Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/25/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und rufe gleich den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Demografiestrategie der Bundesregierung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte schön.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hatte heute in seiner 100. Sitzung in dieser Wahlperiode ein wichtiges Thema auf der Tagesordnung, nämlich die Demografiestrategie der Bundesregierung. Wie Sie sich vielleicht erinnern, haben wir im Oktober im Kabinett den Demografiebericht, also den Bericht der Bundesregierung über die aktuelle demografische Lage und zu Prognosen der demografischen Entwicklung, zur Kenntnis genommen. Damals hat es nicht überrascht und überrascht auch heute nicht, dass sich die demografische Entwicklung in diesem Land dergestalt auswirkt, dass die Bevölkerungszahl sinkt und die Menschen im Durchschnitt älter werden. Es gilt, dieser Tatsache Rechnung zu tragen, statt wie das Kaninchen vor der Schlange abzuwarten, bis die Dinge zum Problem werden. Man sollte also die Chancen, die in einer solchen Entwicklung liegen, wahrnehmen. Ich glaube, die größte Chance besteht darin, dass man sich eine Modernisierung von Staat, von Gesellschaft, von Strukturen, von Arbeitswelt vornimmt. Deshalb hat die Bundesregierung in Form der vorliegenden Demografiestrategie ein Rahmenwerk entwickelt, welches den Titel trägt: „Jedes Alter zählt“. Mit dem Titel wird schon zum Ausdruck gebracht, was wichtig ist: Wir brauchen nämlich jeden in dieser Gesellschaft; wir brauchen das Potenzial eines jeden, um zum Gelingen dieser Gesellschaft beizutragen. Wir haben insgesamt sechs verschiedene Bereiche identifiziert, die als Rahmen für den Dialog mit Gesellschaft, Ländern und Kommunen dienen sollen. Erstens die Familie. Die Familie ist der Ort des engsten sozialen Miteinanders: Alt und Jung, Kinder, Eltern und Großeltern. Zweitens den Bereich der Arbeitswelt. Also: Wie muss sich die Arbeitswelt verändern, um den Anforderungen, den Wünschen und den Bedürfnissen der Menschen Rechnung zu tragen? Drittens selbstbestimmtes Leben auch im Alter. Ich glaube, auch das ist ein wichtiges, zentrales Thema. Viertens die Unterschiede zwischen ländlichen Räumen und Metropolen. Hier gibt es völlig unterschiedliche und sehr ausgeprägte Problemstellungen: Wie halten wir auf der einen Seite den ländlichen Raum attraktiv und lebenswert? Wie können wir auf der anderen Seite die Vielfalt, die sich in den Metropolen in vielerlei Hinsicht abzeichnet, zu einer integrierten Stadtpolitik zusammenfassen? Fünftens. Wie können wir als älter werdende Gesellschaft mit den jungen und dynamischen Volkswirtschaften dieser Welt auch in Zukunft konkurrieren und wettbewerbsfähig bleiben? Hier geht es also um den ökonomischen Aspekt. Sechstens die Frage der Handlungsfähigkeit des Staates, und zwar sowohl in finanzpolitischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die Dienstleistungsfähigkeit und die moderne Verwaltung des Staates. Nach Bekanntgabe des Beschlusses im Kabinett ist es jetzt unser Ziel, das weitere Vorgehen in verschiedenen Arbeitsgruppen, in denen ein Kovorsitz jeweils einem Ressortminister zufallen soll, während der andere Kovorsitzende aus einem der gesellschaftlichen Bereiche kommen soll, mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu diskutieren. Dies soll gruppen-, aber auch ebenenübergreifend geschehen; zugleich sollte aber bei den Ländern und Kommunen das Bewusstsein vorhanden sein, dass wir uns nicht in ihre Kompetenzen einmischen wollen, sondern dass wir gemeinsam mit ihnen eine Politik des demografischen Wandels aus einem Guss gestalten wollen. So weit, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Herr Minister. - Die erste Nachfrage geht an die Kollegin Bätzing-Lichtenthäler.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank, Herr Minister Friedrich. - Sie haben gerade die Demografiestrategie der Bundesregierung vorgestellt. Aktuell wird noch ein anderes Thema heiß diskutiert, nämlich das Projekt der Koalition zur Einführung eines Betreuungsgeldes. Ich würde mich freuen, wenn Sie kurz skizzieren könnten, wie ein solches Instrument wie das Betreuungsgeld mit den Zielen Ihrer Demografiestrategie - bessere Bildungschancen für Kinder, Integration und Fachkräftesicherung - in Einklang zu bringen ist.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Das ist ein wichtiger Aspekt, der insbesondere mit dem ersten Themenkomplex Familien stärken zusammenhängt. Im Rahmen unserer Strategie haben wir als einen wichtigen Punkt identifiziert, dass sich unsere Familien mehr Zeitsouveränität für sich und ihre Angehörigen wünschen, um ihren jeweiligen familiären Wünschen, Anliegen und Vorhaben gerecht werden zu können. In diesem Rahmen spielt natürlich die Frage eine große Rolle, mit welchen zusätzlichen Möglichkeiten wir bei der Betreuung und Erziehung von Kindern Unterstützung gewähren können. In diesem Kontext geht es auch darum, dass die Zahl der Kitaplätze weiter ausgebaut wird, um für diejenigen - es sind immerhin zwischen 35 und 40 Prozent der Bevölkerung -, die ihr Kind früh in eine Kita geben wollen, eine entsprechende Möglichkeit zu schaffen. Andere entscheiden sich für Tagesmütter, wiederum andere wollen ihre Kinder selbst betreuen. Die entsprechende Wahlfreiheit sollte durch eine Vielfalt der Möglichkeiten in jeder Hinsicht unterstützt werden. Ich denke, dass das Betreuungsgeld, das von der Koalition vereinbart wurde und von der Bundesregierung beschlossen ist, hierzu einen Beitrag leisten kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Gottschalck, bitte.

Ulrike Gottschalck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben im Bericht dargestellt, wie ungleichmäßig die demografische Entwicklung in den Regionen und in den Metropolen verläuft. Fakt ist, dass die Kommunen hierfür vor Ort einen großen Teil der Verantwortung tragen und entsprechende Maßnahmen umsetzen müssen. In dem Zusammenhang möchte ich fragen: Gibt es in Ihrem neuen Papier konkrete Vorschläge für eine Strategie, wie Sie die Kommunen stärken und fördern wollen? Das haben wir in der Beantwortung unserer Großen Anfrage ein wenig vermisst. Deshalb meine Nachfrage: Wo wollen Sie hier Verantwortung übernehmen, und welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Was die finanzielle Entlastung der Kommunen angeht, hat diese Koalition, glaube ich, bereits Maßstäbe gesetzt; ich erinnere beispielsweise an die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung. Die finanzielle Entlastung aller Kommunen ist ein wichtiger Aspekt. Sie haben recht, dass insbesondere die Kommunen in strukturschwachen Gebieten gefordert sind, die vom demografischen Wandel in besonderer Weise betroffen sind. Es gibt hier - das haben Sie in Ihrer Frage auch bereits zum Ausdruck gebracht - hervorragende Beispiele, insbesondere von Kommunen in den neuen Ländern, die zuallererst gefordert waren - manche schon vor 20 Jahren -, weil sie die Hälfte ihrer Bevölkerung in kürzester Zeit verloren haben. Der Dialog mit den Kommunen ist also sehr wichtig. Wir wollen deswegen eine Internetplattform schaffen, um mit den Ländern - das müssen wir allerdings mit ihnen noch besprechen - und Kommunen zu einem Dialog zu kommen. Ein Problem ist - damit wird auch jeder von uns immer wieder in seinem Wahlkreis konfrontiert -, dass es eigene Programme des Landes, des Bundes und der Kommunen gibt. Das Programm des Bundes läuft dann aus; die Anschlussfinanzierung ist nicht gesichert. Dieses Durcheinander muss beendet werden. Wir brauchen für jeden Bereich, für Kommunen oder etwas größere Regionen, einen Gesamtansatz. Wir wollen versuchen, einen solchen mit einem Dialog über diese Strategie zu erreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dittrich, bitte.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie mit mir übereinstimmen bzw. es ebenso sehen: Laut Art. 20 des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik ein „sozialer Bundesstaat“. Die Demokratie hat sich im Verlauf der Jahrtausende von der griechischen Antike, als nur freie, besitzende, reiche Bürger abstimmen durften, über den Feudalismus bis hin zum jetzigen Parlamentarismus, in dem alle Bürger, nicht nur die Reichen und Besitzenden bzw. die Unternehmer, abstimmen dürfen, entwickelt. Im Hinblick auf die Demografie bedeutet das, dass man davon ausgehen muss, dass die Menschen, die arbeiten, all diejenigen unterhalten müssen, die noch nicht arbeiten, also die Kinder, diejenigen, die nicht arbeiten können, also die Menschen mit Behinderung, und diejenigen, die schon älter sind und nicht mehr arbeiten müssen, ebenso wie die kleine, radikale Minderheit, die in keiner Gesellschaftsordnung jemals gearbeitet hat, weil sie es nicht nötig hat. Nach Angaben der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung haben wir nun eine demografische Situation, in der der Gesamtquotient der Menschen, die nicht arbeiten bzw. nicht im arbeitsfähigen Alter sind und unterhalten werden müssen, geringer ist als in den 70er-Jahren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wie können Sie angesichts dessen von einer „Verteilungsproblematik“, von einer Spaltung zwischen Alt und Jung sprechen? Wie kommen Sie auf solch eine Spaltung?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Zunächst einmal stimme ich Ihnen voll und ganz zu: Ich glaube, dass es in der Geschichte auch im internationalen Vergleich kaum ein Land gibt, das mit einer solchen rechtsstaatlichen Kraft für die Gesamtheit, für die Summe seiner Bürger sorgt wie dieses Land. An der Gestaltung dieses Sozialstaates haben so viele Menschen mitgewirkt. Sie haben recht: Wir können wirklich stolz darauf sein und müssen alles daransetzen, dass es auch in Zukunft unter veränderten Bedingungen so bleibt. Ein Zustand wird jedoch immer bleiben: Diejenigen, die arbeiten können, die aktiv sein können, müssen etwas für die tun, die nicht mehr arbeiten können, die nicht mehr aktiv sind. Dieser Verteilungszusammenhang wird immer existieren. Die Aktiven sind also auch für diejenigen da, die nicht mehr aktiv sein können. Im Idealfall sind nur diejenigen nicht aktiv, die es objektiv nicht können, und nicht auch diejenigen, die es nicht wollen. Notwendig ist, dass wir das Potenzial all derjenigen nutzen, die schaffen, arbeiten und einen Beitrag leisten können. So gewinnen wir - jeder von uns - vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zusätzliche Jahre. Wir haben diese als „gewonnene Jahre“ bezeichnet, die man für sich nutzen kann, aber auch für die Gesellschaft im Ehrenamt einbringen kann. Ich glaube, wir können auch unter den veränderten Bedingungen das Potenzial, das überall in der Bevölkerung vorhanden ist, optimal nutzen, um diese Gesellschaft, dieses Land voranzubringen und, wie Sie richtig sagen, seine großen sozialen Errungenschaften zu bewahren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Liebing.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben bei der Darstellung der verschiedenen Handlungsfelder unter viertens darauf hingewiesen, wie unterschiedlich sich die demografische Entwicklung in den ländlichen und den städtischen Regionen vollzieht: In den ländlichen Regionen kommt der demografische Wandel früher an und ist in seinen Wirkungen heftiger; manche Probleme sind schon heute sehr viel stärker spürbar. Ich würde gerne von Ihnen wissen, inwieweit Sie mit dieser Strategie spezielle Lösungsansätze für diese ländlichen Regionen anbieten, welche speziellen Themen- und Handlungsfelder Sie dort identifiziert haben und ob mit dieser Strategie schon bestimmte Maßnahmen verbunden sind, die umgesetzt werden sollen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. - Die Antwort auf die Frage: „Wie können wir die ländlichen Räume lebenswert halten?“, fällt ja sehr individuell aus; denn es ist ein Unterschied, ob eine Kleinstadt im Umfeld von Berlin oder München liegt oder irgendwo fernab der Metropolen. Insofern hat man auch in den ländlichen Räumen durchaus unterschiedliche Ausgangspunkte und -situationen. Wichtig ist aber, dass wir insbesondere in vier Bereichen dafür sorgen, dass der ländliche Raum und die strukturschwächeren Gebiete lebenswert bleiben: im Bereich Bildung, also beim Zugang zu Bildung, auch zu Weiterbildung für junge Menschen, für Kinder; im Bereich Infrastruktur, insbesondere Verkehrsinfrastruktur, Mobilität, aber auch Internet - ein spezielles Thema, über das man ausführlicher sprechen müsste -; im Bereich Gesundheitsversorgung - auch das wird ein Schwerpunkt sein, bei dem sich der Bundesgesundheitsminister in besonderer Weise einbringt - und schließlich im Bereich Kultur; ich glaube, das darf man nicht unterschätzen. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht die Situation entsteht, dass es nur noch in den Großstädten und Metropolen einen Zugang zu Kultur gibt und nicht mehr sozusagen draußen in den ländlichen Räumen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass auch in den ländlichen Räumen der Zugang zu Kultur - Erreichbarkeit von Theatern, von Kinos usw. gewährleistet ist. Das ist eine große Aufgabe, insbesondere muss man sich hier der Frage stellen: Welche neuen Mobilitätskonzepte brauchen wir?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben in der Demografiestrategie „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ als einen der zentralen Punkte identifiziert. In diesem Zusammenhang wird auch auf die pflegerische Versorgung Bezug genommen. Es werden einige wichtige und auch richtige Punkte genannt, beispielsweise die Einführung des neuen Pflegebegriffs oder auch das Thema Prävention. Sie haben zu Beginn gesagt: Wir dürfen nicht abwarten, bis die Dinge zum Problem werden. Darum frage ich Sie: Wenn wir erkannt haben, dass wir die Einführung eines neuen Pflegebegriffs und auch eine Stärkung der Prävention gerade im Bereich „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ brauchen, warum wird dann dieses Wissen im aktuellen Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz nicht genutzt? Warum greift man nicht darauf zurück, indem man sich mit dem Pflegebegriff oder auch mit dem Thema Prävention befasst? Warum werden jetzt nur Absichtserklärungen formuliert, denen aktuell nichts folgt, obwohl wir das wissen und auch Sie der Auffassung sind, dass wir nicht abwarten dürfen, bis die Dinge zum Problem werden?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie weisen völlig zu Recht darauf hin, dass der Aspekt Pflegebegriff in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Ich will mich in die Auseinandersetzungen der Fachpolitiker nicht einmischen, kann aber sagen, dass wir bei den verschiedenen Veranstaltungen, die wir im Vorfeld durchgeführt haben, ein Faktum festgestellt haben, nämlich dass in Deutschland der Zeitraum zwischen dem Auftreten von Pflegebedürftigkeit und dem Tod relativ lang ist, und zwar viel länger als in anderen Ländern. Hier kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu; denn alle Experten sagen uns: Ihr wärt in der Lage, diesen Zeitraum zu verringern, wenn ihr im Bereich Prävention früher und konsequenter ansetzt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Alter - früher war es definiert: Jemand ist nicht mehr im Arbeitsprozess, jemand kann sich nicht mehr beteiligen und bekommt Rente - heute eine völlig neue Dimension hat. Wir haben aktive Senioren, wir haben Menschen, die zwar aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden, aber die noch für viele erfüllte Jahre Kraft haben und die sich am gesellschaftlichen Geschehen beteiligen können. Insofern hat auch Alter heute ganz verschiedene Abschnitte. Der Pflegeabschnitt ist sehr wichtig, aber ihm geht der Abschnitt der Prävention voraus. Hier wollen wir einen Schwerpunkt setzen. Im Bereich der Pflege ist es notwendig, dass Aspekte des menschenwürdigen Lebens auch in einer solch hilflosen Situation beachtet werden. Als Expertin für den Bereich Pflege werden Sie mit den Kollegen einen fruchtbaren und sinnvollen Dialog führen, der im weiteren Fortgang auch in die Strategie einfließen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie nehmen die Zahlen bis 2030 als Grundlage für die Strategie. Das ist eine Verniedlichung und auch ein bisschen eine Irreführung, weil man sehr genau weiß, dass wir es 2050 bzw. 2060 mit ganz anderen Dimensionen zu tun haben. Die Menschen, die heute 20 Jahre alt sind, werden 2030 38 Jahre alt sein; es liegen dann aber noch 20, 30 Jahre vor ihnen, in denen sie in aller Massivität mit den Aufgaben konfrontiert sein werden, die sich aus der zukünftigen Situation ergeben. Sie sprechen über Metropolen und ländliche Räume, sagen aber nichts dazu, dass es Städte, auch große Städte, gibt, die längst ganz konkret erhebliche Probleme mit dem demografischen Wandel haben. Sie sind mitten drin. Das Land kann man also nicht in Dörfer und Städte aufteilen, sondern hier geht es um ganz andere Dimensionen. Sie sagen eigentlich nichts dazu, was getan werden soll, damit die Kommunen in entsprechender Weise - so unterschiedlich sie betroffen sind - in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Im Gegenteil, Sie kündigen - sozusagen eine Verkündigung aus dem Kanzleramt - an: Es wird Gipfel geben. Wären Sie bereit, im weiteren Verlauf der Debatte die Zahlen bis 2050/2060 zur Grundlage zu nehmen und dafür zu sorgen, dass es einen Dreieckstisch gibt, an dem Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen und möglichst auch vom Parlament sitzen, damit man zu Regelungen kommt, die wirklich zielführend sind?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Herr Müntefering, Sie geben einen wichtigen Hinweis. Wir haben uns im Demografiebericht vom Oktober auch die Zahlen bis 2050 angeschaut. Je nach Szenario, das man zugrunde legt, kommt man auf bis zu 17 Millionen Menschen weniger in Deutschland. Insofern haben Sie recht: Man könnte einen längeren Zeitraum nehmen. Warum haben wir einen kürzeren gewählt? Weil es ohnehin sehr schwierig ist, in die Zukunft zu blicken. Je weiter man in die Zukunft geht, umso zahlreicher und nebulöser werden die möglichen Szenarien. Deswegen haben wir gesagt: Wir nehmen einen überschaubaren Zeitraum. Ich glaube, 20 Jahre sind eine Zeit, an der man sich auch sehr konkret bei den tagespolitischen Weichenstellungen orientieren kann. Sie sagen darüber hinaus etwas ganz Zentrales: Wir brauchen für das Gelingen der Modernisierung von Staat und Gesellschaft vor allem diejenigen, die unmittelbar vor Ort aktiv sind. Das sind die Kommunen. Deswegen haben wir die Kommunen einbezogen. Dem Bericht - übrigens auch der Strategie - liegen die Handlungsempfehlungen aus den neuen Ländern zugrunde, wo Bürgermeister schon sehr viele Erfahrungen gesammelt haben. Wir haben gestern bei der Veranstaltung im Kanzleramt Landräte und Stadträte aus den Metropolen eingeladen. Selbstverständlich haben wir vor, einen ganz engen Dialog mit den Kommunen zu führen. Mit den Ländern wollen wir über die Einrichtung eines Internetportals sprechen, sodass wir unter Nutzung der modernen Kommunikationsmöglichkeiten sehr zügig ins Gespräch kommen können. Wie genau wir das konkret machen werden - mit Dreiecks-, Vierecks-, Fünfecksoder runden Tischen -, können wir uns überlegen. Ich bin für alle Vorschläge offen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Rößner.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung zur Information des Bundestages machen. Während wir als Bundestagsabgeordnete die Strategie erst heute zu Gesicht bekommen haben, lag sie einzelnen Medien - wie der Zeit oder der Welt - schon seit mindestens fünf Tagen vor. Das verwundert schon sehr. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen; denn auch die Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ wurde der Presse vorab zugespielt, bevor die Öffentlichkeit und der Bundestag darüber informiert wurden. Meine Frage bezieht sich auf die Breitbandversorgung. Sie geben das Ziel an, bis 2014 in drei Vierteln der Haushalte Breitband mit 50 Megabit zur Verfügung zu stellen. Ich frage Sie: Mit welchen Mitteln wollen Sie dieses Ziel in gut eineinhalb Jahren erreichen, da heute nicht einmal 10 Prozent der Haushalte eine solche Bandbreite nutzen oder nutzen können? Bedarf es nicht erst einmal einer flächendeckenden Grundversorgung von richtigem Breitband?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie sagen zu Recht, dass diese Strategie schon im Vorfeld diskutiert wurde. Wir haben an der Erarbeitung dieser Strategie - das muss man sehen - fast alle Ressorts beteiligt. Es gab also eine breite Einbindung, und da ist es immer möglich, dass Teile der Strategie vorab bekannt werden. ({0}) Ich glaube aber, dass es unschädlich ist, wenn man darüber redet und diskutiert. Wir wollen ja eine breite Debatte anstoßen. Das Gesamtwerk ist heute im Kabinett beschlossen worden. Es wird Ihnen heute vorgelegt. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt, auf den es ankommt. Wir werden sehen, wie wir künftig die Vorschläge, die im Dialog bzw. in den Gesprächen gemacht werden, einbeziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Alles, was Ihrerseits, vonseiten des Parlaments und vonseiten der Gesellschaft, an Impulsen kommt, wird aufgenommen. Das ist ein Prinzip, eine Methode, eine Herangehensweise, die wir so vereinbart haben. Wir stehen jetzt ja am Beginn dieses Prozesses. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir am Ende des Strategiepapiers unter der Überschrift „Ebenenübergreifender Dialog“ die Gründung von Arbeitsgruppen angekündigt haben, bei denen die verschiedenen Ressortchefs Kovorsitzende sein sollen. Wenn Sie sich das anschauen, erkennen Sie, dass die Möglichkeit besteht, sich an der einen oder anderen Stelle einzubringen. Ich glaube, das ist insbesondere für das Parlament ein wichtiger Punkt, weil jeder von uns in seinem Wahlkreis gefordert wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit Blick auf die nach wie vor beachtliche Anzahl von Wortmeldungen möchte ich noch einmal darum bitten, die vorgesehene Redezeit von einer Minute möglichst einzuhalten. Nächste Frage von Frau Crone. Bitte.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Minister, im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel sprechen wir immer vom Fachkräftemangel. Zwei Berufsgruppen sind davon schon jetzt besonders betroffen: die Pflegerinnen und die Erzieherinnen. Die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung in diesen Bereichen müssen ganz schnell und ganz massiv verbessert werden. Ich frage Sie: Muss Ihre Strategie in Anbetracht dieser Herausforderung - ich denke vor allem an den erforderlichen Ausbau im Bereich der Kinderbetreuung - nicht bereits heute um dieses Thema ergänzt und entsprechend konkretisiert werden?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie haben absolut recht. Das Thema Zuwanderung ist ein zentrales Thema, auch in der aktuellen tagespolitischen Auseinandersetzung. ({0}) - Ich dachte, Sie meinten die Zuwanderung von Pflegekräften. ({1}) - Entschuldigung. Das habe ich missverstanden. Die Ausbildung von Pflegekräften ist ein zentrales Thema. Beim Thema Pflegekräfte dachte ich an die Diskussion über die Pflegekräfte, die aus anderen Ländern zu uns kommen, die heute oder gestern geführt wurde. Ich bitte um Verzeihung. Die Ausbildung von Pflegekräften ist ein wichtiges Thema. Es ist auch dafür zu sorgen, dass in den Kitas bzw. Kindergärten ausreichend Erzieherinnen vorhanden sind. Das werden zentrale Themen sein, über die wir mit Frau von der Leyen und Frau Schröder, aber auch mit der Wissenschaftsministerin sprechen werden. Die Wissenschaftsministerin hat ja angekündigt, das ganze nächste Jahr unter die Überschrift „Forschung und Demografie“ zu stellen. Ich glaube, es wird möglich sein, dass Familien-, Frauen- und Jugendministerium, Arbeitsministerium und Forschungsministerium gemeinsam einen Ansatz finden, wie wir qualitativ hochwertig ausgebildete Erzieherinnen und Pflegekräfte zur Verfügung stellen können; denn - damit haben Sie völlig recht das sind wir den Menschen schuldig, auch unseren Kindern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Körber.

Sebastian Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004078, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister, Sie haben viel Richtiges zu den Punkten ausgeführt, die große Konsequenzen für den ländlichen Raum haben werden: Zugang zu Bildung und Mobilität. Vielleicht können Sie noch etwas dazu ausführen, was konkret im Bereich des Wohnens, des Städtebaus gemacht wird. Wenn ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause wohnen können, was oftmals ihr Wunsch ist, ist das ja auch günstiger. Bundesminister Bahr hat das Modell der Pflege-WG vorgestellt. Vielleicht können Sie dazu etwas ausführen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie haben einen wichtigen Hinweis gegeben. Das Modell der Pflege-WG und unsere Überlegungen zum Handlungsfeld „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ machen deutlich, dass wir uns hier stark engagieren und uns der Frage stellen, wie wir dafür sorgen können, dass Menschen in ihrem häuslichen Umfeld Pflege erfahren. Es geht hier um zentrale Fragen, die jetzt beantwortet werden müssen. Der Bauminister hat in verschiedenen Zusammenhängen darauf hingewiesen, dass eine große Offensive auf den behindertengerechten und altersgerechten Aus- und Umbau von Wohnungen zielt, sodass man sich in diesen Wohnungen auch mit Rollstühlen und Gehhilfen fortbewegen kann. Das alles sind wichtige Bestandteile der Strategie. Diese müssen jetzt, wie gesagt, von den Fachpolitikern vorangetrieben werden, wobei natürlich eine enge Verzahnung mit den Sozialministerien der Länder notwendig ist. Man muss ja sehen, dass wir vonseiten der Bundesregierung in vielen Bereichen zwar den Rahmen vorgeben und Impulse setzen können, dass vieles aber durch die Länder, insbesondere durch die Sozialministerien, ausgeführt bzw. gesetzlich umgesetzt werden muss. Jetzt kommt es darauf an, dass wir all die Ansätze, die schon existieren, zusammenführen und bündeln, um dann gemeinsame Lösungen zu präsentieren. Ich weiß nicht, wie ich jetzt noch am besten den Bogen zum Breitbandausbau schlagen kann; auch danach haben Sie ja gefragt. Der Breitbandausbau ist ein wichtiges Thema, über das wir natürlich auch mit den Ländern sprechen müssen; denn Breitbandstrategie und -ausbau sind nicht nur Bundesangelegenheit, sondern auch Angelegenheit der Länder und der Kommunen. Über eines sind wir uns, glaube ich, alle im Klaren: Genauso wichtig, wie es ist, weit abgelegene Dörfer mit Strom und Wasser zu versorgen und Straßen dorthin zu bauen, ist es, diese Dörfer mit Internetanschlüssen und Breitband zu versorgen. Hierzu ist eine große Kraftanstrengung erforderlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Klamt, bitte.

