Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich begrüße Sie sehr herzlich und wünsche uns allen
einen schönen Nachmittag.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Reform
des Seehandelsrechts.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön, Frau Ministerin.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vom Bundeskabinett
beschlossenen Gesetzentwurf zur Reform des Seehandelsrechts soll das weitgehend noch aus dem 19. Jahrhundert stammende deutsche Seehandelsrecht den Bedürfnissen der maritimen Wirtschaft im Jahre 2012 angepasst
werden. Ziel ist, den Wirtschafts-, Rechts- und Justizstandort Deutschland zu stärken. Das gilt besonders mit
Blick auf Norddeutschland und seine wichtigen Häfen.
Zu diesem Zweck sieht der Gesetzentwurf Folgendes
vor: Wir strukturieren in unserem Handelsgesetzbuch,
HGB - das ist also leicht zu finden -, das Seehandelsrecht. Wir schaffen aber auch überholte Institute ab.
Manche stammen noch aus dem Mittelalter. Bei der sogenannten Partenreederei beispielsweise kommt es allein
auf das Eigentum am Schiff an. Das ist mit den Entwicklungen im Gesellschaftsrecht nicht mehr in Einklang zu
bringen.
Wir wollen das Gesetz aber auch vereinfachen; denn
es geht hier um verschiedene Verträge. Zu den Beförderungsverträgen gehören zum einen die Seefrachtverträge
und zum anderen die Personenbeförderungsverträge.
Hier werden deutliche Differenzierungen in Bezug auf
die Übersichtlichkeit und Klarstellung geschaffen und
Unsicherheiten, welche vertraglichen Regelungen noch
gelten, beseitigt. Neben den Beförderungsverträgen gibt
es noch die Schiffsüberlassungsverträge. Dazu zählen
Schiffsmieten und Zeitcharterverträge. All das soll jetzt
getrennt geregelt werden. Damit ist es für die Betroffenen übersichtlicher gestaltet.
Zur Neuregelung gehört die Differenzierung zwischen Stückgutfrachtverträgen und Reisefrachtverträgen.
Daneben wird die Personenbeförderung vertraglich geregelt.
Ein wichtiger Punkt dieses Gesetzentwurfes ist: Mit
unseren Haftungsregelungen orientieren wir uns an internationalen Übereinkommen. Das ist für den Standort
Deutschland wichtig. Hätten wir hier ein von internationalen Standards abweichendes Recht, dann wäre es für
die Reeder in Deutschland und für die Reeder, die den
Haftungsregelungen in Deutschland unterworfen sind,
von Nachteil. Es würde dann versucht werden, nicht das
deutsche Recht anwenden zu müssen. Wir wollen uns
nicht vom Recht anderer wichtiger Seerechtsnationen
abkoppeln. Nach deutschem Recht sollen vor allem Beförderer nicht schlechter gestellt werden als Beförderer,
die ausländischem Recht unterliegen.
In einem weiteren Punkt nehmen wir eine Änderung
vor: Wir halten nicht mehr am gesetzlichen Ausschluss
der Haftung von Beförderern fest, wenn es um Schäden
geht, die entweder von der Schiffsbesatzung bei der Führung oder der sonstigen Bedienung des Schiffes oder
durch Feuer an Bord des Schiffes verursacht werden.
Das ist ein Haftungsausschluss, der aus dem 19. Jahrhundert stammt und der sich heute wohl kaum noch
rechtfertigen lässt. Daher machen wir Schluss damit, gerade im Interesse derjenigen, deren Güter mit Schiffen
befördert werden.
Auf europäischer Ebene gibt es die „EG-Verordnung
von 2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von
Reisenden auf See“, die im Dezember dieses Jahres in
Kraft tritt. Darin werden die Haftungsregelungen ebenfalls verschärft. Wie wichtig ein guter Schutz von
Schiffspassagieren ist, hat der Unfall der „Costa Concordia“ gezeigt. Mit der Reform soll sichergestellt werden,
dass das hohe Schutzniveau, das ab Ende dieses Jahres
auf EU-Ebene gilt, auch für Schiffsbeförderungen zutrifft, die nicht unter die EG-Verordnung fallen, zum
Beispiel bei innerstaatlicher Küstenschifffahrt oder der
Binnenschifffahrt. Daher wünschen und hoffen wir, dass
das sehr umfangreiche Gesetzentwurfspaket bis zum
Ende dieses Jahres beraten und verabschiedet werden
kann, sodass wir unser nationales Recht im Gleichklang
mit den entsprechenden EU-Regelungen ausrichten können.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Es liegt nun zu diesem Themenbereich, den Sie eben dargestellt haben, die
erste Frage vor, und ich gebe das Wort Frau Kollegin
Dr. Valerie Wilms. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau
Ministerin, für Ihren Bericht. Ganz so euphorisch wie
Sie bin ich an dieser Stelle jedoch nicht. Denn es gibt
durchaus neue Regeln zum Thema Seehandelsrecht, zum
Beispiel die Rotterdam Rules. Es wundert mich schon
ein wenig, dass Sie diese Regeln nicht mit herangezogen
haben. Es wäre da mehr möglich gewesen. Warum haben
Sie die Rotterdam Rules nicht einbezogen?
Im Bereich Seehandelsrecht gibt es viele international
gültige Übereinkommen, so das ursprüngliche Übereinkommen, die Haager Regeln, und das Ergänzungsprotokoll, die Visby-Regeln. Mit den Rotterdam Rules haben
wir uns natürlich intensiv beschäftigt, und zwar in den
Beratungen, die von einer Sachverständigenkommission
fünf Jahre lang vorbereitet wurden und die jetzt über ein
Jahr lang intensivste Diskussionen mit allen Interessierten nach sich gezogen haben. Die Rotterdam Rules sind
bis heute noch nicht in Kraft. Keiner weiß, wann sie in
Kraft treten können. Der Zeitpunkt ist noch ungewiss.
Insofern ist es sicherlich richtig, dass wir uns im Großen und Ganzen an dem aktuell geltenden internationalen
Stand der Übereinkommen orientieren. Wir haben allerdings auch einige Punkte aus den Rotterdam Rules - wie
gesagt, bis jetzt und auch absehbar nicht in Kraft - übernommen, zum Beispiel die elektronischen Beförderungsdokumente und einige andere Dinge. Insofern hatten wir
diese Rules sehr wohl im Blick, haben uns aber nicht ausschließlich an ihnen orientiert.
Vielen Dank. - Sie haben eine weitere Nachfrage?
Bitte schön, Frau Dr. Wilms, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Nach meinem Wissensstand sind die Rotterdam Rules nunmehr von Spanien ratifiziert worden; 24 Staaten haben sie inzwischen
unterzeichnet. Insofern ist es schon ein bisschen erstaunlich, dass Sie fünf Jahre dazu brauchen, das Ganze in
Gang zu setzen, und es jetzt nicht schaffen, dass diese
Rules von Deutschland ebenfalls unterzeichnet werden.
Erläutern Sie mir doch bitte die Gründe für diese Vorgehensweise. Wer hat denn da im Hintergrund gedrückt?
Es gibt weder im Hintergrund noch im Vordergrund
jemanden, der gedrückt hätte. Wir haben uns daran
orientiert, welche Auswirkungen die Regelungen, die
wir jetzt im Seehandelsrecht verankern, auf den Standort
Deutschland haben werden. Zeichnung der Rotterdam
Rules heißt ja nicht, dass sie damit sofort in Kraft treten,
sondern dazu ist eine Ratifizierung notwendig, die nach
allem, was wir wissen, im Moment noch ungewiss ist.
Wir wissen nicht, wann sie erfolgt.
Wir müssen auch darauf achten, wie die Situation an
anderen Standorten ist. Wir können doch nicht Regelungen, die eindeutig zu einer deutlichen Verschärfung der
Haftung führen, bei uns in Kraft setzen, während sie noch
nicht von allen Staaten ratifiziert worden sind. Damit
würden wir die Reeder in Deutschland benachteiligen,
weil die verschärften Regelungen in anderen Staaten
noch nicht gelten. Wir müssen die Wettbewerbssituation
und die Gefahr von Benachteiligungen im Blick behalten.
Wir haben sehr wohl einige Aspekte der Rotterdam
Rules in die umfangreiche Reform einbezogen. Aber das
gilt nicht für alle Regelungen, insbesondere nicht für die,
die eine Benachteiligung nach sich ziehen, weil sie nirgendwo sonst gelten. Das wäre im Interesse unseres
Wirtschaftsstandortes zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
richtig.
Vielen Dank. - Als nächsten Fragesteller habe ich unseren Kollegen Herbert Behrens.
Frau Ministerin, Sie haben vor einem Jahr den Referentenentwurf vorgelegt. Eben haben Sie den Begriff der
Vereinfachung angeführt. Nebenbei bemerkt: Der Referentenentwurf umfasst 250 Seiten, aber gut. - Es hat nun
ein Jahr gedauert, bis man so weit war, heute im Kabinett darüber zu beraten und einen endgültigen Vorschlag
vorzulegen. Was hat sich in diesem Zeitraum substanziell verändert? Ist der Zeitraum von einem Jahr der Tatsache geschuldet, dass es wesentliche Überarbeitungen
geben musste? Sie haben davon gesprochen, dass Sie
sich in diesem Jahr mit Interessierten beraten haben. Ich
würde gerne wissen, wer diese Interessierten sind. Es
gab eben den Hinweis auf die Reeder, ich denke, diese
Gruppe hat bestimmt eine Rolle gespielt.
Ein weiterer Punkt. Haben Sie aufgrund der aktuellen
Diskussion über die Sicherheit der Seewege in den Entwurf auch die Problematik aufgrund von Piraterie und
die Gewährleistung von Sicherheit auf Passagierschiffen
explizit eingearbeitet, was vor einem Jahr in der Form sicherlich noch nicht möglich gewesen ist?
Das war die Frage des Kollegen Herbert Behrens.
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Bevor wir diesen Entwurf heute im Kabinett beraten
haben, gab es eine Erörterung zu diesem Thema - das ist
so üblich -, und zwar mit allen Interessierten. Das ist auf
der einen Seite die verladende Industrie, die Schiffe
nutzt, um ihre Waren zu transportieren - hier geht es um
Haftungsfragen -, das sind auf der anderen Seite diejenigen, die Schiffe - sei es durch Überlassung oder durch
Eigentumserwerb - zur Verfügung stellen und damit für
Risiken zu haften haben. Das betrifft aber genauso Landesjustizverwaltungen, alle interessierten Verbände und
Institutionen, und zwar nicht nur Verbände aus dem Bereich der Wirtschaft. Alle sind zur Abgabe von Stellungnahmen aufgefordert worden und haben umfangreiche
Stellungnahmen abgegeben.
Dass es unterschiedliche Stellungnahmen zum Thema
Ausgestaltung von Haftungen gibt, ist klar; denn wir
verändern sie. Für Personenbeförderungen heben wir die
bisher geltende Grenze bei verschuldensabhängiger Haftung auf etwas unter 500 000 Euro an. Für Güterbeförderungen haben wir uns geeinigt, den gesetzlichen Haftungsausschluss für nautisches Verschulden und Feuer
zu beseitigen. Der verladenden Industrie ging es darum,
eine möglichst scharfe Haftung von Reedern für den Fall
zu schaffen, dass es zu Beschädigungen oder Unfällen
kommt.
All das zeigt: Es gibt sehr unterschiedliche Interessen,
die zu Recht artikuliert werden. Aber wir haben gerade
an dem genannten gesetzlichen Haftungsausschluss
nicht festgehalten, weil das aus unserer Sicht überhaupt
nicht mehr in die heutige Zeit passt.
Der Gesetzentwurf befasst sich nicht mit Piraterie
oder ähnlichen Themen. Wir haben für andere Fragen internationale Übereinkommen, die Gültigkeit haben, gerade wenn es um Ölhavarie oder andere Fälle geht. Wir
haben in unserem Gesetzentwurf dazu keine weiteren
Regelungen aufgenommen.
Vielen Dank. - Ich stelle fest, dass zu dem Gesetzentwurf zur Reform des Seehandelsrechts keine weiteren
Fragen vorhanden sind. Damit kommen wir zu weiteren
Fragen zur heutigen Kabinettssitzung. Gemeldet hat sich
unsere Kollegin Frau Dr. Valerie Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Am Montag hat der
Club of Rome seinen neuen Bericht vorgelegt: 2052:
Eine globale Vorausschau. Es geht um die Grenzen des
Wachstums. Dieser Bericht ist in der Presse heute und
gestern ausführlich behandelt worden.
Der erste Bericht des Club of Rome führte zum Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro. Die Bundeskanzlerin betont immer wieder gerne, dass Klaus Töpfer und Helmut
Kohl den Rio-Prozess vorangetrieben haben. 20 Jahre
später, im Juni dieses Jahres, findet die Nachfolgekonferenz in Rio statt. Dort werden die Weichen für die
nächsten Jahre gestellt. Diese Weichenstellungen sind
entscheidend für das Schicksal der Menschheit. Warum
hat die Bundeskanzlerin als Vertreterin einer der wichtigsten Industrienationen der Erde ihre Teilnahme abgesagt? War diese Absage Thema der heutigen Kabinettssitzung?
Vielen Dank. - Ich gebe das Wort dem Staatsminister
bei der Bundeskanzlerin. Bitte schön.
Frau Kollegin, das war heute nicht Thema der Kabinettssitzung.
({0})
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Dagmar
Enkelmann.
Seehandelsrecht scheint ein sehr spannendes Thema
zu sein. Es gibt aber noch ein weiteres spannendes
Thema - ich gehe jetzt von der See in die Luft -: Gestern
ist erneut die Eröffnung des Willy-Brandt-Flughafens
verschoben worden. Der Bund ist ebenfalls Eigentümer,
nicht nur die Länder Berlin und Brandenburg. Hat sich
das Kabinett heute mit der erneuten Verschiebung der
Eröffnung beschäftigt? Hat es sich mit den Folgen dieser
Verschiebung für den gesamten Luftverkehr beschäftigt?
Vor allen Dingen möchte ich wissen: Hat sich das Kabinett mit der Frage beschäftigt, wer für die Mehrkosten
aufkommt?
Vielen Dank. - Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Enkelmann, der Umstand an sich ist
vom Verkehrsminister in der Sitzung angesprochen worden. Die umfangreichen Fragen, die Sie an diese Verschiebung geknüpft haben, konnten bisher im Kabinett
noch nicht geklärt werden. Zunächst sind die Länder gefordert. Vielleicht erkundigen Sie sich einmal bei der
Landesregierung Brandenburg, an der Ihre Partei beteiligt ist.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Ingrid Hönlinger. Dann folgt der Kollege Volker
Beck.
Vielen Dank. - Wir hatten heute im Rechtsausschuss
eine recht lebendige Diskussion über den Gesetzentwurf
der Grünen zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Insbesondere ging es in der Diskussion um
die Themen Steuerrecht und Adoption. In einer Tickermeldung von heute ist zu lesen, dass das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf zu einer stärkeren
Gleichstellung der Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare mit der Ehe vorlegen will. Einkommensteuer und Adoption sollen allerdings ausgenommen
sein. Ich würde gerne wissen, welche Bereiche geregelt
werden sollen und ob dies Thema der Kabinettssitzung
war. - Danke.
Herr Staatsminister.
Das war nicht Gegenstand der Kabinettssitzung, Frau
Kollegin. Die Justizministerin ist gerne zur sachlichen
Beantwortung der Frage bereit.
Frau Kollegin, bei dem von Ihnen angesprochenen
Entwurf geht es darum: Im Zusammenhang mit der Beantwortung einer Großen Anfrage zur eingetragenen
Lebenspartnerschaft wurde deutlich, dass in vielen Gesetzen Regelungen vorhanden sind, die nicht dem heutigen Rechtsstand „eingetragene Lebenspartnerschaft“
entsprechen. Es sollen entsprechende Korrekturen vorgenommen werden. Materiell-rechtliche Regelungen
hinsichtlich des Steuerrechts, insbesondere des Einkommensteuerrechts, und der Adoption sind jedoch nicht
enthalten. Zu dem letzten Punkt werden in der Koalition
unterschiedliche Auffassungen vertreten. Bezüglich des
anderen Punktes warten wir auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts.
Vielen Dank. - Nächster Fragesteller, wie angekündigt, Kollege Volker Beck.
Zum gleichen Thema, zum gleichen Gesetzentwurf.
Ich finde es schön, dass unsere Große Anfrage zu einer
Gesetzesinitiative aus Ihrem Hause führt, weil Sie endlich gemerkt haben, wo es überall klemmt. Erstaunlich
finde ich, dass die größten rechtspolitischen Fragen in
den beiden Bereichen Einkommensteuer- und Adoptionsrecht nicht beantwortet werden. Das andere ist eher
rechtsbereinigender Natur.
Ich würde gerne wissen, welchen Status der Gesetzentwurf hat. Heute brüstet man sich in Agenturmeldungen mit diesem Vorstoß. Ist dieser Gesetzentwurf innerhalb der Bundesregierung abgestimmt? Warum war er
nicht Gegenstand der Kabinettssitzung, um ihn von der
Bundesregierung zu verabschieden? Pustet man einfach
einen Referentenentwurf in die Öffentlichkeit, weil am
13. Mai 2012 Landtagswahlen sind, oder steht die Koalition dahinter? Warum verstecken Sie sich bei einer offensichtlichen Diskriminierung im Steuerrecht hinter
dem Bundesverfassungsgericht?
Sehr geehrter Herr Kollege, die Bundesregierung und
die Koalitionsfraktionen haben in dem Bereich der eingetragenen Partnerschaft einiges auf den Weg gebracht.
Das Gesetz zur Übertragung ehebezogener Regelungen
im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften
ist in Kraft getreten. Wir haben die Magnus-HirschfeldStiftung geschaffen. Dies war ein einstimmiger Beschluss aller Fraktionen des Bundestages. Von dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen ist all das gemacht
worden, was von früheren Regierungen nicht gemacht
wurde.
({0})
Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, wenn wir in
unserer Rechtsordnung Anpassungen vornehmen. Das
ist, glaube ich, richtig. Wir werden einen Schritt nach
dem anderen gehen. Natürlich gibt es bei einigen Punkten unterschiedliche Auffassungen. Die Punkte, zu denen es unterschiedliche Auffassungen gibt, können nicht
- das ist klar - in eine gesetzliche Regelung gegossen
werden. Aber das heißt nicht, dass nicht jeder in der
Koalition seine Auffassung und Haltung dazu hat.
Es werden nicht irgendwelche Referentenentwürfe
herausgepustet. Wir arbeiten an einem Gesetzentwurf.
Es ist ganz normal, dass es etwas dauert, bis eine Kabinettsbefassung ansteht. Deshalb stand dieser Entwurf
heute nicht auf der Tagesordnung.
Kollege Volker Beck, Sie wollen nachfragen.
Frau Ministerin, ich hatte Sie gefragt: Ist dieser Gesetzentwurf oder Referentenentwurf - ich weiß immer
noch nicht, was es ist - abgestimmt zwischen den Häusern der Bundesregierung, oder muss diese Abstimmung
noch erfolgen? Ist es also ein Vorschlag Ihres Hauses
oder ein gemeinsamer Vorschlag der Bundesregierung?
Man hat dann einen Vorschlag der Bundesregierung,
wenn es einen Kabinettsbeschluss gibt. Ein Kabinettsbeschluss wird mit diesem Referentenentwurf vorbereitet.
Das ist meine Aufgabe als Verantwortliche für das federBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
führende Ressort. Weil wir uns selbst dazu verpflichtet
haben, die entsprechenden notwendigen Rechtsanpassungen vorzunehmen, habe ich als die federführende
Ministerin den Auftrag dazu.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt kommt eine Frage unseres Kollegen Herbert Behrens. Bitte schön.
Ich habe noch eine Nachfrage an Herrn Staatsminister
von Klaeden. Es geht um die Befassung mit der Verschiebung der Eröffnung des Flughafens BER. Wenn Sie
das Thema im Kabinett angesprochen haben, werden Sie
dies sicherlich auch im Hinblick auf unsere Verantwortung dort - der Bund ist mit knapp einem Viertel an dem
Flughafen beteiligt - getan haben. Insofern, denke ich,
ist sicherlich mehr bei der Befassung mit diesem Thema
herausgekommen. Der Hinweis, wir mögen uns bitte an
die Länder wenden, wenn wir Auskünfte brauchen,
reicht nicht.
In welcher Weise hat sich das Bundeskabinett mit
dem entstehenden Problem befasst, dass es unter Umständen Regressforderungen seitens einiger Firmen gibt,
die sich am neuen Flughafen ansiedeln wollten und dies
jetzt nicht pünktlich zum 3. Juni machen können, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, der uns erst
nächste Woche mitgeteilt werden soll? Ich denke, dass
bei der Erörterung dieses Themas ein bisschen mehr Verantwortung hätte gezeigt werden müssen. Ich erwarte,
dass Sie etwas mehr darüber berichten.
({0})
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, es bleibt bei meiner Antwort, dass diese
Frage vom Verkehrsminister angesprochen worden ist
und dass die weiteren Fragen zu prüfen und zu untersuchen sind.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Das ist
nicht der Fall. Ich beende somit die Befragung der Bundesregierung.
Bis zum geplanten Beginn der Fragestunde ist noch
etwas Zeit. Ich frage die Parlamentarischen Geschäftsführer: Können wir schon mit der Fragestunde beginnen? Es ist ja immer schwierig, erst zu unterbrechen und
später weiterzumachen. Der erste Fragesteller, der Kollege Bollmann, ist anwesend. Sollen wir also jetzt mit
der Fragestunde beginnen?
({0})
Ich rufe also den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/9517 Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gerd Bollmann auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Mehrwegverpackungen ökologisch vorteilhafter als recycelte bzw. recycelbare Einweggetränkeverkaufsverpackungen sind?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin, zur Beantwortung.
Herr Kollege Bollmann, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Einschätzung der Bundesregierung zur
ökologischen Vorteilhaftigkeit bestimmter Getränkeverpackungen beruht auf Ökobilanzuntersuchungen, die
den einschlägigen nationalen und internationalen Normen entsprechen und vom Umweltbundesamt geprüft
und bewertet worden sind. Diese Studien belegen die
grundsätzliche ökologische Vorteilhaftigkeit von Mehrwegflaschen. Dabei erweisen sich Mehrwegflaschen aus
PET jeweils als die ökologisch günstigste Verpackung.
Einige Einweggetränkeverpackungen schneiden, vergleichbar mit Glasmehrwegflaschen, in den vorliegenden
Ökobilanzstudien gut ab. Deshalb sind in der Verpackungsverordnung ökologisch vorteilhafte Einweggetränkeverpackungen von der Pfandpflicht befreit.
Bei der Beurteilung der ökologischen Effekte einer
Verpackung spielt das Recycling eine wesentliche Rolle.
Es ist jedoch nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr ist
der gesamte Lebensweg einer Verpackung zu berücksichtigen. In der vergangenen Woche habe ich Ihnen Ihre
schriftliche Frage zu diesem Thema beantwortet. In meiner Antwort habe ich bestätigt, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass das Recycling der im Pfandsystem sortenrein zurückgenommenen PET-Flaschen zur
Verringerung negativer ökologischer Effekte aufgrund
sinkender Mehrweganteile beiträgt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Ich habe eine Zusatzfrage: Wenn die Bundesregierung
der Ansicht ist, dass Mehrwegflaschen vorteilhaft sind,
was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Mehrwegsystem in Zukunft zu stärken?
Es gibt verschiedene Wege, die wir gehen können.
Erstens haben wir weitere Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben; eines wird im Jahre 2014 abgeschlossen
sein. Zweitens ist das Thema Kennzeichnung und Transparenz wichtig.
Kollege Bollmann, haben Sie eine weitere Nachfrage?
({0})
- Vorher stellt noch unser Kollege Kelber eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, verfolgt die Bundesregierung
im Hinblick auf die Mehrwegquote bzw. die Quote ökologisch vorteilhafter Verpackungen eine bestimmte Zielgröße? Wenn ja, um welche Zielgröße handelt es sich?
Werden Sie eine Evaluierung vornehmen, die zeigt, ob
Sie in der Lage sind, diese Quote mit Ihren Instrumenten
zu erreichen?
Eine Evaluierung der Pfandpflicht haben wir bereits
durchgeführt und 2010 Ergebnisse vorgelegt. Ergänzend
wird gegenwärtig eine Ökobilanzstudie durchgeführt,
die - um ganz korrekt zu sein - das UBA in Auftrag gegeben hat; an dieser Studie wird derzeit am Ifo-Institut in
Heidelberg gearbeitet. Sie trägt den Titel „Prüfung und
Aktualisierung der Ökobilanzen für Getränkeverpackungen“. Darin geht es um einen Vergleich sowie um die
Entwicklung einheitlicher Bewertungsgrundsätze und
methodischer Vorgaben.
Wir wollen den Mehrweganteil erhöhen. Dies ist unter anderem bei Bierflaschen bereits gut gelungen, bei
anderen Getränkeverpackungen weniger. Wir meinen,
dass mehr Transparenz für den Verbraucher hier besonders wichtig ist.
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 2 unseres Kollegen
Gerd Bollmann auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zusätzlich
zur geplanten Kennzeichnungsverordnung ergreifen, um auf
die weiterhin sinkenden Mehrwegquoten bei Getränkeverkaufsverpackungen zu reagieren?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung verspricht sich von der vorgesehenen Kennzeichnungsregelung eine Verbesserung der Transparenz und damit eine
Förderung der Mehrweganteile. Daneben wird die Information der Öffentlichkeit sowohl durch die Bundesregierung als auch durch Wirtschaftsbeteiligte und Umwelt- und Verbraucherverbände auch in der Zukunft eine
wichtige Rolle spielen.
Grundlage der Überlegungen des Bundesumweltministeriums zur Förderung von ökologisch vorteilhaften
Getränkeverpackungen ist die Studie der bifa Umweltinstitut GmbH aus dem Jahr 2010. Die Ergebnisse der Studie werden auch bei den Arbeiten zu der vorgesehenen
Fortentwicklung der Verpackungsverordnung berücksichtigt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Meine erste Nachfrage schließt sich hier direkt an. Da
die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten längst unterschritten sind: Denkt die Bundesregierung an Veränderungen im Gesetz, oder welche Maßnahmen gedenkt die
Bundesregierung hier anzupacken?
Eine Möglichkeit ist ja die Kennzeichnung.
({0})
Der damalige Bundesumweltminister Gabriel hat seinerzeit, im Jahr 2009, einen entsprechenden Vorschlag zu
unterbreitet. Er hat allerdings übersehen, dass dies ein
kompliziertes Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Kommission nach sich zieht. Wir versuchen jetzt,
gemeinsam mit der Kommission Lösungen dafür zu finden, Transparenz und Deutlichkeit für den Verbraucher
herzustellen. Hierzu wird es Vorschläge geben.
Ich glaube, dass es das beste und wirkungsvollste Instrument ist, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher
am Point of Sale, also am Einkaufsort, ganz klar unterscheiden können, ob es sich um Einweg- oder Mehrwegverpackungen handelt.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Ungeachtet der Kennzeichnung ging meine Frage allerdings in diese Richtung: Wird die Bundesregierung
gesetzliche Maßnahmen ergreifen, wenn die bereits
heute deutlich unterschrittene Quote weiterhin unterschritten wird?
Wir glauben, dass eine Kennzeichnung und Klarheit
die geeigneteren Schritte sind als die von der SPD mehrfach geforderte Lenkungsabgabe, die für uns kein geeigneter Schritt wäre.
Zunächst eine Zusatzfrage des Kollegen Ulrich
Kelber.
Die letzte Antwort interpretiere ich als ein Nein. Sie
planen also keine zusätzlichen Maßnahmen, auch wenn
Sie das so nicht gesagt haben.
Meine Frage vorhin, die Sie nicht beantwortet haben,
war: Bleiben Sie bei den bisherigen Quotenvorgaben für
Mehrweg- und für ökologisch vorteilhafte Verpackungen, oder hat sich die Bundesregierung neue quantitative
Vorgaben gesetzt, ab denen sie weitere politische Maßnahmen ergreifen möchte?
