Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/13/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Vereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Herr Dr. Hermann Kues. - Bitte.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute die Einrichtung des Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ beschlossen. Damit soll Menschen geholfen werden, die in Einrichtungen der Jugendhilfe und in Dauerheimen für Säuglinge und Kleinkinder in der DDR schweres Leid und Unrecht erleiden mussten. Wir kennen die vielen erschütternden Schicksale. Die Einrichtung des Fonds ist darauf eine Antwort. Der Bund, die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie die Freistaaten Sachsen und Thüringen werden diesen Fonds gemeinsam errichten und mit 40 Millionen Euro finanzieren. Die Kosten teilen sich der Bund und die ostdeutschen Länder jeweils zur Hälfte. Mit dem Start des Fonds steht auch den Heimkindern in der DDR ein zusätzliches Hilfsangebot zur Verfügung, das vergleichbar ist mit dem Hilfsangebot für die Heimkinder in der Bundesrepublik Deutschland. Basis für die Errichtung des Fonds ist der am 7. Juli 2011 angenommene fraktionsübergreifende Antrag mit dem Titel „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“. Bei der Einrichtung des Fonds sind die Bundesregierung und die ostdeutschen Länder in zwei Schritten vorgegangen. In einem ersten Schritt wurde ein Bericht zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR erarbeitet. Dieser wurde am 26. März dieses Jahres vorgestellt. Ergebnis des Berichtes ist, dass nicht alles im Heimkindersystem der DDR Unrecht war, die Heimerziehung aber von Unrecht geprägt war. Zwang und Gewalt gehörten für viele Kinder und Jugendliche im Heim zum Alltag. Man hat ihnen Bildung verweigert. Man hat sie zur Arbeit gezwungen. Viele von ihnen haben dadurch dauerhafte Beeinträchtigungen und Schädigungen erlitten. Sie leiden auch heute noch an den Folgen. Darum spricht der Bericht auch Empfehlungen zur Wiedergutmachung aus. An diese Empfehlungen knüpft der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ an, den wir in einem zweiten Schritt nun einrichten wollen. Grundlage für die Satzung des nicht rechtsfähigen, gemeinnützigen Fonds ist eine Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den ostdeutschen Ländern sowie Berlin. Leistungen aus diesem Fonds können bis zum 30. Juni 2016 beantragt werden. Sie werden bis Ende Juni 2017 ausgezahlt. Wie der Fonds „Heimerziehung West“ stellt dieser Fonds ein ergänzendes Hilfssystem dar, das die bestehenden sozialrechtlichen Versorgungssysteme nicht ersetzen, sondern erweitern soll. Es sollen zum Beispiel Rentenersatzzahlungen und andere materielle Leistungen möglich sein, beispielsweise einmalige Geldleistungen für erbrachte Arbeit zwischen dem 14. und 21. Lebensjahr, soweit dafür keine Beiträge in die Sozialversicherung der DDR gezahlt worden sind. Hierzu gehören aber auch Hilfen zur Überwindung von Traumata, zum Nachholen von Bildungsabschlüssen. Die Vereinbarung soll möglichst unbürokratisch erfolgen, wenn nötig auch durch Vorleistungen. Es gibt Anlauf- und Beratungsstellen, bei denen die Betroffenen Ansprechpartner finden, die sich ihrer Anliegen annehmen und ihnen Hilfestellungen geben. Zu den Leistungen aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ gehören eben auch die Begleitung bei Ämtergängen sowie Hilfen bei der Akteneinsicht. Wir freuen uns sehr, dass der Fonds, so wie er jetzt gestaltet ist, bei den Betroffenen viel Zustimmung gefunden hat. Die Betroffenen wollen aber auch eine Weiterentwicklung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, insbesondere des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Ziel ist es, vor allem die Heimunterbringung in den Spezialheimen der DDR generell als politisch motiviert einstufen zu lassen. Dieser schon früher geäußerten Bitte ist der Bundestag im Dezember 2010 mit der Ergänzung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zumindest weitgehend gefolgt. Die Ergänzung stellt klar, dass allen Betroffenen, die aufgrund politisch motivierter oder damit vergleichbarer Einweisungsgründe in ein Heim gekommen sind, individuelle Rehabilitierungsmöglichkeiten zustehen. Der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ kann das unfassbare Leid - das sei noch einmal ausdrücklich gesagt -, das vielen Heimkindern in den Einrichtungen angetan wurde, nicht ungeschehen machen. Mit dem Fonds erkennen wir allerdings an, dass den Heimkindern in der DDR, auch außerhalb der vom Rehabilitierungsgesetz erfassten Entscheidungen, von DDR-Behörden Leid und Unrecht geschehen ist. Wir unterstützen sie bei der Bewältigung der Folgen dieses Unrechts. Wir bieten zusätzliche Unterstützung an, die helfen soll, die auch heute noch andauernden Folgeschäden aus der Zeit ihrer Heimunterbringung zu mildern. Wir haben damit insgesamt ein umfassendes Hilfesystem geschaffen, und zwar sowohl für die ehemaligen Heimkinder im Westen als auch für diejenigen im Osten. Insgesamt werden dafür 160 Millionen Euro eingesetzt. Es handelt sich um eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und - das gilt für den Westen - auch den beiden Kirchen, die das Ganze möglich gemacht hat. Herzlichen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort zur ersten Frage hat die Kollegin Katharina Landgraf.

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, zunächst möchte ich ausdrücklich feststellen: Wir sind froh, dass wir endlich so weit sind. Zwar können wir das Unrecht nicht völlig wiedergutmachen, aber mit diesem Schritt können wir doch zumindest etwas für die Betroffenen tun. In diese Richtung geht auch meine Frage: Wie finden die Betroffenen Zugang zu den schon erwähnten Anlauf- und Beratungsstellen? Wie erfahren sie überhaupt von diesem von uns verabschiedeten Paket? Gibt es eine Strategie, um die Betroffenen zu erreichen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Eine solche Strategie gibt es. Wir werden öffentlich über dieses Paket aufklären. Es gibt eine Telefonnummer, an die man sich wenden und unter der man Informationen erhalten kann. Es existieren Anlauf- und Beratungsstellen in allen ostdeutschen Ländern. Außerdem haben wir zusammen mit Betroffenen und auch Beratern einen Leitfaden erarbeitet. In diesem Leitfaden wird erläutert, wie in einem Beratungsgespräch der individuelle Hilfebedarf ermittelt werden kann. Die Anlauf- und Beratungsstellen sollen auf Augenhöhe agieren. Es wird einen Lenkungsausschuss geben, der diese Vorgaben mit den jeweiligen Vertretern der Länder in diesem Ausschuss regelmäßig abstimmt und überprüft. Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Leistungen ist der Nachweis eines Heimaufenthalts in der Zeit von 1949 bis 1990. Soweit ein solcher Nachweis nicht erfolgen kann, wird die Anlauf- und Beratungsstelle auch bei Recherchearbeiten helfen, indem Unterlagen überprüft werden, um so Nachweise in Bezug auf Heimerfahrung, Folgeschäden usw. erbringen zu können. Im Mittelpunkt der Beratung dort steht das Gespräch. In diesem wird man individuell den konkreten Hilfebedarf benennen können, so ähnlich wie es auch beim Fonds „Heimerziehung West“ erfolgt. Möglich sind Gelder für Folgeschäden aus der Heimerziehung, Sachleistungen, aber auch Rentenersatzleistungen, soweit keine oder zu geringe Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt worden sind. Das wird in Form von Einmalzahlungen erfolgen. Damit wird nicht alles ausgeglichen, aber es ist immerhin eine Anerkennung des begangenen Unrechts. Die Rentenersatzleistung erfolgt direkt durch Auszahlung von Geldern an die Betroffenen, bei den Hilfeleistungen teilweise. Dabei wird es bei Sachleistungen unter 1 000 Euro eine vereinfachte Nachweispflicht geben. Wir versuchen, das Ganze möglichst unbürokratisch hinzubekommen. Bei einer Summe über 1 000 Euro wird es ein wenig komplizierter werden. Ausschließlich bei Leistungen, die durch Dritte erbracht werden, zum Beispiel bei Therapien, kann die Auszahlung auch direkt an die Leistungsbringer erfolgen. Letztlich soll alles so entwickelt und konzipiert sein, dass die Betroffenen möglichst nicht belastet sind. Wer einmal mit Betroffenen gesprochen hat, der weiß, dass sie häufig gar nicht fähig sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Da muss erst ein Zugang gefunden werden. Insofern brauchen wir sehr einfühlsame Berater, die das gewährleisten. Wir glauben aber, dass das zu bewältigen ist. Die Länder haben uns dort jegliche Unterstützung zugesagt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor ich die nächste Frage aufrufe, sei mir der Hinweis gestattet, dass wir uns in den letzten Monaten darauf geeinigt haben, dass für Frage und Antwort je eine Minute vorgesehen ist. Es ist natürlich verständlich, dass Sie möglichst viele Informationen für potenziell Betroffene über die Fragestunde transportieren wollen; aber ich denke, das wird uns gelingen, indem wir die zahlreichen Fragestellerinnen und Fragesteller hier zu Wort kommen lassen. Vizepräsidentin Petra Pau Die nächste Frage stellt die Kollegin Heidrun Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Kues. Wie Sie wissen, waren beim westdeutschen Runden Tisch Heimerziehung - auf ihn bezieht sich der Antrag der Bundesregierung, das hinsichtlich der Heimkinder in der ehemaligen DDR gleichwertig zu regeln - unter den 21 stimmberechtigten Teilnehmern nur 3 ehemalige Heimkinder. In der Anhörung wurde von den Wissenschaftlern empfohlen, die ehemaligen Heimkinder ab jetzt stärker einzubeziehen. Wie geschieht das in den neuen Anlaufstellen in den neuen Bundesländern? Das heißt: Zu welchem Anteil ist die Beteiligung ehemaliger Heimkinder gesichert? Erhalten sie ein Gehalt, oder bleibt das ein Ehrenamt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir haben, wie ich schon sagte, einen Lenkungsausschuss eingerichtet. An diesem ist auch ein Vertreter der ehemaligen Heimkinder beteiligt. Wir haben den Bericht auch mit ehemaligen Heimkindern gemeinsam erstellt. Im Prinzip haben wir Zustimmung zu dem erfahren, wie es jetzt organisiert ist. Man muss gleich dazusagen - wir haben das auch im Zusammenhang mit dem Fonds „Heimerziehung West“ diskutiert -, dass die Erwartungen natürlich erheblich sind. Aber wir können zumindest sagen, dass wir die Erwartungen der Betroffenen - so schätze ich das jedenfalls ein; ich selbst habe die Erfahrung gemacht - alles in allem erfüllen können. Ich sage ausdrücklich: Es geht für viele Betroffene in erster Linie nicht um materielle Leistungen, sondern darum, überhaupt aufzuarbeiten, was ihnen widerfahren ist, und zu lernen, damit umzugehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Schwanitz.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich will zunächst für meine Fraktion ausdrücklich feststellen, dass ich mich sehr freue, dass der Fonds heute auf den Weg kommt und damit der, wenn ich das so sagen darf, noch offene zweite Teil der Thematik, die vom Deutschen Bundestag aufgegriffen worden ist, letztendlich vonseiten der Regierung und der beteiligten Länder eine Untersetzung findet. Ich möchte eine Frage zur Finanzierung stellen. Bei allen Gesprächen, die ich mit den Betroffenen der Heimerziehung in der DDR geführt habe, habe ich immer wieder gehört, dass sie die verständliche Erwartung haben, dass die Leistungen, die sie aus diesem Fonds erhalten, nicht durch Kürzungen im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik des Bundes gegenfinanziert werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, wie Sie denn die Tatsache bewerten, dass die Koalition gestern bei der Beratung und Verabschiedung des Nachtragshaushalts 2012 im Haushaltsausschuss gesagt hat - so ist jetzt zumindest die Beschlusslage -, dass sie die 20 Millionen Euro an Bundesgeld, um die es hier geht, durch Kürzungen im Einzelplan 17, also im Familienetat, ab dem Jahr 2016 finanzieren will und finanzieren wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst einmal ist es so - das haben Sie jetzt nicht angesprochen -, dass die Gegenfinanzierung über den Einzelplan 60 erfolgt und dass geklärt werden muss, wie es ab 2016 weitergeht. Der Haushaltsausschuss hat dies zunächst einmal so beschlossen. Wir werden uns dann zu gegebener Zeit damit auseinanderzusetzen haben. Bis dahin werden wir besser einschätzen können, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist. Wir werden jeweils auch die Leitlinien anpassen müssen. Dann kann man konkreter über finanzielle Leistungen sprechen. Gegenwärtig ist das kaum möglich. Deswegen ist diese Form der Gegenfinanzierung in der Finanzplanung erfolgt; in der Haushaltsplanung sieht es anders aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Fragestellerin ist Johanna Voß.

Johanna Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004212, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Kues, es sollen 40 Millionen Euro für Entschädigungsleistungen in den Fonds eingestellt werden. Lassen Sie uns ein bisschen rechnen. Nehmen wir an, dass sich der Anteil der Auszahlungen ähnlich gestaltet wie im entsprechenden Fonds zu den Rentenersatzleistungen der Bundesrepublik Deutschland. Wäre das der Fall, dann würde von den 40 Millionen Euro nur ein Sechstel ausgezahlt werden, weil der Fonds selbst auch Geld verschlingt. Ein Sechstel wären 6,7 Millionen Euro. Nun gibt es schätzungsweise 400 000 ehemalige Heimkinder aus der DDR, die Opfer von Missbrauch wurden. Wenn davon beispielsweise 30 000 Leistungen aus dem Fonds in Anspruch nehmen würden, dann bekäme jedes ehemalige Heimkind gerade einmal 233 Euro an Ersatzleistungen. Halten Sie eine solche geringe Einmalzahlung für angemessen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst einmal ist der Fonds nicht so gegliedert, wie Sie das eben beschrieben haben. Wir sind von den geschätzten Zahlen in West und Ost ausgegangen, dadurch kommt die Korrelation zwischen 120 Millionen Euro und 40 Millionen Euro zustande. Dann gehen wir davon aus, dass der Fonds letztendlich auskömmlich sein wird. Eine Aufteilung, wie Sie sie gerade vorgetragen haben, gibt es nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Dörner.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht, Herr Staatssekretär. Es war in unser aller Interesse - insofern kann ich das für die Fraktion der Grünen begrüßen -, analog zum Fonds für die Heimkinder im Westen einen Fonds für die Heimkinder aus der ehemaligen DDR aufzulegen. Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung: Ich habe diverse Tickermeldungen verfolgt, in denen Aussagen der Ministerin zu dem heute im Kabinett beschlossenen Fonds zu lesen waren. Ich fände es schön, wenn wir uns gemeinsam darum bemühen könnten, zu vermeiden, durch verbale Äußerungen eine Art Opfer erster und zweiter Klasse zwischen den Heimkindern aus dem Westen und den Heimkindern aus dem Osten zu etablieren. Zu meiner Frage: Im Zuge der Einrichtung des Fonds werden auch in den östlichen Bundesländern Beratungsund Anlaufstellen eingerichtet. In diesem Zusammenhang ist den Vertretungen der Heimkinder zugesagt worden, dass sie auf die Auswahl der dort tätigen Fachkräfte Einfluss nehmen können. Dieses Versprechen seitens der Bundesregierung ist nicht eingehalten worden. Ich würde gerne wissen, warum nicht und ob Sie noch die Möglichkeit sehen, dies wieder zu heilen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich kann Ihre Ausführungen im Einzelnen nicht bestätigen, da die Länder für die Durchführung zuständig sind. Die Länder handeln logischerweise in eigener Verantwortung; das halte ich in der Sache auch für richtig. Ich weiß nicht, inwieweit die Länder die Betroffenen bereits im Vorfeld der Einrichtung der Beratungsstellen beteiligt haben. Dem müssten wir nachgehen. Ich werde Ihnen dann gerne darauf eine Antwort geben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich das weder bestätigen noch dementieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben uns vorgetragen, wie mit den Heimkindern der DDR verfahren werden soll. Was ist mit denjenigen, die wegen ihrer Behinderung in verschiedenen Heimen untergebracht wurden, seien es konfessionelle oder staatliche Einrichtungen? Gibt es eine Übersicht darüber, um wie viele es sich handelt und wie vielen möglicherweise Gewalt oder Ähnliches angetan wurde? Können auch diese Betroffenen Leistungen aus dem Fonds in Anspruch nehmen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie kennen den Bericht, den wir im März dieses Jahres vorgelegt haben. Aus ihm geht hervor, wie sich nach jetzigem Kenntnisstand die Sachverhalte im Einzelnen darstellen. Ich betone ausdrücklich: Es gibt verschiedene sozialrechtliche Regelungen für Behinderte, die natürlich auch für Heimkinder aus Ost oder West entsprechend gelten. Sollte jemand aufgrund der Tatsache, dass er behindert ist, spezielle Benachteiligungen erfahren haben, die durch die üblichen Entschädigungsleistungen nicht ausgeglichen werden, kann man im Einzelfall darüber nachdenken, wie man für einen Ausgleich zum Beispiel in Form von Therapie, wenn diese notwendig ist, sorgt. Im Bereich der Behindertenheime, bei denen es sich ja um besondere Einrichtungen handelte, sind wir noch nicht so weit. Wir sind noch dabei, dieses Feld aufzuarbeiten. Vieles ist noch ungeklärt, aber die Aufarbeitung muss jetzt erfolgen, allerdings nicht nur auf Bundesebene, sondern in jedem einzelnen Bundesland. Daran wird auch gearbeitet werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Arnold Vaatz stellt die nächste Frage.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich möchte an das Stichwort „sprechfähig werden“ anknüpfen. Die Betroffenen haben in ihrem Leben dramatische biografische Einschnitte hinnehmen müssen, die ihre Erwerbsbiografie teilweise bis heute und auch ihre Sozialbiografie entscheidend verändert haben. Sehen Sie die Möglichkeit, dass für die Aufarbeitung und Bewertung dieser biografischen Folgen finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um die „Sprechfähigkeit“ der Betroffenen zu verbessern und um die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, besser einzuschätzen, um welche Problemlagen es hier geht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Anlauf- und Beratungsstellen haben zunächst einmal die Aufgabe, zu informieren, welche gesetzlichen Möglichkeiten und welche besonderen Möglichkeiten es aufgrund dieses Fonds gibt. Natürlich haben sie auch die Aufgabe, darüber zu informieren, dass es Hilfen gibt, um sich seiner Biografie überhaupt erst einmal zu vergewissern. Wir haben alle Stellen, die dafür infrage kommen, gebeten, das Material zusammenzustellen und zur Verfügung zu stellen, damit es ausgewertet werden kann. Damit soll dem Einzelnen, der vielleicht gar nicht weiß, was ihm widerfahren ist, der seine Geschichte vielleicht gar nicht kennt, die Möglichkeit gegeben werden, sich zu informieren bzw. sich zu vergewissern, wer sie sind, wo sie herkommen und was ihnen widerfahren ist. Dafür gibt es Möglichkeiten. Das geht sogar so weit, dass Fahrtkosten pauschal erstattet werden können; denn wir kennen Betroffene, die gar nicht in der Lage sind, zu den jeweiligen Stellen zu fahren. Teilweise sind sie ja auch mehrfach umgezogen. Diese unkomplizierten Hilfestellungen sind möglich. Ich sage ausdrücklich: Wir werden auch dabei Erfahrungen sammeln, und wir werden bei der Umsetzung der Leitlinien diese Erfahrungen berücksichtigen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich habe gerade heute ein Gespräch mit der Beratungsstelle Gegenwind aus Berlin geführt. In diesem Gespräch sagte man mir, dass man im Zusammenhang mit dem Fonds für Westheimkinder die Erfahrung gesammelt hat, dass es notwendig ist, flexibler mit den Mitteln umzugehen. Weil die Traumata bzw. die Folgen der Heimerfahrung sehr unterschiedlich sind, besteht ein sehr unterschiedlicher Bedarf bezogen auf den Ausgleich. Das kann eine Therapie sein, das kann eine medizinische Begleitung sein, das können aber auch ganz andere Formen des Ausgleichs sein. Inwieweit ist tatsächlich gesichert, dass deutlich flexibler vorgegangen, das heißt, auf den konkreten Bedarf des Betroffenen eingegangen werden kann?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Bund und Länder haben das Ziel, das möglichst unbürokratisch zu machen. Aber Sie haben recht: Man muss die Regelungen immer den Erfahrungen, die gemacht worden sind, anpassen. Deswegen haben wir ja einen Lenkungsausschuss eingesetzt, der überprüft, ob das bislang praktizierte Vorgehen richtig ist. Erfahrungen wie die, die in Berlin gesammelt wurden, können miteinfließen. Wir haben gemeinsam mit Betroffenen Leitlinien für die Umsetzung abgestimmt. In der Umsetzung werden diese praktisch weiterentwickelt, wenn wir erkennen, dass das Verfahren nicht treffsicher, zu kompliziert, zu bürokratisch ist. Diesbezüglich sind wir für Hinweise dankbar; denn dann kann das thematisiert werden. Wir - ich sage das auch für alle Länder - sind darum jedenfalls bemüht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage des Kollegen Vaatz anknüpfen, der die Brüche in den Biografien angesprochen hat. Wir müssen häufig feststellen, dass bei Opfern von Heimerziehung schwerste Traumatisierungen vorliegen, die dazu geführt haben, dass eine Berufsausbildung nicht absolviert werden konnte oder im Laufe des Lebens irgendwann eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, sodass eine Rente oder andere Transferleistungen bezogen werden müssen. Ist sichergestellt, dass die Leistungen, die die Betroffenen aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ erhalten, in keiner Weise mit Leistungen verrechnet werden, die die Betroffenen aus anderen Töpfen erhalten, zum Beispiel aufgrund der Traumatisierung, oder ist das noch ungeklärt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, das ist nicht ungeklärt. Von Bundesseite müssen wir das nicht speziell regeln, weil es im Sozialgesetzbuch II und XII diese Möglichkeit im Prinzip gibt. Diese Leistungen sind nicht Einkommen im klassischen Sinne. Die Absicht ist, diese Leistung nicht anzurechnen. Das ist eine Frage des vernünftigen Verwaltungshandelns in den Ländern. Wenn Sie dort etwas anderes hören, sollten Sie uns das sagen. Dann würden wir das thematisieren. Das soll ausdrücklich nicht angerechnet werden. Es handelt sich um entschädigungsähnliche Leistungen, die gegeben werden. Ich muss es noch einmal sagen: Wir können das Leid finanziell nicht ausgleichen. Angesichts dessen wäre es komisch, wenn die Summen, die gezahlt werden, mit anderen Leistungen verrechnet würden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, der Bundestag hat mit seinen Beschlüssen und überhaupt mit seiner Befassung mit Missbrauch und Misshandlung in Heimen in Westdeutschland, aber auch in der ehemaligen DDR einen neuen Weg beschritten, der vorher noch nie gegangen wurde. Daher ist es oftmals schwierig, das, was wir uns vorstellen, dann auch in Handeln umzusetzen. Folgendes möchte ich gerne wissen: Erstens. Ich habe kürzlich Beratungsstellen für Westheimkinder besucht. Hier muss ich dem zustimmen, was Herr Winkler gerade gesagt hat. Ich kann nur sagen: Weiß die Katze, dass ich keine Maus bin? Das heißt: Weiß die Behörde, dass das, was ich bekomme, nicht angerechnet werden darf? - Dass wir das so beschlossen haben, ist klar. Allerdings muss die Behörde, beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit, wenn es um Leistungen geht, eigentlich wissen, dass sie diese Gelder nicht anrechnen darf. Die Betroffenen müssen das der Behörde aber mitteilen; diese Rückmeldung bekomme ich. Sie werden - bis auf einzelne Ausnahmen - höflich und freundlich behandelt; das höre ich von den Betroffenen auch. Die Frage ist aber: Sind alle Institutionen so gut informiert worden, dass sie das, was der Bundestag will, auch umsetzen? Zweitens. Bei der Umsetzung bezüglich der Heimkinder West gibt es verschiedene Modelle. Es geht von Niedersachsen, wo an jedem Jugendamt eine Beratungsstelle angesiedelt ist - dort sehe ich die Fachlichkeit nicht mehr gewährleistet -, bis hin zu Bayern mit einer Beratungsstelle; was ich sehr sinnvoll finde, weil das mit den Betroffenen ausgehandelt wurde und weil dadurch eine hohe Fachlichkeit entsteht. Wie können wir es schaffen, dass das in Ostdeutschland wirklich gut funktioniert? In Berlin wird eine Beratungsstelle beides ma21794 Marlene Rupprecht ({0}) chen. Wie bekommen wir es also hin, dass wir sagen können: „Dort könnt ihr hingehen; dort werdet ihr gut beraten“? Drittens. Als Letztes möchte ich wissen - ich weiß, dass eigentlich nur eine Frage -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Rupprecht, wir setzen Sie gerne noch einmal auf die Liste. Aber lassen Sie doch dem Staatssekretär auch die Chance, in der vorgegebenen Zeit Ihre Fragen zu beantworten. Sonst sind Sie erst recht unzufrieden, wenn Sie jetzt noch eine dritte Frage dranhängen.