Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Vereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds
„Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis
1990“
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Herr Dr. Hermann Kues. - Bitte.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute die Einrichtung des Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ beschlossen. Damit soll Menschen
geholfen werden, die in Einrichtungen der Jugendhilfe
und in Dauerheimen für Säuglinge und Kleinkinder in
der DDR schweres Leid und Unrecht erleiden mussten.
Wir kennen die vielen erschütternden Schicksale. Die
Einrichtung des Fonds ist darauf eine Antwort.
Der Bund, die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie die Freistaaten Sachsen und Thüringen werden diesen Fonds gemeinsam errichten und mit 40 Millionen Euro
finanzieren. Die Kosten teilen sich der Bund und die ostdeutschen Länder jeweils zur Hälfte. Mit dem Start des
Fonds steht auch den Heimkindern in der DDR ein zusätzliches Hilfsangebot zur Verfügung, das vergleichbar
ist mit dem Hilfsangebot für die Heimkinder in der Bundesrepublik Deutschland. Basis für die Errichtung des
Fonds ist der am 7. Juli 2011 angenommene fraktionsübergreifende Antrag mit dem Titel „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“.
Bei der Einrichtung des Fonds sind die Bundesregierung und die ostdeutschen Länder in zwei Schritten vorgegangen. In einem ersten Schritt wurde ein Bericht zur
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR erarbeitet.
Dieser wurde am 26. März dieses Jahres vorgestellt. Ergebnis des Berichtes ist, dass nicht alles im Heimkindersystem der DDR Unrecht war, die Heimerziehung aber
von Unrecht geprägt war. Zwang und Gewalt gehörten
für viele Kinder und Jugendliche im Heim zum Alltag.
Man hat ihnen Bildung verweigert. Man hat sie zur Arbeit gezwungen. Viele von ihnen haben dadurch dauerhafte Beeinträchtigungen und Schädigungen erlitten. Sie
leiden auch heute noch an den Folgen. Darum spricht der
Bericht auch Empfehlungen zur Wiedergutmachung aus.
An diese Empfehlungen knüpft der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ an, den wir in einem zweiten
Schritt nun einrichten wollen. Grundlage für die Satzung
des nicht rechtsfähigen, gemeinnützigen Fonds ist eine
Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den ostdeutschen Ländern sowie
Berlin. Leistungen aus diesem Fonds können bis zum
30. Juni 2016 beantragt werden. Sie werden bis Ende
Juni 2017 ausgezahlt.
Wie der Fonds „Heimerziehung West“ stellt dieser
Fonds ein ergänzendes Hilfssystem dar, das die bestehenden sozialrechtlichen Versorgungssysteme nicht ersetzen, sondern erweitern soll. Es sollen zum Beispiel
Rentenersatzzahlungen und andere materielle Leistungen möglich sein, beispielsweise einmalige Geldleistungen für erbrachte Arbeit zwischen dem 14. und 21. Lebensjahr, soweit dafür keine Beiträge in die
Sozialversicherung der DDR gezahlt worden sind.
Hierzu gehören aber auch Hilfen zur Überwindung von
Traumata, zum Nachholen von Bildungsabschlüssen.
Die Vereinbarung soll möglichst unbürokratisch erfolgen, wenn nötig auch durch Vorleistungen. Es gibt Anlauf- und Beratungsstellen, bei denen die Betroffenen
Ansprechpartner finden, die sich ihrer Anliegen annehmen und ihnen Hilfestellungen geben. Zu den Leistungen aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ gehören eben auch die Begleitung bei Ämtergängen sowie
Hilfen bei der Akteneinsicht.
Wir freuen uns sehr, dass der Fonds, so wie er jetzt
gestaltet ist, bei den Betroffenen viel Zustimmung gefunden hat. Die Betroffenen wollen aber auch eine Weiterentwicklung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes,
insbesondere des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Ziel ist es, vor allem die Heimunterbringung in den
Spezialheimen der DDR generell als politisch motiviert
einstufen zu lassen. Dieser schon früher geäußerten Bitte
ist der Bundestag im Dezember 2010 mit der Ergänzung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zumindest
weitgehend gefolgt. Die Ergänzung stellt klar, dass allen
Betroffenen, die aufgrund politisch motivierter oder damit vergleichbarer Einweisungsgründe in ein Heim gekommen sind, individuelle Rehabilitierungsmöglichkeiten zustehen.
Der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ kann das
unfassbare Leid - das sei noch einmal ausdrücklich gesagt -, das vielen Heimkindern in den Einrichtungen angetan wurde, nicht ungeschehen machen. Mit dem Fonds
erkennen wir allerdings an, dass den Heimkindern in der
DDR, auch außerhalb der vom Rehabilitierungsgesetz
erfassten Entscheidungen, von DDR-Behörden Leid und
Unrecht geschehen ist. Wir unterstützen sie bei der Bewältigung der Folgen dieses Unrechts. Wir bieten zusätzliche Unterstützung an, die helfen soll, die auch
heute noch andauernden Folgeschäden aus der Zeit ihrer
Heimunterbringung zu mildern.
Wir haben damit insgesamt ein umfassendes Hilfesystem geschaffen, und zwar sowohl für die ehemaligen
Heimkinder im Westen als auch für diejenigen im Osten.
Insgesamt werden dafür 160 Millionen Euro eingesetzt.
Es handelt sich um eine gemeinsame Kraftanstrengung
von Bund, Ländern und - das gilt für den Westen - auch
den beiden Kirchen, die das Ganze möglich gemacht hat.
Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort zur
ersten Frage hat die Kollegin Katharina Landgraf.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
zunächst möchte ich ausdrücklich feststellen: Wir sind
froh, dass wir endlich so weit sind. Zwar können wir das
Unrecht nicht völlig wiedergutmachen, aber mit diesem
Schritt können wir doch zumindest etwas für die Betroffenen tun. In diese Richtung geht auch meine Frage: Wie
finden die Betroffenen Zugang zu den schon erwähnten
Anlauf- und Beratungsstellen? Wie erfahren sie überhaupt von diesem von uns verabschiedeten Paket? Gibt
es eine Strategie, um die Betroffenen zu erreichen?
Eine solche Strategie gibt es. Wir werden öffentlich
über dieses Paket aufklären. Es gibt eine Telefonnummer, an die man sich wenden und unter der man Informationen erhalten kann. Es existieren Anlauf- und Beratungsstellen in allen ostdeutschen Ländern. Außerdem
haben wir zusammen mit Betroffenen und auch Beratern
einen Leitfaden erarbeitet. In diesem Leitfaden wird erläutert, wie in einem Beratungsgespräch der individuelle
Hilfebedarf ermittelt werden kann. Die Anlauf- und Beratungsstellen sollen auf Augenhöhe agieren. Es wird einen Lenkungsausschuss geben, der diese Vorgaben mit
den jeweiligen Vertretern der Länder in diesem Ausschuss regelmäßig abstimmt und überprüft.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Leistungen ist der Nachweis eines Heimaufenthalts in der Zeit
von 1949 bis 1990. Soweit ein solcher Nachweis nicht
erfolgen kann, wird die Anlauf- und Beratungsstelle
auch bei Recherchearbeiten helfen, indem Unterlagen
überprüft werden, um so Nachweise in Bezug auf Heimerfahrung, Folgeschäden usw. erbringen zu können. Im
Mittelpunkt der Beratung dort steht das Gespräch. In
diesem wird man individuell den konkreten Hilfebedarf
benennen können, so ähnlich wie es auch beim Fonds
„Heimerziehung West“ erfolgt.
Möglich sind Gelder für Folgeschäden aus der Heimerziehung, Sachleistungen, aber auch Rentenersatzleistungen, soweit keine oder zu geringe Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt worden sind. Das wird in Form
von Einmalzahlungen erfolgen. Damit wird nicht alles
ausgeglichen, aber es ist immerhin eine Anerkennung
des begangenen Unrechts.
Die Rentenersatzleistung erfolgt direkt durch Auszahlung von Geldern an die Betroffenen, bei den Hilfeleistungen teilweise. Dabei wird es bei Sachleistungen unter
1 000 Euro eine vereinfachte Nachweispflicht geben.
Wir versuchen, das Ganze möglichst unbürokratisch hinzubekommen. Bei einer Summe über 1 000 Euro wird es
ein wenig komplizierter werden. Ausschließlich bei
Leistungen, die durch Dritte erbracht werden, zum Beispiel bei Therapien, kann die Auszahlung auch direkt an
die Leistungsbringer erfolgen.
Letztlich soll alles so entwickelt und konzipiert sein,
dass die Betroffenen möglichst nicht belastet sind. Wer
einmal mit Betroffenen gesprochen hat, der weiß, dass
sie häufig gar nicht fähig sind, über ihre Erfahrungen zu
sprechen. Da muss erst ein Zugang gefunden werden. Insofern brauchen wir sehr einfühlsame Berater, die das
gewährleisten. Wir glauben aber, dass das zu bewältigen
ist. Die Länder haben uns dort jegliche Unterstützung
zugesagt.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, sei mir der Hinweis gestattet, dass wir uns in den letzten Monaten darauf geeinigt haben, dass für Frage und Antwort je eine
Minute vorgesehen ist. Es ist natürlich verständlich, dass
Sie möglichst viele Informationen für potenziell Betroffene über die Fragestunde transportieren wollen; aber ich
denke, das wird uns gelingen, indem wir die zahlreichen
Fragestellerinnen und Fragesteller hier zu Wort kommen
lassen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Die nächste Frage stellt die Kollegin Heidrun
Dittrich.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Kues. Wie Sie wissen, waren beim westdeutschen Runden Tisch Heimerziehung - auf ihn bezieht sich der Antrag der Bundesregierung, das hinsichtlich der Heimkinder in der
ehemaligen DDR gleichwertig zu regeln - unter den
21 stimmberechtigten Teilnehmern nur 3 ehemalige
Heimkinder. In der Anhörung wurde von den Wissenschaftlern empfohlen, die ehemaligen Heimkinder ab
jetzt stärker einzubeziehen. Wie geschieht das in den
neuen Anlaufstellen in den neuen Bundesländern? Das
heißt: Zu welchem Anteil ist die Beteiligung ehemaliger
Heimkinder gesichert? Erhalten sie ein Gehalt, oder
bleibt das ein Ehrenamt?
Wir haben, wie ich schon sagte, einen Lenkungsausschuss eingerichtet. An diesem ist auch ein Vertreter der
ehemaligen Heimkinder beteiligt. Wir haben den Bericht
auch mit ehemaligen Heimkindern gemeinsam erstellt.
Im Prinzip haben wir Zustimmung zu dem erfahren, wie
es jetzt organisiert ist. Man muss gleich dazusagen - wir
haben das auch im Zusammenhang mit dem Fonds
„Heimerziehung West“ diskutiert -, dass die Erwartungen natürlich erheblich sind. Aber wir können zumindest
sagen, dass wir die Erwartungen der Betroffenen - so
schätze ich das jedenfalls ein; ich selbst habe die Erfahrung gemacht - alles in allem erfüllen können. Ich sage
ausdrücklich: Es geht für viele Betroffene in erster Linie
nicht um materielle Leistungen, sondern darum, überhaupt aufzuarbeiten, was ihnen widerfahren ist, und zu
lernen, damit umzugehen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Schwanitz.
Herr Staatssekretär, ich will zunächst für meine Fraktion ausdrücklich feststellen, dass ich mich sehr freue,
dass der Fonds heute auf den Weg kommt und damit der,
wenn ich das so sagen darf, noch offene zweite Teil der
Thematik, die vom Deutschen Bundestag aufgegriffen
worden ist, letztendlich vonseiten der Regierung und der
beteiligten Länder eine Untersetzung findet.
Ich möchte eine Frage zur Finanzierung stellen. Bei
allen Gesprächen, die ich mit den Betroffenen der Heimerziehung in der DDR geführt habe, habe ich immer wieder gehört, dass sie die verständliche Erwartung haben,
dass die Leistungen, die sie aus diesem Fonds erhalten,
nicht durch Kürzungen im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik des Bundes gegenfinanziert werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, wie Sie denn die
Tatsache bewerten, dass die Koalition gestern bei der
Beratung und Verabschiedung des Nachtragshaushalts
2012 im Haushaltsausschuss gesagt hat - so ist jetzt zumindest die Beschlusslage -, dass sie die 20 Millionen
Euro an Bundesgeld, um die es hier geht, durch Kürzungen im Einzelplan 17, also im Familienetat, ab dem Jahr
2016 finanzieren will und finanzieren wird?
Zunächst einmal ist es so - das haben Sie jetzt nicht
angesprochen -, dass die Gegenfinanzierung über den
Einzelplan 60 erfolgt und dass geklärt werden muss, wie
es ab 2016 weitergeht. Der Haushaltsausschuss hat dies
zunächst einmal so beschlossen. Wir werden uns dann zu
gegebener Zeit damit auseinanderzusetzen haben. Bis
dahin werden wir besser einschätzen können, wie hoch
der Bedarf tatsächlich ist. Wir werden jeweils auch die
Leitlinien anpassen müssen. Dann kann man konkreter
über finanzielle Leistungen sprechen. Gegenwärtig ist
das kaum möglich. Deswegen ist diese Form der Gegenfinanzierung in der Finanzplanung erfolgt; in der Haushaltsplanung sieht es anders aus.
Die nächste Fragestellerin ist Johanna Voß.
Danke schön. - Herr Kues, es sollen 40 Millionen
Euro für Entschädigungsleistungen in den Fonds eingestellt werden. Lassen Sie uns ein bisschen rechnen.
Nehmen wir an, dass sich der Anteil der Auszahlungen
ähnlich gestaltet wie im entsprechenden Fonds zu den
Rentenersatzleistungen der Bundesrepublik Deutschland. Wäre das der Fall, dann würde von den 40 Millionen Euro nur ein Sechstel ausgezahlt werden, weil der
Fonds selbst auch Geld verschlingt. Ein Sechstel wären
6,7 Millionen Euro. Nun gibt es schätzungsweise
400 000 ehemalige Heimkinder aus der DDR, die Opfer
von Missbrauch wurden. Wenn davon beispielsweise
30 000 Leistungen aus dem Fonds in Anspruch nehmen
würden, dann bekäme jedes ehemalige Heimkind gerade
einmal 233 Euro an Ersatzleistungen. Halten Sie eine
solche geringe Einmalzahlung für angemessen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zunächst einmal ist der Fonds nicht so gegliedert, wie
Sie das eben beschrieben haben. Wir sind von den geschätzten Zahlen in West und Ost ausgegangen, dadurch
kommt die Korrelation zwischen 120 Millionen Euro
und 40 Millionen Euro zustande. Dann gehen wir davon
aus, dass der Fonds letztendlich auskömmlich sein wird.
Eine Aufteilung, wie Sie sie gerade vorgetragen haben,
gibt es nicht.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Dörner.
Vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht, Herr Staatssekretär. Es war in unser aller Interesse - insofern kann
ich das für die Fraktion der Grünen begrüßen -, analog
zum Fonds für die Heimkinder im Westen einen Fonds
für die Heimkinder aus der ehemaligen DDR aufzulegen.
Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung: Ich habe
diverse Tickermeldungen verfolgt, in denen Aussagen
der Ministerin zu dem heute im Kabinett beschlossenen
Fonds zu lesen waren. Ich fände es schön, wenn wir uns
gemeinsam darum bemühen könnten, zu vermeiden,
durch verbale Äußerungen eine Art Opfer erster und
zweiter Klasse zwischen den Heimkindern aus dem
Westen und den Heimkindern aus dem Osten zu etablieren.
Zu meiner Frage: Im Zuge der Einrichtung des Fonds
werden auch in den östlichen Bundesländern Beratungsund Anlaufstellen eingerichtet. In diesem Zusammenhang ist den Vertretungen der Heimkinder zugesagt worden, dass sie auf die Auswahl der dort tätigen Fachkräfte
Einfluss nehmen können. Dieses Versprechen seitens der
Bundesregierung ist nicht eingehalten worden. Ich
würde gerne wissen, warum nicht und ob Sie noch die
Möglichkeit sehen, dies wieder zu heilen.
Ich kann Ihre Ausführungen im Einzelnen nicht bestätigen, da die Länder für die Durchführung zuständig
sind. Die Länder handeln logischerweise in eigener Verantwortung; das halte ich in der Sache auch für richtig.
Ich weiß nicht, inwieweit die Länder die Betroffenen bereits im Vorfeld der Einrichtung der Beratungsstellen beteiligt haben. Dem müssten wir nachgehen. Ich werde
Ihnen dann gerne darauf eine Antwort geben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich das weder bestätigen
noch dementieren.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert.
Herr Staatssekretär, Sie haben uns vorgetragen, wie
mit den Heimkindern der DDR verfahren werden soll.
Was ist mit denjenigen, die wegen ihrer Behinderung in
verschiedenen Heimen untergebracht wurden, seien es
konfessionelle oder staatliche Einrichtungen? Gibt es
eine Übersicht darüber, um wie viele es sich handelt und
wie vielen möglicherweise Gewalt oder Ähnliches angetan wurde? Können auch diese Betroffenen Leistungen
aus dem Fonds in Anspruch nehmen?
Sie kennen den Bericht, den wir im März dieses Jahres vorgelegt haben. Aus ihm geht hervor, wie sich nach
jetzigem Kenntnisstand die Sachverhalte im Einzelnen
darstellen. Ich betone ausdrücklich: Es gibt verschiedene
sozialrechtliche Regelungen für Behinderte, die natürlich auch für Heimkinder aus Ost oder West entsprechend gelten. Sollte jemand aufgrund der Tatsache, dass
er behindert ist, spezielle Benachteiligungen erfahren
haben, die durch die üblichen Entschädigungsleistungen
nicht ausgeglichen werden, kann man im Einzelfall darüber nachdenken, wie man für einen Ausgleich zum
Beispiel in Form von Therapie, wenn diese notwendig
ist, sorgt.
Im Bereich der Behindertenheime, bei denen es sich
ja um besondere Einrichtungen handelte, sind wir noch
nicht so weit. Wir sind noch dabei, dieses Feld aufzuarbeiten. Vieles ist noch ungeklärt, aber die Aufarbeitung
muss jetzt erfolgen, allerdings nicht nur auf Bundesebene, sondern in jedem einzelnen Bundesland. Daran
wird auch gearbeitet werden.
Der Kollege Arnold Vaatz stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich möchte an das Stichwort „sprechfähig werden“ anknüpfen. Die Betroffenen haben in ihrem Leben dramatische biografische Einschnitte hinnehmen müssen, die
ihre Erwerbsbiografie teilweise bis heute und auch ihre
Sozialbiografie entscheidend verändert haben. Sehen Sie
die Möglichkeit, dass für die Aufarbeitung und Bewertung dieser biografischen Folgen finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um die „Sprechfähigkeit“ der Betroffenen zu verbessern und um die Gesellschaft in die Lage
zu versetzen, besser einzuschätzen, um welche Problemlagen es hier geht?
Die Anlauf- und Beratungsstellen haben zunächst einmal die Aufgabe, zu informieren, welche gesetzlichen
Möglichkeiten und welche besonderen Möglichkeiten es
aufgrund dieses Fonds gibt. Natürlich haben sie auch die
Aufgabe, darüber zu informieren, dass es Hilfen gibt, um
sich seiner Biografie überhaupt erst einmal zu vergewissern. Wir haben alle Stellen, die dafür infrage kommen,
gebeten, das Material zusammenzustellen und zur Verfügung zu stellen, damit es ausgewertet werden kann. Damit soll dem Einzelnen, der vielleicht gar nicht weiß,
was ihm widerfahren ist, der seine Geschichte vielleicht
gar nicht kennt, die Möglichkeit gegeben werden, sich
zu informieren bzw. sich zu vergewissern, wer sie sind,
wo sie herkommen und was ihnen widerfahren ist. Dafür
gibt es Möglichkeiten. Das geht sogar so weit, dass
Fahrtkosten pauschal erstattet werden können; denn wir
kennen Betroffene, die gar nicht in der Lage sind, zu den
jeweiligen Stellen zu fahren. Teilweise sind sie ja auch
mehrfach umgezogen.
Diese unkomplizierten Hilfestellungen sind möglich.
Ich sage ausdrücklich: Wir werden auch dabei Erfahrungen sammeln, und wir werden bei der Umsetzung der
Leitlinien diese Erfahrungen berücksichtigen.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann.
Herr Staatssekretär, ich habe gerade heute ein Gespräch mit der Beratungsstelle Gegenwind aus Berlin geführt. In diesem Gespräch sagte man mir, dass man im
Zusammenhang mit dem Fonds für Westheimkinder die
Erfahrung gesammelt hat, dass es notwendig ist, flexibler mit den Mitteln umzugehen. Weil die Traumata bzw.
die Folgen der Heimerfahrung sehr unterschiedlich sind,
besteht ein sehr unterschiedlicher Bedarf bezogen auf
den Ausgleich. Das kann eine Therapie sein, das kann
eine medizinische Begleitung sein, das können aber auch
ganz andere Formen des Ausgleichs sein. Inwieweit ist
tatsächlich gesichert, dass deutlich flexibler vorgegangen, das heißt, auf den konkreten Bedarf des Betroffenen
eingegangen werden kann?
Bund und Länder haben das Ziel, das möglichst unbürokratisch zu machen. Aber Sie haben recht: Man
muss die Regelungen immer den Erfahrungen, die gemacht worden sind, anpassen. Deswegen haben wir ja
einen Lenkungsausschuss eingesetzt, der überprüft, ob
das bislang praktizierte Vorgehen richtig ist. Erfahrungen wie die, die in Berlin gesammelt wurden, können
miteinfließen.
Wir haben gemeinsam mit Betroffenen Leitlinien für
die Umsetzung abgestimmt. In der Umsetzung werden
diese praktisch weiterentwickelt, wenn wir erkennen,
dass das Verfahren nicht treffsicher, zu kompliziert, zu
bürokratisch ist. Diesbezüglich sind wir für Hinweise
dankbar; denn dann kann das thematisiert werden. Wir
- ich sage das auch für alle Länder - sind darum jedenfalls bemüht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Josef Winkler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich möchte an die Frage des Kollegen Vaatz anknüpfen,
der die Brüche in den Biografien angesprochen hat. Wir
müssen häufig feststellen, dass bei Opfern von Heimerziehung schwerste Traumatisierungen vorliegen, die
dazu geführt haben, dass eine Berufsausbildung nicht
absolviert werden konnte oder im Laufe des Lebens irgendwann eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, sodass eine Rente oder andere Transferleistungen
bezogen werden müssen. Ist sichergestellt, dass die Leistungen, die die Betroffenen aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ erhalten, in keiner Weise mit Leistungen verrechnet werden, die die Betroffenen aus anderen
Töpfen erhalten, zum Beispiel aufgrund der Traumatisierung, oder ist das noch ungeklärt?
Nein, das ist nicht ungeklärt. Von Bundesseite müssen
wir das nicht speziell regeln, weil es im Sozialgesetzbuch II und XII diese Möglichkeit im Prinzip gibt. Diese
Leistungen sind nicht Einkommen im klassischen Sinne.
Die Absicht ist, diese Leistung nicht anzurechnen. Das
ist eine Frage des vernünftigen Verwaltungshandelns in
den Ländern. Wenn Sie dort etwas anderes hören, sollten
Sie uns das sagen. Dann würden wir das thematisieren.
Das soll ausdrücklich nicht angerechnet werden. Es handelt sich um entschädigungsähnliche Leistungen, die gegeben werden.
Ich muss es noch einmal sagen: Wir können das Leid
finanziell nicht ausgleichen. Angesichts dessen wäre es
komisch, wenn die Summen, die gezahlt werden, mit anderen Leistungen verrechnet würden.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
der Bundestag hat mit seinen Beschlüssen und überhaupt
mit seiner Befassung mit Missbrauch und Misshandlung
in Heimen in Westdeutschland, aber auch in der ehemaligen DDR einen neuen Weg beschritten, der vorher noch
nie gegangen wurde. Daher ist es oftmals schwierig, das,
was wir uns vorstellen, dann auch in Handeln umzusetzen. Folgendes möchte ich gerne wissen:
Erstens. Ich habe kürzlich Beratungsstellen für Westheimkinder besucht. Hier muss ich dem zustimmen, was
Herr Winkler gerade gesagt hat. Ich kann nur sagen:
Weiß die Katze, dass ich keine Maus bin? Das heißt:
Weiß die Behörde, dass das, was ich bekomme, nicht angerechnet werden darf? - Dass wir das so beschlossen
haben, ist klar. Allerdings muss die Behörde, beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit, wenn es um Leistungen geht, eigentlich wissen, dass sie diese Gelder
nicht anrechnen darf. Die Betroffenen müssen das der
Behörde aber mitteilen; diese Rückmeldung bekomme
ich. Sie werden - bis auf einzelne Ausnahmen - höflich
und freundlich behandelt; das höre ich von den Betroffenen auch. Die Frage ist aber: Sind alle Institutionen so
gut informiert worden, dass sie das, was der Bundestag
will, auch umsetzen?