Es gibt keine neuen Quoten. Wir schrauben sie auch
nicht nach unten. Erklärtes Ziel ist, den Anteil ökologisch vorteilhafter Mehrweggetränkeverpackungen zu
erhöhen.
Ich weise an dieser Stelle aber auch darauf hin, dass
die Förderung dieser Verpackungen, auch soweit sie in
der Verpackungsverordnung bereits angelegt ist, in Brüssel immer wieder gerechtfertigt werden muss. Wir wollen, müssen und werden darauf achten, dass wir diese
Förderung nicht durch Brüssel gestrichen bekommen.
Vielen Dank. - Nachfrage unseres Kollegen Ralph
Lenkert.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie führten eben
aus, dass Sie der Meinung sind, dass die Kennzeichnung
ein ausreichendes Mittel ist.
Ich würde jetzt gerne wissen, wie lange Sie dieser
Meinung sein werden, da die Mehrwegquoten ja sinken,
und wann für Sie der Punkt erreicht ist, neue Maßnahmen zu ergreifen.
Herr Kollege Lenkert, es gibt eine Reihe von Vorschlägen, sowohl aus dem parlamentarischen Raum als
auch von interessierten Verbänden, um die Quoten zu erhöhen. Ich sage noch einmal, dass uns die derzeitigen
Quoten natürlich nicht zufriedenstellen. Trotzdem muss
jede Einzelmaßnahme intensiv geprüft werden; denn ein
Streit mit der Kommission über diese oder jene Lenkungswirkung kann dann schädlich sein, wenn die von
uns eingeführte und durch die Verpackungsverordnung
realisierte Förderung von Mehrwegverpackungen am
Ende des Tages fortfällt.
Deshalb sagen wir, dass wir mit Werbemaßnahmen,
einer Kennzeichnungspflicht und Transparenz auf einem
guten Weg sind. Alle Studien zu einer zusätzlichen Lenkungsabgabe haben zudem ergeben, dass diese nicht akzeptiert werden würde.
Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 3 von unserem
Kollegen Dr. Matthias Miersch:
Wann wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die angekündigten Eckpunkte
für das geplante Wertstoffgesetz vorlegen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Miersch, die Bundesregierung hat sich
das Ziel gesetzt, nach der Verabschiedung des neuen
Kreislaufwirtschaftsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode die Verpackungsverordnung fortzuentwickeln
und eine einheitliche Wertstofferfassung einzuführen.
Über den Sachstand wurde mehrfach in den Ausschüssen, auch durch meine Person, berichtet. Zusätzlicher
Forschungsbedarf, der sich aus dem im vergangenen
Jahr durchgeführten Planspiel ergeben hat, wird in
Kürze abgearbeitet sein.
Der Verlauf der Beratungen zum Kreislaufwirtschaftsgesetz hat bestätigt, dass es einer Lösung bedarf,
die privatwirtschaftliche und kommunale Interessen
sorgfältig austariert. Das Bundesumweltministerium
strebt an, einen zielführenden, konsensfähigen Regierungsentwurf vorzulegen. Dabei wird es nicht darauf ankommen, ob dieser Entwurf nun eine Woche früher oder
eine Woche später vorliegt. Es wird darauf ankommen,
einen fairen Interessenausgleich zu ermöglichen und
letztlich die erforderliche Zustimmung im Rechtsetzungsverfahren zu erlangen.
({0})
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - So schwierig
war die Frage nicht: Wir haben nach einem Zeitpunkt
gefragt. Jetzt sagen Sie: Es ist nicht wichtig, ob der Entwurf eine Woche früher oder eine Woche später vorliegt.
Wir haben nach den Eckpunkten und der Vorlage durch
Ihr Ministerium - dafür sind Sie zuständig - gefragt.
Wird das noch in dieser Legislaturperiode sein, die unterschiedlich lang sein kann?
({0})
Ich weiß nicht, welche Kenntnisse Ihr Haus hat. Aber
könnten Sie es noch etwas präziser sagen: Wann werden
Sie diese Eckpunkte vorlegen, damit der Deutsche Bundestag in der Ausführlichkeit, die Sie eben beschrieben
haben, beraten kann?
Wir werden die Eckpunkte dann vorlegen, wenn wir
einen größtmöglichen Konsens zwischen allen Beteiligten erreicht haben. Wir haben uns außerdem im Koalitionsvertrag verpflichtet, einen Entwurf in dieser Legislaturperiode vorzulegen. Das wollen wir auch erreichen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Heißt das, dass Sie diesen Konsens schon im Vorfeld
erreichen wollen und dass Sie möglicherweise einen
Entwurf zwar in dieser Legislaturperiode vorlegen wollen, aber den Deutschen Bundestag nicht mehr in die
Lage versetzen wollen, diesen so wichtigen Gesetzentwurf zu verabschieden?
Ziel ist der Abschluss der Gesetzgebung. Aber, Herr
Kollege Miersch, wir erinnern uns beide gut an die
Diskussionen im zuständigen Bundestagsausschuss über
einen Ausgleich zwischen den Interessen der Privatwirtschaft und denen der Kommunen, zwischen den Beteiligten im Bundestag und im Bundesrat. Im Bereich der
Verpackungsentsorgung haben wir ein seit 20 Jahren bewährtes privatwirtschaftliches System. Zudem haben wir
gerade ein neues Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschiedet, wodurch es hier und da zu neuen Akzenten gekommen ist. Wir wollen und müssen uns jetzt die Zeit
nehmen, zu einer Lösung zu kommen, die von allen Beteiligten gleichermaßen akzeptiert wird.
Vielen Dank. - Jetzt kommen wir zur Frage 4 des
Kollegen Dr. Matthias Miersch:
Welchen Umfang hat der sogenannte Pfandschlupf derzeit,
und welche Maßnahmen wird das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angesichts der
anstehenden Überarbeitung der Verpackungsverordnung ergreifen, um diesen zu verringern?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Miersch, zum Anteil der nicht eingelösten Pfandgelder liegen der Bundesregierung keine konkreten Erkenntnisse vor. Dies gilt sowohl für Einwegals auch für Mehrweggetränkeverpackungen. Nach Aussagen von Marktteilnehmern liegt der Pfandschlupf bei
bepfandeten Einwegverpackungen unterhalb von 4 Prozent des Pfandaufkommens.
({0})
Nicht eingelöste Einwegpfandgelder verbleiben nach
Kenntnis der Bundesregierung bei den Pfandkontoführern innerhalb des DPG-Systems, also in der Regel bei
den Abfüllern. Sie werden zur Finanzierung des Rücknahmesystems verwendet.
Den Verbraucherinnen und Verbraucher steht in
Deutschland ein flächendeckendes, einheitliches Rücknahmesystem für bepfandete Einweggetränkeverpackungen zur Verfügung, das offenbar für nahezu alle diese
Verpackungen genutzt wird. Die Bundesregierung sieht
keinen Anlass für zusätzliche Maßnahmen zur weiteren
Erhöhung der Rückgabequote bei bepfandeten Einwegverpackungen.
({1})
Bitte schön, Ihre Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass der
Bundesregierung keine Erkenntnisse vorlägen. Meinen
Sie nicht, dass man diesen Sachverhalt ändern und die
Bundesregierung zumindest in die Lage versetzen sollte,
darüber nachzudenken, ob man eine Steuerung vornimmt und, wenn ja, wie diese aussehen sollte, oder ist
es aus Ihrer Sicht ausreichend, sich nur auf Verbandsangaben zu verlassen?
Man steuert dann, Herr Kollege Miersch, wenn eine
ganz deutliche Schieflage vorliegt. 4 Prozent Pfandschlupf erscheint nicht als eine solche Schieflage.
Wir haben Zahlen aus einer bifa-Studie - zugegeben
aus dem Jahr 2010, aber das ist noch nicht veraltet bzw. aus einer Roland-Berger-Studie, wo man von einem
jährlichen Aufkommen von 175 Millionen Euro ausgeht.
Tatsächlich kann das auch noch niedriger liegen.
Demgegenüber stehen die notwendigen Aufwendungen. Diese liegen sehr viel höher als das, was durch die
4 Prozent Pfandschlupf hereinkommt. Wir meinen also,
es ist mehr als vertretbar, wenn sich das in diesem Bereich bewegt.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege.
Frau Staatssekretärin, Sie haben auch diese Frage
wieder nett umschifft. Ich frage Sie, ob es nicht notwendig ist, dass sich der Bundesumweltminister Kenntnisse
verschafft, um die Umweltpolitik zu gestalten, möglicherweise auch eigenständig, statt sich auf Verbandsangaben zu verlassen. Wie schätzen Sie dies ein?
Ich habe gesagt, dass wir permanent mit allen Beteiligten im Gespräch sind. Die Erkenntnisse, die uns vorliegen, Herr Kollege Miersch, bieten keinen Anlass zur
Sorge. Ein Pfandschlupf von 4 Prozent bedeutet circa
1 Cent pro Gebinde. Wir meinen, das reicht nicht aus,
um zu handeln. Wir glauben, dass das System erfolgreich ist.
Ich weise noch auf etwas anderes hin: Im Gegensatz zu
Mehrwegverpackungen haben wir für die Pfandeinwegverpackungen ein flächendeckendes System. Der Verbraucher kann tatsächlich überall abgeben. Bei Mehrweg,
bei dem es eine sehr viel größere Vielfalt gibt, ist dies sehr
viel schwieriger zu realisieren. Wir haben mit den hohen
Rücknahmequoten etwas erreicht, das sicherlich so nicht
erwartet worden war, und meinen, dass wir hierbei eine
durchaus akzeptable Situation haben.
Noch die Nachfrage unseres Kollegen Ulrich Kelber.
Frau Staatssekretärin, da eventuell auch der Gesellschaft für die Beseitigung der Flaschen, die nicht wieder
im Pfandsystem landen, die also den Pfandschlupf verursachen, an anderer Stelle, zum Beispiel für die Säuberung der Landschaft, Kosten entstehen, frage ich Sie: Ist
die Bundesregierung bereit, eine unabhängige Studie in
Auftrag zu geben, um zu klären, ob die 4 Prozent, die
Sie als Begründung nennen, nicht weiter zu prüfen, auch
stimmen, oder verlassen Sie sich nur auf die Aussage der
Lobby selbst?
Zwei Aussagen dazu, Herr Kelber: Erstens zeigen alle
Studien und auch Umfragen, dass das Problem des Littering, also der Verschmutzung der Umwelt, seit Bestehen
der in Rede stehenden Regelungen deutlich zurückgegangen ist. Das wird Ihnen jeder bestätigen.
Zweitens. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Erwerb einer Flasche ein Pfand von 25 Cent
zahlen und dann, aus welchen Gründen auch immer,
nicht bereit sind, sich dieses wiederzuholen, haben die
Verbraucherinnen und Verbraucher an dieser Stelle, so
muss ich es sagen, auch ein Stück Eigenverantwortung.
Noch einmal: Die 4 Prozent Pfandschlupf, die bekannt
sind, geben keinen Anlass zur Sorge. Hier ist jeder Verbraucher aufgefordert, den Weg zu einer der Abgabestellen zu gehen, die flächendeckend vorhanden sind. Das
System ist auch einheitlich. Seit 2003 ist das so. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, damals noch durch Jürgen
Trittin verursacht, hat sich das absolut professionalisiert.
Wir meinen, dass weitere Abgaben und Zwangsmaßnahmen keine entsprechende Lenkungswirkung auf die Verbraucher hätten, die daran zudem auch kein Interesse haben.
({0})
Wir kommen nun zu Frage 5, gestellt von unserem
Kollegen Dirk Becker:
Aus welchen Gründen sah sich die Bundesregierung bisher außerstande, den bis Ende 2011 gesetzlich geforderten Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz,
EEWärmeG, vorzulegen, und wann beabsichtigt die Bundesregierung, in dieser Legislaturperiode einen Vorschlag für
eine Weiterentwicklung des Gesetzes zu unterbreiten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Die Arbeiten am Erfahrungsbericht zum ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz haben sich verzögert, da aufgrund
der komplexen Sachzusammenhänge im Wärmemarkt und
der schwierigen Datenlage bei dieser erstmaligen Erfahrungsanalyse ergänzende fachliche Forschungsarbeiten
notwendig waren. Daher wird der Erfahrungsbericht zum
Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz voraussichtlich Mitte
2012 dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden können.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
dass ein solcher Erfahrungsbericht vorgelegt werden
muss, wissen wir seit 2009. Die Vorarbeiten sind frühzeitig einzuleiten gewesen. Ist es nicht vielmehr richtig,
dass es erneut ein Problem in der Abstimmung zwischen
Herrn Röttgen und Herrn Rösler gibt, dass es also erneut
Probleme gibt, eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung vorzunehmen? Ist es in der Tat so, wie die
FDP-Fraktion heute Morgen im Ausschuss angemahnt
hat, dass Herr Röttgen selbst einfach nicht in der Lage
ist, seine Angelegenheiten fristgemäß zu erledigen, und
auf der Bremse steht? Das hat der Kollege Kauch heute
Morgen im Umweltausschuss so unterstellt.
Ich war heute Morgen nicht im Umweltausschuss.
({0})
Ich kann also das, was Kollege Kauch gesagt hat, nicht
kommentieren. Das würde ich von dieser Stelle aus
sowieso nicht tun.
Ich sage Ihnen, dass wir dabei sind, einen solchen Erfahrungsbericht erstmalig zu erarbeiten. Es laufen noch
Forschungsvorhaben. Sind diese abgeschlossen, präsentieren wir dem Deutschen Bundestag unseren Bericht,
um danach in weitere Beratungen einzusteigen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Becker.
Noch einmal konkret: Sie haben im Koalitionsausschuss vereinbart, dass dieser Bericht im zweiten Quartal vorliegen soll. In welcher konkreten Sitzungswoche
wird er uns dann vorliegen?
Herr Kollege Becker, die konkrete Sitzungswoche
kann ich Ihnen nicht nennen. Wir peilen Mitte dieses
Jahres an. Aber ich bin sicher, dass Sie alle so rechtzeitig
informiert werden, dass im Ausschuss ausreichend Gelegenheit bleibt, über diesen Bericht ausführlich zu diskutieren.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie sprachen gerade davon, dass noch verschiedene Forschungsvorhaben notwendig sind, um den Erfahrungsbericht vorlegen zu können. Könnten Sie uns darlegen,
um welche noch nicht abgeschlossenen Forschungsvorhaben es sich handelt und wer sie durchführt?
Wir haben verschiedene Modelle, Herr Kollege
Lenkert, wie wir den Ausbau der erneuerbaren Wärme
sowohl im Gebäudebestand als auch im Neubaubereich
vorantreiben können. Es gibt verschiedene Maßnahmen,
die man ergreifen kann. Wir wollen sicherlich weiterhin
beim System „fordern und fördern“ bleiben. Aber ich
werde Ihnen erst dann konkret Auskunft geben können,
wenn die Arbeiten abgeschlossen sind. So war dies bei
anderen Erfahrungsberichten üblich. So werden wir es
auch dieses Mal halten.
Wir kommen zu Frage 6, ebenfalls gestellt von unserem Kollegen Dirk Becker:
Wie schätzt die Bundesregierung jeweils die Einbeziehung
des Gebäudebestandes in die gesetzliche Verpflichtung zur
Nutzung erneuerbarer Energien bei der Erzeugung von
Heizwärme und Warmwasser sowie die Schaffung eines haushaltsunabhängigen Förderinstruments auf der Basis einer
Umlage auf fossile Brennstoffe - sogenannte Wärmeprämie in das EEWärmeG ein, und worauf stützt sie diese Einschätzung jeweils?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Becker, die Bundesregierung wird die
unterschiedlichen Instrumente zur zukünftigen Förderung von erneuerbaren Energien im Gebäudebestand auf
Grundlage der Forschungsberichte zum Erfahrungsbericht zum EE-Wärmegesetz prüfen.
Da haben Sie jetzt ganz sicher eine Nachfrage.
({0})
Bitte schön, Kollege Dirk Becker.
Ich hätte mehr Nachfragen, als Sie, Herr Präsident,
mir genehmigen würden.
Frau Staatssekretärin, meine Frage ist relativ konkret.
Auch ohne Erfahrungsberichte wissen wir, dass wir das
Ziel der Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien
im Gebäudebereich ohne die Einbeziehung des Gebäudebestandes nicht erreichen werden. Daher ganz konkret: Herr Röttgen stellt sich hin und spricht ständig vom
schlafenden Riesen Wärmemarkt, tut aber alles, um den
Riesen schlafen zu lassen und nicht aufzuwecken. Wie
sehen die Überlegungen und Planungen im BMU zur Erweckung dieses Riesen im Gebäudebestand konkret aus?
Zum Ersten werden wir über konkrete Maßnahmen
sprechen, wenn der Erfahrungsbericht vorliegt.
Zum Zweiten weise ich an dieser Stelle darauf hin,
dass seit der Regierungsverantwortung von Rot-Grün
zum Beispiel die Mittel für das Marktanreizprogramm
- das ist nur ein Instrument - fast verdoppelt wurden. Ich
finde, dass das eine handfeste Antwort auf die Frage ist,
was geschehen muss. Es stehen deutlich mehr Mittel zur
Verfügung als früher. Das ist schon einmal ein Hinweis
darauf, dass wir den Grundsatz „fordern und fördern“
ernst nehmen. Diese Summe von nunmehr 366 Millionen Euro ist sehr eindrucksvoll.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, Sie drücken sich um die Antwort. Das Marktanreizprogramm, das bisher auf freiwilliger Basis Investitionen ermöglichen soll, wird bei weitem nicht ausreichen. Sie haben die Mittel für dieses
Marktanreizprogramm reduziert, nicht erhöht. Sie haben
bezüglich der Finanzierung weiter verunsichert. Entscheidend ist, dass die verpflichtende Nutzung auch für
den Gebäudebestand gelten muss.
Noch einmal ganz konkret: Wird die Bundesregierung
das gemeinsam vereinbarte Ziel des Ausbaus von
Wärme aus erneuerbaren Energien ernst nehmen und
damit auch den Gebäudebestand verpflichtend ins EEWärmegesetz aufnehmen, oder bleibt es wieder einmal
bei den wolkigen Ankündigungen von Herrn Röttgen,
und die Maßnahmen bleiben aus?
Herr Kollege Becker, 366 Millionen Euro sind keine
wolkige Ankündigung, sondern das ist eine handfeste
Zahl. Es ist in harten Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium gelungen, den Betrag, der im vergangenen Jahr nicht abgeschöpft wurde, vollständig in die
Förderung zu überführen. Damit haben wir einen absolut
hohen Bestand im Marktanreizprogramm. Das ist nicht
wolkig, das ist handfest.
Zu allen weiteren Maßnahmen, die wir ergreifen
werden, werden wir nach der Vorlage des Berichts, der
sicherlich einen Überblick über mögliche Maßnahmen
geben wird, mit den beteiligten Ressorts ins Gespräch
kommen. Wir werden beim Fördern und Fordern bleiben. Klar ist, dass wir eine Mischung aus Maßnahmen
- direkte Zuschüsse, zinsverbilligte Kredite, Ordnungsrecht - brauchen. Wie die gelagert und gewichtet sein
werden, werden wir dann besprechen, wenn der Bericht
vorliegt.
Als Nächstes gibt es die Nachfrage unseres Kollegen
Dr. Matthias Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Marktanreizprogramm jetzt angesprochen. Es wurden insgesamt viele
Fragen gestellt, und Sie sagen immer wieder „in dieser
Periode“, „in wenigen Wochen“ oder „nach Abwarten
von Forschungsergebnissen“. Wir sind hier wieder in einem Bereich, wo es bei der bloßen Ankündigung bleibt.
Ich möchte Sie - Stichwort Marktanreizprogramm - mit
der Kritik des Sachverständigenrats für Umweltfragen
konfrontieren, der die Reduzierung der Mittel für dieses
Programm problematisiert hat. Wie stehen Sie zur Einschätzung Ihres Sachverständigenrats für Umweltfragen
im Hinblick auf die Reduzierung der Mittel im Marktanreizprogramm?
Dem Sachverständigenrat für Umweltfragen ist offenbar entgangen, dass es dem Umweltministerium gelungen ist, vom BMF die Zusage zu bekommen, die
Restmittel aus dem vergangenen Jahr komplett zu übernehmen. Wir haben damit mehr Mittel als im letzten
Jahr. Das mögen Sie jetzt kritisieren, ist aber Fakt. Es
stehen mit 366 Millionen Euro mehr Mittel im Marktanreizprogramm für die Förderung von Systemen zur
Verfügung.
Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
es geht um die Einbeziehung des Gebäudebestandes bei
der Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien.
Ich würde gerne wissen, welche Förderinstrumente Sie
vorsehen, um die Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien zum Beispiel über Wärmepumpen voranzutreiben. Es ist bekannt, dass man durch diese Nutzung
mit 1 Kilowattstunde Energie 4 Kilowattstunden Heizenergie bereitstellen kann. Welche Programme sehen Sie
vor, um dieses Potenzial zukünftig zu erschließen?
Herr Kollege Lenkert, ich bleibe bei meiner Aussage,
dass wir über konkrete Maßnahmen - Förderprogramme, Höhen, Ordnungsrecht - dann sprechen, wenn
ein Erfahrungsbericht vorliegt. Es geht hier nicht nur um
Wärmepumpen, sondern auch um Solarthermie, um
Biomasse, um Wärmenetze und um die Gebäudehülle.
Es handelt sich um eine Vielzahl von Maßnahmen. Ich
bitte Sie, sich in Geduld zu üben, bis der Erfahrungsbericht vorliegt.
Jetzt ist unser Kollege Ulrich Kelber an der Reihe. Bitte schön, Kollege Ulrich Kelber.
Frau Staatssekretärin, der Sachverständigenrat für
Umweltfragen hat insbesondere kritisiert, dass das
Marktanreizprogramm als Förderinstrument für erneuerbare Energien im Wärmebereich innerhalb von zwei Jahren fünfmal grundsätzlich verändert wurde: gestrichen,
aufgestockt, wieder reduziert.
Da Sie den Sachverständigenrat erwähnt haben: Der
Sachverständigenrat ist ja im letzten Jahr ins Gespräch
gekommen, als bekannt wurde, dass die Bundesregierung zur Aufsicht über den bisher unabhängigen Sachverständigenrat auf Vorschlag der FDP-Fraktion eine
neue Stelle einrichten wollte. Es wurde damals bekannt,
dass bereits eine Person aus der FDP-Fraktion für diese
Stelle vorgesehen war. Meine Frage ist: Welche konkreten Entwicklungen gibt es im Besetzungsverfahren für
diese damals eingerichtete Stelle, die vom Sachverständigenrat selbst abgelehnt worden ist?
Herr Kollege Kelber, jetzt haben Sie die Frage der
Kollegin Kofler vorweggenommen. Ich werde sie trotzdem beantworten - vermutlich haben Sie sie gestellt,
weil die Kollegin Kofler nicht anwesend sein kann -: Es
sind bisher keine Schritte zur Besetzung der mit dem
Bundeshaushalt 2012 ausgebrachten B-4-Stelle für den
SRU erfolgt. Im Übrigen steht für uns die Unabhängigkeit des SRU überhaupt nicht infrage. Er behält seine
Unabhängigkeit. Dies ist ein ganz klares Statement von
dieser Stelle aus.
Vielen Dank. - Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Ute
Vogt werden schriftlich beantwortet.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler haben
Sie eben in der Tat bereits beantwortet. Sollte Frau
Dr. Kofler während der Beantwortung der Fragen zu diesem Geschäftsbereich noch kommen - denn wir haben ja
etwas früher mit der Fragestunde begonnen -, würde ich
ihre Frage noch aufrufen.
Frage 10 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 11 unseres Kollegen Frank
Schwabe auf:
Welche Haltung hat die Bundesregierung im Rahmen der
Diskussion um die Kraftstoffqualitätsrichtlinie zu Kraftstoffen
aus Teersanden, und unterstützt die Bundesregierung eine differenzierte Behandlung von Kraftstoffen aus konventionellen
und unkonventionellen Quellen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Deutschland hat sich bei der Abstimmung im Ausschuss für Kraftstoffqualität am 23. Februar 2012 über
den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur
Konkretisierung der Anforderungen von Art. 7 a der
Kraftstoffqualitätsrichtlinie enthalten. Einer Zustimmung stand entgegen, dass zum Teil Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Kommissionsvorschlags gesehen wurden. Die Europäische Kommission hat
angekündigt, dass vor der Übersendung des Vorschlags
an den Rat eine Folgenabschätzung durchgeführt werden
soll. Mit einer Befassung im Rat ist daher nicht vor
Frühjahr 2013 zu rechnen.
Erste Nachfrage, Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, ich darf aus der Fernsehsendung Report Mainz zum Thema Teersande zitieren:
Mehrmals fragen wir beide Minister für ein Interview an.
- Gemeint sind Herr Röttgen und Herr Rösler. Zunächst erhalten wir keine Antwort. Wir haken
nach und informieren das Umweltministerium darüber, dass wir den Minister in Brüssel am Rande
des Umweltrates befragen wollen. Doch als Minister Röttgen ankommt, hat er für uns wieder einmal
keine Zeit. Aus dem Wirtschaftsministerium
kommt wenigstens ein Statement, man sehe ein
Risiko von Wettbewerbsnachteilen für Raffinerien.
Das ist deutlich.
Sieht das Bundesumweltministerium ebenfalls einen
Wettbewerbsnachteil für Raffinerien?
Diese Fragestellung hat zwei Aspekte, Herr Kollege.
Zum einen sind für uns die ökologischen Aspekte wichtig. Hier ist es so, dass auch die Kommission darauf hingewiesen hat, dass Teersande ökologisch von Nachteil
sind. Auf der anderen Seite: Bevor man zu einer
Beschlussfassung kommt, gilt es, klarzustellen, dass es
auch um Wettbewerbsfähigkeit geht. Hier können wir
Bedenken nicht beiseitewischen. Deshalb haben wir uns
enthalten.
Die Kommission wird, wie ich es eben ausgeführt
habe, eine Folgenabschätzung durchführen. Ich selbst,
Herr Kollege Schwabe, habe auch im Ausschuss mehrfach auf die ökologischen Nachteile und Fragen, die sich
im Zusammenhang mit der Nutzung von Teersanden ergeben, hingewiesen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, es ist ja mittlerweile üblich,
dass sich Deutschland an solchen Stellen entweder enthält oder dagegen ausspricht. Sie haben richtigerweise
gesagt, dass es innerhalb der Europäischen Union zu einer starken Verzögerung kommt, um zu diesem, wie ich
jedenfalls finde, schlimmen Umweltfrevel eine klare
Meinung zu entwickeln. Würden Sie Kommentierungen
nachvollziehen können, die der deutschen Bundesregierung vorwerfen, dass sie dafür verantwortlich ist, dass
die Europäische Union zu keiner klaren ablehnenden
Haltung gegenüber diesem Einsatz von Teersandölen
kommt?
Einer solchen Einschätzung stimme ich selbstredend
nicht zu.
Zunächst hat der Kollege Dr. Matthias Miersch das
Wort zu einer Nachfrage. Außerdem hat sich der Kollege
Kelber zu einer Nachfrage gemeldet.
Bitte schön, Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie sprechen von wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Diese Debatte über die Teersande
ist ja nicht neu. Hat der Bundesumweltminister bislang
keine Gelegenheit gesehen, diese wirklich lange Diskussion dergestalt zu klären, dass er hier tatsächlich als
Umweltminister auftritt, um die auch von Ihnen
beschriebenen negativen ökologischen Auswirkungen
endlich in den Mittelpunkt zu stellen? Warum hat er sich
hier in einen Schlingerkurs begeben und ist offenbar
wieder einmal vor dem Bundeswirtschaftsminister eingeknickt?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht, Herr Kollege
Miersch, und weise sie auch zurück. Neben ökologischen Aspekten haben wettbewerbsrechtliche Aspekte
eine Relevanz. Befürchtet worden war auch ein Übermaß an Bürokratie in Bezug auf Berichterstattungspflichten. Dem wird weiter nachgegangen.
Noch einmal: Unsere Haltung, auch Bedenken hinsichtlich Wasserverbrauch, Entsorgung und dergleichen,
haben wir mehrfach, auch im Ausschuss, Herr Kollege,
dokumentiert; das ist nachlesbar.
