eine spannende Rede zu sein, die ich
hier halte!
({0})
Bitte schön, Frau Kollegin, wenn Sie so lieb sind.
Frau Kollegin Pfeiffer, ist Ihnen bekannt, dass die sogenannten PPP-Projekte, also die Public-private-Partnership-Projekte, für die Wirtschaft in Afrika, Asien und
Lateinamerika schon in der Amtszeit von Heidemarie
Wieczorek-Zeul begonnen worden sind
({0})
und keine weiteren Zuwächse in diesem Bereich zu verzeichnen sind? Umgekehrt: Ist Ihnen bekannt, dass auch
in unserer Regierungszeit das Thema Wirtschaftliche
Zusammenarbeit eine Rolle gespielt hat, nicht nur bei Ihnen in der jetzigen Konstellation von FDP und CDU/
CSU?
Liebe Kollegin, es ist sehr spannend, dass ausgerechnet Sie das jetzt sagen.
({0})
Die Wahrheit ist es; aber warum es immer peinlich
verschwiegen wurde, das ist Ihr Problem. Das tut mir
wirklich leid. Darüber wurde nie geredet; es wurde
peinlichst verschwiegen. Denn das passt nicht in die
Ideologie hinein.
Das war die Antwort auf die Zwischenfrage unserer
Kollegin Karin Roth. Ist sie schon beendet?
Ja.
Gut. Bitte schön.
({0})
Dazu gab es nicht mehr zu sagen.
Nahrungsmittelsicherheit, ländliche Entwicklung:
Meine Kollegin Dagmar Wöhrl hat dazu schon das Entsprechende gesagt. Es steht ganz oben auf der Agenda;
das kann man übrigens im Haushalt nachlesen.
Gute Regierungsführung bleibt natürlich ein zentrales
Anliegen; denn ohne Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
und Menschenrechte ist Entwicklungspolitik nicht zu
machen. Deshalb wird das auch von unseren Partnern
eingefordert.
Biodiversität, Klima- und Ressourcenschutz: All das
sind wichtige Themen. Es wäre ganz gut gewesen - der
Herr Kollege Gerster war da -, wenn Sie sich heute einmal angehört hätten, was die GIZ und die KfW zum
Thema DKTI gesagt haben. Das nenne ich innovative
Entwicklungspolitik zu beiderseitigem - das betone ich:
beiderseitigem - Erfolg und Gunsten.
Frau Kollegin Kofler, Sie haben behauptet, wir hätten
im Bereich Umwelt- und Energiepolitik überhaupt nichts
gemacht, dabei war unsere Politik erfolgreich. Sie ist das
Beste, was uns je passiert ist.
Lassen Sie mich zum Schluss auf ein Thema eingehen, das meiner Meinung nach ein bisschen zu kurz
gekommen ist, das wir aber im Zuge der Haushaltsberatungen sicher noch weiter erörtern werden, nämlich das
Thema Förderung von Frauen und Mädchen in den Entwicklungsländern. In dieser Frage besteht überparteilicher Konsens. Wir können uns in diesem Bereich noch
stärker engagieren; denn die Bildung von Frauen und
Mädchen sowie ihre Persönlichkeitsstärkung sind ein
wichtiger Bestandteil von Entwicklungspolitik. In diesem Zusammenhang ist das Thema Weltbevölkerungswachstum zu nennen. Wenn die Frauen und Mädchen
lernen, dass sie Nein sagen dürfen und können, dann
zeigt das, dass wir sehr gute Politik gemacht haben. An
dieser Stelle müssen wir noch ein bisschen nacharbeiten.
Das werden wir in den anstehenden Beratungen tun.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Sibylle Pfeiffer. Nächster
Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die
Linke unser Kollege Niema Movassat. Bitte schön, Kollege Niema Movassat.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Niebel und auch Frau Pfeiffer, Sie erklären mittlerweile
jeden Entwicklungshaushalt zum Rekordhaushalt.
Bewerben Sie sich doch einmal beim Guinnessbuch der
Rekorde. Im Sich-die-Welt-Schönreden sind Sie echt
Weltklasse, das aber ändert nichts an der Realität.
({0})
Vor über 40 Jahren hat sich Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkom22974
mens für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Selbst die Bundeskanzlerin wird nicht müde, zu
erklären, dass das Ziel bis 2015 erreicht wird, wie es die
Europäische Union vereinbart hat. Im vorliegenden Entwurf des Entwicklungshaushaltes gibt es einen Aufwuchs von 37,5 Millionen Euro, nötig wären aber circa
2 Milliarden Euro, um das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 zu
erreichen. Der vorliegende Haushaltsentwurf ist der
letzte Beweis dafür, dass Sie von Schwarz-Gelb nicht
den Willen haben, die versprochene Unterstützung für
die ärmsten Länder der Welt zu leisten. Hören Sie auf,
Parlament und Bevölkerung über den wahren Charakter
des Entwicklungshaushaltes zu täuschen. Fakt ist: Er ist
eine Blamage! Sie haben das 0,7-Prozent-Ziel begraben.
({1})
Heute hungern 1 Milliarde Menschen. Das Recht auf
Nahrung ist das am häufigsten verletzte Menschenrecht
auf der Welt. Der Kampf gegen den Hunger ist damit
eines der wichtigsten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit. Doch dafür ist nicht nur mehr Geld erforderlich.
Nehmen wir die massiv steigenden Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais, Weizen und Soja. Die Preise
haben sogar das Niveau des Jahres 2008 überschritten, in
dem es große Hungersnöte gab. Immer mehr Menschen
können sich Nahrungsmittel schlicht nicht leisten.
2008, 2011, 2012 - die Nahrungsmittelkrisen häufen
sich. Aber wo bleibt der konkrete Aktionsplan der Bundesregierung? Um die Preistreiberei bei Nahrungsmitteln zu beenden, brauchen wir nicht unbedingt mehr
Geld, sondern sofort umfassende Veränderungen im
Handels- und Wirtschaftssystem.
({2})
Erstes Beispiel: Agrosprit. Ja, Herr Niebel, Sie haben
das Thema Agrosprit auf die Agenda gesetzt. Dafür
möchte ich Sie heute ausnahmsweise loben. Die Europäische Union importiert heute im großen Stil Biomasse
aus den Ländern des Südens, E 10 lässt grüßen. Doch
auf einem Acker, auf dem Palmölpflanzen zur Energiegewinnung wachsen, können nicht gleichzeitig Nahrungsmittel für lokale Märkte produziert werden. Damit
verschärft Agrosprit den Hunger auf der Welt. So einfach ist das. Deshalb fordert die Linke ein europaweites
Importverbot für Kraft- und Brennstoffe aus Biomasse.
({3})
Die Preise für Nahrungsmittel steigen aber auch, weil
immer massiver mit ihnen gezockt wird. Allein an der
Börse in Chicago gingen 2011 über 90 Prozent aller
Positionen auf das Konto von Spekulanten, bis 1999
waren es gerade einmal 20 Prozent. So fließt immer
mehr Kapital an die Börse und lässt die Preise explodieren, auch in Frankfurt und Paris. Auch die Deutsche
Bank und die Allianz stecken mit mehr als 10 Milliarden
Euro bis zum Hals im dreckigen Geschäft mit dem Hunger. Dass es anders geht, zeigt die Commerzbank. Sie
steigt aus dem Geschäft mit dem Hunger aus. Das ist das
klare Eingeständnis, dass die Zockerei den Hunger auf
der Welt vergrößert.
Die Bundesregierung hingegen ist unbelehrbar und
behauptet noch immer, es sei nicht erwiesen, dass Nahrungsmittelspekulationen tatsächlich die Preise in die
Höhe treiben. Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, sich Ihre
Sprechzettel von der Banken- und Versicherungslobby
schreiben zu lassen!
({4})
Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen zur sofortigen Beendigung von Nahrungsmittelspekulationen.
Doch was unternimmt das Entwicklungsministerium? Es
richtet einen Landwirtschaftsfonds für afrikanische
Landwirte ein. Wen beauftragt das Ministerium mit dem
Fondsmanagement? Die Deutsche Bank, einen der
Hauptzocker mit Lebensmitteln. Mehr „Bock zum Gärtner“ geht gar nicht. Doch was wirklich der Gipfel der
Unverschämtheit ist, ist die ungleiche Haftungsregelung.
Gewinne gehen zuerst an den privaten Teilhaber, dann
an die Deutsche Bank und zuletzt an das Entwicklungsministerium. Kommt es aber zu Verlusten, muss als Erstes das Ministerium blechen. Wie schon aus der EuroKrise bekannt: Die Verluste trägt der Steuerzahler. Die
Gewinne streichen die Banken ein. Das ist schlichtweg
asozial im wahrsten Sinne des Wortes.
({5})
Weil eine so ungleiche Risikoverteilung in Deutschland verboten ist, haben Sie den Fonds extra in
Luxemburg angesiedelt - noch dazu, um Steuern zu sparen. Ein deutsches Ministerium umschifft aktiv die deutsche Gesetzgebung und hilft beim Steuerhinterziehen.
Das ist ein Skandal.
({6})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie weiter Wirtschafts- und
Bankenförderung betreiben statt Entwicklungspolitik,
werden Hunger und Armut immer weiter um sich greifen. Mit einem Bruchteil der Milliarden, die Sie für die
Bankenrettungen ausgegeben haben, hätte man Millionen Menschenleben retten können. Wäre die Menschheit
eine Bank, Sie hätten sie schon längst gerettet. Das ist
die traurige Wahrheit.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Kollege Niema Movassat. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
unsere Kollegin Frau Ute Koczy. Bitte schön, Frau Kollegin Ute Koczy.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diese Koalition unter Kanzlerin Merkel versäumt es, die vorhandene gute konjunkturelle Lage zu
nutzen, um die Zukunft positiv zu gestalten. Das betrifft
besonders den Einzelplan für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter FDP-Minister Dirk
Niebel. Dieser Haushaltsentwurf legt ein extrem armseliges Zeugnis davon ab, dass diese konservativ-FDPgeführte Regierung nicht willens und nicht fähig ist, ihre
international gegebenen Versprechen zu erfüllen. Sie hat
das 0,7-Prozent-Ziel an die Wand gefahren. Da helfen
keine Ausreden mehr. Da hilft kein Verweis auf die Vergangenheit mehr. Sie haben es in dieser Legislaturperiode verbockt.
({0})
Ihr Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, hat die Orientierung verloren. So steigt zum
Beispiel das Budget für die finanzielle Zusammenarbeit
oder auch für die Nichtregierungsorganisationen in dem
einen Jahr, und in diesem Jahre sinkt es wieder.
Ihr Haushalt ist ohne Ziel: Minister Niebel will als
großer Reformer dastehen, aber die inhaltliche Vorgabe,
was die deutsche EZ global erreichen will, fehlt. Und:
Dieser Haushalt ist verantwortungslos. Unsere Welt ist
doch extrem ungerecht organisiert. Das Ziel der globalen
Gerechtigkeit wird angesichts drängender Probleme wie
Klimakrise, Finanzkrise, Hunger und Armut nicht nach
vorne gestellt. Niebel pampert die Wirtschaft, stellt aber
keine Spielregeln für deren Geschäft auf. So hintertreibt
die Bundesregierung die EU-Pläne, dass in der EU
ansässige große Firmen der rohstofffördernden Industrie
zur Offenlegung ihrer Zahlungen verpflichtet werden.
Dabei wäre das ein echter Beitrag zu Transparenz und
Ownership in Entwicklungsländern. Aber hier, in
Deutschland, ist der sonst so großspurige Minister sehr
kleinlaut - ach was, er zeigt sich wiederholt konfliktscheu.
Niebel kämpft woanders: Das deutsche Fähnchen am
deutschen Projekt ist wichtiger als der sinnvolle, eventuell auch multilaterale Mitteleinsatz. So lässt Niebel die
Vereinten Nationen ausbluten. Klar, es muss Reformen
in der UN geben, aber der Ansatz muss doch sein, mit
mehr Mitteln daran zu arbeiten, diese Reform global
voranzutreiben.
({1})
Niemand löst die multiplen Krisen mehr alleine, aber die
FDP setzt auf die Renationalisierung der Entwicklungspolitik.
Wir Grünen haben immer gezeigt, wie das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden kann. Wir setzen auf mehr globale Verantwortung und auf eine Stärkung des globalen
Regierens. Wir setzen auch auf eine globale und dauerhafte Förderung von Zivilgesellschaft und Partizipation.
Für uns hält die Entwicklungspolitik geeignete und sinnvolle Instrumente in den Händen, in diesen Bereichen
Chancen zu ermöglichen. Darum gilt für uns Folgendes:
Erstens. Wir wollen mehr Beiträge für eine nachhaltige Friedensentwicklung.
Zweitens. Wir wollen mehr finanziell unterfütterte
Beiträge für eine Agrarwende, die mehr sein soll als die
schönen, aber leeren Worte des Ministeriums. Es gibt
zwar Bewilligungen - aber ausgezahlt wurde lange Zeit
nur die Hälfte des bewilligten Betrages.
Drittens. Wir setzen auf eine klare Orientierung hin
zu mehr sozialer Gerechtigkeit und guter Arbeit, dem
Aufbau von gerechten Steuersystemen und sozialer
Sicherung. Es ist einfach erschreckend, dass das Ministerium unter Herrn Niebel tatsächlich nur geringe Mittel
an arme Länder fließen lässt.
Viertens. Wir setzen natürlich auch auf Beiträge zur
Energiewende. Hier muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen zeigen, dass so etwas
möglich ist. Aber da sind wir mit Minister Niebel gänzlich falsch gewickelt. Sein Engagement geht leider nicht
dahin, die Bedeutung von erneuerbaren Energien für die
Welt darzustellen. Er freut sich, wenn er in der Sommerpause Schlagzeilen für populistische Sprüche gegen
E 10 erhält, einem Agrartreibstoff übrigens, den die FDP
auch deshalb mit eingeführt hat, weil sie keine sparsamen Autos in der Europäische Union haben möchte.
({2})
Ich sage: Nein danke. Dieser entwicklungspolitische
Haushalt ist ein Riesenflop.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in
unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Jürgen Klimke. Bitte schön, Kollege
Jürgen Klimke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute wie auch in den vergangenen Haushaltsdebatten ist wieder festzustellen,
dass die Opposition nichts anderes kann, als sich an
Minister Niebel persönlich abzuarbeiten. Inhaltliche
Fortentwicklungen, neue entwicklungspolitische Ansätze oder auch kritische Bemerkungen zur Ausrichtung
der Koalition im Entwicklungsbereich waren ganz selten
zu hören.
Ich kann mir das Verhalten eigentlich nur folgendermaßen erklären: Die SPD ist enttäuscht, dass es im
Ministerium keine Beamten mehr in zentralen Schlüsselpositionen gibt, die sie protegieren kann.
({0})
Lieber Kollege Raabe, ich möchte gar nicht aus Briefen zitieren, die der Personalrat an Ex-Ministerin
Wieczorek-Zeul geschrieben hat, in denen er gesagt hat,
sie verbreite eine Atmosphäre der Angst im Ministerium
und protegiere nur Mitarbeiter mit SPD-Parteibuch.
({1})
Lieber Sascha, auch heute war die Performance des
Ministers für dich das Wesentliche. Das geht so weit,
dass du es für nötig erachtet hast, ihn wegen seiner Personalpolitik vor Gericht zu verklagen. Das Ergebnis:
eine krachende Niederlage für Herrn Raabe.
({2})
Es ist richtig - der Minister ist kontrovers; er ist eine
individuelle politische Persönlichkeit. Aber ihm ist es
mit seiner Durchsetzungskraft gelungen, das Ministerium mit einem fortschrittlichen Programm weiterzuentwickeln. Das Ministerium arbeitet. Es ist endlich fähig,
die deutschen Entwicklungsorganisationen zu steuern,
politischen Willen durchzusetzen, Akteure aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft teilhaben zu lassen und vor allen Dingen die Kontrolle über die deutschen Steuergelder in der Entwicklungsarbeit auszuüben.
({3})
Das Ganze geschieht im Interesse der Menschen; denn
es handelt sich um Steuergelder.
Die schwarz-gelbe Regierung ist es doch, die neue
effiziente und kohärente Wege erschlossen hat, und zwar
in vielfältigen Bereichen: bei der Entwicklungszusammenarbeit, im Rahmen der Reform der Vorfeldorganisationen, in dem Vorhaben, das BMZ gegenüber anderen
Ministerien zu stärken, im Rahmen der konditionierten
Budgethilfe unter Spezialisierung auf Kernsektoren zur
Erreichung der Millenniumsziele, bei der Verstärkung
der Kohärenz zwischen Bundesregierung, Bundesländern und der EU, bei der Erklärung der Sinnhaftigkeit
von Entwicklungspolitik gegenüber den Bürgern und
Steuerzahlern, gerade in einer wirtschafts- und finanzpolitischen Krise.
Dies gilt im Besonderen für den entwicklungsrelevantesten Bereich, für die konsequente Wirtschaftsförderung in unseren Partnerländern. Nach unserer Philosophie ist Wirtschaftswachstum - das ist unsere Leitlinie der einzige Schlüssel zur nachhaltigen Armutsbekämpfung in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
({4})
Das unterscheidet uns von der Opposition. Deshalb streben wir im Rahmen unserer entwicklungspolitischen
Strategie die Schaffung von mehr Rechts- und Investitionssicherheit an, um eine bessere Infrastruktur aufzubauen, um Entwicklungen im Bereich Energie voranzutreiben und vor allen Dingen, um den Mittelstand in den
Entwicklungsländern zu fördern; schließlich macht der
Mittelstand auch Deutschland stark.
Dabei lautet unser vorrangiges Ziel: Das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern
ist so zu gestalten, dass es direkte Effekte bezogen auf
die Armutsminderung hat. Wir müssen verhindern, dass
die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht.
({5})
Deswegen fördern wir mit unserem Ansatz der wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Weiterleitung des international anerkannten Menschenrechtsstandards und
die Weitergabe unseres Ansatzes der sozialen Marktwirtschaft. Ich darf das Soziale betonen - Sie wissen ja, was
das bedeutet -:
({6})
Das Soziale in der Marktwirtschaft macht die deutsche
Wirtschaft konkurrenzfähig.
Wir unterstützen die deutsche mittelständische Wirtschaft bei der Umsetzung von Entwicklungsprojekten in
unseren Partnerländern, damit vor Ort regionale Märkte
und mittelständische Strukturen nachhaltiger Art entstehen. Ziel unserer EZ ist, wirtschaftliche Kompetenz zu
vermitteln, die unsere Partnerländer letztendlich zu eigener Leistung befähigt.
Die deutsche Entwicklungspolitik ist bereits nach drei
Jahren Regierung von Union und FDP insbesondere für
den Mittelstand eine Art Geländer geworden, wenn es
um die wirtschaftliche Betätigung in den Entwicklungsländern geht. Wir gewährleisten dies, indem wir die finanzielle und personelle Struktur innerhalb des Ministeriums so verstärken und weiterentwickeln, dass die
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zum Beispiel über
PPP gestärkt werden kann.
Ein wichtiger Punkt ist der Einsatz von EZ-Scouts in
den deutschen Industrie- und Handelskammern. Es freut
mich insbesondere, dass der Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in einer international ausgerichteten
Stadt wie Hamburg durch den Einsatz von EZ-Scouts
gestärkt wird, indem große Wirtschaftsverbände von
Verbindungsreferenten unterstützt werden.
Ich will den Begriff des dualen Systems im Bereich
der beruflichen Bildung ansprechen. Das duale System
spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau von wirtschaftlichen Strukturen nachhaltiger Art vor Ort. Indem
wir bei der Einführung eines dualen Systems behilflich
sind, können wir die Entwicklungsländer unterstützen.
({7})
Es gibt zuhauf positive Beispiele. Ich denke an das biologische Wasserreinigungsverfahren.
Herr Kollege Klimke, diese Beispiele werden Sie bedauerlicherweise nicht mehr vortragen können.
Okay. - Es ging um die Lederproduktion in Mexiko.
Es gibt wenig Grund zur Aufregung. Ich kann die aufgeregten Debattenbeiträge von der Opposition überhaupt
nicht verstehen. Deutschland hat unter dieser Regierung
seine Zusagen im Entwicklungsbereich eingehalten bzw.
sogar übererfüllt.
({0})
Wir behalten unsere Linie bei und arbeiten weiter, nicht
nur im nächsten Jahr, sondern auch in den nächsten fünf
Jahren.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Martin Gerster für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
ist erst einige Tage her, da haben Sie, Herr Minister
Niebel, am Rande eines Festaktes zur 50-jährigen entwicklungspolitischen Partnerschaft von Staat und Kirche
einen, wie ich finde, bemerkenswerten Satz zu Protokoll
gegeben: „Jesus war ein Liberaler.“
({0})
Wenn man sich das, wie ich finde, nicht sehr ausgeprägte soziale Profil der Liberalen aktuell anschaut und
sich bestimmte Entwicklungen in Ihrem Ressort vor Augen führt, dann muss man sagen: Es ist eine ziemlich gewagte These und eine steile Vorlage, wenn Sie sagen,
dass Jesus ein Liberaler gewesen sein soll.
({1})
Vielleicht steckt auch die Hoffnung dahinter, dass
Wunder Ihnen bis zur nächsten Bundestagswahl noch
helfen und Sie doch im Amt bleiben können.
({2})
Aber bevor Sie Religionsstifter für Ihre Parteipolitik
vereinnahmen, Herr Minister Niebel, möchte man Ihnen
zurufen: Bleiben Sie auf dem Teppich! Bitte bleiben Sie
auf dem Teppich, Herr Niebel!
({3})
Zu den aktuellen Problemen Ihrer Entwicklungspolitik haben wir aus fachpolitischer Sicht schon einiges gehört. Ich möchte jetzt aus Sicht der Haushälter noch ein
paar Anmerkungen machen. Für mich ist es ja eine Premiere, heute zum Einzelplan 23 sprechen zu dürfen. Es
ist mir deswegen ein Anliegen, unserem Kollegen
Lothar Binding zu danken, der mit großem Engagement
über Jahre diesen Einzelplan für unsere Fraktion begleitet und verfolgt hat und sich - wie ich gehört habe - dabei auch parteiübergreifend große Anerkennung verdient
hat.
({4})
Ich möchte auch den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern danken, die es mir leicht gemacht haben, den
Einstieg zu finden, ebenso wie den Mitgliedern des
Haushaltsausschusses, die mich dort gut aufgenommen
haben.
Gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte ich
heute auch der Ministeriumsspitze schon für Unterlagen
und Informationen gedankt. Aber leider verhält sich die
Ministeriumsspitze bislang noch - ich will es einmal
vorsichtig ausdrücken - recht schüchtern und zurückhaltend bei der Übermittlung von wichtigen Informationen
zum Haushalt. Ich hoffe, Herr Minister Niebel, dass das
in aller Schnelle entsprechend nachgeholt wird; denn das
ist die Basis für eine qualifizierte Beratung des Haushaltsentwurfs. Ich denke, Sie sind hier in der Bringschuld, uns jetzt endlich zeitnah die Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
({5})
Werte Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsentwürfe
haben ja eine politische Funktion. Sie verleihen letztendlich dem Willen der Regierung und vor allem auch der
Parlamentsmehrheit Ausdruck, was gemacht werden
soll, welche Schwerpunkte in der Arbeit gesetzt werden
sollen. Sie sind - so hat es der Wissenschaftler Fritz
Neumark einmal gesagt - zahlen- und ziffernmäßig der
exakte Ausdruck des politischen Handlungsprogramms
einer Regierung. Deswegen ist es absolut richtig, die
Frage zu stellen: Welche Signalwirkung geht eigentlich
von den Planungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus? Den
Entwicklungsanspruch muss man immer wieder betonen; denn ich habe zuweilen den Eindruck, dass unter
der gegenwärtigen Führung des Hauses der zweite Teil
des Namens überhaupt nicht mehr beachtet wird, dass
die damit verbundenen Ziele nicht mehr verfolgt werden.
({6})
Das kann man auch, sehr geehrter Herr Minister
Niebel, an Zahlen sehen. Wir haben es gestern von Herrn
Schäuble gehört. Wir haben es heute von Ihnen und auch
aus der Koalition wieder gehört. Niemand hat ja ausgelassen, darauf hinzuweisen, dass im Haushalt des Ministeriums ein Aufwuchs um 0,6 Prozent stattfindet. Sie haben so getan, als wäre das der große Coup, den wir jetzt
feiern könnten. Aber wenn wir genauer hinschauen, was
sich in den einzelnen Kapiteln verschoben hat, dann erkennen wir doch schon sehr spannende Entwicklungen.
Bei den „Sächlichen Verwaltungsausgaben“ gibt es
ein Plus von 60 Prozent, bei den Personalausgaben ein
Plus von 12 Prozent. Allein beim Ministerium gibt es
beim Posten „Bezüge und Nebenleistungen der planmäßigen Beamtinnen und Beamten“ einen Aufwuchs von
33,4 Millionen auf 38,4 Millionen Euro, also Mehrausgaben von 5 Millionen Euro. Noch im Jahre 2011 lag der
Ansatz bei diesem Titel bei unter 20 Millionen Euro. Wir
erleben hier in zwei Jahren fast eine Verdoppelung des
Etatpostens. Das ist es, was Ihren Haushalt an dieser
Stelle kennzeichnet. Das muss auch beim Namen genannt werden.
({7})
Eher gering hingegen ist der Zuwachs im Bereich von
Zuweisungen und Zuschüssen, mit denen öffentliche
und private Träger der Entwicklungszusammenarbeit
ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen sollen.
Bei dem Posten „Investitionen“, mit dem das BMZ eigene Vorhaben und Projekte fördert, schneiden Sie weg;
da sind es 26 Millionen Euro weniger. Auch das muss
beim Namen genannt werden.
Dahinter verbirgt sich doch eine klare Botschaft: Das
BMZ hat den eigentlichen Anspruch aufgegeben, Entwicklungspolitik gestalten zu wollen.
Herr Kollege, darf Ihnen der Kollege Koppelin eine
Zwischenfrage stellen?
Natürlich, gerne.
Herr Kollege, erst einmal herzlich willkommen demnächst im Haushaltsausschuss. Sie waren ja noch nicht
dabei. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Danke schön.
Sie haben sich vorhin beklagt, Sie hätten keine Unterlagen bekommen. Bei den Haushältern läuft es etwas anders: Sie stellen Anträge auf Unterlagen. Sie werden die
Unterlagen dann garantiert bekommen. Wir alle bekommen sie. Darf ich Sie, da Sie dies vorhin beklagt haben,
fragen, woher Sie diese Zahlen haben, wenn Sie keine
Unterlagen bekommen haben?
({0})
Diese Zahlen stehen im ersten Entwurf. Das ist eine
Bundestagsdrucksache. Ich denke, Sie wissen, dass es
darüber hinaus noch eine Berichterstattermappe gibt,
dass es noch umfängliche Detailberichte gibt, und diese
sind vielleicht Ihnen zugestellt worden, Herr Koppelin,
aber mir als Haushälter der SPD-Fraktion bisher noch
nicht.
({0})
Wir können uns gerne einmal bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen und austauschen. Herr Niebel, es wäre
schön, wenn Sie uns die Unterlagen zur Verfügung stellen würden.
Kurzum: Man kann nach der ersten Durchsicht dieser
Zahlen sagen, dass der Apparat einmal mehr wächst,
während der entwicklungspolitische Output stagniert.
Solch ein Signal - Personalaufwuchs ja, aber ansonsten
Stagnation - können wir uns angesichts der, wie ich
finde, großen und enorm wachsenden Herausforderungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit eigentlich nicht leisten. Wir müssen - davon bin ich überzeugt - verstärkt auf multilaterale Zusammenarbeit
setzen. Die Kollegin Kofler und der Kollege Raabe haben es angesprochen. In diesem Zusammenhang muss
einfach darauf hingewiesen werden, Herr Niebel: Profilierung ist nicht alles. Wenn wir den multilateralen Aspekt vernachlässigen, dann gefährden wir langfristig unsere gute strategische Position in der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit und handeln gegen unser
eigenes Interesse.
Bei der Bewertung Ihrer Politik anhand der Zahlen,
die ich bisher kenne, fällt mir auf, dass die Schere zwischen Außendarstellung und Sacharbeit unter Ihrer Führung immer weiter auseinandergeht. Deswegen bin ich
davon überzeugt, dass wir engagierte Mitglieder des
Deutschen Bundestages brauchen, natürlich auch aus
den Reihen der Koalition, aus den Reihen von SchwarzGelb, die darauf drängen, dass wir endlich große Schritte
hin zum Erreichen der ODA-Quote machen. Sie jedenfalls bleiben - das muss ich nach der ersten Durchsicht
Ihres Etatentwurfs sagen - weit davon entfernt. Wir werden in den Beratungen im Ausschuss darauf hinweisen
und entsprechende Anträge stellen. Ich freue mich auf
diese Diskussionen und auch auf die zweite Beratung
des Etatentwurfs aus Ihrem Hause hier im Plenum, Herr
Niebel.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Letzter Redner zu diesem Einzelplan ist der Kollege
Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man am Ende der Debatte die einzelnen
Beiträge Revue passieren lässt, dann hat man den Eindruck, dass einige Kollegen hier über einen ungeliebten,
wenig erfolgreichen Problembereich deutscher Politik
reden und selber dafür überhaupt keine Begeisterung
aufbringen. Das war gestern beim Besuch des neuen Präsidenten der Weltbank, Dr. Yong Kim, ganz anders. Er
hat Begeisterung für seine Arbeit in der Weltbank ausgestrahlt, vor allen Dingen aber auch für die Quantität und
die Qualität deutscher Entwicklungszusammenarbeit.
({0})
Mir persönlich ist dabei noch einmal richtig deutlich geworden, welch großes Ansehen deutsche Entwicklungszusammenarbeit weltweit hat.
({1})
Das soll auch so bleiben. Ich will in meinem Redebeitrag vier Botschaften darstellen.
Die erste Botschaft: Wir haben im Haushaltsentwurf
2013 hervorragende Zahlen für die Entwicklungszusammenarbeit. Es ist klar: Wir müssen konsolidieren, die
Schuldenbremse einhalten und insgesamt weniger ausgeben. Deshalb sinkt der Haushalt 2013 gegenüber dem
Haushalt 2012. Trotzdem geben wir mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit aus.
({2})
Im Jahre 2012 betrug unser Anteil am Haushalt 2,0 Prozent. Das Gewicht der Entwicklungszusammenarbeit
steigt. Im nächsten Haushaltsjahr werden 2,1 Prozent der
Gesamtausgaben für diesen Bereich zur Verfügung gestellt, und das - das muss man hinzufügen -, obwohl
80 Millionen Euro, die traditionell im Einzelplan 23 angesiedelt waren, in den Etat des Außenministeriums geschoben worden sind. Das geschah zwar aus guten Gründen; aber ohne diese Operation wäre das Volumen des
Einzelplans 23 sogar um 80 Millionen Euro höher.
({3})
Wenn wir, obwohl wir insgesamt sparen müssen und
wollen, für diesen Bereich mehr Geld ausgeben, dann
müssen wir das vor den Steuerzahlern bzw. den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort rechtfertigen. Das ist die
Realität. Ich finde, wir können das rechtfertigen. Wir haben einerseits eine ethische Verpflichtung. Wir haben
eine Verantwortung für den Nächsten, die nicht an den
Grenzen Deutschlands endet. Darüber hinaus haben wir
auch ein vitales Eigeninteresse. Denn all die Maßnahmen, die wir in diesem Bereich ergreifen, sind Beiträge
zu Frieden und Sicherheit, von denen auch Deutschland
profitiert. Deswegen ist es richtig, dass Deutschland sehr
viel Geld für die internationale Entwicklungszusammenarbeit ausgibt.
Eben wurde der Hinweis, Deutschland sei der zweitgrößte Geber, kritisiert. Dadurch soll doch der Beitrag
Schwedens als wesentlich kleinere Volkswirtschaft
keinesfalls geschmälert werden. Aber es ist schon bemerkenswert, dass wir an Frankreich und Großbritannien vorbeigezogen sind. Ich will Ihnen nur eine Zahl
nennen: Unser ODA-Beitrag, unser Beitrag zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit, betrug im
letzten Jahr insgesamt 14,5 Milliarden Euro. Weltweit
sind 133 Milliarden Euro gezahlt worden. Das heißt,
etwa 11 Prozent der weltweit erbrachten Entwicklungshilfe ist im letzten Jahr aus Deutschland gekommen.
Dieser Beitrag ist deutlich größer als der, den wir gemessen an der Größe unserer Volkswirtschaft leisten müssten.
({4})
Meine zweite Botschaft: Deutsche Entwicklungszusammenarbeit genießt auch inhaltlich eine ausgesprochen große Anerkennung. Dr. Jim Yong Kim hat die GIZ
und die KfW in seinem gestrigen Vortrag in den allerhöchsten Tönen gelobt. Er schätzt die Zusammenarbeit
zwischen unseren Durchführungsorganisationen und der
Weltbank. Andere Länder verhandeln sogar, ob sie sich
in Projekte, die unsere Durchführungsorganisationen
verwirklichen, einklinken können. Die Fusion von GTZ,
InWEnt und DED zur GIZ zahlt sich aus. Das ist ein Erfolg unserer Entwicklungszusammenarbeit.
({5})
Wenn man mit afrikanischen Botschaftern redet - ich
habe viele Gelegenheiten dazu -, stellt man fest: Das
wird im Allgemeinen gelobt.
Über die staatliche Entwicklungszusammenarbeit hinaus fördern wir mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt
übrigens auch die Vielfalt, sowohl seitens der Stiftungen
als auch seitens der Kirchen; auch das ist gut.
Dritte Botschaft: Wir wollen noch besser werden.
Deswegen geben wir für eine bessere Evaluierung Geld
aus. Wir müssen dafür sorgen, dass in den Entwicklungsländern mehr Investitionen, auch private Investitionen,
getätigt werden. Es muss darum gehen, dass in diesen
Ländern mehr Firmen gegründet werden, die Geld verdienen und dann auch Steuern zahlen. Nur so kann es zu
einer sich selbst tragenden Entwicklung kommen.
Dauerhaft am Tropf anderer Länder zu hängen und von
anderen Ländern abhängig zu sein, ist nicht das, was wir
unter Ownership und selbsttragender Entwicklung verstehen. Insofern: Sicherlich werden wir die Mittel kontinuierlich steigern, auch wenn Geld allein offensichtlich
vielfach überbewertet wird.
Ich glaube, die ODA-Diskussion ist an vielen Stellen
eine reine Symboldiskussion, zumal wir doch wissen:
Wenn Deutschland über die KfW Kredite an Schwellenländer vergibt, die mit Marktmitteln gehebelt sind - andere Länder bekommen derartige Kredite nicht -, dann
steigert dies die ODA-Quote, auf die alle so fixiert sind
und auf die alle starren, erheblich. Das hilft den wirklich
armen Ländern aber überhaupt nicht.
({6})
Ein bisschen Abrüstung, was die ODA-Diskussion angeht, wäre, glaube ich, gut.
Wir müssen erkennen, dass wir die Politik weniger
anhand ihrer Absichten als vielmehr anhand ihrer Ergebnisse bewerten müssen. Insofern hat der Weltbankchef
recht, wenn er sagt, dass wir nicht nur schöne Theorien
brauchen, sondern viel mehr als bisher auch darauf achten sollten, dass es so etwas wie „delivery on the
ground“, wie er es genannt hat, gibt. Ich übersetze es
einmal so: Die Menschen in den Entwicklungsländern
müssen Verbesserungen erleben.
Ich will viertens abschließend sagen: Um dauerhaft
verlässlich helfen zu können, müssen wir die Stabilität
Deutschlands erhalten. Auch das gehört in eine Haushaltsdebatte. Wir müssen unseren Haushalt insgesamt
konsolidieren. Wir müssen Defizite insgesamt abbauen.
Wir müssen - dafür hat Karlsruhe den Weg jetzt freigemacht - die bisher gelungene Gratwanderung, auf der einen Seite über Rettungsschirme kurzfristig einen Crash
zu vermeiden und auf der anderen Seite durch Reformen
in Europa langfristig Stabilität zu erreichen, fortsetzen.
Ich freue mich, dass wir direkt beim nächsten Tagesordnungspunkt genau darüber intensiv reden können.
Herzlichen Dank.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Für die Aussprache haben wir gestern insgesamt dreieinhalb Stunden vereinbart. Ich erteile das Wort zunächst
dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht nur wir, sondern ganz Europa wird heute Morgen
nach Karlsruhe geschaut haben. Die Entscheidung ist,
vermute ich, in ihrer Bedeutung für die Zukunft Europas
überhaupt nicht zu unterschätzen. Wir ahnen wahrscheinlich alle miteinander, welche Last auf dem Gericht
und den Richtern in den letzten Tagen gelegen hat.
Ich will es einmal so sagen: Politisch können und
müssen wir über den richtigen Weg aus der europäischen
Krise streiten. Aber wir müssen es auf verfassungsrechtlich gesichertem Grund tun. Diese Klarheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir seit heute wieder, und
das ist gut an der Entscheidung.
({0})
Ich bin froh über diese Entscheidung, weil sie erstens
den Weg für den Start des ESM freimacht, weil sie zweitens die Parlamentshoheit über den Haushalt bestätigt,
weil es dadurch drittens keine Entscheidung im Rahmen
des ESM geben darf, die die Haftung Deutschlands verändert, und weil dadurch viertens - wir haben in den
Verhandlungen über Fiskalpakt und ESM darum gekämpft - das Informationsrecht des Bundestages, so das
Bundesverfassungsgericht in meinen Worten, Vorrang
haben muss vor den Vertraulichkeitsgrundsätzen der
ESM-Gremien. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt.
({1})
Europäische Integration kann es nur mit demokratischer Kontrolle und Beteiligung geben. Das ist die Kernbotschaft, die wir heute aus Karlsruhe vom Bundesverfassungsgericht erhalten haben. Das ist die gute
Botschaft aus Karlsruhe. Die Botschaften, die wir gestern von der Bundesregierung gehört haben, sind hingegen nicht gut.
Auch ich weiß seit einigen Jahren, dass Generaldebatten über den Haushalt oft vieles sind, nur nicht Debatten
über den Haushalt. Natürlich wird auch heute Bilanz
gezogen nach drei Jahren erfolglosen Bemühens einer
Koalition, zu einer Regierung zu werden.
({2})
Der Haushalt, den diese Regierung vorlegt, ist ein
Dokument, das schon vieles vorwegnimmt. Man stelle
sich das einmal vor: Ein Finanzminister im Glück - drei
Jahre gute Konjunktur, ein Füllhorn, durch steigende
Steuereinnahmen immer wieder aufgefüllt, zusätzlich
10 Milliarden Euro durch den historisch niedrigen Zins
als Zusatzgewinn -, und was machen Sie damit? Was ist
Ihr ehrgeiziges Ziel? Sie hätten die erste Regierung seit
Jahrzehnten sein können, die die Neuverschuldung auf
null bringt. Stattdessen verdaddeln Sie die Chance zwischen unseriöser Steuersenkungspolitik und Klientelbefriedigung,
({3})
zwischen Mövenpick und Betreuungsprämie. Das ist genau das, was ich seit drei Jahren bei dieser Regierung
feststelle: Sie, Union und FDP, wollten gemeinsam regieren. Aber Sie hatten nie ein gemeinsames Projekt, nie
ein gemeinsames Ziel. Sie wollten die Regierung, aber
Sie konnten damit nichts anfangen. Das ist „Politik ohne
Morgen“, so hat Franz Müntefering vor kurzem geschrieben. Dafür war Ihre Rede gestern, Herr Schäuble,
ein erschütternder Beweis.
({4})
Auf eines - auch das muss gesagt werden - ist in dieser Koalition immer Verlass: Jeden Sommer versinkt sie
regelmäßig in Streit und Chaos. Da kämpft jeder gegen
jeden. Verlässlich war bisher auch immer: Anfang September kündigt dann die Bundeskanzlerin den Neustart
an. Dann geht alles wie nach dem alten Motto von
Wiktor Tschernomyrdin: Wir wollten alles besser machen, aber am Ende kam es wie immer.
({5})
Ich rechne jetzt nicht drei Jahre auf, sage aber einfach
nur mit Blick auf diesen einzigen Sommer: nicht nur
Streit über Griechenland, nicht nur Streit über Europa,
sondern auch Streit über die Energiewende und die
Kosten, Streit über die Zuschussrente, Streit über das
Betreuungsgeld, Streit über die gleichgeschlechtliche
Ehe und steuerrechtliche Diskriminierung, Streit - selbst
darüber - über die Verfolgung von Steuersündern; und
neben alledem spielt der Innenminister mit den Sicherheitsbehörden „Reise nach Jerusalem“. Das ist der
Sommer dieser Regierung.
({6})
Da ist keine Linie, da ist keine Führung, da ist keine
Entscheidung. Im Kabinett ist jeder gegen jeden. Kaum
kommt aus dieser Regierung einmal ein Vorschlag ans
Tageslicht, ist entweder die CSU dagegen oder die FDP
oder beide, und die CDU ist gespalten. Nichts geht mehr
in dieser Regierung. Das ist die bittere Wahrheit über
diese Koalition, und die muss heute zur Sprache kommen.
({7})
Mein Eindruck ist: Diese Regierung wirkt ein bisschen wie ein schwer angeschlagener Boxer, der in der
nächsten Runde dem Ende entgegentaumelt. Ich sage
nur: Deutschland braucht mehr. Deutschland braucht etwas anderes als ein weiteres Jahr diese schwarz-gelbe
Agonie, die wir jetzt gesehen haben. Das geht so nicht
weiter.
({8})
Nun ahne ich, Herr Kauder: Wenn das nur der Vorsitzende der Oppositionspartei sagt, dann lässt Sie das im
Zweifel kalt. Aber ich ahne auch: Sie alle miteinander
wissen sehr genau, das ist bittere Wahrheit. Wir haben
keine Zeit für diesen Dauerstreit innerhalb der Koalition.
Die Uhr tickt. Mit dieser Regierung läuft uns die Zeit
davon.
({9})
Noch geht es uns gut; Gott sei Dank. Noch sind die Sozialkassen gut gefüllt. Noch sprudeln die Steuereinnahmen. Aber wenn ich die Vorzeichen richtig deute, dann
ist doch eines ganz gewiss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die fetten Jahre, die wir hatten, sind ganz eindeutig
vorbei.
Dass es uns noch vergleichsweise gut geht - Gott sei
Dank; ich freue mich darüber -,
({10})
ist im Übrigen überhaupt nichts, worauf diese Koalition
in irgendeiner Weise stolz sein könnte.
({11})
Dass es uns heute besser geht als anderen, ist das Ergebnis von Entscheidungen aus der Vergangenheit. Sie
ernten auf Feldern, auf denen Sie nie gesät und nie gepflanzt haben. Das ist die Wahrheit.
({12})
Ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht: Es waren in
diesem Land eben Sozialdemokraten und Grüne, die die
Weichen neu gestellt haben:
({13})
mit viel Streit mit Ihnen, mit viel Streit in den eigenen
Reihen. Aber es waren Sozialdemokraten und Grüne, die
das Fundament für den Erfolg von heute gelegt haben,
niemand anders.
({14})
Wir sind damals darangegangen und haben einen Vorrat angelegt.
({15})
- Sie wissen ja, dass ich recht habe. Deshalb schreien
Sie doch so.
({16})
Wir haben damals den Vorrat angelegt, der uns einen
Vorsprung vor anderen verschafft hat.
({17})
Aber dieser Vorrat - das wissen Sie auch, Herr Fricke bleibt nicht ewig, weil Sie die Vorräte, die wir hatten,
nicht ergänzen, sondern sie verfrühstücken.
({18})
Wenn man nicht endlich etwas für die Zukunft tut, dann
ist der Vorsprung, den wir hatten, bald aufgebraucht.
Eine Lehre aus den schwierigen zehn Jahren, die wir
hinter uns haben, sollten Sie mitnehmen: Hätten wir uns
damals, vor zehn Jahren, so in die Furche gelegt wie Sie
jetzt, dann wäre Deutschland das geblieben, was wir
nach den 90er-Jahren waren: das Schlusslicht in der
europäischen Wachstumstabelle oder, wie die Zeitungen
geschrieben haben, der „kranke Mann Europas“.
Wir haben damals dafür gesorgt, dass dieses Land
wieder auf Wachstumskurs geht. Das war Mut zur Verantwortung. Sie machen das genaue Gegenteil. Ihr einziges Ziel ist Machterhalt, und das ist zu wenig.
({19})
Meine Frage an diese Regierung und an die Bundeskanzlerin ist deshalb: Was tun Sie, damit unser Land
auch in zehn Jahren noch Arbeit und Wohlstand hat?
Was tun Sie gegen den drohenden Fachkräftemangel,
gegen die Zunahme von prekärer Beschäftigung, gegen
die Ungleichbehandlung von Mann und Frau im Beruf,
gegen die ungelösten Probleme bei der Integration? Was
tun Sie gegen die wachsende Undurchlässigkeit unseres
Bildungssystems? Und: Was tun Sie angesichts des
Desasters, in das Sie sich selbst mit Ihrer kopflosen
Energiepolitik geführt haben?
Wenn es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass
Deutschland auch in zehn Jahren noch ein attraktiver
Industriestandort mit bezahlbaren Energiepreisen ist,
dann können wir uns die ganzen gegenwärtigen Rentendebatten sparen. Ohne funktionierende Unternehmen
wird auch der Sozialstaat ausbluten. Dann wird es keine
Beschäftigung geben, jedenfalls nicht für 41 Millionen
Menschen wie gegenwärtig.
({20})
Unser Land hat ein Zukunftsproblem; das habe ich
eben kurz skizziert. Aber es hat auch ein Gerechtigkeitsproblem, und ich behaupte: Das eine hat mit dem anderen zu tun. Frau von der Leyen hat mit großem Eifer in
den letzten Wochen das Problem der Altersarmut entdeckt. Inzwischen hat die Regierung gegen Frau von der
Leyen beschlossen, dass es doch keine Altersarmut gibt
und damit auch keinen Handlungsbedarf. Weil nicht sein
kann, was nicht sein darf, versuchen Sie, eine Debatte,
die Sie zunächst begonnen haben, jetzt wieder möglichst
schnell zu beerdigen, weil sie Ihnen schlicht unwillkommen ist.
Aber ich sage Ihnen voraus: Es gibt eine Wahrheit, an
der sich auch eine Koalition von Union und FDP nicht
vorbeidrücken kann. Wir müssen in dem Bereich der
drohenden Altersarmut etwas tun. Nur, Frau von der
Leyen, wie Sie es anfangen, geht es am Ende auch nicht.
Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Armut im Alter
folgt der Armut im Erwerbsleben. Die Ursache von
Altersarmut ist Erwerbsarmut.
({21})
Deshalb ist das beste Rezept gegen Altersarmut: gute
Löhne, entschiedener Kampf gegen Missbrauch von
Zeit- und Leiharbeit und - auch wenn Sie es nicht mehr
hören können; ich sage es trotzdem noch einmal - ein
bundesweit verbindlicher gesetzlicher Mindestlohn. Das
brauchen wir.
({22})
Über all das muss man reden - über einen wirklichen
Zukunftsentwurf, wenn Sie so wollen, der Arbeitsmarkt
und Demografie endlich zusammenbringt -, aber eben
nicht über ein allzu dürftiges Zuschussrentenkonzept,
das noch nicht einmal in der eigenen Partei, geschweige
denn in der Koalition auf Zustimmung stößt. Damit können Sie keine Angebote machen, über die man ernsthaft
reden kann, meine Damen und Herren.
({23})
Aber, Herr Schäuble, nachdem ich Ihnen gestern
zugehört habe, ist es auch gar nicht nötig, darüber zu
reden. Sie haben gesagt, der Gegensatz zwischen Arm
und Reich in Deutschland, der da herbeigeredet werde,
sei - ich zitiere Sie wörtlich - „ein Hirngespinst“. Das
haben Sie geruht uns mitzuteilen. Wenn das Ihre Haltung
ist, dann brauchen wir in der Tat auch keine Vorsorge
gegen Armut im Alter. Dann brauchen wir in diesem
Land keinen Kinderzuschuss für Alleinerziehende. Dann
brauchen wir auch keinen Mindestlohn. Ich sage Ihnen
nur: Wer so denkt, der versteht auch nicht, warum die
normalen Leute in unserem Land es satt haben, immer
wieder zur Kasse gebeten zu werden für die Folgen von
manchen Maßlosigkeiten und Verantwortungslosigkeiten bei den wirtschaftlichen Eliten dieses Landes.
({24})
Sie werden nicht verstehen, warum die Menschen einfach nicht mehr kapieren und akzeptieren, dass, wenn
wir über die Systemrelevanz von Banken reden, immer
Opfer des Steuerzahlers gemeint sind, die anschließend
eingefordert werden. Da gibt es entgegen Ihrer gestrigen
Aussage, Herr Schäuble, ganz viel Ungerechtigkeit in
unserem Land. Das ist kein Hirngespinst. Ich sage, es ist
im Gegenteil so: Soziale Balance ist systemrelevant für
Demokratie. Wir werden das eine nicht ohne das andere
haben. Das ist die Lehre, die wir aus der Krise auf den
Finanzmärkten ziehen sollten.
({25})
Nicht nur diesen Zusammenhang haben Sie gestern
geleugnet. Der Haushalt, den Sie diese Woche präsentieren, ist eigentlich ein Dokument von Mutlosigkeit und
auch von Kurzsichtigkeit. Sie stellen sich einfach hin
und sagen den Leuten überall in Europa: Nehmt euch ein
Beispiel an uns! Wir sind ein Muster an Haushaltsdisziplin. - Nur, die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Sie
predigen Wasser und trinken Wein. Sie setzen die Neuverschuldung jetzt mit 18,8 Milliarden Euro an. Das ist
sogar noch mehr - daran führt kein Weg vorbei - als die
17,3 Milliarden Euro im Jahr 2011. Wir haben Ihnen
gestern ja zugehört. Aber Sie können noch so kreativ mit
Vergleichszahlen umgehen und hier herumdozieren, es
bleibt dabei: Trotz jährlich steigender Steuereinnahmen
in den letzten drei Jahren steigt Ihre Neuverschuldung.
Ich möchte einmal wissen, wem Sie das in Europa als
Beweis für Haushaltsdisziplin durchgehen lassen würden - vermutlich niemandem.
({26})
Auch wenn Sie es gestern von hier aus noch einmal
bestritten haben, Herr Barthle: Nicht nur die SPD und
die anderen Oppositionsfraktionen haben den Verdacht,
dass Sie sich mit all dem eine Sparbüchse - allerdings
eine milliardenschwere Sparbüchse - angelegt haben,
um dann im nächsten Jahr, im Wahljahr, dem einen oder
anderen schwächelnden Minister noch ein bisschen unter
die Arme greifen zu können. Das ist doch der Grund,
weshalb nicht nur die Bundesbank, sondern auch der
Bund der Steuerzahler Ihnen sagt: Dieser Haushalt zeugt
von mangelndem Ehrgeiz. - Und das ist der Grund, weshalb wir sagen: Dieser Haushalt stellt vielleicht die Vorbereitung auf ein Wahljahr dar, nicht aber die Vorbereitung auf ein Haushaltsjahr; denn das Haushaltsjahr
hätten Sie angesichts der enormen Steuereinnahmen
ganz anders, viel besser, viel ehrgeiziger angehen können, als Sie es tun.
({27})
Die größte Gefahr ist allerdings nach wie vor die
europäische Krise, zu deren Lösung Sie in den letzten
drei Jahren nichts Entscheidendes haben beitragen können, noch nicht einmal zu deren Eindämmung. Im
Gegenteil: Drei Jahre werkeln Sie herum. Die Krise
eskaliert von Jahr zu Jahr. In diesen drei Jahren ist die
Krise - an den Zahlen kann niemand vorbei - vor allen
Dingen in südeuropäischen Staaten größer geworden. In
diesen drei Jahren ist auch das Risiko für Deutschland
gestiegen. Ich weiß nicht, ob Sie das über den Sommer
hinweg verfolgt haben: Das sind schon dramatische
Wachstumseinbrüche, die wir in einigen südeuropäischen Staaten haben, vor allen Dingen in einem Land,
das hier relativ selten zur Sprache kommt, nämlich in
Spanien. Deshalb darf man sich mit Blick auf die
gesamte Währungszone nicht wundern, dass es innerhalb der Euro-Zone alles in allem einen Auftragsrückgang von 15 Prozent gibt. Ich spreche nicht von Griechenland. Ich spreche von der gesamten Währungszone.
Sie haben auch gesehen, dass das mittlerweile in einzelnen Branchen bei uns ankommt. Kurzarbeit bei Ford in
Köln ist nicht das einzige Signal.
Ich bin nicht hier, um schlechte Laune zu machen,
({28})
sondern das sind schlicht und einfach die Zahlen, mit
denen wir uns auseinandersetzen müssen. Wenn Sie einmal einen Blick auf diese Zahlen werfen - das sollten
Sie nach der Haushaltsdebatte ernsthaft tun -, dann wissen Sie auch: Bei diesem europäischen Krisenszenario,
über das wir hier jetzt zum wiederholten Male sprechen,
ist Matthäi am Letzten. Jetzt mit dem Finger auf andere
zu zeigen, wie sich das in den vergangenen Monaten und
Jahren immer bewährt hat, hilft nicht mehr, weil jeder
sieht: Der Werkzeugkasten, auch der Werkzeugkasten
dieser Regierung, ist leer.
Jetzt landen Sie genau da, wo ich es Ihnen in meiner
vorletzten Rede hier im Deutschen Bundestag vorausgesagt habe. Ich habe gesagt: „Sie werden am Ende beim
Anleihekauf der EZB landen“ - und das jetzt unbegrenzt. Das ist die grandiose Leistung, für die Sie sich,
Herr Schäuble, gestern hier mit Selbstlob überschüttet
haben.
({29})
Ich bin - da können Sie sicher sein - nicht mit den
Klagezielen des Kollegen Gauweiler einverstanden.
Aber in einem hat er recht: Es waren am Ende auch Sie,
diese Bundesregierung, Frau Merkel, die die EZB nach
und nach in diese Richtung geschoben haben. Nur, jetzt,
am Ende dieser Entwicklung, können Sie sich doch nicht
hinstellen und rufen: Haltet den Dieb. - Das geht nicht.
({30})
Es hat einige Jahre ganz gut funktioniert, sich hier
und in der deutschen Öffentlichkeit immer als der deutsche und europäische Sparfuchs hinzustellen. Als Griechenland ein 40-Milliarden-Euro-Problem war, haben
Sie posaunt: Keinen Cent für Griechenland! - Dann
haben Sie den ersten Rettungsschirm aufgespannt, dann
den zweiten und dann immer neue, immer zu spät,
immer zu klein. Sie haben rote Linien gezogen, um
anschließend, nach dem Überschreiten der roten Linien,
das Gegenteil von dem zu machen, was am Tag vorher
noch in Stein gemeißelt war. Was Sie gemacht haben,
war - vermutlich wird sich das zeigen, wenn wir in einigen Jahren zurück auf diese Jahre schauen - die teuerste
Variante der Antikrisenpolitik.
({31})
Jetzt, da Rettungsschirme in Milliardenhöhe gefüllt,
verteilt, wieder aufgefüllt und wieder verteilt worden
sind, kommt oben drauf, was vor einem Jahr für Sie alle
noch der Gottseibeiuns war. Mit Verlaub, Frau Merkel,
das war aus unserer Sicht immer ein wenig scheinheilig.
({32})
Was einen ärgert - auch das sage ich Ihnen ganz offen -:
Sie haben sich oft auch von diesem Podium aus den
Mund über Alternativen zu Ihrer Politik zerrissen, die
auch von anderen ja durchaus vorgestellt worden sind.
Sie haben sich über Ideen empört, selbst wenn sie aus
Ihrem eigenen Sachverständigenrat, dem Rat der Weisen, kamen, etwa die Idee des europäischen Schuldentilgungsfonds. Sie haben sich nicht nur darüber empört,
sondern Sie haben das geradezu als Verrat an deutschen
Interessen dargestellt. Jetzt, nach dem Scheitern der ganzen Rettungsschirmpolitik, irrt dieser Teil des Plenums
samt der Regierung einigermaßen plan- und ziellos
herum. Jetzt auf einmal, am letzten Wochenende - ich
traue meinen Augen nicht -, wird umstandslos gutgeheißen, was vor zwölf Monaten noch der Untergang des
Abendlandes war.
({33})
Das können Sie doch der deutschen Öffentlichkeit nicht
vorführen. So kann man doch Glaubwürdigkeit in der
Politik nicht erlangen.
({34})
Damit ich nicht missverstanden werde: Der EZB ist
dabei überhaupt nichts vorzuwerfen. Sie tut das, was
jetzt noch zu tun ist, als die einzig noch verbliebene
handlungsfähige europäische Institution. Sie muss das
jetzt tun, weil kein anderer mehr in Europa verhindert,
dass die Währungsunion den Bach runtergeht. Aber dass
sie das so tut, wie es am Freitag beschlossen wurde,
zukünftig ohne jede Begrenzung nach oben und ohne
jede demokratische Kontrolle, liegt in der Verantwortung auch dieser deutschen Regierung, und das werden
wir der Öffentlichkeit sagen.
