Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich und rufe gleich den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Demografiestrategie der
Bundesregierung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter
Friedrich. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Das Bundeskabinett hatte heute in
seiner 100. Sitzung in dieser Wahlperiode ein wichtiges
Thema auf der Tagesordnung, nämlich die Demografiestrategie der Bundesregierung. Wie Sie sich vielleicht erinnern, haben wir im Oktober im Kabinett den Demografiebericht, also den Bericht der Bundesregierung über
die aktuelle demografische Lage und zu Prognosen der
demografischen Entwicklung, zur Kenntnis genommen.
Damals hat es nicht überrascht und überrascht auch
heute nicht, dass sich die demografische Entwicklung in
diesem Land dergestalt auswirkt, dass die Bevölkerungszahl sinkt und die Menschen im Durchschnitt älter werden. Es gilt, dieser Tatsache Rechnung zu tragen, statt
wie das Kaninchen vor der Schlange abzuwarten, bis die
Dinge zum Problem werden. Man sollte also die Chancen, die in einer solchen Entwicklung liegen, wahrnehmen.
Ich glaube, die größte Chance besteht darin, dass man
sich eine Modernisierung von Staat, von Gesellschaft,
von Strukturen, von Arbeitswelt vornimmt. Deshalb hat
die Bundesregierung in Form der vorliegenden Demografiestrategie ein Rahmenwerk entwickelt, welches den
Titel trägt: „Jedes Alter zählt“. Mit dem Titel wird schon
zum Ausdruck gebracht, was wichtig ist: Wir brauchen
nämlich jeden in dieser Gesellschaft; wir brauchen das
Potenzial eines jeden, um zum Gelingen dieser Gesellschaft beizutragen.
Wir haben insgesamt sechs verschiedene Bereiche
identifiziert, die als Rahmen für den Dialog mit Gesellschaft, Ländern und Kommunen dienen sollen.
Erstens die Familie. Die Familie ist der Ort des engsten sozialen Miteinanders: Alt und Jung, Kinder, Eltern
und Großeltern.
Zweitens den Bereich der Arbeitswelt. Also: Wie
muss sich die Arbeitswelt verändern, um den Anforderungen, den Wünschen und den Bedürfnissen der Menschen Rechnung zu tragen?
Drittens selbstbestimmtes Leben auch im Alter. Ich
glaube, auch das ist ein wichtiges, zentrales Thema.
Viertens die Unterschiede zwischen ländlichen Räumen und Metropolen. Hier gibt es völlig unterschiedliche und sehr ausgeprägte Problemstellungen: Wie halten
wir auf der einen Seite den ländlichen Raum attraktiv
und lebenswert? Wie können wir auf der anderen Seite
die Vielfalt, die sich in den Metropolen in vielerlei Hinsicht abzeichnet, zu einer integrierten Stadtpolitik zusammenfassen?
Fünftens. Wie können wir als älter werdende Gesellschaft mit den jungen und dynamischen Volkswirtschaften dieser Welt auch in Zukunft konkurrieren und wettbewerbsfähig bleiben? Hier geht es also um den
ökonomischen Aspekt.
Sechstens die Frage der Handlungsfähigkeit des Staates, und zwar sowohl in finanzpolitischer Hinsicht als
auch im Hinblick auf die Dienstleistungsfähigkeit und
die moderne Verwaltung des Staates.
Nach Bekanntgabe des Beschlusses im Kabinett ist es
jetzt unser Ziel, das weitere Vorgehen in verschiedenen
Arbeitsgruppen, in denen ein Kovorsitz jeweils einem
Ressortminister zufallen soll, während der andere Kovorsitzende aus einem der gesellschaftlichen Bereiche
kommen soll, mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu
diskutieren. Dies soll gruppen-, aber auch ebenenübergreifend geschehen; zugleich sollte aber bei den Ländern
und Kommunen das Bewusstsein vorhanden sein, dass
wir uns nicht in ihre Kompetenzen einmischen wollen,
sondern dass wir gemeinsam mit ihnen eine Politik des
demografischen Wandels aus einem Guss gestalten wollen.
So weit, Herr Präsident.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die erste Nachfrage
geht an die Kollegin Bätzing-Lichtenthäler.
Ganz herzlichen Dank, Herr Minister Friedrich. - Sie
haben gerade die Demografiestrategie der Bundesregierung vorgestellt. Aktuell wird noch ein anderes Thema
heiß diskutiert, nämlich das Projekt der Koalition zur
Einführung eines Betreuungsgeldes. Ich würde mich
freuen, wenn Sie kurz skizzieren könnten, wie ein solches Instrument wie das Betreuungsgeld mit den Zielen
Ihrer Demografiestrategie - bessere Bildungschancen
für Kinder, Integration und Fachkräftesicherung - in
Einklang zu bringen ist.
Das ist ein wichtiger Aspekt, der insbesondere mit
dem ersten Themenkomplex Familien stärken zusammenhängt. Im Rahmen unserer Strategie haben wir als
einen wichtigen Punkt identifiziert, dass sich unsere Familien mehr Zeitsouveränität für sich und ihre Angehörigen wünschen, um ihren jeweiligen familiären Wünschen, Anliegen und Vorhaben gerecht werden zu
können. In diesem Rahmen spielt natürlich die Frage
eine große Rolle, mit welchen zusätzlichen Möglichkeiten wir bei der Betreuung und Erziehung von Kindern
Unterstützung gewähren können.
In diesem Kontext geht es auch darum, dass die Zahl
der Kitaplätze weiter ausgebaut wird, um für diejenigen
- es sind immerhin zwischen 35 und 40 Prozent der Bevölkerung -, die ihr Kind früh in eine Kita geben wollen,
eine entsprechende Möglichkeit zu schaffen. Andere entscheiden sich für Tagesmütter, wiederum andere wollen
ihre Kinder selbst betreuen. Die entsprechende Wahlfreiheit sollte durch eine Vielfalt der Möglichkeiten in jeder
Hinsicht unterstützt werden. Ich denke, dass das Betreuungsgeld, das von der Koalition vereinbart wurde und
von der Bundesregierung beschlossen ist, hierzu einen
Beitrag leisten kann.
Frau Gottschalck, bitte.
Sie haben im Bericht dargestellt, wie ungleichmäßig
die demografische Entwicklung in den Regionen und in
den Metropolen verläuft. Fakt ist, dass die Kommunen
hierfür vor Ort einen großen Teil der Verantwortung tragen und entsprechende Maßnahmen umsetzen müssen.
In dem Zusammenhang möchte ich fragen: Gibt es in Ihrem neuen Papier konkrete Vorschläge für eine Strategie,
wie Sie die Kommunen stärken und fördern wollen? Das
haben wir in der Beantwortung unserer Großen Anfrage
ein wenig vermisst. Deshalb meine Nachfrage: Wo wollen Sie hier Verantwortung übernehmen, und welche
Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Was die finanzielle Entlastung der Kommunen angeht, hat diese Koalition, glaube ich, bereits Maßstäbe
gesetzt; ich erinnere beispielsweise an die Übernahme
der Kosten für die Grundsicherung. Die finanzielle Entlastung aller Kommunen ist ein wichtiger Aspekt.
Sie haben recht, dass insbesondere die Kommunen in
strukturschwachen Gebieten gefordert sind, die vom demografischen Wandel in besonderer Weise betroffen
sind. Es gibt hier - das haben Sie in Ihrer Frage auch bereits zum Ausdruck gebracht - hervorragende Beispiele,
insbesondere von Kommunen in den neuen Ländern, die
zuallererst gefordert waren - manche schon vor 20 Jahren -, weil sie die Hälfte ihrer Bevölkerung in kürzester
Zeit verloren haben. Der Dialog mit den Kommunen ist
also sehr wichtig. Wir wollen deswegen eine Internetplattform schaffen, um mit den Ländern - das müssen
wir allerdings mit ihnen noch besprechen - und Kommunen zu einem Dialog zu kommen.
Ein Problem ist - damit wird auch jeder von uns immer wieder in seinem Wahlkreis konfrontiert -, dass es
eigene Programme des Landes, des Bundes und der
Kommunen gibt. Das Programm des Bundes läuft dann
aus; die Anschlussfinanzierung ist nicht gesichert. Dieses Durcheinander muss beendet werden. Wir brauchen
für jeden Bereich, für Kommunen oder etwas größere
Regionen, einen Gesamtansatz. Wir wollen versuchen,
einen solchen mit einem Dialog über diese Strategie zu
erreichen.
Frau Dittrich, bitte.
Vielen Dank. - Ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie
mit mir übereinstimmen bzw. es ebenso sehen: Laut
Art. 20 des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik ein
„sozialer Bundesstaat“. Die Demokratie hat sich im Verlauf der Jahrtausende von der griechischen Antike, als
nur freie, besitzende, reiche Bürger abstimmen durften,
über den Feudalismus bis hin zum jetzigen Parlamentarismus, in dem alle Bürger, nicht nur die Reichen und
Besitzenden bzw. die Unternehmer, abstimmen dürfen,
entwickelt. Im Hinblick auf die Demografie bedeutet
das, dass man davon ausgehen muss, dass die Menschen,
die arbeiten, all diejenigen unterhalten müssen, die noch
nicht arbeiten, also die Kinder, diejenigen, die nicht arbeiten können, also die Menschen mit Behinderung, und
diejenigen, die schon älter sind und nicht mehr arbeiten
müssen, ebenso wie die kleine, radikale Minderheit, die
in keiner Gesellschaftsordnung jemals gearbeitet hat,
weil sie es nicht nötig hat. Nach Angaben der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung haben wir nun
eine demografische Situation, in der der Gesamtquotient
der Menschen, die nicht arbeiten bzw. nicht im arbeitsfähigen Alter sind und unterhalten werden müssen, geringer ist als in den 70er-Jahren.
Frau Kollegin.
Wie können Sie angesichts dessen von einer „Verteilungsproblematik“, von einer Spaltung zwischen Alt und
Jung sprechen? Wie kommen Sie auf solch eine Spaltung?
Zunächst einmal stimme ich Ihnen voll und ganz zu:
Ich glaube, dass es in der Geschichte auch im internationalen Vergleich kaum ein Land gibt, das mit einer solchen rechtsstaatlichen Kraft für die Gesamtheit, für die
Summe seiner Bürger sorgt wie dieses Land. An der Gestaltung dieses Sozialstaates haben so viele Menschen
mitgewirkt. Sie haben recht: Wir können wirklich stolz
darauf sein und müssen alles daransetzen, dass es auch
in Zukunft unter veränderten Bedingungen so bleibt.
Ein Zustand wird jedoch immer bleiben: Diejenigen,
die arbeiten können, die aktiv sein können, müssen etwas für die tun, die nicht mehr arbeiten können, die nicht
mehr aktiv sind. Dieser Verteilungszusammenhang wird
immer existieren. Die Aktiven sind also auch für diejenigen da, die nicht mehr aktiv sein können. Im Idealfall
sind nur diejenigen nicht aktiv, die es objektiv nicht können, und nicht auch diejenigen, die es nicht wollen.
Notwendig ist, dass wir das Potenzial all derjenigen
nutzen, die schaffen, arbeiten und einen Beitrag leisten
können. So gewinnen wir - jeder von uns - vor dem
Hintergrund der demografischen Entwicklung zusätzliche Jahre. Wir haben diese als „gewonnene Jahre“ bezeichnet, die man für sich nutzen kann, aber auch für die
Gesellschaft im Ehrenamt einbringen kann. Ich glaube,
wir können auch unter den veränderten Bedingungen das
Potenzial, das überall in der Bevölkerung vorhanden ist,
optimal nutzen, um diese Gesellschaft, dieses Land voranzubringen und, wie Sie richtig sagen, seine großen
sozialen Errungenschaften zu bewahren.
Kollege Liebing.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben bei der Darstellung der verschiedenen Handlungsfelder unter viertens darauf hingewiesen, wie unterschiedlich sich die demografische Entwicklung in den
ländlichen und den städtischen Regionen vollzieht: In
den ländlichen Regionen kommt der demografische
Wandel früher an und ist in seinen Wirkungen heftiger;
manche Probleme sind schon heute sehr viel stärker
spürbar. Ich würde gerne von Ihnen wissen, inwieweit
Sie mit dieser Strategie spezielle Lösungsansätze für
diese ländlichen Regionen anbieten, welche speziellen
Themen- und Handlungsfelder Sie dort identifiziert haben und ob mit dieser Strategie schon bestimmte Maßnahmen verbunden sind, die umgesetzt werden sollen.
Vielen Dank. - Die Antwort auf die Frage: „Wie können wir die ländlichen Räume lebenswert halten?“, fällt
ja sehr individuell aus; denn es ist ein Unterschied, ob
eine Kleinstadt im Umfeld von Berlin oder München
liegt oder irgendwo fernab der Metropolen. Insofern hat
man auch in den ländlichen Räumen durchaus unterschiedliche Ausgangspunkte und -situationen. Wichtig
ist aber, dass wir insbesondere in vier Bereichen dafür
sorgen, dass der ländliche Raum und die strukturschwächeren Gebiete lebenswert bleiben: im Bereich Bildung,
also beim Zugang zu Bildung, auch zu Weiterbildung für
junge Menschen, für Kinder; im Bereich Infrastruktur,
insbesondere Verkehrsinfrastruktur, Mobilität, aber auch
Internet - ein spezielles Thema, über das man ausführlicher sprechen müsste -; im Bereich Gesundheitsversorgung - auch das wird ein Schwerpunkt sein, bei dem
sich der Bundesgesundheitsminister in besonderer Weise
einbringt - und schließlich im Bereich Kultur; ich
glaube, das darf man nicht unterschätzen. Wir müssen
dafür sorgen, dass nicht die Situation entsteht, dass es
nur noch in den Großstädten und Metropolen einen Zugang zu Kultur gibt und nicht mehr sozusagen draußen
in den ländlichen Räumen. Vielmehr müssen wir dafür
sorgen, dass auch in den ländlichen Räumen der Zugang
zu Kultur - Erreichbarkeit von Theatern, von Kinos usw. gewährleistet ist. Das ist eine große Aufgabe, insbesondere muss man sich hier der Frage stellen: Welche neuen
Mobilitätskonzepte brauchen wir?
Frau Scharfenberg.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben in der Demografiestrategie „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ als einen der zentralen Punkte identifiziert. In diesem Zusammenhang wird auch auf die
pflegerische Versorgung Bezug genommen. Es werden
einige wichtige und auch richtige Punkte genannt, beispielsweise die Einführung des neuen Pflegebegriffs
oder auch das Thema Prävention.
Sie haben zu Beginn gesagt: Wir dürfen nicht abwarten, bis die Dinge zum Problem werden. Darum frage ich
Sie: Wenn wir erkannt haben, dass wir die Einführung
eines neuen Pflegebegriffs und auch eine Stärkung der
Prävention gerade im Bereich „Selbstbestimmtes Leben
im Alter“ brauchen, warum wird dann dieses Wissen im
aktuellen Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz nicht genutzt?
Warum greift man nicht darauf zurück, indem man sich
mit dem Pflegebegriff oder auch mit dem Thema Prävention befasst? Warum werden jetzt nur Absichtserklärungen formuliert, denen aktuell nichts folgt, obwohl wir
das wissen und auch Sie der Auffassung sind, dass wir
nicht abwarten dürfen, bis die Dinge zum Problem werden?
Sie weisen völlig zu Recht darauf hin, dass der Aspekt Pflegebegriff in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Ich will mich in die Auseinandersetzungen der Fachpolitiker nicht einmischen, kann aber sagen,
dass wir bei den verschiedenen Veranstaltungen, die wir
im Vorfeld durchgeführt haben, ein Faktum festgestellt
haben, nämlich dass in Deutschland der Zeitraum zwischen dem Auftreten von Pflegebedürftigkeit und dem
Tod relativ lang ist, und zwar viel länger als in anderen
Ländern. Hier kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu; denn alle Experten sagen uns: Ihr wärt in der
Lage, diesen Zeitraum zu verringern, wenn ihr im Bereich Prävention früher und konsequenter ansetzt.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Alter - früher
war es definiert: Jemand ist nicht mehr im Arbeitsprozess, jemand kann sich nicht mehr beteiligen und bekommt Rente - heute eine völlig neue Dimension hat.
Wir haben aktive Senioren, wir haben Menschen, die
zwar aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden, aber
die noch für viele erfüllte Jahre Kraft haben und die sich
am gesellschaftlichen Geschehen beteiligen können.
Insofern hat auch Alter heute ganz verschiedene Abschnitte. Der Pflegeabschnitt ist sehr wichtig, aber ihm
geht der Abschnitt der Prävention voraus. Hier wollen
wir einen Schwerpunkt setzen. Im Bereich der Pflege ist
es notwendig, dass Aspekte des menschenwürdigen Lebens auch in einer solch hilflosen Situation beachtet werden. Als Expertin für den Bereich Pflege werden Sie mit
den Kollegen einen fruchtbaren und sinnvollen Dialog
führen, der im weiteren Fortgang auch in die Strategie
einfließen wird.
Kollege Müntefering.
Herr Minister, Sie nehmen die Zahlen bis 2030 als
Grundlage für die Strategie. Das ist eine Verniedlichung
und auch ein bisschen eine Irreführung, weil man sehr
genau weiß, dass wir es 2050 bzw. 2060 mit ganz anderen Dimensionen zu tun haben. Die Menschen, die heute
20 Jahre alt sind, werden 2030 38 Jahre alt sein; es liegen dann aber noch 20, 30 Jahre vor ihnen, in denen sie
in aller Massivität mit den Aufgaben konfrontiert sein
werden, die sich aus der zukünftigen Situation ergeben.
Sie sprechen über Metropolen und ländliche Räume,
sagen aber nichts dazu, dass es Städte, auch große
Städte, gibt, die längst ganz konkret erhebliche Probleme
mit dem demografischen Wandel haben. Sie sind mitten
drin. Das Land kann man also nicht in Dörfer und Städte
aufteilen, sondern hier geht es um ganz andere Dimensionen. Sie sagen eigentlich nichts dazu, was getan werden soll, damit die Kommunen in entsprechender Weise
- so unterschiedlich sie betroffen sind - in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Im Gegenteil, Sie
kündigen - sozusagen eine Verkündigung aus dem
Kanzleramt - an: Es wird Gipfel geben.
Wären Sie bereit, im weiteren Verlauf der Debatte die
Zahlen bis 2050/2060 zur Grundlage zu nehmen und dafür zu sorgen, dass es einen Dreieckstisch gibt, an dem
Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen und möglichst auch vom Parlament sitzen, damit man zu Regelungen kommt, die wirklich zielführend sind?
Herr Müntefering, Sie geben einen wichtigen Hinweis. Wir haben uns im Demografiebericht vom Oktober
auch die Zahlen bis 2050 angeschaut. Je nach Szenario,
das man zugrunde legt, kommt man auf bis zu 17 Millionen Menschen weniger in Deutschland. Insofern haben
Sie recht: Man könnte einen längeren Zeitraum nehmen.
Warum haben wir einen kürzeren gewählt? Weil es ohnehin sehr schwierig ist, in die Zukunft zu blicken. Je weiter man in die Zukunft geht, umso zahlreicher und nebulöser werden die möglichen Szenarien. Deswegen haben
wir gesagt: Wir nehmen einen überschaubaren Zeitraum.
Ich glaube, 20 Jahre sind eine Zeit, an der man sich auch
sehr konkret bei den tagespolitischen Weichenstellungen
orientieren kann.
Sie sagen darüber hinaus etwas ganz Zentrales: Wir
brauchen für das Gelingen der Modernisierung von Staat
und Gesellschaft vor allem diejenigen, die unmittelbar
vor Ort aktiv sind. Das sind die Kommunen. Deswegen
haben wir die Kommunen einbezogen. Dem Bericht
- übrigens auch der Strategie - liegen die Handlungsempfehlungen aus den neuen Ländern zugrunde, wo
Bürgermeister schon sehr viele Erfahrungen gesammelt
haben. Wir haben gestern bei der Veranstaltung im
Kanzleramt Landräte und Stadträte aus den Metropolen
eingeladen. Selbstverständlich haben wir vor, einen ganz
engen Dialog mit den Kommunen zu führen. Mit den
Ländern wollen wir über die Einrichtung eines Internetportals sprechen, sodass wir unter Nutzung der modernen Kommunikationsmöglichkeiten sehr zügig ins Gespräch kommen können. Wie genau wir das konkret
machen werden - mit Dreiecks-, Vierecks-, Fünfecksoder runden Tischen -, können wir uns überlegen. Ich
bin für alle Vorschläge offen.
Frau Rößner.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, lassen
Sie mich eine kurze Vorbemerkung zur Information des
Bundestages machen. Während wir als Bundestagsabgeordnete die Strategie erst heute zu Gesicht bekommen
haben, lag sie einzelnen Medien - wie der Zeit oder der
Welt - schon seit mindestens fünf Tagen vor. Das verwundert schon sehr. Vielleicht können Sie dazu etwas
sagen; denn auch die Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ wurde der Presse vorab zugespielt,
bevor die Öffentlichkeit und der Bundestag darüber informiert wurden.
Meine Frage bezieht sich auf die Breitbandversorgung. Sie geben das Ziel an, bis 2014 in drei Vierteln der
Haushalte Breitband mit 50 Megabit zur Verfügung zu
stellen. Ich frage Sie: Mit welchen Mitteln wollen Sie
dieses Ziel in gut eineinhalb Jahren erreichen, da heute
nicht einmal 10 Prozent der Haushalte eine solche Bandbreite nutzen oder nutzen können? Bedarf es nicht erst
einmal einer flächendeckenden Grundversorgung von
richtigem Breitband?
Sie sagen zu Recht, dass diese Strategie schon im
Vorfeld diskutiert wurde. Wir haben an der Erarbeitung
dieser Strategie - das muss man sehen - fast alle Ressorts beteiligt. Es gab also eine breite Einbindung, und
da ist es immer möglich, dass Teile der Strategie vorab
bekannt werden.
({0})
Ich glaube aber, dass es unschädlich ist, wenn man darüber redet und diskutiert. Wir wollen ja eine breite Debatte anstoßen.
Das Gesamtwerk ist heute im Kabinett beschlossen
worden. Es wird Ihnen heute vorgelegt. Ich glaube, das
ist der entscheidende Punkt, auf den es ankommt. Wir
werden sehen, wie wir künftig die Vorschläge, die im
Dialog bzw. in den Gesprächen gemacht werden, einbeziehen. Das ist überhaupt keine Frage. Alles, was Ihrerseits, vonseiten des Parlaments und vonseiten der Gesellschaft, an Impulsen kommt, wird aufgenommen. Das
ist ein Prinzip, eine Methode, eine Herangehensweise,
die wir so vereinbart haben.
Wir stehen jetzt ja am Beginn dieses Prozesses. Ich
möchte darauf hinweisen, dass wir am Ende des Strategiepapiers unter der Überschrift „Ebenenübergreifender
Dialog“ die Gründung von Arbeitsgruppen angekündigt
haben, bei denen die verschiedenen Ressortchefs Kovorsitzende sein sollen. Wenn Sie sich das anschauen, erkennen Sie, dass die Möglichkeit besteht, sich an der einen oder anderen Stelle einzubringen. Ich glaube, das ist
insbesondere für das Parlament ein wichtiger Punkt, weil
jeder von uns in seinem Wahlkreis gefordert wird.
Mit Blick auf die nach wie vor beachtliche Anzahl
von Wortmeldungen möchte ich noch einmal darum bitten, die vorgesehene Redezeit von einer Minute möglichst einzuhalten.
Nächste Frage von Frau Crone. Bitte.
Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Minister, im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel sprechen
wir immer vom Fachkräftemangel. Zwei Berufsgruppen
sind davon schon jetzt besonders betroffen: die Pflegerinnen und die Erzieherinnen. Die Arbeitsbedingungen
und die Ausbildung in diesen Bereichen müssen ganz
schnell und ganz massiv verbessert werden. Ich frage
Sie: Muss Ihre Strategie in Anbetracht dieser Herausforderung - ich denke vor allem an den erforderlichen Ausbau im Bereich der Kinderbetreuung - nicht bereits
heute um dieses Thema ergänzt und entsprechend konkretisiert werden?
Sie haben absolut recht. Das Thema Zuwanderung ist
ein zentrales Thema, auch in der aktuellen tagespolitischen Auseinandersetzung.
({0})
- Ich dachte, Sie meinten die Zuwanderung von Pflegekräften.
({1})
- Entschuldigung. Das habe ich missverstanden. Die
Ausbildung von Pflegekräften ist ein zentrales Thema.
Beim Thema Pflegekräfte dachte ich an die Diskussion
über die Pflegekräfte, die aus anderen Ländern zu uns
kommen, die heute oder gestern geführt wurde. Ich bitte
um Verzeihung.
Die Ausbildung von Pflegekräften ist ein wichtiges
Thema. Es ist auch dafür zu sorgen, dass in den Kitas
bzw. Kindergärten ausreichend Erzieherinnen vorhanden
sind. Das werden zentrale Themen sein, über die wir mit
Frau von der Leyen und Frau Schröder, aber auch mit
der Wissenschaftsministerin sprechen werden. Die Wissenschaftsministerin hat ja angekündigt, das ganze
nächste Jahr unter die Überschrift „Forschung und Demografie“ zu stellen. Ich glaube, es wird möglich sein,
dass Familien-, Frauen- und Jugendministerium, Arbeitsministerium und Forschungsministerium gemeinsam einen Ansatz finden, wie wir qualitativ hochwertig
ausgebildete Erzieherinnen und Pflegekräfte zur Verfügung stellen können; denn - damit haben Sie völlig recht das sind wir den Menschen schuldig, auch unseren Kindern.
Herr Körber.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister,
Sie haben viel Richtiges zu den Punkten ausgeführt, die
große Konsequenzen für den ländlichen Raum haben
werden: Zugang zu Bildung und Mobilität. Vielleicht
können Sie noch etwas dazu ausführen, was konkret im
Bereich des Wohnens, des Städtebaus gemacht wird.
Wenn ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause
wohnen können, was oftmals ihr Wunsch ist, ist das ja
auch günstiger. Bundesminister Bahr hat das Modell der
Pflege-WG vorgestellt. Vielleicht können Sie dazu etwas
ausführen.
Sie haben einen wichtigen Hinweis gegeben. Das Modell der Pflege-WG und unsere Überlegungen zum
Handlungsfeld „Selbstbestimmtes Leben im Alter“ machen deutlich, dass wir uns hier stark engagieren und uns
der Frage stellen, wie wir dafür sorgen können, dass
Menschen in ihrem häuslichen Umfeld Pflege erfahren.
Es geht hier um zentrale Fragen, die jetzt beantwortet
werden müssen.
Der Bauminister hat in verschiedenen Zusammenhängen darauf hingewiesen, dass eine große Offensive auf
den behindertengerechten und altersgerechten Aus- und
Umbau von Wohnungen zielt, sodass man sich in diesen
Wohnungen auch mit Rollstühlen und Gehhilfen fortbewegen kann.
Das alles sind wichtige Bestandteile der Strategie.
Diese müssen jetzt, wie gesagt, von den Fachpolitikern
vorangetrieben werden, wobei natürlich eine enge Verzahnung mit den Sozialministerien der Länder notwendig ist. Man muss ja sehen, dass wir vonseiten der Bundesregierung in vielen Bereichen zwar den Rahmen
vorgeben und Impulse setzen können, dass vieles aber
durch die Länder, insbesondere durch die Sozialministerien, ausgeführt bzw. gesetzlich umgesetzt werden muss.
Jetzt kommt es darauf an, dass wir all die Ansätze, die
schon existieren, zusammenführen und bündeln, um
dann gemeinsame Lösungen zu präsentieren.
Ich weiß nicht, wie ich jetzt noch am besten den Bogen zum Breitbandausbau schlagen kann; auch danach
haben Sie ja gefragt. Der Breitbandausbau ist ein wichtiges Thema, über das wir natürlich auch mit den Ländern
sprechen müssen; denn Breitbandstrategie und -ausbau
sind nicht nur Bundesangelegenheit, sondern auch Angelegenheit der Länder und der Kommunen. Über eines
sind wir uns, glaube ich, alle im Klaren: Genauso wichtig, wie es ist, weit abgelegene Dörfer mit Strom und
Wasser zu versorgen und Straßen dorthin zu bauen, ist
es, diese Dörfer mit Internetanschlüssen und Breitband
zu versorgen. Hierzu ist eine große Kraftanstrengung erforderlich.