Nun ist Ulrich Kelber an der Reihe. Bitte schön, Kollege Ulrich Kelber.
Frau Staatssekretärin, wie ist es möglich, dass in
Deutschland bei der Gewinnung von Strom aus nachwachsenden Rohstoffen die unterschiedliche CO2-Intensität berücksichtigt wird, bei der Energiegewinnung aus
fossilen Brennstoffen mit einem Mehrfachen hinsichtlich der CO2-Intensitäten - das sind besonders dreckige
Energieträger, wie sie jetzt hier auch angesprochen wurden, nämlich Ölsande und Ähnliches - eine CO2-Relation aber nicht aufgestellt wird? Wird hier nicht mit
zweierlei Maß gemessen, auch noch zuungunsten der
umweltgerechteren Kraftstoffe?
Herr Kollege Kelber, wir sind sehr froh, dass wir in
Bezug auf Biomasse für Strom und Biomasseeinsatz für
Kraftstoffe Fortschritte erreichen konnten. Es war auf
deutschen Druck möglich, hier Nachhaltigkeitskriterien
zu definieren. Wir arbeiten auch weiter daran. Es braucht
aber eben 27 Mitgliedstaaten und ein Abstimmungsverfahren. Da wünscht man sich manchmal, dass es schneller geht; es geht dann aber eben nicht schneller. 2013
werden wir hoffentlich zu einem Ergebnis kommen. Die
Situation ist an der Stelle, wie sie ist; das mag man bedauern oder auch nicht.
Nachfrage nun vom Kollegen Ralph Lenkert. - Ich
höre gerade: Sie haben Geburtstag, Herr Kollege
Lenkert.
({0})
Ihre Geschäftsführerin hat Ihnen ja gerade schon liebevoll gratuliert. Wir alle gratulieren Ihnen natürlich auch.
({1})
Bitte schön, Herr Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben in der letzten Woche einen zusätzlichen Bürokratieaufwand beschlossen mit dem Ziel - das wird vermutlich verfehlt werden -, den Benzinpreis zu stabilisieren; es geht um die Meldepflicht für Tankstellen. Hier
führen Sie aus, zum Schutz der Umwelt seien die Bürokratieaufwände zu hoch. Jetzt hätte ich gern einmal von
Ihnen gewusst, wie hoch denn der Schutz der Umwelt
angesiedelt sein muss, dass Sie dafür zusätzliche Bürokratieaufwände in Kauf nehmen.
Herr Kollege Lenkert, es führt nicht weiter, wenn Sie
jetzt zwei Sachverhalte miteinander vermischen. Das
eine ist eine Angelegenheit, die wir in Deutschland
selbst regeln können - zum Wohle der Verbraucherinnen
und Verbraucher, die unter hohen Benzinpreisen
leiden -; das andere sind Abstimmungsprozesse auf europäischer Ebene. Diese Prozesse mögen mühsam sein,
sie mögen nicht so schnell gehen, wie man das möchte;
wir haben aber - das habe ich auf die Nachfrage von
Herrn Kollege Kelber noch einmal ausgeführt - auch
schon zu Zeiten der Großen Koalition hinsichtlich der
Nachhaltigkeit unter anderem von Biokraftstoffen Fortschritte erreicht. Man wünscht sich, auch in anderen Bereichen würde manches schneller gehen; wir haben aber
hier gemeinsame Abstimmungsprozesse.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, Herr Kollege
Lenkert, dass neben den Umweltaspekten Wettbewerbsaspekte nicht unter den Tisch fallen können. Man
muss sie diskutieren. Wenn sie adressiert werden, dann
werden sie auch diskutiert. Wir arbeiten jetzt an einer
vernünftigen Lösung.
Vielen Dank.
Jetzt komme ich, wie versprochen, zur Frage 9 unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler zurück. Die Frage ist
schon in gewisser Weise beantwortet worden, aber Sie
sollten trotzdem die Chance haben, Frau Dr. Kofler, die
Antwort zu hören. Die Schuld liegt nicht bei Ihnen; das
Parlament war eben so schnell.
Ich rufe also die Frage 9 unserer Kollegin Dr. Bärbel
Kofler auf:
Welche konkreten Entwicklungen gibt es im Besetzungsverfahren der im Bundeshaushalt 2012 beschlossenen Einrichtung einer neuen B-4-Stelle für den Sachverständigenrat
für Umweltfragen?
Frau Staatssekretärin, seien Sie so nett, die Frage 9 zu
beantworten.
Das kann ich gern noch einmal tun, obwohl ich das
bei der Beantwortung einer Frage von Herrn Kollegen
Kelber schon einmal getan habe: Bisher sind keine
Schritte zur Besetzung der im Bundeshaushalt 2012 ausgebrachten B-4-Stelle für den SRU erfolgt.
Ihre erste Nachfrage.
Es sind keine Schritte erfolgt. Das ist ein bisschen
verwunderlich. Haben Sie sich zumindest im Vorfeld mit
dem Sachverständigenrat in Verbindung gesetzt? Ihre
Kollegin, die Staatssekretärin Heinen-Esser, hat im Dezember letzten Jahres auf eine Frage, in der es um die
Ausschreibung der Stelle ging, geantwortet, dass sich
das Ministerium selbstverständlich zu allen Fragen, die
die Ausschreibung dieser Stelle betreffen, mit dem Sachverständigenrat in Verbindung setzen wird. Gibt es wenigstens im Vorfeld dazu neue Erkenntnisse? Damals
wurde vonseiten des SRU ganz deutlich gesagt, man
bräuchte eigentlich administrativen Unterbau und nicht
eine neue B-4-Stelle.
Es gibt dazu keine neuen Erkenntnisse.
Noch eine Nachfrage? - Nein, im Moment nicht.
Stattdessen kommt eine von einem Kollegen. Bitte
schön.
Frau Staatssekretärin, finden Sie es nicht zumindest
ungewöhnlich, dass Sie sich, nachdem wir hier vor ungefähr einem halben Jahr eine große, auch öffentliche Debatte über die Sinnhaftigkeit dieser Stelle hatten und Sie
dabei die Sinnhaftigkeit dieser Stelle gesehen haben, ansonsten hätten Sie sie ja nicht einrichten wollen, jetzt ein
halbes Jahr später hier hinstellen und sagen: Es ist nichts
passiert; es gibt auch keine neuen Erkenntnisse.
Wäre es nicht sinnvoller, hier zu erklären: „Wir haben
im letzten halben Jahr gemerkt: Es geht auch ohne diese
Stelle; wir brauchen diese Stelle gar nicht“?
Herr Kollege, es war eine Entscheidung bzw. ein Beschluss aus dem Parlament heraus. Wenn das Parlament
etwas mit Mehrheit beschließt, dann kann die Regierung
nicht für sich beschließen, es anders zu machen. Es gibt
das Haushaltsrecht, das Königsrecht des Parlaments;
dem ist an dieser Stelle zu folgen.
Nachfrage des Kollegen Dr. Matthias Miersch.
Frau Staatssekretärin, können wir dann davon ausgehen, dass dieser viel diskutierte und hoch umstrittene
Vorgang nach dem 12. Mai seine Fortsetzung findet und
das Ministerium die Ausschreibung dieser Stelle einleitet?
Die Relevanz, Herr Kollege, ergab sich ja wohl weniger aus der Stelle als vielmehr aus der Befürchtung, dass
die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates
({0})
in irgendeiner Weise gefährdet sein könnte. Diese Unabhängigkeit ist nicht gefährdet. Wir schätzen die Unabhängigkeit des SRU. Ich habe auch schon gesagt, dass
bislang keinerlei Maßnahmen zur Einleitung eines Stellenbesetzungsverfahrens getroffen worden sind.
Nachfrage unseres Kollegen Ulrich Kelber.
Turnusgemäß wird das BMU ja in absehbarer Zeit
neue Personen in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen. Dürfen wir davon ausgehen, dass die Besetzung dieser politisch umstrittenen Stelle - der Sachverständigenrat hat sie ja als überflüssig bezeichnet und
davor gewarnt, dass seine Unabhängigkeit gefährdet
ist - erst nach der Umbesetzung des Sachverständigenrates vorgenommen wird, da bis dahin die kritischen
Stimmen aus dem Sachverständigenrat ausgeschieden
sind?
Herr Kollege, die Neubesetzung steht ja zum 1. Juli
an. Es geht nicht darum, kritische Stimmen wegzudrücken - das mag Usus bei der SPD sein -;
({0})
bei uns ist das nicht der Fall. Wir werden darauf achten,
dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen uns weiterhin kritisch, fundiert und sachlich in Umweltfragen
zur Seite steht. Ich bin auch sicher, dass angesichts der
Öffentlichkeit alle Beteiligten darauf achten werden,
dass in diesem Rat genügend Sachverstand, auch kritischer Sachverstand versammelt ist. Im Folgenden werden
wir über weitere Dinge sprechen. Aber zu dem konkret
in Rede stehenden Verfahren sind keine Maßnahmen
eingeleitet worden.
Jetzt habe ich noch die zweite Nachfrage der Frau
Kollegin Dr. Bärbel Kofler.
Ich frage doch noch einmal nach, weil ich konkret
wissen möchte: Wenn die Stelle bis zum 1. Juli besetzt
werden soll, wie Sie ja gerade ausgeführt haben - Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Nein, nicht die Stelle, Frau Kollegin; da widerspreche
ich. Vielmehr wird der Sachverständigenrat zum 1. Juli
neu besetzt.
Okay, also der Sachverständigenrat neu besetzt werden soll. - Formulieren wir es einmal so: Es soll also
eine zusätzliche B-4-Stelle geben. Ihre Kollegin hat gesagt, sie wollen sich vorher mit dem Sachverständigenrat
ins Benehmen setzen. Sie haben auf die Frage des Kollegen Schwabe geantwortet, dass Sie natürlich den
Wunsch der Mehrheit des Parlamentes umsetzen müssen. Nun frage ich mich: Wann machen Sie das denn?
Frau Kollegin, wir sind in Gesprächen.
({0})
Ich werde aber an dieser Stelle über interne Gespräche
keine Auskunft geben.
Ich habe schon bekannt gegeben: Die Frage 10 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet. Bei den Fragen 12 und 13 der Kollegin Waltraud
Wolff werden wir, nachdem die Fragestellerin nicht anwesend ist, so verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen.
Somit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur
Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische
Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe nun Frage 14 unseres Kollegen Michael
Gerdes auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Bundesministerin Dr. Annette Schavan ({0}), dass das neue Wissenschaftsfreiheitsgesetz im Wesentlichen Regelungen festschreibt, die bereits zuvor Bestandteil der Initiative „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ waren, und welche der im Rahmen des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes vorgesehenen Regelungen gehen über die bereits durch die Initiative „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ ermöglichten Freiräume für die im Gesetz genannten Wissenschaftsorganisationen hinaus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gerdes, der Entwurf für das Wissenschaftsfreiheitsgesetz baut auf den Erfahrungen der
Phase I der sogenannten Wissenschaftsfreiheitsinitiative
auf und erweitert die Handlungsspielräume für die Wissenschaftseinrichtungen deutlich. Bei dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz wird es sich um eine auf Dauer angelegte Regelung mit Gesetzeskraft handeln. Das Gesetz
ermöglicht im Bereich Haushalt eine Flexibilisierung
über die bislang geltenden quantitativen Einschränkungen hinaus und regelt in den Bereichen Personal, Bau
und Beteiligungen neue Flexibilisierungen und Beschleunigungstatbestände. Auch wird der Kreis der einbezogenen Einrichtungen deutlich erweitert.
Ihre erste Nachfrage? - Dann die Nachfrage unseres
Kollegen Tankred Schipanski. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, welche Erfahrungen wurden denn
in der ersten Phase der Wissenschaftsfreiheitsinitiative
gesammelt, die in den jetzigen Gesetzentwurf faktisch
aufgenommen werden?
Herr Kollege Schipanski, die Erfahrungen haben gezeigt, dass sich flexible und auf die Besonderheiten von
Wissenschaftsorganisationen angepasste Rahmenbedingungen letztlich leistungssteigernd für das gesamte Wissenschafts- und Forschungssystem auswirken und dass
ein effektiveres und effizienteres Wirtschaften ermöglicht wird. Vor allem die Gestaltung im Bereich der
Überjährigkeit und der Deckungsfähigkeit hat sich als
sehr hilfreich erwiesen. Wir haben dem Haushaltsausschuss zu den Erfahrungen einen sehr positiven Bericht
abgeben können.
Ich rufe die Frage 15 unseres Kollegen Michael
Gerdes auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Vorgaben für die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes
Vorbildcharakter für das gesamte Wissenschaftssystem haben
sollten, und, falls ja, wie passt dies zu der Tatsache, dass die
Ressortforschungseinrichtungen nicht unmittelbar von den
Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes profitieren
sollen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Gerdes, die Einrichtungen des Bundes
mit Ressortforschungsaufgaben stehen einerseits im nationalen und internationalen Wettbewerb aller Forschungseinrichtungen, unterliegen aber andererseits als
in der Regel nicht selbstständige Behörden besonderen
rechtlichen Grundlagen und unterscheiden sich insofern
von den außeruniversitären Forschungseinrichtungen,
die wir mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz eigentlich
im Blick haben.
Für die Einrichtungen des Bundes mit Ressortforschungsaufgaben strebt die Bundesregierung mit dem
Wissenschaftsfreiheitsgesetz und den bisherigen Maßnahmen der Wissenschaftsfreiheitsinitiative entsprechende Flexibilisierungen in den Bereichen Haushalt,
Personal und Bauverfahren an.
Ihre erste Nachfrage.
Da muss ich jetzt einmal nachfragen: Inwiefern hat
sich durch die Einführung des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes eine Verbesserung ergeben, auch in Bezug auf
meine erste Frage?
Wenn Sie die Frage nach der Verbesserung auf die
Ressortforschungseinrichtungen beziehen - so habe ich
Sie jetzt verstanden -, dann ist es so, dass durch einen
ausdrücklichen Kabinettsbeschluss festgelegt worden
ist, dass entsprechende Flexibilisierungsmaßnahmen für
die Ressortforschungseinrichtungen angestrebt werden.
Da wir bei den Ressortforschungseinrichtungen aber einen anderen Ansatz haben, weil sie unter Umständen nur
zu einem Teil, manche nur zu einem geringen Teil, Forschungsaufgaben wahrnehmen, können die Regelungen
nicht identisch mit denen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sein.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke.
Der Kollege Uwe Schummer möchte aber eine Nachfrage stellen.
Herr Staatssekretär, ein wichtiges Instrument zur Flexibilisierung sind ja auch globale Haushalte. Inwieweit
sind solche globalen Haushalte, die die Autonomie der
Universitäten und der Forschungseinrichtungen insgesamt verbessern sollen, weiterzuentwickeln?
Herr Kollege Schummer, vielen Dank für Ihre
Frage. - In der ersten Phase der sogenannten Wissenschaftsfreiheitsinitiative haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich erste Elemente von Globalhaushalten
bei den Forschungseinrichtungen leistungssteigernd ausgewirkt haben. Aufgrund dieser in der Praxis gemachten
positiven Erfahrungen haben wir im Wissenschaftsfreiheitsgesetz vorgesehen, dass dieses in drei wichtigen Bereichen ausgeweitet werden kann: erstens im Bereich der
Deckungsfähigkeit, zweitens im Bereich der Überjährigkeit der Haushaltsmittel von einem Haushaltsjahr in das
nächste Haushaltsjahr und schließlich im Bereich der
Stellenpläne, die nach dem Gesetzentwurf sogar entfallen können.
Vielen Dank.
Ich rufe Frage 16, gestellt von unserem Kollegen
René Röspel, auf:
Welche Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes
sind nach der Rechtsauffassung der Bundesregierung nicht
untergesetzlich regelbar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Nach Auffassung der Bundesregierung besteht für
sämtliche Bestimmungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes ein gesetzliches Regelungsbedürfnis. Ich verweise
hier auf den Entwurf zum Wissenschaftsfreiheitsgesetz
und die entsprechende Begründung.
Ihre erste Nachfrage, Kollege René Röspel.
Vielen Dank. - Sie bezeichnen im Gesetzentwurf als
Phase I das, was bisher in der Wissenschaftsfreiheitsinitiative untergesetzlich geregelt wurde. Sie sprechen davon, dass dies in Phase II verstetigt werden soll. Sie sagten gerade, es gebe einen gesetzlichen Regelungsbedarf.
Wie funktionierte das in den letzten vier Jahren untergesetzlich, wenn es nun eines Gesetzes bedarf, um beispielsweise die Maßnahmen der Überjährigkeit umzusetzen? Wenn das nicht so ist: Warum entfristen Sie nicht
die jetzige Initiative, statt ein Gesetz zu machen?
Herr Kollege Röspel, ein ganz wichtiges Element des
Entwurfs des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes, der auf
Vorschlag der Koalitionsfraktionen zu Papier gebracht
worden ist, ist, die Autonomie, die Selbstverantwortung,
die Freiheit in die Wissenschaftseinrichtungen zu geben,
und zwar nicht zeitlich beschränkt, wie wir es in der
Freiheitsinitiative als ersten Versuch gemeinsam gemacht haben. Wir wollen das vielmehr grundsätzlich ermöglichen, weil wir mit der zeitlich beschränkten Regelung gute Erfahrungen gemacht haben, und dies mit der
breiten gesetzgeberischen Legitimation - nicht nur der
Administration in der Regierung - durch das Parlament.
Wenn der Deutsche Bundestag diesen Gesetzentwurf unterstützt und verabschiedet, unterstreicht er, dass es sich
um ein gemeinsames Anliegen der Volksvertreter des
Deutschen Bundestages handelt, um den Wissenschaftseinrichtungen mehr Freiheit, Autonomie und Verantwortung zu geben.
Sie haben die Möglichkeit der zweiten Nachfrage.
Bitte schön, Kollege Röspel.
Habe ich es richtig verstanden, dass diese Maßnahmen gesetzlich geregelt werden müssen?
So ist es. Ich darf noch einmal wiederholen: Nach
Auffassung der Bundesregierung besteht ein gesetzliches Regelungsbedürfnis bei den Bestimmungen des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes. Sie werden feststellen,
dass wir bei der Formulierung des Gesetzentwurfs sehr
genau sowohl auf die gesetzliche Regelung als solche als
auch darauf geachtet haben, dass die Rechte des Parlaments ausdrücklich gewährleistet werden und sichergestellt ist, dass das Ganze dem Budgetrecht des Gesetzgebers, des Bundestages, nicht zuwiderläuft.
Ich habe weitere Nachfragen. Zunächst der Kollege
Tankred Schipanski.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben richtig
festgestellt, welche Vorteile eine gesetzliche Regelung
hat. Sie haben dargestellt, wie das Parlament einbezogen
wird. Meine Frage geht in folgende Richtung. Wir haben
in diesem Gesetz vier große Teile: Haushalt, Personal,
Beteiligungen und Bau. Welche Beschleunigungseffekte
verspricht sich die Bundesregierung von dieser Gesetzesinitiative in diesen vier Bereichen?
Herr Kollege Schipanski, wir haben neben der inhaltlichen Erweiterung im Wissenschaftsfreiheitsgesetz im
Verhältnis zur ersten Phase tatsächlich Beschleunigungselemente eingebaut, weil wir festgestellt haben - ich
glaube, das haben auch die Forschungspolitiker im Bundestag sehr intensiv beobachtet -, dass die Forschungseinrichtungen nicht nur in einem nationalen Wettbewerb,
sondern auch in einem starken internationalen, globalen
Forschungswettbewerb stehen. Beispielsweise kann es
im Bereich der wissenschaftlichen Bauvorhaben von erheblicher Relevanz sein, ob man bei einem neuen Forschungsprojekt schnell ein neues Labor usw. bekommt
oder ob dies erst zeitverzögert der Fall ist. Deswegen haben wir eine Beschleunigung der Bauvorhaben für Wissenschaftseinrichtungen vorgesehen. Das ist, glaube ich,
ein wichtiges Element.
Es gibt einen weiteren wichtigen Bereich, in dem wir
Beschleunigungsmaßnahmen vorgesehen haben, nämlich den der Beteiligungen. Um zum Beispiel einen
Know-how-Transfer aus den Forschungseinrichtungen
in die praktische Wirtschaft hinein zu organisieren, wollen wir Ausgründungen oder bereits existierende Unternehmen in der Weise unterstützen, dass sich Forschungseinrichtungen daran beteiligen können. Hier haben wir
eine entsprechende Beschleunigung vorgesehen.
Nächste Nachfrage von unserem Kollegen Dr. Peter
Röhlinger. Bitte schön, Kollege Dr. Röhlinger.
Herr Staatssekretär, die Wissenschaft wartet auf das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Wir sind froh und dankbar,
dass wir es nun endlich auf den Weg gebracht haben.
Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir das bereits
im Jahr 2011 geschafft. Speziell die wissenschaftsspezifischen Beschäftigungsverhältnisse standen im Fokus
der Wissenschaftseinrichtungen. Welche Ziele werden
mit der wissenschaftsspezifischen Ausgestaltung von
Beschäftigungsverhältnissen verfolgt?
Lieber Herr Dr. Röhlinger, wir nehmen intensiv wahr,
dass es in den Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Deutschland einen harten Wettbewerb um die besten Frauen und Männer gibt. Das ist ein Wettbewerb, der
international mit anderen Forschungseinrichtungen, aber
auch zwischen Industrie und Wirtschaftsunternehmen
auf der einen Seite und Forschungseinrichtungen auf der
anderen Seite ausgetragen wird.
Da die normalen Finanzierungs- und Lohnperspektiven im öffentlichen Dienst allerdings nicht immer den
Möglichkeiten der Wirtschaft entsprechen bzw. gegenüber internationalen Wissenschaftsorganisationen zurückbleiben, haben wir im Wissenschaftsfreiheitsgesetz
eine Veränderung vorgesehen, die sich im Wesentlichen
so zusammenfassen lässt: Wenn Wissenschaftseinrichtungen Einnahmen oder Erlöse aus dem privaten Sektor
- aus Drittmitteln, aus Wirtschaftserträgen, aus Spenden
oder privaten Vermögen - haben, sollen sie in die Lage
versetzt werden, diese Erlöse zu nutzen, um in Zukunft
eine höhere Dotierung der qualifizierten Spitzenleute in
Wissenschaft und Forschung realisieren zu können.
Ich komme zur Frage 17, ebenfalls gestellt von unserem Kollegen René Röspel:
Welche Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes
können ohne Umsetzung der Länder und/oder ohne Beschlüsse des Deutschen Bundestages wirksam werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz trifft durchgängig
Regelungen zur bundesseitigen haushaltsrechtlichen Flexibilisierung der für die Wissenschaftseinrichtungen geltenden Rahmenbedingungen. Diese Flexibilisierungen in
den Bereichen Haushalt und Personal erfolgen dann
nach Maßgaben des jährlichen Haushaltsgesetzes. Damit
diese Flexibilisierungen für die Einrichtungen wirksam
werden, bedarf es grundsätzlich nachfolgender Umset20992
zungsschritte der Zuwendungsgeber, insbesondere zur
Anpassung der sogenannten Bewirtschaftungsgrundsätze der Einrichtungen.
Dies erfolgt überwiegend in den gemeinsam von
Bund und Ländern finanzierten Einrichtungen unter Beteiligung der Länder nach Maßgabe der jeweiligen einrichtungsspezifischen Regularien.
Ihre erste Nachfrage.
Ich entnehme der Äußerung, dass vonseiten der Bundesregierung offenbar keine Zustimmungspflichtigkeit
vorgesehen ist. Wie kann ich mir das denn in den Einrichtungen vorstellen, die zu 50 Prozent vonseiten des
Bundes finanziert werden und zu den anderen 50 Prozent vonseiten der Länder? Gelten dann diese Regelungen nur für den Bundesanteil, für den Länderanteil aber
nicht? Oder ist es nicht auch notwendig, dass die Länder
ihren Beitrag in gleicher Weise leisten und dann aber
eine Zustimmungspflichtigkeit gegeben sein muss?
Der letzten Schlussfolgerung kann ich nicht zustimmen, weil es sich - wie ich gerade sagte - in erster Linie
um bundesseitige haushaltsrechtliche Flexibilisierungsmaßnahmen handelt, die wir im Wissenschaftsfreiheitsgesetz des Bundes vorgesehen haben.
Ich will Ihre Frage gerne ein Stück weit aufnehmen
und noch einmal deutlich machen: Wenn wir in der weiteren praktischen Umsetzung der Flexibilisierung in den
Bereichen Haushalt und Personal die entsprechende Beteiligung haben wollen, brauchen wir eine nachfolgende
Umsetzung der Zuwendungsgeber. Ich habe es bereits
angesprochen: Dabei geht es um die Bewirtschaftungsgrundsätze. Die Zuwendungsgeber sind gemeinsam gefordert, diese entsprechend umzusetzen.
Die Anpassung der Bewirtschaftungsgrundsätze erfolgt unter Beteiligung der Länder; da haben Sie völlig
recht. Hierzu gibt es ein Forum, in dem diese Fragen gemeinsam besprochen werden und das die Umsetzung sicherstellen wird: die GWK, die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Kollege Röspel.
Entnehme ich dieser Äußerung, dass die Möglichkeit
besteht, dass die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz
tatsächlich die Budgethoheit der Landesparlamente sozusagen übernimmt, weil sie im Rahmen eines gemeinsamen Bewirtschaftungsplans Entscheidungen trifft, die
sich im Rahmen der Wissenschaftsfreiheitsinitiative bewegen?
Mir steht es nicht zu, Ihre Einschätzung zu kommentieren. Ich will Ihnen aber erklären, wie sich der
Sachverhalt darstellt. Es geht darum, dass in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz die Bewirtschaftungsgrundsätze entsprechend der Grundphilosophie des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes - Freiheit, Autonomie,
Selbstverantwortung - geändert werden. Dies wird man
gemeinsam im Miteinander zwischen Ländern und Bund
vereinbaren, beispielsweise in den zuständigen Fachausschüssen der GWK für die MPG, für die DFG und im sogenannten FhG-Ausschuss.
Im Bereich der Leibniz-Einrichtungen - Sie haben
vorhin die 50/50-Finanzierung angesprochen - wird das
rechtlich anders sein. Hier besteht die Besonderheit, dass
der Vollzug der gemeinsamen Bund-Länder-Förderung
grundsätzlich nach den Regelungen des jeweiligen Sitzlandes erfolgt, das heißt, die Grundlage ist das entsprechende Landeshaushaltsrecht. Umgekehrt heißt das
- politisch gesprochen -: Wir als Bundesgesetzgeber
- die Bundesregierung und, wenn der Bundestag das beschließt, das deutsche Parlament - möchten diese Freiheit und Autonomie im Bereich der WGL in deren
Selbstverantwortung übertragen. Das wird aber nur dann
der Fall sein, wenn entsprechende Umsetzungsmaßnahmen der Länder im Bereich der WGL erfolgen. Sie haben also die Möglichkeit, bei den Forschungspolitikern
Ihrer Fraktion in den 16 Ländern für diese Freiheit und
Selbstverantwortung zu werben.
Ich habe zu dieser Frage keine weiteren Nachfragen.
Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Marianne
Schieder werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Swen Schulz auf:
Inwieweit ist in der mittelfristigen Finanzplanung der
Bundesregierung Vorsorge für steigende Ausgaben durch zusätzliche Studierendenanfängerzahlen getroffen, und welche
Planung hat die Bundesregierung für Änderungen beim Bundesausbildungsförderungsgesetz?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat entsprechend ihren rechtlichen Verpflichtungen die nötige Vorsorge getroffen, um
den steigenden Studierendenzahlen und den finanziellen
Auswirkungen beim BAföG und beim Hochschulpakt
im Haushaltsjahr 2013 vollständig Rechnung zu tragen.