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz kurz: Die Initiativen, die sich um die Beratungsstellen bilden, brauchen Unterstützung. Diese Unterstützung kann nicht nur ehrenamtlich erfolgen. Da braucht man Hauptamtlichkeit. Wie wollen wir diese Initiativen unterstützen? Insgesamt bin ich froh, dass wir es auf den Weg bringen. Aber wie schaffen wir es, das dann auch tatsächlich gut umzusetzen?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Präsidentin, ich kenne die Kollegin Rupprecht seit vielen Jahren sehr gut. Ich weiß, dass sie sich intensiv um diese Thematik kümmert. Das ist auch ein wichtiger Punkt. Schließlich ist das Ganze zunächst einmal eine Initiative des Parlaments gewesen. Daher sollte das Parlament die Sache auch im Blick behalten. Ich glaube, dass wir bei den Heimkindern Ost einen Vorteil haben. Wir konnten bei den Heimkindern West nämlich schon Erfahrungen sammeln. Daher wissen wir, was geht und was nicht geht. Außerdem haben wir die Leitlinien bereits entsprechend angepasst. Es muss aber auch dafür gesorgt werden, dass die Fondsmittel tatsächlich den Betroffenen unmittelbar zugutekommen. Darum müssen wir uns kümmern. Das werden wir auch tun. Wir werden das auch noch einmal mit den Ländern besprechen. Zur Frage, inwieweit sich der einzelne Mitarbeiter korrekt verhält: Davon gehe ich jetzt einmal aus. Ich habe schon das Gefühl, dass das ehrliche Bemühen bei allen Ländern und bei den Ministern da ist. Wir haben mehrfach mit ihnen zusammengesessen. Wenn es nicht funktioniert, dann muss man es auch im jeweiligen Land thematisieren. ({0}) - Das wird auch im jeweiligen Land zu klären sein. Wir werden es bundesweit prüfen, was machbar ist. Das ist unsere Aufgabe als Bund. Aber es gibt sicher auch Möglichkeiten der Umsetzung im jeweiligen Land. Das ist völlig klar. Da werden die Länder auch ihre Erfahrungen sammeln müssen. Bislang haben wir aber keine Hinweise, dass man sich nicht ernsthaft darum bemüht. Die Länder sammeln allerdings auch erst ihre Erfahrungen mit dieser Thematik. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias W. Birkwald.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, die Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige Heimkinder sollen in den neuen Bundesländern ausschließlich bei staatlichen Stellen angesiedelt werden, also in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt beispielsweise bei den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Wäre eine Ansiedlung bei unabhängigen Beratungsstellen wie Wildwasser, Violetta oder ähnlichen nicht sinnvoller? Halten Sie das nicht für angemessener für die Opfer der Heimerziehung in der DDR?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das ist letztlich ein Wunsch und eine Entscheidung der Länder gewesen. Viele Betroffene verfügen nämlich bereits über Erfahrungen mit den Landesbeauftragten, weil sie dort die Möglichkeit haben, ihre Akten einzusehen und sich zu informieren, soweit sie etwa in Spezialheimen untergebracht waren. Es war der Wunsch, das zusammenzufassen; denn die Landesbeauftragten sind erfahrene Institutionen, die auch bei den Menschen bekannt sind. Man kann immer darüber diskutieren, ob man es anders organisieren sollte. Ich gehe davon aus, dass die Länder die Initiative ergreifen werden, wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht funktioniert. Wir können es dann aber auch gerne seitens des Bundes thematisieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Heidrun Dittrich hat noch eine Nachfrage.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben vorhin geantwortet, dass der Fonds, der 40 Millionen Euro umfasst und in den neuen Bundesländern zur Auszahlung kommt, als Rentenersatzleistung fungieren könnte, wenn entsprechende Anträge gestellt werden würden. Daher frage ich: Wenn nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation bzw. nach den Kriterien des Völkerrechtes Zwangsarbeit vorliegt - demnach ist Zwangsarbeit jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die eine Person unter Androhung einer Strafe zu tun hat und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat -, kann dann nicht zusätzlich zu der Zahlung aus diesem 40-Millionen-Euro-Fonds eine Schadensersatzleistung eingeklagt werden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein, das wird nicht so sein. Ich habe ja gesagt: Die Zahlung aus dem Fonds wird kein Ausgleich für erlittenes Unrecht sein. Wir werden uns noch einmal gesondert damit beschäftigen müssen, was den Menschen in den Spezialheimen widerfahren ist, in die sie eingewiesen worden sind, damit dort aus ihnen „sozialistische Persönlichkeiten“ geformt werden. Wie das im Einzelnen zu bewerten ist, ist ein ganz anderes Thema, das wir noch nicht hinreichend erfasst haben; bisher gibt es erste Hinweise. Die gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel auch die des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, gelten natürlich auch für Heimkinder. Hier geht es um Zusatzleistungen, die erbracht werden, wenn etwas durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht abgegolten ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Rupprecht hat jetzt das Wort zu einer Nachfrage.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich will an das anknüpfen, was Herr Schwanitz sagte. Er sagte, dass langfristig eine Finanzierung aus dem Etat des Familienministeriums erfolgt. Unser Haushalt ist ja nicht gerade riesig. Mir stellt sich deshalb die Frage, ob die Bundesregierung, also der Finanzminister und die anderen Ressorts, das prinzipiell als ressortübergreifende Aufgabe ansieht. Auch der Bundestag war davon ausgegangen, dass der Fonds von allen Ressorts finanziert wird oder prinzipiell aus dem Einzelplan 60 gespeist wird. Ich finde, wir sollten ihn nicht im Etat des Familienministeriums ansiedeln. Das heißt, Familien und Kinder der heutigen Generation sollten nicht für das zahlen, was andere früher falsch gemacht haben. Gibt es von der Ministerin das klare Zeichen an den Finanzminister und an die anderen Ressorts, dass alle ihren Beitrag leisten sollten und nicht nur das Familienministerium?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass wir im Etat des Familienministeriums einen regelmäßigen Aufwuchs haben. Das ist sehr positiv. Die Familienpolitik ist zudem sehr erfolgreich, angefangen beim Elterngeld über den Kinderzuschlag bis hin zu anderen Leistungen. Herr Schwanitz achtet als Haushälter sehr genau darauf, dass wir sparsam mit den Mitteln umgehen; das ist sein gutes Recht. Ich gebe Ihnen recht: Unterschiedliche Finanzierungsformen sind möglich. Der Einzelplan 60 ist kein Steinbruch für alle Leistungen. Dass man diesen Bereich nun der Familien- und Jugendpolitik zuordnet, ist von der Logik her nachvollziehbar. Das Familienministerium könnte natürlich noch mehr Geld sinnvoll einsetzen; das wissen Sie. Wir haben uns in den letzten Jahren erhebliche Anteile am Bundesetat erarbeiten können. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die Bundesrepublik Sparvorgaben einhalten muss. Ich glaube, daher ist klar, wo die Grenzen sind und dass wir nicht ganz umhinkommen, hier mitzufinanzieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dittrich hat mir signalisiert, dass sie noch eine Nachfrage hat. Bitte.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, besteht für die Heimkinder die Möglichkeit, Leistungen aus dem Fonds und Leistungen aufgrund des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zu kumulieren?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe eben gesagt: Der Fonds tritt nur ein, wenn alle gesetzlichen Ansprüche abgegolten sind bzw. wenn andere Möglichkeiten, Ansprüche zu befriedigen, nicht mehr gegeben sind. Wir zeigen: Es werden zunächst einmal die Möglichkeiten anderer Gesetze genutzt. Ist dies nicht möglich, greift der Fonds. Hier handelt es sich also nicht um unbegrenzte, sondern um begrenzte praktische Möglichkeiten. So kommen wir auf die Summen, die wir errechnet haben. Es wird allerdings keine Anrechnung auf StrRehaGLeistungen stattfinden. Eine andere Vorgehensweise würde von der Logik her auch nicht funktionieren. Wir sagen: Es werden zunächst einmal die Möglichkeiten anderer Gesetze genutzt. Ist dies nicht möglich, greift der Fonds.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Ich habe vor - ich kündige das schon einmal an -, die drei mir signalisierten Fragen zu sonstigen Inhalten der Kabinettssitzung oder sonstigen Themen noch zuzulassen. ({0}) - Dann müssen Sie sich melden. - Eine allerletzte Nachfrage stellt Frau Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine kurze Frage: Was beabsichtigen Sie für die Menschen zu tun, die vor dem 14. Lebensjahr in Heimen untergebracht waren und die, da Kinder unter 14 Jahren nicht arbeiten dürfen, keine Rentenersatzleistungen geltend machen können? Was für eine Entschädigung planen Sie für diese Personen? Nur Leistungen für die Folgeschäden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wir werden uns mit den Folgen zu beschäftigen haben. Wir werden uns auch mit der Frage zu beschäftigen haben, ob ihnen Bildungsabschlüsse verweigert worden sind, weil sie keine Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen. Damit muss man sich auseinandersetzen; denn all das ist den Betroffenen vorenthalten worden. Es wird natürlich Geld kosten, beispielsweise dafür zu sorgen, dass sie Schulabschlüsse nachholen können. Es ist vielleicht sogar mit das Wichtigste, zu gewährleisten, dass Menschen die Chance bekommen, etwas aus ihrem Leben zu machen. In den Heimen ist ihnen diese Chance verwehrt worden. Hier greifen die Leitlinien für den Fonds.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Raabe hat mir vorhin dringenden Fragebedarf signalisiert. ({0}) - Dann bitte ich, das auch so anzuzeigen. Herr Staatssekretär, wir danken Ihnen recht herzlich.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Auch ich bedanke mich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Offensichtlich sind wir am Ende der Befragung der Bundesregierung zu diesem Thema. Es gibt die Möglichkeit, die Dauer der Befragung der Bundesregierung zu verlängern. Dies wiederum heißt aber, dass sich die Dauer der anschließenden Fragestunde verkürzt. Die erste Frage zu sonstigen Inhalten stellt der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mir geht es um die sogenannte Fliegender-Teppich-Affäre. Ich möchte gerne über den genauen Ablauf der Vorgänge unterrichtet werden. Wann ging bei Bundesminister Niebel die Anfrage des Spiegel ein, und wann wurde der Antrag auf Nachverzollung gestellt bzw. Selbstanzeige erstattet? Meine zweite Frage, die damit im Zusammenhang steht, lautet: Inwiefern entrichtete Bundesminister Niebel für die Verbringung eines privat gekauften Teppichs per BND-Flugzeug eine entsprechende Gebühr? Oder ist dies beim Transport von Privatgegenständen per BND-Flugzeug grundsätzlich nicht üblich?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, der Sachverhalt, den Sie eben angesprochen haben - der Teppichkauf von Herrn Minister Niebel -, war nicht Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung. ({0}) Im Übrigen findet im Anschluss an diese Fragestunde eine Aktuelle Stunde statt, in deren Rahmen es um dieses Thema gehen wird und in der Bundesminister Niebel selbst das Wort ergreifen wird. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Bundesregierung hat geantwortet. Es ist natürlich das gute Recht eines jeden Abgeordneten, mit dieser Antwort zufrieden oder unzufrieden zu sein ({0}) und darüber nach den von uns selbst getroffenen Regelungen mit der Bundesregierung zu diskutieren. Ich muss keine Hellseherin sein, um vorherzusagen, dass wir darüber andernorts noch diskutieren werden. Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Koczy.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Auch in meiner Frage geht es um die Nachverzollung. Ich möchte von der Bundesregierung erfahren, ob der Antrag von Minister Dirk Niebel auf Nachverzollung mit einer Selbstanzeige gemäß § 371 der Abgabenordnung verbunden ist und ob der Bundesregierung ein anderer Fall in der bundesdeutschen Geschichte bekannt ist, in der sich ein aktives Mitglied der Bundesregierung selbst angezeigt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr von Klaeden.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich diese Fragen hier jetzt nicht beantworten kann, und will auf die Möglichkeit hinweisen, Fragen einzureichen. Dann besteht für uns die Möglichkeit, die detaillierten Fragen angemessen zu beantworten, sodass Sie schneller die Informationen bekommen, auf die Sie Anspruch haben. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Frithjof Schmidt.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie sagen, dass Sie jetzt keine Fragen zu dem Transport des von Bundesminister Niebel gekauften Teppichs durch ein Flugzeug des BundesnachrichtenDr. Frithjof Schmidt diensts beantworten wollen, möchte ich eine generelle Frage an die Bundesregierung richten: Ist es üblich, dass für den Transport privater Gegenstände von Regierungsmitgliedern durch Flugzeuge des Bundesnachrichtendiensts Gebühren erhoben werden, oder nicht?

Not found (Gast)

Herr Kollege, generell ist es selbstverständlich nicht üblich, dass private Gegenstände mit dem Flugzeug des Bundesnachrichtendiensts transportiert werden. Das hat Bundesminister Niebel in seinen Stellungnahmen ja auch selber deutlich gemacht. Insofern erübrigt sich die Frage nach Gebühren oder Weiterem.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Sascha Raabe stellt die nächste Frage.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Frage jetzt nicht mündlich beantworten können, dann können Sie ja versuchen, die Antwort schriftlich nachzureichen; denn der Minister ist nicht verpflichtet, in der Aktuellen Stunde - das ist ja keine Fragestunde - auf Fragen einzugehen. Sie waren bei uns im Ausschuss und wissen, dass das Thema Kinderarbeit für uns wichtig ist. Ich hätte gerne gewusst, ob Ihnen bekannt ist, ob der Teppich, den Minister Niebel erworben hat, mit einem GoodWeaveSiegel versehen ist, das wir ja auch mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit fördern, oder ob er einfach blind irgendeinen Teppich gekauft hat, ohne einen entsprechenden Nachweis zu haben. Meine zweite Frage an Minister Niebel, die Sie gegebenenfalls bitte weiterleiten können, lautet, ob er auch auf vorherigen Dienstreisen Einkäufe getätigt hat, die den Wert von 430 Euro überstiegen haben, und ob er diese dann auch verzollt hat. Vielleicht können Sie diese Fragen dem Minister freundlicherweise weiterleiten.

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Das tue ich gerne. Wir beantworten Ihre Fragen gerne schriftlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. Die schriftliche Beantwortung ist zugesagt. Die nächste Frage stellt die Kollegin Bärbel Kofler.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Weil es jetzt sicher schwierig ist, spezielle Fragen im Detail zu beantworten - die Fragen der Kollegen zum Vorgehen des Ministers und zur Verzollung und Versteuerung sind schon sehr interessant -, habe ich eine ganz generelle entwicklungspolitische Frage. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, gute Regierungsführung sei ein Schlüsselkriterium für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Würden Sie das Vorgehen des Entwicklungsministers - ich möchte „Entwicklungsminister“ an dieser Stelle unterstreichen - in Bezug auf den Transport eines Teppichs aus Afghanistan, das immer wieder als ein Land kritisiert wird, in dem man um gute Regierungsführung ringen muss, als gutes Beispiel für gute Regierungsführung und Integrität im Amt bezeichnen?

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Frau Kollegin Kofler, Sie haben selbstverständlich recht damit, dass es das oberste Ziel nicht nur des Bundesentwicklungsministers, sondern auch der gesamten Bundesregierung ist, gute Regierungsführung zu zeigen. Ich sehe diese weder in der Vergangenheit noch heute in irgendeiner Form beeinträchtigt. ({0}) Das bleibt auch weiterhin unser Ziel.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Jürgen Koppelin hat das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Anlass für meine Frage an die Bundesregierung ist der Besuch der Kollegin Claudia Roth in Libyen. Gibt es auch für Abgeordnete Richtlinien bezüglich Reisen? Wenn zum Beispiel in Nordafrika ein Flug ausfällt: Kann dann ein Abgeordneter gepanzerte Fahrzeuge ordern, damit er zum Beispiel von Tripolis nach Tunesien gefahren werden kann? Man konnte sogar in einem Video sehen, dass die Kollegin Claudia Roth auf einem Basar in Libyen reichlich eingekauft hat. Diese Waren sind sicher auch mit dem gepanzerten Fahrzeug transportiert worden. Werden dafür Kosten erhoben, und ist das auch verzollt worden? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wer aus der Bundesregierung fühlt sich in der Lage, zu antworten? - Bitte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Koppelin, ich kann Ihre Fragen jetzt leider nicht beantworten und bitte um Verständnis dafür, dass ich das schriftlich nachholen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das ist damit zugesagt. - Die letzte Frage in diesem Bereich stellt die Kollegin Kathrin Vogler. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, da Sie konkrete Fragen zu dem Thema Teppichkauf nicht beantworten können, habe ich eine inhaltliche Frage zum Besuch von Minister Niebel in Afghanistan. Trifft es zu, dass er bei diesem Besuch unter anderem mit Regierungsvertretern über Good Governance, also gute Regierungsführung, gesprochen hat? Wurden dabei auch Fragen wie der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und die Korruptionsbekämpfung angesprochen? Gibt es inzwischen Reaktionen seiner Gesprächspartner auf die aktuelle Debatte hier in Deutschland? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Gudrun Kopp (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003160

Frau Kollegin, der Bundesminister wie auch andere Minister, die nach Afghanistan reisen, sind daran interessiert, bessere Lebensverhältnisse für die Menschen vor Ort zu schaffen. Dazu gehören natürlich eine gute Regierungsführung und die Beachtung von Menschenrechten. Selbstverständlich sind dies Themen, die bei allen Besuchen immer wieder angesprochen werden. Mir ist nicht bekannt, dass sich die afghanische Regierung in irgendeiner Weise mit dem von Ihnen angesprochenen Thema befasst hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich beende die Befragung. Die neun Minuten, um die wir die Befragung verlängert haben, ziehen wir von der Zeit für die Fragestunde ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/9888, 17/9910 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 17/9910 auf. Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung. Wir beginnen mit der dringlichen Frage 1 des Kollegen Harald Weinberg: Wird bei der Bundesregierung angesichts der dramatischen Versorgungslage und des drohenden Komplettzusammenbruchs des Gesundheitssystems in Griechenland ({0}) die Notwendigkeit von Nothilfen oder Notkrediten für das griechische Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse EOPYY gesehen, und erwägt die Bundesregierung, Nothilfen zu gewähren? Bitte, Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Unsere Antwort ist wie folgt: Die Probleme im griechischen Gesundheitssystem sind nicht neu. Sie bestanden schon vor dem Beginn des Hilfsprogramms. Sie sind daher nicht ursächlich mit der aktuellen Schuldenkrise oder den notwendigen Strukturreformen innerhalb des Memorandums verbunden. Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone und der Internationale Währungsfonds haben auch aus diesem Grund Griechenland im Rahmen des Anpassungsprogramms Kredite von insgesamt 237,5 Milliarden Euro zugesagt. Hierdurch soll Griechenland in die Lage versetzt werden, seinen Verpflichtungen gegenüber nationalen und internationalen Gläubigern nachzukommen und hierdurch Spielräume für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen, unter anderem im Gesundheitsbereich, zu schaffen. Voraussetzung für den Erfolg des zweiten Programms ist jedoch, dass Griechenland die Strukturreformen fortsetzt. Die Bundesregierung ist darüber hinaus bereit, Griechenland strukturell und organisatorisch zu unterstützen. Insbesondere sind weitere Reformen im Gesundheitswesen notwendig. Da beispielsweise das Abrechnungssystem in griechischen Krankenhäusern intransparent ist, nimmt das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Funktion als „Domain Leader“ im Rahmen der Taskforce gemeinsam mit dem griechischen Gesundheitsministerium und der Taskforce Griechenland bei der Europäischen Kommission gestaltenden Einfluss, um nachhaltige Verbesserungen in der griechischen Gesundheitsversorgung zu bewirken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Herr Weinberg, Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Eine Nachfrage habe ich in diesem Zusammenhang schon. Trifft es nach Ihrer Erkenntnis zu, dass ein Bestandteil der aufgelegten Reformmaßnahmen darin besteht, dass der Anteil der Gesundheitskosten von bisher etwa 9,6 Prozent auf 6,5 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts zurückgefahren werden soll?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Weinberg, wir sind vordringlich beratend unterwegs. Aus diesem Grunde haben wir das Memorandum of Understanding unterschrieben. Wir befassen uns vor allen Dingen mit dem Versuch, eine grundlegende Strukturreform im griechischen Gesundheitssystem vorzubereiten. Sie können sich vorstellen, dass dies angesichts der Lage und der bevorstehenden Wahlen in Griechenland ein sehr schwieriger Akt ist. Deswegen sind wir in einem laufenden Prozess.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Dann hat die Kollegin Kathrin Vogler das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sprachen gerade von nachhaltigen Verbesserungen und strukturellen Veränderungen. Uns erreichen täglich Pressemitteilungen, in denen die Lage als mehr als dramatisch geschildert wird: Krankenhäuser können keine Operationen mehr durchführen. Es gibt keine Desinfektionsmittel, Handschuhe und Katheter mehr. Die Patientinnen und Patienten müssen ihre Medikamente in der Apotheke bar bezahlen, weil die staatliche Gesundheitskasse bei den Apothekern keinen Kredit mehr hat. Viele Menschen können es sich angesichts der auch aufgrund der Vorgaben der Troika gesunkenen Löhne und der sinkenden Renten nicht mehr leisten, sie zu kaufen. Halten Sie das Streben nach nachhaltigen Verbesserungen wirklich für ausreichend, um den akuten Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten in Griechenland in irgendeiner Weise zu decken?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin Vogler, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind keinerlei Kreditanfragen der griechischen Regierung bei uns eingetroffen. Wir würden solche Kredite natürlich nicht in vorauseilendem Gehorsam gewähren. Das ist das eine. Das Zweite ist - in Ihrer Frage haben Sie einen rein humanitären Bereich angesprochen -: Die Europäische Kommission diskutiert, wie Sie wissen, zurzeit die Situation dort. Auch das ist ein laufender Prozess, sodass ich zu dem Abschluss der Verhandlungen derzeit noch nichts sagen kann. Aber auch wir sind in diese Diskussionen eingebunden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Marlies Volkmer.