Frau Klamt, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass eines der strategischen Handlungsfelder die Sicherung der Grundlagen für nachhaltiges
Wachstum und für Wohlstand ist. Dazu gehört natürlich,
die Bildungspotenziale in unserem Land zu sichern. Wir
machen derzeit bereits viel, um in den Bereichen Ausund Weiterbildung sowie Qualifizierung vorwärtszukommen. Ich glaube, das müssen wir uns immer wieder
auf die Fahne schreiben.
Wir sind heute eines der wirtschaftlich erfolgreichsten
Länder dieser Welt, gleichzeitig schrumpft unsere Bevölkerung, wir haben weniger junge Menschen. Daher
stellt sich trotz der gerade genannten Maßnahmen die
Frage: Wie decken wir unseren Bedarf an Fachkräften
ab? Werden wir dies aus eigener Kraft schaffen, oder
müssen wir uns ein Stück weit in Richtung Zuwanderung und einer Willkommenskultur öffnen?
Ich glaube, man muss hier eine bestimmte Reihenfolge einhalten:
Erstens muss man alle Potenziale, die man im eigenen
Land hat, nutzen und ausschöpfen. Das tun wir - Sie haben es angesprochen - über Bildungsstrategien und Ausbildungsallianzen vor Ort. Wir müssen auch älteren
Menschen bei der Weiterbildung, bei der Fortbildung,
bei der Umschulung, bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten helfen, damit sie sich einbringen und ihre Fähigkeiten und Potenziale entwickeln können. Wir müssen
also erstens die eigenen Potenziale nutzen.
Zweitens weise ich in diesem Zusammenhang auf den
europäischen Aspekt hin. Die Jugendarbeitslosigkeit
liegt in Spanien bei etwa 46 Prozent und in Italien bei
etwa 32 Prozent. Wir haben einen gemeinsamen Währungsraum und müssen begreifen, dass jeder arbeitslose
Jugendliche, zum Beispiel in Italien, in Spanien oder in
Portugal, eine Belastung für unsere gemeinsame Währung darstellt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir
europäisch denken und auch das Potenzial nutzen, das in
Europa zur Verfügung steht. Wir müssen sehr eng mit
den anderen europäischen Ländern zusammenarbeiten.
Soweit ich weiß, hat die Bundesagentur für Arbeit bereits eine Offensive gestartet, um beispielsweise junge
Leute aus Spanien hierher zu bringen.
Drittens muss man sich natürlich auch im Rest der
Welt umschauen. Was brauchen wir? Welche Fachkräfte
brauchen wir? Wer möchte mit uns zusammen in unserem Land die Gesellschaft und die Zukunft gestalten?
Es ist wichtig, dieses Thema in dieser Reihenfolge
- Deutschland, Europa, Welt - zu betrachten.
Ich kann Ihnen die freudige Botschaft überbringen,
dass Sie daran mitwirken können. Am Freitag ab 9 Uhr
wird dieses Hohe Haus über die Umsetzung der Bluecard-Richtlinie der Europäischen Union beraten, durch
die die Möglichkeiten von Fachkräften, nach Deutschland zu kommen, erweitert werden. Ich hoffe, dass der
Deutsche Bundestag die Umsetzung der Bluecard-Richtlinie am Freitag in zweiter und dritter Lesung verabschieden wird. Insofern, glaube ich, sind wir auch in dieser Frage auf einem richtigen Weg.
Dass die Bundesregierung jetzt aktiv für die Teilnahme an Plenarsitzungen wirbt, nehme ich mit besonderer Freude zur Kenntnis.
({0})
- Absolut. Eben darum habe ich darauf hingewiesen. Jenseits unserer üblichen 30-Minuten-Regelung liegen
mir jetzt noch fünf Wortmeldungen vor. Ich schlage vor,
dass wir diese noch aufrufen, dass ich damit aber auch
die Liste der Nachfragen abschließe. Ich habe mir notiert: Frau Bätzing, Frau Dittrich, Franz Müntefering,
Frau Scharfenberg und Frau Crone. Können wir so verfahren? - Sie wollten auch gerne noch einmal nachfragen?
Präsident Dr. Norbert Lammert
({1})
- Ich nicke manchmal, ohne dass daraus Rechtsansprüche hergeleitet werden können. - Ich unterstelle, dass
allgemeines Einvernehmen besteht, dass ich auch Sie
noch einmal aufrufe. Aber wir sollten uns jetzt bemühen,
es so kurz und knapp wie eben möglich zu halten. - Frau
Bätzing.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Friedrich,
ich bin über Ihre Antwort von eben etwas verwundert.
Sie haben gesagt, dass das Programm „Altersgerecht
umbauen“ extrem wichtig ist und dass Sie es sehr bemerkenswert finden. Das finden auch wir. Umso mehr verwundert es, dass Sie die finanziellen Mittel für das Programm gekürzt haben; das nur als Vorbemerkung.
Ich möchte eine Frage stellen, die sich auf das Thema
Altersarmut bezieht. Ihre Kabinettskollegin Frau von der
Leyen hat immer wieder vor der drohenden Altersarmut
gewarnt. Wir wissen, dass gute Löhne für gute Renten
sorgen. Ich frage Sie: Welche Zielsetzungen verfolgen
Sie mit Ihrem Konzept bzw. Ihrer Strategie in Bezug auf
den Zusammenhang zwischen guter Arbeit, guten Löhnen und guter Rente? Oder spielt dieses Thema vielleicht
gar keine Rolle?
Schon allein die Tatsache, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft thematisieren - es geht nämlich darum, Arbeitsplätze zu
schaffen; es gab in diesem Land übrigens noch nie so
viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie derzeit -, zeigt, wie wichtig uns dieses
Thema ist. Jeder Einzelne soll die Möglichkeit haben,
sich weiterzuqualifizieren, sich weiterzubilden und voranzukommen.
Sie haben das Thema Rente angesprochen. Ich
glaube, dies ist einer der Schwerpunkte, über den wir zu
reden haben. Es geht um einen veränderten Zugang zu
den Fragen: Wie geht man in Rente? Gibt es Übergangsformen? Gibt es eine echte Altersteilzeit, die anders organisiert ist als das, was wir in diesem Bereich einmal
hatten? Ist beispielsweise eine Kombination aus Rente
und Teilzeitarbeit bzw. eine Zuschussrente möglich? Ich
glaube, dies ist ein wichtiger Punkt. Der entscheidende
Leitsatz lautet: Wir wollen denjenigen, die gearbeitet haben, und denjenigen, die Vorsorge getroffen haben, gerecht werden, indem wir dafür sorgen, dass sie im Alter
eine auskömmliche Rente erhalten.
Frau Dittrich.
Herr Minister, ich möchte Sie fragen: Warum wird die
Beschäftigung älterer Menschen, auch über das Rentenalter hinaus, von der Bundesregierung so sehr befürwortet - Sie sagten, dass wir jeden brauchen und alle
Potenziale ausschöpfen müssen, auch die von Frauen
und Alleinerziehenden -, obwohl es bei uns immer noch
Erwerbslose gibt und sogar Erwerbslose aus Spanien
nach Deutschland einwandern dürfen? Das hat nämlich
zur Folge, dass bei uns in Deutschland Auszubildende
nicht übernommen werden. Denken Sie auch an die
Frauen, die bei Schlecker gearbeitet haben und nun, mit
über 55 Jahren, keinen anderen Arbeitsplatz mehr finden, vielleicht auch deshalb, weil sie zu Hause jemanden
pflegen. Was bedeutet es für Sie, dass hauptsächlich Ältere weiterarbeiten sollen, wie es Ihr Vorschlag der
Kombirente vorsieht? Wollen Sie für die armen Menschen ein Modell schaffen, das sicherstellt, dass sie lebenslang weiterarbeiten können, solange sie es können?
Wir wollen jedem, der arbeiten will und kann, die
Möglichkeit eröffnen, dies zu tun; darum geht es. Wir
wollen jedem in diesem Land, der arbeits- und ausbildungswillig ist, die Chance eröffnen, einen Ausbildungsplatz zu finden bzw. zu arbeiten. Deutschland soll ein
Land der Chancen sein. Wir als christlich-liberale Regierung gehen von einem mündigen, selbstständigen Menschen aus, der bemüht ist, sich zu entfalten und sich seinen Möglichkeiten entsprechend einzubringen. Ich
glaube, wenn wir von diesem Menschenbild ausgehen,
wird es gelingen, dieser Gesellschaft eine gute Zukunft
zu ermöglichen.
({0})
Kollege Müntefering.
Ich komme auf die Zahlenbasis der Strategie, die Sie
uns vorgelegt haben, zurück. Als Grundlage nehmen Sie
die Zahlen bis 2030. Das Statistische Bundesamt und
viele Wissenschaftler verfügen über entsprechende Erkenntnisse bis zum Jahr 2050 oder 2060; das wissen
auch Sie. Meine Frage: Wären Sie bereit, an dieser Stelle
nachzuarbeiten und dem Deutschen Bundestag in absehbarer Zeit sozusagen den Teil zwei Ihrer Strategie vorzulegen, damit wir sehen können, welche Konsequenzen
sich ergeben, wenn man über das Jahr 2030 hinausblickt? Oder würden Sie uns raten, Ihnen eine Kleine
Anfrage zukommen zu lassen, die Sie uns dann in den
nächsten 14 Tagen oder drei Wochen beantworten?
({0})
Sie haben recht, dass wir über den Tag hinausdenken
müssen. Da Sie offensichtlich davon ausgehen, dass wir
noch sehr lange regieren,
({0})
kann ich Ihnen zusagen: Sie werden auch für die Zeit
von 2030 bis 2060 rechtzeitig eine entsprechende Strategie von mir vorgelegt bekommen.
({1})
Spaß beiseite: Selbstverständlich werden wir uns auch
mit der Frage auseinandersetzen, wie es jenseits des
Zeitraums, für den wir nun konkrete Weichenstellungen
vornehmen müssen, weitergehen kann. Man muss aber
natürlich sehen, dass die Stellschrauben und die Rahmenbedingungen so vielfältig sind, dass Sie, je weiter
Sie in die Zukunft blicken, natürlich immer mehr verschiedene Szenarien betrachten müssen, ohne zu wissen,
was davon im Einzelnen zutrifft. Ich kann Ihnen aber
versprechen, dass wir auch im Rahmen der Diskussion
um die Strategie immer noch - auch zeitlich - über den
Horizont hinausdenken.
Frau Scharfenberg.
Herr Präsident! Herr Minister! Ich möchte gerne noch
einmal auf die Fachkräfte zurückkommen. Mir geht es
um die Fachkräfte im Bereich der Pflege.
In der Demografiestrategie heißt es, die Bundesregierung werde die Fachkräftebasis in der Pflege sichern und
zukunftsweisende Angebotsstrukturen für Betreuung
und Pflege unterstützen. Ich frage Sie jetzt ganz konkret:
Halten Sie es für den richtigen Weg, dass Sie mit dem
Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz das Risiko der Lohndrückerei für die Pflegekräfte in Kauf nehmen, nämlich
dadurch, dass Sie die Bindung einer Zulassung von Pflegeeinrichtungen an die ortsübliche Vergütung kippen
und die Vergütung auf das Niveau des Pflegemindestlohns absenken wollen?
Wichtig ist natürlich die Erkenntnis: Wir bekommen
in allen Bereichen nur dann gute Leute, wenn wir ihnen
auch anständiges Geld bezahlen. Das ist überhaupt keine
Frage. Umgekehrt verlangen wir natürlich auch eine ordentliche Qualifikation und Ausbildung.
Ich kann diese spezielle Frage aus dem Pflegebereich,
die Sie vielleicht auch einmal mit der zuständigen Ministerin besprechen sollten, jetzt nicht beantworten, aber ich
kann Ihnen sagen: Ja, es ist unser Ziel, die Fachkräftebasis in der Pflege zu sichern, und zwar auch dadurch,
dass wir den Pflegeberuf für diejenigen, die in diesem
Bereich arbeiten wollen, in der Zukunft attraktiv und lukrativ halten. Ich glaube, dass wir auch mit unserem
Bundesfreiwilligendienst einen Zugang junger Menschen - zunächst auf freiwilliger Basis - zum gesamten
Bereich der sozialen Dienstleistungen ermöglichen. Von
daher erwarte ich mir sehr viele Impulse für den gesamten Sozialbereich, vor allem aber für den Bereich der
Pflege.
Frau Crone.
Herr Minister, ich freue mich natürlich, dass Sie
schon so emanzipiert sind, dass Sie den Gesundheitsminister als Ministerin bezeichnen. Das finde ich wunderbar.
Deswegen möchte ich auch eine Frage stellen. Ich
vermisse in Ihrer Strategie die Zielsetzung „Förderung
einer partnerschaftlichen Aufteilung von Familien- und
Erwerbsarbeit“. Welchen Stellenwert räumen Sie einer
umfassenden Gleichstellung von Frauen und Männern
ein? Das bezieht sich auch ein bisschen auf Ihre Aussage. Meinen Sie nicht, dass Ihr Konzept auch in diesem
Punkt unbedingt angepasst werden müsste?
Wir räumen dieser Frage einen so hohen Stellenwert
ein und dies ist für uns so selbstverständlich, dass wir
das nicht extra erwähnen mussten. Das liegt sozusagen
allem zugrunde, was wir aufgeschrieben haben.
({0})
Frau Rößner.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich doch noch zu
Wort kommen darf.
Herr Minister, ich möchte noch einmal kurz auf die
Situation der Kommunen eingehen. Sie beschreiben in
der Strategie ja immer wieder die Aufgaben der Kommunen. Eine richtige Lösung dafür, wie die Kommunen
gestärkt werden können, finde ich in dieser Strategie
aber nicht.
Sie weisen auf Modellprogramme hin, die Sie weiter
fördern wollen, wie beispielsweise das Modellvorhaben
„LandZukunft“ und auch das Städtebauförderprogramm
„Kleine Städte und Gemeinden“. Daneben betonen Sie
die Programme „Die soziale Stadt“ und „Altersgerecht
umbauen“. Ich frage mich natürlich - das wurde hier
auch schon angemerkt -: Heißt das, dass Sie diese Programme weiter unterstützen, dass Sie also „Altersgerecht umbauen“ wieder neu auflegen und die Kürzungen
beim Programm „Die soziale Stadt“ zurücknehmen? In
Ihrer Demografiestrategie werden diese ja als besonders
familien- und altersgerechte Infrastrukturen mit generationenübergreifenden Angeboten ausdrücklich betont
und hervorgehoben.
Das ist völlig richtig. Ich glaube, die Mehrgenerationenhäuser sind sehr erfolgreich. Ebenfalls sehr erfolgreich ist das Programm „Die soziale Stadt“. Jeder, der
entsprechende Fälle kennt, weiß das, wobei die BaupoliBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
tiker immer aufbegehrt und gesagt haben: Das gehört eigentlich in den Sozialhaushalt und nicht in den Bauhaushalt.
({0})
Das ist eine Frage der Ordnung. Aber ich glaube, wir
sind uns einig, dass das ein guter Ansatz ist. Das Programm „Soziale Stadt“ ist im Zusammenhang mit den
Stadtquartieren, die sich in den Großstädten ganz unterschiedlich entwickeln - auch innerhalb der Großstädte
gibt es Wanderungsbewegungen -, ein wichtiges Thema.
Sie haben richtig darauf hingewiesen: Stadtumbau
Ost und Stadtumbau West sind zwei wichtige Programme, die auch in der Zukunft fortgeführt werden
müssen. Überall da im Lande, wo diese Programme umgesetzt worden sind, kann man sehen, wie segensreich
das Geld verwendet worden ist und was man damit wirklich erreicht hat. Nehmen Sie das als ein Bekenntnis zu
erfolgreichen Programmen, die wir umgesetzt haben.
Glauben Sie mir, dass wir uns nach Kräften bemühen,
aber dies immer im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten; denn eines haben wir nicht: Wir haben noch keinen Dukatenesel. Auch bei dieser Strategie wissen wir
noch nicht, wie weit wir mit unseren Mitteln kommen;
wir müssen immer mit dem Geld, das wir haben, zurechtkommen. Aber glauben Sie mir, dass wir alles tun
werden, um die erfolgreichen Programme, die Sie aufgezählt haben, finanziell weiter auszustatten. Ich glaube,
dass wir in den Kommunen, die im Umgang mit Mitteln
mehr Selbstbestimmungsrecht haben müssen, wichtige
Partner und Unterstützer haben werden.
Vielen Dank, Herr Minister. - Wir schließen damit
diesen Themenbereich ab.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Hat jemand sonstige Fragen an die Bundesregierung?
({0})
- „Heute nicht“, sagt Frau Enkelmann. - Dann schließen
wir damit die Befragung der Bundesregierung ab.
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/9351 -
Wir rufen die einzelnen zur mündlichen Beantwor-
tung eingereichten Fragen in der Reihenfolge der Res-
sorts auf, die Ihnen vorliegt.
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich der Bundes-
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz auf. Der Kollege Parlamentarischer Staatsse-
kretär Peter Bleser steht zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 1 der Kollegin Cornelia
Behm auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Bestandsentwick-
lung beim Aal nach Inkrafttreten der Aalbewirtschaftungs-
pläne, und welche über die bisherigen hinausgehenden Maß-
nahmen planen die Bundesregierung und, nach Kenntnis der
Bundesregierung, die EU-Kommission - zum Beispiel Ex-
portstopp für Glasaale, Verbot des Glasaalverzehrs, techni-
sche Vorgaben zur Senkung der Mortalität beim Glasaalfang,
Besatz nur in Gewässer, in denen ein ausreichender Fischab-
stieg möglich ist, höhere Mindestfanggröße, Fangverbot,
technische Vorgaben zur Senkung der Mortalität an den Was-
serkraftwerken)?
Danke, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin, in der
Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Nr. 1100/
2007 des Rates mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung
des Bestands des Europäischen Aals ist vorgesehen, dass
die Mitgliedstaaten bis 30. Juni 2012 Bericht über die
von ihnen getroffenen Maßnahmen erstatten.
Die Berichte behandeln die Überwachung, die Wirksamkeit und die Ergebnisse der Aalmanagementmaßnahmen in den Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten die
bestmöglichen Schätzungen der Biomasse der zum Laichen ins Meer abgewanderten Blankaale für den betreffenden Mitgliedstaat oder den Anteil der Biomasse der
Blankaale, die das Gebiet dieses Mitgliedstaates seewärts zum Laichen verlassen, im Verhältnis zur Abwanderungsrate des jährlichen Fischereiaufwandes für Aale,
der außerfischereilichen Mortalitätsfaktoren und der
Fangmengen an Aal von weniger als 12 Zentimetern in
ihrer prozentualen Aufschlüsselung nach Verwendungszwecken.
Der Bericht der Bundesregierung an die Europäische
Kommission wird derzeit erarbeitet. Erst nach Vorliegen
der Berichte der Mitgliedstaaten am 30. Juni dieses Jahres kann eine Bewertung der Bestandsentwicklung des
Europäischen Aals vor dem Hintergrund der Aalbewirtschaftungspläne erfolgen. Ebenfalls danach können weitere, über die bisherigen Maßnahmen hinausgehende
Schritte diskutiert werden.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese doch sehr
wenig inhaltsreiche Antwort.
({0})
Sie sagen, die Antwort bzw. der deutsche Bericht an die
EU wird gerade erarbeitet. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass Sie über die Situation des Europäischen Aals, zumindest was Deutschland betrifft, keine Aussagen machen können; denn bereits im Februar 2010, als ich danach fragte, also vor reichlich zwei Jahren, wurde die
Situation des Aals durch die Bundesregierung - das
sagte damals die Staatssekretärin Klöckner - als schwierig eingeschätzt. Ich möchte gerne wissen: Wann wird
der Evaluationsbericht der EU vorliegen?
Sehr verehrte Frau Kollegin, ich habe Ihnen schon in
meiner Antwort berichtet, dass dies im Juni dieses Jahres
der Fall sein soll.
Sie haben gesagt: Deutschland bzw. die Mitgliedstaaten müssen bis zum 30. Juni liefern. - Wir wissen aber
noch nicht, wann die EU den Bericht vorlegt. Danach
habe ich eben gefragt.
Danach wird die Europäische Union natürlich die Berichte auswerten und einen Bericht verfassen. Welchen
Zeitraum dies in Anspruch nimmt, kann ich Ihnen nicht
voraussagen.
Dann würde ich gerne eine zweite Frage anschließen.
Sie sind dabei, den Bericht zu erstellen, und wissen um
die schwierige Situation des Europäischen Aals, jedenfalls auf Deutschland bezogen. Ich frage Sie: Halten Sie
es aufgrund der schlechten Bestandsentwicklung, die
seit Jahren besorgniserregend ist, für sinnvoll, dass nach
wie vor Glasaale gefangen und exportiert werden, auch
in Länder und Gebiete, wo sie nicht zur Reproduktion
eingesetzt werden können, weil zum Beispiel keine Abwanderungsmöglichkeiten vorhanden sind, und meinen
Sie nicht, dass man aus dem gleichen Grund, aus dem
man nicht dorthin exportieren sollte, auch den Verzehr
von Glasaal unterbinden sollte? Ich halte das für eine
dringend notwendige Maßnahme. Ich frage Sie: Warum
macht die Bundesregierung da noch nichts? Auf wen
muss man an dieser Stelle noch Rücksicht nehmen?
Sehr verehrte Frau Kollegin, Sie werden verstehen,
dass die Bundesregierung erst dann Entscheidungen
trifft, wenn die entsprechenden Berichte vorliegen und
damit eine fundierte Bewertungsmöglichkeit besteht.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Ostendorff auf:
Wann wird die Bundesregierung ihren Entwurf für das
Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes,
das unter anderem Maßnahmen zur Begrenzung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung enthalten soll, im Kabinett behandeln bzw. in den Deutschen Bundestag einbringen, und
warum hat die Bundesregierung die Initiative noch nicht eingebracht, obwohl bei der Präsentation des Entwurfs am
10. Januar 2012 angekündigt wurde, dass dies in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen passieren solle?
Danke, Herr Präsident. - Verehrter Herr Kollege
Ostendorff, die Bundesregierung befindet sich derzeit im
Abstimmungsprozess zur Kabinettsvorlage des Entwurfes eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Nach Abschluss der Vorbereitungen
wird der Kabinettsbeschluss zeitnah erfolgen. Die Einbringung in den Bundestag und die weitere Zeitplanung
hängen vom Zeitpunkt der Beschlussfassung der Bundesregierung ab.
Bei diesem Abstimmungsprozess sind auch die relevanten Beschlüsse der Amtschefskonferenz am 19. Januar dieses Jahres sowie der zu erwartende Beschluss
der Amtschefs- und Agrarministerkonferenz vom 25. bis
27. April, also in dieser Woche, zu berücksichtigen.
Diese Beschlüsse haben Auswirkungen auf den Entwurf
eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes.
Bitte schön.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär, für die nichtssagende Antwort.
({0})
Die Bundesregierung hat am 10. Januar dieses Jahres
verlauten lassen, dass es vier bis sechs Wochen dauern
werde, diese Dinge einzubringen. Jetzt sind wir weit im
April. Ich denke, vier bis sechs Wochen sind vorbei. Sie
haben schon Anfang April auf unsere damalige Anfrage
sehr nichtssagend geantwortet.
Können Sie das, was zumindest kolportiert wird, bestätigen, nämlich dass die Bundesregierung die vier bis
sechs Wochen nach dem 10. Januar nicht vor der Sommerpause auszuschöpfen gedenkt, sondern das Ende der
Sechswochenfrist erst nach der Sommerpause erreicht
sieht?
Sehr verehrter Herr Kollege, die Bewertung von Aussagen steht Ihnen natürlich frei. Ob es eine Frage ist,
mag jemand anderes bewerten. Sie werden aber verstehen, dass es gerade bei diesem Problem darauf ankommt, betriebsbezogene Antibiotikaminimierungsstrategien zu verfassen. Hierzu bedarf es einer intensiven
Diskussion, bei der auch die Länder eine wichtige Rolle
übernehmen müssen, weil sie die Umsetzung der Gesetze vor Ort gestalten müssen.
Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, wie
sich die Länder in dieser Frage positionieren. Das wird
selbstverständlich auch in die Beratungen der Bundesregierung mit einfließen.
Das bringt mich zwangsläufig zu einer weiteren Frage.
Da sich die Länder schon seit Dezember 2011 in der Abstimmung befinden, ist die Frage zu stellen - diese Frage
ist ernster gemeint als die zuvor -: Welches sind die strittigen Punkte, die dazu führen, dass die Frist so weit gedehnt worden ist, Herr Staatssekretär?
In der Tat ist es das, was ich vorhin angesprochen
habe, nämlich die Frage, wie wir betriebsbezogene Daten bekommen, aus denen hervorgeht, in welchen Mengen und in welchen Zeiträumen Antibiotika eingesetzt
worden sind. Das ist keine einfach zu beantwortende
Frage, weil hier verfassungsrechtliche Gesichtspunkte
zu berücksichtigen sind und - ich betone das noch einmal - der Vollzug der Gesetze durch die Länder geregelt
sein muss.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Ostendorff auf:
Wie viele Pharmaunternehmen bzw. Großhändler haben
ihre Daten zu verschriebenen Tierarzneimitteln im Jahr 2011
nicht wie in der Verordnung über das datenbankgeschützte Informationssystem des Deutschen Instituts für Medizinische
Dokumentation und Information, DIMDI-AMV, vorgesehen
bis zum 31. März 2012 beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information eingereicht, und müssen die säumigen Pharmaunternehmen/Großhändler mit Sanktionen rechnen?
Nach den vom Deutschen Institut für Medizinische
Dokumentation und Information, DIMDI, an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit übermittelten Informationen haben sich mit Stand
vom 23. April dieses Jahres 42 Pharmaunternehmen und
20 Großhändler entsprechend der DIMDI-Arzneimittelverordnung registriert. Die Validierung der Daten erfolgt
derzeit durch das DIMDI. Im Rahmen des allgemeinen
Verwaltungsverfahrens ist es den Ländern möglich, mit
Mitteln des Verwaltungszwangs gegen säumige Pharmaunternehmen bzw. Großhändler vorzugehen.
Wie weit die Länder sind, Sanktionen durchzusetzen,
entzieht sich wahrscheinlich Ihrer Kenntnis. Ich frage
daher die Bundesregierung: Was gedenken Sie denn zu
tun, um die Unternehmen zu zwingen, die Daten, die sie
erheben müssen, rechtzeitig einzuspeisen? 42 Unternehmen, die bisher melden, ist eine relativ geringe Zahl. Ich
bin verwundert, dass nicht der ganze Bereich erfasst
wird.
Herr Kollege Ostendorff, ich erlaube mir nicht, Ihnen
die rechtsstaatliche Ordnung in diesem Land zu erklären.
Nur so viel: Die Durchführung der Gesetze obliegt den
Ländern. Diese werden entsprechende Maßnahmen zu
vollziehen haben.
Teile der Tierärzteschaft fragen immer wieder - das
ist auch die Frage an die Bundesregierung -, warum
nicht die Abgabebelege, die in den Betrieben angefertigt
werden, genutzt werden. Ich darf die Praxis kurz darstellen: Die Tierärztin oder der Tierarzt kommt auf den Hof,
behandelt ein Tier, und dies wird mit einem Beleg dokumentiert. Tierärzte haben mich nun gefragt, warum diese
Belege nicht direkt in die Datenbank eingepflegt werden. Warum geht man mit dem DIMDI einen komplizierten Weg? Die Daten müssen bislang zuerst an das
BVL übermittelt werden, das dann zu handeln und die
Großhändler anzuschreiben hat. Das ist ein sehr komplizierter Weg. Warum pflegt man die Daten nicht direkt
ein? Das kann doch im Computerzeitalter nicht so
schwierig sein. Was gedenkt die Bundesregierung hier
zu tun?
Herr Kollege Ostendorff, es gibt Maßnahmen, die wir
beim Monitoring der Abgabe von Arzneimitteln - hier
werden statistische Daten erhoben, die, auf Postleitzahlen bezogen, registriert werden - im Rahmen der
DIMDI-Verordnung vollziehen. Es geht zudem darum,
wie wir nun durch die neue Änderung des Arzneimittelgesetzes in die Lage versetzt werden können, Daten von
Einzelbetrieben zu bekommen. Ich stimme Ihnen zu:
Wir haben schon durch eine frühere Änderung des Arzneimittelgesetzes die Möglichkeit geschaffen, dass insbesondere beim Tierarzt entsprechende Daten vorliegen.