({35})
Ich habe es ja geahnt - Herr Schäuble, Sie haben es
gestern auch hier vom Podium gesagt -: Sie haben erklärt,
es werde deshalb alles ganz anders, weil ja sichergestellt
sei, dass die Länder, denen durch die Anleihekäufe der
EZB Hilfe gewährt werde, erst einmal Programmland
werden müssten. Im Übrigen könne ja nichts passieren,
weil die EZB selbst auf den sogenannten Primärmärkten
überhaupt nicht tätig werden dürfe. Ich habe es geahnt,
dass diese Versicherung von heute an die deutsche Öffentlichkeit und auch hier an das Parlament geht.
Nur, es gibt ja schon Papiere Ihrer Regierung, die beschreiben, wie das in Zukunft anders aussehen könnte:
dass die EZB spanische Anleihen auf dem Sekundärmarkt kauft, der ESM Anleihen auf dem Primärmarkt,
der ESM dann die gekauften Anleihen an Drittbanken
weiterverkauft und die EZB dieser Drittbank die Anleihen wieder abkauft. Im Ergebnis jedenfalls landen alle
diese Anleihen bei der EZB, deren Anleihenportfolio auf
diese Weise mit schlechten Anleihen immer mehr
wächst. Das ist das Ergebnis der Entscheidung, die am
Freitag getroffen worden ist, auch wenn das Handeln der
EZB in dieser Situation notwendig ist.
({36})
Ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht - wenn Sie
es heute bestreiten, dann werden wir uns in sechs Monaten hier wieder darüber unterhalten -: Das ist nichts anderes als so etwas Ähnliches wie eine Banklizenz durch
die Hintertür. Das ist natürlich unvermeidbar auch Vergemeinschaftung von Schulden, allerdings - das ist der
Unterschied zu uns - ohne demokratische Kontrolle,
ohne klare, nachvollziehbare Regeln und Auflagen, oder
ganz kurz: Das, was Sie der deutschen Bevölkerung in
den letzten Jahren immer als Ziel Ihrer Politik vor Augen
geführt haben, wird jedenfalls durch die Entscheidungen, die Sie jetzt neuerdings begrüßen, ins Gegenteil
verkehrt. Das müssen wir der Öffentlichkeit sagen.
({37})
Herr Schäuble, bei alledem, worüber wir reden: Was
ist eigentlich mit der Besteuerung der Finanzmärkte?
({38})
Was die EZB jetzt zur Währungsstabilisierung in Europa tut und tun muss - ich sage es noch einmal -, das
ist, ob man es beabsichtigt oder nicht - das muss gar
nicht das Hauptziel sein -, ganz nebenbei, natürlich auch
ein Bankensanierungsprogramm, weil auf diese Weise
die Banken die Möglichkeit haben, schlechte Papiere,
zum Beispiel über den eben beschriebenen Weg, bei der
EZB zu deponieren. Deshalb ist es auch kein Wunder,
dass die Märkte im Augenblick so reagieren. Die Bankenaktien schießen natürlich im Augenblick mit dieser
Erwartung durch die Decke. Ich sage noch einmal: Das
kann man vielleicht gar nicht vermeiden, dass sich die
Banken auf diese Weise mit sanieren. Die Frage ist nur:
Wo bleibt denn Ihre Forderung, dass der Bankensektor
spätestens jetzt auch ernsthaft besteuert wird? Ich habe
den ganzen Sommer über dazu von Ihnen nichts gesehen
und gehört.
({39})
Es gab keinen Druck, der irgendwie sichtbar geworden
wäre, keine Forderungen an die europäischen Partner,
von denen ich gehört hätte.
Deshalb frage ich noch einmal mit Blick auf Ihre
gestrige Rede, in der Sie sich ja für die Konditionalität
so gelobt haben: Wo ist denn diese Konditionalität, wenn
es einmal nicht um Sparprogramme bei der Sozialpolitik
geht, sondern wenn es um die Beteiligung der Finanzmärkte an der Bewältigung der Kosten der Krise geht?
Dazu haben wir hier etwas vermisst.
({40})
Ich verstehe es nicht. Ich verstehe dieses dröhnende
Schweigen nicht, weil wir uns gemeinsam nach schwierigen Verhandlungen darauf verständigt haben, dass dies
Ziel unserer gemeinsamen Politik ist. Was ich mich
frage: Wann, wenn nicht in einer solchen Situation,
wann, wenn nicht an einer solchen Schwelle, an der wir
sozusagen die Methode der Auswege aus der europäischen Krise völlig umstellen, wann, wenn nicht jetzt, da
die Europäische Zentralbank mit Ihrer Billigung neue
Aufgaben erhält, wann, wenn nicht jetzt, gäbe es die
Chance, die Skeptiker innerhalb der Währungsunion davon zu überzeugen, den Weg in die Finanzmarktbesteuerung mitzugehen? Jetzt wäre der Weg gegeben, und jetzt
wäre Konditionalität gefragt.
({41})
Ich habe jedenfalls nicht gehört, dass irgendwelche
Initiativen in diese Richtung unternommen worden sind.
Das ist in meinen Augen auch in diesem Bereich ohne
jeden Ehrgeiz. Es ist bei der Finanzmarktbesteuerung
wie bei den anderen politischen Feldern, über die ich gesprochen habe: Es ist die Haltung dieser Regierung,
möglichst die Ziele nicht ehrgeizig zu setzen, sondern irgendwie darauf zu vertrauen, dass man schon durchkommt. Ich sage am Ende nur: Das ist zu wenig für
Deutschland. Das ist zu wenig für Europa. So kommen
wir eben gerade nicht durch.
Herzlichen Dank.
({42})
Das Wort hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela
Merkel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Deutschland sendet heute
einmal mehr ein starkes Signal nach Europa und darüber
hinaus.
({0})
Deutschland nimmt seine Verantwortung als größte
Volkswirtschaft und verlässlicher Partner in Europa entschlossen wahr - wie sehr, das haben nicht nur die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in allen Entscheidungen der letzten Monate mit zum
Teil überwältigender Mehrheit, auch in diesem Hause,
deutlich gemacht - dafür möchte ich mich auch ausdrücklich bedanken -, sondern das hat heute auch unser
oberstes Gericht, das Bundesverfassungsgericht, der Hüter unserer Verfassung, mit seiner Entscheidung deutlich
gemacht, indem es den Weg für den ESM und den Fiskalvertrag frei gemacht hat.
({1})
Das Gericht macht den Weg genau in dem Geiste frei,
der uns und mich auch ganz persönlich immer geleitet
hat, und das ist das Zusammenwirken aller Institutionen,
insbesondere auch mit dem Deutschen Bundestag. Die
Bekräftigung der Rechte des Parlaments
({2})
gibt allen, diesem Haus, aber auch den Steuerzahlern,
den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande, Sicherheit, und diese Sicherheit ist wichtig für den Kurs, den
wir einzuschlagen haben. Deshalb sage ich: Das ist ein
guter Tag für Deutschland, und es ist ein guter Tag für
Europa, meine Damen und Herren.
({3})
Wir können das in dem Bewusstsein heute hier debattieren: Deutschland ist Stabilitätsanker, und Deutschland
ist Wachstumsmotor.
(Zuruf von der SPD: Wie geht denn das zusammen, „Anker“ und „Motor“?
Deutschland geht es gut, obwohl wir natürlich auch nicht
abgekoppelt von den anderen Ländern in Europa leben
können. Deutschland hat in all den Krisenjahren seit
2008 gezeigt, was in unserem Land steckt. Deutschland
hat, nachdem die Wirtschaft im Jahr 2009 um 5 Prozent
eingebrochen war, das damalige Wirtschaftsniveau wieder erreicht. Wir hatten letztes Jahr 3 Prozent Wachstum,
und wir sind auch robust in dieses Jahr gestartet. Die Arbeitslosigkeit liegt unter 3 Millionen. Es ist im Augenblick die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung.
({4})
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zurückgegangen.
Die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren
hat sich seit 2005 mehr als halbiert. Die Jugendarbeitslosigkeit gehört zu den geringsten Jugendarbeitslosigkeiten in Europa. Das zeigt: Gerade junge Menschen haben
in Deutschland eine Chance.
({5})
Wir haben immer wieder gesagt: Wir wollen stärker
aus der Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind. Genau das ist uns gelungen. Das ist vor allen Dingen der
Erfolg der Menschen in diesem Lande, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Unternehmer. Aber es
ist auch der Erfolg der christlich-liberalen Koalition.
({6})
Unsere Politik folgt dabei drei Prinzipien: solide Finanzen, Solidarität mit den Schwachen
({7})
und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, um die Zukunft
zu sichern.
({8})
Das gilt sowohl - da sprechen wir immer mit der gleichen Stimme - für unser Vorgehen in Europa als auch
für unsere Politik hier bei uns zu Hause,
({9})
und zwar ist das gespeist aus der festen Überzeugung,
dass es Deutschland auf Dauer nur gut geht, wenn es
auch Europa gut geht.
Deshalb sagen wir: Wir haben eine schwere Krise,
eine Krise, die mit Staatsschulden zu tun hat, eine Krise,
die mit unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit zu tun
hat.
({10})
Wir haben diese Krise noch nicht überwunden. Wir werden sie auch niemals mit einem Paukenschlag überwinden. Aber ich sage auch: Wir haben erste Fortschritte bei
der Krisenbewältigung erreicht.
({11})
Wir haben Solidaritätsmechanismen - das sind der ESM
und die EFSF - und auch Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit. Das heißt, wir haben auf der einen Seite
Solidarität und auf der anderen Seite die Verbesserung
der Wettbewerbsfähigkeit immer zusammen gesehen.
Die Schwierigkeiten, die wir zurzeit haben, sind ganz
wesentlich in den einzelnen Mitgliedsländern, insbesondere der Euro-Zone, entstanden. Deshalb müssen die
Probleme, auch wenn es hart ist, auch wenn es den Menschen in diesen Ländern viel abverlangt und auch wenn
schon sehr viel dabei erreicht wurde, ganz vorrangig in
den einzelnen Ländern gelöst werden.
({12})
Herr Steinmeier, Sie haben es so hingeworfen, Griechenland sei ein 40-Milliarden-Problem. Ich weiß nicht,
ob Sie das ernsthaft glauben.
({13})
- Ja, ja, damals. - Schauen Sie sich bitte einmal die
strukturellen Probleme Griechenlands an! Ich glaube,
verantwortliche Politiker in Griechenland, die es gut mit
Griechenland meinen und die die Probleme sehen - vom
Katasteramt bis zum Eintreiben von Steuern und vielem
anderen mehr -, würden einen solchen Satz nicht sagen,
dass Griechenland ein 40-Milliarden-Problem ist.
({14})
Deshalb sage ich, dass die Dinge an der Wurzel angegangen werden müssen. Neben der Frage der Überwindung der Schuldenkrise zeigt sich immer mehr - das
macht die Schwierigkeit aus -, dass wir gleichzeitig eine
unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit in Europa haben.
Das ist das eigentliche Problem. Da stellt sich die Frage:
Wohin wollen wir denn mit unserem europäischen Kontinent? Wollen wir vorne mit dabei sein, oder wollen wir
uns durch eine schnelle Haftungsunion in der Mitte treffen und dann alle von den Weltmärkten und den Schwellenländern abgekoppelt sein? Das wollen wir nicht, die
christlich-liberale Koalition. Das ist der Unterschied,
meine Damen und Herren.
({15})
Es ist doch verständlich: Wir in der Europäischen
Union sind weniger als 10 Prozent der Bevölkerung der
Welt. Wir produzieren ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Welt. Wir geben 50 Prozent der Sozialausgaben in der Welt aus. Das muss miteinander in Einklang
gebracht werden, entweder indem wir wettbewerbsfähiger werden oder indem wir kürzen müssen. Ich möchte,
dass wir wettbewerbsfähiger, innovativer, kreativer werden. Dieser Weg muss beschritten werden, und daran arbeiten wir.
({16})
In dieser schwierigen Krise hat jede Institution ihre
Verantwortung. Da ist es richtig, dass der Europäische
Rat, die Parlamente der Mitgliedstaaten des Euro-Raums,
die Europäische Kommission und das Europäische Parlament ihre Verantwortung wahrnehmen. Aber dazu gehört
auch, dass die Europäische Zentralbank im Rahmen ihrer
Verantwortung - sie gründet auf Unabhängigkeit
({17})
und ist auf die Erhaltung der Geldwertstabilität begrenzt ihre Pflichten wahrnimmt. Das tut sie, und, meine Damen und Herren, sie tut es mit einer Maßgabe, die unseren Kurs unterstützt, nämlich mit der Maßgabe, dass die
Ursachen ganz wesentlich in den Mitgliedstaaten selbst
liegen und dass deshalb eine strenge Konditionalität die
Maßnahmen der Europäischen Zentralbank begleiten
muss. Das hat die Europäische Zentralbank gesagt, und
nicht die, die ihre Unabhängigkeit zu respektieren haben.
Deshalb sage ich: Wir empfinden das als Unterstützung
unseres Kurses.
({18})
Im Kern geht es in Europa um noch etwas anderes.
Das, was ich genannt habe, sind die Indikatoren; aber
insgesamt geht es um die Rückgewinnung von verloren
gegangenem Vertrauen. Die Glaubwürdigkeit unseres
Handelns in der Europäischen Union und ganz besonders in der Euro-Zone ist angekratzt; sie ist erschüttert
worden und muss wiedergewonnen werden. Man kann
drum herumreden, wie man will: Das Zurückgewinnen
von Vertrauen dauert. Das ist ein schwieriger Prozess,
und an dem arbeiten wir.
Neben all den Maßnahmen, die in den Nationalstaaten
zu passieren haben, neben den Solidaritätsmechanismen,
die wir etabliert haben, brauchen wir natürlich auch etwas, das die Gründungsdefizite der Wirtschafts- und
Währungsunion, das, was damals nicht geleistet wurde,
ausgleicht. Deshalb müssen wir auch die Wirtschaftsund Währungsunion fortentwickeln. Wir haben dabei
wichtige Schritte schon erreicht: Der Fiskalpakt ist heute
vom Bundesverfassungsgericht genehmigt worden. Wir
haben erreicht, dass wir einen Euro-Plus-Pakt haben, in
dem wir sagen: Wir müssen koordinierter zusammenarbeiten. Aber ich sage, dass die Verbindlichkeit dieser Zusammenarbeit in beiden Bereichen noch nicht ausreicht.
Deshalb wird sich Deutschland aktiv daran beteiligen,
wenn es um die Fortentwicklung der Wirtschafts- und
Währungsunion geht, wie wir es bereits tun.
Das Prinzip dabei muss sein, dass wir nicht möglichst
viel nach Europa geben, sondern nur das verbindlich machen, was unbedingt notwendig ist, auf der anderen Seite
aber das bei den Nationalstaaten lassen, was bei den Nationalstaaten bleiben kann, aber dass das, was wir untereinander versprechen, auch wenn es zwischen den Regierungen ist, auch wirklich eingehalten wird. Was soll
die Welt denn davon halten, wenn wir vor Jahr und Tag
- im Übrigen unter meinem Vorgänger - beschlossen
haben, dass jedes europäische Land 3 Prozent seines
Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung
ausgibt, und man heute in Europa zwischen 0,7 Prozent
und 3,5 Prozent alles finden kann, sich also keiner an das
hält, was man beschlossen hat? Das muss aufhören,
meine Damen und Herren. Deshalb müssen die nationalen Politiken verbindlicher werden; es muss von der
Kommission eingefordert werden können, dass diese nationalen Politiken auch durchgesetzt werden. Darum
geht es.
({19})
Wir werden deshalb in diesem Deutschen Bundestag
bis Dezember über weitere Schritte zu einer Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion sprechen. Ich sage noch einmal: Dabei geht es nicht um die
Form - brauchen wir eine Vertragsänderung: ja oder
nein? -, sondern um das Funktionieren der Wirtschaftsund Währungsunion. Was dafür notwendig ist, wird gemacht, und dann wird man auch den rechtlich notwendigen Weg finden. Es geht zunehmend - das sage ich ausdrücklich - auch um die demokratische Legitimierung
dieser Schritte. Wir werden uns darüber zu unterhalten
haben: Welche Rolle spielt das Europäische Parlament?
Welche Rolle spielen die nationalen Parlamente? - Das
ist ganz wichtig, um Akzeptanz in der Bevölkerung für
unsere Weiterentwicklung zu schaffen, meine Damen
und Herren.
({20})
Es ist auch vollkommen richtig, sich noch einmal daran zu erinnern, wie die ganze Krise eigentlich entstanden ist,
({21})
und zu fragen: Was haben wir denn in der Finanzmarktregulierung erreicht, was haben wir im Bereich der Banken erreicht? Die Krise ist von Bankenversagen ausgegangen, und deshalb ist es richtig, dass wir festgestellt
haben: In Europa - auch das müssen wir sehen - haben
die nationalen Bankenaufsichten nicht ausreichend
Handlungsfähigkeit bewiesen. Deshalb ist es gut und
richtig, jetzt insbesondere im Euro-Raum Vorschläge für
eine gemeinsame Bankenaufsicht zu machen. Die Kommission hat Vorschläge vorgelegt. Dazu wird die Bundesregierung Stellung nehmen; darüber werden wir uns
im Parlament unterhalten. Aber auch hier sage ich: Es
geht vor allen Dingen darum, dass diese Aufsicht qualitativ funktioniert, nicht darum, dass sie möglichst
schnell in Kraft tritt, aber dann nicht funktioniert. Es
geht auch nicht darum, dass möglichst jeder überwacht
wird - das kann die Europäische Zentralbank gar nicht
leisten -; es geht um die Qualität der Überwachung und
nicht allein um die Quantität. Das wird der Maßstab unserer Prüfung sein.
({22})
Ich darf sagen, dass wir natürlich einiges bei der Regulierung erreicht haben, zum Beispiel schärfere Eigenkapitalregeln. Wir haben längst die für die Restrukturierung der Banken in Deutschland notwendigen
rechtlichen Grundlagen erarbeitet; jetzt werden sie in
Europa erarbeitet. Wir haben einzelne Finanzgeschäfte,
zum Beispiel die Leerverkäufe, eingeschränkt; Europa
ist nachgezogen. Wir werden jetzt im Bereich Hochfrequenzhandel tätig, und auch hier wird Deutschland
Motor sein. Auf internationaler Ebene wird zurzeit insbesondere über die Schattenbanken gesprochen. Auch
hier sage ich: Deutschland und Europa müssen Motor
sein, um diese internationale Finanzmarktregelung voranzutreiben. Es gibt Tendenzen, die zeigen, dass andere
daran nicht so interessiert sind, und dagegen müssen wir
uns mit aller Macht stemmen.
({23})
Wir haben hier im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Fiskalpakts miteinander davon gesprochen,
dass wir eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der
Finanztransaktionsteuer wollen. Der Bundesfinanzminister wird natürlich alles tun und tut alles, um dies
umzusetzen. Dass die Kommission im August nicht gearbeitet hat, Herr Steinmeier, können Sie uns nicht anlasten. Aber schon beim nächsten Treffen der Finanzminister wird das Thema wieder auf die Tagesordnung
kommen; denn wir wollen die Finanztransaktionsteuer.
Tatsache ist, dass sich bei den Ländern, die im Augenblick akute Schwierigkeiten mit ihren Banken haben, die
Euphorie, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen, im
Augenblick etwas in Grenzen hält. Das heißt, wir werden in dieser Frage Treiber sein; aber wir müssen auch
zur Kenntnis nehmen, dass es Länder gibt, die dazu eine
andere Meinung haben. Es ist gut, dass es dem Finanzminister gelungen ist, eine Gruppe von Ländern zusammenzubringen, die sich für eine verstärkte Zusammenarbeit einsetzen will. Selbstverständlich werden wir Ihnen
regelmäßig darüber berichten.
({24})
Meine Damen und Herren, unsere nationale Politik
findet jetzt in einem international schwierigen Umfeld
statt. Das weltweite Wirtschaftswachstum ist schwach;
das europäische Wachstum zeigt leicht rezessive Tendenzen, wenngleich wir das nicht kleinreden sollten. Als
wir jüngst in Spanien auf der großen Investorenkonferenz waren, ist etwas sehr Interessantes berichtet worden; ich finde, man muss den Ländern auch ein bisschen
Mut machen. Die Spanier haben gesagt: Die Absätze in
der Industrie, insbesondere im Bereich Export, wachsen. Der Einbruch beim Wirtschaftswachstum rührt natürlich
daher, dass im öffentlichen Sektor erhebliche Reduktionen vorgenommen werden. Aber wollen Sie denn allen
Ernstes sagen, dass das nicht gemacht werden soll, nur
um kurzfristig gute Wachstumszahlen zu haben? Diese
Anpassungen sind notwendig; gleichzeitig muss die
Wettbewerbsfähigkeit für den unternehmerischen Sektor gestärkt werden, und genau das macht Spanien. Auf
diesem Weg wünschen wir Spanien allen Erfolg.
({25})
Unsere nationale Politik entspricht den Prinzipien von
soliden Finanzen, Solidarität mit den Schwachen und
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Aber wir tragen
auch im europäischen Umfeld Verantwortung. Immer
wieder wird uns gesagt: Versucht, durch eine gute Bin22988
nennachfrage einen Beitrag zur Ankurbelung der Weltwirtschaft zu leisten, weil ihr es euch aufgrund eurer
Haushaltssituation leisten könnt. - Genau das spiegelt
sich in unserem Haushalt wider.
Ich bin etwas traurig, erschüttert und durcheinander,
({26})
weil Sie zwischen Soll und Ist immer noch nicht unterscheiden können
({27})
und deshalb falsche Informationen über die Haushalte
verbreiten. Aber wir werden nicht nachlassen, unsere
Statistiken immer wieder sorgsam nachzureichen.
({28})
Wir werden Ihnen unsere Statistiken immer wieder zur
Verfügung stellen.
({29})
Auf jeden Fall werden wir schon im nächsten Jahr, also
drei Jahre früher, als nach Vorgabe des Grundgesetzes
erforderlich, die Schuldengrenze von 0,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts erreichen. In dieser schwierigen
Situation werden die Haushalte 2014 bis 2016 auf
nahezu dem gleichen Niveau bleiben - das zeigt die mittelfristige Finanzplanung -, und bei gutem Verlauf ist ein
ausgeglichener Haushalt wieder in Reichweite gerückt.
Wenn man einmal überlegt, dass wir 2009 mit einem
veranschlagten Defizit von über 80 Milliarden Euro in
die Debatte gegangen sind, kann ich nur sagen: Die
christlich-liberale Koalition hat hier wunderbar gearbeitet.
({30})
- Dieser Haushalt war, soweit es die Bundeskanzlerin
betrifft, von mir zu verantworten. Ich finde nur, wir haben super gearbeitet. Wenn ich mit einem Defizit von
über 80 Milliarden Euro gestartet bin und jetzt bei
18 Milliarden Euro angekommen bin, dann ist das doch
eine tolle Arbeit.
({31})
Entschuldigung, das wird man doch einmal sagen dürfen.
Wir wollen, dass Deutschland menschlich und wirtschaftlich erfolgreich ist. Deshalb setzen wir vor allen
Dingen auf Investitionen in die Zukunft. Das ist es, woran wir uns auch messen lassen. Deshalb haben wir Jahr
für Jahr mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben: 13 Milliarden Euro insgesamt in dieser Legislaturperiode. Meine Damen und Herren, man denkt: Da,
wo nicht geklagt wird, passiert nichts. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass wir im gesamten Forschungsbereich
- durch die Hightech-Strategie, durch unsere Bildungsausgaben, durch den Ausbildungspakt und durch vieles
andere mehr - Dinge geschafft haben, die man vor Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte. Wir haben benachteiligten Kindern und Jugendlichen mehr Chancen
gegeben. Wir haben mehr Studierende an den Hochschulen. Wenn der Bund nicht durch den Hochschulpakt helfen würde, hätten wir riesige Probleme. Benachteiligten
Kindern helfen wir durch das Bildungspaket.
({32})
Wir haben die berufliche Bildung modernisiert und
neu strukturiert. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Egal wohin wir kommen in Europa - ob das Portugal ist, ob das Italien ist, ob das Spanien ist, ob das
Frankreich ist -, wir werden um unser duales Ausbildungssystem beneidet; denn es ist für eine moderne Industriegesellschaft das geeignete Ausbildungssystem.
({33})
Deshalb ist es auch unsere gemeinsame Aufgabe, bei der
OECD dafür zu sorgen, dass, neben den vielen guten und
richtigen Aufforderungen, dass mehr Menschen studieren, das Berufsbildungssystem nicht einfach abgeschlagen zur Seite gestellt wird, sondern die Priorität hat und
die Anerkennung bekommt, die diesem System in hochentwickelten Industriegesellschaften zukommt.
({34})
- Ich habe doch nur gesagt: Lassen Sie uns das gemeinsam bei der OECD angehen. Ich bin schon in Brüssel
vorstellig geworden und habe gesagt: Man kann auch
eine gute Pflegekraft werden, wenn man nur zehn Jahre
zur Schule gegangen ist und drei Jahre Ausbildung gemacht hat. Man muss nicht Abitur haben. - Das müssen
wir gemeinsam vertreten. Das ist es, woran wir arbeiten
müssen.
({35})
Der Bericht „Bildung in Deutschland“ zeigt, dass wir
heute weniger Kinder mit sozialem und wirtschaftlichem
Bildungsrisiko haben, dass wir bei der Bildungsbeteiligung von Migrantinnen und Migranten Fortschritte machen. Unsere Integrationsgipfel - das ist übrigens die
Arbeit nicht allein der Bundesregierung, sondern auch
der Länder und Kommunen - haben sich bewährt. Das
Niveau der Schulabschlüsse ist gestiegen. Mehr junge
Menschen studieren Ingenieurwissenschaften, als wir es
vor Jahr und Tag hatten. Das alles sind Entwicklungen,
die sich in der Zukunft für uns auszahlen werden. Dabei
leitet uns das Ziel: Jedes Kind soll die gleichen Chancen
auf eine hervorragende Bildung haben. Ich habe in meinem Bürgerdialog, bei dem ich mit vielen Menschen gesprochen habe, die sich online beteiligt haben, immer
wieder gehört, dass der Wunsch geäußert wird, den
Menschen eine Chance auf Bildung zu geben, und dass
Bund, Länder und Kommunen eng zusammenarbeiten.
Deswegen unterstütze ich das, was Annette Schavan
sagte, nämlich einen Bildungsrat einzurichten
({36})
und alle Akteure zusammenzunehmen, um hier voranzukommen.
({37})
Meine Damen und Herren, Investitionen in die Zukunft, das heißt auch, sich auf die augenblicklichen und
zukünftigen Entwicklungen vorzubereiten. Wir alle wissen, dass der demografische Wandel, die Veränderung
der Altersstruktur unserer Gesellschaft, das Thema der
nächsten Jahre und Jahrzehnte sein wird. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass Deutschland heute schon das
Land mit dem höchsten Altersdurchschnitt in der Welt
ist. Diese Tendenz wird sich verstärken. Was bedeutet
das? Das bedeutet, dass die schleichende Veränderung,
die wir gar nicht jeden Tag mitbekommen, dazu führt,
dass sich in Zukunft Lebenszeit anders verteilen wird,
dass sich in den ländlichen und städtischen Regionen der
Bundesrepublik Deutschland die Bevölkerungsstrukturen verändern werden. Das heißt, die Frage: „Wie gestalte ich meine Lebenszeit?“ wird das tragende Thema
der nächsten Zeit werden. Genau deshalb haben wir gesagt: Darauf brauchen wir Antworten. Deshalb haben
wir unsere Demografiestrategie begonnen: zuerst mit einem Bericht über die Fakten im Oktober 2011, dann hat
der Bundesinnenminister zusammen mit den anderen beteiligten Ressorts ein Aufgabenpaket vorgestellt.
({38})
Danach sind wir auf Länder, Kommunen, Sozialpartner
und Bürgergesellschaft zugegangen und haben gesagt:
Wir wollen sechs Handlungsfelder definieren und in Arbeitsgruppen darüber sprechen, was wir hier erreichen
können. Am 4. Oktober wird der Demografiegipfel stattfinden; im Mai/Juni 2013 werden wir dann über die Ergebnisse berichten. Das Erstaunliche ist, dass alle, die
wir ansprechen und mit denen wir reden, mehr als bereit
sind, sich dieses Themas anzunehmen, und sagen: Wir
wollen dabei mitwirken.
Natürlich haben wir auch eigene Aufgaben. Dazu gehört die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz. Am 1. August 2013 muss dieses
Ziel erreicht sein. Die Bundesregierung hat jetzt noch
einmal 580 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit
wir dieses Ziel wirklich erreichen können. Das war
wichtig, weil die Zahl derer, die ein solches Angebot in
Anspruch nehmen wollen, in unserer Gesellschaft zunimmt. Ich sage aber auch: Jetzt sind alle verpflichtet,
dies umzusetzen, damit wir diesen Rechtsanspruch am
1. August nächsten Jahres einlösen können.
({39})
In diesem Zusammenhang werden wir für diejenigen,
die staatliche Betreuungsangebote nicht in Anspruch
nehmen wollen, im Herbst ein Betreuungsgeld verabschieden. Für uns gehört beides zusammen.
({40})
Wir haben auch in einem anderen Bereich gehandelt.
Wir haben gesagt: Wir müssen die Pflegeversicherung
reformieren. Dabei waren zwei Dinge wichtig: Zunächst
brauchen wir eine bessere Betreuung von Menschen mit
Demenzerkrankungen. Wir brauchen auch eine bessere
Betreuung der Personen, die in Pflege sind. Jeder weiß,
wie viele Familien in unserem Lande umtreibt, wie das
zu organisieren ist. Wir werden aber auch Anreize zur
privaten Vorsorge setzen, weil wir glauben, dass das
Pflegerisiko in der Zukunft steigen wird, und weil wir
Menschen ermuntern wollen, für den Pflegefall Vorsorge
zu treffen.
({41})
- Private Vorsorge anzubieten, ist wie bei der Alterssicherung - darauf komme ich gleich noch - auch im Bereich Pflege sehr vernünftig.
({42})
Sie haben damals die Riester-Vorsorge als private Vorsorge vorgeschlagen.
({43})
Es gibt, glaube ich, gute Gründe, so auch in Bezug auf
andere Lebensrisiken vorzugehen.
({44})
Weil wir wissen, dass die Rentenversicherung und die
Altersarmut ebenfalls wichtige Themen sind, haben wir
bereits in unserer Koalitionsvereinbarung verankert,
dass wir uns genau mit diesen Fragen beschäftigen wollen. Deshalb ist es richtig, dass die zuständige Ministerin
dazu Vorschläge gemacht hat. Dieses Risiko haben wir
nicht erst vor drei Tagen gesehen. Vielmehr haben wir
dies bereits zu Beginn unserer Regierungstätigkeit als
ein Risiko notiert, bei dem Handlungsbedarf besteht.
({45})
Dass das ein sehr komplexes Fragenpaket ist, werden Sie
erkennen, wenn Sie sich die Fakten anschauen. Hier sage
ich: Wir brauchen unbedingt Antworten auf diese Fragen, vor allem für diejenigen, die wenig verdienen, die
eine unterbrochene Erwerbsbiografie haben - hierunter
übrigens viele Menschen in den neuen Bundesländern -,
und zwar nicht erst in 30 Jahren, sondern relativ bald,
weil schon 20 Jahre lang eine hohe Arbeitslosigkeit
herrscht. Das betrifft vor allen Dingen diejenigen, die
heute niedrige Einkommen haben.
Zur Debatte gehört aber auch - und darauf werden
wir achten -, dass sie realistisch geführt wird. Wer den
Eindruck erweckt, dass ein Mindestlohn von 7,50 Euro
oder 8,50 Euro eine Antwort auf das Problem der Altersarmut ist,
({46})
der wird sich nicht um eine reale Betrachtung der Fakten
verdient machen, sondern weiß, dass er mit Argumenten
kommt, die nicht stimmen. Schauen Sie sich die Fakten
an, und dann können wir darüber reden. Ich bin sehr dafür.
({47})
Auch bei uns in der Koalition gibt es Diskussionen über
die Frage: „Brauchen wir Lohnuntergrenzen, ja oder
nein?“ Aber den Eindruck zu erwecken, dass das Konzept eines einheitlichen Mindestlohns von 8,50 Euro
eine Antwort auf das Problem der Altersarmut ist, ist
nicht redlich. Deshalb müssen wir dagegen angehen.
({48})
Die Koalition wird Vorschläge unterbreiten, so wie wir
es in der Koalitionsvereinbarung als Aufgabe definiert
haben,
({49})
und zwar relativ bald.
Wegen des demografischen Wandels werden wir uns
weiterhin mit dem Thema Fachkräftemangel beschäftigen. Hier hat die Bundesregierung in zwei Bereichen gehandelt: auf der einen Seite mit der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse - diese Maßnahme beginnt
jetzt zu wirken - und auf der anderen Seite mit der Umsetzung von Maßnahmen zur verbesserten Zuwanderung
von Hochqualifizierten. Auch hier haben wir nicht nur
weitreichende Vorschläge gemacht, sondern auch die
entsprechenden Beschlüsse gefasst.
({50})
Wenn wir über Zukunft sprechen, dann sprechen wir
auch über die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Natürlich war die Energiewende, natürlich waren
die Beschlüsse, die wir im Juni 2011 im Lichte der Ereignisse von Fukushima gefällt haben, eine Zäsur. Ich
möchte noch einmal daran erinnern: Damals haben wir
diese Beschlüsse in großer Gemeinsamkeit in diesem
Hohen Hause gefällt. Es steht uns gut an, über dieses
wirklich große Projekt, dieses große Ziel, bei dem viele
Menschen auch außerhalb Deutschlands auf uns schauen
und fragen: „Könnt ihr es schaffen, das Zeitalter der erneuerbaren Energien schnell zu erreichen und trotzdem
ein guter Industriestandort zu bleiben?“, weiter gemeinsam zu diskutieren und nicht Scheinbarrieren aufzubauen.
({51})
Man muss sagen: Wir haben gewusst, dass das kein
einfacher Weg wird. Wir haben auch gewusst, dass wir
dabei Neuland beschreiten.
({52})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie werden noch in diesem Jahr
den ersten Monitoringbericht über das, was geschafft
wurde, bekommen. Darüber wird dann hier diskutiert. Es
gibt inzwischen - ich will Ihnen berichten, was geschehen ist - eine Arbeitsstruktur mit vielen Unterarbeitsstrukturen.
({53})
- Ich glaube, dass das sehr wichtig ist. Schauen Sie, die
Energiewende kann der Bund alleine nicht schaffen.
({54})
Bund und Länder müssen zusammenarbeiten.
({55})
Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir viele Plattformen
haben, auf denen diese gemeinsame Arbeit zwischen
Bund und Ländern stattfindet.
({56})
Ich spüre den Willen der Ministerpräsidenten, der Energieminister und der Umweltminister der Länder - der
Wirtschaftsminister und der Bundesumweltminister sind
hier viel unterwegs -, dieses für Deutschland so wichtige
Problem gemeinsam zu lösen.
({57})
Ich biete Ihnen, den Oppositionsfraktionen, an, Sie in
diese Gemeinsamkeit einzubeziehen.
({58})
Es wäre schön. Je gemeinsamer wir das machen, desto
besser.
({59})
Der Ausbau der Netze kommt voran. Es gibt viele
Projekte im Zusammenhang mit dem sogenannten
EnLAG-Gesetz, die sich verzögert haben; ich will das
hier nicht weiter ausführen. Der Netzbedarfsplan wird
jetzt aber erstellt durch die Bundesnetzagentur, durch die
Betreiber. Das entsprechende Gesetz werden wir vor
Jahresende vorlegen.
({60})
Dabei geht es um die großen Gleichspannungsübertragungsleitungen, die die Grundlage dafür sind, dass wir
mehr Strom aus erneuerbaren Energien an die Industrieproduktionsstandorte bekommen.
({61})
Der Ausbau im Bereich erneuerbarer Energien geht
zügig voran. Die Probleme der Offshorewindenergieerzeugung sind gelöst worden. Die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse dazu gibt es. Wir haben eine EEGNovelle auf den Weg gebracht, die sich mit der Reduktion der Förderung der Solarenergie befasst. Jetzt kommt
ein Punkt, der zur Redlichkeit wirklich dazugehört,
wenn wir das Projekt erfolgreich abschließen wollen:
Der Ausbau im Bereich der Solarenergie überschreitet
alle Prognosen, die wir jemals gehabt haben. Ich erinnere an die wichtigen Studien von Prognos usw., die wir
bekommen haben. Es hat technische Entwicklungen gegeben - das ist genau das, was ich mit „Neuland“ meine -,
die man so nicht hat absehen können. Wir werden Ende
des nächsten Jahres wahrscheinlich um die 40 Gigawatt
Leistung im Solarbereich haben. Um einen Vergleich zu
geben: An einem normalen Tag braucht Deutschland
eine zur Verfügung gestellte Leistung von 60 Gigawatt.
40 Gigawatt werden wir mit Solarenergie erreichen nur dass die Sonne nicht den ganzen Tag scheint. Wir haben einen Kompromiss gefunden: Wir haben den Ausbau im Bereich Solarenergie bei 50 Gigawatt gedeckelt.
Meine Damen und Herren, erst dafür zu sein, dass der
Bereich der Solarenergie stärker gefördert wird, und sich
anschließend, jetzt, im Herbst, darüber zu beklagen, dass
die Umlage stärker steigen wird, als wir gedacht haben,
das geht nicht zusammen, wenn man es mit der Energiewende ehrlich meint.
({62})
Es geht auch nicht, dass man verschweigt, dass Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von
der Umlage befreit werden müssen, weil sie sonst die
Menschen, die dort beschäftigt sind, entlassen müssten.
Man kann nicht dafür eintreten, dass auch diese Unternehmen die EEG-Umlage zahlen müssen, nur um sich
bei Bürgerinnen und Bürgern lieb Kind zu machen. Das
werden wir nicht durchgehen lassen; denn zur Redlichkeit gehört: Wir wollen eine effiziente Wirtschaft, wir
wollen Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie,
und wir wollen die Energiewende schaffen. Das muss
zusammengebracht werden, und da muss man auch die
unangenehmen Wahrheiten aussprechen.
({63})
Es wird im Verlaufe des Herbstes auf noch etwas ankommen. Wir haben nicht nur sehr große Kapazitäten im
Solarbereich, sondern Planungen für Windenergie, nach
denen wir, wenn wir sie addieren, um 60 Prozent über
dem liegen, was wir an Windenergie in den nächsten
Jahren brauchen werden. Deshalb müssen wir auch hier
mit den einzelnen Ländern darüber sprechen: Wie bauen
wir die Windenergie so aus, dass wir den richtigen Pfad
von Preisgünstigkeit und Schaffung von mehr Kapazität
für erneuerbare Energien hinbekommen?
({64})
Auch das geht ohne Absprachen zwischen Bund und
Ländern nicht. Darauf werden wir im Laufe des Herbstes
zurückkommen.
({65})
Ich sage Ihnen: Kassandrarufe bei dem Thema
Energiewende sind völlig unangebracht. Neulich hat jemand in der Zeitung Die Zeit geschrieben: Wir sind auf
einem 10 000-Meter-Lauf, und wer nach 1 000 Metern
schreit: „Das ist alles nicht zu schaffen“, der hat die Aufgabe nicht verstanden. - Wir fühlen uns dieser Aufgabe
verpflichtet - der Wirtschaftsminister, der Umweltminister, die ganze Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen.
({66})
Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass wir das
schaffen. Es wird eines der ganz gelungenen Projekte für
Deutschland werden; ich bin davon zutiefst überzeugt.
({67})
Meine Damen und Herren, wir sind uns alle schnell
darin einig, wenn es heißt: Der Aufschwung, das, was
wir uns erarbeitet haben, muss bei den Menschen ankommen. Deshalb möchte ich noch zwei bzw. drei Themen ansprechen; eines hängt mit dem Umweltschutz zusammen.
Wir wissen, der große Markt, auf dem wir CO2 einsparen können, auf dem wir Wachstum generieren können, ist die Gebäudesanierung. Seit über einem Jahr verhandeln wir nun über die steuerliche Förderung der
Gebäudesanierung. Es gibt Rechnungen über Rechnungen, in denen nachgewiesen wird, dass die Zunahme bei
den Mehrwertsteuereinnahmen die Ausfälle bei der Einkommensteuer um ein Vielfaches übersteigt. Die Umweltverbände, das deutsche Handwerk, alle Gruppen, die
mir überhaupt bekannt sind, haben sich vielfach flehentlich an die SPD-regierten Bundesländer gewandt, sie
mögen hier doch bitte gemeinsam mit uns eine Lösung
finden. Deshalb sage ich ganz einfach: Tun Sie etwas
Gutes für die Energiewende, indem Sie endlich der Gebäudesanierung das Tor öffnen, damit wir hier handeln
können.
({68})
Meine Damen und Herren, wir sollten gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die so wesentlich
dazu beigetragen haben, dass wir so gut durch die Krisenjahre gegangen sind, die zu Flexibilität bereit waren
- wenn man sich einmal die Arbeitszeitkonten anschaut,
dann sieht man, welche Flexibilität wir da gewonnen haben -, fair an den ansteigenden Einnahmen beteiligen.
Es ist absolut unverständlich, dass es so schwierig ist,
über einen ansteigenden Grundfreibetrag und die Verringerung der kalten Progression mit der Sozialdemokratie
und den Grünen zu diskutieren.
({69})
Wir haben vorgeschlagen, dass der Bund von den
Steuerausfällen einen größeren Anteil übernimmt, als es
eigentlich unsere Aufgabe wäre. Dass Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht das geben wollen, was ihnen zusteht, wenn sie die verdiente Lohnerhöhung bekommen, das werden wir thematisieren, wenn
Sie Ihre Meinung nicht ändern.
({70})
Wir erleben täglich, dass sich Menschen in unserem
Lande den Veränderungen stellen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das in der Krise getan. Wir
sehen, dass die Soldatinnen und Soldaten es tun, wenn es
um die Umstrukturierung der Bundeswehr geht. Wir haben über die Maßen bei der Aussetzung der Wehrpflicht
das erfreuliche Erlebnis gehabt, dass der Zivildienst
durch einen Bundesfreiwilligendienst ersetzt werden
konnte, weil Menschen sich eingebracht haben. Es gibt
ein überwältigendes ehrenamtliches Engagement in unserem Lande. All das macht es möglich, auf eine sich
verändernde Welt überhaupt reagieren zu können.
Die Menschen erheben auch ihre Stimme, wenn es
um die Grundlagen unseres freiheitlichen demokratischen Zusammenlebens geht. Das haben wir bei den
schrecklichen Attentaten im Zusammenhang mit den
NSU-Morden erlebt. Ich wiederhole hier - auch angesichts der Vorgänge von gestern -: Wir tun alles - wenn
ich „wir“ sage, dann meine ich die gesamte Bundesregierung -, um die Dinge aufzuklären, und der Bundesinnenminister tut alles, um die Sicherheitsstrukturen so
zu formen, wie es notwendig ist, damit sich in Zukunft
solche Dinge nicht wiederholen.
({71})
Wir wollen, dass die Menschen in diesem Lande,
auch wenn sie verschiedenen Religionen angehören,
friedlich zusammenleben können. Deshalb wird die
Bundesregierung auch das einlösen, worum sie der Bundestag gebeten hat, nämlich einen Gesetzesvorschlag für
die Beschneidung vorlegen. Das ist uns wichtig. Das ist
die Grundlage: Gewaltlosigkeit, Integration. Deshalb
sage ich: Die Bundesregierung wird das alles unterstützen. Ich freue mich zum Beispiel darüber, dass die Bundesligavereine an diesem Samstag nicht mit ihren normalen Trikots spielen werden, sich für die Integration
von Migranten einsetzen und sagen: Geh deinen Weg,
egal woher du kommst. Wir wollen, dass du Erfolg in
diesem Land hast. - Diese Bestrebungen wollen wir
unterstützen.
({72})
Die Politik setzt Leitplanken - das tun wir -, aber die
Politik ist auch darauf angewiesen, dass die Menschen in
diesem Lande ihr Land gern haben, ihr Land lieben und
ihren Beitrag für das Gelingen dieses Landes leisten. Ich
habe Ihnen berichtet, welche Leitplanken wir setzen, und
ich freue mich, das für ein Land zu tun, in dem die Menschen so aktiv, so bereit sind, eine gute Zukunft für ihre
Kinder und Enkel zu gestalten. In diesem Sinne ist mir
nicht bange um die Zukunft Deutschlands.
Herzlichen Dank.
({73})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort nun der Kollege Gregor Gysi.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat heute früh entschieden, die
einstweiligen Anordnungen nicht zu erlassen.
({0})
Sie haben davon gesprochen, Frau Bundeskanzlerin,
aber Sie haben nichts zu den Auflagen gesagt. Herr
Trittin meinte, die Linke hätte heute eins auf die Mütze
bekommen.
({1})
Ich glaube, er hat das Urteil nicht verstanden.
({2})
Ich will versuchen, es Ihnen kurz zu erklären. Nach
meiner Kenntnis - ich bin mir nicht hundertprozentig
sicher - ist es überhaupt das erste Mal in der Geschichte
der Bundesrepublik, dass das Bundesverfassungsgericht
entschieden hat, dass völkerrechtlich verbindliche Vorbehalte erklärt werden müssen - das ist sehr viel mehr
als nichts -,
({3})
und zwar in zwei Richtungen: Erstens muss völkerrechtlich verbindlich geklärt werden, dass es ein Überschreiten der Haftung Deutschlands von 190 Milliarden Euro
nur dann geben darf, wenn Deutschland vorher zugestimmt hat.
({4})
Zweitens - ich sage gleich etwas zu Ihnen - muss trotz
der Schweigepflicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank und anderer Regelungen gesichert werden, dass der Bundesrat und der Bundestag umfassend und vollständig zu informieren sind.
Wenn Sie sagen, dass das schon im Gesetz steht, dann
sagen Sie dem Bundesverfassungsgericht, dass es Überflüssiges entschieden hat. Hat es aber nicht, ganz im
Gegenteil.
({5})
Ich sage Ihnen auch, warum. Das ist ein indirekter
Eingriff in die Verträge. Völkerrechtlich verbindliche
Vorbehalte zu erklären, ist schwierig. Ich warne Sie jetzt
vor Folgendem, Frau Bundeskanzlerin: Wenn Sie die
Vorbehalte formulieren, lassen Sie das nicht allein die
Regierung entscheiden. Bundestag und Bundesrat müssen über die Vorbehalte mitentscheiden.
({6})
Um eine völkerrechtlich verbindliche Regelung zu
treffen, könnte es sogar sein - das ist noch strittig -, dass
alle anderen Länder zustimmen müssen. Ich sage Ihnen:
Hier hat das Bundesverfassungsgericht erst einmal ein
Stoppzeichen gesetzt, weil vieles zu klären ist. Das Bundesverfassungsgericht hat noch etwas gesagt: Wenn die
Vorbehalte nicht wirksam werden, dann gelten die VerDr. Gregor Gysi
träge für Deutschland nicht. Das hat es ausdrücklich
betont.
Wir haben also zwei Dinge erreicht - wir, nicht Sie;
die Fraktionen von Union, SPD, FDP und Grünen haben
diesbezüglich nichts unternommen; es hat sie nicht interessiert -: Wir haben erreicht, dass es eine Haftungsbegrenzung für Deutschland gibt
({7})
und dass Bundesrat und Bundestag mehr Rechte haben.
Das heißt, wir haben die Demokratie bereichert.
({8})
Eigentlich müssten Sie sich heute hier hinstellen und
sagen: Danke, liebe Linke! - Denn das verdanken Sie
uns. Das ist die Wahrheit.
({9})
Sie haben zu Recht, Frau Bundeskanzlerin, darauf
hingewiesen, dass die Krise von den Banken verursacht
wurde. Deshalb - ich wiederhole es - ist der Begriff
Schuldenkrise völlig falsch, weil damit immer der Eindruck erweckt wird, als seien die Sozialausgaben und
Ähnliches in den betroffenen Ländern zu hoch gewesen.
Nein, wir haben für die Pleitebanken, die spekuliert und
gezockt haben, gezahlt, in Griechenland, in Spanien, in
Italien, in Deutschland, überall. Das hat die hohe Verschuldung verursacht. Ich frage Sie: Warum können wir
uns nicht darauf verständigen, dass es nicht die Pflicht
der europäischen und damit auch der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist, für die Zockerei der
Banken zu bezahlen? Wieso werden die dafür eigentlich
in Anspruch genommen?
({10})
In den Bundesländern wurde gerade über einen
Staatsvertrag, in dem es um Spielkasinos geht, verhandelt. Folgendes fand ich ganz witzig: Eine linke Landtagsfraktion hat beantragt, die Banken mit aufzunehmen.
Das ist von Ihnen natürlich abgelehnt worden. Aber ich
sage Ihnen: Ja, die Banken sind zu Spielkasinos verkommen. Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Was zurzeit weltweit in Bezug auf Lebensmittel geschieht, ist abenteuerlich. Da wird spekuliert, und die Lebensmittel werden
immer teurer. Die nehmen Hunger in Kauf, nur um Profite zu machen. Das spricht für Menschenverachtung.
Dagegen sollten Sie etwas tun, Frau Bundeskanzlerin.
({11})
In Europa wird nun der Weg der harten Kürzungsauflagen beschritten. Ich halte diesen Weg für falsch; denn
er verschärft die Krise. Ich nenne einige Zahlen: In Griechenland beträgt die Arbeitslosenquote derzeit 25 Prozent, in Spanien 22 Prozent. Die Jugendarbeitslosenquote beträgt in Griechenland 55 und in Spanien 53 Prozent. Ich frage Sie: Was soll aus diesen Jugendlichen
werden? Ich ahne schon, wie die Überschriften in der
Bild-Zeitung lauten werden, wenn diese Jugendlichen
später kriminell werden und strafbare Handlungen begehen. Jetzt werden die Ursachen dafür gelegt. So kann
man die Probleme Europas nicht lösen.
({12})
Wir erleben Kürzungen bei Löhnen, bei Renten, beim
Arbeitslosengeld und bei Investitionen. Ich nenne Ihnen
nur ein Beispiel - Sie haben es ja sehr gewürdigt, Frau
Bundeskanzlerin -: Portugal. In Portugal müssen alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab 2013 um
7 Prozent höhere Versicherungsbeiträge zahlen, und die
Unternehmen werden bei den Versicherungsbeiträgen
um 5,5 Prozent entlastet. Es findet wie immer eine Umverteilung von unten nach oben statt. Und die Rentner in
Griechenland? Sie sind krankenversichert und müssen
trotzdem alle Medikamente selbst bezahlen, weil ihnen
sonst nicht geholfen wird. Eine Frau, die in Griechenland zur Entbindung in ein Krankenhaus muss, muss die
Entbindung selbst bezahlen; sonst wird ihr ärztlich nicht
geholfen. Sagen Sie einmal: Wo leben wir eigentlich? Es
gibt doch wohl Grenzen, die nicht überschritten werden
dürfen!
({13})
Die Wirtschaftsleistung Griechenlands ist um ein
Fünftel zurückgegangen; solche Zahlen gab es früher nur
im Krieg. Aber in einem Punkt hat Frau Bundeskanzlerin recht: Wenn Griechenland aus dem Euro-Raum austritt, dann wird Griechenland nicht nur verelenden, sondern das wird auch teuer für Deutschland. Das kostet uns
mindestens 62 Milliarden, wenn nicht gar 80 Milliarden Euro. Außerdem würde das einen Dominoeffekt
auslösen. Ich sage Ihnen: Die Ratingagenturen und
Hedgefonds greifen sich dann Portugal, später Spanien
und Italien, und dann ist der Euro tot. Wenn der Euro tot
ist, führt das zu einer Katastrophe in Deutschland. Würden alle Länder in Europa ihre nationalen Währungen
wiederbekommen, wäre das nicht nur ein Rückschritt,
sondern hätte auch zur Folge, dass die anderen Länder
ihre Währungen so lange abwerten würden, bis wir dorthin so gut wie nichts mehr verkaufen können. Dann
bricht hier die Außenwirtschaft zusammen, mit allen
damit verbundenen Folgen wie Arbeitsplatzproblemen
etc. Tun Sie nicht so, als seien Sie altruistisch! Deutschland braucht dringend den Euro. Das ist die Wahrheit.
({14})
Wir müssen - ich sage es noch einmal - auch endlich
von der gescheiterten Politik der Kürzungen wegkommen. Herr Steinmeier, Sie sind darauf eingegangen, dass
SPD und Grüne die Voraussetzungen dafür geschaffen
haben. Gerade jährte sich die Agenda 2010. Womit war
die Agenda 2010 verbunden? Mit der Senkung des Rentenniveaus, mit der Teilprivatisierung der Rente, mit der
Schaffung eines Niedriglohnsektors, mit einer umfassenden prekären Beschäftigung wie erzwungener Teilzeit,
Befristung, Leiharbeit und all diesen üblen Sachen. Vorgestern feierte Gerhard Schröder den Jahrestag der
Agenda 2010.
({15})
- Auch Sie würdigen ihn; auch die SPD ist stolz. - Oskar
Lafontaine sprach vor denselben Studierenden dagegen
und erklärte: Sie war die Einleitung des Sozialabbaus
und die Entsozialdemokratisierung der SPD. - Ich finde,
nicht Gerhard Schröder, sondern Oskar Lafontaine hat
recht.
({16})
In den letzten zehn Jahren sind die Reallöhne um
4,5 Prozent, die Renten um 8 Prozent und die Sozialleistungen um 5 Prozent gesunken. Knapp 8 Millionen
Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, sie verdienen
Stundenlöhne von unter 7 Euro, unter 6 Euro, sogar
unter 5 Euro brutto. Im letzten Jahr waren 2,7 Millionen
Menschen befristet beschäftigt. Fast jede zweite Neueinstellung ist befristet. Hinzu kommen Leiharbeit, Aufstockerinnen und Aufstocker und anderes. Sie können
doch die Probleme nicht einfach negieren. Schröder und
Fischer, SPD und Grüne, aber auch Union und FDP
begründen das immer damit, dass das im Interesse der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, also im
Hinblick auf hohe Exportzahlen, nötig sei. Deutschland
lebt über seine Verhältnisse, weil wir sehr viel mehr herstellen, als wir verbrauchen. Andere Länder leben unter
ihren Verhältnissen, weil sie weniger herstellen.
Deutschland ist ja nicht zufällig Vizeexportweltmeister.
({17})
- Nein, Moment doch mal! - Aber wenn wir Länder arm
machen, die bei uns kaufen, dann kaufen sie hier weniger ein, und auch wir spüren das dann. Fragen Sie doch
einmal die Beschäftigten bei Opel, die das schon erleben. Die Exporte aus Deutschland nach Italien, Spanien,
Griechenland und Portugal sind schon um 10 Prozent zurückgegangen. Wir senken in anderen Ländern die Kaufkraft, und das hat Folgen auch für uns; so einfach ist das.
Alles steht doch in einem Zusammenhang. Wenn der Export in Deutschland zusammenbricht, führt das - ich
habe es schon gesagt - zu einer steigenden Arbeitslosigkeit mit verheerenden sozialen Folgen.
({18})
Ich höre schon jetzt, wie Union, SPD, FDP und Grüne
dann rufen: Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands wiederherstellen! - Wenn sie das rufen,
dann heißt das: wieder runter mit den Löhnen und den
Renten, noch mehr Geringverdienende und noch mehr
prekär Beschäftigte.
({19})
Das ist der falsche Weg.
({20})
Wir brauchen endlich, und zwar im Süden Europas
wie in Deutschland, einen Weg, um die Binnenwirtschaft
zu stärken. Wir brauchen höhere Löhne, höhere Renten
und Sozialleistungen, mehr soziale Gerechtigkeit und
darüber eine Stärkung der Binnenwirtschaft.
Für die Südländer, also Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, brauchen wir einen Marshallplan, wir
brauchen Aufbau- und nicht Abbaukredite; das wissen
wir aus unserer eigenen Geschichte. Außerdem müssen
wir nicht immer den Umweg über private Banken gehen,
die wir reich machen, sondern Direktkredite gewähren.
Nur wenn die Länder über Steuereinnahmen verfügen,
können sie Darlehen zurückzahlen. Anders kann das
überhaupt nicht funktionieren. Wenn Sie den Süden
Pleite machen, sorgen Sie damit dafür, dass Deutschland
seine Gelder nicht zurückbekommt. So einfach ist das.
Übersetzt bedeutet das Folgendes: Ich will immer,
dass es meiner Nachbarin gut geht. Aber wenn ich ihr
Geld gebe, will ich erst recht, dass es ihr gut geht; denn
nur dann bekomme ich mein Geld zurück. Das ist ganz
einfach.