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich kann nahtlos an die Frage der Kollegin Vogler anschließen. Halten Sie es für notwendig, schnell zu Hilfsmaßnahmen für Griechenland bzw. die griechische Bevölkerung zu kommen? Denn wenn sich chronisch kranke Menschen wie Diabetiker, Asthmakranke und Herzkranke keine Medikamente mehr leisten können und sie diese aber auch nicht über die Krankenversicherung bekommen, dann sind Todesfälle absehbar. Wie lange werden Ihres Erachtens die Beratungen und Abstimmungen innerhalb der Europäischen Union dauern, um Hilfe gewähren zu können?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Liebe Kollegin Dr. Volkmer, wir sind momentan nicht in der Lage, einen Zeitraum zu nennen. Das Verfahren läuft zurzeit. Wie Sie wissen, ist das BMG für europäische Verhandlungen nicht zuständig. Ich bin aber gerne bereit, Sie schriftlich zu informieren, was die ungefähre Abschätzung des Zeitraums angeht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur zweiten dringlichen Frage des Kollegen Harald Weinberg: Arbeitet die Bundesregierung in der Europäischen Union darauf hin, dass es Nothilfen oder Notkredite für das griechische Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse EOPYY gibt, und welche Auswirkungen wären zu befürchten, falls keinerlei Hilfen für das griechische Gesundheitssystem gewährt würden? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Ich habe in meiner Antwort auf die erste dringliche Frage bereits darauf hingewiesen, dass es keine Anfragen seitens der griechischen Regierung und aus diesem Grunde auch keine Überlegungen in unserem Hause zu diesem Thema gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich wiederhole noch einmal die Frage, um deutlich zu machen, worum es geht. Die Frage lautet: Arbeitet die Bundesregierung in der Europäischen Union darauf hin, dass es Nothilfen oder Notkredite für das griechische Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse dort geben soll? Die Frage ist also nicht, ob Griechenland Kreditanfragen an Sie gerichtet hat und ob Sie Kredite gewähren, sondern ob Ihre politische Strategie in der Europäischen Union darauf ausgerichtet ist, diese Nothilfen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Weinberg, ich habe eben schon darauf verwiesen, dass das ein laufender Prozess innerhalb der Europäischen Kommission ist, über den ich gerne informiere, wenn ich das notwendige Wissen habe. Zurzeit habe ich es nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine zweite Nachfrage.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Einem Bericht der Bundesregierung habe ich Folgendes entnommen: In einem am 5. Juni in Brüssel geführten Gespräch zwischen Vertretern des BMG und dem Leiter der Taskforce bei der Europäischen Kommission, Herrn Reichenbach, bestand Einvernehmen darüber, dass die bisherigen Initiativen zur Unterstützung Griechenlands im Gesundheitsbereich im Falle einer Regierungsbildung durch bislang die Regierung tragende Parteien grundsätzlich fortgesetzt werden können. Ich betone: im Falle einer Regierungsbildung durch bislang die Regierung tragende Parteien. Wenn es nun in Griechenland zu einer Regierungsbildung ohne die bislang die Regierung tragenden Parteien kommt, stellt sich die Frage: Wird die Initiative dann eingestellt, oder wird sie fortgesetzt?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Weinberg, das werden wir entscheiden, wenn es so weit ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wollen Sie uns allen Ernstes erzählen, dass sich die Bundesregierung angesichts der am nächsten Wochenende stattfindenden Wahlen in Griechenland und vorliegender Umfrageergebnisse im Hinblick auf den Wahlausgang keine strategischen Gedanken gemacht hat, wie sie mit einem möglicherweise ihren Plänen entgegenstehenden Wahlausgang umgehen wird?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Liebe Kollegin Vogler, es gibt zurzeit keine Pläne, über die ich eine Aussage machen könnte. Ich finde es auch merkwürdig, hier über den Ausgang einer demokratischen Wahl in einem anderen Land zu spekulieren. Das steht mir nicht zu.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die dringliche Frage 3 der Kollegin Dr. Martina Bunge wird schriftlich beantwortet. - Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/9888 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Die Frage 1 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Matthias Miersch auf: Hat das Bundesministerium der Justiz die Forderungen des einstimmig angenommenen Antrags auf Bundestagsdrucksache 17/8344 - keine Patentierung von konventionell gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und -pflanzen bereits umgesetzt, und wenn nein, warum nicht? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere, dass die Frage des Kollegen Seifert schriftlich beantwortet werden muss, weil ich zu der in dieser Frage thematisierten Behindertenkonvention gerne mündlich vorgetragen hätte. Selbstverständlich betrifft die Frage des Kollegen Miersch ebenfalls eine äußerst wichtige Thematik. Herr Kollege, Sie fragen nach der Umsetzung eines Antrags, der im Februar 2012 vom Bundestag bezüglich der EU-Biopatentrichtlinie beschlossen worden ist. Der genannte Antrag vom 17. Januar 2012 zielt unter anderem auf die Konkretisierung und Änderung der EU-Biopatentrichtlinie ab. Die Bundesministerin der Justiz hat bereits unmittelbar nach der Plenardebatte, die zu diesem Antrag stattgefunden hat, nämlich mit Schreiben vom 31. Januar 2012, den zuständigen EU-Binnenmarktkommissar Barnier auf die Meinungslage im Deutschen Bundestag aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung hat in diesem Schreiben die Notwendigkeit unterstrichen, dass die EU-Kommission noch unter dänischer Ratspräsidentschaft einen neuen Bericht zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie in den Mitgliedstaaten der EU vorlegen möge. Der Brief der Justizministerin enthält schließlich die Bitte, dass entsprechend Nr. 6 des Antrags und des Beschlusses des Bundestags in diesem Bericht „die ethischen Aspekte“ von biotechnologischen Patenten „sowie die Folgen für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und für die Forschung berücksichtigt“ werden. Kommissar Barnier hatte bereits im November 2011 die Vorlage dieses Berichts zugesagt. Nach neueren Informationen soll der Bericht nunmehr im Oktober oder November dieses Jahres vorgelegt werden. Frau Präsidentin, die Frage erfordert leider, etwas ausführlicher auszuholen; denn der Antrag auf der genannten Drucksache spricht auch die Schaffung des EU-Patents an. Die Bundesregierung hat sich in den Beratungen dazu im Hinblick auf die Belange der deutschen Bauern und Züchter für eine sogenannte Unberührtheitsklausel zugunsten nationaler Sonderregelungen eingesetzt. Dazu besteht unter den EU-Mitgliedstaaten Konsens. Danach können sich deutsche Bauern und Züchter wie bisher gegenüber deutschen und europäischen Patenten künftig auch gegenüber den Inhabern des neu zu schaffenden EU-Patents auf die deutschen Sonderbestimmungen berufen, das heißt auf das Pflanzenzüchterprivileg und das Landwirteprivileg mit der Beweislastumkehr bei zufälliger Auskreuzung von Saatgut. Ich glaube, ich belasse es dabei. Der Herr Kollege setzt sowieso schon zu einer Zusatzfrage an. Ich kann Ihnen vielleicht dann den Rest meiner geplanten Antwort vortragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Er stellt garantiert eine Nachfrage. - Bitte, Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese Antwort. Ich möchte mir die Anmerkung erlauben, dass sich diese Antwort auf meine zweite Frage bezogen hat. In meiner ersten Frage habe ich ganz bewusst nicht nach der europäischen Rechtslage gefragt. Der Antrag, den wir hier über alle Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen haben, bezog sich vielmehr auf das nationale Patentgesetz und die Einführung eines Biopatentmonitorings. Können Sie mir dazu noch etwas sagen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege, es ist in der Tat so, dass genau dieser Teil meiner Antwort der Zeitregel zum Opfer gefallen ist. Ich kann jetzt Ihre Zusatzfrage dazu nutzen, Ihnen den weiteren Teil meiner Antwort wie geplant vorzutragen. Soweit sich der von Ihnen zitierte Antrag auf das deutsche Patentgesetz bezieht, hat der Deutsche Bundestag eine Prüfung erbeten, ob und inwieweit auch ohne Änderung der EU-Biopatentrichtlinie Änderungen oder Klarstellungen zur Einschränkung der Patentierung von Tieren und Pflanzen möglich sind. Diese Prüfung läuft derzeit. Sie wirft ziemlich schwierige Fragen auf, einerseits Fragen des nationalen Regelungsspielraums im Rahmen EU-rechtlicher Vorgaben, andererseits auch Fragen der rechtlichen Konsequenzen einer abweichenden Regelung auf nationaler Ebene für die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Binnenmarkt. Zusammengefasst: Diese Prüfung läuft derzeit noch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie uns einen Zeitraum nennen, wann wir mit einem Ergebnis rechnen können?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ja. Ich rechne mit einem Abschluss dieser Prüfung bis zum Ende dieses Jahres.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 3 des Kollegen Miersch: Wird sich das Bundesministerium der Justiz im europäischen Patentrecht für ein klares Verbot der Patentierung von Züchtungsverfahren, von Züchtungsmaterial und Pflanzen und Tieren aussprechen und sich für eine Änderung der Biopatentrichtlinie auf EU-Ebene einsetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich darf wie folgt antworten: Zunächst ist klarzustellen - das haben Sie aber selber schon gesagt -, dass sich der Beschluss des Bundestags, den wir gerade schon erörtert haben, nur auf konventionelle Züchtungsverfahren bezieht und nicht auf solche technischen Charakters wie etwa gentechnische Verfahren. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das Verbot der Patentierung im Wesentlichen biologischer Verfahren, soweit die Verfahren selbst Gegenstand der Patentansprüche sind, in der EU-Biopatentrichtlinie ebenso wie im Europäischen Patentübereinkommen und im deutschen Patentgesetz eindeutig geregelt ist und dass diese Rechtslage durch den sogenannten BrokkoliBeschluss der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 9. Dezember 2010 bestätigt worden ist. Die Bundesregierung ist weiterhin der Auffassung, dass sich aus dieser Rechtslage zwingend ergibt, dass auch die mittels solcher vom Patentschutz ausgeschlossenen Verfahren gewonnenen Erzeugnisse nicht patentierbar sind. Mit dieser Thematik wird sich übrigens die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts auch noch im Zusammenhang mit dem sogenannten Tomaten-Patent befassen. Was die Prüfung eines möglichen Änderungsbedarfs der Biopatentrichtlinie der EU angeht, wird die Bundesregierung den vorhin schon erwähnten Bericht der EUKommission abwarten, um ein Gesamtbild über den Stand der Umsetzung und den gegebenenfalls erkennbaren Reformbedarf zu erhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang hat sich der Deutsche Bundestag angesichts der Entwicklung, die wir auf europäischer Ebene beobachten können, und der Tatsache, dass sehr vielfältig in die Ernährung der Menschen in Europa eingegriffen wird, einvernehmlich dafür ausgesprochen, ein Biopatentmonitoring nationalstaatlich zu organisieren. Deswegen meine Frage: Haben Sie dieses Monitoring gestartet, bzw. wann tritt es in Kraft?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Dies ist in der Tat auch Gegenstand des Beschlusses des Parlaments vom 8. Februar. Nach meiner Information ist es so, dass nachgeordnete Stellen des Landwirtschaftsministeriums - dafür ist das Justizministerium nicht zuständig - dieses Anliegen des Parlaments erfüllen werden. In diesem Beschluss sind wir weiterhin aufgefordert worden, den Dialog mit den von Biopatenten betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu führen. Auch dies geschieht laufend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch hierzu frage ich ganz konkret: Wann können wir damit rechnen, dass wir dieses Monitoring installiert bekommen? Wann startet die Bundesregierung damit?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Es wird kein Monitoring in dem Sinne geben, dass die Bundesregierung sozusagen die letzte Revisionsinstanz wäre. Was gewünscht wird, nämlich Entwicklungen frühzeitig erkennen zu können und in angemessenen Zeiträumen einen Bericht über die Auswirkungen des Patentrechts vorzulegen, wird jetzt laufend durch nachgeordnete Stellen des Landwirtschaftsministeriums geleistet werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Harald Ebner das Wort.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie hatten beschrieben, dass die Bundesregierung die Patentierung der biologischen Verfahren für eindeutig geregelt hält. Der Bundestag war mit seinem interfraktionellen Antrag einer anderen Meinung. Alle Fraktionen haben sich geeinigt, diesen Antrag zu verabschieden, weil da Regelungsbedarf gesehen wurde. Ich möchte Sie fragen, wie Sie sich angesichts Ihrer Erläuterungen die große Zahl von mehreren Hundert faktisch erteilten Patenten auf konventionelle Züchtungen erklären.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege, noch einmal: Ich habe die Rechtslage dargestellt. Ich habe auch ausgeführt, dass das Ganze unserer Meinung nach geregelt ist. Es wird aber Gesetzgebungsverfahren geben bzw. solche sind schon im Gang, bei denen diese Fragen und die von Ihnen angeführten Beobachtungen aus der Praxis in dem Sinne erörtert werden können, ob es dennoch einen Klarstellungsbedarf gibt. Dabei ist auch die Frage zu beantworten, inwieweit hierbei nationaler Regelungsspielraum besteht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Sonja Steffen auf: Für wann sind die Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen durch das Kabinett und die Einbringung in den Deutschen Bundestag geplant? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Die Frage der Kollegin Steffen berührt in der Praxis wirklich sehr viele Menschen, sodass die potenziell Betroffenen sicherlich darauf warten, dass die Gesetzgebung hierbei voranschreitet. In der Tat ist die Verabschiedung des Gesetzentwurfs, den Sie mit Ihrer Frage ansprechen, durch das Kabinett noch für den Sommer 2012 geplant. Die Einbringung in den Deutschen Bundestag wird dann den üblichen Regeln entsprechend erfolgen, also dann, wenn sich der Bundesrat damit befasst hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Die erste Nachfrage betrifft den Inhalt des Entwurfs in Bezug auf das jetzige Vorhaben, dass die Rechtspfleger am Insolvenzverfahren stärker beteiligt werden sollen. Nach dem Entwurf ist beabsichtigt, dass die Rechtspfleger das Insolvenzverfahren und auch das Restschuldbefreiungsverfahren übernehmen sollen. Ist dies auch weiterhin beabsichtigt?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Kollegin Steffen, die Ressortabstimmung zu diesem Gesetzentwurf ist noch nicht abgeschlossen, sodass ich im Moment keine verbindlichen Aussagen darüber machen kann, wie genau der Kabinettsbeschluss aussehen wird. Wir müssen das noch abwarten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die zweite Nachfrage betrifft auch den jetzt vorgesehenen Inhalt des Entwurfs. Sie bezieht sich auf das Vorhaben, das Verfahren der Restschuldbefreiung zu verkürzen. Dies ist allerdings an die Tilgung von Gläubigerforderungen gekoppelt. Wie ist denn dazu der aktuelle Stand im Ministerium?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Kollegin Steffen, ein wesentlicher Teil des Gesetzentwurfs ist, dass die Restschuldbefreiung deutlich früher erlangt werden kann, als dies nach bisherigem Recht der Fall ist. Bekanntlich ist das nicht völlig unumstritten; denn auf der anderen Seite stehen die Interessen der Gläubiger. In der Praxis hat sich die jetzige Restschuldbefreiung sehr bewährt. Nach dem Prinzip, dass jeder eine zweite Chance verdient, hat sich nämlich ergeben, dass mit diesem Instrument eben kein Missbrauch betrieben worden ist. Vielmehr zeigte sich: Menschen, die in eine finanzielle Notlage gekommen sind, konnten nach der Restschuldbefreiung wieder von vorne beginnen. Dieses Instrument ist durchaus erfolgreich gewesen. Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass künftig schon nach drei Jahren die Restschuldbefreiung eintreten kann, falls eine bestimmte Quote der Forderungen erfüllt ist. Der Gedanke war, bei etwa 25 Prozent anzusetzen. Aber selbstverständlich sind in der politischen Debatte gerade die Fragen der Fristen und der zu erreichenden Quote strittig. Daher muss ich Sie noch um wenige WoParl. Staatssekretär Dr. Max Stadler chen Geduld bitten, bis nach der Ressortabstimmung der endgültige Entwurf dem Parlament vorgelegt werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen dann zur Frage 5 der Kollegin Sonja Steffen: Welche Änderungen sind vom Bundesministerium der Justiz nach Einholung der Stellungnahmen der Verbände gegenüber dem Referentenentwurf geplant? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Die Frage 5 geht ein wenig in die Richtung der zweiten Nachfrage von Kollegin Steffen nach den geplanten Änderungen. Hierzu habe ich schon ausgeführt, dass die Ressortabstimmung gerade im Gange ist; sie ist noch nicht abgeschlossen. Stellungnahmen der Länder und der interessierten Verbände sind eingeholt und werden jetzt ausgewertet. Nach dieser Auswertung und nach der Abstimmung können wir Ihnen vortragen, ob es zu Änderungen gegenüber dem Entwurf, den ich skizziert habe, kommen wird. Dieser Entwurf basiert, wie gesagt, auf der Idee, schon nach der relativ kurzen Zeit von drei Jahren bei einer bestimmten Wohlverhaltensquote zur Restschuldbefreiung zu gelangen. Dem zugrunde liegen gute Erfahrungen mit dem jetzt geltenden Recht, das wir damit ausbauen würden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage in Bezug auf die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens. Wir können dann also damit rechnen, dass der Entwurf nach der Sommerpause hier ins Plenum kommt?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich rechne damit, dass der Bundesrat nach der Sommerpause seinen ersten Durchgang durchführen wird. Wenn dies geschehen ist, kommt der Gesetzentwurf ins Plenum.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Burkhard Lischka: Wird die Bundesregierung einen Regelungsvorschlag für eine eigene Rechtsgrundlage für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, Quellen-TKÜ, vorlegen? Bitte, Herr Stadler.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das ist eine Thematik, Herr Kollege Lischka, über die wir uns im Rahmen der Fragestunde schon einmal ausgetauscht haben. Nach wie vor gilt, dass es eigenständige Rechtsgrundlagen für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung im präventiven Bereich teilweise bereits gibt, beispielsweise in § 20 I Abs. 2 des Bundeskriminalamtgesetzes. Für den Bereich der Strafverfolgung - darauf zielt Ihre Frage sicherlich ab - wenden die Gerichte § 100 a Strafprozessordnung auch für diese Art der Überwachung von Telefonaten an der Quelle an. Hierzu gibt es mittlerweile eine Rechtsprechung, die sich verfestigt hat. Ob es geboten ist, gesetzliche Regelungen zusätzlich vorzusehen, ist gerade Gegenstand einer intensiven Prüfung der Bundesregierung, in die die Erkenntnisse aus der derzeit noch laufenden Entwicklung der für die Durchführung einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung erforderlichen Software ebenso einfließen werden wie die Hinweise, die wir zwischenzeitlich von Experten, übrigens auch im Unterausschuss Neue Medien des Bundestags, erhalten haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Darf ich dann Ihrer Antwort entnehmen, dass nach Auffassung der Bundesregierung § 100 a StPO im Bereich der Strafverfolgung trotz gewichtiger Gegenstimmen in der Rechtsliteratur und in der Wissenschaft eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ darstellt?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Sie dürfen meiner Antwort entnehmen, dass es mittlerweile einhellige Praxis der Gerichte ist, § 100 a als Rechtsgrundlage heranzuziehen, und dass wir diese in richterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidungen respektieren. Wir hatten darüber ja schon einmal, in der Fragestunde im Oktober 2011, gesprochen. Nachträglich ist bekannt geworden, dass es insoweit nicht nur Entscheidungen von Instanzgerichten gibt, sondern auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich auf § 100 a StPO gestützt hat. Gleichwohl bleibt offen, ob wir für die Zukunft noch Modifizierungen brauchen, die der Gesetzgeber vorzunehmen hätte. Das hängt ein wenig davon ab, wie sich die technische Entwicklung darstellt. Es wird ja jetzt versucht, eine, wenn ich das so unjuristisch sagen darf, grundrechtsschonendere Software zu entwickeln. Von der Frage, was diese Software kann und was man in diesem Zusammenhang verbieten muss, hängt letztlich ab, ob es für den Gesetzgeber noch Regelungsbedarf über den § 100 a StPO hinaus gibt. Eine Entscheidung haben wir noch nicht getroffen; wir prüfen noch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Entwicklung einer Software angesprochen. Daran schließe ich meine zweite Frage an: Liegen der Bundesregierung denn Erkenntnisse darüber vor, ob derzeit bei den Bundesbehörden die Quellen-TKÜ angewandt wird? Oder wird die Quellen-TKÜ nicht angewandt, solange eine Software entwickelt wird?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich habe jedenfalls die sichere Erkenntnis, dass in Bayern, wo sich ein Fall ereignet hat, der die Debatte darüber überhaupt erst ausgelöst hat, und wo durch das Landgericht Landshut festgestellt werden musste, dass die sogenannten Screenshots nicht zulässig sind, die Staatsregierung entschieden hat, diese Software nicht mehr einzusetzen. Ich habe jetzt keinen schriftlichen Beleg dazu, ob das im Bereich der Bundesregierung auch so ist. Ich würde vorschlagen, dass ich diesen Teil der Antwort schriftlich nachtrage, bevor ich hier etwas Unrichtiges sage. Dann haben Sie eine zuverlässigere Information, als wenn ich jetzt aus der Lamäng eine Antwort geben würde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das halten wir so fest. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Marianne Schieder auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Regelung des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes, welche die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material in engen Grenzen für Unterricht und Forschung, zum Beispiel im Intranet der Universität, erlaubt und zum 31. Dezember 2012 ausläuft, zu verlängern bzw. zu entfristen, und, wenn nein, warum nicht? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Beim § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geht es bekanntlich darum, dass für Unterricht und Forschung urheberrechtlich geschütztes Material in engen Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden kann. Diese Regelung ist noch unter Regierungsverantwortung der SPD eingeführt worden, jedoch befristet, weil man die praktischen Auswirkungen sehen wollte. Es gab dann erneute Befristungen. Nun läuft die Frist zum 31. Dezember 2012 aus, sodass zu entscheiden ist, wie man weiter vorgeht. Zur Vorbereitung dieser Entscheidung hat das Bundesministerium der Justiz eine Evaluierung des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes vorgenommen. Diese Evaluierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Das Bundesministerium der Justiz wird den entsprechenden Bericht demnächst dem Deutschen Bundestag zuleiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bis zum 31. Dezember ist nicht mehr viel Zeit. Können Sie denn wenigstens in groben Zügen sagen, wie das Ergebnis dieser Evaluierung aussieht?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich kann nur sagen, dass das Bundesministerium der Justiz anstrebt, dass es bei der Regelung des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes bleibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zweite Nachfrage.