Wir sind jetzt dabei, die rechtlichen Bedingungen so zu
gestalten, dass sie einen verfassungsgemäßen Zugriff auf
betriebliche Anwendungs- und Verwendungspraktiken
erlauben.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Ebner auf:
Welche Position vertritt die Bundesregierung im Hinblick
auf die - in der Berliner Zeitung vom 18. April 2012 berichtete - Absicht der Europäischen Kommission, Verunreinigungen von Lebensmitteln mit dafür nicht in der Europäischen
Union zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen
künftig bis zu einem Schwellenwert zu tolerieren - Low Level
Presence, LLP?
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Ebner, in
dem Artikel der Berliner Zeitung vom 18. April dieses
Jahres wurde berichtet, dass die EU-Kommission beabsichtige, eine Verordnung vorzuschlagen, welche bei Lebensmitteln einen Analyseschwellenwert von 0,1 Prozent für in Drittländern oder nicht in der EU zugelassene
gentechnisch veränderte Organismen vorsieht. Einen
solchen Analyseschwellenwert gibt es bereits bei Futtermitteln. Bisher hat die EU-Kommission einen solchen
Vorschlag nicht vorgelegt. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Vorschlag, wenn er dann vorliegt,
prüfen und sich hierzu positionieren.
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Die Kommission
führt nach verlässlichen Informationen seit Wochen Gespräche mit Mitgliedstaaten und lotet deren Positionen
aus. Ich gehe davon aus, dass das der Bundesregierung
nicht verborgen geblieben sein kann, da Deutschland
nach wie vor ein Mitgliedstaat der EU ist. Deshalb frage
ich jetzt nach: Inwieweit haben Vertreter der Bundesregierung auf EU-Ebene bereits an Gesprächen über die
Einführung eines solchen Schwellenwertes für nicht zugelassene GVO teilgenommen, und, falls ja, welche
Positionen zur obigen Frage haben andere Mitgliedstaaten eingenommen?
Ich kann Ihnen über die Positionen der anderen Mitgliedstaaten im Detail nichts berichten. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass wir eine Bewertung der Vorschläge erst
dann vornehmen, wenn sie vorliegen.
Ich möchte trotzdem nachfragen, wie sich denn aus
Sicht der Bundesregierung bei Lebensmitteln eine Regelung analog zu der bei Futtermitteln gefundenen Regelung rechtfertigen oder begründen ließe vor dem
Hintergrund, dass im „Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2011“ im Zusammenhang mit der Gentechnik eindeutig der Vorrang von Mensch und Umwelt vor
ökonomischen Interessen benannt ist, vor dem Hintergrund, dass die fraglichen GVO nicht zugelassen und
damit auch nicht risikogeprüft wären, und vor dem Hintergrund, dass die Mehrzahl der Verbraucherinnen und
Verbraucher Gentechnik in Lebensmitteln nicht möchte.
Herr Kollege Ebner, auch da muss ich auf das zurückkommen, was ich schon berichtet habe. Die Kommission
hat angekündigt, im Lichte der Bewertung der entsprechenden Grenzwertsetzung für Futtermittel zu entscheiden, ob sie für Lebensmittel einen entsprechenden
Grenzwert vorschlägt. Diese Entscheidung ist auf der
europäischen Ebene noch nicht getroffen worden. Insofern ist eine Bewertung unsererseits noch nicht möglich.
Ich rufe die Frage 5 auf:
Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, Transparenz
über die Verfahren und Abläufe bezüglich der Frage der Einführung eines Schwellenwertes für Verunreinigungen mit
nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen in
Lebensmitteln herzustellen?
Das Verfahren für den Erlass von EU-Durchführungsvorschriften im Wege einer Kommissionsverordnung zur
Einführung eines Analyseschwellenwertes für gentechnisch veränderte Organismen - abgekürzt: GVO - in
Lebensmitteln ist im europäischen Recht geregelt. Gemäß Art. 11 Abs. 4 der Verordnung ({0}) Nr. 882/2004
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April
2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie
der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz
kann die EU-Kommission Verfahren nach Art. 62 Abs. 3
im Wege von Durchführungsvorschriften einen Analyseschwellenwert auch für Lebensmittel festlegen.
Das Verfahren zum Erlass von EU-Durchführungsvorschriften regelt die Verordnung ({1}) Nr. 182/2011
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und
Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. Danach kann die EU-Kommission
den vorgeschlagenen Rechtsakt erlassen, wenn sie hierfür im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette
und die Tiergesundheit, StALuT, eine qualifizierte
Mehrheit erhält. Ist dies nicht der Fall, kann sie entweder
innerhalb von zwei Monaten eine geänderte Fassung
unterbreiten oder den ursprünglichen Entwurf dem Berufungsausschuss vorlegen. Stimmt der Berufungsausschuss dem Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit zu, so
erlässt die Kommission den Durchführungsrechtsakt.
Gibt der Berufungsausschuss keine Stellungnahme ab,
so kann die EU-Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen. Bei qualifizierter Mehrheit dagegen ist der
Vorschlag der EU-Kommission gescheitert.
Der StALuT und der Berufungsausschuss beraten
nicht öffentlich. Das Europäische Parlament und der Rat
sind rasch über die Ausschussverfahren zu informieren.
Sie haben die Möglichkeit, jederzeit darauf hinzuweisen,
dass ein Entwurf der Kommission zum Analyseschwellenwert bei Lebensmitteln ihres Erachtens die in der Verordnung ({2}) Nr. 882/2004 vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreiten würde.
Zusatzfrage.
Vielen Dank für den Ausflug in die Komitologie. Danach hatte ich aber gar nicht gefragt. Mir ging es um die
Transparenz bei den Verfahrensabläufen hier.
Deshalb möchte ich fragen, inwieweit und in welcher
Form die Bundesregierung vor der endgültigen Positionierung in dieser Frage jetzt plant, den Deutschen BunHarald Ebner
destag und die Öffentlichkeit, insbesondere auch die
Umwelt- und Verbraucherverbände, an ihrer Entscheidungsfindung zu beteiligen.
Sehr geehrter Kollege Ebner, Sie genießen doch jetzt
schon das Recht, hier jederzeit zu fragen. Die Antworten, die ich Ihnen gegeben habe, stellen den derzeitigen
Stand der Beratungen dar. Erst nach Vorlage eines Vorschlages werden wir eine Positionierung vornehmen.
Zweite Zusatzfrage.
Dann möchte ich abschließend noch fragen, wie denn
die Bundesregierung die öffentliche Meinung zu dieser
Fragestellung einschätzt.
Die öffentliche Meinung hierzu kann durchaus unterschiedlich interpretiert werden. Es liegt aber nicht in
meiner Befugnis, eine entsprechende Einschätzung bzw.
Wertung vorzunehmen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 6 der Abgeordneten Inge Höger und die
Frage 7 des Abgeordneten Omid Nouripour werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Karin Evers-Meyer
auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass unter Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Überlegungen zivile Betreiber den Betrieb der Offizierheimgesellschaften, Unteroffizierheimgesellschaften und Gemeinsamen Heimgesellschaften,
die durch Kameradschaften geführt werden, effektiver und effizienter gestalten können und dass durch zivile Betreiber die
Kameradschaftspflege und das gesellige Miteinander der
Soldatinnen und Soldaten in den Heimgesellschaften besser
gewährleistet werden kann als durch kameradschaftliche
Betreiber?
Frau Kollegin Evers-Meyer, ich darf die Komplexität
der Fragestellung zum Anlass nehmen, vorneweg Folgendes zu sagen: Jeder weiß - auch die Bundesregierung
weiß das -, dass es aufgrund der Fürsorgepflicht und mit
Blick auf ein kameradschaftliches Verständnis eine ganz
wichtige Aufgabe ist, innerhalb der genannten Gesellschaften eine gute Verpflegung und Möglichkeiten zur
Freizeitgestaltung vorzuhalten. Deswegen ist es auch
notwendig - das kommt auch in Ihrer Fragestellung zum
Ausdruck -, dass man hier sorgfältig abwägt.
Die Bereitstellung und der Betrieb von Einrichtungen
in der sogenannten bewirtschafteten Betreuung in der
Bundeswehr werden zukünftig in eine neue Konzeption
überführt werden. Das ergibt sich einfach aus der Tatsache, dass es bei den Standorten Veränderungen gibt.
Deswegen muss auch das Konzept angepasst werden.
Wir prüfen in diesem Zusammenhang auch andere
Betriebsformen. Dazu gehört die Beteiligung privater
Betreiber. Inwieweit wir da zu einer reinen Fremdvergabe oder zu Mischstrukturen kommen werden - möglicherweise an die einzelnen Standorte angepasst -, ist
noch nicht entschieden.
Ziel bleibt, mit der Neuausrichtung der bewirtschafteten Betreuung den Bedürfnissen der Bundeswehrangehörigen auch zukünftig im Rahmen der Fürsorgepflicht
gerecht zu werden, diese Neuausrichtung allerdings auch
mit dem Umfang der vorhandenen Ressourcen in Einklang zu bringen.
Zusatzfrage? - Keine.
Dann rufe ich die Frage 9 der Kollegin Evers-Meyer
auf:
In welche Kategorien können die im Dritten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz, Berichtszeitraum 1. Januar 2009 bis
31. Dezember 2010, zitierten „wenigen Einzelfälle“, in denen
die Integration von Frauen in die Bundeswehr Probleme bereitet hat, geordnet werden, und wie ist die zahlenmäßige Verteilung der Fälle auf die einzelnen Kategorien?
Frau Kollegin, Sie sprechen im Hinblick auf den Dritten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz - mit diesem
Gesetz hat die Bundesregierung den Auftrag erhalten,
jeweils über den Stand der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten zu berichten - den Zeitraum von 2009
bis 2010 an. In diesem Bericht sind wenige Einzelfälle
genannt, in denen die Integration von Frauen in die Bundeswehr Probleme bereitet hat.
Wie sieht die zahlenmäßige Verteilung der Fälle auf
die einzelnen Kategorien aus? Vorneweg darf ich sagen:
Erfreulicherweise handelt es sich um Einzelfälle. Ich erlaube mir, zu sagen, dass die mit erheblicher Unterstützung des Deutschen Bundestages möglich gewordene
konsequente Öffnung sämtlicher Dienstposten der Bundeswehr für Frauen eine gemeinsame Erfolgsstory ist.
Im Berichtszeitraum, den Sie ansprechen, lassen sich
in der Kategorie „frauenfeindliches Verhalten“ zwei Einzelfälle, in der Kategorie „sexuelle Belästigung“ vier
Einzelfälle und in der Kategorie „familienbedingte Benachteiligung“ drei Einzelfälle namentlich dokumentieren. Die Lebenswirklichkeit legt uns nahe, diese Zahlen
nicht als endgültig zu betrachten. Ich muss Ihnen sagen,
dass ich ein Vorliegen weiterer Einzelfälle nicht völlig
ausschließen kann, wenngleich sie sowohl im Bericht
des Wehrbeauftragten als auch im Gleichstellungsbericht
der Bundesregierung nicht aktenkundig geworden sind.
Soweit uns konkrete Fälle aus diesem Zeitraum noch bekannt werden sollten, werden wir Sie darüber grundsätzlich gern informieren. Meine Hoffnung ist aber, dass ich
Fehlanzeige vermelden muss.
Wie ich sehe, haben Sie, Frau Evers-Meyer, auch hier
keine Zusatzfragen. Dann sind wir mit diesem Geschäftsbereich durch. Ich bedanke mich bei dem Herrn
Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Der
Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues beantwortet die Fragen.
Die Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Monika
Lazar werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Ferner:
Wie und mit welcher Vereinbarung haben die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, und die Referatsleiterin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Caroline W., vor Beginn des gemeinsamen Buchprojektes
sichergestellt, dass dafür keinerlei technische und personelle
Ressourcen des Bundesministeriums in Anspruch genommen
werden und während der Dienstzeit kein Austausch über einzelne Elemente des Buches stattfindet, und wie wurde diese
Vereinbarung umgesetzt?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Zunächst einmal ist es selbstverständlich so, dass
diese Mitarbeiterin im Mai 2011 eine Nebentätigkeit angezeigt hat, wozu sie laut Tarifvertrag verpflichtet ist,
und dass sie als Koautorin ausschließlich in der dienstfreien Zeit, also an den Abenden, an Wochenenden, an
Urlaubstagen usw., daran gearbeitet hat. Natürlich haben
beide darauf geachtet, dass die dienstliche Arbeit und
das Anliegen, ein Buch zu veröffentlichen, strikt getrennt werden. Insofern war es selbstverständlich, dass
es diese Trennung von Anfang an gab. Darüber ist keine
formelle Vereinbarung getroffen worden.
Erste Zusatzfrage.
Gut, es ist keine Vereinbarung getroffen worden.
Wie wurde praktisch dafür Sorge getragen, dass dieses Buchprojekt nicht während der Dienstzeit angegangen wurde? Wenn diese Referatsleiterin beispielsweise
eine Rede für Frau Ministerin geschrieben hat, mit ihr
darüber gesprochen hat und eine der beiden eine gute
Idee hatte, von der man glaubte, sie für dieses Buch verwenden zu können: Hat man diese Idee dann im Hinterkopf behalten, und hat man dann abends nach Dienstschluss gesimst oder telefoniert? Wie darf man sich das
praktisch vorstellen?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Praktisch können Sie sich das folgendermaßen vorstellen: Es ist so abgelaufen, wie es beispielsweise abläuft,
wenn Sie mit Kollegen eine Veröffentlichung welcher Art
auch immer vorbereiten. Man setzt sich irgendwann hin
- hier ist es in der privaten Zeit passiert - und überlegt,
was man eigentlich will, was die Grundthesen der Veröffentlichung sind und was alles in das jeweilige Buch hineingehört. Das strukturiert man entsprechend. Dann
schreibt jeder seinen Teil. Danach trifft man sich noch einmal und tauscht sich darüber aus. Das Konzept für dieses
Buch ist also so entstanden wie Konzepte für andere
Bücher auch.
Frau Ferner, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Nein, ich warte auf die Beantwortung der nächsten
Frage, Herr Präsident.
Ich rufe somit die nächste Frage - das ist die Frage 13 auf:
War dem Bundesministerium insbesondere bei der Bewilligung der Nebentätigkeit gemäß § 3 des Tarifvertrages für
den öffentlichen Dienst bekannt, dass Caroline W. nicht nur
an Wochenenden und in ihrer Freizeit, sondern auch während
ihres gesamten Erholungsurlaubes und zusätzlich noch
während zu gewährender Zeitausgleichstage an dem gemeinsamen Buch schreiben wird, und wie ist das mit der Fürsorgepflicht des Bundesministeriums gegenüber Caroline W. als alleinerziehender Mutter zu vereinbaren?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich will, was die Freizeit angeht, einmal Folgendes
sagen: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Arbeitgebers ist, zu überprüfen, was ein Arbeitnehmer, der
seine dienstlichen Aufgaben engagiert erledigt, mit seiner freien Zeit anstellt. Zumindest würde das meinem
Verständnis widersprechen.
Sie beziehen Ihre Frage auf eine alleinerziehende
Mutter. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie nicht der
Auffassung sind, dass die Regelungen für eine alleinerziehende Mutter andere sein müssen als die für einen alleinerziehenden Vater oder für andere Mitarbeiter, sondern dass die Regelungen für alle Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter gelten. Entscheidend ist, dass die Arbeit im
Ministerium im eigentlichen Aufgabenbereich bestens
erledigt wird, was in diesem Fall gegeben ist.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie sind also der Auffassung, dass es ganz normal ist,
dass man 40 Tage Jahresurlaub - diese Information hat
Ihr Pressesprecher zur Verfügung gestellt - und 26 Tage
Zeitausgleich vollständig für eine Nebentätigkeit verwendet, sodass der Erholungsurlaub nicht der Erholung
und der Regeneration der Arbeitskraft dient, wie es eigentlich - so habe ich es damals, als ich noch erwerbstätig war, gelernt - der Fall sein müsste.
Frau Kollegin, den Urlaub verbringen die Menschen
in Deutschland und anderswo sehr unterschiedlich. Die
einen setzen sich hin und lesen ein Buch.
({0})
Die anderen setzen sich hin und schreiben ein Buch. Die
einen machen dieses, die anderen jenes. Ich finde, es ist
auch ein Stück Kultur, dass der Arbeitgeber nicht im
Einzelnen überprüft, was jemand in seinem Urlaub oder
in seiner Freizeit macht. Wenn ein Arbeitnehmer seinen
dienstlichen Verpflichtungen nicht nachkommen würde,
dann gäbe es Anlass, einmal nachzufragen. Aber wenn
das bestens ist, besteht dafür kein Grund.
Im Übrigen ist es so: Wenn man sich etwas Großes
vornimmt - das Veröffentlichen eines Buches ist schon
eine gewaltige Sache, wenn man das neben seinen
dienstlichen Verpflichtungen macht -, dann ist es nicht
unüblich, dass man auch Urlaubstage, die man noch hat,
bündelt. Das kann einem ein großes Maß an Zufriedenheit verschaffen. Das halte ich überhaupt nicht für abwegig. Ich weiß nicht, ob Sie schon ein Buch veröffentlicht
haben.
({1})
- Das kommt vielleicht noch.
({2})
Wenn Sie ein Buch veröffentlichen würden, würden
auch Sie sich überlegen, wie Sie das im Einzelnen organisieren.
Das lässt sich mit einer weiteren Zusatzfrage konkretisieren.
Sie hatten in der Antwort auf meine Frage auf das
Prinzip der Gleichbehandlung hingewiesen. Ich gehe
einmal davon aus, dass man daraus durchaus schließen
darf, dass jeder Beschäftigte und jede Beschäftigte in Ihrem Haus, der oder die eine Nebentätigkeit anzeigt und
ausübt, dafür den gesamten Erholungsurlaub eines Jahres und auch noch Resturlaubstage aus dem Vorjahr verwenden darf.
Erstens ist das eine theoretische Frage. Zweitens muss
eine Nebentätigkeit von Tarifbeschäftigten nicht genehmigt werden; sie muss - das ist richtig - angezeigt werden. Ich glaube aber nicht, dass das der Normalfall ist.
Es ist schon außergewöhnlich, wenn sich jemand auf
diese Art und Weise auf ein Projekt konzentriert.
({0})
Möglicherweise deutet sich hier ebenfalls eine gewaltige gesetzliche Regelungslücke in der Frage an, wer
wann überhaupt und unter welchen Bedingungen Bücher
schreiben darf.
Nun rufe ich die Frage 14 der Kollegin Diana Golze
auf:
In welchem Verhältnis zueinander stehen nach Ansicht der
Bundesregierung die Anliegen der propagierten Wahlfreiheit
durch das Betreuungsgeld und der gleichfalls geltende
Rechtsanspruch auf eine frühkindliche Förderung vor dem
Hintergrund, dass die Einflussmöglichkeiten der Kinder auf
das eine oder andere Angebot gering sind, da die Eltern diese
Entscheidung treffen, und geht die Bundesregierung davon
aus, dass Anreize für den Verzicht einer Frühförderung in einer Einrichtung mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar sind, wonach Kinder den Rechtsanspruch auf eine frühestmögliche und beste Förderung haben?
Frau Kollegin Golze, in der UN-Kinderrechtskonvention steht ausdrücklich, dass in erster Linie die Eltern für
die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Sie können durch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auf der einen Seite und durch das
Betreuungsgeld auf der anderen Seite ihre Wahlfreiheit
unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausüben. Insofern steht das Betreuungsgeld dem Ausbau der Betreuung in Kindertageseinrichtungen, in der Kindertagespflege nicht entgegen.
Es ist tatsächlich so, dass dieser Ausbau konsequent
vorangetrieben wird. Die parallel laufenden Unterstützungsleistungen, die in den letzten Jahren auf den Weg
gebracht worden sind, tragen den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention in vollem Umfang Rechnung. Ich
sage noch einmal: Der Staat ist verpflichtet, sowohl die
Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben
zu unterstützen als auch für den Ausbau von Einrichtungen für die Betreuung von Kindern zu sorgen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
um es noch einmal klarzustellen: Die Eltern haben die
Verpflichtung zur Erziehung, und die Kinder haben nach
der UN-Kinderrechtskonvention einen Rechtsanspruch
auf frühestmögliche und bestmögliche Förderung.
Vom Familienministerium gibt es die „Offensive
Frühe Chancen“. In diesem Zusammenhang wurden
Stellen für Sprachförderung in Kitas geschaffen. Ich
frage Sie: Inwieweit orientiert man sich am Wohl und
dem Rechtsanspruch des Kindes auf bestmögliche Förderung, wenn man auf der anderen Seite einen milliardenschweren Anreiz setzt, um Kinder von dieser frühen
Förderung fernzuhalten?
Ich sage noch einmal: In der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass zunächst einmal die Eltern für die Erziehung und die Entwicklung eines Kindes verantwortlich sind. Die Eltern dürfen entscheiden, wie sie die
Erziehung handhaben.
({0})
Das ist keine politische Aussage von mir. Deshalb muss
es ein Betreuungsangebot geben. Dieses haben wir in
den letzten Jahren auf den Weg gebracht. Es muss aber
auch qualitativ gut sein. Die Eltern entscheiden aber
letztlich, wie sie die Erziehung des Kindes gestalten. Das
ist so. Der Staat hingegen ist für das Schaffen der Rahmenbedingungen verantwortlich.
Weitere Zusatzfrage.
Dann lassen Sie uns auf diese Entscheidung noch einmal eingehen; denn das Betreuungsgeld wird auch damit
begründet, dass man Wahlfreiheit schaffen möchte. Dies
setzt aber voraus, dass man eine Wahl hat. Meine Frage
ist: Wie sieht es mit der Wahlfreiheit von Eltern aus,
wenn es in ihrer Kommune keine ausreichende Anzahl
an Kitaplätzen gibt, wovon wir auch 2013 ausgehen
müssen? Ich ergänze: Wenn die Kitaplätze knapp sind,
werden zuerst diejenigen Eltern einen Kitaplatz bekommen, die erwerbstätig sind. Andere werden auf Wartelisten gesetzt. Das heißt, diesen Kindern wird weder ihr
Rechtsanspruch erfüllt noch eine Wahlfreiheit ermöglicht.
Frau Kollegin, es gibt ab 2013 einen Rechtsanspruch.
Dies haben wir vor einigen Jahren beschlossen. Alle
Länder - sie sind dafür zuständig, dieses Programm umzusetzen - sagen, dass sie es schaffen werden. Wir kennen keine präzisen Zahlen darüber, wie viele Plätze tatsächlich in Anspruch genommen werden.
Die Länder, die in der Verantwortung stehen, gehen
davon aus, dass sie es schaffen werden, den Rechtsanspruch zu erfüllen. Ob das wirklich in jeder einzelnen
Kommune gelingt, muss man sich anschauen. Hier stehen wir in Gesprächen mit den Ländern. Aber wir gehen
davon aus - das ist der heutige Stand -, dass wir erfolgreich sind. Wir werden weitere Aktivitäten entfalten, um
sicherzustellen, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Inwieweit die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Kitaplätzen in den Kommunen tatsächlich
realisiert werden kann, wird, wie schon gesagt, zu überprüfen sein.
Es gibt einen Rechtsanspruch. Die Forderung des
Vorsitzenden eines kommunalen Spitzenverbandes, diesen Rechtsanspruch außer Kraft zu setzen, unterstützen
wir nicht.
Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass der
Bund „weitere Aktivitäten“ entfalten wird. Um welche
„weiteren Aktivitäten“ könnte es sich handeln?
Es sind verschiedene Varianten denkbar. Der Bund
wird mit Sicherheit keine zusätzlichen finanziellen Mittel in die Hand nehmen. Er wird sich besonders darum
kümmern, wie man die Schaffung einer ausreichenden
Zahl von Kitaplätzen sicherstellen kann. Es gibt Kommunen, in denen das Angebot völlig ausreichend ist. Das
zeigen die Zahlen, die uns vorliegen. Allerdings liegen
uns die entsprechenden Zahlen nicht immer zeitnah vor;
denn die Jugendhilfeplanung erfolgt in der jeweiligen
Kommune, und auf Landesebene erfolgt die Koordinierung. Deshalb müssen wir uns im Gespräch mit den Ländern darüber verständigen, wie weit wir beim Ausbau
tatsächlich sind.
Nicht alle Mittel, die vom Bund zur Verfügung gestellt werden, wurden schon abgerufen. Es gibt also noch
verfügbare Mittel.
({0})
Wir werden also überlegen, wie man gewährleistet, dass
diese Mittel tatsächlich abfließen. Darüber werden wir
mit den Ländern sprechen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Hein.
Herr Präsident, vielen Dank. - Reden wir einmal über
die Flächenländer. Das Problem wird am ehesten in den
ländlichen Regionen eine Rolle spielen. Gehen Sie davon aus und ist es Bestandteil Ihrer Strategie, dass die
Kompensation des Mangels an Kinderbetreuungseinrichtungen im ländlichen Raum zu einem Ausbau von
privatwirtschaftlichen Angeboten führen wird, mit denen man die Wahlfreiheit realisieren könnte?
Es gibt schon jetzt privatwirtschaftliche Angebote;
darüber hinaus gibt es betriebliche Angebote und auch
Überlegungen, den Einsatz von Tagespflegepersonen zu
intensivieren. Darüber wird auf Länderebene diskutiert.
Es gibt ländliche Regionen, die bereits bestens ausgestattet sind, auch im Westen unseres Landes und in den
Flächenländern. Andere Regionen hingegen sind längst
noch nicht so weit. Zwischen den Kommunen herrscht
ein Wettbewerb; das ist auch völlig in Ordnung. Das hat
es bei familienpolitischen Entwicklungen immer gegeben. Einige Kommunen sind eben besonders engagiert,
vielleicht engagieren sich dort auch ortsansässige Unternehmen besonders. Es ist jedenfalls nicht so, dass alle
Kommunen, die die gleichen Voraussetzungen haben,
immer auch zu gleichen Ergebnissen kommen. Denn das
politische Engagement ist durchaus unterschiedlich. Wir
gehen aber davon aus, dass das Ziel am Ende erreicht
werden wird.
Wir werden jedenfalls alles tun, die zusätzlichen
Aktivitäten, die man von uns erbittet, auf den Weg zu
bringen. Es geht nicht nur um die Schaffung von Kitaplätzen, sondern es geht auch um die Anstellung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine
Aufgabe, die der Bund neben vielen anderen mit koordiniert. Wir beschäftigen uns damit und werden zu gegebener Zeit darüber Auskunft geben.
Frau Dittrich.
Herr Kues, wissen Sie, dass die Erzieherinnen von
den Kommunen bezahlt werden müssen, diese aber finanziell schlecht dastehen, weil die Steuerumverteilung
hin zu den Firmen und zu den Banken geht?
({0})
Wissen Sie auch, dass nach Berechnungen von Verdi
20 000 und mehr Erzieherinnen mit entsprechender Ausbildung fehlen? Ist Ihnen klar, dass das Betreuungsgeld
bei der Bevölkerung daher so verstanden wird, dass es
sich quasi um das Freikaufen von einem Rechtsanspruch
handelt?
Ich glaube, dass das Betreuungsgeld von der Bevölkerung noch gar nicht verstanden werden kann, weil es bislang noch kein fertiges Konzept gibt, über das man diskutieren könnte. Wir befinden uns vielmehr inmitten der
Diskussion, wie man den Medien unschwer entnehmen
kann.
({0})
Man wird darauf zu achten haben, dass ein Weg gefunden wird, der sachgerecht ist und der die Menschen nicht
vom Arbeitsmarkt fernhält, sondern der letztlich die
Wahlmöglichkeiten verbessert. Das ist der entscheidende
Punkt.