Zweitens. Bei der Umsetzung bezüglich der Heimkinder West gibt es verschiedene Modelle. Es geht von Niedersachsen, wo an jedem Jugendamt eine Beratungsstelle angesiedelt ist - dort sehe ich die Fachlichkeit
nicht mehr gewährleistet -, bis hin zu Bayern mit einer
Beratungsstelle; was ich sehr sinnvoll finde, weil das mit
den Betroffenen ausgehandelt wurde und weil dadurch
eine hohe Fachlichkeit entsteht. Wie können wir es
schaffen, dass das in Ostdeutschland wirklich gut funktioniert? In Berlin wird eine Beratungsstelle beides ma21794
Marlene Rupprecht ({0})
chen. Wie bekommen wir es also hin, dass wir sagen
können: „Dort könnt ihr hingehen; dort werdet ihr gut
beraten“?
Drittens. Als Letztes möchte ich wissen - ich weiß,
dass eigentlich nur eine Frage -
Frau Kollegin Rupprecht, wir setzen Sie gerne noch
einmal auf die Liste. Aber lassen Sie doch dem Staatssekretär auch die Chance, in der vorgegebenen Zeit Ihre
Fragen zu beantworten. Sonst sind Sie erst recht unzufrieden, wenn Sie jetzt noch eine dritte Frage dranhängen.
Ganz kurz: Die Initiativen, die sich um die Beratungsstellen bilden, brauchen Unterstützung. Diese Unterstützung kann nicht nur ehrenamtlich erfolgen. Da braucht
man Hauptamtlichkeit. Wie wollen wir diese Initiativen
unterstützen?
Insgesamt bin ich froh, dass wir es auf den Weg bringen. Aber wie schaffen wir es, das dann auch tatsächlich
gut umzusetzen?
Frau Präsidentin, ich kenne die Kollegin Rupprecht
seit vielen Jahren sehr gut. Ich weiß, dass sie sich intensiv um diese Thematik kümmert. Das ist auch ein wichtiger Punkt. Schließlich ist das Ganze zunächst einmal
eine Initiative des Parlaments gewesen. Daher sollte das
Parlament die Sache auch im Blick behalten.
Ich glaube, dass wir bei den Heimkindern Ost einen
Vorteil haben. Wir konnten bei den Heimkindern West
nämlich schon Erfahrungen sammeln. Daher wissen wir,
was geht und was nicht geht. Außerdem haben wir die
Leitlinien bereits entsprechend angepasst. Es muss aber
auch dafür gesorgt werden, dass die Fondsmittel tatsächlich den Betroffenen unmittelbar zugutekommen. Darum
müssen wir uns kümmern. Das werden wir auch tun. Wir
werden das auch noch einmal mit den Ländern besprechen.
Zur Frage, inwieweit sich der einzelne Mitarbeiter
korrekt verhält: Davon gehe ich jetzt einmal aus. Ich
habe schon das Gefühl, dass das ehrliche Bemühen bei
allen Ländern und bei den Ministern da ist. Wir haben
mehrfach mit ihnen zusammengesessen. Wenn es nicht
funktioniert, dann muss man es auch im jeweiligen Land
thematisieren.
({0})
- Das wird auch im jeweiligen Land zu klären sein. Wir
werden es bundesweit prüfen, was machbar ist. Das ist
unsere Aufgabe als Bund. Aber es gibt sicher auch Möglichkeiten der Umsetzung im jeweiligen Land. Das ist
völlig klar. Da werden die Länder auch ihre Erfahrungen
sammeln müssen. Bislang haben wir aber keine Hinweise, dass man sich nicht ernsthaft darum bemüht. Die
Länder sammeln allerdings auch erst ihre Erfahrungen
mit dieser Thematik.
({1})
Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias W.
Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
die Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige Heimkinder sollen in den neuen Bundesländern ausschließlich
bei staatlichen Stellen angesiedelt werden, also in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt
beispielsweise bei den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR. Wäre eine Ansiedlung bei unabhängigen Beratungsstellen wie Wildwasser, Violetta oder ähnlichen
nicht sinnvoller? Halten Sie das nicht für angemessener
für die Opfer der Heimerziehung in der DDR?
Das ist letztlich ein Wunsch und eine Entscheidung
der Länder gewesen. Viele Betroffene verfügen nämlich
bereits über Erfahrungen mit den Landesbeauftragten,
weil sie dort die Möglichkeit haben, ihre Akten einzusehen und sich zu informieren, soweit sie etwa in Spezialheimen untergebracht waren. Es war der Wunsch, das
zusammenzufassen; denn die Landesbeauftragten sind
erfahrene Institutionen, die auch bei den Menschen bekannt sind.
Man kann immer darüber diskutieren, ob man es anders organisieren sollte. Ich gehe davon aus, dass die
Länder die Initiative ergreifen werden, wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht funktioniert. Wir können
es dann aber auch gerne seitens des Bundes thematisieren.
Die Kollegin Heidrun Dittrich hat noch eine Nachfrage.
Sie haben vorhin geantwortet, dass der Fonds, der
40 Millionen Euro umfasst und in den neuen Bundesländern zur Auszahlung kommt, als Rentenersatzleistung
fungieren könnte, wenn entsprechende Anträge gestellt
werden würden. Daher frage ich: Wenn nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation bzw. nach
den Kriterien des Völkerrechtes Zwangsarbeit vorliegt
- demnach ist Zwangsarbeit jede Art von Arbeit oder
Dienstleistung, die eine Person unter Androhung einer
Strafe zu tun hat und für die sie sich nicht freiwillig zur
Verfügung gestellt hat -, kann dann nicht zusätzlich zu
der Zahlung aus diesem 40-Millionen-Euro-Fonds eine
Schadensersatzleistung eingeklagt werden?
Nein, das wird nicht so sein. Ich habe ja gesagt: Die
Zahlung aus dem Fonds wird kein Ausgleich für erlittenes Unrecht sein. Wir werden uns noch einmal gesondert
damit beschäftigen müssen, was den Menschen in den
Spezialheimen widerfahren ist, in die sie eingewiesen
worden sind, damit dort aus ihnen „sozialistische Persönlichkeiten“ geformt werden. Wie das im Einzelnen zu
bewerten ist, ist ein ganz anderes Thema, das wir noch
nicht hinreichend erfasst haben; bisher gibt es erste Hinweise.
Die gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel auch die
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, gelten natürlich auch für Heimkinder. Hier geht es um Zusatzleistungen, die erbracht werden, wenn etwas durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht abgegolten ist.
Die Kollegin Rupprecht hat jetzt das Wort zu einer
Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
will an das anknüpfen, was Herr Schwanitz sagte. Er
sagte, dass langfristig eine Finanzierung aus dem Etat
des Familienministeriums erfolgt. Unser Haushalt ist ja
nicht gerade riesig. Mir stellt sich deshalb die Frage, ob
die Bundesregierung, also der Finanzminister und die
anderen Ressorts, das prinzipiell als ressortübergreifende
Aufgabe ansieht. Auch der Bundestag war davon ausgegangen, dass der Fonds von allen Ressorts finanziert
wird oder prinzipiell aus dem Einzelplan 60 gespeist
wird. Ich finde, wir sollten ihn nicht im Etat des Familienministeriums ansiedeln. Das heißt, Familien und
Kinder der heutigen Generation sollten nicht für das zahlen, was andere früher falsch gemacht haben. Gibt es von
der Ministerin das klare Zeichen an den Finanzminister
und an die anderen Ressorts, dass alle ihren Beitrag leisten sollten und nicht nur das Familienministerium?
Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass wir im Etat
des Familienministeriums einen regelmäßigen Aufwuchs haben. Das ist sehr positiv. Die Familienpolitik ist
zudem sehr erfolgreich, angefangen beim Elterngeld
über den Kinderzuschlag bis hin zu anderen Leistungen.
Herr Schwanitz achtet als Haushälter sehr genau darauf,
dass wir sparsam mit den Mitteln umgehen; das ist sein
gutes Recht.
Ich gebe Ihnen recht: Unterschiedliche Finanzierungsformen sind möglich. Der Einzelplan 60 ist kein
Steinbruch für alle Leistungen. Dass man diesen Bereich
nun der Familien- und Jugendpolitik zuordnet, ist von
der Logik her nachvollziehbar. Das Familienministerium
könnte natürlich noch mehr Geld sinnvoll einsetzen; das
wissen Sie. Wir haben uns in den letzten Jahren erhebliche Anteile am Bundesetat erarbeiten können. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die Bundesrepublik Sparvorgaben einhalten muss. Ich glaube, daher ist klar, wo die
Grenzen sind und dass wir nicht ganz umhinkommen,
hier mitzufinanzieren.
Die Kollegin Dittrich hat mir signalisiert, dass sie
noch eine Nachfrage hat. Bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, besteht für die
Heimkinder die Möglichkeit, Leistungen aus dem Fonds
und Leistungen aufgrund des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zu kumulieren?
Ich habe eben gesagt: Der Fonds tritt nur ein, wenn
alle gesetzlichen Ansprüche abgegolten sind bzw. wenn
andere Möglichkeiten, Ansprüche zu befriedigen, nicht
mehr gegeben sind. Wir zeigen: Es werden zunächst einmal die Möglichkeiten anderer Gesetze genutzt. Ist dies
nicht möglich, greift der Fonds. Hier handelt es sich also
nicht um unbegrenzte, sondern um begrenzte praktische
Möglichkeiten. So kommen wir auf die Summen, die wir
errechnet haben.
Es wird allerdings keine Anrechnung auf StrRehaGLeistungen stattfinden. Eine andere Vorgehensweise
würde von der Logik her auch nicht funktionieren. Wir
sagen: Es werden zunächst einmal die Möglichkeiten anderer Gesetze genutzt. Ist dies nicht möglich, greift der
Fonds.
Danke. - Ich habe vor - ich kündige das schon einmal
an -, die drei mir signalisierten Fragen zu sonstigen Inhalten der Kabinettssitzung oder sonstigen Themen noch
zuzulassen.
({0})
- Dann müssen Sie sich melden. - Eine allerletzte Nachfrage stellt Frau Dittrich.
Eine kurze Frage: Was beabsichtigen Sie für die Menschen zu tun, die vor dem 14. Lebensjahr in Heimen untergebracht waren und die, da Kinder unter 14 Jahren
nicht arbeiten dürfen, keine Rentenersatzleistungen geltend machen können? Was für eine Entschädigung planen Sie für diese Personen? Nur Leistungen für die Folgeschäden?
Wir werden uns mit den Folgen zu beschäftigen haben. Wir werden uns auch mit der Frage zu beschäftigen
haben, ob ihnen Bildungsabschlüsse verweigert worden
sind, weil sie keine Möglichkeit hatten, eine Schule zu
besuchen. Damit muss man sich auseinandersetzen;
denn all das ist den Betroffenen vorenthalten worden. Es
wird natürlich Geld kosten, beispielsweise dafür zu sorgen, dass sie Schulabschlüsse nachholen können. Es ist
vielleicht sogar mit das Wichtigste, zu gewährleisten,
dass Menschen die Chance bekommen, etwas aus ihrem
Leben zu machen. In den Heimen ist ihnen diese Chance
verwehrt worden. Hier greifen die Leitlinien für den
Fonds.
Der Kollege Raabe hat mir vorhin dringenden Fragebedarf signalisiert.
({0})
- Dann bitte ich, das auch so anzuzeigen.
Herr Staatssekretär, wir danken Ihnen recht herzlich.
Auch ich bedanke mich.
Offensichtlich sind wir am Ende der Befragung der
Bundesregierung zu diesem Thema.
Es gibt die Möglichkeit, die Dauer der Befragung der
Bundesregierung zu verlängern. Dies wiederum heißt
aber, dass sich die Dauer der anschließenden Fragestunde verkürzt.
Die erste Frage zu sonstigen Inhalten stellt der Kollege Volker Beck.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mir geht es um die
sogenannte Fliegender-Teppich-Affäre. Ich möchte
gerne über den genauen Ablauf der Vorgänge unterrichtet werden. Wann ging bei Bundesminister Niebel die
Anfrage des Spiegel ein, und wann wurde der Antrag auf
Nachverzollung gestellt bzw. Selbstanzeige erstattet?
Meine zweite Frage, die damit im Zusammenhang
steht, lautet: Inwiefern entrichtete Bundesminister Niebel
für die Verbringung eines privat gekauften Teppichs per
BND-Flugzeug eine entsprechende Gebühr? Oder ist dies
beim Transport von Privatgegenständen per BND-Flugzeug grundsätzlich nicht üblich?
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, der Sachverhalt,
den Sie eben angesprochen haben - der Teppichkauf von
Herrn Minister Niebel -, war nicht Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung.
({0})
Im Übrigen findet im Anschluss an diese Fragestunde
eine Aktuelle Stunde statt, in deren Rahmen es um dieses Thema gehen wird und in der Bundesminister Niebel
selbst das Wort ergreifen wird.
({1})
Die Bundesregierung hat geantwortet. Es ist natürlich
das gute Recht eines jeden Abgeordneten, mit dieser
Antwort zufrieden oder unzufrieden zu sein
({0})
und darüber nach den von uns selbst getroffenen Regelungen mit der Bundesregierung zu diskutieren. Ich
muss keine Hellseherin sein, um vorherzusagen, dass wir
darüber andernorts noch diskutieren werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Koczy.
Danke, Frau Präsidentin. - Auch in meiner Frage
geht es um die Nachverzollung. Ich möchte von der
Bundesregierung erfahren, ob der Antrag von Minister
Dirk Niebel auf Nachverzollung mit einer Selbstanzeige
gemäß § 371 der Abgabenordnung verbunden ist und ob
der Bundesregierung ein anderer Fall in der bundesdeutschen Geschichte bekannt ist, in der sich ein aktives Mitglied der Bundesregierung selbst angezeigt hat.
Bitte, Herr von Klaeden.
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis dafür, dass
ich diese Fragen hier jetzt nicht beantworten kann, und
will auf die Möglichkeit hinweisen, Fragen einzureichen. Dann besteht für uns die Möglichkeit, die detaillierten Fragen angemessen zu beantworten, sodass Sie
schneller die Informationen bekommen, auf die Sie Anspruch haben.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Frithjof
Schmidt.
Da Sie sagen, dass Sie jetzt keine Fragen zu dem
Transport des von Bundesminister Niebel gekauften
Teppichs durch ein Flugzeug des BundesnachrichtenDr. Frithjof Schmidt
diensts beantworten wollen, möchte ich eine generelle
Frage an die Bundesregierung richten: Ist es üblich, dass
für den Transport privater Gegenstände von Regierungsmitgliedern durch Flugzeuge des Bundesnachrichtendiensts Gebühren erhoben werden, oder nicht?
Herr Kollege, generell ist es selbstverständlich nicht
üblich, dass private Gegenstände mit dem Flugzeug des
Bundesnachrichtendiensts transportiert werden. Das hat
Bundesminister Niebel in seinen Stellungnahmen ja
auch selber deutlich gemacht. Insofern erübrigt sich die
Frage nach Gebühren oder Weiterem.
Der Kollege Dr. Sascha Raabe stellt die nächste
Frage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Frage jetzt nicht
mündlich beantworten können, dann können Sie ja versuchen, die Antwort schriftlich nachzureichen; denn der
Minister ist nicht verpflichtet, in der Aktuellen Stunde
- das ist ja keine Fragestunde - auf Fragen einzugehen.
Sie waren bei uns im Ausschuss und wissen, dass das
Thema Kinderarbeit für uns wichtig ist. Ich hätte gerne
gewusst, ob Ihnen bekannt ist, ob der Teppich, den
Minister Niebel erworben hat, mit einem GoodWeaveSiegel versehen ist, das wir ja auch mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit fördern, oder ob er
einfach blind irgendeinen Teppich gekauft hat, ohne einen entsprechenden Nachweis zu haben.
Meine zweite Frage an Minister Niebel, die Sie gegebenenfalls bitte weiterleiten können, lautet, ob er auch
auf vorherigen Dienstreisen Einkäufe getätigt hat, die
den Wert von 430 Euro überstiegen haben, und ob er
diese dann auch verzollt hat.
Vielleicht können Sie diese Fragen dem Minister
freundlicherweise weiterleiten.
Das tue ich gerne. Wir beantworten Ihre Fragen gerne
schriftlich.
Gut. Die schriftliche Beantwortung ist zugesagt. Die nächste Frage stellt die Kollegin Bärbel Kofler.
Herzlichen Dank. - Weil es jetzt sicher schwierig ist,
spezielle Fragen im Detail zu beantworten - die Fragen
der Kollegen zum Vorgehen des Ministers und zur Verzollung und Versteuerung sind schon sehr interessant -,
habe ich eine ganz generelle entwicklungspolitische
Frage.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, gute
Regierungsführung sei ein Schlüsselkriterium für die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Würden Sie das
Vorgehen des Entwicklungsministers - ich möchte „Entwicklungsminister“ an dieser Stelle unterstreichen - in
Bezug auf den Transport eines Teppichs aus Afghanistan, das immer wieder als ein Land kritisiert wird, in
dem man um gute Regierungsführung ringen muss, als
gutes Beispiel für gute Regierungsführung und Integrität
im Amt bezeichnen?
Frau Kollegin Kofler, Sie haben selbstverständlich
recht damit, dass es das oberste Ziel nicht nur des Bundesentwicklungsministers, sondern auch der gesamten
Bundesregierung ist, gute Regierungsführung zu zeigen.
Ich sehe diese weder in der Vergangenheit noch heute in
irgendeiner Form beeinträchtigt.
({0})
Das bleibt auch weiterhin unser Ziel.
Der Kollege Dr. Jürgen Koppelin hat das Wort.
Anlass für meine Frage an die Bundesregierung ist
der Besuch der Kollegin Claudia Roth in Libyen. Gibt es
auch für Abgeordnete Richtlinien bezüglich Reisen?
Wenn zum Beispiel in Nordafrika ein Flug ausfällt:
Kann dann ein Abgeordneter gepanzerte Fahrzeuge ordern, damit er zum Beispiel von Tripolis nach Tunesien
gefahren werden kann?
Man konnte sogar in einem Video sehen, dass die
Kollegin Claudia Roth auf einem Basar in Libyen reichlich eingekauft hat. Diese Waren sind sicher auch mit
dem gepanzerten Fahrzeug transportiert worden. Werden
dafür Kosten erhoben, und ist das auch verzollt worden?
({0})
Wer aus der Bundesregierung fühlt sich in der Lage,
zu antworten? - Bitte.
Herr Kollege Koppelin, ich kann Ihre Fragen jetzt leider nicht beantworten und bitte um Verständnis dafür,
dass ich das schriftlich nachholen muss.
Das ist damit zugesagt. - Die letzte Frage in diesem
Bereich stellt die Kollegin Kathrin Vogler.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, da Sie konkrete Fragen zu dem Thema Teppichkauf
nicht beantworten können, habe ich eine inhaltliche
Frage zum Besuch von Minister Niebel in Afghanistan.
Trifft es zu, dass er bei diesem Besuch unter anderem
mit Regierungsvertretern über Good Governance, also
gute Regierungsführung, gesprochen hat? Wurden dabei
auch Fragen wie der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und
die Korruptionsbekämpfung angesprochen? Gibt es inzwischen Reaktionen seiner Gesprächspartner auf die
aktuelle Debatte hier in Deutschland?
({0})
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin, der Bundesminister wie auch andere
Minister, die nach Afghanistan reisen, sind daran interessiert, bessere Lebensverhältnisse für die Menschen
vor Ort zu schaffen. Dazu gehören natürlich eine gute
Regierungsführung und die Beachtung von Menschenrechten. Selbstverständlich sind dies Themen, die bei allen Besuchen immer wieder angesprochen werden. Mir
ist nicht bekannt, dass sich die afghanische Regierung in
irgendeiner Weise mit dem von Ihnen angesprochenen
Thema befasst hat.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich beende die Befragung. Die neun Minuten, um die wir die Befragung verlängert haben, ziehen wir von der Zeit für die Fragestunde ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/9888, 17/9910 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß
Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringlichen Fragen auf Drucksache 17/9910 auf.
Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung.
Wir beginnen mit der dringlichen Frage 1 des Kollegen Harald Weinberg:
Wird bei der Bundesregierung angesichts der dramatischen Versorgungslage und des drohenden Komplettzusammenbruchs des Gesundheitssystems in Griechenland ({0}) die Notwendigkeit von
Nothilfen oder Notkrediten für das griechische Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse EOPYY gesehen, und erwägt
die Bundesregierung, Nothilfen zu gewähren?
Bitte, Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Unsere Antwort
ist wie folgt: Die Probleme im griechischen Gesundheitssystem sind nicht neu. Sie bestanden schon vor dem
Beginn des Hilfsprogramms. Sie sind daher nicht ursächlich mit der aktuellen Schuldenkrise oder den notwendigen Strukturreformen innerhalb des Memorandums verbunden.
Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone und der Internationale Währungsfonds haben auch aus diesem Grund
Griechenland im Rahmen des Anpassungsprogramms
Kredite von insgesamt 237,5 Milliarden Euro zugesagt.
Hierdurch soll Griechenland in die Lage versetzt werden, seinen Verpflichtungen gegenüber nationalen und
internationalen Gläubigern nachzukommen und hierdurch Spielräume für die Bereitstellung öffentlicher
Dienstleistungen, unter anderem im Gesundheitsbereich,
zu schaffen. Voraussetzung für den Erfolg des zweiten
Programms ist jedoch, dass Griechenland die Strukturreformen fortsetzt.
Die Bundesregierung ist darüber hinaus bereit, Griechenland strukturell und organisatorisch zu unterstützen.
Insbesondere sind weitere Reformen im Gesundheitswesen notwendig. Da beispielsweise das Abrechnungssystem in griechischen Krankenhäusern intransparent ist,
nimmt das Bundesministerium für Gesundheit in seiner
Funktion als „Domain Leader“ im Rahmen der
Taskforce gemeinsam mit dem griechischen Gesundheitsministerium und der Taskforce Griechenland bei der
Europäischen Kommission gestaltenden Einfluss, um
nachhaltige Verbesserungen in der griechischen Gesundheitsversorgung zu bewirken.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Herr Weinberg, Sie
haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Eine Nachfrage
habe ich in diesem Zusammenhang schon. Trifft es nach
Ihrer Erkenntnis zu, dass ein Bestandteil der aufgelegten
Reformmaßnahmen darin besteht, dass der Anteil der
Gesundheitskosten von bisher etwa 9,6 Prozent auf
6,5 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts zurückgefahren werden soll?
Herr Kollege Weinberg, wir sind vordringlich beratend
unterwegs. Aus diesem Grunde haben wir das Memorandum of Understanding unterschrieben. Wir befassen uns
vor allen Dingen mit dem Versuch, eine grundlegende
Strukturreform im griechischen Gesundheitssystem vorzubereiten. Sie können sich vorstellen, dass dies angesichts der Lage und der bevorstehenden Wahlen in Griechenland ein sehr schwieriger Akt ist. Deswegen sind wir
in einem laufenden Prozess.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Dann hat die Kollegin Kathrin Vogler das Wort.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sprachen gerade von nachhaltigen Verbesserungen und strukturellen
Veränderungen. Uns erreichen täglich Pressemitteilungen, in denen die Lage als mehr als dramatisch geschildert wird: Krankenhäuser können keine Operationen
mehr durchführen. Es gibt keine Desinfektionsmittel,
Handschuhe und Katheter mehr. Die Patientinnen und
Patienten müssen ihre Medikamente in der Apotheke bar
bezahlen, weil die staatliche Gesundheitskasse bei den
Apothekern keinen Kredit mehr hat. Viele Menschen
können es sich angesichts der auch aufgrund der Vorgaben der Troika gesunkenen Löhne und der sinkenden
Renten nicht mehr leisten, sie zu kaufen.
Halten Sie das Streben nach nachhaltigen Verbesserungen wirklich für ausreichend, um den akuten Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten in Griechenland in irgendeiner Weise zu decken?
Frau Kollegin Vogler, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind
keinerlei Kreditanfragen der griechischen Regierung bei
uns eingetroffen. Wir würden solche Kredite natürlich
nicht in vorauseilendem Gehorsam gewähren. Das ist
das eine.
Das Zweite ist - in Ihrer Frage haben Sie einen rein
humanitären Bereich angesprochen -: Die Europäische
Kommission diskutiert, wie Sie wissen, zurzeit die Situation dort. Auch das ist ein laufender Prozess, sodass
ich zu dem Abschluss der Verhandlungen derzeit noch
nichts sagen kann. Aber auch wir sind in diese Diskussionen eingebunden.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Marlies
Volkmer.
Vielen Dank. - Ich kann nahtlos an die Frage der Kollegin Vogler anschließen. Halten Sie es für notwendig,
schnell zu Hilfsmaßnahmen für Griechenland bzw. die
griechische Bevölkerung zu kommen? Denn wenn sich
chronisch kranke Menschen wie Diabetiker, Asthmakranke und Herzkranke keine Medikamente mehr leisten
können und sie diese aber auch nicht über die Krankenversicherung bekommen, dann sind Todesfälle absehbar.