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In welcher Form, Herr Staatssekretär? Streben Sie das an, indem Sie die Frist wieder verlängern oder indem Sie das Ganze entfristen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Diese beiden Möglichkeiten stehen zur Debatte. Darüber ist eine Entscheidung noch nicht getroffen. Insbesondere gibt es auch noch keine abgestimmte Haltung der Bundesregierung, weil, wie gesagt, der Evaluierungsbericht gerade erst ausgewertet wird. Aber bei den von Ihnen zu Recht genannten zeitlichen Vorgaben ist klar, dass Sie in allernächster Zeit mit einem Entwurf rechnen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Brigitte Zypries: Wann wird die Bundesregierung, der Ankündigung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP folgend, den Dritten Korb zur Reform des Urheberrechts vorlegen, und welche konkreten Regelungen werden darin enthalten sein? Bitte.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, würde ich gern die Fragen 8 und 9 von Frau Kollegin Zypries im Zusammenhang beantworten. Darin geht es um den sogenannten Dritten Korb zum Urheberrecht und um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kollegin Brigitte Zypries auf: Wie wird das vom Koalitionsausschuss am 4. März 2012 beschlossene Leistungsschutzrecht für Presseverlage genau ausgestaltet sein? Damit gibt es die Möglichkeit, vier Nachfragen zu stellen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das innerhalb der Bundesregierung für das Urheberrecht zuständige Bundesministerium der Justiz wird noch vor der Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage vorlegen. Mit einem solchen Leistungsschutzrecht soll den Presseverlegern das ausschließliche Recht eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Urheber sind angemessen an der Vergütung zu beteiligen. Darüber hinaus erarbeitet das Bundesministerium der Justiz derzeit Eckpunkte für ein weiteres Gesetz mit Änderungen im Urheberrecht. Diese Eckpunkte werden verschiedene Bereiche umfassen, beispielsweise Regelungen zur Nutzung sogenannter verwaister Werke. Die Arbeiten hieran sind jedoch noch nicht abgeschlossen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie hatten ja vor einigen Wochen im Unterausschuss Neue Medien gesagt, dass das Justizministerium prüfe, in welcher Form der Beschluss des Koalitionsausschusses zum Leistungsschutzrecht tatsächlich umgesetzt werden könne. Jetzt entnehme ich Ihren Worten, dass es dabei bleiben soll, dass Herausgeber von Zeitungen das ausschließliche Recht haben, ihr Presseerzeugnis ganz oder in Teilen zu gewerblichen Zwecken online öffentlich zugänglich zu machen. Das heißt, die streitige Frage der Snippets wäre damit entschieden: Es bleibt nach wie vor Sache der Verlage, ob sie sie zugänglich machen wollen oder nicht. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich habe Ihnen das Grundprinzip des geplanten Leistungsschutzrechts dargestellt. Zu dem Zeitpunkt, als ich in Ihrem Ausschuss vortragen durfte, war noch fraglich, wie der Beschluss des Koalitionsausschusses umgesetzt wird. Wir machen jetzt den Vorschlag, dass ein Leistungsschutzrecht eingeführt wird. Das heißt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen, ist dann das ausschließliche Recht der Presseverlage - also nicht mehr ein von den Urhebern abgeleitetes Recht -, mit den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, etwa bei Verstößen Unterlassungsklage zu erheben oder mit anderen Nutzern Gebührenvereinbarungen zu treffen. Über die genaue Abgrenzung muss man dann im Gesetzgebungsverfahren reden. Klar ist beispielsweise, dass das Recht, zu zitieren, weiterhin besteht, so wie es dem jetzigen Urheberrecht entspricht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Bezug auf Zitate ist das richtig. Ich muss aber noch einmal auf die Snippets zurückkommen. Die Sonderregelung, dass man Ausschnitte aus Werken bei Google findet, ist eigentlich der wesentliche Kern des Streits. Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie Sie dieses Problem lösen wollen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das Problem wird in der Weise gelöst, dass eine bloße Verlinkung selbstverständlich nicht das Leistungsschutzrecht tangiert. Wenn hingegen ein News-Aggregator auch nur kleine Teile eines Presseerzeugnisses ins Netz stellt, wäre das von dem neuen Leistungsschutzrecht erfasst, mit der gerade schon genannten Folge, dass entweder das Unterlassen begehrt werden kann oder aber, was wir als wahrscheinlicher ansehen, die Beteiligten sich über eine finanzielle Vergütung einigen. Wichtig ist, dass die private Nutzung vom Leistungsschutzrecht nicht berührt wird; das sage ich noch einmal, damit kein Missverständnis bezüglich dessen Reichweite entsteht. Das Leistungsschutzrecht bezieht sich auf einen eng begrenzten Bereich und soll für diesen ähnliche Regelungen schaffen, wie es sie für Rechteverwerter in anderen Bereichen schon gibt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gehe ich recht in der Annahme, Herr Staatssekretär, dass Sie nicht mit Filtersoftware kontrollieren wollen, ob jemand Google News gewerblich oder privat nutzt? Wie aber wollen Sie das kontrollieren?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Die Frageform „Gehe ich recht in der Annahme“ geht ja auf die berühmte Sendung Was bin ich? mit Robert Lembke zurück. ({0}) Dort war es ja so, dass ein Nein zum Ende der Fragezeit und damit des Fragerechts geführt hat. Diese Gefahr besteht bei Ihnen nicht, weil Sie noch die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage haben. Ich kann Ihre Frage aber kurz und bündig mit Ja beantworten. Es soll also keine Überwachungssoftware eingesetzt werden. Ob eine private oder gewerbliche Nutzung vorliegt, hängt natürlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Aber die grundsätzliche Trennlinie wird im Gesetz klar enthalten sein. Sicherlich wird es in der Praxis Einzelfälle geben, in denen geklärt werden muss, ob eine Nutzung noch privat oder schon gewerblich ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre vierte Frage.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wie man das feststellen will. Es stellt sich doch die Frage: Ist es privat oder gewerblich, wenn ich an meinem PC sitze und google und Zeitungsausschnitte für meine Arbeit als Abgeordnete suche?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Noch einmal: Es ist nicht die Sache des Staates, Sie zu überwachen. ({0}) Das werden Sie von einem liberal geführten Bundesjustizministerium zu Recht nicht erwarten. Zeitungsverleger erhalten vielmehr das Recht, ein Leistungsschutzrecht geltend zu machen. Wenn Sie der Meinung sind, dass ein Nutzer dieses Recht verletzt, dann muss man sich darüber auseinandersetzen, ob eine private Nutzung vorliegt. Da Sie als Abgeordnete nicht gewerblich tätig sind, kann ich Sie beruhigen: Der Fall wird hiervon nicht erfasst. Ich habe dabei nicht berücksichtigt, dass Sie natürlich auch eine Nebentätigkeit gewerblicher Art ausüben könnten und dann in den gewerblichen Bereich kämen. Das haben Sie aber, glaube ich, nicht gemeint.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Andrea Wicklein. - Ich sehe, dass der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter nicht anwesend ist. Kann mir die Bundesregierung Auskunft erteilen, ob Herr Kampeter auf dem Weg ist? - Ich schlage vor, wir stellen die Fragen 10 und 11 einen Moment zurück, bis ich Informationen bekommen habe. Die Frage 12 des Kollegen Dr. Axel Troost, die Frage 13 des Kollegen Richard Pitterle, die Fragen 14 und 15 der Kollegin Dr. Barbara Höll, die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Frage 18 des Kollegen Andrej Hunko, die Frage 19 des Kollegen HansChristian Ströbele sowie die Fragen 20 und 21 der Kollegin Priska Hinz werden schriftlich beantwortet. Bis mir weitere Informationen vorliegen, rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur Verfügung. Die Frage 22 des Kollegen Dr. Ilja Seifert und die Frage 23 des Kollegen Anton Schaaf werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Sabine Zimmermann auf: Wie wurde das Programm „Initiative zur Flankierung des Strukturwandels“ bisher genutzt - bitte Mittelabfluss, Teilnehmerzahlen nach Maßnahmenart sowie durchschnittliche jährliche Ausgaben je Teilnehmer, Eingliederungsquote nennen -, und wie stellt sich die Mittelbindung durch Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 2012 und die Folgejahre dar? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, die Ausgaben für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels, IFlaS, der Bundesagentur für Arbeit beliefen sich im Haushaltsjahr 2010 auf 126 Millionen Euro und im Haushaltsjahr 2011 auf 244 Millionen Euro. Im Jahr 2011 wurden rund 22 000 Eintritte in IFlaS-Maßnahmen gefördert, davon rund 13 000 mit dem Ziel Berufsabschluss, rund 1 500 Vorbereitungslehrgänge für die Externenprüfung und rund 7 300 sonstige berufliche Weiterbildungen, wie zum Beispiel Teilqualifikationen. Bis Ende März 2012 sind rund 5 000 Eintritte in IFlaS-Maßnahmen erfolgt, davon rund 2 500 berufliche Weiterbildungen mit Abschluss, rund 280 Vorbereitungslehrgänge für die Externenprüfung und rund 2 100 sonstige berufliche Weiterbildungen. Die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben je Teilnehmer lagen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in der beruflichen Weiterbildung bei rund 7 700 Euro im Jahr 2011. Durchschnittszahlen für das angesprochene Programm liegen nicht vor. Angaben zur Eingliederungsquote der Teilnehmer an IFlaS-Maßnahmen liegen ebenfalls nicht vor. Für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels stehen mit 400 Millionen Euro im Jahr 2012 innerhalb des Eingliederungstitels der Bundesagentur für Arbeit mehr Mittel zur Verfügung als im Jahr 2011; da waren es 350 Millionen Euro. Von den 400 Millionen Euro wurden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bis Mai dieses Jahres rund 114 Millionen ausgegeben. Für das Jahr 2013 sind Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 300 Millionen Euro vorgesehen. Das Programm ist also finanziell mehr als ausreichend ausgestattet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Es war die Rede davon, dass die Schlecker-Beschäftigten zu Erzieherinnen umgeschult werden sollen und auch andere Bereiche in Betracht kommen. Können Sie sicherstellen, dass die Maßnahmen im Rahmen des IFlaS-Programms zu einem qualifizierten Abschluss führen, das heißt, dass die Kolleginnen und Kollegen hier nicht nur mit einfachen Lehrgängen abgespeist werden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, im Rahmen von IFlaS wird niemand „abgespeist“. Die Bundesregierung kann natürlich keine erfolgreichen Abschlüsse von Weiterbildungsmaßnahmen garantieren. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass das Programm für diejenigen vorgesehen ist, die über keinen Berufsabschluss verfügen. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen trifft das für rund 35,4 Prozent der Schlecker-Beschäftigten zu. Es handelt sich um ein Angebot im Rahmen dieses Programms, um diejenigen, die bisher über keinen Abschluss verfügen, entsprechend auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Darüber hinaus gibt es ein Angebot für diejenigen - wobei wir den Bedarf nicht quantifizieren können -, die länger als vier Jahre nicht mehr in ihrem erlernten Beruf tätig waren. Auch diese Beschäftigten werden über IFlaS gefördert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage bitte.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sprachen von den Ausbildungsmöglichkeiten zur Erzieherin oder zur Altenpflegerin. In dem Zusammenhang lautete meine Frage ganz konkret, ob es sich um Ausbildungen mit einem anerkannten Abschluss handeln soll. Immerhin geht die Ausbildung zur Altenpflegerin und auch zur Erzieherin über drei Jahre. Darüber hinaus würde mich noch etwas anderes interessieren. Viele Frauen haben gesagt, dass sie aus dem Bereich des Einzelhandels heraus möchten und lieber einen anderen Beruf erlernen wollen. Warum hat man sich gerade für die Ausbildungsgänge zur Erzieherin bzw. zur Altenpflegerin entschieden? Es gibt viele Frauen, die gerne in den Metallbereich wechseln würden. Das habe ich auf vielen Betriebsversammlungen gehört. Frauen haben sich eindeutig dahin gehend artikuliert, dass sie etwas anderes machen möchten, aber ganz gezielt in den Metallbereich wollen. Hier gibt es ebenfalls einen großen Bedarf an Arbeitskräften.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich habe bei der Beantwortung der Frage 24 nicht über Erzieherinnen gesprochen, und Sie haben auch nicht danach gefragt. Ich will aber im Rahmen dieser Zusatzfrage gerne den Hinweis geben, dass wir nach den Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung im ersten Quartal dieses Jahres bundesweit von rund 966 000 offenen Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt ausgehen. Es geht darum, Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten, für diese vielen offenen Stellen zu qualifizieren, die es eben unter anderem im Erziehungsbereich gibt. Niemand wird in einen solchen Weg gezwungen. Denjenigen jedoch, die geneigt sind, sich in diesem Bereich weiterzuqualifizieren, umzuschulen und die dafür auch geeignet sind, steht dieser Weg grundsätzlich zur Verfügung. Wir stellen sehr viel öffentliches Geld bereit - das habe ich Ihnen skizziert -, um Menschen in solche Bereiche umzuschulen, wenn sie es denn wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 25 der Kollegin Sabine Zimmermann: Inwiefern erfüllen die Schlecker-Beschäftigten in der Regel die Voraussetzungen der Initiative zur Flankierung des Strukturwandels, und wie haben sich die Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im Dritten Buch Sozialgesetzbuch, SGB III, gegenüber dem Vorjahr entwickelt, nach Teilnehmerzahlen und Ausgaben absolut wie relativ?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Frage sprechen Sie das Programm in Bezug auf die Schlecker-Beschäftigten an. Ich antworte Ihnen wie folgt, wobei ich mich zum Teil wiederhole: Ziel der Initiative zur Flankierung des Strukturwandels - IFlaS - der Bundesagentur für Arbeit ist es unter anderem, durch berufliche Weiterbildungsförderung Arbeitslosen bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohten Geringqualifizierten den Erwerb anerkannter Berufsabschlüsse bzw. Teilqualifikationen zu ermöglichen. Von den insgesamt seit Beginn der Schlecker-Insolvenz arbeitsuchend oder arbeitslos gemeldeten Schlecker-Beschäftigten haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 35,4 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung und erfüllen damit grundsätzlich die Fördervoraussetzungen für IFlaS. Hinzu kommen diejenigen Beschäftigten bei Schlecker, die zwar über einen Berufsabschluss verfügen, aber mehr als vier Jahre in an- oder ungelernter Tätigkeit gearbeitet haben. Zu diesem ebenfalls grundsätzlich förderberechtigten Personenkreis liegen keine Zahlenangaben vor. Nach den statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit sind bis Ende Mai dieses Jahres im Rechtskreis des SGB III rund 50 000 Personen in eine geförderte berufliche Weiterbildung eingetreten. Das sind rund 25 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Gemäß den statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit wurden von Januar bis Mai 2012 rund 680 Millionen Euro für die Förderung der beruflichen Weiterbildung im Rechtskreis des SGB III verausgabt. Das sind rund 17 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In diesem Vorjahreszeitraum, von Januar bis Mai 2011, betrugen die entsprechenden Ausgaben rund 820 Millionen Euro.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Insgesamt kann man feststellen, dass wir gegenüber dem letzten Jahr bei den Maßnahmen zur beruflichen Umschulung einen Rückgang von 30 Prozent haben. Da stellt sich mir schon die Frage, ob es angesichts des Sparkurses der Bundesregierung, der dazu geführt hat, dass es bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zu enormen Einsparungen kommt, im Moment überhaupt richtig möglich ist, eine Vollzeitumschulung anzubieten. Sind Sie der Meinung, dass es möglich ist, diese Um21808 schulung über die einzelnen Programme für mehrere Tausend Euro zu finanzieren? Stellt sich nicht auch Ihnen die Frage, woher das ganze Geld kommen soll?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, der aktuelle Rückgang der Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung trägt insbesondere der deutlich verbesserten Arbeitsmarktlage und dem Auslaufen krisenbedingter Sonderregelungen Rechnung. Das heißt, der Umstand, dass wir eine Rekordbeschäftigung haben, dass die Arbeitslosigkeit so niedrig ist wie seit rund zwei Jahrzehnten nicht mehr, schlägt sich natürlich auch darin nieder, dass weniger Menschen solche Maßnahmen brauchen. Für diejenigen, die sie brauchen, steht in ausreichendem Maße Geld zur Verfügung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben uns heute die Zahlen genannt, nach denen wir im Einzelhandelsbereich 27 000 offene Stellen und rund 300 000 arbeitslose Menschen haben. Da ist die Marktlage aus meiner Sicht eigentlich relativ schwierig: Das Verhältnis zwischen offenen Stellen und arbeitslosen Menschen liegt ungefähr bei 1 : 10 oder 1 : 12. Da stellt sich mir schon die Frage: Haben die Kolleginnen und Kollegen, die schon von der ersten Entlassungswelle betroffen waren, dieselbe Chance, zum Beispiel in das IFlaS-Programm zu kommen? Kann man angesichts der zweiten Entlassungswelle, die jetzt ansteht, und der sogenannten dritten Entlassungswelle, die bei Ihr Platz losgetreten werden soll, davon ausgehen, dass alle Beschäftigten die gleichen Chancen haben?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, das IFlaS-Programm ist an die Kriterien gebunden, die ich Ihnen genannt habe: Da geht es um Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, oder um Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, die seit mehr als vier Jahren nicht mehr im Beruf tätig gewesen sind. Auf sie ist das Programm IFlaS zugeschnitten, für das im nächsten Jahr 300 Millionen Euro vorgesehen sind. Ich habe Ihnen heute Morgen in der Ausschusssitzung berichtet, dass davon bisher weniger als 1 Million Euro - 1 von 300 Millionen Euro - für andere Zwecke gebunden sind. Ich wiederhole deswegen gerne so oft, wie Sie danach fragen, dass hier für die verschiedenen Gruppen in den verschiedenen Programmen ausreichend Mittel zur Verfügung stehen. Die 27 000 Stellen, die ich Ihnen heute Morgen genannt habe, sind die bei der BA bekannten offenen Stellen im Einzelhandel. Ich kann Ihnen die Zahl der offenen Stellen nennen, die im Mai bundesweit bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren: 499 217. Geschätzt wird, dass es, wie gesagt, im ungeförderten ersten Arbeitsmarkt ungefähr doppelt so viele offene Stellen gibt, das heißt rund 1 Million Stellen im ersten Arbeitsmarkt, die auch den rund 30 000 Menschen zur Verfügung stehen, die bedauerlicherweise von der Schlecker-Pleite betroffen sind. Deswegen haben wir dieses umfangreiche arbeitsmarktpolitische Instrumentarium: um eine Zahl von Menschen bundesweit für die vorhandenen Arbeitsplätze zu qualifizieren, um sie dafür fit zu machen, in dem Umfang, der jeweils notwendig ist. IFlaS ist da eine Maßnahme unter sehr vielen, für ganz bestimmte Personengruppen. Für sie steht genauso in ausreichendem Maße Geld zur Verfügung wie für andere.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Die Fragen 26 und 27 der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beantwortet. Bevor wir fortfahren, halten wir für das Protokoll fest, dass die Fragen 10 und 11 der Kollegin Andrea Wicklein zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Jutta Krellmann auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, für die Schlecker-Beschäftigten einen Sozialfonds bei der Bundesagentur für Arbeit einzurichten, um Zeit dafür zu gewinnen, vielleicht doch Investoren für einzelne Teile von Schlecker zu finden, vor dem Hintergrund, dass bei Schlecker wegen der Rechtsform des Einzelkaufmanns und der damit verbundenen fehlenden umfassenden Bilanzierungspflicht das Insolvenzgeld nicht zweckgerecht zur Überbrückung der Zeit der Investorensuche genutzt werden konnte, und prüft die Bundesregierung unabhängig davon die Bildung einer Transfergesellschaft für die von der zweiten Kündigungswelle betroffenen Schlecker-Beschäftigten? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Die Bundesregierung kann bei der Bundesagentur für Arbeit keinen Sozialfonds einrichten; hierzu fehlt es unter anderem an den maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Unabhängig davon ist ein solcher Sozialfonds auch nicht erforderlich. Nachdem der Gläubigerausschuss am 1. Juni 2012 die Liquidation der Firma Anton Schlecker e. K. beschlossen hat, hat Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen am 7. Juni 2012 ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Herrn Frank Bsirske, und dem Vorsitzenden des Vorstands der BA, Herrn Frank-Jürgen Weise, geführt. Ergebnis des Gesprächs ist, dass die BA die Beschäftigten von Schlecker mit dem gesamten zur Verfügung stehenden Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützen wird. Dies ist ihr Kerngeschäft, wie ich ausdrücklich betonen möchte. Für die Betroffenen kommen beispielsweise die Erprobung bei einem neuen Arbeitgeber mit dem Ziel des Übergangs in ein neues Arbeitsverhältnis, die Unterstützung und Qualifizierung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, etwa in Form von Bewerbungstraining und Coaching, sowie Anpassungsqualifizierungen in Betracht. Die BA kann im Rahmen der schon genannten Initiative zur Flankierung des Strukturwandels zudem Umschulungen zum Erwerb eines neuen Berufsabschlusses fördern, falls im erlernten Beruf keine Vermittlungschancen mehr bestehen. Für sämtliche Maßnahmen stehen im Haushalt der BA finanzielle Mittel in ausreichendem Umfang bereit. Die Voraussetzungen für die Prüfung der Einrichtung einer Transfergesellschaft für die jetzt von Kündigung bedrohten Schlecker-Beschäftigten liegen derzeit nicht vor. Bereits im Rahmen der Kündigung von rund 11 000 Schlecker-Beschäftigten im März dieses Jahres hat die Bundesregierung angeboten, technische Hilfestellung durch die Anweisung eines KfW-Kredits zu leisten. Voraussetzung dafür wäre allerdings gewesen, dass die Länder die Bürgschaft für den KfW-Kredit übernommen hätten; denn zum Umgang mit Finanzierungsanfragen von Unternehmen in Schwierigkeiten gibt es klare Absprachen und eine in der Vergangenheit regelmäßig geübte Praxis zwischen Bund und Ländern. Danach ist das Land, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, Ansprechpartner in Finanzierungsfragen und Koordinator zwischen den betroffenen Ländern. Hilfe durch den Bund kommt hingegen nur dann in Betracht, wenn die Bundesländer finanziell überfordert sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Sie haben eben die Gewerkschaft Verdi genannt. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass nach Angaben der Gewerkschaft Verdi viele SchleckerFrauen nach der ersten Kündigungswelle lediglich in unbezahlte Praktika oder Urlaubsvertretungen vermittelt wurden?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, die entsprechenden Hinweise des Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Herrn Bsirske, sind der Bundesregierung bekannt. Ich kann die einzelnen Fälle so nicht nachvollziehen. Ich habe eben das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium beschrieben. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir haben in 172 Arbeitsagenturen mit 600 Geschäftsstellen bundesweit hochqualifizierte und hochmotivierte Menschen, die sich darum bemühen, die von Arbeitslosigkeit betroffenen bzw. bedrohten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schlecker mit dem dafür vorgesehenen Instrumentarium wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage passt sehr gut zu dem, was Sie eben gesagt haben. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg, Eva Strobl, wies darauf hin, dass die guten Verdienstmöglichkeiten bei Schlecker ein Vermittlungshemmnis darstellen; denn Schlecker hat seinen Verkäuferinnen zwischen 10 und 14 Euro pro Stunde gezahlt, viele andere Unternehmen zahlen lediglich 9 bis 10 Euro. Die Frage ist: Wie ist die Position der Bundesregierung zu diesem Vermittlungshemmnis?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Die Bundesregierung betrachtet eine bestimmte Lohnhöhe nicht als Vermittlungshemmnis. Die Bundesregierung stellt finanziell und instrumentell ausreichend Mittel zur Verfügung, damit jedem Arbeitslosen und jedem von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen - die alle ein unterschiedliches Schicksal, verschiedene Qualifikationen und bestimmte Vorzüge und Defizite haben individuell geholfen werden kann, wieder in Arbeit zu kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Jutta Krellmann auf: Inwiefern kann der EU-Globalisierungsfonds zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten genutzt werden, und welche Initiativen plant die Bundesregierung zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten über die angekündigten obligatorischen Aktivitäten der Bundesagentur für Arbeit hinaus? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. - Der Europäische Globalisierungsfonds, EGF, kann zur Unterstützung der Schlecker-Beschäftigten leider nicht eingesetzt werden. Der EGF wurde im Jahr 2007 eingerichtet, um Entlassungen, die auf Verschiebungen im Welthandelsgefüge zulasten der EU beruhen, sozial abzufedern und dadurch die Solidarität der EU mit den betroffenen Personen sichtbar zu machen. Voraussetzung für einen Finanzbeitrag des EGF ist, dass die Entlassungen im Zusammenhang stehen mit weitgehenden strukturellen Veränderungen im Welthandelsgefüge, die zu einer schwerwiegenden Störung des Wirtschaftsgeschehens führen, insbesondere zu einem substanziellen Anstieg der Importe in die EU, zu einem raschen Rückgang des Marktanteils der EU in einem bestimmten Sektor und/oder zu einer Standortverlagerung in Drittländer außerhalb der EU. Die Entlassungen müssen darüber hinaus unvorhersehbar gewesen sein. Reiner Strukturwandel soll und kann mit dem EGF nicht gefördert werden. Bei einer EGF-Antragstellung ist gegenüber der EU-Kommission die Erfüllung dieser Interventionsvoraussetzungen anhand von statistischem Daten- und Informationsmaterial zu belegen. Die Anton Schlecker e. K. ist im Einzelhandel tätig. Der Einzelhandel besitzt keine derart global einflussreiche Stellung, aufgrund derer die Schlecker-Entlassungen auf die internationale Konkurrenzsituation zurückgeführt werden könnten. Damit kommt ein Einsatz des EGF anders als beispielsweise bei den deutschen EGF-Fällen BenQ, Nokia, in der Automobilzuliefer21810 industrie oder bei der Heidelberger Druckmaschinen AG nicht infrage. Im Übrigen steht sowohl im Bereich der aktiven Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch als auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ein flexibler Instrumentenkasten zur Verfügung, um die Schlecker-Beschäftigten zu unterstützen. Die mit der Frage zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die sogenannten obligatorischen Instrumente seien unzureichend, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Grunde bringen die Fragen ja zum Ausdruck, dass wir und viele andere sehr bemüht sind, die Beschäftigung der betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu sichern und zu schützen, auch für die Zukunft. Wir wollen Wege finden, um das zu ermöglichen. Daraus ergibt sich meine Frage: Im Zusammenhang mit der Insolvenz von Schlecker wurde die Idee formuliert, Unternehmensteile herauszulösen und dafür andere Unternehmensformen zu finden. Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, den Betrieb als Genossenschaft weiterzuführen. Welche Position hat die Bundesregierung dazu?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Die Bundesregierung hat keine Kompetenz, solche Entscheidungen zu treffen. Die Bundesregierung konzentriert sich gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit darauf, die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen mit den bereits skizzierten bzw. im Detail diskutierten Instrumenten wieder in Beschäftigung zu bringen. Ich will an dieser Stelle wiederholen, was Ihnen aus der Ausschusssitzung bekannt ist: Von denjenigen, die im Rahmen der sogenannten ersten Welle entlassen worden sind und sich an die Bundesagentur für Arbeit gewandt haben, ist mehr als die Hälfte wieder aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. Sie sind beispielsweise in Beschäftigung gekommen oder in eine Maßnahme vermittelt worden. Bisher konnte also mehr als der Hälfte der in diesem Zusammenhang arbeitslos gewordenen Menschen geholfen werden. Das heißt, wir haben nicht nur das Geld auf dem Konto und die Instrumente auf dem Papier, sondern wir helfen auch erfolgreich, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich fürchte, Sie haben meine Frage nicht verstanden oder ich habe sie nicht gut genug formuliert. Sie haben sich auf den Lösungsvorschlag bezogen. Ich habe aber nach Hilfestellungen gefragt. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Hilfestellungen zu geben, damit die Idee, eine Genossenschaft zu gründen, realisiert werden kann?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, die Bundesregierung und die Bundesagentur für Arbeit und alle anderen damit befassten Stellen leisten selbstverständlich Hilfe auf Basis der Rechtslage, die wir in Deutschland haben. Die Rechtslage bilden im Wesentlichen die einschlägigen Gesetze und die darin benannten arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Den von Ihnen genannten Vorschlag kann die Bundesregierung nicht beurteilen, jedenfalls nicht so spontan.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung. Die Fragen 30 und 31 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Harald Ebner auf: Mit welcher Begründung und aufgrund welcher Annahmen bzw. Risikoabwägungen insbesondere bezüglich einer möglichen Weiterverbreitung der gentechnisch veränderten Bakterien bzw. Übertragung der Erregergene auf andere Bakterien durch horizontalen Gentransfer hat die Bundesregierung dem Freisetzungsversuch mit einem gentechnisch veränderten Lebendimpfstoff gegen den Erreger Rhodococcus equi in Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt, der eine nur seltene Form der Lungenentzündung bei Pferdefohlen auslösen kann? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr verehrter Herr Kollege Ebner, zuständig für die Entscheidung über den Antrag der niederländischen Firma Intervet International auf Genehmigung der Freisetzung des gentechnisch veränderten Bakterienstammes Rhodococcus equi RG 2837 ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, kurz BVL. Bei dem Bakterienstamm handelt es sich um einen bakteriellen Lebendimpfstoff, der im Rahmen eines Freisetzungsversuches Pferdefohlen verabreicht werden soll, um diese aktiv gegen pathogene Rhodococcus-equiStämme, die bei Fohlen Lungenentzündung auslösen können, zu immunisieren. Das BVL kommt in seiner Sicherheitsbewertung zu dem Schluss, dass von den Freisetzungsversuchen keine gentechnisch-spezifischen schädlichen Einflüsse auf Menschen und Tiere sowie auf die Umwelt zu erwarten sind. Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keine Veranlassung, die Einschätzung und Entscheidung des BVL über die Genehmigung der Freisetzung im Wege der Fachaufsicht zu beanstanden. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Im Jahr 2011 hat die Firma Intervet bereits einen Freisetzungsversuch mit dem Impfstamm in den Niederlanden durchgeführt. Im Rahmen dieses Versuches wurden keine impfstoffspezifischen Besonderheiten festgestellt. Vorsorglich hat das BVL strenge Auflagen angeordnet, um die Freisetzung zu begrenzen und damit zu verhindern, dass sich größere Mengen der gentechnisch veränderten Bakterien außerhalb des Stallgebäudes in der Umwelt etablieren. Die Markteinführung eines wirksamen Impfstoffes würde dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu vermindern und somit auch der Entstehung von Antibiotikaresistenzen, in diesem Fall bei Pferden, vorzubeugen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Was den Versuch in den Niederlanden angeht, war ich etwas anders informiert. Meines Wissens wurde dieser Versuch abgebrochen. Ich möchte aber nachfragen, woraus sich denn der konkrete Bedarf für solche Experimente ergibt. Schließlich sind Freisetzungsversuche immer mit Risiken verbunden, weil wir nicht wirklich in die Zukunft gucken können. Das zeigen auch die Sicherheitsauflagen, die das BVL hier vorsieht. Woraus ergibt sich also der konkrete Bedarf vor dem Hintergrund, dass eine Mehrheit der Tiermediziner der Meinung ist, dass RhodococcusInfektionen bei Fohlen im Zusammenhang mit nicht artgerechter oder zu groß dimensionierter Pferdehaltung auftreten und dass sich in zahlreichen Studien eine Impfung gegen diesen Erreger als wirkungslos erwiesen hat?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, der Bedarf ist von mir bereits geschildert worden. Wenn man damit Krankheiten bei Tieren durch Impfung vermeiden kann, ist das sicher schon eine Rechtfertigung an sich. Ansonsten werden die Versuche ja erst durchgeführt. Erst danach wird die Entscheidung zu treffen sein, ob eine Zulassung ausgesprochen werden kann oder nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann muss ich noch nachfragen, inwieweit denn die Bundesregierung die Risiken der geplanten Freisetzung des Lebendimpfstoffs vor dem Hintergrund für verantwortbar hält, dass die Annahme der Sicherheit dieses Impfstoffs für andere Säugetiere und Hühner allein auf Zellkulturversuchen beruht, dass eine Überwachung des Umweltverhaltens des gentechnisch veränderten Erregers gar nicht geplant ist - bislang liegen meines Wissens auch keinerlei Erfahrungen mit solchen Fällen oder etwa ein Monitoring vor - und dass die möglichen Gefahren für Menschen weder gezielt untersucht wurden noch in Zukunft solche Untersuchungen vor Beginn eines Versuchs überhaupt geplant sind.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, aus genau diesem Grund hat das BVL besondere Auflagen erlassen, die bei der Durchführung dieser Versuche zu beachten sind. Ich werde Ihnen diese kurz vortragen: Die Pferde sind für die Dauer des Freisetzungsversuches ausschließlich in einem Stallgebäude zu halten, welches an drei Seiten mit festen Wänden und an der vierten Seite mit einem Gatter zu versehen ist. Solange am Versuch teilnehmende Pferde am Ort der Freisetzung gehalten werden, sind die Stallgebäude und deren unmittelbare Umgebung täglich zu kontrollieren; Stroh, Einstreu und Mist aus dem Stall sind zu verbrennen. Nachdem alle Studienpferde den Freisetzungsstandort verlassen haben, werden einmal im Jahr der Stall und die gesamte Bodenfläche in und vor dem Stall sowie sämtliche verwendete Gerätschaften mit einem geeigneten Desinfektionsmittel desinfiziert. Die Pferde sollen frühestens sechs Wochen nach der letzten Impfung auf das Hauptgestüt zurückgebracht werden. Es dürfen nur Tiere, die den gentechnisch veränderten Impfstamm nachweislich nicht ausscheiden, zum Hauptgestüt transportiert werden. Das sind die Auflagen, die das BVL zusätzlich erlassen hat, um auch diese Bedenken auszuräumen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 33 des Kollegen Ebner: Wie bewertet die Bundesregierung das Schreiben zahlreicher Abgeordneter aller Fraktionen des Europäischen Parlaments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf neuer Richtlinien für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen, GVO, in der EU, das auch an die Vertreter der Bundesregierung bei der EU und im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, gerichtet war und in dem grundsätzliche Bedenken gegen das Konzept der „vergleichenden Risikobewertung“ und gegen unzureichende Fütterungsversuche mit GVO geäußert werden, und warum hat die Bundesregierung dieses Schreiben bis heute nicht beantwortet? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, der Bundesregierung ist das Schreiben von 16 Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf einer Kommissionsverordnung mit Durchführungsvorschriften für Anträge auf Zulassung von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln bekannt. Die Auffassung der Abgeordneten wird in die regierungsinterne Beratung zur Festlegung einer Position der Bundesregierung ein21812 bezogen. Bisher hat die Bundesregierung ihre Position zu dem Entwurf, der wiederholt geändert wurde, noch nicht abschließend festgelegt. Das habe ich hier schon mehrfach dargelegt. Die bisherigen Beratungen im StALuT haben deutlich gemacht, dass ein erhebliches Abweichen von den derzeitigen Leitlinien der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, schwierig ist, zumal sich die Kommission bei ihrem Entwurf an diesen Leitlinien orientiert. Bei den Beratungen über Art und Umfang von Fütterungsversuchen ist zudem zu berücksichtigen, dass auch Tierschutzaspekte eine Rolle spielen. Das geltende EURecht schreibt für Tierversuche die konsequente Umsetzung des 3-R-Prinzips - auf Deutsch: Vermeiden, Verringern und Verbessern - vor. Demnach sind Tierversuche, wo immer möglich, zu vermeiden. Ich denke, da stimmen wir überein. Das Schreiben der Abgeordneten ist an den Herrn Kommissar John Dalli sowie an die dänische Umweltministerin Frau Ida Auken und die dänische Landwirtschaftsministerin Frau Mette Gjerskov als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft gerichtet. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union und die Vertreter der Bundesregierung im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, haben dieses Schreiben nachrichtlich erhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - In den parlamentarischen Debatten über GVO betont die Bundesregierung immer wieder die Bedeutung wissenschaftsbasierter Bewertungen. Inwiefern wird sich die Bundesregierung auf europäischer und auf nationaler Ebene jetzt dafür einsetzen, dass wissenschaftlich längst überholte Konzepte, zum Beispiel die von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments angesprochene vergleichende Risikobewertung, oder gar wissenschaftlich unzulässige Verfahren, zum Beispiel Fütterungsversuche auf einer statistisch nicht sauber auswertbaren Basis, durch seriöse Risikobewertungen abgelöst werden, die zudem von Experten vorgenommen werden, die nicht durch direkte und indirekte Verflechtungen mit den Antragstellern einseitig vorbelastet sind?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr geehrter Kollege Ebner, die Bundesregierung stützt sich hier auf die dafür zuständigen Stellen, die dafür befugten Bewertungseinrichtungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Es stellt sich ja genau die Frage, inwieweit die zuständigen Stellen durch die Verflechtungen in ihrer Objektivität eingeschränkt sind. Es gibt einen Beschluss des EU-Umweltministerrates vom Dezember 2008, in dem sich die Umweltminister für verbesserte Standards und Vorgaben für das Zulassungsverfahren für GVO unter anderem unter umfassender Berücksichtigung von ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen - da sind wir auch wieder beim Impfstoff - aussprechen. Wird die Bundesregierung entsprechend dieses Beschlusses konkrete Initiativen auf EU-Ebene einbringen, und, wenn nein, warum nicht?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, die Bundesregierung hat noch keine abschließende Position zu den Vorschlägen der Kommission eingenommen. Dies wird erst dann geschehen, wenn ein entsprechender Vorschlag auf dem Tisch liegt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ökologische und sozioökonomische Auswirkungen im Rahmen einer wissenschaftlichen Bewertung betrachtet werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 34 der Kollegin Ulla Jelpke. Die Kollegin ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Dağdelen, die Frage 37 der Kollegin Keul und die Fragen 38 und 39 der Kollegin Agnes Brugger werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Omid Nouripour auf: In wie vielen Fällen ist es bei der Bundeswehr seit 2001 zu Suizidversuchen gekommen, bei denen im Vorfeld eine Malaria-Chemoprophylaxe mit dem Medikament Lariam - Mefloquin - erfolgte, und welche Schlüsse zieht das Bundesministerium der Verteidigung aus der Tatsache, dass unter anderem Professor August Stich von der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V., DTG, in einem Interview ({0}) erklärte, dass die Chemoprophylaxe für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan unter Rückgriff auf das Medikament Lariam - Mefloquin - nicht den Empfehlungen der DTG entspräche? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Nouripour, Ihre Frage kann ich wie folgt beantworten: Die Zahl der Suizidversuche in der Bundeswehr seit 2001, bei denen im Vorfeld eine solche Prophylaxe erfolgte, wurde beim Bundesministerium der Verteidigung nicht statistisch erfasst. Solch eine Statistik wird derzeit nicht geführt. Es liegen auch keine Berichte vor, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Fällen von Suizid bzw. zwischen Suizidversuchen deutscher Soldatinnen und Soldaten und einer Medikation mit Lariam belegen oder nach denen auch nur ein vager Verdacht in dieser Richtung im Raum steht. Eine valide Beantwortung Ihrer Frage würde es notwendig machen, im Rückblick und im Längsschnitt die Zahl aller in der Bundeswehr dokumentierten Suizidversuche daraufhin zu untersuchen, ob im Vorfeld einer Dienstreise oder eines Einsatzes eine Malariaprophylaxe erfolgt ist. Dies wäre methodisch und zeitlich sehr aufwendig. Eine valide Beantwortung Ihrer Frage vom 8. Juni 2012 kann daher nicht fristgerecht erfolgen. Die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich auf dem Balkan im Einsatz befanden, beträgt nach unserer Kenntnis gegenwärtig 13. Im Kosovo war eine saisonale Malaria-Chemoprophylaxe der eingesetzten Kräfte nicht erforderlich. Die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich auf dem Balkan im Einsatz befanden, ist bislang allerdings deutlich höher als die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich in Afghanistan und in Afrika im Einsatz befinden. Bei diesen Soldaten kam es in drei Fällen zu einer Selbsttötung.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für Ihre Antwort. - Ich glaube, zumindest einen Bericht kann ich Ihnen nach dieser Diskussion zur Verfügung stellen. Meine Frage hatte noch einen zweiten Teil. Er bezieht sich auf die Einschätzung von Professor August Stich von der DTG und die Einnahme von Lariam als Prophylaxe. Könnten Sie auch diesen Teil meiner Frage beantworten?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die in der Medienberichterstattung wiedergegebene Auffassung von Professor Stich, der Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit ist, als eine wissenschaftliche Einzelmeinung zu qualifizieren ist, diese jedoch nicht den Standpunkt der Gesellschaft zur Malaria-Chemoprophylaxe darstellt. Dessen haben wir uns beim Vorsitzenden der Gesellschaft versichert.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Nouripour, Sie haben noch eine Nachfrage.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Dann trage ich Ihnen einmal die offizielle Darstellung der Gesellschaft vor: Reisende mit Aktivitäten, die eine ungestörte Aufmerksamkeit, räumliche Orientierung und Feinmotorik erfordern, sollten möglichst kein Lariam einnehmen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Einschätzung der amerikanischen Partner und deren Umgang mit ihren Soldaten. Das gilt auch für die Niederlande und Norwegen, die ihre Praxis mittlerweile verändert haben und kein Lariam mehr als Prophylaxe verabreichen, was im Gegensatz zu Ihrem Bericht steht, der mir vorliegt. Es gibt einen Informationsbogen für die Soldatinnen und Soldaten, die diesen unterschreiben und damit bestätigen, dass sie die Risiken und Nebenwirkungen zur Kenntnis genommen haben. In diesem Informationsbogen fehlen aber just die psychischen Nebenwirkungen, von denen man in der Packungsbeilage lesen kann: langandauernde neuropsychische Störungen, Suizidalität, Stimmungsschwankungen, Panikattacken, Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Halluzinationen, usw. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Warum?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, gestatten Sie mir zunächst, dass ich ergänzend darauf verweise, dass Sie am 25. Mai 2012 im Verteidigungsausschuss eine schriftliche Anfrage an unser Haus gerichtet und einen Bericht hierzu angefordert haben. Ich will der guten Ordnung halber nur darauf hinweisen, dass der zwölfseitige Bericht zu Detailfragen, die Sie gestellt haben, gestern vom Kollegen Kossendey der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses zugeleitet worden ist. Ich weiß nicht, ob dieser heute bereits weitergeleitet werden konnte. Soweit ich weiß, war dies auch im Verteidigungsausschuss ein Thema auf der Tagesordnung. Es bleibt natürlich richtig - ich sage das nicht aus medizinischer, sondern aus allgemeiner Kenntnis heraus -, dass vor der Einnahme von Lariam, die Nebenwirkungen mit sich bringen kann, das Risiko gegen den Nutzen abgewogen werden muss. Jeder, der solch eine Prophylaxe mit Lariam schon einmal hinter sich gebracht hat - als Soldat oder Zivilperson -, kann möglicherweise von Übelkeit und anderen Dingen berichten. Die Einnahme darf natürlich nur sehr zurückhaltend und immer erst nach Abwägung der Notwendigkeit erfolgen. Deshalb ist bei kurzfristigen Aufenthalten solch eine Prophylaxe auch gar nicht mehr indiziert. Das heißt nicht unbedingt, dass daraus ein Suizidrisiko entsteht. Sie hatten ja nach dem Suizidrisiko gefragt. Die Amerikaner verwenden nur noch teilweise Lariam. Das hat sicherlich auch sehr mit der speziellen juristischen Situation dort zu tun. Dort ist berichtet worden, dass diese Untersuchungen, soweit wir das wissen, zu keiner wissenschaftlichen Erhärtung eines höheren Suizidrisikos geführt haben. Ganz im Gegenteil - ich muss hier vorsichtig sein -: In den Streitkräften der USA, die seit 2009 Lariam nicht mehr regelhaft als Prophylaxe verwenden, ist es nicht zu einer Abnahme, sondern bedauerlicherweise zu einem Anstieg der Zahl an Selbsttötungen gekommen. Ich will das nicht korrelieren, weil die Ursachen hierfür woanders liegen mögen, aber das mag darauf hinweisen, dass die Position, die Professor Stich hier vertritt, sicherlich betrachtet werden muss. Eine Evidenz ist bisher aber nicht vorhanden. Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Hinweisen natürlich trotzdem intensiv nachgehen werden, weil uns nichts ferner liegt, als die Soldaten einem zusätzlichen Risiko auszusetzen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung beendet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 41 des Kollegen Richard Pitterle wird schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 42 unserer Kollegin Elisabeth Scharfenberg: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der breiten und übereinstimmenden Kritik von Expertinnen und Experten und Verbänden an der vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossenen staatlichen Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung, etwa des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., GDV ({0}), wonach die geförderten Produkte im Extremfall so teuer werden könnten, dass „sich nur noch diejenigen versichern, bei denen ein hohes Risiko der Pflegebedürftigkeit“ vorliege, und es daher sehr zweifelhaft sei, ob „unter diesen Voraussetzungen überhaupt ein Markt mit geförderten Vorsorgeprodukten entstehen“ könne? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Ich antworte wie folgt: Die der von der Bundesregierung geplanten staatlichen Förderung der Pflegevorsorge entgegengebrachte Kritik ist keineswegs übereinstimmend, sondern in sich widersprüchlich. So wird der Bundesregierung in dem angeführten Artikel aus der tageszeitung einerseits vorgeworfen, sie betreibe Klientelpolitik zugunsten der Privatassekuranzen und ermögliche Menschen mit kleineren Einkommen keine Förderung. Andererseits wird Kritik aus der Versicherungswirtschaft an den gesetzlich vorgesehenen Fördervoraussetzungen zitiert. Letztere zielen ausdrücklich darauf, dass in Zukunft, anders als derzeit meist der Fall, auch Personen mit geringeren Einkommen und im mittleren oder höheren Alter eine Pflegezusatzversicherung abschließen können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es gibt aber auch massive Kritik aus der privaten Versicherungsindustrie. Danach habe sie unter anderem extreme Probleme mit dem Kontrahierungszwang, was an sich total in Ordnung und richtig ist. Aber dadurch muss die Versicherungsindustrie anders kalkulieren. Das heißt, entweder werden die Prämien höher oder die Ausschüttung wird später geringer sein. Können Sie mir noch einmal den Gewinn dieser Zusatzversicherung darlegen, wenn am Ende ein wirklich unattraktives Produkt herauskommt?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin, Scharfenberg, wir gehen nicht von unattraktiven Produkten aus, sondern wir haben diese Zuzahlungsregelung ganz bewusst gewählt, weil wir wollen, dass Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen die Möglichkeit haben, eine zusätzliche Kapitalsäule neben der Pflegeversicherung, die jeder als Teilversicherung hat, aus eigener Kraft aufzubauen. Das heißt, wir halten es für dringend erforderlich, dass die Versicherungswirtschaft Angebote entwickeln wird, die dann natürlich für diesen Kreis attraktiv sind. Hätten wir uns anders entschieden, wären wir zum Beispiel zu einer steuerlichen Förderung übergegangen, dann hätten wir genau den Kreis, den wir hier ansprechen wollen, nämlich die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, nicht erreicht, sondern nur die mit den höheren Einkommen. Deswegen haben wir diesen Weg gewählt. Wir glauben, dass wir damit die Menschen in diesem Lande unterstützen, die in Eigenverantwortung eine Absicherung für den Pflegefall herbeiführen wollen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Frau Scharfenberg, Ihre zweite Nachfrage.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Es gibt beim Abschluss dieser Versicherung keine Risikoprüfung. Das heißt, es wird nicht geschaut, wie krank oder gesund jemand ist oder welches Risiko er mitbringt. Aber es wird wohl eine Beitragsstaffelung nach Alter geben. Das heißt, je älter man ist und je größer natürlich das Pflegerisiko im Alter wird, desto höher wird die Prämie sein, die man zu zahlen hat. Im Grunde genommen ist das zwar keine Risikoprüfung, aber eine verdeckte Risikoverteilung. Gehen Sie nicht davon aus, dass sich der junge und gesunde Versicherungsnehmer erst einmal in der Produktpalette mit Risikoprüfung umschaut, um dann eventuell ein attraktiveres und günstigeres Produkt mit höheElisabeth Scharfenberg rer Ausschüttung zu nehmen, während sich diejenigen, die sich keiner Risikoprüfung unterziehen können oder wollen, letztendlich bei den - ich sage es noch einmal unattraktiven Produkten landen werden?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin Scharfenberg, es gibt hier zum ersten Mal die Möglichkeit, dass jemand auf eine einfache und unbürokratische Art und Weise eine private Zusatzversicherung abschließen kann, auch wenn er kein hohes Einkommen hat. Ich glaube, dass wir das mit dem Weg, den wir beschritten haben, erreichen werden. Dass es ein Unterschied ist, ob jemand in meinem Alter eine Versicherung abschließt, was dann zu einem höheren Beitrag führen wird, oder in ihrem noch jugendlicheren Alter, wird jeder verstehen und für ziemlich normal halten. Das ist so bei Versicherungsverträgen. Wir müssen uns die endgültige Ausgestaltung anschauen. Aber ich denke, das wird ein attraktives Produkt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 43 auf: Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass angesichts der Kosten für den Bundeshaushalt, die für die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung bei 15 Millionen förderungsfähigen Versicherungsverträgen in Höhe von circa 900 Millionen Euro anfallen würden ({0}), diese Haushaltsmittel sinnvoller in die solidarische Pflegeversicherung zu investieren wären, um dort allen Versicherten bzw. allen Pflegebedürftigen zur Verfügung zu stehen? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Danke, Herr Präsident. - Wir beantworten die Frage wie folgt: Die Bundesregierung teilt diese Ansicht nicht. Sie hat bereits am 28. März 2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung beschlossen, der sich mittlerweile in der parlamentarischen Beratung befindet. Der Entwurf richtet Leistungen der Pflegeversicherung neu aus und verbessert deren Leistungen insbesondere mit Blick auf an Demenz erkrankte Menschen in erheblichem Umfang. Unabhängig davon hält die Bundesregierung aber an der Konzeption der gesetzlichen Pflegeversicherung als Teilleistungssystem fest. Sie ist sich darin mit sämtlichen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen grundsätzlich einig. Denn es gibt keine Fraktion, die bislang gefordert hat, im Rahmen der aktuellen Reform der Pflegeversicherung die Leistungen so zu erhöhen, dass sämtliche Pflegekosten getragen werden. Insoweit sind die Bürger und Bürgerinnen darin zu unterstützen, einen eigenen Beitrag zur Absicherung für den Pflegefall zu leisten. Mit der staatlichen Förderung der Pflegevorsorge gehen wir diesen Weg.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich denke, man sollte vorwegschicken: Uns geht es unterm Strich um alle Versicherten und Pflegebedürftigen. Aber wir gehen nicht davon aus, dass alle die private Zusatzversicherung abschließen werden. Es wird gemutmaßt, dass 1,5 Millionen Menschen sich dafür entschließen werden. Aber selbst wenn 10 oder 15 Millionen Personen diese Versicherung abschließen, haben wir nur einen Teil der gesamten Versicherten in Deutschland erreicht. Es brauchen aber alle eine ordentliche Absicherung. Deshalb frage ich noch einmal, warum beim Entwurf des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes nicht nach einer nachhaltigen Finanzierungsform gesucht worden ist und warum so ein unattraktives Produkt - ich nenne es noch einmal so - aus dem Hut gezaubert wird, das nur einen sehr geringen Teil der Bevölkerung erreichen wird.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin Scharfenberg, ich verweise noch einmal darauf, dass die geltende Pflegeversicherung auch nach Meinung Ihrer Fraktion eine Teilpflegeversicherung ist. Keiner von uns möchte eine allumfassende Pflegeversicherung. Wir als bürgerlich-liberale Koalition wissen, dass wir trotzdem eine zusätzliche Absicherung brauchen, setzen aber auf das Eigenengagement der Menschen in diesem Lande und appellieren auch an die Menschen, eine solche Chance wahrzunehmen, die wir ihnen mit dem neuen Gesetz bieten werden. Die Anzahl der Anträge ist übrigens nicht gedeckelt, wie Sie wissen. Wenn es mehr Anträge geben sollte, dann werden diese auch genehmigt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Bundesgesundheitsminister Bahr wurde in den letzten Tagen mehrmals damit zitiert, dass er die Kritik von SPD und Grünen nicht verstehe. Wir hätten schließlich in der rot-grünen Regierungszeit die Riester-Rente eingeführt, die damit vergleichbar sei. Ich bitte Sie, mit diesem falschen Vergleich aufzuräumen und aufzuklären, worin der Unterschied zwischen der Riester-Rente als Teil der Altersvorsorge mit einem garantierten Ertrag und dem Pflege-Bahr - so nenne ich ihn einmal - liegt, der nämlich eine Risikoversicherung darstellt. Das heißt, bei der Riester-Rente gibt es immer eine Ausschüttung, aber die Zusatzpflegeversicherung wird nur im Bedarfsfall ausgeschüttet; andernfalls ist das Geld weg.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Das ist korrekt, Kollegin Scharfenberg. Aber beiden Systemen liegt eine Idee zugrunde. Ich finde, es ehrt beide Regierungen - Ihre damalige rot-grüne wie unsere heutige -, dass wir auf das Eigenengagement der Menschen setzen, dass zusätzlich zum sozialen Leistungssystem etwas aufzubauen ist. Wir haben in diesem Fall auf eine Risikoversicherung gesetzt. Ich erinnere daran, dass wir es mit anderen haushalterischen Bedingungen zu tun haben als damals die Schröder-Regierung. Ich glaube, dass dies - das muss ich noch einmal betonen - ein Angebot ist, bei dem sich jeder in Deutschland ernsthaft überlegen sollte, ob er es wahrnimmt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 44 unseres Kollegen Dr. Harald Terpe auf: Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Verwaltungskosten, die dem Bundeshaushalt durch die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung entstehen, und inwiefern hält sie diese Kosten im Verhältnis zur eigentlichen Fördersumme für angemessen? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Wir beantworten die Frage wie folgt: Die vom Kabinett am 6. Juni beschlossene Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zum Entwurf des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes zur Zulagenförderung der privaten Pflegevorsorge sieht vor, dass verschiedene Vorgaben zur Durchführung der Zulagenförderung im Rahmen einer Rechtsverordnung konkretisiert werden sollen. Eine detaillierte Berechnung der Verwaltungskosten der Durchführung der Pflegevorsorgeförderung ist daher erst nach Erarbeitung dieser Rechtsverordnung möglich. Durch weitestgehende Nutzung elektronischer Austauschverfahren zwischen der für die Zulagenförderung zuständigen Stelle und den Versicherungsunternehmen erscheint es jedoch möglich, die Kosten der Durchführung der Zulagenförderung auf unter 10 Millionen Euro jährlich zu begrenzen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Terpe.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verstehe ich Sie richtig, dass es sich auch für Sie bei der Begrenzung auf unter 10 Millionen Euro um eine relevante Größenordnung handelt? Bezogen auf die Summe von 90 Millionen Euro, bewegt sich der Verwaltungskostenanteil bei knapp 10 Prozent. Halten Sie es für angemessen, dass der Verwaltungskostenanteil so hoch angesetzt wird? Halten Sie diese Relation für vertretbar?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Terpe, wir warten ab, wie die Rechtsverordnung aussehen wird. Wir werden alles tun, um die Verwaltungskosten in diesem Zusammenhang so niedrig wie möglich zu halten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, welchen Prozentsatz der Verwaltungskosten hielten Sie persönlich für angemessen?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Liebe Kollege Dr. Terpe, Sie setzen auf mein munteres Mundwerk. Heute setzen Sie darauf vergebens. Ich werde hier nicht spekulieren.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt wäre es interessant, wenn Sie noch eine weitere Nachfrage stellen dürften, Herr Dr. Terpe. ({0}) Ich rufe nun Frage 45 des Kollegen Dr. Terpe auf: Hält die Bundesregierung trotz der breiten und übereinstimmenden Kritik von Expertinnen, Experten und Verbänden an der Einführung der vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossenen staatlichen Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung fest, und wenn ja, warum? Frau Staatssekretärin, Sie bemühen sich bestimmt auch hier.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Dr. Terpe, unsere Antwort lautet wie folgt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem konzipiert. An dieser Grundkonzeption will nicht nur die Bundesregierung, sondern auch - das zeigen jedenfalls die vorhandenen Initiativen - die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiter festhalten. Die mit dem demografischen Wandel verbundenen Belastungen wird aber ein Teilleistungssystem allein nicht meistern können. Die Bürger und Bürgerinnen sind daher aufgefordert, neben der gesetzlichen Pflegeversicherung einen eigenen Beitrag zur Absicherung für den Pflegefall zu leisten. Dabei will sie die Bundesregierung unterstützen. Aus ihrer Sicht ist und bleibt die staatliche Förderung der privaten Pflegevorsorge daher ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen, generationengerechten Ausgestaltung der sozialen Sicherung.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Dr. Terpe.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Da Sie davon ausgehen, dass es sich bei der sozialen Pflegeversicherung um eine TeilleisDr. Harald Terpe tungsversicherung handelt und dass die Betroffenen die Zuzahlungen aus ihren eigenen Einkünften bestreiten, verweise ich auf die Riester-Rente, die dazu dient, die Einkünfte im Alter entsprechend den Bedürfnissen zu verbessern und sich zusätzlich zum staatlichen Rentensystem abzusichern. Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht für vernünftiger, dass der Gesetzgeber die Gelder für die staatliche Förderung einer zusätzlichen Absicherung im Bereich der Pflegeversicherung im Rahmen der Riester-Rente aufwendet? Das würde den Verwaltungsaufwand verringern, und es würde kein Zusatzsystem geschaffen, das - das zeigt die aktuelle Diskussion - wieder nur einen Teilbereich absichern kann.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Herr Kollege Dr. Terpe, wir haben uns natürlich auch mit diesem Gedanken befasst. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass der Weg, den wir jetzt beschritten haben, auch im Hinblick auf die Haushaltssituation und unser Ziel, ein verschuldungsfreies Land zu werden, richtig ist. Ich weise an dieser Stelle auf die Anhörung hin, die uns allen noch bevorsteht. Wenn es irgendwo auf der Welt Vorschläge für eine vernünftige Lösung gibt, dann kann man immer noch entsprechende Änderungsanträge einbringen. Aber ich glaube das nicht. Aufgrund unserer bisherigen Prüfungen glaube ich, dass der beschrittene Weg der richtige ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Dr. Terpe, eine weitere Nachfrage.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich nehme Ihre Freude über die gemeinsame Anhörung auf. Auch ich freue mich schon darauf. Ich möchte das Thema aber von einer anderen Seite beleuchten. Sie selbst haben gesagt, im Bedarfsfalle werde auch dann weiter gefördert, wenn mehr als 1,5 Millionen Verträge abgeschlossen würden. Wenn 15 Millionen Verträge abgeschlossen werden, sind wir schon bei 900 Millionen Euro Förderung. Wenn wir in Rechnung stellen, dass wir uns auf einen schuldenfreien Haushalt zubewegen wollen, dann ist das eine erhebliche Summe. Angesichts einer solchen Größenordnung hätte man das Riester-Prinzip weiter stärken können. Was sagen Sie denn zu dieser Auffassung von mir?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Lieber Kollege Dr. Terpe, Sie wissen, dass ich Haushälter war, bevor ich Gesundheitspolitiker wurde. Ich würde nie auf eine solch vage Vermutung hin ein Gesetz konzipieren. Wir haben jetzt erst einmal ein Paket geschnürt. Wir gehen von aus unserer Sicht realistischen Schätzungen der Interessenten für eine solche Versicherung aus. Meine Aussage basierte auf der Vermutung, es gebe eine Deckelung. Noch einmal: Das ist nicht der Fall. Wenn es mehr Menschen gibt, die einen Vertrag abschließen wollen, dann wird es auch entsprechende Versicherungen geben können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen herzlichen Dank. Die Frage 46 wird von unserer Kollegin Frau Maria Klein-Schmeink gestellt: Inwiefern ist die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung in Höhe von 5 Euro monatlich für Geringverdiener, die wie andere Personen auch Eigenmittel von mindestens 10 Euro monatlich für die Zusatzversicherung beisteuern müssten, eine „notwendige und sinnvolle Ergänzung“, die zudem dafür sorge, „dass die Pflegeversicherung demografiefest und stabil wird“ ({0}), und warum unterlässt die Bundesregierung es gerade im Interesse solch vulnerabler Personengruppen, die solidarische gesetzliche Pflegeversicherung mit einer demografiefesten und stabilen Finanzierung auszustatten? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Wir antworten darauf wie folgt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem konzipiert. An dieser Konzeption wollen wir alle nichts verändern. Insoweit war es bereits bisher sinnvoll, ergänzend selbst für das Risiko der Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Bereits bisher konnte dies auch über den Abschluss einer Pflegezusatzversicherung erfolgen. Allerdings - und darin besteht der Unterschied - beinhalten entsprechende Verträge bislang keinen Kontrahierungszwang; besondere Erleichterungen für Personen mit niedrigerem Einkommen haben ebenfalls nicht existiert. Diese unbefriedigende Situation wird durch den Vorschlag der Bundesregierung für eine staatliche Förderung der privaten Pflegevorsorge beendet. Die in diesem Konzept verlangten Fördervoraussetzungen machen es insbesondere auch für Personen mit Vorerkrankungen oder mit niedrigerem Einkommen erstmals möglich, eine entsprechende Zusatzversicherung abzuschließen. Um die Förderung gerade auch für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen attraktiv auszugestalten, hat die Bundesregierung ausdrücklich ein Zulagenmodell vorgeschlagen; denn während von einer steuerlichen Förderung nur jene begünstigt werden, die aufgrund der Höhe ihres persönlichen Einkommens Einkommensteuer zahlen, ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bei einer Zulage ungleich größer. Dies macht die soziale Ausrichtung der geplanten Förderung mittels Zulage deutlich.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Klein-Schmeink.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht um die Demografiefestigkeit und auch die stabile künftige Finanzierung. Warum haben Sie nicht alternativ den Weg gewählt, die soziale Bürgerversiche21818 rung stabil und demografiefest zu finanzieren und die Einnahmebasis zu stärken?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Weil wir eine andere Vorstellung von dem persönlichen Engagement des Bürgers in diesem Lande haben als Sie, Frau Kollegin Klein-Schmeink. Wir glauben, dass wir die soziale Pflegeversicherung, die es bisher gibt, gut und gerne mit einem zusätzlichen Kapitalstock ergänzen und dabei auf die eigene Kraft unserer Bürger zählen können. Deswegen sind wir zu diesem Konzept gekommen und nicht zu Ihrem.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Es liegt nahe, dass Sie noch einmal nachfragen.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, denn Sie gehen in Ihren eigenen Berechnungen davon aus, dass 1,6 bzw. 1,7 Millionen Bürger dieses Angebot wahrnehmen werden. Das ist natürlich nur eine Kleinstgruppe all derer, um die es eigentlich gehen sollte. Deshalb habe ich die Nachfrage: Wäre es nicht zielführender, die solidarisch finanzierte soziale Bürgerversicherung auszubauen, wenn man eine demografiefeste Finanzierung haben will, und dort für eine nachhaltige Finanzierung sowie einen nachhaltigen Leistungskatalog zu sorgen?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin Klein-Schmeink, noch einmal: Wir halten diesen Weg weder für zulässig noch für gangbar. Er ist deutlich teurer. Wir werden mit dem jetzigen Konzept viele Menschen in diesem Land erreichen, die sich zum ersten Mal überhaupt mit dem Gedanken auseinandersetzen, eine Zusatzvorsorge vorzunehmen. Auch das ist ein wichtiger Schritt. So wie es damals bei Riester einen Paradigmenwechsel gegeben hat - die Menschen wussten plötzlich: Sie müssen neben der Rente vorsorgen -, ist es auch jetzt bei der privaten Pflegevorsorge: Vielen Menschen ist plötzlich bewusst geworden, dass sie vorsorgen müssen, weil unsere sozialen Sicherungssysteme endlich sind.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen herzlichen Dank. - Jetzt komme ich zur Frage 47 unserer Frau Kollegin Klein-Schmeink: Mit welchen monatlichen Gesamtkosten rechnet die Bundesregierung für die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatzversicherung unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung geplanten Versicherungsbedingungen beispielsweise für einen 55-jährigen Mann, der heutzutage für eine private Pflegetagegeldversicherung mit durchschnittlichen monatlichen Kosten von circa 55 Euro rechnen muss ({0}), und inwiefern hält sie die Zulage von 5 Euro monatlich dabei für eine wirksame Unterstützung dieser Personengruppe? Ich darf Sie, Frau Staatssekretärin, um Beantwortung bitten.

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Danke, Herr Präsident. - Unsere Antwort ist wie folgt: Die Kalkulation entsprechender Pflegezusatzversicherungen hat durch die Anbieter solcher Produkte zu erfolgen. Da es sich bei den förderfähigen Pflegevorsorgeprodukten um Risikoversicherungen handelt, die nach Art der Lebensversicherung kalkuliert werden, ist der Beitrag vom Eintrittsalter abhängig. Es liegt daher nahe, dass dieser bei einem 55-jährigen Mann höher als bei einem Mann ist, der eine entsprechende Zusatzversicherung bereits im Alter von 30 Jahren abschließt. Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass die privaten Krankenversicherungsunternehmen auch für höhere Altersgruppen Angebote kalkulieren, die im Zusammenhang mit der staatlichen Förderung preislich ausreichend attraktiv sind.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie uns und den privaten Versicherungsunternehmen noch einmal verdeutlichen, wie es zu einer Kalkulation kommen kann, die im Vergleich zu den anderen Tarifen der Pflegerisiko- und Pflegetagegeldversicherungen ein attraktives Angebot gerade auch für die Personengruppe darstellt, die über ein geringes Einkommen verfügt?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Frau Kollegin Klein-Schmeink, wir gehen davon aus - die PKV hat uns das bereits signalisiert -, dass es entsprechende Angebote geben wird. Ich gehe davon aus, dass auch dies in der eben von mir angeführten Anhörung zur Sprache kommen wird.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich nehme an, Sie fragen noch einmal nach.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Mit welchen Steigerungsraten bei den Tarifen muss diese Personengruppe - nehmen wir einmal einen 55-Jährigen - rechnen, wenn es dazu kommt, dass sich gerade diejenigen, die besondere Risiken haben und die sich nicht einer Risikoprüfung unterziehen können, angesichts der anderen Pflegetarife, die es bei den privaten Unternehmen gibt, versichern müssen? Wie wird sich dabei die Tarifgestaltung für die Zukunft darstellen? Kann das dann noch ein attraktives Angebot für eine Personengruppe sein, die über ein geringes Einkommen verfügt?