Im Übrigen weiß ich, dass es Tausende von arbeitslosen Erzieherinnen gibt. Mir ist bekannt, dass es ein Arbeitskräftepotenzial gibt, das für diesen Bereich bislang
noch gar nicht aktiviert worden ist. Hier muss man sich
etwas einfallen lassen. Was das im Einzelnen ist, wird
von Kommune zu Kommune unterschiedlich sein.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Wunderlich auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, dass sich die finanzielle und soziale Lage von Alleinerziehenden und ihren Kindern nachhaltig durch die Einführung eines Betreuungsgeldes
verbessert, oder eher davon, dass Alleinerziehende aufgrund
des Betreuungsgeldes ihre Erwerbsbeteiligung reduzieren
werden und in dessen Folge ihre Erwerbskarriere eher gebremst wird?
Ich sage ausdrücklich: Die Familienpolitik der Bundesregierung ist auf alle Familien ausgerichtet, unabhängig davon, nach welchem Modell sie leben. Sie zielt darauf ab, durch gute finanzielle, infrastrukturelle und
zeitliche Rahmenbedingungen die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern und zu stärken. Mit dem Betreuungsgeld soll eine Leistung geschaffen werden, die
im Zusammenwirken mit den übrigen Geld- und Infrastrukturleistungen der öffentlichen Hand eine bestmögliche Wahlfreiheit eröffnet. Der Staat hat den Menschen
nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Er muss ihnen aber helfen, dass sie so leben können, wie sie leben
wollen.
In diesem Zusammenhang stellt das Betreuungsgeld
ein Element von vielen dar. Das gilt selbstverständlich
auch für alleinerziehende Eltern. Die Vielfalt der Familienbetreuungsmodelle, die wir in Deutschland kennen,
soll auf diese Art und Weise ausgebaut werden. Natürlich sollen und müssen Fehlanreize vermieden werden.
Bitte schön, Herr Kollege Wunderlich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
ich muss vorwegschicken: Ich finde es bedauerlich, dass
unsere Familienministerin bei diesem wichtigen Thema
heute nicht hier ist. Inzwischen ist man dieses Verhalten
von ihr aber gewohnt.
Mich interessiert, auf welcher Basis die Bundesregierung zu ihren Äußerungen kommt, dass Alleinerziehende nicht schlechter gestellt würden. Ich denke, wir
müssen nicht darüber streiten, dass für Alleinerziehende
eine Erwerbstätigkeit ohne Kindergartenplatz nicht möglich ist und dass viele Alleinerziehende infolge eines
fehlenden Kindergartenplatzes eben nicht arbeiten gehen
können, sondern zu Hause bleiben müssen. Wenn sie
dann mit 150 Euro als „Erziehungsleistungsanerkennungsprämie“ abgespeist werden - wie soll das die finanzielle Situation von Alleinerziehenden verbessern
und das Armutsrisiko minimieren?
Ich sage es noch einmal ausdrücklich:
Erstens. Es gibt einen Rechtsanspruch.
Zweitens. Es wird daran gearbeitet - hier sind in erster Linie die kommunale und die Landesebene gefordert -,
das Betreuungsangebot so auszugestalten, dass es tatsächlich die Möglichkeit gibt, eine solche Betreuung in
Anspruch zu nehmen.
Wir haben im Übrigen mittlerweile in einigen Ländern die Entwicklung, dass sehr stark auf Tagespflege
gesetzt wird; das ist offenkundig im Interesse der Eltern.
Man wird weiter zu beobachten haben, wie dies tatsächlich abläuft. Damit werden auch die Erwerbsmöglichkeiten der Alleinerziehenden verbessert.
Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist absolut notwendig,
dass man eine Chance bekommt - und zwar alle, nicht
nur Alleinerziehende -, Kinder und Beruf, Familie und
Beruf miteinander zu vereinbaren. Es ist gut, wenn die
Menschen in möglichst hohem Umfange selbst für ihren
Lebensunterhalt sorgen können. Das ist auch Ausdruck
eines bestimmten Gesellschafts- und Menschenverständnisses. Ich sage ausdrücklich: Deswegen sind wir für ein
Betreuungsangebot.
Gerade haben Sie gesagt: Wir beobachten das. - Vorhin, auf die Nachfrage von Frau Dr. Enkelmann, haben
Sie gesagt: Wir überlegen das. - Die Familienpolitik der
Bundesregierung kann doch nicht nur aus Beobachten
und Überlegen bestehen.
({0})
Schon vor Jahren ist darauf hingewiesen worden, dass
14 000 qualifizierte Erzieherinnen fehlen werden, wenn
der Rechtsanspruch in Kraft tritt.
({1})
Es ist darauf hingewiesen worden, dass diese Fachkräfte
ausgebildet werden müssen. Seitens der Regierung erfolgte keine Reaktion.
Das ist ja nicht wahr.
Inzwischen sind es - die GEW sagt das Gleiche 20 000 Fachkräfte, die fehlen. Sie sagen jetzt hier: Es
laufen genug herum; sie müssen im Grunde nur aktiviert
werden. Woher nehmen Sie diese Überzeugung?
Ich habe nicht gesagt: Sie laufen herum und müssen
nur aktiviert werden.
({0})
Ich habe gesagt: Es gibt ein Arbeitskräftepotenzial, das
die qualifikatorischen Voraussetzungen erfüllt, um in
diesem Bereich tätig zu werden.
({1})
Sie können sich bei der Bundesagentur für Arbeit erkundigen.
({2})
Dort ist mehrfach gesagt worden, dass dies der Fall ist.
Ich sage nicht, unter welchen Bedingungen sie bereit
sind, Erwerbsarbeit aufzunehmen, oder weshalb sie auf
Erwerbsarbeit verzichten.
Es ist so, dass wir regelmäßig Bund-Länder-Besprechungen durchführen, in denen wir darauf hinweisen,
dass es notwendig ist, Ausbildungskapazitäten zu schaffen; das ist eine Aufgabe der Länder. Wir haben ein föderales System; das wollen wir auch nicht ändern. Der
Bund hat aber darauf hinzuweisen - das ist seine Aufgabe - und hat Rahmenbedingungen dafür zu schaffen,
dass dies möglich ist. Wir haben Qualifizierungsprogramme auch für Erzieherinnen auf den Weg gebracht.
Diese Programme zeigen tatsächlich Wirkung, sodass
wir zu einer qualitativen Verbesserung kommen. Daran
werden wir weiter arbeiten müssen; das ist völlig klar.
Aber ich sage ausdrücklich: Das ist nicht in erster Linie
die Aufgabe des Bundes.
Kollege Beck.
Sie haben vorhin, bei der Beantwortung der Frage des
Kollegen Wunderlich, eingangs gesagt, dass Sie für die
Wahlfreiheit werben. Als Urliberaler bin auch ich für die
Wahlfreiheit. Trotzdem verstehe ich das im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld nur rudimentär. Selbstverständlich soll jeder sein Familienleben so organisieren,
wie er mag. Die Frage ist: Wofür gibt es staatliche Unterstützungsleistungen?
({0})
Ich verstehe nicht, was es mit Wahlfreiheit zu tun hat - ich
bitte, das einfach zu erläutern -, dass jemand, der sich
ganz frei dagegen entscheidet, eine staatliche Leistung,
nämlich die Kinderbetreuung, in Anspruch zu nehmen wir müssen sie erst einmal flächendeckend implementieVolker Beck ({1})
ren, weshalb wir das Geld eigentlich dafür bräuchten -,
eine Kompensationsleistung erhält.
Das erstaunt mich etwas und führt mich fast zu der
Frage, ob das in anderen Bereichen auch angedacht ist.
Zum Beispiel wird das Kulturleben in der Regel von der
Kommune oder vom Land bezuschusst. Kann ich irgendwo Geld abholen, wenn ich ein Jahr lang nicht in
die Oper gehe? Kann ich irgendwo Geld abholen, wenn
ich die Autobahnen nicht nutze, die auch vom Staat bereitgehalten werden? Wenn Wahlfreiheit bedeutet, dass
man immer dann eine Kompensation erhält, wenn man
ein Angebot des Staates nicht nutzt, dann müsste das in
allen Bereichen, in denen sich der Bürger frei entscheidet, entsprechend gehandhabt werden. Welche Pläne liegen da vor, und was kostet so etwas?
Herr Beck, es war vor 30, 40 oder 50 Jahren eine politische Entscheidung, zu sagen: Wir gehen davon aus
- denn die Mehrheit der Bevölkerung lebte so, zumindest seinerzeit in den westlichen Ländern -, dass ein Elternteil über längere Zeit auf Erwerbstätigkeit verzichtet,
wenn man Kinder und Familie hat. Daraus resultieren
verschiedene sozialrechtliche Regelungen, die wir getroffen haben: beitragsfreie Mitversicherung usw.
Dann haben wir mit breiter Mehrheit beschlossen,
dass wir auch ein Kinderbetreuungsangebot brauchen,
das über die Betreuung innerhalb der Familie hinausgeht. Wir haben gleichzeitig gesagt: Wir müssen Familien mit ausreichend Kindergeld ausstatten, vor allen
Dingen Mehrkinderfamilien. Wir reden jetzt darüber,
wie die Arbeitswelt gestaltet sein muss, sodass Familie
und Beruf miteinander vereinbar sind, und zwar für Vater und Mutter bzw. Mutter und Vater - das sage ich ausdrücklich -, und darüber, ob es eine ergänzende Leistung
für diejenigen geben soll, die sich in freier Wahl gegen
eine staatliche Kinderbetreuung entscheiden. Darum
geht es in der Diskussion. Grundlage war eine politische
Entscheidung der Koalitionsspitze. Jetzt reden wir in aller Offenheit darüber, wie wir das Vorhaben konkret ausgestalten.
({0})
Kollegin Dittrich.
Sie haben soeben eine Lanze für die Referatsleiterin
bei der Ministerin gebrochen, die dort als alleinerziehende Mutter arbeitet. Sie haben sich in diesem Zusammenhang auf die Alleinerziehenden bezogen, die im Arbeitsleben stehen. Ich möchte mich auf die arbeitenden
und armen Alleinerziehenden beziehen.
Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld eine Alleinerziehende mit drei Kindern mindestens braucht, um aus
Hartz IV herauszukommen? Nehmen wir an, sie verdient
8 Euro pro Stunde. Ein Stundenlohn von 8 Euro reicht
nicht aus; denn bei einer 40-Stunden-Woche kommt sie
auf 1 280 Euro. Rechnet man das Kindergeld für die drei
Kinder dazu, dann ergibt das einen Betrag von ungefähr
1 830 Euro. Wenn sie Arbeitslosengeld II erhält - dies
umfasst den Regelsatz für den Haushaltsvorstand; sie bekommt je nach Alter der Kinder unterschiedliche Regelsätze; je kleiner die Kinder, desto geringer sind die Regelsätze -, kommt die Frau unter Berücksichtigung des
Mehrbedarfs einer Alleinerziehenden über diesen Betrag. Das heißt, sie müsste ungefähr 1 800 Euro netto
verdienen, damit es sich für sie überhaupt lohnt, arbeiten
zu gehen. Was für ein Bruttogehalt müsste sie dann bekommen? Um die 3 000 Euro. Was passiert mit dem Betreuungsgeld für diese aufstockende Mutter? Bekommt
sie es, oder bekommt sie es nicht?
Frau Kollegin, ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie
mit Ihrer Frage ausdrücken wollen. Sie haben Zahlen genannt, die belegen, wie viel man in Deutschland netto
verdienen muss, um das auszugleichen, was man über
Hartz IV bekommt. Sie werden nicht der Auffassung
sein, dass die Leistungen, die man im Rahmen von
Hartz IV erhält, wenn man Kinder hat, zu hoch sind. So
habe ich Sie jedenfalls nicht verstanden.
Sie haben einen Stundenlohn von 8 Euro genannt.
Man könnte in diesem Zusammenhang wieder das
Thema Mindestlohn aufgreifen; denn vieles, was in der
Debatte genannt wird, löst das Problem, das Sie als Armut beschreiben, überhaupt nicht.
Wir sind der Auffassung, dass für alle Menschen der
Anreiz gegeben sein muss, auch dann Arbeit aufzunehmen, wenn man am Anfang nicht sehr viel verdient; das
hängt von der Qualifikation ab.
({0})
Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen müssen wir
in Bezug auf das Betreuungsgeld sehr genau darauf achten, dass man eine Alleinerziehende mit drei Kindern
({1})
nicht in die Situation bringt, in der sich die Aufnahme
von Arbeit für sie überhaupt nicht rechnet, weil sie sagt:
Ich habe nicht mehr, sondern faktisch weniger, wenn ich
anfange, erwerbstätig zu werden. Diesen Aspekt wird
man bei der Regelung des Betreuungsgeldes in aller Offenheit diskutieren müssen.
Kollege Rix.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wir sprachen gerade darüber, inwieweit es Überlegungen
dazu gibt, dass das Betreuungsgeld, wenn es denn eingeführt wird, eventuell nicht an Familien ausgezahlt wird,
die Hartz IV beziehen. Das wird damit begründet, dass
Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht vom Besuch einer
Kindertagesstätte ferngehalten werden sollen. Geben Sie
mir also recht, dass das Hauptargument, das SPD, Grüne
und Linkspartei hier vortragen, nun fruchtet, nämlich
dass man mit diesem Bonussystem Kinder von den Kindertagesstätten fernhält? Sehen Sie das zumindest in Bezug auf einen Teil der Bevölkerung nun ein?
Ich stelle zunächst einmal fest, dass die Haupt- oder
Nebenargumente - wie immer Sie wollen - ideologisch
wahnsinnig überfrachtet sind.
({0})
Wir werden uns sehr nüchtern mit der Situation beschäftigen,
({1})
auch mit den Aspekten, die eben schon angesprochen
wurden, auch wenn sie vielleicht anders gemeint waren:
Was bedeutet das eigentlich? Wann fehlt jeglicher Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen? Gerade dies zu
beachten, muss eine Nebenbedingung für die Verabschiedung des Betreuungsgeldes sein. Ich bitte Sie aber
um Verständnis, dass ich zu Einzelheiten nichts sagen
kann; denn die politische Diskussion läuft erst jetzt an.
Später wird man sich dann zu entscheiden haben.
Es wird einen Gesetzentwurf noch vor dem Sommer
geben.
({2})
Der Gesetzentwurf wird in das Kabinett eingebracht.
Dann wird das Parlament darüber beraten. Danach wird
man sehen, wie denn die konkreten Regelungen aussehen.
Frau Golze.
Vielen Dank. - Bei der Frage von Herrn Wunderlich
ging es um den Schutz Alleinerziehender vor Armut und
darum, wie dies mit dem Betreuungsgeld zu vereinbaren
ist. Ich habe noch einmal nachgeschaut: Im Bildungsbericht des Bundes von 2010 steht, dass 43 Prozent der
Kinder von Alleinerziehenden ein Armutsrisiko tragen.
43 Prozent! Ich möchte Sie deshalb fragen: Arbeitet die
Bundesregierung - und gerade das Bundesfamilienministerium - eigentlich mit derselben Vehemenz, wie Sie
sich jetzt für das Betreuungsgeld einsetzen, an der Verbesserung des Unterhaltsvorschusses und des Kinderzuschlages sowie an der Ausweitung des Elterngeldes? Das
alles sind übrigens Vorhaben, die im Koalitionsvertrag
stehen.
Sie sitzen ja schon einige Jahre im Familienausschuss, Frau Golze, und Sie werden mitbekommen haben, dass das Kindergeld erheblich erhöht worden ist,
und zwar gestaffelt nach der Kinderzahl, dass der Freibetrag - weil wir dazu verpflichtet waren - erhöht worden ist und dass wir auch beim Kinderzuschlag erhebliche Mittel eingesetzt haben
({0})
und die diesbezüglichen Regelungen vereinfacht haben,
um das noch einmal ausdrücklich zu betonen. Daran arbeiten wir weiterhin.
Die Zahl, die Sie eben genannt haben, stimmt meines
Erachtens, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe.
Ich glaube, dass es wichtig ist, zu beschreiben, dass es
Armut gibt. Noch wichtiger ist aber, aufzuzeigen, wie
Wege aus der Armut aussehen können. Dazu trägt beispielsweise das neue Konzept zum Kinderzuschlag bei.
({1})
Wir haben gesagt: Durch den Kinderzuschlag werden
Tausende aus der Armut, so wie wir sie definiert haben,
herausgeholt.
({2})
Das ist der entscheidende Punkt. Das kann beim Betreuungsgeld durchaus auch der Fall sein.
({3})
Frau Ferner hat die nächste Frage.
Das Betreuungsgeld soll an diejenigen gezahlt werden, die darauf verzichten, ihr Kind in eine Einrichtung
zu geben. Wie darf ich mir denn die Antragstellung vorstellen? Wie müssen die Antragsteller beweisen, dass sie
keine Einrichtung in Anspruch nehmen? Müssen sie zum
Beispiel von allen Einrichtungen in einem Umkreis von
50 Kilometern eine Bescheinigung bringen? Wird die
Betreuung durch eine Kinderfrau dann mit 150 Euro bezuschusst? Ich kann mir nicht vorstellen - vor allen Dingen, wenn es ein Gesetz werden soll, das im Bundesrat
nicht zustimmungspflichtig ist -, wie das praktisch funktionieren soll. Bei welcher Bundesstelle soll denn dann
das Betreuungsgeld beantragt werden?
Ich bitte Sie um Verständnis, Frau Kollegin: Da der
Gesetzentwurf noch nicht vorliegt und daher auch noch
nicht beschlossen ist, kann ich zu Einzelheiten natürlich
nichts sagen. Wie sollte ich auch? Über die Regelungen
im Einzelnen wird nachgedacht werden müssen.
Frau Marks.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär
Kues, Sie haben eben die Richtung angedeutet, die Sie
eventuell beim Kinderzuschlag einschlagen wollen. Dabei handelt es sich um eine Koalitionsvereinbarung von
Schwarz-Gelb. Ich zähle dazu auch die Koalitionsvereinbarung bezüglich einer Weiterentwicklung beim Unterhaltsvorschuss.
Ich möchte Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass
Ministerin Schröder im Familienausschuss auf Nachfragen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass diese Vorhaben auf Eis gelegt worden sind. Nach Gesprächen, die
mit dem Finanzminister und dem gesamten Kabinett geführt wurden - dabei ging es um die Finanzierungsvorbehalte -, würden diese Vorhaben erst einmal nicht weiter verfolgt. Insofern ist es doch ein bisschen erstaunlich,
wenn Sie jetzt versuchen, den Kolleginnen und Kollegen
im Bundestag, aber auch anderen interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern etwas anderes weiszumachen.
Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut wie ich: Zum
Unterhaltsvorschuss gibt es einen Kabinettsbeschluss
bezüglich einer Entbürokratisierung. Das ist nicht ganz
unkompliziert gewesen, weil 16 Bundesländer mit einbezogen werden müssen. Es gibt ausdrücklich keine
Ausweitung in Bezug darauf - darüber wurde viele Jahre
diskutiert -, wie der Unterhaltsvorschuss gezahlt werden
soll. Er wird deswegen gezahlt, weil bestimmte Personen, die unterhaltsverpflichtet sind, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Das muss man ganz klar sehen;
das ist der entscheidende Punkt. Über eine beliebige
Ausweitung muss man zweimal nachdenken.
Es ist aber auch richtig, dass eine Ausweitung, die zu
finanziellen Folgen führen würde, derzeit auf Eis gelegt
worden ist. Wir haben allerdings einen Gesetzentwurf
auf den Weg gebracht, der mit allen Ländern abgestimmt
worden ist. Es gibt zwar noch Diskussionsbedarf in der
Koalition, wie damit weiter umzugehen ist; aber er ist im
Kabinett beschlossen worden und kann irgendwann im
Parlament beraten werden. Das Parlament entscheidet
natürlich, wann und wie es das macht.
Jetzt hat sich zwar der Kollege Wunderlich gemeldet,
dessen nächste schriftlich eingereichte Frage ich gerne
aufrufe, den ich aber nicht zu einer weiteren Zusatzfrage
zu seiner vorherigen schriftlich eingereichten Frage aufrufen kann. Deswegen verfahren wir vielleicht so, dass
ich jetzt die Frage 16 aufrufe, und wir dann schauen, ob
es dazu Zusatzfragen gibt.
({0})
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Wunderlich auf:
Teilt die Bundesregierung das Ergebnis der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V., IW, wonach ein
Angebot an Ganztagsbetreuung für die Kinder von Alleinerziehenden „nicht nur bereits kurzfristig das Wohlergehen der
Kinder“ erhöhen und die „Armutsgefährdung der Familien“
senken würde, sondern „sich auch mittelfristig für die öffentliche Hand fiskalisch“ auszahlen wird - sogar für den Fall, dass
die Kinderbetreuung elterngebührenfrei angeboten würde und bis 2030 die Mehreinnahmen aus Erwerbsbeteiligung der
Alleinerziehenden und eingesparte Transferleistungen die
Ausgaben sogar so stark übersteigen werden, dass sich eine
jährliche Rendite von 4 Prozent ergeben würde?
Auch in der Frage 16 geht es dem Kollegen
Wunderlich um die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden. Ich sage noch einmal, dass wir die Auffassung
vertreten, dass eine gut ausgebaute, hochwertige Kinderbetreuung für Alleinerziehende besonders wichtig ist,
dass sie und ihre Kinder dadurch unterstützt werden. Die
Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft, die
Sie ansprechen, nach der ein flächendeckendes Betreuungsangebot die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsaufnahme für Alleinerziehende erhöht und die besagt, dass
Alleinerziehende dadurch eine bessere Einkommensposition erreichen, kennen wir. Diese Untersuchung wissen wir auch zu schätzen. Darum investieren wir in die
öffentliche Infrastruktur. Ich sage es noch einmal: Wir
wollen diese Bereiche nicht gegeneinander ausspielen.
Wir investieren kräftig in die öffentliche Infrastruktur.
Wie wir diese Untersuchung, die die Ministerin selbst
vorgestellt hat, im Einzelnen bewerten, können Sie der
Pressemitteilung vom 29. März 2012 entnehmen. Darin
steht, wie sich Ganztagsbetreuung auf das Wohlergehen
von Kindern auswirkt. Dem können Sie zumindest entnehmen, dass unter ganz bestimmten Bedingungen eine
qualifizierte Ganztagsbetreuung absolut sinnvoll sein
kann, sinnvoll ist - für Alleinerziehende, aber auch für
deren Kinder.
Bitte.
Es ist schön, dass inzwischen auch das Ministerium
einsieht, dass so etwas sinnvoll sein kann.
Vorhin ist immer wieder der Begriff Wahlfreiheit, der
von der Regierung stark proklamiert wird, angesprochen
worden. Worin sehen Sie denn die Wahlfreiheit einer Alleinerziehenden? Hat sie nicht letztlich nur die Wahl
zwischen dem Betreuungsgeld und der vagen Hoffnung
auf einen Kindergartenplatz? Worin liegt da nach Ihrer
Überzeugung die Wahlfreiheit? Ist das die von Ihnen
proklamierte Wahlfreiheit?
Herr Wunderlich, Sie gehen wieder von der Hypothese aus - dazu habe ich eben schon etwas gesagt -,
dass es ein ausreichendes Angebot nicht geben wird.
({0})
- Wir sind ja dabei, das aufzubauen. „Wir“, das sind die
Länder. - Ich gehe davon aus, dass wir 2013 ein solches
Angebot haben werden. Aufgrund der Hypothese, die
Grundlage Ihrer Frage ist, kann ich Ihre Frage nicht beantworten, zumindest nicht, wenn ich das ernst nehme,
was ich gerade gesagt habe. Ich gehe davon aus, dass es
ein solches Angebot geben wird.
Als wir ein solches Betreuungsangebot in der Breite
noch nicht hatten, gab es auch keine Wahlfreiheit. In dieser Zeit ist man davon ausgegangen, dass man sich entweder um die Familie kümmert oder erwerbstätig ist.
Wir wollen die Möglichkeit der Vereinbarkeit. Ich sage
es noch einmal: Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen, sondern wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, zu
wählen. Da gibt es verschiedene Varianten; darüber kann
man diskutieren. Materielle Anreize sind notwendig; das
hat aber auch etwas mit Zeitstrukturen und mit Arbeitsorganisation zu tun. Das hat auch etwas mit Betreuung
zu tun.
Ich sage ausdrücklich - das hat diese Studie gezeigt -:
Ein gutes Betreuungsangebot kann eine sehr positive
Wirkung haben. Das ist aber keine neue Erkenntnis des
Ministeriums. Diese Studie ist ja schon vor etlichen Wochen vorgelegt worden. Ich sage das, weil Sie vorhin
sagten, dass das Ministerium dies erst jetzt so sieht.
Diese Studie haben wir selbst mit in Auftrag gegeben.
Sie ist ja nicht innerhalb von wenigen Tagen entstanden.
Wir wollten das nur belegt haben.
Aber nicht immer fallen die Ergebnisse von Studien
wunschgemäß aus.
Ich habe noch eine Nachfrage. Wenn irgendetwas
Kosten verursacht, wird seitens der Bundesregierung immer kolportiert: Wir wollen keine Kosten verursachen;
unsere Kinder sollen nicht auf Schuldenbergen spielen.
Wie sieht es denn mit den Kosten des Betreuungsgeldes
aus? Daniel Bahr, unser Gesundheitsminister, hat gesagt
- ich möchte ihn zitieren -, wir würden damit zukünftige
Generationen belasten:
Besser wäre es, den Ausbau der Kinderbetreuung
voranzutreiben. Das unterstützt Familien am besten.
Wie sieht es mit den Kosten und mit der Verlagerung
der Mittel innerhalb des Haushalts aus, wenn Kinder
- das wäre ein Nebeneffekt - allein aus finanziellen
Gründen nicht in den Kindergarten geschickt werden?
Erstaunlich ist ja, dass das Betreuungsgeld 2013 eingeführt werden soll, also in dem Jahr, ab dem es einen
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt. Diese
miteinander konkurrierenden Säulen - so nenne ich das
einmal - habe ich schon immer bemängelt. Wie hoch
sind die dadurch entstehenden Kosten, und wie sieht es
mit der Verlagerung der Mittel innerhalb des Haushalts
aus, wenn das Betreuungsgeld auf Hartz IV angerechnet
wird? Dann würde das Familienministerium durch das
Betreuungsgeld zwar im Grunde Familien mehr fördern,
aber im Arbeitsministerium würden Mittel eingespart.
Nach außen könnte man dann damit glänzen, wie viel für
Familien getan wird. Tatsächlich käme aber nicht 1 Euro
mehr bei den Familien an.
Herr Wunderlich, Sie waren heute Vormittag im Familienausschuss. Sie wissen, dass der Etat des Familienministeriums aufgrund einiger Veränderungen objektiv
anwächst. Wir haben zudem eine ausgesprochen gute
Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation. Es gibt mehr
Menschen, die gut verdienen. Das ist positiv. Von daher
steigt die Zahl derjenigen, die Anspruch auf das Elterngeld, zum Teil auch auf ein höheres Elterngeld, haben.
Auch die Inanspruchnahme der Vätermonate spielt eine
Rolle. Das alles sind positive Entwicklungen. Sie fragen
nach den Auswirkungen. Ich bitte um Verständnis, dass
ich Ihnen nach wie vor antworten muss, dass ich dazu im
Einzelnen nichts sagen kann, solange die Nebenbedingungen nicht hieb- und stichfest sind.
Im Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers für
2013, in dem nach dem berühmten Top-down-Verfahren
aufgestellten Entwurf, sind - auch das wissen Sie 400 Millionen Euro für das Betreuungsgeld vorgesehen.
Das ist Sachverhalt. Im Finanzplan sind, glaube ich,
1,2 Milliarden Euro für 2014 vorgesehen. Darüber wird
dann später zu entscheiden sein.
Zusatzfrage Frau Golze, danach Kollege Beck.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
auch ich frage noch einmal nach der Finanzierung. Die
Argumentation, man müsse auf der einen Seite Kitaplätze schaffen und auf der anderen Seite das Betreuungsgeld für den Fall einführen, dass Eltern den Kitaplatz nicht nutzen, damit alle Eltern etwas davon haben,
würde ich verstehen, wenn die Nutzung eines Kitaplatzes gebührenfrei wäre. Die Bundesregierung tut gerade
so, als wären Kitaplätze ein Geschenk an die Eltern, das
diese für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen gerne einmal vorrechnen, wie viel ich an Kitagebühren für meine beiden Kinder in den letzten Jahren gezahlt habe. Es ist doch eine Ungleichbehandlung der
Eltern, wenn die einen für die Inanspruchnahme eines
Kitaplatzes Geld zahlen müssen, während die anderen,
die sich privat eine Kinderbetreuung organisieren, zusätzlich Geld bekommen.