Die EZB leiht den Privatbanken Geld für 0,75 Prozent
Zinsen für drei Jahre, und die Banken unterstützen dann
Italien und andere Länder für 6 Prozent Zinsen. Das
heißt, sie nehmen Staatsgeld, geben es einem Staat und
verdienen die Differenz. Womit rechtfertigen Sie das
eigentlich gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Deutschland?
({21})
Auch ich sage: Es muss Auflagen für Griechenland
geben. Zum Beispiel müssen die Militärausgaben halbiert werden, die reichen Griechen endlich gerecht besteuert werden, Steuerhinterziehung wirksam bekämpft
werden. Dafür bin auch ich. Aber wir brauchen noch
etwas: Wir müssen endlich den Weg gehen, die Verursacher der Krise und die, die einen Nutzen von der Krise
haben, zur Bezahlung heranzuziehen, und nicht die
Rentnerinnen und Rentner, nicht die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, nicht die Erwerbslosen.
({22})
Ich nenne Ihnen nur zwei Zahlen: Vor der Krise gab
es in Deutschland 720 000 Vermögensmillionäre. Jetzt
gibt es 960 000 Vermögensmillionäre. Die Reallöhne
wurden gekürzt, und die Zahl der Vermögensmillionäre
ist größer geworden. 0,6 Prozent - 0,6 Prozent! - unserer Bevölkerung besitzen ein Vermögen von 2 Billionen
Euro. Das entspricht der Höhe unserer gesamten Staatsschulden. Was ist das eigentlich für eine maßlose Ungerechtigkeit?
Beim Kampf gegen die Steuerhinterziehung höre ich
immer ein Argument. Es kommt von der Union und,
jetzt vielleicht nicht mehr - das hoffe ich jedenfalls -,
von der SPD. Das Argument heißt immer: Die Reichen
bringen dann ihr Vermögen ins Ausland, oder sie nehmen ihren Wohnsitz auf den Seychellen oder in anderen
Ländern. Deswegen kann ihr Vermögen nicht besteuert
werden.
({23})
- Ich kenne das Problem.
Deshalb haben wir Ihnen vorgeschlagen - Sie haben
das bisher aber abgelehnt -, dass wir diesbezüglich
US-Recht einführen und die Steuerpflicht auch an die
Staatsbürgerschaft binden. Ein Deutscher, egal wo er
wohnt, wäre dann verpflichtet, hier in Deutschland sein
Einkommen und sein Vermögen bekannt zu geben. Er
kann auch bekannt geben, welche Steuern er woanders
zahlt. Das wird angerechnet. Hinsichtlich der Differenz
bekommt er einen Steuerbescheid. Dazu müsste jeder
Deutsche, egal wo er wohnt, verpflichtet werden. So haben das die Amerikaner geregelt. Warum können wir das
in Europa nicht endlich auch so regeln?
({24})
Das wäre übrigens auch für die 2 000 griechischen
Familien wichtig, denen 80 Prozent des Vermögens
Griechenlands gehört. Dann können auch sie zur Kasse
gebeten werden. Aber Sie sträuben sich immer dagegen.
Ich finde, Sie haben dafür keine guten Gründe.
Wenn ich das zusammenfasse, sage ich immer Folgendes: Es gibt drei Wege im Zusammenhang mit der
Krise. Union und FDP gehen den Weg, Geld durch die
Europäische Zentralbank drucken zu lassen. Wenn man
Geld drucken lässt, entwertet man das Geld, entwertet
man die Sparguthaben, entwertet man die Löhne und
Renten. Sie dürfen die Folgen von dem, was Sie dort anrichten, nicht unterschätzen.
SPD und Grüne wollen den Weg über die gemeinschaftliche Verschuldung gehen. So, wie Sie das vorschlagen, ist das abenteuerlich, weil die Leute für Dinge
im eigenen, aber vor allen Dingen auch in anderen Ländern haften, auf die sie nicht den geringsten Einfluss haben.
({25})
Ich sage: Man kann das eine und das andere ein bisschen machen. Im Kern muss es aber einen anderen Weg
geben, den Weg der Umverteilung, und zwar endlich
einmal von oben nach unten und nicht von unten nach
oben.
({26})
Wenn wir das nicht machen, bekommen wir die Krise
weder bezahlt noch sozial gerecht bewältigt.
Kommen wir doch kurz einmal zur Energiewende.
Als der Bundestag den Ausstieg aus der Atomenergie
beschloss, Frau Bundeskanzlerin, habe ich hier - das
muss ich einmal sagen - als Einziger darauf hingewiesen, dass damit auch die soziale Frage verbunden ist.
Das hat Sie damals alle noch nicht beschäftigt. Ich habe
Ihnen gesagt: Der Strom wird sich verteuern. Die Frage
ist: Wie wollen wir dieses Problem lösen?
({27})
- Nein, ich habe nichts gegen den Ausstieg aus der
Atomenergie, aber die sozialen Fragen müssen wir in
diesem Zusammenhang sehen und beantworten.
Jetzt wird angedroht, dass sich die Preise um 30 Prozent erhöhen. Wollen wir, dass ganze Familien ohne
Strom leben?
({28})
Ich finde übrigens die Millionen Stromabsperrungen, die
wir haben, indiskutabel. Es verletzt die Würde eines
Menschen, wenn er keine Energie hat. Ich finde, Stromabschaltungen müssten wir verbieten.
({29})
Das Zweite, das wir endlich begreifen müssen: Energieversorgung ist eine öffentliche Daseinsvorsorge. Deshalb gehört auch sie in öffentliche Hände. Ich möchte,
dass demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen über das Verhältnis von Kosten und Preisen entscheiden. Genau das lehnen Sie ab.
({30})
Wahr ist - da haben Sie recht -, dass wir erneuerbare
Energien benötigen. Aber dann erklären Sie mir doch
einmal, warum Sie gesetzlich garantierte Förderung der
erneuerbaren Solarenergie herunterfahren und die der
Windenergie hochfahren. Dafür gibt es einen Grund: Die
gesetzlich geförderte Solarenergie nutzt auch mittelständischen Unternehmen. Die Windparks an Nord- und Ostsee können sich nur die vier Konzerne leisten. Immer
wieder treffen Sie Maßnahmen zugunsten der Konzerne.
Hier kommt noch hinzu, dass die Solarindustrie nicht
nur, aber überwiegend im Osten und besonders in Sachsen-Anhalt entstanden ist. Ich sage Ihnen: Deindustrialisieren Sie den Osten nicht zum zweiten Mal! Das ist
nicht zu verkraften.
({31})
Wir wollen auch Sozialtarife. Ich mache Ihnen einen
Vorschlag. Wir könnten doch sagen: Pro Person ist eine
bestimmte Menge an Kilowattstunden - wir können über
die Höhe diskutieren, vielleicht 500; ich weiß es nicht beitragsfrei.
({32})
Dafür muss nichts bezahlt werden. Aber danach beginnt
eine lineare Steigerung. Das heißt, wir erreichen zwei
Dinge: Erstens. Es ist sozial. Zweitens. Wir setzen ökologisch durch, dass man mit Energie sparsam umgeht,
weil man sie danach, linear steigend, zu bezahlen hat.
Wir wissen, dass es gerade bei ärmeren Familien viele
Stromfresser gibt, weil sie sich keine neuen Haushaltsgeräte leisten können. Wie wäre es denn hier statt beim
Auto mit einer Abwrackprämie von 100 Euro, wenn jemand sein Gerät zum Schrott bringt und sich dafür eine
stromsparende Maschine kauft?
({33})
Aber es gibt ein weiteres Problem: die Mieten. Die
Mieten werden langsam unbezahlbar. Das gilt für München und für viele andere Städte in Deutschland. Wohnen muss aber bezahlbar bleiben. Auch das hat etwas mit
der Würde des Menschen zu tun. Ich finde, dass Obdachlosigkeit keine Lösung ist. Ergo müssen wir doch über
eine Deckelung der Mieten nachdenken. Von der Bun22996
desregierung kommt aber nichts. Ich möchte, dass Sie
endlich Vorschläge unterbreiten.
({34})
Nun kommen wir zur Rente. Frau Bundeskanzlerin,
Sie haben über die Rente gesprochen, aber ein wirklich
wichtiges Thema ausgelassen. Die Stärke der Linken
reichte aus, um CDU, CSU und FDP dazu zu bringen,
die Angleichung der Rentenwerte Ost und West in den
Koalitionsvertrag aufzunehmen. Leider - das muss ich
den Wählerinnen und Wählern sagen - reichte aber unsere Stärke noch nicht aus, Sie dazu zu bringen, das auch
umzusetzen. Sie haben sich jetzt für den Koalitionsvertragsbruch entschieden und sagen: Die Angleichung fällt
aus. - Ich bitte Sie: Wir haben jetzt 22 Jahre deutsche
Einheit, und wie 1990 muss ich immer noch sagen: Zur
Einheit gehört, dass man endlich für die gleiche Arbeit
in gleicher Arbeitszeit den gleichen Lohn bekommt und
für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente. Wer
das nicht will, der spaltet Deutschland.
({35})
Nach der Entscheidung - auf unsere Kleine Anfrage
hat die Regierung mitgeteilt, dass die Angleichung der
Rentenwerte ausfallen wird - habe ich einen Brief von
CDU-Frauen, Rentnerinnen aus dem Osten, bekommen,
Herr Kauder, die sich bei mir über Sie beschweren. So
weit ist es inzwischen schon gekommen.
({36})
Dann haben wir noch ein weiteres Thema: Altersarmut. Das betrifft ganz Deutschland. Ich danke Frau von
der Leyen und auch Herrn Gabriel dafür, dass plötzlich
die 35- und 45-Jährigen begriffen haben, dass es sie treffen wird und dass sie in noch schlimmerer Altersarmut
als heute leben werden.
Die Grünen darf ich daran erinnern, dass sie bei der
Senkung des Rentenniveaus immer behauptet haben, sie
machen das im Interesse der jungen Generation. Gerade
die junge Generation wird unter Altersarmut leiden.
Korrigieren Sie sich diesbezüglich endlich!
({37})
Wir hatten im Jahr 2000 ein Rentenniveau vor Steuern von 53 Prozent. Heute sind es 51 Prozent, und im
Jahr 2030 werden es nur noch 43 Prozent des durchschnittlich erzielten Lohns sein. Die Ursache der Rentenkürzungsprogramme haben Sie letztlich alle zusammen geschaffen, weil die Rentenformel geändert wurde.
Sie haben Kürzungen bei der Ausbildung vorgenommen,
und Sie haben noch dafür gesorgt, dass für Hartz-IV-Beziehende überhaupt keine Rentenbeiträge mehr gezahlt
werden.
Natürlich hat Herr Gabriel völlig recht: Der Niedriglohnsektor und die prekäre Beschäftigung verschärfen
die gesamte Situation. Er hätte aber auch sagen müssen,
dass er es eingeführt hat, und er hätte wenigstens sagen
müssen, dass das ein schwerwiegender Fehler der Sozialdemokratie war und dass er ihn korrigieren will.
({38})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben recht, wenn Sie feststellen, dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn die Probleme der Altersarmut nicht löst.
({39})
Aber ein bisschen hilft er schon. Wenn wir nämlich höhere Löhne haben, dann gibt es auch höhere Beiträge
und damit höhere Renten. Insofern gibt es schon einen
Zusammenhang. Es reicht nicht aus, aber immerhin.
Die private Vorsorge ist ein Flop. Die private Lebensversicherung können sich die Geringverdienenden nicht
leisten. Die Riester-Renten bringen viel weniger Erträge
als versprochen.
Nun kommen die Vorschläge von Frau von der Leyen
und auch von der SPD. Frau von der Leyen will eine Zusatzrente, aber viele, die sie brauchten, sollen sie nicht
bekommen. Das ist völlig unvollständig. Bei der SPD
geht es um eine Mindestrente von 850 Euro brutto. Netto
wären das übrigens 760 Euro, nur dass man auch das
weiß. Das löst das Problem aber auch nicht, weil Sie
nicht bereit sind, das Rentenniveau zu erhöhen. Das ist
aber der wichtigste Schritt.
Ich schlage Ihnen noch einmal - weil das Schicksal
der älteren Menschen uns alle angeht - einen Rentengipfel vor, an dem alle Parteien teilnehmen. Wir müssen
dann über elf Fragen nachdenken. Ich will Sie Ihnen
stellen.
({40})
- Ja, elf Punkte.
Sie berücksichtigen dabei bitte, Herr Kollege Gysi,
dass Sie dafür genau eine Minute Zeit haben, ja?
Herr Bundestagspräsident, ich weiß das.
Ich verfolge das wie immer mit sportlichem Ehrgeiz.
({0})
Also: Erstens. Verzicht auf Beitragssenkung im
nächsten Jahr. Wir brauchen das Geld.
Zweitens. Wiederherstellung des ursprünglichen Rentenniveaus, das heißt 53 Prozent des Lohns.
Drittens. Mindestrente beginnend mit - sagen wir
mal, als einem Zuschlag auf die erworbenen Rentenansprüche - 900 Euro bei schrittweiser Anhebung auf
1 050 Euro.
Viertens. Abschaffung der Kürzung der Rente um
zwei Jahre, also keine Rente erst ab 67 Jahre.
({0})
Fünftens. Ausbildungs-, Erziehungs- und Pflegezeiten müssen besser berücksichtigt werden.
Sechstens. Die Geringverdienenden sollen in der
Rente so behandelt werden, als ob sie drei Viertel des
Durchschnittsverdienstes verdient hätten. Das war früher
so geregelt. Das können wir wieder einführen.
Siebtens. Unverzüglich müssen wieder Beiträge in die
gesetzliche Rentenversicherung für Hartz-IV-Beziehende
gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des
Durchschnittslohns bezögen.
Achtens. Dann brauchen wir die Abschaffung der Abschläge und die Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten.
Damit komme ich schon zum neunten Punkt, Herr
Bundestagspräsident.
Sie sind auch schon über die Redezeit, Herr Kollege
Gysi.
({0})
Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss endlich eingeführt werden, dass künftig alle Menschen mit Erwerbseinkommen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, auch Unternehmer, Rechtsanwälte, Beamte und
Bundestagsabgeordnete.
({0})
Zehntens. Dann müssen wir die Beitragsbemessungsgrenze aufgeben. Dann muss eben der nächste
Ackermann einen bestimmten Prozentsatz von seinem
gesamten Einkommen in die Rentenversicherung einzahlen. Die damit verbundenen Rentensteigerungen müssen
abgeflacht werden.
Elftens brauchen wir eine Rentenangleichung zwischen Ost und West.
({1})
Meine vorgesehenen Schlussworte lasse ich nun weg.
Nur so viel: Sie bringen nichts mehr zustande. Es gibt
überhaupt keinen Grund - das hat die SPD völlig zu
Recht festgestellt -, warum wir noch ein Jahr bis zur
nächsten Bundestagswahl warten sollten. Eigentlich
müssten wir sofort wählen. Es gibt nur ein Problem:
Diese Koalition bringt noch nicht einmal ein grundgesetzgemäßes Wahlrecht zustande. Wir haben überhaupt
keins mehr.
({2})
Lieber Herr Präsident, eine Bitte: So nett es mit Ihnen
ist, aber dass wir beide lebenslänglich hier bleiben müssen, sollten wir nicht zulassen. - Also schaffen Sie endlich ein grundgesetzgemäßes Wahlrecht! Das ist doch
nicht zu viel verlangt, oder?
({3})
Die letzte Aufforderung war offenkundig jedenfalls
nicht exklusiv an mich gerichtet. Im Übrigen tragen wir
vielleicht die erneut großzügig zusätzlich gewährte Redezeit auf den nächsten Redebeitrag vor.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland steht besser da als die meisten Länder der Welt. Das
ist kein Zufall. Das ist das Resultat harter Arbeit der
Menschen, das Resultat erfolgreicher Unternehmen - sowohl des Mittelstands als auch von Konzernen -, das
Resultat vernünftiger Tarifpartnerschaft. Das ist das Resultat der christlich-liberalen Regierungspolitik.
({0})
Wir haben die Weichen für Wachstum und Beschäftigung gestellt. Die Reallöhne steigen zum ersten Mal seit
zehn Jahren das dritte Jahr hintereinander. Unsere Entlastungspolitik lohnt sich: 24 Milliarden Euro bei den
Steuern, 9 Milliarden Euro bei den Rentenbeiträgen. Das
hat Hunderttausende neue Jobs in Deutschland gebracht.
({1})
Die letzten Schritte bei der Rentenbeitragsentlastung blockiert die SPD im Bundesrat. Da vernebelt eine undurchdachte Wahlkampftaktik den ökonomischen Durchblick.
Die christlich-liberale Koalition sorgt für Rekordbeschäftigung. Wir haben 41 Millionen Erwerbstätige. So viele
gab es noch nie in Deutschland.
Ich habe noch die schrillen Töne von Herrn Gabriel
am Anfang dieser Legislaturperiode im Ohr. Er hat vor
einer Abwärtsspirale und vor Massenarbeitslosigkeit gewarnt. Nichts von Ihren Kassandrarufen ist eingetreten.
Ihre Lagebeurteilung war falsch, und Ihre Rezepte wären
auch falsch gewesen.
({2})
Sie wollten eine Kurzarbeiterregelung bis zum SanktNimmerleins-Tag, Staatshilfen für Opel und Abwrackprämien für Maschinen. Alles das war im Angebot von
Herrn Gabriel. Es wäre teuer, sinnlos und kurzatmig gewesen. Das haben wir Gott sei Dank nicht gemacht.
({3})
Unsere Politik folgt langen Linien. Es gibt keine kurzatmigen Maßnahmen. Nicht kurzfristiges Hüpfen, sondern Durchhalten von Linien, das ist das Gegenmodell
der christlich-liberalen Erfolgskoalition zu dem, was uns
Rot-Grün immer wieder vorträgt.
({4})
Eines, Herr Steinmeier, muss ich Ihnen sagen, weil
Sie mit solchem Selbstlob die rot-grüne Regierungszeit
versehen haben:
({5})
Bei der Einführung des Euro hatten wir keine politische
Union. Die war auch nicht machbar. Aber man hätte Europa weiterentwickeln, vorwärts entwickeln müssen.
Aber Rot-Grün hat Europa rückwärts entwickelt. Sie haben Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen, Sie
haben die Stabilitätskriterien, sowohl die 3-Prozent-Regelung als auch die 60-Prozent-Regelung, gebrochen.
Deshalb sollten Sie sich das Selbstlob über diese Periode
sparen. Wir räumen heute die Scherben rot-grüner Politik weg, wir bringen Europa richtig nach vorne.
({6})
Dass Sie die Regierung nicht loben, kann Ihnen keiner krummnehmen. Das gehört zur Demokratie. So ist
nun einmal das Rollenspiel. Aber dass Sie nicht zur
Kenntnis nehmen, wie gut wir dank unserer Politik dastehen,
({7})
ist schon ein Stück Realitätsverweigerung.
({8})
Wenn Sie, Herr Poß, mir nicht glauben, glauben Sie vielleicht großen Magazinen. Ich zitiere einmal das Time
Magazine; dort heißt es wörtlich:
Deutschland geht es deswegen besser als dem Rest
Europas,
({9})
weil es sich nicht so verhält wie der Rest Europas.
Es ist die Politik in Deutschland, die zur Veränderung
geführt hat!
({10})
Ihre Rezepte sind Steuererhöhung, Umverteilung,
Vergemeinschaftung von Schulden. Das ist ein Rezessionsprogramm. Es geht immer wieder nach der alten
Melodie, lieber Herr Poß: Fällt den Sozis etwas ein,
muss es eine neue Steuer sein. ({11})
Die sollten Sie nicht mehr singen. Das ist einfach verkehrt. Herr Gabriel sollte einmal einen Blick auf sein sozialistisches Idol Hollande werfen. Der hat gleichzeitig
mit seinen Steuererhöhungen Wachstumseinbrüche verkündet. Beides hängt miteinander zusammen. Das Modell, Wachstum mit Steuererhöhungen zu generieren, hat
noch nie funktioniert.
({12})
Deshalb: Mehrbelastungen und Wachstumsschwäche
dürfen in Deutschland nicht Regierungspraxis werden.
Wir betreiben mit Wolfgang Schäuble an der Spitze eine
wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik. Das ist
der richtige Weg. Unsere Devise ist: nicht abrupt auf die
Bremse treten, sondern sinnvoll zurückführen, einfrieren
und damit die Wachstumsimpulse verstärken.
Wir halten Ausgabendisziplin. Wir haben zwei
Schwerpunkte gesetzt - die halten wir auch ein -, Bildung und Forschung, und wir haben die Schuldenbremse
drei Jahre früher als geplant umsetzen können. Wir werden 2014 - davon bin ich überzeugt - die schwarze Null
erreichen können. Ich erwarte die ersten Konsolidierungsvorschläge von Ihnen, Herr Poß, und der SPDFraktion. Ich habe bisher keine gehört.
Aber Sie sind auch mit anderen Dingen beschäftigt.
Die SPD sucht den letzten Troikaner.
({13})
Unentschlossen, albern, reizlos - so zitiert die Süddeutsche Zeitung andere Spitzengenossen über die drei Fragezeichen, die Sie in der Landschaft haben, die drei
Möchtegernkanzlerkandidaten. Bis Sie das ausgebissen
haben, wird noch viel politisches Blut fließen.
Aber die SPD sucht nicht nur einen Kanzlerkandidaten, sie sucht auch ein Wahlkampfthema. Die SPD weiß
genau: Die Wirtschaftsbilanz von uns ist gut. Damit
kann sie nicht punkten. Die Beschäftigungsbilanz von
uns ist gut.
({14})
Das Krisenmanagement beim Euro ist gut. Die Haltung
zu Euro-Bonds und zur Vergemeinschaftung von Schulden kommt bei ihrer eigenen Basis nicht an.
Herr Gabriel versucht es bei seinen Twitter-Stündchen zu Hause am Computer während der Babypause
mit der Bankenschelte per Interview. Aber die Haltung
von Herrn Gabriel zu den Banken ist schon ein starkes
Stück. Die SPD hat elf Jahre lang die Finanzminister in
Deutschland gestellt und ist die ganze Zeit, elf Jahre
lang, in die andere Richtung marschiert. Ich will Ihnen
ersparen, im Einzelnen aufzuzählen, was Rot-Grün alles
an Hedgefondsfreundlichkeiten und bei Derivaten eingeführt hat. Wenn ich mir die rege Vortragstätigkeit des
Kollegen Steinbrück anschaue, kann ich eine Kontaktscheue von ihm gegenüber Großbanken beim besten
Willen nicht feststellen.
({15})
Ich kritisiere das nicht.
({16})
- Nein, ich halte keine Vorträge gegen Geld. Nein, das
mache ich nicht.
({17})
Meine Weisheiten können Sie, Herr Poß, ohne Kosten
bekommen, free of charge. Sie müssen sie nur umsetzen.
Das wäre mein Lohn.
({18})
Ein bisschen Praxisbezug täte Herrn Gabriel schon
gut. Wenn er den hätte, würde er vielleicht zur Kenntnis
nehmen, wer den Ordnungsrahmen für den Finanzmarkt
grundlegend verbessert hat. Wir, die christlich-liberale
Koalition, haben das gemacht. Wir haben ungedeckte
Leerverkäufe verboten. Wir haben den Anlegerschutz
verbessert. Wir haben mit der Bankenabgabe die Akteure der Finanzmarktkrise an den Kosten beteiligt und
damit auch Vorsorge für zukünftige Risikofälle getroffen. Wir haben die Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt. Wir haben die Vergütungssysteme der Banken reguliert. Wir fesseln den Drachen, den Rot-Grün gemästet
hat. Das ist eben der Unterschied.
({19})
Teile der Politik haben eine Diskussion um Altersarmut im Jahre 2030 losgetreten. Das ist sicherlich eine
notwendige Debatte. Aber wir müssen diese Debatte seriös führen, damit sie nicht zu einem Angstverstärker
wird. Wir alle kämpfen gerade um den Erhalt unserer
Währung, um die Geldwertstabilität. Die Menschen haben aktuell vielfach Angst um ihr Erspartes, um ihr Auskommen in der Zukunft. Wer in einer solchen Zeit ein
Horrorszenario veranstaltet, ist nicht von politischer
Klugheit geprägt,
({20})
zumal viele Dinge unausgegoren sind. Private Vorsorge
wird neben der betrieblichen und gesetzlichen Altersabsicherung eine starke Säule sein müssen. Auch deshalb
müssen wir die kleinen und mittleren Einkommen, Herr
Poß, von der kalten Progression entlasten.
Herr Gabriel sagt mit Blick auf die Rente: Mehr betriebliche Altersvorsorge! Wenn Sie es aber nicht zulassen, dass die Menschen von ihren Lohnerhöhungen einen fairen Anteil behalten: Wie sollen sie dann für das
Alter vorsorgen? Es geht nicht an, ihnen das Geld zu
verweigern und mehr Leistungen zu fordern. Das ist ein
logischer Widerspruch. Damit kommen Sie nicht durch.
({21})
Jetzt lese ich: Herr Gabriel will in die andere Richtung;
jetzt will er die Riester-Rente abschaffen, die ja von der
SPD eingeführt wurde. Wenn ich es richtig sehe, ist
Riester immer noch Mitglied der SPD. Das ist die
nächste Rückwärtsrolle. Herr Steinmeier schweigt dazu was ihn auszeichnet.
({22})
Aber, meine Damen und Herren, bevor wir in eine
solche Debatte einsteigen, sollten wir eine saubere Generationenbilanz aufstellen. Es gibt viele ausgereifte
wissenschaftliche Ansätze, nach denen man jeder Generation ein Konto der fiskalischen Be- und Entlastung zuordnen kann. Ohne seriöse Zahlengrundlage stochern
wir im rentenpolitischen Nebel; das hat die Debatte der
letzten Tage gezeigt. Hermann Gröhe hat für die CDU
am Montag erklärt - ich teile das -: „Gründlichkeit geht
vor Schnelligkeit.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Genau
so muss man an dieses Thema herangehen.
({23})
Meine Damen und Herren, Geldwertstabilität ist stille
Sozialpolitik. Stabiles Geld schützt gerade die, die wenig
haben, vor Eingriffen in die Substanz, die sie sich erarbeitet haben, indem sie auf ihrem Sparbuch ein bisschen
für das Alter angespart und damit Vorsorge getroffen haben. Deshalb ist Inflation für mich eine der größten sozialen Schweinereien. Wir müssen alles Erdenkliche tun,
um genau diese Entwicklung zu vermeiden.
({24})
Vergessen wir nicht: Am Anfang und am Ende der
unseligsten Zeit deutscher Geschichte stand eine galoppierende Inflation - und zweimal eine Währungsreform.
Deshalb ist unsere Verpflichtung als Mitverantwortliche
für die europäische Zukunft, eine hohe Sensibilität für
Geldwertstabilität aufzubringen. Wer Spekulation bekämpfen will, muss für Geldwertstabilität sein. Denn nur
dann ist die Nebelwand nicht da, die es Spekulanten erlaubt, ehrbaren Bürgern über Spekulationen Geld wegzunehmen. Deshalb: Stabiles Geld ist die Grundlage, die
Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft. Wir steuern
auch die Wirtschaft falsch, wenn die Preise nicht mehr
die Knappheitsrelation widerspiegeln; denn die Preissignale - und nicht der Staat - steuern in der sozialen
Marktwirtschaft die Volkswirtschaft. Wir brauchen aus
Gründen der Effizienz einer Volkswirtschaft, auch der
sozialen Gerechtigkeit, stabiles Geld. Dafür müssen wir
engagiert eintreten.
Ich betone für meine Fraktion: Eine dauerhafte Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ist grundfalsch; das
darf so nicht sein.
({25})
Folglich haben wir auch eine unabhängige Europäische Zentralbank. Das war die Prämisse, und das haben
alle Parteien den Deutschen versprochen. Die neue Währung, der Euro, sollte so stabil sein, wie die D-Mark es
war, und die EZB sollte so unabhängig sein, wie die
Bundesbank es war und ist. Daran müssen wir uns halten, auch wenn uns Entscheidungen einmal nicht passen;
denn sonst gäbe es keine Unabhängigkeit.
Das, Herr Schneider, ist ja der Witz: Wenn es Ihnen
passt, ist Unabhängigkeit gut. Aber wenn es Ihrer sozialistischen Vorstellung widerspricht, dann ist sie schlecht.
So kann man mit Unabhängigkeit nicht umgehen. Entweder man steht zur Unabhängigkeit, oder man meint es
nicht redlich damit. Wir sind mit der Autonomie der Notenbank - das ist unsere deutsche Erfahrung - gut gefahren. Deshalb sollten wir dabei bleiben. Alles andere
führte in die Inflationsunion. Wir teilen die Bedenken
des Bundesbankpräsidenten voll und ganz.
({26})
Ich sage denen, die auf das Kursfeuerwerk dieser
Tage hinweisen: Finanzmärkte haben die Perspektive
von Stunden. Eine stabile Währung hat die Perspektive
von Jahren und Jahrzehnten. Darüber sollten wir uns klar
sein.
({27})
- Ihnen natürlich! Sie erzählen nämlich Unsinn, Herr
Schneider, jeden Tag.
({28})
Dass Sie sich da von Ihrer Partei absentieren, spricht natürlich für partielle Erkenntnisgewinne, aber noch nicht
für klare Linie.
Ich finde es geradezu erstaunlich, was wir erleben:
Die europäische Linke verbündet sich mit Wall Street.
Die beiden Extrempositionen finden zusammen. Die
wollen alles mit Geld fluten. Das war doch genau der
Fehler der Amerikaner, der Fehler von Greenspan. Die
lockere Geldpolitik, das permanente Gelddrucken in den
USA ist eine der Ursachen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und falscher Strukturen.
({29})
So kann man Strukturprobleme nicht lösen. So kann man
nur kurzfristig etwas abfedern. Alles mit Geld zuzuschütten, wie die Linken es wollen, wie Wall Street es
will, ist keine Lösung.
({30})
Da müssen wir Maß und Mitte und Vernunft walten lassen und dürfen nicht die EZB zur Fed werden lassen.
Das hat Amerika in die Krise hineingeführt. Deshalb haben wir einen klaren Kurs und eine klare Meinung. Herr
Steinmeier, sagen Sie ehrlich, dass ich recht habe, auch
wenn es der SPD schadet. Sie kommen dann aber weniger lang ins Fegefeuer; das ist auch ein Stück Fortschritt.
({31})
Was Greenspan gemacht hat, der sogenannte
Greenspan-Put, den viele für legendär halten, war doch
die Hauptursache, die zur Misere geführt hat.
({32})
Im Boom wurden die Zinsen nicht erhöht; in der Baisse
wurden sie gegen null geführt. Falsche Zinsen führen zu
falschen Entscheidungen.
({33})
Der Zins ist der Preis für Kapital. Wenn man den über
längere Zeit künstlich anders gestaltet, verzerrt man eine
Volkswirtschaft. Das ist das Problem der Amerikaner.
Von daher tun sie sich so schwer, wieder hochzukommen.
({34})
Deshalb halten wir bei uns sorgfältige Beobachtung
für notwendig. Die Güterpreise sind zwar stabil, aber bei
den Vermögenspreisen müssen wir genau hinschauen.
Partiell gibt es im Immobiliensektor nach meiner Beobachtung schon Vorformen einer Blasenbildung. Wenn
der DAX so schnell hochschießt, ist das auch eine nicht
ganz gesunde Entwicklung. Deshalb: stabilitätsorientierte Geldpolitik!
Für die Grünen sind die Schicksalsfragen offenbar gar
nicht so interessant. Schauen wir uns einmal an, was Sie
von den Grünen bei Ihrer Klausur veranstaltet haben
- das ist angesichts des Ernsts der Lage in Europa wirklich erstaunlich -: Abwrackprämien für Fahrräder! Frau
Künast hat das dann wieder einkassiert. Dafür machen
Sie Abwrackprämien für Kühlschränke - wahrlich ein
großer Impuls für die europäische Zukunftsentwicklung!
({35})
Dass eine Partei, die einmal gegen die Wegwerfkultur
angetreten ist, solche Anregungen gibt, ist sehr erstaunlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben Sie doch den Mut, bei der nächsten Klausur ihre
Dienstwagen vorne zu parken, nicht versteckt hinter dem
Haus!
({36})
Ich kann Ihnen versichern: Deutsche Autos sind gute
Wertarbeit. Die kann man mit Stolz zeigen. Die sind
auch ökologisch gut weiterentwickelt.
({37})
Sie brauchen nicht vor lauter Angst um Ihr Ökoimage
Ihre Autos zu verstecken und vorne für das Pressefoto
liebevoll irgendein Ökomodell, wahrscheinlich mit Sonnensegel, zu präsentieren. Das ist unaufrichtig und entspricht auch nicht der Sachlage.
({38})
Aber diese Zweischneidigkeiten kennt man bei Ihnen;
das hat schon fast Tradition. Herr Kretschmann fliegt per
Hubschrauber, lässt seinen Dienstwagen 600 Kilometer
nachkommen. Jetzt verstehe ich Ihre Forderung nach
neuen Mobilitätskonzepten.
({39})
Grün ist - jetzt habe ich es wirklich verstanden -, wenn
ich für eine Strecke zwei Fortbewegungsmittel brauche.
Das ist grüne Politik!
({40})
Aber das ist scheinheilig. Deshalb muss das ausgesprochen werden.
({41})
Das, was Sie propagieren und hier erzählen, und das,
was Sie draußen machen, sind zwei Paar Stiefel. Die
Menschen müssen endlich einmal die Wahrheit erfahren.
Das ist Bio mit Schickeria - komische Mischung, aber
nicht die Lösung der Probleme!
({42})
Zu Ihren energiepolitischen Vorstellungen. Für viele
Menschen im Lande ist der Energiepreis auch ein Brotpreis. Dieser Preis steigt durch die EEG-Umlage wahnsinnig. Wir haben Subventionszusagen von über 100 Milliarden Euro. Laut Hochrechnungen mancher Experten
werden das bis 2030 über 300 Milliarden Euro sein. Das
sind Beträge, die höher sind als das, was wir in 60 Jahren
für die Kohleförderung in Deutschland ausgegeben haben. Die Solarlobbyisten bei den Grünen haben hier
ganze Arbeit geleistet.
({43})
Meine Damen und Herren, Energie muss bezahlbar bleiben: für Familien, für den Mittelstand, für die Industrie.
Einer der weniger intelligenten Zwischenrufe des
Kollegen Trittin bei der Energiedebatte war neulich:
„Morgenthau-Plan!“ Wollen Sie denn den MorgenthauPlan für die deutsche Industrie? Wollen Sie diejenigen
plattmachen, die unseren Wohlstand ermöglichen, die
uns aus der Krise herausgezogen haben? Die SPD setzt
ganz andere Akzente. Da ist offenbar der Groschen gefallen. Die Grünen setzen auf eine Energie- und Industriepolitik der sozialen Kälte. Das ist die Realität.
({44})
Sie diskutieren jetzt einen Sozialtarif, weil sie merken,
was sie den Menschen mit ihrer falschen Politik zumuten. Deshalb ist es richtig, dass man das ändern muss.
Ich setze auf unser Duo Rösler und Altmaier, dass es genau das ändert.
({45})
Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif, aber
Energie darf auch nicht zum Luxusgut werden. Man
kann sie auch nicht nur auf Erneuerbare reduzieren. Da
Erneuerbare weitgehend nicht grundlastfähig sind, brauchen wir auch zukünftig Gas- und Kohlekraftwerke. Wir
brauchen Tausende Kilometer an neuen Leitungen. Offshoreanbindung und Bundesnetzplan sind Ansätze der
Bundesregierung, die richtig sind. Aber Ihre grün mitregierten Bundesländer sitzen im Bremserhäuschen. Bei
der erneuerbaren Energie die Hand aufhalten und sich
beim Netzausbau einen schlanken Fuß machen, das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir werden Sie
überall stellen.
({46})
Eine Deindustrialisierung als Opfergabe für die Energiewende wäre genau der falsche Weg.
({47})
- Frau Roth, Sie wissen das schon. So doof können Sie
doch gar nicht sein, dass Sie hier etwas Falsches sagen.
({48})
Sie sind doch eine intelligente Frau. Sie sagen das wider
besseres Wissen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik der
Bundesregierung sehr beeindruckend bestätigt. Ich finde
das gut. Es hat eine klare Haftungsbegrenzung hinsichtlich der Parlamentsbeteiligung gesetzt und mehr Transparenz beim ESM gefordert. Das ist für mich auch eine
indirekte Absage für Euro-Bonds und einen Altschuldentilgungsfonds. Wer so etwas diskutiert, bewegt sich
verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Eis, ökonomisch
völlig auf dem Holzweg, weil ein Einheitszins völlig
falsch ist. Wenn man gute und schlechte Risiken mit
dem gleichen Zins und Preis bedenkt, dann macht man
etwas fundamental falsch. Zinsen sind Fieberthermometer, und wer diese ignoriert, steuert unsere Volkswirtschaft völlig falsch.
({49})
Insofern hat das Gericht den erfolgreichen Kurs der Bundesregierung bestätigt.
Herr Trittin als Freund der Hochfinanz wird wahrscheinlich wieder die Banklizenz des ESM hochziehen,
wie in Amerika demonstriert. Das Anwerfen der Notenpresse ist wirtschaftspolitisches Morphium. Lassen Sie
also die Finger davon! Das vernichtet Vermögen. Das
steuert falsch und ist der falsche Weg. Einen Dank an
das Verfassungsgericht, das uns davor bewahrt, den Ansätzen eines inflationspolitischen Himmelfahrtskommandos von der linken Ecke her in Deutschland Raum
zu geben. Nein, wir bleiben auf klarem Kurs. Dieser ist
erfolgreich. Diesen setzen wir genau so fort.
Vielen Dank.
({50})
Die Kollegin Renate Künast hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es
nach dieser Karnevalsrede einmal auf den Punkt zu bringen:
({0})
Dies ist der letzte Haushalt, den Schwarz-Gelb in den
Deutschen Bundestag einbringt, weil das letzte Jahr einer schwarz-gelben Regierung bevorsteht.
({1})
Der Klamauk von Ihnen, Herr Brüderle, war der Beweis
dafür, dass eine neue Regierung dringend nottut.
Es hat Regierungen gegeben in diesem Land, es hat
Kanzler gegeben in diesem Land, die haben das Land an
manchen Stellen wirklich vorangebracht. Denke ich an
Willy Brandt: die Ostverträge, die Öffnung in der Gesellschaftspolitik, das hat Mut erfordert. Denke ich - das
wird Sie vielleicht verwundern - an Helmut Kohl: Er hat
in der Europapolitik so manchen mutigen Schritt getan,
weitsichtige Entscheidungen getroffen. Denke ich an die
Regierung Schröder/Fischer, so weiß ich: Da waren der
Ausstieg aus der Atomenergie, die ökologische Steuerreform, die Realisierung, dass sich die Wirklichkeiten in
Deutschland aufgrund des demografischen Wandels verändern, statt sich in falschen Sicherheiten zu wiegen.
Nach dem, was Frau Merkel heute zum Besten gegeben hat, muss ich feststellen: Sie, Frau Merkel, haben
sich hier hingestellt und von einem großen Tag für
Europa, von einer großen europäischen Botschaft gesprochen; aber das war ja nur von den Aktivitäten anderer abgeleitet.
({2})
Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, Ihr Credo sei
ein Dreiklang aus soliden Finanzen, Solidarität mit den
Schwachen und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft. Ich muss wirklich sagen - mit Verlaub, Frau
Merkel -: Das war unwahr. Nichts, was sich positiv entwickelt hat, beruht auf dem Handeln von Schwarz-Gelb.
Die drei Ihrem Credo zugrunde liegenden Dinge stellen
nicht die Leitlinie Ihrer schwarz-gelben Regierung dar.
Im Gegenteil: Mit Ihnen geht die Schere weiter auf, mit
Ihnen wird nicht an soliden Finanzen gearbeitet.
({3})
Kein Projekt, keine Reform, keine Wegmarke, nichts,
sondern Stillstand und Zank, den Sie in der Sommerpause gerade einmal ein wenig zurückgehalten haben.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: In diesem Land haben
viele langsam die Nase voll von dieser Inszenierung von
Politik,
({4})
inszeniert je nach Meinungsumfrage, je danach, wo angeblich der Mitte der Schuh drückt. Dann zeigen Sie sich
ein wenig: Jede Ministerin, jeder Minister darf einmal so
herum und einmal so herum blinken, aber danach passiert nichts. Das ständige Nein in Europa führt dazu, dass
die EZB jetzt diese Anleihen kauft, was Sie angeblich
nicht wollten. Beim Mindestlohn gab es eine lange Inszenierung. Und, gibt es einen Mindestlohn? Gibt es
nicht. Bei der Frauenquote gab es eine lange Aufführung
von zwei Frauen. Passiert ist auch noch nichts. Höchstens die Flexi-Quote kommt.
({5})
Ich habe schon langsam ein Von-der-Leyen-Syndrom;
das macht sich immer dann bemerkbar, wenn sie auftaucht. Die letzte Inszenierung ist die Zuschussrente. Da
wird wahrscheinlich wieder nichts für die armen Rentner
passieren, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Methode. Vergleiche ich Sie mit anderen großen Kanzlern,
kann ich nur sagen: So werden Sie nicht in die Geschichte eingehen, Frau Merkel.
({6})
Die Frage, die ich Ihnen stelle, ist: Was tun Sie eigentlich sozial, ökologisch und finanziell für dieses
Land? Wo sorgen Sie eigentlich dafür, dass in Deutschland mehr Teilhabe möglich ist, dass Menschen Aufstieg
erfahren können? Wo tun Sie etwas dafür, dass sich alle,
die hier leben, einmischen können, Bürgerinnen und
Bürger des Landes sind? Wo tun Sie etwas dafür, dass
die zentralen Zukunftsfragen dieses Landes geregelt
werden? An keiner Stelle. Ich sage Ihnen: Dieses Land
braucht eine andere Politik. Eine andere Politik ist möglich, und die wird auch kommen.
({7})
Beginnen wir doch einmal mit der Frage nach der Zukunft Europas. Da muss ich mich jetzt einen Augenblick
von Frau Merkel abwenden
({8})
und zu Gregor Gysi schauen. Das war eine Lachnummer, lieber Gregor Gysi. Indem Sie immer nur Nein sagen und zusammen mit dem Europagegner Gauweiler
immer wieder nach Karlsruhe ziehen, haben Sie keinen
Anteil daran, dass, wie auch heute wieder geschehen, die
Beteiligung des Bundestages gesichert wurde.
({9})
Das ist das Bedauerliche beim ewigen Neinsagen. Wir
dagegen haben uns wirklich Gedanken um Europa gemacht und dafür gesorgt, dass in die Vorlagen zum ESM
eine ordentliche Parlamentsbeteiligung aufgenommen
wurde.
({10})
Das haben wir - ich gebe es zu - auch mit Klagen in
Karlsruhe erkämpft,
({11})
aber auch in beinharten Verhandlungen hier. Deshalb
hast du heute zusammen mit Gauweiler verloren. Frau
Merkel hat auch keinen Grund, zu sagen, von ihrer Regierung gehe ein europäisches Signal aus.
({12})
Frau Merkel, ich würde mir wünschen, Sie hätten
mehr Mut. Helmut Kohl hatte ihn. Er hat 1997 einmal
gesagt:
… wer Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand
für alle Bürger unseres Kontinents auf Dauer sichern will, der wird für das geeinte Europa eintreten.
Ich verstehe Ihre Notlage durchaus. Wenn Sie einen
Schritt nach vorne machen, kommen all die Kleingeister
aus Ihrer Fraktion. Die einen fordern den sofortigen
Austritt Griechenlands und die anderen fordern die Abspaltung; aber nicht die Abspaltung Griechenlands, sondern die Abspaltung Bayerns, auch das hat es bei Ihnen
gegeben. Um es einmal so zu formulieren: Für Söder
und Dobrindt ist ja keine Forderung zu blöd. Außerdem
wäre da noch der Bundeswirtschaftsminister, der uns damit beglückt, indem er immer wieder stolz sagt, um uns
seine Tapferkeit zu beweisen, dass ein Euro-Austritt
Griechenlands kein Problem mehr sei.
({13})
- Das hat er immer wieder gesagt, man sei irgendwie darauf vorbereitet.
({14})
Ich sage Ihnen einmal, was kein Problem wäre: Es
wäre kein Problem, wenn Philipp Rösler nicht mehr
Bundeswirtschaftsminister wäre, weil es gar nicht auffallen würde.
({15})
Wie kann man in einer Situation, in der alle Finanzmärkte darauf lauern, ob wir in der Lage sind, das relativ
kleine Griechenland zu halten, sagen, es wäre kein Problem, wenn es die Euro-Zone verlassen würde; denn
wenn das der Fall wäre, dann wüssten alle, dass wir Italien, Spanien und andere nicht halten können, und dann
gäbe es einen Dominoeffekt. Nur Philipp Rösler versteht
das nicht.
({16})
All jenen, die fragen, wozu man ihn braucht, sage ich:
Das Einzige, was von ihm in Erinnerung bleiben wird,
ist die Tatsache, dass er Hermesbürgschaften für Legehennenfabriken in der Ukraine vergeben hat. Es wird
eine aus deutschen Steuergeldern finanzierte Hermesbürgschaft übernommen, damit in der Ukraine Käfige
aufgebaut werden können, die in Deutschland längst verboten sind. Für die viertgrößte Industrienation ist das
erstens falsch und zweitens zu wenig, Herr Brüderle.
({17})
Lassen Sie mich diejenigen, die immer gerne nach
Karlsruhe gehen, um den nächsten europäischen Schritt
zu verhindern, an Folgendes erinnern: Werfen Sie einen
Blick in die Präambel des Grundgesetzes; Sie sind ja immer so verfassungstreu. Dort steht, dass wir einen Staatszielauftrag haben, und der lautet so:
… von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der
Welt zu dienen …
- „in einem vereinten Europa“! Ich erwarte, dass wir
eine Regierung haben, die sich endlich auf diesen Weg
macht, statt immer nur Mauschelei zu betreiben und
Zickzackkurse zu fahren. Das ist zu wenig.
({18})
Ihre Strategie ist gescheitert. Das verdeutlicht die Tatsache, dass die EZB gerade die Notenpresse anwerfen
musste. Herr Brüderle kann noch so lange herumtanzen,
es ist einfach passiert. Und nun, Herr Brüderle? Jetzt
stellt er sich hierher, bläst sich auf und sagt: Aber nicht
dauerhaft! Dabei werden Sie auch in diesem Punkt umfallen, wir wissen nur noch nicht, ob nächste Woche oder
in ein, zwei Monaten.
({19})
Wir brauchen eine Regierung, die sich wirklich zu
diesem vereinten Europa bekennt. Hierzu müssen weitere Schritte getan werden. Gerade die EZB weist uns
darauf hin, dass der nächste Schritt Altschuldentilgungsfonds heißt; denn sowohl die Summe als auch die einzelnen Schritte sind überschaubar. Wo bleiben Ihre Aktivitäten?
({20})
- Sie kennen das Modell, Herr Fricke.
({21})
Die Summe ist berechenbar. Wenn Sie die Schulden der
Länder, die über dem Maastricht-Kriterien von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, zusammenrechnen, wissen Sie, um was es geht.
({22})
In Bezug auf die EZB: Was wissen Sie denn da im Augenblick, wo Sie schon immer dazwischenrufen?
({23})
Es war ein guter Kurs. Der Sachverständigenrat hat doch
Ihrer schwarz-gelben Bundesregierung in einer Antwort
genau das vorgeschlagen. Die Idee kann also gar nicht so
falsch sein.
({24})
Sie werden das alles nicht schon morgen Nachmittag
hinkriegen, aber ich appelliere an Sie: Machen Sie sich
auf den Weg und setzen Sie ein Signal! Natürlich wird es
ein oder zwei Jahre dauern, bis Sie ihn implementiert haben, aber das politische Signal brauchen wir schon jetzt.
Ich möchte jetzt Aktivitäten sehen. Wo bleibt das europäische Investitionsprogramm, das wir hier beschlossen
haben? Welche Schritte sind geplant? Ich möchte hören,
dass wir uns an dieser Stelle zur Weiterentwicklung Europas bekennen, und zwar im Rahmen eines Europäischen Konvents, an dem wir die Zivilgesellschaft und
die Sozialpartner beteiligen sollten, um wirklich eine
Weiterentwicklungsperspektive für Europa zu haben.
Dann wäre es ein richtiger Schritt, die gesamte europäische Bevölkerung in einem Referendum zu befragen.
Wir brauchen einen Europäischen Konvent für die Weiterentwicklung, bei dem man Ja sagen kann, wenn man
möchte; man sollte es nicht den Stammtischen in Bayern
überlassen, ein Referendum zu fordern, bei dem man nur
Nein zu Europa sagen kann.
({25})
Welche Frage hatte ich eben gestellt? Ich fragte: Was
tun Sie für die soziale, ökologische und finanzielle Weiterentwicklung unseres Landes? Das fragen sich die
Menschen. Wenn ich mir nun vor diesem Hintergrund
als Zweites den Haushaltsentwurf betrachte, den wir
heute beraten, dann frage ich mich: Wo sind denn Ihre
Sparanstrengungen?
Frau Merkel, Sie haben vorhin süffisant gesagt, einige
würden Soll und Ist verwechseln. Nein, wir verwechseln
nicht Soll und Ist, sondern wir sehen zurzeit aufgrund
der guten Konjunkturlage und aufgrund der Einnahmen,
die wir haben - allein 50 Milliarden Euro Gewinn durch
den Wechselkurs -, insgesamt eine positive Entwicklung
in Deutschland, wenn auch Auftragsrückgänge beispielsweise im Maschinenbau zu sehen sind. In dieser
Zeit - das sagt selbst Herr Hundt vom BDA - muss man
Vorsorge treffen. Was tun Sie aber? Sie haben nicht den
Mut, Entscheidungen für strukturelle Veränderungen zu
treffen, und bleiben damit sozusagen noch 3 Milliarden
Euro unter den Möglichkeiten.
({26})
Sie haben einen Wahlkampfhaushalt vorgelegt; er ist
reine Augenwischerei. Ab 2014 muss dann richtig gespart werden. Ich schließe daraus, dass Sie davon ausgehen, dass Sie 2014 nicht mehr an der Regierung sind.
({27})
An welcher Stelle mühen Sie sich, die Verschuldung
ernsthaft anzugehen und die Lasten gerecht zu verteilen?
10 Prozent der Menschen besitzen zwei Drittel allen
Vermögens. Wo beziehen Sie zur Finanzierung des Gemeinwesens die Vermögenden mit ein? Was ist mit einer
Vermögensabgabe oder - das fordern wir - mit einem
Spitzensteuersatz von 49 Prozent? Sie trauen sich nicht.
Sie trauen sich auch nicht - da finde ich nirgendwo
etwas -, Prioritäten zu setzen. Sie gehen nicht an die
Subventionen heran, die ökologisch und ökonomisch unsinnig sind. Das gilt auch für Steuererleichterungen. Ich
nenne Besteuerung von Dienstwagen, Ökosteuer,
Mövenpick-Steuer, das Lieblingskind der FDP. An dieser Stelle gibt es nichts. Es gibt keine Umstrukturierung
des Ehegattensplittings, um dieses Geld in Kinder zu
investieren. Nichts. Kein Mut zur gesellschaftlichen
Modernisierung, obwohl die CDU doch immer die moderne Großstadtpartei sein wollte. Nein, Sie hängen an
einem Gesellschaftsbild der 50er-Jahre. Ein Kita-Sofortprogramm wäre die Antwort, stattdessen führen Sie das
Betreuungsgeld ein. Ich frage mich, wo an dieser Stelle
von der Leyen ist, die gegen Altersarmut kämpfen will.
In den Jahren des Bezugs von Betreuungsgeld kämpft
keine Frau gegen ihre Altersarmut; denn in dieser Zeit
hat sie keinen sozialversicherungspflichtigen Job.
({28})
Frau Merkel, Sie sagen, Sie wollten Kinder quasi in
den Mittelpunkt stellen. Ich sage Ihnen: Ich stelle mir
unter gleicher Teilhabe und gleichen Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder etwas anderes vor. Ich halte das für
eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen des 21. Jahrhunderts, ob Teilhabe und Aufstieg möglich sind. Aber nur
für jeden Fünften in diesem Land ist das die Realität.
Sie, Frau Merkel, sagen: Wir müssen die duale Ausbildung bei der OECD inhaltlich vertreten, damit diese angemessen bewertet wird. Bitte, tun Sie es! Aber das ändert nichts daran, dass sich gerade Kinder aus den
ärmeren und bildungsferneren Schichten trotz Abitur
nicht trauen, das finanzielle Wagnis eines Studiums einzugehen. Das ist die Wirklichkeit.
({29})
Wo, wenn nicht bei der Bildung für jedes Kind und
bei der Weiterbildung jedes Erwachsenen liegt hier eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe? Ich habe dazu entsprechende Sätze von Ihnen vermisst. Weg mit dem
Kooperationsverbot, wäre der richtige Satz gewesen, damit wir diese Lasten in unserer Gesellschaft gemeinsam
schultern können.
({30})
Ich nenne das Bürokratiemonster Bildungs- und
Teilhabepaket, das das Ergebnis eines Von-der-LeyenSpielchens war. Erinnern Sie sich? Mit großer Geste
wurde gesagt: Jedes Kind in diesem Land wird eine
Chipkarte haben. - Was haben wir nun? Ein Bildungsund Teilhabepaket, bei dem die Gelder in den Kommunen nicht einmal abfließen können, weil die Kriterien
unsozial sind.
Ich habe eine Frau getroffen - Migrationshintergrund,
Hartz-IV-Bezug -, die mir vor einigen Monaten erzählt
hat, wie glücklich sie ist, dass ihre Tochter sich entgegen
der Empfehlung der Schule den Gang zum Gymnasium
erkämpft hat. Sie sagte, dass ihre Tochter in der Schule
richtig gut ist, dass sie aber - und da traten Tränen in die
Augen der Frau - Mathe nicht versteht. Ich fragte diese
Frau: Was ist mit Nachhilfe? Sie antwortete mir: Frau
Künast, Nachhilfe kann ich nicht bezahlen. Das Bildungspaket von Frau von der Leyen kommt für die
Kosten der Nachhilfe nicht auf, weil meine Tochter gute
Schulleistungen erbracht hat, mit denen sie sich den Eintritt zum Gymnasium erkämpft hat. Erst wenn sie versetzungsgefährdet ist, könnte das Paket von Frau von der
Leyen in Anspruch genommen werden.
({31})
Meine Damen und Herren, das ist ein überflüssiger
Kropf. Das Kooperationsverbot muss fallen.
Wo wir gerade bei den sozialen Themen sind, will ich
einmal auf die Rente eingehen. Mir hat ein Zitat von
Norbert Blüm gefallen. Dieses Zitat steht ziemlich diametral entgegengesetzt zu dem, was Frau Merkel hier
gesagt hat, als sie meinte, der Mindestlohn habe mit
Altersarmut eigentlich gar nichts zu tun. Das CDUMitglied Norbert Blüm hat heute gesagt: „Aus Hungerlöhnen entstehen Hungerrenten.“ Dieser Satz stimmt.
({32})
Mich ärgern die fragwürdigen Zahlen der Rentenministerin und mich ärgert, dass sie die gesetzliche Rentenversicherung am Ende noch schlechtredet. Ich sage
Ihnen, was wir wollen: Wir wollen die gesetzliche
Rentenversicherung stärken, und zwar auch durch eine
Garantierente. Jemand, der mindestens 30 Jahre in die
Rentenkasse eingezahlt hat, soll im Alter nicht unter die
Grenze von 850 Euro pro Monat fallen. Diese Garantierente, die nötig ist, um auf 850 Euro zu kommen, müsste
unserer Meinung nach steuerfinanziert werden; denn es
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Rente zu
finanzieren. Dies ist nicht nur die Aufgabe von den etwas über 60 Prozent, die in die Rentenkasse einzahlen.
Vielmehr müssen auch die Besserverdienenden an dieser
sozialen Absicherung beteiligt werden.
({33})
Wir wollen die Rentenansprüche von Frauen erhöhen.
Eines wissen wir: Durch bessere Jobchancen, durch
Mindestlöhne und Gehälter, die tariflich vereinbart über
den Mindestlöhnen liegen, werden die Erwerbsarmut
und damit faktisch die Altersarmut bekämpft.
Was ist denn Ihre Bilanz, Frau Merkel, im letzten Jahr
von Schwarz-Gelb? Wo ist denn Ihr gesellschaftlicher
Aufbruch, wo bleibt die Anerkennung gesellschaftlicher
Realitäten? Sie agieren doch vollkommen an den
Bedürfnissen heutiger Familien vorbei. Beginnen wir
einmal mit den gleichgeschlechtlichen Familien. Ich bezeichne sie als Familien, weil es zwei Erwachsene sind,
die Verantwortung füreinander und für Kinder übernehmen.
({34})
Bis heute kann ich nicht verstehen, wie es Ihr christliches Weltbild zulässt, dass Sie die Ehe für homosexuelle
Partnerschaften nicht öffnen wollen; Sie verweigern ihnen überdies das volle Adoptionsrecht. Seien wir doch
froh über diese Verantwortungsübernahme.