Für die Finanzplanung, bei der es sich um ein rein internes Planungsinstrument der Bundesregierung handelt, ist
ausreichende Vorsorge für den Hochschulpakt unter den
Gesichtspunkten Vorhersehbarkeit, Bestimmtheit und
Etatreife eingestellt. Beim Hochschulpakt ergeben sich
die tatsächlich fälligen Forderungen jeweils aus der
Schnellmeldung des Statistischen Bundesamtes am Ende
des Jahres. Auf dieser Grundlage erfolgt entsprechend
der aktuellen Studienanfängerzahl die Dotierung für das
jeweils übernächste Haushaltsjahr gemäß der AbrechParl. Staatssekretär Thomas Rachel
nungssystematik des Hochschulpakts. Die Vorsorge für
das BAföG wird auf der Grundlage jeweils aktualisierter
Prognosen von unabhängiger Seite vorgenommen.
Die erste Nachfrage des Kollegen Swen Schulz. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Zunächst stelle
ich eine Nachfrage zum Hochschulpakt. Sie haben gesagt, dass für das Jahr 2013 Vorsorge getroffen wurde.
Das deckt sich mit der mittelfristigen Finanzplanung, in
der Sie eine Aufstockung vorgesehen haben. Die mittelfristige Finanzplanung sieht aber vor, dass die Mittel ab
2014 wieder sinken werden. Die Planungen sehen eine
Kürzung vor. Sie sagen, das sei eine rein interne Geschichte, eine rein interne Planung. Ich verstehe das jetzt
so: Sie stellen in Aussicht, dass im Rahmen von Neuverhandlungen des Hochschulpakts deutlich mehr Mittel
vorgesehen werden, als in der aktuellen mittelfristigen
Finanzplanung skizziert. Sehe ich das richtig?
Herr Kollege Schulz, die Bundesregierung stellt seit
2010 Jahr für Jahr ganz verlässlich erhebliche finanzielle
Mittel zur Verfügung. Sie stellte jeweils mehr finanzielle
Mittel zur Verfügung, als in der Finanzplanung vorgesehen waren. Auf der Grundlage der Schnellmeldung der
Studienanfängerzahlen wurden die Mittel in der Vergangenheit bedarfsgerecht bereitgestellt. Ich glaube, daran
sieht man sehr gut, dass sich die Bundesregierung nachgewiesenen zahlenmäßigen Veränderungen unmittelbar
gestellt hat und ihren Beitrag hinsichtlich der Zurverfügungstellung der notwendigen Mittel geleistet hat.
Ich will dies an einem Beispiel erläutern. Wir befinden uns im Haushaltsjahr 2012. Allein für das Haushaltsjahr 2012 sind insgesamt 607 Millionen Euro mehr
für die Studierenden zur Verfügung gestellt worden, als
in der ursprünglichen Finanzplanung für das Jahr 2012
vorgesehen waren.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege Schulz.
Mit anderen Worten, Herr Staatssekretär: Die Finanzplanung ist Makulatur. Ich habe das zur Kenntnis genommen.
Jetzt zum BAföG: Es gibt das Angebot der Bundesregierung, mit den Ländern über mögliche Verbesserungen beim BAföG zu verhandeln. Welche Planungen hat
die Bundesregierung diesbezüglich? Gibt es Gespräche
mit den Ländern? Wie wird sich das finanziell auswirken?
Zum ersten Teil Ihrer Frage, der eine Bemerkung und
keine Frage war, möchte ich feststellen, dass sich die
Finanzplanung an den Fakten orientiert, die zu dem Zeitpunkt, zu dem der Finanzplan aufgestellt wird, vorliegen. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit ein
hohes Maß an Flexibilität bewiesen - das war im Sinne
der Hochschulen und der Studierenden -, indem sie bereit gewesen ist, sich auf die im Laufe der Jahre bzw. im
Laufe eines Jahres verändernden Studienanfängerzahlen,
die statistisch belegt sind, einzustellen und entsprechend
höhere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Über das Thema BAföG befinden wir uns in Gesprächen mit den Bundesländern. Wir warten ab, wie die
Bundesländer, die einen Teil der BAföG-Finanzierung
übernehmen müssen, zu diesem Thema stehen.
Vielen Dank. - Ich rufe jetzt die Frage 21 unseres
Kollegen Swen Schulz auf:
Liegen der Bundesregierung Daten zum Sanierungs- und
Modernisierungsbedarf - insgesamt aufgelaufener Bedarf sowie akuter Bedarf - an deutschen Hochschulen vor, und wie
sind diese in ihre Einschätzung der notwendigen Kompensationsmittel für 2014 bis 2019 nach dem Entflechtungsgesetz
eingeflossen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über
den allgemeinen Hochschulbau vor, die eine Einschätzung eines Sanierungs- oder Modernisierungsbedarfs erlauben. Über diese Daten verfügen die Länder. Das ist
auch nicht verwunderlich, da es ausschließlich Aufgabe
der Länder ist, hierfür Vorsorge zu treffen.
Zur Frage der Höhe: Die Höhe der nach 2013 zur
Aufgabenerfüllung noch angemessenen und erforderlichen Finanzierungsmittel wird Ergebnis des Bund und
Ländern in Art. 143 c Abs. 3 des Grundgesetzes gemeinsam auferlegten Prüfauftrags sein.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
gesagt, dass Sie zwar keine Daten haben, dass sich aber
Bund und Länder in irgendeiner Form über die künftige
Höhe der Mittel einigen müssen. Wie gelingt es der Bundesregierung, sich eine Meinung zu bilden, wenn sie
keine Daten hat?
Herr Kollege Schulz, hier geht es um die Frage, wie
nach 2013 eine bis jetzt geltende Grundgesetzregelung
im Bereich der Kompensationsleistungen fortgeführt
oder verändert wird. Ich gehe davon aus, dass die Bun20994
desländer ihre Sicht der Dinge - belegt durch entsprechende Daten und Zahlen - in die Diskussion einbringen
werden. Dann werden Bund und Länder darüber in ein
konstruktives Gespräch kommen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe keine.
Gut. - Damit gehen wir weiter. Die Fragen 22 und 23
des Kollegen Willi Brase und die Fragen 24 und 25 des
Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 26 unserer Kollegin Frau Agnes Alpers
auf:
In welcher Form soll der Deutsche Bundestag mit dem
Deutschen Qualifikationsrahmen, DQR, befasst werden, und
welches Gremium soll nach dem Abschluss der Debatte um
die Einstufung verschiedener Abschlüsse in den DQR abschließend über ein entsprechendes Regelwerk entscheiden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Bundestagsabgeordnete Alpers, ich kann Ihnen
dazu zurzeit nur sagen, dass darüber Beratungen stattfinden, es aber noch keine abschließende Meinungsbildung
gibt, welches Gremium oder welche Gremien damit befasst werden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Alpers.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Rachel, vielen
Dank, das war genau die Antwort, die wir schon in der
Antwort auf unsere Kleine Anfrage bekommen hatten.
Diese liegt schon ein wenig zurück. Daher frage ich
noch einmal ganz konkret nach, wie die Bundesregierung dies sieht. In den anderen europäischen Ländern ist
es üblich, dass auch das Parlament involviert und an diesem Prozess der Entscheidungsfindung wesentlich beteiligt wird. Plant die Bundesregierung, das Parlament einzubeziehen und wesentliche Entscheidungen hier im
Parlament zu treffen?
Frau Kollegin Alpers, die Tatsache, dass sich meine
Antwort mit der Antwort der Bundesregierung auf eine
frühere Anfrage deckt, zeigt die Kontinuität und Stringenz der Antworten der Bundesregierung.
Warum ist dem so? Wir haben keine rechtliche Vorgabe von europäischer Seite. Vielmehr gibt es eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rats zur
Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens.
Diese hat keinen rechtsverbindlichen Charakter und
überlässt es insofern den Mitgliedstaaten, in welcher
Form sie zu einer Meinungsbildung und Beschlussfassung kommen.
Ich darf Ihnen vielleicht den aktuellen Stand des Prozesses erläutern. Bund und Länder, in dem Fall das
BMBF und die Kultusministerkonferenz, haben sich auf
eine sogenannte Bund-Länder-Koordinierungsgruppe
DQR verständigt. Neben unserem Ministerium und der
KMK gehören ihr das Bundeswirtschaftsministerium
und auch die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder
an. Neben diesem Gremium gibt es ein zweites Gremium, das sich aus Akteuren aus dem Bildungsbereich,
Vertretern der Sozialpartner und Experten aus der Wissenschaft zusammensetzt. Dies ist der sogenannte Arbeitskreis DQR. Er befasst sich mit der detaillierten Ausgestaltung und auch mit der Frage, wie es weitergehen
soll.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Agnes Alpers.
Die Beteiligung des Parlaments oder auch der Parlamente - ich beziehe jetzt einmal die Länder mit ein - ist,
so haben Sie es gesagt, nicht rechtsbindend. Erstaunlich
ist, dass sich die Bundesregierung, die Arbeitgebervertreter und die Arbeitnehmervertreter dafür ausgesprochen haben, das Abitur mit einer vollqualifizierenden
Ausbildung gleichzusetzen. Hätte man nicht das Parlament beteiligen sollen? War es richtig, entgegen ganz
Europa die Schulabschlüsse auszunehmen? Wie steht die
Bundesregierung dazu, diesen Prozess weiter voranzutreiben und das Parlament und auch die Länderparlamente hier mehr mit einzubeziehen?
Frau Kollegin Alpers, ich möchte mir Ihre Darstellung nicht in dieser Form zu eigen machen, bin aber in
einem Punkt, glaube ich, nahe bei Ihnen. Ich finde, die
Lösung, auf die sich die verschiedenen Partner verständig haben, dass das Abitur bei der DQR-Berechnung zunächst herausgelassen wird, ist gut. Denn letztlich handelt es sich beim Abitur um einen schulischen
Abschluss, während sich der DQR auf die Frage der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt bezieht.
Wir haben bei diesem Prozess in der Vergangenheit
darauf geachtet, dass es bei der Anerkennung nebenberuflicher Qualifikationen einen umfangreichen Austausch und eine intensive Beratung, auch mit den Sozialpartnern, gibt. Ich glaube, dass das gut ist. Denn die
Lösungen, die hier vorgezeichnet werden, sollten später
auch von den verschiedenen Seiten in den Betrieben unterstützt werden.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Uwe Schummer.
Herr Staatssekretär, beim Europäischen Qualifikationsrahmen und beim Deutschen Qualifikationsrahmen
hat sich das Parlament ja mehrfach mit Anträgen über
die Fraktionsgrenzen hinweg befasst und Positionen formuliert. Eine entscheidende Position lautet, dass berufliche und akademische Ausbildung gleichwertig anzusehen sind. Es ist zu beobachten, dass es im europäischen
Raum eine entsprechende Bewegung gibt. Ist der Schritt
hin zur dualen Ausbildung insgesamt und zur Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung im Deutschen Qualifikationsrahmen gelungen?
Herr Bundestagsabgeordneter Schummer, dies ist tatsächlich das gemeinsame Anliegen des Bundestages, vor
allem der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung. Bei der Beschreibung, die wir im DQR vorgenommen haben, ist dies gelungen. Ich will beispielhaft daran
erinnern, dass wir die gleichwertige Zuordnung eines
Meisterabschlusses und eines Bachelorabschlusses auf
Niveau 6 des DQR vorgesehen haben. Ich glaube, dies
ist ein deutliches Signal in dem Sinne, in dem Sie Ihren
Wunsch geäußert haben.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
beim DQR und beim EQR, also beim Deutschen Qualifikationsrahmen und beim Europäischen Qualifikationsrahmen, geht es ja hauptsächlich um Mobilitätsfragen.
Uns geht es aber auch um die Vergleichbarkeit. Wie wollen Sie die Vergleichbarkeit von Abschlüssen verbessern
und voranbringen?
Herr Bundestagsabgeordneter, gerade der DQR ist ein
Instrument, das zur Transparenz beitragen soll. DQR
und EQR werden natürlich nicht alle Fragen dieser Welt
lösen. Aber: Der DQR ist ein Instrument zur Erhöhung
der Transparenz, das zur besseren Orientierung und Vergleichbarkeit von Qualifikationen innerhalb des deutschen
Bildungssystems, aber auch zwischen unterschiedlichen
Bildungssystemen in Europa dienen soll. Insofern werden Gleichwertigkeiten, aber auch manche Unterschiede
sichtbar werden.
Ich rufe die Frage 27 unserer Kollegin Agnes Alpers
auf:
Welche besonderen Vereinbarungen gibt es zur Einordnung der Abschlüsse im Gesundheitsbereich, und auf welchem Niveau des DQR sollen die berufsfachschulischen Ausbildungen im Gesundheits- und Pflegebereich eingeordnet
werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Alpers, im Rahmen eines DQRSpitzengesprächs am 31. Januar dieses Jahres haben sich
Bund, Länder, Sozialpartner und Wissenschaftsorganisationen auf eine grundsätzliche Linie für die Einführung
eines Deutschen Qualifikationsrahmens verständigt. Die
Vereinbarung ist im entsprechenden Internetbeitrag zum
DQR verfügbar; die Internetadresse stelle ich Ihnen
gerne zur Verfügung. Hierin wird der Arbeitskreis DQR
- auf ihn bin ich vorhin schon eingegangen - gebeten,
die noch ausstehenden Zuordnungen vorzunehmen. Mit
anderen Worten: Der Beratungsprozess dauert noch an;
er ist noch nicht abgeschlossen.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Rachel, dieser
Prozess währt ja schon einige Zeit. Meine Fraktion und
ich haben einige Fragen dazu und wollen, dass der Gesundheitsbereich nun endlich mit einbezogen wird.
Häufig wurde darüber diskutiert, dass das Abitur
nicht miteinbezogen worden ist und Abschlüsse in Teilbereichen des Gesundheitswesens in das Niveau 4 oder 5
eingeordnet werden sollen. Deshalb frage ich: Wann genau wird dieser Prozess abgeschlossen sein, damit es für
diese Berufe tatsächlich eine verlässliche Aussage gibt?
Frau Kollegin Alpers, der Diskussionsprozess wird
dann abgeschlossen sein, wenn man sich nach inhaltlich
überzeugenden Kriterien geeinigt hat. Das ist zurzeit
noch nicht der Fall.
Den weiteren Prozess werden wir ausgestalten. Wir
werden jetzt nicht aufhören, sondern wir werden jetzt
Erfahrungen mit dem DQR in der Praxis sammeln, und
zwar hier bei uns in Deutschland und in Europa.
In den Arbeitsgremien gibt es einen klaren Konsens
darüber, dass in fünf Jahren eine Überprüfung, eine Evaluation, durchgeführt werden soll. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Zuordnung der allgemeinbildenden Schulabschlüsse erneut aufgegriffen.
Sie haben die Möglichkeit der zweiten Nachfrage.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Rachel, ich muss
doch noch einmal ganz konkret nachfragen. Sie sagten
jetzt: Wir wollen Erfahrungen sammeln. Wir wollen uns
nach fünf Jahren noch einmal mit dem Abitur beschäftigen, dessen Einordnung wir ausgesetzt haben.
Ich frage Sie nochmals: Hält die Bundesregierung es
für sinnvoll, die anderen Berufe einzuordnen, den Gesundheitsbereich für die nächsten fünf Jahre aber auszu20996
schließen? Es gibt viele, die konkret nach dem Zeitpunkt
fragen. Beabsichtigen Sie in absehbarer Zeit, eine genaue Zuordnung der Gesundheitsberufe vorzunehmen?
Frau Kollegin Alpers, ich kann Sie beruhigen: Es ist
nicht vorgesehen, das erst in fünf Jahren zu machen, sondern das soll jetzt Teil des gesamten Verhandlungsprozesses sein. Ich kann das Ergebnis heute nicht vorwegnehmen. Man hat sich hier inhaltlich noch nicht geeinigt.
Der Zeitraum von fünf Jahren bezieht sich auf die Gesamtbetrachtung. Die Überprüfung, ob die Einordnungen richtig waren, und zwar sowohl im nationalen Maßstab als auch im Vergleich zu anderen Ländern, wird
man in fünf Jahren im Rahmen einer Evaluation durchführen.
Der Kollege Ralph Lenkert hat noch eine Nachfrage.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wie soll aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet
werden, dass landesrechtlich geregelte Ausbildungen im
Deutschen Qualitätsrahmen bundeseinheitlich eingestuft werden?
Wir haben für eine Vielzahl von Ausbildungsberufen
und entsprechenden Qualifikationen Regelungen vorgesehen. Darauf können wir uns hier an dieser Stelle beziehen. Inwiefern sich die Länder mit ihren Regelungen mit
einbringen werden, kann ich Ihnen im Moment nicht
konkret beantworten.
Vielen Dank.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht uns Staatssekretär
Hans-Jürgen Beerfeltz zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 unseres Kollegen Dr. Sascha
Raabe auf:
Trifft es zu, dass der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, mit 23 Fehltagen die Liste der bei Sitzungen des Bundeskabinetts abwesenden Bundesminister anführt, und welche Termine hat der
Bundesminister Dirk Niebel jeweils konkret an den Tagen, an
denen er nicht an der Kabinettssitzung teilgenommen hat,
wahrgenommen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Bundesminister Niebel hat insgesamt an 76 der
100 Kabinettssitzungen seit Beginn dieser Legislaturperiode teilgenommen. Er war 21-mal durch Dienstgeschäfte und 3-mal durch Urlaub verhindert. Die
entsprechende Liste, auf der die Dienstgeschäfte verzeichnet sind, habe ich hier bei mir, und ich bin bereit,
sie zur Einsichtnahme zu zeigen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Raabe.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Die Liste werde ich mir gerne anschauen. - Es ist
so, dass der Minister seine spärliche Anwesenheit bei
uns im Ausschuss oft damit begründet hat, dass er an
Kabinettssitzungen teilnehmen muss. Jetzt hören wir,
dass er im Vergleich zu anderen Ministern selten bei Kabinettssitzungen dabei ist. Es trifft zu, dass er mit seinen
23 Fehltagen die Liste der bei diesen Sitzungen abwesenden Bundesminister anführt.
Meine Nachfrage lautet: Ist es auch richtig, dass das
Bundesministerium noch nicht einmal einen einzigen
Original-Tagesordnungspunkt aufgesetzt hat? In der Statistik von Herrn Pofalla steht zum Beispiel, dass der Außenminister schon 43 Tagesordnungspunkte angemeldet
hat. Ähnliches gilt für den Finanzminister. Pofallas trockene Kabinettsbilanz lautet: Das BMZ hat noch gar keinen Tagesordnungspunkt aufgesetzt. - Ist das richtig,
Herr Staatssekretär?
Herr Abgeordneter, das ist überhaupt keine trockene
Bilanz, sondern das Ganze ist einem anderen Aufgabenfeld geschuldet, das Bundesminister Niebel für die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland wahrzunehmen hat. Sein Dienstgeschäft besteht eben im
Wesentlichen nicht darin, in Deutschland an Schreibtischen oder Konferenztischen zu sitzen, sondern darin,
im Rahmen der eigenen Projekte in den 50 Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit aktiv
zu sein. Dort ist der Bundesminister dienstlich gefordert,
die tatsächliche Umsetzung dieser Projekte selbst in Augenschein zu nehmen und zu kontrollieren. Zusätzlich
muss er seine Arbeit darauf konzentrieren, für diese Projekte, die die Bundesrepublik Deutschland in den Entwicklungspartnerländern durchführt, in Deutschland zu
werben.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Es ist schon erstaunlich, dass es der Außenminister,
der auch viel im Ausland unterwegs sein muss, schafft,
öfter an den Sitzungen des Kabinetts teilzunehmen, und
dass er schon 43 Tagesordnungspunkte aufgesetzt hat.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, dass es gerade im
Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik ganz wesentlich auf die sogenannte
Kohärenz ankommt, das heißt, darauf, die Entwicklungspolitik mit der Handelspolitik, der Umweltpolitik
und der Landwirtschaftspolitik abzustimmen? Aus meiner Sicht können Sie doch nicht sagen: Ein Entwicklungsminister in Deutschland braucht nicht an irgendwelchen Sitzungen teilzunehmen, sondern er muss im
Ausland umherschwirren.
Stimmen Sie mir nicht zu, dass es wichtig wäre, dass
gerade der Entwicklungsminister mit seinen Kabinettskollegen dafür sorgen müsste, dass die Entwicklungspolitik abgestimmt wird und als Querschnittsaufgabe
verstanden und umgesetzt werden kann? Er hat auch für
ein Aufwachsen der ODA-Mittel zu sorgen. Hat denn
Herr Minister Niebel konkret im Kabinett auf die Tagesordnung gesetzt, dass über die Hälfte der Abgeordneten
das 0,7-Prozent-Ziel erreichen will? Mir drängt sich der
Eindruck auf, dass Herr Niebel deshalb am meisten fehlt
und nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt aufgesetzt
hat, weil er - das würde man normalerweise dann zu
Recht denken - einfach keinen Bock hat.
Diesen falschen Eindruck bei Ihnen, Herr Abgeordneter, möchte ich natürlich gerne zerstreuen; denn Dirk
Niebel ist der erfolgreichste Entwicklungsminister aller
Zeiten der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Dabei müssen Sie in Rechnung stellen, dass die ODAQuote, über die Sie gerade gesprochen haben, zum ersten Mal 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht
- sie war bis 2009 auf 0,35 Prozent gesunken - und dass
wir auch im nächsten Jahr durch die Verantwortungsbereitschaft dieses Hauses im weiteren parlamentarischen
Verfahren wieder einen weiteren Rekordhaushalt haben
werden.
Wir sind kein klassisches Gesetzgebungsministerium.
Deshalb findet unsere Arbeit nicht im Bereich der sogenannten O-Tagesordnungspunkte statt. Für uns ist es
im Gegensatz zum Außenministerium nicht sinnvoll, im
Wege der Kurzreise nur die Hauptstädte, die man besser
erreichen kann, anderer wichtiger Industrienationen zu
besuchen. Sie wissen aus eigener Erfahrung und eigener
Beteiligung an den Reisen, zu denen Dirk Niebel sehr oft
viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen
Bundestag eingeladen hatte, dass diese natürlich ins
Landesinnere führen. Wenn man die konkreten Projekte,
die dort in großer und verdienstvoller Weise für die Bundesrepublik Deutschland gemacht werden, tatsächlich in
Augenschein nehmen will, dann muss man ziemlich weit
ins Landesinnere reisen und mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, was die Reise schwierig
werden lässt. Deshalb dauern diese Reisen einfach länger als normale Trips.
Frau Kollegin Helga Daub hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär Beerfeltz, ist es richtig, dass der
Einzelplan 23 der größte investive Haushalt insgesamt
ist, dass damit sehr viele Steuergelder bilateral und multilateral verteilt werden und es insofern selbstverständlich die Aufgabe des Ministers ist, sich vor Ort kundig
zu machen, ob das Geld, das wir vergeben, ordnungsgemäß verwendet wird, und es auch durchaus im Sinne des
Steuerzahlers ist, dass diese Reisen unternommen werden?
Es ist in der Tat der zweitgrößte Investitionshaushalt
der Bundesrepublik Deutschland. Von den etwa 6,3 Milliarden Euro Haushaltsmitteln dieses Jahres werden über
4,8 Milliarden Euro im Interesse der Bundesrepublik
Deutschland direkt investiv ausgegeben, teilweise mit
erheblichen zusätzlichen Hebelwirkungen durch eine
bessere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in
Deutschland, aber auch mit der modernen mittelständischen Wirtschaft unseres Landes.
Mit der finanziellen Zusammenarbeit hebeln wir
Steueraufkommen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro um
den Faktor 6 bis 7. Das heißt, für diese Zwecke kommen
7 bis 8 Milliarden Euro in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an.
In der Technischen Zusammenarbeit, insbesondere
über die GIZ, erzeugen wir mit jedem eingesetzten Euro
zusätzlich 1,4 Euro für die deutsche Exportwirtschaft.
Das ist eine Win-win-Situation im Interesse von Werten,
aber auch im Interesse des Landes.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Dr. Sascha Raabe
auf:
Trifft es zu, dass eine Entscheidung des Bundeskabinetts
über die Zusammenfassung der Zuständigkeit für sämtliche
deutschen ODA-relevanten ({0}) Vorhaben im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bislang am Veto des Bundesministers
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gescheitert
ist, und wann ist mit einer Entscheidung über die neue Aufgabenverteilung, darunter die Auslagerung der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in
das Auswärtige Amt, zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Für die Bundesregierung beantworte ich die Frage mit
drei Punkten: Erstens. Zur Verbesserung der Koordinierung der deutschen ODA-Leistungen befindet sich ein
Vorschlag des AA und des BMZ aktuell in der Ressortabstimmung. Der Abstimmungsprozess ist noch nicht
abgeschlossen. Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn
ich zu Einzelheiten wie der Positionierung einzelner
Ressorts in dem Verfahren zurzeit nichts sagen kann.
Zweitens. Die Zuständigkeitsverlagerung der zurzeit
im BMZ beheimateten entwicklungsorientierten Notund Übergangshilfe ist nicht Teil dieser Ressortabstimmung, sondern kommt aus der direkten Ressortvereinbarung zwischen AA und BMZ und ist eine Frage der
Übertragung der Zuständigkeiten, um die Nothilfe effektiver als zu früheren Zeiten leisten zu können. Dabei
werden bestimmte Punkte, Titel und auch Personal getauscht in der Überlegung, einerseits die Nothilfe aus einer Hand zu leisten und andererseits die übergangsorientierte Aufbauhilfe, also die mittelfristige Hilfe, ebenfalls
aus einer Hand leisten zu können.
Drittens. Sobald mit dem Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages Einvernehmen über die relevanten Punkte in der Vereinbarung hergestellt worden ist,
können die darin enthaltenen Punkte einschließlich der
genannten entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe umgesetzt werden.
Die erste Nachfrage, Kollege Dr. Raabe.
Herr Staatssekretär, ich glaube, an diesem Punkt zeigt
sich genau das Dilemma, über das wir auch bei der vorigen Frage gesprochen haben. Dabei geht es um die
Ressortabstimmung. Wenn man mit dem Umweltministerium eine sinnvolle Vereinbarung erreichen möchte,
wäre es gut, die sogenannten ODA-anrechnungsfähigen
Leistungen, also die Leistungen, die als offizielle Entwicklungszusammenarbeit zählen, im Bereich Klimaund Umweltschutz federführend und abgestimmt beim
BMZ anzusiedeln.
Aber darüber muss man mit dem Bundesumweltminister und den anderen Kollegen im Kabinett auch reden
können. Wenn man nicht da ist, kann man das nicht im
Kabinett. Herr Niebel sollte sich auf seinen Reisen Reisen ist ja gut - auch einmal Klima- und Umweltschutzprojekte anschauen, das hat er ja vielleicht auch
getan. Dann würde er sicherlich inhaltlich zu dem Ergebnis kommen, dass es sinnvoll ist, die entsprechenden
Zuständigkeiten im BMZ anzusiedeln. Wenn er aber all
seine Erkenntnisse, die er auf seinen Reisen gewinnt,
dem Kabinett nicht mitteilen kann, weil er eben nicht da
ist, dann ist das schwierig. Deswegen frage ich Sie, ob
Sie es nicht für sinnvoll erachten, dass Herr Niebel - angesichts der vielen Reisen, die er Ihrer Meinung nach
ständig unternehmen muss; weswegen er auch nicht an
Kabinettssitzungen teilnehmen kann - die Erkenntnisse,
die er dort gewinnt, auch seinen Kabinettskollegen mitteilt.
Lieber Herr Raabe, allein an der Existenz dieser verdienstvollen Ressortvereinbarung zwischen Auswärtigem Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung können Sie erkennen,
dass Dirk Niebel sehr wohl in der Lage ist, die Interessen
und Werte Deutschlands in der internationalen Zusammenarbeit im Ausland zu vertreten, aber genauso am Kabinettstisch in Berlin; denn Sie können sich sicherlich
leicht vorstellen, dass hinter einer solchen Ressortvereinbarung und einer solchen Ressortabstimmung sehr
viel Arbeit steckt. Und ich habe ganz bewusst kein bestimmtes Ministerium genannt.
Eine weitere Nachfrage, Herr Raabe.