Die Situation in den Bundesländern und auch in den
Kommunen ist sehr unterschiedlich.
({0})
Es gibt Bundesländer und Kommunen, die sich bei der
Finanzierung von Kindergärtenplätzen und nicht nur bei
der U-3-Betreuung sehr stark engagieren. Einige Kommunen investieren sehr viel Geld, während andere Kommunen andere - auch politische - Entscheidungen treffen. Man muss deutlich sagen, dass die Kommunen
unterschiedliche Schwerpunkte setzen; denn sie können
selbstständig darüber entscheiden. Zunächst einmal ist
also zu beachten, dass es unterschiedliche Situationen
gibt.
Ich sage ausdrücklich - auch Sie waren heute Vormittag im Ausschuss -: Sie wollen alles Mögliche kostenlos
anbieten. Herr Wunderlich hat einen entsprechenden Antrag vorgelesen. Dieser enthielt zehn, zwölf Punkte, an
denen sozusagen kein Preisschild war, das zeigen würde,
was die Chose kostet.
({1})
Das wurde nicht erwähnt; ich weiß das ganz genau. Sie
fordern zum Beispiel, Kinderbetreuung absolut kostenlos anzubieten. Das alles kann man fordern, aber Sie
sollten einmal die Kosten addieren; denn dann kommen
Sie auf zweistellige Milliardenbeträge. Sie müssten auch
einmal einen Halbsatz dazu verlieren, wie Sie das finanzieren wollen. Ich finde, dass das zu einer redlichen Politik dazugehört.
({2})
Kollege Beck.
Herr Staatssekretär, die Ministerin hat erklärt, dass sie
sich an den Auftrag der Koalition, einen Gesetzentwurf
zu erarbeiten, gebunden fühlt, solange die Koalition an
dem Betreuungsgeld festhält. Auch wenn das nicht nach
großem Engagement klingt, kann man ja davon ausgehen, dass es in Ihrem Haus Vorüberlegungen zur Ausgestaltung eines entsprechenden Gesetzentwurfs gibt. Deshalb wollte ich hinsichtlich des Aspekts, den Kollegin
Ferner schon angesprochen hat, nachfragen.
Sie haben gesagt, dass Sie mit dem Gesetzentwurf
noch nicht fertig sind. Das ist okay. Mich interessiert:
Welche unterschiedlichen Modelle und Verfahren für
den Nachweis der Nichtinanspruchnahme von staatlichen Betreuungsleistungen in Kindergarteneinrichtungen werden im Ministerium erwogen? Ich verstehe, dass
Sie sich noch nicht festgelegt haben, aber Sie müssen
doch schon Nachweismodelle entwickelt haben. Ich
würde gerne erfahren, um welche Modelle es sich handelt, damit wir uns ein Bild von den rechtlichen Verfahren und dem bürokratischen Aufwand machen können,
der mit der Gewährung des Betreuungsgeldes verbunden
sein wird.
Herr Kollege Beck, einige Bundesländer haben ein
Betreuungsgeld, teilweise ein Landeserziehungsgeld,
entwickelt. Auch andere Nationen haben dies gemacht.
Das alles wird man einbeziehen müssen, wenn man sich
über die konkreten Regelungen Gedanken macht. Eine
Regelung für Deutschland ist ein ganz eigenes Thema,
weil wir ein sehr differenziertes familienpolitisches
Leistungssystem haben.
({0})
- Ja. - Natürlich beschäftigt sich ein Ministerium mit allen Varianten;
({1})
es wäre ja völlig unverantwortlich, das nicht zu tun. Es
gibt viele Rechenmodelle. Ich werde in dieser Fragestunde allerdings nur über Dinge berichten, die abgeschlossen sind.
({2})
Ich kann Ihnen nicht berichten, welche Varianten es im
Einzelnen gibt; im Prinzip kennen Sie sie ja, wenn Sie
sich mit dieser Thematik beschäftigen. Zu gegebener
Zeit wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der zwischen den
Ressorts abgestimmt ist. Dann wird man darüber politisch diskutieren können.
Frau Enkelmann.
Herr Präsident, ich vermute, wir beide sind uns einig,
dass die Bundesregierung zu einem Thema, das in der
Öffentlichkeit große Resonanz findet und über das breit
diskutiert wird, wenig aussagekräftig antwortet. Der
Kollege Staatssekretär ist nicht in der Lage, auf einfache
Fragen zu antworten. Ich beantrage deswegen auf
Grundlage unserer Richtlinien für Aktuelle Stunden die
Durchführung einer Aktuellen Stunde zum Thema Betreuungsgeld.
Ich nehme das zur Kenntnis und fahre zunächst einmal mit unserer Fragestunde fort.
Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Heidrun Dittrich
auf:
Mit welchen Auswirkungen rechnet die Bundesregierung
auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern infolge der Einführung des Betreuungsgeldes unter der Berücksichtigung der
Präsident Dr. Norbert Lammert
neuen Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. bzw. des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
e. V., und mit welchen Folgekosten rechnet die Bundesregierung insgesamt - unter Berücksichtigung der Sozialkassen,
Steuereinkünfte und langfristigen Prognosen?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich habe dazu eben etwas gesagt. Weil diese Frage einer anderen Frage, die ich schon beantwortet habe, ähnlich ist - Sie konnten ja nicht wissen, wer welche Frage
einreicht -, werde ich ähnlich antworten. Wir werden darauf achten, dass Fehlanreize vermieden werden. Im Übrigen trägt das Betreuungsgeld dazu bei, bestmögliche
Wahlfreiheit zu ermöglichen. Die konkrete Ausgestaltung ist noch nicht geklärt. Daran wird gearbeitet, wenn
die politischen Entscheidungen gefallen sind.
Zusatzfragen? - Bitte schön.
Ich habe zu dieser Frage eine Zusatzfrage. Kommt es
nicht einem Verbot der Erwerbstätigkeit von Müttern
gleich, wenn ihnen Betreuungsmöglichkeiten vorenthalten werden? 150 Euro im Monat können das wirklich
nicht ausgleichen.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich habe eben eine Antwort darauf gegeben. Müttern
sollen keine Betreuungsmöglichkeiten vorenthalten werden. Wir wollen, dass es ein breites Betreuungsnetz gibt.
Daran wird gearbeitet, auf Bundesebene, auf Landesebene und vor allen Dingen auf kommunaler Ebene.
Weitere Zusatzfragen?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 18 der Kollegin Heidrun
Dittrich auf:
Geht die Bundesregierung davon aus, dass Eltern auf die
Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes zugunsten des Betreuungsgeldes verzichten, und welche Konsequenzen hat dies
für die Kinder in Anbetracht dessen, dass frühkindliche Bildung am besten in Betreuungseinrichtungen gewährleistet
werden kann?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Die Bundesregierung hat keine Veranlassung für eine
solche Annahme.
Bitte sehr.
Meine erste Zusatzfrage: Würde die Bundesregierung
auch dann an der Einführung des Betreuungsgeldes festhalten, wenn sie sicher wüsste, dass ein Kind nur wegen
des Bezugs des Betreuungsgeldes aus der Kindertagesstätte genommen wird und ihm damit die frühkindliche
Bildung in Gemeinschaft vorenthalten wird?
Ich kann Ihnen ausdrücklich sagen, dass die Struktur
des Betreuungsgeldes überhaupt noch nicht feststeht.
Deswegen kann ich darauf keine Antwort geben. Wir
werden dafür sorgen, dass die Struktur bzw. die Konstruktion so sein wird, dass es keine Fehlanreize gibt.
Wir sind im Übrigen, wie in der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten, der festen Überzeugung, dass die
beste Erziehung in der Familie erfolgt und dass Eltern
die wichtigsten Erziehungspersonen sind. Insofern sind
wir der Auffassung, dass man die öffentliche Betreuung
nicht glorifizieren sollte. Sie hat unter bestimmten Bedingungen eine wichtige Funktion. Aber es muss beides
nebeneinander geben.
Meine zweite Nachfrage: Wenn die Bundesregierung
für Kinder Geld ausgeben möchte, warum wird nicht
einfach der Betrag von 150 Euro, der für das Betreuungsgeld vorgesehen ist, auf den Regelsatz für Kinder
aufgeschlagen? Dann gäbe es weniger Kinderarmut.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Zur Kinderarmut habe ich eben schon etwas gesagt.
Es ist wichtiger, sich Gedanken darüber zu machen, wie
die Eltern und damit die ganze Familie aus der Armut
herauskommen können, das heißt, es müssen Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. In den letzten Jahren
hat es für die Eltern, die aus der Erwerbslosigkeit herauskommen möchten, nie eine so günstige Situation wie
gegenwärtig gegeben. Über 1 Million Langzeitarbeitslose - sie waren mehr als ein Jahr lang arbeitslos - haben
es geschafft, jetzt wieder am Erwerbsleben teilzunehmen. Das ist eine ganz wichtige sozialpolitische und
arbeitsmarktpolitische Entwicklung. Das schafft nicht
nur Arbeit für Vater und Mutter, sondern holt die Familien auch aus der Armut heraus. Das beste Mittel zur
Armutsbekämpfung ist eine gute Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
Ich rufe jetzt die Frage 19 der Kollegin Caren Marks
auf:
Wann legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur
Einführung eines Betreuungsgeldes vor - bitte Datum nennen -,
und stimmt sie derzeit einen Referentenentwurf zwischen den
Bundesressorts ab?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Die Kollegin Marks fragt - das ist nicht überraschend auch nach dem Betreuungsgeld. Ich habe die Frage eben
schon einmal im Zusammenhang beantwortet. Bis zum
Sommer soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Dieser
Gesetzentwurf wird nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung natürlich zwischen den Ressorts abgestimmt.
Erste Nachfrage, Frau Kollegin Caren Marks.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
meine Frage war, ob es diesbezüglich schon einen Referentenentwurf gibt, der sich in der Abstimmung befindet.
Sie beziehen sich in Ihrer Antwort auf einen Gesetzentwurf. Das schließt die Option, dass ein Referentenentwurf schon in der Abstimmung ist, ja nicht komplett aus.
Darum frage ich noch einmal gezielt nach dem Referentenentwurf nach.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Es gibt keinen Referentenentwurf, der sich in der Abstimmung befindet.
({0})
Das war noch nicht die zweite Nachfrage, sondern nur
ein Zwischenruf.
({0})
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich glaube, dann hätten Sie den Entwurf auch schon.
({1})
Wir gehen geordnet vor. - Bitte schön, Frau Caren
Marks.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit,
eine zweite Nachfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir beantworten, wie
es um die Überlegungen steht, die die Ministerin vor einigen Tagen angedeutet hat, seitens des Ministeriums
überhaupt keinen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld
vorzulegen, sondern die Arbeit ausschließlich in die
Hände der schwarz-gelben Regierungsfraktionen zu legen, weil sie wahrscheinlich keine Lust hat, durch den
Streit sowohl innerhalb der Regierungskoalition als auch
in der Öffentlichkeit - die öffentliche Meinung hinsichtlich des Betreuungsgeldes ist ja mehrheitlich ganz klar
ablehnend - noch weiter negativ in der Kritik zu stehen?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich sage ausdrücklich: Ich kenne keine derartige Äußerung der Ministerin. Das war eine Spekulation in den
Medien. In den Medien steht vieles, aber das ist nicht
immer das, was sich tatsächlich abspielt, sondern das,
was jemand meint, beobachtet zu haben. Dies wird dann
eben geschrieben. Das ist ja auch möglich.
Ich gehe davon aus, dass sich die Koalitionsfraktionen in einem geordneten Verfahren darüber verständigen, wie sie das gestalten wollen. Ich sage ausdrücklich:
Sie haben sich darauf verständigt, einen Gesetzentwurf
zum Betreuungsgeld einzubringen. Deswegen gehe ich
auch davon aus, dass dies entsprechend umgesetzt wird.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Das waren die beiden Nachfragen.
Ich rufe jetzt die Frage 20 der Kollegin Caren Marks
auf:
Welche Annahmen liegen der Berechnung der Kostenschätzung für ein Betreuungsgeld ({0}) zugrunde,
und ist beim Betreuungsgeld eine finanzielle Beteiligung der
Länder vorgesehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Der Koalitionsausschuss hat am 6. November 2011
beschlossen, im Jahre 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe
von 100 Euro für das erste Lebensjahr des Kindes und ab
dem Jahre 2014 in Höhe von 150 Euro für das zweite
und dritte Lebensjahr des Kindes einzuführen. Die Bundesregierung will damit eine Leistung schaffen, die die
Eltern in ihrer Wahlfreiheit hinsichtlich der Kinderbetreuung unterstützt und die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten entsprechend stärkt.
Bei den Eckwerten des Regierungsentwurfs für 2013
ist Vorsorge getroffen worden: 0,4 Milliarden Euro in
2013 und 1,2 Milliarden Euro ab 2014. Das ist das, was
im Moment Beschlusslage ist.
Ihre erste Nachfrage. Bitte schön, Frau Caren Marks.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
meine Frage wurde leider in keiner Weise beantwortet.
Ich habe nicht nach den Kosten gefragt, sondern meine
Frage war, welche Annahmen der Kostenschätzung zu20560
grundeliegen. Es interessiert mich, ob Sie auf meine
Frage, die eigentlich ziemlich klar formuliert ist, vielleicht eine klare Antwort geben könnten. Das würde
mich außerordentlich freuen.
Zum anderen überrascht mich die Kostenschätzung
grundsätzlich, da Sie in Ihren Antworten auf die vorherigen Fragen mehrfach angeführt haben, dass das Ressort
mit Blick auf die Abstimmung innerhalb des Ressorts,
erst recht mit Blick auf die Abstimmung im Kabinett
noch völlig im Unklaren darüber ist, wohin die Reise
beim Betreuungsgeld insbesondere hinsichtlich der
Details geht. Insofern ist es vielleicht ein bisschen
schwierig, mit den Zahlen zu jonglieren, wie Sie das gerade eben getan haben.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich kann nur die Zahlen nennen, die im Haushaltsentwurf enthalten sind, der demnächst ins Kabinett gehen
wird und dort nach Lage der Dinge Mitte Juni beschlossen wird. Das, was ich habe, sind handfeste Zahlen. Den
Zahlen liegt die Schätzung zugrunde - ich habe jetzt
keine genaue Zahl präsent -, wer das Betreuungsgeld in
Anspruch nehmen wird. Ich kann Sie darüber aber im
Einzelnen gerne informieren.
Das ist das, was konkret vorliegt. Ich kann ansonsten
nur allgemein antworten, solange noch kein konkreter
Gesetzentwurf vorliegt.
Nachfrage.
Vielen Dank für die zweite Nachfrage. - Herr Staatssekretär, ich schließe also daraus, dass Sie zwar eine nur
sehr vage Vorstellung davon haben, wie das Betreuungsgeld ausgestaltet wird, aber trotz dieser Unwägbarkeiten
sehr konkrete Vorstellungen davon haben, was es kostet.
Es ist für mich ein bisschen schwierig, das miteinander
zu kombinieren, aber mit der Weisheit Ihres Hauses wird
das sicherlich gelingen.
Meine Nachfrage bezieht sich auf den zweiten Teil
meiner Frage. Ich möchte gerne nachhaken, wie es mit
der finanziellen Beteiligung der Länder aussieht. Sie argumentieren immer damit, dass das Betreuungsgeld eine
Kompensation für diejenigen ist, die die staatlich geförderten Kitaplätze nicht in Anspruch nehmen. Nun ist es
so - auch das wurde hier von mehreren Kolleginnen und
Kollegen wiederholt ausgeführt -, dass am Ausbau der
Kitaplätze, insbesondere auch der U-3-Plätze, alle staatlichen Ebenen, Bund, Länder und insbesondere die
Kommunen, finanziell maßgeblich beteiligt sind. Insofern ist es doch ein bisschen aberwitzig, wenn die finanzielle Ausstattung des Betreuungsgeldes, wie Sie es bei
der Kostenschätzung bisher angedeutet haben, ausschließlich beim Bund liegt. Ist da eine Beteiligung vorgesehen? Wenn nein: Wie erklären Sie das?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich jetzt zu Einzelheiten nichts weiter sagen kann. Warten Sie doch ein
wenig ab, bis der Gesetzentwurf vorliegt. Dann können
wir mit handfesten Fakten argumentieren.
({0})
Ich glaube, das ist der Sache dienlicher.
({1})
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 21 unseres Kollegen Matthias
Birkwald:
Trifft es zu, dass nach den derzeitigen Plänen der Bundesregierung Familien im Hartz-IV-Bezug für ihre zu Hause betreuten Kinder kein Betreuungsgeld erhalten sollen bzw. dieses vollständig auf die Leistungen angerechnet werden soll
und somit ihre Kinder am Ende ohne Frühförderung und die
Eltern ohne Anerkennung ihrer Betreuungsleistung dastehen,
und wie ist dies in Einklang zu bringen mit der Erkenntnis,
dass insbesondere Kinder aus sozial schwachen Schichten zur
Erlangung einer Chancengleichheit bestmögliche Förderung
benötigen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Herr Kollege Birkwald, ich habe eben in einem anderen Zusammenhang schon einmal erläutert, dass das
Betreuungsgeld so ausgestaltet werden muss, dass es
den Bedürfnissen der Familien tatsächlich Rechnung
trägt - ich kann nicht anders, als das zu wiederholen,
weil das im Endeffekt die gleichen Fragen sind -, und
dass die konkrete Ausgestaltung des Betreuungsgeldes
geprüft wird.
Ich sage Ihnen als Arbeitsmarktpolitiker jetzt noch
einmal, dass man sehr genau hinschauen muss, wie sichergestellt werden kann, dass es sich für denjenigen,
der daran interessiert ist, eine Arbeit aufzunehmen - ich
gehe davon aus, dass das bei den meisten Hartz-IV-Empfängern der Fall ist -, tatsächlich rechnet, dass etwas
übrig bleibt, dass er mehr im Portemonnaie behält, wenn
er eine Arbeitsstelle hat. Deswegen dürfen vom Betreuungsgeld keine falschen Anreize ausgehen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Birkwald.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. Dann will ich meine Frage anders einleiten. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 hatte die
Bundesregierung das Elterngeld für Hartz-IV-Betroffene
bereits gestrichen: 300 Euro weniger pro Monat oder
3 600 Euro im ersten Lebensjahr des Kindes. Nun sollen
- jedenfalls nach allen Berichten, die wir in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten erhalten haben Hartz-IV-Betroffene kein Betreuungsgeld erhalten. Das
wären dann 150 Euro weniger pro Monat oder weitere
3 600 Euro im zweiten und dritten Lebensjahr.
Im Gesetzentwurf zum Kinderförderungsgesetz der
Fraktionen der Union und der SPD aus dem Jahr 2008,
also zuzeiten der Großen Koalition, hieß es zum Betreuungsgeld, damit - ich zitiere - „die herausragende Leistung der Eltern bei der Erziehung des Kindes zu würdigen“. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass ihr die
Erziehungsarbeit während der ersten drei Lebensjahre in
Hartz-IV-Familien 7 200 Euro weniger wert ist als in
allen anderen erdenklichen Familien, zum Beispiel in einer Managerfamilie mit einer in Teilzeit erwerbstätigen
Ehefrau und Mutter?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Sie wissen, dass wir als Begründung für die Anrechnung des Elterngeldes für diejenigen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, gesagt haben: Hartz IV muss so gestaltet sein, dass es auskömmlich ist. Es ist auch keine
Leistung, die für Jahre vorgesehen ist, sondern eine Leistung, die dann gezahlt wird, wenn jemand trotz intensiver Bemühungen oder meinetwegen deswegen, weil er
bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt, keine Arbeit
bekommt. Das ist insofern eine vorübergehende Finanzierung. So ist das gedacht.
Der Hartz-IV-Empfänger mit seinen zwei bis drei
Kindern bekommt natürlich höhere Familienleistungen,
({0})
weil das, was im Bereich von Hartz IV an Kinderleistungen gezahlt wird, höher ist als das Kindergeld. Denn
man geht etwa im Vergleich zum Geringverdiener davon
aus, dass er einen Teil seines Einkommens für seine Kinder einsetzt. Das ist selbstverständlich, und das tun die
Eltern in der Regel auch sehr gerne. Das ist in diesem
Fall die Begründung dafür.
Vor diesem Hintergrund wird man auch beim Betreuungsgeld diskutieren müssen, dass damit keine falschen
Anreize gesetzt werden. Darüber kann man dann noch
im Einzelnen reden. Von Ihrer Seite wurde eben schon
einmal eine Frage gestellt, bei der aufgelistet worden ist,
was jemand, der nicht erwerbstätig ist, jetzt schon bekommt. Der eine oder andere, der sein Geld im niedrigen
Einkommensbereich verdient - Tag für Tag, Woche für
Woche, Jahr für Jahr -, wird sich gewundert haben, was
ihm, verglichen mit dem, was ein anderer netto übrig
hat, netto bleibt. Man kann das natürlich entsprechend
erhöhen, aber wir halten das für problematisch.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Birkwald.
Wir sind uns doch wohl einig, dass Kinder in HartzIV-Familien diejenigen mit dem größten Armutsrisiko
sind und dass genau diese Familien familienpolitische
Leistungen am dringendsten bräuchten. Das gilt sowohl
für das Elterngeld als auch für das Betreuungsgeld.
Wenn jetzt die offizielle Begründung für das Betreuungsgeld lautet, dass Eltern eine größere Wahlfreiheit
eingeräumt werden soll - das haben Sie auch heute
mehrfach gesagt -, frage ich Sie: Warum sollen dann betuchte Eltern das Betreuungsgeld erhalten und es für eine
im privaten Haushalt angestellte Kinderfrau ausgeben
dürfen - das ist ja durchaus vorgesehen -, und warum
haben Hartz-IV-Betroffene diese Wahlfreiheit nicht?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Wir können darüber nicht diskutieren, weil es diese
Regelung noch gar nicht gibt. Es gibt noch keinen Gesetzentwurf. Wenn es einen solchen Gesetzentwurf gäbe,
dann könnten wir uns darüber austauschen.
({0})
Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen. Es hängt auch
davon ab, welche Zielsetzungen man konkret verfolgt.
Davon hängt auch die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes ab. Dann kann über solche Zusammenhänge diskutiert und entschieden werden.
Wir kommen jetzt zur Frage 22 ebenfalls unseres
Kollegen Matthias Birkwald:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Studie der
Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. über Betreuungsgeldleistungen
in den skandinavischen Ländern, wonach vor allem Mütter
mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und
Migrationshintergrund Betreuungsgeld beziehen und sich das
Betreuungsgeld somit negativ auf die Beschäftigungssituation
von Müttern auswirkt und Nachteile bei der frühkindlichen
Bildung zur Folge hat, und welche Schlussfolgerungen zieht
die Bundesregierung aus den Erkenntnissen dieser Studie, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Norwegen und
Schweden über eine Abschaffung des Betreuungsgeldes diskutiert wird?
Herr Staatssekretär.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Zu Ihrer Frage sage ich noch einmal ausdrücklich:
Das Betreuungsgeld soll so konzipiert werden, dass jungen Eltern im Zusammenwirken mit den übrigen Leistungen, die es gibt - Geld und Infrastruktur -, tatsächlich
eine Wahlfreiheit eröffnet wird und dass den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung getragen wird.
({0})
Alle bislang vorgelegten Studien zu Modellen und Konzepten sind deswegen nicht übertragbar, weil das Betreuungsgeld der Bundesregierung differenzierter ausgestaltet wird als bisher herangezogene Modelle. Insofern
sagen diese Studien wenig aus.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie will denn die
Bundesregierung bei ihrer Gestaltung verhindern - wie
Sie mehrfach gesagt haben, erarbeiten Sie gerade den
Gesetzentwurf und hätten die Chance dazu -, dass sich
das Betreuungsgeld genauso wie in Finnland, Schweden
und Norwegen eindeutig geschlechtsspezifisch zulasten
von Frauen auswirkt und so wie in Finnland die Position
der Frauen in der Gesellschaft insgesamt schwächt, wie
in Norwegen die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Eltern stärkt oder wie in Schweden dazu führt, dass das
Einkommen von Frauen sinkt, weil sie eher als Männer
aufgrund des Betreuungsgeldes ihre Erwerbsarbeit und
damit ihr Erwerbseinkommen verringern?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Es wird die hohe Kunst sein, das Betreuungsgeld so
auszugestalten, dass die negativen Effekte, die Sie beschrieben haben, nicht eintreten.
({0})
Wenn wir wieder Ruhe haben, dann können Sie Ihre
zweite Frage stellen, Herr Birkwald.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Das heißt, das Betreuungsgeld wird kommen; das haben Sie gerade wohl
gesagt.
Werden denn Frauen, die es ohnehin schon schwerer
auf dem Arbeitsmarkt haben, wie alleinerziehende
Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen
mit sogenannten geringen Qualifikationen, nicht durch
das Betreuungsgeld ermutigt bzw. geradezu ökonomisch
gedrängt, ihre Arbeitsplatzsuche aufzugeben, und könnte
sich das Betreuungsgeld somit als Schweigeprämie für
ohnehin auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligte erweisen?
Wie wollen Sie das verhindern?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Wenn Sie eben alles verfolgt haben, was ich gesagt
habe - davon gehe ich einmal aus -,
({0})
dann wissen Sie, dass ich ausdrücklich gesagt habe, dass
das nicht der Fall sein soll. Vielmehr muss das Betreuungsgeld so ausgestaltet sein, dass auch für Menschen
im unteren Einkommensbereich Erwerbsanreize gegeben sind, dass sich Arbeiten lohnt. Das beißt sich teilweise mit Theorien, die eben vertreten worden sind. Arbeiten muss sich auf jeden Fall lohnen. Wer arbeitet,
muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Sonst
würde das Betreuungsgeld falsche Anreize setzen.
Es gibt eine Nachfrage unserer Frau Kollegin
Dr. Barbara Höll.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, darf ich
Ihre letzte Antwort so verstehen, dass Sie jetzt, wo Sie
Hemmnisse insbesondere für die Erwerbstätigkeit von
Frauen beseitigen wollen, die Beseitigung des Ehegattensplittings in Angriff nehmen? Nachgewiesenermaßen
müssen verheiratete Frauen, die heutzutage aufgrund der
fehlenden Infrastruktur für ihre Kinder nur verkürzt,
zum Beispiel sechs Stunden, arbeiten können, zwölf
Stunden arbeiten, um aufgrund der Regelung des Ehegattensplittings überhaupt einen adäquaten Lohn zu bekommen. Das Ehegattensplitting wirkt gerade für
Frauen, die nur wenige Stunden arbeiten, arbeitsmarktabweisend, weil es sich für die Betreffenden in
Steuerklasse V nicht lohnt.
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Die Beseitigung des Ehegattensplittings ist nicht geplant.
({0})
Vielen Dank. - Damit beenden wir diesen Geschäftsbereich.
Ich weise geschäftsleitend darauf hin, dass die Koalitionsfraktionen beantragt haben, nach dem entsprechenden zeitlichen Ablauf der Fragestunde kurz zu unterbrechen. Ich beabsichtige daher, gegen 16 Uhr die Aktuelle
Stunde aufzurufen.
Jetzt machen wir mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit weiter. Hier werden alle
Fragen schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die
Fragen 23 und 24 des Kollegen René Röspel sowie die
Frage 25 der Kollegin Kathrin Vogler.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 26 unserer Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die
Bundesregierung nach dem Entscheid des BundesverwalVizepräsident Eduard Oswald
tungsgerichts Leipzig, das das Nachtflugverbot am Flughafen
Frankfurt am Main von 23 bis 5 Uhr bestätigte und das Kontingent für die Gesamtnacht auf 133 Flüge beschränkte, sowie
der Entscheidung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen,
künftig zwischen 0 und 5 Uhr Passagierflüge am Flughafen
Köln/Bonn zu verbieten, um bundeseinheitliche Standards für
Nachtflugregelungen zu schaffen, die einerseits eine Standortkonkurrenz nach Maßgabe gestatteter Nachtflüge verhindern
und andererseits den berechtigten Erwartungen der Anwohner
nach einem umfassenden Lärm- und Gesundheitsschutz nachkommen?