Wie lange werden Ihres Erachtens die Beratungen und
Abstimmungen innerhalb der Europäischen Union dauern, um Hilfe gewähren zu können?
Liebe Kollegin Dr. Volkmer, wir sind momentan nicht
in der Lage, einen Zeitraum zu nennen. Das Verfahren
läuft zurzeit. Wie Sie wissen, ist das BMG für europäische Verhandlungen nicht zuständig. Ich bin aber gerne
bereit, Sie schriftlich zu informieren, was die ungefähre
Abschätzung des Zeitraums angeht.
Wir kommen damit zur zweiten dringlichen Frage des
Kollegen Harald Weinberg:
Arbeitet die Bundesregierung in der Europäischen Union
darauf hin, dass es Nothilfen oder Notkredite für das griechische Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse EOPYY gibt,
und welche Auswirkungen wären zu befürchten, falls keinerlei Hilfen für das griechische Gesundheitssystem gewährt
würden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ich habe in meiner Antwort auf die erste dringliche
Frage bereits darauf hingewiesen, dass es keine Anfragen seitens der griechischen Regierung und aus diesem
Grunde auch keine Überlegungen in unserem Hause zu
diesem Thema gibt.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich wiederhole
noch einmal die Frage, um deutlich zu machen, worum
es geht. Die Frage lautet: Arbeitet die Bundesregierung
in der Europäischen Union darauf hin, dass es Nothilfen
oder Notkredite für das griechische Gesundheitssystem
bzw. die Krankenkasse dort geben soll? Die Frage ist
also nicht, ob Griechenland Kreditanfragen an Sie gerichtet hat und ob Sie Kredite gewähren, sondern ob Ihre
politische Strategie in der Europäischen Union darauf
ausgerichtet ist, diese Nothilfen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort.
Herr Kollege Weinberg, ich habe eben schon darauf
verwiesen, dass das ein laufender Prozess innerhalb der
Europäischen Kommission ist, über den ich gerne informiere, wenn ich das notwendige Wissen habe. Zurzeit
habe ich es nicht.
Eine zweite Nachfrage.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Einem Bericht
der Bundesregierung habe ich Folgendes entnommen: In
einem am 5. Juni in Brüssel geführten Gespräch zwischen Vertretern des BMG und dem Leiter der Taskforce
bei der Europäischen Kommission, Herrn Reichenbach,
bestand Einvernehmen darüber, dass die bisherigen Initiativen zur Unterstützung Griechenlands im Gesundheitsbereich im Falle einer Regierungsbildung durch bislang die Regierung tragende Parteien grundsätzlich
fortgesetzt werden können.
Ich betone: im Falle einer Regierungsbildung durch
bislang die Regierung tragende Parteien. Wenn es nun in
Griechenland zu einer Regierungsbildung ohne die bislang die Regierung tragenden Parteien kommt, stellt sich
die Frage: Wird die Initiative dann eingestellt, oder wird
sie fortgesetzt?
Herr Kollege Weinberg, das werden wir entscheiden,
wenn es so weit ist.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Vogler.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie uns allen Ernstes erzählen, dass sich die Bundesregierung angesichts der am
nächsten Wochenende stattfindenden Wahlen in Griechenland und vorliegender Umfrageergebnisse im Hinblick auf den Wahlausgang keine strategischen Gedanken gemacht hat, wie sie mit einem möglicherweise
ihren Plänen entgegenstehenden Wahlausgang umgehen
wird?
Liebe Kollegin Vogler, es gibt zurzeit keine Pläne,
über die ich eine Aussage machen könnte. Ich finde es
auch merkwürdig, hier über den Ausgang einer demokratischen Wahl in einem anderen Land zu spekulieren.
Das steht mir nicht zu.
Die dringliche Frage 3 der Kollegin Dr. Martina
Bunge wird schriftlich beantwortet. - Herzlichen Dank,
Frau Staatssekretärin.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/9888 in der üblichen Reihenfolge
auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max
Stadler zur Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Matthias
Miersch auf:
Hat das Bundesministerium der Justiz die Forderungen
des einstimmig angenommenen Antrags auf Bundestagsdrucksache 17/8344 - keine Patentierung von konventionell
gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und -pflanzen bereits umgesetzt, und wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bedauere, dass die Frage des Kollegen Seifert
schriftlich beantwortet werden muss, weil ich zu der in
dieser Frage thematisierten Behindertenkonvention
gerne mündlich vorgetragen hätte. Selbstverständlich betrifft die Frage des Kollegen Miersch ebenfalls eine äußerst wichtige Thematik. Herr Kollege, Sie fragen nach
der Umsetzung eines Antrags, der im Februar 2012 vom
Bundestag bezüglich der EU-Biopatentrichtlinie beschlossen worden ist.
Der genannte Antrag vom 17. Januar 2012 zielt unter
anderem auf die Konkretisierung und Änderung der
EU-Biopatentrichtlinie ab. Die Bundesministerin der
Justiz hat bereits unmittelbar nach der Plenardebatte, die
zu diesem Antrag stattgefunden hat, nämlich mit Schreiben vom 31. Januar 2012, den zuständigen EU-Binnenmarktkommissar Barnier auf die Meinungslage im Deutschen Bundestag aufmerksam gemacht. Die
Bundesregierung hat in diesem Schreiben die Notwendigkeit unterstrichen, dass die EU-Kommission noch unter dänischer Ratspräsidentschaft einen neuen Bericht
zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie in den Mitgliedstaaten der EU vorlegen möge. Der Brief der Justizministerin enthält schließlich die Bitte, dass entsprechend Nr. 6 des Antrags und des Beschlusses des
Bundestags in diesem Bericht „die ethischen Aspekte“
von biotechnologischen Patenten „sowie die Folgen für
die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und für die
Forschung berücksichtigt“ werden. Kommissar Barnier
hatte bereits im November 2011 die Vorlage dieses Berichts zugesagt. Nach neueren Informationen soll der
Bericht nunmehr im Oktober oder November dieses Jahres vorgelegt werden.
Frau Präsidentin, die Frage erfordert leider, etwas
ausführlicher auszuholen; denn der Antrag auf der genannten Drucksache spricht auch die Schaffung des
EU-Patents an. Die Bundesregierung hat sich in den Beratungen dazu im Hinblick auf die Belange der deutschen Bauern und Züchter für eine sogenannte Unberührtheitsklausel zugunsten nationaler Sonderregelungen
eingesetzt. Dazu besteht unter den EU-Mitgliedstaaten
Konsens. Danach können sich deutsche Bauern und
Züchter wie bisher gegenüber deutschen und europäischen Patenten künftig auch gegenüber den Inhabern des
neu zu schaffenden EU-Patents auf die deutschen Sonderbestimmungen berufen, das heißt auf das Pflanzenzüchterprivileg und das Landwirteprivileg mit der Beweislastumkehr bei zufälliger Auskreuzung von Saatgut.
Ich glaube, ich belasse es dabei. Der Herr Kollege
setzt sowieso schon zu einer Zusatzfrage an. Ich kann Ihnen vielleicht dann den Rest meiner geplanten Antwort
vortragen.
Er stellt garantiert eine Nachfrage. - Bitte, Kollege
Miersch.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese Antwort.
Ich möchte mir die Anmerkung erlauben, dass sich diese
Antwort auf meine zweite Frage bezogen hat. In meiner
ersten Frage habe ich ganz bewusst nicht nach der europäischen Rechtslage gefragt. Der Antrag, den wir hier
über alle Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen haben,
bezog sich vielmehr auf das nationale Patentgesetz und
die Einführung eines Biopatentmonitorings. Können Sie
mir dazu noch etwas sagen?
Herr Kollege, es ist in der Tat so, dass genau dieser
Teil meiner Antwort der Zeitregel zum Opfer gefallen ist.
Ich kann jetzt Ihre Zusatzfrage dazu nutzen, Ihnen den
weiteren Teil meiner Antwort wie geplant vorzutragen.
Soweit sich der von Ihnen zitierte Antrag auf das
deutsche Patentgesetz bezieht, hat der Deutsche Bundestag eine Prüfung erbeten, ob und inwieweit auch ohne
Änderung der EU-Biopatentrichtlinie Änderungen oder
Klarstellungen zur Einschränkung der Patentierung von
Tieren und Pflanzen möglich sind. Diese Prüfung läuft
derzeit. Sie wirft ziemlich schwierige Fragen auf, einerseits Fragen des nationalen Regelungsspielraums im
Rahmen EU-rechtlicher Vorgaben, andererseits auch
Fragen der rechtlichen Konsequenzen einer abweichenden Regelung auf nationaler Ebene für die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Binnenmarkt. Zusammengefasst: Diese Prüfung läuft derzeit noch.
Ihre zweite Nachfrage.
Können Sie uns einen Zeitraum nennen, wann wir mit
einem Ergebnis rechnen können?
Ja. Ich rechne mit einem Abschluss dieser Prüfung bis
zum Ende dieses Jahres.
Wir kommen zur Frage 3 des Kollegen Miersch:
Wird sich das Bundesministerium der Justiz im europäischen Patentrecht für ein klares Verbot der Patentierung von
Züchtungsverfahren, von Züchtungsmaterial und Pflanzen
und Tieren aussprechen und sich für eine Änderung der Biopatentrichtlinie auf EU-Ebene einsetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich darf wie folgt antworten: Zunächst ist klarzustellen - das haben Sie aber selber schon gesagt -, dass sich
der Beschluss des Bundestags, den wir gerade schon erörtert haben, nur auf konventionelle Züchtungsverfahren
bezieht und nicht auf solche technischen Charakters wie
etwa gentechnische Verfahren.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das
Verbot der Patentierung im Wesentlichen biologischer
Verfahren, soweit die Verfahren selbst Gegenstand der
Patentansprüche sind, in der EU-Biopatentrichtlinie
ebenso wie im Europäischen Patentübereinkommen und
im deutschen Patentgesetz eindeutig geregelt ist und
dass diese Rechtslage durch den sogenannten BrokkoliBeschluss der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 9. Dezember 2010 bestätigt worden ist.
Die Bundesregierung ist weiterhin der Auffassung,
dass sich aus dieser Rechtslage zwingend ergibt, dass
auch die mittels solcher vom Patentschutz ausgeschlossenen Verfahren gewonnenen Erzeugnisse nicht patentierbar sind. Mit dieser Thematik wird sich übrigens die
Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts auch noch im Zusammenhang mit dem sogenannten Tomaten-Patent befassen.
Was die Prüfung eines möglichen Änderungsbedarfs
der Biopatentrichtlinie der EU angeht, wird die Bundesregierung den vorhin schon erwähnten Bericht der EUKommission abwarten, um ein Gesamtbild über den
Stand der Umsetzung und den gegebenenfalls erkennbaren Reformbedarf zu erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang hat
sich der Deutsche Bundestag angesichts der Entwicklung, die wir auf europäischer Ebene beobachten
können, und der Tatsache, dass sehr vielfältig in die Ernährung der Menschen in Europa eingegriffen wird,
einvernehmlich dafür ausgesprochen, ein Biopatentmonitoring nationalstaatlich zu organisieren. Deswegen
meine Frage: Haben Sie dieses Monitoring gestartet,
bzw. wann tritt es in Kraft?
Dies ist in der Tat auch Gegenstand des Beschlusses
des Parlaments vom 8. Februar. Nach meiner Information ist es so, dass nachgeordnete Stellen des Landwirtschaftsministeriums - dafür ist das Justizministerium
nicht zuständig - dieses Anliegen des Parlaments
erfüllen werden. In diesem Beschluss sind wir weiterhin
aufgefordert worden, den Dialog mit den von Biopatenten betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu führen.
Auch dies geschieht laufend.
Ihre zweite Nachfrage.
Auch hierzu frage ich ganz konkret: Wann können wir
damit rechnen, dass wir dieses Monitoring installiert bekommen? Wann startet die Bundesregierung damit?
Es wird kein Monitoring in dem Sinne geben, dass die
Bundesregierung sozusagen die letzte Revisionsinstanz
wäre. Was gewünscht wird, nämlich Entwicklungen
frühzeitig erkennen zu können und in angemessenen
Zeiträumen einen Bericht über die Auswirkungen des
Patentrechts vorzulegen, wird jetzt laufend durch nachgeordnete Stellen des Landwirtschaftsministeriums
geleistet werden.
Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Harald
Ebner das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie hatten beschrieben, dass die
Bundesregierung die Patentierung der biologischen Verfahren für eindeutig geregelt hält.
Der Bundestag war mit seinem interfraktionellen Antrag einer anderen Meinung. Alle Fraktionen haben sich
geeinigt, diesen Antrag zu verabschieden, weil da Regelungsbedarf gesehen wurde. Ich möchte Sie fragen, wie
Sie sich angesichts Ihrer Erläuterungen die große Zahl
von mehreren Hundert faktisch erteilten Patenten auf
konventionelle Züchtungen erklären.
Herr Kollege, noch einmal: Ich habe die Rechtslage
dargestellt. Ich habe auch ausgeführt, dass das Ganze
unserer Meinung nach geregelt ist.
Es wird aber Gesetzgebungsverfahren geben bzw. solche sind schon im Gang, bei denen diese Fragen und die
von Ihnen angeführten Beobachtungen aus der Praxis in
dem Sinne erörtert werden können, ob es dennoch einen
Klarstellungsbedarf gibt. Dabei ist auch die Frage zu beantworten, inwieweit hierbei nationaler Regelungsspielraum besteht.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich
rufe die Frage 4 der Kollegin Sonja Steffen auf:
Für wann sind die Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens,
zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit
von Lizenzen durch das Kabinett und die Einbringung in den
Deutschen Bundestag geplant?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage der Kollegin Steffen berührt in der Praxis
wirklich sehr viele Menschen, sodass die potenziell
Betroffenen sicherlich darauf warten, dass die Gesetzgebung hierbei voranschreitet.
In der Tat ist die Verabschiedung des Gesetzentwurfs,
den Sie mit Ihrer Frage ansprechen, durch das Kabinett
noch für den Sommer 2012 geplant. Die Einbringung in
den Deutschen Bundestag wird dann den üblichen Regeln entsprechend erfolgen, also dann, wenn sich der
Bundesrat damit befasst hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. - Die erste Nachfrage betrifft den Inhalt
des Entwurfs in Bezug auf das jetzige Vorhaben, dass die
Rechtspfleger am Insolvenzverfahren stärker beteiligt
werden sollen. Nach dem Entwurf ist beabsichtigt, dass
die Rechtspfleger das Insolvenzverfahren und auch das
Restschuldbefreiungsverfahren übernehmen sollen. Ist
dies auch weiterhin beabsichtigt?
Frau Kollegin Steffen, die Ressortabstimmung zu diesem Gesetzentwurf ist noch nicht abgeschlossen, sodass
ich im Moment keine verbindlichen Aussagen darüber
machen kann, wie genau der Kabinettsbeschluss aussehen wird. Wir müssen das noch abwarten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Die zweite Nachfrage betrifft auch den jetzt vorgesehenen Inhalt des Entwurfs. Sie bezieht sich auf das
Vorhaben, das Verfahren der Restschuldbefreiung zu
verkürzen. Dies ist allerdings an die Tilgung von Gläubigerforderungen gekoppelt. Wie ist denn dazu der aktuelle Stand im Ministerium?
Frau Kollegin Steffen, ein wesentlicher Teil des Gesetzentwurfs ist, dass die Restschuldbefreiung deutlich
früher erlangt werden kann, als dies nach bisherigem
Recht der Fall ist. Bekanntlich ist das nicht völlig unumstritten; denn auf der anderen Seite stehen die Interessen
der Gläubiger.
In der Praxis hat sich die jetzige Restschuldbefreiung
sehr bewährt. Nach dem Prinzip, dass jeder eine zweite
Chance verdient, hat sich nämlich ergeben, dass mit diesem Instrument eben kein Missbrauch betrieben worden
ist. Vielmehr zeigte sich: Menschen, die in eine finanzielle Notlage gekommen sind, konnten nach der Restschuldbefreiung wieder von vorne beginnen. Dieses Instrument ist durchaus erfolgreich gewesen.
Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass künftig
schon nach drei Jahren die Restschuldbefreiung eintreten
kann, falls eine bestimmte Quote der Forderungen erfüllt
ist. Der Gedanke war, bei etwa 25 Prozent anzusetzen.
Aber selbstverständlich sind in der politischen Debatte
gerade die Fragen der Fristen und der zu erreichenden
Quote strittig. Daher muss ich Sie noch um wenige WoParl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
chen Geduld bitten, bis nach der Ressortabstimmung der
endgültige Entwurf dem Parlament vorgelegt werden
kann.
Wir kommen dann zur Frage 5 der Kollegin Sonja
Steffen:
Welche Änderungen sind vom Bundesministerium der
Justiz nach Einholung der Stellungnahmen der Verbände gegenüber dem Referentenentwurf geplant?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Frage 5 geht ein wenig in die Richtung der zweiten Nachfrage von Kollegin Steffen nach den geplanten
Änderungen. Hierzu habe ich schon ausgeführt, dass die
Ressortabstimmung gerade im Gange ist; sie ist noch
nicht abgeschlossen. Stellungnahmen der Länder und der
interessierten Verbände sind eingeholt und werden jetzt
ausgewertet. Nach dieser Auswertung und nach der Abstimmung können wir Ihnen vortragen, ob es zu Änderungen gegenüber dem Entwurf, den ich skizziert habe,
kommen wird.
Dieser Entwurf basiert, wie gesagt, auf der Idee,
schon nach der relativ kurzen Zeit von drei Jahren bei
einer bestimmten Wohlverhaltensquote zur Restschuldbefreiung zu gelangen. Dem zugrunde liegen gute Erfahrungen mit dem jetzt geltenden Recht, das wir damit ausbauen würden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
Ich habe eine Frage in Bezug auf die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens. Wir können dann also damit
rechnen, dass der Entwurf nach der Sommerpause hier
ins Plenum kommt?
Ich rechne damit, dass der Bundesrat nach der Sommerpause seinen ersten Durchgang durchführen wird.
Wenn dies geschehen ist, kommt der Gesetzentwurf ins
Plenum.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen
Burkhard Lischka:
Wird die Bundesregierung einen Regelungsvorschlag für
eine eigene Rechtsgrundlage für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, Quellen-TKÜ, vorlegen?
Bitte, Herr Stadler.
Das ist eine Thematik, Herr Kollege Lischka, über die
wir uns im Rahmen der Fragestunde schon einmal
ausgetauscht haben. Nach wie vor gilt, dass es eigenständige Rechtsgrundlagen für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung im präventiven Bereich teilweise bereits gibt, beispielsweise in § 20 I Abs. 2 des
Bundeskriminalamtgesetzes. Für den Bereich der Strafverfolgung - darauf zielt Ihre Frage sicherlich ab - wenden die Gerichte § 100 a Strafprozessordnung auch für
diese Art der Überwachung von Telefonaten an der
Quelle an. Hierzu gibt es mittlerweile eine Rechtsprechung, die sich verfestigt hat.
Ob es geboten ist, gesetzliche Regelungen zusätzlich
vorzusehen, ist gerade Gegenstand einer intensiven
Prüfung der Bundesregierung, in die die Erkenntnisse
aus der derzeit noch laufenden Entwicklung der für die
Durchführung einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung erforderlichen Software ebenso einfließen
werden wie die Hinweise, die wir zwischenzeitlich von
Experten, übrigens auch im Unterausschuss Neue
Medien des Bundestags, erhalten haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Darf ich dann
Ihrer Antwort entnehmen, dass nach Auffassung der
Bundesregierung § 100 a StPO im Bereich der Strafverfolgung trotz gewichtiger Gegenstimmen in der Rechtsliteratur und in der Wissenschaft eine ausreichende
Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ darstellt?
Sie dürfen meiner Antwort entnehmen, dass es mittlerweile einhellige Praxis der Gerichte ist, § 100 a als
Rechtsgrundlage heranzuziehen, und dass wir diese in
richterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidungen respektieren. Wir hatten darüber ja schon einmal, in
der Fragestunde im Oktober 2011, gesprochen. Nachträglich ist bekannt geworden, dass es insoweit nicht nur
Entscheidungen von Instanzgerichten gibt, sondern auch
eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich auf
§ 100 a StPO gestützt hat.
Gleichwohl bleibt offen, ob wir für die Zukunft noch
Modifizierungen brauchen, die der Gesetzgeber vorzunehmen hätte. Das hängt ein wenig davon ab, wie sich
die technische Entwicklung darstellt. Es wird ja jetzt
versucht, eine, wenn ich das so unjuristisch sagen darf,
grundrechtsschonendere Software zu entwickeln. Von
der Frage, was diese Software kann und was man in diesem Zusammenhang verbieten muss, hängt letztlich ab,
ob es für den Gesetzgeber noch Regelungsbedarf über
den § 100 a StPO hinaus gibt. Eine Entscheidung haben
wir noch nicht getroffen; wir prüfen noch.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Entwicklung einer
Software angesprochen. Daran schließe ich meine
zweite Frage an: Liegen der Bundesregierung denn Erkenntnisse darüber vor, ob derzeit bei den Bundesbehörden die Quellen-TKÜ angewandt wird? Oder wird die
Quellen-TKÜ nicht angewandt, solange eine Software
entwickelt wird?
Ich habe jedenfalls die sichere Erkenntnis, dass in
Bayern, wo sich ein Fall ereignet hat, der die Debatte darüber überhaupt erst ausgelöst hat, und wo durch das
Landgericht Landshut festgestellt werden musste, dass
die sogenannten Screenshots nicht zulässig sind, die
Staatsregierung entschieden hat, diese Software nicht
mehr einzusetzen.
Ich habe jetzt keinen schriftlichen Beleg dazu, ob das
im Bereich der Bundesregierung auch so ist. Ich würde
vorschlagen, dass ich diesen Teil der Antwort schriftlich
nachtrage, bevor ich hier etwas Unrichtiges sage. Dann
haben Sie eine zuverlässigere Information, als wenn ich
jetzt aus der Lamäng eine Antwort geben würde.
Das halten wir so fest.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Marianne Schieder
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Regelung des
§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes, welche die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material in engen Grenzen für
Unterricht und Forschung, zum Beispiel im Intranet der Universität, erlaubt und zum 31. Dezember 2012 ausläuft, zu verlängern bzw. zu entfristen, und, wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Beim § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geht es bekanntlich darum, dass für Unterricht und Forschung urheberrechtlich geschütztes Material in engen Grenzen
und unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden
kann. Diese Regelung ist noch unter Regierungsverantwortung der SPD eingeführt worden, jedoch befristet,
weil man die praktischen Auswirkungen sehen wollte.
Es gab dann erneute Befristungen. Nun läuft die Frist
zum 31. Dezember 2012 aus, sodass zu entscheiden ist,
wie man weiter vorgeht.
Zur Vorbereitung dieser Entscheidung hat das Bundesministerium der Justiz eine Evaluierung des § 52 a
des Urheberrechtsgesetzes vorgenommen. Diese Evaluierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Das
Bundesministerium der Justiz wird den entsprechenden
Bericht demnächst dem Deutschen Bundestag zuleiten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, bis zum 31. Dezember ist nicht
mehr viel Zeit. Können Sie denn wenigstens in groben
Zügen sagen, wie das Ergebnis dieser Evaluierung aussieht?
Ich kann nur sagen, dass das Bundesministerium der
Justiz anstrebt, dass es bei der Regelung des § 52 a des
Urheberrechtsgesetzes bleibt.
Zweite Nachfrage.
In welcher Form, Herr Staatssekretär? Streben Sie das
an, indem Sie die Frist wieder verlängern oder indem Sie
das Ganze entfristen?
Diese beiden Möglichkeiten stehen zur Debatte. Darüber ist eine Entscheidung noch nicht getroffen. Insbesondere gibt es auch noch keine abgestimmte Haltung
der Bundesregierung, weil, wie gesagt, der Evaluierungsbericht gerade erst ausgewertet wird. Aber bei den
von Ihnen zu Recht genannten zeitlichen Vorgaben ist
klar, dass Sie in allernächster Zeit mit einem Entwurf
rechnen können.
Damit kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Brigitte
Zypries:
Wann wird die Bundesregierung, der Ankündigung im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP folgend, den
Dritten Korb zur Reform des Urheberrechts vorlegen, und
welche konkreten Regelungen werden darin enthalten sein?
Bitte.
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, würde ich gern
die Fragen 8 und 9 von Frau Kollegin Zypries im Zusammenhang beantworten. Darin geht es um den sogenannten Dritten Korb zum Urheberrecht und um das
Leistungsschutzrecht für Presseverlage.
Natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kollegin Brigitte Zypries auf:
Wie wird das vom Koalitionsausschuss am 4. März 2012
beschlossene Leistungsschutzrecht für Presseverlage genau
ausgestaltet sein?