Ulrike Flach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003119

Auch hierbei, Frau Kollegin Klein-Schmeink, können wir erst von zuverlässigen Zahlen ausgehen, wenn die ersten Berechnungen auf dem Tisch liegen. Das heißt, wir sind in einem frühen Stadium. Sie wie wir gehen davon aus, dass es nicht zu unverhältnismäßigen und aus unserer Sicht unzulässig starken Steigerungen kommen wird.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, die Frage 52 des Abgeordneten Uwe Kekeritz, die Fragen 53 und 54 der Abgeordneten Cornelia Behm, die Fragen 55 und 56 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, die Fragen 57 und 58 der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann sowie die Fragen 59 und 60 der Abgeordneten Tabea Rößner werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zur Frage 61 des Kollegen Nouripour: Aus welchen Gründen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, auf eine bundesaufsichtliche Weisung hinsichtlich des Bescheids des damaligen hessischen Landesverkehrsministers Dieter Posch zur Anpassung der Flugbetriebsbeschränkungen des Planfeststellungsbeschlusses zum Ausbau des Frankfurter Flughafens an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2012 verzichtet, obwohl das BMVBS bereits im Vorfeld einem sogenannten Planklarstellungsverfahren gegenüber Bedenken geäußert hat? Sie wird jetzt vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer beantwortet. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Nouripour, auf Ihre Frage antworte ich wie folgt: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat die zuständige Behörde im Land Hessen darauf hingewiesen, dass es die Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vor dessen vollständiger Veröffentlichung nicht für zweckmäßig hält. Die Planfeststellungsbehörde hat dies abgewogen und hat in eigener Zuständigkeit bewertet, dass sie das beabsichtigte Vorgehen für zielführend zur rechtlichen Umsetzung des Urteils erachtet.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, was ist denn eigentlich das Kriterium im Falle einer Auseinandersetzung zwischen dem Bundesministerium und einem Landesministerium, bei dem das Bundesministerium offensichtlich der Meinung ist, dass das, was das Landesministerium macht, nicht zweckmäßig ist? In einem Statement sagt der Pressesprecher Ihres Hauses: Es ist sinnvoll, die Urteilsbegründung abzuwarten. - Wenn das, was dort passiert, nicht sinnvoll ist, was ist dann das Kriterium dafür, mit einer Weisung einzuschreiten oder dies nicht zu tun?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege, wir sprechen nicht von einer Auseinandersetzung mit dem Landesverkehrsministerium und dem ehemaligen Landesverkehrsminister Posch, sondern wir haben unsere Stellungnahme und unsere Meinung dazu abgegeben, nicht mehr und nicht weniger. Fakt ist: Die an dieser Stelle zuständige Behörde ist eine Behörde des Landes Hessen, und wir haben eine Empfehlung gegeben, nicht mehr und nicht weniger.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich und liegt im Bereich des Richtigen, zumindest im Bereich des Rechten, dass das Bundesministerium mit einer Weisung dort einschreitet. Meine Frage war, warum dies nicht geschehen ist, wenn das Ministerium der Meinung ist, dass das Vorgehen der Landesregierung nicht zweckmäßig ist.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege Nouripour, „einschreiten“ und Ähnliches - das sind Vokabeln, die Sie verwenden. Wir pflegen mit den Auftragsverwaltungen und den Landesministerien eine gute, kollegiale Zusammenarbeit. Wir sind weit davon entfernt, dass das BMVBS in solchen Verfahren einschreitet. Vielmehr geben wir dazu unsere Meinung ab. Die zuständige Behörde ist an dieser Stelle nicht das BMVBS, sondern das entsprechende Landesministerium. Genauso wie wir uns jetzt streiten können, ob Ihre Frage sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, haben wir unsere Meinung zu diesem Verfahren beim Landesministerium in Hessen abgegeben, nicht mehr und nicht weniger.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die restlichen Fragen der Fragestunde werden entsprechend unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Wir sind am Ende unserer Fragestunde. Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Umstrittene Nutzung des Auslandsnachrichtendienstes für den Transport eines von BM Niebel privat gekauften Teppichs Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster für die Fraktion der Sozialdemokraten Kollege Vizepräsident Eduard Oswald Dr. Sascha Raabe. Bitte schön, Kollege Dr. Sascha Raabe.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die heutige Aktuelle Stunde beantragt, weil wir es nicht länger mit ansehen können, wie Bundesminister Dirk Niebel sein Amt für seine persönlichen Interessen und für die Interessen seiner Partei missbraucht. ({0}) Erst hat er reihenweise Parteifreunde mit hochbezahlten öffentlichen Stellen versorgt, dann hat er den Personalrat kaltgestellt, und jetzt lässt er auch noch auf Staatskosten einen Teppich für seine Privatgemächer einfliegen. Wir können das nicht mehr mit ansehen. Wir glauben, dass damit auch dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit Deutschlands geschadet wird. Deswegen haben wir die heutige Aktuelle Stunde beantragt. ({1}) Wie peinlich ist es, ({2}) dass ausgerechnet heute das Bundesministerium ein Konzept mit dem Namen „Antikorruption und Integrität in der deutschen Entwicklungspolitik“ vorstellt! In einer Pressemitteilung auf der Homepage des Ministeriums heißt es heute: Wir nehmen unsere Partner in die Pflicht, konkrete Reformen durchzuführen, um Korruption zu mindern und Transparenz, Integrität, Partizipation und Rechenschaft auszubauen. ({3}) Nehmen Sie sich endlich auch einmal selbst in die Pflicht und fangen beim Minister an, meine sehr verehrten Damen und Herren! ({4}) Die Frage nach den Konsequenzen beschäftigt auch die Journalisten. Ich werde jetzt nicht diejenigen aus den linksliberalen Zeitungen zitieren, sondern ich werde einmal ganz bewusst die Blätter zitieren, die der FDP und dem Minister eigentlich genehm sein müssten, ({5}) nämlich die Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblätter. Ich fange einmal mit dem Handelsblatt an. ({6}) Das Handelsblatt bringt heute ein Zitat von Dirk Niebel vom Januar. Da hat er gesagt: Politiker müssen sich an Recht und Gesetz halten wie alle anderen auch und haben eine Vorbildfunktion. Das Handelsblatt titelt: „Pinocchio des Tages“. - Dirk Niebel, Lügner des Tages. Die Wirtschaftswoche bezeichnet Dirk Niebel als „liberales Teppichluder“. ({7}) Das mache ich mir nicht zu eigen. ({8}) Das ist die Wirtschaftswoche. Die Financial Times Deutschland schreibt von Missbrauch des Staates. Jetzt würde ich Sie bitten, einmal nicht zu krakeelen, sondern zuzuhören. Hier schreibt der Kommentator: Ein Staatsskandal ist auch die Teppichaffäre um den Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel nicht. Doch in diesem Fall gerät der Minister zum wiederholten Mal in Erklärungsnot und in den Ruf von Vetternwirtschaft und Korruption. ({9}) Mag der Anlass noch so nichtig sein und Niebel sich reumütig zeigen: Er sollte zurücktreten. Hierbei dient ein Minister nicht mehr dem Staat, sondern er missbraucht ihn für seine persönlichen Interessen, ({10}) zumal es bei Niebel eine Vorgeschichte gibt, die von Selbstherrlichkeit und Eigeninteresse handelt, und zwar seit seinem Amtsantritt im Entwicklungsministerium. Seine Personalpolitik etwa wirkt so, als sei es die vorrangige Aufgabe eines FDP-Ministers, verdiente Liberale mit gut dotierten Posten zu versorgen. - Deswegen kommt auch dieser Kommentator zu Recht zu dem Schluss, dass ein Minister, der die Prinzipien guter Regierungsführung in alle Welt exportieren soll, so nicht mit seinem Amt umgehen kann. Deswegen sagt die Financial Times Deutschland: Dieser Minister soll zurücktreten. - Ich schließe mich dieser Forderung an, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({11}) Die Frage des am Zoll vorbeigeschmuggelten Teppichs ({12}) und damit der persönlichen Vorteilsnahme von etwa 4 000 Euro - Transportkosten und Zollabgaben, die fällig gewesen wären ({13}) werden wir heute noch diskutieren. ({14}) Es ist keineswegs nur eine Lappalie, um die es hier geht. ({15}) Wenn es um ein Land wie Afghanistan geht - wir wissen, dass dort Teppiche meist von Kindern hergestellt werden -, kann man schon erwarten, dass ein Entwicklungsminister mehr nachfragt und sich nicht nur auf das Wort eines Angehörigen der Botschaft verlässt, dass das ein seriöser Händler sei. Wir haben dort nicht umsonst mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein zertifiziertes Siegel geschaffen. „GoodWeave“ heißt das. Es ist der Nachfolger von RugMark. Auch in Afghanistan gibt es einen Händler, der zertifiziert ist und von der Größe her etwa mit dem Otto-Versand in Deutschland vergleichbar ist. Wir fragen uns, Herr Minister: Warum haben Sie nicht von diesem Händler einen Teppich privat erworben? Sie können doch nicht einfach einen teuren Teppich für Ihr Wohnzimmer kaufen, an dessen Herstellung vielleicht Kinderhände beteiligt gewesen sind, ({16}) und das, wo Sie am Welttag gegen Kinderarbeit tränenreich verkündet haben, wie schlimm Sie Kinderarbeit in aller Welt finden. Das passt nicht, Herr Minister! ({17}) Wenn einige anführen: „Na ja, was sind denn schon ein paar Tausend Euro?“, sage ich: Es wurde in Deutschland schon einmal einer Kassiererin eines Supermarkts wegen 1,30 Euro gekündigt. Da hat sich die FDP merklich zurückgehalten. ({18}) Deshalb glaube ich schon, dass wir hier nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Wir werden hier letztlich auch erörtern, wie der Bundesnachrichtendienst dabei zu Schaden gekommen ist. Ich sage an dieser Stelle, ({19}) weil es wirklich nicht nur um Minister Niebel geht, sondern auch um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt gegenüber seinen Partnerländern - gute Regierungsführung ist für uns etwas, was wir vorleben müssen -, dass die Kanzlerin ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Ich sage: Sorgen Sie für gute Regierungsführung! Sorgen Sie dafür, dass nicht ein Teppich fliegt, sondern dieser Minister! Herzlichen Dank. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist Bundesminister Dirk Niebel. Bitte schön, Bundesminister Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe einen Fehler gemacht, den ich selbst zu verantworten habe, und ich kann verstehen, wenn der Vorgang sachlich kritisiert wird. Ich habe mich dafür sofort umfassend und öffentlich entschuldigt und tue dies ausdrücklich noch einmal hier im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich wollte mir einen Teppich für mein Haus kaufen, was aus Sicherheitsgründen natürlich nicht auf dem Basar in Kabul möglich war. Aus logistischen Gründen wollte ich den Teppich zu einem späteren Zeitpunkt mit nach Hause nehmen. Ich hatte mich zunächst gefreut, als ich erfuhr, dass ich durch die Hilfsbereitschaft des Bundesnachrichtendiensts die Chance haben würde, den Teppich früher als gedacht zu Hause zu haben. Ich bedaure ausdrücklich, dass der BND-Chef, der von einem zollfreien Gastgeschenk ausging, ({1}) dadurch in eine unangenehme Situation gebracht worden ist. Ich ging davon aus, dass alle Formalitäten bei der Einreise erledigt wurden, und werfe mir vor, keine klaren Absprachen getroffen zu haben. Als ich durch die Anfrage eines Medienvertreters problembewusst wurde, habe ich die Nachverzollung unverzüglich beantragt und das auch öffentlich erklärt. Sie können versichert sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Niemand ärgert sich über diesen Vorgang mehr als ich. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Heike Hänsel. Bitte schön, Frau Kollegin Hänsel. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Niebel, das war ein bisschen sehr kurz. ({0}) Ich denke, es gibt dazu noch etwas mehr zu sagen. Ich möchte mich aber auf die sachliche Kritik konzentrieren, und diese muss Minister Niebel auch aushalten; denn er gehört nicht zu denjenigen, die sich mit Kritik zurückhalten. ({1}) Ein Minister auf Dienstreise lässt sich in der Deutschen Botschaft in Kabul eine Teppichauswahl vorlegen. Er kauft einen Teppich, und der Geheimdienst schmuggelt ihn am Zoll vorbei nach Deutschland. ({2}) Diese Nummer wäre eigentlich reif fürs Kabarett, wenn das Ganze nicht in einem so ernsten Umfeld stattfinden würde. Herr Niebel war nämlich in einer Kriegsregion, wo unter anderem deutsche Soldaten Krieg führen, wo täglich Menschen durch Krieg sterben und wo ein Teppichkauf in meinen Augen eigentlich nicht zu einer Dienstreise gehört. ({3}) Wir unterstellen ihm nicht, dass er irgendwelche Zollgebühren sparen und sich persönlich bereichern wollte. Diese Vorwürfe finde ich albern, Herr Niebel. Vielmehr geht es darum, dass Sie in verantwortungsvoller Position ein Gespür dafür haben müssen, was man machen kann und was nicht. Ich finde, dieses Gespür fehlt Ihnen. ({4}) Das haben Sie in meinen Augen schon zu Beginn Ihrer Amtszeit gezeigt, indem Sie mehrfach - manchmal auch heute noch - mit Bundeswehrkappe in Afrika oder Lateinamerika unterwegs waren. ({5}) Dieses Bild ist eines Entwicklungsministers in meinen Augen nicht würdig. ({6}) Es erinnert an ungute deutsche Zeiten. ({7}) Das fand ich schon damals ein ganz großes Problem. Es zeigt, dass Ihnen, Herr Niebel, in manchen Bereichen, die in Ihrer Verantwortung liegen, das Gespür fehlt. ({8}) In der Öffentlichkeit kann schnell der Eindruck entstehen, Sie fahren in eine Kriegsregion und am Ende kommt dabei ein Schnäppchenkauf heraus. Ich frage mich auch, ob es die Aufgabe der Deutschen Botschaft ist, eine Teppichauswahl zu organisieren. Auch diese Frage darf man stellen. Dazu, dass keine Kinderarbeit in dem Teppich steckt, gab es nur eine lapidare Bemerkung. Wir fragen natürlich nach: Wie wollen Sie das eigentlich beweisen, vor allem angesichts des relativ geringen Preises für den großen Teppich? Das sind in meinen Augen ernsthafte Fragen. Der eigentliche Skandal liegt für mich und für die Linke aber nicht in Ihrer Teppichnummer, sondern in Ihrer Entwicklungspolitik. Damit kommen wir zu den zentralen Punkten: Sie setzen auf Außenwirtschaftsförderung. Ferner gab es Skandale um merkwürdige Stellenbesetzungen, und in meinen Augen waren auch Personalbesetzungen im Ministerium oft inadäquat. Es geht auch um die sogenannte Fusion der verschiedenen Entwicklungsorganisationen. ({9}) In meinen Augen wurde die gute Organisation DED zerschlagen. Sie ist nicht mit ihren Stärken in die sogenannte Fusion eingeführt worden. Sie haben noch sehr große Baustellen. Auch was Afghanistan angeht, wurden die Entwicklungsorganisationen unter Ihrer Regierung stärker ans Militär gebunden. Leider begann das unter Rot-Grün. Herr Niebel, mir gefällt Ihre oft arrogante Haltung nicht - das habe ich auch schon erlebt -, wenn Sie in Ländern des Südens unterwegs sind, die nicht Ihren politischen Vorstellungen entsprechen, wie zum Beispiel in Lateinamerika, in Bolivien, in Ecuador, in Nicaragua. ({10}) Sie treten sehr arrogant auf. Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua wegen fehlender guter Regierungsführung eingestellt. Dazu sage ich: Das kann nicht sein, Herr Niebel. Dann müssen wir gleiche MaßHeike Hänsel stäbe anlegen. Ich fordere eine gute Regierungsführung für Deutschland. ({11}) Uns ärgert auch - das ist eine gravierende Konsequenz dieser einfach auch doofen Teppichdiskussion -, dass wir über viele wichtige Dinge in Afghanistan nicht sprechen. Vor einigen Tagen gab es dort ein Erdbeben mit über 80 Toten. Wer weiß davon? ({12}) Wer spricht davon? Die Medien nicht. Aber Herr Niebel auch nicht. Es gab Tote durch NATO-Angriffe; es wurden über 18 Zivilisten getötet. Darüber spricht Herr Niebel auch nicht. Ich habe nichts von ihm gehört. ({13}) Wir haben eine säkulare, progressive Partei in Afghanistan, die Solidaritätspartei, die gegen den Krieg kämpft. Gegen diese wurde ein Verbotsverfahren durchgeführt. Wir haben bei der Deutschen Botschaft mehrmals gefragt: Was macht die Bundesregierung? Wie reagieren das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium? Wir haben nichts gehört. Ich frage mich: Wo sind die Prioritäten? ({14}) Sie treten mit Teppichaktionen in Afghanistan in Erscheinung, machen aber nicht den Mund auf, wenn Organisationen, die gegen den Krieg und die Warlords in Afghanistan kämpfen, verboten werden sollen. Das sind für mich entscheidende Punkte. Ich sage Ihnen: Herr Niebel, für mich ist der Teppichkauf kein Rücktrittsgrund, ({15}) aber die Entwicklungspolitik, die Sie gestalten, und die Fehlentscheidungen wären schon längst ein Rücktrittsgrund. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Christiane Ratjen-Damerau. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Dr. Christiane Ratjen-Damerau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004204, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister, ich danke Ihnen ganz herzlich für die klärenden Worte und den sehr offenen Umgang mit dieser besagten Affäre. ({0}) Sie haben sehr offen dargelegt, einen in Afghanistan gekauften Teppich in Deutschland nicht unmittelbar verzollt zu haben. Als Ihnen dieses bekannt wurde, haben Sie unverzüglich die Nachverzollung beantragt und öffentlich die Verantwortung - so wie eben auch - übernommen. Damit ist diese Angelegenheit für mich abgeschlossen. ({1}) Wenn Sie, sehr geehrte Kollegen von der Opposition, insbesondere Sie, Herr Raabe und Frau Hänsel, ehrlich sind, geben Sie zu, dass ich recht habe. Ihre ständig wiederholten, künstlichen und hier lauthals geäußerten Rücktrittsforderungen haben keinen Anlass. Es fehlen Ihnen sonstige Angriffspunkte. ({2}) Der Minister und sein Haus leisten hervorragende Arbeit für die deutsche und die weltweite Entwicklungspolitik und damit zum Wohle vieler Menschen auf dieser Welt. ({3}) Mit der Fusion der Durchführungsorganisationen ist unter der Führung von Dirk Niebel die größte Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gelungen. Vor ihm sind an dieser Fusion alle Vorgänger - auch Ihre Ministerin - gescheitert. ({4}) Durch diese Fusion wurden im Stellenbestand des Bundes 700 Stellen eingespart. Und: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist zu einem Global Player geworden, der zu einem Marktführer wird. ({5}) Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und die KfW-Entwicklungsbank kooperieren seit dem Amtsantritt von Dirk Niebel so gut wie noch nie zuvor. ({6}) Dies hat unter anderem dazu beigetragen, dass die KfW-Entwicklungsbank den Entwicklungsländern in den letzten zwei Jahren zusätzliche Kredite in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Das ist für die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armut ein sehr großer Erfolg, auf den wir ausgesprochen stolz sind. ({7}) - Hören Sie doch mal zu, dann begreifen Sie es vielleicht! Gleichzeitig wurde die Außenstruktur des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an den deutschen Botschaften verstärkt. Damit hat sich die Steuerungsmöglichkeit der Entwicklungszusammenarbeit in den betreffenden Ländern deutlich verbessert. ({8}) Es wurde nicht nur die Zusammenarbeit mit den Vorfeldorganisationen verbessert, sondern auch die Kohärenz der gesamten Bundesregierung. Erstmals wird unter Federführung des Bundesministeriums zusammengetragen, welche Aktivitäten die einzelnen Ressorts der Bundesregierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit leisten. Wir alle wissen um die große Bedeutung der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft bei der Entwicklungszusammenarbeit. Unser Ziel ist es, die Zahl der Engagierten auf 2 Millionen zu verdoppeln. Deshalb wurden die Mittel für Zivilgesellschaft, Kirchen und politische Stiftungen deutlich erhöht. Die Veranstaltung „Engagement fairbindet“ des Bundesministeriums hat sich zu einer einzigartigen Plattform entwickelt, auf der sich die verschiedenen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit treffen. Geschaffen hat dies Dirk Niebel mit seinem Haus. Im nächsten Jahr wird es erstmals einen bundesweiten Entwicklungstag geben, ({9}) der mit einer Afrika-Gala im deutschen Fernsehen endet. Damit erreichen wir für unsere Arbeit und die gesamte Entwicklungszusammenarbeit eine breite Öffentlichkeit, die es bisher nicht gegeben hat. ({10}) So werden die Bürgerinnen und Bürger mit dem Thema der Entwicklungszusammenarbeit vertraut gemacht; sie werden hierfür sensibilisiert, und ihr Engagement wird verstärkt. ({11}) - Das habe ich gar nicht nötig. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird in dieser Legislaturperiode zu einer Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen ausgebaut. Die Türen in Richtung Mitte der Gesellschaft sind weit geöffnet. Ein bedeutender Schritt dafür ist die Servicestelle für bürgerschaftliches und kommunales Engagement, die in diesem Jahr eröffnet wurde. ({12}) Um die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel zu überprüfen und die Effizienz zu steigern, wird gerade ein unabhängiges Evaluierungsinstitut eingerichtet. Erstmalig gibt es damit ein Institut - ein absolutes Novum und ein Meilenstein im Feld der deutschen Entwicklungspolitik -, das gegenüber der Öffentlichkeit und den Parlamenten in Deutschland und in unseren Partnerländern über die geleistete Arbeit Rechenschaft ablegt. Sie sehen: Seit dem Regierungswechsel 2009 ist eine völlig neu ausgerichtete Entwicklungspolitik geschaffen worden. ({13}) Diese neue Entwicklungspolitik sorgt für mehr Wirksamkeit, für einen höheren Einsatz der finanziellen Mittel und für ein verstärktes persönliches Engagement in unserer Gesellschaft. Damit bekommen die Menschen, die uns brauchen, konkret mehr Unterstützung. Vielen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Ute Koczy. Bitte schön, Frau Kollegin Ute Koczy.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir hier eigentlich? ({0}) Ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fliegt nach Afghanistan, lässt sich dort einen Teppich vorführen, kauft diesen, lässt ihn vom BND-Chef nach Deutschland befördern und von seinem Fahrer auf dem Rollfeld abholen. Diese Beobachtung wird der Presse mitgeteilt. Problem: Die Verzollung wurde vergessen. Das ist kein Lapsus. Das ist eine politische Dummheit, ({1}) wenngleich auch keine echte Staatsaffäre. Dennoch fragt sich die Öffentlichkeit zu Recht, warum unserem Minister Dirk Niebel nicht aufgefallen ist, dass er hier seine Privilegien missbraucht hat. ({2}) Der politische Schaden ist groß. Ich finde das besonders ärgerlich, weil wir in der Entwicklungspolitik Wichtigeres zu tun haben: Das europäische Projekt befindet sich in der Krise; am Horn von Afrika und in der Sahelzone grassiert der Hunger; im Kongo häufen sich erneut die Massenvergewaltigungen; in Bangladesch drohen 30 Millionen Menschen wegen des Klimawandels unterzugehen. ({3}) Zu Afghanistan finden gegenwärtig kaum noch Debatten zur Lage im Land und zur Situation der Menschen dort statt. ({4}) Aber Deutschland streitet über einen fliegenden, vor den Zollbeamten fliehenden Teppich. ({5}) Die Verschiebung der Gewichte - das muss man sich klarmachen - hat sehr viel mit der Person des Ministers zu tun. Es findet auf Grundlage dessen statt, was Dirk Niebel immer großspurig verkündet, zum Beispiel wenn er dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wegen Bestechungsvorwürfen androht, die Gelder zu streichen, und in der Welt vom 17. März 2011 sagt: „Korruption tötet!“ ({6}) Wir erinnern uns an einen Minister Niebel, der nach den Regierungsverhandlungen mit Afghanistan sagt: Deutsches Geld nur, wenn Korruption bekämpft wird. ({7}) Und: Wir werden das Geld nicht zum Fenster rausschmeißen, unsere Steuerzahler haben das hart erarbeitet. Die Presse hat dieses Thema deswegen aufgegriffen, weil es vor der Folie dessen läuft, was der Minister immer groß ankündigt. ({8}) Diesen Widerspruch kann man nicht vom Tisch wischen. Man muss doch fragen, und das tut die Öffentlichkeit ({9}) - da können Sie jetzt so laut tönen, wie Sie wollen -, warum die Steuerzahler nicht zu Recht annehmen müssen, dass es hier einen Akt gegeben hat, der nicht restlos aufgeklärt ist und bei dem man sich fragen muss, ob der Minister sein Amt missbraucht hat. Es ist doch eine Farce, wenn heute das BMZ - auch das ist eine Koinzidenz - mit einer Veranstaltung mit dem Titel „Transparenz. Integrität. Entwicklung.“ hervortritt. Staatssekretär Beerfeltz sagte dort: „Korruption ist wie ein Krebsgeschwür“. Wenn er dort sagt, das neue Antikorruptionskonzept sei für die Institutionen der staatlichen EZ verbindlich, dann ist es die Aufgabe der Opposition, sich hier hinzustellen und zu fragen: Wie verbindlich ist dieses Konzept für den deutschen Entwicklungsminister? ({10}) Ich möchte bei diesem Vorfall einen Punkt herausheben, nämlich die Frage der Nachverzollung. Herr Niebel, Sie haben einen Antrag auf Nachverzollung gemäß § 371 der Abgabenordnung gestellt, der mit einer Selbstanzeige verbunden wurde. Die Selbstanzeige ist in diesem Paragrafen aber anders geregelt, als Sie es sich vorstellen; denn nach § 371 der Abgabenordnung tritt eine Strafbefreiung durch Selbstanzeige nur dann ein, wenn der Tatbestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt geworden ist. ({11}) Der Antrag auf Nachverzollung wurde am 6. Juni gestellt, nachdem Spiegel Online am 6. Juni diesbezüglich Fragen an das BMZ gerichtet hatte. ({12}) Diese Fragen hätten wir vorhin gerne gestellt. Vielleicht hätten Sie sie richtig beantworten können. Ich finde, dass wir diese Aktuelle Stunde zu Recht durchführen, um auf bestimmte Fragen zu diesem Fall hinzuweisen, die noch nicht beantwortet worden sind. ({13}) Wir haben jetzt hier Ihre Entschuldigung gehört. Aber ich sage Ihnen: Aufgrund der Frage der Nachverzollung ist dieser Teppich noch nicht geklopft. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Sibylle Pfeiffer. Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer. ({0})