Herr Staatssekretär, ich bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, die Antwort auf Ihre
Frage lautet: Soweit dies anhand des bisher ausschließlich veröffentlichten Tenors des Urteils erkennbar ist, hat
das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung
zum Nachtflug am Flughafen Frankfurt am Main seine
bisherige Rechtsprechung zu den zu beachtenden Vorgaben zum Schutz der Anwohner im Rahmen der Nachtflugregelung an den Flughäfen Leipzig/Halle und Berlin
Brandenburg International fortgeführt. Das Urteil bezieht sich allerdings fallspezifisch auf die Besonderheiten des Verfahrens zum Frankfurter Flughafen. Ob sich
aus der noch ausstehenden Begründung des Urteils allgemeingültige Aussagen ergeben, die einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzeigen, bedarf einer sorgfältigen Prüfung, die aber naturgemäß erst nach der
vollständigen Veröffentlichung der Entscheidung möglich ist. Grundsätzlich geht die Bundesregierung davon
aus, dass das aktuelle Regelwerk im Luftverkehrsgesetz
und im Fluglärmgesetz eine geeignete Grundlage für den
Luftverkehr in Deutschland darstellt.
Im Hinblick auf bundeseinheitliche Standards für
Nachtflugregelungen wäre zu berücksichtigen, dass die
Übertragung der Aufgaben im Zusammenhang mit der
Genehmigung und Planfeststellung von Flughäfen sowie
auch mit nachträglichen Betriebsregelungen an die Länder erfolgt ist, weil diese die größere Sachnähe haben
und daher lokale Besonderheiten in die entsprechenden
Entscheidungen einbeziehen können. Diese Flexibilität,
zum Beispiel besondere Siedlungssituationen im Sinne
der Anwohner bei den Betriebsregelungen berücksichtigen zu können, würde eine bundeseinheitliche Regelung
nicht ohne Weiteres gewährleisten können.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Enkelmann.
Danke, Herr Präsident. - Zunächst einmal weise ich
darauf hin, dass wir heute den bundesweiten Tag gegen
den Lärm haben. Insofern passt die Frage ganz gut. Sie
haben deutlich gemacht, dass die Bundesregierung offenkundig nicht vorhat, weiter darüber nachzudenken.
Das Umweltbundesamt hat allerdings andere Ansichten, insbesondere was zum Beispiel die im Fluglärmgesetz festgelegten Grenzwerte anbetrifft. Der Chef des
Umweltbundesamtes geht davon aus, dass die Fluglärmgrenzwerte, die heute dort festgelegt sind, zu hoch sind,
was gesundheitsschädigend ist, Auswirkungen auf das
Herz-Kreislauf-System hat und weitere gesundheitliche
Probleme verursacht, die inzwischen nachgewiesen sind.
Meine erste Frage lautet: Die Regierung sieht auch hier
keinen Handlungsbedarf?
Frau Kollegin, Ihre Frage bezog sich auf die Planfeststellungen und die Betriebsgenehmigungen der Flughäfen in Frankfurt und Berlin. Diese sind nicht Gegenstand
einer Regelung des Fluglärmgesetzes. Das Fluglärmgesetz wird mit herangezogen, wenn eine solche Planfeststellung gemacht wird. Wir sehen aber gegenwärtig
keine Notwendigkeit, den Rechtsrahmen zu ändern. Es
gibt natürlich laufend Diskussionen und Forschungen
über Gesundheitsfolgen. Ich kann nicht ausschließen,
dass diese Forschungen irgendwann einmal dazu führen,
dass sich daraus ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf
ableitet. Ihre Frage bezog sich auf den gesetzgeberischen
Handlungsbedarf als Ergebnis des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zum Flughafen Frankfurt. Hier gibt
es keine Querverbindung zum Fluglärmgesetz.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Enkelmann.
Das ist bedauerlich. Könnte möglicherweise ein
Grund dafür, dass Sie sagen, es gehe um Frankfurt am
Main, aber Berlin und Leipzig/Halle gehe Sie nichts an,
sein, dass ein Grundproblem bundesdeutscher Verkehrspolitik ist, dass wir bisher keine nationale Luftverkehrsplanung haben, sondern diese den Ländern überlassen
ist? Wäre es nicht allerhöchste Zeit, mit Blick auf Kapazitäten im Luftverkehr über eine nationale Flugverkehrsplanung nachzudenken?
Frau Dr. Enkelmann, das sehe ich anders.
({0})
Der Gesetzgeber hat das in § 31 des Luftverkehrsgesetzes ausdrücklich anders geregelt. Wir haben insgesamt
in der Verkehrspolitik mit der Auftragsverwaltung der
Länder für den Bund sehr gute Erfahrungen gemacht.
Nehmen Sie zum Beispiel die Auftragsverwaltung der
Länder beim Straßenbau.
({1})
Die Länder bauen in unserem Auftrag die Bundesfernstraßen, also die Bundesstraßen und die Bundesautobahnen, und das tun sie aus gutem Grund; denn sie sind sehr
viel näher an den Problemen und kennen sehr viel genauer die Konflikte in den einzelnen Regionen.
Ähnlich verhält es sich bei den Planfeststellungsverfahren für Flughäfen. Ich glaube, dass sich der Gesetzge20564
ber aus gutem Grund dafür entschieden hat, dass die
Länder im Auftrag des Bundes tätig werden und Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. Möglicherweise trifft der Bundesgesetzgeber einmal eine andere Entscheidung, aber bisher hat er sie so getroffen.
Deshalb kann ich Ihnen dazu keine andere Antwort geben als die, die ich Ihnen gegeben habe. Ich finde, es ist
sachgerechter, wenn eine Behörde darüber entscheidet,
die vor Ort ist und die die Konflikte vor Ort sehr genau
kennt. Das haben wir gerade bei dem Flughafen Berlin
Brandenburg Willy Brandt gesehen. Dort ist die Genehmigungsbehörde das brandenburgische Ministerium für
Infrastruktur und Landwirtschaft. Ich glaube, dass es
auch die bessere Behörde dafür ist, weil es sehr viel näher dran ist, als das beispielsweise das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig oder das Bundesverkehrsministerium sind.
Sie denken an die Lichterspiele.
({0})
Jetzt rufe ich die Frage 27 unserer Kollegin Bärbel
Höhn auf:
Wird der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, mit Blick auf das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen beschlossene Nachtflugverbot für Passagierflugzeuge am Flughafen Köln/Bonn von
seinem Genehmigungsvorbehalt nach dem Luftverkehrsgesetz Gebrauch machen oder in sonstiger Weise eingreifen, um
das Inkrafttreten des Nachtflugverbots zu verhindern oder zu
verzögern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär. Sie haben das Wort
zur Beantwortung.
Herr Präsident! Frau Kollegin Höhn, die Antwort auf
Ihre Frage lautet: Das Luftverkehrsgesetz enthält keinen
Genehmigungsvorbehalt für Maßnahmen, die die Länder
hinsichtlich der Genehmigung und des Betriebs von
Flughäfen ergreifen. Eine Einmischung in die entsprechende politische Ausrichtung des Landes NordrheinWestfalen hinsichtlich der Betriebszeiten der dortigen
Flughäfen ist nicht beabsichtigt. Allerdings nehmen die
Länder Aufgaben im Zusammenhang mit Flughäfen im
Wege der Bundesauftragsverwaltung wahr. Vor diesem
Hintergrund hat das Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung die Fach- und Rechtsaufsicht
über entsprechende Maßnahmen der Länder.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Staatssekretär, stimmt es denn, dass das Bundesverkehrsministerium dem Land Nordrhein-Westfalen
vor der Entscheidung des Kabinetts für den Fall des Erlasses eines Nachtflugverbotes schriftlich ein fachaufsichtsrechtliches Eingreifen angedroht hat? Und was
wollen Sie mit diesem fachaufsichtsrechtlichen Eingreifen erreichen? Bei der Beantwortung der Fragen der
Kollegin Enkelmann haben Sie doch gesagt, dass die
Länder die Kompetenz haben, eine solche Entscheidung
zu treffen.
Frau Kollegin Höhn, wir weisen gelegentlich darauf
hin, dass wir als Bund die Fach- und Rechtsaufsicht ausüben. Das werden wir aber erst dann tun, wenn eine entsprechende Entscheidung durch das jeweilige Bundesland tatsächlich ergangen ist. Das ist im Fall von
Nordrhein-Westfalen nach meiner Kenntnis bisher nicht
der Fall. Wir wissen nur, dass eine Entscheidung beabsichtigt ist. Bisher ist aber kein förmlicher Bescheid an
den Flughafenbetreiber ergangen. Deshalb gibt es für die
Bundesregierung bisher auch weder eine Möglichkeit
noch eine Notwendigkeit, Maßnahmen im Rahmen der
Fach- und Rechtsaufsicht zu ergreifen.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Höhn.
Um das noch einmal ganz klar zu machen: Bedeutet
die von Ihnen eben getroffene Feststellung, es gebe
keine Notwendigkeit, fachaufsichtsrechtlich einzugreifen, dass aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums das
Nachtflugverbot am Flughafen Köln/Bonn sofort nach
Verkündung in Kraft treten kann - ja oder nein? Bedeutet das, dass es sofort nach Verkündung durch das Kabinett in Kraft treten kann und keine Intervention des Bundes erfolgt?
Nein, Frau Kollegin, das habe ich ausdrücklich nicht
gesagt. Ich habe mich sehr präzise ausgedrückt. Zum einen habe ich ausgeführt, dass es keinen Genehmigungsvorbehalt des Bundesverkehrsministers für eine solche
Entscheidung gibt. Der Bund kann erst dann fach- und
rechtsaufsichtlich tätig werden, wenn dem Betreiber des
Flughafens eine entsprechende Entscheidung zugegangen ist. Das ist bisher nicht der Fall. Der Kabinettsbeschluss allein ist für den Bund keine ausreichende
Grundlage, um eine Prüfung vorzunehmen. Entscheidend ist, wie die zuständige Landesluftfahrtbehörde dem
Flughafenbetreiber gegenüber agiert. Von ihrer Seite
müsste dann ein entsprechender Bescheid ergehen. Das
ist meines Wissens bisher nicht der Fall.
Wir werden im Lichte einer solchen Entscheidung,
wenn sie denn vorliegt, entscheiden, ob wir fach- und
rechtsaufsichtlich tätig werden. Heute kann das aber keiner sagen. Das wäre pure Spekulation. Eine solche Entscheidung ist bisher seitens der Landesregierung und
insbesondere der Landesluftfahrtbehörde an den Flughafenbetreiber nicht ergangen.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Volker Beck.
Als Kölner Abgeordneter interessiert mich natürlich
schon, was das, was Sie hier gerade so verklausulieren,
für die Menschen im Ergebnis heißt. Wird die Bundesregierung gegen eine solche Regelung - deren Inhalt
man sich ja denken kann, auch wenn man den Wortlaut
des Bescheides, der das Nachtflugverbot für die in Rede
stehende Zeit durchsetzt, im Einzelnen noch nicht kennt auf jeden Fall vorgehen? Oder wird sie nicht dagegen
vorgehen; es sei denn, sie beinhaltet irgendetwas juristisch völlig Absurdes? Werden Sie das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen angekündigte Nachtflugverbot stoppen, oder werden Sie dem Land NordrheinWestfalen die Möglichkeit geben, die durch die Rechtsprechung geschaffene neue Lage zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in Flughafennähe auszugestalten?
Herr Kollege Beck, diese Entscheidung muss man im
Lichte des dann ergangenen Bescheides prüfen. Wir sind
hier in einem Verwaltungsverfahren; dazu gibt es Voraussetzungen, die Sie kennen.
({0})
Natürlich kann diese Regierung erst dann rechts- und
fachaufsichtlich tätig werden, wenn eine solche Entscheidung getroffen wurde. Bisher ist uns ein solcher
Bescheid nicht bekannt. Deshalb gibt es für uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit - ich wiederhole mich -, hier fach- und rechtsaufsichtlich tätig zu
werden. Das können wir erst dann, wenn eine solche
Entscheidung der Landesluftfahrtbehörde dem Flughafenbetreiber zugesagt ist.
({1})
Eine weitere Nachfrage stellt unser Kollege Oliver
Krischer.
Herr Staatssekretär, ich interpretiere Ihre Äußerungen
jetzt so, dass die Bundesregierung es sich ausdrücklich
vorbehält und auch in Erwägung zieht, ein fachrechtliches Eingreifen vorzunehmen und diese Entscheidung
zu überprüfen. Mich interessiert, in welche Richtung
dieses Eingreifen stattfinden soll - den Inhalt, das, was
die Landesregierung beschlossen hat, kennen wir alle -:
Wollen Sie, dass der Zeitkorridor noch weiter eingeschränkt wird, dass noch weniger Nachtflüge stattfinden,
oder soll der Zeitkorridor ausgeweitet werden? Soll der
Status quo beibehalten werden? Das würde mich einmal
interessieren. In welche Richtung könnte ein solches
Eingreifen gehen?
Verzeihen Sie, Herr Kollege: Das sind gleich zwei
Suggestivfragen auf einmal. Sie unterstellen, dass eine
bestimmte Entscheidung, zu der sich die Bundesregierung im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht verhalten
müsste, schon getroffen wurde. Das ist aber nicht der
Fall. Die Landesluftfahrtbehörde hat bisher keinen entsprechenden Bescheid mit einer Änderung oder der
Rücknahme der Betriebsgenehmigung oder was auch
immer erlassen. Wir haben bisher keine Kenntnis von einer solchen Entscheidung. Deshalb wäre es rein spekulativ, heute eine Aussage zu treffen, ob und gegebenenfalls
wie die Bundesregierung die Fach- und Rechtsaufsicht
ausüben wird. Diese Möglichkeit besteht immer. Dementsprechend ist unsere Zuständigkeit. Aber ich kann Ihnen heute, da es keine förmliche Entscheidung der Luftfahrtbehörde Nordrhein-Westfalen gibt, nicht sagen, in
welcher Art und Weise und ob überhaupt die Rechtsund Fachaufsicht ausgeübt werden muss.
Ich erteile nun das Wort zu einer weiteren Nachfrage
unserer Kollegin Ursula Heinen-Esser.
({0})
Da der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen
eine Frage als Kölner Abgeordneter gestellt hat, frage
ich ebenfalls als Kölner Abgeordnete den Staatssekretär:
Habe ich es richtig verstanden, dass das nordrhein-westfälische Kabinett zwar einen Beschluss gefasst hat, aber
bislang wohl noch keine Anweisung an die zuständige
Behörde ergangen ist, diesen Beschluss auch tatsächlich
umzusetzen? Ist also noch kein Bescheid an den Flughafen Köln/Bonn ergangen, sich damit zu befassen? Ist das
richtig so, oder ist Ihnen vielleicht schon zu Ohren gekommen, dass es einen solchen Bescheid gar nicht gibt,
weil es in die politische Landschaft in Nordrhein-Westfalen passt?
({0})
Geschätzte Frau Kollegin, diese Frage möchte ich sehr
gern beantworten. Für die Ausübung der Fach- und
Rechtsaufsicht ist ein entsprechendes Tätigwerden, ein
Verwaltungsakt, der Landesluftfahrtbehörde erforderlich. Die Landesluftfahrtbehörde muss an den Flughafenbetreiber, wenn sie am gegenwärtigen Genehmigungszustand irgendetwas ändern möchte, einen Bescheid
verschicken. Nach Kenntnis des Bundesverkehrsministeriums liegt eine solche Entscheidung der Landesluftfahrtbehörde bisher nicht vor. Aus diesem Grund gibt es
für den Bund zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Mög20566
lichkeit, in irgendeiner Art und Weise fach- und rechtsaufsichtlich tätig zu werden.
({0})
Die nächste Frage ist die Frage 28, ebenfalls gestellt
von unserer Kollegin Bärbel Höhn:
Trifft es zu, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, von der Europäischen
Union Zugeständnisse im Streit um die Einbeziehung von
Auslandsflügen in das europäische Emissionshandelssystem
gefordert hat, und welche Art von Zugeständnissen meint er
damit konkret ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Höhn, die Antwort auf
Ihre Frage lautet: Nein, es trifft nicht zu, dass Bundesminister Dr. Ramsauer Zugeständnisse gefordert hat.
Der Bundesminister vertritt die innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Haltung. Die EU-Richtlinie legt
fest, dass der Luftverkehr wettbewerbsneutral in den
Emissionshandel einbezogen wird. Innerhalb der Bundesregierung und der Europäischen Union besteht Einigkeit, hier keine Abstriche zu machen. Wettbewerbsnachteile für deutsche und europäische Luftfahrtunternehmen
müssen verhindert werden. Deutschland unterstützt die
EU-Kommission in umfassender Weise dabei, Gespräche mit kritischen Drittstaaten abzuwenden und zu einer
substanziellen Lösung in der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation beizutragen, aber auch die Position
der Europäischen Union klar und geschlossen zu verdeutlichen.
Eine Anpassung des Emissionshandelssystems wird
in Aussicht gestellt, soweit eine wirksame und verbindliche globale Regelung für den Luftverkehr verabschiedet
wird. Hierfür ist Verhandlungsbereitschaft auf allen Seiten notwendig.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Staatssekretär, das bedeutet, dass das Verkehrsministerium weiterhin dafür ist, dass internationale
Flüge im Regime des Emissionshandels bleiben, und
dass Sie keinerlei Anstrengungen, keinerlei Aktivitäten
unternehmen, um internationale Flüge aus dem Emissionshandel herauszunehmen. Verstehe ich das so richtig, ja oder nein?
Frau Kollegin, die Position der Bundesregierung dazu
ist sehr eindeutig. Wir vertreten über alle Häuser hinweg
die Auffassung, dass das europäische Emissionshandelssystem geltende Rechtslage ist. Wir stehen gemeinsam
dafür ein, dass es auch in der Art und Weise umgesetzt
wird, wie es vereinbart ist.
Wir ziehen bei einem globalen Verkehrsträger aber
immer eine globale Lösung im Rahmen der ICAO vor.
Deshalb setzen wir darauf, dass durch die Debatte über
das europäische Emissionshandelssystem und mögliche
Wettbewerbsnachteile sich auch die dem europäischen
System gegenüber kritischen Staaten bereitfinden, mit
uns ein globales System zu schaffen. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein. Gerade auch für Sie als Umweltpolitikerin ist ein Emissionshandelssystem, das weltweit
funktioniert und das alle Luftverkehrsunternehmen umfasst, sicher erstrebenswerter. Für uns ist die klare Voraussetzung immer gewesen, dass dieses Emissionshandelssystem keine Wettbewerbsverzerrungen mit sich
bringt. Das wird auch weiter die Leitlinie der Bundesregierung bleiben.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.
Weil Sie gerade die internationale Diskussion angesprochen haben, möchte ich gern einen konkreten Vorschlag von China erwähnen. China diskutiert, Auslandsflüge durch zusätzliche Abgaben zu verteuern und die
Einnahmen daraus dem Klimaschutz zugutekommen zu
lassen. Wäre das aus Sicht des Verkehrsministeriums ein
möglicher Kompromiss?
Die Zuständigkeit für die Findung von möglichen
Ausgleichsmaßnahmen für ein Emissionshandelssystem
für die internationalen Flüge außerhalb des Gebiets der
Europäischen Union liegt bei der EU-Kommission. Wir
als Bundesregierung haben nicht die rechtliche Möglichkeit, Vereinbarungen dazu zu treffen. Für uns ist ein globales Emissionshandelssystem für den gesamten Luftverkehr im Rahmen der ICAO erstrebenswerter. Das
sollten wir gemeinsam anstreben. Regelungen, die mit
einzelnen Luftfahrtnationen getroffen werden, sind demgegenüber immer nur die zweite Wahl. Für uns ist entscheidend, dass wir Wettbewerbsneutralität im gesamten
Luftverkehr erreichen. Das ist am besten im Rahmen der
ICAO zu erreichen.
({0})
Jetzt rufe ich den Kollegen Dr. Hermann Ott zu einer
Nachfrage auf. Bitte, Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, die Aktion der Europäischen Union, die Fluggesellschaften in
den Emissionshandel einzubeziehen, kann als ein gutes
Zeichen für die positive Wirkung einer Vorreiterrolle gesehen werden. 15 Jahre lang hatte die Europäische Union
versucht, innerhalb der ICAO eine globale Regelung zu
erreichen. Erst jetzt, nachdem die Union Anstrengungen
unternommen hat, bewegt sich etwas innerhalb der
ICAO. Sind Sie der Meinung, dass die Äußerungen von
Herrn Ramsauer, dass die Europäische Union Zugeständnisse machen sollte, den Prozess gefährden könnten? Andere Staaten könnten sich dann überlegen, dass Sie es
nicht so ernst meinen und Ihre Position nicht durchziehen.
Herr Kollege, das sehe ich ein bisschen anders. Wenn
Sie mit den Amtskollegen von Herrn Ramsauer oder mit
meinen Amtskollegen aus den großen Luftfahrtnationen
über dieses Thema sprechen, werden Sie feststellen, dass
der Stil der EU-Kommission, die versucht, eine europäische Regelung zu globalisieren, in der Kritik steht. Dahinter vermutet man einen unilateralen Ansatz. Das ist
für die Außenpolitik immer ein schlechter Ansatz.
Deutschland hat ihn mit Blick auf andere Staaten stark
kritisiert. Wir wollten keinen unilateralen Ansatz, sondern ein gemeinsames Handeln der Völkergemeinschaft.
Deshalb ist die ICAO die richtige Organisation, in deren
Rahmen man eine solche Vereinbarung treffen sollte. Ich
gestehe zu, dass durch die Rechtsetzung innerhalb der
Europäischen Union Druck in diesen Prozess gekommen
ist. Das ist sicher hilfreich, um ein globales System aufzustellen. Dass es aber auch ohne diesen Druck möglich
ist, sehen Sie zum Beispiel bei der IMO. Diesen Druck
gab es bei der Schifffahrt nicht. Man ist auf einem sehr
guten Weg, hier eine Einigung zu finden, die auch global
funktioniert. Dies macht Sinn, wenn wir über Verkehrsträger reden, die global tätig sind. Dort sind die Zusammenschlüsse von Nationalstaaten die falsche organisatorische Ebene, um klimapolitisch und wirtschaftspolitisch
die richtige Entscheidung zu treffen.
Vielen Dank. - Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Gustav Herzog sowie die Frage 33 der Abgeordneten Daniela Wagner werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatssekretärin
Heinen-Esser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage der Kollegin 34 Cornelia Behm
auf:
Welche Beschlüsse für die Exportquote für Glasaal hat die
Wissenschaftliche Prüfgruppe, Scientific Review Group,
SRG, für das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen,
CITES, für die Fangsaison 2011/2012 und gegebenenfalls für
die nachfolgenden Fangsaisons gefasst, und welche Position
hat Deutschland in diesem Gremium diesbezüglich vertreten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Liebe Kollegin Behm, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Bei ihrem 57. Treffen im vergangenen Oktober hat
die Wissenschaftliche Prüfgruppe bezüglich des europäischen Aals eine negative Stellungnahme für den Export
des Aals aus der EU abgegeben. Sie hat beschlossen,
diese Entscheidung Ende 2012 für die Fangsaison 2012/
2013 zu überprüfen. Das Protokoll dieses Treffens können Sie im Übrigen auch im Internet abrufen. Die Entscheidung ist in der Wissenschaftlichen Prüfgruppe einstimmig erfolgt. Sie steht im Einklang mit den
Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung. Infolge dieser Entscheidung auf europäischer
Ebene ist eine Nullquote für den Export festgesetzt worden, die das CITES-Sekretariat veröffentlicht hat.
Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm?
Ich bin von dieser Antwort so positiv erschüttert, dass
ich keine Nachfrage habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es würde uns in
zeitliche Schwierigkeiten bringen, wenn ich noch weitere Fragen aufrufen würde. Ich schlage also vor, dass
wir die Fragestunde jetzt beenden. Die Aktuelle Stunde,
die sich aus Frage 16 entwickelt hat, rufe ich gegen
16 Uhr auf. Bis dahin unterbreche ich die Sitzung.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere
Sitzung fort.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß
Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Fragen 15 und 16 auf Drucksache 17/9351
Dabei geht es um das Betreuungsgeld.
Erste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze.
Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gab in den letzten
Wochen und Monaten zahlreiche Vorschläge, mit denen
die Regierung versucht hat, das Betreuungsgeld in ihren
eigenen Reihen durchzusetzen und es den eigenen Kolleginnen und Kollegen schmackhaft zu machen. Es war
die Rede von einer Koppelung an Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt und von höheren Rentenleistungen
für Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind.
Gestern und heute haben wir erfahren, dass unsere
Befürchtungen, dass das Betreuungsgeld auf Hartz IV
angerechnet werden soll, anscheinend zu Recht bestanden und dass das in die Realität umgesetzt werden soll.
Das ist für mich die Fortsetzung einer Politik der kalten
Herzen und der sozialen Kälte gegenüber Menschen, die
von Hartz-IV-Leistungen leben müssen. Hier setzt sich
etwas fort, das mit der Anrechnung des Kindergeldes
und des Mindestelterngeldes begann. Nun soll das auch
noch beim Betreuungsgeld stattfinden. Das heißt, wer
schon etwas hat, bekommt mit dem Betreuungsgeld etwas obendrauf; wer nichts hat, bekommt gar nichts. Im
schlimmsten Falle bekommt er auch keinen Kitaplatz;
denn davon werden wir auch 2013 immer noch nicht genügend haben.
({0})
Das ist ein Skandal, der sich, wie gesagt, hier fortsetzt eine Politik der kalten Herzen, die wir hier schon des Öfteren kritisiert haben. Dem kann doch dieser Bundestag
nicht einfach so zustimmen. Man kann da doch nicht
einfach so weitermachen, als wäre das das Normalste der
Welt.
({1})
Auch heute wieder wurde bei der Begründung, warum man es auf Hartz IV anrechnen möchte, nicht nur
bürokratisch argumentiert, sondern es wurde gesagt: Es
ist ja die Anerkennung der Erziehungsleistung. - Das
kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie können doch nicht sagen, dass Eltern, die ihre Kinder in eine öffentliche Kindertagesbetreuung geben, keine Erziehungsleistung erbringen. Das können Sie doch nicht wirklich glauben.
Das können Sie doch den Menschen draußen nicht erklären.
({2})
So ist es auch kein Wunder, dass 60 Prozent der Bevölkerung dieses Betreuungsgeld ablehnen. Die Zahlen mögen in Bayern anders sein; das glaube ich gerne. Das
kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass heute in der
Aktuellen Stunde - wenn ich das richtig überschaut habe für die Unionsfraktion nur Rednerinnen und Redner der
CSU sprechen werden.
({3})
Ich weiß nicht, welche Meinung die CDU dazu vertritt.
Das können Sie uns ja noch übermitteln. Aber es kann
doch nicht sein, dass Sie so tun, als wenn eine Erziehungsleistung nur von den Eltern erbracht wird, die ihre
Kinder nicht in eine öffentliche Kita bringen. Das Geld
sollen ja auch Eltern bekommen, die zum Beispiel eine
private Nanny oder die Großmutter engagieren.
({4})
„Betreuungsgeld“ heißt doch nicht, dass sie das wirklich
selbst tun. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Was ist zum Beispiel mit Aufstockern? Haben Sie,
wenn Sie das anrechnen wollen, schon einmal darüber
nachgedacht, was mit Leuten ist, die arbeiten gehen und
ihre Kinder von den Großeltern betreuen lassen? Die
nehmen auch keinen Kitaplatz in Anspruch. Auch sie erbringen Erziehungsleistungen, so wie Sie sie verstehen.
Trotzdem sollen sie das Betreuungsgeld nicht bekommen, weil sie aufstockende Sozialleistungen nach
Hartz IV in Anspruch nehmen. Das, was Sie da machen,
ist doch völlig unlogisch.
({5})
Diesbezügliche Fragen konnte der Staatssekretär in der
Fragestunde leider nicht beantworten.
Nach meiner Auffassung ist ein solches Vorgehen
auch nicht mit der Verfassung zu vereinbaren. Dort steht,
dass Ehe und Familie unter dem Schutz des Staates stehen. Dort steht nicht: Die Einverdienerehe steht unter
dem Schutz des Staates.
({6})
In den Zeitungen stand, dass die Kanzlerin hierzu ein
Machtwort spricht.