Aber das ist noch nicht alles. Wo bleibt der Aufbruch
für den Ausbau von Kitaplätzen? Sie wollen das Betreuungsgeld finanzieren, statt mehr Geld in ein Sofortprogramm zu stecken. Ich sagen Ihnen ehrlich: Es ist ja
schön, dass Sie nach so vielen Jahren jetzt ein paar
100 Millionen Euro für den Ausbau der Kitaplätze ausgeben wollen. Aber erstens es ist zu wenig und zweitens
frage ich mich, wie es eigentlich um die Ausbildung der
Erzieherinnen und Erzieher bestellt ist.
({35})
Einen weiteren Gedanken möchte ich der Energiewende widmen. Das wäre die Zukunft des Industrielands
Deutschland. Mit Verlaub, selbst der BDI kritisiert Sie.
Die Menschen haben Sorgen wegen der ungleichen Verteilung der Kosten. Wer aber, Herr Brüderle, hat denn
diese Kosten so hochgetrieben? Unter Ihrer Regentschaft, unter Schwarz-Gelb, konnte es passieren, dass
dieses angebliche Gemeinschaftswerk Energiewende die
Industrie und Großunternehmen mit Beträgen in Höhe
von 9 Milliarden Euro privilegiert. 5 Milliarden Euro davon müssen von den Privathaushalten und von den kleinen und mittleren Unternehmen getragen werden. Der
Kostentreiber der EEG-Umlage heißt Schwarz-Gelb.
Das ist die Wahrheit.
({36})
Sie arbeiten faktisch an der Zerstörung des besten Instrumentes, das wir haben, nämlich des EEG. An dieser
Stelle frage ich Sie: Wir sparen Importkosten in Höhe
von 9 Milliarden Euro, und Sie bezeichnen das EEG als
eine Fehlentwicklung? Und dann kommt Herr Brüderle
noch mit dem Begriff „Quotenmodell“. Die Quote ist im
Bereich der erneuerbaren Energien schon in Polen und in
Großbritannien gescheitert. Das brauchen wir nicht
nachzumachen. Wir wollen das EEG weiterentwickeln,
aber durchaus bei selbigem bleiben.
({37})
Kollegin Künast, bringen Sie den Gedanken bitte zu
Ende.
Meine letzte Bemerkung richtet sich an Sie, Frau
Merkel: Ich wünsche mir ein Mehr bei der Bekämpfung
des Rechtsextremismus. Das war mir zu wenig. Die
Frage lautet: Brauchen wir einen MAD? Die Antwort
heißt: nein.
({0})
Ich sage Ihnen auch: Es reicht nicht, nur zu gedenken.
Vielmehr brauchen wir eine Reform des Verfassungsschutzes, die ein echter Neustart ist, und zwar mit ganz
neuem Personal; denn dieses Personal wird es nicht können.
({1})
Damit habe ich, so glaube ich, dargestellt, dass Sie die
Kernaufgaben nicht angepackt haben. Weder in sozialer
noch in ökologischer oder in finanzieller Hinsicht haben
Sie das Land neu aufgestellt. Auch deshalb sage ich: Das
ist das letzte Jahr von Schwarz-Gelb. Eine andere Politik
ist möglich, und sie wird kommen.
({2})
Der Kollege Volker Kauder spricht nun für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dass der eine oder die andere aus der Opposition
heute keine große Lust hatte, über Europa zu reden, mag
ich ja noch verstehen. Aber dass man nicht darüber
spricht, dass heute ein Meilenstein in Europa geschaffen
worden ist, das verstehe ich überhaupt nicht. Frau
Künast, wenn etwas mit der Stabilisierung in Europa
verbunden wird, dann sind es diese Bundesregierung
und diese Bundeskanzlerin.
({0})
Das hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heute eindrücklich gezeigt. Denn zwei Dinge, die
noch vor Monaten für unmöglich gehalten worden sind,
sind heute vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, nämlich erstens, dass der Weg, uns solidarisch zu
verhalten - ESM -, richtig und verfassungsgemäß ist,
und zweitens, dass wir auf der anderen Seite auch Strukturveränderungen - Stichwort Fiskalpakt - verlangen
müssen. Diese beiden Dinge sind heute vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.
Herr Gysi, ich kann dazu nur sagen: Ich erwarte von
allen, die vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt
haben, dass sie jetzt sagen: Das, was die große Mehrheit
des Deutschen Bundestages auf den Weg gebracht hat,
ist verfassungsgemäß. Das erwarte ich jetzt auch von
Ihnen.
({1})
Wenn man sich das Urteil genauer anschaut - das sind
ja einige Seiten -,
({2})
stellt man fest, dass das Bundesverfassungsgericht nur
eine Bestätigung für das verlangt hat, was wir in unseren
Gesetzen klar und deutlich festgelegt haben, nämlich
- das ist der erste Leitsatz in dem Urteil -, dass ohne Befassung und Zustimmung des Deutschen Bundestages
die festgelegten Haftungsgrenzen nicht verändert werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt:
Es muss bestätigt werden, dass es im System des Rettungsschirms keinen Automatismus gibt, der die Haftungsgrenzen verändert, und es muss sichergestellt sein,
dass der Deutsche Bundestag beteiligt wird. Genau dies
haben wir hier im Deutschen Bundestag mit breiter
Mehrheit beschlossen.
({3})
Da brauchen wir von Ihnen, Herr Gysi, keine Nachhilfe. Eines muss man auch sagen, Herr Gysi: Als wir
diese Stärkung des Deutschen Bundestages beschlossen
haben, haben Sie sich vom Acker gemacht; da haben Sie
sich in die Büsche geschlagen. Sie waren nicht dabei. Sie
brauchen heute also überhaupt gar nichts zu diesem
Thema zu sagen.
Dass wir in Europa damit einen gewaltigen Schritt
vorangekommen sind, können wir nur begrüßen. Wir
wissen alle, dass jetzt, nachdem diese konkreten Maßnahmen getroffen worden sind, natürlich auch die Diskussion über die Weiterentwicklung in Europa geführt
werden muss. Ich bin der Bundeskanzlerin außerordentlich dankbar dafür, dass sie heute in ihrer Regierungserklärung auf einen Punkt hingewiesen hat, der in den
letzten Wochen und Monaten noch kein Schwerpunkt
war. Es geht um die Frage: Wie können wir die Parlamentsbeteiligung und demokratische Entscheidungsstrukturen in Europa auch für die Zukunft aufrechterhalten? Wir wollen kein Europa der Bürokraten, sondern
ein Europa der Demokraten.
({4})
Deswegen ist dieser Hinweis der Bundeskanzlerin genau richtig. Wir können und werden uns mit dieser Frage
im Deutschen Bundestag beschäftigen; denn wir spüren
alle, dass wir an Grenzen kommen, wenn 17 oder 27 nationale Parlamente in relativ kurzer Zeit Entscheidungen
für Europa zu treffen haben. Dann müssen wir uns die
Frage stellen: Wie können wir erreichen, dass wir auch
noch eigenständige Positionen vertreten können? Deswegen ist nicht die erste Frage: „Was übertragen wir an
neuen Kompetenzen auf irgendwelche europäischen Institutionen?“, sondern: „Wie können wir demokratische
Legitimation in diesem Europa sicherstellen?“ Da sind
wir im Deutschen Bundestag noch alle ganz kräftig gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Dass die erste Nachkriegsgeneration die große Vision
von einem einigen Europa hatte und dass wir diese Vision in den Parteien weiterverfolgen, wird ja wohl niemand bestreiten. Aber es stellt sich die Frage: Was für
ein Europa wollen wir? Da ist doch der Hinweis der
Bundeskanzlerin richtig, dass wir aus dem Europagedanken der Nachkriegszeit - ein Europa des Friedens; kein
Krieg mehr in Europa - und unter Berücksichtigung desVolker Kauder
sen, was wir erreicht haben, jetzt eine weitere Perspektive entwickeln müssen. Das ist ein Europa der Zukunft
und der Chancen, gerade für die junge Generation.
Nur ein Europa, das wettbewerbsfähig im Vergleich
zu anderen Regionen in dieser Welt ist, wird ein Europa
der Zukunft, ein Europa der Chancen, ein Europa mit sozialer Sicherheit und mit ausreichend vielen Arbeitsplätzen sein. Ein Europa, das diese Wettbewerbsfähigkeit
nicht hat, wird kein Europa der Zukunftschancen sein.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Wahrheit aussprechen. Es nützt überhaupt nichts, Europa mit Geld zu
fluten, sondern es müssen die notwendigen Strukturreformen durchgesetzt werden, damit dieses Europa stark
ist und im Wettbewerb bestehen kann.
({6})
Herr Kollege Steinmeier, es ist ja völlig unbestritten,
dass von der Agenda 2010, die auch von Ihnen im Kanzleramt mitformuliert worden ist, wichtige Impulse ausgegangen sind. Wir haben im Übrigen vieles von dem,
was im Rahmen der Agenda 2010 gemacht worden ist,
unterstützt.
({7})
Deswegen kann ich nur sagen: Da sind richtige Weichenstellungen erfolgt. Wir haben diese Reform weiterentwickelt und neue Akzente gesetzt. Aber jetzt können Sie
sich nicht an dieses Rednerpult stellen und verkünden:
Wir haben in all den Fragen klare Standpunkte. - Denn
wenn es darum geht, durch eine richtige Rentenpolitik
Altersarmut zu verhindern, haben Sie überhaupt kein
Konzept, weil Sie sich nicht mehr trauen, zu dem zu stehen, was Sie einmal gesagt haben.
({8})
Ich sehe doch, wie die Diskussion bei der SPD läuft.
Die einen wollen die Reform wieder zurückdrehen und
wollen wieder auf ein Niveau von 53 Prozent kommen.
Die anderen sagen, wir müssen mit Mindestlöhnen die
Rente stabilisieren. Einen Plan, ein Programm haben Sie
auf jeden Fall nicht; das muss ich Ihnen einmal klar sagen.
({9})
Das hängt auch damit zusammen, dass Sie sich noch
immer nicht entschieden haben, wer im nächsten Jahr
die Speerspitze im Wahlkampf sein soll.
({10})
Jeder hält sich bedeckt. Herr Gabriel traut sich nicht so
recht, zu sagen, was bei der Rente passieren soll. Sie haben zwar eine klare Meinung, die in vielen Punkten mit
dem übereinstimmt, was auch wir denken. Aber auch Sie
trauen sich nicht, darüber zu sprechen, weil Sie noch
nicht nominiert sind. Deswegen wird das im Augenblick
gar nichts mit einem Gespräch mit Ihnen.
Ich kann nur sagen: Wir werden eine Antwort auf die
Frage geben: Wie können wir gewährleisten, dass Menschen, die jahrzehntelang eingezahlt haben, im Jahr 2030
- um diesem Zeitpunkt geht es; es geht nicht um die aktuelle Rentnergeneration - eine entsprechende Rente bekommen? Darauf werden wir eine Antwort geben.
Aber eines muss auch klar sein, weil viele Menschen
in den neuen Ländern davon betroffen sein werden: Sie
von Rot-Grün haben die Grundsicherung geschaffen, um
- wie Sie es damals formuliert haben - Altersarmut zu
bekämpfen. Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass
die Grundsicherung, für die wir jetzt über 4 Milliarden
Euro in den Bundeshaushalt eingestellt haben, mit Armut verglichen wird.
({11})
Wir haben sie geschaffen, damit bei bestimmten Gruppen Armut gar nicht erst entsteht. Sie sollten zu dieser
Entscheidung, die Sie damals getroffen haben, stehen,
meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition.
({12})
Wir haben zum ersten Mal seit vielen Jahren in diesem Land wieder eine sehr gute Ausgangssituation. Wir
alle können uns daran erinnern, worum es in diesem
Land in den Wahlkämpfen der letzten Jahre ging. Die
Wahlkämpfe waren immer zu einem beachtlichen Teil
davon beeinflusst, dass wir Defizite im Sozialversicherungssystem hatten und dass wir ständig darüber diskutieren mussten: Was werden wir machen, um das System
zu stabilisieren? Was werden wir machen, um zu garantieren, dass bestimmte Leistungen erfolgen? Das können
Sie nicht wegreden; denn es ist Fakt. Jetzt sind wir zum
ersten Mal seit langem in einer Situation, in der wir sagen können: Die Sozialversicherungssysteme in diesem
Land sind intakt. Sie können die Leistungen, die wir zugesagt haben, auch in den nächsten Jahren erbringen.
Wir können weiterhin sagen: Beitragserhöhungen wird
es in nächster Zeit nicht geben. - Wann hat es das schon
einmal gegeben? Auch das ist ein Erfolg dieser christlich-liberalen Koalition.
({13})
Wir alle führen ja Gespräche mit den Menschen und
hören, was sie uns sagen. Sie haben Sorgen über das,
was in Europa passiert. Sie vertrauen aber dieser Bundesregierung, dass sie richtig handelt. Sie sind sehr zufrieden damit, dass sie sich zum ersten Mal seit längerer
Zeit keine Gedanken darüber machen müssen, ob sie die
notwendigen Leistungen erhalten, die aus der Sozialversicherung finanziert werden.
({14})
Das ist eine große Beruhigung für die Bevölkerung. Wir
alle miteinander sollten dankbar sein, dass dies dieser
Regierungskoalition gelungen ist.
({15})
In der heutigen Zeit muss auch, glaube ich, ein Wort
darüber gesagt werden, was wir in einem Teil der Welt
erleben. Wir machen uns beispielsweise große Sorgen
darüber, was in Syrien passiert. Wir überlegen miteinander, was wir tun können, um den Menschen dort zu hel23008
fen. Ich glaube, dass es ein Signal wäre, wenn wir uns in
Europa noch einmal darauf einigen könnten, Herr Bundesinnenminister, da etwas zu tun. Umso dankbarer bin
ich - auch das muss in einer solchen Debatte gesagt werden -, dass wir Anfang Oktober die ersten 100 Flüchtlinge aus dem Irak bei uns in der Bundesrepublik
Deutschland aufnehmen können. Das ist ein schönes
Zeichen der Solidarität des reichen Deutschlands mit geschundenen Menschen in der Welt.
({16})
Natürlich sehen wir auch die Entwicklung in anderen
Ländern. Wir freuen uns zwar darüber, was in Ägypten
auf den Weg gebracht worden ist. Trotzdem beklagen wir,
dass die Situation der koptischen Christen in Ägypten
noch immer nicht stabil ist und dass die Zusage, dass
Christen an der Regierung beteiligt werden, nicht eingehalten wurde. Wir sehen, wie Christen in Syrien zwischen
die Fronten geraten und wie sie dort brutale Erniedrigung
aushalten müssen. Deshalb bin ich der Bundesregierung,
vor allem der Bundeskanzlerin und dem Bundesaußenminister, dankbar, dass sie nicht nur auf ihren Auslandsreisen, sondern auch bei jeder anderen Gelegenheit die
Menschenrechte, zum Beispiel Glaubensfreiheit und
Schutz vor Verfolgung, ansprechen und deren Einhaltung
einfordern. Auch dies ist ein Markenzeichen dieser
christlich-liberalen Koalition. Ich finde, auch das gehört
in eine solche Generaldebatte. Wir machen an diesem
Punkt mehr als eine der Vorgängerregierungen, die von
der linken Seite dieses Hauses gebildet wurde.
({17})
Man kann, wenn man die Situation betrachtet hat, klar
und deutlich sagen - damit wird die Frage, die Sie, Frau
Künast, an diesem Rednerpult gestellt haben, beantwortet -: Diese Bundesregierung, diese Bundeskanzlerin,
diese Regierungskoalition werden sehr wohl in die Geschichtsbücher eingehen.
({18})
Dort wird stehen: Es war diese Regierungskoalition, die
in schwierigster Zeit zur Stabilisierung Europas beigetragen hat. Es war diese Regierungskoalition, die dazu
beigetragen hat, dass Europa auf den Pfad der Zukunftsfähigkeit zurückgekommen ist. Über diese Regierungskoalition wird in den Geschichtsbüchern stehen: Sie hat
Europa vor dem Zusammenbruch gerettet. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir in diesem Hause sollten heilfroh sein,
dass eine christlich-liberale Koalition die Regierung
stellt. Das ist gut für Deutschland, und das ist gut für Europa.
({19})
Die Kollegin Petra Merkel hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin seit 2002 Abgeordnete des Deutschen Bundestages und seit zehn Jahren Mitglied des Haushaltsausschusses. Ich habe in unterschiedlichen Regierungskoalitionen gearbeitet, und
seit drei Jahren arbeite ich in der Opposition.
In zwei Legislaturperioden gab es erhebliche Veränderungen. Unter Rot-Grün haben wir die Agenda 2010
auf den Weg gebracht
({0})
und haben die Sozialsysteme in Deutschland zukunftsfähig gemacht. In der Großen Koalition haben wir dann
das Gesundheitssystem und die Rentenreform beschlossen und umgesetzt.
({1})
Auf Vorschlag der Föderalismuskommission II und
mit Zustimmung einer breiten Mehrheit des Bundestages
wurde 2009 eine neue Schuldenregel im Grundgesetz
verankert. Diese Schuldenregel folgt unserer Lebenserfahrung: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Wir
wollen mit dieser Schuldenregel verhindern, dass in guten Jahren, in denen die Wirtschaft gut läuft und die Einnahmen sprudeln, Wohltaten unter das Volk gestreut
werden und die Schuldenberge wachsen. Die Schuldenregel hat übrigens auch verhindert, dass sich die Steuersenkungspartei FDP in der schwarz-gelben Koalition mit
ihrer Forderung nach Steuersenkungen durchsetzen
konnte. Diese Schuldenregel ist inzwischen Vorbild in
Europa und jetzt auch im Fiskalpakt verankert.
({2})
Insgesamt waren das harte Jahre; denn die Finanzminister Eichel und Steinbrück haben ein hartes Kürzungsregiment geführt. Ein ausgeglichener Haushalt war
2008 in Sicht, als Lehman Brothers kippte. Grundsätzlich gab es durch die bereits erfolgte Reduzierung der
Nettoneuverschuldung aber die Möglichkeit, auf die beginnende Wirtschaftskrise zu reagieren. Die Luft war da.
Wir haben Konjunkturpakete aufgelegt, die die Wirtschaft unterstützt und angekurbelt haben. In Deutschland
haben wir uns für kleinteilige Programme entschieden,
die Arbeitsplätze gesichert haben. Jeder kennt noch die
Abwrackprämie, das Kurzarbeitergeld und das Programm zur energetischen Gebäudesanierung, das besonders in Schulen und Kitas zur Anwendung kam, um einige Beispiele zu nennen. Diese Maßnahmen sind bei
den Menschen angekommen. Wir stellen heute fest: Das
war außerordentlich erfolgreich. Die Konjunktur ist angesprungen, und Deutschland ist gut durch die Krise gekommen - bis jetzt.
Nun komme ich zu dieser Legislaturperiode. Welche
Reformen hat Schwarz-Gelb durchgesetzt? Welche Weichen wurden gestellt? Wo wurden Strukturen verändert?
Wo haben Sie gestaltet? Richtig, Sie haben die Neuverschuldung verringert. Aber das wäre ja noch schöner:
Die Steuereinnahmen sind gestiegen. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Dadurch sinken die Sozialausgaben.
Sozialsysteme wie die Rente, der Gesundheitsfonds und
Petra Merkel ({3})
die Bundesagentur für Arbeit verfügen über Rücklagen.
Aber das ist nicht das Ergebnis schwarz-gelber Politik;
({4})
Sie mussten dafür keinen Finger krümmen. Das ist immer noch das Ergebnis unserer Strukturveränderungen.
({5})
- Nein. Wir haben dafür hart gearbeitet. Aber Sie haben
sich ins gemachte Nest gesetzt.
({6})
Sehen wir uns einmal den Finanzplan an. Im
Jahre 2013 machen Sie neue Schulden in Höhe von
18,8 Milliarden Euro. Die tatsächliche Neuverschuldung
war allerdings schon im Jahre 2011 geringer; damals lag
sie bei 17,3 Milliarden Euro. Sie wollen laut Ihrem Entwurf also mehr Schulden machen, meinen aber, das sei
ehrgeizig.
Lassen Sie uns einmal genau anschauen, wodurch Sie
die Neuverschuldung senken.
({7})
Sie senken die Neuverschuldung, indem Sie die Steuereinnahmen künstlich hochrechnen: Sie veranschlagen
die Steuereinnahmen um 7,6 Milliarden Euro höher als
in diesem Jahr. Das ist trickreich vor dem Hintergrund,
dass die Wirtschaft warnt, dass die Zahl der Aufträge zurückgeht. Wenn dunkle Wolken am Horizont auftauchen,
dann denken Sie nicht an Vorsorge, sondern legen sich in
die Sonne.
Sie senken die Neuverschuldung, indem Sie in die
Rücklagen der Sozialsysteme greifen. Sie kürzen bei der
Rentenkasse 1 Milliarde Euro, und beim Gesundheitsfonds wollen Sie 2 Milliarden Euro kürzen.
({8})
Das ist eine kurzsichtige Politik; denn die Systeme sollen sich auf eine Krise vorbereiten.
Stark kürzen Sie bei der Arbeitsförderung ({9})
2,1 Milliarden Euro zulasten der Langzeitarbeitslosen und reden gleichzeitig von Fachkräftemangel. Echte
Umschulung ist angesagt, und die kostet.
Was ist von Ihrem Sparpaket übrig geblieben? Sie haben dieses Sparpaket nur in Teilen umgesetzt. Die
Brennelementesteuer - 2,3 Milliarden Euro - hat sich in
Luft aufgelöst. Die Bundeswehrreform ist von Minister
zu Guttenberg vermurkst worden. Sie sollte 8 Milliarden
Euro Einsparung bringen; jetzt fließen 1,3 Milliarden
Euro mehr in den Verteidigungsbereich. Die angemessene Haftung der Finanzbranche sollte bis 2012 2 Milliarden Euro bringen. Auch das haben Sie nicht geschafft.
Gespart haben Sie bei den Menschen, denen es wirklich wehtut. Ihr Sparpaket spart bei den Schwachen, bei
Langzeitarbeitslosen und Familien. Ich erinnere an die
Kürzung des Elterngeldes: gedeckelt, Bezugszeit reduziert, ALG-II-Empfängern völlig gestrichen. Bei den
Leistungen der Bundesagentur für Arbeit wird dauerhaft
gespart; bis 2016 sind das 16 Milliarden Euro. Schwache
Schultern müssen bei der schwarz-gelben Koalition
wahrlich mehr tragen als starke.
({10})
Sie wissen, welche Risiken Sie mit dem Haushalt
2013 eingehen: Es gibt auch in diesem Haushalt wieder
keine Vorsorge für Risiken aufgrund der Finanzkrise.
Eine solche Vorsorge hat die SPD schon für den Haushalt 2012 beantragt, aber sie ist abgelehnt worden. Die
Einnahmeerwartung, was den Bundesbankgewinn angeht, bleibt gleich. Und wie sieht es mit den Zinsen aus?
Die haben Sie mit 31,7 Milliarden Euro um 2,5 Milliarden Euro niedriger angesetzt als 2012. Nach den Entscheidungen der EZB ist das fahrlässig.
Die Wirtschaft warnt, dass die Konjunktur abflacht.
Wie soll die Bundesagentur reagieren, wenn Sie ihr die
Rücklagen wegkürzen? Zur Erinnerung: Die Bundesagentur hatte 2009 eine Rücklage von 18 Milliarden
Euro, die innerhalb eines Jahres für das Kurzarbeitergeld
aufgebraucht wurde.
({11})
Dazu sind solche Rücklagen da. Anderenfalls müsste die
Bundesagentur ein Darlehen aufnehmen. Es müssen also
jetzt Rücklagen gebildet werden, damit man in der Krise
handlungsfähig ist.
Ihre größte Subvention ist weiterhin die Aufstockung
von Dumpinglöhnen. Früher gab es in Deutschland eine
Unternehmensethik: Man führte ein Geschäft nur, wenn
man die Mitarbeiter bezahlen konnte. Heute zahlt mancher Unternehmer Dumpinglöhne und schickt die Mitarbeiter zum Jobcenter zum Aufstocken. Das bedeutet eine
Subvention von 8 Milliarden Euro. Der Mindestlohn
muss endlich flächendeckend eingeführt werden. Die
Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können.
Warum haben Sie in dieser Legislaturperiode eigentlich keine Reformprojekte umgesetzt? Auf der einen
Seite hat die Europapolitik sicherlich Kräfte gebunden.
Die Kanzlerin war mehr im Ausland unterwegs und hat
ihren Schwerpunkt dorthin verlagert; das war auch richtig. Der Streit zwischen CDU und CSU sowie zwischen
Union und FDP hat allerdings die Inlandsspalten der
deutschen Zeitungen gefüllt. Die Kanzlerin hat die Richtlinienkompetenz nicht ausgeübt. Stattdessen schreiben
Sie die Klientelpolitik weiterhin groß: hier ein Rettungsschirm für die FDP mit der Hotelsteuer, dort ein Rettungsschirm für die CSU mit dem Betreuungsgeld.
Ich komme noch kurz zu Europa.
({12})
Petra Merkel ({13})
Manch einer von Ihnen gerät in Versuchung, Europa
populistisch kleinzureden. Da werden Ressentiments gegen andere Völker geschürt. Da wird der Austritt eines
Landes schon einmal auf dem Reißbrett durchgespielt.
Da schwingen Töne mit, die vielleicht kurzfristig im
Wahlkampf helfen, aber das Vertrauen in Europa langfristig zerstören und damit die Demokratie bei uns und in
anderen europäischen Staaten gefährden.
Die Konsequenzen der Beschlüsse der EZB werden
wir im Haushaltsausschuss und im Plenum sicherlich
noch beraten und analysieren. Ich bin gespannt, was
Bundesbankpräsident Weidmann dazu sagen wird.
Wir haben heute mit Spannung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet. Karlsruhe sagt Ja zum
ESM, mit Vorbehalten. Diese Vorbehalte stärken das
Budgetrecht des Deutschen Bundestages. Das ist gut so.
Ich muss sagen: Ich bin wirklich sehr erleichtert. Wahrlich, ein guter Tag für Europa, ein guter Tag für dieses
Parlament mit seinen Rechten!
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion:
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte für die FDP-Bundestagsfraktion genauso wie
für die FDP als Partei sagen, dass uns das heutige Urteil
des Verfassungsgerichts ungeheuer freut und beruhigt;
denn wir haben mehr als andere Parteien mit dieser Sache zu tun gehabt. Wir haben einen Mitgliederentscheid
durchgeführt. Alle Mitglieder waren aufgerufen, ihr Urteil zu fällen. Das ist positiv für den ESM ausgegangen,
aber knapp positiv.
In der Zwischenzeit hat in allen Fraktionen die Diskussion darüber stattgefunden. Dabei ist immer wieder
Sand ins Getriebe gestreut worden und Verunsicherung
betrieben worden. Deswegen ist es gut, dass das Verfassungsgericht jetzt eindeutig, und zwar ohne Vorbehalt,
Frau Merkel, klargestellt hat, dass der ESM und der Fiskalpakt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind,
sondern in Ordnung sind.
({0})
Die Klarstellungen, die darüber hinaus getroffen worden sind, waren besonders wichtig, beispielsweise die
Begrenzung der Haftung auf 190 Milliarden Euro. Über
diese Haftung ist von wichtigen Ökonomen viel in Zeitungen geschrieben worden, was sich aber alles als Unfug herausgestellt hat. Die Pflichten der Bundesregierung zur Auskunft gegenüber dem Deutschen Bundestag
werden eindeutig bestätigt, genauso wie auch auf europäischer Ebene. Das soll völkerrechtlich fest verankert
werden. Das stärkt den Deutschen Bundestag in seinen
Mitwirkungsrechten noch einmal.
({1})
Schließlich ist indirekt bestätigt worden, dass eine Erweiterung der Haftungsgrenzen für Deutschland nicht
infrage kommt. Ich verstehe das so, dass es keine EuroBonds und keine Bankenlizenz für den ESM geben darf,
dass aber auch ein Alt- oder Neuschuldentilgungsfonds,
wie immer Sie das interpretieren wollen, nicht möglich
ist und verfassungsrechtlich bedenklich wäre.
({2})
Ich habe mich sowieso gewundert, warum Sie von der
SPD und den Grünen, nachdem Sie die Sache mit den
Euro-Bonds aufgegeben haben,
({3})
auf den Altschuldentilgungsfonds eingeschwenkt sind.
({4})
Man muss doch nur einmal nachrechnen, was das heißt.
Das hat auch der Sachverständigenrat selbst in aller Offenheit dargestellt. Wenn Sie den Altschuldentilgungsfonds installieren, dann wird Deutschland für die Altschulden der betroffenen Länder mithaften. Diese
summieren sich auf 2,1 Billionen Euro. Das ist genauso
viel wie die deutschen Schulden. Damit steigt, was die
Haftung anbetrifft, die Staatsschuldenquote von Deutschland von heute 82 Prozent auf über 160 Prozent. Damit
wären wir - wenn Sie die Ratingagenturen dazu befragen
würden, würden sie Ihnen das bestätigen - auf dem Niveau von Griechenland.
Was wäre die Folge? Die Folge wäre, dass wir nicht
nur für unsere Schulden im Altschuldentilgungsfonds,
sondern auch für unsere übrigen Schulden sehr viel höhere Zinsen bezahlen müssten. Das würde sich, wenn
man das ganz nüchtern ausrechnet, auf einen Betrag in
zweistelliger Milliardenhöhe belaufen, der bis auf 40 bis
50 Milliarden Euro pro Jahr anwächst. Man muss doch
ökonomisch von Sinnen sein, wenn man einem solchen
Modell folgen wollte. Das verbietet sich von selbst.
({5})
Deswegen bleibt es dabei: strikte Konditionalität,
keine Haftungsvermischungen. Es muss der Grundsatz
gelten: Jeder muss für sein Handeln haften. Das gilt im
Zivilrecht. Genauso muss es für Staaten gelten. Es darf
nicht sein, dass die Haftung auf andere übertragen werden kann, um sich dann aus der Verantwortung zu stehlen.
Ein Wort noch zur Bankenunion. Natürlich brauchen
wir eine europäische Bankenaufsicht, insbesondere natürlich für die europaweit oder international agierenden
Banken. Aber wir brauchen keine gemeinsame Haftung
bei den Einlagen; denn die Einlagensicherungsfonds
sind im Besitzstand der Sparer, der Kunden und der Gesellschafter der Banken, die sie angesammelt haben. Es
wäre quasi ein enteignungsgleicher Eingriff, wenn diese
Einlagensicherungsfonds nun auch auf andere Schuldner
übertragen werden sollten.
({6})
Eine letzte Bemerkung - Herr Schäuble hat gestern in
seinem Vortrag klargestellt, dass er dieses Problem
sieht -: Wenn die Bankenaufsicht bei der Europäischen
Zentralbank angesiedelt wird, dann kann daraus ein deutlicher Interessenkonflikt entstehen. Dies muss man vermeiden. Das war auch der Grund, warum wir in Deutschland die BaFin erhalten und die Verantwortung nicht ganz
auf die Bundesbank übertragen haben. Es muss ganz klar
sichergestellt werden, dass dieser Interessenkonflikt nicht
entsteht. Darüber hinaus halte ich die Schaffung einer solchen Behörde für notwendig. Aber ich bin genauso wie
der Bundesfinanzminister der Meinung, dass das nicht
von heute auf morgen zu Handlungsfähigkeit führen
wird. Es wird sicherlich ein paar Jahre dauern, sie aufzubauen. Zumindest in der Zwischenzeit müssen die nationalen Aufsichtsbehörden tätig bleiben.
Nun mache ich noch einige Bemerkungen zum Haushalt. Wir haben als FDP-Fraktion am Anfang der Legislaturperiode und auch in unserem Wahlprogramm eine
Steuer- und Abgabenentlastung vorgeschlagen, aber
Hand in Hand mit der Haushaltskonsolidierung.
({7})
Das haben Sie bewusst falsch verstanden und gesagt:
Die wollen nur Steuern senken.
({8})
Aber es liegt alles schriftlich vor.
Ich kann heute mit großer Zufriedenheit sagen, dass
wir beides erfolgreich hinbekommen haben.
({9})
- Ja. - Die Steuer- und Abgabenentlastung im Einzelnen
hier aufzuführen, würde zu lang. Die Steuerentlastung beträgt etwa 25,9 Milliarden Euro, die Abgabenentlastung,
insbesondere bei der Rentenversicherung, 8 Milliarden
Euro. Wenn Sie dem Abbau der kalten Progression und
der Absenkung der Beiträge zur Rentenversicherung zustimmen, was in Ihrer Verantwortung steht, aber auch Ihrem Wahlkonzept entsprechen würde, dann hätten wir
eine Nettoentlastung von 34 Milliarden Euro. Das kann
sich doch sehen lassen.
Das hat natürlich erheblich zur Steigerung der Binnenkonjunktur in Deutschland beigetragen. Wenn sich
die Konjunktur jetzt etwas abschwächt und Sie mit der
Forderung nach Steuererhöhungen an allen Ecken und
Enden in das nächste Wahljahr gehen, dann tun Sie das
Schlechteste, was Sie für die wirtschaftliche Entwicklung tun können,
({10})
und bewirken bewusst eine Steigerung der Arbeitslosigkeit. Genau das darf nicht geschehen.
Deswegen sind wir zum einen froh, unser Versprechen eingehalten zu haben. Zum anderen werden, was
die Haushaltskonsolidierung angeht, die Ausgaben des
Staates am Ende dieser Legislaturperiode niedriger sein
als am Anfang. Auch das hat es nach meiner Erinnerung
niemals gegeben. Das ist ein Supererfolg.
({11})
Sie sollten den Haushaltsplan genau lesen. Von den
18,8 Milliarden Euro Neuverschuldung, die jetzt noch
darin enthalten sind, sind über 8 Milliarden Euro auf die
Kapitalbeteiligung am ESM zurückzuführen. Über
10 Milliarden Euro haben wir zur Entlastung der Länder
bereitgestellt.
({12})
Nüchtern betrachtet ist der Kernhaushalt also schon
heute ausgeglichen. Ein besseres Ergebnis hätte man
sich am Anfang der Legislaturperiode nicht vorstellen
können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Der Kollege Michael Roth hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gerne greife ich den Ball einiger meiner Vorrednerinnen
und Vorredner auf.
({0})
Lassen Sie uns noch einmal über Europa reden.
Die Bundeskanzlerin beklagte kürzlich die zwei
Wirklichkeiten in der Krise. Sie sprach von der Wirklichkeit in Griechenland, Spanien und Italien, und sie
sprach von der Wirklichkeit in Deutschland und davon,
dass das alles nicht mehr zusammenpasse. Ich kann dieser Regierung und der Bundeskanzlerin den Vorwurf
nicht ersparen: Frau Merkel ist maßgeblich verantwortlich für dieses Europa der zwei Wirklichkeiten. Sie betreiben nämlich nicht nur eine schlechte Politik, sondern
- darin kann man dem Herrn Bundespräsidenten nur zustimmen - Sie erklären Europa nicht. Sie betreiben eine
dilettantische Kommunikation.
({1})
Machen wir uns doch nichts vor: Meinungen und
Stimmungen in der Bevölkerung, die uns angesichts der
Tragweite der hier getroffenen Entscheidungen sorgen
müssen, fallen doch nicht vom Himmel. Diese werden
doch auch von der Politik konstruiert. Sie werden auch
von uns und von den Aussagen einer Kanzlerin, eines
Ministers oder einer Ministerin beeinflusst.
Wofür steht diese Bundesregierung? Die Bundesregierung erklärt, sie wolle Griechenland unbedingt in
der Euro-Zone halten. Vizekanzler Rösler schwadroniert
munter drauflos. Ich hoffe, dass Sie sich für die Herren
Michael Roth ({2})
Dobrindt und Söder so richtig schämen. Sie werden das
hier sicherlich nicht zugeben. Aber so viel europapolitisches Porzellan, wie diese beiden Herren zerdeppert haben, bekommt man gar nicht mehr zusammen.
({3})
Das ist ein ziemlich jämmerliches Schauspiel à la
Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Die einen so, die anderen so und nichts passt zusammen.
Es gibt aber auch zwei Wirklichkeiten bei der Bundeskanzlerin persönlich. Im Wahlkampf schimpft sie
über die vermeintlich faulen Südeuropäer, die sich nur
einmal richtig anstrengen müssten. Kürzlich zeigte sie
dann Mitgefühl. Ich habe gelesen, dass der Bundeskanzlerin angesichts der dramatischen Einschnitte in Südeuropa das Herz blute. Mit Verlaub, ich nehme Ihnen das
Mitgefühl nicht ab. Sie, Frau Bundeskanzlerin, schauen
zu, wie jeder zweite Jugendliche in Spanien und Griechenland ohne Job und Perspektive bleibt. Sie schauen
zu, wie Kranke in Griechenland keine medizinische Behandlung bekommen. Sie schauen zu, wie Rechtspopulisten und Europagegner europaweit Zulauf erhalten.
Wann fangen Sie endlich an, dagegen konkret etwas zu
tun? Mir blutet das Herz bei so viel Tatenlosigkeit der
politisch Verantwortlichen.
({4})
Es gibt auch zwei Wirklichkeiten bei der Bewertung
der Rolle der Europäischen Zentralbank. Es ist schon
schamlos, wie Sie sich hier hinstellen und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank betonen, die eine
100-prozentige Blaupause in der Deutschen Bundesbank
findet. Sie stellen sich hier hin, erklären, wie unabhängig
diese Institution ist, und sehen munter zu, was so alles in
der Europäischen Zentralbank in Frankfurt entschieden
wird. Sie finden sich damit klammheimlich ab. Herr
Brüderle stellt sich hier hin und übt massive Kritik an
der Bundesregierung, insbesondere an der Kanzlerin und
dem Bundesfinanzminister. Aber eigentlich sind Sie
doch froh, dass endlich entschieden wird. Es handelt sich
doch um politisches Versagen Ihrerseits. Die EZB handelt endlich, weil Sie nichts tun. Sie haben doch gar
nicht mehr die Kraft, geschweige denn die Bereitschaft,
hier im Bundestag irgendeine politisch-parlamentarisch
legitimierte Entscheidung herbeizuführen. Sie bekommen doch gar keine Mehrheit mehr bei Schwarz-Gelb
zusammen. Deshalb muss die Europäische Zentralbank
handeln.
({5})
Wir leben nicht in unterschiedlichen Welten und auch
nicht in unterschiedlichen Wirklichkeiten. Wir leben in
einem gemeinsamen Europa. Ich finde es dramatisch,
dass sich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern die Vorstellung manifestiert hat, wir lebten in Deutschland auf
einer behüteten Insel der Glückseligen inmitten eines
Meers von Krisenstaaten. - Die Bundeskanzlerin hat einen schwerwiegenden Traditionsbruch zu verantworten.
Sie hat nämlich einen Widerspruch zwischen den deutschen Interessen einerseits und den europäischen Interessen andererseits konstruiert.
({6})
Der größte und erfolgreichste Rettungsschirm für
Wohlstand und sichere Arbeitsplätze vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - gerade in Deutschland waren der Euro und das gemeinsame Europa. 60 Prozent
unserer Exporte gehen in die Staaten der Europäischen
Union. 40 Prozent gehen in die Staaten der Euro-Zone.
Ohne die Exporte in unsere Partnerländer hätten wir
nicht Millionen sichere Arbeitsplätze. Das gilt sowohl
für meinen Wahlkreis, für Bad Hersfeld und Heringen,
als auch für Frankfurt, Oberammergau, München oder
Hamburg. Ich kann Ihre verantwortungslose Politik
nicht mehr nachvollziehen; denn wir retten gemeinsam
nicht nur Griechenland oder Spanien, sondern auch unseren Wohlstand und unseren Sozialstaat in Deutschland.
Deswegen wünsche ich mir von Ihnen ein bisschen mehr
Verantwortungsbewusstsein.
Wir wissen aber auch: Arbeitslose Spanier kaufen
keine teuren, qualitativ hochwertigen Produkte aus
Deutschland. Derzeit wird oft behauptet, es gebe eine
Alternative zu den Märkten in Europa. Ja, Alternativen
gibt es immer. Aber wie sehen denn diese Alternativen
aus? Deutschland exportiert alleine in die Niederlande
mehr Güter als nach China. Gerade einmal 7 Prozent
unserer Produkte gehen in die Vereinigten Staaten von
Amerika, 2 Prozent nach Lateinamerika. Wer also den
Eindruck erweckt, als könnten wir auf ein starkes, auf
Wohlstand beruhendes Europa verzichten, weil wir uns
auf anderen Märkten ausbreiten könnten, hat die europäische und auch die deutsche Wirklichkeit nicht verstanden.
({7})
2007, als Deutschland die Ratspräsidentschaft innehatte, die wir mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier
nicht nur konstruktiv begleitet, sondern auch maßgeblich
mitgeprägt haben, gab es ein Motto. Dieses Motto lautete: Europa gelingt gemeinsam. - Die Bundeskanzlerin
ist an diesem Anspruch krachend gescheitert, weil sie
nicht nur die deutschen, sondern auch die europäischen
Interessen mit Füßen tritt. Diesen Vorwurf müssen sich
Schwarz-Gelb und diese Bundesregierung gefallen lassen.
({8})
Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat nun für die
Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Opposition, die sich angesichts der objektiv guten
wirtschaftlichen Lage im Land und angesichts eines
nachweisbar soliden Haushalts in so viel SchwarzmaleGerda Hasselfeldt
rei ergeht, wie wir das heute im Laufe der Debatte erlebt
haben, hat ihre Rolle verfehlt.
({0})
Sie ist eigentlich arm dran und diskreditiert sich selbst.
({1})
Der vorliegende Haushaltsplan ist Ausdruck einer erfolgreichen, wachstumsorientierten Konsolidierungspolitik. Das war und ist das Markenzeichen dieser Regierung nicht erst seit heute, sondern schon in der gesamten Legislaturperiode. Zwei Säulen - auf der einen
Seite Sparen, Konsolidieren, Verschuldung abbauen, auf
der anderen Seite Stärkung der Wachstumskräfte - prägen die Politik dieser Regierung, und die Erfolge bleiben
nicht aus.
Heute wurde gesagt: Ihr müsst noch viel mehr sparen,
ihr spart in diesen Zeiten viel zu wenig. - Meine Damen
und Herren, sagen Sie doch einmal, wo noch gespart
werden soll. Ihre Vorschläge bestehen doch nur darin,
noch mehr Gelder von den Steuerpflichtigen zu erheben,
ihnen noch mehr Geld abzunehmen. Ihre Vorschläge
sind Steuererhöhungen, Steuererhöhungen und noch einmal Steuererhöhungen. Das haben Sie in den vergangenen Monaten gezeigt.
({2})
Wir sind auf einem soliden Konsolidierungspfad; das
ist heute mehrfach angesprochen worden. Die Ausgaben
sinken kontinuierlich. Die Neuverschuldung ist, wie
Kollege Solms es vorhin gesagt hat, im Wesentlichen dadurch bedingt, dass Kapital dem ESM zugeführt wird
und dass wir Hilfen an Länder und Kommunen geben,
womit wir teilweise das kompensieren, was Sie den
Kommunen in den Jahren der rot-grünen Regierungszeit
abgenommen haben, beispielsweise bei der Grundsicherung.
({3})
Die Erfolge sind sichtbar. Sie sind eindeutig daran erkennbar, dass wir eine Beschäftigungsquote haben, wie
wir sie noch nie in diesem Land hatten, dass wir bezüglich der Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren nicht so gut dagestanden haben wie jetzt. Davon profitieren die Menschen, die jungen und die älteren, die Arbeitnehmer und
die Arbeitgeber. Die Unternehmen sind wieder wettbewerbsfähig. Das machen auch die Globaldaten deutlich.
Noch vor zehn Jahren hat man in Europa von
Deutschland - ich zitiere - als dem kranken Mann Europas gesprochen. Heute sind wir für viele andere, nicht
nur europäische Länder Vorbild. Wir sind im weltweiten
Ranking des Weltwirtschaftsforums wieder nach oben
geklettert. Wir befinden uns in guter Gesellschaft mit
führenden Industrienationen.
Meine Damen und Herren, dass es für manche Sozialdemokraten und Grüne, für Sie in der Opposition, etwas
schwer ist, sich damit anzufreunden, kann ich verstehen,
weil Sie so etwas in Ihrer Regierungszeit nicht erlebt haben. Sie haben das Gegenteil erlebt. In Ihrer Regierungszeit ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, in Ihrer Regierungszeit ist gleichzeitig die Verschuldung gestiegen.
({4})
Die verstaubten Rezepte, die Sie uns heute anbieten,
nämlich Steuererhöhung und Umverteilung, haben damals nichts getaugt, und sie taugen heute auch nichts.
({5})
Ich sagte vorhin, dass die Menschen davon profitieren. Wir machen ja keine Politik, die sich nur in den
Zahlen widerspiegeln soll, sondern unsere Politik dient
dazu, dass es den Menschen gut geht, dass wir Wachstum, Wohlstand und soziale Sicherheit nicht nur kurzfristig, sondern langfristig sichern, dass wir die Zukunft
für unsere Jugendlichen, für unsere Kinder gut gestalten.
Deshalb ist es wichtig, zu sehen, wie sich diese Politik
auswirkt. Ich habe vorhin die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Unternehmen, die Jüngeren und Älteren - ich
brauche das nicht zu vertiefen; das ist heute alles schon
angesprochen worden - und gerade die Situation der
Jungen erwähnt, die heute durch die Beschäftigungssituation einen viel besseren Zugang zum Arbeitsleben haben. Die Zahlen bei der Jugendarbeitslosigkeit sind in
Deutschland im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern vorbildlich. Andere Länder schauen auf
uns, wie wir dieses Problem lösen und gelöst haben.
({6})
Meine Damen und Herren, wir tun auch etwas für die
Kommunen - das will ich deshalb in besonderer Weise
zum Ausdruck bringen, weil gerade unsere Gemeinden,
unsere Städte und unsere Landkreise so nah an den Menschen dran sind -, damit sie ihre Aufgaben, die sich verändert haben, auch künftig gut bewältigen können. Dazu
haben wir ihnen durch eine Entlastung wieder den Boden bereitet.
({7})
Ich habe die Grundsicherung angesprochen, will dazu
aber unsere Leistungen für die Kinderbetreuung ansprechen. Frau Künast hat vorhin ja gesagt, dass wir dann
„nur“ - in Anführungszeichen - diese 580 Millionen
Euro geben, die wir jetzt zusätzlich zuschießen. Zur
Wahrheit gehört schon - das sollten wir uns bewusst
machen -, dass wir seit der Entscheidung zum Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Zwei- und Dreijährige den Kommunen, obwohl wir nicht zuständig
sind, 4 Milliarden Euro für den Ausbau der Betreuung
von unter Dreijährigen gegeben haben. Das tun wir nicht
deshalb, weil wir so viel Geld haben, sondern weil wir
wissen, dass die Kinderbetreuung für viele Eltern ein
ganz wichtiger Aspekt ist. Hier kann der Staat nicht außen vor bleiben und sagen, dass es ihn nichts angeht. Wir
wollen vielmehr den Kommunen, die dafür zuständig
sind, bewusst unter die Arme greifen, um diese wichtige
Aufgabe der Kinderbetreuung bewerkstelligen zu können.
({8})
Meine Partei und ich stehen voll hinter dem Ausbau
der Kinderbetreuungseinrichtungen, wir stehen voll hinter dem Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für unter Dreijährige.
({9})
Aber wir sagen auch: Das kann nicht die einzige Form
der staatlichen Unterstützung sein. Auch diejenigen, die
dieses Angebot nicht in Anspruch nehmen, sollen eine
Anerkennung für ihre Erziehungstätigkeit bekommen.
Deshalb haben wir uns für das Betreuungsgeld als zweite
Leistung entschieden.
({10})
Außerdem befinden sich unsere Sozialsysteme in einer guten Situation. Ich bin jetzt schon einige Jahrzehnte
hier im Hause, und ich kann mich kaum an Haushaltsdebatten erinnern, in denen wir beim Thema Sozialversicherungen nicht über Defizite gesprochen hätten. Dass
wir heute in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung über ein Polster reden, dass wir auch über
mögliche Beitragssatzsenkungen reden, hängt mit der
guten Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit der Politik in
den Jahren zusammen, in denen das aufgebaut wurde.
Wir haben in der Rentenversicherung, bei der Alterssicherung natürlich nicht alle Probleme gelöst. Deshalb
ist es richtig, dass wir uns Gedanken darüber machen:
Wie verbessern wir die Versorgung der älteren Bevölkerung dann, wenn gebrochene Erwerbsbiografien, wenn
unterbrochene Erwerbsbiografien zu verzeichnen sind,
wenn durch Geringverdienen relativ wenig Beiträge gezahlt wurden? Das ist eine legitime und auch notwendige
Diskussion. Ich warne da allerdings vor Schnellschüssen. Ich glaube, es ist notwendig, hier wirklich intensiv
darüber nachzudenken.
Eines will ich allerdings schon deutlich zum Ausdruck bringen: Bei dieser Diskussion darf die Situation
der Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben und deshalb in der Rentenversicherung eine geringere Anerkennung ihrer Erziehungsleistung haben als diejenigen
Frauen, die ihre Kinder nach 1992 geboren haben, nicht
vergessen werden, nicht an die Seite geschoben werden,
sondern muss einbezogen und einer Lösung zugeführt
werden.
({11})
Vorhin hat der Kollege Steinmeier angesprochen, dass
vieles von dem, woraus wir heute die Dividende erhalten, etwa die gute wirtschaftliche Entwicklung, auf das
zurückzuführen sei, was von der Großen Koalition oder
auch früher entschieden wurde.
({12})
- Auch unter Rot-Grün. Ich habe das nie bestritten. Wir
haben das, was uns richtig und gut erschien, ja auch unterstützt. - Nur möchte ich gerade deshalb schon deutlich darauf hinweisen: Es wäre gut, wenn Sie sich
manchmal daran erinnern und auch daran halten würden.
({13})
Wenn Sie der Meinung sind, dass es richtige Entscheidungen waren, dann, bitte sehr, werfen Sie sie nicht über
den Haufen und versuchen Sie nicht, sie wieder rückgängig zu machen,
({14})
sondern stehen Sie dazu! Stehen Sie vor allem in diesen
Zeiten dazu, das weiterzuführen; denn es ist notwendig!
({15})
Bei all den innenpolitischen Entscheidungen stehen
wir natürlich auch vor der großen Herausforderung der
Bewältigung der Staatsschuldenkrise in den Euro-Staaten. Es ist immer wieder notwendig, sich darauf zu besinnen: Was ist eigentlich die Ursache dafür? Entstanden
ist diese Krise, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich durch zwei Dinge, einmal
durch eine zu hohe Staatsverschuldung
({16})
und zum anderen durch fehlende Wettbewerbsfähigkeit
in einzelnen Euro-Ländern. Wenn wir an die Lösung der
Probleme gehen wollen, dann müssen wir diese Ursachen bekämpfen. Es führt dann kein Weg daran vorbei,
dass jede Hilfe verbunden sein muss mit Konditionen,
mit Konditionen wie „notwendige Haushaltskonsolidierung“ und „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in
den Industriestaaten“, das heißt mit konkreten strukturellen Reformen in diesen Ländern. Anders geht es nicht.
({17})
Das Ziel muss sein - ich bin sehr dankbar, dass die
Bundeskanzlerin das heute so deutlich zum Ausdruck gebracht hat -: Europa muss sich mit Innovationen, mit
Kreativität, mit Wettbewerbsfähigkeit im internationalen
Kontext bewähren können. Deshalb führt kein Weg daran
vorbei, dass die einzelnen Staaten mit ihrer Haushaltspolitik, mit ihrer Finanzpolitik, mit ihrer Wirtschaftsund Sozialpolitik, mit ihrer gesamten politischen Kraft
selbst dafür sorgen, dass sie wettbewerbsfähig sind, und
auf dem Weg dahin müssen wir sie unterstützen.
Zu dem Vorschlag, der immer wieder kommt, man
könnte ein bisschen nachgeben und ein bisschen Zeit geben, muss ich ganz deutlich sagen: Jedes Zugeständnis
nimmt den Reformdruck, nimmt den Konsolidierungsdruck von diesen Ländern, und deshalb wird jedes Zugeständnis abgelehnt.
({18})
Es ist notwendig, alles daranzusetzen, dass wir zu einer Stabilitätsunion kommen und dass die Konditionen
eingehalten werden. Es verbietet sich jeder Weg in eine
Schuldenunion. Alles, was mit Vorschlägen in Richtung
Schuldentilgungsfonds, in Richtung Euro-Bonds und in
Richtung Vergemeinschaftung von Schulden geht, mögGerda Hasselfeldt
lichst auch noch ohne Konditionen, ist der grottenfalsche
Weg. Eine Stabilitätsunion ist gefragt, nichts anderes.
({19})
Wir werden auf diesem Weg noch einiges bewerkstelligen müssen. Die über Jahre hinweg aufgebauten Schulden werden nicht über Nacht abgebaut werden können.
Aber ich bin sicher: Wenn wir den Kurs einhalten, dann
werden wir auch in Europa das schaffen, was wir in
Deutschland geschafft haben, nämlich aus der Krise besser herauszugehen, als wir hineingekommen sind. Wir in
Deutschland haben es geschafft.
Sicher ist aber auch eines: Wenn wir den Weg gegangen wären, den Sie in der Opposition in Richtung Vergemeinschaftung von Schulden uns immer wieder vorgeschlagen haben, dann wären die Krisenländer nach wie
vor auf dem falschen Weg zur weiterhin fehlenden Solidität.
({20})
Das wäre mit Sicherheit verhängnisvoll. Deshalb haben
wir das verhindert, und deshalb werden wir das auch
künftig verhindern.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Siegmund Ehrmann
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Bundeskanzleramt gehört auch der Verantwortungsbereich des
Staatsministers für Kultur und Medien. Deshalb wird aus
guten Gründen in der Generaldebatte auch über die Kultur- und Medienpolitik gesprochen.
Der Bund hat auch für die Hauptstadt Berlin eine besondere Verantwortung. Gerade die Ergebnisse der Kulturpolitik sieht man hier in dieser Stadt sehr stark, wenn
ich allein an die Museumsinsel erinnern darf. Deshalb ist
es eine besondere Verantwortung, mit diesen Institutionen sehr umsichtig umzugehen.
Wir konnten allerdings in diesem Sommer ein besonderes Paradebeispiel aus der Rubrik „Gut gemeint ist
nicht zwingend gut gemacht“ erleben. Was ist passiert? Im Nachtragshaushalt im Juli wurden 10 Millionen Euro
zur Verstärkung des Bautitels der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz bereitgestellt, um die Schenkung des Sammlerehepaars Pietzsch angemessen zu repräsentieren, so
die Begründung. Das war wohl auch für den Chef der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Überraschung. Er
wird in Cicero zitiert: Hätte ich das eher gewusst, dann
hätte ich das auch anders kommunizieren können. - Die
Art und Weise dieser Mittelveranschlagung führte nämlich zu einer heftigen, chaotischen Debatte in den Feuilletons. Kulturhistoriker weltweit haben sich eingemischt
und haben sich geäußert. Eine Petition wurde entwickelt.
Im Grunde genommen wurde alles falsch gemacht, was
man falsch machen konnte, obwohl doch der Masterplan,
der als stille Folie über allem schwebt, einen recht guten
Weg weist.
Strafverschärfend kommt jetzt hinzu, dass sich die
Vorsitzende des Kulturausschusses, Frau Grütters, in der
Berliner Morgenpost äußert und gewissermaßen derart
Nebelkerzen wirft, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
sei jetzt gefordert, Klarheit zu schaffen, die Politik sei
nicht dafür da, die Hausaufgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu machen. Nebenbei watscht sie den
Berliner Senat ab und gibt auch dem Staatsminister einen korrigierenden Hinweis, dass seine Idee, das Kronprinzenpalais möglicherweise in die Zwischenlagerung
Alter Meister einzubeziehen, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist.
Ich finde, so kann man Kulturpolitik nicht gestalten.
Wenn man zwischen Tür und Angel Mittel veranschlagt,
ohne die Konzepte der Öffentlichkeit sorgfältig zu erläutern, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn eine
Debatte so aus dem Ruder läuft. Hier ist der Staatsminister gefordert, Klarheit zu schaffen.
Ich lese heute, dass auch die Museumsverantwortlichen die Debatte aufgegriffen haben und möglicherweise sogar bereit sind, den Masterplan zu revidieren. Es
gibt also eine Verunsicherung auf allen Ebenen. Hier ist
Klarheit geboten. Herr Staatsminister, Kolleginnen und
Kollegen der Regierungskoalition, es ist Ihr Job, sich darum zu kümmern.