Damit gibt es die Möglichkeit, vier Nachfragen zu
stellen.
Das innerhalb der Bundesregierung für das Urheberrecht zuständige Bundesministerium der Justiz wird
noch vor der Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes
zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage vorlegen. Mit einem solchen Leistungsschutzrecht soll den Presseverlegern das ausschließliche Recht
eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerblichen
Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen.
Urheber sind angemessen an der Vergütung zu beteiligen.
Darüber hinaus erarbeitet das Bundesministerium der
Justiz derzeit Eckpunkte für ein weiteres Gesetz mit Änderungen im Urheberrecht. Diese Eckpunkte werden
verschiedene Bereiche umfassen, beispielsweise Regelungen zur Nutzung sogenannter verwaister Werke. Die
Arbeiten hieran sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie hatten ja vor einigen Wochen
im Unterausschuss Neue Medien gesagt, dass das Justizministerium prüfe, in welcher Form der Beschluss des
Koalitionsausschusses zum Leistungsschutzrecht tatsächlich umgesetzt werden könne. Jetzt entnehme ich Ihren Worten, dass es dabei bleiben soll, dass Herausgeber
von Zeitungen das ausschließliche Recht haben, ihr
Presseerzeugnis ganz oder in Teilen zu gewerblichen
Zwecken online öffentlich zugänglich zu machen. Das
heißt, die streitige Frage der Snippets wäre damit entschieden: Es bleibt nach wie vor Sache der Verlage, ob
sie sie zugänglich machen wollen oder nicht. Habe ich
Sie da richtig verstanden?
Ich habe Ihnen das Grundprinzip des geplanten Leistungsschutzrechts dargestellt. Zu dem Zeitpunkt, als ich
in Ihrem Ausschuss vortragen durfte, war noch fraglich,
wie der Beschluss des Koalitionsausschusses umgesetzt
wird. Wir machen jetzt den Vorschlag, dass ein Leistungsschutzrecht eingeführt wird. Das heißt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen, ist dann das ausschließliche
Recht der Presseverlage - also nicht mehr ein von den
Urhebern abgeleitetes Recht -, mit den Möglichkeiten,
die sich daraus ergeben, etwa bei Verstößen Unterlassungsklage zu erheben oder mit anderen Nutzern Gebührenvereinbarungen zu treffen.
Über die genaue Abgrenzung muss man dann im Gesetzgebungsverfahren reden. Klar ist beispielsweise,
dass das Recht, zu zitieren, weiterhin besteht, so wie es
dem jetzigen Urheberrecht entspricht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
In Bezug auf Zitate ist das richtig. Ich muss aber noch
einmal auf die Snippets zurückkommen. Die Sonderregelung, dass man Ausschnitte aus Werken bei Google
findet, ist eigentlich der wesentliche Kern des Streits. Ich
habe noch nicht ganz verstanden, wie Sie dieses Problem
lösen wollen.
Das Problem wird in der Weise gelöst, dass eine bloße
Verlinkung selbstverständlich nicht das Leistungsschutzrecht tangiert. Wenn hingegen ein News-Aggregator
auch nur kleine Teile eines Presseerzeugnisses ins Netz
stellt, wäre das von dem neuen Leistungsschutzrecht erfasst, mit der gerade schon genannten Folge, dass entweder das Unterlassen begehrt werden kann oder aber, was
wir als wahrscheinlicher ansehen, die Beteiligten sich
über eine finanzielle Vergütung einigen.
Wichtig ist, dass die private Nutzung vom Leistungsschutzrecht nicht berührt wird; das sage ich noch einmal,
damit kein Missverständnis bezüglich dessen Reichweite
entsteht. Das Leistungsschutzrecht bezieht sich auf einen
eng begrenzten Bereich und soll für diesen ähnliche Regelungen schaffen, wie es sie für Rechteverwerter in anderen Bereichen schon gibt.
Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage.
Gehe ich recht in der Annahme, Herr Staatssekretär,
dass Sie nicht mit Filtersoftware kontrollieren wollen, ob
jemand Google News gewerblich oder privat nutzt? Wie
aber wollen Sie das kontrollieren?
Die Frageform „Gehe ich recht in der Annahme“ geht
ja auf die berühmte Sendung Was bin ich? mit Robert
Lembke zurück.
({0})
Dort war es ja so, dass ein Nein zum Ende der Fragezeit
und damit des Fragerechts geführt hat. Diese Gefahr besteht bei Ihnen nicht, weil Sie noch die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage haben.
Ich kann Ihre Frage aber kurz und bündig mit Ja beantworten. Es soll also keine Überwachungssoftware
eingesetzt werden. Ob eine private oder gewerbliche
Nutzung vorliegt, hängt natürlich von den Umständen
des Einzelfalles ab. Aber die grundsätzliche Trennlinie
wird im Gesetz klar enthalten sein. Sicherlich wird es in
der Praxis Einzelfälle geben, in denen geklärt werden
muss, ob eine Nutzung noch privat oder schon gewerblich ist.
Ihre vierte Frage.
Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wie man
das feststellen will. Es stellt sich doch die Frage: Ist es
privat oder gewerblich, wenn ich an meinem PC sitze
und google und Zeitungsausschnitte für meine Arbeit als
Abgeordnete suche?
Noch einmal: Es ist nicht die Sache des Staates, Sie
zu überwachen.
({0})
Das werden Sie von einem liberal geführten Bundesjustizministerium zu Recht nicht erwarten.
Zeitungsverleger erhalten vielmehr das Recht, ein
Leistungsschutzrecht geltend zu machen. Wenn Sie der
Meinung sind, dass ein Nutzer dieses Recht verletzt,
dann muss man sich darüber auseinandersetzen, ob eine
private Nutzung vorliegt. Da Sie als Abgeordnete nicht
gewerblich tätig sind, kann ich Sie beruhigen: Der Fall
wird hiervon nicht erfasst. Ich habe dabei nicht berücksichtigt, dass Sie natürlich auch eine Nebentätigkeit gewerblicher Art ausüben könnten und dann in den gewerblichen Bereich kämen. Das haben Sie aber, glaube
ich, nicht gemeint.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Andrea
Wicklein. - Ich sehe, dass der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter nicht anwesend ist. Kann mir
die Bundesregierung Auskunft erteilen, ob Herr
Kampeter auf dem Weg ist? - Ich schlage vor, wir stellen
die Fragen 10 und 11 einen Moment zurück, bis ich Informationen bekommen habe.
Die Frage 12 des Kollegen Dr. Axel Troost, die
Frage 13 des Kollegen Richard Pitterle, die Fragen 14
und 15 der Kollegin Dr. Barbara Höll, die Fragen 16 und 17
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Frage 18 des Kollegen Andrej Hunko, die Frage 19 des Kollegen HansChristian Ströbele sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin Priska Hinz werden schriftlich beantwortet.
Bis mir weitere Informationen vorliegen, rufe ich den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur
Verfügung.
Die Frage 22 des Kollegen Dr. Ilja Seifert und die
Frage 23 des Kollegen Anton Schaaf werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Wie wurde das Programm „Initiative zur Flankierung des
Strukturwandels“ bisher genutzt - bitte Mittelabfluss, Teilnehmerzahlen nach Maßnahmenart sowie durchschnittliche
jährliche Ausgaben je Teilnehmer, Eingliederungsquote nennen -, und wie stellt sich die Mittelbindung durch Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 2012 und die Folgejahre
dar?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, die
Ausgaben für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels, IFlaS, der Bundesagentur für Arbeit beliefen
sich im Haushaltsjahr 2010 auf 126 Millionen Euro und
im Haushaltsjahr 2011 auf 244 Millionen Euro. Im Jahr
2011 wurden rund 22 000 Eintritte in IFlaS-Maßnahmen
gefördert, davon rund 13 000 mit dem Ziel Berufsabschluss, rund 1 500 Vorbereitungslehrgänge für die Externenprüfung und rund 7 300 sonstige berufliche Weiterbildungen, wie zum Beispiel Teilqualifikationen. Bis
Ende März 2012 sind rund 5 000 Eintritte in IFlaS-Maßnahmen erfolgt, davon rund 2 500 berufliche Weiterbildungen mit Abschluss, rund 280 Vorbereitungslehrgänge
für die Externenprüfung und rund 2 100 sonstige berufliche Weiterbildungen.
Die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben je Teilnehmer lagen nach Angaben der Bundesagentur für
Arbeit in der beruflichen Weiterbildung bei rund
7 700 Euro im Jahr 2011. Durchschnittszahlen für das
angesprochene Programm liegen nicht vor. Angaben zur
Eingliederungsquote der Teilnehmer an IFlaS-Maßnahmen liegen ebenfalls nicht vor.
Für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels
stehen mit 400 Millionen Euro im Jahr 2012 innerhalb
des Eingliederungstitels der Bundesagentur für Arbeit
mehr Mittel zur Verfügung als im Jahr 2011; da waren es
350 Millionen Euro. Von den 400 Millionen Euro wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bis Mai
dieses Jahres rund 114 Millionen ausgegeben. Für das
Jahr 2013 sind Verpflichtungsermächtigungen in Höhe
von 300 Millionen Euro vorgesehen. Das Programm ist
also finanziell mehr als ausreichend ausgestattet.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Es war die Rede davon, dass die Schlecker-Beschäftigten zu Erzieherinnen
umgeschult werden sollen und auch andere Bereiche in
Betracht kommen. Können Sie sicherstellen, dass die
Maßnahmen im Rahmen des IFlaS-Programms zu einem
qualifizierten Abschluss führen, das heißt, dass die Kolleginnen und Kollegen hier nicht nur mit einfachen
Lehrgängen abgespeist werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, im Rahmen von IFlaS wird niemand
„abgespeist“. Die Bundesregierung kann natürlich keine
erfolgreichen Abschlüsse von Weiterbildungsmaßnahmen garantieren. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass das
Programm für diejenigen vorgesehen ist, die über keinen
Berufsabschluss verfügen. Nach unseren bisherigen
Erkenntnissen trifft das für rund 35,4 Prozent der
Schlecker-Beschäftigten zu. Es handelt sich um ein Angebot im Rahmen dieses Programms, um diejenigen, die
bisher über keinen Abschluss verfügen, entsprechend
auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Darüber hinaus gibt es ein Angebot für diejenigen
- wobei wir den Bedarf nicht quantifizieren können -,
die länger als vier Jahre nicht mehr in ihrem erlernten
Beruf tätig waren. Auch diese Beschäftigten werden
über IFlaS gefördert.
Ihre zweite Frage bitte.
Sie sprachen von den Ausbildungsmöglichkeiten zur
Erzieherin oder zur Altenpflegerin. In dem Zusammenhang lautete meine Frage ganz konkret, ob es sich um
Ausbildungen mit einem anerkannten Abschluss handeln
soll. Immerhin geht die Ausbildung zur Altenpflegerin
und auch zur Erzieherin über drei Jahre.
Darüber hinaus würde mich noch etwas anderes interessieren. Viele Frauen haben gesagt, dass sie aus dem
Bereich des Einzelhandels heraus möchten und lieber einen anderen Beruf erlernen wollen. Warum hat man sich
gerade für die Ausbildungsgänge zur Erzieherin bzw. zur
Altenpflegerin entschieden? Es gibt viele Frauen, die
gerne in den Metallbereich wechseln würden. Das habe
ich auf vielen Betriebsversammlungen gehört. Frauen
haben sich eindeutig dahin gehend artikuliert, dass sie
etwas anderes machen möchten, aber ganz gezielt in den
Metallbereich wollen. Hier gibt es ebenfalls einen großen Bedarf an Arbeitskräften.
Frau Kollegin, ich habe bei der Beantwortung der
Frage 24 nicht über Erzieherinnen gesprochen, und Sie
haben auch nicht danach gefragt. Ich will aber im Rahmen dieser Zusatzfrage gerne den Hinweis geben, dass
wir nach den Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung im ersten Quartal dieses Jahres
bundesweit von rund 966 000 offenen Stellen auf dem
ersten Arbeitsmarkt ausgehen.
Es geht darum, Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten, für diese vielen offenen Stellen zu qualifizieren,
die es eben unter anderem im Erziehungsbereich gibt.
Niemand wird in einen solchen Weg gezwungen. Denjenigen jedoch, die geneigt sind, sich in diesem Bereich
weiterzuqualifizieren, umzuschulen und die dafür auch
geeignet sind, steht dieser Weg grundsätzlich zur Verfügung. Wir stellen sehr viel öffentliches Geld bereit - das
habe ich Ihnen skizziert -, um Menschen in solche Bereiche umzuschulen, wenn sie es denn wollen.
Wir kommen damit zur Frage 25 der Kollegin Sabine
Zimmermann:
Inwiefern erfüllen die Schlecker-Beschäftigten in der Regel die Voraussetzungen der Initiative zur Flankierung des
Strukturwandels, und wie haben sich die Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im Dritten Buch Sozialgesetzbuch,
SGB III, gegenüber dem Vorjahr entwickelt, nach Teilnehmerzahlen und Ausgaben absolut wie relativ?
Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Frage sprechen
Sie das Programm in Bezug auf die Schlecker-Beschäftigten an. Ich antworte Ihnen wie folgt, wobei ich mich
zum Teil wiederhole:
Ziel der Initiative zur Flankierung des Strukturwandels - IFlaS - der Bundesagentur für Arbeit ist es unter
anderem, durch berufliche Weiterbildungsförderung Arbeitslosen bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohten Geringqualifizierten den Erwerb anerkannter Berufsabschlüsse bzw. Teilqualifikationen zu ermöglichen.
Von den insgesamt seit Beginn der Schlecker-Insolvenz arbeitsuchend oder arbeitslos gemeldeten Schlecker-Beschäftigten haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 35,4 Prozent keine abgeschlossene
Berufsausbildung und erfüllen damit grundsätzlich die
Fördervoraussetzungen für IFlaS. Hinzu kommen diejenigen Beschäftigten bei Schlecker, die zwar über einen
Berufsabschluss verfügen, aber mehr als vier Jahre in
an- oder ungelernter Tätigkeit gearbeitet haben. Zu diesem ebenfalls grundsätzlich förderberechtigten Personenkreis liegen keine Zahlenangaben vor.
Nach den statistischen Daten der Bundesagentur für
Arbeit sind bis Ende Mai dieses Jahres im Rechtskreis
des SGB III rund 50 000 Personen in eine geförderte berufliche Weiterbildung eingetreten. Das sind rund
25 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Gemäß den statistischen Daten der Bundesagentur für
Arbeit wurden von Januar bis Mai 2012 rund 680 Millionen Euro für die Förderung der beruflichen Weiterbildung im Rechtskreis des SGB III verausgabt. Das sind
rund 17 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In
diesem Vorjahreszeitraum, von Januar bis Mai 2011, betrugen die entsprechenden Ausgaben rund 820 Millionen
Euro.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Insgesamt kann man feststellen, dass wir gegenüber
dem letzten Jahr bei den Maßnahmen zur beruflichen
Umschulung einen Rückgang von 30 Prozent haben. Da
stellt sich mir schon die Frage, ob es angesichts des
Sparkurses der Bundesregierung, der dazu geführt hat,
dass es bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zu
enormen Einsparungen kommt, im Moment überhaupt
richtig möglich ist, eine Vollzeitumschulung anzubieten.
Sind Sie der Meinung, dass es möglich ist, diese Um21808
schulung über die einzelnen Programme für mehrere
Tausend Euro zu finanzieren? Stellt sich nicht auch Ihnen die Frage, woher das ganze Geld kommen soll?
Frau Kollegin, der aktuelle Rückgang der Zahl der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Maßnahmen
zur Förderung der beruflichen Weiterbildung trägt insbesondere der deutlich verbesserten Arbeitsmarktlage und
dem Auslaufen krisenbedingter Sonderregelungen Rechnung. Das heißt, der Umstand, dass wir eine Rekordbeschäftigung haben, dass die Arbeitslosigkeit so niedrig
ist wie seit rund zwei Jahrzehnten nicht mehr, schlägt
sich natürlich auch darin nieder, dass weniger Menschen
solche Maßnahmen brauchen. Für diejenigen, die sie
brauchen, steht in ausreichendem Maße Geld zur Verfügung.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie haben uns heute die Zahlen genannt, nach denen
wir im Einzelhandelsbereich 27 000 offene Stellen und
rund 300 000 arbeitslose Menschen haben. Da ist die
Marktlage aus meiner Sicht eigentlich relativ schwierig:
Das Verhältnis zwischen offenen Stellen und arbeitslosen Menschen liegt ungefähr bei 1 : 10 oder 1 : 12. Da
stellt sich mir schon die Frage: Haben die Kolleginnen
und Kollegen, die schon von der ersten Entlassungswelle
betroffen waren, dieselbe Chance, zum Beispiel in das
IFlaS-Programm zu kommen? Kann man angesichts der
zweiten Entlassungswelle, die jetzt ansteht, und der sogenannten dritten Entlassungswelle, die bei Ihr Platz losgetreten werden soll, davon ausgehen, dass alle Beschäftigten die gleichen Chancen haben?
Frau Kollegin, das IFlaS-Programm ist an die Kriterien gebunden, die ich Ihnen genannt habe: Da geht es
um Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, oder um Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, die seit mehr als vier Jahren nicht
mehr im Beruf tätig gewesen sind. Auf sie ist das Programm IFlaS zugeschnitten, für das im nächsten Jahr
300 Millionen Euro vorgesehen sind. Ich habe Ihnen
heute Morgen in der Ausschusssitzung berichtet, dass
davon bisher weniger als 1 Million Euro - 1 von
300 Millionen Euro - für andere Zwecke gebunden sind.
Ich wiederhole deswegen gerne so oft, wie Sie danach
fragen, dass hier für die verschiedenen Gruppen in den
verschiedenen Programmen ausreichend Mittel zur Verfügung stehen.
Die 27 000 Stellen, die ich Ihnen heute Morgen genannt habe, sind die bei der BA bekannten offenen Stellen im Einzelhandel. Ich kann Ihnen die Zahl der offenen
Stellen nennen, die im Mai bundesweit bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren: 499 217. Geschätzt
wird, dass es, wie gesagt, im ungeförderten ersten Arbeitsmarkt ungefähr doppelt so viele offene Stellen gibt,
das heißt rund 1 Million Stellen im ersten Arbeitsmarkt,
die auch den rund 30 000 Menschen zur Verfügung stehen, die bedauerlicherweise von der Schlecker-Pleite betroffen sind. Deswegen haben wir dieses umfangreiche
arbeitsmarktpolitische Instrumentarium: um eine Zahl
von Menschen bundesweit für die vorhandenen Arbeitsplätze zu qualifizieren, um sie dafür fit zu machen, in
dem Umfang, der jeweils notwendig ist. IFlaS ist da eine
Maßnahme unter sehr vielen, für ganz bestimmte Personengruppen. Für sie steht genauso in ausreichendem
Maße Geld zur Verfügung wie für andere.
Danke, Herr Staatssekretär. - Die Fragen 26 und 27
der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet.
Bevor wir fortfahren, halten wir für das Protokoll fest,
dass die Fragen 10 und 11 der Kollegin Andrea Wicklein
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Jutta Krellmann auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, für die
Schlecker-Beschäftigten einen Sozialfonds bei der Bundesagentur für Arbeit einzurichten, um Zeit dafür zu gewinnen,
vielleicht doch Investoren für einzelne Teile von Schlecker zu
finden, vor dem Hintergrund, dass bei Schlecker wegen der
Rechtsform des Einzelkaufmanns und der damit verbundenen
fehlenden umfassenden Bilanzierungspflicht das Insolvenzgeld nicht zweckgerecht zur Überbrückung der Zeit der Investorensuche genutzt werden konnte, und prüft die Bundesregierung unabhängig davon die Bildung einer Transfergesellschaft
für die von der zweiten Kündigungswelle betroffenen
Schlecker-Beschäftigten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Die Bundesregierung kann bei der Bundesagentur für Arbeit keinen Sozialfonds einrichten; hierzu fehlt es unter anderem
an den maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Unabhängig
davon ist ein solcher Sozialfonds auch nicht erforderlich.
Nachdem der Gläubigerausschuss am 1. Juni 2012 die
Liquidation der Firma Anton Schlecker e. K. beschlossen hat, hat Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
am 7. Juni 2012 ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der
Gewerkschaft Verdi, Herrn Frank Bsirske, und dem Vorsitzenden des Vorstands der BA, Herrn Frank-Jürgen
Weise, geführt. Ergebnis des Gesprächs ist, dass die BA
die Beschäftigten von Schlecker mit dem gesamten zur
Verfügung stehenden Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützen wird. Dies ist ihr Kerngeschäft, wie ich ausdrücklich betonen möchte. Für die Betroffenen kommen beispielsweise die Erprobung bei
einem neuen Arbeitgeber mit dem Ziel des Übergangs in
ein neues Arbeitsverhältnis, die Unterstützung und Qualifizierung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz,
etwa in Form von Bewerbungstraining und Coaching,
sowie Anpassungsqualifizierungen in Betracht. Die BA
kann im Rahmen der schon genannten Initiative zur
Flankierung des Strukturwandels zudem Umschulungen
zum Erwerb eines neuen Berufsabschlusses fördern,
falls im erlernten Beruf keine Vermittlungschancen mehr
bestehen. Für sämtliche Maßnahmen stehen im Haushalt
der BA finanzielle Mittel in ausreichendem Umfang bereit.
Die Voraussetzungen für die Prüfung der Einrichtung
einer Transfergesellschaft für die jetzt von Kündigung
bedrohten Schlecker-Beschäftigten liegen derzeit nicht
vor. Bereits im Rahmen der Kündigung von rund
11 000 Schlecker-Beschäftigten im März dieses Jahres
hat die Bundesregierung angeboten, technische Hilfestellung durch die Anweisung eines KfW-Kredits zu
leisten. Voraussetzung dafür wäre allerdings gewesen,
dass die Länder die Bürgschaft für den KfW-Kredit
übernommen hätten; denn zum Umgang mit Finanzierungsanfragen von Unternehmen in Schwierigkeiten gibt
es klare Absprachen und eine in der Vergangenheit regelmäßig geübte Praxis zwischen Bund und Ländern.
Danach ist das Land, in dem das Unternehmen seinen
Sitz hat, Ansprechpartner in Finanzierungsfragen und
Koordinator zwischen den betroffenen Ländern. Hilfe
durch den Bund kommt hingegen nur dann in Betracht,
wenn die Bundesländer finanziell überfordert sind.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Vielen Dank. - Sie haben eben die Gewerkschaft
Verdi genannt. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass
nach Angaben der Gewerkschaft Verdi viele SchleckerFrauen nach der ersten Kündigungswelle lediglich in unbezahlte Praktika oder Urlaubsvertretungen vermittelt
wurden?
Frau Kollegin, die entsprechenden Hinweise des Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Herrn Bsirske, sind
der Bundesregierung bekannt. Ich kann die einzelnen
Fälle so nicht nachvollziehen. Ich habe eben das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium beschrieben. Ich will
an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir haben in
172 Arbeitsagenturen mit 600 Geschäftsstellen bundesweit hochqualifizierte und hochmotivierte Menschen,
die sich darum bemühen, die von Arbeitslosigkeit betroffenen bzw. bedrohten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schlecker mit dem dafür vorgesehenen Instrumentarium wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage passt sehr gut zu dem, was
Sie eben gesagt haben. Die Chefin der Bundesagentur
für Arbeit in Baden-Württemberg, Eva Strobl, wies darauf hin, dass die guten Verdienstmöglichkeiten bei
Schlecker ein Vermittlungshemmnis darstellen; denn
Schlecker hat seinen Verkäuferinnen zwischen 10 und
14 Euro pro Stunde gezahlt, viele andere Unternehmen
zahlen lediglich 9 bis 10 Euro. Die Frage ist: Wie ist die
Position der Bundesregierung zu diesem Vermittlungshemmnis?
Die Bundesregierung betrachtet eine bestimmte
Lohnhöhe nicht als Vermittlungshemmnis. Die Bundesregierung stellt finanziell und instrumentell ausreichend
Mittel zur Verfügung, damit jedem Arbeitslosen und jedem von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen - die
alle ein unterschiedliches Schicksal, verschiedene Qualifikationen und bestimmte Vorzüge und Defizite haben individuell geholfen werden kann, wieder in Arbeit zu
kommen.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Jutta Krellmann
auf:
Inwiefern kann der EU-Globalisierungsfonds zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten genutzt werden, und
welche Initiativen plant die Bundesregierung zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten über die angekündigten
obligatorischen Aktivitäten der Bundesagentur für Arbeit
hinaus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Der Europäische Globalisierungsfonds, EGF, kann zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten leider nicht eingesetzt
werden. Der EGF wurde im Jahr 2007 eingerichtet, um
Entlassungen, die auf Verschiebungen im Welthandelsgefüge zulasten der EU beruhen, sozial abzufedern und
dadurch die Solidarität der EU mit den betroffenen Personen sichtbar zu machen.