Ewa Klamt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass eines der strategischen Handlungsfelder die Sicherung der Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und für Wohlstand ist. Dazu gehört natürlich, die Bildungspotenziale in unserem Land zu sichern. Wir machen derzeit bereits viel, um in den Bereichen Ausund Weiterbildung sowie Qualifizierung vorwärtszukommen. Ich glaube, das müssen wir uns immer wieder auf die Fahne schreiben. Wir sind heute eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder dieser Welt, gleichzeitig schrumpft unsere Bevölkerung, wir haben weniger junge Menschen. Daher stellt sich trotz der gerade genannten Maßnahmen die Frage: Wie decken wir unseren Bedarf an Fachkräften ab? Werden wir dies aus eigener Kraft schaffen, oder müssen wir uns ein Stück weit in Richtung Zuwanderung und einer Willkommenskultur öffnen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich glaube, man muss hier eine bestimmte Reihenfolge einhalten: Erstens muss man alle Potenziale, die man im eigenen Land hat, nutzen und ausschöpfen. Das tun wir - Sie haben es angesprochen - über Bildungsstrategien und Ausbildungsallianzen vor Ort. Wir müssen auch älteren Menschen bei der Weiterbildung, bei der Fortbildung, bei der Umschulung, bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten helfen, damit sie sich einbringen und ihre Fähigkeiten und Potenziale entwickeln können. Wir müssen also erstens die eigenen Potenziale nutzen. Zweitens weise ich in diesem Zusammenhang auf den europäischen Aspekt hin. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien bei etwa 46 Prozent und in Italien bei etwa 32 Prozent. Wir haben einen gemeinsamen Währungsraum und müssen begreifen, dass jeder arbeitslose Jugendliche, zum Beispiel in Italien, in Spanien oder in Portugal, eine Belastung für unsere gemeinsame Währung darstellt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir europäisch denken und auch das Potenzial nutzen, das in Europa zur Verfügung steht. Wir müssen sehr eng mit den anderen europäischen Ländern zusammenarbeiten. Soweit ich weiß, hat die Bundesagentur für Arbeit bereits eine Offensive gestartet, um beispielsweise junge Leute aus Spanien hierher zu bringen. Drittens muss man sich natürlich auch im Rest der Welt umschauen. Was brauchen wir? Welche Fachkräfte brauchen wir? Wer möchte mit uns zusammen in unserem Land die Gesellschaft und die Zukunft gestalten? Es ist wichtig, dieses Thema in dieser Reihenfolge - Deutschland, Europa, Welt - zu betrachten. Ich kann Ihnen die freudige Botschaft überbringen, dass Sie daran mitwirken können. Am Freitag ab 9 Uhr wird dieses Hohe Haus über die Umsetzung der Bluecard-Richtlinie der Europäischen Union beraten, durch die die Möglichkeiten von Fachkräften, nach Deutschland zu kommen, erweitert werden. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag die Umsetzung der Bluecard-Richtlinie am Freitag in zweiter und dritter Lesung verabschieden wird. Insofern, glaube ich, sind wir auch in dieser Frage auf einem richtigen Weg.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dass die Bundesregierung jetzt aktiv für die Teilnahme an Plenarsitzungen wirbt, nehme ich mit besonderer Freude zur Kenntnis. ({0}) - Absolut. Eben darum habe ich darauf hingewiesen. Jenseits unserer üblichen 30-Minuten-Regelung liegen mir jetzt noch fünf Wortmeldungen vor. Ich schlage vor, dass wir diese noch aufrufen, dass ich damit aber auch die Liste der Nachfragen abschließe. Ich habe mir notiert: Frau Bätzing, Frau Dittrich, Franz Müntefering, Frau Scharfenberg und Frau Crone. Können wir so verfahren? - Sie wollten auch gerne noch einmal nachfragen? Präsident Dr. Norbert Lammert ({1}) - Ich nicke manchmal, ohne dass daraus Rechtsansprüche hergeleitet werden können. - Ich unterstelle, dass allgemeines Einvernehmen besteht, dass ich auch Sie noch einmal aufrufe. Aber wir sollten uns jetzt bemühen, es so kurz und knapp wie eben möglich zu halten. - Frau Bätzing.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Friedrich, ich bin über Ihre Antwort von eben etwas verwundert. Sie haben gesagt, dass das Programm „Altersgerecht umbauen“ extrem wichtig ist und dass Sie es sehr bemerkenswert finden. Das finden auch wir. Umso mehr verwundert es, dass Sie die finanziellen Mittel für das Programm gekürzt haben; das nur als Vorbemerkung. Ich möchte eine Frage stellen, die sich auf das Thema Altersarmut bezieht. Ihre Kabinettskollegin Frau von der Leyen hat immer wieder vor der drohenden Altersarmut gewarnt. Wir wissen, dass gute Löhne für gute Renten sorgen. Ich frage Sie: Welche Zielsetzungen verfolgen Sie mit Ihrem Konzept bzw. Ihrer Strategie in Bezug auf den Zusammenhang zwischen guter Arbeit, guten Löhnen und guter Rente? Oder spielt dieses Thema vielleicht gar keine Rolle?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Schon allein die Tatsache, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft thematisieren - es geht nämlich darum, Arbeitsplätze zu schaffen; es gab in diesem Land übrigens noch nie so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie derzeit -, zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist. Jeder Einzelne soll die Möglichkeit haben, sich weiterzuqualifizieren, sich weiterzubilden und voranzukommen. Sie haben das Thema Rente angesprochen. Ich glaube, dies ist einer der Schwerpunkte, über den wir zu reden haben. Es geht um einen veränderten Zugang zu den Fragen: Wie geht man in Rente? Gibt es Übergangsformen? Gibt es eine echte Altersteilzeit, die anders organisiert ist als das, was wir in diesem Bereich einmal hatten? Ist beispielsweise eine Kombination aus Rente und Teilzeitarbeit bzw. eine Zuschussrente möglich? Ich glaube, dies ist ein wichtiger Punkt. Der entscheidende Leitsatz lautet: Wir wollen denjenigen, die gearbeitet haben, und denjenigen, die Vorsorge getroffen haben, gerecht werden, indem wir dafür sorgen, dass sie im Alter eine auskömmliche Rente erhalten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich möchte Sie fragen: Warum wird die Beschäftigung älterer Menschen, auch über das Rentenalter hinaus, von der Bundesregierung so sehr befürwortet - Sie sagten, dass wir jeden brauchen und alle Potenziale ausschöpfen müssen, auch die von Frauen und Alleinerziehenden -, obwohl es bei uns immer noch Erwerbslose gibt und sogar Erwerbslose aus Spanien nach Deutschland einwandern dürfen? Das hat nämlich zur Folge, dass bei uns in Deutschland Auszubildende nicht übernommen werden. Denken Sie auch an die Frauen, die bei Schlecker gearbeitet haben und nun, mit über 55 Jahren, keinen anderen Arbeitsplatz mehr finden, vielleicht auch deshalb, weil sie zu Hause jemanden pflegen. Was bedeutet es für Sie, dass hauptsächlich Ältere weiterarbeiten sollen, wie es Ihr Vorschlag der Kombirente vorsieht? Wollen Sie für die armen Menschen ein Modell schaffen, das sicherstellt, dass sie lebenslang weiterarbeiten können, solange sie es können?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Wir wollen jedem, der arbeiten will und kann, die Möglichkeit eröffnen, dies zu tun; darum geht es. Wir wollen jedem in diesem Land, der arbeits- und ausbildungswillig ist, die Chance eröffnen, einen Ausbildungsplatz zu finden bzw. zu arbeiten. Deutschland soll ein Land der Chancen sein. Wir als christlich-liberale Regierung gehen von einem mündigen, selbstständigen Menschen aus, der bemüht ist, sich zu entfalten und sich seinen Möglichkeiten entsprechend einzubringen. Ich glaube, wenn wir von diesem Menschenbild ausgehen, wird es gelingen, dieser Gesellschaft eine gute Zukunft zu ermöglichen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme auf die Zahlenbasis der Strategie, die Sie uns vorgelegt haben, zurück. Als Grundlage nehmen Sie die Zahlen bis 2030. Das Statistische Bundesamt und viele Wissenschaftler verfügen über entsprechende Erkenntnisse bis zum Jahr 2050 oder 2060; das wissen auch Sie. Meine Frage: Wären Sie bereit, an dieser Stelle nachzuarbeiten und dem Deutschen Bundestag in absehbarer Zeit sozusagen den Teil zwei Ihrer Strategie vorzulegen, damit wir sehen können, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn man über das Jahr 2030 hinausblickt? Oder würden Sie uns raten, Ihnen eine Kleine Anfrage zukommen zu lassen, die Sie uns dann in den nächsten 14 Tagen oder drei Wochen beantworten? ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sie haben recht, dass wir über den Tag hinausdenken müssen. Da Sie offensichtlich davon ausgehen, dass wir noch sehr lange regieren, ({0}) kann ich Ihnen zusagen: Sie werden auch für die Zeit von 2030 bis 2060 rechtzeitig eine entsprechende Strategie von mir vorgelegt bekommen. ({1}) Spaß beiseite: Selbstverständlich werden wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wie es jenseits des Zeitraums, für den wir nun konkrete Weichenstellungen vornehmen müssen, weitergehen kann. Man muss aber natürlich sehen, dass die Stellschrauben und die Rahmenbedingungen so vielfältig sind, dass Sie, je weiter Sie in die Zukunft blicken, natürlich immer mehr verschiedene Szenarien betrachten müssen, ohne zu wissen, was davon im Einzelnen zutrifft. Ich kann Ihnen aber versprechen, dass wir auch im Rahmen der Diskussion um die Strategie immer noch - auch zeitlich - über den Horizont hinausdenken.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Herr Minister! Ich möchte gerne noch einmal auf die Fachkräfte zurückkommen. Mir geht es um die Fachkräfte im Bereich der Pflege. In der Demografiestrategie heißt es, die Bundesregierung werde die Fachkräftebasis in der Pflege sichern und zukunftsweisende Angebotsstrukturen für Betreuung und Pflege unterstützen. Ich frage Sie jetzt ganz konkret: Halten Sie es für den richtigen Weg, dass Sie mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz das Risiko der Lohndrückerei für die Pflegekräfte in Kauf nehmen, nämlich dadurch, dass Sie die Bindung einer Zulassung von Pflegeeinrichtungen an die ortsübliche Vergütung kippen und die Vergütung auf das Niveau des Pflegemindestlohns absenken wollen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Wichtig ist natürlich die Erkenntnis: Wir bekommen in allen Bereichen nur dann gute Leute, wenn wir ihnen auch anständiges Geld bezahlen. Das ist überhaupt keine Frage. Umgekehrt verlangen wir natürlich auch eine ordentliche Qualifikation und Ausbildung. Ich kann diese spezielle Frage aus dem Pflegebereich, die Sie vielleicht auch einmal mit der zuständigen Ministerin besprechen sollten, jetzt nicht beantworten, aber ich kann Ihnen sagen: Ja, es ist unser Ziel, die Fachkräftebasis in der Pflege zu sichern, und zwar auch dadurch, dass wir den Pflegeberuf für diejenigen, die in diesem Bereich arbeiten wollen, in der Zukunft attraktiv und lukrativ halten. Ich glaube, dass wir auch mit unserem Bundesfreiwilligendienst einen Zugang junger Menschen - zunächst auf freiwilliger Basis - zum gesamten Bereich der sozialen Dienstleistungen ermöglichen. Von daher erwarte ich mir sehr viele Impulse für den gesamten Sozialbereich, vor allem aber für den Bereich der Pflege.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Crone.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich freue mich natürlich, dass Sie schon so emanzipiert sind, dass Sie den Gesundheitsminister als Ministerin bezeichnen. Das finde ich wunderbar. Deswegen möchte ich auch eine Frage stellen. Ich vermisse in Ihrer Strategie die Zielsetzung „Förderung einer partnerschaftlichen Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit“. Welchen Stellenwert räumen Sie einer umfassenden Gleichstellung von Frauen und Männern ein? Das bezieht sich auch ein bisschen auf Ihre Aussage. Meinen Sie nicht, dass Ihr Konzept auch in diesem Punkt unbedingt angepasst werden müsste?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Wir räumen dieser Frage einen so hohen Stellenwert ein und dies ist für uns so selbstverständlich, dass wir das nicht extra erwähnen mussten. Das liegt sozusagen allem zugrunde, was wir aufgeschrieben haben. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Rößner.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich doch noch zu Wort kommen darf. Herr Minister, ich möchte noch einmal kurz auf die Situation der Kommunen eingehen. Sie beschreiben in der Strategie ja immer wieder die Aufgaben der Kommunen. Eine richtige Lösung dafür, wie die Kommunen gestärkt werden können, finde ich in dieser Strategie aber nicht. Sie weisen auf Modellprogramme hin, die Sie weiter fördern wollen, wie beispielsweise das Modellvorhaben „LandZukunft“ und auch das Städtebauförderprogramm „Kleine Städte und Gemeinden“. Daneben betonen Sie die Programme „Die soziale Stadt“ und „Altersgerecht umbauen“. Ich frage mich natürlich - das wurde hier auch schon angemerkt -: Heißt das, dass Sie diese Programme weiter unterstützen, dass Sie also „Altersgerecht umbauen“ wieder neu auflegen und die Kürzungen beim Programm „Die soziale Stadt“ zurücknehmen? In Ihrer Demografiestrategie werden diese ja als besonders familien- und altersgerechte Infrastrukturen mit generationenübergreifenden Angeboten ausdrücklich betont und hervorgehoben.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Das ist völlig richtig. Ich glaube, die Mehrgenerationenhäuser sind sehr erfolgreich. Ebenfalls sehr erfolgreich ist das Programm „Die soziale Stadt“. Jeder, der entsprechende Fälle kennt, weiß das, wobei die BaupoliBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich tiker immer aufbegehrt und gesagt haben: Das gehört eigentlich in den Sozialhaushalt und nicht in den Bauhaushalt. ({0}) Das ist eine Frage der Ordnung. Aber ich glaube, wir sind uns einig, dass das ein guter Ansatz ist. Das Programm „Soziale Stadt“ ist im Zusammenhang mit den Stadtquartieren, die sich in den Großstädten ganz unterschiedlich entwickeln - auch innerhalb der Großstädte gibt es Wanderungsbewegungen -, ein wichtiges Thema. Sie haben richtig darauf hingewiesen: Stadtumbau Ost und Stadtumbau West sind zwei wichtige Programme, die auch in der Zukunft fortgeführt werden müssen. Überall da im Lande, wo diese Programme umgesetzt worden sind, kann man sehen, wie segensreich das Geld verwendet worden ist und was man damit wirklich erreicht hat. Nehmen Sie das als ein Bekenntnis zu erfolgreichen Programmen, die wir umgesetzt haben. Glauben Sie mir, dass wir uns nach Kräften bemühen, aber dies immer im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten; denn eines haben wir nicht: Wir haben noch keinen Dukatenesel. Auch bei dieser Strategie wissen wir noch nicht, wie weit wir mit unseren Mitteln kommen; wir müssen immer mit dem Geld, das wir haben, zurechtkommen. Aber glauben Sie mir, dass wir alles tun werden, um die erfolgreichen Programme, die Sie aufgezählt haben, finanziell weiter auszustatten. Ich glaube, dass wir in den Kommunen, die im Umgang mit Mitteln mehr Selbstbestimmungsrecht haben müssen, wichtige Partner und Unterstützer haben werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir schließen damit diesen Themenbereich ab. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Hat jemand sonstige Fragen an die Bundesregierung? ({0}) - „Heute nicht“, sagt Frau Enkelmann. - Dann schließen wir damit die Befragung der Bundesregierung ab. Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/9351 - Wir rufen die einzelnen zur mündlichen Beantwor- tung eingereichten Fragen in der Reihenfolge der Res- sorts auf, die Ihnen vorliegt. Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich der Bundes- ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz auf. Der Kollege Parlamentarischer Staatsse- kretär Peter Bleser steht zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 1 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Bestandsentwick- lung beim Aal nach Inkrafttreten der Aalbewirtschaftungs- pläne, und welche über die bisherigen hinausgehenden Maß- nahmen planen die Bundesregierung und, nach Kenntnis der Bundesregierung, die EU-Kommission - zum Beispiel Ex- portstopp für Glasaale, Verbot des Glasaalverzehrs, techni- sche Vorgaben zur Senkung der Mortalität beim Glasaalfang, Besatz nur in Gewässer, in denen ein ausreichender Fischab- stieg möglich ist, höhere Mindestfanggröße, Fangverbot, technische Vorgaben zur Senkung der Mortalität an den Was- serkraftwerken)?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danke, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin, in der Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Nr. 1100/ 2007 des Rates mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten bis 30. Juni 2012 Bericht über die von ihnen getroffenen Maßnahmen erstatten. Die Berichte behandeln die Überwachung, die Wirksamkeit und die Ergebnisse der Aalmanagementmaßnahmen in den Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten die bestmöglichen Schätzungen der Biomasse der zum Laichen ins Meer abgewanderten Blankaale für den betreffenden Mitgliedstaat oder den Anteil der Biomasse der Blankaale, die das Gebiet dieses Mitgliedstaates seewärts zum Laichen verlassen, im Verhältnis zur Abwanderungsrate des jährlichen Fischereiaufwandes für Aale, der außerfischereilichen Mortalitätsfaktoren und der Fangmengen an Aal von weniger als 12 Zentimetern in ihrer prozentualen Aufschlüsselung nach Verwendungszwecken. Der Bericht der Bundesregierung an die Europäische Kommission wird derzeit erarbeitet. Erst nach Vorliegen der Berichte der Mitgliedstaaten am 30. Juni dieses Jahres kann eine Bewertung der Bestandsentwicklung des Europäischen Aals vor dem Hintergrund der Aalbewirtschaftungspläne erfolgen. Ebenfalls danach können weitere, über die bisherigen Maßnahmen hinausgehende Schritte diskutiert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese doch sehr wenig inhaltsreiche Antwort. ({0}) Sie sagen, die Antwort bzw. der deutsche Bericht an die EU wird gerade erarbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie über die Situation des Europäischen Aals, zumindest was Deutschland betrifft, keine Aussagen machen können; denn bereits im Februar 2010, als ich danach fragte, also vor reichlich zwei Jahren, wurde die Situation des Aals durch die Bundesregierung - das sagte damals die Staatssekretärin Klöckner - als schwierig eingeschätzt. Ich möchte gerne wissen: Wann wird der Evaluationsbericht der EU vorliegen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr verehrte Frau Kollegin, ich habe Ihnen schon in meiner Antwort berichtet, dass dies im Juni dieses Jahres der Fall sein soll.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gesagt: Deutschland bzw. die Mitgliedstaaten müssen bis zum 30. Juni liefern. - Wir wissen aber noch nicht, wann die EU den Bericht vorlegt. Danach habe ich eben gefragt.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danach wird die Europäische Union natürlich die Berichte auswerten und einen Bericht verfassen. Welchen Zeitraum dies in Anspruch nimmt, kann ich Ihnen nicht voraussagen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann würde ich gerne eine zweite Frage anschließen. Sie sind dabei, den Bericht zu erstellen, und wissen um die schwierige Situation des Europäischen Aals, jedenfalls auf Deutschland bezogen. Ich frage Sie: Halten Sie es aufgrund der schlechten Bestandsentwicklung, die seit Jahren besorgniserregend ist, für sinnvoll, dass nach wie vor Glasaale gefangen und exportiert werden, auch in Länder und Gebiete, wo sie nicht zur Reproduktion eingesetzt werden können, weil zum Beispiel keine Abwanderungsmöglichkeiten vorhanden sind, und meinen Sie nicht, dass man aus dem gleichen Grund, aus dem man nicht dorthin exportieren sollte, auch den Verzehr von Glasaal unterbinden sollte? Ich halte das für eine dringend notwendige Maßnahme. Ich frage Sie: Warum macht die Bundesregierung da noch nichts? Auf wen muss man an dieser Stelle noch Rücksicht nehmen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr verehrte Frau Kollegin, Sie werden verstehen, dass die Bundesregierung erst dann Entscheidungen trifft, wenn die entsprechenden Berichte vorliegen und damit eine fundierte Bewertungsmöglichkeit besteht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Ostendorff auf: Wann wird die Bundesregierung ihren Entwurf für das Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, das unter anderem Maßnahmen zur Begrenzung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung enthalten soll, im Kabinett behandeln bzw. in den Deutschen Bundestag einbringen, und warum hat die Bundesregierung die Initiative noch nicht eingebracht, obwohl bei der Präsentation des Entwurfs am 10. Januar 2012 angekündigt wurde, dass dies in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen passieren solle?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danke, Herr Präsident. - Verehrter Herr Kollege Ostendorff, die Bundesregierung befindet sich derzeit im Abstimmungsprozess zur Kabinettsvorlage des Entwurfes eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Nach Abschluss der Vorbereitungen wird der Kabinettsbeschluss zeitnah erfolgen. Die Einbringung in den Bundestag und die weitere Zeitplanung hängen vom Zeitpunkt der Beschlussfassung der Bundesregierung ab. Bei diesem Abstimmungsprozess sind auch die relevanten Beschlüsse der Amtschefskonferenz am 19. Januar dieses Jahres sowie der zu erwartende Beschluss der Amtschefs- und Agrarministerkonferenz vom 25. bis 27. April, also in dieser Woche, zu berücksichtigen. Diese Beschlüsse haben Auswirkungen auf den Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Herr Staatssekretär, für die nichtssagende Antwort. ({0}) Die Bundesregierung hat am 10. Januar dieses Jahres verlauten lassen, dass es vier bis sechs Wochen dauern werde, diese Dinge einzubringen. Jetzt sind wir weit im April. Ich denke, vier bis sechs Wochen sind vorbei. Sie haben schon Anfang April auf unsere damalige Anfrage sehr nichtssagend geantwortet. Können Sie das, was zumindest kolportiert wird, bestätigen, nämlich dass die Bundesregierung die vier bis sechs Wochen nach dem 10. Januar nicht vor der Sommerpause auszuschöpfen gedenkt, sondern das Ende der Sechswochenfrist erst nach der Sommerpause erreicht sieht?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr verehrter Herr Kollege, die Bewertung von Aussagen steht Ihnen natürlich frei. Ob es eine Frage ist, mag jemand anderes bewerten. Sie werden aber verstehen, dass es gerade bei diesem Problem darauf ankommt, betriebsbezogene Antibiotikaminimierungsstrategien zu verfassen. Hierzu bedarf es einer intensiven Diskussion, bei der auch die Länder eine wichtige Rolle übernehmen müssen, weil sie die Umsetzung der Gesetze vor Ort gestalten müssen. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, wie sich die Länder in dieser Frage positionieren. Das wird selbstverständlich auch in die Beratungen der Bundesregierung mit einfließen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das bringt mich zwangsläufig zu einer weiteren Frage. Da sich die Länder schon seit Dezember 2011 in der Abstimmung befinden, ist die Frage zu stellen - diese Frage ist ernster gemeint als die zuvor -: Welches sind die strittigen Punkte, die dazu führen, dass die Frist so weit gedehnt worden ist, Herr Staatssekretär?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