({0})
Ich habe gerade die chaotisierende Wirkung von bereitgestellten Haushaltsmitteln beschrieben. Man hätte
durchaus Geld für wirksame Instrumente in diesen Haushalt einstellen können. Ich spreche die Kulturstiftung des
Bundes an. Die Kulturstiftung des Bundes bietet sehr
gute Instrumente, um im gesamten Land kulturelle Projekte zu stabilisieren und sie zu unterstützen. Besonders
gut sind die Instrumente der einzelnen Fonds, zum Beispiel des Fonds Soziokultur, des Fonds Darstellende
Künste, des Deutschen Literaturfonds und des Deutschen Übersetzerfonds. Im Haushalt ist nicht zu erkennen, dass die Regierungskoalition diese Instrumente
wertschätzt. Ich hätte mir gewünscht - das werden wir
beantragen -, dass die entsprechenden Mittel angemessen aufgestockt werden, um diese tollen steuernden Instrumente und Impulsgeber wirksam werden zu lassen.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Medienpolitik sind
Defizite zu beobachten. Internet und Digitalisierung haben die Nutzung von Medien grundlegend verändert.
Alte Kulturtechniken haben sich verändert, neue sind
hinzugekommen. Aber wie fördern wir den verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Medien? Es gibt
sehr wohl einzelne Projekte, die vom BKM, im Verantwortungsbereich des Staatsministeriums angeschoben
wurden. Es wurde aber auch in einem Zwischenbericht
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ herausgearbeitet, dass Grundlagenforschung sowie praxisbegleitende Forschung und Studien fehlen, um
genau zu eruieren und zu beobachten, wo noch wirksamer an den Stellschrauben gedreht werden könnte. Auch
dort ist diese Bundesregierung nicht initiativ, obwohl das
Thema in der Enquete-Kommission auch von den eigenen Leuten auf die Agenda gebracht wurde.
Die Ideenlosigkeit des BKM spiegelt sich auch im
Bereich der Mediendatenbank wider. Das ist ein Thema,
bei dem Abgeordnete aus dem gesamten Parlament seit
geraumer Zeit treiben. Dort geschieht nichts. Das Thema
muss endlich angepackt werden, damit wir solide, öffentlich zugängliche Grundlagen für medienpolitische
Entscheidungen erhalten. Es stellt sich die Frage: Wann
passiert da endlich etwas?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Beispiele sprechen Bände, aber sie können nicht ernsthaft
verwundern. Wieso sollte bei der Performance dieser
Bundesregierung gerade dieser Bereich der Kultur- und
Medienpolitik als ein besonders umsichtig gestaltetes
Politikfeld erfahrbar sein? Es wundert nicht. Insofern
bleibt es die Aufgabe der Opposition, den Finger in die
Wunde zu legen und entsprechende Anträge zu stellen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Es hat das Wort der Staatsminister Bernd Neumann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Haushaltsentwurf, Herr Kollege Ehrmann, dokumentiert erneut die Verlässlichkeit und den hohen
Stellenwert der Kulturpolitik des Bundes. Nunmehr in
achter Folge - in den ersten vier Jahren waren Sie ja dabei; da haben Sie noch ganz anders geredet -, also seit
Beginn der Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela
Merkel, steigen die Ausgaben für Kultur und Medien
jährlich.
({0})
Meine Damen und Herren, damit unterstreichen wir erneut und, wie ich finde, eindrucksvoll, dass wir es mit
der Aussage ernst meinen, die in beiden Koalitionsvereinbarungen der Regierungszeit von Angela Merkel enthalten ist. Ich zitiere:
Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine
unverzichtbare Investition in die Zukunft unserer
Gesellschaft.
Dies ist einmalig in Europa.
({1})
In allen anderen vergleichbaren europäischen Ländern
werden gerade die Ausgaben für Kultur zum Teil drastisch gekürzt. Deshalb gilt Deutschland in der Runde der
EU-Kulturminister als vorbildlich. Erst gestern war in
der FAZ unter der Überschrift „Linker Tabubruch“ zu lesen, was in Frankreich derzeit passiert - ich zitiere -:
Frankreichs Kulturpolitik steht vor einem radikalen
Umbau. Erstmals seit zehn Jahren wird das entsprechende Budget geringer - unter einer linken Regierung war das überhaupt noch nie der Fall. … Dieser
Tabubruch bedeutet das Ende der berühmten „kulturellen Ausnahme“.
Meine Damen und Herren von der SPD, so Ihre sozialistischen Freunde in Frankreich.
({2})
Bei uns wird es diesen Tabubruch nicht geben.
({3})
Die sogenannte kulturelle Ausnahme ist auf Bundesebene mittlerweile zur Regel geworden. Daran haben
- lassen Sie mich das objektiv feststellen - alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, insbesondere im Haushaltsausschuss, mitgewirkt, und darauf können wir stolz
sein.
({4})
Es geht aber nicht nur um die Höhe des Haushalts, es geht
auch um gute Rahmenbedingungen. Insbesondere umsatzsteuerliche Regelungen wirken sich sehr auf das kulturelle Leben in Deutschland aus. Nur stichwortartig
nenne ich das noch zu verabschiedende Jahressteuergesetz, in dem wir festlegen, dass entgegen einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs Regisseure und Choreografen an Theatern nicht den vollen Mehrwertsteuersatz
zahlen müssen, sondern von der Umsatzsteuer gänzlich
befreit werden. Das war mühselige Überzeugungs- und
Detailarbeit, aber es ist ein wichtiges Detail und keine
Kleinigkeit für die Kreativen.
({5})
Nicht mehr ermäßigt bleiben darf hingegen nach EURecht der Handel mit Kunst. Das ist in der Sache leider
nicht abzuwehren, aber wir sind dabei, andere EU-konforme Regelungen zu finden, die Belastungen für den
Kunsthandel in Deutschland möglichst vermeiden und
ihn vor größeren Beeinträchtigungen dauerhaft bewahren.
({6})
Aufgrund der Kürze der Zeit muss ich thematisch
springen. Wir werden zum Beispiel die Finanzierung des
erfolgreichen Deutschen Filmförderfonds in unveränderter Höhe fortsetzen.
({7})
Dieses zugleich kulturell wie wirtschaftlich orientierte
Fördermodell ist ein echter Blockbuster - um es im
Filmjargon zu sagen -, generiert ein Vielfaches an Umsatz im Produktionsland Deutschland und hat entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Films beigetragen.
({8})
Wir führen die Digitalisierung der Kinos fort, wobei
unsere Unterstützung auf die kleineren Kinos konzentriert ist; denn neben den großen Kinoketten brauchen
wir zum Erhalt der kulturellen Vielfalt in der Fläche
eben die kleinen und Arthaus-Kinos, und die wollen wir
erhalten.
({9})
Wir haben beträchtliche Mittel neu in den Haushalt
eingestellt, um die Digitalisierung unserer Kulturgüter
zu forcieren, die in unseren Bibliotheken, Archiven und
Museen verwahrt werden. Wir müssen die Chancen der
Digitalisierung nutzen, um viel mehr Menschen den Zugang zu unseren kulturellen Gütern zu erleichtern.
Die Leistungen der Bundesregierung für den Denkmalschutz sind neben der Filmförderung das Erfolgsprogramm dieser Koalition im Bereich der Kultur.
({10})
Durch die vom Haushaltsausschuss initiierten Sonderprogramme sind mittlerweile mehr als 100 Millionen
Euro zusätzlich in den Denkmalschutz geflossen.
({11})
Wir haben mit den - durch die Länder und Dritte etwa in
gleicher Höhe ergänzten - zur Verfügung gestellten
Summen einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt der
kulturellen Vielfalt in allen Regionen Deutschlands geleistet.
({12})
Zum Abschluss möchte ich einige Bemerkungen zu
dem machen, was Herr Ehrmann zu Anfang sagte. Ein
Thema ist in den letzten Wochen intensiv diskutiert worden, und zwar nicht, weil etwa Geld fehlte, sondern weil
der Haushaltsausschuss zusätzliche Mittel im Nachtragshaushalt bereitstellte: Ich meine die Pläne der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz zur Weiterentwicklung ihrer
Museen, die der Öffentlichkeit mittlerweile unter dem
Begriff „Rochade“ bekannt sind. Diese Pläne zur Umstrukturierung der Museen mit dem Ziel, für die Bilder
der Gemäldegalerie einen angemesseneren Standort anzubieten und die Werke der klassischen Moderne, die
sich leider derzeit zu 80 Prozent in Depots befinden,
überhaupt zu präsentieren, werden von den Verantwortlichen der Stiftung seit vielen Jahren verfolgt.
Herr Kollege Ehrmann, auch die Berliner Senate in
allen Konstellationen - einmal war ein linker Kultursenator dabei - unterstützten und unterstützen diese Pläne
bis heute.
({13})
Deshalb galten sie bisher als unstreitig. Ausschließlich
wegen finanzieller Mittel konnten die Pläne bisher nicht
umgesetzt werden.
({14})
Ich bin den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sehr
dankbar - hier hätte auch der Berliner Senat tätig werden
können; denn immerhin befinden sich diese Museen in
Berlin -,
({15})
dass sie mit der Einstellung von 10 Millionen Euro in
den Nachtragshaushalt 2012 überhaupt die Tür geöffnet
haben, um langfristig zu einer noch besseren Struktur
unseres größten Museumskomplexes in Deutschland zu
kommen. Es gibt an diesen Plänen, zum Teil wider besseres Wissen und kampagnenartig, Kritik. Ich nehme sie
ernst. Ich begrüße deshalb die gestern veröffentlichte
Absicht der Stiftung, die von allen 15 Museumsdirektoren getragen wird, mit einer Machbarkeitsstudie ihre
Pläne auch mit möglichen Alternativen zu objektivieren.
({16})
Auf der Grundlage dieser Studie werden dann von der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz die endgültigen Entscheidungen getroffen, die im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen selbstverständlich auch das Parlament
diskutieren wird. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen
wird, zum einen für die sogenannten Alten Meister eine
angemessene Ausstellungsperspektive zu entwickeln,
zum anderen aber auch der Sammlung der Nationalgalerie zum 20. Jahrhundert unter Einbeziehung der Sammlung Pietzsch gerecht zu werden.
Ich möchte mich zum Schluss herzlich bedanken für
die große Zustimmung und Unterstützung, die ich fraktionsübergreifend - das muss ich sagen - in den zurückliegenden Jahren erhalten habe. Diesen Dank richte ich
ausdrücklich auch in Richtung Opposition. Dies ist nicht
selbstverständlich. Ich weiß dies zu schätzen. Aber letztlich dient es unserer Kultur. Im Speziellen bedanke ich
mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses dafür, dass sie der Kultur so gewogen sind und es möglichst auch bleiben.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Staatsminister, Kultur ist eine unverzichtbare Investition. Diesen Satz hören wir immer wie23018
der. Wir hören ihn natürlich immer wieder sehr gerne an
dieser Stelle.
({0})
Der Kulturetat ist nicht gekürzt worden. Es wäre aber
auch noch schöner, wenn ausgerechnet an der Kultur gespart würde, wo wir doch den ganzen Tag
({1})
von Ihrer Seite gehört haben, dass es Deutschland so gut
geht: Deutschland - das Vorbildland, Deutschland - die
Vorzeigegesellschaft.
({2})
- Das Beispiel Frankreich, verehrter Herr Kollege und
verehrter Herr Staatsminister, halte ich für äußerst unfair.
Es ist ein Bumerang, der auf Sie zurückgeht. Der sozialistische Präsident muss jetzt in der Nachfolge einer bürgerlichen Regierung, die falsch gewirtschaftet hat, sparen.
({3})
Er spart auch an der Kultur.
({4})
Das ist ein Bumerang, der auf Sie zurückgeht. Das werden Sie eines Tages noch sehen.
({5})
Ganz bewusst stellen wir heute, in der Zeit der Schuldenberge und in dieser besonderen Situation, die Frage
nach dem Stellenwert der Kultur. Was soll denn in genau
diesen Zeiten unser Fundament sein, uns Rückhalt geben, eine Anleitung zum Weitermachen sein, wenn nicht
die Kultur? Wenn ich mir allerdings die Kulturpolitik
des Bundes von 2009 an in Ihren Großprojekten anschaue, dann frage ich mich, ob die Kultur gefördert und
geschützt wird, die diesen existenziellen Anforderungen
gerecht wird: die Festspiele in Bayreuth,
({6})
die ruinöse Schlossbaustelle, das goldene Freiheits- und
Einheitsdenkmal,
({7})
der neueste Millionenunsinn auf der Museumsinsel - der
Kollege Ehrmann hat das ausführlich beschrieben ({8})
und die unsägliche Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. All das sind übrigens Projekte, die durch Privatinteressen ausgelöst wurden
({9})
und nach deren Nutzen für die Allgemeinheit zu fragen
ist.
Fangen wir mit Bayreuth an. Dem florierenden Familienkulturunternehmen, das Abgaben an die Künstlersozialkasse und an die Sozialversicherungen nicht geleistet
hat und dem Parlament keinerlei Einsicht in seine Bücher erlaubt, zahlen wir pro Jahr 2,3 Millionen Euro.
({10})
Vor Jahren begann der Bund diese Förderung, um
Wagner für alle zu ermöglichen. Davon kann heute keine
Rede mehr sein. Solange sich das Unternehmen jeder
parlamentarischen Kontrolle entzieht, sollten die öffentlichen Gelder gestoppt werden. Das ist unsere Forderung!
({11})
Machen wir mit dem sogenannten Schloss weiter. Vor
Jahren ist eine Privatinitiative aufgetaucht, die sich verpflichtet hat: Wir bringen Ihnen 80 Millionen Euro an
Spenden ein, wenn Sie eine schöne Staatskulisse mitten
ins Herz von Berlin bauen.
({12})
Von den 80 Millionen Euro ist bis heute kaum etwas zu
sehen. Der Palast der Republik wurde abgerissen,
25 Millionen Euro wurden bereits verbaut, die Zahlung
weiterer 100 Millionen Euro steht bevor, und noch immer weiß niemand genau, was in dem Ding präsentiert
werden soll. Computeraufnahmen von der Kantine im
Keller sind jetzt allerdings im Umlauf, und 1 Million
Euro zahlen wir jährlich extra für ein Labor, das neuartige Ausstellungsideen entwickeln soll. Das Ergebnis ist
bisher unbekannt.
Kommen wir zum neuesten Coup: Das Sammlerehepaar Pietzsch bietet Berlin seine Bilder als Schenkung
an,
({13})
und schon haben wir in diesem Jahr 10 Millionen Euro,
um in eine gewaltige Um- und Neubauorgie auf der Museumsinsel einzusteigen. Die Alten Meister werden erst
einmal weg- und die moderne Kunst wird hingehängt,
und es gibt einen zusätzlichen Neubau.
({14})
Schließlich komme ich zu der vom Bund der Vertriebenen und seiner Präsidentin durchgesetzten Stiftung
„Flucht, Vertreibung, Versöhnung“,
({15})
die für die Planung einer Ausstellung nunmehr im dritten
Jahr 2,5 Millionen Euro bekommt, eine Stiftung, in der
nach wie vor nur Wissenschaftler aus Polen und Ungarn
vertreten sind, aber weder Wissenschaftler aus Tschechien noch aus der Slowakei noch aus dem übrigen Osteuropa, eine Stiftung, in deren Gremien nach wie vor
weder der Zentralrat der Juden noch Roma und Sinti vertreten sind, obwohl die deutschen Juden ja wohl die ersten deutschen Vertriebenen waren und die deutschen
Roma und Sinti die nächsten.
Sind das Kulturinvestitionen, die wir in dieser Zeit
brauchen?
({16})
Immer wieder habe ich an dieser Stelle den Vorschlag
gemacht, kulturelle Bildung und kulturelle Infrastruktur
machtvoll zu fördern.
({17})
Wir müssen antizyklisch vorgehen: mehr Zuwendung für
Kultur in Zeiten von Einsparungen und nicht weniger.
Die SPD hat in ihrem Kreativpakt jetzt einen sehr
charmanten Vorschlag gemacht. Zehn Städte und Regionen sollen je 10 Millionen Euro erhalten - analog zum
Hauptstadtkulturfonds. 100 Millionen Euro mehr für die
Kultur: Das wäre ein richtiger, mutiger Schritt.
({18})
Eine neue Kulturpolitik muss betrieben werden, vielleicht sogar ausgehend von den Ideen der Opposition.
Vielen Dank.
({19})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Reiner
Deutschmann das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn betonen, dass es mich freut, dass die Fraktionsvorsitzenden
der Koalitionsfraktionen ihr Interesse an der Kultur bezeugen, indem sie hier anwesend sind.
({0})
In den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, dass die aktuelle Politik nur aus
Schlagworten wie „ESM“, „Euro-Rettung“ und „Staatsanleihen“ besteht. Eine Welle der Begrifflichkeiten
wogte, durch unser Land, durch Europa und durch die
Welt, doch ich glaube, gerade wenn die großen Themen
nahezu erdrückend erscheinen und die Welle fast übermächtig ist, hilft die Kultur. Für mich ragt die Kultur als
Leuchtturm aus dieser Gemengelage heraus.
({1})
Kultur ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Sie schafft
Identität und Kreativität. Sie ist Anker und Quell neuer
Ideen.
({2})
Das Genießen von Kultur ermöglicht das Durchatmen
und sorgt von Zeit zu Zeit auch für das wichtige Innehalten. Auch und gerade deshalb bin ich gerne Kulturpolitiker. Vielleicht sollte das Innehalten auch bei einigen anderen ab und zu einmal zur Regel werden.
({3})
Die Kulturlandschaft Deutschlands ist unvergleichlich. Neben dem ehrenamtlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist die Kulturförderung durch die öffentliche Hand eine Voraussetzung für deren Erhalt und
Weiterentwicklung. Wenn auch die Kulturhoheit bei den
Ländern und Kommunen liegt, so leistet der Bund doch
sein Möglichstes, um unterstützend tätig zu sein. Aus gelebter Erfahrung weiß ich: In der Kultur kann man auch
mit vergleichsweise geringen Summen viel bewegen.
Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass selbst
bei der Streichung kleiner Etats riesiger Schaden entstehen kann. Natürlich wollen wir Liberalen sobald als
möglich einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung,
aber nicht, indem wir auf einen Wert von 0,39 Prozent
schauen. Genau dies ist der Anteil des BKM am Bundeshaushalt.
Dass es keine Kürzungen im Kulturetat gibt, haben
wir bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben; Herr
Neumann hat das noch einmal unterstrichen. So bleibt
der Etat des BKM auch in dieser Haushaltsplanung stabil, rechnet man die Einmalzahlungen des letzten Jahres,
zum Beispiel für Baumaßnahmen, heraus. Im direkten
Vergleich mit dem Regierungsentwurf 2012 ist er sogar
um 16 Millionen Euro gestiegen.
({4})
Das schafft Planungssicherheit bei den Kulturakteuren
und zeigt, dass die christlich-liberale Koalition ein zuverlässiger Partner ist. Dies zeigt ebenso, dass wir der
Kultur auch in schwierigeren Zeiten eine zentrale Bedeutung beimessen.
({5})
Für uns ist Kultur ein wesentlicher Bestandteil der
Gesellschaft und kein Sparschwein, das man in schlechten Zeiten einfach mal schlachten kann.
({6})
Kultur ist ein Schatz, den man bewahren und weiterentwickeln muss. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen,
dass das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert
wird.
Mit dem Haushaltsentwurf des BKM für das Jahr
2013 sind wir gut gerüstet für die anstehenden Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss. Wir wollen
diese Beratungen nutzen, um neue Akzente zu setzen
und Bewährtes zu stärken. Über viele einzelne Projekte
werden wir ganz sicher noch reden, ehe der Haushalt
endgültig festgezurrt wird.
Herausgreifen möchte ich aber heute schon den Bereich der Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Stasiunrechts. Bei diesem Thema werden wir nicht lockerlassen.
({7})
Gemeinsam mit den Gedenkstätten, den Opferverbänden, den Zeitzeugen und dem Bundesbeauftragten für
die Stasiunterlagen werden wir daran arbeiten, gerade
auch den jungen Menschen die Schrecken der letzten
Diktatur auf deutschem Boden verständlich zu machen.
({8})
Ich bin überzeugt: Damit leisten wir einen wichtigen
Beitrag für die Demokratie in Deutschland.
({9})
Herausgreifen möchte ich aber auch, dass im Haushaltsentwurf des BKM vorgesehen ist, den Etat der Deutschen Nationalbibliothek 2013 um 6 Millionen Euro zu
erhöhen. Diese Mittel stehen zur Digitalisierung von
wichtigen Kulturgütern zur Verfügung. Damit erfolgt
eine erste Umsetzung der Forderungen aus unserem Koalitionsantrag „Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen“.
In diesem Zusammenhang soll auch ein virtuelles
Museum für verfolgte Künste entstehen. Das ist vielleicht ein erster Schritt hin zu einem Nationalmuseum
für verfolgte Künste, das ich mir durchaus in Solingen
vorstellen könnte.
Bezogen auf die Diskussion, die hier im Raum
schwebte, über die Rochade in Berlin, kann ich nur sagen: Ich unterstütze Professor Parzinger ausdrücklich in
seinem Bemühen, die Museumsinsel noch weiter aufzuwerten und alle Möglichkeiten auszuloten, um die Berliner Museumslandschaft noch attraktiver zu machen.
Ich freue mich auf die Diskussion und bin mir sicher,
dass es am Ende der Beratungen zum Bundeshaushalt
viele zufriedene Gesichter bei den Kulturakteuren geben
wird.
({10})
Ich danke Ihnen.
({11})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Agnes Krumwiede
von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie ein Elefant im Porzellanladen, so verhält
sich die Bundesregierung gerade in der Kulturpolitik.
({0})
Das Damoklesschwert der Umsatzsteuerpflicht
schwebt über privaten Anbietern von Bildungsleistungen. Schaffen Sie schleunigst Klarheit im Entwurf für
das Jahressteuergesetz 2013,
({1})
damit alle Tanz-, Musik- und Kunstschulen von der Umsatzsteuer befreit bleiben.
({2})
Tatenlos sieht die Bundesregierung zu, wie der Streit um
die Tarifreform der GEMA eskaliert. Schon längst hätte
ein runder Tisch mit allen Betroffenen einberufen werden müssen, um das Schiedsstellenverfahren zu beschleunigen.
({3})
Die nächste Baustelle liegt bei der Berliner Kunstrochade der Alten und Neuen Meister; Planungsdilettantismus an allen Ecken und Enden.
({4})
Es gibt weder ein Finanzierungskonzept für die neue
Herberge der kompletten Alten Meister noch einen abgestimmten Stufenplan für den Umzug.
({5})
Beim Schach rochieren König und Turm in einem Zug.
Der Umzug der Alten Meister muss zeitgleich mit dem
Einzug der Neuen erfolgen.
({6})
Ursache für die Verstimmung ist auch ein Kommunikationsversagen seitens unseres Kulturstaatsministers.
({7})
Wenn der Kulturausschuss lediglich zum finalen Abnicken missbraucht wird, ist das schlechter parlamentarischer Stil.
({8})
So innovativ und investitionsfreudig sich der Kulturstaatsminister für ein Museum des 20. Jahrhunderts einsetzt, so festgefahren zeigt er sich bei der Haushaltsplanung für 2013. Alles beim Alten - so sieht es aus bei der
Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Daran ändert auch die aktuell erschienene Konzeption zur Arbeit
der Stiftung nichts. Solange sich nicht alle - Vertriebene
und Opfer des Nationalsozialismus - in den Gremien
und in der Konzeption gleichberechtigt wiederfinden,
können wir einer Bundesförderung für die Stiftung nicht
zustimmen.
({9})
Auch 2013 wird uns das Trauerspiel um die Förderung der Wagner-Festspiele erhalten bleiben. Erneut fließen über 2 Millionen Euro nach Bayreuth, und das, obwohl sich nichts verändert hat.
({10})
Immer noch sahnt der Förderverein ein Viertel der verfügbaren Karten ab. Bis heute wurde kein kaufmännischer Geschäftsführer eingesetzt. Auf die Durchführung
einer Marktpreisstudie warten wir vergeblich. In Bayreuth müssen endlich die notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen stattfinden. Dieser Förderautomatismus nach dem Motto: „Wir fördern, weil wir das seit
Jahrzehnten so machen, ganz egal, was sich hinter den
Kulissen abspielt“, muss durchbrochen werden; denn dadurch bleibt immer weniger Platz für Mittel für neue
Ideen und für neue Projekte.
({11})
Zwischen der Förderung etablierter Kultur und neuer
Kunstformen herrscht ein gravierendes Missverhältnis.
Auch für 2013 gibt es keine Erhöhung der Mittel für die
Soziokultur. Für den Kulturstaatsminister scheint die Soziokultur ein ungeliebtes Stiefkind zu sein.
({12})
Es ist an der Zeit, neue Schwerpunkte zu setzen. Wir
haben konkrete Vorschläge. In diesem Jahr feiert die
Kulturstiftung des Bundes ihr zehnjähriges Bestehen.
Dies ist ein guter Anlass und höchste Zeit, um eine Erhöhung des Gesamtetats der Stiftung um 7 Millionen Euro
zu fordern.
({13})
Ein eklatantes Defizit der Bundeskulturförderung besteht im Bereich Musik. Neue musikalische Ausdrucksformen von zeitgenössischer Musik über den Jazz bis hin
zur Musik der Jugendkulturen finden in der Haushaltsplanung kaum Beachtung. Wir setzen uns deshalb für die
Einrichtung eines Fonds „Neue Musik“ ein
({14})
zur Förderung neuer musikalischer Werke aus allen
Sparten, zum Beispiel für Projekte, die zeitgenössische
Musik unterschiedlicher Stilrichtungen und Kulturen auf
einer Bühne vereinen.
({15})
Mehr Wertschätzung für Musik, Kunst und Kultur
kann auch Europa wieder näher zusammenführen. Den
antieuropäischen Querulanten aus den schwarz-gelben
Reihen müssen wir zur Stärkung Europas neue Ideen
entgegensetzen.
({16})
Als Dänemark 1814 pleite war, beschloss König
Christian VIII., den Haushaltsposten für Kunst und Bildung deutlich zu erhöhen. Als sein Finanzminister dagegen protestierte, antwortete der König:
Arm und elend sind wir. Wenn wir jetzt auch noch
dumm werden, können wir aufhören, ein Staat zu
sein.
Vielen Dank.
({17})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Als erster Redner hat der Bundesaußenminister
Dr. Guido Westerwelle das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Mit großer Bestürzung
haben wir von dem verabscheuungswürdigen Angriff
auf das amerikanische Generalkonsulat in Bengasi und
dem Tod des amerikanischen Botschafters in Libyen,
Christopher Stevens, und seiner Mitarbeiter erfahren.
Unsere Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei unseren amerikanischen Freunden. Wir trauern um Botschafter Stevens und seine Kollegen. Unser Mitgefühl
gilt den Angehörigen und Freunden. Wir verurteilen die
gewaltsamen Übergriffe auf Auslandsvertretungen der
Vereinigten Staaten in Bengasi und Kairo auf das
Schärfste. Wir appellieren an die libysche Regierung,
eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen sicherzustellen. Die Straftäter müssen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Ich fordere die Regierungen in Libyen und
Ägypten eindringlich auf, die Sicherheit der Botschaften
und Konsulate und deren Mitarbeiter in ihren Ländern in
vollem Umfange zu gewährleisten.
({0})
Ich will hier klar sagen: Wir wenden uns entschieden
gegen jeden Versuch, die Gefühle anderer zu verletzen
und das friedliche Zusammenleben der Religionen zu
unterminieren. Aber wir sind uns einig in der Auffassung: Gewalt darf kein Mittel gegen solche Provokationen sein. Die Ermordung des amerikanischen Botschafters und drei weiterer Mitarbeiter - dies wurde vor
wenigen Stunden bestätigt - ist durch nichts, aber auch
durch gar nichts zu rechtfertigen.
({1})
Wir spüren, dass wir, wenn wir über den arabischen
Frühling sprechen, in Wahrheit über arabische Jahreszeiten sprechen müssten. So wenig wie die Geschichte der
Freiheitsbewegungen auf unserem Kontinent in jedem
Land identisch verlaufen ist - wir Deutsche wissen das
ganz besonders gut -, so wenig verläuft auch die Geschichte der Transformation, des Aufbruchs in der arabischen Welt nach demselben Strickmuster, in derselben
Geschwindigkeit, in derselben Weise.
Es gibt Länder, die einen revolutionären Weg gewählt
haben. Es sind Länder wie beispielsweise Tunesien, die
sich trotz allem, was noch im Argen liegt, mehr und
mehr zum Vorbild für viele andere Länder und ihre Freiheitsbewegungen empfehlen. Es gibt Länder wie Ägypten, die sich auf den Weg gemacht haben. Trotz all der
großen Schwierigkeiten möchte ich hier sagen: Dass wir
es zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens mit einem
demokratisch gewählten Präsidenten zu tun haben, das
ist etwas, das unsere Anerkennung und Würdigung finden sollte trotz allem, was wir noch an Fragilitäten und
übrigens auch an Kritikwürdigem - ich denke an die
Rolle der deutschen politischen Stiftungen in Ägypten auszusetzen und zu bemerken haben.
Wir erleben in Libyen, dass auch die Freiheit noch
nicht gewonnen ist. Das zeigen diese furchtbaren Anschläge. Wir erleben evolutionäre Entwicklungen in der
arabischen Welt; ich denke beispielsweise an die Marokkaner, aber auch an die Golfregion. Wir erleben, dass es
dort unterschiedliche Wege gibt. Aber eines haben all
diese Entwicklungen gemeinsam: Es sind Entwicklungen, die nach Freiheit und neuen Lebenschancen drängen. Unfreiheit kann vieles ignorieren, aber nicht die demografische Entwicklung dieser Länder. Viele junge
Menschen kommen nach. Sie suchen nach Chancen. Sie
fragen nicht nur nach politischer, demokratischer Partizipation, sondern in Wahrheit ausdrücklich auch nach besseren ökonomischen und sozialen Chancen für sich und
ihre Familien. Wir wollen nicht vergessen, wie es in Tunesien begann. Es war der Protest gegen Armut und Unterdrückung.
Deshalb ist es mir wichtig, auch wenn wir uns im Augenblick verständlicherweise ganz stark mit unseren eigenen europäischen Fragen zu beschäftigen haben, dass
wir nicht aus den Augen verlieren, welche historischen
Umbrüche in unserer unmittelbaren Nachbarschaft
gerade stattfinden. Weil wir uns selber 1989/1990 die
Demokratie errungen haben, haben wir auch die Verpflichtung, den Völkern beizustehen, die auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralität, übrigens ausdrücklich
auch religiöse Pluralität, setzen, die diesen Aufbruch wagen. Wir stehen an der Seite dieser Transformationsländer. Auch wenn wir selbst unsere Probleme haben, vergessen wir nicht diese Freiheitsbewegungen in unserer
Nachbarschaft.
({2})
Die Lage in Syrien ist unverändert bestürzend. Wir
alle sind uns darüber einig, dass nicht nur die Gewalt in
Syrien, sondern auch die mangelnde Handlungsfähigkeit
der internationalen Staatengemeinschaft viele Fragen
aufwerfen.
Es besteht kein Zweifel daran: Die Zeit von Assad ist
vorbei. Wann der Zeitpunkt kommen wird, werden wir
noch sehen. Wir hoffen, bald. Wir hoffen, schnell. Je
eher Russland und China dem Regime von Assad ihre
schützenden Hände entziehen, umso schneller wird auch
die Gewalt ein Ende finden.
({3})
Wir haben eine strategische Partnerschaft mit Moskau
und Peking. Das wird uns aber nicht davon abhalten, die
Blockadepolitik von China und Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen laut und deutlich zu kritisieren.
({4})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wichtig ist, dass wir es durch unsere Arbeit
schaffen, die Oppositionskräfte in Syrien zu einigen
bzw. zusammenzuführen und dabei zu helfen, dass sie
sich auf eine Plattform verständigen. Es reicht nicht aus,
nur die Opposition gegen etwas zu sein, in diesem Fall
gegen das grausame Regime von Assad. Es ist auch
wichtig, für etwas einzutreten, Alternativen aufzuzeigen
und dazu beizutragen, dass der Erosionsprozess im inneren Zirkel dieses Regimes voranschreiten kann. Wir setzen uns ein für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit, für
Pluralität und ausdrücklich auch für religiöse Toleranz.
Wir wollen ein neues Syrien, wir wollen ein freies Syrien, und wir wollen dabei helfen, dass das gelingt. Aber
es muss ein Syrien sein, in dem alle Religionen und alle
Ethnien ihren Platz haben und frei und ungehindert ihren
Glauben ausüben und ihr Leben leben können. Es sind
also auch Wertepartnerschaften, die wir eingehen.
Wir alle spüren, dass der Nahe Osten vor einer außerordentlich fordernden Zeit steht. Die Lage in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ist gefährlich. So sehr sich
die allermeisten Abgeordneten über den heutigen Tag für
Europa freuen, so sehr dürfen wir nicht die Risiken in
unserer unmittelbaren Nachbarschaft unterschätzen. Wir
müssen hinsehen und uns im Klaren darüber sein: Der
Friede steht auf der Kippe. Es ist nicht ausgemacht, dass
die Entwicklung in vielen dieser Länder friedlich voranschreitet. Das bezieht sich nicht nur auf Syrien und die
andauernde Gewalt, sondern ausdrücklich auch auf den
Iran.
Als jemand, der in den letzten Jahren auf internationaler Ebene immer wieder dafür geworben hat, die Hand
für Verhandlungen auszustrecken, sage ich: Verhandlungen sind kein Selbstzweck. Verhandlungen, die nur dazu
dienen, auf Zeit zu spielen, werden wir nicht akzeptieren. Eine atomare, nukleare Bewaffnung des Iran ist für
uns nicht akzeptabel, und zwar nicht nur deshalb, weil
wir eine besondere Verantwortung für die Sicherheit
Israels haben, sondern auch, weil wir nicht zulassen können, dass in der Region ein atomarer Rüstungswettlauf
beginnt, in dessen Zuge sich ein Staat nach dem anderen
atomar bewaffnet, mit all den Risiken, die damit verbunden sind.
Wir verlangen vom Iran, dass er das internationale
Recht einhält. Ansonsten werden wir weiter an der Sanktionsschraube drehen müssen; daran führt kein Weg vorbei. Ich sage dies mit großem Nachdruck und mit dem
vollen Ernst der Worte: Wir wollen eine politische und
diplomatische Lösung; dafür ist es noch nicht zu spät.
Aber jeder muss wissen: Eine atomare Bewaffnung des
Iran ist nicht akzeptabel. Sie ist nicht akzeptabel für
Israel, nicht akzeptabel für die Region und nicht akzeptabel im Hinblick auf die stabile Sicherheitsarchitektur
der Welt.
({5})
Schließlich und letztlich bedanke ich mich bei allen,
die im Haushaltsausschuss, im Auswärtigen Ausschuss,
im Europaausschuss und im Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ mit uns zusammengearbeitet haben.
Ich will mit einer Bemerkung schließen, die weit über
die auch technischen Aspekte dessen hinausgeht, worüber heute Morgen in der Debatte im Zusammenhang
mit dem wichtigen und glücklichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesprochen worden ist: Ich glaube,
wir müssen uns gemeinsam Gedanken darüber machen,
wie wir die Geschichte Europas, auch in den Augen der
Bürger, neu schreiben. Es reicht nicht aus, den jungen
Menschen zu sagen: Europa ist die Antwort des Friedens
auf Jahrhunderte mit vielen Kriegen und Konfrontation. Es ist wichtig, dass wir erkennen: Europa ist nicht nur
die Antwort auf Geschichte, nicht nur die Antwort auf
das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, sondern
in Wahrheit ist Europa auch eine Schicksalsgemeinschaft, eine Kulturgemeinschaft.
Ich bin jetzt seit drei Jahren Außenminister. Mit dem
Autoritätsgewinn durch wirtschaftliche Erfolgsgeschichten in den neuen Kraftzentren der Welt, den ich in diesen
drei Jahren erlebt habe, ist auch ein politischer Autoritätsgewinn verbunden. Kein Land in Europa wird die
Herausforderungen durch die Globalisierung allein bestehen können. Wir werden nur gemeinsam, indem wir
unsere Kräfte bündeln, bestehen können und im Wettbewerb, aber auch in einer Partnerschaft mit den neuen
Kraftzentren der Welt unser europäisches Lebensmodell
verteidigen können. Wir müssen den Selbstbehauptungswillen Europas als Kulturgemeinschaft leben. Das ist
mehr als Binnenmarkt und Währungsunion.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Bundesaußenminister, das war eine bemerkenswerte Rede, und ich hatte gedacht, dass Sie die
Aussprache über diesen Einzelplan, der wohl der letzte
Einzelplan ist, den Sie aktiv mitgestalten,
({0})
zum Anlass nehmen, ein wenig Bilanz zu ziehen und
vielleicht das Revue passieren zu lassen - Sie haben gesagt, Sie sind jetzt seit drei Jahren Außenminister -, was
Sie an eigenen Zielen und Erwartungen hatten und was
Sie verwirklicht haben.
Ich will das tun; ich denke, es ist angemessen, beim
Einzelplan 05 darüber zu sprechen.
Natürlich ist es schwer - das vorweg -, die heutige
nationale Außenpolitik mit der vor 10 oder 20 Jahren zu
vergleichen. Die internationale Politik hat sich verändert. Neue Machtzentren sind in den Vordergrund getreten. Das Ende des Ost-West-Konflikts und die Vergemeinschaftung der nationalen Außenpolitik in Europa all das hat die Handlungsmöglichkeiten nationaler
Außenpolitik verändert, eingeschränkt. Aber es bestehen
natürlich weiterhin Herausforderungen für die nationale
Außenpolitik. Ich hätte mir gewünscht, dass gerade diese
Herausforderungen in den vergangenen Jahren von Ih23024
nen gemeistert worden wären, insbesondere die in
Europa; Sie haben davon gesprochen. Wir sehen ja nicht
nur eine Staats- oder Finanzkrise in einzelnen europäischen Ländern, sondern wir beobachten die Rückkehr
von Nationalismus, die Rückkehr von Chauvinismus in
Europa, die wir überwunden geglaubt haben. Zum Beispiel in Ungarn und Rumänien geht es ja nicht nur um
die Verfolgung von Minderheiten; es geht auch darum,
dass die Probleme in eine Region in unmittelbarer Nachbarschaft, nämlich auf den Balkan, überschwappen, der
jahrelang einen Bürgerkrieg erlebt hat und nun erneut
Zwietracht erlebt. Das sind Herausforderungen.
Herausforderungen sind auch das wachsende Entwicklungsdilemma, die Politisierung von Gesellschaften, soziale Konflikte und, insbesondere in Europa - das
dürfen wir nicht vergessen -, weiterhin ungeregelte Territorialkonflikte. Zum Beispiel Zypern ist eine Herausforderung für eine nationale, aber insbesondere für eine
europäische Außenpolitik. Außerdem gibt es weiterhin
ungeregelte Aufrüstungsschübe in der Welt.
Damit bin ich bei einem Thema, das Sie vor drei Jahren im Wahlkampf immer im Munde geführt haben. Sie
haben sich zum Ziel gesetzt, die letzten hier verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland herauszubringen oder dieses Thema zumindest auf der Agenda zu
halten. Sie haben dieses Thema frei gewählt; das bleibt
Ihnen überlassen. Einige waren sowieso von Anfang an
skeptisch. Aber in diesem Sommer mussten wir hören,
dass die Bundesregierung diese Systeme mit einigen
Partnern modernisiert, um sie noch länger in Deutschland zu halten, Relikte des Kalten Krieges, wie Sie sie
genannt haben. Das ist Ihr Versäumnis in der deutschen
Außenpolitik, und das muss an dieser Stelle auch benannt werden.
({1})
Zu dem, was beim Thema Rüstungskontrolle von Ihnen nicht angepackt worden ist, wo Sie vielleicht zu wenig Mut gezeigt haben, gehört, wie ich finde, auch das
Thema Raketenabwehr.
({2})
Deutsche Außenpolitik hätte im Bereich der Sicherheitsund der Rüstungskontrollpolitik etwas voranbringen
können, was wahrscheinlich Europa und den gesamten
Kontinent in den nächsten Jahren wieder prägen wird: Es
geht um Aufrüstungsschübe durch eine Modernisierung
von Rüstung.
Hier hätte es sich gelohnt, Rüstungskontrolle und -begrenzung zu diskutieren,
({3})
sowohl im NATO-Bündnis als auch darüber hinaus, und
insbesondere auch die Sorgen Russlands ernst zu nehmen. Nicht jetzt - das wissen wir auch -, aber dann,
wenn möglicherweise die letzte Stufe der Raketenabwehr verwirklicht worden ist, ergibt sich hier strategisches Potenzial. Ich verlange von einem deutschen Außenminister, dass er das thematisiert.
Herr Westerwelle, Sie haben über eine Region in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gesprochen, den Nahen und Mittleren Osten. In der Tat: Israel macht sich
wegen des Irans Sorgen, insbesondere darüber, dass der
Iran nicht bereit ist, sowohl die ausgestreckte diplomatische Hand zu ergreifen als auch die Inspektion durch die
Internationale Atomenergie-Organisation zuzulassen.
Iran ist ein vorherrschendes Thema der internationalen
Politik.
Andererseits ist auch die Versöhnung zwischen Israel
und Palästina weiterhin eine große Herausforderung für
europäische und auch für deutsche Außenpolitik. Es
reicht nicht, dass der deutsche Außenminister Appelle
aussendet, sondern er muss den israelischen Gesprächspartnern, auch der israelischen Regierung klarmachen,
dass der ungehinderte Siedlungsausbau, die weitere Abriegelung des Gazastreifens, die Gewährung von Menschenrechten - diese existenzielle Frage muss von Europa
gestellt werden - mit dazu dienen, dass die Situation im
Nahen und Mittleren Osten nicht eskaliert. Diese Themen müssen zusammengefasst werden. Hierzu habe ich
bei Ihnen eine Menge vermisst. Ich glaube, dass europäische Außenpolitik auch zu einer Verhaltensänderung der
israelischen Regierung hätte beitragen können.
Ich glaube, Sie hatten es gut damit gemeint, die
palästinensische Autonomiebehörde aufzuwerten. Aber
plötzlich sitzen Sie zwischen allen Stühlen. Das Bundeskanzleramt hat diesen Schritt nicht mitgemacht. Die
israelische Regierung war über diesen Vorgang total irritiert. Im Grunde genommen hat der sogenannte
palästinensische Botschafter von der sogenannten Aufwertung überhaupt nichts. Ich glaube, es war letztlich ein
Fehler, hier nicht mehr Engagement zu zeigen. Das gehört, wenn wir über den Einzelplan 05 sprechen, zu der
Bilanz mit dazu.
({4})
Herr Bundesaußenminister, Sie sind viel gereist. Sie
haben den lateinamerikanischen Kontinent sehr früh bereist und ein Lateinamerika-Konzept vorgestellt, bei dem
Sie der Meinung gewesen sind, deutsche nationale Außenpolitik könnte einen Beitrag für diese Region leisten.
Ich glaube, die Gesprächspartner dort haben sehr schnell
gemerkt, dass wir zwar ein Interesse an dem Kontinent
haben, aber dass sich dieses Interesse in der Außenwirtschaftspolitik erschöpft. Heute sind andere europäische
Länder bereit, mitzuhelfen, Konflikte in diesen Ländern
zu befrieden und zu regeln. Deutschland gehört nicht mit
dazu. Deswegen haben Sie in diesem Zusammenhang
falsche Botschaften ausgesandt. Das LateinamerikaKonzept ist kein politisches Konzept. Es ging sozusagen
fast nur um Außenwirtschaftspolitik und zu wenig um
Diplomatie.
Sie haben auch nicht die Chance ergriffen, die die
Obama-Administration geboten hat, einen Beitrag zu einer anderen Außenpolitik sowohl in Europa als auch international zu leisten. Ich glaube, das sind Versäumnisse,
die Sie sich selbst anlasten müssen, weil Sie am Anfang
Ihrer Legislaturperiode ganz andere Erwartungen geweckt haben.
({5})
Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie daran erinnert
haben, dass trotz aller schrecklichen und mit menschlichem Leid verbundenen Bilder in der Tat in der arabischen Welt auch hoffnungsvolle Ansätze zu sehen sind.
Tunesien ist ein leuchtendes Beispiel. Wir sollten dieses
Land unterstützen. Es gibt viele gesellschaftliche Organisationen in arabischen Ländern, die die Geschichte
aufarbeiten und sich um soziale Fragen und Ähnliches
kümmern wollen. Das sollten wir nicht vergessen.
Der gesamte Deutsche Bundestag gibt Ihnen recht,
dass das, was insbesondere in Libyen, aber auch in
Ägypten passiert ist, nicht hinzunehmen ist. Ein Appell
vonseiten des Parlaments an die dortigen Regierungen
muss unbedingt erfolgen. Eingefordert werden muss
nicht nur der Schutz der diplomatischen Vertretung, sondern auch der Schutz ausländischer Gäste in diesen Ländern. Das fordern wir auch in den nächsten Tagen ein.
Aber das reicht nicht an Auseinandersetzung mit den
gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich habe mir wirklich
erhofft, dass sozusagen nicht nur die Reisen in die arabischen Umbruchländer dazu beitragen, sich mit der neuen
Politik auseinanderzusetzen. Es geht vielmehr darum,
sich mit einem gesellschaftlichen politischen Trend zu
befassen, der damit verknüpft ist, mit dem Trend des
politischen Islam.
Ich glaube, es war ein Versäumnis in der europäischen
Diskussion, dass wir uns nicht frühzeitig gerade zu diesen Bewegungen hin orientiert und zumindest den Dialog angeboten haben. Aber ich habe manchmal den Eindruck, dass wir uns mittlerweile mit dem sogenannten
politischen Islam und den Parteien, die dort jetzt den
Wahlsieg davontragen, viel zu gemein machen und ein
falsches Zeichen an die Länder des gesellschaftlichen
Umbruchs geben.
Ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU haben es nicht verdient, dass der politische
Islam mit europäischen Entwicklungen verglichen wird,
wo nämlich christliche Werte auch zu einer Parteigründung geführt haben. Das ist viel zu wenig für die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam. Ich glaube,
wir sollten eine intensivere Diskussion darüber führen.
In der Tat: Syrien ist die große Herausforderung für
die internationale Gemeinschaft. Die Verhinderung von
Maßnahmen insbesondere vonseiten Russlands, aber
auch Chinas ist nicht hinnehmbar. Wir unterstützen Sie
in diesen Fragen im Sicherheitsrat, damit es zu einer
Verhaltensänderung kommt.
Ich glaube, all das müssen wir gleichzeitig aber auch
als mit einzelnen Menschen verbundene Schicksale begreifen. Deswegen sage ich ganz klar: Wir haben auch
eine Schutzverantwortung für die Menschen, die dort
verfolgt werden. Die Flüchtlinge kommen in der Tat zu
den Außengrenzen. Aber es gibt auch welche, die möglicherweise nur hier Schutz finden. Deswegen will ich von
diesem Podium aus sagen: Alle Menschen haben unabhängig von ihrer Religion das Menschenrecht, geschützt
zu werden, wenn es erforderlich ist und wenn sie an den
Grenzen von Syrien keinen Schutz finden. Auch darum
geht es nach meinem Dafürhalten.
({6})
Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir gewünscht,
dass Sie die Herausforderungen nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft thematisiert hätten.
Das Thema Rüstungsexporte wird diese Bundesregierung mit Sicherheit nicht auf ihre positive Agenda
schreiben können. Ich hätte mir gewünscht, dass der
deutsche Außenminister häufiger das Wort dazu ergriffen hätte. Denn es geht nicht einfach um ein Gut, das
dorthin transportiert wird, sondern damit sind außenpolitische Fragen verbunden. Bei der Lieferung von Panzern
und in der Diskussion über U-Boote, die möglicherweise
nach Ägypten gehen, darf man nicht nur die Partner konsultieren, sondern wir wollen, dass dieses Parlament
stärker konsultiert wird.
({7})
Zum Beispiel haben auch Kolleginnen und Kollegen aus
der Koalition Vorschläge gemacht. Ich hätte auch gerne
die Bundesregierung bei dieser Frage gesehen.
Ich hätte von Ihnen auch gerne ein Wort in einer Debatte gehört, die der Verteidigungsminister angestrengt
hat. Sie möchten jetzt bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr. Ich finde, das ist eine Frage, die nicht nur den
Verteidigungsminister zu interessieren hat, sondern insbesondere auch den Bundesaußenminister. Dabei geht es
um sicherheitspolitische, völkerrechtliche, ethische, insbesondere aber auch um rüstungskontrollpolitische Fragen.
Diese Zukunftsthemen haben Sie nicht aufgenommen. Leider trifft das sowohl für den Haushaltsplan als
auch für Ihre Rede zu. Ich erwarte auch nicht - leider -,
dass es in den nächsten Monaten damit vorangeht. Wir
werden dann aber diese Themen 2013 aufgreifen.
Ganz herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Schuldenkrise, in der sich die EU heute befindet, wird
vor allem finanz- und wirtschaftspolitisch diskutiert.
Aber sie hat auch eine wichtige außenpolitische Komponente, der wir mehr Aufmerksamkeit schenken müssen.
In Bezug auf Griechenland sollten wir zunächst den Bericht der Troika abwarten.
Der Beitritt Griechenlands, obwohl Griechenland
wirklich nicht reif für den Euro war, ist von SPD und
Grünen gegen unser Votum durchgesetzt worden. Das
war eine falsche Entscheidung mit gravierenden Folgen.
Aber ich sage auch: Wir sollten uns jetzt nicht mit falschen Prophezeiungen und Signalen hervortun, solange
der Troikabericht nicht vorliegt.
Was wir aber dessen ungeachtet heute schon tun müssen, ist, uns die möglichen außenpolitischen Folgen eines Scheiterns Griechenlands bewusst zu machen und
sie klar zu benennen, so wie es auch die Finanzinstitutionen oder zum Beispiel die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, in ihren Berichten tun.
Sollte Griechenland mit seinen Rettungsbemühungen
scheitern, ist zu befürchten, dass der Verlust des Euro
Griechenland nicht nur einen schweren ökonomischen
Schock versetzt. Es wird dann auch der gesellschaftliche
Friede im Land gefährdet. Griechenland könnte in politische Instabilität abgleiten. Die Explosion von Gewalt
({0})
- Sie sprechen es an -, die wir bereits mehrmals in
Athen beobachten mussten, hat uns einen klaren Hinweis gegeben, welches Chaos dann in noch viel größerem Ausmaß zu erwarten wäre. Ideologen werden einfache Antworten versprechen und die Schuld für die
eigenen Versäumnisse außerhalb des Landes festmachen. Die Folgen davon könnten Spannungen mit den
Nachbarn oder gar regionale Krisen sein, und das in einer ohnehin instabilen Mittelmeerregion.
Unabhängig davon müssen wir alle Anstrengungen
unternehmen, um die Schuldenkrise zu bewältigen, und
Europa insgesamt wettbewerbsfähiger machen; denn
wenn wir das nicht schaffen - Sie sind am Schluss darauf eingegangen, Herr Außenminister -, wird Europa
künftig gegenüber Herausforderern wie China, Indien
und Brasilien deutlich zurückfallen. Aber wenn es uns
gelingt, uns selbst zu behaupten, dann wird Europa ein
starker Pol in einer multipolaren Welt sein. Das ist unser
Ziel. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir das
schaffen können.
({1})
Deshalb führen alle Gedankenspiele mit Euro-Bonds
und einem Schuldentilgungsfonds, wie sie Herr Gabriel
und die SPD in der Vergangenheit angestrebt haben, genau in die falsche Richtung. Solch eine verfehlte Politik
würde Europa nicht aus der Krise herausführen und nicht
stärker machen, sondern uns noch tiefer in die Krise hineindrücken.
Die Antwort auf die Frage, ob wir die Krise erfolgreich bewältigen, entscheidet auch darüber, ob sich die
Europäische Union über Kroatien hinaus erweitern kann.
Das Kriterium der Aufnahmefähigkeit der EU gilt
ebenso wie die Beitrittskriterien. Serbien möchte möglichst bald mit Beitrittsverhandlungen beginnen. Ich
halte es für wichtig, dass wir mit der neuen Regierung in
Belgrad einen ehrlichen Dialog über die Erwartungen
führen, die wir an Serbien im Hinblick auf ein positives
Votum des Bundestages zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen haben.
Meine Fraktion wird in Gesprächen mit der serbischen
Regierung folgende sieben Erwartungen zum Ausdruck
bringen: erstens vollständige Erfüllung und Umsetzung
des mit der EU vereinbarten Aktionsplans; zweitens
sichtbare Fortschritte bei Aufklärung und Strafverfolgung des Brandanschlags auf die Deutsche Botschaft
vom Februar 2008; drittens deutliche Signale zur Fortsetzung der regionalen Aussöhnung - es darf keine Neuinterpretation der Geschichte geben, beispielsweise im
Zusammenhang mit dem Völkermord in Srebrenica -;
viertens vollständige Umsetzung der bisherigen Ergebnisse und Fortsetzung des Dialogprozesses zwischen Belgrad und Pristina; fünftens Beginn des kontinuierlichen
Abbaus der Parallelstrukturen in Nordkosovo und von
deren Finanzierung;
({2})
sechstens kontinuierliches Einwirken Belgrads auf die
Serben in Nordkosovo für eine aktive Zusammenarbeit
mit EULEX und KFOR. Wir erwarten schließlich siebtens den sichtbaren Willen zu einer rechtlich verbindlichen Normalisierung der Beziehungen zu Kosovo mit
der Perspektive, dass Serbien und Kosovo unabhängig
und gemeinsam ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen
können. Diese Perspektive muss zwischen Serbien und
Kosovo als vertragliche Vereinbarung vor Abschluss von
Beitrittsverhandlungen festgelegt sein, und das muss
auch praktiziert werden.
({3})
Die Entwicklungen in Russland geben Anlass zu großer Sorge; denn sie haben auch Auswirkungen auf das
Verhältnis zu Deutschland und zur Europäischen Union.
Wir haben - ich will das immer wiederholen - ein starkes
Interesse an einem politisch und wirtschaftlich modernen
und demokratisch verfassten Russland, das seine internationalen Gestaltungsmöglichkeiten nutzt. Doch das russische Verhalten im Zusammenhang mit Syrien - das
wurde schon angesprochen - ist nicht das einzige außenpolitische Signal, dass Russland nicht gestaltet, sondern
eher blockiert. Innenpolitisch besteht die erhebliche Gefahr, dass Russland durch rechtsstaatliche Defizite, fehlende Investitionen und mangelnde Innovation statt der
von Präsident Putin angestrebten Modernisierung eine
Zeit der Stagnation, statt Fortschritt und Entwicklung
Rückschritte drohen.
Lassen wir uns nicht von den makroökonomisch guten Daten wie 4 Prozent Wachstum und einer für russische Verhältnisse mit 6 bis 7 Prozent niedrigen Inflation
oder dem gut gefüllten Reservefonds täuschen. Die enormen Strukturprobleme, die erneut hohe Kapitalflucht
von über 80 Milliarden Dollar bereits in diesem Jahr, der
wachsende Braindrain und die immense systemische
Korruption sind Ursache dafür, dass Russland im Vergleich zu ähnlichen Staaten weiter zurückfallen wird.
Das zeigen alle internationalen Indizes auf. Hinzu kommen gesetzgeberische und juristische Maßnahmen, die
in ihrer Gesamtheit auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen und kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren. So aber kann man nicht die Menschen gewinnen, die für die angestrebte Modernisierung
des Landes dringend gebraucht werden.
Allerdings verstehen Russland und die Europäische
Union unter „Modernisierung“ etwas Verschiedenes:
Russland will im Augenblick nur eine technisch-finanzielle Modernisierung von oben her. Wir haben das Verständnis, dass eine Modernisierung von unten her, von
den Menschen getragen werden muss und dafür auch
politische Mitgestaltungsmöglichkeiten und Rechtsstaatlichkeit gegeben sein müssen. Das aber wird jetzt noch
mehr eingeschränkt.
Das EU-Konzept der Modernisierungspartnerschaft
mit Russland ist ein gutes Konzept, aber es braucht einen
Partner, der eine umfassende Modernisierung auch tatsächlich will. Wenn wir mit diesem Konzept nicht vorankommen, müssen wir es überprüfen. Voraussetzung dafür ist eine klare Analyse der systemischen Entwicklung
Russlands statt Wunschdenken. Wir sollten pragmatisch
dort mit Russland zusammenarbeiten, wo dies möglich
ist und wo wir gemeinsame Interessen haben. Nicht zuletzt muss in einer strategischen Partnerschaft auch ein
klares Ansprechen von Defiziten und Verstößen gegen
Werte und Normen, denen sich Russland angeschlossen
hat, möglich sein, so wie es die Bundeskanzlerin immer
wieder tut und erneut im Fall Pussy Riot getan hat.