Voraussetzung für einen Finanzbeitrag des EGF ist,
dass die Entlassungen im Zusammenhang stehen mit
weitgehenden strukturellen Veränderungen im Welthandelsgefüge, die zu einer schwerwiegenden Störung des
Wirtschaftsgeschehens führen, insbesondere zu einem
substanziellen Anstieg der Importe in die EU, zu einem
raschen Rückgang des Marktanteils der EU in einem bestimmten Sektor und/oder zu einer Standortverlagerung
in Drittländer außerhalb der EU. Die Entlassungen
müssen darüber hinaus unvorhersehbar gewesen sein.
Reiner Strukturwandel soll und kann mit dem EGF nicht
gefördert werden. Bei einer EGF-Antragstellung ist gegenüber der EU-Kommission die Erfüllung dieser Interventionsvoraussetzungen anhand von statistischem
Daten- und Informationsmaterial zu belegen.
Die Anton Schlecker e. K. ist im Einzelhandel tätig.
Der Einzelhandel besitzt keine derart global einflussreiche Stellung, aufgrund derer die Schlecker-Entlassungen auf die internationale Konkurrenzsituation zurückgeführt werden könnten. Damit kommt ein Einsatz
des EGF anders als beispielsweise bei den deutschen
EGF-Fällen BenQ, Nokia, in der Automobilzuliefer21810
industrie oder bei der Heidelberger Druckmaschinen AG
nicht infrage.
Im Übrigen steht sowohl im Bereich der aktiven Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
als auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ein
flexibler Instrumentenkasten zur Verfügung, um die
Schlecker-Beschäftigten zu unterstützen. Die mit der
Frage zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die sogenannten obligatorischen Instrumente seien unzureichend, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Im Grunde bringen die Fragen ja zum Ausdruck, dass
wir und viele andere sehr bemüht sind, die Beschäftigung der betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu sichern und zu schützen, auch für die Zukunft. Wir wollen
Wege finden, um das zu ermöglichen. Daraus ergibt sich
meine Frage:
Im Zusammenhang mit der Insolvenz von Schlecker
wurde die Idee formuliert, Unternehmensteile herauszulösen und dafür andere Unternehmensformen zu finden.
Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, den Betrieb als Genossenschaft weiterzuführen. Welche Position hat die
Bundesregierung dazu?
Die Bundesregierung hat keine Kompetenz, solche
Entscheidungen zu treffen. Die Bundesregierung konzentriert sich gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit
darauf, die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen
mit den bereits skizzierten bzw. im Detail diskutierten Instrumenten wieder in Beschäftigung zu bringen.
Ich will an dieser Stelle wiederholen, was Ihnen aus
der Ausschusssitzung bekannt ist: Von denjenigen, die
im Rahmen der sogenannten ersten Welle entlassen worden sind und sich an die Bundesagentur für Arbeit gewandt haben, ist mehr als die Hälfte wieder aus der
Arbeitslosigkeit abgemeldet. Sie sind beispielsweise in
Beschäftigung gekommen oder in eine Maßnahme vermittelt worden. Bisher konnte also mehr als der Hälfte
der in diesem Zusammenhang arbeitslos gewordenen
Menschen geholfen werden. Das heißt, wir haben nicht
nur das Geld auf dem Konto und die Instrumente auf
dem Papier, sondern wir helfen auch erfolgreich, um
Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich fürchte, Sie haben meine Frage nicht verstanden
oder ich habe sie nicht gut genug formuliert. Sie haben
sich auf den Lösungsvorschlag bezogen. Ich habe aber
nach Hilfestellungen gefragt. Sieht die Bundesregierung
Möglichkeiten, Hilfestellungen zu geben, damit die Idee,
eine Genossenschaft zu gründen, realisiert werden kann?
Frau Kollegin, die Bundesregierung und die Bundesagentur für Arbeit und alle anderen damit befassten
Stellen leisten selbstverständlich Hilfe auf Basis der
Rechtslage, die wir in Deutschland haben. Die Rechtslage bilden im Wesentlichen die einschlägigen Gesetze
und die darin benannten arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Den von Ihnen genannten Vorschlag kann die
Bundesregierung nicht beurteilen, jedenfalls nicht so
spontan.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser
zur Verfügung. Die Fragen 30 und 31 der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Harald Ebner auf:
Mit welcher Begründung und aufgrund welcher Annahmen bzw. Risikoabwägungen insbesondere bezüglich einer
möglichen Weiterverbreitung der gentechnisch veränderten
Bakterien bzw. Übertragung der Erregergene auf andere Bakterien durch horizontalen Gentransfer hat die Bundesregierung dem Freisetzungsversuch mit einem gentechnisch veränderten Lebendimpfstoff gegen den Erreger Rhodococcus equi
in Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt, der eine nur seltene Form der Lungenentzündung bei Pferdefohlen auslösen
kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr verehrter Herr Kollege Ebner, zuständig für die
Entscheidung über den Antrag der niederländischen
Firma Intervet International auf Genehmigung der Freisetzung des gentechnisch veränderten Bakterienstammes
Rhodococcus equi RG 2837 ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, kurz BVL.
Bei dem Bakterienstamm handelt es sich um einen
bakteriellen Lebendimpfstoff, der im Rahmen eines
Freisetzungsversuches Pferdefohlen verabreicht werden
soll, um diese aktiv gegen pathogene Rhodococcus-equiStämme, die bei Fohlen Lungenentzündung auslösen
können, zu immunisieren.
Das BVL kommt in seiner Sicherheitsbewertung zu
dem Schluss, dass von den Freisetzungsversuchen keine
gentechnisch-spezifischen schädlichen Einflüsse auf
Menschen und Tiere sowie auf die Umwelt zu erwarten
sind.
Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keine
Veranlassung, die Einschätzung und Entscheidung des
BVL über die Genehmigung der Freisetzung im Wege
der Fachaufsicht zu beanstanden.
Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Im Jahr
2011 hat die Firma Intervet bereits einen Freisetzungsversuch mit dem Impfstamm in den Niederlanden durchgeführt. Im Rahmen dieses Versuches wurden keine
impfstoffspezifischen Besonderheiten festgestellt. Vorsorglich hat das BVL strenge Auflagen angeordnet, um
die Freisetzung zu begrenzen und damit zu verhindern,
dass sich größere Mengen der gentechnisch veränderten
Bakterien außerhalb des Stallgebäudes in der Umwelt
etablieren.
Die Markteinführung eines wirksamen Impfstoffes
würde dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika in der
Tierhaltung zu vermindern und somit auch der Entstehung von Antibiotikaresistenzen, in diesem Fall bei
Pferden, vorzubeugen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Was den Versuch
in den Niederlanden angeht, war ich etwas anders informiert. Meines Wissens wurde dieser Versuch abgebrochen.
Ich möchte aber nachfragen, woraus sich denn der
konkrete Bedarf für solche Experimente ergibt. Schließlich sind Freisetzungsversuche immer mit Risiken verbunden, weil wir nicht wirklich in die Zukunft gucken
können. Das zeigen auch die Sicherheitsauflagen, die
das BVL hier vorsieht. Woraus ergibt sich also der konkrete Bedarf vor dem Hintergrund, dass eine Mehrheit
der Tiermediziner der Meinung ist, dass RhodococcusInfektionen bei Fohlen im Zusammenhang mit nicht artgerechter oder zu groß dimensionierter Pferdehaltung
auftreten und dass sich in zahlreichen Studien eine Impfung gegen diesen Erreger als wirkungslos erwiesen hat?
Herr Kollege Ebner, der Bedarf ist von mir bereits geschildert worden. Wenn man damit Krankheiten bei
Tieren durch Impfung vermeiden kann, ist das sicher
schon eine Rechtfertigung an sich. Ansonsten werden
die Versuche ja erst durchgeführt. Erst danach wird die
Entscheidung zu treffen sein, ob eine Zulassung ausgesprochen werden kann oder nicht.
Ihre zweite Nachfrage.
Dann muss ich noch nachfragen, inwieweit denn die
Bundesregierung die Risiken der geplanten Freisetzung
des Lebendimpfstoffs vor dem Hintergrund für verantwortbar hält, dass die Annahme der Sicherheit dieses
Impfstoffs für andere Säugetiere und Hühner allein auf
Zellkulturversuchen beruht, dass eine Überwachung des
Umweltverhaltens des gentechnisch veränderten Erregers gar nicht geplant ist - bislang liegen meines
Wissens auch keinerlei Erfahrungen mit solchen Fällen
oder etwa ein Monitoring vor - und dass die möglichen
Gefahren für Menschen weder gezielt untersucht wurden
noch in Zukunft solche Untersuchungen vor Beginn eines Versuchs überhaupt geplant sind.
Herr Kollege Ebner, aus genau diesem Grund hat das
BVL besondere Auflagen erlassen, die bei der Durchführung dieser Versuche zu beachten sind. Ich werde Ihnen diese kurz vortragen: Die Pferde sind für die Dauer
des Freisetzungsversuches ausschließlich in einem Stallgebäude zu halten, welches an drei Seiten mit festen
Wänden und an der vierten Seite mit einem Gatter zu
versehen ist. Solange am Versuch teilnehmende Pferde
am Ort der Freisetzung gehalten werden, sind die Stallgebäude und deren unmittelbare Umgebung täglich zu
kontrollieren; Stroh, Einstreu und Mist aus dem Stall
sind zu verbrennen. Nachdem alle Studienpferde den
Freisetzungsstandort verlassen haben, werden einmal im
Jahr der Stall und die gesamte Bodenfläche in und vor
dem Stall sowie sämtliche verwendete Gerätschaften mit
einem geeigneten Desinfektionsmittel desinfiziert. Die
Pferde sollen frühestens sechs Wochen nach der letzten
Impfung auf das Hauptgestüt zurückgebracht werden. Es
dürfen nur Tiere, die den gentechnisch veränderten
Impfstamm nachweislich nicht ausscheiden, zum Hauptgestüt transportiert werden. Das sind die Auflagen, die
das BVL zusätzlich erlassen hat, um auch diese Bedenken auszuräumen.
Wir kommen damit zur Frage 33 des Kollegen Ebner:
Wie bewertet die Bundesregierung das Schreiben zahlreicher Abgeordneter aller Fraktionen des Europäischen Parlaments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf neuer Richtlinien für
die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen, GVO, in der EU, das auch an die Vertreter der Bundesregierung bei der EU und im Ständigen Ausschuss für die
Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, gerichtet war
und in dem grundsätzliche Bedenken gegen das Konzept der
„vergleichenden Risikobewertung“ und gegen unzureichende
Fütterungsversuche mit GVO geäußert werden, und warum
hat die Bundesregierung dieses Schreiben bis heute nicht beantwortet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ebner, der Bundesregierung ist das
Schreiben von 16 Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf einer Kommissionsverordnung mit Durchführungsvorschriften für
Anträge auf Zulassung von gentechnisch veränderten
Lebens- und Futtermitteln bekannt. Die Auffassung der
Abgeordneten wird in die regierungsinterne Beratung
zur Festlegung einer Position der Bundesregierung ein21812
bezogen. Bisher hat die Bundesregierung ihre Position
zu dem Entwurf, der wiederholt geändert wurde, noch
nicht abschließend festgelegt. Das habe ich hier schon
mehrfach dargelegt. Die bisherigen Beratungen im
StALuT haben deutlich gemacht, dass ein erhebliches
Abweichen von den derzeitigen Leitlinien der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,
schwierig ist, zumal sich die Kommission bei ihrem Entwurf an diesen Leitlinien orientiert.
Bei den Beratungen über Art und Umfang von Fütterungsversuchen ist zudem zu berücksichtigen, dass auch
Tierschutzaspekte eine Rolle spielen. Das geltende EURecht schreibt für Tierversuche die konsequente Umsetzung des 3-R-Prinzips - auf Deutsch: Vermeiden, Verringern und Verbessern - vor. Demnach sind Tierversuche, wo immer möglich, zu vermeiden. Ich denke, da
stimmen wir überein.
Das Schreiben der Abgeordneten ist an den Herrn
Kommissar John Dalli sowie an die dänische Umweltministerin Frau Ida Auken und die dänische Landwirtschaftsministerin Frau Mette Gjerskov als Vertreter der
EU-Ratspräsidentschaft gerichtet. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union und die Vertreter der Bundesregierung im
Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, haben dieses Schreiben nachrichtlich erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - In den parlamentarischen Debatten über GVO betont die Bundesregierung
immer wieder die Bedeutung wissenschaftsbasierter Bewertungen. Inwiefern wird sich die Bundesregierung auf
europäischer und auf nationaler Ebene jetzt dafür einsetzen, dass wissenschaftlich längst überholte Konzepte,
zum Beispiel die von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments angesprochene vergleichende Risikobewertung, oder gar wissenschaftlich unzulässige Verfahren, zum Beispiel Fütterungsversuche auf einer
statistisch nicht sauber auswertbaren Basis, durch seriöse Risikobewertungen abgelöst werden, die zudem von
Experten vorgenommen werden, die nicht durch direkte
und indirekte Verflechtungen mit den Antragstellern einseitig vorbelastet sind?
Sehr geehrter Kollege Ebner, die Bundesregierung
stützt sich hier auf die dafür zuständigen Stellen, die
dafür befugten Bewertungseinrichtungen sowohl auf
europäischer als auch auf nationaler Ebene.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. - Es stellt sich ja genau die Frage,
inwieweit die zuständigen Stellen durch die Verflechtungen in ihrer Objektivität eingeschränkt sind.
Es gibt einen Beschluss des EU-Umweltministerrates
vom Dezember 2008, in dem sich die Umweltminister
für verbesserte Standards und Vorgaben für das Zulassungsverfahren für GVO unter anderem unter umfassender Berücksichtigung von ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch
veränderten Organismen - da sind wir auch wieder beim
Impfstoff - aussprechen. Wird die Bundesregierung entsprechend dieses Beschlusses konkrete Initiativen auf
EU-Ebene einbringen, und, wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Ebner, die Bundesregierung hat noch
keine abschließende Position zu den Vorschlägen der
Kommission eingenommen. Dies wird erst dann geschehen, wenn ein entsprechender Vorschlag auf dem Tisch
liegt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ökologische und sozioökonomische Auswirkungen im Rahmen
einer wissenschaftlichen Bewertung betrachtet werden
können.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 34 der Kollegin Ulla Jelpke.
Die Kollegin ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Dağdelen, die
Frage 37 der Kollegin Keul und die Fragen 38 und 39
der Kollegin Agnes Brugger werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Omid Nouripour
auf:
In wie vielen Fällen ist es bei der Bundeswehr seit 2001 zu
Suizidversuchen gekommen, bei denen im Vorfeld eine Malaria-Chemoprophylaxe mit dem Medikament Lariam - Mefloquin - erfolgte, und welche Schlüsse zieht das Bundesministerium der Verteidigung aus der Tatsache, dass unter anderem
Professor August Stich von der Deutschen Gesellschaft für
Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V., DTG, in
einem Interview ({0})
erklärte, dass die Chemoprophylaxe für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan unter Rückgriff auf das
Medikament Lariam - Mefloquin - nicht den Empfehlungen
der DTG entspräche?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Nouripour, Ihre Frage kann ich wie folgt beantworten:
Die Zahl der Suizidversuche in der Bundeswehr seit
2001, bei denen im Vorfeld eine solche Prophylaxe erfolgte, wurde beim Bundesministerium der Verteidigung
nicht statistisch erfasst. Solch eine Statistik wird derzeit
nicht geführt. Es liegen auch keine Berichte vor, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Fällen von Suizid bzw. zwischen Suizidversuchen deutscher Soldatinnen und Soldaten und einer Medikation mit Lariam
belegen oder nach denen auch nur ein vager Verdacht in
dieser Richtung im Raum steht.
Eine valide Beantwortung Ihrer Frage würde es notwendig machen, im Rückblick und im Längsschnitt die
Zahl aller in der Bundeswehr dokumentierten Suizidversuche daraufhin zu untersuchen, ob im Vorfeld einer
Dienstreise oder eines Einsatzes eine Malariaprophylaxe
erfolgt ist. Dies wäre methodisch und zeitlich sehr aufwendig. Eine valide Beantwortung Ihrer Frage vom
8. Juni 2012 kann daher nicht fristgerecht erfolgen.
Die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich auf dem Balkan im Einsatz befanden, beträgt nach unserer Kenntnis gegenwärtig 13. Im Kosovo
war eine saisonale Malaria-Chemoprophylaxe der eingesetzten Kräfte nicht erforderlich. Die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich auf dem
Balkan im Einsatz befanden, ist bislang allerdings deutlich höher als die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten
und Soldatinnen, die sich in Afghanistan und in Afrika
im Einsatz befinden. Bei diesen Soldaten kam es in drei
Fällen zu einer Selbsttötung.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Nouripour.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für Ihre Antwort. - Ich glaube, zumindest einen Bericht kann ich Ihnen nach dieser Diskussion zur Verfügung stellen.
Meine Frage hatte noch einen zweiten Teil. Er bezieht
sich auf die Einschätzung von Professor August Stich
von der DTG und die Einnahme von Lariam als Prophylaxe. Könnten Sie auch diesen Teil meiner Frage beantworten?
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, ist darauf
hinzuweisen, dass die in der Medienberichterstattung
wiedergegebene Auffassung von Professor Stich, der
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit ist, als eine
wissenschaftliche Einzelmeinung zu qualifizieren ist,
diese jedoch nicht den Standpunkt der Gesellschaft zur
Malaria-Chemoprophylaxe darstellt. Dessen haben wir
uns beim Vorsitzenden der Gesellschaft versichert.
Herr Nouripour, Sie haben noch eine Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Dann trage
ich Ihnen einmal die offizielle Darstellung der Gesellschaft vor: Reisende mit Aktivitäten, die eine ungestörte
Aufmerksamkeit, räumliche Orientierung und Feinmotorik erfordern, sollten möglichst kein Lariam einnehmen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Einschätzung der
amerikanischen Partner und deren Umgang mit ihren
Soldaten. Das gilt auch für die Niederlande und Norwegen, die ihre Praxis mittlerweile verändert haben und
kein Lariam mehr als Prophylaxe verabreichen, was im
Gegensatz zu Ihrem Bericht steht, der mir vorliegt.
Es gibt einen Informationsbogen für die Soldatinnen
und Soldaten, die diesen unterschreiben und damit bestätigen, dass sie die Risiken und Nebenwirkungen zur
Kenntnis genommen haben. In diesem Informationsbogen fehlen aber just die psychischen Nebenwirkungen, von denen man in der Packungsbeilage lesen kann:
langandauernde neuropsychische Störungen, Suizidalität, Stimmungsschwankungen, Panikattacken, Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Halluzinationen, usw. Die Frage,
die sich mir stellt, ist: Warum?
Herr Kollege, gestatten Sie mir zunächst, dass ich ergänzend darauf verweise, dass Sie am 25. Mai 2012 im
Verteidigungsausschuss eine schriftliche Anfrage an unser Haus gerichtet und einen Bericht hierzu angefordert
haben. Ich will der guten Ordnung halber nur darauf hinweisen, dass der zwölfseitige Bericht zu Detailfragen,
die Sie gestellt haben, gestern vom Kollegen Kossendey
der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses zugeleitet worden ist. Ich weiß nicht, ob dieser heute bereits
weitergeleitet werden konnte. Soweit ich weiß, war dies
auch im Verteidigungsausschuss ein Thema auf der Tagesordnung.
Es bleibt natürlich richtig - ich sage das nicht aus medizinischer, sondern aus allgemeiner Kenntnis heraus -,
dass vor der Einnahme von Lariam, die Nebenwirkungen mit sich bringen kann, das Risiko gegen den Nutzen
abgewogen werden muss. Jeder, der solch eine Prophylaxe mit Lariam schon einmal hinter sich gebracht hat
- als Soldat oder Zivilperson -, kann möglicherweise
von Übelkeit und anderen Dingen berichten. Die Einnahme darf natürlich nur sehr zurückhaltend und immer
erst nach Abwägung der Notwendigkeit erfolgen. Deshalb ist bei kurzfristigen Aufenthalten solch eine Prophylaxe auch gar nicht mehr indiziert.
Das heißt nicht unbedingt, dass daraus ein Suizidrisiko entsteht. Sie hatten ja nach dem Suizidrisiko gefragt. Die Amerikaner verwenden nur noch teilweise Lariam. Das hat sicherlich auch sehr mit der speziellen
juristischen Situation dort zu tun. Dort ist berichtet worden, dass diese Untersuchungen, soweit wir das wissen,
zu keiner wissenschaftlichen Erhärtung eines höheren
Suizidrisikos geführt haben. Ganz im Gegenteil - ich
muss hier vorsichtig sein -: In den Streitkräften der
USA, die seit 2009 Lariam nicht mehr regelhaft als Prophylaxe verwenden, ist es nicht zu einer Abnahme, sondern bedauerlicherweise zu einem Anstieg der Zahl an
Selbsttötungen gekommen.
Ich will das nicht korrelieren, weil die Ursachen hierfür woanders liegen mögen, aber das mag darauf hinweisen, dass die Position, die Professor Stich hier vertritt, sicherlich betrachtet werden muss. Eine Evidenz ist bisher
aber nicht vorhanden.
Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Hinweisen
natürlich trotzdem intensiv nachgehen werden, weil uns
nichts ferner liegt, als die Soldaten einem zusätzlichen
Risiko auszusetzen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 41 des Kollegen Richard Pitterle wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische
Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 42 unserer Kollegin Elisabeth
Scharfenberg:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der breiten und übereinstimmenden Kritik von Expertinnen
und Experten und Verbänden an der vom Bundeskabinett am
6. Juni 2012 beschlossenen staatlichen Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung, etwa des Gesamtverbandes
der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., GDV ({0}), wonach die geförderten Produkte im Extremfall
so teuer werden könnten, dass „sich nur noch diejenigen versichern, bei denen ein hohes Risiko der Pflegebedürftigkeit“
vorliege, und es daher sehr zweifelhaft sei, ob „unter diesen
Voraussetzungen überhaupt ein Markt mit geförderten Vorsorgeprodukten entstehen“ könne?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ich antworte wie folgt: Die der von der Bundesregierung geplanten staatlichen Förderung der Pflegevorsorge
entgegengebrachte Kritik ist keineswegs übereinstimmend, sondern in sich widersprüchlich. So wird der
Bundesregierung in dem angeführten Artikel aus der
tageszeitung einerseits vorgeworfen, sie betreibe Klientelpolitik zugunsten der Privatassekuranzen und ermögliche
Menschen mit kleineren Einkommen keine Förderung.
Andererseits wird Kritik aus der Versicherungswirtschaft
an den gesetzlich vorgesehenen Fördervoraussetzungen
zitiert. Letztere zielen ausdrücklich darauf, dass in Zukunft, anders als derzeit meist der Fall, auch Personen
mit geringeren Einkommen und im mittleren oder höheren Alter eine Pflegezusatzversicherung abschließen
können.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es gibt aber auch
massive Kritik aus der privaten Versicherungsindustrie.
Danach habe sie unter anderem extreme Probleme mit
dem Kontrahierungszwang, was an sich total in Ordnung
und richtig ist. Aber dadurch muss die Versicherungsindustrie anders kalkulieren. Das heißt, entweder werden
die Prämien höher oder die Ausschüttung wird später geringer sein. Können Sie mir noch einmal den Gewinn
dieser Zusatzversicherung darlegen, wenn am Ende ein
wirklich unattraktives Produkt herauskommt?
Frau Kollegin, Scharfenberg, wir gehen nicht von unattraktiven Produkten aus, sondern wir haben diese
Zuzahlungsregelung ganz bewusst gewählt, weil wir
wollen, dass Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen die Möglichkeit haben, eine zusätzliche Kapitalsäule neben der Pflegeversicherung, die jeder als
Teilversicherung hat, aus eigener Kraft aufzubauen. Das
heißt, wir halten es für dringend erforderlich, dass die
Versicherungswirtschaft Angebote entwickeln wird, die
dann natürlich für diesen Kreis attraktiv sind.
Hätten wir uns anders entschieden, wären wir zum
Beispiel zu einer steuerlichen Förderung übergegangen,
dann hätten wir genau den Kreis, den wir hier ansprechen wollen, nämlich die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen, nicht erreicht, sondern nur die mit den höheren Einkommen. Deswegen haben wir diesen Weg gewählt. Wir glauben, dass wir damit die Menschen in diesem Lande unterstützen, die in Eigenverantwortung eine
Absicherung für den Pflegefall herbeiführen wollen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Frau
Scharfenberg, Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. - Es gibt beim Abschluss dieser Versicherung keine Risikoprüfung. Das heißt, es wird nicht
geschaut, wie krank oder gesund jemand ist oder welches Risiko er mitbringt. Aber es wird wohl eine Beitragsstaffelung nach Alter geben. Das heißt, je älter man
ist und je größer natürlich das Pflegerisiko im Alter
wird, desto höher wird die Prämie sein, die man zu zahlen hat. Im Grunde genommen ist das zwar keine Risikoprüfung, aber eine verdeckte Risikoverteilung.