Sie haben im zweiten Teil Ihrer Antwort gesagt, dass
die Zuständigkeiten für die entwicklungsorientierte Notund Übergangshilfe sowie die humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt zusammengelegt werden sollen. Wenn wir
uns als Abgeordnete, in der Regel in sitzungsfreien Wochen, Projekte anschauen - das haben Sie zu Recht betont -, dann erleben wir immer wieder, dass eine Abgrenzung sehr schwierig ist und dass es sehr sinnvoll ist,
von Anfang an eine langfristige Hilfe aufzubauen. Wenn
es zum Beispiel ein furchtbares Erdbeben in Haiti gegeben hat, dann macht es Sinn, gleich die mittel- und langfristige Entwicklung zu bedenken und nicht nur Zelte
hinzustellen. Deswegen frage ich Sie, ob nicht der
Minister selbst auf seinen Reisen, auf denen Sie ihn zum
Teil begleitet haben, eher zu der Erkenntnis kommen
müsste, dass beide Zuständigkeiten in das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und nicht in das Außenministerium gehören.
Vielleicht kann Herr Niebel den Außenminister einmal
bitten, einen seiner 43 oder 50 Tagesordnungspunkte für
die Belange des Entwicklungsministers zu reservieren;
denn nur wenn man einen Tagesordnungspunkt im Kabinett hat, kann man darüber reden.
Es geht uns, Herr Abgeordneter, darum, hier eine bessere Koordinierung innerhalb der Bundesregierung herbeizuführen. Von der Vorgängerbundesregierung ist leider viel zu lange der Zustand geduldet worden, dass
innerhalb des Aufgabenbereichs der Not- und Übergangshilfe in Katastrophensituationen unterschiedliche
Stellen in der Bundesregierung für unterschiedliche
Maßnahmen gleichzeitig zuständig waren. Um es in ein
einfaches Bild zu fassen: Im Prinzip hat im Rahmen der
Nothilfe im Katastrophenfall das Auswärtige Amt das
Essen geliefert, während mein Ministerium, das BMZ,
die dazu nötigen Teller oder Boxen zur Verfügung gestellt hat. Manchmal war das Essen zuerst da, während
die Teller noch fehlten. Manchmal waren die Teller zuerst da, während das Essen fehlte. Das war kein haltbarer
Zustand und lag nicht im Interesse der Bundesregierung.
Wir versuchen nun, die Zusammenarbeit so zu bündeln und zu konzentrieren, dass das Bestmögliche für die
Bundesrepublik Deutschland und für die Menschen in
Katastrophensituationen herauskommt. Wir haben eine
Möglichkeit gefunden. Alles, was die kurzfristige Entwicklung betrifft, macht das AA. Alles, was die mittelbzw. langfristige Entwicklung einschließlich der Krisenprävention in Entwicklungsländern betrifft - die entsprechenden Zuständigkeiten werden zum Teil vom Auswärtigen Amt auf das BMZ übertragen, unter anderem auch
die für UNICEF -, macht das BMZ.
Wir haben eine weitere Frage der Kollegin Dr. Bärbel
Kofler.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage zur entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe anknüpfen. Erlauben Sie mir aber eine Vorbemerkung: Bei all
Ihren Antworten auf die Fragen des Kollegen Raabe haben Sie immer nur die Worte Außenwirtschaft und deutsche Interessen im Mund geführt. Ich hätte es schon
schön gefunden, wenn Sie vom Entwicklungsministerium die Themen Entwicklungszusammenarbeit und
Entwicklungspolitik in den Mittelpunkt gestellt hätten
und nicht die deutschen Außenwirtschaftsinteressen.
Herr Kollege Raabe hat zu Recht ausgeführt, dass bei
der Not- und Übergangshilfe die Mittel- und Langfristplanung das Entscheidende ist und dass sie mit dem verknüpft wird, was am Anfang passiert. Jetzt sagen Sie,
das AA macht in Zukunft die kurzfristige und das BMZ
die mittel- und langfristige Arbeit. Ich frage Sie: Erstens.
Was ist der Unterschied zur gegenwärtigen Situation?
Zweitens. Warum erhält die Zuständigkeit das AA und
nicht das BMZ? Denn die Mittel- und Langfristarbeit ist
das Entscheidende, auch was die planerischen Ressourcen und die Kapazitäten bei der Gesamtarbeit anbelangt.
Es ergibt doch Sinn, wenn dieses Ministerium die Gesamtplanung übernimmt und nicht das Ministerium, das
die Kurzfristnothilfe am Anfang übernimmt.
Ich darf festhalten, liebe Frau Kofler, dass ich das
Wort Außenwirtschaftsförderung überhaupt nicht benutzt habe; das dürfte sich auch im Protokoll zeigen.
Sehr wohl aber habe ich davon gesprochen, dass es im
dringenden Interesse einer besseren Entwicklungszusammenarbeit ist, dass wir die Potenziale, die in der modernen mittelständischen Wirtschaft in Deutschland liegen, und die Potenziale, die im Engagement vieler
ehrenamtlich tätiger Menschen in diesem Land liegen,
besser zusammenbringen; denn der Staat allein wird die
Entwicklungsziele der Bundesrepublik Deutschland,
auch die früherer Regierungen, nicht erreichen können.
Das wird nur gelingen, wenn wir gemeinsam mit mehr
Zivilgesellschaft und mit mehr Wirtschaft zusätzliche
Synergien schaffen.
Katastrophen haben es an sich, dass sie nicht nur in
Entwicklungsländern passieren, sondern überall auf der
Welt eintreten können, sodass Nothilfemaßnahmen nicht
nur in Entwicklungsländern notwendig sein können,
sondern überall auf dieser Erde. Deshalb macht es Sinn,
dass diese kurzfristige Nothilfe, die in den ersten drei
oder vier Tagen versucht, gemeinsam mit vielen anderen
Kräften auf dieser Welt die erste Not zu lindern, den
Menschen zu helfen und sie mit Nahrungsmitteln und
sauberem Trinkwasser zu versorgen, in der Hand des
Auswärtigen Amtes gebündelt ist. Aber alles, was sozusagen ab Tag drei passiert, wobei das eine unscharfe Formulierung ist, dient dazu, nicht nur zu füttern, sondern
einen Aufbau zu leisten, der tatsächlich zu einer Entwicklungsorientierung dort führt, nämlich in den 50 Entwicklungspartnerländern der Bundesrepublik Deutschland, die wir mit Vollportfolio haben. Es ist wichtig, dass
die Maßnahmen, die die internationale Gemeinschaft
leistet, mit Koordinierung des BMZ tatsächlich zu einer
Aufbauleistung in den Entwicklungsländern führen.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Lothar Binding,
die Frage 32 des Kollegen Uwe Kekeritz, die Frage 33
der Kollegin Karin Roth, die Fragen 34 und 35 der Kollegin Dr. Barbara Hendricks und die Fragen 36 und 37
des Kollegen Stefan Rebmann werden schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 38 und 39 des Kollegen Hans-Josef Fell
- Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes - werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Fragen 40 und 41 des Kollegen Oliver Krischer
und die Fragen 42 und 43 der Kollegin Ingrid Nestle
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 44 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Soll die geplante Markttransparenzstelle für den Benzinmarkt auch für die Überwachung der Ein- und Verkaufspreise
der Raffinerien zuständig sein und, wenn nicht, warum nicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Kollegin Höhn,
der von der Bundesregierung am 2. Mai 2012 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer
Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom
und Gas, das sogenannte Markttransparenzstellen-Gesetz, sieht vor, dass die einzurichtende Markttranspa21000
renzstelle neben dem Großhandel mit Strom und Gas
auch den Handel mit Kraftstoffen beobachtet. Gegenstand der Datenerhebung der Markttransparenzstelle im
Kraftstoffbereich sollen die Endverkaufspreise der Tankstellen sowie die Abgabepreise des Großhandels und der
Raffinerien sein.
Ziel ist es, unzulässige Verdrängungsstrategien wie
zum Beispiel die Preis-Kosten-Schere ebenso wie missbräuchlich überhöhte Preise leichter aufdecken und verfolgen zu können. Die Einkaufspreise der Raffinerien
- auch darauf zielte Ihre Frage ab - betreffen die Produktionsstufe der Mineralölwirtschaft und sollen nicht
Gegenstand der Datenerhebung der Markttransparenzstelle sein.
Bitte schön, Frau Höhn, eine Nachfrage.
Herzlichen Dank. - Die grüne Bundestagsfraktion hat
eine Studie in Auftrag gegeben, die belegt, dass momentan die hohen Energie- und Benzinpreise nicht nur durch
den hohen Ölpreis, sondern vor allen Dingen deshalb
entstehen, weil an den Raffinerien ein übermäßiger Gewinn gemacht wird; denn die Verkaufspreise sind im
Verhältnis zu den Einkaufspreisen übermäßig hoch, wodurch ein ungewöhnlich hoher Gewinn erzielt wird.
Warum wird von dieser Markttransparenzstelle nicht
genau da eingehakt? Nur durch beide Informationen,
Einkaufspreise und Verkaufspreise, bekommt man nämlich heraus, dass es sich um hohe Gewinne handelt, und
kann etwas gegen die bestehende Monopolstruktur machen. Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet,
die Einkaufspreise der Raffinerien zu untersuchen?
Frau Kollegin Höhn, wir wollen dieses Problem ganz
konkret angehen. Durch die „Sektoruntersuchung Kraftstoffe“ des Bundeskartellamts wurde festgestellt, dass die
vorhandenen Informationen nicht ausreichen. Wir sorgen
deshalb dafür, dass mehr Informationen zum Bundeskartellamt gelangen. Schließlich wollen wir diesen Markt
- ich habe Beispiele genannt, etwa die Preis-KostenSchere und anderes - beobachten.
Was die Raffinerien angeht: Die Einstandspreise sind
eigentlich bekannt; das sind Börsenpreise. Sie selbst sagen, dass Sie eine Untersuchung in Auftrag gegeben haben. Das ist mir bekannt. Wir werden natürlich beides
ins Kalkül ziehen. Die Markttransparenzstelle hat einen
ganz klaren Auftrag. Ich glaube, es ist richtig, dass ihre
Aktivitäten darauf beschränkt bleiben.
Eine weitere Nachfrage, Frau Höhn?
Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. - Die Wirtschaft
beklagt, dass diese Markttransparenzstelle zu sehr viel
Bürokratie führt, weil man sehr viele Daten weiterleiten
muss. Ihr Ministerium ist ja ein FDP-Ministerium und
will immer gegen Bürokratie sein. Deshalb gehe ich einmal davon aus, dass Sie sehr bewusst vorgegangen sind
und sich über die preislichen Vorteile des Ganzen für den
Markt im Klaren sind. Die Wirtschaft sagt außerdem,
dass sie hohe Kosten hat, dass die Benzinpreise deshalb
steigen und nicht sinken werden. Wer sorgfältig arbeitet,
hat sicher auch untersucht - das werden auch Sie gemacht haben -, mit einer wie hohen Senkung der Benzinpreise zu rechnen ist. Wie teuer sind für die Wirtschaft aus Ihrer Sicht die zusätzlichen bürokratischen
Aufwendungen? Worin besteht der positive Effekt für
die Verbraucher?
Frau Kollegin Höhn, was den Vorwurf des Bürokratieaufbaus angeht: Da wird mit völlig falschen Zahlen
gearbeitet. Man tut so, als wenn auf das neue Feld plötzlich alles transferiert würde. Das stimmt so nicht. Wir
werden keine neue Bürokratie aufbauen, sondern wir
werden lediglich einen Mechanismus aufbauen, der es
dem Kartellamt erlaubt, aufgrund einer soliden Zahlenbasis Untersuchungen durchzuführen. Selbstverständlich
können wir heute nicht sagen, was genau das zur Folge
hat. Sonst bräuchten wir das Ganze gar nicht zu tun.
Wir schaffen keine zusätzliche Bürokratie. Wir haben
übrigens auch mit den Verbänden geredet. Vieles ist zum
Teil völlig falsch vermittelt worden. Beispielsweise
denken wir nicht daran, dass jetzt täglich oder stündlich
Daten geliefert werden; dies soll vielmehr wöchentlich
geschehen. Das ist gerade für die kleinen und mittelständischen Betriebe wichtig. Seitens dieser Betriebe wird
uns inzwischen bestätigt, dass die entsprechenden Daten
sowieso vorliegen und dass deren Übermittlung keines
zusätzlichen Aufwandes bedarf. Denn zusätzlichen Aufwand wollen wir natürlich verhindern.
Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Nachfrage.
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen,
dass es keine übermäßigen bürokratischen Aufwendungen gibt. Könnten Sie uns sagen, was die Einrichtung
dieser Stelle kostet und wie viele neue Stellen Sie dort
schaffen? Das sollte transparent sein. Bisher haben Sie
immer so getan, als wäre mit der Einrichtung der Markttransparenzstelle überhaupt kein weiterer Aufwand verbunden, als entstünde dadurch keine Bürokratie. Es stellt
sich die Frage der Abwägung von Nutzen und Effizienz
dieser neu einzurichtenden Stelle. Um das zu beantworten, muss man sich ein Bild darüber machen können,
was im Wirtschaftsministerium vorgesehen ist.
Da haben Sie völlig recht. Natürlich müssen wir zwischen Kosten und Nutzen sorgsam abwägen. Das tun wir
auch. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich die nötigen
Informationen jetzt nicht vorrätig habe; schließlich hat
die Frage nicht auf diesen Komplex gezielt. Wir werden
Ihnen diese Informationen selbstverständlich liefern.
({0})
Sie haben Ihr Fragerecht schon erschöpft, Frau Kollegin Höhn.
({0})
Ich hatte vorher schon betont: Die Zahlen, die in der
Öffentlichkeit sind, beziehen sich auf das Ganze. Wir
werden Ihnen die Zahlen gern liefern.
Die Frage 45 der Kollegin Kotting-Uhl und die Frage
46 der Kollegin Brugger werden schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Burgbacher.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht zur Verfügung
die Frau Staatsministerin Pieper.
Die Frage 47 der Kollegin Brugger, die Fragen 48 und
49 des Kollegen Mützenich, die Frage 50 des Kollegen
Hagemann, die Frage 51 der Kollegin Höger, die Fragen
52 und 53 der Kollegin von Cramon-Taubadel, die Frage
54 der Kollegin Marieluise Beck, die Frage 55 der Kollegin Keul, die Fragen 56 und 57 des Kollegen Koenigs
sowie die Fragen 58 und 59 der Kollegin Hänsel werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 60 des Kollegen Gehrcke auf:
Wird sich die Bundesregierung gegenüber der israelischen
Regierung für die Verbesserung der Haftbedingungen der
palästinensischen Häftlinge, insbesondere für die Freilassung
der zum Teil seit Jahren ohne Anklage in Administrativhaft
befindlichen Palästinenser, einsetzen und in diesem Zuge die
Forderungen der 1 500 bis 2 000 palästinensischen Häftlinge,
die sich in israelischen Gefängnissen im Hungerstreik befinden, nach Abschaffung der Administrativhaft, Verbesserung
der Haftbedingungen und Durchsetzung internationalen
Rechts der Gefangenen in Israel thematisieren?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Bundesregierung verfolgt die Lage der palästinensischen Gefangenen
in israelischen Gefängnissen, die sich seit dem 17. April
dieses Jahres in einem Hungerstreik befinden, sehr aufmerksam. Die Deutsche Botschaft in Tel Aviv und das
Vertretungsbüro in Ramallah erhalten hierzu umfassende
Informationen seitens der israelischen Regierung, aber
auch seitens der Palästinensischen Behörde sowie von
Nichtregierungsorganisationen. Auch stehen sie hierzu
in Kontakt mit anderen EU-Vertretungen. Die Bundesregierung hat das Thema kürzlich mit der Israelischen
Botschaft in Berlin aufgenommen.
Bereits früher hat die Bundesregierung bilateral die
umfassende Anwendung von Administrativhaft thematisiert und ihre Sorge dazu immer wieder zum Ausdruck
gebracht.
Die Lage der palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen sowie die umfassende Anwendung
der Administrativhaft sind auch Gegenstand des EUIsrael-Dialogs. Zuletzt erfolgte eine Thematisierung im
Rahmen des Assoziationsausschusses EU-Israel am
2. Mai 2012, was Ihnen sicher auch bekannt ist, Herr
Abgeordneter.
Die Europäische Union hat außerdem in mehreren
Einzelfällen hungerstreikender Häftlinge gegenüber dem
israelischen Außenministerium ihre Sorge über deren
sich verschlechternden Gesundheitszustand, die konkreten Haftumstände, aber auch die umfassende Anwendung der Administrativhaft geäußert.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Frau Staatsministerin, ich bin erst einmal sehr dankbar für diese Informationen und dafür, dass die Bundesregierung sich in dieser Frage engagiert.
Wir alle wissen, dass die Bundesregierung vermittelt
hat - Gott sei Dank - bei der Freilassung des israelischen Soldaten Schalit. Das war ein wichtiger Schritt.
Gleichzeitig sind ungefähr 1 000 palästinensische Häftlinge, vorwiegend aus dem Umfeld der Hamas, freigelassen worden. Was kann die Bundesregierung tun, um
auch der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihrem Präsidenten Abbas durch ein engagiertes und klares
Vorgehen sowie durch Druck auf Israel deutlich zu
machen, dass auch andere Häftlinge jetzt umgehend freigelassen werden müssen?
Ich sagte ja schon, Herr Abgeordneter, dass die Bundesregierung dazu immer wieder auch mit Demarchen
auftritt. Die Bundesregierung hat natürlich ein großes
Interesse daran, dass weitere Häftlinge freigelassen werden. Uns ist die Menschenrechtssituation in den palästinensischen Gebieten sehr wichtig. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit den Nichtregierungsorganisationen;
das habe ich schon gesagt. Wir intervenieren regelmäßig
mit dem uns zur Verfügung stehenden Instrumentarium
gegenüber der israelischen Regierung. Es gibt Einzelmaßnahmen, die wir durchführen, Prozessbeobachtungen, die wir gemeinsam mit den EU-Partnern durchführen. Menschenrechtsfragen sind regelmäßig Gegenstand
der Gespräche zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung. Wir bringen das Thema regelmäßig auch auf EU-Ebene ein, wie ich schon erwähnt habe.
Ich glaube, man muss in dem Fall einfach jetzt auch
außenpolitisch deutlich machen, dass uns das Thema
wichtig ist, dass uns Menschenrechtsfragen sehr wichtig
sind und dass wir da vorankommen wollen. Ich glaube,
wenn man diesen Druck aufrechterhält, wird man auch
Weiteres erreichen.
Weitere Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Darf ich Sie mit einer weiteren Frage ermuntern, es
noch etwas konsequenter zu machen? Könnte die Bundesregierung nicht in ihrem Dialog mit Israel deutlicher
machen, dass es eine große Stärke Israels wäre, wenn Israel selbst rechtsstaatliches Vorgehen - das ist gegenüber
den Palästinensern in dieser Haft nicht gegeben -, Beachtung der Menschenrechte als Teil der demokratischen
Entwicklung Israels an den Tag legte? Alles das - was
man erfährt -, was dort abläuft, richtet sich aus meiner
Sicht im Kern gegen Israel selber. Teilt die Bundesregierung diese Beurteilung?
Ich kann Ihnen nur versichern, Herr Abgeordneter,
dass das Thema über das, was auf außenpolitischer
Ebene schon geschehen ist und was ich Ihnen ja auch
schon gesagt habe, hinaus auf Arbeitsebene, beispielsweise auf Referatsleiterebene, ständig, unter anderem
auch mit dem Gesandten der Israelischen Botschaft, aufgegriffen und im Gespräch gehalten wird. Ich glaube,
das ist der richtige Weg.
Dann kommen wir zur Frage 61 des Kollegen
Gehrcke:
Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung
das unter der Verantwortung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages stehende Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“,
insbesondere in Bezug auf die Aktivitäten von Abgeordneten
für die von ihnen betreuten Kolleginnen und Kollegen und
insbesondere in Bezug auf Marwan Barghuthi?
Frau Staatsministerin.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Das Programm
„Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ist ein Programm des Deutschen Bundestages, wie Sie wissen, dessen fraktionsübergreifende Verabschiedung im Jahr 2003
von der Bundesregierung begrüßt wird.
Die Bundesregierung, insbesondere das Auswärtige
Amt über die deutschen Botschaften, stellt dem Deutschen Bundestag regelmäßig im Rahmen ihrer Möglichkeiten Informationen zur Lage von Personen zur Verfügung, die in das Programm aufgenommen wurden oder
deren Aufnahme der Bundestag prüft. Auch unterstützen
die deutschen Botschaften die Mitglieder des Deutschen
Bundestages bei ihren Auslandsreisen und Kontakten
mit Parlamentariern des jeweiligen Gastlandes. Darüber
hinaus setzt sich die Bundesregierung weltweit auch im
multilateralen Rahmen für die Achtung der Menschenrechte, demokratische Strukturen und die Einhaltung
rechtsstaatlicher Grundsätze ein. Sie steht mit den
Regierungen, entsprechenden Nichtregierungsorganisationen, aber auch der Zivilgesellschaft in Kontakt. Auch
die politischen Stiftungen seien an dieser Stelle erwähnt.
Sie spielen hier eine wichtige unterstützende Rolle.
Im Fall des Palästinensers Marwan Barghuthi hat das
Deutsche Vertretungsbüro in Ramallah Abgeordnete des
Deutschen Bundestages begleitet, die seine Angehörigen
oder Mitglieder seines Abgeordnetenbüros getroffen
haben, um sich ein Bild von seiner persönlichen und professionellen Situation zu machen.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?
Dann frage ich einmal sehr direkt und sehr undiplomatisch, da Sie um den Kern der Frage etwas herumgegangen sind: Ich betreue im Rahmen dieses Programms
Marwan Barghuthi. Bei jeder Reise nach Israel beantrage ich, ihn in der Haft besuchen zu können, was
eigentlich ganz normal ist. Wäre das Auswärtige Amt
bereit, meine Initiativen, Marwan Barghuthi, nicht nur
seine Familie oder sein Büro, direkt in der Haft zu besuchen und mit ihm zu reden - er ist ja auch einer der möglichen Präsidentschaftskandidaten der Palästinenser -,
nachdrücklicher zu unterstützen? Die Auskunft vonseiten Israels, dass man nicht zulassen wird, dass der Fall
Marwan Barghuthi zu einem internationalen Problem
gemacht wird, kann ich nicht nachvollziehen. Er ist ein
internationales Problem.
Herr Abgeordneter, Sie wissen, dass das Auswärtige
Amt die Initiative des Bundestages unterstützt. Wir werden natürlich alles versuchen, um mit Ihnen gemeinsam
die Menschrechtslage der dort Inhaftierten zu verbessern. Ich nehme Ihr Anliegen gerne auf, aber Sie wissen
ja - nachdem Sie es schon mehrmals versucht haben -,
wie schwierig es ist, das zu realisieren.
Ja, leider. - Vielleicht noch eine letzte Frage, wenn
ich die stellen darf.
Bitte schön.
Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass
sich die Haftbedingungen von Marwan Barghuthi, nachdem er sich jetzt sehr kritisch über das Scheitern des
Friedensprozesses - oder des sogenannten Friedensprozesses - geäußert hat, spürbar verschlechtert haben?
Wird politisches Nichtwohlverhalten in diesem Sinne
mit einer Verschlechterung der Haftbedingungen bestraft, und kann man das einfach so akzeptieren?
Sie wissen, dass es unser Anliegen ist, darauf hinzuweisen, dass wir das nicht akzeptieren, dass es auch zu
den Menschenrechten gehört, für Inhaftierte die humanitären Maßnahmen einzuleiten, die sie brauchen. Deswegen halten wir den Zusammenhang für nicht gerechtfertigt, den Sie beschrieben haben.
Sie wissen, wie schwierig es ist, sich vor Ort über die
Lage der Inhaftierten zu informieren. Selbst Nichtregierungsorganisationen haben keinen Zugang, was das alles
noch einmal erschwert. Von daher ist es auch für uns
nicht einfach, die Situation zu beurteilen.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Die Frage 62 des Kollegen Sarrazin und die Frage 63
des Kollegen Hunko werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Frage 64 des Kollegen Hunko und die Frage 65
des Kollegen Dr. von Notz werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur
Verfügung.
Es handelt sich hier um die Frage 66 des Abgeordneten Uwe Schummer:
Wie will das Bundesministerium der Justiz, BMJ, den
Dachverbänden der ehrenamtlich kulturschaffenden Vereine
Verhandlungsmöglichkeiten auf Augenhöhe zur Gestaltung
der Tarifverträge der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, GEMA, entsprechend den Vereinbarungen des Runden Tisches GEMA
im BMJ ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schummer, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, allseits bekannt unter der Abkürzung GEMA, hat
unter dem Eindruck der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ und unter dem Eindruck des Runden
Tisches des Bundesministeriums der Justiz mit den
Verwertungsgesellschaften die Kritik der letzten Jahren
aufgegriffen und insbesondere im Bereich des ehrenamtlichen kulturellen Engagements Verbesserungen für
diese spezielle Nutzergruppe erzielt. So unterhält die
GEMA eine Vielzahl von Gesamtverträgen - am 1. Januar 2012 waren es 476 Gesamtverträge -, unter anderem mit bürgerschaftlich engagierten Vereinen und Verbänden. Zur Verbesserung der Transparenz hat die
GEMA daneben einen Sozial- und Kulturtarif veröffentlicht. Darin sind alle Spezialtarife und Sondernachlässe
dieses Bereiches zusammengefasst. Eine im Rahmen des
Sozial- und Kulturtarifs veröffentlichte Gesamtvertragsliste trägt dazu bei, dass noch nicht gesamtvertraglich
eingebundene Einrichtungen überprüfen können, ob
bereits mit einem für sie geeigneten Partner ein Gesamtvertrag abgeschlossen wurde. So ist es ihnen dann möglich, bei diesem Partner eine entsprechende Mitgliedschaft zu beantragen, um in den Genuss von
Gesamtvertragsnachlässen zu gelangen.
Das Bundesministerium der Justiz hat diesen
Entwicklungsprozess in den letzten Jahren fortlaufend
begleitet und sieht insoweit im Moment keine Veranlassung, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Nachfrage, Kollege Schummer?
Ja. - Eine sinnvolle Maßnahme des Runden Tisches
2009 im Justizministerium war, die Dachverbände der
ehrenamtlich geführten kulturtragenden Vereine wie
Chöre und Musikvereine zu den Urheberrechtsgesellschaften einzuladen. Wir haben bei diesem Runden
Tisch, bei dem ich selber dabei war, vereinbart, dass es
unterhalb der Gesetzesebene Selbstverpflichtungen geben soll. So wurde beispielsweise in einem Kriterienkatalog festgehalten, wie die GEMA-Agenten vor Ort
aufzutreten haben. Wäre es denkbar, diesen Runden
Tisch mit den Dachverbänden der kulturtragenden Vereine und den Urheberrechtsgesellschaften nach drei Jahren noch einmal zu organisieren, um eine Revision im
Hinblick darauf vorzunehmen, was an Selbstverpflichtungen umgesetzt worden ist und was nicht?
Herr Kollege Schummer, Sie haben in der Tat verdienstvollerweise an diesem Runden Tisch, der im April
2009 stattgefunden hat, teilgenommen. Die Anregungen
und Handlungsempfehlungen, die dort gegeben worden
sind, sind umgehend umgesetzt worden, bzw. unser
Ministerium war laufend in Kontakt mit der GEMA, um
die Themen, die Sie auch jetzt wieder angesprochen haben, zu realisieren. Wenn es Bedarf geben sollte, dass
man sich wieder zusammensetzt, können wir darüber
nachdenken. Im Moment haben wir den Eindruck, dass
die Empfehlungen von damals, die insbesondere auf
mehr Transparenz beim Umgang der GEMA mit ihren
Gesprächspartnern abgezielt haben, durchaus erfüllt
sind.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich beende damit die Fragestunde.