Ich komme im Zusammenhang mit Russland auch zur
Lage in Syrien. Dort fällt das Assad-Regime - auch das
haben die beiden Vorredner gesagt - in Zeitlupe und begeht Kriegsverbrechen am syrischen Volk, nicht etwa an
„seinem eigenen“ Volk. Was als Protest gegen das Unterdrückungsregime des Assad-Clans begann, ist längst zu
einem Bürgerkrieg eskaliert. Die primäre Gewalt ging
und geht weiterhin vom syrischen Regime aus. Mittlerweile lesen wir täglich Berichte über Bombardements
syrischer Städte durch Assads Luftwaffe mit vielen zivilen Toten. Diese Verbrechen dürfen von Russland und
China nicht länger geduldet werden. Der UN-Sicherheitsrat muss endlich wirksame Maßnahmen ergreifen,
um das Töten durch das syrische Regime zu stoppen.
Die internationale Isolation des syrischen Regimes ist
zwingend notwendig, um Assad zum Abtreten zu bewegen
({4})
und eine noch größere militärische Eskalation zu verhindern. Darum wird sich die Bundesregierung während ihres Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat diesen Monat mit allem Nachdruck bemühen. Wir begrüßen zudem, dass die
Bundesregierung in den vergangenen Monaten hinter
den Kulissen einen politischen Fahrplan für die Zeit
nach Assad vorangetrieben hat. Die syrische Opposition
muss aber endlich Geschlossenheit zeigen, um eine geeinte und glaubwürdige Alternative zum Assad-Regime
zu sein.
Mit großer Sorge verfolgen wir die sich zuspitzende
Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm.
Die iranische Bedrohung ist real und kein Popanz, der
künstlich aufgebauscht wird. Die IAEO zeigt sich seit fast
zehn Jahren in ihren Einschätzungen und auch in ihrem
jüngsten Bericht immer besorgter über den möglichen
militärischen Charakter des iranischen Nuklearprogramms. Seit Jahren kommt Iran jedoch den Forderungen
des UN-Sicherheitsrats nach Transparenz seines Atomprogramms sowie der Aussetzung der Urananreicherung
und von Vorarbeiten zur Gewinnung von waffenfähigem
Plutonium nicht nach. Zudem arbeitet Teheran intensiv an
weitreichenden Raketen. Die israelische Sorge vor einer
iranischen Atombombe muss also jedem einleuchten. Israel ist so groß wie Hessen und könnte durch einen einzigen Nuklearschlag vernichtet werden. Der iranische
Präsident hat Israel jüngst zum wiederholten Mal sein
Existenzrecht abgesprochen. Israel sei ein Krebsgeschwür, das bald verschwunden sein werde.
Die jüngsten Verhandlungsrunden mit dem Iran haben
wieder einmal zu keinen konkreten Ergebnissen geführt.
IAEO-Chef Amano nennt das zu Recht frustrierend. Teheran muss den Forderungen der Vereinten Nationen
endlich nachkommen und nachprüfbar beweisen, dass es
nicht am Bau einer Nuklearwaffe arbeitet. Ich will mit
Nachdruck unterstreichen, was der Außenminister gesagt hat: Wir sind zu einer weiteren Drehung an der
Sanktionsschraube bereit und müssen das auch insgesamt bei unseren europäischen Partnern einfordern.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Afghanistan stehen wir vor einem verantwortungsvollen Ende des internationalen Kampfeinsatzes. Auf ihrem Gipfel in Chicago im Mai hat die NATO beschlossen, den Einsatz
Ende 2014 zu beenden. Die christlich-liberale Koalition
hat mit dem Strategiewechsel 2010 die Grundlage für
den nun anstehenden Abzug der deutschen Truppen aus
Afghanistan gelegt. Die von Deutschland mit Nachdruck
betriebene Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte
hat die schrittweise Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Kräfte mit ermöglicht. Diese
haben ihre Sollstärke fast erreicht und sind mittlerweile
für die Sicherheit von 75 Prozent der afghanischen Bevölkerung zuständig. In sechs von neun Provinzen im
deutschen Zuständigkeitsbereich im Norden wird keine
permanente ISAF-Präsenz mehr erfordert. Mitte 2013
sollen der Transitionsprozess in allen Teilen Afghanistans eingeleitet sein und die afghanischen Sicherheitskräfte die Führungsrolle innehaben. ISAF wird dann nur
noch eine unterstützende Rolle haben. Bis zum Ende des
Einsatzes 2014 muss insbesondere die Qualität der afghanischen Streitkräfte verbessert werden; denn umso
zügiger können wir den Prozess der Übergabe in Verantwortung vorantreiben.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
meint es ernst mit dem Abzug unserer ISAF-Soldaten
aus Afghanistan. Wir müssen jedoch realistisch sein: Ein
Abzug lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Es
handelt sich um eine hochkomplexe, eigenständige Operation, die mit den bisherigen ISAF-Aufgaben nicht vermengt werden darf. Vor diesem Hintergrund kommt für
die CDU/CSU nur ein verantwortungsvoller, sicherer,
geordneter und insbesondere nachhaltiger Abzug infrage. Aber auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes
bleibt die CDU/CSU-Fraktion den Menschen in Afghanistan verpflichtet. Die Transformation eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder ist eine
Generationenaufgabe. Unser Engagement wird sich qualitativ verändern; aber es ist und bleibt langfristig.
Herr Außenminister, ich danke Ihnen für Ihre
Schlussbemerkung. Die politische Einigung Europas ist
nicht nur eine fiskal- und wirtschaftspolitische Herausforderung, sie ist auch eine außen- und sicherheitspolitische Herausforderung. In unserer Generation geht es dabei nicht mehr nur um eine Antwort auf die Geschichte,
es geht um die Selbstbehauptung Europas in der Welt
des 21. Jahrhunderts. Dieser Aufgabe stellen wir uns, die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aufgrund unseres Menschenbildes, aufgrund unserer historischen Verantwortung und aufgrund unserer Verantwortung für die Zukunft kommender Generationen in Deutschland.
Danke.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Jan van Aken.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines
muss man Ihnen ja lassen, Herr Westerwelle: Richtig gut
reden können Sie.
({0})
Ich finde aber, das reicht nicht. Sie sind jetzt Außenminister. Da geht es auch um Ihr Handeln, und das können Sie nicht so richtig gut - nicht so gut wie hier reden.
Es gibt oft eine sehr große Differenz zwischen dem, was
Sie hier in Ihren Sonntagsreden verbreiten, und dem,
was Sie draußen in der wirklichen Welt dann tun. Ich
möchte einmal zwei Beispiele dafür nennen. Das eine ist
die Abrüstung, das Zweite sind die Menschenrechte.
Abrüstung ist eines Ihrer Lieblingsworte. Das ist
schön - es ist auch eines meiner Lieblingsworte -; aber
Sie tun leider immer genau das Gegenteil. Nehmen wir
die Atomwaffen. Sie haben vor drei Jahren, zum Amtsantritt, hoch und heilig versprochen und groß angekündigt, dass endlich auch die letzten amerikanischen
Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Drei
Jahre später liegen sie nicht nur immer noch hier in
Deutschland; sie werden jetzt auch noch modernisiert.
Es kommen hochmoderne, ganz neue Atomwaffen nach
Deutschland, die noch ganz andere Einsatzszenarien ermöglichen als zuvor. Das ist ganz praktisch Aufrüstung
und keine Abrüstung, oder?
({1})
Nehmen wir uns einmal die Zahlen vor; es ist eine
Haushaltsdebatte hier. Sie kürzen den Etat für Abrüstung
schon wieder: auf jetzt 36 Millionen Euro. Seitdem Sie
Außenminister sind, haben Sie den Etat für Abrüstung
praktisch halbiert: von 64 Millionen auf jetzt nur noch
36 Millionen Euro. Das finde ich schon schlimm genug
für jemanden, der immer das Wort „Abrüstung“ benutzt.
Aber was wirklich ganz schlimm ist, das ist die Begründung. Sie sagen: Es gab einige große Projekte. Die
sind ausgelaufen. Diese 28 Millionen Euro können wir
jetzt einsparen. - Was ist das denn für eine Begründung?
Herr Westerwelle, Sie sind Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Sie dürfen auch eigene Projekte anfangen. Sie dürfen Abrüstungspolitik auch ganz aktiv
selbst gestalten. Sie könnten 28 Millionen Euro in die
Hand nehmen, um aktive Abrüstungspolitik zu machen.
({2})
Sie sagen einfach nur: Da läuft etwas aus; das stelle ich
jetzt ein. - Ich meine, wenn das alle Ihre Kolleginnen
und Kollegen Minister machen würden, dann könnten
wir in ein paar Jahren in Flensburg an der Grenze ein
Schild aufstellen: „Geschlossen wegen Totalausverkauf“
oder so etwas.
({3})
Sie tun gar nichts für Abrüstung, aber Sie tun ganz
viel für Aufrüstung. Wir haben uns den gesamten Haushalt einmal angeschaut und sind fündig geworden, zum
Beispiel bei Ihrem Kollegen im Verteidigungsministerium. Da werden 927 Millionen Euro für neue Waffen,
für neue Militärtechnologien ausgegeben. Das ist 25-mal
so viel wie Ihr mickriger Etat für Abrüstung. Das ist
ganz praktisch Ihre Prioritätensetzung: 25-mal so viel für
Aufrüstung wie für Abrüstung. Das wäre ja in Ordnung,
wenn Sie dazu stehen würden. Nehmen Sie hier in diesem Haus nie wieder das Wort „Abrüstung“ in den
Mund, wenn Sie 25-mal so viel Geld für Aufrüstung ausgeben!
({4})
Das Gleiche bei den Menschenrechten. Sie haben
eben hier wieder Ihre Solidarität mit den Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt betont. Auch das ist
schön, aber völlig unglaubwürdig, wenn Sie gleichzeitig
Panzer an Saudi-Arabien verkaufen.
({5})
Wir hatten das hier schon Dutzende von Malen. Ich sage
es aber noch einmal: In Saudi-Arabien werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Frauen haben da praktisch gar keine Rechte. Dort wird gefoltert. Meinungsfreiheit gibt es gar nicht. Ihre oder jedenfalls unsere
Werte zählen gar nichts mehr, wenn die knallharten Interessen im Vordergrund stehen: gute Beziehungen zum
Königreich Saudi-Arabien - und das nicht deshalb, weil
der König so ein netter Kerl ist, sondern ganz schlicht
und einfach deshalb, weil es da viel, sehr viel Öl gibt
und weil man mit Panzerverkauf viel Geld verdienen
kann. Das ist Ihr praktischer Umgang mit Menschenrechten. Bitte benutzen Sie dieses Wort hier nicht wieder, solange Sie Panzer an Saudi-Arabien verkaufen!
({6})
Ich möchte zum Schluss kurz auch noch etwas zu Syrien sagen. Seit über einem Jahr fordern Sie eine politische Lösung und ein Ende der Gewalt. Das ist gut; das
tun wir auch. Nur, was haben Sie ganz praktisch dafür
getan? Vor über einem Jahr, als die Gewalt noch ganz allein von Assad ausging, haben Sie nichts dafür getan,
dass alle Konfliktparteien zusammen an einen Tisch
kommen. Sie haben auch nichts getan, als SaudiArabien, Katar und die Türkei anfingen, Rebellengruppen zu bewaffnen, mit Waffen auszurüsten und auch
noch militärisch auszubilden. Sie haben sogar weiter
Waffen an genau diese Länder - Saudi-Arabien, Katar,
Türkei - geliefert, die die Waffen wiederum an die Rebellengruppen liefern, und damit haben Sie ganz aktiv
den Bürgerkrieg in Syrien sogar noch weiter befördert.
Wir finden es auch komplett falsch, dass Russland Waffen an Assad liefert; aber genauso falsch ist es doch,
wenn Saudi-Arabien Waffen an die Rebellen liefert. Sie
tun nichts, aber auch gar nichts dagegen.
({7})
Dann sind Sie an einer Eskalation sogar noch direkt
beteiligt, nämlich mit Ihrem Spionageschiff, das offenbar Informationen direkt an Rebellengruppen gibt, damit
direkt in diesen Bürgerkrieg mit eingreift und somit eben
nichts für ein Ende des Krieges tut, sondern, genau im
Gegenteil, ihn befeuert.
Herr Westerwelle, gut reden allein reicht nicht. Ich
finde, in den letzten drei Jahren haben Sie in der Außenpolitik nicht viel zustande bekommen.
({8})
Aber bei Friedenspolitik, bei Abrüstung und bei Menschenrechten haben Sie komplett versagt.
({9})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen exportieren sollte.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, wir haben von Ihnen gerade fast gar
nichts zur Krise Europas gehört. Ich muss sagen: Nach
dem Sommertheater, das Ihre Partei- und Koalitionsfreunde auf diesem zentralen Feld deutscher Außenpolitik aufgeführt haben, war das bemerkenswert wenig.
({0})
Was war das denn für ein Bild im Sommer? Die EuroGruppe bemüht sich, die Lage zu beruhigen, und Ihr
Vizekanzler hat erklärt, dass ein Austritt Griechenlands
aus dem Euro seine Schrecken verloren habe. Ihr Fraktionsfreund, Herr Schäffler, erklärt diverse Male: Die
Griechen müssen raus aus dem Euro. - Herr Dobrindt
von Ihrem Koalitionspartner sieht Griechenland 2013
außerhalb des Euro. Und Sie? Sie erklären einmal kurz
bei einem Zwischenstopp auf dem Flughafen, das viele
Gerede sei nicht gut für den Euro. Und kaum jemand
hört auf Sie. Ich muss sagen: Noch nie hat sich ein deutscher Außenminister so aus der Entscheidungskompetenz für die Europapolitik abdrängen lassen wie Sie diesen Sommer von Ihren eigenen Leuten und der CSU.
({1})
Ihre Pflicht wäre gewesen, Jean-Claude Juncker energisch zu unterstützen, als er das Kaputtreden des Euro
kritisiert hat. Sie sollten energisch um den Verbleib Griechenlands im Euro kämpfen. Das haben unsere griechischen Freunde nämlich verdient.
({2})
Griechenland hat spät, aber doch beeindruckend mit
schwierigen Reformen begonnen.
({3})
Es ist ein Gebot des politischen Anstands und von Klugheit, diesen Prozess weiter zu unterstützen. Dazu gehört
auch, Griechenland im Zweifel mehr Zeit für Reformen
zu geben.
Wir alle wissen doch, dass die soziale Situation dort
dramatisch ist. Das Gesundheitswesen kollabiert fast. Es
gibt Massenarbeitslosigkeit. Über die Hälfte der griechischen Jugendlichen ist ohne Arbeit. Sie sind die
schwächsten Leidtragenden der Krise. Ich sage Ihnen:
Wenn Sie als Außenminister nicht den Mut finden, Ihren
Partei- und Koalitionsfreunden das zu erklären, dann
versagen Sie als Außenminister vor einer historischen
Herausforderung in der Europapolitik.
({4})
Auch auf einem weiteren zentralen Feld der Außenpolitik wird immer fraglicher, welche Rolle Sie spielen:
Das ist die schleichende Veränderung der Rüstungsexportpolitik in Spannungsgebiete. Die Impulse aus dem
Kanzleramt sind klar: restriktive Grundsätze aufweichen
und aushebeln, gezielte Förderung von Waffenlieferungen an ausgewählte Regionalmächte als Instrument deutscher Außenpolitik etablieren. Sie reden dann parallel
über die Bedeutung Ihrer neuesten Abrüstungsinitiativen. Das nenne ich eine Doppelstrategie mit Doppelmoral.
({5})
In Bezug auf Spannungsgebiete ist es die Pflicht des
Außenministers, gegebenenfalls den wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie Paroli zu bieten, notfalls
auch im Konflikt mit dem eigenen Wirtschaftsministerium oder dem Kanzleramt. Aber davon ist bei Ihnen
wirklich nichts zu merken.
Sie haben nach dem arabischen Frühling zu Recht
eine Transformationspartnerschaft angekündigt; das war
richtig. Aber was wird jetzt von den schönen Plänen umgesetzt? Ich muss sagen: Es wäre wirklich politisch
pervers, wenn von den großen Plänen in der Praxis
nur Panzerlieferungen an Saudi-Arabien und Katar und
U-Boot-Lieferungen an Ägypten und Israel bleiben.
({6})
Ein Außenminister, der eine solche Politik gegenüber einer Pulverfassregion wie dem Nahen Osten zulässt, der
versagt vor einer zentralen Herausforderung.
Meine Fraktion hat Vorschläge für eine Änderung der
Rüstungsexportpolitik gemacht. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, ein Rüstungsexportgesetz. Das ist
eine entscheidende Lehre aus den Erfahrungen der letzten Jahre, ja, auch aus unserer eigenen Regierungszeit.
({7})
Exporte in Staaten, in denen die Regierung für gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist,
gehören generell nicht genehmigt. Mehr Transparenz ist
nötig. In einer Demokratie gehören die Entscheidungen
über Rüstungsexporte im Bundessicherheitsrat umgehend veröffentlicht. Der Bundestag muss ein Informations- und Einspruchsrecht erhalten. Ihre offensive Rüstungsverkaufspolitik, meine Damen und Herren von der
Koalition, gehört umgehend beendet.
({8})
- Ich habe ja gesagt: Das ist auch eine Lehre aus unserer
eigenen Regierungszeit.
Zu Syrien will ich Ihnen sagen, dass es richtig ist,
dass Sie hier mit großer Vorsicht agieren und für militärische Zurückhaltung argumentieren. Ich will nicht den
Anschein erwecken, als wüssten wir eine schnelle Lösung dieser verfahrenen Lage. Aber in zwei Punkten
agieren Sie nach unserer Meinung zu zögerlich: Gerade
weil es so wenige wirkungsvolle Handlungsoptionen
gibt, muss sich Deutschland zur großzügigen Aufnahme
von Flüchtlingen bereit erklären.
({9})
Die bisherige Weigerung dieser Regierung, hier offensiv
zu handeln, war falsch. Ich sage: Wenn Soldaten der
Assad-Armee desertieren und dann von Deutschland
abgewiesen werden oder ihren Familien der Nachzug
verweigert wird, dann ist das angesichts der tragischen
Situation des Bürgerkriegs einfach schäbig.
({10})
Meine Fraktion hat diese Woche einen Eilantrag ins
Plenum eingebracht, der die Bundesregierung auffordert,
endlich Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf: Stimmen Sie
dieser Initiative zu! Angesichts der dramatischen Lage
wäre dies das richtige Signal.
({11})
Deutschland hat diesen Monat den Vorsitz im Sicherheitsrat. So richtig die Kritik an der Syrien-Politik Russlands und Chinas ist: Sie reicht leider nicht aus. Ich frage
mich: Warum wenden Sie sich nicht mit Resolutionen an
die UN-Generalversammlung? Dort gibt es kein Veto.
Nutzen Sie die Generalversammlung doch stärker, um
den Druck auf Assad und sein Schreckensregime zu
erhöhen! Isolieren Sie ihn und seine willfährigen Helfer!
Hier gibt es noch Spielraum. Sie sollten sich offensiv
dafür einsetzen, dass er genutzt wird.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur schwierigen
Situation im und um den Iran sagen. Uns alle erfüllt die
Zuspitzung dieses Konflikts mit großer Sorge. Ich
möchte Sie ausdrücklich ermutigen, sich weiterhin für
eine Verhandlungslösung einzusetzen. Dazu gehört auch
das Mittel internationaler Sanktionen; da haben Sie
recht. Es ist ebenso richtig, wenn Sie vor den Risiken
einer militärischen Eskalation warnen; dabei haben Sie
unsere Unterstützung.
Herr Westerwelle, Sie haben vor einiger Zeit Ihr Globalisierungspapier hier im Bundestag vorgestellt. Sie verwenden seitdem den Begriff der Gestaltungspartnerschaft
und der strategischen Partnerschaft inflationär für viele
wichtige Länder, seien sie demokratisch oder nicht, haben wir mit ihnen eine gemeinsame Wertegrundlage oder
nicht. Welche praktischen Ergebnisse hat das bei der Gestaltung der Globalisierung gebracht? Die UN-Konferenz
zur Begrenzung des Waffenhandels, der G-20-Gipfel von
Los Cabos und die große Konferenz Rio+20 zu Klima
und Entwicklung - sie alle sind ohne echte Ergebnisse
oder substanzielle Fortschritte zu Ende gegangen. Wir
müssen feststellen: Die Welt steht vielleicht vor dem
Scheitern des bisherigen Multilateralismus. Ich habe
heute von Ihnen weder eine angemessene Beschreibung
der Lage noch eine politische Antwort auf diese Entwicklung gehört. Welche praktischen Konsequenzen ziehen Sie für die deutsche Außenpolitik und die europäische Außenpolitik? Das bleibt konturlos und nebulös.
Das ist angesichts der dramatischen internationalen
Herausforderungen einfach zu wenig. Darüber kann man
sich auch in der Opposition nicht freuen; denn es ist
schlecht für unser Land.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Bijan DjirSarai das Wort.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Minister Westerwelle hat vorhin die Eckpunkte des
außenpolitischen Kurses aufgezeigt. Die Bundesrepublik
Deutschland engagiert sich heute in der Tat weltweit für
Entwicklung, für Stabilität und für Frieden. Durch die
Rede ist deutlich geworden, dass diese Debatte mehr ist
als eine lieblose Aufzählung von Haushaltspositionen.
Es wurde deutlich, welche Schwerpunkte in der deutschen Außenpolitik gesetzt werden. Daher möchte ich
nur wenige Punkte aus der Debatte aufgreifen.
Das, was in der arabischen Welt in den letzten anderthalb Jahren geschehen ist, ist eine historische Chance für
die Region. Es ist eine Entwicklung, mit der in den letzten Jahren niemand gerechnet hatte. Unsere besondere
Aufmerksamkeit verdienen daher zu Recht die Länder
des arabischen Frühlings. Dort haben echte Revolutionen stattgefunden, die außen- und sicherheitspolitisch
umfassende Veränderungen mit sich bringen. Wohin
diese Revolutionen führen, ist jedoch noch lange nicht
entschieden. In diesen Ländern gibt es heute Menschen,
die nach Demokratie, Fortschritt und Freiheit streben.
Dort gibt es aber auch Menschen, die keine Demokratie,
keinen Fortschritt und keine Freiheit wollen, sondern
Fundamentalismus und Ideologie. Welche dieser beiden
Richtungen sich am Ende des Tages durchsetzen wird,
ist noch ungewiss. Daher müssen wir den Prozess des
arabischen Frühlings unterstützen und jene Menschen,
jene Gruppen und jene Institutionen stärken, die sich für
Freiheit und Demokratie einsetzen. Herr Außenminister,
ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diesen Punkt aufgegriffen haben.
({0})
Diese Hilfe findet übrigens auch statt; das kann man
ganz konkret messen. Die Hilfsversprechen gegenüber
dieser Region bleiben keine hohlen Phrasen. Das Auswärtige Amt wird 50 Millionen Euro für Transformationspartnerschaften in der Region bereitstellen. Herr
Kollege Schmidt, konkreter kann man das nicht darstellen.
({1})
Wenn wir schon über diese Region reden, dann liegt es
in der Natur der Sache, dass wir auch über Syrien reden
müssen. 2 Millionen Kriegsopfer in Syrien haben bald
keinen Zugang zu Hilfslieferungen. Durch den Bürgerkrieg in Syrien droht eine humanitäre Katastrophe, die
sogar dazu führen kann, dass die gesamte Region - Libanon, Jordanien, Türkei - noch fragiler wird, als sie ohnehin schon ist. In diesem Zusammenhang wird eine zielorientierte und gut organisierte humanitäre Hilfe eine
große Rolle spielen.
Was die humanitäre Hilfe allgemein anbetrifft, so ist
die deutsche Hilfe vorbildlich organisiert. Als Beispiel
nenne ich die Ressortvereinbarung mit dem Entwicklungshilfeministerium. Dadurch stehen uns 80 Millionen
Euro mehr für humanitäre Hilfe zur Verfügung, also insgesamt 185 Millionen Euro, so viel wie noch nie in diesem Einzelplan.
({2})
Es ist nicht verkehrt, bei einer Haushaltsdebatte ab und
zu einige Zahlen zu nennen.
Ein Beitrag zu Entwicklung, Stabilität und Frieden
wird weiterhin in Afghanistan zu leisten sein. Auch im
nächsten Jahr werden wieder 180 Millionen Euro für
Afghanistan bereitgestellt.
({3})
Das heißt, die Unterstützung für die Menschen in diesem geschundenen Land bleibt auf demselben hohen
Niveau wie im letzten Jahr. Es wäre auch falsch, wenn
man sich dort künftig weniger engagieren würde. Die
internationale Gemeinschaft hat in Afghanistan große
Erfolge erzielt - es ist nicht verkehrt, wenn wir in diesem Haus ab und zu über die Erfolge reden; das tun wir
viel zu wenig -; ob diese Erfolge nachhaltig sind, wird
sich erst nach 2014 zeigen. Wir dürfen die Entwicklung
aber nicht dem Zufall überlassen, wir dürfen Afghanistan nicht alleinlassen.
Der vorliegende Haushaltsentwurf trägt der Situation
in den globalen Brennpunkten Rechnung. Er ist ein guter
Beitrag zu Entwicklung, Stabilität und Frieden in der
Welt.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Klaus
Brandner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Bevor wir zur Beratung des Einzelplans 05 kommen - das
ist das Thema, das aufgerufen ist: Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, und nicht: allgemeine politische Aussprache -, möchte ich es nicht versäumen, den Mitarbeitern
des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenarbeit
zu danken. Sie war in der Vergangenheit konstruktiv,
und ich bin davon überzeugt, dass die neue Crew die so
offene und präzise Zusammenarbeit mit dem Hohen
Haus, insbesondere mit den Haushaltspolitikern, weiter
pflegen wird. Dafür herzlichen Dank!
({0})
Wir sprechen heute über den Haushaltsentwurf 2013.
Ich komme mir schon etwas kleinkariert vor, wenn ich
wirklich nur über den Haushalt rede. Wir haben so viele
große Reden gehört, insbesondere von dem Minister,
dass der Eindruck entstanden ist, wir dürften nur noch
über größere Zahlen reden. Der Einzelplan, über den wir
jetzt beraten, hat ein Volumen in Höhe von 1 Prozent des
Bundeshaushalts. Verglichen mit anderen Ressorts ist
das natürlich ein Kleinsthaushalt - um es einmal so zu
formulieren -, aber er hat es in sich.
({1})
Es ist fast ein bisschen beschämend, wenn man nur über
den Haushalt spricht; dabei wünschen sich das einige
Abgeordnete. Ich möchte meinen Dank den Haushältern
aussprechen, die ein ganzes Jahr in den Fachausschüssen
über Haushaltsfragen beraten haben. Bisher habe ich fast
nur große Worte gehört, aber nichts darüber, wie diese
großen Worte durch Taten hinterlegt werden. Da kommt
man sich schon ein bisschen komisch, um es deutlich zu
sagen: ein bisschen klein vor.
Wir werden Ihnen auf den Zahn fühlen, um herauszufinden, was hinter diesen großen Worten steckt. Wir
wollen wissen: Was sind die Kernaussagen der Außenpolitik, Herr Minister, durch Sie formuliert, und wie
haben Sie sie im Haushalt hinterlegt? Drei Kernthemen
sind mir aufgefallen: erstens Frieden, Sicherheit und
Schutz der Menschenrechte, zweitens Pflege der kulturellen Beziehungen im Ausland und drittens Außenwirtschaftsförderung.
Wie sind diese Schwerpunkte im Bundeshaushalt hinterlegt? Hier genügt ein Blick in den Etat, der in diesem
Jahr um fast 4 Prozent steigt. Herr Djir-Sarai hat in seiner Rede angemerkt, dass die Haushaltstitel nicht lieblos
aufgezählt werden sollten, aber in seiner Darstellung das
Haus sofort hinters Licht geführt. Es beginnt damit, dass
die Maßnahmen zum Thema humanitäre Hilfe nicht in
dem Umfang im Haushalt hinterlegt sind, wie er es vorgetragen hat. Es hat eine Veränderung gegeben durch
eine Vereinbarung, die das Ministerium - wir wissen
das - in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit dem BMZ
beschlossen hat. Es wurde vereinbart, dass nicht 80, sondern 95 Millionen Euro aus dem Haushalt des BMZ in
den Haushalt des AA übertragen werden. Wir finden im
Haushalt aber nur 80 Millionen Euro. Irgendwo ist ein
Sickerschacht. Sie sollten das einmal überprüfen; vielleicht finden Sie ihn. Es lohnt sich, nach diesen 15 Millionen Euro zu suchen. Wir brauchen das Geld jedenfalls
für diese wichtige Aufgabe.
({2})
Nun geht es aber nicht nur um die Zusammenlegung
der humanitären Hilfsmaßnahmen an sich; denn diese
werden nicht auf- und ausgebaut, sondern die Ausgaben
werden nur von dem einen Ministerium auf ein anderes
übertragen, und auf dieser Wegstrecke sind finanzielle
Verluste in Höhe von 15 Millionen Euro zu verzeichnen.
In letzter Konsequenz geht es darum, dass diese Zusammenlegung Effizienzgewinne, weniger Reibungsverluste, weniger Schnittstellen, schnellere Entscheidungen
mit sich bringen soll. Das ist alles richtig; das kann man
unterstreichen. Aber tatsächlich passiert eines: Das
Misstrauen unter Ihren Kollegen ist so groß, dass sie
nicht alle Aufgaben abgeben, sondern ein Teil der Aufgaben im BMZ verbleibt, sodass wir am Ende wieder
eine neue Schnittstelle haben und damit die logische
Ausführung der Arbeit auf einem Arbeitsgebiet nicht in
der Konsequenz erfolgen kann, wie wir es uns vorstellen. Ich sage Ihnen: Von Leistungen aus einer Hand, von
Verschlankung, von sinnvoller Umsetzung der Arbeit auf
einem Aufgabenfeld kann überhaupt keine Rede sein und das in zwei von der FDP geführten Ministerien, deren selbsterklärtes Markenzeichen der Bürokratieabbau
ist. Genau das Gegenteil von dem, was politisch versprochen wird, findet in diesem Fall statt.
Lassen Sie mich die Übertragungsverluste, die ich angesprochen habe, als ein Problem ansprechen. Ich gehe
davon aus, dass Staatssekretär Professor Braun, der immer wieder gesagt hat, er wolle für die wortgetreue
Umsetzung dieser Vereinbarung sorgen, am Ende auch
dafür einsteht. Das mahne ich auch in Bezug auf die
Stellenumsetzungen an, wenn es darum geht, sechs Stellen aus dem mittleren und gehobenen Dienst in das AA
zu integrieren. Ich höre hier etwas Ungemach. Ich hoffe,
dass das, was wir ursprünglich besprochen haben, umgesetzt wird.
Doch nun zurück zu den von Ihnen definierten
Kernthemen deutscher Außenpolitik. Frieden, Sicherheit
und Schutz der Menschenrechte, das ist eine ganz
wesentliche außenpolitische Aufgabe. Schauen wir uns
die Titel des Einzelplans an: zivile Krisenprävention,
friedenserhaltende Maßnahmen. Im Jahr 2009 betrug der
Etat 111 Millionen Euro. Im Jahr 2010 waren es
129 Millionen Euro, also 18 Millionen Euro mehr. Im
Jahr 2011 waren es dann wieder 91 Millionen Euro, also
38 Millionen Euro weniger. Im Jahr 2012 sind 120 Millionen Euro im Etat, also 29 Millionen Euro mehr. Im
Jahr 2013, in dem Etat, über den wir eben große Worte
gehört haben, welchen Aufgaben man sich stellen will,
sind es 26 Millionen Euro weniger gegenüber dem Vorjahr. Worte und Taten passen in diesem Etat nicht zusammen. Das muss einfach festgestellt werden.
({3})
Ich finde, das Auf und Ab in solch wichtigen außenpolitischen Feldern ist einer deutschen Außenpolitik nicht
würdig. Wir stehen für Kontinuität; das fordern wir in
Worten ein. Dann müssen wir diese Kontinuität auch mit
Taten und finanzieller Unterstützung hinterlegen; ansonsten ist dieser Prozess unglaubwürdig.
({4})
Ich möchte auch die Pflege der kulturellen Beziehungen im Ausland ansprechen. Ja, die Bundesregierung
macht etwas völlig Richtiges. Sie sagt: Wir wollen hier
12 Milliarden Euro für den Ausbau von Bildung und
Forschung ausgeben. Die Ministerien, in denen diese
Aufgabenfelder beheimatet sind, werden entsprechend
beteiligt. 92 Millionen Euro davon sollen in den Außenetat fließen. Schauen wir aber, wo es im Außenetat bezogen auf diese Themenfelder einen Aufwuchs gibt, suchen wir vergebens. Wir stellen fest, dass die deutschen
Auslandsschulen 5,5 Millionen Euro weniger bekomKlaus Brandner
men sollen als im Vorjahr und dass die Auslandsdienstlehrkräfte 7,7 Millionen Euro weniger bekommen sollen
als im Vorjahr. Dabei sollten wir dieses wesentliche Themenfeld nicht schleifen lassen, sondern unterstützen und
mehr finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stellen. Ich
denke, das wäre angemessen. Ich will von dieser Stelle
auch ganz deutlich anmahnen, dass dies erfolgen muss.
({5})
Lassen Sie mich die mittelfristige Finanzplanung ansprechen, weil das eine Linie ist, anhand derer wir uns
ein ungefähres Bild davon machen können, wie die politischen Ziele mit finanziellen Mitteln hinterlegt sind. In
diesem Jahr steigt der Etat um 3,9 Prozent. Schauen wir
aber genau hin, stellen wir fest, dass er eigentlich gar
nicht steigt, weil Aufgaben aus dem BMZ übertragen
werden, weil 51 Stellen in den Visaabteilungen aufgebaut werden sollen, was wir richtig finden, und weil wir
für das Gebäudemanagement erstmals einen hohen Posten in Höhe von 42 Millionen Euro veranschlagt haben.
Aufwuchs für politische Aufgaben - Fehlanzeige! Lieber Herr Kollege, insofern würde ich das, was Sie hier
vorgetragen haben, an Ihrer Stelle noch einmal überprüfen.
Wenn wir uns in der mittelfristigen Finanzplanung
den Etat für das Jahr 2014 anschauen, dann stellen wir
fest, dass er um 3,9 Prozent abgesenkt werden soll. Das
ist die politische Botschaft. Dazu sage ich ganz deutlich:
Wenn wir auf dem außenpolitischen Feld und bezogen
auf die Werte, die hier so herausgestellt worden sind,
glaubwürdig bleiben wollen, dann muss man für den
Haushalt des Außenministeriums mehr kämpfen und
mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Sonst ist
all das, was wir inhaltlich politisch einfordern, nur Luft
und nichts wert.
({6})
Ich will als Beispiel die Transformationspartnerschaften ansprechen. Völlig zu Recht hat der Außenminister
hier gesagt, dass sich der arabische Frühling zu „arabischen Jahreszeiten“ entwickelt. Natürlich sind nach demokratischen Wahlen noch keine demokratischen Verhältnisse - auch nicht annähernd -, wie wir sie uns
wünschen, hergestellt. Das braucht Zeit, das braucht langatmige Unterstützung, das braucht die regelmäßige Begleitung auch durch unsere Arbeit. Die Transformationsmittel sind auf zwei Jahre befristet; sie betragen
50 Millionen Euro jedes Jahr. Was ist 2014? Was ist
2015? Was ist mit Afghanistan, nachdem der besprochene
und von uns systematisch unterstützte Rückzug des Militärs erfolgt ist? Müssen wir nicht zusätzliche Unterstützung für den zivilen Aufbau leisten? Ich denke, ja.
({7})
180 Millionen Euro stehen dafür befristet zur Verfügung.
Die Aufgabe des zivilen Wiederaufbaus muss im Haushalt und in einer mittelfristigen Finanzplanung sichtbar
sein.
({8})
Das wäre glaubwürdige Außenpolitik, für die wir stehen
und die ich an dieser Stelle auch deutlich einfordern
möchte.
Zusammengefasst: Zufriedenstellend ist der Haushaltsentwurf aus unserer Sicht nicht. Wir werden die
selbsternannten Schwerpunkte der deutschen Außenpolitik ausreichend mit finanziellen Mitteln hinterlegen müssen, damit die Glaubwürdigkeit gegeben ist. Der Entwurf führt jedenfalls nicht zu einer ausreichenden
Planbarkeit und schon gar nicht zu Kontinuität in der Zukunft. Deshalb können wir ihn so auch nicht akzeptieren.
Wir fordern deutliche Nachbesserungen in diesem Sinne.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ruprecht Polenz von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
Recht steht die Staatsschulden- und Euro-Krise im Mittelpunkt der heutigen Haushaltsdebatte. Sie gehört auch
in unsere Debatte über die deutsche Außenpolitik, die ja
europäisch eingebettet ist, um Wirkung zu entfalten.
Die Instabilität der Währungsunion schwächt die Mitwirkungs- und die Mitgestaltungskraft Europas in der
Welt. Wir sind mit uns selbst beschäftigt, während die
Welt von der Sorge beherrscht wird, dass die Euro-Krise
auf andere ausstrahlt. Der Euro ist neben dem Dollar die
wichtigste Reservewährung auf der Welt, und jeder
Staat, der Währungsreserven in Euro angelegt hat, hat
ein massives Interesse daran, dass der Euro erhalten
bleibt und dass der Euro stabil bleibt. International gibt
es aber nicht nur diese Sorge im engeren Sinne, sondern
Europa wird auch als internationaler Akteur gebraucht.
Ein aktives, ein handlungsfähiges Europa wird beispielsweise in Asien als weiterer Akteur neben China und den
USA gebraucht; das hören wir von den ASEAN-Staaten
immer wieder. Vor allem wird Europa natürlich in Nordafrika und im Nahen Osten gebraucht.
In Gesprächen, die wir als Außenpolitiker immer wieder mit Politikern, Delegationen oder Botschaftern aus
dieser Region führen, erfahren wir, welch große Erwartungen in dieser Region mit Europa und einem Handeln
Europas verbunden werden. Alle haben die Hoffnung,
dass wir Europäer es schaffen, den Euro zu erhalten, den
Zusammenhalt der Europäischen Union zu wahren und
gemeinsam und geschlossen nach außen aufzutreten.
Wir werden - auch das wissen wir Außenpolitiker aus
vielen Gesprächen; das erfahren wir auch auf unseren
Reisen - international für den europäischen Einigungsprozess bewundert. In gewisser Weise wird er nicht als
Modell, aber doch als Vorbild betrachtet. Deshalb geht
es bei der Bewältigung der Euro-Krise auch darum, unter Beweis zu stellen, dass ein Zusammenschluss von
Staaten mit gemeinsamer Ausübung von Teilen nationalstaatlicher Souveränität kein gescheitertes, sondern ein
zukunftsträchtiges Modell ist. Das ist das, was Europa
der Welt anbieten kann.
({0})
Ein Scheitern würde übrigens auch den Gegnern von
friedenstiftenden Integrationsbestrebungen in anderen
Regionen der Welt Auftrieb geben: in Lateinamerika, in
Afrika oder in der ASEAN-Region.
Es ist verschiedentlich angesprochen worden - auch
ich will etwas dazu sagen -, dass die Nachrichten, die uns
aus Syrien erreichen, von Tag zu Tag schlechter und dramatischer werden. In weiten Teilen des Landes herrscht
Bürgerkrieg. Inzwischen gibt es über 50 000 Tote, und
täglich werden es mehr. 2,5 Millionen Menschen sind auf
der Flucht, davon 250 000 in anderen Ländern. Wir müssen ein Übergreifen des Konflikts auf andere Länder befürchten, vor allen Dingen auf den Libanon, aber auch auf
die Türkei, da die PKK die Kämpfe in Südostanatolien
wieder entfacht hat. Wenn man sich das genau anschaut,
erkennt man, dass sich der Konflikt inzwischen auch auf
Deutschland auswirkt; denn aus meiner Sicht lassen sich
die Ereignisse in Mannheim nicht anders erklären. Man
muss den Bogen bis dahin schlagen.
Wir erleben eine Einmischung anderer Länder in diesen Konflikt: des Iran, von Saudi-Arabien, von Katar.
Auf der anderen Seite sehen wir - das ist hier zu Recht
beschrieben worden -, dass der UN-Sicherheitsrat wegen der Haltung von Russland und China blockiert ist.
Wir erzeugen dadurch weniger Druck als notwendig und
möglich wäre, um Assad dazu zu bewegen, den Weg für
Verhandlungen und für ein Ende der Gewalt dadurch
freizumachen, dass er zurücktritt. Unsere Möglichkeiten:
Sanktionen, humanitäre Hilfe, politische Hilfe und Hilfe
für die Opposition, damit sich ihr Wunsch, sich zu einigen, erfüllt. Das ist alles, was wir im Augenblick tun
können. Das ist aber offensichtlich nicht genug.
Herr Minister, es war richtig, syrische Politiker unter
der Überschrift „The Day After“ nach Deutschland einzuladen. Wir haben aber leider noch „many days before“. Auch das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
Diesbezüglich gibt es eine Diskussion darüber, ob
man vielleicht doch nur über eine militärische Auseinandersetzung zu einem Ende kommen kann, sei es über Interventionen, über Flugverbotszonen oder die Bewaffnung der Aufständischen. Ich glaube, das ist nicht der
richtige Weg. Weshalb hat sich die Situation so entwickelt? Erinnern wir uns: Wir hatten am Anfang sehr
lange nur friedliche Demonstrationen. Assad wusste,
wenn er 500 000 oder mehr Demonstranten häufiger in
Damaskus auf der Straße hätte, dann wäre sein Rücktritt
nur eine Frage der Zeit.
Also hatte er ein Interesse daran, die friedlichen Demonstrationen zu beenden. Er hat das auf zweierlei
Weise getan: Er hat selbst massiv Gewalt angewendet,
und er hat - das wissen wir von syrischen Oppositionellen - dafür gesorgt, dass teilweise auch von Demonstranten Gegengewalt ausgeübt wurde. Er hat ein Interesse daran gehabt, auf diese Weise zur Eskalation
beizutragen. Wenn das so richtig ist, dann liegt dieser
Strategie die Einschätzung Assads zugrunde: Militärisch
bin ich stärker; militärisch gewinne ich. - Dann sind wir
aber doch falsch beraten, wenn wir sagen: „Das sehen
wir aber anders“ und wie in Libyen verfahren, die Rebellen bewaffnen und denken, das werde schon irgendwie
klappen.
Ich halte es nach wie vor für aussichtsreicher, den
Druck auf Russland zu erhöhen. Das wird allerdings nur
gelingen, wenn man nicht nur die russischen Interessen
wie Hafen, Wirtschaftsbeziehungen und Einfluss in den
Blick nimmt, sondern mit Russland auch über andere
Fragen russischen Interesses redet. Das können nach
Lage der Dinge nur die Amerikaner. Das werden sie aber
vor den Wahlen im November nicht tun; das ist das Problem. Aber auch wir Europäer haben die Möglichkeit,
Druck auszuüben, wenn wir gegenüber Russland in dieser Frage einig und gemeinsam auftreten. Auch hier ist
ein starkes, ein einiges Europa gefordert.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir müssen die Krise überwinden. Rückblickend - das ist meine
feste Erwartung - wird der heutige Tag mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Kombination
mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank
in der letzten Woche als der Tag angesehen werden, an
dem die Krise im Prinzip überwunden war, nicht in dem
Sinne, dass wir über den Berg waren, sondern in dem
Sinne, dass die Weichen so gestellt worden sind, dass
wir über den Berg kommen. Natürlich liegt noch viel
Wegstrecke vor uns, was Reformen usw. angeht. Aber
ich glaube, es war heute ein guter Tag für Deutschland
und für Europa.
({1})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Westerwelle, Sie haben über den Iran gesprochen.
Hören Sie doch bitte auf, nach mehr Sanktionen zu rufen, die nur die Bevölkerung treffen! Denn damit tragen
Sie zur Eskalation bei und machen einen Krieg gegen
den Iran wahrscheinlicher.
({0})
Aber lassen Sie uns über Europa reden. Die Krisenpolitik Europas, der Troika, die letztendlich diktiert worden ist von Merkel und bis vor kurzem auch noch von
Sarkozy, ist gescheitert. Wenn es eines Beweises dafür
bedarf, verweise ich auf die EZB-Entscheidung in der
letzten Woche. Dass die EZB zu dieser Notbremse greifen musste, ist ja ein Eingeständnis dafür, dass die Politik versagt hat.
Wenn Herr Westerwelle sich hier hinstellt und sagt, er
möchte, dass man der Bevölkerung Europas eine neue
Vision gibt, die sich nicht aus der Geschichte ableitet,
dann muss man sich die Frage stellen: Was macht diese
Bundesregierung, um den Menschen in Europa eine Vision zu geben? Ganz nebenbei sei erwähnt - darauf will
ich gar nicht näher eingehen -, dass Herr Westerwelle
europapolitisch überhaupt nicht agiert, weil er vom
Kanzleramt ins Abseits gestellt worden ist. Schauen wir
uns an, wie sich die Menschen in Europa von Europa abwenden. Schauen wir nach Südeuropa! Was wird dort
von Europa wahrgenommen? Sozialabbau, Abbau von
Beschäftigung, niedrigere Renten, kein Geld mehr für
die Gesundheitsversorgung - das ist das Bild von Europa, das dort vermittelt wird. In Deutschland erweckt
die Bundesregierung den Eindruck, dass wir, obwohl wir
in dieser Krise Hauptgewinner sind, nur für Europa zahlen müssen, und es kommen Leute wie Söder und
Dobrindt mit nationalistischen Ressentiments, die die
Stammtische nicht nur in Bayern, sondern auch in der
rechten Szene bedienen. Das klappt vielleicht in Bezug
auf die bayerische Landtagswahl. Aber es klappt nicht,
um Europa eine Vision für die Zukunft zu geben.
({1})
Lassen Sie uns hier einmal mit ein paar Mythen aufräumen. Es wird immer wieder erzählt, wir hätten eine
Staatsschuldenkrise. Nein, wir haben keine Staatsschuldenkrise. Wir haben eine Finanz- und Bankenkrise.
Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann sehen wir,
dass die Schuldenquote im Euro-Raum 2007 66,3 Prozent betrug; jetzt sind es 87,4 Prozent. Nehmen wir Spanien als Beispiel: 2007 gab es dort eine Staatsschuldenquote von 36,3 Prozent; jetzt sind es knapp 70 Prozent.
Das, was in Europa als Staatsschuldenkrise bezeichnet
wird, sind letztendlich die Kosten für die Bankenrettung.
Diese haben sich von 2007 bis jetzt auf 1,6 Billionen
Euro summiert. Dafür müssen wir zahlen. Es liegt nicht
an ausufernden Sozialsystemen, es liegt nicht daran, dass
die Menschen in Europa über ihre Verhältnisse leben.
Vielmehr diente das Geld, das wir ausgegeben haben,
der Bankenrettung.
Deshalb, glaube ich, müssen wir darum kämpfen,
endlich das wahr zu machen, was in Sonntagsreden immer gefordert wird: Wir müssen das Primat der Politik
über die Finanzmärkte wiederbekommen. Dafür brauchen wir eine Entkopplung der Staatsfinanzierung von
den Finanzmärkten. Es ist nicht einzusehen, dass die Europäische Zentralbank für 1 Prozent oder jetzt 0,75 Prozent das Geld auf die Märkte wirft, aber die Deutsche
Bank, die Commerzbank und andere Banken es für 6,
7 oder 8 Prozent weiterverleihen. Die Staaten können
das nicht finanzieren. Die Finanzwelt soll sich auch daran wieder eine goldene Nase verdienen. Wenn wir es
entkoppeln, wäre der Spuk, auf Staatspleiten zu wetten,
vorbei. Das ist unsere Forderung als Partei und Fraktion
Die Linke.
({2})
Wir brauchen endlich eine Finanztransaktionsteuer.
Aber das, was Kanzlerin Merkel heute Morgen gesagt
hat, deutet darauf hin, dass man auch da nichts machen
will. Auch das ist nur eine Beruhigungspille gewesen.
Jetzt schiebt man es auf die lange Bank; es wird nicht
kommen. Mit dieser Regierung wird es eine Finanztransaktionsteuer in Europa und in Deutschland nicht geben.
Der zweite Punkt. Es ist auch ein Anschlag auf die
Demokratie. Was ist das für eine Vision, Herr
Westerwelle, wenn nicht mehr die Regierungen und die
Parlamente in Lissabon, Madrid oder Rom über Löhne,
Steuern oder Haushalte entscheiden, sondern wenn es
die Troika ist, die wenig legitimiert ist, aber in die Länder einmarschiert und sagt, was dort zu tun ist? Diese
Art der Politik wird die Menschen von Europa weiter
entfremden. Deshalb muss Schluss sein mit diesen undemokratischen Maßnahmen von EU und Troika.
({3})
Wenn man Schulden reduzieren will, dann kann man
es machen wie Sie, was zu Sozialabbau führt, oder man
kann es machen, wie wir es vorschlagen, nämlich indem
man Vermögen reduziert. Denn die Schulden der einen
sind nun einmal die Vermögen der anderen. Die Schulden in Europa werden von den privaten Vermögen, die in
Europa vorhanden sind, überstiegen. Sie meinen, Sie
könnten das Problem mit Sozialabbau lösen. Dies treibt
die Euro-Zone in die Rezession. In Griechenland ist die
Wirtschaft in den letzten Jahren um 20 Prozent geschrumpft. Auch in Deutschland kommt es langsam an.
Mit dieser Art der Politik werden die Schulden größer.
Deshalb muss man die Vermögen reduzieren, wenn man
die Schulden reduzieren will. Deshalb brauchen wir eine
Millionärsteuer. Deshalb brauchen wir eine europaweite
Vermögensabgabe. Wir müssen die Steueroasen trockenlegen. Ich glaube, wir brauchen auch einen deutlichen
Schuldenschnitt, damit die Länder wieder Luft zum Atmen bekommen.
({4})
Mit der heutigen Entscheidung von Karlsruhe ist der
Kampf um ein sozialeres Europa noch nicht beendet.
Auch wenn alle Fraktionen das, was in Karlsruhe entschieden wurde, bejubelt haben, ist es ein weiterer
Schritt, Europa undemokratischer und unsozialer zu machen, ein weiterer Schritt, dass Europa nicht ein Europa
der Menschen wird, sondern ein Europa der Finanzmärkte, ein Europa der Banken, ein Europa der Großkonzerne. Wir werden unseren Widerstand fortsetzen;
denn was jetzt kommt, wird auch in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden müssen. Die Bundesregierung
sagt der Bevölkerung auch nicht, dass im Fiskalpakt vorgesehen ist, dass man auch in Deutschland die Schulden
schrittweise zurückführen muss. Aber woher werden die
25 Milliarden Euro kommen, die ab 2014 dafür pro Jahr
benötigt werden? Ich behaupte, wenn Sie so weitermachen, wird auch das nur über Sozialabbau, über weniger
Geld für Bildung und Forschung, weniger Geld für einen
sozialökologischen Umbau gelingen. Deshalb müssen
wir handeln.
Die Linke wird weiterhin mit den Gewerkschaften,
mit den außerparlamentarischen Bewegungen, mit Attac
und anderen für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa streiten. Die SPD und die Grünen haben
leider bei allen europapolitischen Entscheidungen der
Regierung die Hand gereicht. Deshalb sind sie nicht die
Richtigen, um für diese Gruppen das Wort zu ergreifen.
({5})
Die Linke wird auch bei Abstimmungen im Parlament
auf der Seite dieser genannten Gruppen stehen.
Vielen Dank.
({6})
Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat zum Europäischen Stabilitätsmechanismus heute eine Entscheidung getroffen, die, wie ich finde, einen versöhnlichen
Kern hat. Denn das Bundesverfassungsgericht stellt fest,
dass die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages gewahrt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat damit einerseits
klargemacht, dass der Deutsche Bundestag keine unbegrenzte Haftung für andere übernehmen darf, und andererseits die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages sichergestellt. Ganz neu an dieser Entscheidung ist,
dass der Bund erstmals verpflichtet worden ist, einen
Vorbehalt bei der Ratifikation eines europäischen Vertrages zu erklären. Das bedeutet, dass unsere grundgesetzliche Ordnung gewahrt bleibt und nicht durch europäische Interventionen ausgehebelt werden könnte; ich
formuliere das sehr vorsichtig.
({0})
Dieses Ergebnis ist durchaus vergleichbar mit dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum LissabonVertrag. Ich möchte auf diese Parallele hinweisen, weil
damals eine Interpretation vorgenommen worden ist, die
ich nicht teile. Sie lautete, der Vertrag sei zwar ganz in
Ordnung gewesen; aber der Bundestag habe mit seiner
Begleitgesetzgebung einen Fehler gemacht. - Nein,
meine Damen und Herren: Der Lissabon-Vertrag durfte
damals nur nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des
Bundesverfassungsgerichts in Kraft treten. So ist es auch
hier. Es ist nicht so, dass der ESM-Vertrag per se vollständig in Ordnung ist und der Bundestag nur mehr, als
er bisher beschlossen hat, darauf achten muss, dass seine
Haushaltsverantwortung gewahrt bleibt, sondern es ist
so, dass dieser Vertrag nur nach Maßgabe der Vorgaben,
die das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, in Kraft
treten darf. Deswegen ist das Urteil so wichtig.
Die Europäische Zentralbank hat verkündet, dass sie
auf den Märkten jetzt unbegrenzt Anleihen aufkaufen
will. Ich vernehme mit Interesse, dass der Präsident der
Deutschen Bundesbank dieser Entscheidung nicht zugestimmt hat, weil er, übrigens schon seit vielen Monaten,
darauf drängt, dass wir zwischen Geldpolitik, die Sache
der Zentralbanken ist, und Fiskalpolitik, die Sache der
Gesetzgeber ist, unterscheiden.
({1})
Wenn wir diese Unterscheidung aufheben würden,
dann wäre das ein fundamentaler Kurswechsel in der
Währungsunion. Insofern wirft das Verhalten der Europäischen Zentralbank schon die Frage auf, ob wir es auf
Dauer hinnehmen können, dass solche Entscheidungen,
die umfangreiche Gewährleistungen für Deutschland
zum Ergebnis haben, in der Form, in der es bisher geschieht, getroffen werden können.
({2})
Ich bin sehr dafür, dass wir darüber nachdenken und offen darüber diskutieren, ob wir die Entscheidungsverfahren in der Europäischen Zentralbank nicht auf den Prüfstand stellen müssen.
({3})
Man kann darüber diskutieren, ob die Entscheidungen
wirklich im Rat der EZB oder doch eher im Direktorium
getroffen werden müssen. Man kann auch darüber nachdenken, ob man sich den Entscheidungsmechanismus
des Europäischen Stabilitätsmechanismus noch einmal
anschaut, in dem geregelt ist, dass sich die Stimmengewichtung nach dem Kapitalanteil richtet, einschließlich
einer Sperrminorität von 85 Prozent aller Stimmen. Jedenfalls muss Deutschland ein angemessenes Gewicht in
der Europäischen Zentralbank erhalten.
({4})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns über eines
im Klaren sein: Man kann durch Finanzhilfen Zeit gewinnen. Man kann auch durch Interventionen der Europäischen Zentralbank Zeit gewinnen. Aber man sollte
sich nicht täuschen: Durch den Gewinn von Zeit sind die
Ursachen der Krise noch nicht beseitigt. Deswegen steht
und fällt die Stabilisierung unserer Währungsordnung
damit, dass in den Haushalten der Mitgliedstaaten, in der
Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und in den Verwaltungen die nötigen Strukturreformen durchgeführt
werden.
({5})
Ich weise darauf hin, dass wir noch die offene Frage
beantworten müssen, was passiert, wenn alle Finanzhilfen und alle Reformen, die wir miteinander vereinbaren,
am Ende nicht ausreichend erfolgreich sind. Wir brauchen für diesen Fall Verfahren zur Restrukturierung von
Staatsschulden. Das ist in einer Währungsunion eine gemeinsame Aufgabe. So wie schon im letzten Jahr eine
Umstrukturierung für Griechenland durchgeführt wurde,
muss man nun darauf hinwirken, dass ein entsprechendes Verfahren etabliert wird, das transparent und offen
ist, damit sich auch die Märkte darauf einstellen können.
Ich rate dazu, dass wir uns einmal sehr genau anschauen, was in den Vereinigten Staaten von Amerika
passiert ist, die seit ihrer Gründung bis etwa 1850 neun
Staatsbankrotte hingelegt haben. Die Staatsbankrotte in
diesem Bundesstaat fanden erst dann ein Ende, als man
sich darauf verständigt hat, dass die einzelnen Bundesländer für ihr Handeln selber haften, und als man ein
Verfahren aufgesetzt hat, das eine geordnete Restrukturierung der Staatsschulden ermöglicht. Diese Frage ist,
wie gesagt, noch offen. Ich glaube, dass wir gut daran
tun, in aller Nüchternheit darüber zu diskutieren. Denn
uns muss an der Stabilität unserer gemeinsamen Währung gelegen sein.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn die Stabilität der
Währung - wenn Sie mir diesen Satz noch gestatten,
Herr Präsident - erfordert, dass wir in Europa noch enger zusammenarbeiten und dass wir die vereinbarten Regeln über Haushaltsdisziplin durchsetzen, dann sollten
wir dazu bereit sein und der Europäischen Union die dafür notwendigen Kompetenzen einräumen. Ich warne allerdings davor, aus Anlass dieser Krise mehr oder weniger Wünschenswertes draufzupacken und die Lage
damit zu überfrachten. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was zur Lösung dieser Krise notwendig und realisierbar ist. Denn auch diese Vorgehensweise dient der
Vertrauensbildung auf den Märkten und in unserer Bevölkerung.