Gehen Sie nicht davon aus, dass sich der junge und
gesunde Versicherungsnehmer erst einmal in der Produktpalette mit Risikoprüfung umschaut, um dann eventuell ein attraktiveres und günstigeres Produkt mit höheElisabeth Scharfenberg
rer Ausschüttung zu nehmen, während sich diejenigen,
die sich keiner Risikoprüfung unterziehen können oder
wollen, letztendlich bei den - ich sage es noch einmal unattraktiven Produkten landen werden?
Frau Kollegin Scharfenberg, es gibt hier zum ersten
Mal die Möglichkeit, dass jemand auf eine einfache und
unbürokratische Art und Weise eine private Zusatzversicherung abschließen kann, auch wenn er kein hohes Einkommen hat. Ich glaube, dass wir das mit dem Weg, den
wir beschritten haben, erreichen werden. Dass es ein Unterschied ist, ob jemand in meinem Alter eine Versicherung abschließt, was dann zu einem höheren Beitrag führen wird, oder in ihrem noch jugendlicheren Alter, wird
jeder verstehen und für ziemlich normal halten. Das ist
so bei Versicherungsverträgen. Wir müssen uns die endgültige Ausgestaltung anschauen. Aber ich denke, das
wird ein attraktives Produkt.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 43 auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass angesichts der
Kosten für den Bundeshaushalt, die für die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine
private Pflegezusatzversicherung bei 15 Millionen förderungsfähigen Versicherungsverträgen in Höhe von circa 900 Millionen Euro anfallen würden ({0}), diese Haushaltsmittel sinnvoller in
die solidarische Pflegeversicherung zu investieren wären, um
dort allen Versicherten bzw. allen Pflegebedürftigen zur Verfügung zu stehen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Danke, Herr Präsident. - Wir beantworten die Frage
wie folgt: Die Bundesregierung teilt diese Ansicht nicht.
Sie hat bereits am 28. März 2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung beschlossen, der sich mittlerweile in der parlamentarischen
Beratung befindet. Der Entwurf richtet Leistungen der
Pflegeversicherung neu aus und verbessert deren Leistungen insbesondere mit Blick auf an Demenz erkrankte
Menschen in erheblichem Umfang.
Unabhängig davon hält die Bundesregierung aber an
der Konzeption der gesetzlichen Pflegeversicherung als
Teilleistungssystem fest. Sie ist sich darin mit sämtlichen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen
grundsätzlich einig. Denn es gibt keine Fraktion, die bislang gefordert hat, im Rahmen der aktuellen Reform der
Pflegeversicherung die Leistungen so zu erhöhen, dass
sämtliche Pflegekosten getragen werden.
Insoweit sind die Bürger und Bürgerinnen darin zu
unterstützen, einen eigenen Beitrag zur Absicherung für
den Pflegefall zu leisten. Mit der staatlichen Förderung
der Pflegevorsorge gehen wir diesen Weg.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank. - Ich denke, man sollte vorwegschicken: Uns geht es unterm Strich um alle Versicherten
und Pflegebedürftigen. Aber wir gehen nicht davon aus,
dass alle die private Zusatzversicherung abschließen
werden. Es wird gemutmaßt, dass 1,5 Millionen Menschen sich dafür entschließen werden. Aber selbst wenn
10 oder 15 Millionen Personen diese Versicherung abschließen, haben wir nur einen Teil der gesamten Versicherten in Deutschland erreicht. Es brauchen aber alle
eine ordentliche Absicherung. Deshalb frage ich noch
einmal, warum beim Entwurf des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes nicht nach einer nachhaltigen Finanzierungsform gesucht worden ist und warum so ein unattraktives Produkt - ich nenne es noch einmal so - aus
dem Hut gezaubert wird, das nur einen sehr geringen
Teil der Bevölkerung erreichen wird.
Frau Kollegin Scharfenberg, ich verweise noch einmal darauf, dass die geltende Pflegeversicherung auch
nach Meinung Ihrer Fraktion eine Teilpflegeversicherung ist. Keiner von uns möchte eine allumfassende
Pflegeversicherung.
Wir als bürgerlich-liberale Koalition wissen, dass wir
trotzdem eine zusätzliche Absicherung brauchen, setzen
aber auf das Eigenengagement der Menschen in diesem
Lande und appellieren auch an die Menschen, eine solche Chance wahrzunehmen, die wir ihnen mit dem
neuen Gesetz bieten werden. Die Anzahl der Anträge ist
übrigens nicht gedeckelt, wie Sie wissen. Wenn es mehr
Anträge geben sollte, dann werden diese auch genehmigt.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank. - Bundesgesundheitsminister Bahr
wurde in den letzten Tagen mehrmals damit zitiert, dass
er die Kritik von SPD und Grünen nicht verstehe. Wir
hätten schließlich in der rot-grünen Regierungszeit die
Riester-Rente eingeführt, die damit vergleichbar sei. Ich
bitte Sie, mit diesem falschen Vergleich aufzuräumen
und aufzuklären, worin der Unterschied zwischen der
Riester-Rente als Teil der Altersvorsorge mit einem garantierten Ertrag und dem Pflege-Bahr - so nenne ich ihn
einmal - liegt, der nämlich eine Risikoversicherung darstellt. Das heißt, bei der Riester-Rente gibt es immer eine
Ausschüttung, aber die Zusatzpflegeversicherung wird
nur im Bedarfsfall ausgeschüttet; andernfalls ist das
Geld weg.
Das ist korrekt, Kollegin Scharfenberg. Aber beiden
Systemen liegt eine Idee zugrunde. Ich finde, es ehrt
beide Regierungen - Ihre damalige rot-grüne wie unsere
heutige -, dass wir auf das Eigenengagement der Menschen setzen, dass zusätzlich zum sozialen Leistungssystem etwas aufzubauen ist.
Wir haben in diesem Fall auf eine Risikoversicherung
gesetzt. Ich erinnere daran, dass wir es mit anderen haushalterischen Bedingungen zu tun haben als damals die
Schröder-Regierung. Ich glaube, dass dies - das muss
ich noch einmal betonen - ein Angebot ist, bei dem sich
jeder in Deutschland ernsthaft überlegen sollte, ob er es
wahrnimmt.
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 44 unseres Kollegen Dr. Harald Terpe auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Verwaltungskosten, die dem Bundeshaushalt durch die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für
eine private Pflegezusatzversicherung entstehen, und inwiefern hält sie diese Kosten im Verhältnis zur eigentlichen Fördersumme für angemessen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Wir beantworten die Frage wie folgt: Die vom Kabinett am 6. Juni beschlossene Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zum Entwurf des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes zur Zulagenförderung der privaten
Pflegevorsorge sieht vor, dass verschiedene Vorgaben
zur Durchführung der Zulagenförderung im Rahmen einer Rechtsverordnung konkretisiert werden sollen.
Eine detaillierte Berechnung der Verwaltungskosten
der Durchführung der Pflegevorsorgeförderung ist daher
erst nach Erarbeitung dieser Rechtsverordnung möglich.
Durch weitestgehende Nutzung elektronischer Austauschverfahren zwischen der für die Zulagenförderung
zuständigen Stelle und den Versicherungsunternehmen
erscheint es jedoch möglich, die Kosten der Durchführung der Zulagenförderung auf unter 10 Millionen Euro
jährlich zu begrenzen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Terpe.
Verstehe ich Sie richtig, dass es sich auch für Sie bei
der Begrenzung auf unter 10 Millionen Euro um eine relevante Größenordnung handelt? Bezogen auf die
Summe von 90 Millionen Euro, bewegt sich der Verwaltungskostenanteil bei knapp 10 Prozent. Halten Sie es
für angemessen, dass der Verwaltungskostenanteil so
hoch angesetzt wird? Halten Sie diese Relation für vertretbar?
Herr Kollege Terpe, wir warten ab, wie die Rechtsverordnung aussehen wird. Wir werden alles tun, um die
Verwaltungskosten in diesem Zusammenhang so niedrig
wie möglich zu halten.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, welchen Prozentsatz der Verwaltungskosten hielten Sie persönlich für angemessen?
Liebe Kollege Dr. Terpe, Sie setzen auf mein munteres Mundwerk. Heute setzen Sie darauf vergebens. Ich
werde hier nicht spekulieren.
Jetzt wäre es interessant, wenn Sie noch eine weitere
Nachfrage stellen dürften, Herr Dr. Terpe.
({0})
Ich rufe nun Frage 45 des Kollegen Dr. Terpe auf:
Hält die Bundesregierung trotz der breiten und übereinstimmenden Kritik von Expertinnen, Experten und Verbänden
an der Einführung der vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012
beschlossenen staatlichen Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung fest, und wenn ja, warum?
Frau Staatssekretärin, Sie bemühen sich bestimmt
auch hier.
Herr Kollege Dr. Terpe, unsere Antwort lautet wie
folgt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem konzipiert. An dieser Grundkonzeption will
nicht nur die Bundesregierung, sondern auch - das zeigen jedenfalls die vorhandenen Initiativen - die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen weiter festhalten. Die mit dem
demografischen Wandel verbundenen Belastungen wird
aber ein Teilleistungssystem allein nicht meistern können. Die Bürger und Bürgerinnen sind daher aufgefordert, neben der gesetzlichen Pflegeversicherung einen
eigenen Beitrag zur Absicherung für den Pflegefall zu
leisten. Dabei will sie die Bundesregierung unterstützen.
Aus ihrer Sicht ist und bleibt die staatliche Förderung
der privaten Pflegevorsorge daher ein wichtiger Beitrag
zur nachhaltigen, generationengerechten Ausgestaltung
der sozialen Sicherung.
Ihre erste Nachfrage, Dr. Terpe.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin. - Da Sie davon ausgehen, dass es sich
bei der sozialen Pflegeversicherung um eine TeilleisDr. Harald Terpe
tungsversicherung handelt und dass die Betroffenen die
Zuzahlungen aus ihren eigenen Einkünften bestreiten,
verweise ich auf die Riester-Rente, die dazu dient, die
Einkünfte im Alter entsprechend den Bedürfnissen zu
verbessern und sich zusätzlich zum staatlichen Rentensystem abzusichern. Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht für vernünftiger, dass der Gesetzgeber die
Gelder für die staatliche Förderung einer zusätzlichen
Absicherung im Bereich der Pflegeversicherung im
Rahmen der Riester-Rente aufwendet? Das würde den
Verwaltungsaufwand verringern, und es würde kein Zusatzsystem geschaffen, das - das zeigt die aktuelle Diskussion - wieder nur einen Teilbereich absichern kann.
Herr Kollege Dr. Terpe, wir haben uns natürlich auch
mit diesem Gedanken befasst. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass der Weg, den wir jetzt beschritten
haben, auch im Hinblick auf die Haushaltssituation und
unser Ziel, ein verschuldungsfreies Land zu werden,
richtig ist.
Ich weise an dieser Stelle auf die Anhörung hin, die
uns allen noch bevorsteht. Wenn es irgendwo auf der
Welt Vorschläge für eine vernünftige Lösung gibt, dann
kann man immer noch entsprechende Änderungsanträge
einbringen. Aber ich glaube das nicht. Aufgrund unserer
bisherigen Prüfungen glaube ich, dass der beschrittene
Weg der richtige ist.
Dr. Terpe, eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich nehme Ihre Freude über die
gemeinsame Anhörung auf. Auch ich freue mich schon
darauf.
Ich möchte das Thema aber von einer anderen Seite
beleuchten. Sie selbst haben gesagt, im Bedarfsfalle
werde auch dann weiter gefördert, wenn mehr als
1,5 Millionen Verträge abgeschlossen würden. Wenn
15 Millionen Verträge abgeschlossen werden, sind wir
schon bei 900 Millionen Euro Förderung. Wenn wir in
Rechnung stellen, dass wir uns auf einen schuldenfreien
Haushalt zubewegen wollen, dann ist das eine erhebliche
Summe. Angesichts einer solchen Größenordnung hätte
man das Riester-Prinzip weiter stärken können. Was sagen Sie denn zu dieser Auffassung von mir?
Lieber Kollege Dr. Terpe, Sie wissen, dass ich Haushälter war, bevor ich Gesundheitspolitiker wurde. Ich
würde nie auf eine solch vage Vermutung hin ein Gesetz
konzipieren. Wir haben jetzt erst einmal ein Paket geschnürt. Wir gehen von aus unserer Sicht realistischen
Schätzungen der Interessenten für eine solche Versicherung aus. Meine Aussage basierte auf der Vermutung, es
gebe eine Deckelung. Noch einmal: Das ist nicht der
Fall. Wenn es mehr Menschen gibt, die einen Vertrag abschließen wollen, dann wird es auch entsprechende Versicherungen geben können.
Vielen herzlichen Dank.
Die Frage 46 wird von unserer Kollegin Frau Maria
Klein-Schmeink gestellt:
Inwiefern ist die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung in Höhe von 5 Euro monatlich für Geringverdiener, die wie andere Personen auch Eigenmittel von
mindestens 10 Euro monatlich für die Zusatzversicherung beisteuern müssten, eine „notwendige und sinnvolle Ergänzung“,
die zudem dafür sorge, „dass die Pflegeversicherung demografiefest und stabil wird“ ({0}), und warum unterlässt die Bundesregierung es gerade im Interesse
solch vulnerabler Personengruppen, die solidarische gesetzliche Pflegeversicherung mit einer demografiefesten und stabilen Finanzierung auszustatten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Wir antworten darauf wie folgt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem konzipiert.
An dieser Konzeption wollen wir alle nichts verändern.
Insoweit war es bereits bisher sinnvoll, ergänzend selbst
für das Risiko der Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Bereits bisher konnte dies auch über den Abschluss einer
Pflegezusatzversicherung erfolgen. Allerdings - und darin besteht der Unterschied - beinhalten entsprechende
Verträge bislang keinen Kontrahierungszwang; besondere Erleichterungen für Personen mit niedrigerem Einkommen haben ebenfalls nicht existiert.
Diese unbefriedigende Situation wird durch den Vorschlag der Bundesregierung für eine staatliche Förderung der privaten Pflegevorsorge beendet. Die in diesem
Konzept verlangten Fördervoraussetzungen machen es
insbesondere auch für Personen mit Vorerkrankungen
oder mit niedrigerem Einkommen erstmals möglich,
eine entsprechende Zusatzversicherung abzuschließen.
Um die Förderung gerade auch für Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen attraktiv auszugestalten, hat die
Bundesregierung ausdrücklich ein Zulagenmodell vorgeschlagen; denn während von einer steuerlichen Förderung nur jene begünstigt werden, die aufgrund der Höhe
ihres persönlichen Einkommens Einkommensteuer zahlen, ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bei einer
Zulage ungleich größer. Dies macht die soziale Ausrichtung der geplanten Förderung mittels Zulage deutlich.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Klein-Schmeink.
Es geht um die Demografiefestigkeit und auch die
stabile künftige Finanzierung. Warum haben Sie nicht alternativ den Weg gewählt, die soziale Bürgerversiche21818
rung stabil und demografiefest zu finanzieren und die
Einnahmebasis zu stärken?
Weil wir eine andere Vorstellung von dem persönlichen Engagement des Bürgers in diesem Lande haben
als Sie, Frau Kollegin Klein-Schmeink. Wir glauben,
dass wir die soziale Pflegeversicherung, die es bisher
gibt, gut und gerne mit einem zusätzlichen Kapitalstock
ergänzen und dabei auf die eigene Kraft unserer Bürger
zählen können. Deswegen sind wir zu diesem Konzept
gekommen und nicht zu Ihrem.
Es liegt nahe, dass Sie noch einmal nachfragen.
Ja, denn Sie gehen in Ihren eigenen Berechnungen davon aus, dass 1,6 bzw. 1,7 Millionen Bürger dieses Angebot wahrnehmen werden. Das ist natürlich nur eine
Kleinstgruppe all derer, um die es eigentlich gehen
sollte. Deshalb habe ich die Nachfrage: Wäre es nicht zielführender, die solidarisch finanzierte soziale Bürgerversicherung auszubauen, wenn man eine demografiefeste
Finanzierung haben will, und dort für eine nachhaltige
Finanzierung sowie einen nachhaltigen Leistungskatalog
zu sorgen?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, noch einmal: Wir halten diesen Weg weder für zulässig noch für gangbar. Er
ist deutlich teurer. Wir werden mit dem jetzigen Konzept
viele Menschen in diesem Land erreichen, die sich zum
ersten Mal überhaupt mit dem Gedanken auseinandersetzen, eine Zusatzvorsorge vorzunehmen. Auch das ist ein
wichtiger Schritt.
So wie es damals bei Riester einen Paradigmenwechsel gegeben hat - die Menschen wussten plötzlich: Sie
müssen neben der Rente vorsorgen -, ist es auch jetzt bei
der privaten Pflegevorsorge: Vielen Menschen ist plötzlich bewusst geworden, dass sie vorsorgen müssen, weil
unsere sozialen Sicherungssysteme endlich sind.
Vielen herzlichen Dank. - Jetzt komme ich zur Frage 47 unserer Frau Kollegin Klein-Schmeink:
Mit welchen monatlichen Gesamtkosten rechnet die Bundesregierung für die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012
beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung geplanten Versicherungsbedingungen beispielsweise für einen 55-jährigen Mann, der heutzutage für eine
private Pflegetagegeldversicherung mit durchschnittlichen
monatlichen Kosten von circa 55 Euro rechnen muss ({0}),
und inwiefern hält sie die Zulage von 5 Euro monatlich dabei
für eine wirksame Unterstützung dieser Personengruppe?
Ich darf Sie, Frau Staatssekretärin, um Beantwortung
bitten.
Danke, Herr Präsident. - Unsere Antwort ist wie
folgt: Die Kalkulation entsprechender Pflegezusatzversicherungen hat durch die Anbieter solcher Produkte zu
erfolgen. Da es sich bei den förderfähigen Pflegevorsorgeprodukten um Risikoversicherungen handelt, die nach
Art der Lebensversicherung kalkuliert werden, ist der
Beitrag vom Eintrittsalter abhängig. Es liegt daher nahe,
dass dieser bei einem 55-jährigen Mann höher als bei einem Mann ist, der eine entsprechende Zusatzversicherung bereits im Alter von 30 Jahren abschließt.
Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass die
privaten Krankenversicherungsunternehmen auch für
höhere Altersgruppen Angebote kalkulieren, die im Zusammenhang mit der staatlichen Förderung preislich
ausreichend attraktiv sind.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Können Sie uns und den privaten Versicherungsunternehmen noch einmal verdeutlichen, wie es zu einer Kalkulation kommen kann, die im Vergleich zu den anderen
Tarifen der Pflegerisiko- und Pflegetagegeldversicherungen ein attraktives Angebot gerade auch für die Personengruppe darstellt, die über ein geringes Einkommen
verfügt?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, wir gehen davon aus
- die PKV hat uns das bereits signalisiert -, dass es entsprechende Angebote geben wird. Ich gehe davon aus,
dass auch dies in der eben von mir angeführten Anhörung zur Sprache kommen wird.
Ich nehme an, Sie fragen noch einmal nach.
Ja. - Mit welchen Steigerungsraten bei den Tarifen
muss diese Personengruppe - nehmen wir einmal einen
55-Jährigen - rechnen, wenn es dazu kommt, dass sich
gerade diejenigen, die besondere Risiken haben und die
sich nicht einer Risikoprüfung unterziehen können, angesichts der anderen Pflegetarife, die es bei den privaten
Unternehmen gibt, versichern müssen? Wie wird sich
dabei die Tarifgestaltung für die Zukunft darstellen?
Kann das dann noch ein attraktives Angebot für eine
Personengruppe sein, die über ein geringes Einkommen
verfügt?
Auch hierbei, Frau Kollegin Klein-Schmeink, können
wir erst von zuverlässigen Zahlen ausgehen, wenn die
ersten Berechnungen auf dem Tisch liegen. Das heißt,
wir sind in einem frühen Stadium. Sie wie wir gehen davon aus, dass es nicht zu unverhältnismäßigen und aus
unserer Sicht unzulässig starken Steigerungen kommen
wird.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen 48 und 49
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, die Fragen 50
und 51 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, die
Frage 52 des Abgeordneten Uwe Kekeritz, die Fragen 53
und 54 der Abgeordneten Cornelia Behm, die Fragen 55
und 56 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, die Fragen 57
und 58 der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann sowie
die Fragen 59 und 60 der Abgeordneten Tabea Rößner
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 61 des Kollegen
Nouripour:
Aus welchen Gründen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, auf eine bundesaufsichtliche Weisung hinsichtlich des Bescheids des damaligen hessischen Landesverkehrsministers Dieter Posch zur
Anpassung der Flugbetriebsbeschränkungen des Planfeststellungsbeschlusses zum Ausbau des Frankfurter Flughafens an
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2012
verzichtet, obwohl das BMVBS bereits im Vorfeld einem sogenannten Planklarstellungsverfahren gegenüber Bedenken
geäußert hat?
Sie wird jetzt vom Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Andreas Scheuer beantwortet. Bitte schön, Herr
Staatssekretär.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Nouripour, auf Ihre Frage antworte ich wie
folgt: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung hat die zuständige Behörde im Land
Hessen darauf hingewiesen, dass es die Anpassung des
Planfeststellungsbeschlusses an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vor dessen vollständiger Veröffentlichung nicht für zweckmäßig hält. Die Planfeststellungsbehörde hat dies abgewogen und hat in eigener
Zuständigkeit bewertet, dass sie das beabsichtigte Vorgehen für zielführend zur rechtlichen Umsetzung des Urteils erachtet.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Nouripour.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, was ist
denn eigentlich das Kriterium im Falle einer Auseinandersetzung zwischen dem Bundesministerium und einem
Landesministerium, bei dem das Bundesministerium offensichtlich der Meinung ist, dass das, was das Landesministerium macht, nicht zweckmäßig ist? In einem
Statement sagt der Pressesprecher Ihres Hauses: Es ist
sinnvoll, die Urteilsbegründung abzuwarten. - Wenn
das, was dort passiert, nicht sinnvoll ist, was ist dann das
Kriterium dafür, mit einer Weisung einzuschreiten oder
dies nicht zu tun?
Herr Kollege, wir sprechen nicht von einer Auseinandersetzung mit dem Landesverkehrsministerium und
dem ehemaligen Landesverkehrsminister Posch, sondern
wir haben unsere Stellungnahme und unsere Meinung
dazu abgegeben, nicht mehr und nicht weniger. Fakt ist:
Die an dieser Stelle zuständige Behörde ist eine Behörde
des Landes Hessen, und wir haben eine Empfehlung gegeben, nicht mehr und nicht weniger.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Nouripour.
Nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich und liegt im
Bereich des Richtigen, zumindest im Bereich des Rechten, dass das Bundesministerium mit einer Weisung dort
einschreitet. Meine Frage war, warum dies nicht geschehen ist, wenn das Ministerium der Meinung ist, dass das
Vorgehen der Landesregierung nicht zweckmäßig ist.
Herr Kollege Nouripour, „einschreiten“ und Ähnliches - das sind Vokabeln, die Sie verwenden. Wir pflegen mit den Auftragsverwaltungen und den Landesministerien eine gute, kollegiale Zusammenarbeit. Wir
sind weit davon entfernt, dass das BMVBS in solchen
Verfahren einschreitet. Vielmehr geben wir dazu unsere
Meinung ab. Die zuständige Behörde ist an dieser Stelle
nicht das BMVBS, sondern das entsprechende Landesministerium. Genauso wie wir uns jetzt streiten können,
ob Ihre Frage sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, haben wir
unsere Meinung zu diesem Verfahren beim Landesministerium in Hessen abgegeben, nicht mehr und nicht
weniger.
Vielen herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, die restlichen Fragen der Fragestunde werden
entsprechend unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet.
Wir sind am Ende unserer Fragestunde.
Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Umstrittene Nutzung des Auslandsnachrichtendienstes für den Transport eines von BM
Niebel privat gekauften Teppichs
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster
für die Fraktion der Sozialdemokraten Kollege
Vizepräsident Eduard Oswald
Dr. Sascha Raabe. Bitte schön, Kollege Dr. Sascha
Raabe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben die heutige Aktuelle Stunde beantragt, weil wir es nicht länger mit ansehen können, wie
Bundesminister Dirk Niebel sein Amt für seine persönlichen Interessen und für die Interessen seiner Partei missbraucht.
({0})
Erst hat er reihenweise Parteifreunde mit hochbezahlten
öffentlichen Stellen versorgt, dann hat er den Personalrat
kaltgestellt, und jetzt lässt er auch noch auf Staatskosten
einen Teppich für seine Privatgemächer einfliegen. Wir
können das nicht mehr mit ansehen. Wir glauben, dass
damit auch dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit
Deutschlands geschadet wird. Deswegen haben wir die
heutige Aktuelle Stunde beantragt.