In der Tat ist es das, was ich vorhin angesprochen habe, nämlich die Frage, wie wir betriebsbezogene Daten bekommen, aus denen hervorgeht, in welchen Mengen und in welchen Zeiträumen Antibiotika eingesetzt worden sind. Das ist keine einfach zu beantwortende Frage, weil hier verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind und - ich betone das noch einmal - der Vollzug der Gesetze durch die Länder geregelt sein muss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Ostendorff auf: Wie viele Pharmaunternehmen bzw. Großhändler haben ihre Daten zu verschriebenen Tierarzneimitteln im Jahr 2011 nicht wie in der Verordnung über das datenbankgeschützte Informationssystem des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI-AMV, vorgesehen bis zum 31. März 2012 beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information eingereicht, und müssen die säumigen Pharmaunternehmen/Großhändler mit Sanktionen rechnen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Nach den vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit übermittelten Informationen haben sich mit Stand vom 23. April dieses Jahres 42 Pharmaunternehmen und 20 Großhändler entsprechend der DIMDI-Arzneimittelverordnung registriert. Die Validierung der Daten erfolgt derzeit durch das DIMDI. Im Rahmen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens ist es den Ländern möglich, mit Mitteln des Verwaltungszwangs gegen säumige Pharmaunternehmen bzw. Großhändler vorzugehen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie weit die Länder sind, Sanktionen durchzusetzen, entzieht sich wahrscheinlich Ihrer Kenntnis. Ich frage daher die Bundesregierung: Was gedenken Sie denn zu tun, um die Unternehmen zu zwingen, die Daten, die sie erheben müssen, rechtzeitig einzuspeisen? 42 Unternehmen, die bisher melden, ist eine relativ geringe Zahl. Ich bin verwundert, dass nicht der ganze Bereich erfasst wird.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ostendorff, ich erlaube mir nicht, Ihnen die rechtsstaatliche Ordnung in diesem Land zu erklären. Nur so viel: Die Durchführung der Gesetze obliegt den Ländern. Diese werden entsprechende Maßnahmen zu vollziehen haben.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Teile der Tierärzteschaft fragen immer wieder - das ist auch die Frage an die Bundesregierung -, warum nicht die Abgabebelege, die in den Betrieben angefertigt werden, genutzt werden. Ich darf die Praxis kurz darstellen: Die Tierärztin oder der Tierarzt kommt auf den Hof, behandelt ein Tier, und dies wird mit einem Beleg dokumentiert. Tierärzte haben mich nun gefragt, warum diese Belege nicht direkt in die Datenbank eingepflegt werden. Warum geht man mit dem DIMDI einen komplizierten Weg? Die Daten müssen bislang zuerst an das BVL übermittelt werden, das dann zu handeln und die Großhändler anzuschreiben hat. Das ist ein sehr komplizierter Weg. Warum pflegt man die Daten nicht direkt ein? Das kann doch im Computerzeitalter nicht so schwierig sein. Was gedenkt die Bundesregierung hier zu tun?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ostendorff, es gibt Maßnahmen, die wir beim Monitoring der Abgabe von Arzneimitteln - hier werden statistische Daten erhoben, die, auf Postleitzahlen bezogen, registriert werden - im Rahmen der DIMDI-Verordnung vollziehen. Es geht zudem darum, wie wir nun durch die neue Änderung des Arzneimittelgesetzes in die Lage versetzt werden können, Daten von Einzelbetrieben zu bekommen. Ich stimme Ihnen zu: Wir haben schon durch eine frühere Änderung des Arzneimittelgesetzes die Möglichkeit geschaffen, dass insbesondere beim Tierarzt entsprechende Daten vorliegen. Wir sind jetzt dabei, die rechtlichen Bedingungen so zu gestalten, dass sie einen verfassungsgemäßen Zugriff auf betriebliche Anwendungs- und Verwendungspraktiken erlauben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ebner auf: Welche Position vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf die - in der Berliner Zeitung vom 18. April 2012 berichtete - Absicht der Europäischen Kommission, Verunreinigungen von Lebensmitteln mit dafür nicht in der Europäischen Union zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen künftig bis zu einem Schwellenwert zu tolerieren - Low Level Presence, LLP?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Ebner, in dem Artikel der Berliner Zeitung vom 18. April dieses Jahres wurde berichtet, dass die EU-Kommission beabsichtige, eine Verordnung vorzuschlagen, welche bei Lebensmitteln einen Analyseschwellenwert von 0,1 Prozent für in Drittländern oder nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen vorsieht. Einen solchen Analyseschwellenwert gibt es bereits bei Futtermitteln. Bisher hat die EU-Kommission einen solchen Vorschlag nicht vorgelegt. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Vorschlag, wenn er dann vorliegt, prüfen und sich hierzu positionieren.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Die Kommission führt nach verlässlichen Informationen seit Wochen Gespräche mit Mitgliedstaaten und lotet deren Positionen aus. Ich gehe davon aus, dass das der Bundesregierung nicht verborgen geblieben sein kann, da Deutschland nach wie vor ein Mitgliedstaat der EU ist. Deshalb frage ich jetzt nach: Inwieweit haben Vertreter der Bundesregierung auf EU-Ebene bereits an Gesprächen über die Einführung eines solchen Schwellenwertes für nicht zugelassene GVO teilgenommen, und, falls ja, welche Positionen zur obigen Frage haben andere Mitgliedstaaten eingenommen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich kann Ihnen über die Positionen der anderen Mitgliedstaaten im Detail nichts berichten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir eine Bewertung der Vorschläge erst dann vornehmen, wenn sie vorliegen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte trotzdem nachfragen, wie sich denn aus Sicht der Bundesregierung bei Lebensmitteln eine Regelung analog zu der bei Futtermitteln gefundenen Regelung rechtfertigen oder begründen ließe vor dem Hintergrund, dass im „Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2011“ im Zusammenhang mit der Gentechnik eindeutig der Vorrang von Mensch und Umwelt vor ökonomischen Interessen benannt ist, vor dem Hintergrund, dass die fraglichen GVO nicht zugelassen und damit auch nicht risikogeprüft wären, und vor dem Hintergrund, dass die Mehrzahl der Verbraucherinnen und Verbraucher Gentechnik in Lebensmitteln nicht möchte.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, auch da muss ich auf das zurückkommen, was ich schon berichtet habe. Die Kommission hat angekündigt, im Lichte der Bewertung der entsprechenden Grenzwertsetzung für Futtermittel zu entscheiden, ob sie für Lebensmittel einen entsprechenden Grenzwert vorschlägt. Diese Entscheidung ist auf der europäischen Ebene noch nicht getroffen worden. Insofern ist eine Bewertung unsererseits noch nicht möglich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 5 auf: Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, Transparenz über die Verfahren und Abläufe bezüglich der Frage der Einführung eines Schwellenwertes für Verunreinigungen mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln herzustellen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Das Verfahren für den Erlass von EU-Durchführungsvorschriften im Wege einer Kommissionsverordnung zur Einführung eines Analyseschwellenwertes für gentechnisch veränderte Organismen - abgekürzt: GVO - in Lebensmitteln ist im europäischen Recht geregelt. Gemäß Art. 11 Abs. 4 der Verordnung ({0}) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz kann die EU-Kommission Verfahren nach Art. 62 Abs. 3 im Wege von Durchführungsvorschriften einen Analyseschwellenwert auch für Lebensmittel festlegen. Das Verfahren zum Erlass von EU-Durchführungsvorschriften regelt die Verordnung ({1}) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. Danach kann die EU-Kommission den vorgeschlagenen Rechtsakt erlassen, wenn sie hierfür im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit, StALuT, eine qualifizierte Mehrheit erhält. Ist dies nicht der Fall, kann sie entweder innerhalb von zwei Monaten eine geänderte Fassung unterbreiten oder den ursprünglichen Entwurf dem Berufungsausschuss vorlegen. Stimmt der Berufungsausschuss dem Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit zu, so erlässt die Kommission den Durchführungsrechtsakt. Gibt der Berufungsausschuss keine Stellungnahme ab, so kann die EU-Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen. Bei qualifizierter Mehrheit dagegen ist der Vorschlag der EU-Kommission gescheitert. Der StALuT und der Berufungsausschuss beraten nicht öffentlich. Das Europäische Parlament und der Rat sind rasch über die Ausschussverfahren zu informieren. Sie haben die Möglichkeit, jederzeit darauf hinzuweisen, dass ein Entwurf der Kommission zum Analyseschwellenwert bei Lebensmitteln ihres Erachtens die in der Verordnung ({2}) Nr. 882/2004 vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreiten würde.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für den Ausflug in die Komitologie. Danach hatte ich aber gar nicht gefragt. Mir ging es um die Transparenz bei den Verfahrensabläufen hier. Deshalb möchte ich fragen, inwieweit und in welcher Form die Bundesregierung vor der endgültigen Positionierung in dieser Frage jetzt plant, den Deutschen BunHarald Ebner destag und die Öffentlichkeit, insbesondere auch die Umwelt- und Verbraucherverbände, an ihrer Entscheidungsfindung zu beteiligen.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr geehrter Kollege Ebner, Sie genießen doch jetzt schon das Recht, hier jederzeit zu fragen. Die Antworten, die ich Ihnen gegeben habe, stellen den derzeitigen Stand der Beratungen dar. Erst nach Vorlage eines Vorschlages werden wir eine Positionierung vornehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann möchte ich abschließend noch fragen, wie denn die Bundesregierung die öffentliche Meinung zu dieser Fragestellung einschätzt.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Die öffentliche Meinung hierzu kann durchaus unterschiedlich interpretiert werden. Es liegt aber nicht in meiner Befugnis, eine entsprechende Einschätzung bzw. Wertung vorzunehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 6 der Abgeordneten Inge Höger und die Frage 7 des Abgeordneten Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Karin Evers-Meyer auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass unter Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Überlegungen zivile Betreiber den Betrieb der Offizierheimgesellschaften, Unteroffizierheimgesellschaften und Gemeinsamen Heimgesellschaften, die durch Kameradschaften geführt werden, effektiver und effizienter gestalten können und dass durch zivile Betreiber die Kameradschaftspflege und das gesellige Miteinander der Soldatinnen und Soldaten in den Heimgesellschaften besser gewährleistet werden kann als durch kameradschaftliche Betreiber?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin Evers-Meyer, ich darf die Komplexität der Fragestellung zum Anlass nehmen, vorneweg Folgendes zu sagen: Jeder weiß - auch die Bundesregierung weiß das -, dass es aufgrund der Fürsorgepflicht und mit Blick auf ein kameradschaftliches Verständnis eine ganz wichtige Aufgabe ist, innerhalb der genannten Gesellschaften eine gute Verpflegung und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung vorzuhalten. Deswegen ist es auch notwendig - das kommt auch in Ihrer Fragestellung zum Ausdruck -, dass man hier sorgfältig abwägt. Die Bereitstellung und der Betrieb von Einrichtungen in der sogenannten bewirtschafteten Betreuung in der Bundeswehr werden zukünftig in eine neue Konzeption überführt werden. Das ergibt sich einfach aus der Tatsache, dass es bei den Standorten Veränderungen gibt. Deswegen muss auch das Konzept angepasst werden. Wir prüfen in diesem Zusammenhang auch andere Betriebsformen. Dazu gehört die Beteiligung privater Betreiber. Inwieweit wir da zu einer reinen Fremdvergabe oder zu Mischstrukturen kommen werden - möglicherweise an die einzelnen Standorte angepasst -, ist noch nicht entschieden. Ziel bleibt, mit der Neuausrichtung der bewirtschafteten Betreuung den Bedürfnissen der Bundeswehrangehörigen auch zukünftig im Rahmen der Fürsorgepflicht gerecht zu werden, diese Neuausrichtung allerdings auch mit dem Umfang der vorhandenen Ressourcen in Einklang zu bringen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Keine. Dann rufe ich die Frage 9 der Kollegin Evers-Meyer auf: In welche Kategorien können die im Dritten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz, Berichtszeitraum 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2010, zitierten „wenigen Einzelfälle“, in denen die Integration von Frauen in die Bundeswehr Probleme bereitet hat, geordnet werden, und wie ist die zahlenmäßige Verteilung der Fälle auf die einzelnen Kategorien?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, Sie sprechen im Hinblick auf den Dritten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz - mit diesem Gesetz hat die Bundesregierung den Auftrag erhalten, jeweils über den Stand der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten zu berichten - den Zeitraum von 2009 bis 2010 an. In diesem Bericht sind wenige Einzelfälle genannt, in denen die Integration von Frauen in die Bundeswehr Probleme bereitet hat. Wie sieht die zahlenmäßige Verteilung der Fälle auf die einzelnen Kategorien aus? Vorneweg darf ich sagen: Erfreulicherweise handelt es sich um Einzelfälle. Ich erlaube mir, zu sagen, dass die mit erheblicher Unterstützung des Deutschen Bundestages möglich gewordene konsequente Öffnung sämtlicher Dienstposten der Bundeswehr für Frauen eine gemeinsame Erfolgsstory ist. Im Berichtszeitraum, den Sie ansprechen, lassen sich in der Kategorie „frauenfeindliches Verhalten“ zwei Einzelfälle, in der Kategorie „sexuelle Belästigung“ vier Einzelfälle und in der Kategorie „familienbedingte Benachteiligung“ drei Einzelfälle namentlich dokumentieren. Die Lebenswirklichkeit legt uns nahe, diese Zahlen nicht als endgültig zu betrachten. Ich muss Ihnen sagen, dass ich ein Vorliegen weiterer Einzelfälle nicht völlig ausschließen kann, wenngleich sie sowohl im Bericht des Wehrbeauftragten als auch im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung nicht aktenkundig geworden sind. Soweit uns konkrete Fälle aus diesem Zeitraum noch bekannt werden sollten, werden wir Sie darüber grundsätzlich gern informieren. Meine Hoffnung ist aber, dass ich Fehlanzeige vermelden muss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wie ich sehe, haben Sie, Frau Evers-Meyer, auch hier keine Zusatzfragen. Dann sind wir mit diesem Geschäftsbereich durch. Ich bedanke mich bei dem Herrn Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues beantwortet die Fragen. Die Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Monika Lazar werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Ferner: Wie und mit welcher Vereinbarung haben die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, und die Referatsleiterin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Caroline W., vor Beginn des gemeinsamen Buchprojektes sichergestellt, dass dafür keinerlei technische und personelle Ressourcen des Bundesministeriums in Anspruch genommen werden und während der Dienstzeit kein Austausch über einzelne Elemente des Buches stattfindet, und wie wurde diese Vereinbarung umgesetzt? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zunächst einmal ist es selbstverständlich so, dass diese Mitarbeiterin im Mai 2011 eine Nebentätigkeit angezeigt hat, wozu sie laut Tarifvertrag verpflichtet ist, und dass sie als Koautorin ausschließlich in der dienstfreien Zeit, also an den Abenden, an Wochenenden, an Urlaubstagen usw., daran gearbeitet hat. Natürlich haben beide darauf geachtet, dass die dienstliche Arbeit und das Anliegen, ein Buch zu veröffentlichen, strikt getrennt werden. Insofern war es selbstverständlich, dass es diese Trennung von Anfang an gab. Darüber ist keine formelle Vereinbarung getroffen worden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Erste Zusatzfrage.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, es ist keine Vereinbarung getroffen worden. Wie wurde praktisch dafür Sorge getragen, dass dieses Buchprojekt nicht während der Dienstzeit angegangen wurde? Wenn diese Referatsleiterin beispielsweise eine Rede für Frau Ministerin geschrieben hat, mit ihr darüber gesprochen hat und eine der beiden eine gute Idee hatte, von der man glaubte, sie für dieses Buch verwenden zu können: Hat man diese Idee dann im Hinterkopf behalten, und hat man dann abends nach Dienstschluss gesimst oder telefoniert? Wie darf man sich das praktisch vorstellen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Praktisch können Sie sich das folgendermaßen vorstellen: Es ist so abgelaufen, wie es beispielsweise abläuft, wenn Sie mit Kollegen eine Veröffentlichung welcher Art auch immer vorbereiten. Man setzt sich irgendwann hin - hier ist es in der privaten Zeit passiert - und überlegt, was man eigentlich will, was die Grundthesen der Veröffentlichung sind und was alles in das jeweilige Buch hineingehört. Das strukturiert man entsprechend. Dann schreibt jeder seinen Teil. Danach trifft man sich noch einmal und tauscht sich darüber aus. Das Konzept für dieses Buch ist also so entstanden wie Konzepte für andere Bücher auch.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ferner, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich warte auf die Beantwortung der nächsten Frage, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe somit die nächste Frage - das ist die Frage 13 auf: War dem Bundesministerium insbesondere bei der Bewilligung der Nebentätigkeit gemäß § 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst bekannt, dass Caroline W. nicht nur an Wochenenden und in ihrer Freizeit, sondern auch während ihres gesamten Erholungsurlaubes und zusätzlich noch während zu gewährender Zeitausgleichstage an dem gemeinsamen Buch schreiben wird, und wie ist das mit der Fürsorgepflicht des Bundesministeriums gegenüber Caroline W. als alleinerziehender Mutter zu vereinbaren? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich will, was die Freizeit angeht, einmal Folgendes sagen: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Arbeitgebers ist, zu überprüfen, was ein Arbeitnehmer, der seine dienstlichen Aufgaben engagiert erledigt, mit seiner freien Zeit anstellt. Zumindest würde das meinem Verständnis widersprechen. Sie beziehen Ihre Frage auf eine alleinerziehende Mutter. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie nicht der Auffassung sind, dass die Regelungen für eine alleinerziehende Mutter andere sein müssen als die für einen alleinerziehenden Vater oder für andere Mitarbeiter, sondern dass die Regelungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten. Entscheidend ist, dass die Arbeit im Ministerium im eigentlichen Aufgabenbereich bestens erledigt wird, was in diesem Fall gegeben ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie sind also der Auffassung, dass es ganz normal ist, dass man 40 Tage Jahresurlaub - diese Information hat Ihr Pressesprecher zur Verfügung gestellt - und 26 Tage Zeitausgleich vollständig für eine Nebentätigkeit verwendet, sodass der Erholungsurlaub nicht der Erholung und der Regeneration der Arbeitskraft dient, wie es eigentlich - so habe ich es damals, als ich noch erwerbstätig war, gelernt - der Fall sein müsste.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, den Urlaub verbringen die Menschen in Deutschland und anderswo sehr unterschiedlich. Die einen setzen sich hin und lesen ein Buch. ({0}) Die anderen setzen sich hin und schreiben ein Buch. Die einen machen dieses, die anderen jenes. Ich finde, es ist auch ein Stück Kultur, dass der Arbeitgeber nicht im Einzelnen überprüft, was jemand in seinem Urlaub oder in seiner Freizeit macht. Wenn ein Arbeitnehmer seinen dienstlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde, dann gäbe es Anlass, einmal nachzufragen. Aber wenn das bestens ist, besteht dafür kein Grund. Im Übrigen ist es so: Wenn man sich etwas Großes vornimmt - das Veröffentlichen eines Buches ist schon eine gewaltige Sache, wenn man das neben seinen dienstlichen Verpflichtungen macht -, dann ist es nicht unüblich, dass man auch Urlaubstage, die man noch hat, bündelt. Das kann einem ein großes Maß an Zufriedenheit verschaffen. Das halte ich überhaupt nicht für abwegig. Ich weiß nicht, ob Sie schon ein Buch veröffentlicht haben. ({1}) - Das kommt vielleicht noch. ({2}) Wenn Sie ein Buch veröffentlichen würden, würden auch Sie sich überlegen, wie Sie das im Einzelnen organisieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das lässt sich mit einer weiteren Zusatzfrage konkretisieren.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie hatten in der Antwort auf meine Frage auf das Prinzip der Gleichbehandlung hingewiesen. Ich gehe einmal davon aus, dass man daraus durchaus schließen darf, dass jeder Beschäftigte und jede Beschäftigte in Ihrem Haus, der oder die eine Nebentätigkeit anzeigt und ausübt, dafür den gesamten Erholungsurlaub eines Jahres und auch noch Resturlaubstage aus dem Vorjahr verwenden darf.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Erstens ist das eine theoretische Frage. Zweitens muss eine Nebentätigkeit von Tarifbeschäftigten nicht genehmigt werden; sie muss - das ist richtig - angezeigt werden. Ich glaube aber nicht, dass das der Normalfall ist. Es ist schon außergewöhnlich, wenn sich jemand auf diese Art und Weise auf ein Projekt konzentriert. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Möglicherweise deutet sich hier ebenfalls eine gewaltige gesetzliche Regelungslücke in der Frage an, wer wann überhaupt und unter welchen Bedingungen Bücher schreiben darf. Nun rufe ich die Frage 14 der Kollegin Diana Golze auf: In welchem Verhältnis zueinander stehen nach Ansicht der Bundesregierung die Anliegen der propagierten Wahlfreiheit durch das Betreuungsgeld und der gleichfalls geltende Rechtsanspruch auf eine frühkindliche Förderung vor dem Hintergrund, dass die Einflussmöglichkeiten der Kinder auf das eine oder andere Angebot gering sind, da die Eltern diese Entscheidung treffen, und geht die Bundesregierung davon aus, dass Anreize für den Verzicht einer Frühförderung in einer Einrichtung mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar sind, wonach Kinder den Rechtsanspruch auf eine frühestmögliche und beste Förderung haben?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin Golze, in der UN-Kinderrechtskonvention steht ausdrücklich, dass in erster Linie die Eltern für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Sie können durch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auf der einen Seite und durch das Betreuungsgeld auf der anderen Seite ihre Wahlfreiheit unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausüben. Insofern steht das Betreuungsgeld dem Ausbau der Betreuung in Kindertageseinrichtungen, in der Kindertagespflege nicht entgegen. Es ist tatsächlich so, dass dieser Ausbau konsequent vorangetrieben wird. Die parallel laufenden Unterstützungsleistungen, die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden sind, tragen den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention in vollem Umfang Rechnung. Ich sage noch einmal: Der Staat ist verpflichtet, sowohl die Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben zu unterstützen als auch für den Ausbau von Einrichtungen für die Betreuung von Kindern zu sorgen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, um es noch einmal klarzustellen: Die Eltern haben die Verpflichtung zur Erziehung, und die Kinder haben nach der UN-Kinderrechtskonvention einen Rechtsanspruch auf frühestmögliche und bestmögliche Förderung. Vom Familienministerium gibt es die „Offensive Frühe Chancen“. In diesem Zusammenhang wurden Stellen für Sprachförderung in Kitas geschaffen. Ich frage Sie: Inwieweit orientiert man sich am Wohl und dem Rechtsanspruch des Kindes auf bestmögliche Förderung, wenn man auf der anderen Seite einen milliardenschweren Anreiz setzt, um Kinder von dieser frühen Förderung fernzuhalten?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich sage noch einmal: In der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass zunächst einmal die Eltern für die Erziehung und die Entwicklung eines Kindes verantwortlich sind. Die Eltern dürfen entscheiden, wie sie die Erziehung handhaben. ({0}) Das ist keine politische Aussage von mir. Deshalb muss es ein Betreuungsangebot geben. Dieses haben wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht. Es muss aber auch qualitativ gut sein. Die Eltern entscheiden aber letztlich, wie sie die Erziehung des Kindes gestalten. Das ist so. Der Staat hingegen ist für das Schaffen der Rahmenbedingungen verantwortlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann lassen Sie uns auf diese Entscheidung noch einmal eingehen; denn das Betreuungsgeld wird auch damit begründet, dass man Wahlfreiheit schaffen möchte. Dies setzt aber voraus, dass man eine Wahl hat. Meine Frage ist: Wie sieht es mit der Wahlfreiheit von Eltern aus, wenn es in ihrer Kommune keine ausreichende Anzahl an Kitaplätzen gibt, wovon wir auch 2013 ausgehen müssen? Ich ergänze: Wenn die Kitaplätze knapp sind, werden zuerst diejenigen Eltern einen Kitaplatz bekommen, die erwerbstätig sind. Andere werden auf Wartelisten gesetzt. Das heißt, diesen Kindern wird weder ihr Rechtsanspruch erfüllt noch eine Wahlfreiheit ermöglicht.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, es gibt ab 2013 einen Rechtsanspruch. Dies haben wir vor einigen Jahren beschlossen. Alle Länder - sie sind dafür zuständig, dieses Programm umzusetzen - sagen, dass sie es schaffen werden. Wir kennen keine präzisen Zahlen darüber, wie viele Plätze tatsächlich in Anspruch genommen werden. Die Länder, die in der Verantwortung stehen, gehen davon aus, dass sie es schaffen werden, den Rechtsanspruch zu erfüllen. Ob das wirklich in jeder einzelnen Kommune gelingt, muss man sich anschauen. Hier stehen wir in Gesprächen mit den Ländern. Aber wir gehen davon aus - das ist der heutige Stand -, dass wir erfolgreich sind. Wir werden weitere Aktivitäten entfalten, um sicherzustellen, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Inwieweit die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Kitaplätzen in den Kommunen tatsächlich realisiert werden kann, wird, wie schon gesagt, zu überprüfen sein. Es gibt einen Rechtsanspruch. Die Forderung des Vorsitzenden eines kommunalen Spitzenverbandes, diesen Rechtsanspruch außer Kraft zu setzen, unterstützen wir nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass der Bund „weitere Aktivitäten“ entfalten wird. Um welche „weiteren Aktivitäten“ könnte es sich handeln?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es sind verschiedene Varianten denkbar. Der Bund wird mit Sicherheit keine zusätzlichen finanziellen Mittel in die Hand nehmen. Er wird sich besonders darum kümmern, wie man die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Kitaplätzen sicherstellen kann. Es gibt Kommunen, in denen das Angebot völlig ausreichend ist. Das zeigen die Zahlen, die uns vorliegen. Allerdings liegen uns die entsprechenden Zahlen nicht immer zeitnah vor; denn die Jugendhilfeplanung erfolgt in der jeweiligen Kommune, und auf Landesebene erfolgt die Koordinierung. Deshalb müssen wir uns im Gespräch mit den Ländern darüber verständigen, wie weit wir beim Ausbau tatsächlich sind. Nicht alle Mittel, die vom Bund zur Verfügung gestellt werden, wurden schon abgerufen. Es gibt also noch verfügbare Mittel. ({0}) Wir werden also überlegen, wie man gewährleistet, dass diese Mittel tatsächlich abfließen. Darüber werden wir mit den Ländern sprechen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Frau Hein.