({0})
- Herr Staatssekretär Kampeter ist da. Dann können wir
noch eine Frage zulassen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen somit noch zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung
steht der Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 67 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie hat der Vertreter/die Vertreterin des Bundesministeriums der Finanzen in der Sitzung der Abteilungsleiter
- Steuer - der obersten Finanzbehörden des Bundes und der
Länder vom 28. Februar bis zum 1. März 2012 in Berlin bei
dem dort gefassten Beschluss, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingetragenen Lebenspartnern auf Antrag das Ehegattensplitting im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu gewähren, abgestimmt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Lieber Kollege Beck, ich beantworte
die Frage wie folgt: Nach Inkrafttreten des Finanzreformgesetzes zum 1. Januar 1970 hat man sich am
15. Januar 1970 auf Staatssekretärsebene in einer BundLänder-Vereinbarung auf ein Verfahren zur Lösung von
Abstimmungsfragen verständigt.
Die Entscheidungen werden danach auf Bund-Länder-Ebene in Koordinierungsgremien getroffen, die auf
den drei Hierarchiestufen Referatsleiter, Abteilungsleiter
und Finanzminister existieren. Der Bund besitzt in diesen Gremien kein Stimmrecht, Herr Kollege Beck.
Nachfrage, Herr Kollege Beck? - Bitte.
Wenn dem so ist: Wie hat der Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen in der Sitzung dann deutlich
gemacht, dass das BMF den Beschluss nicht mitträgt?
Die Sitzungen der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder sind nicht öffentlich. Niederschriften
zum Abstimmungsverhalten enthalten lediglich Angaben zum zahlenmäßigen Ergebnis. Der Diskussionsverlauf - so verstehe ich Ihre Frage - ist nicht protokolliert.
Wie kommt es dann dazu, dass der Parlamentarische
Staatssekretär Koschyk am 24. April 2012 auf eine Anfrage von uns gesagt hat, das BMF habe den Beschluss
in der Sitzung nicht mitgetragen?
Herr Kollege Beck, der Bund beteiligt sich nicht an
der Abstimmung. Die Möglichkeit des Bundes, auf Entscheidungen der Länder Einfluss zu nehmen, besteht darin, einer Entscheidung zu widersprechen. Dieser Widerspruch hat aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung
auf der nächsthöheren Hierarchiestufe.
Zu einer weiteren Frage die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass meine Frage noch
zugelassen wird.
Herr Staatssekretär Kampeter, die Bundesregierung
widerspricht sich hier öffentlich. Sie haben gerade meinem Kollegen Beck erklärt, dass sich das Finanzministerium nicht dazu einlässt. Ihr Kollege, Staatssekretär
Koschyk, hat auf unsere Anfrage hin für das Bundesfinanzministerium eine eindeutige Position dargelegt.
Ich möchte deswegen von Ihnen wissen: Gibt es im
Finanzministerium zwei Auffassungen in dieser Frage?
Zum anderen wurde die Position des Finanzministeriums bereits öffentlich dargestellt. Ich bitte Sie deswegen, die Position des Finanzministeriums der Öffentlichkeit darzulegen, damit Ihr Beitrag nicht zur
Verunklarung der Situation beiträgt.
Frau Kollegin Haßelmann, bei allem mir gebotenen
Respekt: Ihre Frage und die darin enthaltenen Unterstellungen haben sehr zur Verunklarung der Situation beigetragen. Deswegen will ich wie folgt richtigstellen: In der
Frage des Abgeordneten Beck ist nach einem Abstimmungsverhalten gefragt worden. Der Bund stimmt in
den Gremien aber nicht mit ab. Deswegen kann ich zu
seiner Frage nur sagen: Wir haben nicht abgestimmt.
Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass die Einflussmöglichkeit des Bundes darin besteht, einem Beschluss zu widersprechen und dies auf der nächsthöheren
Hierarchiestufe vorzutragen. Das habe ich hier - und da
besteht kein Widerspruch zum Kollegen Koschyk - zum
Ausdruck gebracht. Ich weise Ihre Unterstellung, es
gäbe einen Widerspruch innerhalb der Bundesregierung,
sogar in einem Haus, nämlich dem Finanzministerium,
mit der Stärke meiner Stimme und der Kraft meiner Argumente entschlossen zurück.
Damit ist diese Frage beantwortet. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Gute Prognosen bestätigt: Mehr Wachstum
und mehr Beschäftigung in Deutschland
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler
das Wort.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Regierungskoalition ist und bleibt der Garant für Wachstum, Wohlstand und Stabilität in Deutschland und in Europa. Wir sorgen weiter für Wachstum.
Nach Rekordzuwächsen in den letzten beiden Jahren
erwarten wir trotz schwieriger Rahmenbedingungen
0,7 Prozent Wachstum für das Jahr 2012 und - noch besser - 1,6 Prozent im Jahr 2013. Wir haben die niedrigste
Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und Rekordbeschäftigung, niedrigere Sozialversicherungsbeiträge, trotzdem
höhere Renten sowie höhere Löhne und volle Auftragsbücher. All das zeigt: Wir trotzen den außenwirtschaftlichen Stürmen in Europa und auf den Weltmärkten. Mit
uns bleibt Deutschland robust auf Wachstumskurs.
({0})
Herr Präsident, ich darf hier einmal die OECD zitieren, die vor wenigen Tagen festgehalten hat - Zitat -:
Deutschlands Wirtschaftsleistung war in den vergangenen Jahren herausragend - seine Arbeitslosigkeit niedrig und sein Wachstum solide. Viele Länder schauen auf das Rezept, das diesen Erfolg erst
möglich gemacht hat …
Ja, wir sorgen durch starkes Wachstum für den Wohlstand der Menschen. Wir erinnern uns: Wie war es denn
damals unter Rot-Grün? Damals galt Deutschland als
„kranker Mann Europas“.
({1})
Heute können wir stolz darauf sein, dass wir wieder
Kraftzentrum und Wachstumsmotor in Europa sind.
({2})
Das ist ein Verdienst der Menschen, ein Verdienst der
Unternehmen, aber auch ein Verdienst der Politik dieser
Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP.
Wenn wir bei Wachstum und Beschäftigung weiter
vorangehen wollen, dann müssen wir die Weichen dafür
richtig stellen. Der richtige Weg dazu ist eine konsequente Haushaltskonsolidierung; wir sind dabei schon
sehr erfolgreich. Wir werden die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts schon zwei Jahre
früher als vorgegeben erfüllen. Aber damit geben wir
uns nicht zufrieden. Wir kämpfen weiter für stabile
Haushalte. Wir wollen die schwarze Null im Bundeshaushalt so schnell wie möglich erreichen. Damit unterscheiden wir uns von einer rot-grünen Schuldenpolitik,
wie sie momentan in den Ländern betrieben wird.
({3})
Überall da, wo Rote und Grüne oder Grüne und Rote regieren, werden Schulden über Schulden gemacht, immer
zulasten der nachfolgenden Generationen.
({4})
Wir unterscheiden uns wohltuend von dieser Schuldenpolitik und stehen für langfristig stabile Haushaltskonsolidierung.
({5})
Gleichzeitig brauchen wir natürlich Reformen. Das
beste Beispiel hierfür ist die Regelung der Zuwanderung. Dadurch lösen wir eine wesentliche Wachstumsbremse. Erstmals gibt es in Deutschland ein System der
gesteuerten Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt,
gestaffelt nach Qualifikation und Berufsgruppen und mit
deutlich abgesenkten Gehaltsschwellen. Das hilft den
Menschen, die zu uns kommen und einen Arbeitsplatz
suchen. Das hilft aber auch den mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern, die Fachkräfte suchen.
Diese Willkommenskultur ist ein wesentlicher Beitrag
für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland
und in Europa.
({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, gelegentlich lese ich Interviews von Ihnen zur Energiepolitik. Konstruktives ist dort nicht zu finden, sondern lediglich Ideologie. Während wir gemeinsam daran arbeiten,
die Netze auszubauen,
({7})
neue Kraftwerke zu errichten
({8})
und für Energieeffizienz zu kämpfen,
({9})
blockieren Sie da, wo Sie eigentlich Verantwortung tragen müssten, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Bestes Beispiel ist das hocheffiziente Kraftwerk in Datteln.
Rot-Grün verhindert dieses Kraftwerk. Neue Netze, neue
Leitungen - Rot-Grün verhindert. Selbst wenn es darum
geht, erneuerbare Energien durch Pumpspeicherkraftwerke zu unterstützen, blockieren Grün und Rot. All das,
was Sie in der Energiepolitik betreiben, ist wenig konstruktiv und voller Ideologie. Vor allen Dingen denken
Sie nicht eine einzige Sekunde an diejenigen, die all Ihre
Ideen bezahlen müssen. Wir machen es anders. Wir denken auch an die 80 Millionen Menschen, an die 40 Millionen Haushalte, an die vielen Millionen Unternehmen,
die all das bezahlen müssen.
({10})
Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie
sind wesentlich für die Wachstumskräfte in Deutschland.
({11})
Leider tragen Sie auch wenig zur Europapolitik bei.
Als überzeugter Europäer, aber auch als Wirtschaftsminister halte ich fest: 60 Prozent unserer Exporte gehen
nach Europa, 40 Prozent in die Euro-Zone. Deswegen
haben wir ein Interesse daran, dass Europa stabilisiert
wird. Die Krise, die wir derzeit erleben, ist eine Vertrauenskrise. Deswegen müssen wir alles dafür tun, Vertrauen zurückzugewinnen.
({12})
Jedem ist doch klar: An soliden öffentlichen Finanzen
führt kein Weg vorbei. Deswegen kämpfen wir für den
Fiskalpakt und stellen die klare Forderung: Dieser Fiskalpakt muss schnellstmöglich ratifiziert werden, und
zwar ohne jede Änderung.
({13})
Der Präsident des Europäischen Parlaments - er ist
Mitglied der SPD - ist gestern bei allen Fraktionen zu
Gast gewesen
({14})
und hat Sie aufgefordert, mit Parteitaktik und irgendwelchen Spielchen von Parteifunktionären Schluss zu machen und ein klares Bekenntnis für ein starkes, stabiles
Europa abzulegen.
({15})
Wir legen dieses Bekenntnis ab. Sie sind dieses Bekenntnis den Menschen in Deutschland und Europa bisher
schuldig geblieben.
({16})
Gleiches gilt für notwendige Reformen. Es macht keinen Sinn, einfach nur Geld in die Hand zu nehmen und
schuldenfinanzierte Konjunkturpakete aufzulegen. Sie
brauchen zuallererst sinnvolle Reformen und vernünftige Strukturen. Wenn Sie in nicht vorhandene Strukturen Geld hineingeben, dann versickert es ohne jede Wirkung.
({17})
Deswegen müssen wir dabei bleiben: Die angefangenen
Reformen müssen in allen europäischen Staaten fortgesetzt werden. Wir können nur hoffen, dass sich die Kollegen in Griechenland schnellstmöglich einigen und eine
tragfähige Regierung bilden, um die notwendigen Reformen voranzubringen: Reformen auf dem Arbeitsmarkt
zur Steigerung der Produktivität, Reformen in den sozialen Sicherungssystemen zur Senkung der Lohnzusatzkosten, Reformen in der Verwaltung, gegen Bürokratie,
für mehr Effizienz und auch Fortschritte bei der Privatisierung. Das ist das richtige Rezept; die OECD weist zu
Recht darauf hin. Wir brauchen auf der einen Seite solide Haushalte und auf der anderen Seite richtige Reformen, weil wir alle wissen, dass man Wachstum nicht
kaufen kann, sondern dass man es sich durch Reformen
hart erarbeiten muss. Das ist der richtige Weg für
Deutschland und für Europa gleichermaßen. Darauf arbeitet diese Regierungskoalition hin.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rösler, da Sie in NRW bei Veranstaltungen
wahrscheinlich nicht so viel Publikum zusammenbringen, kann ich verstehen, dass Sie versuchen, vor der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen das Plenum des
Deutschen Bundestages für eine Wahlkampfrede zu
missbrauchen.
({0})
Zurück zur Sache. Reden wir über die wirtschaftliche
Entwicklung in Deutschland. Herr Rösler, angesichts der
Situation in Deutschland fände ich es angemessen, weder in Schwarzmalerei zu verfallen noch die rosarote
Brille aufzusetzen, die Sie sich im Wahlkampf offensichtlich zugelegt haben. Tatsache ist: Deutschland ist
bis dato besser durch die wirtschaftliche Krise gekommen als andere Staaten in Europa. Das ist aber vor allen
Dingen das Verdienst von tüchtigen Unternehmern und
fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land. Ursächlich war auch der Mut der Vorgängerregierungen, den Sie nicht besitzen, Herr Rösler.
({1})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Deutschland ist deshalb
erfolgreicher als andere Staaten in Europa, weil wir nach
wie vor eine breite Basis an industrieller Wertschöpfung
haben,
({2})
von der Grundstoffindustrie über die kleinen und mittelständischen Unternehmen bis zu den Hightechschmieden.
({3})
Dazu haben Sie, Herr Rösler, allerdings keinen Beitrag
geleistet, im Gegenteil.
Der Vorteil der deutschen Volkswirtschaft, der darin
besteht, dass sie wettbewerbsfähig ist, kann in der Krise,
über die Sie vorhin viele Worte gemacht haben, auch zur
Achillesferse unserer deutschen Wirtschaft werden. Sie
Hubertus Heil ({4})
haben die Zahlen genannt: 60 Prozent unserer Exporte
gehen in die Europäische Union, 40 Prozent in die EuroZone. Deshalb können wir in Deutschland langfristig
wirtschaftlich nicht erfolgreich sein, wenn es dem Rest
Europas schlecht geht. Sie haben zu Recht gesagt, dass
Staaten im Süden Europas Strukturreformen brauchen.
Aber Sie wissen doch genauso gut wie wir: Strukturreformen brauchen Zeit, bis sie wirken. Was Deutschland
und Europa jetzt brauchen - das ist auch im deutschen
Interesse -, ist,
({5})
dass neben den Strukturreformen in den Krisenländern
und den fiskalischen Auflagen ein Wachstumsimpuls gegeben wird. Wir brauchen wirtschaftliche Dynamik in
Europa.
({6})
Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zum Thema Wachstum.
({7})
- Wissen Sie was? Sie von der FDP plakatieren Wachstum, haben aber keine Vorstellung davon, wie Sie
Wachstum in Europa auf den Weg bringen können. Damit sind Sie zu einem Standortrisiko für Deutschland, zu
einer Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in Deutschland geworden
({8})
Angesichts der Risiken, die die OECD genauso wie der
IWF heute an die Wand malen - Herr Rösler, das kann
ich Ihnen nicht ersparen -, dürfen wir uns nicht wegducken. Die Risiken haben etwas damit zu tun, dass diese
Bundesregierung weder in der Lage ist, die Situation
realistisch zu betrachten, noch in der Lage ist, Entschlossenheit an den Tag zu legen, wenn es darum geht, die
Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, zu bewältigen.
Ich will Ihnen die Herausforderungen nennen: Es geht
um die Frage, wie wir die Haushalte in Europa durch
Wachstum in Ordnung bringen. Sie können die Haushalte der Krisenstaaten nicht ohne wirtschaftliche Dynamik konsolidieren. Das müssen Sie endlich einmal begreifen. Sie haben es noch nicht begriffen. Aber die Zeit
wird über Sie hinweggehen; dessen bin ich mir sicher
Sie haben über Energiepolitik gesprochen. Wer fährt
denn gerade die Energiewende in Deutschland, die dringend notwendig ist, durch Unterlassen gegen die Wand?
({9})
Wer ist denn verantwortlich dafür, dass wir beim Netzausbau, den wir in Deutschland brauchen, nicht vorankommen?
({10})
Wer hat denn kein Konzept für Investitionen in notwendige Reservekraftwerke? Das, was die Bundesnetzagentur Ihnen gestern und vorgestern ins Stammbuch
geschrieben hat, ist eine Versäumnisliste Ihrer Amtsführung, Herr Rösler. Sie sind nur in der Lage, sich mit
Herrn Röttgen wechselseitig in dieser Regierung zu blockieren. Sie sind ein wirtschaftliches Standortrisiko für
die Versorgungssicherheit im Bereich der Energiewirtschaft, auch wenn es um die Bezahlbarkeit der Energie
für die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land
geht.
({11})
Wenn wir über die Frage der notwendigen wirtschaftlichen Dynamik in Europa reden und darüber, wie wir
die notwendige Energiewende bewerkstelligen, die für
eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland erforderlich ist - übrigens auch in Nordrhein-Westfalen, einem starken Industrieland in
Deutschland und Europa -, dann müssen wir auch über
den Fachkräftebedarf sprechen. Was fällt Philipp Rösler
in seiner kurzen Wahlkampfrede zum Thema Fachkräfte
ein? Das Stichwort Zuwanderung. Das ist sehr erstaunlich. Ich sage Ihnen: Wir haben überhaupt nichts dagegen, dass wir in Deutschland auch darüber reden, dass
dieses Land die Zuwanderung Hochqualifizierter
braucht. Bevor wir das tun, hätten Sie aber ein Wort darüber verlieren können, dass wir inländische Potenziale
haben, die wir nicht heben. 65 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne Schulabschluss.
({12})
1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben keine berufliche Erstausbildung. Sie führen eine unsinnige Betreuungsprämie ein, eine Fernhalteprämie.
Dadurch werden Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten.
Sie sollten etwas für eine höhere Frauenerwerbstätigenquote tun und für bessere Einstiegschancen junger Menschen, die es nicht so leicht haben. Wir müssen den demografischen Wandel in diesem Land bewältigen. Durch
Ihre Politik läuft es aber auf einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt hinaus: Auf der einen Seite werden immer
mehr Unternehmen händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen, und auf der anderen Seite geben Sie jungen Menschen keine Chance und halten Frauen vom Arbeitsmarkt fern.
({13})
Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, Herr Rösler. Auch
deshalb sind Sie ein Standortrisiko.
({14})
Hubertus Heil ({15})
Herr Rösler, es macht wenig Sinn, mit Ihnen großartig
darüber zu streiten; denn Sie sind in Fragen der Bewältigung der europäischen Krise, der Fachkräftesicherung
und der Energiepolitik - das weiß die deutsche Wirtschaft - ein Totalausfall. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn es in dieser Bundesregierung eine Führung
durch das Bundeskanzleramt gäbe. Aber Frau Merkel
duckt sich weg. Deshalb sage ich Ihnen trotz der erfreulichen Lage: Die wirtschaftlichen Herausforderungen
dieser Zeit liegen noch vor uns. Aber es gibt keine Krisenbewältigung durch diese Bundesregierung. Frau
Merkel wird zu einem wirtschaftlichen Standortrisiko
und ihre Koalition auch.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Heil, ich habe mir erlaubt, die Titelseiten zweier englischer Zeitungen aus den letzten Jahren mitzubringen.
({0})
Das war eine Titelseite der BusinessWeek im Jahre 2003.
„The Decline of Germany“, der Niedergang Deutschlands. Das wird mit wem in Verbindung gebracht? Mit
Gerhard Schröder und Rot-Grün.
({1})
Das andere war ein Titelblatt von The Economist: „Europe’s Engine“.
({2})
Das größere Rad auf dem Titelbild soll Deutschland
symbolisieren. Die Räder, die sich in Europa drehen,
drehen sich dadurch, dass die deutsche Wirtschaft wieder läuft. Dafür können wir dankbar sein.
({3})
Genau das zeigt die Situation, die wir gewollt und organisiert haben.
({4})
Sie haben das nicht geschafft.
Ich gebe fairerweise zu, dass einige Ihrer Reformen
durchaus sinnvoll waren; aber davon wollen Sie gar
nichts mehr wissen. Sie versuchen, sich wegzuducken.
Sie tun so, als hätten Sie mit Hartz IV nie etwas zu tun
gehabt. Das hören wir doch jeden Tag in Ihren Wahlkampfreden in NRW. Gehen Sie einmal hin und hören
Sie zu. Sie gehen ja schon gar nicht mehr dorthin, weil
Sie sich schämen.
({5})
Wir wollen des Weiteren festhalten, dass Sie mit einem gemeinsamen Beschluss, den wir unter SchwarzRot gefasst haben, nichts mehr zu tun haben wollen. Wir
beide haben mit für die Einführung der Rente mit 67 gekämpft. Nun tun Sie so, als sei das alles ganz anders gewesen. Nun wollen Sie davon nichts mehr wissen. Stehen Sie doch zu Ihren Beschlüssen, die vernünftig waren
und die dazu geführt haben, dass Deutschland heute Europe‘s Engine ist.
({6})
Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, als Erster
aus der Krise herauszukommen, dass wir nach einem
Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 4,7 Prozent im
Jahr 2009 bereits ein Jahr später, also im Jahr 2010, wieder 3,7 Prozent Wachstum verzeichnen konnten und im
Jahr darauf 3 Prozent.
({7})
Im Jahr darauf haben wir also im Prinzip schon wieder
den Status von vor der Krise erreicht. Das sind positive
Zahlen.
Freuen Sie sich doch mit uns, dass wir 41,2 Millionen
Erwerbstätige in Deutschland haben; das hat es noch nie
gegeben. So eine niedrige Arbeitslosenquote gab es noch
nie. Unter Gerhard Schröder gab es 5 Millionen Arbeitslose, jetzt gibt es 2,8 Millionen Arbeitslose. Ich freue
mich, dass wir - das ist für mich das Allerwichtigste die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben.
({8})
Darüber können wir uns alle freuen. Es gibt eigentlich
nichts Schlimmeres, als wenn junge Menschen keine
Hoffnung haben. Auch das Thema Schulabschluss müssen wir gemeinsam angehen. Wir müssen uns aber auch
Gedanken machen, warum es gerade von diesen von Ihnen eben genannten Jugendlichen in einigen Bundesländern besonders viele gibt. Die meisten leben in Nordrhein-Westfalen; auch das gehört zur Wahrheit.
Es ist richtig, dass es uns gelingen muss, in Deutschland die Wertschöpfungsketten zu erhalten, und zwar
von der Kunststoffindustrie bis zu den Hightechprodukten, die unsere Industrie produziert. Dazu gehört eine
vernünftige Energiepolitik.
({9})
Dazu gehört auch, dass das Denken in kleinen Nischen
aufhört. Es kann nicht sein, dass beispielsweise in Baden-Württemberg die Grünen verhindern, dass ein weiteres Pumpspeicherwerk gebaut wird.
({10})
Dieses Speicherwerk ist dringend notwendig; wir brauchen es. In Niedersachsen wird von allen möglichen
Gruppierungen verhindert - ich klopfe mir da selber an
die Brust; denn auch von Parteifreunden von uns wird
dies verhindert -, dass die Leitungen ausgebaut werden.
({11})
Wenn wir diese Energiepolitik wollen, dann müssen alle
mitspielen. Es ist unsere Aufgabe hier im Parlament,
nicht nur darüber zu reden, sondern auch dafür zu sorgen, dass diese Politik vor Ort umgesetzt wird.
({12})
Da sind wir alle gefordert. Ich fordere Sie auf, mitzuhelfen.
Hinsichtlich der Situation der deutschen Wirtschaft,
verehrter Herr Bundesminister, bin ich nicht mit Ihnen
einer Meinung; das ist einer der seltenen Fälle. Sie haben
0,7 Prozent Wachstum prognostiziert. Ich bin wesentlich
optimistischer. Ich biete Ihnen eine Wette an. Ich sage,
dass wir über 1 Prozent Wachstum haben werden, dass
es bei 1,2 oder 1,3 Prozent liegen wird. Wir zwei können
gerne wetten; ich stehe nachher dafür zur Verfügung. Ich
will das auch begründen. Wir haben im März die höchste
Exportquote unseres Landes in einem Monat verzeichnet: 98 Milliarden Euro; das hat es noch nie gegeben.
Der Bundesverband Groß- und Außenhandel hat errechnet, dass wir in diesem Jahr voraussichtlich auf einen
Gesamtexport von 1 124 Milliarden Euro kommen werden, also 1,124 Billionen Euro. Das sind 6 Prozent mehr
als im letzten Jahr. Das ist die höchste Exportquote, die
wir jemals hatten. Interessanterweise fließt davon mittlerweile deutlich mehr ins nichteuropäische Ausland.
Das heißt, unsere cleveren Unternehmen haben die internationalen Märkte erschlossen. Darauf können wir stolz
sein.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsamen daran arbeiten, dass das so weitergeht! Lassen Sie
uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Wachstum
nicht durch irgendwelche Kleinstaaterei in Gefahr gebracht wird! Wir müssen dieses Wachstum fortsetzen.
Dann haben wir die Chance, den Menschen in Deutschland eine gute Perspektive zu geben. Auch denen geht es
übrigens deutlich besser. So starke Lohnerhöhungen wie
jetzt haben Sie in der rot-grünen Regierungszeit nie bekommen.
({14})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Michael Schlecht das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rösler, hinter Ihrer scheinbaren Erfolgsbilanz
verbirgt sich die brutale Realität von schlechter Arbeit
und von Lohnkürzungen.
({0})
Seit dem Jahr 2000 sind rund 2,3 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet worden.
({1})
Gleichzeitig sind etwas mehr als 4 Millionen „bad jobs“,
schlechte Arbeitsplätze, entstanden.
({2})
Es kam zu einer massiven Ausweitung von Teilzeitarbeit
und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in Gestalt von Minijobs und Leiharbeit. Außerdem müssen
mittlerweile viel zu viele Menschen diese schlechten
Jobs auch noch befristet machen. Dadurch ist die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften geschwächt worden.
Das Resultat: Seit 2000 kam es in Deutschland zu Lohnkürzungen um 4,5 Prozent. Das ist wirklich ein ungeheuerlicher Skandal.
({3})
Dass Sie angesichts dessen ein so buntes Bild von den
Perspektiven malen, ist wirklich abenteuerlich.
Positive Perspektiven sind lediglich für Kapitalbesitzer und Unternehmer festzumachen. Die Einkommen
aus Unternehmertätigkeit und aus Vermögen sind seit
dem Jahr 2000 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Anscheinend sind Sie nur der Wirtschaftsminister für diese
Menschen, aber nicht für die breite Masse der Bevölkerung. Das ist wirklich unglaublich.
({4})
Nicht nur in dieser Hinsicht ist Ihre Wirtschaftspolitik
für die breite Masse der Bevölkerung ein Desaster, sondern auch was die europäische Wirtschaftspolitik betrifft. Wir erleben seit zwei Jahren, dass Sie eine geradezu blutrünstige Kürzungspolitik
({5})
und eine Austeritätspolitik nach Europa tragen. Diese
Kürzungspolitik führt ins Desaster.
({6})
Die Völker Europas stehen gegen diese Politik auf. Das
haben insbesondere die Wahlergebnisse vom letzten
Sonntag in Griechenland und in Frankreich gezeigt.
({7})
In Griechenland, wo diese Politik die breitesten Blutspuren hinterlassen hat, wird sie jetzt Gott sei Dank beendet,
weil unsere griechische Schwesterpartei, die Linke in
Griechenland, bei der Wahl zweitstärkste Partei geworden ist und kein Weg mehr an ihr vorbeiführt. Die Linke
in Griechenland wird dafür sorgen, dass diese absolut
brutale und menschenverachtende Politik beendet wird.
Wir unterstützen, dass dieser Kurs durchgezogen wird.
({8})
Wir brauchen in Europa keinen Fiskalpakt. Wir brauchen keine weiteren Austeritätsprogramme für andere
Länder. Wir brauchen keinen weiteren Export der
Agenda 2010. Es reicht, dass die Menschen hierzulande
darunter leiden; auch dieser Zustand wird beendet werden. Was wir brauchen, ist ein Wachstumspakt für Europa. Er wird mittlerweile auch gefordert. Auf Ihrer
Seite gibt es bereits erste Absetzbewegungen, auch von
Kanzlerin Merkel. Es besteht inzwischen die Bereitschaft, auf bestimmte Forderungen einzugehen. Man
wird sehen, inwieweit das überhaupt geht. Wir, die
Linke, fordern einen europäischen Wachstumspakt in der
Größenordnung von 360 Milliarden Euro,
({9})
um diesen Kontinent wieder nach vorne zu bringen. Dieser Wachstumspakt soll aber nicht schuldenfinanziert
sein; das ist ja Ihr Einwand. Unsere Schuldenbremse
({10})
heißt Millionärs- und Milliardärsbesteuerung.
Wenn wir in Europa eine konsequente Besteuerung
von Millionären und Milliardären durchführen,
({11})
dann können wir derartige Programme problemlos finanzieren und dann haben wir auch die Möglichkeit, die
Verschuldung in Europa und in Deutschland, die natürlich auch viel zu hoch ist, abzubauen. Deswegen treten
wir klar für diese Orientierung ein. Wie gesagt: Unsere
Perspektive heißt „Millionärsbesteuerung“.