({1})
Wie peinlich ist es,
({2})
dass ausgerechnet heute das Bundesministerium ein
Konzept mit dem Namen „Antikorruption und Integrität
in der deutschen Entwicklungspolitik“ vorstellt! In einer
Pressemitteilung auf der Homepage des Ministeriums
heißt es heute:
Wir nehmen unsere Partner in die Pflicht, konkrete
Reformen durchzuführen, um Korruption zu mindern und Transparenz, Integrität, Partizipation und
Rechenschaft auszubauen.
({3})
Nehmen Sie sich endlich auch einmal selbst in die
Pflicht und fangen beim Minister an, meine sehr verehrten Damen und Herren!
({4})
Die Frage nach den Konsequenzen beschäftigt auch
die Journalisten. Ich werde jetzt nicht diejenigen aus den
linksliberalen Zeitungen zitieren, sondern ich werde einmal ganz bewusst die Blätter zitieren, die der FDP und
dem Minister eigentlich genehm sein müssten,
({5})
nämlich die Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblätter.
Ich fange einmal mit dem Handelsblatt an.
({6})
Das Handelsblatt bringt heute ein Zitat von Dirk Niebel
vom Januar. Da hat er gesagt:
Politiker müssen sich an Recht und Gesetz halten
wie alle anderen auch und haben eine Vorbildfunktion.
Das Handelsblatt titelt: „Pinocchio des Tages“. - Dirk
Niebel, Lügner des Tages.
Die Wirtschaftswoche bezeichnet Dirk Niebel als „liberales Teppichluder“.
({7})
Das mache ich mir nicht zu eigen.
({8})
Das ist die Wirtschaftswoche.
Die Financial Times Deutschland schreibt von Missbrauch des Staates. Jetzt würde ich Sie bitten, einmal
nicht zu krakeelen, sondern zuzuhören. Hier schreibt der
Kommentator: Ein Staatsskandal ist auch die Teppichaffäre um den Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel
nicht. Doch in diesem Fall gerät der Minister zum wiederholten Mal in Erklärungsnot und in den Ruf von Vetternwirtschaft und Korruption.
({9})
Mag der Anlass noch so nichtig sein und Niebel sich
reumütig zeigen: Er sollte zurücktreten. Hierbei dient ein
Minister nicht mehr dem Staat, sondern er missbraucht
ihn für seine persönlichen Interessen,
({10})
zumal es bei Niebel eine Vorgeschichte gibt, die von
Selbstherrlichkeit und Eigeninteresse handelt, und zwar
seit seinem Amtsantritt im Entwicklungsministerium.
Seine Personalpolitik etwa wirkt so, als sei es die vorrangige Aufgabe eines FDP-Ministers, verdiente Liberale
mit gut dotierten Posten zu versorgen. - Deswegen
kommt auch dieser Kommentator zu Recht zu dem
Schluss, dass ein Minister, der die Prinzipien guter Regierungsführung in alle Welt exportieren soll, so nicht
mit seinem Amt umgehen kann.
Deswegen sagt die Financial Times Deutschland:
Dieser Minister soll zurücktreten. - Ich schließe mich
dieser Forderung an, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({11})
Die Frage des am Zoll vorbeigeschmuggelten Teppichs
({12})
und damit der persönlichen Vorteilsnahme von etwa
4 000 Euro - Transportkosten und Zollabgaben, die fällig gewesen wären ({13})
werden wir heute noch diskutieren.
({14})
Es ist keineswegs nur eine Lappalie, um die es hier geht.
({15})
Wenn es um ein Land wie Afghanistan geht - wir wissen, dass dort Teppiche meist von Kindern hergestellt
werden -, kann man schon erwarten, dass ein Entwicklungsminister mehr nachfragt und sich nicht nur auf das
Wort eines Angehörigen der Botschaft verlässt, dass das
ein seriöser Händler sei. Wir haben dort nicht umsonst
mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
ein zertifiziertes Siegel geschaffen. „GoodWeave“ heißt
das. Es ist der Nachfolger von RugMark. Auch in Afghanistan gibt es einen Händler, der zertifiziert ist und von
der Größe her etwa mit dem Otto-Versand in Deutschland vergleichbar ist. Wir fragen uns, Herr Minister: Warum haben Sie nicht von diesem Händler einen Teppich
privat erworben? Sie können doch nicht einfach einen
teuren Teppich für Ihr Wohnzimmer kaufen, an dessen
Herstellung vielleicht Kinderhände beteiligt gewesen
sind,
({16})
und das, wo Sie am Welttag gegen Kinderarbeit tränenreich verkündet haben, wie schlimm Sie Kinderarbeit in
aller Welt finden. Das passt nicht, Herr Minister!
({17})
Wenn einige anführen: „Na ja, was sind denn schon
ein paar Tausend Euro?“, sage ich: Es wurde in Deutschland schon einmal einer Kassiererin eines Supermarkts
wegen 1,30 Euro gekündigt. Da hat sich die FDP merklich zurückgehalten.
({18})
Deshalb glaube ich schon, dass wir hier nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen können. Wir werden hier letztlich auch erörtern, wie der Bundesnachrichtendienst dabei zu Schaden gekommen ist.
Ich sage an dieser Stelle,
({19})
weil es wirklich nicht nur um Minister Niebel geht, sondern auch um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit
Deutschlands in der Welt gegenüber seinen Partnerländern - gute Regierungsführung ist für uns etwas, was wir
vorleben müssen -, dass die Kanzlerin ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Ich sage: Sorgen Sie für gute
Regierungsführung! Sorgen Sie dafür, dass nicht ein
Teppich fliegt, sondern dieser Minister!
Herzlichen Dank.
({20})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist Bundesminister Dirk Niebel. Bitte schön, Bundesminister
Dirk Niebel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich habe einen Fehler gemacht, den ich selbst zu verantworten habe, und ich kann verstehen, wenn der Vorgang
sachlich kritisiert wird. Ich habe mich dafür sofort umfassend und öffentlich entschuldigt und tue dies ausdrücklich noch einmal hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich wollte mir einen Teppich für mein Haus kaufen,
was aus Sicherheitsgründen natürlich nicht auf dem
Basar in Kabul möglich war. Aus logistischen Gründen
wollte ich den Teppich zu einem späteren Zeitpunkt mit
nach Hause nehmen. Ich hatte mich zunächst gefreut, als
ich erfuhr, dass ich durch die Hilfsbereitschaft des Bundesnachrichtendiensts die Chance haben würde, den
Teppich früher als gedacht zu Hause zu haben. Ich bedaure ausdrücklich, dass der BND-Chef, der von einem
zollfreien Gastgeschenk ausging,
({1})
dadurch in eine unangenehme Situation gebracht worden
ist. Ich ging davon aus, dass alle Formalitäten bei der
Einreise erledigt wurden, und werfe mir vor, keine
klaren Absprachen getroffen zu haben.
Als ich durch die Anfrage eines Medienvertreters problembewusst wurde, habe ich die Nachverzollung unverzüglich beantragt und das auch öffentlich erklärt. Sie
können versichert sein, liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren: Niemand ärgert sich über diesen Vorgang mehr als ich.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Heike Hänsel. Bitte schön, Frau Kollegin
Hänsel.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Minister Niebel, das war ein bisschen sehr kurz.
({0})
Ich denke, es gibt dazu noch etwas mehr zu sagen.
Ich möchte mich aber auf die sachliche Kritik
konzentrieren, und diese muss Minister Niebel auch aushalten; denn er gehört nicht zu denjenigen, die sich mit
Kritik zurückhalten.
({1})
Ein Minister auf Dienstreise lässt sich in der Deutschen Botschaft in Kabul eine Teppichauswahl vorlegen.
Er kauft einen Teppich, und der Geheimdienst schmuggelt ihn am Zoll vorbei nach Deutschland.
({2})
Diese Nummer wäre eigentlich reif fürs Kabarett, wenn
das Ganze nicht in einem so ernsten Umfeld stattfinden
würde.
Herr Niebel war nämlich in einer Kriegsregion, wo
unter anderem deutsche Soldaten Krieg führen, wo täglich Menschen durch Krieg sterben und wo ein Teppichkauf in meinen Augen eigentlich nicht zu einer Dienstreise gehört.
({3})
Wir unterstellen ihm nicht, dass er irgendwelche Zollgebühren sparen und sich persönlich bereichern wollte.
Diese Vorwürfe finde ich albern, Herr Niebel. Vielmehr
geht es darum, dass Sie in verantwortungsvoller Position
ein Gespür dafür haben müssen, was man machen kann
und was nicht. Ich finde, dieses Gespür fehlt Ihnen.
({4})
Das haben Sie in meinen Augen schon zu Beginn Ihrer
Amtszeit gezeigt, indem Sie mehrfach - manchmal auch
heute noch - mit Bundeswehrkappe in Afrika oder
Lateinamerika unterwegs waren.
({5})
Dieses Bild ist eines Entwicklungsministers in meinen
Augen nicht würdig.
({6})
Es erinnert an ungute deutsche Zeiten.
({7})
Das fand ich schon damals ein ganz großes Problem. Es
zeigt, dass Ihnen, Herr Niebel, in manchen Bereichen,
die in Ihrer Verantwortung liegen, das Gespür fehlt.
({8})
In der Öffentlichkeit kann schnell der Eindruck entstehen, Sie fahren in eine Kriegsregion und am Ende
kommt dabei ein Schnäppchenkauf heraus. Ich frage
mich auch, ob es die Aufgabe der Deutschen Botschaft
ist, eine Teppichauswahl zu organisieren. Auch diese
Frage darf man stellen.
Dazu, dass keine Kinderarbeit in dem Teppich steckt,
gab es nur eine lapidare Bemerkung. Wir fragen natürlich nach: Wie wollen Sie das eigentlich beweisen, vor
allem angesichts des relativ geringen Preises für den
großen Teppich? Das sind in meinen Augen ernsthafte
Fragen.
Der eigentliche Skandal liegt für mich und für die
Linke aber nicht in Ihrer Teppichnummer, sondern in
Ihrer Entwicklungspolitik. Damit kommen wir zu den
zentralen Punkten: Sie setzen auf Außenwirtschaftsförderung. Ferner gab es Skandale um merkwürdige
Stellenbesetzungen, und in meinen Augen waren auch
Personalbesetzungen im Ministerium oft inadäquat. Es
geht auch um die sogenannte Fusion der verschiedenen
Entwicklungsorganisationen.
({9})
In meinen Augen wurde die gute Organisation DED zerschlagen. Sie ist nicht mit ihren Stärken in die sogenannte Fusion eingeführt worden. Sie haben noch sehr
große Baustellen. Auch was Afghanistan angeht, wurden
die Entwicklungsorganisationen unter Ihrer Regierung
stärker ans Militär gebunden. Leider begann das unter
Rot-Grün.
Herr Niebel, mir gefällt Ihre oft arrogante Haltung
nicht - das habe ich auch schon erlebt -, wenn Sie in
Ländern des Südens unterwegs sind, die nicht Ihren politischen Vorstellungen entsprechen, wie zum Beispiel in
Lateinamerika, in Bolivien, in Ecuador, in Nicaragua.
({10})
Sie treten sehr arrogant auf. Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua wegen fehlender guter
Regierungsführung eingestellt. Dazu sage ich: Das kann
nicht sein, Herr Niebel. Dann müssen wir gleiche MaßHeike Hänsel
stäbe anlegen. Ich fordere eine gute Regierungsführung
für Deutschland.
({11})
Uns ärgert auch - das ist eine gravierende Konsequenz dieser einfach auch doofen Teppichdiskussion -,
dass wir über viele wichtige Dinge in Afghanistan nicht
sprechen. Vor einigen Tagen gab es dort ein Erdbeben
mit über 80 Toten. Wer weiß davon?
({12})
Wer spricht davon? Die Medien nicht. Aber Herr Niebel
auch nicht. Es gab Tote durch NATO-Angriffe; es
wurden über 18 Zivilisten getötet. Darüber spricht Herr
Niebel auch nicht. Ich habe nichts von ihm gehört.
({13})
Wir haben eine säkulare, progressive Partei in Afghanistan, die Solidaritätspartei, die gegen den Krieg kämpft.
Gegen diese wurde ein Verbotsverfahren durchgeführt.
Wir haben bei der Deutschen Botschaft mehrmals gefragt: Was macht die Bundesregierung? Wie reagieren
das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium? Wir haben nichts gehört. Ich frage mich: Wo sind die
Prioritäten?
({14})
Sie treten mit Teppichaktionen in Afghanistan in Erscheinung, machen aber nicht den Mund auf, wenn
Organisationen, die gegen den Krieg und die Warlords in
Afghanistan kämpfen, verboten werden sollen. Das sind
für mich entscheidende Punkte. Ich sage Ihnen: Herr
Niebel, für mich ist der Teppichkauf kein Rücktrittsgrund,
({15})
aber die Entwicklungspolitik, die Sie gestalten, und die
Fehlentscheidungen wären schon längst ein Rücktrittsgrund.
({16})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Christiane
Ratjen-Damerau. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister,
ich danke Ihnen ganz herzlich für die klärenden Worte
und den sehr offenen Umgang mit dieser besagten
Affäre.
({0})
Sie haben sehr offen dargelegt, einen in Afghanistan gekauften Teppich in Deutschland nicht unmittelbar verzollt zu haben. Als Ihnen dieses bekannt wurde, haben
Sie unverzüglich die Nachverzollung beantragt und
öffentlich die Verantwortung - so wie eben auch - übernommen. Damit ist diese Angelegenheit für mich abgeschlossen.
({1})
Wenn Sie, sehr geehrte Kollegen von der Opposition,
insbesondere Sie, Herr Raabe und Frau Hänsel, ehrlich
sind, geben Sie zu, dass ich recht habe. Ihre ständig wiederholten, künstlichen und hier lauthals geäußerten
Rücktrittsforderungen haben keinen Anlass. Es fehlen
Ihnen sonstige Angriffspunkte.
({2})
Der Minister und sein Haus leisten hervorragende Arbeit
für die deutsche und die weltweite Entwicklungspolitik und damit zum Wohle vieler Menschen auf dieser Welt.
({3})
Mit der Fusion der Durchführungsorganisationen ist
unter der Führung von Dirk Niebel die größte Reform
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gelungen.
Vor ihm sind an dieser Fusion alle Vorgänger - auch Ihre
Ministerin - gescheitert.
({4})
Durch diese Fusion wurden im Stellenbestand des
Bundes 700 Stellen eingespart. Und: Die Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit ist zu einem Global
Player geworden, der zu einem Marktführer wird.
({5})
Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und
die KfW-Entwicklungsbank kooperieren seit dem Amtsantritt von Dirk Niebel so gut wie noch nie zuvor.
({6})
Dies hat unter anderem dazu beigetragen, dass die
KfW-Entwicklungsbank den Entwicklungsländern in
den letzten zwei Jahren zusätzliche Kredite in Höhe von
2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Das ist
für die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armut
ein sehr großer Erfolg, auf den wir ausgesprochen stolz
sind.
({7})
- Hören Sie doch mal zu, dann begreifen Sie es vielleicht!
Gleichzeitig wurde die Außenstruktur des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung an den deutschen Botschaften verstärkt.
Damit hat sich die Steuerungsmöglichkeit der Entwicklungszusammenarbeit in den betreffenden Ländern deutlich verbessert.
({8})
Es wurde nicht nur die Zusammenarbeit mit den Vorfeldorganisationen verbessert, sondern auch die Kohärenz
der gesamten Bundesregierung. Erstmals wird unter Federführung des Bundesministeriums zusammengetragen,
welche Aktivitäten die einzelnen Ressorts der Bundesregierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit
leisten.
Wir alle wissen um die große Bedeutung der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft bei der Entwicklungszusammenarbeit. Unser Ziel ist es, die Zahl der Engagierten auf 2 Millionen zu verdoppeln. Deshalb wurden
die Mittel für Zivilgesellschaft, Kirchen und politische
Stiftungen deutlich erhöht. Die Veranstaltung „Engagement fairbindet“ des Bundesministeriums hat sich zu
einer einzigartigen Plattform entwickelt, auf der sich die
verschiedenen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit treffen. Geschaffen hat dies Dirk Niebel mit seinem Haus.
Im nächsten Jahr wird es erstmals einen bundesweiten
Entwicklungstag geben,
({9})
der mit einer Afrika-Gala im deutschen Fernsehen endet.
Damit erreichen wir für unsere Arbeit und die gesamte
Entwicklungszusammenarbeit eine breite Öffentlichkeit, die es bisher nicht gegeben hat.
({10})
So werden die Bürgerinnen und Bürger mit dem Thema
der Entwicklungszusammenarbeit vertraut gemacht; sie
werden hierfür sensibilisiert, und ihr Engagement wird
verstärkt.
({11})
- Das habe ich gar nicht nötig.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird in dieser Legislaturperiode zu einer Plattform für den Austausch und die
Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen ausgebaut. Die Türen in Richtung Mitte der Gesellschaft sind weit geöffnet. Ein bedeutender Schritt dafür ist die Servicestelle für
bürgerschaftliches und kommunales Engagement, die in
diesem Jahr eröffnet wurde.
({12})
Um die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel zu überprüfen und die Effizienz zu steigern, wird gerade ein unabhängiges Evaluierungsinstitut eingerichtet. Erstmalig
gibt es damit ein Institut - ein absolutes Novum und ein
Meilenstein im Feld der deutschen Entwicklungspolitik -,
das gegenüber der Öffentlichkeit und den Parlamenten in
Deutschland und in unseren Partnerländern über die geleistete Arbeit Rechenschaft ablegt.
Sie sehen: Seit dem Regierungswechsel 2009 ist eine
völlig neu ausgerichtete Entwicklungspolitik geschaffen
worden.
({13})
Diese neue Entwicklungspolitik sorgt für mehr Wirksamkeit, für einen höheren Einsatz der finanziellen Mittel und für ein verstärktes persönliches Engagement in
unserer Gesellschaft. Damit bekommen die Menschen,
die uns brauchen, konkret mehr Unterstützung.
Vielen Dank.
({14})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Frau Ute Koczy. Bitte schön, Frau Kollegin Ute Koczy.
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir
hier eigentlich?
({0})
Ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung fliegt nach Afghanistan, lässt sich dort einen Teppich vorführen, kauft diesen, lässt ihn vom
BND-Chef nach Deutschland befördern und von seinem
Fahrer auf dem Rollfeld abholen. Diese Beobachtung
wird der Presse mitgeteilt.
Problem: Die Verzollung wurde vergessen. Das ist
kein Lapsus. Das ist eine politische Dummheit,
({1})
wenngleich auch keine echte Staatsaffäre. Dennoch fragt
sich die Öffentlichkeit zu Recht, warum unserem Minister Dirk Niebel nicht aufgefallen ist, dass er hier seine
Privilegien missbraucht hat.
({2})
Der politische Schaden ist groß.
Ich finde das besonders ärgerlich, weil wir in der Entwicklungspolitik Wichtigeres zu tun haben: Das europäische Projekt befindet sich in der Krise; am Horn von
Afrika und in der Sahelzone grassiert der Hunger; im
Kongo häufen sich erneut die Massenvergewaltigungen;
in Bangladesch drohen 30 Millionen Menschen wegen
des Klimawandels unterzugehen.
({3})
Zu Afghanistan finden gegenwärtig kaum noch Debatten
zur Lage im Land und zur Situation der Menschen dort
statt.
({4})
Aber Deutschland streitet über einen fliegenden, vor den
Zollbeamten fliehenden Teppich.
({5})
Die Verschiebung der Gewichte - das muss man sich
klarmachen - hat sehr viel mit der Person des Ministers
zu tun. Es findet auf Grundlage dessen statt, was Dirk
Niebel immer großspurig verkündet, zum Beispiel wenn
er dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wegen Bestechungsvorwürfen
androht, die Gelder zu streichen, und in der Welt vom
17. März 2011 sagt: „Korruption tötet!“
({6})
Wir erinnern uns an einen Minister Niebel, der nach den
Regierungsverhandlungen mit Afghanistan sagt:
Deutsches Geld nur, wenn Korruption bekämpft
wird.
({7})
Und:
Wir werden das Geld nicht zum Fenster rausschmeißen, unsere Steuerzahler haben das hart erarbeitet.
Die Presse hat dieses Thema deswegen aufgegriffen,
weil es vor der Folie dessen läuft, was der Minister immer groß ankündigt.
({8})
Diesen Widerspruch kann man nicht vom Tisch wischen.
Man muss doch fragen, und das tut die Öffentlichkeit
({9})
- da können Sie jetzt so laut tönen, wie Sie wollen -, warum die Steuerzahler nicht zu Recht annehmen müssen,
dass es hier einen Akt gegeben hat, der nicht restlos aufgeklärt ist und bei dem man sich fragen muss, ob der
Minister sein Amt missbraucht hat.
Es ist doch eine Farce, wenn heute das BMZ - auch
das ist eine Koinzidenz - mit einer Veranstaltung mit
dem Titel „Transparenz. Integrität. Entwicklung.“ hervortritt. Staatssekretär Beerfeltz sagte dort: „Korruption
ist wie ein Krebsgeschwür“. Wenn er dort sagt, das neue
Antikorruptionskonzept sei für die Institutionen der
staatlichen EZ verbindlich, dann ist es die Aufgabe der
Opposition, sich hier hinzustellen und zu fragen: Wie
verbindlich ist dieses Konzept für den deutschen Entwicklungsminister?
({10})
Ich möchte bei diesem Vorfall einen Punkt herausheben, nämlich die Frage der Nachverzollung. Herr Niebel,
Sie haben einen Antrag auf Nachverzollung gemäß
§ 371 der Abgabenordnung gestellt, der mit einer Selbstanzeige verbunden wurde. Die Selbstanzeige ist in diesem Paragrafen aber anders geregelt, als Sie es sich vorstellen; denn nach § 371 der Abgabenordnung tritt eine
Strafbefreiung durch Selbstanzeige nur dann ein, wenn
der Tatbestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt
geworden ist.
({11})
Der Antrag auf Nachverzollung wurde am 6. Juni gestellt, nachdem Spiegel Online am 6. Juni diesbezüglich
Fragen an das BMZ gerichtet hatte.
({12})
Diese Fragen hätten wir vorhin gerne gestellt. Vielleicht
hätten Sie sie richtig beantworten können. Ich finde, dass
wir diese Aktuelle Stunde zu Recht durchführen, um auf
bestimmte Fragen zu diesem Fall hinzuweisen, die noch
nicht beantwortet worden sind.
({13})
Wir haben jetzt hier Ihre Entschuldigung gehört. Aber
ich sage Ihnen: Aufgrund der Frage der Nachverzollung
ist dieser Teppich noch nicht geklopft.
({14})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Sibylle
Pfeiffer. Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle wissen, dass wir als Politiker, Abgeordnete und auch
Minister unter besonderer Beobachtung stehen. Wir haben eine Vorbildfunktion. An uns werden höhere ethische und moralische Maßstäbe gestellt, ob uns das passt
oder nicht.
({0})
Ja, Minister Niebel hat einen Fehler gemacht, und ja,
dieser Fehler ist ärgerlich, nein, „blöd“, um die Worte
des Ministers zu gebrauchen. Ja, Minister Niebel steht
für seinen Fehler gerade.
({1})
Das tut er, und dieses Unrechtsbewusstsein hat in der
Vergangenheit nicht immer jeder gezeigt.
({2})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus eine
Staatsaffäre zu machen, wie es die Opposition will und
tut,
({3})
ist ebenfalls ein Fehler, um nicht zu sagen: blöd,
({4})
weil die Verhältnismäßigkeit fehlt. Es stellt sich nämlich
schlicht und einfach die Frage: Womit befassen wir uns
im Parlament? Große politische Affären, Missbräuche
und Skandale erfordern und verdienen eine parlamentarische Befassung. Dieser Teppich gehört definitiv nicht
dazu.
({5})
Wir sollten uns einmal überlegen, ob unser Drang, jedes Fehlverhalten immer gleich zu skandalisieren, gut
für uns, für die politische Kultur und die Demokratie in
unserem Lande ist.
({6})
Denken wir doch einmal weiter. Denken auch Sie einmal
weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen von der SPD. Überlegen Sie sich gut, welche Maßstäbe Sie hier und heute für politische Rücktrittsforderungen festlegen wollen. Ist eine solche Forderung in
diesem Zusammenhang wirklich verhältnismäßig? Ist
das Ihr Maßstab? Für mich stellt sich die Frage nach der
Debattenkultur: Setzen wir nur noch auf Effekthascherei
und Bedienung des Boulevards? Denn dann bleiben die
wirklich wichtigen Debatten, auch über schwere und
echte Affären, auf der Strecke.
({7})
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist
Ihr Vorgehen falsch und vor allem gefährlich; denn eines
Tages könnte sich das für Sie als Bumerang erweisen,
unter dem Sie sich dann nicht mehr wegducken können.
({8})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Dr. Bärbel Kofler. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Kofler.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, bei Ihnen ist ein falscher Eindruck entstanden. Sie tun so, als hätten wir von der
Opposition Spaß, uns schon wieder mit Herrn Niebel beschäftigen zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Leider
war es in diesem Jahr aufgrund des Verhaltens von
Minister Niebel schon das zweite Mal nötig, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Es ging sowohl um sein Gebaren in Bezug auf seine Personalpolitik als auch um
sein etwas seltsames Verständnis von Steuergerechtigkeit, vom Bezahlen von Steuern in unserem Land.