({7})
Ich würde mir bezogen auf andere Vorhaben, die im Koalitionsvertrag stehen, ein Machtwort wünschen - ich
habe auch danach in der Fragestunde gefragt, aber auch
auf diese Fragen keine Antwort bekommen -: Wie steht
es denn um die Verbesserungen beim Unterhaltsvorschussgesetz? Dieses Vorhaben liegt auf Eis. Wie steht
es um die Ausweitung des Elterngeldes? Auch das liegt
auf Eis. Es gibt dazu keinen Vorschlag. Wie steht es um
die Unterstützung für Alleinerziehende, also derjenigen,
die am meisten von Armut bedroht sind? 43 Prozent der
Kinder von Alleinerziehenden sind von Armut bedroht.
Wenigstens das hat der Staatssekretär in der Befragung
gewusst. Zu diesen Vorhaben würde ich mir ein Machtwort der Kanzlerin wünschen und nicht ausgerechnet zu
diesem unsinnigen Betreuungsgeld.
({8})
Zu alledem hört man von der zuständigen Ministerin
leider nichts. Haben Sie in den letzten Tagen mal irgendetwas von ihr gelesen? Haben Sie irgendwas gehört?
({9})
In der heutigen Fragestunde war nur der Staatssekretär
anwesend. Frau Ministerin, ich freue mich sehr, dass Sie
an dieser Aktuellen Stunde teilnehmen. Zu diesem
Thema war von Ihnen in den vergangenen Wochen
nichts zu hören. Dabei ist es doch Ihr Haus, das diesen
Gesetzentwurf erarbeiten soll. Es ist ebenfalls Ihr Haus,
das auch die anderen Vorhaben, die im Koalitionsvertrag
stehen - ich habe sie genannt -, umsetzen soll. Ich
wünschte mir dazu wirklich einmal eine öffentliche Meinungsäußerung der Ministerin. Diese haben wir bisher
nicht gehört.
({10})
Ich habe gerade eben, vor wenigen Minuten, den Vorsitz der Kinderkommission des Deutschen Bundestages
übernommen.
({11})
- Danke schön. - Der erste Schwerpunkt unter meinem
Vorsitz wird sein, dass wir uns mit der sozialen Lage von
Kindern und Jugendlichen beschäftigen.
({12})
- Herr Straubinger, hören Sie mir zu! Sie können nicht
zuhören, wenn Sie gleichzeitig reden.
({13})
Dieses Betreuungsgeld wird die soziale Lage von
Kindern und Jugendlichen nicht verbessern. Ich werde in
der Kinderkommission mit meinen Kolleginnen und
Kollegen dafür sorgen, dass hier Vorschläge auf den
Tisch kommen, die genau das leisten, was das Betreuungsgeld nicht leistet.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. - Nächster Redner
- er steht schon da - ist der Kollege Markus Grübel für
die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Golze: Ich bin nicht Mitglied der CSU, obwohl mir das eine Ehre wäre.
({0})
Ich bin kein Bayer
({1})
und daher Mitglied der CDU.
Es ist gut, wenn wir in dieser aufgeheizten Stimmung
und in der Diskussion zunächst einmal die Fakten sammeln: Wir haben in § 16 Abs. 5 SGB VIII geregelt:
Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder
von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche
Zahlung ({2}) eingeführt
werden.
({3})
Das haben wir damals in der Koalition von CDU/CSU
und SPD beschlossen. Damals war das nicht verfassungswidrig;
({4})
damals war das kein Teufelswerk.
({5})
Es war mit Sicherheit ein Kompromiss.
({6})
Wir haben damals das Fundament für das Betreuungsgeld gemeinsam gelegt.
Mit der FDP gab es dann eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Im November letzten Jahres wurde im Koalitionsausschuss die Vereinbarung getroffen:
Wir werden Familien weiter stärken und die Wahlfreiheit für unterschiedliche Lebensmodelle weiter
verbessern. Die Koalition wird deshalb ab dem Jahr
2013 als zusätzliche Anerkennungs- und Unterstützungsleistung ein Betreuungsgeld in Höhe von zunächst 100 Euro für das 2. und ab 2014 in Höhe von
150 Euro für das 2. und 3. Lebensjahr des Kindes
einführen.
Zweck ist, dass die Würdigung der Leistung der Eltern bei der Kinderbetreuung stärker als bisher zum Ausdruck gebracht wird. Ferner verfolgen wir mit der geplanten Einführung des Betreuungsgeldes das Ziel, den
Eltern faktisch mehr Wahlfreiheit hinsichtlich der Art
der Kinderbetreuung zu lassen. Zur Wahlfreiheit: Wir
unterstützen den Ausbau der Kinderbetreuung - auch
das haben wir gemeinsam beschlossen -, der U-3-Betreuung bis 2013 mit 4 Milliarden Euro. Die Vorgängerregierung hat diesbezüglich mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz auch schon etwas gemacht. Damals waren
die Geldflüsse für die Kommunen aber nicht so spürbar.
Wir unterstützen die Länder und Kommunen bei der
Schaffung von mehr Betreuungsplätzen und ermöglichen so mehr Wahlfreiheit. Ab 2014 fördern wir die
Betreuung von Kindern unter drei Jahren jährlich mit
770 Millionen Euro; die Betriebskosten werden dann
zum Teil vom Bund getragen.
Wir anerkennen aber auch die größere Erziehungsleistung der Eltern, die ihr Kind ohne Hilfe einer öffentlichen Betreuungseinrichtung erziehen.
({7})
Warum dies so verteufelt wird, ist mir völlig schleierhaft.
({8})
In der Großen Koalition hat die SPD das im Grunde
noch mitgetragen.
({9})
Über die vorgenannten Vereinbarungen der Koalition hinaus ist die Ausgestaltung noch gar nicht festgelegt. Es
wundert mich, dass die Opposition im Detail weiß, welche Passage des Gesetzentwurfs verfassungswidrig sein
soll, welche im Bundesrat zustimmungspflichtig ist
etc. pp.; denn es gibt noch keinen Gesetzentwurf.
Uns ist es ein Anliegen - ich glaube, da haben wir
weitgehend Übereinstimmung -, Fehlanreize zu vermeiden und Kinder bestmöglich zu fördern.
({10})
Das geplante Betreuungsgeld baut auf den Maßnahmen,
die wir schon eingeleitet haben, auf. Ich nenne hier den
Ausbau der U-3-Betreuung,
({11})
die Einführung des Elterngelds und die Erhöhung des
Kindergelds und des Kinderfreibetrags zu Beginn dieser
Wahlperiode.
Ich fasse zusammen: Das Betreuungsgeld ist ein weiterer Baustein für mehr Wahlfreiheit und stellt eine bessere Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern dar.
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank, Kollege Grübel. - Nächste Rednerin in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Dagmar Ziegler. Bitte
schön, Frau Kollegin Ziegler.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Grübel, zunächst einmal: Sie werden es nicht schaffen, die Geschichte zu
verändern. Dafür sind andere Parteien zuständig. Die
historische Wahrheit ist, dass die SPD schon immer gegen dieses Betreuungsgeld war.
({0})
Das war Punkt eins.
Punkt zwei. Hätten wir es damals gemeinsam mit Ihnen einführen wollen, hätten wir dies getan. Es gab einen
Riesenstreit, und Frau von der Leyen ist schon damals
gegenüber der CSU eingeknickt;
({1})
denn auch sie wollte es nicht. Sie hat es als bildungspolitisch falsch bezeichnet, dieses Geld einzuführen. Deshalb ist es ohne rechtsverbindliche Wirkung in das
SGB VIII aufgenommen worden.
({2})
Also bitte: Bleiben Sie bei der Wahrheit! Wenn Sie das
täten, müssten wir uns heute hier nicht so streiten.
Es gab damals eine Verbindung mit dem Ausbau der
U-3-Betreuung. Auch das wissen Sie. Uns war der Ausbau der Betreuung der Kinder unter drei Jahren so wichtig, dass wir gesagt haben: Dann lassen wir das Betreuungsgeld als Klammerzusatz zu; denn mit uns wird es
nie umgesetzt werden. Das war der Ausgangspunkt.
Nun zum Inhalt unserer heutigen Debatte. Sie sagen,
dass es nicht mehr um das Ob geht, sondern nur noch um
das Wie. Niemand von Ihnen - das Ministerium nicht,
die Abgeordneten nicht - kann Aussagen dazu treffen,
wie dieses Wie aussehen soll. Sobald es kritisch wird,
sagen Sie: Es liegt ja noch nichts vor. Ich kann nur sagen: Sie haben keinen Plan, keine Idee. Sie haben nichts
außer Worthülsen, die da heißen: Wir wollen die Leistungen der Eltern anerkennen.
Gleichzeitig sagen Sie, wenn wir argumentieren, dass
es eine Herdprämie ist: Nein, auch die berufstätigen Eltern bekommen dieses Geld. Herr Geis erzählt uns, die
frühkindliche Bindung zwischen Kindern und Eltern
solle dadurch gestärkt werden. Nein, das stimmt nicht,
denn auch Supernanny, Oma, Opa, Onkel oder sonst wer
bekommen dieses Geld.
({3})
Sie betreiben hier Augenwischerei. Es geht Ihnen eben
nicht um die Werte und Inhalte, die Sie vor sich hertragen, sondern es geht Ihnen wieder lediglich um Klientelpolitik, die Sie schon von Anbeginn dieser Legislaturperiode durchhalten.
({4})
- Nein, die Supernanny gehört nicht zur Familie. Erzählen Sie nicht immer solchen Unsinn! Wenn Sie von jemandem von außen eine Leistung einkaufen, zählt diese
Person nicht zur Familie.
({5})
Die Wahlfreiheit, die Sie immer so hochhalten, ist erst
dann gegeben - das hat heute sogar die Ministerin in einem Interview bestätigt -, wenn es sowohl einen Kitaplatz als auch die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben,
gibt. 2013 - wir wünschen uns das nicht, aber es wird
wahrscheinlich so eintreten - werden wahrscheinlich
nicht ausreichend Kitaplätze zur Verfügung stehen. Es
gibt also keine Wahlfreiheit der Eltern. Das ist wieder
nur Augenwischerei. Sie bedienen damit die Eltern, damit sie ruhig sind und gar nicht erst einen Kitaplatz beantragen. Heute sagte der Staatssekretär, dass er auf die
Frage, wie der Nachweis, dass Eltern gar nicht gewillt
sind, einen Kitaplatz in Anspruch zu nehmen, erbracht
werden soll und ob sie Schreiben von 50 Kitas vorlegen
müssten, in denen steht: „Wir haben leider keinen Platz
für Sie“, keine Antwort geben kann. Keiner weiß, wie
dieser Nachweis überhaupt erfolgen soll. Also: Die Eltern werden einfach pauschal sagen können: „Wir wollen keinen Kitaplatz“ und das Betreuungsgeld bekommen, auch wenn im Ort gar kein Kitaplatz zur Verfügung
stünde.
({6})
Das ist Betrug; das ist Wahlbetrug, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({7})
Auch Frau Schavan sagt: „Das wurde nun einmal vereinbart; das müssen wir wohl machen“, in der Hoffnung,
dass ihr Ansatz, frühkindliche Bildung gerade für Kinder, die aus bildungsfernen Schichten kommen, zu gewährleisten, tatsächlich wirkt. Auch sie versteckt sich
hinter der Aussage: Das steht halt im Koalitionsvertrag. Wir könnten Ihnen reihenweise Vorhaben aufzählen, die
in Ihrem Koalitionsvertrag stehen, aber nicht umgesetzt
werden. Aber diesen Schwachsinn machen Sie!
({8})
Was Sie sich mit den ALG-II-Beziehern erlauben, ist
eine Frechheit sondergleichen.
({9})
Herr Geis sagte in einer der letzten Plenardebatten: Auch
die arbeitslosen Eltern werden selbstverständlich für ihre
Erziehungsleistung honoriert und selbstverständlich das
Betreuungsgeld bekommen. - Davon ist ab heute offensichtlich nicht mehr die Rede.
({10})
Offensichtlich sind sie Eltern zweiter Klasse. Offensichtlich sind sie Eltern, deren Erziehungsarbeit nichts wert
ist.
({11})
Wo leben wir eigentlich, wenn in dieser Republik nur
noch Spaltung betrieben wird, anstatt gemeinsam daran
zu arbeiten, dass Kinder, egal ob sie zu Hause erzogen
oder in eine Kita gegeben werden, gleiche Chancen auf
Bildung und Teilhabe bekommen? Wir diskriminieren
nicht die Eltern, die zu Hause bleiben.
({12})
- Nein, das tun wir nicht.
({13})
Wir wollen echte Wahlfreiheit und keinen Betrug. Sie
sind die Betrüger der Nation; das muss man deutlich sagen.
({14})
Frau Ministerin, ich freue mich, dass Sie der heutigen
Debatte beiwohnen. Ihnen wird ja nachgesagt, Sie seien
keine Verfechterin des Betreuungsgeldes. Sie sagten
heute, wenn Sie richtig zitiert worden sind, dass Sie die
Betreuung in Kitas über das Betreuungsgeld stellen.
Dann tun Sie es endlich! Tun Sie etwas, woran man
merkt, dass Sie eine Ministerin sind und nicht nur eine
Frau, die zufällig auf diesem Platz sitzt! Tun Sie bitte
mal was!
({15})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Miriam Gruß.
Bitte schön, Kollegin Miriam Gruß.
({0})
Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat sind in den
letzten Wochen und Monaten viele öffentliche Äußerungen zum Betreuungsgeld gefallen. An dieser Stelle will
ich betonen: Mir bzw. uns liegt bisher kein Entwurf vor.
Das heißt, wir reden bisher eigentlich nur über heiße
Luft bzw. über Vorschläge, die von einzelnen Kollegen
und Kolleginnen verlautbart wurden.
({0})
Ich will zu zwei Punkten, die ganz aktuell vorgeschlagen wurden, etwas sagen. Zunächst zur Hartz-IV-Anrechnung, um die es in dieser Aktuellen Stunde hauptsächlich geht: Ja, beim Elterngeld ist es so gemacht
worden. Das heißt aber nicht, dass es beim Betreuungsgeld zwangsläufig auch so gemacht werden muss. Aber:
Auch das ist bisher noch heiße Luft. Es liegt nichts, aber
auch gar nichts Konkretes vor.
({1})
Von daher brauchen wir heute nicht darüber zu diskutieren.
({2})
Zu den Rentenerhöhungen.
({3})
Ja, auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sind dafür, Erziehungsleistungen bei der Rente besser anzuerkennen.
Allerdings muss eine generationengerechte Familienpolitik auch im Blick haben, dass wir keine Schuldenberge anhäufen dürfen, die wir der nächsten Generation
aufbürden. Von daher müssen wir sehr darauf achten,
was es kostet. Wir sind der Meinung - heute sind die aktuellen Zahlen bekannt gegeben worden -, dass gerade
Deutschland gut daran tut, auf die Schulden zu achten.
Wir dürfen nicht das Ziel aus den Augen verlieren, die
Schulden abzubauen. Hier sollten wir europaweit Vorbild sein. Alle anderen Staaten um uns herum - das
merkt man ja - fallen um. Deutschland muss Vorbild
sein. Schuldenabbau ist ganz klar unser erklärtes Ziel.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen: Das Betreuungsgeld war nie der Wunsch der FDP-Fraktion.
Herr Brüderle hat für die FDP-Fraktion auch in letzter
Zeit des Öfteren öffentlich erklärt, dass wir uns vertragstreu verhalten werden. Allerdings nehmen auch wir
wahr, dass es innerhalb der Union noch Diskussionsbedarf gibt. Es muss ein Gesetzentwurf vorgelegt werden.
({5})
Dann können wir gerne wieder über dieses Thema diskutieren, auch hier im Plenum.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen: unsere Kollegin Katja Dörner. Bitte schön, Frau
Kollegin Dörner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Das Betreuungsgeld ist eine unsinnige
und absurde Maßnahme. Ich möchte erst gar nicht in die
Situation kommen, dass ich mich über die Spitzen der
Absurditäten unterhalten muss, wie wir das jetzt offensichtlich aber doch tun müssen, weil die Familien, die es
in diesem Land am schwersten haben, nämlich die, die
im ALG-II-Bezug leben, vom Bezug des Betreuungsgeldes ausgeschlossen werden sollen. Das ist für uns überhaupt nicht akzeptabel. Ich möchte mich darüber unterhalten, wie wir dieses unsinnige Betreuungsgeld aus
dem Gesetz wieder gestrichen bekommen.
({0})
Wir müssen erleben, dass die Bundesregierung ihre
unsoziale Politik auf dem Rücken und zulasten der Familien weiter fortsetzt: Erst wird die Erhöhung des Elterngeldes auf Hartz IV angerechnet, dann wird der Sockelbetrag beim Bezug des Elterngeldes gestrichen, und
jetzt steht im Raum, dass auch das Betreuungsgeld nicht
an Familien im ALG-II-Bezug ausgezahlt werden soll.
Diese Politik zulasten der Familien muss ein Ende haben.
({1})
Wer dieses unsinnige Betreuungsgeld immer damit
begründet, es solle Wahlfreiheit geben und man wolle
die Erziehungsleistung der Eltern anerkennen,
({2})
der sagt mit dem heute vorliegenden Vorschlag, dass Eltern im ALG-II-Bezug kein Recht darauf haben,
({3})
dass ihre Erziehungsleistung gewürdigt wird. Ich finde
es ungeheuerlich, dass ein derartiger Vorschlag überhaupt zur Diskussion gestellt wird.
({4})
Damit stellt sich die Bundesregierung ein absolutes Armutszeugnis aus, und sie begibt sich damit - davon bin
ich überzeugt - rein rechtlich und juristisch auf ganz
dünnes Eis.
({5})
Vor einem Monat haben zehn Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen hier in namentlicher Abstimmung ein ganz klares Zeichen dafür gesetzt, dass sie
vom Betreuungsgeld nichts halten. Kurz darauf haben
23 Unionsabgeordnete klargemacht, dass sie der Kanzlerin beim Betreuungsgeld die Gefolgschaft verweigern
werden. Das Betreuungsgeld hat in diesem Parlament
keine Mehrheit, und dabei muss es bleiben!
({6})
Wir erleben aktuell aber einen unwürdigen Kuhhandel. Im Gegenzug zur Zustimmung zum Betreuungsgeld
soll es eine Rentenerhöhung für Mütter geben, deren
Kinder vor 1992 geboren wurden. Es stimmt: Bei der
Stichtagsregelung gibt es ein Gerechtigkeitsproblem.
Aber wer, wie Herr Kauder, einen derartigen Vorschlag
in den Raum stellt, der muss auch sagen, wer es bezahlen soll.
({7})
Und vor allem: Das Betreuungsgeld als solches wird damit keinen Deut besser.
Für uns ist ganz klar: Es darf keinen billigen Kuhhandel zulasten der Familien in diesem Land geben. Das Betreuungsgeld darf erst gar nicht Realität werden.
({8})
Wir Grüne werden alles dafür tun, damit das Betreuungsgeld nicht kommt - bis hin zu einer Verfassungsklage. Ich freue mich, dass wir die SPD hier an unserer
Seite haben.
An dieser Stelle will ich aber auch sagen: Es wäre
noch schöner gewesen, wenn die SPD ihre weitreichenden Bedenken, die sie jetzt hat, schon 2007 klar geäußert
und dieses Betreuungsgeld erst gar nicht ins Gesetz geschrieben hätte.
({9})
- Nein.
({10})
Wenn man es erst gar nicht ins Gesetz geschrieben hätte,
dann wäre uns allen hier eventuell sehr viel Aufregung
erspart geblieben
({11})
und dann müssten wir in unserem Land nicht über eine
Maßnahme diskutieren, über die Frau Ministerin von der
Leyen völlig zu Recht gesagt hat, dass sie eine bildungsund gleichstellungspolitische Katastrophe wäre.
Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU
Kollegin Daniela Ludwig. Bitte schön, Frau Kollegin
Ludwig.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich
zitiere für jeden zum Mitschreiben noch einmal
§ 16 Abs. 5 SGB VIII.
({0})
Es wird geregelt - Zitat -:
Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder
von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche
Zahlung ({1}) eingeführt
werden.
({2})
Das wurde 2008 in der Großen Koalition mit Ihnen beschlossen.
Ich darf noch jemanden zitieren. Sie dürfen raten,
wen ich zitiere, liebe Frau Ziegler. Er hat gesagt:
Ich freue mich, dass wir gemeinsam diesen vernünftigen Kompromiss gefunden haben.
Das sagte Herr Steinbrück.
({3})
Glückwunsch! - Wissen Sie, Frau Ziegler, wenn Sie sich
heute hier hinstellen und versuchen, sich nach dem
Motto vom Acker zu machen: „Wir haben etwas in der
Hoffnung beschlossen, dass es nicht kommt“, dann muss
ich Ihnen sagen: Mehr Peinlichkeit geht fast nicht!
({4})
- Das ist immer bitter. Das ist nicht nur peinlich, sondern
das offenbart - das möchte ich schon sagen - ein interessantes parlamentarisches Verständnis.
({5})
Es ist halt so: Wenn in einer Großen Koalition ein
vernünftiger Kompromiss gefunden wird, dann muss
man sich daran halten und sich daran messen lassen. Das
ist bitter. Die meisten von Ihnen, die damals die Hand
gehoben haben, sind auch heute noch dabei. Ich weiß,
dass Ihnen das extrem wehtut. Da müssen Sie jetzt
durch, auch wenn Ihnen das schlaflose Nächte bereitet.
So ist das halt.
({6})
Nun das Ganze von Anfang an. Sie haben gesagt: Wir
müssen uns jetzt über das Betreuungsgeld unterhalten.
({7})
Diese Aktuelle Stunde hat die Linke beantragt. - Ich
sehe, Frau Golze ist jetzt weggegangen.
({8})
- Okay, zur Kinderkommission. Das ist halt ihre Art der
Prioritätensetzung.
({9})
- Ich habe zwei Kinder. Diese haben für mich den
höchsten Rang. - Ihr schlechter Stil, über Familienpolitik zu debattieren, trägt unter anderem dazu bei, dass
sich immer mehr Familien, die sich dafür entscheiden,
ihre Kleinstkinder bei sich zu Hause zu betreuen, so
richtig veräppelt vorkommen. Das möchte ich an dieser
Stelle einmal ganz deutlich sagen.
({10})
Noch etwas. Das Betreuungsgeld bekommt nicht irgendwer, sondern zunächst einmal die Familien, im Übrigen - hallo! - genauso wie das Kindergeld. Wenn jetzt
wieder einer kommt und aus Misstrauen gegen bestimmte Familien sagt: „Das wollen wir so nicht“, dann
sage ich: Die große Mehrheit der Familien macht sich
ständig Gedanken darüber, wie sie ihre Kinder am besten
betreuen lässt, sei es in der Krippe, sei es durch eine Tagesmutter, sei es durch die Großeltern oder sei es vielleicht sogar durch die Eltern selber. Wahnsinn! Wer hätte
sich vorstellen können, dass unter dreijährige Kinder
auch von der Mutter oder vom Vater betreut werden?
Scheren Sie diese Familien bitte nicht ständig mit denjenigen ganz wenigen Familien über einen Kamm, bei denen es einfach nicht so gut klappt. Um die kümmern wir
uns. Liebe Frau Ministerin, vielen Dank für das Kinderschutzgesetz. Ein erster Schritt in die richtige Richtung!
Da haben wir bewiesen, dass wir Familienpolitik können!
({11})
Deswegen stehen wir selbstverständlich - auch wir haben diesen „vernünftigen Kompromiss“, Zitat Steinbrück,
und die entsprechenden Regelungen im Sozialgesetzbuch
gerne mitgetragen - zum Ausbau der Krippenbetreuung.
Darüber gibt es nirgends eine Debatte. Wir sagen aber
auch: Wo ist das Problem? Wenn Kindererziehung aus guten Gründen in irgendeiner Familie anders organisiert
wird, sei es durch eine zeitweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit, sei es dadurch, dass ich eine andere Person, die für
mich die Lieblingsperson ist und von der ich gerne mein
Kind betreut haben möchte, damit beauftrage, während
ich meiner Arbeit nachgehe: Wo ist da Ihr Problem?
Ein Wort zu den sogenannten Migrationsfamilien und
den einkommensschwachen und bildungsfernen Familien, die Sie immer anführen.
({12})
Wissen Sie was? Die Fähigkeit, einem unter dreijährigen
Kind Liebe und Zuwendung zu geben, hängt nicht davon
ab, ob ich einen Hochschulabschluss habe, hängt auch
nicht davon ab, woher ich komme, hängt auch nicht davon ab, ob ich viel Geld oder eher weniger Geld habe.
({13})
Das kann jeder, wenn er will.
({14})
Hören Sie einfach auf, hier ständig Klischees zu bedienen! Wir stehen für Wahlfreiheit. Deswegen wird das
Betreuungsgeld kommen.
Vielen Dank.
({15})
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal ist auffällig, dass von den Rednerinnen und
Rednern der Unionsfraktion ausschließlich die mit einem sehr konservativen Familienbild sprechen. Politikerinnen und Politiker der Union mit einer modernen und
zeitgemäßen Familienpolitik kommen bei Ihnen in diesen Debatten nicht zu Wort.
({0})
Modernität hat nichts mit Jahren zu tun, wie man eben
bei Frau Ludwig in ihrem unterirdischen Auftreten hören
und auch sehen konnte.
({1})
Ich frage mich, Frau Ludwig, ob Ihre Rede, die mich in
der Performance ein bisschen an Miss Rumpelstilzchen
erinnert hat, insbesondere an die vehementen Kritikerinnen und Kritiker in Ihren eigenen Reihen gerichtet war.
Ich würde gern die Diskussion zwischen Ihnen und Frau
Pawelski, zwischen Ihnen und Frau von der Leyen oder
zwischen Ihnen und beispielsweise Herrn Schlarmann,
dem Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung hören.
Wir können ganz aktuell bei Spiegel Online lesen, dass
Herr Schlarmann trotz eines Machtwortes von Kanzlerin
Merkel das Betreuungsgeld in der Bild-Zeitung - Spiegel
Online bezieht sich darauf - klar und deutlich als „völlig
falschen Ansatz“ bezeichnet. Deutschland brauche, so Ihr
CDU/CSU-Mittelstandschef Herr Schlarmann, „ein breit
angelegtes Betreuungsangebot, damit jede Frau entscheiden kann, ob sie ihr Kind selbst betreut oder in die Kita
gibt“. Recht hat er, Ihr Parteikollege.
({2})
Zugleich möchte ich, weil es sehr deutlich macht,
welches Chaos in Ihren eigenen Reihen herrscht, weiter
Herrn Schlarmann zitieren. Er wies nämlich auch den
Vorschlag von Unionsfraktionschef Kauder zurück, Müttern von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, höhere
Rentenansprüche einzuräumen, indem er sagte:
Ein politisches Problem dadurch zu lösen, dass man
auf eine umstrittene Sozialleistung eine weitere
draufsattelt, ist schon aus haushaltspolitischen
Gründen nicht zu verantworten.
Eine unsinnige Leistung wird nicht dadurch besser, dass
man eine Leistung, die jedenfalls nicht gegenfinanziert
ist, oben draufsattelt.
({3})
Ich denke, das wird an dieser Stelle ganz klar.
Völlig zu Recht titelte gestern die nicht gerade linkslastige Financial Times Deutschland zum Betreuungsgeld: „Kauderwelsch“. Alle Oppositionsfraktionen hätten, glaube ich, den Artikel in der Financial Times
Deutschland sofort unterschrieben.
Sie haben sich mit dem Betreuungsgeld mehr als
verrannt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Die Ausgestaltung ist unklar. Die Verfassungsfragen sind nicht geklärt. Die Finanzierung ist völlig nebulös und unsolide. Das wurde auch vorhin bei den
Fragen an Herrn Staatssekretär Kues deutlich.
Es zeichnet sich ab: Es ist einzig und allein die CSU,
die das Betreuungsgeld als eine Gegenleistung für den
Kitaausbau weiter erpresst.
({4})
Nichts anderes war es auch damals in der Großen Koalition. Leider ist Frau von der Leyen der CSU auf den
Leim gegangen.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer will das Betreuungsgeld als Wahlkampfgeschenk für Bayern umsetzen.
Es geht ihm um nichts anderes.
({5})
Ich denke, das ist auch mehrfach in öffentlichen Äußerungen von Herrn Seehofer sehr deutlich geworden.