({12})
Letzter Punkt. Über einen Wachstumspakt in Europa
und auch in Deutschland hinaus brauchen wir knackige
Lohnerhöhungen. Es gibt sogar einzelne Vertreter Ihrer
Regierung, die in den Erkenntnisprozessen mittlerweile
- man hat den Eindruck - nicht mehr so resistent sind
wie Sie. Der Finanzminister Schäuble zum Beispiel hat
jetzt immerhin gesagt, er unterstütze die Lohnforderungen der IG Metall, was er ausdrücklich damit begründet
hat, dass damit ein Beitrag zum Abbau von Außenhandelsungleichgewichten in Europa geleistet werden soll.
Das ist wirklich lobenswert.
Das Problem ist nur: Wenn er wirklich konsequent
wäre, dann müsste er auch unverzüglich dafür eintreten,
die gesamten Prekarisierungen, die durch die Agenda 2010 hervorgerufen worden sind, zu beseitigen, weil
vor allen Dingen durch diese Prekarisierungen der entscheidende Beitrag dazu geleistet worden ist, in
Deutschland zu einem atemberaubenden Lohndumping
- die 4,5 Prozent habe ich eingangs erwähnt - zu kommen. Dies muss umgedreht werden, dies ist sozial ungerecht, und dies ist vor allen Dingen die entscheidende
Ursache dafür, dass wir in Europa dieses dramatische
Leistungsbilanzungleichgewicht haben.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Andreae von
den Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gute Zahlen sind gute Zahlen, aber Ihr Selbstlob ist fehl
am Platz,
({0})
weil Sie die großen Risiken, die wir haben, auf eine Art
ausblenden, die schon atemberaubend ist. Ohne ein starkes Europa steht dieser deutsche Aufschwung auf tönernen Füßen.
Die Zinsen sind zwar historisch niedrig, aber als Damoklesschwert schwebt die Frage über uns: Was ist,
wenn sie steigen? Das würde automatisch gigantische
Mehrbelastungen für den Haushalt in Milliardenhöhe bedeuten. Deswegen können Sie sich für eine Haushaltskonsolidierung nicht auf die Schulter klopfen.
({1})
Sie reden davon, dass Sie das Vertrauen in den europäischen Ländern wiedergewinnen wollen und dass uns
die Situation in den Krisenländern nicht kaltlassen kann,
im Übrigen auch ökonomisch nicht. Wir sind auf eine
starke europäische Peripherie angewiesen. Insofern gebe
ich Ihnen ja recht. Sie müssen aber sehen, dass die alleinige Orientierung des Fiskalpakts aufs Sparen falsch ist.
({2})
Wir Grünen sagen klar: Wir brauchen Haushaltskonsolidierung, wir brauchen Strukturreformen in den Ländern, und wir brauchen Investitionen. Wie sollen Länder,
in denen die Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent beträgt,
wie derzeit in Spanien, eine wirtschaftliche Perspektive
erhalten? Wie sollen sie aus dieser Situation wieder
herauskommen? Alleine mit Sparen geht es nicht. Sie
pressen sie aus wie eine Zitrone. Wir brauchen Konsolidierung, vernünftige Zukunftsinvestitionen und Strukturreformen. Drei Säulen!
({3})
Es geht hier nicht um Betonwachstum, also darum,
neue Straßen und neue Autobahnen zu bauen, sondern
um Zukunftsinvestitionen: erneuerbare Energien, Aufbau einer digitalen Infrastruktur, nachhaltige Landwirtschaft.
({4})
- Ich komme noch zu dem Geld. Warten Sie doch ab!
In Europa werden jedes Jahr 400 Milliarden Euro für
Ölimporte bezahlt. In südlichen Ländern kann der Aufbau einer Industrie für erneuerbare Energien funktionieren. Deshalb frage ich mich, warum Europa nicht in der
Lage ist, diese Energiewende europäisch anzugehen, um
diesen Ländern eine Perspektive für eine neue Art der
Energieversorgung zu geben, sodass sie weg von diesen
hohen Ölimporten kommen.
({5})
Eine Schuldenkrise können Sie nicht mit mehr Schulden bekämpfen.
({6})
Aber: Stärken Sie die Europäische Investitionsbank, damit diese in der Lage ist, privates Kapital zu akquirieren!
({7})
Flexibilisieren Sie die vorhandenen Strukturfonds, damit
diese auch als Krisenstrukturfonds agieren können! Führen Sie endlich die Finanztransaktionsteuer ein!
({8})
Seit der Wahl in Frankreich hat sich da einiges geändert.
Es gibt die Möglichkeit, an diese Geldströme heranzukommen.
Gehen Sie in Europa gemeinsam gegen Steueroasen
vor! Dass der Steuervollzug in den Ländern nicht funktioniert, liegt doch auch daran, dass der Kapitalflucht
Tür und Tor geöffnet ist. Europa muss gemeinsam gegen
Steueroasen vorgehen!
({9})
Wir haben Ihnen Angebote gemacht. Wir haben Ihnen
gesagt: Lassen Sie uns im Rahmen der Ratifizierung und
der Umsetzung des Fiskalpakts konkrete Gespräche führen. Lassen Sie uns ein gemeinsames Paket schnüren,
damit wir das Vertrauen in Europa wiedergewinnen. Neben die Konsolidierung stellen wir Strukturreformen und
wirtschaftliche Perspektive. Das ist das Signal, das Sie
senden müssen, wenn Sie es ernst damit meinen, in
Europa wieder Vertrauen zu schaffen.
Zum Schluss komme ich zu der Frage der guten Prognosen. Herr Fuchs, Sie haben vom deutschen Motor in
Europa gesprochen.
({10})
- Das brauchen Sie jetzt nicht noch einmal zu zeigen.
Das habe ich schon gesehen. So weit kann ich schon
schauen. - Wenn wir Europa nicht stabilisieren und
wenn Deutschland nicht ein hohes Maß an Verantwortung dafür übernimmt, Europa zu stabilisieren,
({11})
den Aufbau eines sozialen Europas voranzubringen und
die Energiewende in Europa voranzutreiben, dann wird
das nichts mit dem Motor;
({12})
denn dann drücken wir die anderen an die Wand, dann
meinen wir es mit einer Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion nicht ernst, sondern dann machen wir
uns auf Kosten der anderen stark. Was wir machen müssen, ist, Europa als eine gemeinsame Aufgabe zu begreifen, gemeinsam weiterzuentwickeln, der Währungsunion eine Wirtschaftsunion an die Seite zu stellen. Wir
haben damals von einer Wirtschafts- und Währungsunion gesprochen. Die Wirtschaftsunion fehlt. Diese
müssen wir weiterentwickeln. - Der Pfad, den Sie im
Augenblick begehen, ist zu eng, zu einseitig und wird
nicht aus der Krise führen.
Vielen Dank.
({13})
Für die FDP hat jetzt der Kollege Dr. Martin Lindner
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Herr Heil, Sie haben aufs Neue bewiesen, dass der
letzte ernstzunehmende Wirtschaftspolitiker Ihrer Partei
Dr. Martin Lindner ({0})
der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement
war.
({1})
Deswegen nimmt es nicht wunder, das Wolfgang
Clement ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen nicht für
die SPD, sondern für Christian Lindner und die FDP
Wahlwerbung macht.
({2})
- Jetzt rufen Sie „Gerhard Schröder“ dazwischen.
({3})
Auch er macht Wahlkampf, aber auch nicht für die SPD,
sondern für Wladimir Putin.
({4})
Wir haben glänzende Zahlen, solides Wachstum, die
geringste Arbeitslosenquote und steigende Löhne wie
nie zuvor. Welch faktische Diskrepanz zu dem Gemeckere, dem Gemäre, dem Miesmachen des deutschen
Standortes,
({5})
das wir seit zweieinhalb Jahren von der deutschen Opposition, vor allen Dingen von der linksradikalen deutschen Opposition hören.
({6})
Dies ist tatsächlich kein Grund, sich zurückzulehnen und
die Schlafposition einzunehmen,
({7})
sondern das ist ein Auftrag, das Erreichte für die Zukunft
zu erhalten und auszubauen.
({8})
Deswegen stehen wir für Wachstum wie keine andere
Partei und keine andere Regierungskoalition in Deutschland. Wachstum ist uns Auftrag und Programm.
({9})
Aber, Frau Kollegin Andreae, das war es dann auch
schon an Gemeinsamkeit. In der weiteren Zielsetzung
unterscheiden wir uns.
({10})
Das, was Sie versuchen, ist, uns gescheiterte Konjunkturprogramme à la Solarförderung für Europa zu verordnen.
({11})
Erst einmal werden durch Ihre Steuererhöhungsorgien
1 Million Arbeitsplätze vernichtet, durch Ihre zusätzliche Bürokratie weitere 500 000 Arbeitsplätze vernichtet,
und dann werden durch die Subventionen für Ihre Klientel 400 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das verstehen Sie unter Green Economy. Das ist aber auf keinen
Fall der Weg, den wir beschreiten werden.
({12})
Wir lehnen es ab, hier und auch in Europa zu einer lächerlichen Strohfeuerpolitik zu kommen, sondern wir
müssen sehen, welches die Ursachen für Wachstumshemmnisse sind. Das ist - das haben wir heute gemeinsam im Wirtschaftsausschuss gehört - vor allen Dingen
die Bürokratie.
Das wäre ein Projekt für Europa, und zwar nicht nur
die Formulare zu harmonisieren, sondern sich auch die
Standards vorzunehmen und zu prüfen, ob all das, was
aus Brüssel, aber auch aus Berlin kommt, wirklich notwendig ist. Das hat einen glänzenden Effekt. Denn erstens sparen sich zum einen die Unternehmen die Kosten,
zum anderen spart sich aber auch die öffentliche Verwaltung Administrationskosten. Bürokratieabbau ist eine
der zentralen Aufgaben für Europa, um zu Wachstum zu
gelangen.
({13})
Der zweite Punkt ist - auch das möchte ich klarmachen -: Wir lehnen sinnvolle Förderung nicht ab.
({14})
- Nein.
({15})
Wir lehnen sinnvolle Förderung dort, wo sie investiv
wirkt, nicht ab.
({16})
Das ist eine wichtige Forderung, beispielsweise in der
Forschungsförderung für Technologie.
({17})
Auch hier steht eine Vision für Europa bevor. Wir erkennen doch in Europa, dass unsere Chancen nicht in
billiger Produktion liegen.
({18})
Hier haben wir vielmehr die Chance, gemeinsam in Europa in Infrastruktur und insbesondere in die Forschungsförderung zu investieren. Das ist ein großes Projekt für Europa und für dieses Land. Darin liegt die
Zukunft.
Dr. Martin Lindner ({19})
({20})
Aber das lassen wir uns nicht in einen Gegensatz zur
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte stellen. Ich
rede nicht von Nordrhein-Westfalen, sondern von der
Hauptsorge aller Menschen und Unternehmen: dass die
Überschuldung der öffentlichen Haushalte das zentrale
Problem für Wachstum und wirtschaftliches Gedeihen in
Europa ist. Die Menschen erkennen, dass die Überschuldung der öffentlichen Haushalte die Begrenzung und die
Strangulierung jeder weiteren Entwicklung dieser Länder ist. Wir sehen gerade in Griechenland, in welche
Zinsfalle die Griechen geraten sind und wie wenig Chancen sie noch haben, aus dieser Falle herauszukommen.
({21})
Das ist uns Auftrag, zu Stabilität in Europa zu kommen.
Dieser Verantwortung müssen insbesondere Sie gerecht werden.
({22})
Sie, Rot und Grün, tragen eine besondere Verantwortung. Schröder, Fischer und Eichel: Das sind die Versager zu Beginn dieses Jahrhunderts in puncto Stabilität.
({23})
Sie haben Griechenland hereingelassen. Sie haben die
Stabilitätskriterien aufgeweicht. Sie stehen deswegen in
einer besonderen Verantwortung. Deswegen werden wir
Ihnen das keineswegs durchgehen lassen und akzeptieren, dass Sie sich nicht nur aus der Verantwortung
schleichen, sondern auch noch mit den Populisten im Inund Ausland gemeinsame Sache machen,
({24})
um Wachstum und Stabilität in einen Gegensatz zu stellen: zum Schaden dieses Landes, zum Schaden Deutschlands.
Sie sind in der Pflicht, an unserer Seite mit unserer
Bundesregierung für einen Stabilitäts- und Fiskalpakt zu
streiten. Aus dieser Pflicht entlassen wir Sie nicht. Da
werden wir Sie stellen. Sie haben hier mitzumachen,
statt mit Populisten, egal wo, gemeinsame Sache zu machen.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat der Kollege Michael Groschek von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Dr. Lindner, nachdem Herr Rösler geredet hat,
habe ich mich gefragt, was sie ihm in den Tee getan haben. Nachdem Sie geredet haben, frage ich mich, ob es
der Tee war oder die Spätlese.
({0})
Denn eine solche Rede zu halten und den Sozialdemokraten und anderen Demokraten im Saal vorzuwerfen,
sie seien vaterlandslose Gesellen und würden irgendwelchen fremden Mächten dienen statt dem eigenen Volk,
ist eine Unverschämtheit. Sie sollten sich dessen schämen, Herr Dr. Lindner.
({1})
Wenn das der neue Stil ist, dann wird für die politische
Kultur in diesem Haus nicht viel zu erwarten sein.
Jetzt zu Ihren Vorwürfen. Zum Stichwort „Schulden“.
Sparen alleine reicht nicht. Das hat nicht nur der SogarSozialdemokrat Schulz, sondern auch Christine Lagarde
gesagt. Das hat uns gestern auch eine ganze Kollektion
im Handelsblatt vorgeführt. Denn es ist natürlich richtig,
dass Sparsamkeit und Sparen angesagt sind, zugleich
aber auch Investieren, um zu sehen, wie man solide Investitionen finanzieren kann.
({2})
Deshalb wollen wir die Finanzmarkttransaktionsteuer,
die Sie bislang nicht zustande bekommen haben.
({3})
Wenn wir darüber reden, wie es in Nordrhein-Westfalen aussieht, dann können wir darüber reden, dass die
Vorgängerregierung, die Rüttgers-FDP-Regierung, neunmal vom Landesverfassungsgericht eine Klatsche bezogen hat, die letzte jetzt, weil deutlich wurde: Sie haben
die Kommunen abkassiert, um auf dem Rücken der
Kommunen unrechtmäßig die deutsche Einheit zu finanzieren.
({4})
Sie als FDP sollten mit dem Vorwurf, auf Pump zu leben, ganz vorsichtig sein. Sie lassen sich einen Teil des
Bundestagswahlkampfes offensichtlich auch mit Unterstützung der Bundestagsfraktion gestalten.
({5})
Für den Rest haben Sie nach eigener Auskunft
800 000 Euro Schulden gemacht, um den Wahlkampf zu
finanzieren.
({6})
Wir fragen uns: Wer muss denn diesmal diese offene Zeche für den Wahlkampf zahlen? Beim letzten Mal gab es
Wiedergutmachung für die Mövenpick-Spenden. Jetzt
fragen wir uns: Wo wird dies enden?
Sie reden ständig über Investitionen und Industriepolitik. Dann sollten wir auch über die Energiepolitik
sprechen. Die Energiewende ist bei Ihnen offensichtlich
nicht angekommen. Eine gestaltete Energiewende könnte
Arbeit und Umwelt schützen sowie mehr Arbeitsplätze
schaffen. Das Gegenteil ist aber bei Ihnen der Fall.
Kronzeugen Ihrerseits sind beispielsweise der Berater
von Herrn Röttgen, Friedrich Merz. Er hat noch offenbart: Unter dieser Bundesregierung ist Planungssicherheit ein Fremdwort. - Die fehlende Planungssicherheit
stellt bei der Energiewende eine Investitionsblockade
dar. Wir brauchen aber das Gegenteil. Wir brauchen kein
Blockieren, sondern ein Investieren. Das sichert Perspektiven für unser Land.
({7})
Deshalb fordern wir einen Masterplan.
Es gab einen Versuch, das Gegeneinander von
Röttgen und Rösler im Kanzleramt aufzulösen. Herausgekommen ist nicht besonders viel.
({8})
- Bei Herrn Röttgen handelt es sich um einen Wiederholungsfall. Er wird grundsätzlich nicht mehr eingeladen,
habe ich das Gefühl.
Energieintensive Industrien sind in Deutschland ein
großer Beschäftigungs- und Umsatzfaktor: 875 000 Beschäftigte und 300 Milliarden Euro Umsatz. Die Aluminiumhütte in Voerde ist im Grunde ein Menetekel Ihrer
verfehlten Energie- und Industriepolitik. Die Bundesregierung verschläft die Energiewende und die notwendige Weichenstellung. Wir haben 2009 einen Sonderfonds
für die Aluminiumindustrie errichtet, um die indirekten
CO2-Kosten abzugelten. 40 Millionen Euro für diese Industrie liegen blockiert da, weil Sie sich nicht darum gekümmert haben, dass die EU-Kommission endlich
grünes Licht für den Abruf dieser Mittel gibt.
({9})
2008 gab es die Verabredung zur Kompensation der
Belastungen im Emissionshandel. Bis heute haben Sie
keine EU-Lösung hinbekommen. Herr Fuchs, Sie wissen, dass das eine sträfliche Vernachlässigung unserer
industriepolitischen Interessen ist.
Jetzt gibt es fast ein Lob für Herrn Dr. Rösler; denn er
hat den Entwurf einer Verordnung auf den Weg gebracht,
um eine angemessene Honorierung für zu- und abschaltbare Lasten zu gewährleisten. Auf Deutsch formuliert:
Stromfresser als Netzstabilisatoren sollen für ihre gute
Tat belohnt werden können. Was passiert aber? Dieser an
sich vernünftige Ansatz liegt unbearbeitet auf dem
Schreibtisch von Herrn Dr. Röttgen. Herr Dr. Röttgen
wartet seit fünf Wochen darauf, dass aus einem Nein
eine Alternative gemacht wird. Das mag typisch für ihn
sein, darf aber nicht typisch für die Politik in Deutschland werden.
({10})
Letzter Punkt. Sie haben ganz nebenbei die Solarindustrie angesprochen und so getan, als wäre das alles
Spinnerei. Wir halten die Solarindustrie mit 130 000 Beschäftigten nicht für Spinnerei, sondern für einen wichtigen sozialen und wirtschaftspolitischen Faktor. Deshalb
verstehen wir nicht, dass Sie viermal die Rahmenbedingungen für die Solarindustrie geändert und für Investitionsunsicherheit gesorgt haben. Herr Röttgen phrasiologiert darüber, dass die Solarindustrie in Deutschland
keine Zukunft habe, weil in China Dumpinglöhne an der
Tagesordnung seien.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wenn das so ist, bitte ich Sie, in China ein Stück weit
mehr über fairen Wettbewerb zu diskutieren und dafür
zu sorgen, dass diese Zukunftsindustrie in Deutschland
nicht durch einen Federstrich unter die Räder kommt,
sondern eine Perspektive erhält.
Herr Groschek, bitte!
Wir brauchen eine Industriepolitik und keine
Deutschtümelei.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer ein erhebendes
Gefühl, wenn man nach dem Generalsekretär der SPD
Nordrhein-Westfalens hier im Deutschen Bundestag reden darf, Herr Groschek.
({0})
Ich darf Ihnen sagen: Das, was Sie vorgetragen haben,
ist hoch spannend, es geht aber völlig daneben. Sie brauchen uns hier im Deutschen Bundestag und auch niemand anderem zu erklären, wie man mit Haushalten umzugehen hat. Es stimmt: Haushalte werden gerne vor
Verfassungsgerichte gezerrt, auch in Nordrhein-Westfalen;
({1})
aber noch nie hat eine Landesregierung eine solche Klatsche bekommen, dass ein laufender Haushalt gestoppt
und verboten wurde, ihn umzusetzen. Das hat es noch
nicht gegeben, Herr Groschek.
({2})
Dafür sollten Sie sich schämen, bis in die Eiszeit.
({3})
Ich will Ihnen einen zweiten Punkt nennen: Kommen
Sie nicht und sagen, die Bundesregierung würde Mittel
aus Europa nicht abrufen. Wie viel Geld hat die nordrhein-westfälische Landesregierung für den Ausbau der
U-3-Betreuung noch nicht abgerufen? Sie ruft die Gelder
nicht ab, weil sie es nicht geregelt bekommt. Aber hier
werden Belehrungen erteilt. Ich halte das nicht für angebracht, Herr Groschek.
({4})
Ich will Ihnen noch einen dritten Punkt mit auf den
Weg geben. Die Energiewende ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten.
({5})
- Gar keine Frage. - Hier geht es darum, dass Bund,
Länder und Kommunen vernünftig zusammenarbeiten.
Keine Frage. Aber die SPD/Grünen-Regierung in Nordrhein-Westfalen hatte 20 Monate Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen - und sie hat sie nicht gemacht.
({6})
Sonst wären nämlich längst entsprechende Planungsvorhaben und andere Dinge auf den Weg gebracht worden.
Das ist nicht der Fall.
({7})
Wir haben allen Grund, auf das, was sich in Deutschland entwickelt, stolz zu sein, wir haben allen Grund, auf
die gute wirtschaftliche Entwicklung stolz zu sein. Wenn
ich manchmal die Opposition höre, habe ich den Eindruck, in einem falschen Film zu sein. Fahren Sie einmal
nach Spanien, nach Portugal, nach Griechenland, nach
Israel, wo ich vor einigen Tagen war, oder in ein sonstiges Land. Die Menschen dort reiben sich verdutzt die
Augen und fragen: Worüber streiten die in Deutschland
eigentlich?
({8})
Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren, wir haben einen Aufwuchs an Beschäftigung. Menschen aus Portugal, Spanien, Griechenland und Italien
kommen nach Deutschland, um hier Arbeit zu finden.
Wie letztens festgestellt worden ist, kommen sie auch
deswegen gerne zu uns, weil auf unserem Arbeitsmarkt
wesentlich fairere Bedingungen herrschen als in anderen
europäischen Ländern.
({9})
Liebe Frau Kollegin Andreae, weil uns niemand lobt
- Sie haben gesagt, man dürfe sich nicht selbst loben;
das will ich gerne beherzigen -, will ich Folgendes sagen: Wir haben 41,1 Millionen Erwerbstätige - so viele
wie noch nie -, wir haben 28,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse - so viele
wie noch nie -, und es sind 2011 718 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse hinzugekommen, 422 000 davon in Vollzeit. Wir merken es
auf dem Arbeitsmarkt, und wir merken es an den vollen
Sozialkassen. 2005 haben wir noch gemeinsam beschlossen, der Deutschen Rentenversicherung ein Überbrückungsdarlehen zu geben. Heute haben wir eine
Rücklage von 1,5 Monatsausgaben. Das beklage ich
nicht, sondern darüber freue ich mich. Das ist beruhigend. Die Botschaft lautet: Wenn wir eine gute Beschäftigungslage haben, haben wir auch volle Sozialkassen
und können unsere Verantwortung wahrnehmen.
({10})
Der Punkt, über den ich mich besonders freue, ist,
dass wir einen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit haben. Ich sage es frank und frei: Die Arbeitsmarktreformen, die unter Rot-Grün unter Assistenz der Union und
der FDP über den Bundesrat gemacht worden sind, haben ihre Früchte getragen. Wir stehen dazu und sagen:
Ja, das war nicht angenehm, aber das war notwendig. Ich
sage Ihnen voraus: Vor den Veränderungsprozessen, die
wir hinter uns haben, stehen andere europäische Länder
noch.
({11})
Deswegen wundert es mich überhaupt nicht, dass in
Griechenland, Spanien und anderen Ländern eine große
Unruhe ist; denn dort muss manches verändert werden.
Leider hat der kleine Mann auf der Straße auszubaden,
was andere politisch verbockt haben. Fehlerhafte Systeme haben dazu geführt, dass sich die Dinge so schlecht
entwickelt haben. Ich kann nur hoffen, dass sie es gemeinsam mit uns schaffen; denn wir brauchen ein starkes und stabiles Europa, und wir brauchen ein gutes Miteinander in Europa. Was wir nicht brauchen können, ist
ein Gegeneinander-Ausspielen. Deswegen stehen wir zu
dem, wozu wir uns verpflichtet haben, nämlich mitzuhelfen, dass die Haushalte konsolidiert werden, dass die
Schuldenpolitik eingedämmt wird und Kräfte freigesetzt
werden, damit Menschen in Europa wieder Beschäftigung bekommen.
Der Aufschwung, den wir erlebt haben und in dem
wir mitten drin sind, erreicht Gott sei Dank nicht nur die
Langzeitarbeitslosen, sondern auch die Älteren.
Wenn es eine Zahl gibt, die besonders gut ist, dann ist
es die Zahl der zusätzlich Beschäftigten unter den 55- bis
60-Jährigen. Auch bei den über 60-Jährigen ist eine
deutliche Zunahme der Beschäftigung festzustellen. Wir
hätten es nicht für möglich gehalten, dass eine solche
Entwicklung in diesem Tempo abläuft. Darüber freuen
wir uns. Wir bleiben bei den Strukturen, die wir beschlossen haben: Rente mit 67, und wir helfen den Menschen, in der Lage zu sein, entsprechend lange zu arbeiten. Das hat etwas mit Solidarität in der Gesellschaft zu
tun. Ich hoffe, dass das, was wir gemeinsam auf den Weg
gebracht haben, jetzt seine Früchte trägt - zum Wohle
der Menschen in unserem Land und in Europa.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Anton Schaaf von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Karl Schiewerling, es stimmt: Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist mit einem Haushalt vor dem
Landesverfassungsgericht gescheitert. Sicherlich hatte
das auch damit zu tun, dass wir uns auf die Fahne geschrieben haben, die verfehlte Politik der Vorgängerregierung in Nordrhein-Westfalen, die Kommunen zugunsten des Landeshaushaltes ausbluten zu lassen, zu
beenden. Wir haben den Kommunen geholfen und haben
dafür eine Klatsche bekommen. Die Ursache dafür, dass
wir den Kommunen helfen mussten, ist, dass ihr, CDU
und FDP, verfassungswidrig den Kommunen das Geld
aus der Tasche gezogen habt. Ihr habt das gemacht!
({0})
Dafür habt ihr eine Klatsche vom Verfassungsgericht bekommen, und zwar zu Recht.
Nun reden wir tatsächlich über Investitionen, die in
den Kommunen nicht durchgeführt werden konnten.
Dort fehlte real Geld, um Investitionen zu tätigen.
({1})
Stichwort Beschäftigungspolitik: Es gehört sich, Redlichkeit zu praktizieren, und man hat nicht das Recht,
sich in der Art und Weise hier aufzuregen, wie Sie es getan haben.
Übrigens, was die Hausaufgaben angeht: Ich verweise
auf die Rückstellungen für die WestLB und anderes, was
in der Regierungszeit von Rüttgers hätte passieren müssen und dennoch nicht passiert ist.
({2})
Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen hat das dann nachholen müssen. Das ist genau der Punkt, an dem man seine
partielle Vergesslichkeit bekämpfen sollte und seiner eigenen Verantwortung gerecht werden sollte. Man sollte
sich davor nicht immer wieder drücken.
({3})
Schauen wir uns an, wie das mit der Beschäftigung
ist. Der Kollege Röttgen hat vor kurzem gesagt, er sei in
der Lage, stante pede im Haushalt von Nordrhein-Westfalen 1,6 oder 1,7 Milliarden Euro einzusparen, und
zwar im Wesentlichen über Kürzungen bei Personalkosten und Verwaltungsausgaben. Wir, die in NordrheinWestfalen unterwegs sind, wissen, dass alle Vorgängerregierungen, was die Senkung von Personalkosten angeht, einiges getan haben. Bei den Bezirksregierungen
sind zum Teil nur noch 75 Prozent der Stellen besetzt. In
den Ministerien arbeitet man personalmäßig an der
Kante. Es gibt nur noch zwei große Blöcke, wo man
massiv Personal einsparen kann - ehrlicherweise sollte
man das als die eigene Form von Beschäftigungspolitik
bezeichnen -, nämlich bei der Polizei und bei den Lehrerinnen und Lehrern. Herr Röttgen müsste sagen: Ich bin
bereit, weniger Personal bei der Polizei und weniger
Lehrerinnen und Lehrer zu finanzieren. Wenn er eine
solche Beschäftigungspolitik machen will, um so
1,7 Milliarden Euro in NRW einzusparen, dann soll er es
sagen.