Vielen Dank.
({7})
Michael Brand ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Außenminister, in der Außenpolitik
orientieren wir uns Gott sei Dank und in breitem Konsens an den Grundwerten von Menschenrechten und Demokratie. Lieber Herr Kollege Brandner, Sie haben ja
gerade Ihre Rechenkünste unter Beweis gestellt. Wir in
der Koalition begrüßen ausdrücklich, dass sich die
Orientierung an Menschenrechten und Demokratie im
Einzelplan des Auswärtigen Amtes deutlich niederschlägt. Humanitäre Hilfe stellt ebenso einen Pfeiler dar
wie nachhaltige Unterstützung von Demokratie.
Über humanitäre Hilfe kann man hier sicher nicht reden, ohne über Syrien zu sprechen, wie es auch andere
Redner vor mir getan haben. Erst heute Morgen hatten
wir eine Sondersitzung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. In der Aussprache wurde
sehr deutlich, dass wir in den nächsten Monaten mit weiterer Not rechnen müssen und dass wir unbedingt reaktionsfähig bleiben müssen. In den Lagern kommt nach
der Hitze des Sommers nun bald die Kälte des Winters.
Wir unterstützen ausdrücklich die Bundesregierung, die
über die EU und auch bilateral den Opfern des Bürgerkrieges in Syrien hilft.
Von einer Reise nach Jordanien und in den Libanon
vor nicht allzu langer Zeit weiß ich sehr wohl, dass wir
den gesamten Nahen Osten destabilisiert sehen werden,
wenn es nicht gelingt, das Regime Assad in die Schranken zu weisen und ein Überspringen des Konflikts auf
die Nachbarn zu verhindern. Jordanien und der Libanon
sind bis zum Anschlag angespannt, und die enorme
Flüchtlingswelle könnte diese kleinen, intern sehr fragilen Länder aus dem Gleichgewicht stürzen. Es ist ein
Gebot der Menschenwürde, unschuldigen Opfern zu
Hilfe zu kommen. Zudem ist es außenpolitische Vernunft, die Nachbarn Syriens und im Übrigen auch die
Nachbarn Israels in dieser Lage nach Kräften zu unterstützen.
Am Horn von Afrika spielt sich eine wohl noch weit
größere Katastrophe ab. Wir haben auch dieses Thema
mehrfach erörtert. Wir wissen, dass es keine einfache
Lösung gibt, um für diese Hunderttausenden Menschen
das Überleben zu sichern. Ich selbst habe meinen Besuch im größten Flüchtlingslager auf diesem Planeten, in
Dadaab, mit Hunderttausenden von Flüchtlingen, als
politischen und humanitären Schock empfunden. Wir
wissen um die Größe der Probleme, die wir - vom Mittleren Osten bis hin zum Horn von Afrika - zu bewältigen haben. Umso mehr gilt, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen: Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Katastrophe von biblischem Ausmaß als Dauerkatastrophe
in Ostafrika hingenommen wird. Es geht nicht nur um
den Schutz vor Piraten vor der somalischen Küste. Es
geht um einen neuen Ansatz für das Horn von Afrika,
den der UN-Generalsekretär zu Recht fordert und an
dem wir kontinuierlich arbeiten. Insgesamt dürfen wir
- das hat auch heute in der Beratung eine Rolle gespielt bei allen Bemühungen nicht aus dem Auge verlieren,
dass wir in den kommenden Monaten national, in der EU
und in der UN Ressourcen bereithalten müssen, um genau dann humanitär intervenieren zu können, wenn die
Not am größten ist. Wir werden nicht als Routine einkehren lassen, dass erst einmal der Aufschrei der Humanitären kommen muss, bis wir dann rasch etwas zusammenstricken, um das Nötigste und manchmal auch etwas
weniger tun zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem großen
Feld der Menschenrechtspolitik will ich eines bewusst
herausgreifen, das uns in Europa noch immer betrifft.
Auch wir in Europa haben eine Katastrophe mit über
hunderttausend Toten zu beklagen gehabt. Europa hat
dem Völkermord in Bosnien zu lange zugeschaut und
den Opfern zu spät geholfen. Ausdrücklich begrüßen wir
den deutschen Beitrag zum Strafgerichtshof und die Anklage der Täter. Auch hier gilt: Es ist eine Frage der
Menschenrechte, aber auch der außenpolitischen Vernunft.
Es ist ein ganz wichtiges Signal: Wer Kriegsverbrechen begeht, der kommt nicht mehr so einfach davon.
Wer potenzielle Täter abschreckt, vermeidet Konflikte
und vermeidet damit die hohen menschlichen Preise und
die finanziellen Kosten, mit der eine Intervention oder
der Post-Konflikt zu Buche schlagen. Es ist idealistisch
und auch ökonomisch richtig: Der Schutz der Menschenrechte zahlt sich immer aus!
Eine aktuelle Bemerkung zum Schluss zu den Opfern
von Völkermord und Vertreibung am Beispiel des Ortes,
der hier in der Debatte schon erwähnt worden ist, nämlich Srebrenica. Tausende wurden ermordet und vertrieben. Die Vertriebenen sind gekennzeichnet von Trauer
und Traumatisierung. Nun sollen bei den kommenden
Kommunalwahlen die Opfer von der Wahl in Srebrenica
ausgeschlossen werden. Die Täter von gestern drohen
vollends die Kontrolle zu übernehmen. Dies hätte mit
Recht, mit Gerechtigkeit, mit Frieden und mit Versöhnung nichts zu tun. Ich nutze diese Aussprache, um die
Bundesregierung sehr nachdrücklich aufzufordern, sich
dieses Themas unmittelbar anzunehmen. Es kann nicht
sein, dass wir jährlich Kränze niederlegen, an die Opfer
erinnern und sie den Tätern von gestern überlassen.
Vielen Dank.
({0})
Bettina Kudla ist die letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich als letzte Rednerin dieser
Debatte den Bogen wieder zum Bundeshaushalt spannen. Wir beraten den Etat des Auswärtigen Amtes - mit
Europa -, Einzelplan 05. Der Auswärtige Dienst des
Auswärtigen Amtes dient einer dauerhaften, friedlichen
und gerechten Ordnung in Europa. Umso wichtiger ist
es, dass die Finanzen, die unmittelbar der Finanzierung
der europäischen Aufgaben dienen, in auskömmlichem
Umfang bereitgestellt werden.
Wir haben viel erreicht: Es herrscht Kontinuität in der
Bereitstellung der Mittel, also Planungssicherheit. Das
ist wichtig für den EU-Haushalt, das ist wichtig für die
europäischen Projekte, also gut für bestimmte Regionen,
die Mittel aus dem Fonds für regionale Entwicklung erhalten, gut für die Landwirte, denn der Landwirtschaftsetat ist derjenige, der überwiegend aus EU-Mitteln gespeist wird, gut für alle Infrastrukturprojekte, die aus
dem EU-Haushalt finanziert werden, gut für viele bildungs- und sozialpolitische Projekte der EU.
Die aktuelle Diskussion um die Stabilität des Euro
wird von vielen populistisch genutzt. Die wirklichen
politischen Erfolge treten dabei manchmal in den Hintergrund, so zum Beispiel der große Erfolg unserer Bundeskanzlerin auf dem letzten Europäischen Rat. Frankreich,
das nach den Wahlen den Fiskalpakt neu verhandeln und
damit infrage stellen wollte, konnte damit gewonnen
werden, dass sich die Bundeskanzlerin und der französische Präsident auf ein Investitionsprogramm von
100 Milliarden Euro verständigt haben.
({0})
Dieses Investitionsprogramm kann nur aufgelegt werden, weil die Europäische Investitionsbank 10 Milliarden Euro neues Eigenkapital bekommt, davon 1,6 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in diesem Jahr.
Man stelle sich einmal vor, man hätte diese Mittel nicht
aus dem Bundeshaushalt bereitstellen können. Die Ausführungen des Bundesfinanzministers in der Debatte
gestern haben gezeigt: Nur wenn man Spielraum im
Haushalt hat, kann man auf Entwicklungen kurzfristig
reagieren und Mittel bereitstellen. Diesen Handlungsspielraum muss sich unser Staat erhalten. Ohne finanziellen Handlungsspielraum wäre unser Staat handlungsunfähig. Wichtige politische Entscheidungen wären
dann nicht möglich. Der Bürger hätte das Nachsehen.
Hier wird besonders deutlich, was eine umsichtige Politik der Bundesregierung ausmacht.
Die SPD hat in der Sommerpause vorgeschlagen, die
Schulden aller europäischen Staaten zu vergemeinschaften. Als ich das hörte, war ich nicht nur entsetzt, sondern
auch sehr enttäuscht: entsetzt aufgrund der Leichtigkeit,
mit der die SPD mit dem Geld unserer Bürger umgeht.
({1})
Entsetzt war ich auch, wie sich heute die Grünen in der
Debatte zur Vergemeinschaftung der Schulden positioniert haben. Wenn Sie schon für einen Schuldentilgungsfonds sind, dann müssen Sie auch sagen, was das bedeutet.
({2})
Dann müssen Sie auch sagen: Sie wollen, dass der Bund
20 Milliarden Euro mehr im Jahr für höhere Zinsen ausgibt. Dass die Kommunen und die Bundesländer durch
höhere Zinsen stärker belastet werden, dürfen Sie nicht
verschweigen, wenn Sie eine solche Forderung aufstellen.
({3})
Enttäuscht bin ich auch deswegen, weil Sie wissen
müssten, was eine solche Forderung bedeutet. Man kann
doch nicht unumkehrbare Fakten schaffen und dann hoffen, später werde sich alles zum Guten wenden, denn wir
haben gesehen, was der zu frühe Euro-Beitritt der südlichen Länder und viele Entscheidungen der europäischen
Institutionen bewirkt haben.
Eines sollte uns immer bewusst sein: Geld allein kann
die Probleme nicht lösen. Die Bereitstellung von Geld
kann sogar kontraproduktiv sein, wenn dies Reformen in
einem Land verhindert.
Regelungen sind auf europäischer Ebene dort sinnvoll, wo sie einen Mehrwert für alle europäischen Staaten schaffen. Das Subsidiaritätsprinzip gilt laut dem
Vertrag von Lissabon nach wie vor. Verträge sind einzuhalten. Der Lissabon-Vertrag ist auch mit dem Fiskalpakt einzuhalten.
Vielen Dank.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor.
Dann rufe ich nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14, auf.
Das Wort erhält der Bundesverteidigungsminister, Herr
Kollege de Maizière.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute in erster Lesung über den Haushalt des
Verteidigungsministeriums. Ich will deshalb meinen Debattenbeitrag dazu nutzen, über den Haushalt und die
Bundeswehr im engeren Sinne zu sprechen und nicht
über Sicherheitspolitik, Mandate, Afghanistan oder
Drohnen - ein anderes Mal gerne, Herr Mützenich -,
weil ich glaube, das entspricht der Tagesordnung.
Der Regierungsentwurf sieht für den Verteidigungshaushalt einen Betrag von 33,3 Milliarden Euro vor. Das
ist im Verhältnis zum Vorjahr ein Anstieg um 1,4 Milliarden Euro. Das ist viel in Zeiten der Konsolidierung.
Wie erklärt sich dieser Anstieg? Das ist im Wesentlichen mit rund 1 Milliarde Euro die Umsetzung der
Lohn- und Gehaltsrunden im öffentlichen Dienst. Die
Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes und die
Gehaltserhöhung in den Verhandlungen über den öffentlichen Dienst bedeuten für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr ab 1. Januar 2012 eine Lohnerhöhung um insgesamt 5,82 Prozent. Zum 1. Januar
2013 und im August 2013 kommen jeweils weitere
1,2 Prozent dazu. Eine solche Steigerung des Einkommens von Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr hat es lange nicht gegeben, meine Damen und Herren.
({0})
Ich bin sehr dankbar - jetzt komme ich zum Haushalt
zurück -, dass die Mittel zur Deckung der Kosten dieser
Lohn- und Gehaltsrunde im Jahr 2013 und für die ganze
Finanzplanung bis 2016 dem Einzelplan 14 zusätzlich
zur Verfügung gestellt werden. Alles andere wäre, ehrlich gesagt, auch eine Katastrophe gewesen. Wir wären
außerstande gewesen, 1 Milliarde Euro aus dem laufenden Geschäft „herauszuschwitzen“. Sie sehen an diesem
Beispiel: Die nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr
stellt eine permanente Herausforderung dar. Aber bisher
ist sie gelungen. Wir werden unserer Verantwortung gerecht. Unser Haushalt kann sich sehen lassen, auch international, insbesondere im Vergleich zu Großbritannien
und Frankreich. Insgesamt belaufen sich die Ausgaben
für verteidigungsinvestive Ausgaben auf 7,1 Milliarden
Euro. Damit können wir die laufenden militärischen
Beschaffungsvorhaben ebenso gewährleisten wie die
Deckung des durch die Neuausrichtung entstandenen
Mehrbedarfs bei Infrastruktur und Informationstechnik.
Bei den internationalen Einsätzen machen wir keine
Abstriche, wenn es um die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten geht. Was im Einsatz benötigt wird
- ich unterstreiche das Wort „benötigt“ -, muss
schnellstmöglich zur Verfügung stehen. Das erwarten
die Soldatinnen und Soldaten genauso wie die Bürgerinnen und Bürger.
Nun ist die Neuausrichtung der Bundeswehr auch mit
einem Personalabbau verbunden; das wissen wir alle.
Darum will ich nicht herumreden. Parallel zum Personalabbau muss es aber auch einen Personalaufbau geben;
denn nur mit neuem Personal lassen sich einsatzbereite
und motivierte Streitkräfte erhalten. Die bisherigen Bewerberzahlen sowohl bei den Zeit- und Berufssoldaten
als auch bei den freiwillig Wehrdienstleistenden stimmen mich zuversichtlich. Unabdingbar für eine attraktive Bundeswehr sind eine ausgewogene Alters- und
Dienstgradstruktur im militärischen und im zivilen Bereich sowie berufliche Perspektiven. Dies schließt finanzielle Verbesserungen ein.
Mit dem Bundeswehrreform-Begleitgesetz, das Sie
dankenswerterweise vor kurzem verabschiedet haben,
haben wir ein Instrument, um beides zu erreichen. Es
hilft uns, die erforderlichen Personalabbauschritte sozialverträglich zu vollziehen und gleichzeitig die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern. Mit 250 Millionen
Euro im Jahr 2013 und 300 Millionen Euro pro Jahr in
den Folgejahren steht ein erhebliches Finanzvolumen
zur Verfügung, um zahlreiche nachhaltige Maßnahmen
zu realisieren. Ich will auch daran erinnern, dass wir die
Vergütung für mehr geleistete Arbeit zeitgleich mit dem
Inkrafttreten des Bundeswehrreform-Begleitgesetzes um
83 Prozent von 35,74 Euro auf 65,50 Euro pro Tag erhöht haben.
Nun ist die Attraktivität eines Arbeitsplatzes Gott sei
Dank nicht nur über das Geld zu definieren. Aber diese
Maßnahmen sind wichtig. Sie können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn es uns auch künftig gelingt,
überzeugend zu vermitteln, welchen einzigartigen und
welchen unverzichtbaren Dienst die Angehörigen der
Bundeswehr für unser ganzes Land leisten.
({1})
Dieser Dienst ist nicht leicht und oft gefährlich. Ihm gebührt deshalb die Wertschätzung unseres ganzen Landes,
erst recht in einer Zeit tiefgreifender, ja allumfassender
Veränderungen.
Vor einem Jahr habe ich Sie an dieser Stelle über die
beabsichtigten Maßnahmen im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr unterrichtet. Zwischenzeitlich sind
viele grundlegende Elemente der Neuausrichtung der
Bundeswehr entschieden und auf den Weg gebracht worden. Ich nenne als Beispiele nur die Festlegung der Zahl
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung
der Großwaffensysteme, die Entscheidungen zur Stationierungsplanung, die Neuorganisation des Ministeriums
und vor allem die Realisierungsplanung für jede einzelne
Dienststelle im Juni dieses Jahres. Fast 5 000 von
6 400 militärischen und zivilen Organisationseinheiten
haben wir neu geplant. Fast 5 000 von 6 400! Das Ministerium sowie alle Kommandobehörden und Bundesoberbehörden in meinem Geschäftsbereich werden neu
aufgestellt. Das war und ist eine gewaltige Arbeit. Die
Neuausrichtung war, ist und bleibt deswegen eine hochkomplexe Herausforderung. In fast allen Bereichen, bei
fast allen Strukturen und Prozessen kommt es zu massiven Veränderungen - und das alles gleichzeitig. Wir
müssen 240 000 Menschen einen Dienstposten zuweisen
und für die anderen einen umsichtigen Personalabbau realisieren. Die Neuausrichtung der Bundeswehr verlangt
deshalb allen Beteiligten und Betroffenen besondere Anstrengungen und viel Ausdauer ab. Nur mit diesem umfassenden Ansatz macht die Neuausrichtung allerdings
auch Sinn.
Nun führen Geld und auch organisatorische Maßnahmen alleine noch nicht zum Erfolg. Es muss uns gelingen, nicht nur die Köpfe und die Statistiken, sondern
auch die Menschen und die Herzen zu überzeugen. Wir
haben in den vergangenen Tagen viel über eine kritische
Stimmung in der Bundeswehr gehört. Das ist in diesem
Stadium eines derart umfassenden Veränderungsprozesses auch nicht ungewöhnlich, sondern geradezu verständlich und zu erwarten. Ich nehme das Ergebnis beider Studien ernst, und es beschäftigt mich.
Die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundeswehr wollen diese
Veränderung. Das ist ein ganz interessantes Ergebnis.
Drei Viertel aller Führungskräfte halten die Neuausrichtung für notwendig. Mit der Umsetzung sind aber fast
ebenso viele unzufrieden. Nun beginnt die Umsetzung
aber gerade erst. Mit dem Ministerium haben wir im
April angefangen. Im September und Oktober werden
die militärischen Kommandobehörden und Bundesoberbehörden neu aufgestellt. Danach beginnt die Umstrukturierung oder Aufstellung der einzelnen Dienststellen in
der Fläche. So stellen wir sicher, dass diese tiefgreifende
Strukturreform sauber durchgeplant und systematisch erfolgt sowie nachhaltig ist.
Planungssicherheit für die Menschen in der Bundeswehr wird sich erst allmählich herstellen. Natürlich beeinflusst die persönliche Betroffenheit die Beurteilung
des Gesamtprozesses. Vertraute Orte und Einheiten verlassen zu müssen, sich in neuen Strukturen und Abläufen
zurechtzufinden, eine neue militärische oder zivile Aufgabe zu übernehmen oder gar zu hören, dass es für einen
selbst gar keinen Dienstposten mehr gibt, verlangt viel
von jedem Einzelnen und von jeder Familie. Umbau,
Umstellungen, Umzüge - das schafft natürlich Unsicherheit und kostet Kraft, aber es ist unvermeidlich.
Wer daher die Situation unserer Soldaten und Mitarbeiter kennt, den überraschen die Ergebnisse der aktuellen Studien des BundeswehrVerbandes und meines Hauses nicht. Sie beschreiben realistisch die Stimmung in
der Bundeswehr. Ich will die Ergebnisse deshalb auch
nicht beschönigen. Im Gegenteil: Es ist richtig und wichtig, dass wir unseren Entscheidungen ein realistisches
Bild der Lage zugrunde legen.
({2})
Wir werden die Ergebnisse der beiden Studien berücksichtigen.
Das betrifft zum einen die Kommunikation. Zusammenhänge zwischen dem von der Mehrheit erkannten
Handlungsbedarf, den Entscheidungen und der Umsetzung müssen wir besser als bisher erläutern.
Und: Die Einbindung der Führungskräfte in den Prozess der Neuausrichtung muss besser werden.
Ein Teil der Unzufriedenheit ist schließlich wohl auf
das hohe Tempo zurückzuführen, mit dem wir die Neuausrichtung vorangetrieben haben und nach meiner Auffassung vorantreiben müssen, damit die Veränderungen
nicht zum Dauerzustand werden.
Der zentralen Rolle der Führungskräfte für den Erfolg
der Neuausrichtung sind wir uns bewusst. Deshalb wird
sie Thema der Bundeswehrtagung in sechs Wochen sein.
Mir hat, Herr Bartels, einer meiner Gesprächspartner in
diesem Zusammenhang gesagt: Viele Soldaten und zivile Mitarbeiter warten ab, ob die Neuausrichtung der
Bundeswehr ein Erfolg wird. - Wahrscheinlich ist das
keine unzutreffende Beschreibung. Ich habe ihm geantwortet: Wenn alle abwarten, ob die Neuausrichtung der
Bundeswehr ein Erfolg wird, dann kann ich Ihnen versprechen, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr kein
Erfolg wird; denn mit Abwarten wird nichts zum Erfolg,
sondern nur mit Mittun und Mitgestalten, mit Verantwortung-Übernehmen und mit Kommunizieren.
Die Zielvorgaben können nicht allein der Minister,
nicht allein der Generalinspekteur, können nicht allein
die Staatssekretäre, nicht einmal die Inspekteure allein
umsetzen; vielmehr müssen alle, die Verantwortung tragen, diese Sache zu ihrer eigenen machen, und sie müssen ihre jeweiligen Mitarbeiter und Untergebenen davon
überzeugen. Auch das gehört zu Führen und zu Führen
mit Auftrag.
({3})
Wir befinden uns, meine Damen und Herren, mitten
in der Neuausrichtung. Diese einfache wie folgenreiche
Feststellung sollte auch Folgen haben für unsere politischen Diskussionen über die Bundeswehr, über ihre
Neuausrichtung und damit auch über den vorliegenden
Haushalt. Mitten in dieser Neuausrichtung können wir
mit den Haushaltsberatungen ein Zeichen setzen, dass
wir viel über die Neuausrichtung debattieren können und
müssen, dass aber der Weg und das Ziel richtig sind, und
insbesondere, dass die Bundeswehr von einem breiten
Konsens in diesem Deutschen Bundestag getragen wird.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, die heutige Haushaltsberatung und die zunehmend feiner werdende Planung der Reform der Bundeswehr bringen uns zu anderen Erkenntnissen. Wir fragen uns zunehmend: Was für einen Sinn hat diese
Reform überhaupt noch? Sie sagen hier: „Von über
6 000 Organisationseinheiten werden 5 000 neu aufgestellt.“ Es geht hier doch nicht um einen Leistungsnachweis. Es stellt sich eher die Frage: Ist es notwendig, dass
so viele Menschen den Wandel mitmachen müssen?
Ginge es nicht auch anders? - Diese Frage ist deshalb
berechtigt, weil Sie die beiden Hauptziele Ihrer Reform
überhaupt nicht erreichen:
Die Sparvorgabe wird nicht erreicht; das können wir
verstehen; wir haben Ihnen von Anfang an gesagt: Sie
brauchen mehr Geld. Dies war unsere Prognose. Dabei
war die Sparvorgabe doch der Auslöser dieser Reform.
Die zweite Vorgabe, dass die Bundeswehr am Ende
dieser Reform mit weniger Personal leistungsfähiger
wird, wird ebenfalls nicht erreicht. Jeder weiß: Die Bundeswehr wird weniger können, und das, was sie leistet,
ist in hohem Maße darauf zurückzuführen, dass die Soldaten bereit sind, hohe Belastungen, manchmal auch unverantwortliche Belastungen, wenn es um die Einsatzdichte geht, auf sich zu nehmen.
Hier passt vieles nicht zusammen. Die verteidigungsinvestiven Ausgaben sinken trotz steigendem Haushalt
auf ein so niedriges Niveau wie noch nie zuvor. Damit
wird auch eine falsche Entscheidung für die Zukunftsfähigkeit und Modernität der Streitkräfte getroffen.
Es ist zwar gut, Herr Minister, dass Sie zuhören, wenn
die Soldaten etwas sagen - das haben Sie heute versprochen -; aber es ist doch nicht die Erwartung, dass Sie
Verständnis zeigen. Die Erwartung ist, dass Sie berechtigte Einwände aufnehmen und die objektiven Fehler der
Reform, die die Soldaten erkennen, korrigieren. Bisher,
Herr Minister, haben wir Sie und Ihre Berater in diesem
Bereich eher starr, eher dogmatisch erlebt. Die Ratschläge der Experten wurden beiseitegewischt.
Heute sagen Sie: Es ist normal, dass es in einer Organisation im Wandel zu einer schlechten Motivation
kommt und dass sie ein kritisches Bild abgibt. - Natürlich ist der Wandel eine der Ursachen für die Probleme.
Denkt man Ihre Aussage zu Ende, heißt das aber auch:
Eigentlich haben die Soldaten nur nicht verstanden, worum es geht. Herr Minister, ich sage Ihnen: Die Soldaten
haben verstanden, worum es geht. Sie haben begriffen,
dass von oben nach unten über sie eine Reform gestülpt
wird und dass sie eben nicht mitgenommen, nicht einbezogen werden.
({0})
Jetzt müssten bei Ihnen doch alle Alarmglocken läuten.
Wer, wie viele Verteidigungspolitiker, ständig in den
Standorten unterwegs ist, stellt fest, dass das Ergebnis
der Befragung durch den BundeswehrVerband eigentlich
ziemlich identisch mit dem ist, was uns die Soldaten jeden Tag erzählen.
In den Gesprächen mit den Soldaten ist mir zunächst
folgender Punkt aufgefallen: Die Soldaten beklagen die
mangelnde Wertschätzung durch die Politik. Ich entgegne dann immer: Die Politik gibt es nicht. Es gibt unterschiedliche Verantwortlichkeiten und unterschiedliche
Zuständigkeiten. Es gibt das Parlament, das den Haushalt aufstellt. Aber vergessen Sie bitte nicht, liebe Soldatinnen und Soldaten: Es war die jetzige Bundesregierung
und nicht das Parlament, die eine Sparvorgabe von
8,5 Milliarden Euro gemacht hat - ohne Not zu einem
völlig ungeeigneten Zeitpunkt.
({1})
Herr Minister, überall dort, wo die Soldaten zu Recht
die Umsetzung der Reform kritisieren, ist natürlich Ihr
Haus und sind Sie selbst in der Verantwortung. Die Soldaten bemängeln aber gerade, dass die Bundesregierung
in ihrer Gesamtheit sich nicht um diese Reform kümmert. Die Soldaten haben gemerkt, dass die Bundeskanzlerin einen jungen, stürmischen Verteidigungsminister
hat laufen lassen, der ohne gute und kluge Überlegungen
die Wehrpflicht einfach ausgesetzt hat, ohne verantwortungsvolle Vorbereitung.
({2})
Die Kanzlerin hat in diesem Bereich nicht interveniert.
({3})
Herr Minister, die Soldaten kapieren auch sehr wohl,
dass Ihre Überschrift über die Reform „Breite vor Tiefe“
am Ende bedeutet, dass die Bundeswehr mit weniger
Geld, weniger Personal, weniger Ausstattung mehr leisten soll und dass die Belastung für die Soldatinnen und
Soldaten da am Ende nur steigen kann.
90 Prozent der Soldaten - das ist für mich die entscheidende Kenngröße - sagen also, Herr Minister: Die
Neuausrichtung bedarf einer baldigen Korrektur. Die
Soldaten wollen zwar eine Reform, wie Sie zu Recht bemerkt haben; sie sagen aber: Diese Reform wird keinen
Bestand haben. - Das heißt, die Soldaten wissen auch,
dass eine neue Regierung notwendig ist, damit im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
die Fehlentscheidungen der vergangenen zwei Jahre korrigiert werden.
({4})
Dann - damit mich niemand falsch versteht! - wird es
uns Sozialdemokraten nicht wieder um eine neue große
Strukturreform gehen, die alles über den Haufen wirft,
die wieder Menschen und Familienplanungen tüchtig
durcheinanderwirbelt. Doch wir müssen bei den grund23042
sätzlichen Vorgaben, die Sie gemacht haben, Herr Minister, nachsteuern. Man muss bei vielen Details bei der
Ausplanung der Bundeswehrreform nachjustieren. Statt
um eine große Reform, die alles durcheinanderbringt,
geht es jetzt schrittweise um Veränderungen. Die wichtigsten Punkte möchte ich ganz kurz erwähnen.
Natürlich ist richtig, was im Übrigen auch Ihr Fraktionskollege Dr. Schockenhoff aufgeschrieben hat, dass
wir eine vertiefte Europäisierung der Sicherheitspolitik
brauchen. Herr Minister, ich sehe, dass Sie sich mit Trippelschritten auch darum bemühen; das erkenne ich
durchaus an.
({5})
Aber dort, wo dieses Thema eigentlich angesiedelt ist,
nämlich bei der Bundeskanzlerin und beim Außenminister, herrscht Funkstille. Es kommt kein einziger Impuls,
wenn es um eine vertiefte europäische Sicherheitspolitik
geht. Dies werden wir ändern müssen.
({6})
Wenn es richtig ist, dass wir eine vertiefte europäische Sicherheitspolitik und Kooperation brauchen, dann
ist „Breite vor Tiefe“ logischerweise falsch. Europa bekommt keine fähigen Streitkräfte, wenn jeder abbaut und
jeder am Ende Mittelmaß abliefert.
({7})
Europa bekommt fähige Streitkräfte, wenn die einzelnen
Nationen gut aufeinander abgestimmt Prioritäten setzen,
besondere Fähigkeitsprofile für Europa abliefern. Dann
kann für manches andere „Breite vor Tiefe“ tatsächlich
gelten.
Ich kann das auch an Beispielen festmachen. Die Obleute waren erst vor wenigen Tagen im Südsudan zum
Besuch einer der 16 UNO-Missionen, an denen wir teilnehmen. Wir unterstützen die, die im Sudan unterwegs
sind, eigentlich nicht wirklich. Die brauchen nämlich
keine Infanteristen. Das ist aber die einzige Fähigkeit,
die bei der Reform gestärkt wird. Vielmehr bräuchten sie
dringend Hubschrauber, weil es im Sudan keine Straßen
gibt, Fähigkeiten zur Luftaufklärung, zur Logistik und
zur Nachrichtengewinnung. Statt all dies zu stärken,
Herr Minister, machen Sie es kleiner. Das ist falsch und
muss korrigiert werden.
({8})
Es kommt bei den Soldaten logischerweise auch immer die Frage: Was wird dann, wenn nachjustiert wird,
mit meinem Standort? Natürlich ist vieles von dem, was
Sie entschieden haben, irreversibel. Manches ist auch
durchaus richtig; ich denke etwa an Effizienzsteigerungen. Dazu bedarf es allerdings keiner großen Reform.
Herr Minister, wer den Haushalt anschaut und sieht, dass
der am stärksten, nämlich um 12 Prozent wachsende
Haushaltsposten die Ausgaben für die Liegenschaften
sind, der stellt berechtigterweise die Frage: Sollten wir
nicht die Standortentschließungen, die dazu führen, dass
an anderer Stelle massiv investiert und gebaut werden
muss, nochmals auf den Prüfstand stellen? Möglicherweise ist es ja zumindest an der einen oder anderen
Stelle billiger, Bestehendes, wo die Infrastruktur da ist,
zu belassen, als Soldaten ohne Not quer durch die Republik zu versetzen und zusätzlich Kosten zu produzieren.
({9})
Wir werden dort, wo es bei den Statusgruppen bei den
Soldaten tiefgreifende Verwerfungen gibt - das ist ja der
Fall; die Hauptlast dieser Reform tragen diejenigen, die
im Alltag der Bundeswehr den Karren ziehen, nämlich
die Unteroffiziere und die Unteroffiziere mit Portepee -,
nachjustieren müssen. Man muss schon einmal genau
schauen, warum es am Ende Ihrer Reform in der Relation mehr Offiziere gibt als in der Vergangenheit. Man
muss schon einmal genau nachschauen, warum vor dem
Hintergrund einer kleiner werdenden Bundeswehr bei
den Stabsoffizieren im Grunde genommen überhaupt
nicht gekürzt wird.
Bei dieser Reform passt also vieles nicht zusammen.
Herr Minister, Sie haben von Attraktivität gesprochen. Das ist ein wichtiges Thema. In Ihren Schubladen
liegen viele Ideen. Aber um Attraktivität wirklich zu
sichern, sind Anstrengung zusammen mit dem Parlament und seinen Haushältern nötig. Doch Sie ruhen sich
im Augenblick ein bisschen darauf aus, dass die Bewerberzahlen noch gut sind.
({10})
Die Soldaten haben in der Umfrage genau das richtige
Gespür bewiesen. Sie wissen, dass es in einer sich verändernden Welt, angesichts einer neuen demografischen
Lage schwer wird, die klugen, die richtigen jungen Leute
für die Streitkräfte zu gewinnen. Dies wird nur gelingen,
wenn wir ein Attraktivitätsprogramm auflegen, das über
einen größeren Zeitraum hinweg, nämlich bis zum Jahr
2020, in Etappen, Jahr für Jahr verlässlich vorgibt, welche Attraktivitätsmaßnahmen kommen, und das solide
und seriös im Haushalt abgebildet ist.
({11})
Dies ist notwendig, weil die Menschen, die sich für den
Beruf des Soldaten entscheiden sollen und wollen, Planungssicherheit für ihre Laufbahn und ihre Familie brauchen. Deshalb muss bei dieser Attraktivitätsdebatte
natürlich auch die Frage, wie Familie und Soldatenberuf
besser miteinander zu vereinbaren sind, ein gutes Stück
weit im Mittelpunkt stehen.
({12})
Ein Letztes, Herr Minister: Eigentlich fehlt eine Umfrage für die Zivilbeschäftigten. Ich bin davon überzeugt, dass das Ergebnis dort ein wirkliches Desaster
wäre; denn die Zivilbeschäftigten haben nicht nur den
Eindruck, dass manchmal über ihre Köpfe hinweg reformiert und geändert wird. Sie haben auch den Eindruck,
dass manchmal mit ihren Sorgen und mit ihrer Zukunft
recht kaltherzig umgegangen wird,
({13})
und zwar in der Art und Weise, wie man kommuniziert,
wie man den Personalrat einbindet und wie man rechtliche, verfassungsrechtliche Bedenken aufnimmt. All
dies ist Realität.
Herr Minister, es liegt bei Ihnen: Die Vereinbarung
zwischen den Ressorts, wonach Sie mehr als 5 000 Zivilbeschäftigte an andere Ressorts abgeben wollen, ist reif
zur Unterschrift. Wir bitten Sie aber dringend, diese
Entscheidung noch einmal zu überdenken und dieses
vermeintliche Reformwerk nicht wenige Wochen vor
der nächsten Bundestagswahl - so ist es nämlich vorgesehen - in Kraft zu setzen.
Haben Sie in den letzten Monaten, als der Finanzminister angefangen hat, Besteuerungsideen für Reservisten, für freiwillig Wehrdienstleistende zu entwickeln,
nicht gemerkt, dass das Personalwesen und die Abrechnung des Personals in diesem Ressort nicht gut aufgehoben wären, weil dort kein Verständnis für die soldatischen Belange und die Besonderheiten vorhanden ist?
({14})
Dies sieht man auch im Alltag: Im Finanzministerium
dauert es im Regelfall 90 Tage, bis Gesundheitskosten
zurückerstattet werden.
({15})
Im Verteidigungsressort hingegen dauert es nur 21 Tage.
Dafür gibt es dort sogar eine entsprechende Anweisung.
Für jeden Tag, den das länger dauert, müssen die Soldaten selbst das Geld verauslagen. Wollen Sie diesen wichtigen Bereich, der etwas mit Qualität und Berufszufriedenheit zu tun hat, wirklich in ein solches Ressort
abgeben, Herr Minister?
({16})
Lassen Sie die Unterschrift sein! Geben Sie einer
neuen Regierung die Chance, diesen schwerwiegenden
Fehler wieder zu korrigieren, wenn Sie selbst schon
nicht die Kraft dafür haben!
Am Ende bleibt in der Tat: Das Wichtigste bei allen
Reformen, bei allen Nachsteuerungen und Nachjustierungen wird sein, die Soldaten mitzunehmen und sie
nicht nur verbal wertzuschätzen. Natürlich ist auch das
wichtig. Der Beruf verdient durch uns alle Anerkennung,
gerade bei einer Parlamentsarmee; das ist wichtig. Die
Soldaten müssen das hören und auch spüren. Aber am
Ende kommt es natürlich schon darauf an, ob nach dem
Hören auch Konsequenzen gezogen werden, ob die Soldaten das Gefühl haben, ihr Wissen, das, was sie im Alltag erleben, wird angenommen und ein Stück weit als
Expertise genutzt, um eine gut aufgestellte Bundeswehr
zu organisieren.
Herzlichen Dank.
({17})
Jürgen Koppelin ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Arnold, um eines gleich zu sagen: Ich fand es
sehr unpassend, dass Sie gesagt haben, die Bundeskanzlerin und der Außenminister engagierten sich nicht für
die Bundeswehr.
({0})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Die Bundeskanzlerin, der Bundesverteidigungsminister und der Außenminister sorgen jetzt dafür, dass unsere Soldaten so
schnell wie möglich aus Afghanistan zurückkommen.
Das ist doch eine große Leistung. Damit zeigen sie doch,
dass sie zur Bundeswehr und zu unseren Soldaten stehen.
({1})
Das sollten Sie nicht verkennen.
Wir haben ein großes Reformwerk vor uns. Wichtige
Entscheidungen sind aber erst seit dem 1. April wirksam. Es ist etwas früh, wenn man jetzt schon Umfragen
durchführt; aber das kann man natürlich machen. Ich
finde es positiv, wenn zwei Drittel der Befragten sagen:
Dieses Reformwerk muss sein, ist wichtig, ist richtig.
Die Hälfte der Befragten sagt sogar, die Neuausrichtung
der Bundeswehr verbessere prinzipiell die Einsatzfähigkeit der Truppe. Das sind positive Zahlen. Es ist aber
doch wohl auch selbstverständlich, dass die Soldaten
dann ihre Sorgen und Nöte äußern, dass sie sagen: Was
passiert mit mir persönlich und mit meiner Familie? Wie
sieht es mit diesem und jenem aus? Um diese Sorgen
müssen wir uns kümmern; das Ministerium hat schon
entsprechend darauf reagiert.
Wir haben ebenfalls schon im Haushalt 2012 - wir
setzen das im Haushalt 2013 fort - im Hinblick auf dieses Reformwerk reagiert. Wir haben einen großen Beförderungsstau abgebaut. Kollege Arnold, das wissen Sie
natürlich nicht, weil Sie nicht in den Haushalt geguckt
haben. Wir haben berechtigte Sorgen der Soldaten aufgegriffen. Wir haben beim Sanitätswesen etwas gemacht. Wir haben Angebote für die Familien geschaffen.
Wir kümmern uns um die Familienangehörigen, wenn
einer aus der Familie im Auslandseinsatz ist. Wir kümmern uns um diejenigen, die aus dem Auslandseinsatz
zurückkommen.
Vieles kann besser gemacht werden; das ist gar keine
Frage. Da ist auch das ein oder andere zu kritisieren. Das
tun wir auch und sagen: Wir wollen es besser machen.
Aber man kann nicht sagen, dass wir uns nicht um die
Bundeswehr und die Soldaten kümmern. Wir setzen das
mit dem Haushalt 2013 fort; davon können Sie ausgehen. Dazu gehört auch, dass wir uns um Beförderungs23044
stau, falls es ihn noch geben sollte, kümmern werden.
Das ist ganz wichtig. Die Bundeswehr muss attraktiv
sein, vor allem, weil sie auch im Wettbewerb mit der
freien Wirtschaft steht. Das ist doch völlig klar.
({2})
Da sind wir uns in der FDP-Fraktion völlig einig.
Wir haben das Bundeswehrreform-Begleitgesetz beschlossen. Aber das heißt doch nicht, dass wir uns nun
ausruhen. Wir werden immer wieder schauen: Funktioniert dieses Gesetz, oder müssen wir Verbesserungen
vornehmen? Da fällt mir jetzt schon das eine oder andere
ein. Das ist doch ganz klar. Wir haben es erst einmal auf
den Weg gebracht. Wir werden natürlich das Gespräch
mit den Soldaten suchen und gegebenenfalls Verbesserungen vornehmen. Eines kann aber nicht sein: Im Zuge
dieser Reform darf keine Dauerbaustelle entstehen. Insofern unterstütze ich, was der Minister gesagt hat: Es
muss zügig vorangehen.
Nun kommt der Kollege Arnold und beklagt: Wo sind
denn die Einsparungen? Was ist denn mit all diesen Dingen, die man vielleicht einmal geplant hat? Kollege
Arnold, ich will Ihnen sagen: Wenn wir nicht die großen
Probleme hätten, die Sie uns zum Beispiel mit Ihrem
Verteidigungsminister Scharping eingebrockt haben,
dann hätten wir schon viel Geld gespart.
({3})
- Ich nenne Ihnen doch Beispiele.
Nehmen Sie einmal die GEBB. Die GEBB sollte zu
einer höheren Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr führen.
Ich kann im Bundeshaushalt nichts von einem Erfolg der
GEBB erkennen. Die GEBB ist doch Ihr Produkt gewesen.
({4})
Die Verkleinerung des Fuhrparks der Bundeswehr ist
doch die Idee Ihres Ministers Scharping gewesen. Der
Rechnungshof sagt: Da können wir über 1 Milliarde
Euro einsparen. Schauen Sie einmal, was alles beim
Bundeswehrfuhrpark geschieht. Daher kommt teilweise
auch der Frust der Soldaten.
Der Frust der Soldaten kommt auch daher, dass sie
sich mit Herkules beschäftigen müssen. Herkules ist, um
es einmal deutlich zu sagen, auch eines Ihrer Produkte.
Wenn Sie mit der Truppe sprechen, dann erfahren Sie:
Daher kommt der Frust.
({5})
Dann sage ich etwas zu der Idee, die Rot-Grün umgesetzt hatte, nämlich die Schaffung der BImA. Auch darunter leidet die Bundeswehr; auch sie ist eines Ihrer
Produkte. Wenn wir sie nicht hätten, könnten wir ebenfalls Geld sparen; das ist jedenfalls meine Überzeugung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Verteidigungsminister, ich muss zwei Punkte ansprechen, die aus Sicht
meiner Fraktion bei dieser Debatte wichtig sind. Ich bin
ganz erstaunt, dass der Kollege Arnold nicht darüber
gesprochen hat.
Erster Punkt - das will ich hier auch aus aktuellem
Anlass sehr deutlich sagen, Herr Minister -: Seit längerem vertritt die Fraktion der Freien Demokraten die Auffassung, dass wir den Militärischen Abschirmdienst
nicht mehr brauchen. Diese unsere Haltung ist in den
letzten Tagen bestätigt worden.
({6})
Ich bin der Auffassung: Der Militärische Abschirmdienst ist eine Einrichtung aus der Zeit des Kalten Krieges. Wir brauchen ihn nicht mehr. Man wird sich im Vertrauensgremium damit beschäftigen müssen; aber auch
wir Haushälter müssen uns damit beschäftigen. Der
Militärische Abschirmdienst ist überflüssig.
({7})
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Bei
der Neuausrichtung der Bundeswehr ist genau festgeschrieben worden, welche Aufgaben ein Generalinspekteur hat, welche Aufgaben die einzelnen Inspekteure
haben. Insofern bin ich, Herr Verteidigungsminister, sehr
erstaunt, dass ein Luftwaffeninspekteur öffentlich erklären kann, wir sollten bewaffnete Drohnen beschaffen
und diese vor allem in den USA bestellen. Es ist schlicht
und ergreifend nicht seine Aufgabe, in die Öffentlichkeit
zu treten und das zu fordern.
({8})
Das entscheidet immer noch das Parlament. Meine Fraktion ist durchaus für den Kauf unbewaffneter Drohnen,
vielleicht sogar mit der Option, sie bewaffnen zu können, darüber werden wir diskutieren.
Bei den Äußerungen des Luftwaffeninspekteurs hat
mir allerdings ein wichtiger Aspekt gefehlt - das will ich
hier in aller Deutlichkeit sagen -: Bevor wir sie beschaffen, möchte ich, dass eine ethische Diskussion über den
Einsatz von bewaffneten Drohnen geführt wird.
({9})
Ich möchte ausdrücklich auf das verweisen, was der katholische Militärbischof Overbeck - man kann das nachlesen - auch heute noch einmal zum Thema Einsatz
bewaffneter Drohnen gesagt hat; dafür bin ich ihm
- ausnahmsweise mal - sehr dankbar. Ich bin der Auffassung: Bevor wir bewaffnete Drohnen beschaffen,
müssen wir darüber diskutieren.
Ich sage aber deutlich: Es ist nicht die Aufgabe eines
Inspekteurs der Luftwaffe, in der Öffentlichkeit eine
Pressekonferenz abzuhalten und uns zu erklären, wir
müssten bewaffnete Drohnen kaufen, am besten noch in
den USA. Herr Minister, Sie sollten ihn darauf hinweisen, was laut Dresdner Erlass seine Aufgabe ist.
Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben sehr
deutlich gesagt, wie die Neuausrichtung der Bundeswehr
gestaltet werden soll. Wir haben Sie dabei immer unterstützt. Das ist ein großes Reformvorhaben. Sie können
sich darauf verlassen, dass die Koalitionsfraktionen und
namentlich auch meine Fraktion, die FDP-Bundestagsfraktion, Sie dabei bei den Haushaltsberatungen sehr
stark unterstützen werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gesine Lötzsch für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich will es zu Beginn gleich klar
sagen: Wir als Linke sind der Auffassung, dass im Einzelplan 14 deutlich gestrichen werden muss, sowohl im
Personalbereich als auch bei den Beschaffungen.
({0})
Ich beginne mit einem konkreten Beispiel. Bundeswehroberst Klein wird nach dem Willen des Verteidigungsministers im nächsten Jahr zum Brigadegeneral
befördert.
({1})
Das macht für den Offizier Klein im Monat mindestens
1 300 Euro mehr aus. Dieser Aufwuchs ist höher als das
Gesamtgehalt, das ein Koch in Ostdeutschland nach
zehn Berufsjahren bekommt.
({2})
Als Brigadegeneral erhält er dann mindestens
8 250 Euro im Monat aus der Steuerkasse. Die beiden
von mir genannten Zahlen sagen mehr über die Arbeit
der Bundesregierung aus als alle Zahlen im Haushaltsentwurf 2013 zusammen.
Worum geht es hier nämlich?
({3})
Der Offizier Klein hatte vor drei Jahren in Afghanistan
den militärisch sinnlosen und brutalen Befehl zur Bombardierung von zwei Tanklastzügen in der Nähe von
Kunduz gegeben.
({4})
- Sie sollten nicht dazwischen brüllen, sondern sich
schämen und sich an das erinnern, was damals geschah.
({5})
Mehr als hundert Menschen starben, darunter viele
Frauen und Kinder. Welches Signal wollen die Bundesregierung und ihr Verteidigungsminister mit dieser Beförderung an die Soldaten und Offiziere der Bundeswehr
senden? Erst bomben, dann denken?
({6})
Oder: Rücksichtsloses Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung schadet definitiv nicht der Karriere, sondern befördert sie?
({7})
Die Linke wird einen Antrag in die Haushaltsberatung
einbringen, um die Beförderung von Oberst Klein zu
stoppen.
({8})
Wir sind nicht bereit, diese schreckliche Tat auch noch
mit Steuergeldern zu belohnen.
({9})
Auch wenn der Minister gesagt hat, wir wollen heute
nicht über Afghanistan reden: Ich finde seine Aufforderung im Rahmen der Debatte über den Verteidigungshaushalt völlig verfehlt. Wir alle wissen: Die Bundeswehr ist nicht in Afghanistan, um Schulen oder
Krankenhäuser zu bauen;
({10})
die Bundeswehr ist in Afghanistan, um einen Krieg zu
führen, der schon unzählige Opfer gefordert hat. Dabei,
meine Damen und Herren, denke ich nicht nur an die
zivilen Opfer, sondern auch an die deutschen Soldaten,
denen in diesem und anderen Auslandseinsätzen ihr
Leben gestohlen wurde.
Die Bundesregierung hat mir die Auskunft gegeben,
dass 23 deutsche Soldaten in Afghanistan und 34 deutsche Soldaten beim ISAF-Einsatz ihr Leben verloren
haben. Ein Drittel der getöteten Soldaten stammte aus
Ostdeutschland. Michael Wolffsohn, Professor an der
Universität der Bundeswehr, beklagte die „Ossifizierung“ der Bundeswehr. Darüber hat sich der Verteidigungsminister de Maizière maßlos empört.
({11})
- Mit Recht, da gebe ich Ihnen recht. Doch offensichtlich ist die Bundeswehr für viele Ostdeutsche, aber auch
für viele Migranten die einzige Chance, in Lohn und
Brot zu kommen. Wenn das so ist, dann zeigt das, dass in
unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist.
({12})
Zu den Beschaffungen. Die Bundeswehr soll den
neuen Bedrohungslagen angepasst werden. Das klingt
erst einmal logisch, aber warum hält die Bundesregierung dann weiterhin an Rüstungsprojekten fest, die im
letzten Jahrtausend, als der Kalte Krieg noch tobte, konzipiert wurden?
({13})
Nur ein Beispiel: Den Eurofighter findet man das erste
Mal 1988 im Bundeshaushalt. Das ist jetzt 24 Jahre her.
Seit dem hat sich die Welt dramatisch gewandelt. Der
Kalte Krieg ist Gott sei Dank vorbei. Trotzdem halten
Sie an diesem Dinosaurierprojekt fest und überziehen
bei den Ausgaben maßlos.
Im Jahr 2011 sollten laut Haushaltsplan 555,3 Millionen Euro für die Beschaffung dieser teuren Museumsstücke ausgegeben werden. Das war der Plan. Ausgegeben
wurden tatsächlich 1,2 Milliarden Euro, also mehr als
das Doppelte. Das ist das Gegenteil von solider Haushaltswirtschaft. Unseriös ist ein sehr vornehmes Wort
dafür.
({14})
Wer sich die Preisexplosion bei der Herstellung der
Rüstungsprojekte anschaut, weiß, dass es der Bundesregierung nicht unbedingt nur um die Beherrschung
neuer Bedrohungssituationen geht, sondern auch um das
Bedienen alter Seilschaften in der Rüstungsindustrie, die
gerne einmal für CDU, CSU und FDP üppige Spenden
auf die Parteikonten überweisen.
({15})
- Gucken Sie einmal in Ihr Spendenbuch, Herr Koppelin,
bzw. fragen Sie einmal Ihren Schatzmeister, Herrn
Fricke. Der kann Ihnen das bestätigen.
({16})
Die Kanzlerin fordert bei jeder Gelegenheit: Krisenländer sollten endlich ihre Haushalte in Ordnung bringen. Ich habe aber von ihr nie die Forderung gehört, dass
die Rüstungshaushalte der EU-Länder drastisch zu reduzieren wären, um so einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten. Viele Krisenlösungen, die die Bundeskanzlerin anbietet, können nicht auf unser
Einverständnis stoßen. Wenn sie aber diesen Punkt in
den Vordergrund stellen würde, dann würden wir sie unterstützen.
Wir werden in den Haushaltsberatungen dafür kämpfen, dass der aufgeblähte Rüstungshaushalt auf Normalmaß geschrumpft wird. Ich zähle auf die Unterstützung
aller Vernünftigen in diesem Parlament.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Dr. Tobias Lindner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Vorgänger,
Herr Minister, sagte im Mai 2010 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, dass die zukünftige
Streitkräfteplanung durch die Realität des - Zitat - „Design to Cost“ bestimmt würde. Was meinte er damit? Die
zukünftige Streitkräfteplanung muss sich nicht nur mit
dem Fakt beschäftigen, welche Fähigkeiten die Bundeswehr der Zukunft braucht. Nein, sie muss sich auch mit
dem Fakt beschäftigen: Wie kann die Bundeswehr den
Vorgaben der Schuldenbremse gerecht werden?
Sie, Herr de Maizière, haben in Ihrer Regierungserklärung davon gesprochen, dass Sie die finanziellen
Mittel der Bundeswehr mit ihrem Auftrag in Einklang
bringen wollen. Heute müssen wir uns angesichts des
Etatentwurfs für 2013 die Frage stellen: Hat die Bundesregierung mit diesem Etatentwurf dieses von Ihnen ausgegebene Ziel erreicht oder eher verfehlt?
Der Einzelplan 14 wächst und wächst. Er erbringt keinen Sparbeitrag. Schaut man sich die mittelfristige Finanzplanung an, dann weiß man, dass er ihn auch nicht
erbringen wird. 2016 liegen wir immer noch über sage
und schreibe 32 Milliarden Euro. Das sind 4,8 Milliarden Euro mehr als Ihre ursprüngliche Planung. Kommen
Sie jetzt bitte nicht mit Argumenten wie Gehaltserhöhungen oder BImA-Effekt. Die Tatsache, dass es zu Gehaltserhöhungen kommt, begrüßen wir selbstverständlich. Dass Gehälter von Zeit zu Zeit erhöht werden,
kommt für Sie anscheinend so überraschend wie Weihnachten am 24. Dezember.
({0})
Nein, die Sparvorgaben in Höhe von 8,3 Milliarden
Euro, von denen Karl-Theodor zu Guttenberg einmal
sprach, wirken heute eher wie eine Beruhigungspille für
die Klientel von Schwarz-Gelb, um die Abschaffung der
Wehrpflicht zu rechtfertigen. Die Bundesregierung hat
ihren eigenen Anspruch kläglich verfehlt.
({1})
Kommen wir jetzt zur eigentlichen Reform. Die Neuausrichtung - das stimmt - ist im vollen Gange. Man
sieht es im Haushaltsplan an zahlreichen Stellen. Das
Kommando Heer wurde gestern aufgestellt. Das MinisDr. Tobias Lindner
terium wurde im April umstrukturiert. Weitere Änderungen kommen im Herbst auf uns zu.
Strukturen neu zu denken und zügig umzusetzen, ist
die eine Sache. Aber Sie müssen die Soldatinnen und
Soldaten und die Zivilbediensteten dabei dringend mitnehmen. Hier hapert es nach Ansicht meiner Fraktion
noch gewaltig.
Bereits im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass Sie mit
Ihrer Informationspolitik an einigen Stellen nicht hinterherkommen. Bei größeren Umstrukturierungen wussten
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in manchen Fällen
teilweise Tage vorher gar nicht, wo sie in Zukunft arbeiten würden. Wir fordern Sie auf: Legen Sie ein größeres
Augenmerk auf die Kommunikation nach innen! Entscheiden Sie nicht einfach über die Köpfe Ihres Personals und deren Familien hinweg! Nehmen Sie sie mit!
({2})
Das Thema Beschaffung ist in dieser Debatte bereits
angesprochen worden. Hier liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Das ist eine wahre Großbaustelle. Der Bundesrechnungshof spricht beispielsweise von Planlosigkeit bei der Beschaffung von Handwaffen. Wenn Sie
Geld in Waffen und Gerät investieren, das sich dann als
mangelhaft herausstellt und auch noch zu höheren Kosten führt, dann wundert es mich nicht, dass der Verteidigungshaushalt keinen Konsolidierungsbeitrag erwirtschaften kann.
Eine weitere Herausforderung liegt in Großprojekten,
die aus dem letzten Jahrtausend stammen und bei denen
wir nicht mehr sicher sein können, ob wir sie überhaupt
noch brauchen. Wir brauchen zum Beispiel nicht unbedingt einen Hubschrauber, der gebaut bzw. konzipiert
wurde, um eine sowjetische Panzerarmee in Niedersachsen zu bekämpfen.
Gut und richtig ist, dass Sie, Herr Minister, in Neuverhandlungen mit der Industrie eingetreten sind. Beim
Puma haben Sie eine Reduktion der Stückzahlen erreicht. Das war zwingend notwendig. Hier darf aber
nicht Schluss sein. Wir müssen uns auch den Themen
Tiger und NH-90 widmen und auch hier zu einer Reduzierung der Stückzahlen kommen.
({3})
Lassen Sie mich, da wir darüber reden, wo bei der
Bundeswehr gespart werden und wo man konsolidieren
kann, dazu nur zwei Themen ansprechen:
Zunächst einmal komme ich natürlich zum Thema
Drohnen. Mir muss einmal jemand erklären, warum die
Bundeswehr überhaupt Kampfdrohnen brauchen sollte.
Aus meiner Sicht sind sie weder finanzierbar noch sinnhaft an dieser Stelle.
({4})
Zum Thema Aufklärungsdrohnen. Herr Koppelin hat
sich ja schon geäußert, dass er sich vorstellen könne,
dass eine europäische EADS-Drohne entwickelt wird.