({6})
Jeden Tag gibt es bei Ihnen einen neuen Konflikt
beim Betreuungsgeld. Jeden Tag treiben Sie, so sagt man
bei uns in Niedersachsen, eine neue Sau durchs Dorf. Es
gibt neue Konflikte. Die Fragen, die alle anderen, selbst
in den eigenen Reihen, stellen, bleiben unbeantwortet.
Finanzielle Verantwortung liegt Ihnen fern.
Jetzt komme ich zu dem Punkt, der heute schon angesprochen wurde, nämlich dass es kein Betreuungsgeld
für Familien mit Hartz-IV-Bezug geben soll.
({7})
Ich möchte Sie gerne auf ein Schreiben aufmerksam machen, das am 17. Dezember 2010 vom Ministerium für
Arbeit und Soziales an das Thüringer Sozialministerium
ging. In diesem Schreiben des Bundesarbeitsministeriums an das thüringische Sozialministerium heißt es, das
Betreuungsgeld könne nicht auf Hartz-IV-Leistungen
angerechnet werden. Auch das ist heute in mehreren
Presseberichten nachzulesen. Da Sie immer sagen, die
Ausgestaltung soll sich am thüringischen Landesbetreuungsgeld orientieren, frage ich mich, wie Sie jetzt zu diesem Sinneswandel kommen.
Fakt ist: Das Betreuungsgeld ist und bleibt widersinnig. Absurd ist schon alleine, Bürgerinnen und Bürgern
für eine staatliche Leistung, die nicht in Anspruch genommen wird, Geld zu geben.
({8})
Denn Sie könnten auch sagen: Es gibt eine Kompensation für die Menschen - hier könnte man ebenfalls das
Argument der Wahlfreiheit anführen -, die keine Bücherei nutzen und nicht ins Theater gehen, weil sie sich
Bücher kaufen und - genauso wie Sie täglich in der
Union - selbst Theater machen. Ich sage Ihnen: Legen
Sie Ihren Streit bei! Es lohnt sich nicht, um dieses unsinnige Betreuungsgeld zu streiten. Kinder und Familien
warten auf den Kitaausbau. Nur wenn wir eine ausreichende Zahl an Kitaplätze haben, haben wir Wahlfreiheit
in unserem Land. Dann können auch Sie zu Recht von
Wahlfreiheit reden, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP unsere
Kollegin Sibylle Laurischk. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon eine reichlich absurde Debatte, die
von der Fraktion der Linken angestoßen wurde. Als
Erste verabschiedet sich aus dem Kreis der Kollegen die
Hauptrednerin der Linken.
({0})
Also scheint das Ganze doch nicht so wichtig zu sein.
Man muss richtig planen und wissen, was man tut. Das
weiß die Linke offensichtlich nicht.
({1})
Das zeigt, worüber wir reden, nämlich über ungelegte
Eier, nichts anderes.
({2})
Es gibt keinen Gesetzentwurf, sondern lediglich eine
versuchte Inszenierung der Opposition.
({3})
Diese ist gründlich danebengegangen.
({4})
Die SPD hat zu Zeiten der Großen Koalition das Betreuungsgeld offensichtlich mitgetragen.
({5})
Dass sie jetzt versucht, mit dem Hinweis auf Hartz IV
davon abzulenken, zeigt doch, wie absurd diese Debatte
ist.
({6})
Ich kann dazu nur sagen: Große Koalitionen neigen offensichtlich zum Ausgeben von Geld, das ihnen noch gar
nicht zur Verfügung steht. So muss ich das heutige Auftreten der SPD wohl verstehen.
({7})
Die Position der FDP ist wohlüberlegt. Wir weisen
immer darauf hin, dass wir vertragstreu sind
({8})
und dass die Ausgestaltung und die gesetzliche Realisierung des Betreuungsgeldes, dessen Einführung im Koalitionsvertrag steht, davon abhängen, ob die Finanzierung gesichert ist.
({9})
Die Finanzierung ist nach meinem Kenntnisstand bisher
noch nicht geklärt. Die FDP ist in diesen Dingen genau.
Wir wollen einen klaren, sauber aufgestellten Haushalt.
Wir wollen keinen unsinnigen und völlig überzogenen
Verschuldungshaushalt auf den Weg bringen. Wir haben
in der Vergangenheit gezeigt, dass wir Haushaltsfragen
sehr ernst nehmen. Das ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt.
Ich habe im Übrigen vor wenigen Tagen in einer
Debatte über das Betreuungsgeld gesagt, dass ich persönlich es für verfassungsrechtlich problematisch halte.
Es sind weiterhin Fragen zu klären.
({10})
Wir sollten daher nicht wie die Linke und die SPD versuchen, über ungelegte Eier zu sprechen, sondern uns
dem Tagesgeschäft und den Fragen, die wir eigentlich zu
klären haben, widmen.
Ich danke.
({11})
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias
Birkwald. Bitte schön, Herr Kollege.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kollegin Laurischk, Ihr Einstieg in die
Debatte war unterirdisch.
({0})
Frau Golze ist die Vorsitzende der Kinderkommission;
diese tagt jetzt. Wenn der Staatssekretär Kues vorhin anständig geantwortet hätte, dann gäbe es diese Aktuelle
Stunde jetzt nicht. So sieht es aus.
({1})
Ihre Rede hat deutlich gemacht, dass Ihre Wertschätzung
für Kinder und die Belange der Kinderkommission
gleich null ist. Das spricht doch für sich.
({2})
Die Linke will, dass Lebensleistung anerkannt wird.
Dazu gehört - darüber sind wir uns alle hier im Hause
wohl einig - auch Arbeit in der Familie, also die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen. Wir
wollen aber auch, dass die Menschen ihren Lebensweg
so weit wie möglich selbst gestalten können. Politik soll
dabei helfen. Sie soll ermöglichen und nicht verhindern.
Sie soll Raum für freie Entscheidungen schaffen, statt
diese Räume immer weiter einzuschränken.
({3})
Beides ist wichtig: freie Lebenswege eröffnen und
Lebensleistung anerkennen. Deswegen halten wir das
Betreuungsgeld für falsch.
({4})
Das Betreuungsgeld ist so, wie es jetzt gedacht ist, eine
Bildungsfernhalteprämie für die Kinder und für viele
Frauen eine Herdprämie, nichts anderes. Das lehnen wir
ab.
({5})
Weil wir wollen, dass die Lebensleistung anerkannt
wird, wollen wir auch, dass die Erziehungsleistung von
Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, in
der Rente genauso belohnt wird wie die der Eltern, deren
Kinder nach 1992 auf die Welt gekommen sind.
({6})
So ist es bisher: Die Rentenpunkte erhalten grundsätzlich alle, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Niemand wird einfach so, willkürlich ausgeschlossen. Hier wird so einfach wie gerecht Leistung
anerkannt. Wenn nun endlich die unterschiedliche Bewertung der Erziehungsarbeit beendet würde und alle Eltern unabhängig vom Geburtsjahr ihrer Kinder drei Rentenpunkte in den ersten drei Kinderjahren erhielten, dann
wäre alles in Ordnung. Nebenbei bemerkt: Das fordert
die Linke schon seit 2007, und die PDS hat es vorher
auch schon gefordert.
({7})
Leider haben einige Unionskollegen eine verquere
Logik. In der taz war vorgestern unter der Überschrift
„Mehr Rente für ein Ja zur Herdprämie“ zu lesen, dass
Herr Kauder, immerhin der Fraktionsvorsitzende der
Union, mit seinem Vorschlag nicht im Traum an eine
Gleichbehandlung aller Eltern denkt. Die Rentenpunkte
für vor 1992 geborene Kinder sollen - so war zu lesen,
und es wurde nirgends dementiert - nur jene Eltern erhalten, die während der ersten drei Lebensjahre des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Wer also
beides versucht und geschafft hat, wer seine Kinder erzogen hat und gleichzeitig ins Büro, in die Fabrik, aufs
Feld oder in die Praxis arbeiten gegangen ist, soll leer
ausgehen. Das ist doch eine Arbeitsmarktfernhalteprämie. Wenn das stimmt, wäre das ungeheuerlich und
ein immenser gesellschaftlicher Rückschritt.
({8})
Ein solcher Vorschlag tritt die Lebensleistung dieser
Eltern mit Füßen und bestraft nachträglich die Entscheidung, Familie und Beruf vereinbart zu haben. Ein solcher Vorschlag trifft vor allem Frauen, die die doppelte
Last, ja die doppelte Leistung von Familien- und Berufsarbeit vollbracht haben. Das heißt doch nichts anderes,
als dass dieser Vorschlag nicht nur leistungs-, sondern
auch krass frauenfeindlich ist.
({9})
Soll etwa wieder gelten: Papi Vollzeit ins Büro und
Mami heim an den Herd? Es fehlt nur noch, dass Herr
Kauder die anderen Frauen als Rabenmütter beschimpft;
denn nichts anderes ist sein Vorschlag: eine finstere,
längst überholte und vergessen geglaubte Rabenmütterklausel. Für diese reaktionäre Rolle rückwärts in die
50er-Jahre sollte er sich schämen.
({10})
Noch etwas: Der Vorschlag diskriminiert vor allem
ostdeutsche Frauen; denn in der großen Mehrheit sind
sie es, die diese doppelte Leistung, also Kindererziehung
und Berufstätigkeit, erbracht haben. Das wäre ganz
typisch für die schwarz-gelbe Rentenpolitik; denn Sie
weigern sich auch noch nach 20 Jahren deutscher
Einheit, den Ostdeutschen für die gleiche Leistung im
Erwerbsleben die gleiche Rente wie den Westdeutschen
zu zahlen.
({11})
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Sie haben das in den Koalitionsvertrag geschrieben, aber Ihr Versprechen gebrochen.
Sie machen es nicht. Das ist die Lage.
({12})
Es gibt eine Umfrage von Forsa im Auftrag von RTL
und Emnid.
({13})
Danach lehnen 60 Prozent der Bevölkerung Ihr Betreuungsgeld ab; 36 Prozent sind dafür. Das sind immer noch
viel zu viel. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die
Finger vom Betreuungsgeld! Geben Sie den Frauen und
Männern, die vor 1992 Kinder erzogen haben, die 49 bis
55 Euro mehr Rente! Sorgen Sie endlich dafür, dass
Eltern Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren
können, um ausreichend Rentenanwartschaften erwerben zu können! Das wäre die richtige Politik, die wir
jetzt brauchen, aber nicht das unsinnige Betreuungsgeld.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Max Straubinger.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Linke in diesem Haus versucht wieder, hier einen
Popanz gegen das Betreuungsgeld, aber vor allen Dingen auch gegen die Familien in unserem Land aufzubauen.
({0})
CDU/CSU und FDP werden gemeinsam ein Betreuungsgeld durchsetzen, weil es die jungen Familien stützt
und ihnen vor allen Dingen auch die Wahlfreiheit ermöglicht, sich zu entscheiden, ob sie sehr schnell wieder
in das Berufsleben einsteigen wollen oder sich eventuell
etwas länger der Kindererziehung zu Hause widmen
möchten - was sehr viele junge Frauen wollen. Umfragen zeigen klar - der Kollege Kues hat es gerade dargestellt -: 51 Prozent der jungen Eltern wollen länger die
Möglichkeit, ihre Kinder selber zu betreuen. Deshalb ist
das Betreuungsgeld goldrichtig, verehrte Damen und
Herren.
({1})
Es ist schon bemerkenswert - da möchte ich an Frau
Kollegin Laurischk anschließen -, wenn die Fraktion
Die Linke hier eine Aktuelle Stunde vom Zaun bricht
und deren Rednerin den Saal sofort wieder verlässt, weil
sie einen anderen Termin hat.
({2})
- Da hilft auch keine Entschuldigung, lieber Herr
Birkwald. Als Zeichen des Anstands ist es notwendig,
dass man hier bleibt.
({3})
Dann muss man von Ihrer Fraktion hier eine andere Rednerin ins Parlament schicken. Man darf doch nicht einfach das Feld verlassen.
({4})
Anscheinend ist sie - so wie sie heute hier gegen Kinder
argumentiert hat - auch als Vorsitzende der Kinderkommission eine glatte Fehlbesetzung.
({5})
Außerdem ist es erstens pure Heuchelei, was SPD,
Grüne und Linke heute hier verzapfen; denn in erster Linie die SPD hat mit beschlossen, dass wir ein Betreuungsgeld einführen. Dafür stehen wir in der Kontinuität
der Politik.
Zweitens - und das ist sehr bemerkenswert - haben
wir vier Länder, in denen es ein Landeserziehungsgeld
gibt.
({6})
Alle diese Länder rühmen sich, dass das eine großartige
Leistung ist. Wir in Bayern haben es sowieso; das ist
völlig klar. Dieses Landeserziehungsgeld gibt es aber
zum Beispiel als Betreuungsgeld auch in Thüringen.
Dort ist die SPD mit an der Regierung. Wieso wäre etwas, was in Thüringen richtig ist, auf Bundesebene dann
falsch?
({7})
Noch toller wird es in Baden-Württemberg. Dort haben Sie auch ein Landeserziehungsgeld. Die grün-rote
Regierung steht dafür. Was in Baden-Württemberg richtig ist, kann doch auf Bundesebene nicht falsch sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Deshalb verstehe ich Ihre Entrüstung überhaupt nicht.
Sie hätten doch in Baden-Württemberg die Möglichkeit,
es abzuschaffen. Das tun Sie aber nicht, weil Sie für dieses Landeserziehungsgeld stehen.
({9})
Das zeigt sehr deutlich: Es ist richtig, junge Familien
zu unterstützen.
({10})
Das haben Sie in diesen Ländern erkannt. Wir werden
dies auf Bundesebene zur Durchsetzung bringen. Das ist
meines Erachtens auch der richtige Weg.
Ich halte auch nichts davon, wenn es immer heißt, das
sei eine Fernhalteprämie
({11})
bzw. eine bildungspolitische Fernhalteprämie, wie es der
Herr Kollege Birkwald dargestellt hat.
({12})
So hat man mit diesem Betreuungsgeld die Wahlmöglichkeit, damit auch besondere Unterstützung für das
Kind zu gewähren - sei es, dass man damit dann möglicherweise auch eine Logopädin in Einzelbetreuung bezahlen kann.
({13})
Hier liegt es in der Entscheidungsgewalt der Eltern, das
bewusste Fördern der Kinder voranzubringen.
({14})
Diese Leistung, die mit dem Betreuungsgeld bewerkstelligt wird, kann in einer Kinderkrippe in keinster Weise
bewerkstelligt werden, weil dort eine Erzieherin für fünf,
sechs oder sieben Kinder die Verantwortung trägt und
nicht jedem Kind gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit widmen kann.
Ein Letztes noch: Es wird immer behauptet, das Betreuungsgeld sei eine Prämie zum Fernhalten vom Arbeitsplatz. Das stimmt in keinster Weise.
({15})
In Bayern ist die Frauenerwerbstätigkeit am höchsten
und in Thüringen am zweithöchsten in Deutschland. Das
zeigt sehr deutlich: Der Bezug von Landeserziehungsgeld - dieses Geld ist einem Betreuungsgeld gleichzusetzen - heißt nicht, dass man vom Erwerbsleben ausgeschlossen ist.
({16})
Im Gegenteil: Die Wahlmöglichkeit fördert den Zugang
zum Erwerbsleben. Auch deshalb habe ich für die Vorwürfe von der Arbeitgeberseite, vom BDA-Präsidenten
bzw. von Herrn Schlarmann, kein Verständnis.
({17})
Wir fördern die Familien. Das ist ein Kernelement unserer gesellschaftspolitischen Auffassungen.
({18})
Darüber lässt sich weiterhin streiten. Ihre Einstellung
bringt zum Ausdruck, dass Sie gegen die Familien sind.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem
nächsten Redner das Wort gebe, will ich noch darauf
hinweisen, dass es in dieser Debatte - bei aller Leidenschaft; sie ist auch notwendig - um unsere Kinder und
deren besten Weg in die Zukunft geht. Deshalb sollten
wir diese Debatte - das gilt für alle - in der entsprechenden Würde führen.
Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Sönke Rix. Bitte schön.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal zu den anderen Ländern:
In Norwegen wird das Betreuungsgeld gerade wieder abgeschafft. In Schweden wird darüber sehr viel diskutiert. Passen Sie mit Begrifflichkeiten wie Erziehungsgeld,
Betreuungsgeld und Elterngeld - Sie haben da allerhand
durcheinandergeworfen - auf:
({0})
In Baden-Württemberg ist es nicht so, dass Menschen
eine entsprechende Leistung bekommen, wenn sie ihr
Kind nicht in eine Krippe schicken. Deshalb ist es nicht
mit dem zu vergleichen, was hier gerade debattiert wird.
({1})
Auf die Frage, ob man nicht lieber länger zu Hause
bleiben möchte, nachdem man ein Kind in die Welt gesetzt hat, ist das Betreuungsgeld keine Antwort. Vielmehr geht es darum, über Elternzeit und Elterngeld zu
reden, anstatt ein Betreuungsgeld einzuführen. Wenn
junge Menschen mit kleinen Kindern länger zu Hause
bleiben wollen, dann müssen wir uns mit Änderungen
bei der Elternzeit auseinandersetzen. Das Elterngeld ist
keine Fernhalteprämie.
({2})
Ich will etwas dazu sagen, wie der Beschluss, das Betreuungsgeld einzuführen, eigentlich zustande gekommen ist. Ich will uns, genauer: die Große Koalition, loben, und zwar für die historische Leistung, den
Krippenplatzausbau vorangebracht zu haben.
({3})
Das war eine historische Leistung; diese Leistung haben
wir gemeinsam erbracht. Wahrscheinlich hätten Sie das
allein nicht zustande gebracht und brauchten ein bisschen Unterstützung von uns.
({4})
Diese Unterstützung haben wir sehr gerne gegeben. Das
dürfen wir an dieser Stelle auch nicht kleinreden. Wir
haben damit einen großen Schritt hin zur wirklichen
Wahlfreiheit gemacht.
({5})
- Ich höre natürlich nicht auf, lieber Kollege Grübel.
Bei den Verhandlungen der Großen Koalition von
CDU, CSU und SPD mit den Ländern ging es um die
Frage, ob ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingeführt werden soll. An dieser Stelle hat die CSU das Betreuungsgeld gefordert. Für uns Sozialdemokraten war
da die Frage, ob eine windelweiche Formulierung in einer Klammer, „zum Beispiel Betreuungsgeld“, die keine
Rechtsverbindlichkeit hat, in den Gesetzestext aufgenommen oder ob dieser Rechtsanspruch fallen gelassen
werden soll. Wir haben uns für den Rechtsanspruch ausgesprochen, und das ist auch gut so.
({6})
Was bisher aufgeschrieben worden ist, hat keine
Rechtsverbindlichkeit. Die Kollegin der FDP und andere
hier im Hause, auch die Kollegen der Union, können in
dieser Debatte jetzt nicht so tun, als ob sie gar nichts dafür können, dass im Koalitionsvertrag steht, dass Sie das
Betreuungsgeld einführen wollen. Wir hätten uns nicht
beschwert, wenn Sie es nicht vereinbart hätten - keine
Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Dadurch, dass Sie sich heute wegducken und nicht
positionieren, glauben Sie, erreichen zu können, dass
dieses Gesetz nicht kommen wird. Wenn Sie es wirklich
nicht wollen, dann stellen Sie sich doch heute hier hin
und sagen Sie: In der Koalitionsvereinbarung haben wir
Mist aufgeschrieben. Wir haben noch viel mehr Mist
aufgeschrieben, den wir nicht umsetzen, und an dieser
Stelle setzen wir den Mist mit dem Betreuungsgeld
ebenfalls einfach nicht um, weil wir den Kritikern - Vertretern der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaften, der
Arbeitsministerin, Politikern aus unseren eigenen Reihen - folgen und sagen: Nein, wir wollen diesen bildungspolitischen Unsinn nicht umsetzen. - Sie haben die
Gelegenheit dazu. Machen Sie es auch!
({8})
Nun noch etwas zur Frage der Finanzierbarkeit.
({9})
Im Moment werden für das Betreuungsgeld 2 Milliarden
Euro kalkuliert. Gleichzeitig ist es leider eine Tatsache,
dass der Krippenplatzausbau ins Stocken geraten ist. Angesichts dessen müssen Sie jetzt begründen, warum Sie
2 Milliarden Euro nicht lieber in den Krippenplatzausbau stecken. Dass eine Wahlfreiheit gar nicht erst
zustande kommen kann, weil es nicht genügend Krippenplätze gibt, das müssen Sie begründen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Noch ein Argument ist, glaube ich, an dieser Stelle
sehr wichtig. Sie tun bei dem Argument der Wahlfreiheit
so, als ob diejenigen, die sich dafür entscheiden, ihr
Kind in die Krippe, in den Kindergarten zu geben, dafür
nichts bezahlen müssten. In der Regel ist es aber so, dass
sie etwas dafür bezahlen müssen. Also bestrafen Sie diejenigen, die ihre Kinder in die Krippe geben, doppelt,
weil sie einerseits nicht das Betreuungsgeld bekommen
sollen und weil sie andererseits für das, für das sie sich
bei der angeblichen Wahlfreiheit entschieden haben,
auch noch eine Gebühr bezahlen müssen. Sie benachteiligen diejenigen, die ihre Kinder in die Krippe geben
wollen, und das ist der Skandal an der Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Wie gesagt, Sie haben die Gelegenheit, das, was im
Koalitionsvertrag steht, so wie auch einiges andere, was
im Koalitionsvertrag steht, einfach nicht umzusetzen.
Unsere Unterstützung haben Sie dabei. Ich hoffe da ein
bisschen auf die Vernünftigen in der Union, die sich häufig lautstark äußern,
({12})
und auch auf die in der FDP. Ich würde mich freuen,
wenn es denn irgendwann einmal zu einer gemeinsamen
Linie Ihrer Koalition käme, und würde mich noch mehr
freuen, wenn die hieße: Kein Betreuungsgeld.
Danke schön.
({13})
Nächster Redner und auch letzter Redner in unserer
Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Norbert Geis. Bitte schön, Kollege Geis.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist ein nicht enden wollendes Thema. Wir
werden uns auch weiterhin streiten müssen. Wenn es wenigstens nur um den Weg ginge! Aber Ihnen geht es ja
darum, dass das Betreuungsgeld überhaupt nicht kommt.
({0})
Da sehe ich einen Widerspruch zu Ihrem Verhalten in
der Zeit, als Sie noch in der Großen Koalition waren; daran kommen Sie nicht vorbei. Sie haben damals mit dafür gestimmt, dass das Betreuungsgeld parallel zur
Krippe kommt.
({1})
Es geht hier auch nicht um die Kindergartenkinder, also
nicht um die Kinder ab dem dritten Lebensjahr, sondern
es geht um die Krippenkinder, um die Kinder, die vom
ersten bis zum dritten Lebensjahr in die Krippe kommen.
Das wird häufig auch draußen verwechselt. Das wollte
ich noch einmal klarstellen.
Sie haben damals in der Großen Koalition mit dafür
gestimmt; daran kommen Sie nicht vorbei.
Das Betreuungsgeld hatte einen Vorläufer. Das war
das Erziehungsgeld. Dagegen haben Sie überhaupt
nichts unternommen.
({2})
- Nein. Ich will es Ihnen genau sagen: Zunächst war das
Erziehungsgeld, das jede Mutter bekam, 300 Euro, für
das erste und das zweite Jahr. Das wurde vom Bund gezahlt. Dann haben sich Länder angeschlossen, darunter
Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen,
und haben gesagt: Für das dritte Jahr zahlen wir einkommensabhängig - das will ich dazusagen - das Landeserziehungsgeld. - Es gibt also einen Vorläufer für das
Betreuungsgeld.
Dann kam das Elterngeld. Wir haben darauf gedrängt,
dass für die Frauen, die kein Elterngeld bekommen können, weil sie vorher nicht erwerbstätig waren, Erziehungsgeld gezahlt wird.
({3})
Das Erziehungsgeld wird so wie das Elterngeld im Augenblick nur für das erste Lebensjahr gezahlt.
({4})
Wir wollen die Fortsetzung dieser Zahlung für das
zweite und für das dritte Jahr - genauso wie vorher beim
Erziehungsgeld. Es geht beim Betreuungsgeld lediglich
darum, dass wir für das zweite Jahr Betreuungsgeld zahlen und keine Lücke lassen.
Wir sind der Auffassung, dass das Erziehungsgeld damals eine richtige Entscheidung war. Sie alle haben sie
mitgetragen. Die SPD hat sie mitgetragen.
({5})
Die Grünen haben sie mitgetragen.
({6})
Niemand kam auf die Idee, das Erziehungsgeld abzuschaffen. Niemand! Das wäre auch verfassungswidrig
gewesen. Es gibt eine ganz klare verfassungsgerichtliche
Entscheidung, nach der es notwendig ist, der Frau, die
daheimbleibt, um ihre Kinder zu erziehen, einen entsprechenden Ausgleich zu geben. Darum geht es.
({7})
- Es gibt jetzt kein Erziehungsgeld. Das war der Vorläufer vom Betreuungsgeld.
({8})
- Nein! Sie unterscheiden nicht! Ich wiederhole noch
einmal, damit es klar ist: Wir hatten zunächst das Erziehungsgeld.
({9})
Dann kam das Elterngeld. Daneben zahlen wir nur noch
für das erste Jahr Erziehungsgeld, das jetzt „Elterngeld II“
heißt.
({10})
- Nein! Wenn Sie Ihre eigenen gesetzlichen Grundlagen
nicht kennen, dann tut es mir leid.
({11})
Ich verstehe nicht, weshalb Sie gegen die Fortsetzung
dieses Erziehungsgeldes in der Form des Betreuungsgeldes sind. Das verstehe ich nicht. Das ist auch nicht nachvollziehbar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum sind
Sie so sehr gegen das Betreuungsgeld? Es gibt in ganz
Schweden Betreuungsgeld. Die Schweden zahlen Betreuungsgeld. Die Norweger zahlen über 400 Euro Betreuungsgeld. Die Dänen zahlen Betreuungsgeld. Island
zahlt Betreuungsgeld. Finnland zahlt Betreuungsgeld. In
Frankreich wird Betreuungsgeld gezahlt. In Österreich
wird Betreuungsgeld gezahlt. Es kann doch nicht sein,
dass dort nur die ganz Konservativen sitzen. Es ist eine
vernünftige Entscheidung dieser Länder. Wir wollen
jetzt nachziehen.
Ich will ein Weiteres dazu sagen.
({12})
Das Wort hat immer noch der Kollege Norbert Geis.
Sie behaupten, die Eltern, die ihre Kinder nicht in die
Kita, nicht in die Krippe geben, hätten ein veraltetes Familienbild.
({0})
Wir haben eine Million Eltern, die ihr Kind im Augenblick nicht deshalb in die Krippe geben, weil sie keinen
Platz finden, sondern weil sie es nicht wollen. Das wird
es auch in Zukunft geben. Wir werden in Zukunft Eltern
haben, die ihr Kind nicht in die Kindertagesstätte geben.
({1})
Wir zahlen von Staats wegen für die Kindertagesstätte
- es ist richtig, dass die Eltern einen Teil dazubezahlen zwischen 700 und 900 Euro im Monat. Es ist nicht gerecht, wenn wir den Eltern, die ihr Kind nicht in die Kita
geben, dafür keinen Ausgleich geben. Wir wollen einen
Minimalausgleich in Höhe von 150 Euro geben. Davon
kann man nicht behaupten, das sei eine Fernhalteprämie.
Was ist das für eine Vorstellung von den Menschen, die
nicht bereit sind, ihr Kind in die Kita zu geben? Diese
Entscheidung haben wir zu achten. Es ist eine freie Entscheidung.
({2})
Deswegen glaube ich, dass Sie falsch liegen. Heute sind
die neuesten Umfragen von RTL und Stern herausgekommen. Diese Umfragen zeigen, dass die 18- bis
29-Jährigen mit absoluter Mehrheit das Betreuungsgeld
haben wollen.
({3})
Sie werden sehen: Wenn das Betreuungsgeld eingeführt
ist, dann wollen es 90 Prozent haben. Dann werden wir
Sie an Ihre heutige Argumentation erinnern, die völlig
falsch ist.
Danke schön.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Aktuelle
Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 26. April 2012, 9 Uhr,
ein. Ich freue mich, Sie dann alle hier begrüßen zu dürfen.
Die Sitzung ist geschlossen.