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass wir als Politiker, Abgeordnete und auch Minister unter besonderer Beobachtung stehen. Wir haben eine Vorbildfunktion. An uns werden höhere ethische und moralische Maßstäbe gestellt, ob uns das passt oder nicht. ({0}) Ja, Minister Niebel hat einen Fehler gemacht, und ja, dieser Fehler ist ärgerlich, nein, „blöd“, um die Worte des Ministers zu gebrauchen. Ja, Minister Niebel steht für seinen Fehler gerade. ({1}) Das tut er, und dieses Unrechtsbewusstsein hat in der Vergangenheit nicht immer jeder gezeigt. ({2}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus eine Staatsaffäre zu machen, wie es die Opposition will und tut, ({3}) ist ebenfalls ein Fehler, um nicht zu sagen: blöd, ({4}) weil die Verhältnismäßigkeit fehlt. Es stellt sich nämlich schlicht und einfach die Frage: Womit befassen wir uns im Parlament? Große politische Affären, Missbräuche und Skandale erfordern und verdienen eine parlamentarische Befassung. Dieser Teppich gehört definitiv nicht dazu. ({5}) Wir sollten uns einmal überlegen, ob unser Drang, jedes Fehlverhalten immer gleich zu skandalisieren, gut für uns, für die politische Kultur und die Demokratie in unserem Lande ist. ({6}) Denken wir doch einmal weiter. Denken auch Sie einmal weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen von der SPD. Überlegen Sie sich gut, welche Maßstäbe Sie hier und heute für politische Rücktrittsforderungen festlegen wollen. Ist eine solche Forderung in diesem Zusammenhang wirklich verhältnismäßig? Ist das Ihr Maßstab? Für mich stellt sich die Frage nach der Debattenkultur: Setzen wir nur noch auf Effekthascherei und Bedienung des Boulevards? Denn dann bleiben die wirklich wichtigen Debatten, auch über schwere und echte Affären, auf der Strecke. ({7}) Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist Ihr Vorgehen falsch und vor allem gefährlich; denn eines Tages könnte sich das für Sie als Bumerang erweisen, unter dem Sie sich dann nicht mehr wegducken können. ({8})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Dr. Bärbel Kofler. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Kofler. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bei Ihnen ist ein falscher Eindruck entstanden. Sie tun so, als hätten wir von der Opposition Spaß, uns schon wieder mit Herrn Niebel beschäftigen zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Leider war es in diesem Jahr aufgrund des Verhaltens von Minister Niebel schon das zweite Mal nötig, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Es ging sowohl um sein Gebaren in Bezug auf seine Personalpolitik als auch um sein etwas seltsames Verständnis von Steuergerechtigkeit, vom Bezahlen von Steuern in unserem Land. ({0}) Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen klärende Worte gewünscht. Sie tun so, als wäre Ihr Verhalten ein kleiner Fehler, ein Lapsus. Sie sagen, man hätte einfach vergessen, den Fahrer zu instruieren. Man hätte dem Fahrer aber auch Geld mitgeben müssen, um die Ware beim Zoll auszulösen. ({1}) Aber nicht nur darum geht es. Es geht auch darum, dass, wie man den Medien entnehmen konnte, die Staatsanwaltschaft immerhin wegen des Anfangsverdachts auf Steuerhinterziehung ermittelt. Es war also kein kleiner Fehler, kein Lapsus. ({2}) Selbstverständlich muss man darüber im Bundestag sprechen, ({3}) gerade vor dem Hintergrund, dass Sie als Entwicklungsminister nach Afghanistan gereist sind. Sowohl in der Regierungskoalition als auch im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte man sich überlegen, welche Ansprüche man in Bezug auf gute Regierungsführung hat. Insbesondere als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung muss man sich daran messen lassen. ({4}) Auf der Homepage des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist zu lesen, dass im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung gute Regierungsführung als Schlüsselsektor der deutschen Entwicklungszusammenarbeit definiert wird. Ich halte das durchaus für richtig. Gute Regierungsführung ist ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Armut und auch, wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen, um den Ärmsten der Armen zu helfen. ({5}) Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welches Bild geben Sie eigentlich ab, Herr Minister Niebel? Ein katastrophales! ({6}) Es geht noch weiter. Es geht ja nicht nur um den Begriff der guten Regierungsführung im Allgemeinen, sondern auch um gute Regierungsführung im Zusammenhang mit einer guten Finanz- und Steuerpolitik. Diesbezüglich wird auf der Homepage des BMZ zu Recht auf die Bedeutung von transparenten und leistungsfähigen öffentlichen Finanzsystemen hingewiesen. ({7}) Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch einmal aus der Homepage des BMZ: Transparente und leistungsfähige öffentliche Finanzsysteme sind eine wichtige Grundvoraussetzung für Armutsreduzierung und nachhaltige Entwicklung. Sie mobilisieren nicht nur Mittel, sondern schaffen auch Legitimität für staatliches Handeln, fördern die Identifizierung der Bürger mit ihrem Staat … Das ist völlig richtig. An diesem Punkt sind wir uns einig. Welchen Eindruck erweckt aber ein Entwicklungsminister in der Welt ({8}) ein Entwicklungsminister muss mit den Regierungen anderer Länder darum ringen, dass Steuersysteme eingeführt werden, durch die gerade die finanzstarken politischen Eliten belastet werden -, der einen, so sage ich es einmal, sehr leichtfertigen oder flapsigen Umgang mit dem deutschen Steuersystem pflegt? Zeugt das nicht von Doppelmoral? ({9}) Ich glaube, dass Sie der Entwicklungspolitik insgesamt und insbesondere der deutschen Entwicklungspolitik mit Ihrem Verhalten einen Bärendienst erwiesen haben. Sie wissen selbst, dass sich seit über zehn Jahren zahlreiche internationale Vereinbarungen gerade mit der Frage der Verbesserung der Steuersysteme in der Welt beschäftigen: Steuerhinterziehung, Mittel für Armutsbekämpfung heben, Monterrey-Konferenz, Doha-Konferenz, nachhaltige Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit - die Kollegin Ratjen-Damerau hat ja auf die Themen Effizienz und Wirksamkeit hingewiesen -, Konferenz von Paris, Konferenz von Accra, Konferenz von Busan. Auf dem G-8-Gipfel 2007 in Deutschland hat man sich mit dem Thema G 8 Action Plan for Good Financial Governance in Africa beschäftigt. Gute Regierungsführung in Afrika war also das Thema auf der Konferenz in Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Verhalten als dramatisch zu bezeichnen. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie auf Meldungen reagieren werden, nach denen Minister aus anderen Ländern Ähnliches tun. Stellen Sie dann die Tranchen für die Entwicklungszusammenarbeit ein, was Sie manchen anderen bereits angesprochenen Organisationen wie dem GFATM angedroht haben? Was machen Sie dann? Wie werden Sie reagieren? Ich denke, ein Entwicklungsminister muss in diesem Themenbereich eine besondere Integrität an den Tag legen. Er muss sich an dem messen lassen, was er international fordert, auch bezogen auf sein persönliches Verhalten. Insofern haben Sie ein denkbar schlechtes Beispiel abgeliefert, Herr Niebel. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege Patrick Döring. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Niebel! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ein schlechtes Beispiel für gute Debattenkultur und demokratische Auseinandersetzung geben Sie hier ab; denn Sie gehen in Ihren Beiträgen hier - das gilt insbesondere für die Beiträge der Kollegin Hänsel und des Kollegen Raabe - sehr lax mit der Wahrheit um. ({0}) Deshalb bedanke ich mich zunächst für die Entschuldigung und für die Aufklärung durch den Herrn Bundesminister. ({1}) Auch andere Kollegen haben es in den letzten Tagen mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Der von mir ansonsten hochgeschätzte Kollege Oppermann wird mit den Worten „Missbrauch des BND für private Zwecke“ zitiert. ({2}) Der Bundesminister hat in seiner ersten Erklärung klargestellt, dass es - zu keinem Zeitpunkt - weder einen Auftrag noch überhaupt eine Kommunikation mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes über diese Mitnahme, die durch die Botschaft organisiert wurde, gegeben hat. ({3}) Hier Missbrauch zu insinuieren, ist eine bewusste Verzerrung der Tatsachen. Sie gehen mit der Wahrheit lax um, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Sie wollen hier durch den Begriff „Korruption“, den Sie permanent im Munde führen, einen Eindruck erwecken, der schlicht falsch ist. Der Kollege Niebel wollte nach Ende des offiziellen Programms die Zeit nutzen, die sich dadurch ergeben hat, dass er mit einem Linienflugzeug nach Afghanistan geflogen ist. Er wollte einen Basar besuchen. Davon hat ihm die Botschaft aus Sicherheitsgründen abgeraten. Vielen von uns, insbesondere den geschätzten Kollegen aus dem Fachbereich, die vor mir geredet haben, ist schon mehrfach in anderen Ländern der Erde, auch in Afghanistan, von der Botschaft empfohlen worden, den Basar nicht zu besuchen. Er hat daraufhin entschieden, dass er dennoch Mittelstand und Handwerk in diesem Land unterstützen und einen privaten Einkauf vornehmen will. ({5}) Weil Sie sich so schön aufregen, will ich Ihnen dazu etwas sagen. ({6}) - Na, das wird sich zeigen. ({7}) Mir hat ein Kollege ein schönes Bild geschildert: Kollegin Hänsel kam schwer bepackt mit Einkaufstüten von einer Reise zurück, die sie mit der Delegation des Herrn Ministers nach Kolumbien unternommen hatte, und ließ sich das Gepäck von einem Steward der Luftwaffe tragen. ({8}) Liebe Leute, was wäre denn los, wenn ich anfangen würde, das als Missbrauch der deutschen Luftwaffe und aktiven Schmuggel von Gütern aus Kolumbien nach Deutschland zu bezeichnen? Mit solchen Kleinigkeiten darf man sich doch gar nicht befassen, liebe Kollegen. Das ist wirklich abenteuerlich. ({9}) Sie alle wissen in Wahrheit ganz genau, dass die Verkettung der Umstände zu diesem Einfuhrvergehen geführt hat. Jetzt haben sich hier einige Hilfsjuristen mit der Frage der Nachverzollung befasst. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ein Zollvergehen begeht derjenige, der die Ware einführt. Minister Niebel hat nicht eingeführt. ({10}) Dennoch hat er seinen Fehler eingestanden und sich entschuldigt, weil das selbstverständlich auf sein Fehlverhalten zurückgeht. ({11}) Die Art und Weise, in der Sie hier versuchen, eine Mücke zu einem Elefanten aufzupumpen, hat mit demokratischer Streitkultur nichts zu tun. ({12}) Die Freien Demokraten und Dirk Niebel als Person haben die deutsche Entwicklungspolitik neu ausgerichtet. Das mag Ihnen nicht gefallen. Darüber kann man in diesem Haus auch kräftig streiten. ({13}) Diese Koalition hat sich aber zum Ziel gesetzt, die Entwicklungspolitik effizienter, erfolgreicher und orientiert an guter Regierungsführung in der Welt auszurichten. Das ist auch gelungen. ({14}) Wenn Minister Niebel für diese politische Aufgabe kritisiert wird, dann muss er das genauso aushalten, wie es diese Koalition aushalten muss. Dass Sie aber ganz gezielt mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten den Eindruck erwecken wollen, es hätte hier ein Amtsmissbrauch und vielleicht sogar ein Skandal stattgefunden, ist schlicht unverantwortlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({15}) - Er hat sich dafür entschuldigt, dass er der Botschaft nicht die klare Anweisung gegeben hat, sie möge darauf verzichten, den Teppich auf die Reise zu geben, ohne mit ihm darüber zu sprechen. Das können Sie ihm weiter vorwerfen. ({16}) - Er hat sich für weit mehr entschuldigt, weil er den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ohne sein Zutun in eine missliche Lage gebracht hat. ({17}) Statt das zu respektieren und sich inhaltlich mit diesem Besuch und den fünf weiteren Besuchen des Herrn Ministers in Afghanistan auseinanderzusetzen, plustern Sie sich hier auf und erwecken den Eindruck, in Deutschland sei eine Staatsaffäre passiert. Das Einzige, was hier passiert ist, ist eine Blamage für die Opposition. Vielen Dank. ({18})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Fritz Rudolf Körper. Bitte schön, Kollege Körper. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Generalsekretär seinen Minister verteidigt, haben wir alle erwartet. Aber dass er dies mit solch schwachen Argumenten tut, deklassiert ihn außerordentlich. ({0}) Was war eigentlich im März 2012 in Kabul los? Ein bundesdeutscher Minister namens Dirk Niebel reiste nach Kabul und wollte einen Teppich kaufen; ({1}) denn er bestellte für den privaten Kauf von Auslegeware Teppichhändler in die deutsche Botschaft. Die deutsche Botschaft hat es aber nicht verdient, zum orientalischen Basar zu werden. ({2}) Im Grunde genommen zeigt dieses Vorgehen - ich wollte meine Rede eigentlich sehr ruhig und gelassen halten ({3}) die Haltung. Darum geht es mir. ({4}) Ich finde, diese Vorgehensweise ist ein Missbrauch der deutschen Botschaft und der dort Arbeitenden, selbst wenn das am Ende der Dienstreise war. ({5}) Herr Niebel befand sich auf Dienstreise. Ich glaube, es gehört zur Vorbildfunktion eines Ministers, dass man Privates und Dienstliches nicht so kunterbunt vermischt, wie er es getan hat. Er ist hier seiner Vorbildfunktion absolut nicht gerecht geworden. ({6}) Ich sage noch etwas zur Haltung, Herr Kollege Lindner; auch das sollte man schildern. Herr Niebel hätte seinen Teppich privat transportieren lassen können wie jeder andere Otto Normalverbraucher. Aber dies ist dem Minister überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Er hat abgewartet, wann er beim Transport ein Schnäppchen machen kann. Ich sage: Mit dieser Haltung disqualifiziert sich Herr Niebel selbst. ({7}) Es geht mir um die Haltung. Diese wird beispielsweise auch daran deutlich, dass er den Bundesnachrichtendienst in fahrlässiger Art und Weise in die Bredouille gebracht hat, weil nicht klar gewesen ist, dass es sich um einen privat gekauften Teppich handelte. Der Bundesnachrichtendienst hat den Teppich in der Annahme, er sei ein Gastgeschenk für die Bundesregierung, transportiert. Lieber Herr Niebel, auch das beschreibt Ihre Haltung. Sie sind Ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen. Das muss man deutlich sagen. ({8}) Sie können mich für kleinlich halten. Ich war schon einmal Mitglied der Bundesregierung. ({9}) - Ja, das mag sein; aber, lieber Herr Lindner, solange man Dienstliches und Privates nicht auseinanderhalten kann, werden wir alle angreifbar, ({10}) weil die Menschen zu Recht sagen: So sind die alle. Deswegen hat diese Haltung, die von Herrn Niebel an den Tag gelegt worden ist, einen großen Schaden an unserem politischen System verursacht. ({11}) Lieber Herr Lindner, wenn Sie sehen, wie über diesen Vorgang in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, wissen Sie, dass es keine Lappalie ist. Ich gebe zu, dass es auch keine Staatsaffäre ist, aber es ist keine Lappalie. ({12}) Man muss wissen, dass dies eine Verhaltensweise widerspiegelt. Es ist letztendlich auch nicht Aufgabe des Fahrers des Ministers, den privat gekauften Teppich am Flugzeug abzuholen. ({13}) - Sie nennen das Stichwort Ulla Schmidt. Ich erinnere Sie daran, in welcher gehässigen Art und Weise Sie mit Ulla Schmidt in der Frage der Nutzung ihres Dienstwagens umgegangen sind. Das war nicht in Ordnung. Das war schäbig. ({14}) - Nein, es ist nicht in Ordnung, dass der Fahrer den Teppich abgeholt hat. Das ist nicht seine Aufgabe. Ich finde, Herr Niebel, dass die öffentliche Kommunikation in dieser Sache sehr läppisch gewesen ist. ({15}) Ich zitiere Ihren Pressesprecher. Er sagte auf der Pressekonferenz: Das ist tatsächlich einfach liegen geblieben, wie so etwas eben einfach liegen bleiben kann. Ignoranter kann eine Aussage nicht sein. Herr Niebel, gehen Sie in sich, denken Sie nach, und sagen Sie nicht einfach nur, Sie hätten einen Fehler gemacht. Das war mehr als ein Fehler. Wie Sie damit umgehen, überlasse ich Ihnen. Herzlichen Dank. ({16})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Florian Hahn. Bitte schön, Kollege Florian Hahn. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist so ärgerlich und überflüssig wie der Fehler, um den es hier geht. Worüber reden wir? Bundesminister Niebel hat einen in Afghanistan hergestellten und nicht billigen Teppich gekauft. Dies ist im Interesse der Menschen und der Wirtschaft von Afghanistan. Ich begrüße den Kauf daher ausdrücklich. Ich ermuntere jeden, der nach Afghanistan oder in andere arme Länder reist, dort Produkte aus lokaler Produktion zu kaufen und mit nach Hause zu nehmen. ({0}) Dies ist auch ein Gebot der Glaubwürdigkeit, ({1}) wenn wir gleichzeitig die Entwicklung einer örtlichen Wirtschaft zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze anmahnen und in der Entwicklungspolitik aktiv unterstützen. ({2}) Die Kritik des Kollegen Raabe, es gehe Bundesminister Niebel nur um seine persönlichen Bedürfnisse, ({3}) geht völlig ins Leere. Es wäre für die Menschen in den Entwicklungsländern ein ganz fatales Ergebnis, wenn als Folge dieses Vorfalls kein Politiker mehr örtliche Produkte kaufen würde. ({4}) Mit Ihrer unsachlichen und diffamierenden Kritik, Herr Raabe, hätten Sie dieses Ergebnis zulasten der Entwicklungsländer zu verantworten. ({5}) Völlig richtig ist natürlich, dass Transport und Einfuhr privat erworbener Waren korrekt abgewickelt werden müssen. ({6}) Dabei dürfen dem Steuerzahler keine Kosten entstehen. Ich sehe aber nicht, dass die Nutzung des Flugzeugs des BND solche Kosten verursacht hat. ({7}) Wäre Bundesminister Niebel mit einer Regierungsmaschine geflogen, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, zu kritisieren, dass er einen privat erworbenen Teppich im Gepäck mit nach Hause nimmt. Natürlich müssen Einfuhrabgaben wie Zölle und Mehrwertsteuer regelgerecht entrichtet werden. Bundesminister Niebel hat die diesbezüglichen Fehler eingeräumt, sich entschuldigt und unverzüglich das Verfahren eingeleitet, um die Einfuhrabgaben nachzuentrichten. Sie versuchen, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Sie versuchen, einen Fehler, den der Minister sofort eingeräumt und geheilt hat, künstlich zu einem Skandal aufzublasen. Einmal mehr scheuen Sie sich nicht, Ihre parteipolitischen Interessen in den Vordergrund zu stellen - des Ansehens unseres Landes und der politischen Klasse ungeachtet. Wenn Sie bei einer zugegebenermaßen unnötigen, aber in der Substanz geringen Verfehlung immer gleich ein Teeren und Federn fordern, dann trägt das in der Bevölkerung nicht zur Stärkung des Vertrauens in die politische Klasse bei. ({8}) Uns allen sollte dieser Vorfall eine Lehre sein: Wir haben peinlichst genau darauf zu achten, privates und dienstliches Handeln so voneinander zu trennen, dass alle Regeln eingehalten werden und unser privates Handeln nicht der Öffentlichkeit zur Last fällt. Der Öffentlichkeit zur Last fällt allerdings diese absolut überflüssige Aktuelle Stunde. Sie stiehlt uns wichtige Zeit, die wir nutzen könnten, um über drängende politische Themen zu sprechen, und sie löst keine Entwicklungsprobleme. Man kann es allerdings auch als gutes Zeichen werten, dass die Opposition eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat. Offenbar gibt es sonst keine Kritik an der Entwicklungspolitik der Koalition. ({9}) Angesichts unserer positiven Bilanz ist das auch logisch. Die Koalition hat mit der Vorfeldreform einen zentralen Erfolg bei der Schaffung von mehr Kohärenz und Effizienz erzielt. Wir haben deutlich umgesteuert, und zwar in Richtung der Förderung nachhaltiger Entwicklung; das heißt, für gute Regierungsführung, für mehr Bildung und Berufsbildung, ({10}) für die Förderung der Privatwirtschaft in den Entwicklungsländern, um Arbeitsplätze zu schaffen, für mehr Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung, für eine bessere Ernährungssicherheit und für produktivere Landwirtschaft. ({11}) In vielen Bereichen wurden die Mittel deutlich gesteigert. Diese Bilanz der christlich-liberalen Koalition kann sich sehen lassen. Davon darf und kann der verunglückte Kauf eines Teppichs nicht ablenken. Vielen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Letzte Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Hendricks. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Hendricks. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wollen wir den Sachverhalt des fliegenden Teppichs des Herrn Niebel doch einmal unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten prüfen: ({0}) Herr Niebel hat sich entschieden, nach § 371 der Abgabenordnung eine Selbstanzeige zu erstatten; Frau Kollegin Koczy hat darauf schon hingewiesen. Er hat dies getan, nachdem er von Redakteuren von Spiegel Online angerufen oder auf andere Weise kontaktiert wurde. Die Finanzverwaltung wird zu prüfen haben, ob diese Selbstanzeige rechtzeitig erfolgt ist oder ob sie nicht doch - weil der Sachverhalt schon öffentlich war; wenn vielleicht noch nicht öffentlich, so doch an anderer Stelle bekannt - zu spät erfolgt ist. ({1}) Dieser Sachverhalt wird durch die Finanzverwaltung zu prüfen sein. ({2}) Wir stellen also fest, dass wir es hier nicht mit einem bloßen Fehler, sondern zumindest mit dem Versuch der Steuerhinterziehung zu tun haben. Ob dieser Versuch vollendet ist, wird die Finanzverwaltung festzustellen haben. ({3}) - Nein, ich weiß, dass das richtig ist. Man kann tatsächlich Straftaten auch aus Unachtsamkeit begehen. Das ist zweifellos möglich. ({4}) Auch wenn es nur Unachtsamkeit gewesen wäre, wäre möglicherweise trotzdem ein Straftatbestand erfüllt. Ob er vollendet ist, werden die Finanzverwaltung und in der Folge die Gerichte klären. ({5}) - Ja, wir haben unabhängige Gerichte, sie werden sich damit auseinandersetzen. Zunächst wird die Finanzverwaltung prüfen und anschließend möglicherweise die Staatsanwaltschaft, möglicherweise aber auch nicht. Es handelt sich hier aber nicht um einen einfachen Bürger, sondern um einen Bundesminister, und ein Bundesminister muss sich im Zweifelsfall eben auch diesem Parlament und nicht nur der Finanzverwaltung und den unabhängigen Gerichten stellen. ({6}) Dies hat er getan, indem er gesagt hat, er habe einen Fehler begangen, diesen räume er ein und es tue ihm leid. Was ist denn zum Beispiel mit einem 14-Jährigen, der im Supermarkt eine Schachtel Zigaretten klaut, ({7}) am Ausgang des Supermarktes erwischt wird und sagt: „Es tut mir leid“? ({8}) Der Detektiv kann ihn natürlich trotzdem der Strafverfolgung überantworten. Ob er dann verurteilt wird, ist eine andere Frage. Möglicherweise muss er Sozialstunden leisten. So etwas in der Art kann folgen. ({9}) - Herr Döring, ich komme gerne auf Sie zurück. Es ist völlig richtig: „Steuerpflichtig ist, wer einführt“. Hier und heute und auch schon durch die Äußerungen, die Sie bisher öffentlich gemacht haben, tun Sie aber wirklich etwas, was eines Bundestagsabgeordneten nicht würdig ist. Sie wollen den Minister exkulpieren, indem Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Botschaft und den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ({10}) für etwas verantwortlich machen, was sie wirklich nicht zu verantworten haben. ({11}) - Entschuldigung, Herr Präsident!

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht bekomme ich hinterher ja eine Minute extra. ({0}) - Herr Lindner, ich erinnere an die Worte des Kollegen van Aken. Das reicht, was Sie anbelangt. Danke schön. ({1}) Sie sagen, derjenige, der einführt, sei derjenige, der hinterzogen hat. Damit unterstellen Sie doch, dass der Präsident des Bundesnachrichtendienstes diese Steuerhinterziehung begangen hätte. Das können Sie als Abgeordneter doch nicht ernsthaft tun. ({2}) - Wissen Sie, ich erinnere noch einmal an die Worte des Kollegen van Aken. Für alle Zuhörer: Er ist der berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist eben nicht damit getan, dass man sagt: Ich habe da einen Fehler begangen. Herr Niebel, haben Sie denn vom Bundesnachrichtendienst eigentlich zum Beispiel schon die Transportkosten in Rechnung gestellt bekommen? Die Transportkosten sind nämlich genauso wie der Kaufpreis Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer von 19 Prozent und für die Zollabgabe von 3 Prozent. Also müssen die Transportkosten zum Warenwert des Teppichs hinzugerechnet werden. Es ist also nicht mit 19 Prozent von 1 000 Euro getan, sondern hinzu kommen noch die Transportkosten. Haben Sie die Transportkosten entrichtet? ({0}) Wenn Ihnen der Bundesnachrichtendienst diese Transportkosten nicht in Rechnung stellt, dann müssen Sie dies als geldwerten Vorteil versteuern. Haben Sie das schon gemacht? Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre strafbefreiende Selbstanzeige möglicherweise gar nicht strafbefreiend ist, weil sie nicht vollumfänglich abgegeben worden ist. ({1}) Hier sind nämlich mehrere Sachverhalte, die Sie allem Anschein nach auch im Nachhinein nicht beachtet haben. Dies ist nicht unerheblich für einen Bundesminister. ({2}) Es ist in der Tat so: Diese Koalition nimmt für sich in Anspruch, eine bürgerlich-liberale Koalition zu sein. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluss kommen?

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre es möglich, dass Sie einmal darüber nachdenken, ob der bürgerliche Anstand noch bei allen von Ihnen vorhanden ist? ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, wir werden bei allen Debatten darauf zu achten haben, ob wir alle Begriffe immer so parlamentarisch anwenden, um den einzelnen Kollegen jeweils in der Form anzusprechen, wie es unter Kollegen immer üblich sein sollte. ({0}) Insofern werden wir noch einmal nachlesen, wie Sie das formuliert haben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Juni 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.