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, vielen Dank. - Reden wir einmal über die Flächenländer. Das Problem wird am ehesten in den ländlichen Regionen eine Rolle spielen. Gehen Sie davon aus und ist es Bestandteil Ihrer Strategie, dass die Kompensation des Mangels an Kinderbetreuungseinrichtungen im ländlichen Raum zu einem Ausbau von privatwirtschaftlichen Angeboten führen wird, mit denen man die Wahlfreiheit realisieren könnte?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gibt schon jetzt privatwirtschaftliche Angebote; darüber hinaus gibt es betriebliche Angebote und auch Überlegungen, den Einsatz von Tagespflegepersonen zu intensivieren. Darüber wird auf Länderebene diskutiert. Es gibt ländliche Regionen, die bereits bestens ausgestattet sind, auch im Westen unseres Landes und in den Flächenländern. Andere Regionen hingegen sind längst noch nicht so weit. Zwischen den Kommunen herrscht ein Wettbewerb; das ist auch völlig in Ordnung. Das hat es bei familienpolitischen Entwicklungen immer gegeben. Einige Kommunen sind eben besonders engagiert, vielleicht engagieren sich dort auch ortsansässige Unternehmen besonders. Es ist jedenfalls nicht so, dass alle Kommunen, die die gleichen Voraussetzungen haben, immer auch zu gleichen Ergebnissen kommen. Denn das politische Engagement ist durchaus unterschiedlich. Wir gehen aber davon aus, dass das Ziel am Ende erreicht werden wird. Wir werden jedenfalls alles tun, die zusätzlichen Aktivitäten, die man von uns erbittet, auf den Weg zu bringen. Es geht nicht nur um die Schaffung von Kitaplätzen, sondern es geht auch um die Anstellung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine Aufgabe, die der Bund neben vielen anderen mit koordiniert. Wir beschäftigen uns damit und werden zu gegebener Zeit darüber Auskunft geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kues, wissen Sie, dass die Erzieherinnen von den Kommunen bezahlt werden müssen, diese aber finanziell schlecht dastehen, weil die Steuerumverteilung hin zu den Firmen und zu den Banken geht? ({0}) Wissen Sie auch, dass nach Berechnungen von Verdi 20 000 und mehr Erzieherinnen mit entsprechender Ausbildung fehlen? Ist Ihnen klar, dass das Betreuungsgeld bei der Bevölkerung daher so verstanden wird, dass es sich quasi um das Freikaufen von einem Rechtsanspruch handelt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich glaube, dass das Betreuungsgeld von der Bevölkerung noch gar nicht verstanden werden kann, weil es bislang noch kein fertiges Konzept gibt, über das man diskutieren könnte. Wir befinden uns vielmehr inmitten der Diskussion, wie man den Medien unschwer entnehmen kann. ({0}) Man wird darauf zu achten haben, dass ein Weg gefunden wird, der sachgerecht ist und der die Menschen nicht vom Arbeitsmarkt fernhält, sondern der letztlich die Wahlmöglichkeiten verbessert. Das ist der entscheidende Punkt. Im Übrigen weiß ich, dass es Tausende von arbeitslosen Erzieherinnen gibt. Mir ist bekannt, dass es ein Arbeitskräftepotenzial gibt, das für diesen Bereich bislang noch gar nicht aktiviert worden ist. Hier muss man sich etwas einfallen lassen. Was das im Einzelnen ist, wird von Kommune zu Kommune unterschiedlich sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Wunderlich auf: Geht die Bundesregierung davon aus, dass sich die finanzielle und soziale Lage von Alleinerziehenden und ihren Kindern nachhaltig durch die Einführung eines Betreuungsgeldes verbessert, oder eher davon, dass Alleinerziehende aufgrund des Betreuungsgeldes ihre Erwerbsbeteiligung reduzieren werden und in dessen Folge ihre Erwerbskarriere eher gebremst wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich sage ausdrücklich: Die Familienpolitik der Bundesregierung ist auf alle Familien ausgerichtet, unabhängig davon, nach welchem Modell sie leben. Sie zielt darauf ab, durch gute finanzielle, infrastrukturelle und zeitliche Rahmenbedingungen die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern und zu stärken. Mit dem Betreuungsgeld soll eine Leistung geschaffen werden, die im Zusammenwirken mit den übrigen Geld- und Infrastrukturleistungen der öffentlichen Hand eine bestmögliche Wahlfreiheit eröffnet. Der Staat hat den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Er muss ihnen aber helfen, dass sie so leben können, wie sie leben wollen. In diesem Zusammenhang stellt das Betreuungsgeld ein Element von vielen dar. Das gilt selbstverständlich auch für alleinerziehende Eltern. Die Vielfalt der Familienbetreuungsmodelle, die wir in Deutschland kennen, soll auf diese Art und Weise ausgebaut werden. Natürlich sollen und müssen Fehlanreize vermieden werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich muss vorwegschicken: Ich finde es bedauerlich, dass unsere Familienministerin bei diesem wichtigen Thema heute nicht hier ist. Inzwischen ist man dieses Verhalten von ihr aber gewohnt. Mich interessiert, auf welcher Basis die Bundesregierung zu ihren Äußerungen kommt, dass Alleinerziehende nicht schlechter gestellt würden. Ich denke, wir müssen nicht darüber streiten, dass für Alleinerziehende eine Erwerbstätigkeit ohne Kindergartenplatz nicht möglich ist und dass viele Alleinerziehende infolge eines fehlenden Kindergartenplatzes eben nicht arbeiten gehen können, sondern zu Hause bleiben müssen. Wenn sie dann mit 150 Euro als „Erziehungsleistungsanerkennungsprämie“ abgespeist werden - wie soll das die finanzielle Situation von Alleinerziehenden verbessern und das Armutsrisiko minimieren?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich sage es noch einmal ausdrücklich: Erstens. Es gibt einen Rechtsanspruch. Zweitens. Es wird daran gearbeitet - hier sind in erster Linie die kommunale und die Landesebene gefordert -, das Betreuungsangebot so auszugestalten, dass es tatsächlich die Möglichkeit gibt, eine solche Betreuung in Anspruch zu nehmen. Wir haben im Übrigen mittlerweile in einigen Ländern die Entwicklung, dass sehr stark auf Tagespflege gesetzt wird; das ist offenkundig im Interesse der Eltern. Man wird weiter zu beobachten haben, wie dies tatsächlich abläuft. Damit werden auch die Erwerbsmöglichkeiten der Alleinerziehenden verbessert. Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist absolut notwendig, dass man eine Chance bekommt - und zwar alle, nicht nur Alleinerziehende -, Kinder und Beruf, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Es ist gut, wenn die Menschen in möglichst hohem Umfange selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Das ist auch Ausdruck eines bestimmten Gesellschafts- und Menschenverständnisses. Ich sage ausdrücklich: Deswegen sind wir für ein Betreuungsangebot.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerade haben Sie gesagt: Wir beobachten das. - Vorhin, auf die Nachfrage von Frau Dr. Enkelmann, haben Sie gesagt: Wir überlegen das. - Die Familienpolitik der Bundesregierung kann doch nicht nur aus Beobachten und Überlegen bestehen. ({0}) Schon vor Jahren ist darauf hingewiesen worden, dass 14 000 qualifizierte Erzieherinnen fehlen werden, wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt. ({1}) Es ist darauf hingewiesen worden, dass diese Fachkräfte ausgebildet werden müssen. Seitens der Regierung erfolgte keine Reaktion.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das ist ja nicht wahr.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Inzwischen sind es - die GEW sagt das Gleiche 20 000 Fachkräfte, die fehlen. Sie sagen jetzt hier: Es laufen genug herum; sie müssen im Grunde nur aktiviert werden. Woher nehmen Sie diese Überzeugung?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe nicht gesagt: Sie laufen herum und müssen nur aktiviert werden. ({0}) Ich habe gesagt: Es gibt ein Arbeitskräftepotenzial, das die qualifikatorischen Voraussetzungen erfüllt, um in diesem Bereich tätig zu werden. ({1}) Sie können sich bei der Bundesagentur für Arbeit erkundigen. ({2}) Dort ist mehrfach gesagt worden, dass dies der Fall ist. Ich sage nicht, unter welchen Bedingungen sie bereit sind, Erwerbsarbeit aufzunehmen, oder weshalb sie auf Erwerbsarbeit verzichten. Es ist so, dass wir regelmäßig Bund-Länder-Besprechungen durchführen, in denen wir darauf hinweisen, dass es notwendig ist, Ausbildungskapazitäten zu schaffen; das ist eine Aufgabe der Länder. Wir haben ein föderales System; das wollen wir auch nicht ändern. Der Bund hat aber darauf hinzuweisen - das ist seine Aufgabe - und hat Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass dies möglich ist. Wir haben Qualifizierungsprogramme auch für Erzieherinnen auf den Weg gebracht. Diese Programme zeigen tatsächlich Wirkung, sodass wir zu einer qualitativen Verbesserung kommen. Daran werden wir weiter arbeiten müssen; das ist völlig klar. Aber ich sage ausdrücklich: Das ist nicht in erster Linie die Aufgabe des Bundes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben vorhin, bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Wunderlich, eingangs gesagt, dass Sie für die Wahlfreiheit werben. Als Urliberaler bin auch ich für die Wahlfreiheit. Trotzdem verstehe ich das im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld nur rudimentär. Selbstverständlich soll jeder sein Familienleben so organisieren, wie er mag. Die Frage ist: Wofür gibt es staatliche Unterstützungsleistungen? ({0}) Ich verstehe nicht, was es mit Wahlfreiheit zu tun hat - ich bitte, das einfach zu erläutern -, dass jemand, der sich ganz frei dagegen entscheidet, eine staatliche Leistung, nämlich die Kinderbetreuung, in Anspruch zu nehmen wir müssen sie erst einmal flächendeckend implementieVolker Beck ({1}) ren, weshalb wir das Geld eigentlich dafür bräuchten -, eine Kompensationsleistung erhält. Das erstaunt mich etwas und führt mich fast zu der Frage, ob das in anderen Bereichen auch angedacht ist. Zum Beispiel wird das Kulturleben in der Regel von der Kommune oder vom Land bezuschusst. Kann ich irgendwo Geld abholen, wenn ich ein Jahr lang nicht in die Oper gehe? Kann ich irgendwo Geld abholen, wenn ich die Autobahnen nicht nutze, die auch vom Staat bereitgehalten werden? Wenn Wahlfreiheit bedeutet, dass man immer dann eine Kompensation erhält, wenn man ein Angebot des Staates nicht nutzt, dann müsste das in allen Bereichen, in denen sich der Bürger frei entscheidet, entsprechend gehandhabt werden. Welche Pläne liegen da vor, und was kostet so etwas?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Beck, es war vor 30, 40 oder 50 Jahren eine politische Entscheidung, zu sagen: Wir gehen davon aus - denn die Mehrheit der Bevölkerung lebte so, zumindest seinerzeit in den westlichen Ländern -, dass ein Elternteil über längere Zeit auf Erwerbstätigkeit verzichtet, wenn man Kinder und Familie hat. Daraus resultieren verschiedene sozialrechtliche Regelungen, die wir getroffen haben: beitragsfreie Mitversicherung usw. Dann haben wir mit breiter Mehrheit beschlossen, dass wir auch ein Kinderbetreuungsangebot brauchen, das über die Betreuung innerhalb der Familie hinausgeht. Wir haben gleichzeitig gesagt: Wir müssen Familien mit ausreichend Kindergeld ausstatten, vor allen Dingen Mehrkinderfamilien. Wir reden jetzt darüber, wie die Arbeitswelt gestaltet sein muss, sodass Familie und Beruf miteinander vereinbar sind, und zwar für Vater und Mutter bzw. Mutter und Vater - das sage ich ausdrücklich -, und darüber, ob es eine ergänzende Leistung für diejenigen geben soll, die sich in freier Wahl gegen eine staatliche Kinderbetreuung entscheiden. Darum geht es in der Diskussion. Grundlage war eine politische Entscheidung der Koalitionsspitze. Jetzt reden wir in aller Offenheit darüber, wie wir das Vorhaben konkret ausgestalten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollegin Dittrich.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben soeben eine Lanze für die Referatsleiterin bei der Ministerin gebrochen, die dort als alleinerziehende Mutter arbeitet. Sie haben sich in diesem Zusammenhang auf die Alleinerziehenden bezogen, die im Arbeitsleben stehen. Ich möchte mich auf die arbeitenden und armen Alleinerziehenden beziehen. Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld eine Alleinerziehende mit drei Kindern mindestens braucht, um aus Hartz IV herauszukommen? Nehmen wir an, sie verdient 8 Euro pro Stunde. Ein Stundenlohn von 8 Euro reicht nicht aus; denn bei einer 40-Stunden-Woche kommt sie auf 1 280 Euro. Rechnet man das Kindergeld für die drei Kinder dazu, dann ergibt das einen Betrag von ungefähr 1 830 Euro. Wenn sie Arbeitslosengeld II erhält - dies umfasst den Regelsatz für den Haushaltsvorstand; sie bekommt je nach Alter der Kinder unterschiedliche Regelsätze; je kleiner die Kinder, desto geringer sind die Regelsätze -, kommt die Frau unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs einer Alleinerziehenden über diesen Betrag. Das heißt, sie müsste ungefähr 1 800 Euro netto verdienen, damit es sich für sie überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Was für ein Bruttogehalt müsste sie dann bekommen? Um die 3 000 Euro. Was passiert mit dem Betreuungsgeld für diese aufstockende Mutter? Bekommt sie es, oder bekommt sie es nicht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie mit Ihrer Frage ausdrücken wollen. Sie haben Zahlen genannt, die belegen, wie viel man in Deutschland netto verdienen muss, um das auszugleichen, was man über Hartz IV bekommt. Sie werden nicht der Auffassung sein, dass die Leistungen, die man im Rahmen von Hartz IV erhält, wenn man Kinder hat, zu hoch sind. So habe ich Sie jedenfalls nicht verstanden. Sie haben einen Stundenlohn von 8 Euro genannt. Man könnte in diesem Zusammenhang wieder das Thema Mindestlohn aufgreifen; denn vieles, was in der Debatte genannt wird, löst das Problem, das Sie als Armut beschreiben, überhaupt nicht. Wir sind der Auffassung, dass für alle Menschen der Anreiz gegeben sein muss, auch dann Arbeit aufzunehmen, wenn man am Anfang nicht sehr viel verdient; das hängt von der Qualifikation ab. ({0}) Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen müssen wir in Bezug auf das Betreuungsgeld sehr genau darauf achten, dass man eine Alleinerziehende mit drei Kindern ({1}) nicht in die Situation bringt, in der sich die Aufnahme von Arbeit für sie überhaupt nicht rechnet, weil sie sagt: Ich habe nicht mehr, sondern faktisch weniger, wenn ich anfange, erwerbstätig zu werden. Diesen Aspekt wird man bei der Regelung des Betreuungsgeldes in aller Offenheit diskutieren müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Rix.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, wir sprachen gerade darüber, inwieweit es Überlegungen dazu gibt, dass das Betreuungsgeld, wenn es denn eingeführt wird, eventuell nicht an Familien ausgezahlt wird, die Hartz IV beziehen. Das wird damit begründet, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht vom Besuch einer Kindertagesstätte ferngehalten werden sollen. Geben Sie mir also recht, dass das Hauptargument, das SPD, Grüne und Linkspartei hier vortragen, nun fruchtet, nämlich dass man mit diesem Bonussystem Kinder von den Kindertagesstätten fernhält? Sehen Sie das zumindest in Bezug auf einen Teil der Bevölkerung nun ein?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich stelle zunächst einmal fest, dass die Haupt- oder Nebenargumente - wie immer Sie wollen - ideologisch wahnsinnig überfrachtet sind. ({0}) Wir werden uns sehr nüchtern mit der Situation beschäftigen, ({1}) auch mit den Aspekten, die eben schon angesprochen wurden, auch wenn sie vielleicht anders gemeint waren: Was bedeutet das eigentlich? Wann fehlt jeglicher Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen? Gerade dies zu beachten, muss eine Nebenbedingung für die Verabschiedung des Betreuungsgeldes sein. Ich bitte Sie aber um Verständnis, dass ich zu Einzelheiten nichts sagen kann; denn die politische Diskussion läuft erst jetzt an. Später wird man sich dann zu entscheiden haben. Es wird einen Gesetzentwurf noch vor dem Sommer geben. ({2}) Der Gesetzentwurf wird in das Kabinett eingebracht. Dann wird das Parlament darüber beraten. Danach wird man sehen, wie denn die konkreten Regelungen aussehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Golze.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Bei der Frage von Herrn Wunderlich ging es um den Schutz Alleinerziehender vor Armut und darum, wie dies mit dem Betreuungsgeld zu vereinbaren ist. Ich habe noch einmal nachgeschaut: Im Bildungsbericht des Bundes von 2010 steht, dass 43 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden ein Armutsrisiko tragen. 43 Prozent! Ich möchte Sie deshalb fragen: Arbeitet die Bundesregierung - und gerade das Bundesfamilienministerium - eigentlich mit derselben Vehemenz, wie Sie sich jetzt für das Betreuungsgeld einsetzen, an der Verbesserung des Unterhaltsvorschusses und des Kinderzuschlages sowie an der Ausweitung des Elterngeldes? Das alles sind übrigens Vorhaben, die im Koalitionsvertrag stehen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie sitzen ja schon einige Jahre im Familienausschuss, Frau Golze, und Sie werden mitbekommen haben, dass das Kindergeld erheblich erhöht worden ist, und zwar gestaffelt nach der Kinderzahl, dass der Freibetrag - weil wir dazu verpflichtet waren - erhöht worden ist und dass wir auch beim Kinderzuschlag erhebliche Mittel eingesetzt haben ({0}) und die diesbezüglichen Regelungen vereinfacht haben, um das noch einmal ausdrücklich zu betonen. Daran arbeiten wir weiterhin. Die Zahl, die Sie eben genannt haben, stimmt meines Erachtens, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe. Ich glaube, dass es wichtig ist, zu beschreiben, dass es Armut gibt. Noch wichtiger ist aber, aufzuzeigen, wie Wege aus der Armut aussehen können. Dazu trägt beispielsweise das neue Konzept zum Kinderzuschlag bei. ({1}) Wir haben gesagt: Durch den Kinderzuschlag werden Tausende aus der Armut, so wie wir sie definiert haben, herausgeholt. ({2}) Das ist der entscheidende Punkt. Das kann beim Betreuungsgeld durchaus auch der Fall sein. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ferner hat die nächste Frage.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Betreuungsgeld soll an diejenigen gezahlt werden, die darauf verzichten, ihr Kind in eine Einrichtung zu geben. Wie darf ich mir denn die Antragstellung vorstellen? Wie müssen die Antragsteller beweisen, dass sie keine Einrichtung in Anspruch nehmen? Müssen sie zum Beispiel von allen Einrichtungen in einem Umkreis von 50 Kilometern eine Bescheinigung bringen? Wird die Betreuung durch eine Kinderfrau dann mit 150 Euro bezuschusst? Ich kann mir nicht vorstellen - vor allen Dingen, wenn es ein Gesetz werden soll, das im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist -, wie das praktisch funktionieren soll. Bei welcher Bundesstelle soll denn dann das Betreuungsgeld beantragt werden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich bitte Sie um Verständnis, Frau Kollegin: Da der Gesetzentwurf noch nicht vorliegt und daher auch noch nicht beschlossen ist, kann ich zu Einzelheiten natürlich nichts sagen. Wie sollte ich auch? Über die Regelungen im Einzelnen wird nachgedacht werden müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Marks.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär Kues, Sie haben eben die Richtung angedeutet, die Sie eventuell beim Kinderzuschlag einschlagen wollen. Dabei handelt es sich um eine Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Gelb. Ich zähle dazu auch die Koalitionsvereinbarung bezüglich einer Weiterentwicklung beim Unterhaltsvorschuss. Ich möchte Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass Ministerin Schröder im Familienausschuss auf Nachfragen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass diese Vorhaben auf Eis gelegt worden sind. Nach Gesprächen, die mit dem Finanzminister und dem gesamten Kabinett geführt wurden - dabei ging es um die Finanzierungsvorbehalte -, würden diese Vorhaben erst einmal nicht weiter verfolgt. Insofern ist es doch ein bisschen erstaunlich, wenn Sie jetzt versuchen, den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, aber auch anderen interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern etwas anderes weiszumachen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut wie ich: Zum Unterhaltsvorschuss gibt es einen Kabinettsbeschluss bezüglich einer Entbürokratisierung. Das ist nicht ganz unkompliziert gewesen, weil 16 Bundesländer mit einbezogen werden müssen. Es gibt ausdrücklich keine Ausweitung in Bezug darauf - darüber wurde viele Jahre diskutiert -, wie der Unterhaltsvorschuss gezahlt werden soll. Er wird deswegen gezahlt, weil bestimmte Personen, die unterhaltsverpflichtet sind, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Das muss man ganz klar sehen; das ist der entscheidende Punkt. Über eine beliebige Ausweitung muss man zweimal nachdenken. Es ist aber auch richtig, dass eine Ausweitung, die zu finanziellen Folgen führen würde, derzeit auf Eis gelegt worden ist. Wir haben allerdings einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der mit allen Ländern abgestimmt worden ist. Es gibt zwar noch Diskussionsbedarf in der Koalition, wie damit weiter umzugehen ist; aber er ist im Kabinett beschlossen worden und kann irgendwann im Parlament beraten werden. Das Parlament entscheidet natürlich, wann und wie es das macht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt hat sich zwar der Kollege Wunderlich gemeldet, dessen nächste schriftlich eingereichte Frage ich gerne aufrufe, den ich aber nicht zu einer weiteren Zusatzfrage zu seiner vorherigen schriftlich eingereichten Frage aufrufen kann. Deswegen verfahren wir vielleicht so, dass ich jetzt die Frage 16 aufrufe, und wir dann schauen, ob es dazu Zusatzfragen gibt. ({0}) Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Wunderlich auf: Teilt die Bundesregierung das Ergebnis der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V., IW, wonach ein Angebot an Ganztagsbetreuung für die Kinder von Alleinerziehenden „nicht nur bereits kurzfristig das Wohlergehen der Kinder“ erhöhen und die „Armutsgefährdung der Familien“ senken würde, sondern „sich auch mittelfristig für die öffentliche Hand fiskalisch“ auszahlen wird - sogar für den Fall, dass die Kinderbetreuung elterngebührenfrei angeboten würde und bis 2030 die Mehreinnahmen aus Erwerbsbeteiligung der Alleinerziehenden und eingesparte Transferleistungen die Ausgaben sogar so stark übersteigen werden, dass sich eine jährliche Rendite von 4 Prozent ergeben würde?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Auch in der Frage 16 geht es dem Kollegen Wunderlich um die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden. Ich sage noch einmal, dass wir die Auffassung vertreten, dass eine gut ausgebaute, hochwertige Kinderbetreuung für Alleinerziehende besonders wichtig ist, dass sie und ihre Kinder dadurch unterstützt werden. Die Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft, die Sie ansprechen, nach der ein flächendeckendes Betreuungsangebot die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsaufnahme für Alleinerziehende erhöht und die besagt, dass Alleinerziehende dadurch eine bessere Einkommensposition erreichen, kennen wir. Diese Untersuchung wissen wir auch zu schätzen. Darum investieren wir in die öffentliche Infrastruktur. Ich sage es noch einmal: Wir wollen diese Bereiche nicht gegeneinander ausspielen. Wir investieren kräftig in die öffentliche Infrastruktur. Wie wir diese Untersuchung, die die Ministerin selbst vorgestellt hat, im Einzelnen bewerten, können Sie der Pressemitteilung vom 29. März 2012 entnehmen. Darin steht, wie sich Ganztagsbetreuung auf das Wohlergehen von Kindern auswirkt. Dem können Sie zumindest entnehmen, dass unter ganz bestimmten Bedingungen eine qualifizierte Ganztagsbetreuung absolut sinnvoll sein kann, sinnvoll ist - für Alleinerziehende, aber auch für deren Kinder.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist schön, dass inzwischen auch das Ministerium einsieht, dass so etwas sinnvoll sein kann. Vorhin ist immer wieder der Begriff Wahlfreiheit, der von der Regierung stark proklamiert wird, angesprochen worden. Worin sehen Sie denn die Wahlfreiheit einer Alleinerziehenden? Hat sie nicht letztlich nur die Wahl zwischen dem Betreuungsgeld und der vagen Hoffnung auf einen Kindergartenplatz? Worin liegt da nach Ihrer Überzeugung die Wahlfreiheit? Ist das die von Ihnen proklamierte Wahlfreiheit?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Wunderlich, Sie gehen wieder von der Hypothese aus - dazu habe ich eben schon etwas gesagt -, dass es ein ausreichendes Angebot nicht geben wird. ({0}) - Wir sind ja dabei, das aufzubauen. „Wir“, das sind die Länder. - Ich gehe davon aus, dass wir 2013 ein solches Angebot haben werden. Aufgrund der Hypothese, die Grundlage Ihrer Frage ist, kann ich Ihre Frage nicht beantworten, zumindest nicht, wenn ich das ernst nehme, was ich gerade gesagt habe. Ich gehe davon aus, dass es ein solches Angebot geben wird. Als wir ein solches Betreuungsangebot in der Breite noch nicht hatten, gab es auch keine Wahlfreiheit. In dieser Zeit ist man davon ausgegangen, dass man sich entweder um die Familie kümmert oder erwerbstätig ist. Wir wollen die Möglichkeit der Vereinbarkeit. Ich sage es noch einmal: Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen, sondern wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, zu wählen. Da gibt es verschiedene Varianten; darüber kann man diskutieren. Materielle Anreize sind notwendig; das hat aber auch etwas mit Zeitstrukturen und mit Arbeitsorganisation zu tun. Das hat auch etwas mit Betreuung zu tun. Ich sage ausdrücklich - das hat diese Studie gezeigt -: Ein gutes Betreuungsangebot kann eine sehr positive Wirkung haben. Das ist aber keine neue Erkenntnis des Ministeriums. Diese Studie ist ja schon vor etlichen Wochen vorgelegt worden. Ich sage das, weil Sie vorhin sagten, dass das Ministerium dies erst jetzt so sieht. Diese Studie haben wir selbst mit in Auftrag gegeben. Sie ist ja nicht innerhalb von wenigen Tagen entstanden. Wir wollten das nur belegt haben.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber nicht immer fallen die Ergebnisse von Studien wunschgemäß aus. Ich habe noch eine Nachfrage. Wenn irgendetwas Kosten verursacht, wird seitens der Bundesregierung immer kolportiert: Wir wollen keine Kosten verursachen; unsere Kinder sollen nicht auf Schuldenbergen spielen. Wie sieht es denn mit den Kosten des Betreuungsgeldes aus? Daniel Bahr, unser Gesundheitsminister, hat gesagt - ich möchte ihn zitieren -, wir würden damit zukünftige Generationen belasten: Besser wäre es, den Ausbau der Kinderbetreuung voranzutreiben. Das unterstützt Familien am besten. Wie sieht es mit den Kosten und mit der Verlagerung der Mittel innerhalb des Haushalts aus, wenn Kinder - das wäre ein Nebeneffekt - allein aus finanziellen Gründen nicht in den Kindergarten geschickt werden? Erstaunlich ist ja, dass das Betreuungsgeld 2013 eingeführt werden soll, also in dem Jahr, ab dem es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt. Diese miteinander konkurrierenden Säulen - so nenne ich das einmal - habe ich schon immer bemängelt. Wie hoch sind die dadurch entstehenden Kosten, und wie sieht es mit der Verlagerung der Mittel innerhalb des Haushalts aus, wenn das Betreuungsgeld auf Hartz IV angerechnet wird? Dann würde das Familienministerium durch das Betreuungsgeld zwar im Grunde Familien mehr fördern, aber im Arbeitsministerium würden Mittel eingespart. Nach außen könnte man dann damit glänzen, wie viel für Familien getan wird. Tatsächlich käme aber nicht 1 Euro mehr bei den Familien an.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Wunderlich, Sie waren heute Vormittag im Familienausschuss. Sie wissen, dass der Etat des Familienministeriums aufgrund einiger Veränderungen objektiv anwächst. Wir haben zudem eine ausgesprochen gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation. Es gibt mehr Menschen, die gut verdienen. Das ist positiv. Von daher steigt die Zahl derjenigen, die Anspruch auf das Elterngeld, zum Teil auch auf ein höheres Elterngeld, haben. Auch die Inanspruchnahme der Vätermonate spielt eine Rolle. Das alles sind positive Entwicklungen. Sie fragen nach den Auswirkungen. Ich bitte um Verständnis, dass ich Ihnen nach wie vor antworten muss, dass ich dazu im Einzelnen nichts sagen kann, solange die Nebenbedingungen nicht hieb- und stichfest sind. Im Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers für 2013, in dem nach dem berühmten Top-down-Verfahren aufgestellten Entwurf, sind - auch das wissen Sie 400 Millionen Euro für das Betreuungsgeld vorgesehen. Das ist Sachverhalt. Im Finanzplan sind, glaube ich, 1,2 Milliarden Euro für 2014 vorgesehen. Darüber wird dann später zu entscheiden sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage Frau Golze, danach Kollege Beck.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, auch ich frage noch einmal nach der Finanzierung. Die Argumentation, man müsse auf der einen Seite Kitaplätze schaffen und auf der anderen Seite das Betreuungsgeld für den Fall einführen, dass Eltern den Kitaplatz nicht nutzen, damit alle Eltern etwas davon haben, würde ich verstehen, wenn die Nutzung eines Kitaplatzes gebührenfrei wäre. Die Bundesregierung tut gerade so, als wären Kitaplätze ein Geschenk an die Eltern, das diese für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen gerne einmal vorrechnen, wie viel ich an Kitagebühren für meine beiden Kinder in den letzten Jahren gezahlt habe. Es ist doch eine Ungleichbehandlung der Eltern, wenn die einen für die Inanspruchnahme eines Kitaplatzes Geld zahlen müssen, während die anderen, die sich privat eine Kinderbetreuung organisieren, zusätzlich Geld bekommen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Situation in den Bundesländern und auch in den Kommunen ist sehr unterschiedlich. ({0}) Es gibt Bundesländer und Kommunen, die sich bei der Finanzierung von Kindergärtenplätzen und nicht nur bei der U-3-Betreuung sehr stark engagieren. Einige Kommunen investieren sehr viel Geld, während andere Kommunen andere - auch politische - Entscheidungen treffen. Man muss deutlich sagen, dass die Kommunen unterschiedliche Schwerpunkte setzen; denn sie können selbstständig darüber entscheiden. Zunächst einmal ist also zu beachten, dass es unterschiedliche Situationen gibt. Ich sage ausdrücklich - auch Sie waren heute Vormittag im Ausschuss -: Sie wollen alles Mögliche kostenlos anbieten. Herr Wunderlich hat einen entsprechenden Antrag vorgelesen. Dieser enthielt zehn, zwölf Punkte, an denen sozusagen kein Preisschild war, das zeigen würde, was die Chose kostet. ({1}) Das wurde nicht erwähnt; ich weiß das ganz genau. Sie fordern zum Beispiel, Kinderbetreuung absolut kostenlos anzubieten. Das alles kann man fordern, aber Sie sollten einmal die Kosten addieren; denn dann kommen Sie auf zweistellige Milliardenbeträge. Sie müssten auch einmal einen Halbsatz dazu verlieren, wie Sie das finanzieren wollen. Ich finde, dass das zu einer redlichen Politik dazugehört. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die Ministerin hat erklärt, dass sie sich an den Auftrag der Koalition, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, gebunden fühlt, solange die Koalition an dem Betreuungsgeld festhält. Auch wenn das nicht nach großem Engagement klingt, kann man ja davon ausgehen, dass es in Ihrem Haus Vorüberlegungen zur Ausgestaltung eines entsprechenden Gesetzentwurfs gibt. Deshalb wollte ich hinsichtlich des Aspekts, den Kollegin Ferner schon angesprochen hat, nachfragen. Sie haben gesagt, dass Sie mit dem Gesetzentwurf noch nicht fertig sind. Das ist okay. Mich interessiert: Welche unterschiedlichen Modelle und Verfahren für den Nachweis der Nichtinanspruchnahme von staatlichen Betreuungsleistungen in Kindergarteneinrichtungen werden im Ministerium erwogen? Ich verstehe, dass Sie sich noch nicht festgelegt haben, aber Sie müssen doch schon Nachweismodelle entwickelt haben. Ich würde gerne erfahren, um welche Modelle es sich handelt, damit wir uns ein Bild von den rechtlichen Verfahren und dem bürokratischen Aufwand machen können, der mit der Gewährung des Betreuungsgeldes verbunden sein wird.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Kollege Beck, einige Bundesländer haben ein Betreuungsgeld, teilweise ein Landeserziehungsgeld, entwickelt. Auch andere Nationen haben dies gemacht. Das alles wird man einbeziehen müssen, wenn man sich über die konkreten Regelungen Gedanken macht. Eine Regelung für Deutschland ist ein ganz eigenes Thema, weil wir ein sehr differenziertes familienpolitisches Leistungssystem haben. ({0}) - Ja. - Natürlich beschäftigt sich ein Ministerium mit allen Varianten; ({1}) es wäre ja völlig unverantwortlich, das nicht zu tun. Es gibt viele Rechenmodelle. Ich werde in dieser Fragestunde allerdings nur über Dinge berichten, die abgeschlossen sind. ({2}) Ich kann Ihnen nicht berichten, welche Varianten es im Einzelnen gibt; im Prinzip kennen Sie sie ja, wenn Sie sich mit dieser Thematik beschäftigen. Zu gegebener Zeit wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der zwischen den Ressorts abgestimmt ist. Dann wird man darüber politisch diskutieren können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich vermute, wir beide sind uns einig, dass die Bundesregierung zu einem Thema, das in der Öffentlichkeit große Resonanz findet und über das breit diskutiert wird, wenig aussagekräftig antwortet. Der Kollege Staatssekretär ist nicht in der Lage, auf einfache Fragen zu antworten. Ich beantrage deswegen auf Grundlage unserer Richtlinien für Aktuelle Stunden die Durchführung einer Aktuellen Stunde zum Thema Betreuungsgeld.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich nehme das zur Kenntnis und fahre zunächst einmal mit unserer Fragestunde fort. Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Heidrun Dittrich auf: Mit welchen Auswirkungen rechnet die Bundesregierung auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern infolge der Einführung des Betreuungsgeldes unter der Berücksichtigung der Präsident Dr. Norbert Lammert neuen Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. bzw. des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V., und mit welchen Folgekosten rechnet die Bundesregierung insgesamt - unter Berücksichtigung der Sozialkassen, Steuereinkünfte und langfristigen Prognosen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe dazu eben etwas gesagt. Weil diese Frage einer anderen Frage, die ich schon beantwortet habe, ähnlich ist - Sie konnten ja nicht wissen, wer welche Frage einreicht -, werde ich ähnlich antworten. Wir werden darauf achten, dass Fehlanreize vermieden werden. Im Übrigen trägt das Betreuungsgeld dazu bei, bestmögliche Wahlfreiheit zu ermöglichen. Die konkrete Ausgestaltung ist noch nicht geklärt. Daran wird gearbeitet, wenn die politischen Entscheidungen gefallen sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfragen? - Bitte schön.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe zu dieser Frage eine Zusatzfrage. Kommt es nicht einem Verbot der Erwerbstätigkeit von Müttern gleich, wenn ihnen Betreuungsmöglichkeiten vorenthalten werden? 150 Euro im Monat können das wirklich nicht ausgleichen. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe eben eine Antwort darauf gegeben. Müttern sollen keine Betreuungsmöglichkeiten vorenthalten werden. Wir wollen, dass es ein breites Betreuungsnetz gibt. Daran wird gearbeitet, auf Bundesebene, auf Landesebene und vor allen Dingen auf kommunaler Ebene.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen?