({4})
Er sollte dies öffentlich tun, aber bitte schön vor dem
nächsten Sonntag und nicht danach, wie man es bereits
erlebt hat: Wahrheiten kommen einen Tag nach dem
Wahlsonntag. Sich rechtzeitig zu äußern, das ist der entscheidende Punkt.
In der gesamten Debatte ist mir nicht aufgefallen, was
Sie, die Koalition, die Regierung und insbesondere Sie,
Herr Minister Rösler, genau getan haben, damit wir hohe
Wachstumsraten und gute Beschäftigungsquoten haben.
Wenn man sich schon selber loben will, indem man hier
eine Aktuelle Stunde mit diesem Titel anberaumt, dann
sollte man mindestens zwei oder drei Beispiele nennen
können, die belegen, was Sie zur Beschäftigungs- und
Wachstumsförderung getan haben. Nichts, gar nichts haben Sie getan. Sie haben sich überhaupt nicht bewegt,
und das war vielleicht auch besser so. Das ist doch der
entscheidende Punkt.
Was die Beschäftigungspolitik angeht, ging eben über
den Ticker: Ein Regierungsmitglied, der Kollege Niebel,
macht wirklich eine ordentliche Beschäftigungspolitik.
Mittlerweile sind fünf von sechs Abteilungsleitern im
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung FDP-Kollegen. Herr Niebel macht für
FDPler eine herausragende Beschäftigungspolitik.
({5})
Übrigens ist es mittlerweile so, dass sich der Personalrat in diesem Ministerium von der Personalpolitik mit
Grausen abwendet. Das wollte ich zum Thema Beschäftigungspolitik gesagt haben.
({6})
Wenn man so gute Zahlen, was Beschäftigung und
Wachstum angeht - diese Zahlen kann man nun wirklich
nicht negieren -, aufweisen kann, dann stellt sich die
Frage: Wann, wenn nicht jetzt, investieren wir in die Reserve, die wir tatsächlich noch haben? Ich meine Investitionen in die Arbeitslosen, die meistens mit Mehrfachhemmnissen zu kämpfen haben. Wann, wenn nicht jetzt,
da es gut läuft, investieren wir in diese Menschen, damit
sie zukünftig eine Chance haben? Passiert ist bei Ihnen
genau das Gegenteil: Beim Eingliederungstitel haben Sie
massiv zugegriffen, um den Bundeshaushalt einigermaßen in den Griff zu bekommen. Das heißt, es gibt weniger Chancen für diejenigen Menschen, die in Langzeitarbeitslosigkeit sind. Wann wollen Sie diese Menschen
denn besonders an die Hand nehmen, wenn nicht in wirtschaftlich guten Zeiten wie jetzt? Und Sie philosophieren über qualifizierte Zuwanderung!
Übrigens erklärt mir auch keiner - das ist relativ
schwierig, finde ich -, wie man dann, wenn man ausschließlich aufs Sparen setzt,
({7})
nicht nur national, sondern auch international, eigentlich
Wachstum generieren will. Das ist mir nicht erklärlich.
Wir sehen doch: Da, wo ganz besonders hart gespart
werden muss - nämlich in Spanien, in Portugal, in Griechenland, in Italien -, geht die Wachstumsrate massiv
herunter. Das ergibt keine Konsolidierung, sondern das
ergibt am Ende genau das, was wir jetzt leider Gottes in
Griechenland erleben. Das hat etwas damit zu tun, dass
Sparen allein nicht ausreicht; wenn man das einfordert,
muss man sich auch überlegen und aufzeigen, wie man
denn in diesen Ländern wieder ein einigermaßen großes
Wachstum zustande bringt, damit die Menschen überhaupt eine Chance haben.
Das ist der Punkt, wo wir Sozialdemokraten sagen - das
macht den feinen Unterschied an dieser Stelle aus -: Wir
sind nicht gegen das Sparen, aber wir sind der Meinung,
dass man zusätzlich auch investieren muss, damit man
Wachstum generiert.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Bögel für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss mich doch über manche Rede hier
sehr wundern. Ich trage einmal eine kleine Episode aus
meinem Leben vor. Mein Sohn ist bei der deutschen Marine Offiziersanwärter und war vor zwei Jahren in
Ghana. Als er wiederkam, sagte er mir: Mama, seitdem
ich gesehen habe, wie es in Ghana zugeht, wie die Menschen dort in den Müllcontainern der deutschen Marine
nach Essbarem suchen, widert mich das Stöhnen in
Deutschland an.
({0})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, stöhnen kräftig
mit getreu dem Motto „Only bad news are good news“.
Selbst die Konjunkturprognose ist Ihnen noch nicht gut
genug. Dabei hätten Sie sich während Ihrer Regierungsverantwortung solche Zahlen gewünscht.
({1})
Ich möchte hier einmal an Ihre Verantwortung appellieren; denn Sie wissen ganz genau: Das Gegenteil ist
der Fall. Die deutsche Wirtschaft wächst, sie ist robust,
und unser Land steht gut da - im internationalen Vergleich und auch ganz für sich genommen.
({2})
Für Europa sind wir nach wie vor der Stabilitätsanker
und der Wachstumsmotor. Das ist eine gute Nachricht.
Sie sollte uns anspornen, alles daranzusetzen, dass dies
so bleibt. In einigen Zeitungen gibt es am Ende eine Rubrik: Zum Schluss kommt jetzt etwas Gutes. - Wir haben
dafür gesorgt, dass die guten Nachrichten auf der ersten
Seite stehen.
({3})
Mein besonderes Augenmerk als mittelstandspolitische Sprecherin unserer Fraktion liegt auf dem Wachstumstreiber unserer Wirtschaft, dem Mittelstand; davon
war eben schon mehrfach die Rede. Der Mittelstand
steht wie kein anderer für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Auch weltweit gilt er als Vorbild. In Frankreich
zum Beispiel ist „le Mittelstand allemand“ ein feststehender Begriff für ökonomische Potenziale. Mittelständische Unternehmen haben mit Fleiß, Erfindergeist und
sozial verantwortlichem Handeln wesentlich zu der positiven Entwicklung beigetragen.
({4})
Natürlich ging auch am Mittelstand die Finanzkrise
mit all ihren Auswirkungen nicht spurlos vorbei, aber
man hat Lehren aus der Krise gezogen. Viele Unternehmen haben ihre Eigenkapitalquote angehoben und sind
somit nicht mehr von Kapitalgebern am Markt abhängig.
Der Mittelstand bedient sich eines erfolgreichen Krisenmanagements.
Die Bundesregierung hat die richtigen Impulse für
das Erreichen einer stabilen wirtschaftlichen Situation
gesetzt. Schon zu Beginn der Legislaturperiode haben
wir durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz 24 Milliarden Euro Steuerersparnis erreicht.
({5})
Die Initiative der Bundesregierung „Auf den Mittelstand
setzen: Verantwortung stärken - Freiräume erweitern“
greift die Impulse aus der Wirtschaft in den Bereichen
„Fachkräfte“, „Innovationen“, „Gründungen und Unternehmensnachfolgen“, „Marktchancen im Ausland“, „Finanzierung“, „Energie- und Ressourceneffizienz“ sowie
„Bürokratieabbau“ auf und setzt genau hier bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen an.
Aus dieser Fülle an Themen möchte ich nur kurz einige Schwerpunkte herausgreifen:
Stichwort „Innovationen“. Viele mittelständische Unternehmen sind so innovativ wie keine anderen Unterneh21018
men. Sie sorgen dank ihrer hohen Kreativität und ihrer
Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Marktlagen für
Wachstum und intensiven Wettbewerb. Rund 130 000 innovative kleine und mittlere Unternehmen bringen jedes
Jahr neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt.
Deutschland ist nach wie vor Innovationseuropameister
vor Frankreich und der Schweiz. Um uns diesen Meistertitel zu sichern, muss es den mittelständischen Unternehmen ohne Einschränkung möglich sein, ihr Entwicklungs- und Innovationspotenzial frei zu entfalten.
Subventionen sind Innovationskiller.
({6})
Stichwort Marktchancen im Ausland. Der Mittelstand
hat mit über 300 000 Exporteuren einen wesentlichen
Anteil an der hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Viele davon sind Hidden
Champions, mittelständische Unternehmen, die weltweit
Weltmarktführer sind, aber keine große Aufmerksamkeit
genießen. Nach wie vor gibt es jedoch zahlreiche Hindernisse bei der Ausfuhr von Waren und bei Direktinvestitionen. Wir werden deshalb unter anderem Handelshemmnisse weiter abbauen.
Stichwort Unternehmensfinanzierung. Ein Kernthema liberaler Wirtschaftspolitik ist die Unternehmensfinanzierung als Grundvoraussetzung für weiteres
Wachstum. Daher legen wir unser spezielles Augenmerk
auf die Kreditversorgung des Mittelstandes. Wir setzen
uns dafür ein, dass die Mittelstandsfinanzierung ein attraktives Geschäftsfeld für die Banken bleibt, gerade im
Hinblick auf Basel III. Wir werben verstärkt um Business Angels in Deutschland, die ihr Kapital, aber auch
ihr unternehmerisches Know-how und ihre Netzwerke
innovativen Gründern zur Verfügung stellen.
Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Erfolge im Mittelstand - dies ist ein weiteres
Stichwort - ist die Energie- und Materialeffizienz. Hier
besteht dringender Handlungsbedarf. Denn angesichts
der zunehmenden weltweiten Konkurrenz um Rohstoffe
gewinnt das Thema für viele Mittelständler immer stärker an Bedeutung. Energie muss bezahlbar bleiben, damit auch die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand ist
der Garant für einen nachhaltigen Aufschwung. Seine
Leistungs- und Innovationskraft ist für uns alle unverzichtbar. Es gibt viele Themen, bei denen wir entsprechend gehandelt haben: Wir haben die Erbschaftsteuer
krisenfest und mittelstandsfreundlich ausgestaltet.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir haben in der Unternehmensteuerreform krisenverschärfende Regelungen beseitigt. Wir haben den Unternehmen zusätzliche Liquidität verschafft und sie von
Steuerbürokratie befreit. Wir haben die Fortführung von
Unternehmen im Insolvenzfall erleichtert.
Ich könnte hier noch viele, viele Dinge aufführen,
aber zum Schluss nur noch eines: Die Konjunkturprognose ist gut, die Wirtschaft brummt. Und wer hat’s gemacht? Wir haben’s gemacht!
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Diese Bundesregierung sowie CDU/CSU und FDP können auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Wir haben die seit langem niedrigste Arbeitslosigkeit - Kollege
Schiewerling hat das bereits dargestellt - und vor allen
Dingen weiterhin ein kräftiges Wirtschaftswachstum,
obwohl die Weltwirtschaft eine kritische Phase durchlebt
und insbesondere Europa unter der Schuldenkrise mancher Länder durchaus stöhnt.
All das zeigt sehr deutlich: Deutschland ist die
Wachstumslokomotive in Europa und vor allen Dingen
auch der Stabilitätsanker in Europa dank unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber darüber hinaus auch
dank einer verlässlichen Politik, die wir für die Menschen in unserem Land und in Europa betreiben.
({0})
Verehrte Damen und Herren, es ist auch mitentscheidend, dass weiterhin Akzente für positives Wachstum
gesetzt werden.
({1})
Positives Wachstum kann man nur erreichen, indem die
Bürgerinnen und Bürger entlastet und nicht zusätzlich
belastet werden.
({2})
Darin liegt der große Unterschied zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition in diesem Hause.
({3})
Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode die
Bürgerinnen und Bürger kräftig entlastet; die Maßnahmen hatten einen Umfang von 26 Milliarden Euro, inklusive der Erhöhung des Kindergeldes, die wir durchgeführt haben, um damit die Familien in unserem Land
zu stärken. Auch wenn Sie über die Verringerung der
Mehrwertsteuer für Übernachtungen in Hotels lächeln,
ist festzuhalten, dass das zu kräftigen Investitionen im
Gastronomiegewerbe und in Hotelbetrieben geführt hat.
({4})
Ich bin Vertreter eines Wahlkreises, in dem es großartige Kuranlagen gibt. Die Hotelbesitzer haben kräftig investiert, sind dadurch weiterhin wettbewerbsfähig und
können bessere Angebote für die Menschen und deren
Gesundheit zur Verfügung stellen.
({5})
Kollege Schiewerling hat darauf hingewiesen, dass
wir 2005 über 5 Millionen Arbeitslose zu verzeichnen
hatten und dass deshalb unter Gerhard Schröder ein Umdenken einsetzte. Es wurde nach Reformen im Sozialbereich und darüber hinaus nach einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gerufen. Das war letztendlich mit
eine Grundlage dafür, dass es wirtschaftlich wieder aufwärtsgegangen ist. Das wurde in der Großen Koalition
und jetzt in der bürgerlich-christlich-liberalen Koalition
mit den nachfolgenden Beschlüssen fortgesetzt.
Aber was Sie in den Oppositionsfraktionen jetzt betreiben, insbesondere Sie von SPD und Grünen, ist eine
Rückabwicklungspolitik, mit der Sie sich bei den Menschen anbiedern wollen.
({6})
Sie wollen die Rente mit 67 zurücknehmen, die unbedingt notwendig ist, auch unter dem Gesichtspunkt des
Demografiewandels und der dadurch entstehenden Belastung der Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen den Arbeitslosengeldbezug wieder verlängern. Dadurch haben
die Menschen weniger Vermittlungschancen, was letztlich eine Verlängerung der Arbeitslosigkeit bedeutet. Sie
wollen den Zusammenhang zwischen Fordern und Fördern wieder aufheben,
({7})
indem Sie die Sanktionen in unseren Hartz-IV-Reformen
schlechtreden. Meines Erachtens ist es aber notwendig,
dass Menschen ohne Arbeit versuchen müssen, eine Arbeit aufzunehmen. Damit leisten sie ihren Beitrag für
eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Das ist ganz entscheidend.
Sie alle predigen mittlerweile unisono,
({8})
dass wir wieder Steuererhöhungen benötigen.
({9})
Die Linken haben sich jetzt an den französischen Linken
orientiert, die eine sogenannte Millionärsteuer von
75 Prozent fordern. Ich bin überzeugt, dass dies ein Programm ist, mit dem die Unternehmerinnen und Unternehmer und die Reichen in die Schweiz getrieben werden.
Nach den aktuellen Meldungen in den Tageszeitungen
stehen die französischen Gutverdienenden mittlerweile in
der Schweiz Schlange.
({10})
Das zeigt deutlich, dass Sie es letztendlich nicht schaffen, ein gutes Programm zustande zu bringen.
Anton Schaaf hat sich mit Nordrhein-Westfalen beschäftigt.
({11})
Es ist schon bedeutsam, nochmals herauszustellen, dass
Sie dort einen verfassungswidrigen Haushalt verabschiedet haben und dass im neuen Haushalt die Rückstellungen für die WestLB gar nicht vorhanden waren. Abgesehen davon, lieber Kollege Schaaf: Die WestLB war
schon pleite, bevor Rüttgers seine Regierungstätigkeit
begonnen hat. Man hatte es vielleicht noch nicht gemerkt; das muss man dabei auch sehen.
({12})
Wenn Sie sagen, dass die Kommunen in NordrheinWestfalen nicht mehr leistungsfähig sind, dann müssen
Sie schon unterscheiden: Die Stadt Düsseldorf ist leistungsfähig aufgrund der guten Arbeit des Bürgermeisters
Herrn Erwin, der hier eine Privatisierungspolitik betrieben und die Stadt entschuldet hat. Andere Städte wie
Oberhausen haben gedacht, sie müssten noch zusätzliche
Kraftwerke kaufen, und haben nun kein Geld mehr für
Kitaplätze. Es hat auch damit zu tun, welche Prioritäten
in Haushalten gesetzt werden. Auch daran muss man
denken, wenn gejammert wird: Wir haben kein Geld. Sie
haben in Nordrhein-Westfalen die falschen Prioritäten
gesetzt.
({13})
Deshalb werden Sie am Sonntag auch keine Mehrheit
bekommen für eine solch liederliche Politik, wie Sie sie
dort betrieben haben und auch weiterhin betreiben würden.
Anzumerken ist auch noch: Unter Rüttgers wurden
8 000 neue Lehrerstellen geschaffen, wobei gleichzeitig
die Anzahl der Stellen im gesamten öffentlichen Dienst
um 1 600 Stellen verringert worden ist. Sie wollen sozusagen ein Gegenprogramm auf den Weg bringen. Das
sind die klaren Unterschiede: Wir haben zukunftsweisende Konzepte, die für mehr Beschäftigung für die
Menschen und mehr soziale Sicherheit sorgen
Herr Kollege Straubinger.
- und damit bessere Zukunftschancen für Junge und
Alte in unserer Gesellschaft schaffen. In diesem Sinne
bin ich überzeugt, dass wir die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin erhalten werden.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gab in diesem Hause Zeiten, in denen die linke Opposition der Meinung war, Wachstum sei etwas Verzichtbares, die Grenzen des Wachstums, so die Grünen, seien
erreicht. Es sei allenfalls eine Randgröße. Ich freue
mich, dass heute Konsens in diesem Hause besteht, dass
Wachstum wichtig ist. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Wachstum ist wichtig, weil es einen Beitrag dazu leistet,
die Haushalte der Staaten zu konsolidieren. Wachstum
ist auch deshalb wichtig, weil es Arbeitsplätze schafft.
Das wirkt zusammen. Das habe ich Ihnen in der Vergangenheit immer gesagt, ohne dass Sie mir geglaubt haben.
({0})
- Herr Strengmann-Kuhn, ich merke, Sie zweifeln auch
heute noch. Aber es muss doch auch Ihnen einleuchten:
Wenn weniger Menschen auf staatliche Transfers angewiesen sind und wenn gleichzeitig mehr Menschen
durch eigene Arbeit über Steuern einen Beitrag zum
Gemeinwesen leisten, dann ist das der Weg zu einem
soliden Staat. Das ist der Weg, den wir in den letzten
beiden Jahren beschritten haben.
({1})
Deswegen wollen wir auch weiter Wachstum schaffen. Ich bin hier mit Michael Fuchs einer Meinung. Ich
steige in die Wette ein. Ich verstehe, dass der Bundeswirtschaftsminister sehr vorsichtig ans Werk geht und
sagt: 0,7 Prozent Wachstum in diesem Jahr, 1,6 Prozent
Wachstum im nächsten Jahr; das sind meine Zahlen.
({2})
Aber ich bin mit Michael Fuchs der Meinung: Wir werden besser sein. Wir werden in diesem Jahr 0,9 Prozent
und im Jahr 2013 2 Prozent erreichen können. Das ist
nicht nur die Meinung von Fuchs und Kolb, sondern das
sagen auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
in diesem Land.
({3})
Dieses Wachstum zahlt sich aus. Es zahlt sich zum
Beispiel für die Rentner aus. Die 20 Millionen Rentner
in diesem Land bekommen zum 1. Juli dieses Jahres eine
ansehnliche Rentenerhöhung. Obwohl wir die Rentenbeiträge zum 1. Januar 2013 voraussichtlich deutlich
absenken werden, werden die Rentenerhöhungen auch
im nächsten Jahr für die Menschen respektabel und deutlich höher ausfallen, weil wir mittlerweile die Kürzungsfaktoren, Restanten aus früheren Regierungszeiten, abgearbeitet haben. Die Rentner können darauf hoffen,
dass sie in Zukunft noch stärker am Wachstum beteiligt
werden.
Wir tun aber auch etwas für die jungen Menschen in
diesem Land. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland
- das kann man nicht oft genug betonen - liegt bei
5,7 Prozent. Das ist eine europäische Spitzenposition,
die wir auch wahren und verteidigen wollen. Es gibt gute
Gründe dafür, warum wir so stark sind: das duale Ausbildungssystem in Deutschland und die Flexibilität am
Arbeitsmarkt. Ich sage Ihnen: Befristungen mögen im
Einzelfall zwar ein Ärgernis sein, aber sie helfen jungen
Menschen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, und sie
verhindern, dass man nach der Ausbildung den Anschluss an die Arbeitswelt auf Dauer verliert. Deswegen
warne ich davor, überzureagieren.
Das gilt auch bei dem Thema Mindestlohn. Sie wissen, dass gerade junge Menschen noch nicht so produktiv sind wie ältere. Deshalb könnten sie besonders betroffen sein, wenn man einen Mindestlohn einführt.
Denken Sie bitte in Zusammenhängen. Das Ganze wirkt
miteinander. Dann werden sie auch besser verstehen,
warum wir die Politik machen, die wir machen. Es ist
eine Politik, die den Menschen dient, die im Interesse
der Menschen liegt. Das ist etwas, was zunehmend deutlicher erkannt wird.
Übrigens - das will ich sehr deutlich sagen -: Die
Entwicklung der Arbeitslosigkeit - Herr Schiewerling
hat zu Recht darauf hingewiesen - ist für diese Regierung eine Erfolgsstory ohne Beispiel. Man muss aber
darauf hinweisen, dass das Land Nordrhein-Westfalen
den geringsten Rückgang der Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Bundesländer hat.
({4})
Wenn man den Kreis auf ganz Deutschland erweitert,
dann muss man sagen: Es ist sogar der zweitniedrigste
Rückgang insgesamt. Nur in Sachsen-Anhalt ist der
Rückgang der Arbeitslosigkeit noch geringer gewesen
als in Nordrhein-Westfalen.
Ich bin der Meinung, dass solche Ergebnisse und solche Zahlen - Frau Andreae, Sie haben gesagt: Zahlen,
Zahlen, Zahlen - ein Ausweis von Leistung sind. Wir
haben Leistungen erbracht und brauchen uns gerade mit
Blick auf das, was in den letzten zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen unter Ihrer Regierung passiert ist, nicht
zu verstecken. Ihre Politik in Nordrhein-Westfalen war
offensichtlich nicht im Interesse dieses Landes. Deswegen ist es gut, dass die Menschen am Wochenende die
Chance haben, in diesem Land darüber abzustimmen,
({5})
wer in Zukunft Rahmenbedingungen für mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und im Ergebnis höhere Löhne
und Renten schaffen kann.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als letzter Rednerin in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich das Wort der Kollegin Lena Strothmann von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
in der Aktuellen Stunde schon über viele Themen
gesprochen, nur über das Handwerk wurde noch nicht
geredet.
Das Handwerk in Deutschland hat wieder goldenen
Boden. Im Jahr 2011 stieg der Umsatz um 7,1 Prozent.
Das Handwerk hatte mit 5 Prozent gerechnet, und diese
Zahl wäre schon sensationell gewesen. Erreicht wurden
über 7 Prozent, und wir konnten 25 000 neue Arbeitsplätze schaffen.
({0})
In diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft weiter
zulegen. Wir alle kennen die Prognosen. Auch hier wird
das Handwerk mit einem Wachstum von 1,5 Prozent
wieder vorne liegen. Wenn ich die Berichte aus den Betrieben richtig verstehe, dann gehe ich davon aus, dass
das Wachstum sogar noch höher ausfallen kann.
Handwerk und Mittelstand sind die tragenden Säulen
der deutschen Wirtschaft. Insbesondere das Handwerk
schreibt in den letzten beiden Jahren eine wahre Erfolgsstory. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen das
anders war. Über 5 Millionen Menschen sind heute in
unseren Handwerksbetrieben beschäftigt. Der Umsatz
beträgt bundesweit mehr als 450 Milliarden Euro. Wenn
ich mit meinen Kollegen aus den Nachbarländern spreche, dann fragen die mich häufig: Wie macht ihr das
eigentlich?
Natürlich ist die Konjunktur in den einzelnen Branchen und Gewerken unterschiedlich. Der Höhenflug im
deutschen Handwerk gelingt dank der guten Lage in den
Bau- und Ausbaugewerken, die fast 40 Prozent des
Handwerks ausmachen. Es gibt derzeit eine hohe Nachfrage nach Bauleistungen. Diese Nachfrage sorgt für
volle Auftragsbücher und ist ein Jobmotor. Das war viele
Jahre lang anders.
Auch die Ausbaugewerke berichten von einer guten
Geschäftslage. Hier spielen besonders die Investitionen
in die energetische Gebäudesanierung eine Rolle. Wir
alle wissen: Die Gebäudesanierung bietet mit Abstand
das größte Potenzial bei der Energieeinsparung. Deshalb
war es wichtig, dass es bei den 1,5 Milliarden Euro für
das Gebäudesanierungsprogramm bleibt. Wir haben damit ein richtiges Signal gesetzt, nämlich „Nicht reden,
sondern handeln“.
({1})
Auch Sie sollten jetzt handeln, meine Damen und
Herren von Rot-Grün. Bewegen Sie sich im Bundesrat
bei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung.
Die Menschen erwarten das. Viele planen Sanierungen
ihrer Häuser, und nicht jeder will mithilfe eines KfWKredits sanieren. Viele zögern, weil sie noch auf die
steuerliche Förderung warten. Die Menschen in unserem
Lande wollen Planungssicherheit. Ich habe im Übrigen
auch noch nicht gehört, wie Frau Kraft den Menschen
und dem Handwerk in NRW ihre ablehnende Haltung im
Bundesrat erklären will.
({2})
Das zweite Jahr in Folge ist die Binnenkonjunktur für
den wirtschaftlichen Boom in Deutschland verantwortlich. Nachdem in den letzten Jahren nur die handwerklichen Zulieferer für die Industrie vom Export profitierten, profitiert nun das Gesamthandwerk von einer guten
Binnenkonjunktur. Das kann so weitergehen.
Damit den Menschen mehr Geld von ihren Lohnerhöhungen und von der Bezahlung ihrer Überstunden bleibt,
ist der Abbau der kalten Progression für uns unverzichtbar.
({3})
Das sind keine Steuergeschenke. Hierzu haben wir konkrete Maßnahmen verabschiedet. Das haben wir im Koalitionsvertrag verabredet, und wir haben es eingelöst.
Auch hier muss jetzt der Bundesrat liefern.
Damit der Aufschwung sich weiter verstetigt, brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Land.
Im Handwerk ist der Mangel an Fachkräften bereits
spürbar. Ich war in den letzten Wochen in verschiedenen
Betrieben unterwegs und konnte erfahren: In vielen
Branchen fehlen schon junge Leute. Der Markt ist praktisch leergefegt. Deshalb brauchen wir junge Menschen,
die wir zu Fachkräften ausbilden. Schon im letzten Jahr
konnten 10 000 Lehrstellen im Handwerk nicht besetzt
werden. Deshalb werben wir intensiv um den jungen
Nachwuchs. Wir brauchen die jungen Leute als Fachkräfte, für Führungspositionen, als Betriebsgründer und
auch für Betriebsübernahmen. Das Handwerk bietet
neben dem klassischen Ausbildungsweg - Lehrling,
Geselle, Meister - jedem jungen Menschen eine individuelle Karrierechance in 130 Berufen. Da ist sicher auch
etwas für Realschüler und Gymnasiasten dabei.
Ich fasse zusammen. Wir haben ein stabiles Wirtschaftswachstum, und das verdanken wir zum großen
Teil unseren Betrieben und ihren engagierten Mitarbeitern. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass es so bleibt,
ist eine gute Fachkräftebasis, und zwar in allen Regionen, vor allem in den ländlichen Räumen, wo sich der
demografische Wandel besonders bemerkbar macht.
Wenn hier Bäcker, Fleischer und Elektriker erst einmal
schließen, dann gibt es keine Nahversorgung, keine
Arbeitsplätze und keine Ausbildungsplätze mehr. Damit
geht die Attraktivität verloren. Deshalb müssen wir uns
in diesen Regionen besonders für gute Standortbedingungen für Handwerk, Mittelstand und Landwirtschaft
einsetzen. Daran arbeiten wir im Augenblick.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. Mai 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.