Wir sollten ernsthaft überlegen, ob wir Aufklärungsdrohnen kaufen oder ob wir das bewährte Leasingmodell, das wir in Afghanistan einsetzen, fortführen sollten.
Ich komme zum Schluss.
({5})
Um im Verteidigungshaushalt tatsächlich einen Konsolidierungsbeitrag zu erwirtschaften, müssen wir uns ernsthaft fragen, was überflüssige Fähigkeiten sind. Ähnlich
wie die sicherheitspolitisch nicht mehr begründbare
Wehrpflicht halten wir auch die nukleare Teilhabe für
eine überflüssige Fähigkeit.
({6})
Mustern Sie Ihre Atombomber endlich aus! Sorgen
Sie dafür, dass Deutschland eine atomwaffenfreie Zone
wird! Die nukleare Teilhabe ist teuer und überflüssig.
Sie dient nicht unserer Sicherheit. Im Gegenteil: Die nukleare Teilhabe ist eine Gefahr für unsere Sicherheit. Beenden Sie diese!
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt, der heute hier von der
Bundesregierung vorgelegt wird, unterstreicht das Reformversprechen, die Bundeswehr zu verkleinern und
die frei werdenden Ressourcen zu nutzen - nicht nur um
zu sparen, sondern vor allem auch, um die Bundeswehr
besser auszurüsten und den Dienst für die Soldaten attraktiver zu machen. Der Minister hat einige Attraktivitätsmaßnahmen genannt.
Wir werden uns in den parlamentarischen Beratungen, die nun folgen, intensiv mit den einzelnen Haushaltspositionen beschäftigen und dabei ein besonderes
Augenmerk auf den Schutz, die Betreuung und die Versorgung unserer Soldaten im Einsatz legen. Das ist das
Thema, das uns in erster Linie beschäftigt.
Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich
beim Wehrbeauftragten bedanken, der diesem Thema
mit großem Engagement nachgeht und uns immer wieder wertvolle Hinweise dafür gibt.
({0})
Neben den Einsätzen beschäftigt uns vor allem die
Bundeswehrreform. Kurz vor der Sommerpause haben
wir hier das Reformbegleitgesetz verabschiedet. In der
gleichen Woche hat die Bundeswehr die Planung vorgelegt, wie die Stationierungsentscheidungen letztendlich
umgesetzt werden.
Das heißt, bei der Umsetzung der Reform stehen wir
noch immer relativ nah am Anfang. Die meisten Soldaten befinden sich noch in den alten Strukturen, die auf
250 000 Soldaten ausgelegt sind. Tatsächlich gibt es innerhalb der Strukturen, die wir haben, im Moment aber
nur noch 196 000 Soldaten, weil die zahlreichen Wehrpflichtigen ja bereits weg sind. Das heißt, dass die Soldaten, die jetzt da sind, diese Lücke im Inland schließen
müssen. Gleichzeitig haben sie eine große Belastung
durch Einsätze im Ausland, und außerdem müssen sie
auch noch die Reform vorbereiten. Dass das im Moment
keine zufriedenstellende Situation ist, ist klar. Das merken wir bei jedem Truppenbesuch.
Insoweit waren wir vom Tenor der Umfrage des BundeswehrVerbands nicht überrascht. Wir werden die Hinweise sehr genau prüfen und aufnehmen. Ehrlicherweise
müssen wir aber sagen, dass wir an dieser Situation
kurzfristig nichts ändern können. Ich bitte daher die Betroffenen, den neuen Strukturen, über die nicht fernab
von Gut und Böse entschieden worden ist, sondern in die
auch sehr viel militärischer Sachverstand eingeflossen
ist, eine Chance zu geben.
Eine Frage in der Umfrage des BundeswehrVerbands
lautete - auch der Kollege Arnold ist darauf eingegangen -, ob die Neuausrichtung der Bundeswehr nach Auffassung der Befragten innerhalb der Bundesregierung
eher als Gesamtaufgabe oder als spezifische Aufgabe
des Verteidigungsministeriums angesehen wird. Natürlich ist die Neuorganisation erst einmal Aufgabe des
BMVg. Dort ist der Sachverstand, und dort liegt auch die
Verantwortung dafür. An den Stellen aber, an denen wir
in der Vergangenheit im Parlament die Unterstützung der
anderen Ressorts gebraucht haben, haben wir sie auch
bekommen.
({1})
Ich nenne als Beispiel das Reformbegleitprogramm,
in dem zahlreiche Sonderregelungen und Ausnahmen für
die Soldatinnen und Soldaten gemacht worden sind. Ich
nenne auch diesen Haushaltsentwurf. Wir haben als großes, übergreifendes Regierungsziel die Einhaltung der
Schuldenbremse. Ein solcher Haushalt, der in Zeiten, in
denen wir eigentlich konsolidieren müssten, aufwächst,
wäre ohne die Solidarität der Kollegen aus den anderen
Ressorts nicht möglich. Dafür möchte ich mich an dieser
Stelle ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen
aus den anderen Ressorts bedanken.
({2})
Aber es gibt auch positive Nachrichten. Trotz der momentan schwierigen Situation in Bezug auf die Reform
und trotz zahlreicher alternativer Angebote auf dem Arbeitsmarkt ist der Zulauf zur Bundeswehr ungebrochen.
({3})
- Noch. Aber Sie haben die Situation schon im letzten
und vorletzten Jahr schwarzgemalt.
({4})
Gegenwärtig ist es aber so, dass - Stand heute - bereits
83 Prozent des Bedarfs an Zeitsoldaten - das sind immerhin 15 600 Soldaten - gedeckt werden konnten. Im
gesamten Jahr 2012 rechnet die Bundeswehr mit über
40 000 externen Bewerbern.
Frau Kollegin Lötzsch, Sie haben die Frage angesprochen, wer zur Bundeswehr geht. Ich lese Ihnen einmal
vor, welchen Bildungsabschluss die FWDLer haben
- das sind die freiwillig Wehrdienst leistenden Soldaten -,
die zum Juli ihren Dienst angetreten haben: 49 Prozent
haben die Hochschulreife, 25 Prozent die mittlere Reife
und 19 Prozent einen Berufsabschluss.
({5})
Das ist nicht schlecht. So schlecht kann also das Angebot, das wir den jungen Leuten machen, nicht sein, und
wir sollten das hier auch nicht schlechtreden.
({6})
Lassen Sie mich angesichts der momentan laufenden
ILA auch einen Blick auf die rüstungspolitischen Herausforderungen werfen. Auch wenn die Industrie
manchmal anderes verlauten lässt: Die Bundeswehrreform ist kein Sparprogramm für die wehrtechnische
Industrie.
({7})
Im Gegenteil: Ohne die Verkleinerung der Bundeswehr
wäre der Druck, auch in diesem Bereich einzusparen,
viel größer. Wir haben aber einen großen Reformbedarf
beim Rüstungsprozess. Durch die langen Beschaffungsprozesse sind viele Haushaltsmittel langfristig gebunden, zum Teil für Material - Herr Kollege Lindner, Sie
haben das angesprochen -, das vor vielen Jahren bestellt
worden ist, das wir in dieser Form und Menge heute aber
gar nicht mehr brauchen. Wenn es dem Bundesminister
und dem Bundesministerium gemeinsam mit der Industrie nicht gelingt, uns in diesem Bereich mehr Luft zu
verschaffen, fehlt uns der Spielraum, den wir brauchen,
um die Bundeswehr auch für die Zukunft auszurüsten.
Das ist die eine Herausforderung.
Die andere ganz konkrete Herausforderung ist, für die
großen Fragen und für die großen Themen wie unbemanntes Fliegen oder Raketenabwehr internationale Patenschaften zu organisieren, mit denen wir uns die Entwicklung und auch die Beschaffung teilen können. Wenn
wir nur das kaufen, was bereits am Markt verfügbar ist
- am Markt verfügbar heißt ja: im Ausland entwickelt
und produziert, in anderen Armeen bereits eingesetzt -,
dann verlieren wir in Deutschland und in Europa industrielle Kompetenzen und geraten in eine sicherheitspolitische Abhängigkeit, ob wir wollen oder auch nicht.
Auch das kann nicht in unserem Interesse sein.
Wir sind uns dieser Herausforderungen sehr bewusst
und werden sie auch verantwortungsvoll angehen, und
zwar mit Blick auf die Truppe und die Industrie, aber
auch mit Blick auf die Steuerzahler.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Der Kollege Bernhard Brinkmann hat nun für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die relevanten Zahlen des Einzelplans 14 für das Haushaltsjahr
2013 ist bereits hingewiesen worden. Ich will noch einmal ausdrücklich feststellen, dass wir uns heute schon
ein wenig glücklich schätzen können, dass die einige
Zeit im Raum stehenden Sparvorhaben des Vorgängers
von Herrn de Maizière nicht Wirklichkeit werden. Die
SPD-Fraktion hat immer darauf hingewiesen, dass das
nicht leistbar ist. Wenn das die neue Entwicklung ist und
sich das auch zu einem hohen Prozentsatz in der mittelfristigen Finanzplanung widerspiegelt, dann ist das ein
Erfolg und dann sollte man nicht, Frau Kollegin Lötzsch,
mit polemischen Bemerkungen darauf reagieren.
({0})
Es ist schon ein Stückchen peinlich,
({1})
dass Sie trotz der Dinge, die bei der Bundeswehr in den
letzten Jahren seit der Wiedervereinigung passiert sind,
und trotz der Personalreduzierungen, die es gegeben hat,
mit einem Handstreich - die auf der Tribüne sitzenden
Soldaten werden das mitbekommen haben - weitere
Stellenstreichungen fordern. Wie Sie hier mit jungen
Soldatinnen und Soldaten umgehen, die jeden Tag für
unser Land im Einsatz sind, die teilweise den gefährlichen Einsatz im Ausland leisten, wird der Situation nicht
gerecht. Ich weise das, was Sie zu dem Thema gesagt haben, in aller Deutlichkeit zurück.
({2})
Herr Minister de Maizière, Sie haben völlig zu Recht
darauf hingewiesen, dass es in diesem Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2013 einen großen Block
im Bereich der Personalausgaben mit entsprechenden
Steigerungsraten gibt. Das ist unstrittig. Ich sage aber:
Ein Stückchen mehr Ehrlichkeit gehört auch dazu. Wenn
man Sonderzahlungen aussetzt und sie nach einer längeren Zeit als geplant wieder einführt, dann ist das zwar
eine Einkommenssteigerung. Aber die Prozentrechnung,
die von Ihnen durchgeführt worden ist, stimmt dann
nicht.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Reformprozess
der Bundeswehr - auch darauf ist schon hingewiesen
worden - ist in vollem Gang. Ich bin mir aber ganz sicher, eines greift nach wie vor nicht - unter Umständen
reichte die Zeit dafür bisher nicht aus -: das sogenannte
Mitnehmen der Betroffenen vor Ort. Ich will hierzu zwei
einfache Beispiele bringen. Sie liegen Ihrem Hause vor
und machen deutlich, mit was sich unsere Soldatinnen
und Soldaten und auch die Zivilbeschäftigten jeden Tag
außerhalb dieses Reformprozesses zu beschäftigen haben.
Es gibt mitten in Niedersachsen einen großen Truppenübungsplatz. Ich habe 1970 dort einige Male als Soldat gedient. Die dort vorhandenen Geräte für Schießübungen stammen - meine sehr verehrten Damen und
Herren, Sie hören richtig - aus dem Jahre 1950. Daran
hat sich bis heute nichts geändert. Nun gebe ich gerne
zu, in der Zeit von 1950 bis heute waren auch sozialdemokratische Verteidigungsminister im Amt. Trotzdem
stelle ich fest: Wenn es um die Steigerung der Attraktivität geht, dann muss hier dringend gehandelt werden.
Wir sprechen nicht über Unsummen, die den Einzelplan 14 belasten würden. Auf diesem Truppenübungsplatz
verrichten Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte, zum Teil auch mit befristeten Arbeitsverträgen, ihre
Arbeit. Die Arbeitsbedingungen dort sind mit einer modernen und attraktiven Bundeswehr beim besten Willen
nicht mehr vereinbar. Dass modernisiert werden muss,
steht seit über einem Jahr fest. Die zuständige Wehrbereichsverwaltung beschäftigt sich damit, aber es geht
nicht weiter, weil man wohl nicht genau weiß, ob man dafür demnächst noch zuständig ist oder ob man einen
neuen Arbeitskreis gründen muss.
Meine herzliche Bitte an dieser Stelle lautet: Um einer modernen Bundeswehr Rechnung zu tragen - die
Schießausbildung, die dort stattfindet, ist auch für die
Auslandseinsätze wichtig -, sollte das relativ schnell und
zugunsten der Beschäftigten vor Ort geregelt werden. Es
geht dabei um eine Größenordnung von 1,5 Millionen
Euro. Das müsste angesichts des Gesamtetats ohne Weiteres sehr schnell machbar sein.
Zweites Beispiel: Vereinbarkeit von Familie und
Dienst, Stichwort Telearbeitsplätze. Ich gestehe ein, dass
ich nicht viel davon verstehe, aber das, was mir berichtet
worden ist, hat mich sensibilisiert. Auch Telearbeitsplätze tragen zur Steigerung der Attraktivität bei. Ein
junger Offizier beantragte einen solchen Telearbeitsplatz. Wie das so üblich ist, ist dies mit viel Bürokratie
verbunden. Hoch lebe der Vorgang. Eine Vielzahl von
Formularen muss ausgefüllt werden. Er hat alles Notwendige getan. Nach einer langen Zeit - ich glaube, es
hat ein Dreivierteljahr, also neun Monate, gedauert - bekam der Offizier die Mitteilung: April, April, tut uns
leid, das geht nicht. Wir haben nur mit der Telekom einen Vertrag, aber sie investiert nicht überall in das Verlegen entsprechender Leitungen. Mit dem Anbieter, der in
Ihrem Gebiet eine schnelle DSL-Verbindung anbietet,
können wir Ihnen keinen Telearbeitsplatz geben. - Eine
junge Familie wurde hier also im Stich gelassen. Auch
das passt nicht zur Attraktivität, zur Modernisierung und
zur Vereinbarkeit von Dienst und Familie.
Bernhard Brinkmann ({4})
Der Kollege Koppelin hat Vergangenheitsbewältigung betrieben; das muss man ab und zu machen. Er hat
vom Bundeswehrfuhrpark als einem Milliardengrab gesprochen. Lieber Jürgen Koppelin, ich sage es einmal so:
Mut ist das Gebot der Stunde. Ihre Koalition hat trotz aller Uneinigkeit,
({5})
die landauf, landab fast täglich zu vermelden ist, die
Mehrheit. Stellen Sie doch im Haushaltsausschuss einen
Antrag, den Fuhrpark abzuschaffen. Wir haben ja demnächst das Berichterstattergespräch und anschließend
weitere Haushaltsberatungen.
({6})
Wenn der Krampen dann ziehen soll, dann kommt die
FDP vielleicht auch an diesem Punkt zur Realität zurück
und schiebt dieses Vorhaben lieber auf, um vor der Bundestagswahl 2013 kein Problem zu bekommen.
({7})
Vielleicht auch noch - lieber Jürgen Koppelin, wir
können so miteinander umgehen - ein bisschen Nachhilfe zum Thema BImA, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.
({8})
- Ja, Herr Kollege, das dürfen Sie auch sein; denn ich
war vom ersten Tag der Vorbereitung bis zur Verabschiedung in diesem Haus dabei.
Man kann an der BImA eine ganze Menge kritisieren,
aber eines kann man nicht: Man kann nicht so tun, als
würde sich das im Einzelplan niederschlagen und Geld
kosten. So ist es nicht. Wir in diesem Hause waren zum
größten Teil dafür, ein einheitliches Liegenschaftsmanagement einzuführen. Was ist da in Gesprächen weit
vor der Zeit von Herrn de Maizière alles geäußert worden! Es wurde gesagt, es gebe Besonderheiten und man
könne das nicht leisten. Ich sage ganz deutlich: Zug um
Zug werden Liegenschaften mit allen Folgen, auch hinsichtlich Investitionen und Reparaturen, an die BImA
überführt, und dies ist eine vernünftige Lösung. Wir haben größten Wert darauf gelegt, dass die Fachleute aus
dem Ministerium, die sich mit den Bundeswehrliegenschaften bestens auskennen, weiterhin für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben tätig bleiben dürfen.
Bei den Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen
werden wir basierend auf den Berichterstattergesprächen
noch zu einigen Veränderungen kommen. Ein Ziel sollte
für uns alle vorneweg stehen: Die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Beschäftigten verdienen für ihre
Belange Aufmerksamkeit. Außerdem verdienen sie den
Respekt und die Anerkennung der ganzen Gesellschaft
und somit insbesondere auch den Rückhalt des Deutschen Bundestages, dieses Parlaments.
({9})
Herr Minister, abschließend sage ich Ihnen herzlichen
Dank für die Zurverfügungstellung der, wie wir es nicht
anders gewohnt sind, vielen Informationsunterlagen. Ich
freue mich auf die Beratungen im Haushaltsausschuss.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Minister, lassen Sie mich ganz zu Beginn meiner
Rede meine persönliche Anerkennung dafür zum Ausdruck bringen, dass Sie Ihre Aufgabe in einer Zeit, in der
in der Bundeswehr das Unterste zuoberst gekehrt und die
Strukturen nachhaltigst erschüttert worden sind, angenommen haben. Sie haben in Ihrem Haus erstmals versucht, auch solche Probleme, mit denen sich viele Ihrer
Vorgänger nicht beschäftigt haben, zu lösen. Das sieht
man insbesondere an der Regelung des Rüstungsprozesses und an der Ehrlichmachung des Investitionshaushaltes im Einzelplan 14. Dafür an dieser Stelle meine ganz
besondere persönliche Anerkennung!
({0})
Ich habe überlegt, ob ich auf das, was Frau Kollegin
Lötzsch gesagt hat, überhaupt eingehen sollte.
({1})
Ich möchte dazu nur eine Bemerkung machen, Frau Kollegin: Ich glaube, dass die Integration der Nationalen
Volksarmee eine der Erfolgsstorys im Rahmen der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes war. Wir haben es
geschafft, von der Kultur, vom Selbstverständnis und
vom Auftrag her völlig unterschiedliche Streitkräfte in
der Bundeswehr zusammenzuführen. Heute eine Diskussion darüber zu führen, ob Soldatinnen und Soldaten aus
dem Osten, aus dem Westen, aus dem Süden oder aus
dem Norden ihren Dienst tun, geht an der Sache vorbei.
({2})
- Sie haben Herrn Professor Wolffsohn zitiert, und ich
habe sehr wohl verfolgt, was er gesagt hat. Sie haben ihn
sozusagen als Kronzeugen für Ihre Aussagen bemüht. Ich kann das, was der Minister dazu gesagt hat, nur unterstreichen: Das war eine Erfolgsgeschichte, und das
lassen wir uns von Ihnen nicht kaputtreden.
({3})
Meine Damen und Herren, der Kollege Brinkmann
hat eben in seiner sehr sachlichen und sehr angenehmen
Art einen Blick in die Vergangenheit getan. Ich würde an
dieser Stelle gerne einen Blick in die Zukunft tun. Ich
glaube, dass sich das, was wir im Rahmen des Einzelplans 14 bewerten - teilweise berechtigterweise mit
Sorge, teilweise auch aus unterschiedlichen parteipolitischen Perspektiven -, nicht allein bei uns im Land abspielt. Zurzeit gibt es innerhalb des Bündnisses, aber
auch in anderen Regionen erhebliche Probleme bei der
Finanzierung von Streitkräften und sicherheitspolitischen Aufgaben. Ich glaube, dass wir gut beraten sind,
bei allen zukünftigen Entscheidungen, insbesondere was
den Investitionsbereich angeht, zu überlegen: Was können wir in Zukunft gemeinsam machen? Sonst wird es
keine stringente europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben. Auch hier wird die Bundeswehr
selbstverständlich ihre Rolle spielen.
Wir müssen uns auch ein Stück weit von der Vorstellung verabschieden, wir könnten alles alleine machen. In
Zukunft können wir die Herausforderungen, die sich für
unsere Streitkräfte wahrscheinlich ergeben werden, nur
im Verbund mit Verbündeten bewältigen. Die Bundeswehr wird internationaler, und die Bundeswehr wird sich
breiter aufstellen. Das wird sich natürlich auch im Investitionsbereich des Einzelplans 14 widerspiegeln.
Die Initiativen der Bundesregierung, die darauf zielen, bereits heute Ideengeber und Motor bei der Kooperation im sicherheitspolitischen Bereich zu sein, sind gut
und richtig. Sie müssen weiter betrieben werden. Nur so
können wir in Zukunft die Aufgabe der Verteidigung
- ich sage an dieser Stelle ganz bewusst: nicht nur
Deutschlands, sondern auch des europäischen Kontinents - erfüllen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Das
bedeutet allerdings, dass wir die Strukturen und das
Denken innerhalb der Streitkräfte darauf ausrichten müssen.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der von vielen Kollegen kritisch angemerkt worden ist. Selbstverständlich
müssen Strukturreformen kommuniziert werden. Ja,
Herr Minister, Sie haben recht: Zu Beginn einer Umstrukturierung entsteht eine Organisationsdepression.
Aber wir erwarten und wissen, dass viele hochqualifizierte Leute ihren Dienst in den Streitkräften tun - man
kann stolz auf das Haus sein, weil wirklich tolle Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben erledigen -, und
diese Expertise kann man auch für die Umstellung nutzen. Um das Gefühl zu haben, in der Politik gut aufgehoben zu sein, werden die Streitkräfte diese Form von Dialog und Kommunikation in Zukunft brauchen.
Wir haben gute Leute. Wir wollen sie, und wir sollten
ihnen auch zeigen, dass das, was sie tagtäglich im Dienst
erleben - schließlich spiegelt das das wider, was wir hier
beschließen -, für uns die Benchmark für bestimmte
Entwicklungen in der einen oder anderen Richtung in
der Zukunft ist.
Ich bin dem Kollegen Koppelin dankbar, dass er noch
einmal darauf hingewiesen hat, wie diese Organisation
in Zukunft aussehen muss, wenn wir sie wirklich ernst
nehmen wollen. Bestimmte Verantwortlichkeiten haben
wir gestärkt, andere etwas reduziert, sozusagen um die
Prozesse schneller zu machen. Wir haben auch ganz
bewusst entschieden, dass der Generalinspekteur in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird, damit die Diskussionsprozesse innerhalb der Truppe im normalen Verteilungswettbewerb einfacher werden, und natürlich muss
er auch nach außen die Verantwortung tragen. Ich bin
der Überzeugung, dass es im Fall der Beschaffung von
kampffähigen Drohnen besser gewesen wäre, wenn der
Generalinspekteur das nach einer internen Abwägung
dem Parlament und der Öffentlichkeit vorgetragen hätte.
({4})
Zum Thema UAVs. Selbstverständlich werden wir
uns der technologischen Entwicklung nicht verschließen
können. Irgendwann werden auch Bundeswehr, Parlament und Ministerium die Entscheidung fällen müssen:
Wollen wir eine bewaffnete Plattform haben oder nicht?
Aber wenn wir diese Entscheidung treffen, müssen wir
sowohl gegenüber den Streitkräften als auch gegenüber
der Bevölkerung sowie im politischen Raum klarmachen: Wofür brauchen wir sie?
({5})
Wofür wollen wir sie einsetzen? Reicht es nicht im Prinzip aus, eine Plattform zu haben, die bewaffnungsfähig,
aber nicht a priori schon bewaffnet ist?
({6})
Außerdem müssen wir darüber nachdenken: Müssen wir
eine Entscheidung über diese Investitionen im Hinblick
auf den Einsatz der Truppe tatsächlich in absehbarer Zeit
treffen?
Darüber müssen wir miteinander diskutieren. Hinzu
kommt die Frage: Wäre das nicht ein Projekt für eine
europäische Kooperation? Wäre das nicht ein Projekt,
bei dem man sich auf ein gewisses Portfolio an Anforderungen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik stützen könnte? Ich denke an die Pirateriebekämpfung, wo man gemeinsame Aufklärung betreiben
könnte; denn hier ist Europa erfolgreich tätig.
All das muss meines Erachtens intensiv diskutiert
werden, bevor wir uns für eine weitere teure, den Einzelplan 14 belastende Investition entscheiden.
Kollegin Hoff, bitte.
Herr Minister, ich wünsche Ihnen Glück auf. Machen
Sie weiter so! Ich glaube, mit Ihnen ist die Bundeswehr
auf dem richtigen Weg, und wir werden Sie gern unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! War da mal was? Ja:
Mehr als 8,3 Milliarden Euro sollten bei der Bundeswehr
eingespart werden, um den Gesamthaushalt zu konsolidieren. Davon ist keine Rede mehr. Trotz Euro-Krise,
Staatsschulden und Sparvorgaben erreicht der Verteidigungsetat mit 28,2 Milliarden Euro - ich habe die Posten
für die Altersversorgung herausgerechnet - Rekordhöhen, und Sie wollen das fortschreiben. Der Planungsansatz ist bis 2016 um circa 8 Milliarden Euro aufgestockt
worden. Da sind zwar auch die aktuellen Tariferhöhungen abgebildet, aber es ist trotzdem bemerkenswert.
Bei der Beschaffung einiger Waffensysteme wollen
Sie die Stückzahlen bescheiden reduzieren. Ob es damit
überhaupt billiger wird, weiß man noch nicht. Die Kosten der Auslandseinsätze bleiben hoch. Allein Afghanistan schlägt trotz des geplanten Teilabzugs - auch das
muss man wissen - mit mehr als 1,2 Milliarden Euro zu
Buche; aller Erfahrung nach wird es am Ende des Jahres
mehr sein.
Die Gesamtbetrachtung ergibt: Es ist paradox. Sie haben, Herr Minister, alle Sparvorgaben ausgehebelt. Sie
haben schon heute viel weniger Personal zu bezahlen.
Trotzdem kommt bei den Menschen in den Streitkräften
von diesem Mehr an Mitteln wenig, zu wenig an.
Die dringlichen Probleme, Vereinbarkeit von Familie
und Beruf - Stichwort Pendlerarmee -, gesundheitliche
Betreuung - hier könnte man das Stichwort Rettungssanitäter nennen -, physische und psychische Belastung
durch die Einsätze, bleiben ungelöst. Deshalb ist die
Unzufriedenheit, wie sie in der aktuellen Studie des
BundeswehrVerbands deutlich wird, in der Tat nicht
überraschend. Alle haben das gesagt. Aber das einfach
abzutun, das geht nicht. Man muss ernst nehmen, was
die Soldatinnen und Soldaten sagen.
Wir bleiben daher bei unserer Schlussfolgerung: Verzichten Sie auf die Auslandseinsätze! Stoppen Sie die
überdimensionierten Beschaffungsvorhaben! Dann kann
die Bundeswehr sozial verträglich und solide umgestaltet werden. Dazu gehört eine Bundeswehr, die sich auf
den Kernauftrag der Verteidigung zurückbesinnt.
({0})
Nun hat der Minister der Verteidigung eine breite öffentliche Debatte über die Sicherheitspolitik angeregt.
Diese Debatte, Herr Minister, hätte vor Beginn der Neuausrichtung der Bundeswehr geführt werden müssen,
nicht erst jetzt.
({1})
Ohnehin klingt Ihr Appell mehr nach einer volkspädagogischen Veranstaltung, also: Man muss den Leuten besser klarmachen, wo es langgeht.
Es gibt aber genug Gründe - das ist auch haushaltsrelevant -, den gegenwärtigen Auftrag infrage zu stellen,
angefangen mit Afghanistan. Dort sind NATO und Bundeswehr - das ist unsere feste Überzeugung - mit ihrem
Interventionsansatz gescheitert. Keines der Ziele konnte
erreicht werden. Jetzt bemüht man sich - eine militärische Lösung ist nicht erreichbar -, diese politische Niederlage in einen Sieg umzudeuten. Vielen dämmert es
überdies, dass ein Konzept, nach dem Staaten von außen
aufgebaut werden sollen, vor allem gestützt auf Streitkräfte, schlichtweg nicht funktionieren kann. Nur, das
spielt in Ihren sicherheitspolitischen Überlegungen leider keine Rolle.
Schon die Prämissen Ihres Ansatzes halten keiner
Überprüfung stand. Das ist der altbekannte NATO-Jargon: Alles ist gefährlich: Terroristen, das Internet, Rohstoffverknappung, Wassernotstand, Flüchtlinge. Diese
ganzen Probleme werden zusammengerührt, um daraus
die Existenzberechtigung für umfangreiche Militärarsenale abzuleiten.
({2})
- Kollege Koppelin, genau so ist es. - Die neuen Herausforderungen, die damit durchaus benannt werden,
verlangen aber andere Antworten. Die Konflikte in
Afrika um Weideland, Wasser und Rohstoffvermarktung
und um die Rechte der Bevölkerung beispielsweise löst
man nicht mit NATO-Soldaten, sondern durch eine
kluge und auf Gerechtigkeit zielende Entwicklungszusammenarbeit;
({3})
mit anderen Worten: zivil statt militärisch. Aber das ist
bei Ihnen nicht vorgesehen.
({4})
Mehr noch: Sie wollen Soldaten künftig sogar in
Marsch setzen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, um
wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Ich sage Ihnen
dazu: Es ist ein gefährlicher Aberwitz, unsere konfliktverschärfende Lebensweise militärisch absichern zu
wollen. Sie muss umgestellt werden. Darum geht es. Anders wird es nicht funktionieren.
({5})
- Das kann sein. Sie ist aber trotzdem richtig.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir schon
über Sicherheitspolitik reden - das ist die Basis der haushalterischen Entscheidung -, dann ist zumindest darauf
hinzuweisen, was gar nicht geht. Auch auf die Gefahr
hin, mich an dieser Stelle zu wiederholen oder das, was
andere schon gesagt haben, zu wiederholen: In der Frage
der US-Atomwaffen auf deutschem Boden ist diese RePaul Schäfer ({7})
gierung skrupellos eingeknickt. Diese Waffen sollen
jetzt, statt sie abzuziehen, modernisiert werden, das
heißt, kleiner und präziser werden. Auf gut Deutsch: Die
Gefahr, dass sie eingesetzt werden könnten, steigt. Das
erhöht nicht unsere Sicherheit. Das ist brandgefährlich.
Deshalb sagen wir: Diese Waffen müssen weg. Deutschland atomwaffenfrei! Das ist angesagt.
({8})
Zu den Kampfdrohnen ist auch schon einiges gesagt
worden. Der Luftwaffeninspekteur meint: Wir brauchen
sie unbedingt für die Landesverteidigung. Was er nicht
gesagt hat: Man braucht sie eigentlich nur für Militärinterventionen à la Afghanistan und Pakistan. Im Rahmen
dieses Einsatzes wird dort nach unserer Überzeugung internationales Recht durch die gezielten Tötungen ausgehöhlt, die auch viele Unschuldige treffen. Deshalb hat
der Publizist Theo Sommer mit seiner Frage völlig recht:
Soll die Strategie des Targeted Killing durch unbemannte Mordroboter wirklich zur verbindlichen Strategie der Allianz werden? - Unsere Antwort lautet unmissverständlich Nein.
Schließlich, Herr Minister: Eine Verpflichtung könnten Sie angesichts des Elends, das Waffen in der Welt
verursachen, übernehmen: Verschrotten Sie die nicht
mehr benötigten Waffensysteme der Bundeswehr, egal
ob es dabei um Tornados, Panzerhaubitzen, LeopardPanzer oder Hubschrauber geht, statt sie weltweit zu verscherbeln. Das wäre weitsichtige Sicherheitspolitik.
Danke.
({9})
Der Kollege Omid Nouripour hat nun für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, Sie haben von Ihrem Vorgänger eine Bundeswehrreform mit vielen großen Überschriften und noch
viel mehr Leerstellen übernommen. Deshalb muss man
Ihnen einen gewissen Respekt dafür zollen, dass Sie sich
diesem Chaos gestellt haben.
Sie haben Anfang dieses Jahres in einem Interview
mit einer großen deutschen Zeitung gesagt, manche würden Sie als Büroklammer bezeichnen.
({0})
Das ist nicht nur nicht nett, sondern auch falsch. Denn
eine Büroklammer hat die Funktion, bestimmte Dinge
zusammenzuhalten. Bei Ihnen aber hat man das Gefühl,
dass Ihnen die Dinge gerade eher auseinanderfliegen.
Wenn ich mir anschaue, wie Sie die Reform fortgesetzt haben, dann wird klar: Sie haben einfach die heiklen Punkte weggelassen. Sie haben alles, was Lärm,
Krach und Probleme hätte machen können, schlicht
nicht gemacht. Das Ergebnis ist, dass das damals sogenannte gut bestellte Haus heute eine Fassade hat, hinter
der es nicht weniger Chaos, sondern deutlich mehr Unsicherheit gibt. Das ist nicht das Verdienst Ihres Vorgängers; es ist Ihre Reform, über die wir heute sprechen.
Die Reform hält sich auch nicht. Der BundeswehrVerband bescheinigt Ihnen, dass sich bereits in der kommenden Legislaturperiode die Reform nicht mehr halten
wird. Das wird auch aus Ihrem Zahlenwerk deutlich.
Zum Zahlenwerk hat der Kollege Lindner alles gesagt.
Es ist bei Ihrem Anspruch an Seriosität schon fast Kabarett, wenn Sie selbst im Schnitt Einsparungen von 2 Milliarden Euro jährlich beschließen und dann hier sagen:
Ich hätte jetzt 1 Milliarde Euro einsparen müssen. Wie
soll das denn gehen? Das ist alles andere als seriös.
Sie agieren beim Haushalt nach dem Motto „Nach
mir die Sintflut; ich werde dann sowieso nicht mehr Verteidigungsminister sein“. Damit allerdings haben Sie
recht. In der nächsten Legislaturperiode werden Sie es
ganz bestimmt nicht mehr sein.
({1})
- Sie verstehen vom Klimawandel nun wirklich nichts,
Kollege Koppelin.
Zum Thema Beschaffung kann ich Ihnen nur sagen:
Sie wollten eine Neuordnung vornehmen und eine neue
Philosophie einführen. Ja, es wird weniger Pumas geben.
Aber die tragische lange Liste von Korvetten, Tiger und
A400M wird fortgesetzt und fortgeschrieben, und das
nicht nur auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten,
sondern vor allem auch der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({2})
Ein Blick auf die Bundeswehrreform und die Stimmung der Truppe, die heute viel zitiert worden ist, zeigt,
dass Sie falsch liegen, wenn Sie das als Momentaufnahme bezeichnen. Herr Kirsch, also wiederum der BundeswehrVerband, sagt: Wenn das so bleibt, dann kippt
die ganze Reform.
Die Unsicherheit wird durch Ihre Art und Weise des
Agierens und Ihre Art und Weise, Diskussionen und unbequemen Dingen aus dem Weg zu gehen, immer weiter
befeuert. Das ist wie eine Operation am offenen Herzen,
bei der dem Patienten immer mehr der Glaube abgeht,
dass es zu einem guten Ergebnis kommen kann.
Die Reform ist leise, weil Sie Diskussionen scheuen.
Damit komme ich jetzt zu dem anderen Thema, das angesprochen worden ist, nämlich zu den Drohnen. Die anderen Kolleginnen und Kollegen haben gezeigt, dass
hier durchaus der richtige Platz ist, um dieses Thema zu
diskutieren, was Sie ja nicht machen wollten. Aber Sie
haben auch am Anfang diese Diskussion nicht führen
wollen. Sie sagen, dass man die Dinge halt braucht. Wo23054
für, ist bisher nicht klar. Die USA haben sie, gut. Das
reicht aber nicht als Begründung. Aber wofür und für
welche Einsatzzwecke sie aus Ihrer Sicht gebraucht werden sollen, ist mir bis heute nicht klar geworden.
Sie scheuen aber nicht nur die sicherheitspolitische Begründung - Kollege Lindner hat darauf hingewiesen -,
die Fragen der fiskalen Nachhaltigkeit und die rechtlichen Fragen - es gibt eine große Zahl von rechtlichen
Fragen, die noch ungeklärt sind -, sondern vor allem
auch die ethische Debatte. Wenn Sie dann auch noch sagen - das finde ich wirklich ein starkes Stück -: „Waffen
sind nun einmal ethisch neutral“, dann kann ich nur sagen: Das ist grottenfalsch. Als Verteidigungsminister
sollten Sie nicht so einen Unsinn in der Welt verbreiten.
({3})
Denken Sie an Atomwaffen, biologische und chemische Waffen. Die sind ganz bestimmt nicht ethisch neutral. Denken Sie an Clusterbomben, Streubomben und
Antipersonenminen. Das sind ganz bestimmt keine Waffen, die ethisch neutral sind. Es ist einfach grottenfalsch,
was Sie sagen.
Wenn Sie so etwas sagen, dann gibt es, denke ich, nur
zwei Varianten: Entweder sind Sie mit einer ethischen
Debatte tatsächlich überfordert, oder Sie glauben das.
Dann aber verstehe ich auch, warum diese Bundesregierung Leos nach Saudi-Arabien verkauft. Deshalb kommen Sie bitte von dieser Aussage weg. Sie ist für die
weitere Debatte völlig fatal.
({4})
- Melden Sie sich zu einer Zwischenfrage! Dann habe
ich mehr Zeit und gebe Ihnen eine gute Antwort.
Vielleicht sagen Sie jetzt: Wir müssen schnell reagieren. Was machen wir denn, wenn der Vertrag für den Heron 1 ausläuft? Wenn Sie Ihre eigenen Vorlagen lesen
würden, dann wüssten Sie, dass darin steht: Der Vertrag
für den Heron 1 kann verlängert werden. Damit ist der
Zeitdruck, den wir in der Diskussion immer wieder suggeriert bekommen, gar nicht vorhanden. Das kann man
so nicht machen.
Wir brauchen bei den Drohnen - genauso wie bei der
Bundeswehrreform in toto - zuerst die Debatte und dann
die Entscheidung. Die Art und Weise, wie Sie hier verwalten, war vielleicht am Anfang gut, um Ordnung in
das Chaos zu bringen. Aber das hat nichts mit Regieren
zu tun. So tun Sie sowohl den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern als auch den Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familien ganz gewiss keinen Gefallen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Nouripour, als jemand, der auch Germanist ist, darf ich
sagen, dass Ihre Metapher mit der Büroklammer nicht
ganz passend war, auch wenn die Büroklammer bei Umfragen oft auf Platz eins oder zwei rangiert, wenn nach
dem beliebtesten Minister in Deutschland gefragt wird.
Dieser Haushalt ist im Grunde ein Beispiel dafür, dass
der Minister sein Geld zusammenhält und dafür sorgt,
dass die Aufgaben erfüllt werden. Deshalb möchte ich
gleich zu Beginn meiner Rede unserem Minister für den
vorliegenden Haushaltsplan herzlich danken.
({0})
Herr Kollege Schäfer, dieser Haushaltsentwurf ist in
der Tat bemerkenswert, weil er die Gratwanderung zwischen dem, was im Hinblick auf die Auftragserfüllung
haushaltspolitisch notwendig ist, und dem, was im Hinblick auf die Haushaltskonsolidierung notwendig ist, erfolgreich besteht. Dafür ein herzliches Dankeschön.
({1})
Herr Kollege Nouripour, Sie haben sich über die von
Ihnen sicherlich fehlinterpretierte Äußerung des Ministers über ethisch neutrale Waffen furchtbar aufgeregt.
Ich gebe Ihnen recht: Es gibt keine ethisch neutralen
Waffen. Sie haben in diesem Zusammenhang bereits
Streubomben und andere Waffensysteme aufgezählt.
Aber man interpretierte den Minister absolut fehl, wenn
man ihm die von Ihnen vorgenommene Deutung unterstellte. In ethischer und moralischer Hinsicht kommt es
nicht auf die Waffen an - diese schießen nicht von allein -, sondern auf die Gesinnung und die Absicht der
Menschen, die Waffen einsetzen. Darüber müssen wir
eine ethische Debatte führen. Darum geht es auch beim
Einsatz von Drohnen.
Noch ein Satz zu den Drohnen. Weder führen wir im
Augenblick eine Debatte über den Einsatz von Drohnen,
noch sind Gelder für deren Beschaffung in den Haushalt
eingestellt. Deshalb rate ich persönlich zu einer ruhigen
und neutralen Betrachtung über damit zusammenhängende Fragen. Herr Lindner, es tut mir furchtbar leid,
aber Ihre Argumentation im Zusammenhang mit den
Drohnen kann ich nicht nachvollziehen. Danach müssten
wir heute noch Steinschleudern oder Steinschlossgewehre einsetzen. Die Drohnen sind nun einmal in der
Welt. Sie sind eine Technologie, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Wer sagt, das sei Teufelszeug
und müsse außen vor bleiben, der verkennt die Wirklichkeit.
({2})
Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Keul?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege Beck. - Ich muss einmal
nachfragen: Habe ich Sie richtig verstanden, dass selbst
der Einsatz von Streumunition und Clusterbomben
ethisch unbedenklich ist, wenn die Einstellung stimmt?
Sie haben gesagt, es komme nicht auf die Waffe als solches, sondern auf die Gesinnung desjenigen an, der sie
einsetzt. Wäre es demnach möglich, dass der Einsatz
dieser Art von Waffen - diese sind international geächtet - korrekt wäre, wenn der Betreffende nur die richtige
Gesinnung hätte?
({0})
Liebe Frau Keul, Ihre Frage geht am eigentlichen
Kern vorbei. Sie haben mich bewusst missverstanden.
Das Oslo-Abkommen kennt die Kategorie der besonders
grausamen Waffen, für die zuallererst eine Kennzeichnung notwendig wäre. Aber es gilt, die ethische Verantwortung für den Einsatz individuell zu betrachten. Man
kann nicht sagen, dass es sich einfach nur um eine Technologie handelt. Das wäre nach meiner Auffassung
nichts anderes als eine Verschiebung der ethischen Verantwortung. Wir können gerne darüber diskutieren, auch
über die ethische Dimension des Einsatzes von Drohnen.
Aber eine solche Diskussion ist im Augenblick nicht
notwendig.
Ich sehe eine klare Linie des Ministeriums. Wir haben
- wenn ich mich richtig erinnere, im Einvernehmen;
denn das ist für die Sicherheit unserer Soldaten notwendig - den Vertrag über den Einsatz von Heron 1 bis zum
Ende unseres Engagements in Afghanistan verlängert;
das ist in Ordnung. Dann haben wir genügend Zeit, uns
darüber zu unterhalten, ob und wann wir eine neue Technologie brauchen. Die Kollegin Hoff hat all die Kriterien
genannt, die wir bei dieser Beschaffung klären müssen.
Da ist im Grunde keinerlei Hektik angebracht.
Lieber Kollege Arnold, ich habe mich schon ein bisschen gewundert, wie elegant hier manchmal Gegensätze
konstruiert worden sind. Die BImA-Umschichtungen,
die Sie erwähnt haben - für die Bemerkung dazu bin ich
dem Kollegen Brinkmann dankbar -, bedeuten keine
prozentuale Steigerung der Unterhaltskosten. Dies den
Steigerungen der Personalkosten gegenüberzustellen, ist
einfach nicht seriös. Das ist nicht Ihr Niveau.
Sie sagten, wenn die Bearbeitung der Reisekosten,
der Besoldung und der Versorgung vom Finanzministerium übernommen werde, dann sei das furchtbar, weil
die Finanzminister kein Verständnis für Soldaten hätten.
Man kann gute Gründe dafür anführen, dass diese Bereiche beim Verteidigungsministerium bleiben oder zum
Innenministerium verlagert werden sollen. Aber Ihre
Begründung, lieber Kollege Arnold, grenzt beinahe an
Taschenspielerei. Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen.
Einen Punkt möchte ich aufgreifen, der für die Reform nicht ganz unwichtig ist. Es geht um die Diskussion „Breite vor Tiefe“. Ich bin sehr froh, dass unsere
Grundlage ist - das war auch die Grundlage der SPDFraktion -, ein möglichst breites Spektrum der Krisenvorsorge zu haben. Denn es stellt sich die Frage, was
Tiefe heißt und auf was wir verzichten sollen. Sind Sie
der Meinung, dass das Meer den Briten gehört, dass die
Briten traditionell eine bessere Marine als wir haben und
wir deswegen auf unsere Marine verzichten sollen?
Wenn dem so ist, dann müssen Sie das auch sagen.
Hinzu kommen muss die Verlässlichkeit der Bündnispartner, damit man sich dann, wenn eine gewisse Fähigkeit in einer Krise gebraucht wird, hundertprozentig darauf verlassen kann, dass diese Fähigkeit zur Verfügung
gestellt wird. Umgekehrt - auch das gehört zur Wahrheit - müssten sich auch unsere Partner, wenn wir für
bestimmte Tiefenbereiche verantwortlich wären, darauf
verlassen können, dass wir in entsprechenden Situationen unsere Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Diese
Diskussion müssen wir noch führen. Aber dies zum Anlass zu nehmen, die Reform generell abzulehnen, halte
ich für verfrüht.
Liebe Kollegin Lötzsch, ich bin etwas entsetzt. Ich
habe Sie manchmal als seriös argumentierende Kollegin
schätzen gelernt. Aber die Art und Weise, wie Sie heute
einen verdienten Offizier angegriffen bzw. attackiert haben, ist einfach unerträglich. Das muss ich Ihnen sagen.
({0})
Die Beförderung von Oberst Klein ist nach Eignung und
Leistung erfolgt. Er ist weder disziplinarisch noch strafrechtlich belangt worden, und es gab auch nach dem
Völkerrecht noch nicht einmal einen Anfangsverdacht
für eine Straftat. Dass Sie sich hier hinstellen und diese
Personalmaßnahme als unerträglich bezeichnen - als ob
wir nicht den Kunduz-Untersuchungsausschuss gehabt
hätten -, ist einfach infam. Ich weise das in aller Form
zurück.
({1})
Ich bin sehr froh, dass der Minister den Mut hatte, zu sagen, dass dieser Soldat wegen seiner Biografie nach all
den Kriterien, die wir anlegen müssen, nicht benachteiligt werden darf. Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.
({2})
Es ist betont worden, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in Zukunft wichtig ist. Hier ist, so
meine ich, eine Optimierung notwendig. Wir haben gute
Absichten, gute Pläne und schöne Einrichtungen, aber
die finanzielle Unterstützung kann durchaus noch optimiert werden.
Ich möchte auf die Ergebnisse der aktuellen Studie
des BundeswehrVerbandes nicht im Einzelnen eingehen.
Ich darf aber an eines erinnern: Keine der vielen Reformen - ich glaube, ich habe sieben, acht oder gar zehn
mitbekommen - war so umfangreich wie die jetzige.
Keine einzige ist mit großem Jubel begrüßt worden; das
ist völlig normal. Ich möchte noch einmal die Tatsache
in Erinnerung rufen, dass bei der Befragung nicht die
Zielrichtung der Reform infrage gestellt worden ist. Alle
haben gesagt, dass sie diese Reform wollten und diese
Ernst-Reinhard Beck ({3})
notwendig und richtig sei. Was infrage gestellt worden
ist - das können wir alle nachvollziehen -, sind die
Punkte Veränderung, Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit. Da muss man natürlich sagen: Wenn von
mangelnder Kommunikation gesprochen worden ist,
dann lag es mit Sicherheit nicht an diesem Minister oder
an der politischen Führung dieses Hauses. Wer ist bei
x Besuchen auf seiner Sommerreise und im letzten Jahr
durch die Lande gezogen und hat zum Teil eben auch
schlechte Nachrichten verbreitet? Die klare Aussage,
dass mehr Kommunikation notwendig ist, bezieht sich
- das muss man im Grunde sagen - auf das Motivieren
und das Erklären auf der mittleren und unteren Führungsebene. Das ist eine Aufgabe, die im Rahmen dieser
Reform erfüllt werden muss.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Jede Reform dieser Art muss den Menschen in den Mittelpunkt
stellen. Ich glaube, dass wir, wenn wir über die organisatorischen Dinge reden, die jetzt in den Mühen der Ebenen anlaufen, und wenn wir uns den Bedürfnissen unserer Soldatinnen und Soldaten, denen ich hier noch
einmal Respekt zolle, widmen, auf einem richtigen Weg
sind. Hier können wir alle zusammen mithelfen.
Herzlichen Dank.
({4})
Nun hat der Kollege Klaus-Peter Willsch, ebenfalls
für die Unionsfraktion, das Wort.
Vielen Dank! - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich für die Berichterstattergemeinschaft zunächst zum Ausdruck bringen: Lieber Bernhard
Brinkmann, wir freuen uns, dass du wieder an Bord bist,
und hoffen, diesen Bereich mit dir noch lange gemeinsam zu verantworten. Es ist schön, dass du wieder mit
dabei bist. Alles Gute!
({0})
Der Dank an das Ministerium und an den Minister
persönlich ist ja auch schon vom Kollegen Brinkmann
ausgesprochen worden. Diesen Dank will ich nachdrücklich unterstreichen. Wir fühlen uns gut behandelt.
Unsere Informationswünsche werden erfüllt, und unsere
Fragen werden qualifiziert beantwortet. Wenn man
schon mit verschiedenen Häusern zusammengearbeitet
hat, weiß man, dass das nicht überall so ist. Das ist beim
Verteidigungsministerium hervorragend geregelt. Herzlichen Dank dafür! Wir sind insgesamt im Haushaltsausschuss, glaube ich, eine Berichterstattergemeinschaft für
den Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung,
die häufig das Gemeinsame sucht und versucht, mit
Blick auf die Kameraden, für die wir Verantwortung tragen, Trennendes zu überwinden.
({1})
Deshalb, Frau Lötzsch, ist Ihr heutiger Aussetzer
umso bedauerlicher. Ich lasse es nicht zu, dass Sie sich
hier in einer derartigen Art und Weise zum Staatsanwalt
und Richter in einem aufschwingen und tapfere Kameraden und verantwortliche militärische Führer hier in dieser Art durch den Kakao ziehen und diskreditieren.
({2})
Das ist ungeheuerlich. Das gehört sich nicht. Ich appelliere an Sie, diese Initiative zurückzuziehen. Solche Debatten sind das Letzte, was unsere Kameraden im Einsatz gebrauchen können.
Ich war im Sommer wieder auf einer Übung, war gemeinsam mit Staatssekretär Schmidt bei Kameraden im
Kosovo. Das, was neben all den Schwierigkeiten, die der
Einsatz und die Trennung von der Familie mit sich
bringt, immer wieder an erster Stelle genannt wird, wenn
gefragt wird: „Was sind eure Wünsche an die Heimat?“,
ist, dass Achtung für den Auftrag, der ausgeführt wird,
und Respekt für die Gefahren, unter denen sie ihren
Dienst tun, in der Heimat transportiert werden sollten.
Deshalb bringe ich das erneut in dieser Debatte vor. Das
schulden wir den Kameraden, die wir in diese Einsätze
schicken; denn sie riskieren dort Leib und Leben.
Ich habe mit Verletzten gesprochen, die bei dem Zwischenfall am 1. Juni in Mitrovica dabei waren. Die Lage
im Kosovo ist seitdem nicht unbedingt besser geworden.
Das macht einmal mehr deutlich, dass es eben nicht nur
Afghanistan gibt, wo der Einsatz jeden Tag mit Gefährdungen an Leib und Gesundheit verbunden ist, sondern
dass das auch für das Kosovo gilt.
Nachdem der Minister schon so gut in sämtliche
haushalterische Zahlen eingeführt hat und das alles sehr
schön aufgedröselt hat, kann ich mir diesen Teil sparen.
Ich will stattdessen mehr Zeit auf das Folgende verwenden. Wenn wir uns das Umfeld anschauen - heute wurden schon alle möglichen Fantasien geäußert, wo es
noch Einsparvolumina gibt -, dann müssen wir natürlich
auch überlegen: Weshalb sind wir dorthin gegangen?
Wie ist die Situation? Sind Möglichkeiten der Reduzierung jetzt wirklich ohne Weiteres gegeben?
Wenn ich mir das Umfeld im Kosovo anschaue,
komme ich zu dem Schluss: Es ist noch nicht klar entschieden, wie die neue Führung in Serbien sich positionieren wird. Da sind Milosevic’ Buddys jetzt an der
Macht. Wie sie sich im internationalen Konzert dort verhalten werden und wie sie versuchen werden, befriedend
auf das Kosovo, auf das Nordkosovo, einzuwirken, das
müssen wir erst einmal abwarten. Wir können jedenfalls
nicht einfach nach dem Motto „Wir haben uns das jetzt
vorgenommen, und wir wollen den Haushalt konsolidieren“ von vornherein Einsparbeiträge durch Reduzierung
erbringen.
Ich will zu dem Thema Pooling & Sharing und auch
zur Drohne noch etwas sagen. Pooling & Sharing ist ja
das Zauberwort, wann immer wir uns darüber unterhalten. Wir wissen, dass wir im Verbund mit verbündeten,
befreundeten Armeen wirken müssen. Aber dann müssen natürlich auch die Truppen in Gang gesetzt werden
können. Dass dort Disparitäten vorhanden sind, weil es
unterschiedliche Einsatzregeln gibt, können wir dabei
nicht von der Hand weisen. Wir müssen uns überlegen,
wie das kompatibel gemacht werden kann. Dann können
vielleicht nicht mehr in allen Belangen zentimetergenau
die Einsatzregeln hier im Bundestag diskutiert werden,
({3})
sondern es muss eine Möglichkeit geben, im Verbund
auch wirklich zu wirken. Wir müssen diese Diskussion
zumindest führen; denn das ist eine wesentliche Voraussetzung der Kooperationsfähigkeit.
({4})
Wenn wir das mit der Parlamentsarmee ernst nehmen
und wirklich zentimeterscharf festlegen, wie der Einsatz
erfolgt, dann müssen wir das mit der Situation andernorts vergleichen. Der britische Premier schickt die Truppen los, wenn er will, und sagt dann der Queen noch mal
Bescheid. In Frankreich macht das der Präsident. Er
muss dann irgendwann im Parlament nach dem Geld fragen. Das sind natürlich völlig andere Einsatzregeln.
Wenn man dann zusammenarbeiten will, muss man ein
Mindestmaß an Synchronisation hinbekommen, damit
das klappt.
Zur Drohne. Ich denke, wenn wir eine Entwicklung in
diesem Bereich wollen, müssen wir zum einen den eigenen Bedarf feststellen. Wir alle sind uns miteinander einig, dass wir zu Aufklärungszwecken für Heron einen
Nachfolger brauchen. Zum anderen müssen wir aber
auch auf den Markt schauen: Wie können wir das, was
wir an Entwicklungsinvestitionen hineinstecken, vielleicht wieder zurückbekommen, indem wir etwa solche
Geräte verkaufen - natürlich nach unserem strikten Reglement?
({5})
Dann ist der Gedanke ja nicht furchtbar fern liegend:
Wenn ich schon unbemannt fliege und aufkläre, dann
will ich mit dieser Plattform, mit dieser Waffe auch wirken können. Das ist ja kein prinzipieller Unterschied
zum Einsatz von Artillerie beispielsweise. Artillerie
setzt man ein, damit der Feind nicht nahe an die eigenen
Leute herankommt, indem man ihn schon in der Ferne
bekämpft. Insofern gibt es einen Weg, der die eigenen
Kräfte schont. Wenn ich die gleiche Wirkung im Ziel mit
einer unbemannten Drohne erreichen kann, dann ist das
effizienter, als wenn ich dafür einen Piloten riskiere.
Diese Diskussion muss man militärisch, ohne Schaum
vor dem Mund und nach sachgerechten Kriterien führen.
Tabuisierungen und so etwas helfen uns da überhaupt
nicht weiter.
Ich will zum Abschluss, weil ich sehe, dass die Uhr
gleich zu blinken anfängt, noch einmal deutlich zum
Ausdruck bringen, dass mir auch aus meiner Erfahrung,
die ich jetzt wieder in der Wehrübung gemacht habe, eines wichtig ist: Die Kameraden im Einsatz, Frauen wie
Männer, sollen wissen, dass wir hier, auch gerade die
Haushälter, unseren Auftrag sehr ernst nehmen, sie so
auszustatten, dass sie ihren Auftrag bestmöglich erfüllen
können.
Es erfüllt mich mit Stolz, nicht nur als Berichterstatter
zu diesem Einzelplan, sondern auch als Angehöriger der
Reserve, dass ich, wo immer ich mit Kräften von Partnern und Freunden zusammenkomme, nur Gutes über
die deutschen Kameraden höre. Sie sind einsatzwillig.
Sie haben hervorragende Fähigkeiten. Das ist ein Beleg
dafür, dass wir international hoch angesehen sind. Dies
leisten unsere Kameraden, die im Einsatz sind, und die
Kameraden, die in den Heimatbereichen ihren schweren
Dienst tun.
Zum Abschluss dieses Tages, zum Abschluss dieser
Debatte, dieses ersten Durchgangs der Beratungen des
Einzelplans 14 sollte das ganze Haus unseren Kameraden und Zivilbeschäftigten seinen Dank noch einmal mit
einem kräftigen Applaus zum Ausdruck bringen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. September
2012, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.