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich die Frage 18 der Kollegin Heidrun Dittrich auf: Geht die Bundesregierung davon aus, dass Eltern auf die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes zugunsten des Betreuungsgeldes verzichten, und welche Konsequenzen hat dies für die Kinder in Anbetracht dessen, dass frühkindliche Bildung am besten in Betreuungseinrichtungen gewährleistet werden kann? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Bundesregierung hat keine Veranlassung für eine solche Annahme.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte sehr.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine erste Zusatzfrage: Würde die Bundesregierung auch dann an der Einführung des Betreuungsgeldes festhalten, wenn sie sicher wüsste, dass ein Kind nur wegen des Bezugs des Betreuungsgeldes aus der Kindertagesstätte genommen wird und ihm damit die frühkindliche Bildung in Gemeinschaft vorenthalten wird?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich kann Ihnen ausdrücklich sagen, dass die Struktur des Betreuungsgeldes überhaupt noch nicht feststeht. Deswegen kann ich darauf keine Antwort geben. Wir werden dafür sorgen, dass die Struktur bzw. die Konstruktion so sein wird, dass es keine Fehlanreize gibt. Wir sind im Übrigen, wie in der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten, der festen Überzeugung, dass die beste Erziehung in der Familie erfolgt und dass Eltern die wichtigsten Erziehungspersonen sind. Insofern sind wir der Auffassung, dass man die öffentliche Betreuung nicht glorifizieren sollte. Sie hat unter bestimmten Bedingungen eine wichtige Funktion. Aber es muss beides nebeneinander geben.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage: Wenn die Bundesregierung für Kinder Geld ausgeben möchte, warum wird nicht einfach der Betrag von 150 Euro, der für das Betreuungsgeld vorgesehen ist, auf den Regelsatz für Kinder aufgeschlagen? Dann gäbe es weniger Kinderarmut. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zur Kinderarmut habe ich eben schon etwas gesagt. Es ist wichtiger, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Eltern und damit die ganze Familie aus der Armut herauskommen können, das heißt, es müssen Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. In den letzten Jahren hat es für die Eltern, die aus der Erwerbslosigkeit herauskommen möchten, nie eine so günstige Situation wie gegenwärtig gegeben. Über 1 Million Langzeitarbeitslose - sie waren mehr als ein Jahr lang arbeitslos - haben es geschafft, jetzt wieder am Erwerbsleben teilzunehmen. Das ist eine ganz wichtige sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Entwicklung. Das schafft nicht nur Arbeit für Vater und Mutter, sondern holt die Familien auch aus der Armut heraus. Das beste Mittel zur Armutsbekämpfung ist eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe jetzt die Frage 19 der Kollegin Caren Marks auf: Wann legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Betreuungsgeldes vor - bitte Datum nennen -, und stimmt sie derzeit einen Referentenentwurf zwischen den Bundesressorts ab? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Kollegin Marks fragt - das ist nicht überraschend auch nach dem Betreuungsgeld. Ich habe die Frage eben schon einmal im Zusammenhang beantwortet. Bis zum Sommer soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Dieser Gesetzentwurf wird nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung natürlich zwischen den Ressorts abgestimmt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Erste Nachfrage, Frau Kollegin Caren Marks.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, meine Frage war, ob es diesbezüglich schon einen Referentenentwurf gibt, der sich in der Abstimmung befindet. Sie beziehen sich in Ihrer Antwort auf einen Gesetzentwurf. Das schließt die Option, dass ein Referentenentwurf schon in der Abstimmung ist, ja nicht komplett aus. Darum frage ich noch einmal gezielt nach dem Referentenentwurf nach. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Es gibt keinen Referentenentwurf, der sich in der Abstimmung befindet. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das war noch nicht die zweite Nachfrage, sondern nur ein Zwischenruf. ({0}) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich glaube, dann hätten Sie den Entwurf auch schon. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir gehen geordnet vor. - Bitte schön, Frau Caren Marks.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit, eine zweite Nachfrage zu stellen. Herr Staatssekretär, können Sie mir beantworten, wie es um die Überlegungen steht, die die Ministerin vor einigen Tagen angedeutet hat, seitens des Ministeriums überhaupt keinen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld vorzulegen, sondern die Arbeit ausschließlich in die Hände der schwarz-gelben Regierungsfraktionen zu legen, weil sie wahrscheinlich keine Lust hat, durch den Streit sowohl innerhalb der Regierungskoalition als auch in der Öffentlichkeit - die öffentliche Meinung hinsichtlich des Betreuungsgeldes ist ja mehrheitlich ganz klar ablehnend - noch weiter negativ in der Kritik zu stehen? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich sage ausdrücklich: Ich kenne keine derartige Äußerung der Ministerin. Das war eine Spekulation in den Medien. In den Medien steht vieles, aber das ist nicht immer das, was sich tatsächlich abspielt, sondern das, was jemand meint, beobachtet zu haben. Dies wird dann eben geschrieben. Das ist ja auch möglich. Ich gehe davon aus, dass sich die Koalitionsfraktionen in einem geordneten Verfahren darüber verständigen, wie sie das gestalten wollen. Ich sage ausdrücklich: Sie haben sich darauf verständigt, einen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld einzubringen. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass dies entsprechend umgesetzt wird. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Das waren die beiden Nachfragen. Ich rufe jetzt die Frage 20 der Kollegin Caren Marks auf: Welche Annahmen liegen der Berechnung der Kostenschätzung für ein Betreuungsgeld ({0}) zugrunde, und ist beim Betreuungsgeld eine finanzielle Beteiligung der Länder vorgesehen? Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Der Koalitionsausschuss hat am 6. November 2011 beschlossen, im Jahre 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 100 Euro für das erste Lebensjahr des Kindes und ab dem Jahre 2014 in Höhe von 150 Euro für das zweite und dritte Lebensjahr des Kindes einzuführen. Die Bundesregierung will damit eine Leistung schaffen, die die Eltern in ihrer Wahlfreiheit hinsichtlich der Kinderbetreuung unterstützt und die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten entsprechend stärkt. Bei den Eckwerten des Regierungsentwurfs für 2013 ist Vorsorge getroffen worden: 0,4 Milliarden Euro in 2013 und 1,2 Milliarden Euro ab 2014. Das ist das, was im Moment Beschlusslage ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage. Bitte schön, Frau Caren Marks.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, meine Frage wurde leider in keiner Weise beantwortet. Ich habe nicht nach den Kosten gefragt, sondern meine Frage war, welche Annahmen der Kostenschätzung zu20560 grundeliegen. Es interessiert mich, ob Sie auf meine Frage, die eigentlich ziemlich klar formuliert ist, vielleicht eine klare Antwort geben könnten. Das würde mich außerordentlich freuen. Zum anderen überrascht mich die Kostenschätzung grundsätzlich, da Sie in Ihren Antworten auf die vorherigen Fragen mehrfach angeführt haben, dass das Ressort mit Blick auf die Abstimmung innerhalb des Ressorts, erst recht mit Blick auf die Abstimmung im Kabinett noch völlig im Unklaren darüber ist, wohin die Reise beim Betreuungsgeld insbesondere hinsichtlich der Details geht. Insofern ist es vielleicht ein bisschen schwierig, mit den Zahlen zu jonglieren, wie Sie das gerade eben getan haben. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich kann nur die Zahlen nennen, die im Haushaltsentwurf enthalten sind, der demnächst ins Kabinett gehen wird und dort nach Lage der Dinge Mitte Juni beschlossen wird. Das, was ich habe, sind handfeste Zahlen. Den Zahlen liegt die Schätzung zugrunde - ich habe jetzt keine genaue Zahl präsent -, wer das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen wird. Ich kann Sie darüber aber im Einzelnen gerne informieren. Das ist das, was konkret vorliegt. Ich kann ansonsten nur allgemein antworten, solange noch kein konkreter Gesetzentwurf vorliegt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachfrage.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die zweite Nachfrage. - Herr Staatssekretär, ich schließe also daraus, dass Sie zwar eine nur sehr vage Vorstellung davon haben, wie das Betreuungsgeld ausgestaltet wird, aber trotz dieser Unwägbarkeiten sehr konkrete Vorstellungen davon haben, was es kostet. Es ist für mich ein bisschen schwierig, das miteinander zu kombinieren, aber mit der Weisheit Ihres Hauses wird das sicherlich gelingen. Meine Nachfrage bezieht sich auf den zweiten Teil meiner Frage. Ich möchte gerne nachhaken, wie es mit der finanziellen Beteiligung der Länder aussieht. Sie argumentieren immer damit, dass das Betreuungsgeld eine Kompensation für diejenigen ist, die die staatlich geförderten Kitaplätze nicht in Anspruch nehmen. Nun ist es so - auch das wurde hier von mehreren Kolleginnen und Kollegen wiederholt ausgeführt -, dass am Ausbau der Kitaplätze, insbesondere auch der U-3-Plätze, alle staatlichen Ebenen, Bund, Länder und insbesondere die Kommunen, finanziell maßgeblich beteiligt sind. Insofern ist es doch ein bisschen aberwitzig, wenn die finanzielle Ausstattung des Betreuungsgeldes, wie Sie es bei der Kostenschätzung bisher angedeutet haben, ausschließlich beim Bund liegt. Ist da eine Beteiligung vorgesehen? Wenn nein: Wie erklären Sie das? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt zu Einzelheiten nichts weiter sagen kann. Warten Sie doch ein wenig ab, bis der Gesetzentwurf vorliegt. Dann können wir mit handfesten Fakten argumentieren. ({0}) Ich glaube, das ist der Sache dienlicher. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Wir kommen zur Frage 21 unseres Kollegen Matthias Birkwald: Trifft es zu, dass nach den derzeitigen Plänen der Bundesregierung Familien im Hartz-IV-Bezug für ihre zu Hause betreuten Kinder kein Betreuungsgeld erhalten sollen bzw. dieses vollständig auf die Leistungen angerechnet werden soll und somit ihre Kinder am Ende ohne Frühförderung und die Eltern ohne Anerkennung ihrer Betreuungsleistung dastehen, und wie ist dies in Einklang zu bringen mit der Erkenntnis, dass insbesondere Kinder aus sozial schwachen Schichten zur Erlangung einer Chancengleichheit bestmögliche Förderung benötigen? Herr Staatssekretär. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Birkwald, ich habe eben in einem anderen Zusammenhang schon einmal erläutert, dass das Betreuungsgeld so ausgestaltet werden muss, dass es den Bedürfnissen der Familien tatsächlich Rechnung trägt - ich kann nicht anders, als das zu wiederholen, weil das im Endeffekt die gleichen Fragen sind -, und dass die konkrete Ausgestaltung des Betreuungsgeldes geprüft wird. Ich sage Ihnen als Arbeitsmarktpolitiker jetzt noch einmal, dass man sehr genau hinschauen muss, wie sichergestellt werden kann, dass es sich für denjenigen, der daran interessiert ist, eine Arbeit aufzunehmen - ich gehe davon aus, dass das bei den meisten Hartz-IV-Empfängern der Fall ist -, tatsächlich rechnet, dass etwas übrig bleibt, dass er mehr im Portemonnaie behält, wenn er eine Arbeitsstelle hat. Deswegen dürfen vom Betreuungsgeld keine falschen Anreize ausgehen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Birkwald.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Dann will ich meine Frage anders einleiten. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 hatte die Bundesregierung das Elterngeld für Hartz-IV-Betroffene bereits gestrichen: 300 Euro weniger pro Monat oder 3 600 Euro im ersten Lebensjahr des Kindes. Nun sollen - jedenfalls nach allen Berichten, die wir in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten erhalten haben Hartz-IV-Betroffene kein Betreuungsgeld erhalten. Das wären dann 150 Euro weniger pro Monat oder weitere 3 600 Euro im zweiten und dritten Lebensjahr. Im Gesetzentwurf zum Kinderförderungsgesetz der Fraktionen der Union und der SPD aus dem Jahr 2008, also zuzeiten der Großen Koalition, hieß es zum Betreuungsgeld, damit - ich zitiere - „die herausragende Leistung der Eltern bei der Erziehung des Kindes zu würdigen“. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass ihr die Erziehungsarbeit während der ersten drei Lebensjahre in Hartz-IV-Familien 7 200 Euro weniger wert ist als in allen anderen erdenklichen Familien, zum Beispiel in einer Managerfamilie mit einer in Teilzeit erwerbstätigen Ehefrau und Mutter? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sie wissen, dass wir als Begründung für die Anrechnung des Elterngeldes für diejenigen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, gesagt haben: Hartz IV muss so gestaltet sein, dass es auskömmlich ist. Es ist auch keine Leistung, die für Jahre vorgesehen ist, sondern eine Leistung, die dann gezahlt wird, wenn jemand trotz intensiver Bemühungen oder meinetwegen deswegen, weil er bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt, keine Arbeit bekommt. Das ist insofern eine vorübergehende Finanzierung. So ist das gedacht. Der Hartz-IV-Empfänger mit seinen zwei bis drei Kindern bekommt natürlich höhere Familienleistungen, ({0}) weil das, was im Bereich von Hartz IV an Kinderleistungen gezahlt wird, höher ist als das Kindergeld. Denn man geht etwa im Vergleich zum Geringverdiener davon aus, dass er einen Teil seines Einkommens für seine Kinder einsetzt. Das ist selbstverständlich, und das tun die Eltern in der Regel auch sehr gerne. Das ist in diesem Fall die Begründung dafür. Vor diesem Hintergrund wird man auch beim Betreuungsgeld diskutieren müssen, dass damit keine falschen Anreize gesetzt werden. Darüber kann man dann noch im Einzelnen reden. Von Ihrer Seite wurde eben schon einmal eine Frage gestellt, bei der aufgelistet worden ist, was jemand, der nicht erwerbstätig ist, jetzt schon bekommt. Der eine oder andere, der sein Geld im niedrigen Einkommensbereich verdient - Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr -, wird sich gewundert haben, was ihm, verglichen mit dem, was ein anderer netto übrig hat, netto bleibt. Man kann das natürlich entsprechend erhöhen, aber wir halten das für problematisch.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Kollege Birkwald.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir sind uns doch wohl einig, dass Kinder in HartzIV-Familien diejenigen mit dem größten Armutsrisiko sind und dass genau diese Familien familienpolitische Leistungen am dringendsten bräuchten. Das gilt sowohl für das Elterngeld als auch für das Betreuungsgeld. Wenn jetzt die offizielle Begründung für das Betreuungsgeld lautet, dass Eltern eine größere Wahlfreiheit eingeräumt werden soll - das haben Sie auch heute mehrfach gesagt -, frage ich Sie: Warum sollen dann betuchte Eltern das Betreuungsgeld erhalten und es für eine im privaten Haushalt angestellte Kinderfrau ausgeben dürfen - das ist ja durchaus vorgesehen -, und warum haben Hartz-IV-Betroffene diese Wahlfreiheit nicht? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir können darüber nicht diskutieren, weil es diese Regelung noch gar nicht gibt. Es gibt noch keinen Gesetzentwurf. Wenn es einen solchen Gesetzentwurf gäbe, dann könnten wir uns darüber austauschen. ({0}) Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen. Es hängt auch davon ab, welche Zielsetzungen man konkret verfolgt. Davon hängt auch die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes ab. Dann kann über solche Zusammenhänge diskutiert und entschieden werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen jetzt zur Frage 22 ebenfalls unseres Kollegen Matthias Birkwald: Wie beurteilt die Bundesregierung die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. über Betreuungsgeldleistungen in den skandinavischen Ländern, wonach vor allem Mütter mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund Betreuungsgeld beziehen und sich das Betreuungsgeld somit negativ auf die Beschäftigungssituation von Müttern auswirkt und Nachteile bei der frühkindlichen Bildung zur Folge hat, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Erkenntnissen dieser Studie, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Norwegen und Schweden über eine Abschaffung des Betreuungsgeldes diskutiert wird? Herr Staatssekretär. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zu Ihrer Frage sage ich noch einmal ausdrücklich: Das Betreuungsgeld soll so konzipiert werden, dass jungen Eltern im Zusammenwirken mit den übrigen Leistungen, die es gibt - Geld und Infrastruktur -, tatsächlich eine Wahlfreiheit eröffnet wird und dass den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. ({0}) Alle bislang vorgelegten Studien zu Modellen und Konzepten sind deswegen nicht übertragbar, weil das Betreuungsgeld der Bundesregierung differenzierter ausgestaltet wird als bisher herangezogene Modelle. Insofern sagen diese Studien wenig aus.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie will denn die Bundesregierung bei ihrer Gestaltung verhindern - wie Sie mehrfach gesagt haben, erarbeiten Sie gerade den Gesetzentwurf und hätten die Chance dazu -, dass sich das Betreuungsgeld genauso wie in Finnland, Schweden und Norwegen eindeutig geschlechtsspezifisch zulasten von Frauen auswirkt und so wie in Finnland die Position der Frauen in der Gesellschaft insgesamt schwächt, wie in Norwegen die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Eltern stärkt oder wie in Schweden dazu führt, dass das Einkommen von Frauen sinkt, weil sie eher als Männer aufgrund des Betreuungsgeldes ihre Erwerbsarbeit und damit ihr Erwerbseinkommen verringern? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Es wird die hohe Kunst sein, das Betreuungsgeld so auszugestalten, dass die negativen Effekte, die Sie beschrieben haben, nicht eintreten. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wenn wir wieder Ruhe haben, dann können Sie Ihre zweite Frage stellen, Herr Birkwald.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Das heißt, das Betreuungsgeld wird kommen; das haben Sie gerade wohl gesagt. Werden denn Frauen, die es ohnehin schon schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben, wie alleinerziehende Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen mit sogenannten geringen Qualifikationen, nicht durch das Betreuungsgeld ermutigt bzw. geradezu ökonomisch gedrängt, ihre Arbeitsplatzsuche aufzugeben, und könnte sich das Betreuungsgeld somit als Schweigeprämie für ohnehin auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligte erweisen? Wie wollen Sie das verhindern? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wenn Sie eben alles verfolgt haben, was ich gesagt habe - davon gehe ich einmal aus -, ({0}) dann wissen Sie, dass ich ausdrücklich gesagt habe, dass das nicht der Fall sein soll. Vielmehr muss das Betreuungsgeld so ausgestaltet sein, dass auch für Menschen im unteren Einkommensbereich Erwerbsanreize gegeben sind, dass sich Arbeiten lohnt. Das beißt sich teilweise mit Theorien, die eben vertreten worden sind. Arbeiten muss sich auf jeden Fall lohnen. Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Sonst würde das Betreuungsgeld falsche Anreize setzen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Es gibt eine Nachfrage unserer Frau Kollegin Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, darf ich Ihre letzte Antwort so verstehen, dass Sie jetzt, wo Sie Hemmnisse insbesondere für die Erwerbstätigkeit von Frauen beseitigen wollen, die Beseitigung des Ehegattensplittings in Angriff nehmen? Nachgewiesenermaßen müssen verheiratete Frauen, die heutzutage aufgrund der fehlenden Infrastruktur für ihre Kinder nur verkürzt, zum Beispiel sechs Stunden, arbeiten können, zwölf Stunden arbeiten, um aufgrund der Regelung des Ehegattensplittings überhaupt einen adäquaten Lohn zu bekommen. Das Ehegattensplitting wirkt gerade für Frauen, die nur wenige Stunden arbeiten, arbeitsmarktabweisend, weil es sich für die Betreffenden in Steuerklasse V nicht lohnt. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Beseitigung des Ehegattensplittings ist nicht geplant. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Damit beenden wir diesen Geschäftsbereich. Ich weise geschäftsleitend darauf hin, dass die Koalitionsfraktionen beantragt haben, nach dem entsprechenden zeitlichen Ablauf der Fragestunde kurz zu unterbrechen. Ich beabsichtige daher, gegen 16 Uhr die Aktuelle Stunde aufzurufen. Jetzt machen wir mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit weiter. Hier werden alle Fragen schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 23 und 24 des Kollegen René Röspel sowie die Frage 25 der Kollegin Kathrin Vogler. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 unserer Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung nach dem Entscheid des BundesverwalVizepräsident Eduard Oswald tungsgerichts Leipzig, das das Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt am Main von 23 bis 5 Uhr bestätigte und das Kontingent für die Gesamtnacht auf 133 Flüge beschränkte, sowie der Entscheidung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, künftig zwischen 0 und 5 Uhr Passagierflüge am Flughafen Köln/Bonn zu verbieten, um bundeseinheitliche Standards für Nachtflugregelungen zu schaffen, die einerseits eine Standortkonkurrenz nach Maßgabe gestatteter Nachtflüge verhindern und andererseits den berechtigten Erwartungen der Anwohner nach einem umfassenden Lärm- und Gesundheitsschutz nachkommen? Herr Staatssekretär, ich bitte.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Enkelmann, die Antwort auf Ihre Frage lautet: Soweit dies anhand des bisher ausschließlich veröffentlichten Tenors des Urteils erkennbar ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zum Nachtflug am Flughafen Frankfurt am Main seine bisherige Rechtsprechung zu den zu beachtenden Vorgaben zum Schutz der Anwohner im Rahmen der Nachtflugregelung an den Flughäfen Leipzig/Halle und Berlin Brandenburg International fortgeführt. Das Urteil bezieht sich allerdings fallspezifisch auf die Besonderheiten des Verfahrens zum Frankfurter Flughafen. Ob sich aus der noch ausstehenden Begründung des Urteils allgemeingültige Aussagen ergeben, die einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzeigen, bedarf einer sorgfältigen Prüfung, die aber naturgemäß erst nach der vollständigen Veröffentlichung der Entscheidung möglich ist. Grundsätzlich geht die Bundesregierung davon aus, dass das aktuelle Regelwerk im Luftverkehrsgesetz und im Fluglärmgesetz eine geeignete Grundlage für den Luftverkehr in Deutschland darstellt. Im Hinblick auf bundeseinheitliche Standards für Nachtflugregelungen wäre zu berücksichtigen, dass die Übertragung der Aufgaben im Zusammenhang mit der Genehmigung und Planfeststellung von Flughäfen sowie auch mit nachträglichen Betriebsregelungen an die Länder erfolgt ist, weil diese die größere Sachnähe haben und daher lokale Besonderheiten in die entsprechenden Entscheidungen einbeziehen können. Diese Flexibilität, zum Beispiel besondere Siedlungssituationen im Sinne der Anwohner bei den Betriebsregelungen berücksichtigen zu können, würde eine bundeseinheitliche Regelung nicht ohne Weiteres gewährleisten können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Zunächst einmal weise ich darauf hin, dass wir heute den bundesweiten Tag gegen den Lärm haben. Insofern passt die Frage ganz gut. Sie haben deutlich gemacht, dass die Bundesregierung offenkundig nicht vorhat, weiter darüber nachzudenken. Das Umweltbundesamt hat allerdings andere Ansichten, insbesondere was zum Beispiel die im Fluglärmgesetz festgelegten Grenzwerte anbetrifft. Der Chef des Umweltbundesamtes geht davon aus, dass die Fluglärmgrenzwerte, die heute dort festgelegt sind, zu hoch sind, was gesundheitsschädigend ist, Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System hat und weitere gesundheitliche Probleme verursacht, die inzwischen nachgewiesen sind. Meine erste Frage lautet: Die Regierung sieht auch hier keinen Handlungsbedarf?