({0})
Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen klärende Worte
gewünscht. Sie tun so, als wäre Ihr Verhalten ein kleiner
Fehler, ein Lapsus. Sie sagen, man hätte einfach vergessen, den Fahrer zu instruieren. Man hätte dem Fahrer
aber auch Geld mitgeben müssen, um die Ware beim
Zoll auszulösen.
({1})
Aber nicht nur darum geht es. Es geht auch darum, dass,
wie man den Medien entnehmen konnte, die Staatsanwaltschaft immerhin wegen des Anfangsverdachts auf
Steuerhinterziehung ermittelt. Es war also kein kleiner
Fehler, kein Lapsus.
({2})
Selbstverständlich muss man darüber im Bundestag
sprechen,
({3})
gerade vor dem Hintergrund, dass Sie als Entwicklungsminister nach Afghanistan gereist sind. Sowohl in der
Regierungskoalition als auch im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte man
sich überlegen, welche Ansprüche man in Bezug auf
gute Regierungsführung hat. Insbesondere als Minister
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
muss man sich daran messen lassen.
({4})
Auf der Homepage des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist zu lesen, dass
im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung gute
Regierungsführung als Schlüsselsektor der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit definiert wird. Ich halte
das durchaus für richtig. Gute Regierungsführung ist ein
entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Armut
und auch, wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen,
um den Ärmsten der Armen zu helfen.
({5})
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welches
Bild geben Sie eigentlich ab, Herr Minister Niebel? Ein
katastrophales!
({6})
Es geht noch weiter. Es geht ja nicht nur um den Begriff der guten Regierungsführung im Allgemeinen, sondern auch um gute Regierungsführung im Zusammenhang mit einer guten Finanz- und Steuerpolitik.
Diesbezüglich wird auf der Homepage des BMZ zu
Recht auf die Bedeutung von transparenten und leistungsfähigen öffentlichen Finanzsystemen hingewiesen.
({7})
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch einmal
aus der Homepage des BMZ:
Transparente und leistungsfähige öffentliche Finanzsysteme sind eine wichtige Grundvoraussetzung für Armutsreduzierung und nachhaltige Entwicklung. Sie mobilisieren nicht nur Mittel,
sondern schaffen auch Legitimität für staatliches
Handeln, fördern die Identifizierung der Bürger mit
ihrem Staat …
Das ist völlig richtig. An diesem Punkt sind wir uns einig. Welchen Eindruck erweckt aber ein Entwicklungsminister in der Welt ({8})
ein Entwicklungsminister muss mit den Regierungen anderer Länder darum ringen, dass Steuersysteme eingeführt werden, durch die gerade die finanzstarken politischen Eliten belastet werden -, der einen, so sage ich es
einmal, sehr leichtfertigen oder flapsigen Umgang mit
dem deutschen Steuersystem pflegt? Zeugt das nicht von
Doppelmoral?
({9})
Ich glaube, dass Sie der Entwicklungspolitik insgesamt und insbesondere der deutschen Entwicklungspolitik mit Ihrem Verhalten einen Bärendienst erwiesen haben. Sie wissen selbst, dass sich seit über zehn Jahren
zahlreiche internationale Vereinbarungen gerade mit der
Frage der Verbesserung der Steuersysteme in der Welt
beschäftigen: Steuerhinterziehung, Mittel für Armutsbekämpfung heben, Monterrey-Konferenz, Doha-Konferenz, nachhaltige Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit - die Kollegin Ratjen-Damerau hat ja auf
die Themen Effizienz und Wirksamkeit hingewiesen -,
Konferenz von Paris, Konferenz von Accra, Konferenz
von Busan. Auf dem G-8-Gipfel 2007 in Deutschland
hat man sich mit dem Thema G 8 Action Plan for Good
Financial Governance in Africa beschäftigt. Gute Regierungsführung in Afrika war also das Thema auf der Konferenz in Deutschland.
Vor diesem Hintergrund ist Ihr Verhalten als dramatisch zu bezeichnen. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie
auf Meldungen reagieren werden, nach denen Minister
aus anderen Ländern Ähnliches tun. Stellen Sie dann die
Tranchen für die Entwicklungszusammenarbeit ein, was
Sie manchen anderen bereits angesprochenen Organisationen wie dem GFATM angedroht haben? Was machen
Sie dann? Wie werden Sie reagieren?
Ich denke, ein Entwicklungsminister muss in diesem
Themenbereich eine besondere Integrität an den Tag legen. Er muss sich an dem messen lassen, was er international fordert, auch bezogen auf sein persönliches Verhalten. Insofern haben Sie ein denkbar schlechtes
Beispiel abgeliefert, Herr Niebel.
({10})
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring. Bitte
schön, Kollege Patrick Döring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Niebel! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ein schlechtes Beispiel für gute Debattenkultur
und demokratische Auseinandersetzung geben Sie hier
ab; denn Sie gehen in Ihren Beiträgen hier - das gilt insbesondere für die Beiträge der Kollegin Hänsel und des
Kollegen Raabe - sehr lax mit der Wahrheit um.
({0})
Deshalb bedanke ich mich zunächst für die Entschuldigung und für die Aufklärung durch den Herrn Bundesminister.
({1})
Auch andere Kollegen haben es in den letzten Tagen
mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Der von mir
ansonsten hochgeschätzte Kollege Oppermann wird mit
den Worten „Missbrauch des BND für private Zwecke“
zitiert.
({2})
Der Bundesminister hat in seiner ersten Erklärung klargestellt, dass es - zu keinem Zeitpunkt - weder einen
Auftrag noch überhaupt eine Kommunikation mit dem
Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes über diese
Mitnahme, die durch die Botschaft organisiert wurde,
gegeben hat.
({3})
Hier Missbrauch zu insinuieren, ist eine bewusste Verzerrung der Tatsachen. Sie gehen mit der Wahrheit lax
um, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Sie wollen hier durch den Begriff „Korruption“, den
Sie permanent im Munde führen, einen Eindruck erwecken, der schlicht falsch ist. Der Kollege Niebel wollte
nach Ende des offiziellen Programms die Zeit nutzen,
die sich dadurch ergeben hat, dass er mit einem Linienflugzeug nach Afghanistan geflogen ist. Er wollte einen
Basar besuchen. Davon hat ihm die Botschaft aus Sicherheitsgründen abgeraten. Vielen von uns, insbesondere den geschätzten Kollegen aus dem Fachbereich, die
vor mir geredet haben, ist schon mehrfach in anderen
Ländern der Erde, auch in Afghanistan, von der Botschaft empfohlen worden, den Basar nicht zu besuchen.
Er hat daraufhin entschieden, dass er dennoch Mittelstand und Handwerk in diesem Land unterstützen und einen privaten Einkauf vornehmen will.
({5})
Weil Sie sich so schön aufregen, will ich Ihnen dazu
etwas sagen.
({6})
- Na, das wird sich zeigen. ({7})
Mir hat ein Kollege ein schönes Bild geschildert: Kollegin Hänsel kam schwer bepackt mit Einkaufstüten von
einer Reise zurück, die sie mit der Delegation des Herrn
Ministers nach Kolumbien unternommen hatte, und ließ
sich das Gepäck von einem Steward der Luftwaffe tragen.
({8})
Liebe Leute, was wäre denn los, wenn ich anfangen
würde, das als Missbrauch der deutschen Luftwaffe und
aktiven Schmuggel von Gütern aus Kolumbien nach
Deutschland zu bezeichnen? Mit solchen Kleinigkeiten
darf man sich doch gar nicht befassen, liebe Kollegen.
Das ist wirklich abenteuerlich.
({9})
Sie alle wissen in Wahrheit ganz genau, dass die Verkettung der Umstände zu diesem Einfuhrvergehen geführt
hat.
Jetzt haben sich hier einige Hilfsjuristen mit der Frage
der Nachverzollung befasst. Geschätzte Kolleginnen und
Kollegen, ein Zollvergehen begeht derjenige, der die
Ware einführt. Minister Niebel hat nicht eingeführt.
({10})
Dennoch hat er seinen Fehler eingestanden und sich entschuldigt, weil das selbstverständlich auf sein Fehlverhalten zurückgeht.
({11})
Die Art und Weise, in der Sie hier versuchen, eine
Mücke zu einem Elefanten aufzupumpen, hat mit demokratischer Streitkultur nichts zu tun.
({12})
Die Freien Demokraten und Dirk Niebel als Person
haben die deutsche Entwicklungspolitik neu ausgerichtet. Das mag Ihnen nicht gefallen. Darüber kann man in
diesem Haus auch kräftig streiten.
({13})
Diese Koalition hat sich aber zum Ziel gesetzt, die Entwicklungspolitik effizienter, erfolgreicher und orientiert
an guter Regierungsführung in der Welt auszurichten.
Das ist auch gelungen.
({14})
Wenn Minister Niebel für diese politische Aufgabe kritisiert wird, dann muss er das genauso aushalten, wie es
diese Koalition aushalten muss. Dass Sie aber ganz gezielt mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten den Eindruck erwecken wollen, es hätte hier ein Amtsmissbrauch und vielleicht sogar ein Skandal stattgefunden,
ist schlicht unverantwortlich, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen.
({15})
- Er hat sich dafür entschuldigt, dass er der Botschaft
nicht die klare Anweisung gegeben hat, sie möge darauf
verzichten, den Teppich auf die Reise zu geben, ohne mit
ihm darüber zu sprechen. Das können Sie ihm weiter
vorwerfen.
({16})
- Er hat sich für weit mehr entschuldigt, weil er den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ohne sein Zutun
in eine missliche Lage gebracht hat.
({17})
Statt das zu respektieren und sich inhaltlich mit diesem Besuch und den fünf weiteren Besuchen des Herrn
Ministers in Afghanistan auseinanderzusetzen, plustern
Sie sich hier auf und erwecken den Eindruck, in
Deutschland sei eine Staatsaffäre passiert. Das Einzige,
was hier passiert ist, ist eine Blamage für die Opposition.
Vielen Dank.
({18})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Fritz
Rudolf Körper. Bitte schön, Kollege Körper.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dass der Generalsekretär
seinen Minister verteidigt, haben wir alle erwartet. Aber
dass er dies mit solch schwachen Argumenten tut, deklassiert ihn außerordentlich.
({0})
Was war eigentlich im März 2012 in Kabul los? Ein
bundesdeutscher Minister namens Dirk Niebel reiste
nach Kabul und wollte einen Teppich kaufen;
({1})
denn er bestellte für den privaten Kauf von Auslegeware
Teppichhändler in die deutsche Botschaft. Die deutsche
Botschaft hat es aber nicht verdient, zum orientalischen
Basar zu werden.
({2})
Im Grunde genommen zeigt dieses Vorgehen - ich
wollte meine Rede eigentlich sehr ruhig und gelassen
halten ({3})
die Haltung. Darum geht es mir.
({4})
Ich finde, diese Vorgehensweise ist ein Missbrauch der
deutschen Botschaft und der dort Arbeitenden, selbst
wenn das am Ende der Dienstreise war.
({5})
Herr Niebel befand sich auf Dienstreise. Ich glaube, es
gehört zur Vorbildfunktion eines Ministers, dass man
Privates und Dienstliches nicht so kunterbunt vermischt,
wie er es getan hat. Er ist hier seiner Vorbildfunktion absolut nicht gerecht geworden.
({6})
Ich sage noch etwas zur Haltung, Herr Kollege
Lindner; auch das sollte man schildern. Herr Niebel
hätte seinen Teppich privat transportieren lassen können
wie jeder andere Otto Normalverbraucher. Aber dies ist
dem Minister überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Er
hat abgewartet, wann er beim Transport ein Schnäppchen machen kann. Ich sage: Mit dieser Haltung disqualifiziert sich Herr Niebel selbst.
({7})
Es geht mir um die Haltung. Diese wird beispielsweise auch daran deutlich, dass er den Bundesnachrichtendienst in fahrlässiger Art und Weise in die Bredouille
gebracht hat, weil nicht klar gewesen ist, dass es sich um
einen privat gekauften Teppich handelte. Der Bundesnachrichtendienst hat den Teppich in der Annahme, er
sei ein Gastgeschenk für die Bundesregierung, transportiert. Lieber Herr Niebel, auch das beschreibt Ihre Haltung. Sie sind Ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen. Das muss man deutlich sagen.
({8})
Sie können mich für kleinlich halten. Ich war schon
einmal Mitglied der Bundesregierung.
({9})
- Ja, das mag sein; aber, lieber Herr Lindner, solange
man Dienstliches und Privates nicht auseinanderhalten
kann, werden wir alle angreifbar,
({10})
weil die Menschen zu Recht sagen: So sind die alle. Deswegen hat diese Haltung, die von Herrn Niebel an
den Tag gelegt worden ist, einen großen Schaden an unserem politischen System verursacht.
({11})
Lieber Herr Lindner, wenn Sie sehen, wie über diesen
Vorgang in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, wissen Sie, dass es keine Lappalie ist. Ich gebe zu, dass es
auch keine Staatsaffäre ist, aber es ist keine Lappalie.
({12})
Man muss wissen, dass dies eine Verhaltensweise widerspiegelt.
Es ist letztendlich auch nicht Aufgabe des Fahrers des
Ministers, den privat gekauften Teppich am Flugzeug
abzuholen.
({13})
- Sie nennen das Stichwort Ulla Schmidt. Ich erinnere
Sie daran, in welcher gehässigen Art und Weise Sie mit
Ulla Schmidt in der Frage der Nutzung ihres Dienstwagens umgegangen sind. Das war nicht in Ordnung. Das
war schäbig.
({14})
- Nein, es ist nicht in Ordnung, dass der Fahrer den Teppich abgeholt hat. Das ist nicht seine Aufgabe.
Ich finde, Herr Niebel, dass die öffentliche Kommunikation in dieser Sache sehr läppisch gewesen ist.
({15})
Ich zitiere Ihren Pressesprecher. Er sagte auf der Pressekonferenz:
Das ist tatsächlich einfach liegen geblieben, wie so
etwas eben einfach liegen bleiben kann.
Ignoranter kann eine Aussage nicht sein.
Herr Niebel, gehen Sie in sich, denken Sie nach, und
sagen Sie nicht einfach nur, Sie hätten einen Fehler gemacht. Das war mehr als ein Fehler. Wie Sie damit umgehen, überlasse ich Ihnen.
Herzlichen Dank.
({16})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Florian Hahn.
Bitte schön, Kollege Florian Hahn.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist so ärgerlich und überflüssig wie der
Fehler, um den es hier geht.
Worüber reden wir? Bundesminister Niebel hat einen
in Afghanistan hergestellten und nicht billigen Teppich
gekauft. Dies ist im Interesse der Menschen und der
Wirtschaft von Afghanistan. Ich begrüße den Kauf daher
ausdrücklich. Ich ermuntere jeden, der nach Afghanistan
oder in andere arme Länder reist, dort Produkte aus lokaler Produktion zu kaufen und mit nach Hause zu nehmen.
({0})
Dies ist auch ein Gebot der Glaubwürdigkeit,
({1})
wenn wir gleichzeitig die Entwicklung einer örtlichen
Wirtschaft zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze anmahnen und in der Entwicklungspolitik aktiv unterstützen.
({2})
Die Kritik des Kollegen Raabe, es gehe Bundesminister Niebel nur um seine persönlichen Bedürfnisse,
({3})
geht völlig ins Leere. Es wäre für die Menschen in den
Entwicklungsländern ein ganz fatales Ergebnis, wenn als
Folge dieses Vorfalls kein Politiker mehr örtliche Produkte kaufen würde.
({4})
Mit Ihrer unsachlichen und diffamierenden Kritik, Herr
Raabe, hätten Sie dieses Ergebnis zulasten der Entwicklungsländer zu verantworten.
({5})
Völlig richtig ist natürlich, dass Transport und Einfuhr privat erworbener Waren korrekt abgewickelt werden müssen.
({6})
Dabei dürfen dem Steuerzahler keine Kosten entstehen.
Ich sehe aber nicht, dass die Nutzung des Flugzeugs des
BND solche Kosten verursacht hat.
({7})
Wäre Bundesminister Niebel mit einer Regierungsmaschine geflogen, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, zu kritisieren, dass er einen privat erworbenen
Teppich im Gepäck mit nach Hause nimmt. Natürlich
müssen Einfuhrabgaben wie Zölle und Mehrwertsteuer
regelgerecht entrichtet werden. Bundesminister Niebel
hat die diesbezüglichen Fehler eingeräumt, sich entschuldigt und unverzüglich das Verfahren eingeleitet,
um die Einfuhrabgaben nachzuentrichten.
Sie versuchen, aus einer Mücke einen Elefanten zu
machen. Sie versuchen, einen Fehler, den der Minister
sofort eingeräumt und geheilt hat, künstlich zu einem
Skandal aufzublasen. Einmal mehr scheuen Sie sich
nicht, Ihre parteipolitischen Interessen in den Vordergrund zu stellen - des Ansehens unseres Landes und der
politischen Klasse ungeachtet. Wenn Sie bei einer zugegebenermaßen unnötigen, aber in der Substanz geringen
Verfehlung immer gleich ein Teeren und Federn fordern,
dann trägt das in der Bevölkerung nicht zur Stärkung des
Vertrauens in die politische Klasse bei.
({8})
Uns allen sollte dieser Vorfall eine Lehre sein: Wir
haben peinlichst genau darauf zu achten, privates und
dienstliches Handeln so voneinander zu trennen, dass
alle Regeln eingehalten werden und unser privates Handeln nicht der Öffentlichkeit zur Last fällt.
Der Öffentlichkeit zur Last fällt allerdings diese absolut überflüssige Aktuelle Stunde. Sie stiehlt uns wichtige
Zeit, die wir nutzen könnten, um über drängende politische Themen zu sprechen, und sie löst keine Entwicklungsprobleme. Man kann es allerdings auch als gutes
Zeichen werten, dass die Opposition eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema beantragt hat. Offenbar gibt es
sonst keine Kritik an der Entwicklungspolitik der Koalition.
({9})
Angesichts unserer positiven Bilanz ist das auch logisch. Die Koalition hat mit der Vorfeldreform einen
zentralen Erfolg bei der Schaffung von mehr Kohärenz
und Effizienz erzielt. Wir haben deutlich umgesteuert,
und zwar in Richtung der Förderung nachhaltiger Entwicklung; das heißt, für gute Regierungsführung, für
mehr Bildung und Berufsbildung,
({10})
für die Förderung der Privatwirtschaft in den Entwicklungsländern, um Arbeitsplätze zu schaffen, für mehr
Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung, für eine
bessere Ernährungssicherheit und für produktivere
Landwirtschaft.
({11})
In vielen Bereichen wurden die Mittel deutlich gesteigert. Diese Bilanz der christlich-liberalen Koalition kann
sich sehen lassen. Davon darf und kann der verunglückte
Kauf eines Teppichs nicht ablenken.
Vielen Dank.
({12})
Letzte Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Dr. Barbara Hendricks. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Hendricks.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wollen wir den Sachverhalt des fliegenden Teppichs des
Herrn Niebel doch einmal unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten prüfen:
({0})
Herr Niebel hat sich entschieden, nach § 371 der Abgabenordnung eine Selbstanzeige zu erstatten; Frau Kollegin Koczy hat darauf schon hingewiesen. Er hat dies
getan, nachdem er von Redakteuren von Spiegel Online
angerufen oder auf andere Weise kontaktiert wurde. Die
Finanzverwaltung wird zu prüfen haben, ob diese Selbstanzeige rechtzeitig erfolgt ist oder ob sie nicht doch
- weil der Sachverhalt schon öffentlich war; wenn vielleicht noch nicht öffentlich, so doch an anderer Stelle bekannt - zu spät erfolgt ist.
({1})
Dieser Sachverhalt wird durch die Finanzverwaltung zu
prüfen sein.
({2})
Wir stellen also fest, dass wir es hier nicht mit einem
bloßen Fehler, sondern zumindest mit dem Versuch der
Steuerhinterziehung zu tun haben. Ob dieser Versuch
vollendet ist, wird die Finanzverwaltung festzustellen
haben.
({3})
- Nein, ich weiß, dass das richtig ist. Man kann tatsächlich Straftaten auch aus Unachtsamkeit begehen. Das ist
zweifellos möglich.
({4})
Auch wenn es nur Unachtsamkeit gewesen wäre, wäre
möglicherweise trotzdem ein Straftatbestand erfüllt. Ob
er vollendet ist, werden die Finanzverwaltung und in der
Folge die Gerichte klären.
({5})
- Ja, wir haben unabhängige Gerichte, sie werden sich
damit auseinandersetzen. Zunächst wird die Finanzverwaltung prüfen und anschließend möglicherweise die
Staatsanwaltschaft, möglicherweise aber auch nicht.
Es handelt sich hier aber nicht um einen einfachen
Bürger, sondern um einen Bundesminister, und ein Bundesminister muss sich im Zweifelsfall eben auch diesem
Parlament und nicht nur der Finanzverwaltung und den
unabhängigen Gerichten stellen.
({6})
Dies hat er getan, indem er gesagt hat, er habe einen
Fehler begangen, diesen räume er ein und es tue ihm
leid.
Was ist denn zum Beispiel mit einem 14-Jährigen, der
im Supermarkt eine Schachtel Zigaretten klaut,
({7})
am Ausgang des Supermarktes erwischt wird und sagt:
„Es tut mir leid“?
({8})
Der Detektiv kann ihn natürlich trotzdem der Strafverfolgung überantworten. Ob er dann verurteilt wird, ist
eine andere Frage. Möglicherweise muss er Sozialstunden leisten. So etwas in der Art kann folgen.
({9})
- Herr Döring, ich komme gerne auf Sie zurück.
Es ist völlig richtig: „Steuerpflichtig ist, wer einführt“. Hier und heute und auch schon durch die Äußerungen, die Sie bisher öffentlich gemacht haben, tun Sie
aber wirklich etwas, was eines Bundestagsabgeordneten
nicht würdig ist. Sie wollen den Minister exkulpieren,
indem Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Botschaft und den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes
({10})
für etwas verantwortlich machen, was sie wirklich nicht
zu verantworten haben.
({11})
- Entschuldigung, Herr Präsident!
Das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Hendricks.
Vielleicht bekomme ich hinterher ja eine Minute extra.
({0})
- Herr Lindner, ich erinnere an die Worte des Kollegen
van Aken. Das reicht, was Sie anbelangt. Danke schön.
({1})
Sie sagen, derjenige, der einführt, sei derjenige, der
hinterzogen hat. Damit unterstellen Sie doch, dass der
Präsident des Bundesnachrichtendienstes diese Steuerhinterziehung begangen hätte. Das können Sie als Abgeordneter doch nicht ernsthaft tun.
({2})
- Wissen Sie, ich erinnere noch einmal an die Worte des
Kollegen van Aken. Für alle Zuhörer: Er ist der berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat die
Frau Kollegin Dr. Hendricks.
Es ist eben nicht damit getan, dass man sagt: Ich habe
da einen Fehler begangen.
Herr Niebel, haben Sie denn vom Bundesnachrichtendienst eigentlich zum Beispiel schon die Transportkosten in Rechnung gestellt bekommen? Die Transportkosten sind nämlich genauso wie der Kaufpreis
Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer von
19 Prozent und für die Zollabgabe von 3 Prozent. Also
müssen die Transportkosten zum Warenwert des Teppichs hinzugerechnet werden. Es ist also nicht mit
19 Prozent von 1 000 Euro getan, sondern hinzu kommen noch die Transportkosten. Haben Sie die Transportkosten entrichtet?
({0})
Wenn Ihnen der Bundesnachrichtendienst diese Transportkosten nicht in Rechnung stellt, dann müssen Sie
dies als geldwerten Vorteil versteuern. Haben Sie das
schon gemacht?
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre strafbefreiende Selbstanzeige möglicherweise gar nicht strafbefreiend ist, weil sie nicht vollumfänglich abgegeben
worden ist.
({1})
Hier sind nämlich mehrere Sachverhalte, die Sie allem
Anschein nach auch im Nachhinein nicht beachtet haben. Dies ist nicht unerheblich für einen Bundesminister.
({2})
Es ist in der Tat so: Diese Koalition nimmt für sich in
Anspruch, eine bürgerlich-liberale Koalition zu sein.
({3})
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluss kommen?
Wäre es möglich, dass Sie einmal darüber nachdenken, ob der bürgerliche Anstand noch bei allen von Ihnen vorhanden ist?
({0})
Frau Kollegin, wir werden bei allen Debatten darauf
zu achten haben, ob wir alle Begriffe immer so parlamentarisch anwenden, um den einzelnen Kollegen jeweils in der Form anzusprechen, wie es unter Kollegen
immer üblich sein sollte.
({0})
Insofern werden wir noch einmal nachlesen, wie Sie das
formuliert haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Juni 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.