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin, Ihre Frage bezog sich auf die Planfeststellungen und die Betriebsgenehmigungen der Flughäfen in Frankfurt und Berlin. Diese sind nicht Gegenstand einer Regelung des Fluglärmgesetzes. Das Fluglärmgesetz wird mit herangezogen, wenn eine solche Planfeststellung gemacht wird. Wir sehen aber gegenwärtig keine Notwendigkeit, den Rechtsrahmen zu ändern. Es gibt natürlich laufend Diskussionen und Forschungen über Gesundheitsfolgen. Ich kann nicht ausschließen, dass diese Forschungen irgendwann einmal dazu führen, dass sich daraus ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf ableitet. Ihre Frage bezog sich auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf als Ergebnis des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zum Flughafen Frankfurt. Hier gibt es keine Querverbindung zum Fluglärmgesetz.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist bedauerlich. Könnte möglicherweise ein Grund dafür, dass Sie sagen, es gehe um Frankfurt am Main, aber Berlin und Leipzig/Halle gehe Sie nichts an, sein, dass ein Grundproblem bundesdeutscher Verkehrspolitik ist, dass wir bisher keine nationale Luftverkehrsplanung haben, sondern diese den Ländern überlassen ist? Wäre es nicht allerhöchste Zeit, mit Blick auf Kapazitäten im Luftverkehr über eine nationale Flugverkehrsplanung nachzudenken?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Dr. Enkelmann, das sehe ich anders. ({0}) Der Gesetzgeber hat das in § 31 des Luftverkehrsgesetzes ausdrücklich anders geregelt. Wir haben insgesamt in der Verkehrspolitik mit der Auftragsverwaltung der Länder für den Bund sehr gute Erfahrungen gemacht. Nehmen Sie zum Beispiel die Auftragsverwaltung der Länder beim Straßenbau. ({1}) Die Länder bauen in unserem Auftrag die Bundesfernstraßen, also die Bundesstraßen und die Bundesautobahnen, und das tun sie aus gutem Grund; denn sie sind sehr viel näher an den Problemen und kennen sehr viel genauer die Konflikte in den einzelnen Regionen. Ähnlich verhält es sich bei den Planfeststellungsverfahren für Flughäfen. Ich glaube, dass sich der Gesetzge20564 ber aus gutem Grund dafür entschieden hat, dass die Länder im Auftrag des Bundes tätig werden und Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. Möglicherweise trifft der Bundesgesetzgeber einmal eine andere Entscheidung, aber bisher hat er sie so getroffen. Deshalb kann ich Ihnen dazu keine andere Antwort geben als die, die ich Ihnen gegeben habe. Ich finde, es ist sachgerechter, wenn eine Behörde darüber entscheidet, die vor Ort ist und die die Konflikte vor Ort sehr genau kennt. Das haben wir gerade bei dem Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt gesehen. Dort ist die Genehmigungsbehörde das brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft. Ich glaube, dass es auch die bessere Behörde dafür ist, weil es sehr viel näher dran ist, als das beispielsweise das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig oder das Bundesverkehrsministerium sind.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie denken an die Lichterspiele. ({0}) Jetzt rufe ich die Frage 27 unserer Kollegin Bärbel Höhn auf: Wird der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, mit Blick auf das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen beschlossene Nachtflugverbot für Passagierflugzeuge am Flughafen Köln/Bonn von seinem Genehmigungsvorbehalt nach dem Luftverkehrsgesetz Gebrauch machen oder in sonstiger Weise eingreifen, um das Inkrafttreten des Nachtflugverbots zu verhindern oder zu verzögern? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Sie haben das Wort zur Beantwortung.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Präsident! Frau Kollegin Höhn, die Antwort auf Ihre Frage lautet: Das Luftverkehrsgesetz enthält keinen Genehmigungsvorbehalt für Maßnahmen, die die Länder hinsichtlich der Genehmigung und des Betriebs von Flughäfen ergreifen. Eine Einmischung in die entsprechende politische Ausrichtung des Landes NordrheinWestfalen hinsichtlich der Betriebszeiten der dortigen Flughäfen ist nicht beabsichtigt. Allerdings nehmen die Länder Aufgaben im Zusammenhang mit Flughäfen im Wege der Bundesauftragsverwaltung wahr. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Fach- und Rechtsaufsicht über entsprechende Maßnahmen der Länder.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, stimmt es denn, dass das Bundesverkehrsministerium dem Land Nordrhein-Westfalen vor der Entscheidung des Kabinetts für den Fall des Erlasses eines Nachtflugverbotes schriftlich ein fachaufsichtsrechtliches Eingreifen angedroht hat? Und was wollen Sie mit diesem fachaufsichtsrechtlichen Eingreifen erreichen? Bei der Beantwortung der Fragen der Kollegin Enkelmann haben Sie doch gesagt, dass die Länder die Kompetenz haben, eine solche Entscheidung zu treffen.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin Höhn, wir weisen gelegentlich darauf hin, dass wir als Bund die Fach- und Rechtsaufsicht ausüben. Das werden wir aber erst dann tun, wenn eine entsprechende Entscheidung durch das jeweilige Bundesland tatsächlich ergangen ist. Das ist im Fall von Nordrhein-Westfalen nach meiner Kenntnis bisher nicht der Fall. Wir wissen nur, dass eine Entscheidung beabsichtigt ist. Bisher ist aber kein förmlicher Bescheid an den Flughafenbetreiber ergangen. Deshalb gibt es für die Bundesregierung bisher auch weder eine Möglichkeit noch eine Notwendigkeit, Maßnahmen im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht zu ergreifen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Um das noch einmal ganz klar zu machen: Bedeutet die von Ihnen eben getroffene Feststellung, es gebe keine Notwendigkeit, fachaufsichtsrechtlich einzugreifen, dass aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums das Nachtflugverbot am Flughafen Köln/Bonn sofort nach Verkündung in Kraft treten kann - ja oder nein? Bedeutet das, dass es sofort nach Verkündung durch das Kabinett in Kraft treten kann und keine Intervention des Bundes erfolgt?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Nein, Frau Kollegin, das habe ich ausdrücklich nicht gesagt. Ich habe mich sehr präzise ausgedrückt. Zum einen habe ich ausgeführt, dass es keinen Genehmigungsvorbehalt des Bundesverkehrsministers für eine solche Entscheidung gibt. Der Bund kann erst dann fach- und rechtsaufsichtlich tätig werden, wenn dem Betreiber des Flughafens eine entsprechende Entscheidung zugegangen ist. Das ist bisher nicht der Fall. Der Kabinettsbeschluss allein ist für den Bund keine ausreichende Grundlage, um eine Prüfung vorzunehmen. Entscheidend ist, wie die zuständige Landesluftfahrtbehörde dem Flughafenbetreiber gegenüber agiert. Von ihrer Seite müsste dann ein entsprechender Bescheid ergehen. Das ist meines Wissens bisher nicht der Fall. Wir werden im Lichte einer solchen Entscheidung, wenn sie denn vorliegt, entscheiden, ob wir fach- und rechtsaufsichtlich tätig werden. Heute kann das aber keiner sagen. Das wäre pure Spekulation. Eine solche Entscheidung ist bisher seitens der Landesregierung und insbesondere der Landesluftfahrtbehörde an den Flughafenbetreiber nicht ergangen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Eine Nachfrage unseres Kollegen Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als Kölner Abgeordneter interessiert mich natürlich schon, was das, was Sie hier gerade so verklausulieren, für die Menschen im Ergebnis heißt. Wird die Bundesregierung gegen eine solche Regelung - deren Inhalt man sich ja denken kann, auch wenn man den Wortlaut des Bescheides, der das Nachtflugverbot für die in Rede stehende Zeit durchsetzt, im Einzelnen noch nicht kennt auf jeden Fall vorgehen? Oder wird sie nicht dagegen vorgehen; es sei denn, sie beinhaltet irgendetwas juristisch völlig Absurdes? Werden Sie das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen angekündigte Nachtflugverbot stoppen, oder werden Sie dem Land NordrheinWestfalen die Möglichkeit geben, die durch die Rechtsprechung geschaffene neue Lage zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in Flughafennähe auszugestalten?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Kollege Beck, diese Entscheidung muss man im Lichte des dann ergangenen Bescheides prüfen. Wir sind hier in einem Verwaltungsverfahren; dazu gibt es Voraussetzungen, die Sie kennen. ({0}) Natürlich kann diese Regierung erst dann rechts- und fachaufsichtlich tätig werden, wenn eine solche Entscheidung getroffen wurde. Bisher ist uns ein solcher Bescheid nicht bekannt. Deshalb gibt es für uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit - ich wiederhole mich -, hier fach- und rechtsaufsichtlich tätig zu werden. Das können wir erst dann, wenn eine solche Entscheidung der Landesluftfahrtbehörde dem Flughafenbetreiber zugesagt ist. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Eine weitere Nachfrage stellt unser Kollege Oliver Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich interpretiere Ihre Äußerungen jetzt so, dass die Bundesregierung es sich ausdrücklich vorbehält und auch in Erwägung zieht, ein fachrechtliches Eingreifen vorzunehmen und diese Entscheidung zu überprüfen. Mich interessiert, in welche Richtung dieses Eingreifen stattfinden soll - den Inhalt, das, was die Landesregierung beschlossen hat, kennen wir alle -: Wollen Sie, dass der Zeitkorridor noch weiter eingeschränkt wird, dass noch weniger Nachtflüge stattfinden, oder soll der Zeitkorridor ausgeweitet werden? Soll der Status quo beibehalten werden? Das würde mich einmal interessieren. In welche Richtung könnte ein solches Eingreifen gehen?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Verzeihen Sie, Herr Kollege: Das sind gleich zwei Suggestivfragen auf einmal. Sie unterstellen, dass eine bestimmte Entscheidung, zu der sich die Bundesregierung im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht verhalten müsste, schon getroffen wurde. Das ist aber nicht der Fall. Die Landesluftfahrtbehörde hat bisher keinen entsprechenden Bescheid mit einer Änderung oder der Rücknahme der Betriebsgenehmigung oder was auch immer erlassen. Wir haben bisher keine Kenntnis von einer solchen Entscheidung. Deshalb wäre es rein spekulativ, heute eine Aussage zu treffen, ob und gegebenenfalls wie die Bundesregierung die Fach- und Rechtsaufsicht ausüben wird. Diese Möglichkeit besteht immer. Dementsprechend ist unsere Zuständigkeit. Aber ich kann Ihnen heute, da es keine förmliche Entscheidung der Luftfahrtbehörde Nordrhein-Westfalen gibt, nicht sagen, in welcher Art und Weise und ob überhaupt die Rechtsund Fachaufsicht ausgeübt werden muss.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich erteile nun das Wort zu einer weiteren Nachfrage unserer Kollegin Ursula Heinen-Esser. ({0})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen eine Frage als Kölner Abgeordneter gestellt hat, frage ich ebenfalls als Kölner Abgeordnete den Staatssekretär: Habe ich es richtig verstanden, dass das nordrhein-westfälische Kabinett zwar einen Beschluss gefasst hat, aber bislang wohl noch keine Anweisung an die zuständige Behörde ergangen ist, diesen Beschluss auch tatsächlich umzusetzen? Ist also noch kein Bescheid an den Flughafen Köln/Bonn ergangen, sich damit zu befassen? Ist das richtig so, oder ist Ihnen vielleicht schon zu Ohren gekommen, dass es einen solchen Bescheid gar nicht gibt, weil es in die politische Landschaft in Nordrhein-Westfalen passt? ({0})

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Geschätzte Frau Kollegin, diese Frage möchte ich sehr gern beantworten. Für die Ausübung der Fach- und Rechtsaufsicht ist ein entsprechendes Tätigwerden, ein Verwaltungsakt, der Landesluftfahrtbehörde erforderlich. Die Landesluftfahrtbehörde muss an den Flughafenbetreiber, wenn sie am gegenwärtigen Genehmigungszustand irgendetwas ändern möchte, einen Bescheid verschicken. Nach Kenntnis des Bundesverkehrsministeriums liegt eine solche Entscheidung der Landesluftfahrtbehörde bisher nicht vor. Aus diesem Grund gibt es für den Bund zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Mög20566 lichkeit, in irgendeiner Art und Weise fach- und rechtsaufsichtlich tätig zu werden. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Die nächste Frage ist die Frage 28, ebenfalls gestellt von unserer Kollegin Bärbel Höhn: Trifft es zu, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, von der Europäischen Union Zugeständnisse im Streit um die Einbeziehung von Auslandsflügen in das europäische Emissionshandelssystem gefordert hat, und welche Art von Zugeständnissen meint er damit konkret ({0})? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Präsident! Frau Kollegin Höhn, die Antwort auf Ihre Frage lautet: Nein, es trifft nicht zu, dass Bundesminister Dr. Ramsauer Zugeständnisse gefordert hat. Der Bundesminister vertritt die innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Haltung. Die EU-Richtlinie legt fest, dass der Luftverkehr wettbewerbsneutral in den Emissionshandel einbezogen wird. Innerhalb der Bundesregierung und der Europäischen Union besteht Einigkeit, hier keine Abstriche zu machen. Wettbewerbsnachteile für deutsche und europäische Luftfahrtunternehmen müssen verhindert werden. Deutschland unterstützt die EU-Kommission in umfassender Weise dabei, Gespräche mit kritischen Drittstaaten abzuwenden und zu einer substanziellen Lösung in der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation beizutragen, aber auch die Position der Europäischen Union klar und geschlossen zu verdeutlichen. Eine Anpassung des Emissionshandelssystems wird in Aussicht gestellt, soweit eine wirksame und verbindliche globale Regelung für den Luftverkehr verabschiedet wird. Hierfür ist Verhandlungsbereitschaft auf allen Seiten notwendig.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das bedeutet, dass das Verkehrsministerium weiterhin dafür ist, dass internationale Flüge im Regime des Emissionshandels bleiben, und dass Sie keinerlei Anstrengungen, keinerlei Aktivitäten unternehmen, um internationale Flüge aus dem Emissionshandel herauszunehmen. Verstehe ich das so richtig, ja oder nein?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin, die Position der Bundesregierung dazu ist sehr eindeutig. Wir vertreten über alle Häuser hinweg die Auffassung, dass das europäische Emissionshandelssystem geltende Rechtslage ist. Wir stehen gemeinsam dafür ein, dass es auch in der Art und Weise umgesetzt wird, wie es vereinbart ist. Wir ziehen bei einem globalen Verkehrsträger aber immer eine globale Lösung im Rahmen der ICAO vor. Deshalb setzen wir darauf, dass durch die Debatte über das europäische Emissionshandelssystem und mögliche Wettbewerbsnachteile sich auch die dem europäischen System gegenüber kritischen Staaten bereitfinden, mit uns ein globales System zu schaffen. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein. Gerade auch für Sie als Umweltpolitikerin ist ein Emissionshandelssystem, das weltweit funktioniert und das alle Luftverkehrsunternehmen umfasst, sicher erstrebenswerter. Für uns ist die klare Voraussetzung immer gewesen, dass dieses Emissionshandelssystem keine Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringt. Das wird auch weiter die Leitlinie der Bundesregierung bleiben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Weil Sie gerade die internationale Diskussion angesprochen haben, möchte ich gern einen konkreten Vorschlag von China erwähnen. China diskutiert, Auslandsflüge durch zusätzliche Abgaben zu verteuern und die Einnahmen daraus dem Klimaschutz zugutekommen zu lassen. Wäre das aus Sicht des Verkehrsministeriums ein möglicher Kompromiss?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Die Zuständigkeit für die Findung von möglichen Ausgleichsmaßnahmen für ein Emissionshandelssystem für die internationalen Flüge außerhalb des Gebiets der Europäischen Union liegt bei der EU-Kommission. Wir als Bundesregierung haben nicht die rechtliche Möglichkeit, Vereinbarungen dazu zu treffen. Für uns ist ein globales Emissionshandelssystem für den gesamten Luftverkehr im Rahmen der ICAO erstrebenswerter. Das sollten wir gemeinsam anstreben. Regelungen, die mit einzelnen Luftfahrtnationen getroffen werden, sind demgegenüber immer nur die zweite Wahl. Für uns ist entscheidend, dass wir Wettbewerbsneutralität im gesamten Luftverkehr erreichen. Das ist am besten im Rahmen der ICAO zu erreichen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt rufe ich den Kollegen Dr. Hermann Ott zu einer Nachfrage auf. Bitte, Kollege Dr. Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, die Aktion der Europäischen Union, die Fluggesellschaften in den Emissionshandel einzubeziehen, kann als ein gutes Zeichen für die positive Wirkung einer Vorreiterrolle gesehen werden. 15 Jahre lang hatte die Europäische Union versucht, innerhalb der ICAO eine globale Regelung zu erreichen. Erst jetzt, nachdem die Union Anstrengungen unternommen hat, bewegt sich etwas innerhalb der ICAO. Sind Sie der Meinung, dass die Äußerungen von Herrn Ramsauer, dass die Europäische Union Zugeständnisse machen sollte, den Prozess gefährden könnten? Andere Staaten könnten sich dann überlegen, dass Sie es nicht so ernst meinen und Ihre Position nicht durchziehen.

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Herr Kollege, das sehe ich ein bisschen anders. Wenn Sie mit den Amtskollegen von Herrn Ramsauer oder mit meinen Amtskollegen aus den großen Luftfahrtnationen über dieses Thema sprechen, werden Sie feststellen, dass der Stil der EU-Kommission, die versucht, eine europäische Regelung zu globalisieren, in der Kritik steht. Dahinter vermutet man einen unilateralen Ansatz. Das ist für die Außenpolitik immer ein schlechter Ansatz. Deutschland hat ihn mit Blick auf andere Staaten stark kritisiert. Wir wollten keinen unilateralen Ansatz, sondern ein gemeinsames Handeln der Völkergemeinschaft. Deshalb ist die ICAO die richtige Organisation, in deren Rahmen man eine solche Vereinbarung treffen sollte. Ich gestehe zu, dass durch die Rechtsetzung innerhalb der Europäischen Union Druck in diesen Prozess gekommen ist. Das ist sicher hilfreich, um ein globales System aufzustellen. Dass es aber auch ohne diesen Druck möglich ist, sehen Sie zum Beispiel bei der IMO. Diesen Druck gab es bei der Schifffahrt nicht. Man ist auf einem sehr guten Weg, hier eine Einigung zu finden, die auch global funktioniert. Dies macht Sinn, wenn wir über Verkehrsträger reden, die global tätig sind. Dort sind die Zusammenschlüsse von Nationalstaaten die falsche organisatorische Ebene, um klimapolitisch und wirtschaftspolitisch die richtige Entscheidung zu treffen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Gustav Herzog sowie die Frage 33 der Abgeordneten Daniela Wagner werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatssekretärin Heinen-Esser zur Verfügung. Ich rufe die Frage der Kollegin 34 Cornelia Behm auf: Welche Beschlüsse für die Exportquote für Glasaal hat die Wissenschaftliche Prüfgruppe, Scientific Review Group, SRG, für das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, CITES, für die Fangsaison 2011/2012 und gegebenenfalls für die nachfolgenden Fangsaisons gefasst, und welche Position hat Deutschland in diesem Gremium diesbezüglich vertreten? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Liebe Kollegin Behm, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Bei ihrem 57. Treffen im vergangenen Oktober hat die Wissenschaftliche Prüfgruppe bezüglich des europäischen Aals eine negative Stellungnahme für den Export des Aals aus der EU abgegeben. Sie hat beschlossen, diese Entscheidung Ende 2012 für die Fangsaison 2012/ 2013 zu überprüfen. Das Protokoll dieses Treffens können Sie im Übrigen auch im Internet abrufen. Die Entscheidung ist in der Wissenschaftlichen Prüfgruppe einstimmig erfolgt. Sie steht im Einklang mit den Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung. Infolge dieser Entscheidung auf europäischer Ebene ist eine Nullquote für den Export festgesetzt worden, die das CITES-Sekretariat veröffentlicht hat.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin von dieser Antwort so positiv erschüttert, dass ich keine Nachfrage habe.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es würde uns in zeitliche Schwierigkeiten bringen, wenn ich noch weitere Fragen aufrufen würde. Ich schlage also vor, dass wir die Fragestunde jetzt beenden. Die Aktuelle Stunde, die sich aus Frage 16 entwickelt hat, rufe ich gegen 16 Uhr auf. Bis dahin unterbreche ich die Sitzung. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere Sitzung fort. Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 15 und 16 auf Drucksache 17/9351 Dabei geht es um das Betreuungsgeld. Erste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gab in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Vorschläge, mit denen die Regierung versucht hat, das Betreuungsgeld in ihren eigenen Reihen durchzusetzen und es den eigenen Kolleginnen und Kollegen schmackhaft zu machen. Es war die Rede von einer Koppelung an Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt und von höheren Rentenleistungen für Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind. Gestern und heute haben wir erfahren, dass unsere Befürchtungen, dass das Betreuungsgeld auf Hartz IV angerechnet werden soll, anscheinend zu Recht bestanden und dass das in die Realität umgesetzt werden soll. Das ist für mich die Fortsetzung einer Politik der kalten Herzen und der sozialen Kälte gegenüber Menschen, die von Hartz-IV-Leistungen leben müssen. Hier setzt sich etwas fort, das mit der Anrechnung des Kindergeldes und des Mindestelterngeldes begann. Nun soll das auch noch beim Betreuungsgeld stattfinden. Das heißt, wer schon etwas hat, bekommt mit dem Betreuungsgeld etwas obendrauf; wer nichts hat, bekommt gar nichts. Im schlimmsten Falle bekommt er auch keinen Kitaplatz; denn davon werden wir auch 2013 immer noch nicht genügend haben. ({0}) Das ist ein Skandal, der sich, wie gesagt, hier fortsetzt eine Politik der kalten Herzen, die wir hier schon des Öfteren kritisiert haben. Dem kann doch dieser Bundestag nicht einfach so zustimmen. Man kann da doch nicht einfach so weitermachen, als wäre das das Normalste der Welt. ({1}) Auch heute wieder wurde bei der Begründung, warum man es auf Hartz IV anrechnen möchte, nicht nur bürokratisch argumentiert, sondern es wurde gesagt: Es ist ja die Anerkennung der Erziehungsleistung. - Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie können doch nicht sagen, dass Eltern, die ihre Kinder in eine öffentliche Kindertagesbetreuung geben, keine Erziehungsleistung erbringen. Das können Sie doch nicht wirklich glauben. Das können Sie doch den Menschen draußen nicht erklären. ({2}) So ist es auch kein Wunder, dass 60 Prozent der Bevölkerung dieses Betreuungsgeld ablehnen. Die Zahlen mögen in Bayern anders sein; das glaube ich gerne. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass heute in der Aktuellen Stunde - wenn ich das richtig überschaut habe für die Unionsfraktion nur Rednerinnen und Redner der CSU sprechen werden. ({3}) Ich weiß nicht, welche Meinung die CDU dazu vertritt. Das können Sie uns ja noch übermitteln. Aber es kann doch nicht sein, dass Sie so tun, als wenn eine Erziehungsleistung nur von den Eltern erbracht wird, die ihre Kinder nicht in eine öffentliche Kita bringen. Das Geld sollen ja auch Eltern bekommen, die zum Beispiel eine private Nanny oder die Großmutter engagieren. ({4}) „Betreuungsgeld“ heißt doch nicht, dass sie das wirklich selbst tun. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Was ist zum Beispiel mit Aufstockern? Haben Sie, wenn Sie das anrechnen wollen, schon einmal darüber nachgedacht, was mit Leuten ist, die arbeiten gehen und ihre Kinder von den Großeltern betreuen lassen? Die nehmen auch keinen Kitaplatz in Anspruch. Auch sie erbringen Erziehungsleistungen, so wie Sie sie verstehen. Trotzdem sollen sie das Betreuungsgeld nicht bekommen, weil sie aufstockende Sozialleistungen nach Hartz IV in Anspruch nehmen. Das, was Sie da machen, ist doch völlig unlogisch. ({5}) Diesbezügliche Fragen konnte der Staatssekretär in der Fragestunde leider nicht beantworten. Nach meiner Auffassung ist ein solches Vorgehen auch nicht mit der Verfassung zu vereinbaren. Dort steht, dass Ehe und Familie unter dem Schutz des Staates stehen. Dort steht nicht: Die Einverdienerehe steht unter dem Schutz des Staates. ({6}) In den Zeitungen stand, dass die Kanzlerin hierzu ein Machtwort spricht. ({7}) Ich würde mir bezogen auf andere Vorhaben, die im Koalitionsvertrag stehen, ein Machtwort wünschen - ich habe auch danach in der Fragestunde gefragt, aber auch auf diese Fragen keine Antwort bekommen -: Wie steht es denn um die Verbesserungen beim Unterhaltsvorschussgesetz? Dieses Vorhaben liegt auf Eis. Wie steht es um die Ausweitung des Elterngeldes? Auch das liegt auf Eis. Es gibt dazu keinen Vorschlag. Wie steht es um die Unterstützung für Alleinerziehende, also derjenigen, die am meisten von Armut bedroht sind? 43 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden sind von Armut bedroht. Wenigstens das hat der Staatssekretär in der Befragung gewusst. Zu diesen Vorhaben würde ich mir ein Machtwort der Kanzlerin wünschen und nicht ausgerechnet zu diesem unsinnigen Betreuungsgeld. ({8}) Zu alledem hört man von der zuständigen Ministerin leider nichts. Haben Sie in den letzten Tagen mal irgendetwas von ihr gelesen? Haben Sie irgendwas gehört? ({9}) In der heutigen Fragestunde war nur der Staatssekretär anwesend. Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie an dieser Aktuellen Stunde teilnehmen. Zu diesem Thema war von Ihnen in den vergangenen Wochen nichts zu hören. Dabei ist es doch Ihr Haus, das diesen Gesetzentwurf erarbeiten soll. Es ist ebenfalls Ihr Haus, das auch die anderen Vorhaben, die im Koalitionsvertrag stehen - ich habe sie genannt -, umsetzen soll. Ich wünschte mir dazu wirklich einmal eine öffentliche Meinungsäußerung der Ministerin. Diese haben wir bisher nicht gehört. ({10}) Ich habe gerade eben, vor wenigen Minuten, den Vorsitz der Kinderkommission des Deutschen Bundestages übernommen. ({11}) - Danke schön. - Der erste Schwerpunkt unter meinem Vorsitz wird sein, dass wir uns mit der sozialen Lage von Kindern und Jugendlichen beschäftigen. ({12}) - Herr Straubinger, hören Sie mir zu! Sie können nicht zuhören, wenn Sie gleichzeitig reden. ({13}) Dieses Betreuungsgeld wird die soziale Lage von Kindern und Jugendlichen nicht verbessern. Ich werde in der Kinderkommission mit meinen Kolleginnen und Kollegen dafür sorgen, dass hier Vorschläge auf den Tisch kommen, die genau das leisten, was das Betreuungsgeld nicht leistet. Vielen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. - Nächster Redner - er steht schon da - ist der Kollege Markus Grübel für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Golze: Ich bin nicht Mitglied der CSU, obwohl mir das eine Ehre wäre. ({0}) Ich bin kein Bayer ({1}) und daher Mitglied der CDU. Es ist gut, wenn wir in dieser aufgeheizten Stimmung und in der Diskussion zunächst einmal die Fakten sammeln: Wir haben in § 16 Abs. 5 SGB VIII geregelt: Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung ({2}) eingeführt werden. ({3}) Das haben wir damals in der Koalition von CDU/CSU und SPD beschlossen. Damals war das nicht verfassungswidrig; ({4}) damals war das kein Teufelswerk. ({5}) Es war mit Sicherheit ein Kompromiss. ({6}) Wir haben damals das Fundament für das Betreuungsgeld gemeinsam gelegt. Mit der FDP gab es dann eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Im November letzten Jahres wurde im Koalitionsausschuss die Vereinbarung getroffen: Wir werden Familien weiter stärken und die Wahlfreiheit für unterschiedliche Lebensmodelle weiter verbessern. Die Koalition wird deshalb ab dem Jahr 2013 als zusätzliche Anerkennungs- und Unterstützungsleistung ein Betreuungsgeld in Höhe von zunächst 100 Euro für das 2. und ab 2014 in Höhe von 150 Euro für das 2. und 3. Lebensjahr des Kindes einführen. Zweck ist, dass die Würdigung der Leistung der Eltern bei der Kinderbetreuung stärker als bisher zum Ausdruck gebracht wird. Ferner verfolgen wir mit der geplanten Einführung des Betreuungsgeldes das Ziel, den Eltern faktisch mehr Wahlfreiheit hinsichtlich der Art der Kinderbetreuung zu lassen. Zur Wahlfreiheit: Wir unterstützen den Ausbau der Kinderbetreuung - auch das haben wir gemeinsam beschlossen -, der U-3-Betreuung bis 2013 mit 4 Milliarden Euro. Die Vorgängerregierung hat diesbezüglich mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz auch schon etwas gemacht. Damals waren die Geldflüsse für die Kommunen aber nicht so spürbar. Wir unterstützen die Länder und Kommunen bei der Schaffung von mehr Betreuungsplätzen und ermöglichen so mehr Wahlfreiheit. Ab 2014 fördern wir die Betreuung von Kindern unter drei Jahren jährlich mit 770 Millionen Euro; die Betriebskosten werden dann zum Teil vom Bund getragen. Wir anerkennen aber auch die größere Erziehungsleistung der Eltern, die ihr Kind ohne Hilfe einer öffentlichen Betreuungseinrichtung erziehen. ({7}) Warum dies so verteufelt wird, ist mir völlig schleierhaft. ({8}) In der Großen Koalition hat die SPD das im Grunde noch mitgetragen. ({9}) Über die vorgenannten Vereinbarungen der Koalition hinaus ist die Ausgestaltung noch gar nicht festgelegt. Es wundert mich, dass die Opposition im Detail weiß, welche Passage des Gesetzentwurfs verfassungswidrig sein soll, welche im Bundesrat zustimmungspflichtig ist etc. pp.; denn es gibt noch keinen Gesetzentwurf. Uns ist es ein Anliegen - ich glaube, da haben wir weitgehend Übereinstimmung -, Fehlanreize zu vermeiden und Kinder bestmöglich zu fördern. ({10}) Das geplante Betreuungsgeld baut auf den Maßnahmen, die wir schon eingeleitet haben, auf. Ich nenne hier den Ausbau der U-3-Betreuung, ({11}) die Einführung des Elterngelds und die Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags zu Beginn dieser Wahlperiode. Ich fasse zusammen: Das Betreuungsgeld ist ein weiterer Baustein für mehr Wahlfreiheit und stellt eine bessere Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern dar. Herzlichen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Grübel. - Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte schön, Frau Kollegin Ziegler. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Grübel, zunächst einmal: Sie werden es nicht schaffen, die Geschichte zu verändern. Dafür sind andere Parteien zuständig. Die historische Wahrheit ist, dass die SPD schon immer gegen dieses Betreuungsgeld war. ({0}) Das war Punkt eins. Punkt zwei. Hätten wir es damals gemeinsam mit Ihnen einführen wollen, hätten wir dies getan. Es gab einen Riesenstreit, und Frau von der Leyen ist schon damals gegenüber der CSU eingeknickt; ({1}) denn auch sie wollte es nicht. Sie hat es als bildungspolitisch falsch bezeichnet, dieses Geld einzuführen. Deshalb ist es ohne rechtsverbindliche Wirkung in das SGB VIII aufgenommen worden. ({2}) Also bitte: Bleiben Sie bei der Wahrheit! Wenn Sie das täten, müssten wir uns heute hier nicht so streiten. Es gab damals eine Verbindung mit dem Ausbau der U-3-Betreuung. Auch das wissen Sie. Uns war der Ausbau der Betreuung der Kinder unter drei Jahren so wichtig, dass wir gesagt haben: Dann lassen wir das Betreuungsgeld als Klammerzusatz zu; denn mit uns wird es nie umgesetzt werden. Das war der Ausgangspunkt. Nun zum Inhalt unserer heutigen Debatte. Sie sagen, dass es nicht mehr um das Ob geht, sondern nur noch um das Wie. Niemand von Ihnen - das Ministerium nicht, die Abgeordneten nicht - kann Aussagen dazu treffen, wie dieses Wie aussehen soll. Sobald es kritisch wird, sagen Sie: Es liegt ja noch nichts vor. Ich kann nur sagen: Sie haben keinen Plan, keine Idee. Sie haben nichts außer Worthülsen, die da heißen: Wir wollen die Leistungen der Eltern anerkennen. Gleichzeitig sagen Sie, wenn wir argumentieren, dass es eine Herdprämie ist: Nein, auch die berufstätigen Eltern bekommen dieses Geld. Herr Geis erzählt uns, die frühkindliche Bindung zwischen Kindern und Eltern solle dadurch gestärkt werden. Nein, das stimmt nicht, denn auch Supernanny, Oma, Opa, Onkel oder sonst wer bekommen dieses Geld. ({3}) Sie betreiben hier Augenwischerei. Es geht Ihnen eben nicht um die Werte und Inhalte, die Sie vor sich hertragen, sondern es geht Ihnen wieder lediglich um Klientelpolitik, die Sie schon von Anbeginn dieser Legislaturperiode durchhalten. ({4}) - Nein, die Supernanny gehört nicht zur Familie. Erzählen Sie nicht immer solchen Unsinn! Wenn Sie von jemandem von außen eine Leistung einkaufen, zählt diese Person nicht zur Familie. ({5}) Die Wahlfreiheit, die Sie immer so hochhalten, ist erst dann gegeben - das hat heute sogar die Ministerin in einem Interview bestätigt -, wenn es sowohl einen Kitaplatz als auch die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben, gibt. 2013 - wir wünschen uns das nicht, aber es wird wahrscheinlich so eintreten - werden wahrscheinlich nicht ausreichend Kitaplätze zur Verfügung stehen. Es gibt also keine Wahlfreiheit der Eltern. Das ist wieder nur Augenwischerei. Sie bedienen damit die Eltern, damit sie ruhig sind und gar nicht erst einen Kitaplatz beantragen. Heute sagte der Staatssekretär, dass er auf die Frage, wie der Nachweis, dass Eltern gar nicht gewillt sind, einen Kitaplatz in Anspruch zu nehmen, erbracht werden soll und ob sie Schreiben von 50 Kitas vorlegen müssten, in denen steht: „Wir haben leider keinen Platz für Sie“, keine Antwort geben kann. Keiner weiß, wie dieser Nachweis überhaupt erfolgen soll. Also: Die Eltern werden einfach pauschal sagen können: „Wir wollen keinen Kitaplatz“ und das Betreuungsgeld bekommen, auch wenn im Ort gar kein Kitaplatz zur Verfügung stünde. ({6}) Das ist Betrug; das ist Wahlbetrug, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Auch Frau Schavan sagt: „Das wurde nun einmal vereinbart; das müssen wir wohl machen“, in der Hoffnung, dass ihr Ansatz, frühkindliche Bildung gerade für Kinder, die aus bildungsfernen Schichten kommen, zu gewährleisten, tatsächlich wirkt. Auch sie versteckt sich hinter der Aussage: Das steht halt im Koalitionsvertrag. Wir könnten Ihnen reihenweise Vorhaben aufzählen, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen, aber nicht umgesetzt werden. Aber diesen Schwachsinn machen Sie! ({8}) Was Sie sich mit den ALG-II-Beziehern erlauben, ist eine Frechheit sondergleichen. ({9}) Herr Geis sagte in einer der letzten Plenardebatten: Auch die arbeitslosen Eltern werden selbstverständlich für ihre Erziehungsleistung honoriert und selbstverständlich das Betreuungsgeld bekommen. - Davon ist ab heute offensichtlich nicht mehr die Rede. ({10}) Offensichtlich sind sie Eltern zweiter Klasse. Offensichtlich sind sie Eltern, deren Erziehungsarbeit nichts wert ist. ({11}) Wo leben wir eigentlich, wenn in dieser Republik nur noch Spaltung betrieben wird, anstatt gemeinsam daran zu arbeiten, dass Kinder, egal ob sie zu Hause erzogen oder in eine Kita gegeben werden, gleiche Chancen auf Bildung und Teilhabe bekommen? Wir diskriminieren nicht die Eltern, die zu Hause bleiben. ({12}) - Nein, das tun wir nicht. ({13}) Wir wollen echte Wahlfreiheit und keinen Betrug. Sie sind die Betrüger der Nation; das muss man deutlich sagen. ({14}) Frau Ministerin, ich freue mich, dass Sie der heutigen Debatte beiwohnen. Ihnen wird ja nachgesagt, Sie seien keine Verfechterin des Betreuungsgeldes. Sie sagten heute, wenn Sie richtig zitiert worden sind, dass Sie die Betreuung in Kitas über das Betreuungsgeld stellen. Dann tun Sie es endlich! Tun Sie etwas, woran man merkt, dass Sie eine Ministerin sind und nicht nur eine Frau, die zufällig auf diesem Platz sitzt! Tun Sie bitte mal was! ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Miriam Gruß. Bitte schön, Kollegin Miriam Gruß. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat sind in den letzten Wochen und Monaten viele öffentliche Äußerungen zum Betreuungsgeld gefallen. An dieser Stelle will ich betonen: Mir bzw. uns liegt bisher kein Entwurf vor. Das heißt, wir reden bisher eigentlich nur über heiße Luft bzw. über Vorschläge, die von einzelnen Kollegen und Kolleginnen verlautbart wurden. ({0}) Ich will zu zwei Punkten, die ganz aktuell vorgeschlagen wurden, etwas sagen. Zunächst zur Hartz-IV-Anrechnung, um die es in dieser Aktuellen Stunde hauptsächlich geht: Ja, beim Elterngeld ist es so gemacht worden. Das heißt aber nicht, dass es beim Betreuungsgeld zwangsläufig auch so gemacht werden muss. Aber: Auch das ist bisher noch heiße Luft. Es liegt nichts, aber auch gar nichts Konkretes vor. ({1}) Von daher brauchen wir heute nicht darüber zu diskutieren. ({2}) Zu den Rentenerhöhungen. ({3}) Ja, auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sind dafür, Erziehungsleistungen bei der Rente besser anzuerkennen. Allerdings muss eine generationengerechte Familienpolitik auch im Blick haben, dass wir keine Schuldenberge anhäufen dürfen, die wir der nächsten Generation aufbürden. Von daher müssen wir sehr darauf achten, was es kostet. Wir sind der Meinung - heute sind die aktuellen Zahlen bekannt gegeben worden -, dass gerade Deutschland gut daran tut, auf die Schulden zu achten. Wir dürfen nicht das Ziel aus den Augen verlieren, die Schulden abzubauen. Hier sollten wir europaweit Vorbild sein. Alle anderen Staaten um uns herum - das merkt man ja - fallen um. Deutschland muss Vorbild sein. Schuldenabbau ist ganz klar unser erklärtes Ziel. ({4}) Meine Damen und Herren, Sie alle wissen: Das Betreuungsgeld war nie der Wunsch der FDP-Fraktion. Herr Brüderle hat für die FDP-Fraktion auch in letzter Zeit des Öfteren öffentlich erklärt, dass wir uns vertragstreu verhalten werden. Allerdings nehmen auch wir wahr, dass es innerhalb der Union noch Diskussionsbedarf gibt. Es muss ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. ({5}) Dann können wir gerne wieder über dieses Thema diskutieren, auch hier im Plenum. Vielen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: unsere Kollegin Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Dörner.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Betreuungsgeld ist eine unsinnige und absurde Maßnahme. Ich möchte erst gar nicht in die Situation kommen, dass ich mich über die Spitzen der Absurditäten unterhalten muss, wie wir das jetzt offensichtlich aber doch tun müssen, weil die Familien, die es in diesem Land am schwersten haben, nämlich die, die im ALG-II-Bezug leben, vom Bezug des Betreuungsgeldes ausgeschlossen werden sollen. Das ist für uns überhaupt nicht akzeptabel. Ich möchte mich darüber unterhalten, wie wir dieses unsinnige Betreuungsgeld aus dem Gesetz wieder gestrichen bekommen. ({0}) Wir müssen erleben, dass die Bundesregierung ihre unsoziale Politik auf dem Rücken und zulasten der Familien weiter fortsetzt: Erst wird die Erhöhung des Elterngeldes auf Hartz IV angerechnet, dann wird der Sockelbetrag beim Bezug des Elterngeldes gestrichen, und jetzt steht im Raum, dass auch das Betreuungsgeld nicht an Familien im ALG-II-Bezug ausgezahlt werden soll. Diese Politik zulasten der Familien muss ein Ende haben. ({1}) Wer dieses unsinnige Betreuungsgeld immer damit begründet, es solle Wahlfreiheit geben und man wolle die Erziehungsleistung der Eltern anerkennen, ({2}) der sagt mit dem heute vorliegenden Vorschlag, dass Eltern im ALG-II-Bezug kein Recht darauf haben, ({3}) dass ihre Erziehungsleistung gewürdigt wird. Ich finde es ungeheuerlich, dass ein derartiger Vorschlag überhaupt zur Diskussion gestellt wird. ({4}) Damit stellt sich die Bundesregierung ein absolutes Armutszeugnis aus, und sie begibt sich damit - davon bin ich überzeugt - rein rechtlich und juristisch auf ganz dünnes Eis. ({5}) Vor einem Monat haben zehn Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen hier in namentlicher Abstimmung ein ganz klares Zeichen dafür gesetzt, dass sie vom Betreuungsgeld nichts halten. Kurz darauf haben 23 Unionsabgeordnete klargemacht, dass sie der Kanzlerin beim Betreuungsgeld die Gefolgschaft verweigern werden. Das Betreuungsgeld hat in diesem Parlament keine Mehrheit, und dabei muss es bleiben! ({6}) Wir erleben aktuell aber einen unwürdigen Kuhhandel. Im Gegenzug zur Zustimmung zum Betreuungsgeld soll es eine Rentenerhöhung für Mütter geben, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Es stimmt: Bei der Stichtagsregelung gibt es ein Gerechtigkeitsproblem. Aber wer, wie Herr Kauder, einen derartigen Vorschlag in den Raum stellt, der muss auch sagen, wer es bezahlen soll. ({7}) Und vor allem: Das Betreuungsgeld als solches wird damit keinen Deut besser. Für uns ist ganz klar: Es darf keinen billigen Kuhhandel zulasten der Familien in diesem Land geben. Das Betreuungsgeld darf erst gar nicht Realität werden. ({8}) Wir Grüne werden alles dafür tun, damit das Betreuungsgeld nicht kommt - bis hin zu einer Verfassungsklage. Ich freue mich, dass wir die SPD hier an unserer Seite haben. An dieser Stelle will ich aber auch sagen: Es wäre noch schöner gewesen, wenn die SPD ihre weitreichenden Bedenken, die sie jetzt hat, schon 2007 klar geäußert und dieses Betreuungsgeld erst gar nicht ins Gesetz geschrieben hätte. ({9}) - Nein. ({10}) Wenn man es erst gar nicht ins Gesetz geschrieben hätte, dann wäre uns allen hier eventuell sehr viel Aufregung erspart geblieben ({11}) und dann müssten wir in unserem Land nicht über eine Maßnahme diskutieren, über die Frau Ministerin von der Leyen völlig zu Recht gesagt hat, dass sie eine bildungsund gleichstellungspolitische Katastrophe wäre. Vielen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollegin Daniela Ludwig. Bitte schön, Frau Kollegin Ludwig. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere für jeden zum Mitschreiben noch einmal § 16 Abs. 5 SGB VIII. ({0}) Es wird geregelt - Zitat -: Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung ({1}) eingeführt werden. ({2}) Das wurde 2008 in der Großen Koalition mit Ihnen beschlossen. Ich darf noch jemanden zitieren. Sie dürfen raten, wen ich zitiere, liebe Frau Ziegler. Er hat gesagt: Ich freue mich, dass wir gemeinsam diesen vernünftigen Kompromiss gefunden haben. Das sagte Herr Steinbrück. ({3}) Glückwunsch! - Wissen Sie, Frau Ziegler, wenn Sie sich heute hier hinstellen und versuchen, sich nach dem Motto vom Acker zu machen: „Wir haben etwas in der Hoffnung beschlossen, dass es nicht kommt“, dann muss ich Ihnen sagen: Mehr Peinlichkeit geht fast nicht! ({4}) - Das ist immer bitter. Das ist nicht nur peinlich, sondern das offenbart - das möchte ich schon sagen - ein interessantes parlamentarisches Verständnis. ({5}) Es ist halt so: Wenn in einer Großen Koalition ein vernünftiger Kompromiss gefunden wird, dann muss man sich daran halten und sich daran messen lassen. Das ist bitter. Die meisten von Ihnen, die damals die Hand gehoben haben, sind auch heute noch dabei. Ich weiß, dass Ihnen das extrem wehtut. Da müssen Sie jetzt durch, auch wenn Ihnen das schlaflose Nächte bereitet. So ist das halt. ({6}) Nun das Ganze von Anfang an. Sie haben gesagt: Wir müssen uns jetzt über das Betreuungsgeld unterhalten. ({7}) Diese Aktuelle Stunde hat die Linke beantragt. - Ich sehe, Frau Golze ist jetzt weggegangen. ({8}) - Okay, zur Kinderkommission. Das ist halt ihre Art der Prioritätensetzung. ({9}) - Ich habe zwei Kinder. Diese haben für mich den höchsten Rang. - Ihr schlechter Stil, über Familienpolitik zu debattieren, trägt unter anderem dazu bei, dass sich immer mehr Familien, die sich dafür entscheiden, ihre Kleinstkinder bei sich zu Hause zu betreuen, so richtig veräppelt vorkommen. Das möchte ich an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen. ({10}) Noch etwas. Das Betreuungsgeld bekommt nicht irgendwer, sondern zunächst einmal die Familien, im Übrigen - hallo! - genauso wie das Kindergeld. Wenn jetzt wieder einer kommt und aus Misstrauen gegen bestimmte Familien sagt: „Das wollen wir so nicht“, dann sage ich: Die große Mehrheit der Familien macht sich ständig Gedanken darüber, wie sie ihre Kinder am besten betreuen lässt, sei es in der Krippe, sei es durch eine Tagesmutter, sei es durch die Großeltern oder sei es vielleicht sogar durch die Eltern selber. Wahnsinn! Wer hätte sich vorstellen können, dass unter dreijährige Kinder auch von der Mutter oder vom Vater betreut werden? Scheren Sie diese Familien bitte nicht ständig mit denjenigen ganz wenigen Familien über einen Kamm, bei denen es einfach nicht so gut klappt. Um die kümmern wir uns. Liebe Frau Ministerin, vielen Dank für das Kinderschutzgesetz. Ein erster Schritt in die richtige Richtung! Da haben wir bewiesen, dass wir Familienpolitik können! ({11}) Deswegen stehen wir selbstverständlich - auch wir haben diesen „vernünftigen Kompromiss“, Zitat Steinbrück, und die entsprechenden Regelungen im Sozialgesetzbuch gerne mitgetragen - zum Ausbau der Krippenbetreuung. Darüber gibt es nirgends eine Debatte. Wir sagen aber auch: Wo ist das Problem? Wenn Kindererziehung aus guten Gründen in irgendeiner Familie anders organisiert wird, sei es durch eine zeitweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit, sei es dadurch, dass ich eine andere Person, die für mich die Lieblingsperson ist und von der ich gerne mein Kind betreut haben möchte, damit beauftrage, während ich meiner Arbeit nachgehe: Wo ist da Ihr Problem? Ein Wort zu den sogenannten Migrationsfamilien und den einkommensschwachen und bildungsfernen Familien, die Sie immer anführen. ({12}) Wissen Sie was? Die Fähigkeit, einem unter dreijährigen Kind Liebe und Zuwendung zu geben, hängt nicht davon ab, ob ich einen Hochschulabschluss habe, hängt auch nicht davon ab, woher ich komme, hängt auch nicht davon ab, ob ich viel Geld oder eher weniger Geld habe. ({13}) Das kann jeder, wenn er will. ({14}) Hören Sie einfach auf, hier ständig Klischees zu bedienen! Wir stehen für Wahlfreiheit. Deswegen wird das Betreuungsgeld kommen. Vielen Dank. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal ist auffällig, dass von den Rednerinnen und Rednern der Unionsfraktion ausschließlich die mit einem sehr konservativen Familienbild sprechen. Politikerinnen und Politiker der Union mit einer modernen und zeitgemäßen Familienpolitik kommen bei Ihnen in diesen Debatten nicht zu Wort. ({0}) Modernität hat nichts mit Jahren zu tun, wie man eben bei Frau Ludwig in ihrem unterirdischen Auftreten hören und auch sehen konnte. ({1}) Ich frage mich, Frau Ludwig, ob Ihre Rede, die mich in der Performance ein bisschen an Miss Rumpelstilzchen erinnert hat, insbesondere an die vehementen Kritikerinnen und Kritiker in Ihren eigenen Reihen gerichtet war. Ich würde gern die Diskussion zwischen Ihnen und Frau Pawelski, zwischen Ihnen und Frau von der Leyen oder zwischen Ihnen und beispielsweise Herrn Schlarmann, dem Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung hören. Wir können ganz aktuell bei Spiegel Online lesen, dass Herr Schlarmann trotz eines Machtwortes von Kanzlerin Merkel das Betreuungsgeld in der Bild-Zeitung - Spiegel Online bezieht sich darauf - klar und deutlich als „völlig falschen Ansatz“ bezeichnet. Deutschland brauche, so Ihr CDU/CSU-Mittelstandschef Herr Schlarmann, „ein breit angelegtes Betreuungsangebot, damit jede Frau entscheiden kann, ob sie ihr Kind selbst betreut oder in die Kita gibt“. Recht hat er, Ihr Parteikollege. ({2}) Zugleich möchte ich, weil es sehr deutlich macht, welches Chaos in Ihren eigenen Reihen herrscht, weiter Herrn Schlarmann zitieren. Er wies nämlich auch den Vorschlag von Unionsfraktionschef Kauder zurück, Müttern von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, höhere Rentenansprüche einzuräumen, indem er sagte: Ein politisches Problem dadurch zu lösen, dass man auf eine umstrittene Sozialleistung eine weitere draufsattelt, ist schon aus haushaltspolitischen Gründen nicht zu verantworten. Eine unsinnige Leistung wird nicht dadurch besser, dass man eine Leistung, die jedenfalls nicht gegenfinanziert ist, oben draufsattelt. ({3}) Ich denke, das wird an dieser Stelle ganz klar. Völlig zu Recht titelte gestern die nicht gerade linkslastige Financial Times Deutschland zum Betreuungsgeld: „Kauderwelsch“. Alle Oppositionsfraktionen hätten, glaube ich, den Artikel in der Financial Times Deutschland sofort unterschrieben. Sie haben sich mit dem Betreuungsgeld mehr als verrannt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Die Ausgestaltung ist unklar. Die Verfassungsfragen sind nicht geklärt. Die Finanzierung ist völlig nebulös und unsolide. Das wurde auch vorhin bei den Fragen an Herrn Staatssekretär Kues deutlich. Es zeichnet sich ab: Es ist einzig und allein die CSU, die das Betreuungsgeld als eine Gegenleistung für den Kitaausbau weiter erpresst. ({4}) Nichts anderes war es auch damals in der Großen Koalition. Leider ist Frau von der Leyen der CSU auf den Leim gegangen. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer will das Betreuungsgeld als Wahlkampfgeschenk für Bayern umsetzen. Es geht ihm um nichts anderes. ({5}) Ich denke, das ist auch mehrfach in öffentlichen Äußerungen von Herrn Seehofer sehr deutlich geworden. ({6}) Jeden Tag gibt es bei Ihnen einen neuen Konflikt beim Betreuungsgeld. Jeden Tag treiben Sie, so sagt man bei uns in Niedersachsen, eine neue Sau durchs Dorf. Es gibt neue Konflikte. Die Fragen, die alle anderen, selbst in den eigenen Reihen, stellen, bleiben unbeantwortet. Finanzielle Verantwortung liegt Ihnen fern. Jetzt komme ich zu dem Punkt, der heute schon angesprochen wurde, nämlich dass es kein Betreuungsgeld für Familien mit Hartz-IV-Bezug geben soll. ({7}) Ich möchte Sie gerne auf ein Schreiben aufmerksam machen, das am 17. Dezember 2010 vom Ministerium für Arbeit und Soziales an das Thüringer Sozialministerium ging. In diesem Schreiben des Bundesarbeitsministeriums an das thüringische Sozialministerium heißt es, das Betreuungsgeld könne nicht auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden. Auch das ist heute in mehreren Presseberichten nachzulesen. Da Sie immer sagen, die Ausgestaltung soll sich am thüringischen Landesbetreuungsgeld orientieren, frage ich mich, wie Sie jetzt zu diesem Sinneswandel kommen. Fakt ist: Das Betreuungsgeld ist und bleibt widersinnig. Absurd ist schon alleine, Bürgerinnen und Bürgern für eine staatliche Leistung, die nicht in Anspruch genommen wird, Geld zu geben. ({8}) Denn Sie könnten auch sagen: Es gibt eine Kompensation für die Menschen - hier könnte man ebenfalls das Argument der Wahlfreiheit anführen -, die keine Bücherei nutzen und nicht ins Theater gehen, weil sie sich Bücher kaufen und - genauso wie Sie täglich in der Union - selbst Theater machen. Ich sage Ihnen: Legen Sie Ihren Streit bei! Es lohnt sich nicht, um dieses unsinnige Betreuungsgeld zu streiten. Kinder und Familien warten auf den Kitaausbau. Nur wenn wir eine ausreichende Zahl an Kitaplätze haben, haben wir Wahlfreiheit in unserem Land. Dann können auch Sie zu Recht von Wahlfreiheit reden, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Vielen Dank. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Sibylle Laurischk. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon eine reichlich absurde Debatte, die von der Fraktion der Linken angestoßen wurde. Als Erste verabschiedet sich aus dem Kreis der Kollegen die Hauptrednerin der Linken. ({0}) Also scheint das Ganze doch nicht so wichtig zu sein. Man muss richtig planen und wissen, was man tut. Das weiß die Linke offensichtlich nicht. ({1}) Das zeigt, worüber wir reden, nämlich über ungelegte Eier, nichts anderes. ({2}) Es gibt keinen Gesetzentwurf, sondern lediglich eine versuchte Inszenierung der Opposition. ({3}) Diese ist gründlich danebengegangen. ({4}) Die SPD hat zu Zeiten der Großen Koalition das Betreuungsgeld offensichtlich mitgetragen. ({5}) Dass sie jetzt versucht, mit dem Hinweis auf Hartz IV davon abzulenken, zeigt doch, wie absurd diese Debatte ist. ({6}) Ich kann dazu nur sagen: Große Koalitionen neigen offensichtlich zum Ausgeben von Geld, das ihnen noch gar nicht zur Verfügung steht. So muss ich das heutige Auftreten der SPD wohl verstehen. ({7}) Die Position der FDP ist wohlüberlegt. Wir weisen immer darauf hin, dass wir vertragstreu sind ({8}) und dass die Ausgestaltung und die gesetzliche Realisierung des Betreuungsgeldes, dessen Einführung im Koalitionsvertrag steht, davon abhängen, ob die Finanzierung gesichert ist. ({9}) Die Finanzierung ist nach meinem Kenntnisstand bisher noch nicht geklärt. Die FDP ist in diesen Dingen genau. Wir wollen einen klaren, sauber aufgestellten Haushalt. Wir wollen keinen unsinnigen und völlig überzogenen Verschuldungshaushalt auf den Weg bringen. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir Haushaltsfragen sehr ernst nehmen. Das ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt. Ich habe im Übrigen vor wenigen Tagen in einer Debatte über das Betreuungsgeld gesagt, dass ich persönlich es für verfassungsrechtlich problematisch halte. Es sind weiterhin Fragen zu klären. ({10}) Wir sollten daher nicht wie die Linke und die SPD versuchen, über ungelegte Eier zu sprechen, sondern uns dem Tagesgeschäft und den Fragen, die wir eigentlich zu klären haben, widmen. Ich danke. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias Birkwald. Bitte schön, Herr Kollege. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Laurischk, Ihr Einstieg in die Debatte war unterirdisch. ({0}) Frau Golze ist die Vorsitzende der Kinderkommission; diese tagt jetzt. Wenn der Staatssekretär Kues vorhin anständig geantwortet hätte, dann gäbe es diese Aktuelle Stunde jetzt nicht. So sieht es aus. ({1}) Ihre Rede hat deutlich gemacht, dass Ihre Wertschätzung für Kinder und die Belange der Kinderkommission gleich null ist. Das spricht doch für sich. ({2}) Die Linke will, dass Lebensleistung anerkannt wird. Dazu gehört - darüber sind wir uns alle hier im Hause wohl einig - auch Arbeit in der Familie, also die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen. Wir wollen aber auch, dass die Menschen ihren Lebensweg so weit wie möglich selbst gestalten können. Politik soll dabei helfen. Sie soll ermöglichen und nicht verhindern. Sie soll Raum für freie Entscheidungen schaffen, statt diese Räume immer weiter einzuschränken. ({3}) Beides ist wichtig: freie Lebenswege eröffnen und Lebensleistung anerkennen. Deswegen halten wir das Betreuungsgeld für falsch. ({4}) Das Betreuungsgeld ist so, wie es jetzt gedacht ist, eine Bildungsfernhalteprämie für die Kinder und für viele Frauen eine Herdprämie, nichts anderes. Das lehnen wir ab. ({5}) Weil wir wollen, dass die Lebensleistung anerkannt wird, wollen wir auch, dass die Erziehungsleistung von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, in der Rente genauso belohnt wird wie die der Eltern, deren Kinder nach 1992 auf die Welt gekommen sind. ({6}) So ist es bisher: Die Rentenpunkte erhalten grundsätzlich alle, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Niemand wird einfach so, willkürlich ausgeschlossen. Hier wird so einfach wie gerecht Leistung anerkannt. Wenn nun endlich die unterschiedliche Bewertung der Erziehungsarbeit beendet würde und alle Eltern unabhängig vom Geburtsjahr ihrer Kinder drei Rentenpunkte in den ersten drei Kinderjahren erhielten, dann wäre alles in Ordnung. Nebenbei bemerkt: Das fordert die Linke schon seit 2007, und die PDS hat es vorher auch schon gefordert. ({7}) Leider haben einige Unionskollegen eine verquere Logik. In der taz war vorgestern unter der Überschrift „Mehr Rente für ein Ja zur Herdprämie“ zu lesen, dass Herr Kauder, immerhin der Fraktionsvorsitzende der Union, mit seinem Vorschlag nicht im Traum an eine Gleichbehandlung aller Eltern denkt. Die Rentenpunkte für vor 1992 geborene Kinder sollen - so war zu lesen, und es wurde nirgends dementiert - nur jene Eltern erhalten, die während der ersten drei Lebensjahre des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Wer also beides versucht und geschafft hat, wer seine Kinder erzogen hat und gleichzeitig ins Büro, in die Fabrik, aufs Feld oder in die Praxis arbeiten gegangen ist, soll leer ausgehen. Das ist doch eine Arbeitsmarktfernhalteprämie. Wenn das stimmt, wäre das ungeheuerlich und ein immenser gesellschaftlicher Rückschritt. ({8}) Ein solcher Vorschlag tritt die Lebensleistung dieser Eltern mit Füßen und bestraft nachträglich die Entscheidung, Familie und Beruf vereinbart zu haben. Ein solcher Vorschlag trifft vor allem Frauen, die die doppelte Last, ja die doppelte Leistung von Familien- und Berufsarbeit vollbracht haben. Das heißt doch nichts anderes, als dass dieser Vorschlag nicht nur leistungs-, sondern auch krass frauenfeindlich ist. ({9}) Soll etwa wieder gelten: Papi Vollzeit ins Büro und Mami heim an den Herd? Es fehlt nur noch, dass Herr Kauder die anderen Frauen als Rabenmütter beschimpft; denn nichts anderes ist sein Vorschlag: eine finstere, längst überholte und vergessen geglaubte Rabenmütterklausel. Für diese reaktionäre Rolle rückwärts in die 50er-Jahre sollte er sich schämen. ({10}) Noch etwas: Der Vorschlag diskriminiert vor allem ostdeutsche Frauen; denn in der großen Mehrheit sind sie es, die diese doppelte Leistung, also Kindererziehung und Berufstätigkeit, erbracht haben. Das wäre ganz typisch für die schwarz-gelbe Rentenpolitik; denn Sie weigern sich auch noch nach 20 Jahren deutscher Einheit, den Ostdeutschen für die gleiche Leistung im Erwerbsleben die gleiche Rente wie den Westdeutschen zu zahlen. ({11}) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Sie haben das in den Koalitionsvertrag geschrieben, aber Ihr Versprechen gebrochen. Sie machen es nicht. Das ist die Lage. ({12}) Es gibt eine Umfrage von Forsa im Auftrag von RTL und Emnid. ({13}) Danach lehnen 60 Prozent der Bevölkerung Ihr Betreuungsgeld ab; 36 Prozent sind dafür. Das sind immer noch viel zu viel. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die Finger vom Betreuungsgeld! Geben Sie den Frauen und Männern, die vor 1992 Kinder erzogen haben, die 49 bis 55 Euro mehr Rente! Sorgen Sie endlich dafür, dass Eltern Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren können, um ausreichend Rentenanwartschaften erwerben zu können! Das wäre die richtige Politik, die wir jetzt brauchen, aber nicht das unsinnige Betreuungsgeld. Herzlichen Dank. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Max Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke in diesem Haus versucht wieder, hier einen Popanz gegen das Betreuungsgeld, aber vor allen Dingen auch gegen die Familien in unserem Land aufzubauen. ({0}) CDU/CSU und FDP werden gemeinsam ein Betreuungsgeld durchsetzen, weil es die jungen Familien stützt und ihnen vor allen Dingen auch die Wahlfreiheit ermöglicht, sich zu entscheiden, ob sie sehr schnell wieder in das Berufsleben einsteigen wollen oder sich eventuell etwas länger der Kindererziehung zu Hause widmen möchten - was sehr viele junge Frauen wollen. Umfragen zeigen klar - der Kollege Kues hat es gerade dargestellt -: 51 Prozent der jungen Eltern wollen länger die Möglichkeit, ihre Kinder selber zu betreuen. Deshalb ist das Betreuungsgeld goldrichtig, verehrte Damen und Herren. ({1}) Es ist schon bemerkenswert - da möchte ich an Frau Kollegin Laurischk anschließen -, wenn die Fraktion Die Linke hier eine Aktuelle Stunde vom Zaun bricht und deren Rednerin den Saal sofort wieder verlässt, weil sie einen anderen Termin hat. ({2}) - Da hilft auch keine Entschuldigung, lieber Herr Birkwald. Als Zeichen des Anstands ist es notwendig, dass man hier bleibt. ({3}) Dann muss man von Ihrer Fraktion hier eine andere Rednerin ins Parlament schicken. Man darf doch nicht einfach das Feld verlassen. ({4}) Anscheinend ist sie - so wie sie heute hier gegen Kinder argumentiert hat - auch als Vorsitzende der Kinderkommission eine glatte Fehlbesetzung. ({5}) Außerdem ist es erstens pure Heuchelei, was SPD, Grüne und Linke heute hier verzapfen; denn in erster Linie die SPD hat mit beschlossen, dass wir ein Betreuungsgeld einführen. Dafür stehen wir in der Kontinuität der Politik. Zweitens - und das ist sehr bemerkenswert - haben wir vier Länder, in denen es ein Landeserziehungsgeld gibt. ({6}) Alle diese Länder rühmen sich, dass das eine großartige Leistung ist. Wir in Bayern haben es sowieso; das ist völlig klar. Dieses Landeserziehungsgeld gibt es aber zum Beispiel als Betreuungsgeld auch in Thüringen. Dort ist die SPD mit an der Regierung. Wieso wäre etwas, was in Thüringen richtig ist, auf Bundesebene dann falsch? ({7}) Noch toller wird es in Baden-Württemberg. Dort haben Sie auch ein Landeserziehungsgeld. Die grün-rote Regierung steht dafür. Was in Baden-Württemberg richtig ist, kann doch auf Bundesebene nicht falsch sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Deshalb verstehe ich Ihre Entrüstung überhaupt nicht. Sie hätten doch in Baden-Württemberg die Möglichkeit, es abzuschaffen. Das tun Sie aber nicht, weil Sie für dieses Landeserziehungsgeld stehen. ({9}) Das zeigt sehr deutlich: Es ist richtig, junge Familien zu unterstützen. ({10}) Das haben Sie in diesen Ländern erkannt. Wir werden dies auf Bundesebene zur Durchsetzung bringen. Das ist meines Erachtens auch der richtige Weg. Ich halte auch nichts davon, wenn es immer heißt, das sei eine Fernhalteprämie ({11}) bzw. eine bildungspolitische Fernhalteprämie, wie es der Herr Kollege Birkwald dargestellt hat. ({12}) So hat man mit diesem Betreuungsgeld die Wahlmöglichkeit, damit auch besondere Unterstützung für das Kind zu gewähren - sei es, dass man damit dann möglicherweise auch eine Logopädin in Einzelbetreuung bezahlen kann. ({13}) Hier liegt es in der Entscheidungsgewalt der Eltern, das bewusste Fördern der Kinder voranzubringen. ({14}) Diese Leistung, die mit dem Betreuungsgeld bewerkstelligt wird, kann in einer Kinderkrippe in keinster Weise bewerkstelligt werden, weil dort eine Erzieherin für fünf, sechs oder sieben Kinder die Verantwortung trägt und nicht jedem Kind gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit widmen kann. Ein Letztes noch: Es wird immer behauptet, das Betreuungsgeld sei eine Prämie zum Fernhalten vom Arbeitsplatz. Das stimmt in keinster Weise. ({15}) In Bayern ist die Frauenerwerbstätigkeit am höchsten und in Thüringen am zweithöchsten in Deutschland. Das zeigt sehr deutlich: Der Bezug von Landeserziehungsgeld - dieses Geld ist einem Betreuungsgeld gleichzusetzen - heißt nicht, dass man vom Erwerbsleben ausgeschlossen ist. ({16}) Im Gegenteil: Die Wahlmöglichkeit fördert den Zugang zum Erwerbsleben. Auch deshalb habe ich für die Vorwürfe von der Arbeitgeberseite, vom BDA-Präsidenten bzw. von Herrn Schlarmann, kein Verständnis. ({17}) Wir fördern die Familien. Das ist ein Kernelement unserer gesellschaftspolitischen Auffassungen. ({18}) Darüber lässt sich weiterhin streiten. Ihre Einstellung bringt zum Ausdruck, dass Sie gegen die Familien sind. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, will ich noch darauf hinweisen, dass es in dieser Debatte - bei aller Leidenschaft; sie ist auch notwendig - um unsere Kinder und deren besten Weg in die Zukunft geht. Deshalb sollten wir diese Debatte - das gilt für alle - in der entsprechenden Würde führen. Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Sönke Rix. Bitte schön. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu den anderen Ländern: In Norwegen wird das Betreuungsgeld gerade wieder abgeschafft. In Schweden wird darüber sehr viel diskutiert. Passen Sie mit Begrifflichkeiten wie Erziehungsgeld, Betreuungsgeld und Elterngeld - Sie haben da allerhand durcheinandergeworfen - auf: ({0}) In Baden-Württemberg ist es nicht so, dass Menschen eine entsprechende Leistung bekommen, wenn sie ihr Kind nicht in eine Krippe schicken. Deshalb ist es nicht mit dem zu vergleichen, was hier gerade debattiert wird. ({1}) Auf die Frage, ob man nicht lieber länger zu Hause bleiben möchte, nachdem man ein Kind in die Welt gesetzt hat, ist das Betreuungsgeld keine Antwort. Vielmehr geht es darum, über Elternzeit und Elterngeld zu reden, anstatt ein Betreuungsgeld einzuführen. Wenn junge Menschen mit kleinen Kindern länger zu Hause bleiben wollen, dann müssen wir uns mit Änderungen bei der Elternzeit auseinandersetzen. Das Elterngeld ist keine Fernhalteprämie. ({2}) Ich will etwas dazu sagen, wie der Beschluss, das Betreuungsgeld einzuführen, eigentlich zustande gekommen ist. Ich will uns, genauer: die Große Koalition, loben, und zwar für die historische Leistung, den Krippenplatzausbau vorangebracht zu haben. ({3}) Das war eine historische Leistung; diese Leistung haben wir gemeinsam erbracht. Wahrscheinlich hätten Sie das allein nicht zustande gebracht und brauchten ein bisschen Unterstützung von uns. ({4}) Diese Unterstützung haben wir sehr gerne gegeben. Das dürfen wir an dieser Stelle auch nicht kleinreden. Wir haben damit einen großen Schritt hin zur wirklichen Wahlfreiheit gemacht. ({5}) - Ich höre natürlich nicht auf, lieber Kollege Grübel. Bei den Verhandlungen der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD mit den Ländern ging es um die Frage, ob ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingeführt werden soll. An dieser Stelle hat die CSU das Betreuungsgeld gefordert. Für uns Sozialdemokraten war da die Frage, ob eine windelweiche Formulierung in einer Klammer, „zum Beispiel Betreuungsgeld“, die keine Rechtsverbindlichkeit hat, in den Gesetzestext aufgenommen oder ob dieser Rechtsanspruch fallen gelassen werden soll. Wir haben uns für den Rechtsanspruch ausgesprochen, und das ist auch gut so. ({6}) Was bisher aufgeschrieben worden ist, hat keine Rechtsverbindlichkeit. Die Kollegin der FDP und andere hier im Hause, auch die Kollegen der Union, können in dieser Debatte jetzt nicht so tun, als ob sie gar nichts dafür können, dass im Koalitionsvertrag steht, dass Sie das Betreuungsgeld einführen wollen. Wir hätten uns nicht beschwert, wenn Sie es nicht vereinbart hätten - keine Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Dadurch, dass Sie sich heute wegducken und nicht positionieren, glauben Sie, erreichen zu können, dass dieses Gesetz nicht kommen wird. Wenn Sie es wirklich nicht wollen, dann stellen Sie sich doch heute hier hin und sagen Sie: In der Koalitionsvereinbarung haben wir Mist aufgeschrieben. Wir haben noch viel mehr Mist aufgeschrieben, den wir nicht umsetzen, und an dieser Stelle setzen wir den Mist mit dem Betreuungsgeld ebenfalls einfach nicht um, weil wir den Kritikern - Vertretern der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaften, der Arbeitsministerin, Politikern aus unseren eigenen Reihen - folgen und sagen: Nein, wir wollen diesen bildungspolitischen Unsinn nicht umsetzen. - Sie haben die Gelegenheit dazu. Machen Sie es auch! ({8}) Nun noch etwas zur Frage der Finanzierbarkeit. ({9}) Im Moment werden für das Betreuungsgeld 2 Milliarden Euro kalkuliert. Gleichzeitig ist es leider eine Tatsache, dass der Krippenplatzausbau ins Stocken geraten ist. Angesichts dessen müssen Sie jetzt begründen, warum Sie 2 Milliarden Euro nicht lieber in den Krippenplatzausbau stecken. Dass eine Wahlfreiheit gar nicht erst zustande kommen kann, weil es nicht genügend Krippenplätze gibt, das müssen Sie begründen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Noch ein Argument ist, glaube ich, an dieser Stelle sehr wichtig. Sie tun bei dem Argument der Wahlfreiheit so, als ob diejenigen, die sich dafür entscheiden, ihr Kind in die Krippe, in den Kindergarten zu geben, dafür nichts bezahlen müssten. In der Regel ist es aber so, dass sie etwas dafür bezahlen müssen. Also bestrafen Sie diejenigen, die ihre Kinder in die Krippe geben, doppelt, weil sie einerseits nicht das Betreuungsgeld bekommen sollen und weil sie andererseits für das, für das sie sich bei der angeblichen Wahlfreiheit entschieden haben, auch noch eine Gebühr bezahlen müssen. Sie benachteiligen diejenigen, die ihre Kinder in die Krippe geben wollen, und das ist der Skandal an der Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Wie gesagt, Sie haben die Gelegenheit, das, was im Koalitionsvertrag steht, so wie auch einiges andere, was im Koalitionsvertrag steht, einfach nicht umzusetzen. Unsere Unterstützung haben Sie dabei. Ich hoffe da ein bisschen auf die Vernünftigen in der Union, die sich häufig lautstark äußern, ({12}) und auch auf die in der FDP. Ich würde mich freuen, wenn es denn irgendwann einmal zu einer gemeinsamen Linie Ihrer Koalition käme, und würde mich noch mehr freuen, wenn die hieße: Kein Betreuungsgeld. Danke schön. ({13})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner und auch letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Norbert Geis. Bitte schön, Kollege Geis. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein nicht enden wollendes Thema. Wir werden uns auch weiterhin streiten müssen. Wenn es wenigstens nur um den Weg ginge! Aber Ihnen geht es ja darum, dass das Betreuungsgeld überhaupt nicht kommt. ({0}) Da sehe ich einen Widerspruch zu Ihrem Verhalten in der Zeit, als Sie noch in der Großen Koalition waren; daran kommen Sie nicht vorbei. Sie haben damals mit dafür gestimmt, dass das Betreuungsgeld parallel zur Krippe kommt. ({1}) Es geht hier auch nicht um die Kindergartenkinder, also nicht um die Kinder ab dem dritten Lebensjahr, sondern es geht um die Krippenkinder, um die Kinder, die vom ersten bis zum dritten Lebensjahr in die Krippe kommen. Das wird häufig auch draußen verwechselt. Das wollte ich noch einmal klarstellen. Sie haben damals in der Großen Koalition mit dafür gestimmt; daran kommen Sie nicht vorbei. Das Betreuungsgeld hatte einen Vorläufer. Das war das Erziehungsgeld. Dagegen haben Sie überhaupt nichts unternommen. ({2}) - Nein. Ich will es Ihnen genau sagen: Zunächst war das Erziehungsgeld, das jede Mutter bekam, 300 Euro, für das erste und das zweite Jahr. Das wurde vom Bund gezahlt. Dann haben sich Länder angeschlossen, darunter Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen, und haben gesagt: Für das dritte Jahr zahlen wir einkommensabhängig - das will ich dazusagen - das Landeserziehungsgeld. - Es gibt also einen Vorläufer für das Betreuungsgeld. Dann kam das Elterngeld. Wir haben darauf gedrängt, dass für die Frauen, die kein Elterngeld bekommen können, weil sie vorher nicht erwerbstätig waren, Erziehungsgeld gezahlt wird. ({3}) Das Erziehungsgeld wird so wie das Elterngeld im Augenblick nur für das erste Lebensjahr gezahlt. ({4}) Wir wollen die Fortsetzung dieser Zahlung für das zweite und für das dritte Jahr - genauso wie vorher beim Erziehungsgeld. Es geht beim Betreuungsgeld lediglich darum, dass wir für das zweite Jahr Betreuungsgeld zahlen und keine Lücke lassen. Wir sind der Auffassung, dass das Erziehungsgeld damals eine richtige Entscheidung war. Sie alle haben sie mitgetragen. Die SPD hat sie mitgetragen. ({5}) Die Grünen haben sie mitgetragen. ({6}) Niemand kam auf die Idee, das Erziehungsgeld abzuschaffen. Niemand! Das wäre auch verfassungswidrig gewesen. Es gibt eine ganz klare verfassungsgerichtliche Entscheidung, nach der es notwendig ist, der Frau, die daheimbleibt, um ihre Kinder zu erziehen, einen entsprechenden Ausgleich zu geben. Darum geht es. ({7}) - Es gibt jetzt kein Erziehungsgeld. Das war der Vorläufer vom Betreuungsgeld. ({8}) - Nein! Sie unterscheiden nicht! Ich wiederhole noch einmal, damit es klar ist: Wir hatten zunächst das Erziehungsgeld. ({9}) Dann kam das Elterngeld. Daneben zahlen wir nur noch für das erste Jahr Erziehungsgeld, das jetzt „Elterngeld II“ heißt. ({10}) - Nein! Wenn Sie Ihre eigenen gesetzlichen Grundlagen nicht kennen, dann tut es mir leid. ({11}) Ich verstehe nicht, weshalb Sie gegen die Fortsetzung dieses Erziehungsgeldes in der Form des Betreuungsgeldes sind. Das verstehe ich nicht. Das ist auch nicht nachvollziehbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum sind Sie so sehr gegen das Betreuungsgeld? Es gibt in ganz Schweden Betreuungsgeld. Die Schweden zahlen Betreuungsgeld. Die Norweger zahlen über 400 Euro Betreuungsgeld. Die Dänen zahlen Betreuungsgeld. Island zahlt Betreuungsgeld. Finnland zahlt Betreuungsgeld. In Frankreich wird Betreuungsgeld gezahlt. In Österreich wird Betreuungsgeld gezahlt. Es kann doch nicht sein, dass dort nur die ganz Konservativen sitzen. Es ist eine vernünftige Entscheidung dieser Länder. Wir wollen jetzt nachziehen. Ich will ein Weiteres dazu sagen. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das Wort hat immer noch der Kollege Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie behaupten, die Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita, nicht in die Krippe geben, hätten ein veraltetes Familienbild. ({0}) Wir haben eine Million Eltern, die ihr Kind im Augenblick nicht deshalb in die Krippe geben, weil sie keinen Platz finden, sondern weil sie es nicht wollen. Das wird es auch in Zukunft geben. Wir werden in Zukunft Eltern haben, die ihr Kind nicht in die Kindertagesstätte geben. ({1}) Wir zahlen von Staats wegen für die Kindertagesstätte - es ist richtig, dass die Eltern einen Teil dazubezahlen zwischen 700 und 900 Euro im Monat. Es ist nicht gerecht, wenn wir den Eltern, die ihr Kind nicht in die Kita geben, dafür keinen Ausgleich geben. Wir wollen einen Minimalausgleich in Höhe von 150 Euro geben. Davon kann man nicht behaupten, das sei eine Fernhalteprämie. Was ist das für eine Vorstellung von den Menschen, die nicht bereit sind, ihr Kind in die Kita zu geben? Diese Entscheidung haben wir zu achten. Es ist eine freie Entscheidung. ({2}) Deswegen glaube ich, dass Sie falsch liegen. Heute sind die neuesten Umfragen von RTL und Stern herausgekommen. Diese Umfragen zeigen, dass die 18- bis 29-Jährigen mit absoluter Mehrheit das Betreuungsgeld haben wollen. ({3}) Sie werden sehen: Wenn das Betreuungsgeld eingeführt ist, dann wollen es 90 Prozent haben. Dann werden wir Sie an Ihre heutige Argumentation erinnern, die völlig falsch ist. Danke schön. ({4})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 26. April 2012, 9 Uhr, ein. Ich freue mich, Sie dann alle hier begrüßen zu dürfen. Die Sitzung ist geschlossen.